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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-05 18:45:11 -0800 |
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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. - Prolegomena einer realistischen Aesthetik - -Author: Wilhelm Bölsche - -Release Date: April 22, 2016 [EBook #51835] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTLICHEN *** - - - - -Produced by Peter Becker and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - - - - - - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+. - - Im Original fetter Text ist =so ausgezeichnet=. - - Im Original kursiver Text ist _so ausgezeichnet_. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des - Buches. - - - - - Die naturwissenschaftlichen - - Grundlagen der Poesie. - - Prolegomena - - einer realistischen Aesthetik - - von - - Wilhelm Bölsche. - - [Illustration] - - Leipzig, - Verlag von Carl Reissner. - 1887. - - - - -Vorwort. - - -Die nachfolgenden wissenschaftlichen Studien behandeln in -selbstständiger Abrundung das, was nach meiner Ueberzeugung im -ersten Buche jeder neuen, unserm modernen Streben gerecht werdenden -Aesthetik seine Stelle finden müsste. Realistisch nenne ich diese -Aesthetik, weil sie unserm gegenwärtigen Denken entsprechend nicht vom -metaphysischen Standpuncte, sondern vom realen, durch vorurtheilsfreie -Forschung bezeichneten ausgehen soll. Wie ich mir die Rolle des -besonnenen Realismus in unserer Literatur denke, ist im ersten Capitel -ausführlich entwickelt; die übrigen behandeln einzelne Probleme, an -denen der Naturforscher und der Dichter gleich grossen Antheil nehmen. -Zurückweisen muss ich im Voraus alle Uebertreibungen, die man von -unberufener Seite an das Wort Realismus geknüpft hat. Der Realismus -ist nicht gekommen, die bestehende Literatur in wüster Revolution zu -zerstören, sondern er bedeutet das einfache Resultat einer langsamen -Fortentwickelung, wie die gewaltige Machtstellung der modernen -Naturwissenschaften es nicht mehr und nicht minder ist. Jene Utopien -von einer Literatur der Kraft und der Leidenschaft, die in jähem -Anprall unsere Literatur der Convenienz und der sanften Bemäntelung -wegfegen soll, bedeuten mir gar nichts; was ich von dem aufwachsenden -Dichtergeschlecht fordere und hoffe, ist eine geschickte Bethätigung -besseren Wissens auf psychologischem Gebiete, besserer Beobachtung, -gesunderen Empfindens, und die Grundlage dazu ist Fühlung mit den -Naturwissenschaften. Leichte Plaudereien, wie sie der Spalte eines -Feuilletons ziemen, wird der Leser vergebens auf diesen Blättern -suchen, weder unfeines Schmähen noch kritiklose Verhimmelung rechne ich -unter die nothwendigen Requisiten der neuen Sache. Die jungen Kräfte, -die jetzt so viel Lärm machen, werden schon allein ihren Weg gehen; -ich aber möchte durch eine anständige Polemik sowohl wie durch einen -anständigen Vortrag überhaupt auch zu denen reden, die im Banne älterer -Anschauungen jede Form realistischen Fortschritts mit zweifelndem Auge -betrachten. - - +Berlin+, im Winter 1886. - - =Wilhelm Bölsche.= - - - - -Erstes Capitel. - -Die versöhnende Tendenz des Realismus. - - -Durch die gesammte -- und nicht zum Wenigsten die deutsche -- Literatur -geht seit einiger Zeit eine lebhafte Bewegung. Die Schaufenster -der Buchhandlungen wie die Spalten der Journale sind überfüllt mit -Streitschriften und Streitartikeln, die bereits durch die Kühnheit -der Titel von der Hitze der Kämpfenden Zeugniss ablegen. Aber auch -abgesehen von diesen Kundgebungen der eigentlichen Ritter des Tourniers -fühlt sich jeder Einzelne im grossen Publicum mehr oder weniger -berufen, seinen Wahlzettel in die Urne zu werfen. Denn das Wort ist -gefunden, welches in neun Buchstaben die Loosung des Ganzen enthüllen -soll. Dieses schicksalsschwere Wort heisst Realismus. - -Für die eine Partei ein goldenes Wort, eins aus jener Reihe -unvergänglicher Schlagwörter, die mit ihrer prächtigen Kürze gleichsam -die Stenographie der Culturgeschichte darstellen, -- ist es der andern -ein Gräuel, ein Hemmniss aller Fortentwicklung, der Name einer bösen, -wenn auch glücklicherweise vergänglichen Krankheit. - -Revolution der Literatur für jene, Aufdämmern eines neuen Tages, weit -heller und strahlender noch als der junge Morgen, der sich einst in dem -klaren Auge Lessing's spiegelte und durch dessen weichende Frühnebel -der rasselnde Schritt des eisernen Ritters von Berlichingen erklang, -ist dieser die gleiche Erscheinung, die hässliche Brandröthe eines -Zerstörungskampfes, das Blutmal am Himmel, das über der Stätte des -Mordens und Brennens plündernder Vandalenhorden loht, es fehlt nicht an -alten Fritzen, die im Sanssouci ihrer unerschütterlichen Kunsttheorieen -zweifelnd die schönen, geraden Terrassen und Orangerieen abschreiten -und sich kopfschüttelnd fragen: Was soll der Lärm? - -Verbrüderung aller nationalen Literaturen durch die Blutsgemeinschaft -gleicher Methode für die Schwärmer, erscheint den Skeptikern der ganze -Aufstand bei uns in Deutschland nur als der feige Abklatsch einer -widerwärtigen Krankheitserscheinung im schlechteren, in alter Sünde -absterbenden oder in unwissender Roheit der Halbbildung haltlos hin -und her schwankenden Nachbarlande, und, dem Franzosen gleich, der das -deutsche Bier als fremdes Gift verbannen möchte, wäre ihnen nichts -lieber, als eine literarische Grenzsperre für alle fremden Einflüsse. - -Und endlich, was das Seltsamste ist: während die Einen glauben, der -Reinheit ihrer Gesinnung und dem Genius poetischer Sittlichkeit nicht -besser dienen zu können, als in dem Gewande der neuen Ritterschaft, -meinen die Andern das Schwert gegen diese erheben zu müssen zum Schutze -der unschuldigen Gemüther in der Welt, zum Schutze ihrer Söhne und -Töchter, denen der weihende Tempel des dichterischen Ideals kein -Sündenhaus werden soll und keine Schnapsschenke. - -Jeder Vernünftige sieht, dass unter dem einen Worte Realismus -thatsächlich nicht immer das Gleiche verstanden wird und dass sich hier -Begriffe mischen, die strenge Sonderung fordern. Es fehlt denn auch -nicht an besonneneren Stimmen, die sich bemühen, Realismus in einer -Weise zu definiren, die jeden gröberen Irrthum ausschliesst. - -Ich gebe diese Definition zunächst in möglichst allgemeiner Fassung -wieder, um später den speciellen Punct herauszugreifen, dem ich eine -eingehendere Betrachtung zu widmen gedenke. - -Die Basis unseres gesammten modernen Denkens bilden die -Naturwissenschaften. Wir hören täglich mehr auf, die Welt und die -Menschen nach metaphysischen Gesichtspuncten zu betrachten, die -Erscheinungen der Natur selbst haben uns allmählich das Bild einer -unerschütterlichen Gesetzmässigkeit alles kosmischen Geschehens -eingeprägt, dessen letzte Gründe wir nicht kennen, von dessen -lebendiger Bethätigung wir aber unausgesetzt Zeuge sind. Das vornehmste -Object naturwissenschaftlicher Forschung ist dabei selbstverständlich -der Mensch geblieben, und es ist der fortschreitenden Wissenschaft -gelungen, über das Wesen seiner geistigen und körperlichen Existenz -ein ausserordentlich grosses Thatsachenmaterial festzustellen, das -noch mit jeder Stunde wächst, aber bereits jetzt von einer derartigen -beweisenden Kraft ist, dass die gesammten älteren Vorstellungen, -die sich die Menschheit von ihrer eigenen Natur auf Grund weniger -exacter Forschung gebildet, in den entscheidendsten Puncten über -den Haufen geworfen werden. Da, wo diese ältern Ansichten sich -während der Dauer ihrer langen Alleinherrschaft mit andern Gebieten -menschlicher Geistesthätigkeit eng verknotet hatten, bedeutete dieser -Sturz nothwendig eine gänzliche Umbildung und Neugestaltung auch -auf diesen verwandten Gebieten. Das bekannteste Beispiel hierfür -ist die Religion, deren einseitig dogmatischer Theil durch die -Naturwissenschaften zersetzt und zu völliger Umwandlung gezwungen -wurde. Ein zweites Gebiet aber, das auch wesentlich in Frage kommt, -ist die Poesie. Welche besondern Zwecke diese auch immer verfolgen -mag und wie sehr sie in ihrem innersten Wesen sich von den exacten -Naturwissenschaften unterscheiden mag, -- eine Sonderung, die wir so -wenig, wie die Sonderstellung einer vernünftigen Religion, antasten, -- -ganz unbezweifelbar hat sie unausgesetzt, um zu ihren besondern Zielen -zu gelangen, mit Menschen und Naturerscheinungen zu thun und zwar, so -fern sie im Geringsten gewissenhafte Poesie, also Poesie im echten und -edeln Sinne und nicht ein Fabuliren für Kinder sein will, mit eben -denselben Menschen und Naturerscheinungen, von denen die Wissenschaft -uns gegenwärtig jenen Schatz sicherer Erkenntnisse darbietet. -Nothwendig muss sie auch von letzteren Notiz nehmen und frühere irrige -Grundanschauungen fahren lassen. Es kann ihr, was Jedermann einsieht, -von dem Puncte ab, wo das Dasein von Gespenstern wissenschaftlich -widerlegt ist, nicht mehr gestattet werden, dass sie zum Zwecke -irgend welcher Aufklärung einen Geist aus dem Jenseits erscheinen -lässt, weil sie sich sonst durchaus lächerlich und verächtlich machen -würde. Es kann ihr, was zwar nicht so bekannt, aber ebenso wahr ist, -auch nicht mehr ungerügt hingehen, wenn sie eine Psychologie bei -den lebendigen Figuren ihrer Erzeugnisse verwerthet, die durch die -Fortschritte der modernen wissenschaftlichen Psychologie entschieden -als falsch dargethan ist. Eine Anpassung an die neuen Resultate der -Forschung ist durchweg das Einfachste, was man verlangen kann. Der -gesunde Realismus ermöglicht diese Anpassung. Indem er einerseits die -hohen Güter der Poesie wahrt, ersetzt er andererseits die veralteten -Grundanschauungen in geschicktem Umtausch durch neue, der exacten -Wissenschaft entsprechende. Mit Genugthuung gewahrt er dabei, dass -die neuen Stützen nicht nur relativ, sondern auch absolut besser -sind, als die alten, und dass er bei Gelegenheit dieser Anpassung -der Poesie ein frisches Lebensprincip zuführt, das nach vollkommener -Eingewöhnung höchstwahrscheinlich ganz neue Blüthen am edeln Stamme -des dichterischen Schaffens zeitigen wird, die vormals Niemand ahnen -konnte. Das ist in abstracter Kürze die eigentlich verstandesgemässe -Definition des Realismus. - -So rund ausgesprochen, hat die Forderung, die darin liegt, alle -Eigenschaften, um den Kritiker oder Dichter, dem die Poesie als ein -leuchtendes Palladium der Menschheit, das jede Zeit auf den höchsten -Platz ihres intellectuellen Könnens zu stellen verpflichtet sein soll, -eine wahre Herzenssache ist, zu ernstem, wohlwollendem Nachdenken zu -zwingen. - -Angesichts der gestellten Wahl muss er die ganze, schwere Verantwortung -empfinden, die in einem leichtsinnig heraufbeschworenen Streite -zwischen Poesie und Naturwissenschaften läge. Er wird sich nicht stören -an die werthlose Phrase, dass ein solcher Conflict nothwendig im -Wesen der beiden Geistesgebiete begründet sei. Er wird vielmehr den -Blick haften lassen auf den starken Meistern der Vergangenheit, auf -dem heldenkühnen Ringen Schiller's, die Wahrheiten der Philosophie, -die doch in der speciellen Form auch mit dem Wissen zusammen fiel, dem -poetischen Ideal zu vermählen, auf dem unablässigen Forschen Göthe's, -der in den Wahlverwandtschaften -- fehlerhaft vielleicht, aber doch -in sicherem Ahnen der Methode -- die Arbeit des Forschers auf dem -Gebiete der Seelenkunde im Dichterwerke zu verwerthen suchte, auf dem -lichten Bau der physischen Weltbeschreibung des greisen Alexander von -Humboldt, in deren kosmischem Rahmen unter der Form der dichterischen -Naturanschauung die ganze Poesie mit Leichtigkeit eine Stelle gefunden -hätte. Dürfen wir stehen bleiben, wo jene, denen die ganze Fülle -unserer Offenbarung im Naturgebiete noch versagt war, unentwegt den -Wanderstab zum Vorwärtsschreiten ansetzten? Gewiss steckt in den -erhitzten Parteien des Tages die lebhafteste Neigung zu schwerem -Kampfe; sollen wir die einzige noch mögliche Gelegenheit zur Versöhnung -zurückweisen, -- zu einer Versöhnung, die vielleicht zugleich einen -Fortschritt für die Poesie bedeutet? - -Ich meine, so, wie die Frage gestellt ist, giebt es nur eine Antwort. -Es handelt sich nicht um Namen, um Nationalitäten, um Meister und -Jünger einer Schule, sondern um zwei Dinge, die vor aller Augen sind: -eine Wissenschaft, die energisch vorgeht und neue Begriffe schafft, -und eine Literatur, die zurückbleibt, und mit Begriffen arbeitet, die -keinen Sinn und Verstand mehr haben. Thatsächlich hat denn auch ein -beträchtlicher Theil unserer modernen Dichter die richtige Antwort -gefunden, und es kommt hier nicht darauf an, ob Dieser ernste und -wohlüberlegte Entschlüsse daran angeknüpft oder Jener bloss in -kindlicher Freude ein polizeiwidrig lautes Jubelgeschrei über sein -findiges Genie dazu ausgestossen hat. Man hat sich geeinigt über den -Satz: Wir müssen uns dem Naturforscher nähern, müssen unsere Ideen auf -Grund seiner Resultate durchsehen und das Veraltete ausmerzen. - -Das Erste, worauf man im Verfolgen dieses Gedankens kam, war ein Satz, -der ebenso einfach und selbstverständlich war, wie er paradox klang. -Jede poetische Schöpfung, die sich bemüht, die Linien des Natürlichen -und Möglichen nicht zu überschreiten und die Dinge logisch sich -entwickeln zu lassen, ist vom Standpuncte der Wissenschaft betrachtet -nichts mehr und nichts minder als ein einfaches, in der Phantasie -durchgeführtes Experiment, das Wort Experiment im buchstäblichen, -wissenschaftlichen Sinne genommen. - -Daher der Name »Experimental-Roman«, und daher eine ungeheuerliche -Begriffsverwirrung bei allen Kritikern und Poeten, die weder wussten, -was man unter einem wissenschaftlichen Experimente, noch was man unter -dichterischer Thätigkeit verstand. Der Mann, der das Wort populär -gemacht hat, Zola, ist selbst unschuldig an der Verwirrung der Geister. -Nur hat auch er den Fehler nebenher begangen, die Definition eines -Kunstwerks als Experiment nicht einzuschränken durch die Worte »vom -wissenschaftlichen Standpuncte aus«, womit alles klarer und einfacher -wird. Vom moralischen Standpuncte beispielsweise will die Definition -gar nichts besagen, denn was ist moralisch ein »Experiment«? Aber -wissenschaftlich passt die Sache. Sehen wir das unheimliche Wort näher -an. - -Der Dichter, der Menschen, deren Eigenschaften er sich möglichst genau -ausmalt, durch die Macht der Umstände in alle möglichen Conflicte -gerathen und unter Bethätigung jener Eigenschaften als Sieger oder -Besiegte, umwandelnd oder umgewandelt, daraus hervorgehen oder darin -untergehen lässt, ist in seiner Weise ein Experimentator, wie der -Chemiker, der allerlei Stoffe mischt, in gewisse Temperaturgrade -bringt und den Erfolg beobachtet. Natürlich: der Dichter hat Menschen -vor sich, keine Chemikalien. Aber, wie oben ausgesprochen ist, auch -diese Menschen fallen in's Gebiet der Naturwissenschaften. Ihre -Leidenschaften, ihr Reagiren gegen äussere Umstände, das ganze Spiel -ihrer Gedanken folgen gewissen Gesetzen, die der Forscher ergründet -hat und die der Dichter bei dem freien Experimente so gut zu beachten -hat, wie der Chemiker, wenn er etwas Vernünftiges und keinen werthlosen -Mischmasch herstellen will, die Kräfte und Wirkungen vorher berechnen -muss, ehe er an's Werk geht und Stoffe combinirt. - -Wer sich die Mühe nehmen will, einen ganz flüchtigen Blick auf das -Beste zu werfen, was Shakespeare oder Schiller oder Göthe geschaffen, -der wird den Faden des psychologischen Experiments in jeder dieser -Dichtungen klar durchschimmern sehen. Bloss jene Voraussetzungen -waren vielfach etwas andere, und hier ist denn eben der Punct, wo der -Einfluss der modernen Wissenschaft sich als ein neues Element geltend -machen und der Realismus, dessen Theorie wir zugegeben haben, practisch -werden soll. Es gilt, neue Prämissen für die weitern Experimente, -die wir machen wollen, aufzustellen oder besser, sie uns von der -Naturwissenschaft aufstellen zu lassen. Hier aber, beim Eintritt in -die Praxis, wird die ganze Sache sehr schwierig. Wir haben bisheran -einer allgemeinen Erörterung Raum gegeben. Der allgemeine Zustand -des Denkens in unserer Zeit und des Verhältnisses von Poesie und -Forschung zu einander hat uns ein Geständniss abgezwungen, indem er -uns ein Dilemma zeigte, aus dem es nur einen Ausweg gab. Wir haben uns -einverstanden erklärt mit der versöhnlichen Richtung eines gesunden -Realismus und sind vorgedrungen bis an den Fleck, wo die Berührung der -exacten Wissenschaften mit derjenigen Definition der Poesie, die von -allen am wissenschaftlichsten klingt, endlich stattfinden soll. Alle -Vorfragen sind damit erledigt, und ich trete jetzt an das heran, was -eigentlich den Kern des Ganzen ausmacht und zugleich ein solches Gewebe -ernster Schwierigkeiten aufweist, dass ich eine eingehende Betrachtung -derselben für die nothwendige Basis jeder realistischen Dichtung -sowohl, wie jeder realistischen Aesthetik halte. - -Die Prämissen des poetischen Experiments: das sagt in einem Worte -alles. Hier verknoten sich Naturwissenschaft und Poesie. - -Wohlverstanden: diese Prämissen umschliessen nicht die Naturgeschichte -des poetischen Genius selbst, eine Sache, die ja auch in die Aesthetik -hineingehört, die aber mit dem, was ich meine, direct nichts zu -schaffen hat. Geniale Anlage muss der Mensch besitzen, um überhaupt als -Dichter auftreten zu können, und zwar eine ganz bestimmte Form genialer -Anlage, die sich von der für andere Geistesgebiete individuell -unterscheidet. Jene andern Prämissen, die erworbenes Wissen darstellen, -verhelfen ihm bloss in zweiter Instanz dazu, sein schöpferisches Wollen -nach vernünftigen Gesetzen zu regeln und auch andern, nicht dichterisch -Beanlagten durch das Medium der Logik einigermassen verständlich zu -machen. Aber auch wenn wir alle Missverständnisse ausschliessen, -bleibt die Sache immer noch sehr schwierig. Es mangelt zunächst -gänzlich an brauchbaren Büchern, die dem Dichter einen vollkommenen -Einblick in das verschaffen könnten, was ihm aus dem ungeheuren -Bereiche der wissenschaftlichen Forschung über den Menschen zu wissen -Noth thut. Die in ihren Resultaten so sehr werthvolle psychologische -und physiologische Fachliteratur zeigt den Bestand des Materials nur -in seiner äussersten Zersplitterung. Weit entfernt, die Arbeit des -einsichtigen Dichters unter der Rubrik des psychologischen Experimentes -entsprechend zu würdigen, zieht sich die Fachwissenschaft in den -allermeisten Fällen vornehm zurück und überlässt die Verarbeitung ihres -Materials für poetische Zwecke dem Philosophen, der unter zehn Fällen -neunmal die Thatsachen unter dem Vorwande der Ordnung einfach fälscht. -Statt der Wissenschaft Rechnung zu tragen, suchen schaffende Poesie wie -Aesthetik dann ihre Prämissen durch Studium philosophischer Systeme zu -gewinnen, und der Erfolg ist, dass wir unter dem Vorwande realistischer -Annäherung an die Resultate der Forschung allenthalben einer -Verherrlichung Hegel'scher Phrasen, Schopenhauer'scher Verbohrtheiten -oder Hartmann'scher Willkür begegnen, die mit echter Wissensbasis wenig -mehr zu schaffen haben, als die alten religiösen Ideen, so geistvoll -sie auch im Einzelnen ersonnen sein mögen. - -Eine Anzahl vorsichtiger Geister, besonders ausübender Poeten, -verschmäht mit Recht diese schwankende Brücke und stürzt sich kühn -in die Detailmasse des exacten Fachwissens. Der Erfolg zeigt eine -ernstliche Gefahr auch bei diesem Unterfangen. Die wissenschaftliche -Psychologie und Physiologie sind durch Gründe, die Jedermann kennt, -gezwungen, ihre Studien überwiegend am erkrankten Organismus zu machen, -sie decken sich fast durchweg mit Psychiatrie und Pathologie. Der -Dichter nun, der sich in berechtigtem Wissensdrange bei ihnen direct -unterrichten will, sieht sich ohne sein Zuthun in die Atmosphäre der -Clinic hineingezogen, er beginnt sein Augenmerk mehr und mehr von -seinem eigentlichen Gegenstande, dem Gesunden, allgemein Menschlichen -hinweg dem Abnormen zuzuwenden, und unversehends füllt er im Bestreben, -die Prämissen seiner realistischen Kunst zu beachten, die Seiten seiner -Werke mit den Prämissen dieser Prämissen, mit dem Beobachtungsmateriale -selbst, aus dem er Schlüsse ziehen sollte, -- es entsteht jene -Literatur des kranken Menschen, der Geistesstörungen, der schwierigen -Entbindungen, der Gichtkranken, -- kurz, das, was eine nicht kleine -Zahl unwissender Leute sich überhaupt unter Realismus vorstellt. - -Ich habe den Weg gezeigt, wie klar denkende Dichter auf diese Linie -gerathen können, und bin weit davon entfernt, das blöde Gelächter -der Menge bei Beurtheilung derselben zu theilen. Es sind keineswegs -die kleinen, rasch zufriedenen Geister, die in solche heroischen -Irrthümer verfallen, und der still vergnügte Poet, der im einsamen -Kämmerlein von Sinnen und Minnen träumt, hat für gewöhnlich nur sehr -problematische Kenntniss davon, welcher Riesenarbeit sich gerade der -dichtende Genius unterzieht, der im treibenden Banne seiner Gedanken -bis zum Unschönsten, was die Welt im gebräuchlichen Sinne hat, dem -Krankensaale, vordringt. Ein Irrthum bleibt die Einseitigkeit darum -doch. Die Krankheit kann nicht verlangen, den Raum der Gesundheit für -sich in Anspruch nehmen zu wollen, das unausgesetzte Experimentiren mit -dem Pathologischen, also dem ganz ausschliesslich Individuellen, das -eine Ausnahme vom normalen Allgemeinzustande bildet, nimmt der Poesie -ihren eigentlichsten Charakter und verführt den Leser zu Irrthümern -aller Art, die hinterher den ganzen Realismus treffen. - -Ich halte es angesichts all' dieser Gefahren für durchaus an der Zeit, -in einer übersichtlichen Darstellung diejenigen Puncte herauszuheben, -die eigentlich in der Gesammtfülle des modernen naturwissenschaftlichen -Materials als wahre Prämissen seiner Kunst den Dichter unmittelbar -angehen. Ich möchte dabei ebensoweit von philosophischer Verwässerung -wie von fachwissenschaftlicher Detailüberlastung entfernt bleiben. -Was sich als Resultat der bisherigen objectiven Forschung ergiebt, -möchte ich unter dem beständig beibehaltenen Gesichtspuncte der -dichterischen Verwerthung klar darlegen. Das Metaphysische kann ich -dabei nur streifen als nothwendigen Grenzbegriff des Physischen. Die -Erkenntnisslehren der modernen Naturwissenschaft sind, wie schon -gesagt, bisher in die weiten Kreise fast stets als Beiwerk in gewissen -Systemen, als Stütze materialistischer oder pessimistischer oder sonst -irgendwie auf einen Glauben getaufter Weltanschauungen verbreitet -worden. All' diesen Bestrebungen stehe ich durchaus fern. Was der -Poet sich über das innerste Wesen der kosmischen Erscheinungen denkt, -ist seine Sache. Die Puncte, um die es sich für mich handelt, sind -als Wissensgrundlagen massgebend für Alle, so gut wie das Wasser das -Product zweier Elemente, des Wasserstoffs und des Sauerstoffs, für -jeden vernünftigen Menschen bleibt, mag er nun im Puncte des Gemüthes -Christ oder Jude oder Mohammedaner sein oder die heilige Materie -anbeten. - -Es giebt Dinge darunter, die den Dichter stärker machen werden, als -seine Vorgänger waren, wenn er sie in der rechten Weise beachtet. -Es giebt auch Dinge, die ein zweischneidiges Schwert sind und mit -aller Vorsicht behandelt werden wollen. Im Grossen und Ganzen kann -ich nur sagen: eine echte realistische Dichtung ist kein leichter -Scherz, es ist eine harte Arbeit. Die grossen Dichter vor uns haben -das sämmtlich empfunden, die kommende Generation wird es möglicher -Weise noch mehr fühlen. Einen Menschen bauen, der naturgeschichtlich -echt ausschaut und doch sich so zum Typischen, zum Allgemeinen, -zum Idealen erhebt, dass er im Stande ist, uns zu interessiren aus -mehr als einem Gesichtspuncte, -- das ist zugleich das Höchste und -das Schwerste, was der Genius schaffen kann. Wie so der Mensch Gott -wird, ist darin enthalten, -- aber es wird jederzeit auch darin sich -offenbaren, wie so er Gottes Knecht ist. Das Erhebendste dabei ist -der Gedanke, dass die Kunst mit der Wissenschaft empor steigt. Wenn -das nicht werden sollte, wenn diese Beiden fortan im Kampfe beharren -sollten, wenn Ideal und Wirklichkeit sich gegenseitig ermatten sollten -in hoffnungslosem, versöhnungslosem Zwiste: dann wären die Gegenwart, -wie die Zukunft ein ödes Revier und die Mystiker hätten Recht, die -vom Aufleben der Vergangenheit träumen. Es ist in Wahrheit nicht so. -Ein gesunder Realismus genügt zur Versöhnung, und er erwächst uns von -selbst aus dem Nebeneinanderschreiten der beiden grossen menschlichen -Geistesgebiete. Dichtung um Dichtung, ästhetische Arbeit um ästhetische -Arbeit, alle nach derselben Richtung gestimmt, müssen den Sieg -anbahnen. Die rohe Brutalität, von der hitzige Köpfe träumen, wollen -wir dabei gern entbehren, -- ich meine, die Wissenschaft ist dazu viel -zu ernst und die Kunst viel zu sehr der Liebe und des klaren, blauen, -herzerwärmenden Frühlingshimmels bedürftig. - - - - -Zweites Capitel. - -Willensfreiheit. - - -Ich will als Dichter einen Menschen, den ich in eine bestimmte Lage des -Lebens gebracht habe, eine Handlung begehen lassen und zwar diejenige, -welche ein wirklicher Mensch in gleicher Lage wahrscheinlich oder sogar -sicher begehen würde. - -Ich will als Kritiker einer Dichtung beurtheilen, ob eine bestimmte -Handlung, die ein bestimmter Held dieser Dichtung unter bestimmten -Umständen begeht, wirklich richtig, das heisst den Gesetzen der -Wirklichkeit entsprechend, erfunden ist. - -In beiden Fällen werde ich beim geringsten Nachdenken auf die -allgemeine Frage der Willensfreiheit geführt. - -Diese Frage aber ist weder eine dichterische, noch eine philosophische, -sondern eine naturwissenschaftliche. In ihr kreuzen sich die -sämmtlichen Grundfragen der wissenschaftlichen Psychologie, und sie ist -meiner Ansicht nach die erste und wichtigste Frage, mit der sich die -Prämissen der realistischen Poesie und Aesthetik zu befassen haben. - -Die oberflächlichste Anschauung der wahren Dinge in der Welt lehrt, -dass die menschliche Willensfreiheit nicht ist, was das Wort nahe -legt: eine absolute Freiheit. Wir sehen nicht nur die Macht des -Willens physikalisch beschränkt, sondern gewahren auch in dem -eigenthümlichen Gefüge und Bau der Gedanken, die den Willen zu irgend -etwas schliesslich als äussern Act entstehen lassen, beständig sehr -eigenthümliche, subjective Factoren, die in uns sofort das Gefühl -eines eingeschränkten Laufes der Gedankenketten entstehen lassen. -Genau dieselbe Thatsache erweckt im Geiste verschiedener Menschen -verschiedene Gedankenreihen, die oft den genau entgegengesetzten -Willen hervorrufen. Eine unbewacht gelassene Casse ruft in einem -Gewohnheitsdiebe den Gedanken und in directer Fortsetzung die Handlung -des Stehlens, in einem seiner bisherigen Lebensbahn nach durchaus -rechtlich gesinnten Menschen höchstens den Gedanken an eine Sicherung -und Bewachung zur Verhütung eines Diebstahls hervor. Eine grosse Anzahl -von Menschen ist zwar geneigt, gerade den Umstand hier für allgemeine -Freiheit zu halten, dass der Eine so, der Andere anders handelt. Der -Naturforscher wird sich sagen müssen, dass die gleiche äussere Sache -nur einen verschiedenen innern Effect haben kann, weil sie offenbar -in dem Innern der beiden geistigen Individuen auf eine ungleiche -Disposition trifft, etwa wie in der Physik derselbe Funke, je nachdem -er in eine Pulvertonne oder in ein Wasserfass fällt, sehr verschiedene -Kräfte auslöst. - -Damit ist ein erster, roher Anhaltspunct für die Auffassung -psychologischer Vorgänge gewonnen. Wenn ich als Dichter Menschen in -Berührung mit äusseren Erscheinungen bringe, so wechselt nicht nur -der Wille in den Handlungen der Person je nach den äusser'n Impulsen, -sondern er ist auch subjectiv bei den Einzelnen verschieden je nach der -Disposition des Geistes, die der Impuls bei Jedem findet. - -Die Physiologie giebt uns nun als nächsten Fortschritt über diesen -ersten Punct weg die Thatsache an die Hand, dass jede Disposition des -Geistes zugleich eine Disposition des stofflichen Untergrundes, des -Gehirns, bedeutet. - -Die Frage, in welchem Causalitätsverhältniss diese Doppelerscheinungen -der geistigen und stofflichen Disposition unter sich wohl stehen -möchten, ob der Geist als solcher existire oder bloss eine subjective -Rückansicht desselben Dinges sei, das wir äusserlich als Stoff, -respective mechanische Kraft uns gegenüber stellen, geht uns hier als -eine erkenntniss-theoretische, wissenschaftlich nicht lösbare gar -nichts an. Was wir mit Händen greifen können, ist das Zusammenfallen -jeder psychischen Erscheinung mit einer molecularen, jedes Gedankens -mit einem ganz bestimmten physiologischen Ereignisse innerhalb -des nervösen Centralorgans. Dieses leugnen, hiesse rundweg das -Gehirn leugnen und die ganze überwältigende Masse künstlicher wie -unfreiwilliger Beeinflussungen des psychischen Apparats, die man bei -vivisecirten Thieren und verwundeten oder gehirnkranken Menschen -durch stoffliche Umwandlungen in der Gehirnmasse hat entstehen sehen. -Die Thatsache steht also unbezweifelbar fest: wir können behaupten, -wenn bei einer bestimmten Person ein bestimmter äusserer Impuls eine -bestimmte Disposition im Gedankengange des Betreffenden vorfindet, so -ist diese Disposition zugleich etwas Stoffliches, eine Curve, Furche, -reihenweise Gruppirung kleiner Theilchen, Schwingung der Molecüle -nach einer bestimmten Richtung oder was man sich sonst denken will in -der greifbaren Masse des Gehirns. Das oben gebrauchte Beispiel mag -das zur Deutlichkeit nochmals illustriren. Gleicher äusserer Impuls: -eine offene Casse. Erfolg bei dem einen Menschen unmittelbar und ohne -Wahl eine moralisch verwerfliche Gedankenkette, die endigt mit der -Handlung des Stehlens, bei dem andern ebenso unmittelbar eine gute, -die ausläuft in die Handlung des Bewachens. Grund: der erste Mensch -ist gewöhnt, schlecht zu handeln, seine Gedankenkette schlägt sofort -eine bestimmte Richtung ein, die körperlich einem durch Gewohnheit tief -ausgefahrenen Geleise entspricht, in das ein neu ankommender Wagen -stets mit mechanischer Nothwendigkeit wieder hineinrollt; umgekehrt bei -dem gewohnheitsmässig moralischen Menschen geräth die Ideenverbindung -unmittelbar in eine ganz entgegengesetzte Linie, die schliesslich den -umgekehrten Effect auslöst. - -Ich habe das Beispiel so nackt gewählt, wie möglich, -- ohne jeden -Conflict, was nicht ausschliesst, dass es täglich so vorkäme. Wer oft -gestohlen hat, stiehlt wieder; wer in moralischem Denken aufgewachsen -ist, kommt für gewöhnlich gar nicht auf den Gedanken, zu stehlen; -die Ideenkette lenkt ohne Ablenkungen besonderer Art, die ich hier -vernachlässige, stets in dieselben Geleise ein. Das Wort Geleise -dürfen wir unbedenklich anwenden, da ja ein stofflicher Vorgang stets -mit unterläuft. Geschaffen hat die Geleise, wie sich Jeder schon zur -einfachsten Erläuterung dazu sagt: die Gewohnheit. Jede Minute unseres -Lebens bringt uns Beweise dafür, -- das Wort Gewohnheit, das uns -beständig auf der Zunge schwebt, ist eben nur der Ausdruck des Factums, -dass die mehrmals aufgestellten Gedankenketten sich ein derartig -festes Bett in unserm Denkorgane graben, dass gewisse, nur entfernt -daran gemahnende Impulse sie jedesmal mit zwingender Nothwendigkeit -wieder hervorrufen und dieselbe Handlung als schliesslichen Effect -daraus entstehen lassen. Je ausgefahrener die Geleise nach und nach -werden, desto rascher und damit dem Bewusstsein desto undeutlicher -saust der Gedanke hindurch, desto unmittelbarer lösen sich Impuls und -Willenseffect ab, bis schliesslich der Gedanke gar nicht mehr bewusst -wahrgenommen wird und die Handlung sich als rein mechanischer Reflex -des Impulses darstellt, -- Erscheinungen, die wir täglich am Menschen -beobachten können und die beim Thiere, dem die wenigen Eindrücke seines -Lebens durch ihre regelmässige Wiederkehr fast alle in der genannten -Weise constant und zur Quelle reiner Reflexhandlungen werden, die Regel -bilden. - -Wenn es auf Grund eines ungeheuren Fortschrittes mikroskopischer -Forschung möglich wäre, ein vollkommenes Bild eines beliebigen -menschlichen Gehirns, das zu seinen Lebzeiten Gedanken gehegt hat, zu -entwerfen, so würde man, wie immer das wahre Antlitz der Sache sich -gestaltete, stets auf das schematische Bild einer Ebene kommen, die von -Linien ungleicher Dicke durchkreuzt wird, von denen eine Anzahl nur -matt angedeutet und halbverwischt, eine gewisse Zahl dagegen äusserst -scharf und deutlich erschiene, und der Beschauer würde unmittelbar das -Gefühl haben, dass es sich hier um ein Strassensystem handle, bei dem -dasselbe obgewaltet, wie bei menschlichen Verkehrswegen: irgend ein -äusserer Umstand hat mehrmals die Verkehrenden auf dieselbe Strasse -geführt und, einmal ausgetreten, hat diese nun Alle, die nur entfernt -nach derselben Richtung wollten, veranlasst, ihrer Linie und keiner -andern zu folgen. - -Thatsächlich sind wir ja so weit nicht. Das Gehirn, welches wir kennen, -bietet uns, was das unmittelbare Sehen anbelangt, ungefähr so viel -Anhaltspuncte zur Kenntniss seiner innern Processe, wie dem Astronomen -die Oberfläche des Planeten Mars. Wir erkennen auf dieser Länder -und Meere, Canäle, die das Festland durchschneiden, atmosphärische -Vorgänge, Wolken, Schnee, Eismassen am Pol; das Alles aber kommt so -wenig über den groben Umriss hinaus, dass Objecte von der Grösse der -Victoria-Nyanza noch gerade als Puncte wahrnehmbar sind. - -Unsere Anschauungen vom Wesen der ganzen Gedankenthätigkeit müssen -wir, unfähig, die Maschine in ihre Rädchen auseinander zu nehmen -und im todten Material zu studiren, abstrahiren aus dem Erfolge, -aus der regelmässigen, positiv zu beobachtenden Wiederkehr gewisser -gewohnheitsmässiger Gedankenreihen in uns selbst und den Handlungen, -die wir täglich bei uns als Folgen dieser zwangsweisen Ideenketten -wahrnehmen und bei Andern als solche voraussetzen dürfen. Immerhin ist -diese Art der Beobachtung ein vollkommen guter Ersatz für jene. - -Für die Freiheit des Willens, von der wir ausgegangen sind, ist -jedenfalls -- mögen wir nun physiologisch oder psychologisch zu unsern -Resultaten gekommen sein -- in dem Bestehen der durch Gewohnheit -gegrabenen Gedankenstrassen ein bedenkliches Hinderniss gegeben. Der -Wille ist Endergebniss eines nicht gestörten, bis zu einer gewissen -Intensität angeschwollenen Gedankens, -- wenn der Gedanke aber in -seinem Flusse sich in den meisten Fällen einem gegrabenen Bette -anschmiegen muss, so kann in allen diesen von einer Freiheit des -endlichen Willens keine Rede mehr sein, und man braucht noch gar nicht -auf jene oben erwähnten, ganz reflectorisch gewordenen Willensacte -zurückzugehen, um auf Schritt und Tritt diesen einfacheren hemmenden -Einflüssen zu begegnen. - -Die wichtigste Frage scheint also, um hier Klarheit zu schaffen, die -nach der Natur der Gewohnheit zu sein. Es gilt festzustellen, was sich -unter diesem Begriffe, der die Willensfreiheit in so frappanter Weise -bedroht, für einzelne Factoren verstecken und ob in dem einen Worte, -das der Gebrauch selbst geschaffen, nicht Verschiedenartiges sich -birgt. Gewohnheit ist, so haben wir physiologisch definirt, langsame -Einprägung einer bestimmten Furche (psychologisch: Denkrichtung) im -Gehirn, die durch eine längere Folge gleichartiger Wahrnehmungen -erzeugt wird. Woher kommt eine derartige Gleichartigkeit der -Wahrnehmungen? Zunächst aus der Einrichtung der Natur, die uns trotz -der unendlichen Fülle ihrer Erscheinungen doch gewisse Phänomene in -ewiger Regelmässigkeit wiederkehren lässt, die beständig gleiche -Wahrnehmungen in uns hervorrufen. In zweiter Linie aber aus einem -Umstande, der den Culturmenschen mit verschwindenden Ausnahmen fest -und unerbittlich umklammert hält: der Erziehung. Wir sind nicht -neu geschaffene Wesen, die bloss die Natur sich gegenüber haben. -Wir gehören einer Gesellschaft an, die ebenfalls aus Menschen mit -einem, dem unsern ähnlichen Denkapparate besteht. Wir sind jung, -die Tafel unseres Gehirnes ist noch kaum beschrieben. Jene Menschen, -die vielleicht unsere Erzeuger, jedenfalls als Erwachsene unsere -Meister sind, sind in ihrem Denken bereits erfüllt mit jenen festen -Linien, jenen Geleisen des Gewohnten, und sie fühlen sich wohl dabei. -Ihr Bemühen geht dahin, in unser Gehirn dieselben Linien zu prägen. -Unfähig, unmittelbar zu wirken, beschreiten sie den Umweg durch die -wiederholten Wahrnehmungen, aber in der Weise, dass sie bestimmte -Wahrnehmungen -- eben jene, die ihren Gedankenlinien die bequemen -sind -- auswählen und uns so lange einseitig vorführen, bis sich in -unserm Gehirn die gleiche Linie, wie bei ihnen, gebildet hat und wir -ihre wahren geistigen Kinder sind. Mit andern Worten heisst das: wir -erhalten die grosse Masse unserer gewohnheitsmässigen Gedanken durch -Unterricht, durch Schulung. Der Werth dessen, was uns vermittelst -derselben im Gehirn eingeritzt wird, ist dabei ganz gleichgiltig, es -kann die höchste Moral oder die äusserste Unmoral sein: von einem -gewissen Puncte ab ist die Gedankenübertragung gelungen, die Linie -angelegt, und es bedarf fortan nur der leisesten Aehnlichkeit in einer -Wahrnehmung mit jenen früheren, um sofort den ganzen Gedankenapparat -nach der eingeprägten Richtung hin in Thätigkeit zu setzen.[1] - - [1] Sehr lehrreich für das ganze Gebiet der Gedankenübertragung - sind die _hypnotischen_ Experimente, die gewiss auch für - den Dichter ein gewisses Interesse haben müssen. Ganz - energisch aber ist zu verlangen, dass jeder Verwerthung - derartiger Erscheinungen ein kritisches Verständniss und - Studium vorausgehe. Es handelt sich hier durchaus nicht um - ein Stück jener behaglichen Mystik, bei der alle Menschen, - denen einmal etwas Unerklärliches vorgekommen, den Beruf - fühlen, mitzusprechen, sondern um exacte wissenschaftliche - Gegenstände, die, eben weil sie von der grössten Tragweite - sind, auch die vorsichtigste Behandlung erfordern. Wen der - Schleier des Unbegreiflichen allein verlocken sollte, der - wird bei sorgfältiger Kenntnissnahme dann schon von selbst - merken, wie wenig seine Neugier belohnt wird. - -Je tiefer diese Schulung geht, je reflectorischer die Ideenlinien -arbeiten, desto mehr scheinen sie später ursprünglich mit dem -Individuellen verwachsen und erlangen in Wörtern, wie Gewissen, Tact -und ähnlichen, Bezeichnungen, die uns im Leben sehr oft geneigt machen, -sie angeborene zu nennen, obwohl sie allem Anscheine nach durchweg -erworbene, von aussen eingeprägte sind. - -Das Adjectivum »angeboren« aber, welches sich uns hier zwanglos in die -Erörterung einmischt, führt uns unwillkürlich auf ein Zweites, das im -Begriffe der Gewohnheit, wenn auch wahrscheinlich nicht dort, wo man es -vermuthete, so doch anderswo steckt. - -Ein Vogel, den man im Zimmer fern von Seinesgleichen aufgezogen, zeigt -bei nahendem Winter ein Bestreben, zu wandern. Hier kann nicht mehr -von individueller Aneignung, von einer durch Gewohnheit erzielten -Gedankenlinie, in die jedesmal beim Anblick fallenden Laubes oder -sonstiger Erscheinungen des Wechsels der Jahreszeiten der Gedanke -einlenkt, um schliesslich den Willen des Wanderns auszulösen, die -Rede sein. Eben haben wir gesehen, dass die Function, das beständige -Wahrnehmen gleicher Dinge allmählich eine körperliche und geistige -Disposition, ein Geleise gewissermassen, schafft, das dann beim -Nachfolgenden wie ein Organ die Function bestimmt; bei diesem geborenen -Zugvogel ist offenbar die Umwandlung einer bestimmten Stelle des -Denkapparates schon bei der Geburt mit allen andern Organen, die im -embryonalen Leben nicht durch, sondern für die Function entstehen, -angelegt worden und tritt jetzt beim geringsten dahin zielenden Impuls -mit voller Kraft in Thätigkeit, indem sie den Vogel zwingt, beim ersten -Anzeichen des Herbstes -- und sei es auch sein allererster, den er im -individuellen Leben mitmacht -- eine Gedankenreihe zu verfolgen, die -ihm bei menschlich klarem Bewusstsein wie eine Vision vorkommen würde, -indem er Bilder von einem warmen Lande, wohin er wandern soll, denkt, -die keine eigene Erfahrung ihm eingeben kann. - -Wir haben es hier mit einer Gewohnheit secundärer Art zu thun: -- -mit vererbten geistigen Linien. Jede geistige Gewohnheit bedingt -etwas körperliches, einerlei, ob als Ursache oder als unvermeidliche -Parallelerscheinung; dass körperliche Veränderungen sich vererben, -wissen wir alle; es kann in Fällen wie dem genannten nicht anders -sein, als dass sich hier eine Structurverschiebung des Gehirns, eine -moleculare Disposition vererbt hat, deren unzertrennliche Begleiterin -die psychische Erscheinung ist, die wir sehen. Zwischen dem Gehirn -jenes Vogels und dem gewaltigen Verstandesapparate des Menschen aber -besteht physiologisch wie psychologisch lediglich ein Unterschied des -Grades, nicht der Art, -- es fragt sich: spielen auch beim Menschen -ererbte Gedankenreihen eine Rolle, die sich unter dem allgemeinen -Worte »Gewohnheit des Denkens« verbirgt? Bei der ungeheuren Masse -von Eindrücken, die der Mensch im Gegensatz zu den meisten Thieren -während der Dauer seiner individuellen Existenz empfängt und die trotz -aller Macht der Gewohnheit gerade auf den höheren geistigen Gebieten -durchweg nicht reflectorisch werden, nicht ganz aus dem Bewusstsein -verschwinden, scheint es von vornherein nicht wahrscheinlich, dass -hier sehr viel vererbt werden sollte. Jedenfalls bestätigt die -Erfahrung, dass Vererbung überwiegend dann stattfindet, wenn gewisse -Gedankenketten über das gewöhnliche Mass hinaus sich eingebohrt -haben, also beispielsweise bei einseitigem Genie, bei krankhaft -eingewurzelten fixen Ideen, also fast oder ganz abnormen Zuständen, --- und es scheint selbst hier, als vererbten sich nicht eigentliche -Gedankenlinien, sondern nur gewisse Stimmungen des Untergrundes, wenn -ich so sagen soll, gewisse Weichheiten oder Härten der Fläche, die den -später durch Erziehung herantretenden Geleisen einen ungewöhnlichen -Widerstand oder ein ungewöhnliches Entgegenkommen bewiesen. In der -Empfänglichkeit des Gehirns für einzugrabende Linien überhaupt liegt -ganz unbezweifelbar die eigentliche grosse Erbschaft, die der Mensch, -der als solcher geboren wird, vor dem Thiere voraus hat; wer das exact -beobachten will, vergleiche ein lernendes Kind mit einem lernenden -Papageien. Wahrscheinlich ist dem Vogel der absolute Fortschritt gerade -deshalb so erschwert, weil sein Gehirn von Jugend auf mit einer Reihe -ererbter Linien (Instincte nennt es ein geläufiges Wort) durchsetzt -ist, die den Boden hart gemacht haben für alles Neue; die wenigen -ererbten Geisteslinien des Menschen, der Mangel an Instincten, wäre im -Lichte dieser Anschauung dann vielleicht die Wiege seiner geistigen -Entwicklungsfähigkeit, indem es ihm die Tafel für das Lernen frei -hielte. Dass darum gewisse Instincte, ganz oder beinah reflectorische -Geisteslinien, auch beim Menschen und zwar bei allen ohne Ausnahme -als Erbe früherer, mehr thierischer Verhältnisse sich -- wenn auch -bisweilen gleichsam verschüttet und von den tausend Erziehungslinien -überdeckt -- vorfinden, ist nicht zu leugnen. Stark erregte Momente, -Revolutionen, Hungersnoth, beständiger Anblick von Blut, sexuelle -Ueberreizung lassen diese Instincte gelegentlich in roher und -erschreckender Weise durchbrechen, und der Mensch handelt in solchen -Momenten im Banne einer dämonischen Gehirnmacht, einer entfesselten -psychisch-molecularen Bewegungswelle, die unvergleichlich mächtiger -fortreisst, als alle individuell durch Erziehung erworbenen Moral- -oder Unmorallinien, er handelt mit dem Instincte von Thierformen, die -weit unten an der Schwelle des Menschlichen stehen und für uns nur -noch in analogen Erscheinungen der jetzigen höheren Säugethierwelt zu -studiren sind. Der Dichter, wie der Historiker müssen gerade diesen -geheimnissvollen Vererbungslinien, deren Rolle im einzelnen Leben wie -in der Geschichte sehr gross ist, mit Interesse nachgehen. Wünschen -möchte man, dass gewisse dauernde Errungenschaften der menschlichen -Cultur -- beispielsweise die Basis der Moral, das Mitleid -- mit der -Zeit bereits reine Instincte geworden wären, die der Einzelne mit auf -die Welt brächte. Man ist mitunter versucht, dergleichen zu glauben. -Wenn ein Mensch, ohne eine Secunde zu zögern, einem Kinde, das in's -Wasser gefallen ist, nachspringt und es rettet, so scheint hier eine -Geisteskette vorzuliegen, die bereits ganz reflectorisch wirkt und wohl -als solche vererbt werden könnte. - -Die Erfahrungen, die man andererseits an Kindern macht, die aus besten -Bildungskreisen entspringen und doch, ehe sie durch Zucht selbst -gebildet sind, nichts bethätigen als die alten thierischen Instincte, -die mit ihrem roheren Egoismus dem Mitleid gerade zuwider laufen, -verhindern alle derartigen optimistisch gefärbten Schlüsse. - -Beschränkt, wie unsere Kenntnisse von dem ganzen Gewebe der -Vererbungsfragen gegenwärtig noch sind, müssen sie dem Dichter, der in -ihnen das Material tragischer oder versöhnender Verknotungen sucht, -eine starke Resignation und scharfe Kritik als Grundbedingung an's Herz -legen. Rechnen soll er mit der Vererbungsfrage als Ganzem, das ist -sicher. Aber er soll nicht spielen damit, sich nicht muthwillig auf -Gebiete begeben, die der Fackel des Forschers selbst noch verschlossen -sind. Die Zukunft wird erst zeigen können, wie eigentlich diese Dinge -eingreifen in's Leben des Einzelnen, wie die Sünden und Vorzüge der -Ahnen sich unmittelbar im Gehirne des Enkels rächen. Immerhin mag heute -schon der grandiose Romancyklus von Zola eine durchdachte Vorahnung -für das Kommende darstellen. Wenn man sich aber vergegenwärtigen will, -welche zahllosen dichterischen Vorwürfe in dem Spiel der Ideenketten, -an die Schule und erste Bildung uns schmieden, enthalten sind, -so kann man im Grunde nur warnen vor dem einseitigen Betonen der -Vererbungsconflicte, so lange die Physiologie noch nicht in festen -Gesetzen die nöthigen Prämissen aufgestellt. Man soll sie beachten, -wo man durch den Stoff nothwendig auf sie geführt wird, aber sie noch -nicht in den Vordergrund drängen, wo es nicht durchaus nöthig ist. - -Die indirecte Vererbung, das unbrauchbare Alte, das uns in unserer -Bildung, durch unsere Umgebung allenthalben belastend in's Gehirn -gegraben wird, tausend begabte Köpfe im Kampfe mit dem lebendigen -Neuen zu Tode hetzt, uns als unechte Religion, veraltete Moral, -conventioneller Humbug, historische Entartung und was sonst noch -alles, den Geist trübt und für die Ziele der Gegenwart blind macht: -das ist durchschnittlich weit gefährlicher, als die dunklen chemischen -und physikalischen Mächte, die hier oder dort eine Familie in allen -Phasen des Wahnsinns untergehen lassen oder an den geschlechtlichen -Fähigkeiten eines unschuldigen Nachkommen die sexuellen Verrücktheiten -des Urgrossvaters rächen. Es sind harte, unerbittliche Gesetze im -Einen, wie im Andern, aber im letztern Falle haben sie mehr von jener -dunklen Tragic, die allem Geschehen der Natur geheimnissvoll zu Grunde -liegt, im ersteren sehen wir den Kampf menschlich lebhafter und näher -vor Augen, wir fühlen die Schmerzen, wie die Triumphe innerlich -blutiger und siegesstolzer mit, weil wir mehr verstehen und stärker -durchfühlen, dass die Sache auch einmal anders werden könnte durch -unser Zuthun. - -Ich kehre zur eigentlichen Frage zurück. Gewohnheit umschliesst, so -haben wir jetzt gesehen, zweierlei: Ererbtes und Erworbenes. Da das -Letztere wenigstens beim normalen Culturmenschen mit zunehmendem Alter -unausgesetzt wächst, so gleicht das Gehirn dieses Menschen schliesslich -einer über und über beschriebenen Tafel, auf der sich gewisse Striche -mehr und mehr verdickt haben, und die am Ende gar nichts ganz Neues -mehr aufzunehmen im Stande ist, so dass der Geist wie ein geschickter -Seiltänzer mehr oder weniger nur noch die vorgeschriebenen Stangen -abklettert, je nachdem dieser oder jener äussere Anlass bei einer der -ewig bereiten Endstationen anklopft. - -Eigentliches Leben in dieses an und für sich sehr einfache -Gedankenspiel bringt aber nun eine Thatsache, die ich bisheran -absichtlich vernachlässigt habe. Was wir durch Unterricht (sei es nun -unmittelbarer durch das Leben oder mittelbarer in der Schule) an festen -Gedankenlinien eingeprägt bekommen, steht weder immer im Einklange -untereinander, noch mit dem, was durch die Vererbung an allgemeinen -Instincten oder individuellen Neigungen in uns bereits bei der Geburt -befestigt ist. Mit andern Worten: jene constanten Linien im Denkorgan -kreuzen, hemmen, verwickeln sich vielfach, wodurch die einfachen -Denkprocesse, die durch die Möglichkeit des Eingrabens fester Linien -so bequem und bis zur Grenze des Reflectorischen glatt gemacht wurden, -wiederum recht erschwert werden. Ich sehe ab von ganz krankhaften -Erscheinungen. Man hat Fälle, wo eine Gedankenlinie eines Menschen -von einem gewissen Puncte ab, ohne dass er sich dessen bewusst wurde, -in eine ganz andere überging, so dass beim Versuche, den Gedankengang -wieder zu geben, von einer Ecke ab jedesmal die Begriffe wie vertauscht -waren. Hier waren offenbar zwei Linien in abnormer Weise verschmolzen, -ein hochinteressanter, aber lediglich psychiatrischer Fall. - -Ich will jetzt versuchen, an einem consequent durchgeführten Beispiele -genau den normalen Fall von sich widersprechenden Gedankenlinien -aufzudecken. Es ist das um so wichtiger, als man gerade hier, im -Widerstreite der Gedankenlinien, den schärfsten Beweis für eine -metaphysisch beeinflusste Willensfreiheit zu finden geglaubt hat. - -Ich nehme an, einen Menschen trifft ein äusserer Sinneseindruck, -- -etwa der Anblick einer schönen Frau, die das Weib eines Andern ist, -also ein Sinneseindruck, den das Auge in's Gehirn übermittelt, der dort -zur geistigen Wahrnehmung wird und als solche gewisse Gedanken erregen -muss, deren Lauf durch die vorhandenen Gewohnheitslinien bestimmt -wird und deren endliches Resultat bei genügend starker Erregung ein -Willensact, eine Handlung ist. Der Anblick einer körperlich reizenden -Frau erweckt im Manne nothwendig zunächst die Gedankenketten, -die um das Geschlechtliche gelagert sind. Diese können aber sehr -verschiedener Art sein, von dem einen örtlichen Centrum können Furchen -ganz entgegengesetzter Richtung und Tiefe ausstrahlen. Nehmen wir den -Fall eines Menschen, der gar keine Bildung genossen hat, aber auch, -vielleicht weil er eben erst geschlechtsreif geworden ist, im Bezug -auf das Geschlechtliche noch durchaus keine feste Gewohnheitsfurche im -Gehirn trägt. Bei ihm wird der erste Gedanke höchstwahrscheinlich die -Vererbungsfurche, die den instinctiven Fortpflanzungstrieb als uraltes -Erbe stets neu zeitigt, einschlagen, ein Kampf ist ausgeschlossen, da -nur diese einzige Linie vorhanden ist, aber der aus der angeregten -Gedankenkette hervorgehende Wille wird etwas Unklares, Reflectorisches -haben, das sich dämonisch Bahn bricht, aber dem Bewusstsein selbst fast -ganz entzogen ist. - -Zweiter Fall: der Mensch ist ein geübter und geriebener Don Juan. Im -Worte liegt schon enthalten, dass bei diesem Typus sich in der für -das Geschlechtliche reservirten Gegend des Gehirns nicht bloss die -instinctive Vererbungs-Furche, sondern daneben noch eine sehr tief -ausgefahrene Aneignungs-Furche, ein durch Gewohnheit individuell -scharf eingepflügtes Geleise findet, das beim Anblick des schönen -Weibes eine grosse, aber dem Bewusstsein noch durchweg zugängliche -Gedankenkette durchpassiren lässt, als deren Resultat ein sicherer, -auf hundert Erfahrungen gestützter Wille entsteht, -- der Wille zur -Verführung, der Wille zum geschlechtlichen Genuss, -- im Princip -derselbe Wille, wie bei dem ersten Menschen, nur unendlich bewusster -und dauernder. Ein Conflict findet -- moralische Bildung bei dem Typus -des Don Juan ausgeschlossen -- auch hier nicht statt, die Wahrnehmung -erregt nur eine einzige Ideenkette, die als Endresultat nur einen -Willen kennt. - -Der dritte Fall aber, an den ich jetzt herantrete, ist der weitaus -interessanteste, dichterisch jedenfalls der werthvollste. Ein Mensch -soll eine ordentliche moralische Bildung genossen haben, dabei aber -dem Geschlechtlichen nicht so fern geblieben sein, dass es nicht -auch, abgesehen von der stets vorhandenen ererbten Linie, eine -gewisse Spur in seinem Gehirn zurückgelassen hätte, die im Stande -wäre, den Gedanken bei völliger Unbeeinflussung in Don Juanartige -Gelüste zu treiben. Eine Disposition, wie diese, ist unter allen die -verbreitetste. Ihr Ergebniss ist im vorliegenden Falle ein innerer -Kampf. Die Wahrnehmung erweckt zwei Gedankenlinien, die moralische und -die schlechthin sexuelle, von denen die eine als Endergebniss einen -Willen erzeugen muss, der dem der andern durchaus entgegengesetzt ist. -Die Moral verbietet, was die geschlechtliche Neigung verlangt. Beide -Gedankenketten erscheinen vor dem Bewusstsein, -- eine freie Wahl ist -diesem aber absolut versagt; es steht als indifferenter Zuschauer -vor dem Kampfe der Gedanken um den Willen. Nur ein Wille kann als -Endresultat hervortreten. So lange beide Ideenketten vollkommen gleich -stark sind, heben sie sich gegenseitig im Puncte des Willens auf wie -Plus und Minus. Rollt der eine Gedankenzug glatt durch sein Geleise -bis zur Willensstation, so ist inzwischen der andere ebenso glatt dort -angekommen und die Beiden verschliessen sich gegenseitig den Ausgang. -Die Entscheidung, welche Linie siegt, kann sehr lange ausstehen. Ueber -ihre Veranlassung herrschen vielfach die irrigsten Vorstellungen. -Man denkt sich unwillkürlich, das Bewusstsein selbst, welches doch -keinerlei mechanische Macht besitzt, könne durch einen metaphysischen -Druck diesen oder jenen Willen zum Durchschlag bringen. Das wäre -die reinste Hexerei. Die Entscheidung kommt vielmehr daher, von wo -überhaupt alles Motorische nur kommen kann: von aussen, durch neue -Wahrnehmungen, die während der Hemmung jener beiden Ketten in's Gehirn -eintreten. Es fragt sich bei diesen, in welche der beiden Linien sie -einlenken. Sind es zufällig sexuelle Eindrücke, die mit dem Streite -sonst nichts zu schaffen haben, aber nothwendig in die geschlechtliche -Linie gerathen, so graben sie dort die Furche ebenso nothwendig ein -Minimum tiefer, und dieses Minimum genügt, grob sinnlich gesprochen, um -dem sexuellen Gedankenzuge im Wettlaufe zum Willensziel einen Vorsprung -zu geben und damit das Resultat zu entscheiden. Umgekehrt: nahen sich -zufällig bei schwebendem Streite neue, moralische Wahrnehmungen, so -siegt die Moral auch in jenem offenen Falle. Unendlich geringe Factoren -haben hier die weittragendste Bedeutung. Ein zufälliges Wort, ein -lebhaftes Erinnerungsbild, der Anblick irgend einer Situation, die -unmittelbar alle nicht das Mindeste mit dem obwaltenden Gedankenzwist -in der kritischen Sache zu thun haben, entscheidet mit mathematischer -Gewissheit über den Sieg. In mancher bedeutenden Dichtung will es -uns bei oberflächlicher Betrachtung fast störend und unlogisch -erscheinen, dass lange Seelenkämpfe plötzlich durch einen vielleicht -sehr geringfügigen äusserlichen Umstand zur jähen Entscheidung -gebracht werden. Wer sicherer beobachtet hat, sieht gerade hierin den -echten Spiegel des Wahren, und er wird in der Wahl jenes scheinbar -geringfügigen Umstandes bei schärferem Hinblick stets etwas entdecken, -was indirect einem der streitenden Gedanken des Helden nicht zufällig, -sondern nothwendig den Sieg verleihen musste, selbst wenn es gar -nicht direct an die Objecte des Seelenkampfes heranreichte. Es ist -nichts weiter als der Tropfen Oel, der die eine Wagenaxe in der Arena -geschmeidiger macht; aber dieser Tropfen ist die weihende Spende der -Nike. - -Von diesem dritten Menschen giebt es tausend und abertausend Varianten. -Die gegenseitige Hemmung und Beeinflussung der Gedankenketten ist es, -die uns erst eigentlich das geistige Werden unserer Handlungen zum -Bewusstsein bringt und verhindert, dass Impuls und Effect sich bloss -reflectorisch auslösen. Man kann sagen, dass wir unserer Gedanken erst -recht bewusst werden, wenn sie gehemmt sind und einander bekämpfen, -etwa so, wie die Meeresfläche uns erst charakteristische Form gewinnt, -wenn wir sie uns als ein Spiel sich brechender Wogen denken. Von einer -freien Beeinflussung des Willens aber durch das Bewusstsein kann im -buchstäblichen Sinne keine Rede sein. Wir erhalten äussere Eindrücke, -wir denken in gewissen vorgezogenen Linien, dieses Denken wird uns -unter gewissen Bedingungen durch einen Act, dessen innerste Natur wir -nicht ergründen können, bewusst: das ist alles. In diesen Verhältnissen -liegen die Wurzeln unseres Glückes und unserer Schmerzen, unserer -Fortschritte und unserer Rückschritte. Naturwissenschaftlich sind wir -als ehrliche Beobachter gezwungen, die Bedingtheit aller menschlichen -Willensacte der Art des geistigen Apparates gemäss als eine Thatsache -auszusprechen, die weder juristische noch theologische Forderungen -irgendwie erschüttern können. - -Diese Forderungen müssen sich mit der Thatsache abfinden. Die Genesis -seiner Gedanken und Handlungen zugestanden, bleibt ja praktisch der -Mensch mit lauter Gedankenketten, die im Verbrechen gipfeln, schlecht -und strafbar und der Mensch, der durch den Zwang seiner Gehirnfurchen -zu moralischem Denken und Thun gezwungen wird, gut. - -Für den Dichter aber scheint mir in der Thatsache der Willensunfreiheit -der höchste Gewinn zu liegen. Ich wage es auszusprechen: wenn sie nicht -bestände, wäre eine wahre realistische Dichtung überhaupt unmöglich. -Erst indem wir uns dazu aufschwingen, im menschlichen Denken Gesetze -zu ergründen, erst indem wir einsehen, dass eine menschliche Handlung, -wie immer sie beschaffen sei, das restlose Ergebniss gewisser Factoren, -einer äussern Veranlassung und einer innern Disposition, sein müsse und -dass auch diese Disposition sich aus gegebenen Grössen ableiten lasse, --- erst so können wir hoffen, jemals zu einer wahren mathematischen -Durchdringung der ganzen Handlungsweise eines Menschen zu gelangen und -Gestalten vor unserm Auge aufwachsen zu lassen, die logisch sind, wie -die Natur. - -Im Angesicht von Gesetzen können wir die Frage aufwerfen: Wie wird -der Held meiner Dichtung unter diesen oder jenen Umständen handeln? -Wir fragen zuerst: Wie wird er denken? Hier habe ich die äussere -Ursache: was findet sie in ihm vor? Was liegt als Erbe in seinem -Geistesapparate, was hat die Bildung und Uebung des Lebens darin -angebahnt, welche fertigen Gedankenlinien wird jene äussere Thatsache -erregen, wie werden diese sich hemmen oder befördern, welche wird -siegen und den Willen schaffen, der die Handlung macht? Ich habe das -Wort »mathematisch« gebraucht. Ja, eine derartige Dichtung wäre in der -That eine Art von Mathematik, und indem sie es wäre, hätte sie ein -Recht, ihr Phantasiewerk mit dem stolzen Namen eines psychologischen -Experimentes zu bezeichnen. - -Ich glaube gezeigt zu haben, wie gross unsere Unkenntniss im Einzelnen -besonders bei der Vererbungsfrage noch ist. Jene Dichtung, von der ich -rede, ist in ihrer Vollendung noch ein Traum. Aber das soll uns nicht -hindern, rüstig am grossen Bau mitzuschaffen. Einstweilen möge sich vor -allem die Klarheit über die Hauptprobleme Bahn brechen. Der Dichter -soll anfangen, sich bei der Unzahl von Phrasen etwas zu denken, die -auf seinem Gebiete umherschwirren, die Sätze wie: »Es lag in ihm so zu -handeln«, »Die Natur brach sich gewaltsam Bahn«, »Er fühlte etwas, was -seinen Gedanken blitzschnell eine andere Richtung gab« und ähnliches, -sollen ihm einen Inhalt bekommen, er soll einsehen, dass es im Geiste -so wenig Sprünge giebt, wie bei einem festen Verkehrsnetz, wo jede -alte Strasse so lange wie möglich benutzt wird und eine neue nicht -von heute auf morgen gebaut wird, er soll endlich alle die grossen -Namen: Schicksal, Erbsünde, Zufall und wie sie heissen mögen, im -Einzelnen neu prüfen und auf die Principien hin modificiren, wo es Noth -thut. Ich gebe hier keine Aesthetik, sondern beschränke mich auf die -naturwissenschaftlichen Grundlagen, es liegt mir fern, in jene Fragen -näher einzutreten, die sich daran anknüpfen. Man sagt wohl, die Poesie -werde roh und alltäglich, wenn sie sich an die Fragen der Physiologie -um Auskunft wende. Wenn ich die Probleme überblicke, auf die der Gang -dieser Studie mich geführt hat, so weiss ich nicht, was das heissen -soll. Diese Probleme sind die höchsten, die ich mir denken kann. Wir -stehen dicht vor der Schwelle des Ewigen, des Unerreichten, und wandeln -doch noch auf dem sicheren Boden der Wirklichkeit. Giebt es einen -höheren Genuss? - - - - -Drittes Capitel. - -Unsterblichkeit. - - -Geheimnissvolles Wort, -- Unsterblichkeit! Wer die Geschichte der -Menschheit anknüpfen wollte an die Geschichte ihrer tiefsten Träume, -ihres bangesten, herzbewegtesten Sehnens, der müsste sie anknüpfen an -dieses Wort. - -Es ist nicht wahr, dass dieses Wort nicht auch uns noch immer im -Grunde all' unseres Denkens fortzitterte: -- die uralten Phantasieen -des Volkes vom Nilstrande, in denen der Zauber desselben zuerst eine -dämonische Macht geworden, sind von all' dem Alten, Verklungenen -vielleicht noch das Lebendigste und greifbar Deutlichste, was mitten -durch unsere junge Welt wandelt. Wir sind anders geworden, besser, -freier, wir stehen nicht mehr im Morgenschein der Jahrtausende, der -helle Mittag wölbt sich über uns, der grosse, helle Mittag, von dem wir -noch kein Ende sehen, -- und doch -- und doch. Das Wort Unsterblichkeit -ist nach wie vor eine zwingende Gewalt. Es ist die Basis aller -Metaphysik in der Religion. Die Zeiten sind herum, wo die Menschheit -einen Gott in Donnerwolken oder Knechtsgestalt zur Erklärung ihrer -Sittengesetze brauchte: die Frage des ewigen Looses nach aller -Zeitlichkeit fordert auch heute noch den kühnen Flug über die Grenzen -des Erkannten, und wenn alle dogmatische Religion sich sonst zersetzen -sollte, so wird ihre letzte lebenskräftige Ranke sich immer wieder -emporwinden an der festen Säule des Trostes am Grabe unserer Todten. -Aber wie die meisten Fragen, die eine religiöse Bedeutung besitzen, -ist auch diese zugleich auf's Engste verwachsen mit der Dichtung. Ihre -Behandlung unter den Prämissen realistischer Aesthetik und Poesie -scheint mir um so dringender geboten, als die allgemeine Ansicht -von der Stellung der exakten Naturwissenschaft zu ihr vielfach eine -einseitige oder geradezu falsche ist. Dank einer gewissen Sorte von -voreiligem und bei bestem Willen hochgradig ungeschicktem Popularisiren -physiologischer Erkenntniss, hat man sich daran gewöhnt, ein Dilemma -aufzustellen, das thatsächlich nicht stichhaltig ist. Man wiederholt -unaufhörlich die beiden Sätze: Entweder unsere Seelen sind unsterblich, --- -- oder mit dem Tode ist alles aus für ewige Zeiten und in jeder -Bedeutung, -- wobei es dann als Folgerung der Wissenschaft nahe gelegt -wird, dass die erste Möglichkeit in Wahrheit keine sei und die zweite -als Kehrseite der andern die nothwendig richtige sein müsse. Der Fehler -liegt in dem »entweder -- oder«. Ich will versuchen, das exact zu -entwickeln. Die moderne Physiologie ist, um den ersten Punct zunächst -allein in's Auge zu fassen, allerdings, sobald sie ehrlich sein -will, gezwungen, die gewöhnlichen Vorstellungen von Unsterblichkeit -sämmtlich zu vernichten. Die Seele im Volkssinne ist für sie lebend -wie todt ganz gleichmässig ein Gespenst. Das, was wir so nennen, -ist ein Complex von Erscheinungen höchst verwickelter Art, die wir -unabänderlich als Parallelphänomene gewisser molecularer Vorgänge -finden und zwar so parallel, dass jeder molecularen Verschiebung auch -eine Verschiebung des Psychischen entspricht und das so genau, dass, -wie ich es im vorigen Capitel für ein bestimmtes Gebiet durchgeführt -habe, schematische Bilder des psychischen Mechanismus auf den -molecularen passen und umgekehrt. Möglicherweise ist jede moleculare -Erscheinung in der Welt von entsprechenden psychischen begleitet, doch -werden letztere uns erst bemerkbar bei einer gewissen Summirung und -Ordnung der Molecularphänomene, wie sie in der organischen und hier -vor allem der höheren organischen, der thierischen und schliesslich -der menschlichen Molecularstructur sich finden. Diese höhere Structur -ist lediglich ein Anordnungsproblem, eine Constructionsaufgabe, -bei der einfachste Bestandtheile schliesslich den complicirtesten -Bau liefern. Obwohl durch gewisse, uns zur Zeit noch verschlossene -Zeugungs- und Vererbungsgesetze mit der nächsten Generation ähnlicher -Gebilde verknüpft, hat die einzelne Molecularpyramide, die in -ihrer ungeheuren Massenanhäufung für bestimmte Zwecke auch die -erstaunlichsten psychischen Parallelerscheinungen aufwies, die je -geleistet worden waren, doch eine endliche Dauer und zerfällt nach -einer gewissen Zeit wieder in ihre kleinen molecularen Bausteine. -Letzteren Vorgang nennen wir Tod. Dass die psychischen Phänomene, die -sich parallel mit den molecularen zu einer colossalen Gesammtleistung -für die Dauer der molecularen Massenordnung vereinigt, im Momente -des Zusammenbruchs der molecularen Pyramide ebenfalls als Ganzes -verschwinden und sich in die problematischen geringsten Procentsätze -auflösen, die möglicherweise an jedem Einzelmolecül haften, ist -vollkommen selbstverständlich. Das Schema des physiologischen Todes: -Zerfallen einer kunstvollen mathematischen Figur in lose, durch das -Spiel neuer Kräfte bald nach allen Richtungen verschobene Puncte, muss -sich nothwendig auch decken mit dem Schema des psychologischen Todes. -Der Naturforscher muss als absolut sichere Thatsache constatiren, dass -noch niemals an irgend einem Puncte der bekannten Welt psychische -Erscheinungen ohne entsprechende moleculare beobachtet worden sind, -und der Inductionsschluss vom Bekannten auf das Unbekannte tritt -mit allem Rechte in Kraft. Das Suchen nach körperlosen Seelen, wie -es in spiritistischen Kreisen als angebliches Problem behandelt -wird, kann gerade vom methodologischen Standpuncte aus nur mit dem -Eifer verglichen werden, mit dem jener berühmte Bürger der guten -Stadt Schilda das Tageslicht vermittelst einer Mausefalle zu fangen -versuchte, um es in das fensterlose Rathhaus zu überführen. Alles was -in's Gebiet dieser theoretischen wie practischen Narrheiten gehört, -kann physiologisch nicht scharf genug zurückgewiesen werden. Der -Dichter, der hier pikante Stoffe zu finden glaubt, ist zu bedauern. Ich -bin sogar der Ansicht, dass, abgesehen von den Geistererscheinungen, -die keine Dichtung uns mehr im Ernste auftischen kann, der rechte -Poet auf so manche kleinen Effecte verzichten soll, die man sich im -Banne älterer Anschauungen noch gefallen liess. Wenn er einen Todten -schildert, soll er nicht mehr die Reporterphrase verwenden: »Die Mienen -des Entschlafenen bezeugten den tiefen Frieden, zu dem er eingegangen.« -Die Gesichtsmuskeln werden nach eingetretenem Tode meist schlaff und -geben den Zügen etwas Lächelndes. Aber man sollte das nicht mehr als -Anhaltspunct benutzen, nachdem man weiss, dass es in Wahrheit nichts -besagt und eine körperliche Erscheinung ganz gleicher Natur wie die -nachfolgenden der Verwesung ist, die kein Mensch als Effecte ausspielen -möchte. - -Die strenge Wissenschaft geht übrigens noch weiter. Sie verneint nicht -nur die individuelle Fortdauer der psychischen Processe über den -Tod hinaus, sondern sie bedroht auch ernstlich die letzte Zuflucht -der Unsterblichkeitsträume, die bedingte Fortdauer der Väter in den -Nachkommen. Es giebt gewisse nicht wohl anfechtbare Schlüsse, die das -ewige Bestehen des Menschengeschlechts für die Zukunft ebenso unsicher -machen, wie es auf Grund der paläontologischen Forschung für die -Vergangenheit ist. - -Cosmologische Erscheinungen, die theils als Ergebniss unendlich -kleiner, aber unablässig anwachsender Störungen, theils in Form -gröberer Catastrophen eintreten können, sind möglich, die den Planeten, -an dessen Existenz und Temperaturhöhe das organische Leben gebunden -ist, gänzlich vernichten oder doch zum Bewohnen untauglich machen -können. Auch jener Fortdauer durch Zeugung ähnlicher Nachkommen wäre -damit ein Ziel gesetzt. - -Das ist mit runden Worten die eine Seite der Frage. Die Antwort der -Wissenschaft ist bei aller Mangelhaftigkeit unserer physiologischen -Erkenntniss in diesem Falle decidirt genug, um alle leichtfertigen -Träumereien auszuschliessen. Die Dichtung kann nichts thun, als die -Thatsache annehmen, wie sie ist. Wir dürfen weder poetisch darstellen, -wie ein verstorbener Mensch aus dem Jenseits zurückgekommen, noch -dürfen wir überhaupt den Anschein erwecken, als hielten wir die -psychische Existenz eines lebenden Wesens für etwas, was von der -physiologischen Erscheinungsform so unabhängig wäre, dass es beim -Zerfallen der Letzteren selbstständig weiter existiren könne. - -Mit Entschiedenheit muss ich mich nun aber gegen die zweite Hälfte -jenes Doppelsatzes wenden. Ich frage: was will der Satz »mit dem Tode -ist Alles aus«? In dem »Alles« steckt eine Vermessenheit, die derselbe -Naturforscher, der eben die bestimmte, positive Einzelannahme eines -Fortlebens der individuellen Seele zurückweisen musste, darum noch -lange nicht kritiklos nachzusprechen gezwungen ist. In jenem »Alles« -wäre enthalten, dass wir eine factische Kenntniss vom Wesen der ganzen -Welt, wie des Individuums hätten. Das ist nicht der Fall. Es muss ganz -scharf unterschieden werden: die bestimmte psychisch-physiologische -Weltansicht des Naturforschers und die Welt an sich, die Welt, die -sich hinter dem Bilde verbirgt, das wir sehen. Der Naturforscher ist -ein Mensch. Er sieht Dinge um sich her, so weit seine Sinnesorgane -und sein Gehirn ihm das erlauben -- nicht mehr. Die schärfsten -Beweise sprechen dafür, dass diese Sinnesorgane und dieses Gehirn ihm -nur einen ganz beschränkten Theil der wirklichen Welt zeigen, und -es giebt eine Reihe von Puncten, die nahe zu legen scheinen, dass -sogar dieser kleine Theil beeinflusst und möglicherweise gefälscht -ist durch die feste Form seines beobachtenden und reflectirenden -Organes. Da Alles, was wir gewahren, erst in unserm Centralorgan zum -Bilde wird, so kann die Vermuthung nicht wohl widerlegt werden, dass -die Structur dieses Organs auf die Form dieses Bildes einen Druck -ausübt; man hat mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits ausgesprochen, -dass die Begriffe des Raumes, der Zeit und der Causalität in unserm -subjectiven Weltbilde erst Wirkungen dieses Druckes wären und somit -überhaupt nur in uns, nicht in der Aussenwelt existirten; man hat -mit ziemlicher Sicherheit den Begriff des Stoffes in uns selbst -verlegt, während von Aussen nur Krafteindrücke kommen. Und es wird -für den Laien am Besten ermöglicht, sich in diese kühnen, aber nicht -unbegründeten Hypothesen hineinzudenken, wenn er sich an rohe Facta -der Sinnenwelt hält (beispielsweise die Farben, welche bekanntlich -nicht an den Gegenständen haften, die wir roth, blau oder grün sehen, -sondern in unserm Auge sind) und sich mit ihrer Hilfe die Möglichkeit -vergegenwärtigt. Während diese Ideenkreise die Fälschung unseres -Weltbildes durch unser eigenes Denkorgan als wahrscheinlich hinstellen, -zwingt andererseits die Forschung selbst zur Erkenntniss fester -Grenzen. Wir sind nicht im Stande, jenen Parallelismus von Psychischem -und Molecularem, von dem auf diesen Blättern bereits so oft die Rede -gewesen ist, irgendwie zu verstehen. Wenn eine Molecülreihe rechts -schwingt beim Gefühl des Schmerzes, links bei dem des Angenehmen, so -ist damit noch keine Brücke geschlagen von der Schwingung zum Gefühl -und wir können lediglich den nie wechselnden Parallelismus constatiren. -Wenn wir den Begriff des Molecüls zerlegen und die tieferen Geheimnisse -dessen aufzudecken versuchen, was wir mechanische Kraft nennen, so -verwickeln wir uns nicht aus Unkenntniss der Sachen, sondern durch -offenkundiges Versagen der Logik in unlösbare Widersprüche. Wir -können nicht umhin, ein derartiges Aufhören aller wissenschaftlich -gangbaren Strassen als Grenze zu bezeichnen. Wir fühlen sehr wohl, dass -jenseits derselben noch sehr Viel liegt, ja, die fundamentale Kenntniss -des Daseins eigentlich erst ihren Anfang nehmen würde, aber es ist -nichts zu machen, wir können mit dem Gehirn, das wir haben, einfach -nicht weiter. Ob unsere Urenkel mehr vermögen werden, muss ihnen ihr -vielleicht weiter entwickeltes Gehirn sagen, es geht uns gegenwärtig -nichts an. - -Eine Wissenschaft aber, die von Grenzen, von Fälschungen ihres -Weltbildes zu reden gezwungen ist, kann zwar innerhalb ihres Gebietes -sehr wohl diese oder jene Thatsache als sicheres Resultat aufstellen, -sie hat aber kein Recht, ihre Urtheile in der Weise zu verallgemeinern, -dass sie sich für competent in Fragen der absoluten Welt, der Welt -an sich, erklären darf. Die Wissenschaft ist nicht nur berechtigt, -sondern genöthigt, ausdrücklich festzustellen, dass so, wie sich -die Welt in unsern Menschenaugen deutlich erkennbar spiegelt, ein -isolirtes Fortleben der Seele einfach unmöglich ist. Mit dem Tode ist -eine Kette von Ereignissen der sichtbaren Welt zu Ende. Was beweist -das für die wirkliche Welt, jene Welt, die sich noch unabsehbar -hinter unsern Erkenntnissgrenzen dehnt und von der ein ganz kleines, -getrübtes Endchen in unser Sehfeld sich erstreckt? Gar nichts. Wir, -die wir weder wissen, was psychische und moleculare Vorgänge ihrem -innersten Wesen nach sind, noch wie sie zusammen kommen, wir, die wir -von Zielen, Zwecken, Sittlichkeit, Gesetzmässigkeit, Anfang, Ende, -Schönheit oder Hässlichkeit der wahren Welt auch nicht das Geringste -ahnen, wir sollten von etwas sagen, es sei zu Ende? Wir, die wir in -einer Welt voll unendlicher, sich im Raum verlierender Linien, voll -unendlicher Decimalbrüche, voll unendlich theilbarer Körper leben, wir -sollen von irgend einem Ding sagen: Hier ist alles aus? Eine wohlfeile -Philosophie, die aus dem schwankendsten unserer Begriffe, der Materie, -etwas absolutes macht, mag sich dabei beruhigen; Naturwissenschaft ist -das nicht. - -Ich hoffe, dass man mich richtig verstanden hat. Alles was wir Menschen -sehen, ist Physisches, auch das Psychische, in so fern es stets an -ein Physisches geknüpft ist. Innerhalb dieses Physischen giebt es -keine Unsterblichkeit. Aber wir haben Grund zu glauben, dass dieses -Physische vor unsern Augen nicht das echte Cosmische, das eigentlich -Wahre und Seiende ist, sondern bloss ein mattes und lückenhaftes -Gleichniss desselben. Innerhalb dieses eigentlich Seienden ist allem -Anschein nach das Leben, das psychische wie das moleculare, selbst -etwas ganz anderes, und dort mag es Verhältnisse geben, die alle -irdischen Conflicte lösen, alles Schiefe versöhnen; die Annahme kann -uns nicht bestritten werden, der Naturforscher hat hier nichts mehr zu -sagen. Freilich: Wissen thun wir von jener Welt an sich gar nichts, -als dass sie besteht. Aber darin liegt viel. Mit ihrer Existenz haben -wir einen ruhenden Punct gefunden, der ausserhalb des Irdischen liegt. -Mit dem Bewusstsein eines solchen Punctes weicht die drückende Schwere -des Vernichtungsgedankens sowohl im Individuellen, wie im allgemeinen -Erdenloos. Mag unsere Laufbahn immerhin um sein für die Augen, für das -enge Gehirn der verschwindenden Menschenwelle auf dem einsamen Planeten -der Sonne. +Alles+ ist damit nicht aus. Hinter dem ewig verschlossenen -Vorhang wandelt ein Anderes, ein Grösseres, als wir. Indem der -Forscher uns unerbittlich versagt, unsere Unsterblichkeitsträume in -Bilder der sichtbaren Welt zu kleiden, eröffnet er uns zugleich durch -die Feststellung von Grenzen die Ahnung einer Welt, an die jene Träume -sich ungestört heften dürfen. In dem Versagen jenes ersten Punctes muss -er denn allerdings seine ganze Strenge walten lassen. - -Wohl eröffnet sich uns der tiefe Gedanke, dass unser Leben nicht -das Absolute, nicht Leben im eigentlicheren Sinne sei, sondern nur -ein seltsamer Traum, ein Wandelbild, das an uns vorüberzieht, wohl -mögen wir zugeben, dass der Tod nur eine Episode in diesem Bilde, -kein wirklicher Abschluss sei. Aber das ist auch nun von der andern -Seite wieder alles. Jene wahre Welt greift nicht als fremder Gott in -unsere Welt ein, weder in den Offenbarungen der Religion, noch den -Geheimnissen des innersten Seelenlebens, noch auch in den Idealen der -menschlichen Kunst. Es giebt keine Puncte im physischen Weltbilde, das -wir vor uns sehen, wo wir der Welt an sich näher oder ferner wären; -überall stossen wir bei einiger Durchdringung der Erscheinungen auf die -ewige Schranke. - -Gleichwohl -- selbst mit all' diesem Vorbehalt -- scheint mir -der Poesie vor allem eine mächtige Stütze in dieser Fassung des -Unsterblichkeitsgedankens zu liegen. Für sie, die stets das Ganze, das -Allgemeine im Auge hat, ist das Resultat des Naturforschers, das hinter -der physischen Welt eine andere, wenn auch unbekannte, nachweist, -ein gewaltiger Gewinn. Dem Irdischen, das in ungelösten Conflicten -auseinandergeht, wahrt sie die Fernsicht in ein Zweites, das dahinter -liegt und das zugleich unsere Erkenntnissschwäche, wie unsere Hoffnung -einschliesst. Nur wenn sich die Poesie frei macht von dem gewöhnlichen, -physischen Unsterblichkeitsglauben und, der Wissenschaft folgend, -sich zu dem wahrhaft philosophischen Gedanken erhebt, dass diese -Erscheinungen des Lebens, wie des Todes überhaupt nicht das wahre Wesen -der Sache, sondern nur das getrübte Bild, wie es unser Gehirn im Zwange -fester Ursachen schafft, darstellen -- nur dann kann sie mit gutem -Gewissen wieder gelegentlich den Schmerz der Tragödie mildern durch ein -weises Betonen des tröstenden Gedankens, dass weder mit dem Leben, noch -mit dem Tode, weder mit menschlichem Glücke noch menschlichem Unglücke -»Alles aus sei.« Und es ist dann sehr einerlei, ob sie mit Hamlet bloss -unser Nichtwissen in die geheimnissschweren Worte kleidet: »Der Rest -ist Schweigen,« oder ob sie in sieghaftem Vertrauen emporjubelt mit dem -Götheschen Chor: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniss!« - - - - -Viertes Capitel. - -Liebe. - - -Weit ab von jenen geheimnissvollen Schranken des irdischen Geschehens, -die wir im letzten Capitel berührten, liegt mitten im Centrum der -molecularen Welt der unscheinbare Ursprung dessen, was unter dem -Flammenzeichen des stolzen Namens »Liebe« sich zum mächtigsten -Herrscher im Gesammtbereiche der Poesie aufgerungen hat. Das Wort -Unsterblichkeit mit seinem Echo in den Gründen, »von wo kein Wandrer -wiederkehrt,« muss seiner Natur nach den menschlichen Gedanken bis zu -jenen Grenzen führen, die dem Forscher gestellt sind; das Wort Liebe, -und mag das noch so hart hineintönen in alle unklaren Träumerseelen, -bedeutet in seiner Quelle, seinem Verlauf und seinen Zielen eine -durchaus irdische Erscheinung. - -Der Naturforscher, von dem der gewissenhafte Dichter Aufschluss -verlangt über die Resultate seiner unbefangenen Forschung nach der -Natur der Liebesempfindung, ist gezwungen, den Fragenden vor die -Anfänge jener ungeheuren Kette zu stellen, die wir zusammenfassend -die organische Welt nennen. Tief unten an den Wurzeln dieses riesigen -Lebensbaumes zeigt er ihm die einfache Zelle, ein selbstständiges -Wesen, nicht Thier noch Pflanze -- einen Crystall aus gleichem Stoffe -geformt wie alle andern, aber von allen ewig geschieden durch die -Besonderheit seiner molecularen Zusammensetzung. Gesetze, ihrem Wesen -nach unbekannt, wie jene, die den crystallinischen Sprösslingen irgend -einer Mutterlauge alltäglich vor unsern Augen jenes mathematisch -starre Gefüge geben, das jeder Mineraliensammlung den allgemein -bekannten Charakter verleiht, ermöglichen dieser organischen Zelle eine -bestimmte Art von Aufnahme fremder Stoffe, die sie wachsen lassen, -und eine Zertheilung in zwei oder mehrere Individuen vom Puncte an, -wo dieses Wachsthum einen gewissen, nicht näher definirbaren Zustand -der Reife erlangt hat. Wir kennen heute noch Geschöpfe solcher -einfachsten Art, deren Leben in den beiden Processen des Wachsens -durch Nahrungsaufnahme, das durch das Vermögen der Ortsbewegung -unterstützt werden kann, und des Zerfallens in eine Anzahl neuer, -kleiner Individuen, bei denen sich dasselbe wiederholt, erschöpft zu -sein scheint. Die höchste Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass sie -unveränderte Nachkommen uralter Formen sind, aus denen sich an andern -Stellen durch Umwandlung die gesammte Linie der höheren Organismen -entwickelt hat. Der Begriff der Fortpflanzung bedeutet hier einfach, -wie bei Mutter und Kind: Trennung. Von Liebe, von einer Vereinigung -zweier Individuen ist noch keine Rede. Aber in dieser Trennung liegt -bereits der erste Schritt zum Kommenden. Gewisse äussere Ursachen, -die im Princip jedenfalls am Besten in dem Darwin'schen Gedanken von -der umwandelnden Macht des Kampfes um's Dasein, der kleinste chemisch -und physicalisch bedingte individuelle Neigungen im bestehenden Typus -zu grossen Verwandlungen heraufzüchtet, ausgesprochen sind, führten -nämlich im Laufe der Zeit eine Fortentwickelung unter den einzelligen -Wesen herbei. Die einfache Zelle zerfiel unter Umständen in ein Dutzend -Tochterzellen. Anstatt sich nun nach allen Richtungen zu zerstreuen, -konnte es für diese nützlich werden, beisammen zu bleiben. Wir sehen -ein Conglomerat von Zellen einer einzigen Generation, die sich wie die -Haut einer Blase um einen hohlen Mittelraum gruppiren und als Ganzes -in einfachster Form das Schema eines thierischen Körpers bilden. -Zwischen den Zellen entwickelt sich ein Gefühl der Gemeinschaft -- der -Freundschaft, wenn man so will. Aus der Generation von Zellen wird ein -Zellenstaat, in dem die Mitglieder, selbst Sprösslinge einer Einheit, -sich gewissermassen zu einer neuen, höheren Einheit zusammenthun. -Sehr bald entwickelt sich Arbeitstheilung. Da die Nahrungssäfte durch -die dünnen Zellwände hindurch bei näherem Aneinanderschliessen auf -Grund physikalischer Gesetze frei circuliren, können sich einige -wenige Zellen, indem sie alle Kraft darauf verwenden, ganz der -Nahrungsaufnahme widmen und den übrigen die motorischen und sensitiven -Eigenschaften überlassen. Durch diese Theilung der Functionen entstehen -Organe, das heisst bestimmte Ecken des Zellenstaates, wo Zellen bloss -noch für eine einzige Function thätig sind, diese aber so intensiv -betreiben, dass sie für alle andern mit genügt. Am Ende ist ein -höchst verwickelter Organismus geschaffen, dessen Theile nur mehr -in der Gesammtmasse existiren können, so dass der Zellenstaat ein -einheitliches Wesen, ein wahres Individuum wird. Die Frage ist: wie -wird die Fortpflanzung dieser complicirten Maschine vor sich gehen? -Das Zerfallen in neue Individuen war eine Function der Einzelzelle. -Im Zellenstaat hat diese sich bei der allgemeinen Arbeitstheilung -ebenfalls derartig in gewissen Zellen localisirt, dass nur noch diese -zerfallen und Abkömmlinge des Ganzen in Gestalt einzelner Zellen -entsenden. Von diesen Tochterzellen gründet später jede ihren neuen -Staat für sich, indem sie den alten Weg der Selbsttheilung einschlägt -und aus den Theilchen den Staat hervorgehen lässt. Der Vorgang ist -jetzt complicirter, aber noch immer behauptet die Trennung allein ihr -Recht, wo es sich um Fortpflanzung handelt. Erst die nächste Stufe -erweitert sie zu etwas Neuem. Allenthalben bestehen Zellengemeinden, -die kleine Einzelzellchen als Sprösslinge aussenden. Es ereignet sich, -dass zwei dieser Sprösslinge -- zwei von verschiedenen Gemeinden -- auf -einander stossen, sich vermischen. Jeder trägt das Bestreben in sich, -durch Selbsttheilung einen neuen Staat zu gründen. Indem das Bestreben -der Beiden sich vermischt, entsteht ein gemeinsamer Bau von doppelt -starken Dimensionen. Wieder treten Gesetze in Kraft, die den Vortheil -nicht verloren gehen lassen, es bildet sich bei einem grossen Theile -der Zellenstaaten allmählich das Bestreben aus, seine Sprösslinge alle -sich mit je einem Sprössling eines andern vermischen zu lassen, um dem -künftigen Neubau eine Doppelbasis von verstärkter Kraft zu geben. Die -Trennung des Keims vom Mutterorganismus bleibt nach wie vor; aber es -folgt ihr eine Mischung, eine Vereinigung, ehe ein neuer Organismus -entstehen kann. - -Inzwischen, während dieser letzte Fortschritt sich anbahnte, hat -die Arbeitstheilung und Organisation in den einzelnen Zellenstaaten -colossale Entwickelungen durchgemacht. Es giebt Zellstaaten, die aus -Millionen einzelner Zellen bestehen, welche sich um die verschiedensten -Hohlräume in mehrschichtigen Blasen gruppiren, und jeder Keimzelle -wird durch bestimmte Vererbungsgesetze auferlegt, nach Verschmelzung -mit einer solchen eines andern gleichartigen Staates ein Gebäude -aufzuführen, das nach Kräften dem Mutterstaate gleichen muss. Indessen: -die Welt ist gross, die gleichartigen Staaten sind oft weit von -einander entfernt, die frei ausschwärmenden Keimzellen finden sich -oft nicht zueinander. Es bahnt sich ein neuer Fortschritt an. Wie -einst jene ersten Tochterzellen in einem Gefühle von Zugehörigkeit, -von Freundschaft beisammen blieben und den Zellenstaat gründeten, -so vereinigen sich jetzt je zwei Zellenstaaten -- nicht um ganz -zu verwachsen, sondern bloss, um ihren Keimzellen durch möglichst -günstige locale Bedingungen das Verschmelzen zu erleichtern. Sie -treten von Zeit zu Zeit nahe zusammen, und der eine entsendet seine -Fortpflanzungszellen in einen der geschützten Hohlräume im Innern -des andern, wo sie sich ungestört mit den Keimzellen dieses letztern -verbinden können, um ihr Verschmelzungsproduct nachher von dort aus -in's Freie treten zu lassen. - -Der Laie, dem diese Dinge neu sind, denkt vielleicht, der -Naturforscher, indem er die letzte Stufe der Zellenentwickelung -schildert, stehe noch immer bei grauen Urzeiten. In Wahrheit sind -wir bereits am Ziel. Der Mensch ist der höchste und vollendetste -Zellenstaat der zuletzt besprochenen Art; und zwar ist der Mann der -eine, das Weib der andere. Indem sie sich geschlechtlich nähern, -vermischt sich eine Keimzelle des Mannes, die Samenzelle, mit einer -Keimzelle des Weibes, der Eizelle, in geschütztem Hohlraum des -weiblichen Körpers, aus der Mischung der beiden Zellen entsteht -der neue Zellenstaat des kindlichen Organismus, der später aus dem -bergenden Leibe des Mutterstaates an's Licht des Tages tritt, um sich -hier fertig auszugestalten. Bei allen Verwickelungen des Details -geht durch den ganzen Zeugungsprocess ein Athem staunenswerthester -Einfachheit, ein Zurückgehen auf die ursprünglichsten Erscheinungen -des organischen Lebens. In jenen beiden Keimzellen, der Samen- und der -Eizelle, wird der werdende Organismus unter dem Bilde der anfänglichen -Einzelzelle, des Urwesens, von dem die ganze Kette abstammt, wieder -angelegt, und indem der wachsende Embryo sich aus ihnen formt, -durchläuft er noch einmal die wichtigsten Stufen der ganzen Ahnenreihe -in traumhaft verschwommenem Fluge. Noch einmal scheint die Natur -sich durchzutasten durch die unzähligen Erinnerungen des organischen -Stammbaums, über dessen einstigen lebenden Vertretern jetzt bereits der -Sedimentärschutt vieler Jahrmillionen versteinernd lastet. Endlich wird -der Mensch. Aber auch in ihm mischen sich Vater und Mutter noch immer -so seltsam, dass man den doppelten Ursprung ahnen kann, selbst wenn wir -vom Zeugungsacte gar keine Vorstellung hätten, die Eizelle des Weibes -und die Samenzelle des Mannes nie im Lichtfelde unseres Mikroskops -erschienen wären. - -Geheimnisse für den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft giebt es -hier im Einzelnen die Menge, Metaphysik gar nicht. Der Parallelismus -des Psychischen und Molecularen wahrt seine gewöhnliche Rolle, das -Geistige zeigt sich durchaus in stufenweisem Aufbau, je nach der -Entwicklungshöhe des Körperlichen, und die menschlichen Seelenregungen -äussern sich folgerichtig erst mit Vollendung des menschlichen -Gehirns. Wer geneigt ist, den Schauer des Erhabenen besonders stark -vor den Momenten der höchsten Vereinigung des Universellen und -Geschichtlichen mit dem Individuellen und Vorübergehenden zu empfinden -und dem Idealen die wissenschaftlich allein zulässige Bedeutung des -Allgemeinen, über das Einzelne als höhere Einheit Hervorragenden zu -geben, der wird in den gesammten Erscheinungen des Zeugungsprocesses -eine hohe, vielleicht die allerhöchste ideale Erhebung des individuell -Menschlichen erblicken müssen und ihnen gegenüber jene Regung stärker -als irgendwo anders empfinden. Wir verdanken den Begleitungsphänomenen -des Zeugungsgesetzes überhaupt, wenn nicht sogar den Sinn für -Schönheit, so doch das Wichtigste, was wir schön nennen: die edeln -Formen des Weibes in ihrer künstlerischen Gegensätzlichkeit zum Manne, -die Farbenpracht der organischen Natur, deren Blüthen, Federn, Düfte in -ihrer höchsten Entfaltung sämmtlich auf geschlechtlichen Beziehungen -beruhen, die reichen Gaben des Gemüthes, die sich in der Gatten- und -Elternliebe durch die höhere Thierwelt ziehen, um schliesslich in den -verallgemeinernden Regungen des menschlichen Mitleids ihre höchsten -Triumphe zu feiern. - -Unsere grossen Dichter haben sich dementsprechend auch niemals -gescheut, von den natürlichen Acten der Zeugung als etwas Grossartigem -und im eminenten Sinne Idealem unbefangen zu reden und den Satz -aufrecht zu erhalten, dass wir es in ihnen keineswegs mit einem -der Sittlichkeit als »Sinnlichkeit« feindselig gegenübergestellten -Principe, sondern vielmehr mit der Basis aller Sittlichkeit zu thun -haben. Ohne eine solche naturgemässe Grundidee wäre beispielsweise -die Gretchentragödie des Faust, in der gerade die Tiefe und Wahrheit -der Neigung bei dem Weibe, das geschlechtlich »Echte« das versöhnende -Element für alle Verletzung der Sitte abgiebt, vollkommen widersinnig. -Hier wie in andern poetischen Meisterwerken liegt der Nachdruck auf -dem Satze: die Liebe +muss+ auf enge geschlechtliche Vereinigung -als ihr natürliches Ziel hinauslaufen, wenn sie wahr sein soll -- -und wenn äussere Umstände gerade diese Wahrheit des Gefühls zur -Tragödie gestalten, so ist sie selbst dann noch immer grösser als eine -Unwahrheit im gleichen Falle wäre, so gut wie Wallenstein, obwohl er -tragisch endet, grösser bleibt, als Einer, der in seiner Lage anders -handelte; der ganze Begriff der Tragödie rankt sich eben um die -Wahrheit auf. - -Diese Anschauungen unserer grossen Dichter, die viel genannt, aber -weniger gelesen werden, sind jedoch keineswegs die gleichen wie die -einer ungeheuren Masse kleiner Dichter, die weniger genannt, aber -vermöge ihrer colossalen Menge weit mehr gelesen werden. Die Begriffe, -die unser Publicum sich seit Jahrhunderten von der Bedeutung der -geschlechtlichen Dinge für das unausgesetzt behandelte Thema der Liebe -bildet, sind unter dem Einflusse dieser zweiten Sorte von Dichtern nach -und nach ganz eigenthümliche geworden. - -Ich halte diesen Punct für lehrreich genug, um ein deutliches Beispiel -für jene eigenartige Krankheitsgeschichte abzugeben, die sich unter -dem Titel der sogenannten »rein idealistischen« Richtung durch die -erotische Weltliteratur und wohl mit am ärgsten durch unsere neuere -erotische Poesie zieht, eine Krankheitsgeschichte, die sich freilich, -wie schon gesagt, zumeist nur an der breiten Masse der Dichterwerke -bemerkbar macht, aber von hier aus schwere Ansteckungsstoffe in's -Publicum verbreitet hat. Man wirft der modernen realistischen -Richtung die Vorliebe für pathologische Probleme vor. Ich erlaube -mir im Nachfolgenden, ein solches an einem ganzen Kreise poetischer -Bestrebungen zu entwickeln, auf die Gefahr hin, jenem Vorwurfe zu -verfallen. Ich schicke dabei voraus, dass ich keineswegs der Erste bin, -der darauf hin weist, dass aber, wie so viele Fälle, die unmittelbar -in's Gebiet der Wechselbeziehungen zwischen naturwissenschaftlichem -Denken und poetischem Schaffen gehören, auch dieser noch lange nicht -eindringlich und oft genug öffentlich besprochen wird und darum in den -Prämissen einer realistischen Aesthetik nicht fehlen darf. - -Nehmen wir einmal für einen heitern Moment an, es gäbe eine -Dichterschule, die den kühnen Satz als poetisches Programm aufstellte, -die physiologische Function der Nahrungsaufnahme im Menschen gehöre zu -den höchsten und dankbarsten Vorwürfen der Poesie, und thatsächlich -durch practische Werke ersten Ranges die Haltbarkeit dieses Programmes -darthäte. Man müsste die Gründe prüfen, die jenem Unterfangen zu -Grunde lägen und, wofern diese stichhaltig wären, sich darein finden -und der Sache freuen. Jetzt aber käme eine Spaltung innerhalb der -neuen Partei und es erhöben sich beredte Apostel, die Folgendes -aufstellten. Das Essen selbst sei etwas Unschönes, Unappetitliches, -wohl gar Unmoralisches, dürfe nur im Geheimen geübt werden, sei kein -Gegenstand der Poesie. Ein poetisches Element stecke bloss im Hunger. -Von unvergleichlichem dichterischen Werthe sei jener eigenartige -nervöse Zustand des Gehirns bei leise dämmerndem Hungergefühl, jener -Wechsel von geistigem Eifer und geistiger Abspannung in seinen tausend -feinen Nuancen, wie er dem Mahle vorausgehe, bis zu jenen Anfällen -von Raserei, von Hallucinationen und von völliger Lethargie, wie sie -bei Verhungernden in der Wüste sich zeigten, oder dem Ekel vor aller -Nahrungsaufnahme, der Blasirtheit im Puncte des Appetits, wie sie durch -sonstige Störungen des Nervensystems hervorgebracht würden. - -Ich glaube, man würde, selbst das Ganze zugestanden, diese Sectirer der -letztern Sorte für Narren erklären. - -Ich bin weit entfernt, diesen Titel auf alle Poeten anzuwenden, die -das Liebesproblem nach derselben Seite hin einseitig gefasst haben, -aber das Gefühl eines vollkommenen Parallelismus kann ich nicht -opfern. Das natürliche Ziel der Liebesempfindung, so höre ich von -allen Seiten, soll man in der Poesie verschleiern und beseitigen, -die Empfindung selbst, die voraufgeht, verherrlichen. Ersteres soll -etwas grob Sinnliches sein, letzteres etwas Geistiges. In der That, -auch der Hunger ist scheinbar mehr ein nervösgeistiges Phänomen als -das Zerkauen der Nahrung zwischen den Zähnen. Aber diese geistige -Disposition ist, was beim Hunger kein kleines Kind je bezweifelt hat, -doch unmittelbares Erzeugniss eines physiologischen Vorganges. Ganz -so die Liebe. Es ist physiologisch sogar leichter, die Liebe aus dem -Geschlechtsbedürfniss, als den Hunger aus dem leeren Magen abzuleiten. -Erst von einem gewissen Alter ab entwickeln sich beim Menschen die -mechanischen Bedingungen des Zeugungsactes; Hand in Hand mit dieser -Entwickelung schreitet das allmähliche Erwachen und Functioniren des -sexuellen Hauptcentrums im Gehirn vor, dessen Thätigkeit wir uns -in der geistigen, nervösen Erscheinung des Liebesgefühls bewusst -werden. Jüngling und Mädchen beginnen sich als etwas Gegensätzliches -zu betrachten, das doch eine Vereinigung fordert, der Unterschied -der Formen erweckt unklare Phantasiebilder, die durch individuelle -Sympathieen meist sehr bald eine feste Gestalt annehmen, die -Gestalt eines subjectiven Ideals, mit dem vorkommenden Falles die -geschlechtliche Vereinigung grössern Reiz gewähren würde, als mit jedem -zweiten Wesen des andern Geschlechtes. - -Gegen diese einfache, dem Thatsächlichen Rechnung tragende Auffassung -der Liebe als Anregung einer gewissen Gehirnpartie in Folge eines dem -Gesammtorganismus, dem Zellenstaate, erwachsenen Bedürfnisses erhebt -sich aber jene andere Meinung mit erneuter Macht, indem sie das Wort -»die Liebe ist etwas Geistiges« so gefasst haben will, dass darin noch -etwas Besonderes stecken soll. Dieses Besondere aber, das meist nicht -näher definirt, dafür aber desto mehr gepriesen und dem »Gemeinen« -gegenüber gesetzt wird, stellt sich bei kritischer Zerlegung sehr -leicht als ein Doppeltes heraus. Einmal ist es ein »Göttliches«, ein -»göttlicher Funke«, der in der Liebe zum Ausdruck kommen soll, also ein -Stück Metaphysik -- das andere Mal ein »Wahnsinn«, eine »zerstörende -Macht«, also, physiologisch gesprochen, ein Stück Psychiatrie. -Wer sich davon überzeugen will, ob diese Zerlegung des beliebten -Begriffes richtig ist, der unterziehe sich der Aufgabe, aus einigen -Dutzend Romanen und lyrischen Gedichtsammlungen der Alltagsmode die -Phrasen herauszuschreiben, in denen der Autor selbst oder seine -Haupthelden ihre Liebesgefühle definiren. Stets wird er das Entweder --- Oder finden: die Liebe ist von Gott -- die Liebe ist Wahnsinn. -Nur höchst selten wird er auch einmal verschämt angedeutet finden, -dass die Liebe auf natürlichen Gesetzen und Functionen basirt, die -ihre feste und geordnete Stellung im Zellenstaate des menschlichen -Organismus einnehmen. Am »Göttlichen« in der Liebe zweifeln, ist für -diese Poeten und ihre Verehrer gleichbedeutend mit äusserster Roheit -und Gefühllosigkeit. Gleichwohl ist der realistische Aesthetiker, der -auf naturwissenschaftlichem Boden steht, genöthigt, den Ausdruck für -gänzlich werthlose Phrase zu erklären. Wenn »göttlich« so viel heissen -will, wie in eminentem Sinne gemahnend an unsere Abhängigkeit von einer -grossen Entwicklungswelle, an die Unterordnung des Subjectiven unter -das Allgemeine, so kann man sich das Wort gefallen lassen für das -eigentliche Ziel der Liebe, für die ganze Annäherung und Vereinigung -der Geschlechter. Das angeblich Roheste und Gemeinste ist dann das -hochgradig Göttlichste und die Verbindung von Mann und Weib in ihrer -physiologischen Thatsächlichkeit der göttlichste, d. h. der Gottheit -nächst stehende Act, den das individuelle Menschenleben überhaupt -umschliesst. Die göttliche Mission des Weibes besteht dann in seiner -Schönheit, die den Mann reizt -- die Liebe, mit der die Gatten einander -begegnen, ist der höchste Gottesdienst. In solchem Sinne mag das Wort -gelten. Aber diese Auslegung läuft dem gewöhnlichen Wortbegriffe -schnurstracks entgegen. Andererseits die Liebe schlechthin als -Wahnsinn zu bezeichnen, ist physiologisch eine Ungeheuerlichkeit. Das -Geschlechtscentrum im geistigen Apparate des Menschen kann erkranken, -das ist richtig. Die Liebe kann eine Verrücktheit werden, sie kann -vermöge der Trennung von functionirendem Geschlechtsorgan und nervösem -Gehirncentrum eine Geisteskrankheit werden, deren Wahngebilde jede -Fühlung mit den wahren Zielen des natürlichen Triebes verlieren, so gut -wie es psychiatrische Fälle giebt, in denen der Kranke jedes Gefühl -für Nahrungsaufnahme verliert und ohne Hilfe bei normalem Munde und -Magen verhungern würde. Diese sexuellen Geisteskrankheiten sind streng -zu unterscheiden von den Krankheiten der sexuellen Functionsorgane. -Sie treten zumeist als Folgen bereits vorhandener anderer Verbildungen -des Gehirns auf. Seit uralten Zeiten sind sie eine Begleiterscheinung -bestimmter Formen von religiösem Wahnsinn gewesen und lassen sich -als solche durch die Geschichte der orientalischen Völker wie der -abendländischen bis in's Mittelalter und bis auf den heutigen Tag -verfolgen -- eine Aufgabe, der allerdings noch kein grosser Historiker -sich im rechten Masse unterzogen hat. Sie treten ferner chronisch und -wahrscheinlich sogar erblich bei Nationen auf, deren cerebrale Centra -durch Ueberbildung und zwecklosen Luxus geschwächt und verdorben sind; -dahin gehört die gesammte historische Entwickelung der Päderastie, -bei deren Beurtheilung übrigens der moderne Rechtsstandpunct so wenig -durch die Erkenntniss des Krankhaften verrückt wird, wie es durch -die Leugnung der Willensfreiheit auf andern Gebieten geschieht. -Selbst die einfache Einseitigkeit in der Anstrengung gewisser -Gehirnpartieen beim vollkräftigen Genie besitzt meistens einen -irgendwie schädigenden Einfluss auf die benachbarte sexuelle Gegend des -nervösen Centralapparates, so dass die geschlechtlichen Neigungen sehr -grosser Männer durchweg nicht als Muster des Normalen gelten können, -äussere sich dieses Abweichen von der Linie nun in widernatürlicher -Enthaltsamkeit oder unbändiger Ausschweifung. - -Aus allen diesen Einschränkungen ergiebt sich nun aber doch noch lange -nicht die Krankhaftigkeit +aller+ Liebeserscheinungen. Die Liebe soll -ein Zwang sein, der auf dem freien Bewusstsein lastet, der die Seele -knechtet und zu Gemeinem treibt. Da liegt der fundamentale Irrthum. -Um das freie Bewusstsein, die unabhängige göttliche Seele zu retten, -erklärt man den einfachsten und logischsten Naturtrieb für eine -unwürdige Fessel, die uns an's Gemeine kettet. Hier, wie bei dem andern -Falle liegen die Wurzeln im Metaphysischen, sagen wir immerhin, da wir -von modernen Dichtern sprechen: im Christlichen. Die künstliche Seele, -die uns diese religiösen Anschauungen in den Menschen hineingedacht -haben, empfindet schliesslich die ganze Natur, auch wo sie heiter und -glücklich macht, als Zwang. Der Zeugungsact verwandelt sich ihr, obwohl -von anderem Standpuncte, von anderer cerebraler Verbildung aus, als -bei dem sexuell erkrankten Don Juan oder dem geschlechtlich complet -wahnsinnigen alten Griechen, in ein leeres Spiel, eine Dummheit, von -der wir uns frei machen möchten. Das fällt aber selbst bereits in's -Gebiet der sexuellen Gehirnkrankheit. - -Der einfache Schluss ergiebt sich: jene ganze Literatur, die in guten -oder schlechten Versen, reiner oder fehlerhafter Prosa uns unablässig -von dem Dämon der Liebe, von der Knechtung unter das Joch Amors -seufzt und die reine, heilige, göttliche Minne preist -- jene ganze -Literatur ist Product einer mehr oder minder entwickelten sexuellen -Gehirnschwächung, die täglich weiter um sich greift, je mehr Menschen -mit empfänglichem, für die Gewohnheitslinien des Unterrichts geebnetem -Gehirn jene Literatur lesen und wieder lesen. Ein schwererer Vorwurf -kann meines Erachtens gegen eine ganze Richtung der Poesie nicht -wohl erhoben werden. Die nothwendige practische Folge ist, dass eine -Scheidung entsteht zwischen der gewöhnlichen, normalen Liebe, der -sogenannten hausbackenen, und jenem metaphysisch verbildeten, in -lauter Jammer und Träumen dahinsiechenden Zerrbilde der Liebe, das -Roman, Drama und Lyrik allerorten predigen. Der gesunde Spiessbürger, -der seine Gehirncentra noch in erfreulicher Ordnung beisammen hat, -unterscheidet schliesslich mit sicherm Gefühl die »Liebe, wie sie im -Leben vorkommt« von der »Liebe in Büchern und Theaterstücken«, und der -junge Mann oder das junge Mädchen, die sich schon in unreifen Jahren -durch das beständige Hören und Lesen in letztere zuerst hineinhimmeln, -sehen sich durchweg bei späterm, reifem Eintritt in das wirkliche -Leben genöthigt, jenes erste Bild zwangsweise wieder aus dem Gehirn -herauszuschaffen -- ein Process, der in nur zu vielen Fällen gar nicht -mehr gelingt -- so wenig, wie ein Kind, das man an Morphium gewöhnt -hat, später noch normal einschlafen kann. Wer nicht blind ist, muss -einsehen, dass wir hier dem vollkommenen Bankerotte der erotischen -Poesie entgegensteuern, denn was sich vom Normalen derartig trennt, -muss über kurz oder lang nothwendig gewaltsam unterdrückt werden. -Anstatt aber Hilfe zu schaffen, wüthet man vielmehr gegen jede Sorte -von Schriftstellern, die der Liebe in ihren Dichtungen wieder zu einem -natürlichen Boden verhelfen möchten. Es ist eine höchst traurige -Erscheinung, wie dabei alles durcheinander geworfen wird. Männer, die -mit Bewusstsein daran gehen, die Kehrseite der echten Liebe in den -krankhaften Entartungen zu schildern, stellt man ganz unbefangen neben -oder unter solche, die selbst im Banne sexueller Gehirnaffectionen -stehen und ihre Bücher mit den unlogischen Gebilden ihrer kranken -Phantasie füllen, ohne ihre Abirrung vom Normalen selbst zu empfinden. -Gewiss sind auch jene bewussten Studien über das Abnorme mehr oder -weniger eine unerfreuliche Lectüre und gewinnen höchstens durch -den Contrast, den das Logische und Helle der wahren Liebe selbst -unausgesprochen gegen alle diese Fratzen und Verirrungen bildet. Aber -welcher unendliche Fortschritt liegt schon allein in dem Bewusstsein, -wie es Zola's Nana oder Daudet's Sappho vertreten -- dem schneidig -scharfen Bewusstsein, dass wir es hier mit kranken Menschen zu thun -haben, mit krankhaften Situationen, krankhaften Verwickelungen. Von der -Erkenntniss des Falschen, Ungesunden zur Erkenntniss des Wahren und -Gesunden ist aber nur ein Schritt. Jene Schriftsteller, die vor unsern -Augen sich so eifrig mit dem Studium der entarteten Liebe befassen, -bekunden bereits auf Schritt und Tritt eine weit tiefere Einsicht in -das Gebiet des Normalen, wie hundert andere, die nach ihrer und ihrer -Leser Meinung niemals die Linie des Erhabenen auf erotischem Gebiete -verlassen haben. Eine zukünftige Poesie, die sich an die Ersteren -anlehnt, ohne ihnen auf ihr Specialgebiet zu folgen, wird das Grösste -zu leisten im Stande sein. Wir wollen übrigens darin Gerechtigkeit -walten lassen, dass wir unsern Poeten, die theils unbefangen, theils -mit kritischem Bewusstsein immerfort das Krankhafte in der Liebe -schildern, nicht die ganze Schuld daran aufbürden. Die Poesie -- -wenigstens die unbefangene -- hilft zwar das Gift weiterverbreiten, -aber sie empfängt es auch unablässig aus dem Leben zurück. Eine -ungeheure Masse falscher Sentimentalität, künstlicher Gefühle, -moralischer Unnatur belastet unser ganzes modernes Liebesleben. Freytag -hat gelegentlich in seinem Romane von der verlorenen Handschrift ein -anmuthiges Bildchen vom deutschen Mädchen entworfen, wie es unsere -Bildung in unsern Städten heranbildet. Das Bild ist anmuthig geblieben, -weil der Kern in diesem einzelnen Mädchen durch und durch gesunde -Erbschaft war und das Sentimentale sich bloss in einer Form darüber -ranken konnte, die dem Humor Stoff bot, aber ohne ernste Folgen -blieb. Leider ist dieses Bild schon nicht mehr überall das Typische. -Eine widerwärtige Sentimentalität greift wie ein schleichendes Gift -allenthalben um sich und zeitigt ein Geschlecht von Menschenkindern, -in deren Empfindungen so wenig waschechte Natur steckt, wie auf den -Wangen einer Pariser Ballschönheit. Es ist vor allen Dingen Mission -der Poesie, die hier viel gesündigt und viel gelitten, mit festem -Muthe sich mehr und mehr dem Modegeschmacke entgegenzustellen. Sie -kann es aber nur, indem sie echt realistisch wird, das heisst: sich -an die Natur anlehnt. Der einfache Realismus, der den Menschen die -wahren Kleider des Lebens anzieht, ist noch lange nicht ausreichend -zum wirklichen Zweck. Es gilt tiefer zu gehen und die Welt wieder an -den Gedanken zu gewöhnen, den sie durch Metaphysik, Sentimentalität -und Katzenjammer so vielfach verloren: dass die Liebe weder etwas -überirdisch Göttliches, noch etwas Verrücktes und Teuflisches, dass -sie weder ein Traum, noch eine Gemeinheit sei, sondern diejenige -Erscheinung des menschlichen Geisteslebens darstelle, die den Menschen -mit Bewusstsein zu der folgenreichsten und tiefsten aller physischen -Functionen hinleitet, zum Zeugungsacte. Damit eine derartige Rolle für -die Poesie aber ermöglicht werde, ist es allererste Bedingung für den -realistischen Dichter, sich über die näheren Puncte der physiologischen -Basis des Liebesgefühls zu unterrichten. Nur eine strenge Beobachtung -der Gesetze und Erscheinungen des Körperlichen in seinen verschiedenen -Phasen kann zu neuen Zielen führen. Das erfordert freilich auch an -dieser Stelle wieder harte Arbeit für den Poeten. Das leichte Fabuliren -von den lustigen oder bösen Abenteuern verliebter Seelchen hört dabei -auf, und der Dichter wird nothgedrungen sogar hin und wieder Pfade -wandeln müssen, wo die landläufige Moral erschreckt zurückschaudert. -Wer dazu nicht das Zeug in sich fühlt, der soll dem Liebesproblem fern -bleiben; besser gar keine Liebesgeschichten mehr, als jene gefälschten; -denn der Dichter mag lügen, wo er Lust hat -- es ist alles harmlos -gegen das Lügen auf erotischem Gebiete, dessen Folgen bei dem von -Natur gesetzten Nachahmungs- und Gewohnheitstriebe des menschlichen -Geistes unmittelbar in's practische Leben hineingreifen. Ich nehme -keinen Anstand, zu behaupten, dass wir überhaupt eine erschöpfende -dichterische Darstellung des ganzen normalen Liebeslebens in Weib und -Mann von seinen ersten Keimen bis zur reifen Mitte und wiederum abwärts -bis zum langsamen Versiegen im alternden Organismus in der gesammten -Weltliteratur noch nicht besitzen. Zola hat in seinem geistvollen und -tiefen Romane »La joie de vivre« wenigstens gelegentlich einmal den -Versuch gemacht, an einem gesunden weiblichen Typus ein vollkommen -plastisches Bild zu entwickeln; aber bei seiner Neigung für das -Pathologische, die ihm nun einmal im Blute steckt, ist das Ganze -nach meisterhafter Anlage schliesslich doch einseitig und ohne die -natürliche Versöhnung ausgelaufen. Was ich fordere, ist noch weitaus -mehr. Ich fordere neben vollkommen scharfer Beobachtung eine bestimmte -Tendenz. Man rede mir nicht davon, die realistische Dichtung müsse sich -ganz frei machen von jeder Tendenz. Ihre Tendenz ist die Richtung auf -das Normale, das Natürliche, das bewusst Gesetzmässige. Die Poesie hat -mit wenigen, allerdings sehr hoch stehenden Ausnahmen bisher zu allen -Sorten abnormer Liebe erzogen. Sie muss in Zukunft versuchen, dem Leser -gerade das Normale als das im eminenten Sinne Ideale, Anzustrebende -auszumalen. Nur dann giebt es noch einen Aufschwung in der erotischen -Poesie. Der vermessene Ausspruch muss mit Macht widerlegt werden: das -Gewöhnliche, jene Liebe, die der einfache Spiessbürger auch erlebt, -wenn er gesund ist, sei zu gering für den edeln Schwung der Poesie. -Das ist die schwerste Unwahrheit, die je Geltung gewonnen hat in der -Literatur. Ihre Folge ist gewesen, dass wir hunderttausend Bände über -eine sentimentale, nervös überspannte Liebe und eben so viele über eine -unter alles Natürliche herabgesunkene Liebe besitzen -- eine Literatur -voller Göttinnen und Cocotten, aber ohne Normalmenschen. - -Unwillkürlich, indem ich dieses schreibe, schweift mein Blick in -entlegene Tage hinüber. Wunderbare Gleichförmigkeit der auf- und -niedersteigenden Wellen im Laufe der Culturgeschichte! Derselbe -Gedanke, der uns heute zu so herbem Urtheile über eine grosse Masse -der vorhandenen Poesie treibt, den wir als neue Frucht vom ewig -fortgrünenden Baume der Erkenntniss zu pflücken glauben: er lebte in -Cervantes schon, als er Don Quixote's Freunde die geistverderbenden -Ritterromane zum Flammentode verdammen liess. - -Wann erstehen unserer Zeit die treuen Freunde, die sie von ihren -gefährlichen Lieblingen erlösen? - - - - -Fünftes Capitel. - -Das realistische Ideal. - - -Ist es mehr als ein Wortspiel, ein heiteres Paradoxon, was in den -beiden Worten der Ueberschrift liegt? Kennt der Realismus ein Ideal? -Giebt es etwas derart in all' den Gigantomachieen des modernen -realistischen Romans, diesen wilden Büchern, in denen der Mensch -hoffnungslos ringt mit zerstörenden Gewalten, mit den zermalmenden -Gespenstern der Vergangenheit, mit den rohen Naturmächten einer blinden -mechanischen Weltordnung, in diesem öden Lande, das keine Götter mehr -kennt, keine Freiheit des Willens, keine Unsterblichkeit im alten -Sinne, keine von allen Banden der gemeinen Natur erlöste Liebe? - -Es wäre vielleicht angemessener gewesen, diese Frage zu allererst -aufzuwerfen, ehe wir uns der Mühe unterzogen, jene einzelnen Puncte -näher zu prüfen. Ich habe gleichwohl den umgekehrten Weg gewählt. -Anstatt das Wort »Ideal« unmittelbar mit seinem Vollgewicht in die -Rechnung einzusetzen, habe ich mich bemüht, den Leser selbst mehr -und mehr dem Begriffe nahe zu bringen, der nach meiner Ansicht sich -innerhalb des Realismus allein noch mit jenem stolzen Worte deckt. Wer -mir genau gefolgt ist, kann nicht mehr im Zweifel darüber sein. - -Wir haben gebrochen mit der Metaphysik. Jenseits unseres Erkennens -liegt eine andere Welt, aber wir wissen nichts von ihr; unser Ideal, -so fern es eine lebendige Macht sein soll, muss irdisch, muss ein -Theil von uns sein, muss der Welt angehören, die wir bewohnen, die in -uns lebt und webt. Wir haben gebrochen mit den heitern Kinderträumen -von Willensfreiheit, von Unsterblichkeit der Seelen in den Grenzen -unseres Denkens, von einer göttlichen Liebe, die ein anderes, als das -natürliche Dasein lebt. Unser Weg geht aufwärts zwischen zerborstenen -Tempelsäulen, zwischen versiegenden Quellen, zwischen verdorrendem -Laub. Wir wissen jetzt, dass unsere Visionen, unsere Prophetenstimmen, -unsere leidenschaftlich schmachtenden und schwelgenden Gefühle nichts -besseres waren, als Krankheit, Delirien des Fiebertraums, dämmernde -Nacht des klaren Geisteslichts. Nun denn: wenn dem allem so ist, -das Ideale geben wir damit doch nicht auf. Wenn es nicht mehr der -Abglanz des Göttlichen sein darf, so ist ihm darum nicht benommen, -die Blüthe des Irdischen zu sein, die tiefste, reinste Summe, die der -Mensch ziehen kann aus allem, was er sieht, all' dem Unermesslichen, -was sich in der Natur, in der Geschichte, in allem Erkennbaren ihm -darbietet. Wenn er den Blick schweifen lässt über diese ganze Erde, -über sein ganzes Geistesreich, so sieht er im Grunde all' dieser -wechselnden Formen ein einziges grosses Princip, nach dem alles -strebt, alles ringt: das gesicherte Gleichmass, die fest in beiden -Schaalen schwebende Wage, den Zustand des Normalen, die Gesundheit. -Ganz vollkommen erfüllt ist dieses Princip allerdings nirgendwo. Aber -es schwebt über Allem als das ewige Ziel, niemals ganz realisirt, -aber darum doch die unablässige Hoffnung des Realen. Es giebt nur -einen Namen für dieses Princip, er lautet: Ideal. Vor diesem Ideale -schwindet jeder Unterschied des Bewussten und Mechanischen in der -Natur. Der Mensch, indem er sich seiner bewusst wird im Triebe nach -Glück, Frieden, Wohlsein, harmonischem Ausleben des Zuerkannten, theilt -nur den innern Wunsch, der allem Spiel molecularer Kräfte zu Grunde -liegt. Das letzte Ziel des grandiosen Daseinskampfes, der zwischen -den frei schwebenden Himmelskörpern wie zwischen den Elementen auf -Erden, zwischen den einfachen chemischen Stoffen wie zwischen den -geheimnissvollen Bildungen des organischen Lebens tobt, ist nichts -anderes, als der dauernde Wohlstand von Generationen, die in Einklang -mit der Umgebung gelangt sind. In diesem Sinne ist die Natur selbst -erfüllt von einer tiefen, zwangsweisen Idealität, und wo ihre volle -Entfaltung zu Tage tritt, äussert sich diese in der höchsten Annäherung -an das ideale Princip des grösstmöglichen Glückes der Gesammtheit, -an dem jedes Individuum seinen Antheil hat. Dunkel, wie der ganze -Untergrund der grossen Daseinswelle, in der wir leben, für unsere -Erkenntniss bleibt, ist die ideale Richtung auf das Harmonische, nach -allen Seiten Festgefügte, in seiner Existenz Glückliche und Normale -überhaupt die einzige feste Linie, die wir durch das ganze Weltsystem -verfolgen können. Es ist die einzige treibende Idee, die aus dem -ungeheuren Wirrsal des Geschehens einigermassen deutlich hervortritt, -von der wir sagen können: sie verkörpert ein Ziel, einen Endpunct. Die -weiteren philosophischen Träumereien, ob man sich die Welt denken solle -als etwas ursprünglich Gutes, das schlecht geworden und nun im Banne -eines metaphysischen Willens wieder zum Anfänglichen zurückstrebe -- -ob das absolute Glück denkbar sei als absolute Ruhe oder harmonische -Bewegung -- das alles geht mich hierbei herzlich wenig an. - -Ich wahre durchaus den Standpunct des Naturforschers. Wenn aber ein -derartiges ideales Princip sich von diesem aus für die ganze sichtbare -Welt ergiebt, so hat auch der realistische Dichter ein Recht, sich -seiner zu bemächtigen, es als »Tendenz« in seinen Dichtungen erscheinen -zu lassen. Tendenz zum Harmonischen, Gesunden, Glücklichen: -- -- -- -was will man mehr von der Kunst? Giebt es einen besseren Boden für -die Aesthetik, um ihren menschlichen Begriff des Schönen darauf zu -bauen? Es ist hier nicht meine Aufgabe, zu zeigen, wie dieser Begriff -des Schönen selbst sich im Einzelnen aus dem Begriffe des Normalen, -Gesunden entwickelt, ich beschränke mich auf die Grundlagen. Es wird -nicht Wenigen so vorkommen, als sinke die realistische Dichtung -durch Anerkennung jener Tendenz von ihrer hohen Sonderstellung jäh -wieder herab zum Gewöhnlichen. Wenn die Tendenz zum Glücke wieder -oben anstehen soll, so hat ja auch der billigste Liebesroman, dessen -einziges Ziel ist, dass »sie sich bekommen«, das Recht der Existenz -damit zurück erhalten. In Wahrheit will das nichts heissen. Der -realistische Dichter soll das Leben schildern, wie es ist. Im Leben -waltet die Tendenz zum Glück, zur Gesundheit als Wunsch, nicht als -absolute Erfüllung. Das wird der Dichter durchaus anerkennen müssen. -Er wird sich stets fernhalten von dem Unterfangen, uns die Welt -als ein heiteres Theater darzustellen, wo alle Conflicte zum Guten -auslaufen. Eine unerbittliche Nothwendigkeit wird ihn zu den schärfsten -Consequenzen zwingen, und wenn er, was nicht zu vermeiden, das -Ungesunde in sein Experiment hineinzieht, so ist er verpflichtet, es in -seinem ganzen Umfange zur folgerichtigen Entwicklung zu bringen. Seiner -Tendenz dient er dann eben bloss im Negativen, im Contraste. - -Im Allgemeinen kann ich auch hier nur wiederholen, was bereits -öfter gesagt ist: der Realismus hat gar kein Interesse daran, -allenthalben mit der Prätention des durchaus »Neuen« aufzutreten. Seine -wesentlichste Mission ist, zu zeigen, dass Wissenschaft und Poesie -keine principiellen Gegner zu sein brauchen. Das kann aber ebenso -gut geschehen, indem wir wissenschaftlichen Factoren in der Dichtung -zu ihrem Rechte verhelfen, wie gelegentlichen Falles auch, indem wir -einen Zug zum Idealen in der Wissenschaft nachweisen. Nur allein das -Metaphysische muss uns fern bleiben. Das Streben nach harmonischem -Ausgleich der Kräfte, nach dauerndem Glück ist in jeder Faser etwas -Irdisches. Hier auf Erden ringt der Einzelne nach Seligkeit, hier -auf Erden pflanzen wir in heiterem Bewusstsein Keime zum Segen der -kommenden Geschlechter. Die dunkle Welt des Metaphysischen sagt hier -nichts, hilft nichts, hindert nichts; sie kann, wie ich das ausgeführt -habe, einen tröstenden Gedanken abgeben beim Tode; an Glück und Unglück -im Leben ändert sie nichts. - -Jene Schule des Realismus, die gegenwärtig so viel Staub aufwirbelt, -hat uns mit beharrlichem Bemühen in einer langen Reihe von -psychologischen Gemälden mit dem traurigen Bankerotte des menschlichen -Glücksgefühls in Folge krankhafter Verbildung bekannt zu machen -gesucht. Ich erwarte eine neue Literatur, die uns mit derselben Schärfe -das Gegenstück, den Sieg des Glückes in Folge wachsender, durch -Generationen vererbter Gesundheit, in Folge fördernder Verknüpfung des -schwachen Individuellen mit einem starken Allgemeinen in Vergangenheit -und Gegenwart vorführen soll. Auch dafür giebt es Stoff genug in der -Welt, und zwar ist das gerade der Stoff, der in eminentem Sinne das -Ideale in der natürlichen Entwickelung darlegen wird. Das Ideale, von -dem wir nach Vernichtung so vieler Illusionen noch zu reden wagen, -liegt nicht hinter uns wie das Paradies der Christen, nicht nach -unserer individuellen Existenz in einer persönlichen Fortdauer im -Sinne der Jünger Mohammeds, nicht ganz ausserhalb des practischen -Lebens in den Träumen des Genies, des Poeten: es liegt vor uns in der -Weise, dass wir selbst unablässig danach streben und in diesem Streben -zugleich das Wohl unserer Nachkommen, die Erfüllung derselben im -Ideale anbahnen helfen. Das soll uns die Dichtung zeigen. Idealisiren -muss für sie nicht heissen, die realen Dinge versetzen mit einem -Phantasiestoffe, einem narkotischen Mittel, das Alles rosig macht, aber -in seinen schliesslichen Folgen unabänderlich ein Gift bleibt, das -den normalen Körper zerstört -- sondern es muss heissen, den idealen -Faden, den fortwirkenden Hang zum Glücke und zur Gesundheit, der an -allem Vorhandenen haftet, durch eine gewisse geschickte Behandlung -deutlicher herausleuchten zu lassen, ungefähr wie ein Docent bei -einem Experimente sehr wohl die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf eine -bestimmte Seite desselben lenken kann, ohne darum den natürlichen -Lauf zu verfälschen. Die oberste Pflicht des Dichters hierbei muss -freilich allezeit Entsagung sein. Wie schon betont: das Wollen, das wir -in der Natur sehen, ist selbst noch keine Erfüllung. Je gesunder der -Poet selbst ist, desto eher wird er in die Gefahr gerathen, einerseits -das Ungesunde zu grell zu malen, andererseits seine Welt gewaltsam -als ein Reich der Gesundheit ausmalen zu wollen. Das Wirkliche muss -hier als ewiger Corrector die Auswüchse beseitigen. Für den Standpunct -des natürlichen Ideals in der allgemeinen Werthschätzung ist es -schliesslich immer noch besser, man lässt es zu schwach durchschimmern -im Gange der geschilderten Begebenheiten, als man profanirt es in der -Weise des alten metaphysischen Ideals durch künstliches Auffärben. - -Eine realistische Dichtung aber ganz ohne Ideal -- -- -- das ist mir -etwas Unverständliches. Im Märchen mag gelegentlich alles schwarz -sein. Im Leben giebt es dunkle Sterne und dunkle Menschenherzen. Aber -um den finstern Bruder, mit dem ihn am Himmel das Gesetz der Schwere -verkettet, kreist der helle Sirius -- neben den kranken Seelen wandeln -gesunde. Wer die Welt schildern will, wie sie ist, wird sich dem nicht -verschliessen dürfen. - - - - -Sechstes Capitel. - -Darwin in der Poesie. - - -Es giebt ein psychologisches Gebiet, das wie kein anderes geschaffen -ist, den Blick des Dichters, der in die Tiefen der menschlichen -Tragödie einzudringen sucht, mit magischem Banne zu fesseln. Es -ist die Erscheinung des bahnbrechenden Genies, des Entdeckers, -Erfinders, Reformators auf irgend einem Boden, den noch keiner -bebaut hat. Wechselnde Bilder ziehen bei dem einfachen Worte durch -den Vorstellungskreis des Gebildeten. Ein Hauch des Einsamen, -Weltentrückten, der menschenleeren Wüste streift seine Stirn, durch -sein geistiges Auge zittert der verlorene Schein des Lämpchens in der -Zelle des verlassenen Grüblers, ein Rauschen von Wogen berührt sein -Ohr, über denen schwere Nebelmassen die Fernsicht nach jungfräulichem -Inselboden für den Blick der Welt verhüllen. Christus, der dem -Zwiegespräch der Geister in der Einöde lauscht, Gutenberg, der im -stillen Gemache seine Lettern fügt, Columbus, der die Wellen eines -neuen Meeres an sein Steuer branden lässt, treten aus dem Schatten -der Geschichte hervor. Aber aus dem Strahlenkreise der Vision -steigt auch das blutige Kreuz von Golgatha, klirrt die Kette an den -Armen des hispanischen Admirals, tönt der Seufzer des sterbenden -Buchdruckermeisters von Mainz, den sie um die Früchte seiner Arbeit -betrogen. Der prüfende Geist öffnet sich der Frage: Was für ein -Phänomen der irdischen Entwickelungslinie wandelt in diesen Bildern der -Einsamkeit, der Grösse und des Martyriums an uns vorüber? Wieder, wie -bei den grossen Problemen, die ich früher gestreift, steht die Antwort -in erster Linie dem Naturforscher zu. - -Um was es sich handelt, das ist nichts Wichtigeres und nichts -Geringeres, als die Bildung einer neuen Art. - -Die Zeit ist noch nicht allzu fern, wo der Naturforscher sich bei -diesem Begriffe nicht viel denken konnte. Heute ist das anders. Die -gesammte Formenwelt des Organischen hat sich herausgestellt als eine -mächtige, in tausend und tausend Adern zerspaltene Entwickelungswelle, -in der das Geschlecht des Menschen nur einen einzigen Ast bildet. - -Tief an der Wurzel schon zertheilt in die Doppellinie des Pflanzlichen -und des Thierischen, reicht diese Welle aus uralten Zeiten herauf -bis zum heutigen Tage. Hervorgegangen aus sehr einfachen Urformen, -hat sich innerhalb des Ganzen allmählich eine Fülle verschiedener -Typen ausgebildet, die theils nebeneinander fortbestanden, theils -ausstarben und Neuem Platz machten. Darwin hat zuerst in der -allgemein bekannten einfachen Weise gezeigt, wie in Folge der -äussern, örtlichen Bedingungen, in die das organische Leben auf der -Erde bei fortschreitender Vermehrung versetzt war, die Bildung der -Arten aus gleicher Urform sich annähernd logisch erklären lässt. -Ich kenne sehr wohl die Schwierigkeiten, die uns noch auf Schritt -und Tritt hier begegnen. Aber sie sind gerade für den Punct, auf -den ich für die Betrachtung des menschlichen Entdeckergenies hinaus -will, nebensächlicher Natur. Für gewöhnlich giebt es ein organisches -Vererbungsgesetz, welches vorschreibt, dass die Nachkommen eines -bestimmten Mitgliedes einer Thier- oder Pflanzenart durchaus den Eltern -gleichen, also wiederum den Arttypus rein darstellen müssen. Indessen, -dieses Gesetz erleidet Störungen, die an sich zwar so geringfügiger -Natur sind, wie die unablässigen kleinen Störungen der Planetenbahnen. - -Chemische und physikalische Einflüsse machen sich hier geltend, die wir -im Detail noch nicht verfolgen können. Das Resultat sind unablässige -individuelle Abneigungen der Jungen von den Eltern, meist zu klein, um -als wahre pathologische Abnormitäten zu gelten, aber doch stark genug, -eine gewisse Rolle im Leben des Individuums zu spielen; von einem Wurf -junger Katzen können alle drei gesund sein, wenn auch jede anders -gefärbt ist, und es muss schon eine sechs Beine haben oder zeitlebens -blind bleiben, um pathologisch als Abnormität aufgefasst zu werden. - -Diese anscheinend zwecklosen Varietäten innerhalb des Normalen -werden aber von Wichtigkeit, wenn die äussern Existenzbedingungen -der ganzen Art sich in Folge klimatischer oder sonstiger Umwälzungen -verändern. Wenn ein Land plötzlich kältere Winter bekommt, kann der -sonst werthlose Umstand, dass eine Katze vermöge kleiner individueller -Abweichung doppelt so dichtes Haar besitzt als die übrigen, von -entscheidender Wichtigkeit werden, kann sogar bewirken, dass sie allein -mit denjenigen ihrer Jungen, die das starke Kleid geerbt haben, alle -andern überdauert und Stammmutter einer neuen Spielart mit wolligerem -Pelze wird. Das Ueberdauern der Andern bezeichnet dabei ein Schlagwort -als: Sieg im Kampfe um's Dasein. - -Innerhalb des Thierischen ist die als Beispiel gewählte Katze ein -Genie. Es ist ihr etwas vererbt, etwas in ihr gegeben, das mit Hilfe -des zufälligen Zusammentreffens der vorhandenen Gabe und des äussern -Bedürfnisses zu einer Erfindung, einem Fortschritte wird. Dieses Genie -wird, schematisch gesprochen, geboren als eine willkürliche, ziellose -Linie, die aber im Leben plötzlich in's Herz einer Scheibe trifft und -ihren Entsender zum Schützenkönige macht. Und die Art, wie dieses Genie -sich auf die Nachkommen überträgt, wo es normale Gabe aller wird, ist -die directe der körperlichen Vererbung. - -Stellen wir jetzt daneben das menschliche Genie. Zunächst handelt es -sich hier um etwas weit Feineres, nämlich einen Gehirnprocess. Ein -Mensch wird geboren, dessen Art zu denken, Vorstellungen zu verknüpfen, -eine gewisse individuelle Besonderheit aufweist, die, ohne pathologisch -zu werden, doch innerhalb des Spielraums des Normalen ihre Eigenart -wahrt. Die Linie, von der ich eben sprach, ist damit gegeben, aber -sie ist noch völlig ziellos. Tausend Genies bleiben einfach unter -der Masse verborgen, weil ihre Linie nie das Centrum einer Scheibe -trifft. Dieses Treffen hängt von bestimmten Möglichkeiten ab. Es muss -irgendwo in der Nähe eine Zielscheibe stehen, ein Stoff sich finden, -an dem das Genie sich bewähren kann. Solche Stoffe liegen zu gewissen -Zeiten in der Luft. Man denke an die Entdeckungen, die von drei oder -vier Menschen fast zu gleicher Zeit gemacht wurden. Man denke daran, -was Luther oder Copernicus oder Columbus bereits vorfanden. Wir -nehmen an, das Genie ist geboren, der Stoff, an dem es sich bewähren -kann, ist auch gegeben. Der betreffende Mensch besitzt jetzt etwas, -eine Idee, ein geistiges Plus, das ihn von allen seinen Mitmenschen -zugleich scheidet und fördernd heraushebt. So weit ist der Process -gänzlich dem oben skizzirten bei der Neubildung einer zoologischen -oder botanischen Spielart analog. Durchaus anders aber gestaltet sich -der weitere Verlauf im Kampfe um's Dasein. Das doppelte Wollhaar -des Raubthiers war etwas vom Individuellen Untrennbares. Es haftete -an der Person, es schützte diese Person im Kampfe um's Dasein, und -es übertrug sich von ihr zu neuen Personen auf dem Wege physischer -Vererbung im Zeugungsprocess. Anders bei der menschlichen Idee, die -das Genie durch Zusammenstoss mit einem äussern Zündstoffe entfesselt. -In den allermeisten Fällen emancipirt diese sich sehr schnell vom -Individuellen, dem eine körperliche Uebertragung durch Vererbung doch -nicht gegeben ist, dessen einzelne Person also weiterhin nebensächlich -ist. Die Idee überträgt sich von Gehirn zu Gehirn, kämpft vermöge ihrer -bessern Kraft sich durch im Kampfe um's Dasein mit andern Ideen und -befestigt sich schliesslich als eiserner Bestand im Denkapparate der -ganzen Culturmenschheit. In dieser Loslösung der Idee von ihrem Urheber -liegt das tragische Schicksal des Genies als Person; die Idee, indem -sie als Macht im Kampfe um's Dasein auftritt, kämpft für sich, nicht -für ihren Urheber. Die Tragik ist bitter, darüber kann kein Zweifel -bestehen. Man fühlt sich manchmal berufen, die Natur grausam zu nennen -wegen der groben Mittel, die sie im Daseinskampfe zur Schöpfung einer -neuen Thier- oder Pflanzenart anwendet; die Wiege des Fortschritts, -des Neuen im Geistesleben der Menschheit ist in dem Sinne das ärgste -Procrustesbett, das überhaupt denkbar ist; das Individuum gilt hier -gar nichts mehr. Aber eine vernünftige Lebensphilosophie muss sich in -diese Thatsachen zu finden wissen. Jene Idee, die unter dem Nebel all' -des mystischen Beiwerks doch immer die Herzen der Menschen am meisten -im Christenthum angesprochen hat: die stille Resignation, dass der -Einzelne am Kreuze sterben müsse, damit sein Werk ein beglückendes -Evangelium für viele Tausende werde -- sie wird bleiben, auch wenn -kein Wort mehr von aller christlichen Metaphysik Gläubige finden -sollte -- weil sie eine tiefe Wahrheit enthält. Nicht der Mensch siegt -im Kampfe um's Dasein, sondern die Idee: so lautet derselbe Satz in -wissenschaftlicher Form. Er enthält zugleich eine Formel für die -Thatsache und einen Trost. Denn schliesslich, wenn der Mensch auch -nicht, wie das bevorzugte Thier in jenem Beispiele von dem doppelten -Wollpelze, am eigenen Leibe die Segnungen dessen fühlt, was sein Gehirn -in dunkler Mission ausgestreut, so sieht er doch als bewusstes Wesen -die Siegesbahn seiner Idee auch noch in ihrer Trennung von seinem -Selbst und empfindet ihren Glanz als versöhnende Wärme. - -Ich habe das erfinderische Genie mit Absicht aus der reichen Fülle -der Erscheinungen im menschlichen Dasein herausgegriffen, die man im -engern Sinne als darwinistische Probleme auffassen kann. Ich denke, -dass schon dieses eine Beispiel genügt, um zu zeigen, wie sehr man sich -hier vor willkürlicher Uebertragung einfacher biologischer Gesetze auf -die complicirten Phänomene des menschlichen Geisteslebens hüten muss. -Die Anlage, die Zielscheibe, der Kampf um's Dasein: alles spielt auch -hier seine Rolle. Aber der Verlauf ist gerade in wesentlichen Puncten -ein anderer. Unendlicher Stoff für den Dichter liegt allerdings auf -diesen Gebieten. Sowohl das Aufstreben des Neuen wie das Absterben des -Veralteten, die geheimnissvollen Processe, wie das Gesunde verdrängt -wird durch ein Gesunderes, wie es zum Ungesunden herabsinkt durch -haltlose Opposition gegen das bessere Neue, ohne selbst das alles -begreifen zu können -- sie sind seit alten Tagen die Domäne der -Poesie, ohne dass man sich in der rechten Weise über die eigentlichen -Gesetze, die darin walten, und ihre Beziehungen zu den Darwin'schen -Gedanken hat klar werden wollen. Man kann wohl verlangen, dass ein -realistischer Dichter +nach+ Darwin kein Bedenken mehr trägt, die Dinge -beim rechten Namen zu nennen. Aber es gehört dazu in erster Linie ein -ernstes Studium. Allgemeine Schlagwörter beweisen nichts. Man mache -sich daran und entwickele uns zunächst, was noch nicht ordentlich -versucht worden ist, die darwinistischen Linien in der Geschichte; -man prüfe die Werke ausgezeichneter Beobachter wie Shakespeare -im Einzelnen auf das ganze Princip. Dann wird man dahin kommen, -Sätze aufstellen zu können, die den Schlagwörtern einen lebendigen -Zusammenhang mit der ganzen Wissenschaft geben. Zahllose Puncte sind -dabei im Auge zu behalten. Die einfache Zuchtwahl durch persönliches -Emporkämpfen und dadurch ermöglichte Gründung einer Familie, die mit -jener Ideenneuerung im Genie nichts zu schaffen hat, bei der neben den -geistigen vor allen auch die körperlichen Fähigkeiten, Arbeitskraft, -weibliche wie männliche Schönheit und anderes, mitspielen, ist beim -Menschen natürlich nicht erloschen und wahrt ihre alte Rolle. Das -ganze sociale Leben mit all' seinen Klippen und Irrthümern, seinen -Triumphen und Fortschritten fordert die Beleuchtung vom Darwin'schen -Gesichtspuncte aus. Aber was schon im eng beschränkten Thier- und -Pflanzenleben seine ernsten Schwierigkeiten bietet, wird hier vollends -zu einem fast unentwirrbaren Gewebe. Körperliche Gesundheit als -Vortheil im Daseinskampfe findet ihr Aequivalent in Geldmitteln, -die Kraft der Sehnen wird gleichwerthig ersetzt durch die bessere -Molecularconstruction des Gehirns, die unerbittliche Strenge des -Gesetzes vom Recht der Stärkern sieht sich seltsam durchkreuzt von -einem bereits gewaltig angesammelten Fond humaner Anschauungen, die -wieder von einer das Gesetz überbietenden Brutalität auf der andern -Seite paralysirt werden. Der Dichter, der sich mit Muth der Aufgabe -unterzieht, in jeder einzelnen Thatsache hierbei ein Glied grosser -Ketten nachzuweisen, sieht sich allerdings auch darin belohnt, dass er -jede, auch die geringfügigste Erscheinung, so fern sie nur echt dem -Leben entspricht, zum Gegenstande höchst interessanter Darstellungen -machen kann. Im Lichte grosser, allgemeiner Gesetze kann die an und für -sich nicht sehr poetische Chronik eines Krämerviertels, das ein grosses -Magazin im modernsten Stile nach und nach vollkommen todt macht, von -höchster dramatischer Wirkung werden, ein Motiv, das Zola in einem -seiner besten Romane bereits mit Geschick durchgeführt hat. Die kleinen -Thatsachen in dieses Licht des Allgemeinen, Gesetzlichen, höheren -Zielen Zustrebenden heraufrücken: das ist ja eben die idealisirende -Macht, die der Dichter hat. Das werthlose Gezänk über Werth und -Grenzen der Detailmalerei kann hier keine Geltung beanspruchen. Gerade -das Studium der biologischen Phänomene der Artumwandlung, wie es -Darwin angebahnt, führt von selbst darauf, dass wir uns gewöhnen, den -kleinsten Ursachen, den winzigsten Fortschritten und Störungen unter -Umständen die allergrösste Wichtigkeit beizulegen. Der Dichter, der nur -Einiges von Darwin gelesen, wird mit ganz anderer Werthschätzung an die -Dinge des täglichen Lebens herangehen und sich sagen, dass nicht das -Ungeheuere, Welterschütternde allein die geistige Durchdringung durch -die dichterische Anschauung ermögliche, sondern auch das Kleine -- -wofern nur der Poet den nöthigen hellen Kopf mitbringt. Denn hohe Ideen -aus der Sonne zu lesen ist unverhältnissmässig viel leichter, als aus -einem Sandkorn. - -Eine andere Bereicherung als Frucht darwinistischer Studien erblicke -ich in dem verschärften Verständniss des Dichters für die längere -Zeitdauer, die jeder Entwickelungsprocess auch im Menschenleben in -Anspruch nimmt. Wie die Welt nicht in sieben Tagen geschaffen ist, so -schafft sich auch keine psychologische Thatsache von heute auf morgen. -Unsere Bücher sind zwar voll von einer Liebe, einem Hass, die sich -einer geschleuderten Dynamitbombe gleich ohne alle Prämissen entladen; -der naturwissenschaftlich gebildete Dichter wird hier sceptischer zu -Werke gehen. - -Unsere älteren grossen Meister -- Shakespeare, der Zeitgenosse Bakons, -und Göthe, der unmittelbare Vorgänger Darwin's -- bleiben dabei nach -wie vor unsere Führer und Lehrer. Gerade auf dem darwinistischen -Gebiete scheint mir der allgemeine Werth der Methode die Hauptsache, -die den Dichter fördern muss -- viel mehr noch als das nähere -Eingehen auf Fragen der Zuchtwahl. Ich will, um noch einen dritten -dahin gehörigen Punct herauszugreifen, auch Gewicht legen auf die -Rolle des oft verkannten Wortes Zufall in der Dichtung. Was ist -naturwissenschaftlich gesprochen -- Zufall? - -Nicht Wenige, die sich im Allgemeinen an das Causalprincip gewöhnt -haben, wie es die logische Wissenschaft lehrt, meinen in Folge -dessen jeden Zufall, der als Factor in einer Dichtung auftritt, -schlechtweg als unerlaubten deus ex machina verwerfen zu müssen. -Im letzten Grunde der Erscheinungen hängt ja Alles zusammen, das -ist richtig. Trotzdem bietet die Welt von einem Standpuncte wie -unserm menschlichen, der gewissermassen sehr weit ab in der grossen -Kette liegt, das schematische Bild einer unendlichen Menge in sich -geschlossener Linien dar, innerhalb deren alles causal verknüpft ist -und ohne fremde Beihilfe weiterläuft. Jede Kreuzung zweier dieser -Linien erscheint vom Standpuncte der beiden einzelnen wie ein in -keinem ihrer eigenen Richtungsgesetze begründeter grober Stoss von -aussen. Diesen jedesmaligen Kreuzungsstoss nennen wir Zufall. Vom -hypothetischen Standpuncte einer Kenntniss sämmtlicher anfänglicher -Richtungsverhältnisse aller causalen Sonderlinien zueinander, -also einer mathematisch exacten Vorstellung von der anfänglichen -Atomlagerung der irdischen Welt aus hörten die Empfindungen dieses -unerwarteten Stosses und damit der Zufall als Sonderbegriff auf -zu existiren. Der menschliche Standpunct den Dingen gegenüber ist -hiervon noch sehr weit entfernt. Wenn ich in einer Weltstadt von zwei -Millionen Einwohnern an einem Tage mit meiner individuellen Linie -ohne jede bewusste Abneigung zu einer zweiten hin vier Mal auf diese -zweite treffe, also einem und demselben Bekannten vier Mal an vier -verschiedenen Orten, die wir beide ohne Kenntniss von der Anwesenheit -des andern aufsuchten, begegne, so bleibt mir das, aller atomistischen -Nothwendigkeit unbeschadet, persönlich ein vierfacher Zufall. Oder im -oben gewählten Beispiele von der neu entstehenden Raubthierart: wenn -dort die in sich geschlossene Causalitätsreihe innerhalb des doppelt -behaarten Individuums mit der absolut unabhängigen klimatischen -Causalitätsreihe, die den strengeren Winter bewirkt, zusammenstösst, -so ist dieser Zusammenstoss Zufall. Das Weitere nicht mehr; denn die -Erhaltung jenes Individuums und die folgende Ausbildung einer neuen -Rasse sind von da ab logische Consequenzen des Zufalls, der als solcher -den Ausgangspunct einer neuen, selbstständigen Causalitätslinie -bildet. Vom Dichter verlangen, dass er diesen Erscheinungen gegenüber -seinen menschlichen Betrachtungsstandpunct aufgeben und uns nur noch -überall geschlossene Linien vorführen sollte, hiesse denn doch gerade -die Wirklichkeit in seinen Bildern antasten. Wir wissen physikalisch -sehr gut, dass unsere Auffassung beispielsweise von der Farbe der -Gegenstände eine illusorische ist, indem wir die Farbe an den Dingen -haftend glauben, während sie in unserm Auge liegt; soll etwa deswegen -der Dichter nicht mehr von rothen Rosen oder blauem Himmel sprechen? -Ja, man kann geradezu sagen, dass eine schärfere Beachtung des Zufalls -in seiner thatsächlichen Erscheinung den Dichter eher darauf führen -wird, ihm eine mehr, als eine weniger wichtige Rolle zuzuertheilen. -Man führe -- was fachwissenschaftlich bei Gelegenheit angeblicher -mystischer Phänomene, zweitem Gesicht, Prophezeiungen und Aehnlichem -fast zur Pflicht wird -- nur eine kurze Zeit seines Lebens einmal Buch -über die Zufälle, denen man begegnet, vor allem die mehrfachen in -derselben Sache. Man wird selbst staunen, welche Resultate man erhält, -wie merkwürdig unwahrscheinlich das alltäglichste Leben im Grunde -genommen ist! Hier und da, an einer Spielbank zum Beispiel, sind die -tollsten Beobachtungen dieser Art in einem einzigen Tage zusammen zu -bringen. In diesem Puncte aber ist das ganze Leben ein ununterbrochenes -blindes Glücksspiel. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit -- und hier -liegt der Knoten -- der Begriff, den wir in jedem prüfenden Augenblicke -hineinschmuggeln, ist eben in Wahrheit nichts Reales. Für unsern -Standpunct ist es, wenn wir einen Würfel fallen lassen, selbst wenn -er fünf leere Seiten hat, positiv nicht wahrscheinlicher, dass eine -der leeren, als dass die einzige bezeichnete Seite nach oben zu liegen -kommt. Jede Wahrscheinlichkeit hört der freien Macht des Zufalls in -der Welt gegenüber auf, gerade weil der Zufall im letzten Ende auch -ein Nothwendiges, uns aber völlig Verhülltes einschliesst. Ich weiss -recht wohl, dass sich das ganze Innere des logisch denkenden Kritikers -auflehnt, wenn ein Poet uns eine Liebesgeschichte erzählt, die auf -fünf oder sechs groben Zufällen, wie ungewolltes Begegnen, aufgebaut -ist. Und doch spreche ich es rund als meine Ueberzeugung aus, dass -man Bände füllen könnte mit der einfachen Aufzählung der grossen und -kleinen Zufälle, die bei einer nicht annähernd gleich verwickelten -Geschichte im wahren Leben bei peinlicher Beobachtung sich ergeben -würden, denn mit jedem Schritt, den wir thun, kreuzen wir fremde -ungeahnte Causalitätsreihen, die in Folge der neuen Reihe, die aus dem -Contact hervorgeht, eine Macht innerhalb unserer eigenen Linie werden. -Ein ganzes Menschenleben bis in dieses feine Gewebe seines Schicksals -hinein zu zergliedern: das wäre ein Kunstwerk, wie wir es noch nicht -einmal ahnen. In Wahrheit giebt es wenige Puncte, die dem Beobachter so -schmerzlich nahe legen, wie weit unsere Kunst in all' ihrer Erfassung -des Menschlichen noch hinter der Wirklichkeit zurücksteht. - -Das Wort des alten Malers bei Zola muss uns trösten: »Arbeiten wir!« -Arbeit steckt auch in all' diesen darwinistischen Problemen, Arbeit -nicht bloss für den Naturforscher, sondern auch für den Dichter. -Sagen wir uns unablässig, dass die Arbeit, das harte, mit dem Leben -ringende Künstlerstreben, unser wahres Erbe von den grossen Geistern -der Vergangenheit her ist, nicht das unklare Träumen. Genialität wird -geboren; aber das Ausleben der Genialität ist unablässige Durchdringung -des Stoffes, ist ewiges Studium; wenn sie das nicht ist, so ist sie -eine Krankheit, für die der schonungslose Kampf um's Dasein die ideale -Nemesis wird, indem er sie ausrottet. - - - - -Siebentes Capitel. - -Eine Schlussbetrachtung. - - -In dem Augenblicke, wo ich diese Studie abschliesse, hat die -realistische Bewegung bei uns in Deutschland eine Form angenommen, -die es mehr und mehr wünschenswerth erscheinen lässt, das Wort zu -friedlicher Verständigung zu ergreifen. Während in Russland und -Frankreich muthige Werkmeister sich in harter Arbeit um die neuen -Stoffe der Dichtung mühen und, bald mit falschen, bald mit treffenden -Schlägen, doch unablässig das Rohmaterial gefügig machen und das -Instrument üben, vernimmt man bei uns viel Lärm und sieht wenig -Früchte. Man ist allerdings bisweilen geneigt, das laute Geschrei -bloss für das harmlose Jauchzen von Schulknaben zu halten, die einen -freien Tag haben, weil ihre Lehrer zu stiller, ernster Conferenz über -die wichtigsten Fragen des Unterrichts zusammengetreten sind. Werden -wir erleben, dass auch die Stimme der Meister einmal laut wird und uns -in anderer Weise, als das Gezwitscher der Jungen es vermochte, von -der Bedeutung der Stunde Rechenschaft ablegt? Wir haben es schon oft -gesehen, dass der Deutsche zuletzt kam, dann aber dem Ganzen die Krone -aufsetzte, indem er ihm aus der Tiefe seiner geistigen Entwickelung -heraus Dinge verlieh, die keine andere Nation je besessen. Ich bin -auf diesen Blättern wiederholt gezwungen gewesen, den Namen Zola zu -nennen, und ich kann es als meine ruhige Ueberzeugung auch hier noch -einmal aussprechen, dass mir Zola in vielen Puncten sehr hoch steht, -sowohl in seinem Können, wie in der Ehrlichkeit seines Wollens. -Aber ich möchte diese fragmentarische Behandlung des realistischen -Problems nicht schliessen, ohne vorher noch mit ein paar Worten auch -dem deutschen Antheil an der Entstehung jener ganzen Richtung -- -wie immer unsere Besten im Augenblick sich zu ihr stellen mögen -- -gerecht geworden zu sein. Wenn die Literaturgeschichte dereinst mit -dem Werkzeuge einer geläuterten darwinistischen Methode die Wurzeln -dessen aufdecken wird, was wir jetzt Realismus in der Poesie nennen, -so wird der Hass der gereizten Parteien sich versöhnen müssen in -der Erkenntniss ihres gemeinsamen Ursprungs. Einseitige Beurtheiler -schmähen heute in Zola das Stück Victor Hugo, das unbezweifelbar -in ihm steckt; die einsichtigere Zukunft wird sich mit Ruhe sagen -dürfen, dass es sich hier einfach um eine Entwickelung handelt, -dass der Zola'sche Realismus sich folgerichtig als zweite Stufe des -bessern Theils in Victor Hugo aus dem Hugo'schen Idealismus ergeben -musste. Nicht anders ergeht es uns in Deutschland. Indem wir scheinbar -neue Wege wandeln werden, werden wir unbewusst doch nur das bessere -Theil unserer grossen literarischen Vergangenheit ausbauen. Welch' -himmelweite Kluft trennt scheinbar eine deutsche Dichtung, die sich in -dem von mir im Vorstehenden ausgeführten Sinne mit den Principien der -Naturwissenschaft in Einklang setzt, von einem Freytag'schen Romane! -Und doch ist das alles nur scheinbar. Als Freytag den tiefen Ausspruch -Julian Schmidt's zum Motto machte: »Die Dichtung soll das Volk bei der -Arbeit aufsuchen«, war er nach den Träumen der Romantik im Grunde der -Begründer des Realismus. Anderes hat dann, sollte man glauben, die -Linie abgelenkt, die Richtung auf das Historische hat den Roman wieder -auf ein neues Gebiet gedrängt. In schärferer Beleuchtung erscheint -auch das als ein realistisches Symptom. Man wollte die Ahnen in der -Dichtung sehen, um die Enkel in ihrer Arbeit zu begreifen. Leichter -Sinn sieht in diesen krausen Gängen, die das Princip gewandelt, eine -Modekrankheit. Das heisst nichts. Krankhaft war allerdings und ist hier -mancher Detailzug geblieben, wie ich das in dem Capitel über die Liebe -vielleicht schroff, aber als volle Ueberzeugung ausgesprochen. Doch -selbst dieser Tadel trifft kaum die Bessern, fast nur die Kleinen. Die -historische Dichtung als Ganzes war eine berechtigte Pionierarbeit -- -grösser und glänzender als sie, folgt ihr freilich jetzt die Aufgabe, -das Geschichtliche nicht darzustellen in künstlich belebten Bildern des -Vergangenen, sondern in seiner lebendigen Bethätigung mitten unter uns, -in seinen fortschwirrenden Fäden, in seiner Macht über die Gegenwart. - -Von diesem freien Standpuncte aus verliert der Kampf um den Realismus -seine Bitterkeit. Die grosse Literatur, auf die wir stolz sind, -erscheint wieder als Ganzes, wo jeder Bedeutende sein Recht erhält. -Und am Ende, wenn auch bei uns in Deutschland der Realismus im neuen -Sinne einmal seine grossen Vertreter gefunden hat, wird als Summe -sich ergeben, dass wir, die wir auf einer stofflich reicheren und -tieferen Literatur fussen, als die Nachbarländer, auch nun in jenem -Gebiete fester und sicherer uns ergehen werden, als die Franzosen -und Engländer oder die Russen und Skandinavier. Gerade den Jüngeren, -die jetzt so viel Lärm schlagen, kann nicht genug an's Herz gelegt -werden, dass Realisten sein nicht heissen darf, die Fühlung mit -den grossen Traditionen unserer Literatur verlieren. Studirt Zola, -achtet ihn, helft die Kurzsichtigen im Publicum aufklären, die keinen -Dichter vertragen können, der im Dienste einer Idee selbst das Extreme -nicht scheut; aber gebt euch nicht blind für Schüler Zola's aus, als -wenn in Paris ein Messias erstanden sei, der alle alten und neuen -Testamente auflösen sollte. Studirt, was Zola sich zu thun ehrlich -bemüht hat, Naturwissenschaften, beobachtet, wendet Gesetze auf das -menschliche Leben an, das ist alles schwere Arbeit, aber es bringt -uns vorwärts. Und vor allem: vergesst nicht, dass ihr der deutschen -Literatur angehört, dass hinter euch Göthe und Schiller stehen und -dass ihr ein Recht habt, euch als deren Enkel selbstständig neben -den Schüler Balzac's und Nachfolger Victor Hugo's zu stellen, was -die Vergangenheit und den Bildungsgrad eures Volkes anbetrifft. Die -Wissenschaft ist internationales Gut, Jeder kann sie sich aneignen, -der sich der Mühe unterzieht. Aber bildet euch nicht ein, das leere -Poltern und Schreien hülfe irgend etwas. Ihr habt jetzt nach Kräften -auf den historischen Roman gescholten, obwohl darin doch wenigstens -ordentliche Arbeit, ordentliches Studium steckte. Ich will glauben, -dass das Schelten begründet war, wenn ihr zeigt, dass ihr mehr könnt, -dass ihr das unendlich viel erhabenere Problem zu lösen wisst, wie die -Fäden der Geschichte sich verknoten im socialen und ethischen Leben -der Gegenwart, wie man historische Dichtungen schreibt, die gestern -und heute spielen. Ihr habt die weiche, tändelnde Lyrik ausgepfiffen -auf allen Gassen. Auch das soll gut und recht sein, wenn ihr mir eine -neue Lyrik zeigt, die an Göthe und Heine organisch anknüpft und doch -selbstständig das Herzensglück und Herzensweh des modernen Menschen zum -Ausdruck bringt. Macht der Welt klar, dass der Realismus in Wahrheit -der höchste, der vollkommene Idealismus ist, indem er auch das Kleinste -hinaufrückt in's Licht des grossen Ganzen, in's Licht der Idee. Dann -werden die Missverständnisse aufhören. Der Leser wird nicht mehr der -Ansicht huldigen, wenn er eine realistische Dichtung aufschlüge, so -umgellte ihn das Gelächter von Idioten und Cocotten, und wenn man, -was überhaupt recht rathsam wäre, sich bloss genöthigt sähe, das -Romanlesen bei unreifen Mädchen etwas mehr einzuschränken in Folge des -Ueberwiegens der realistischen Richtung, so sollte das unser geringster -Schmerz sein. Freilich wird es auch ohne Missverständnisse noch manchen -harten Kampf kosten, bis die Mehrzahl der geniessenden Leser sich an -das schärfere Instrument des Beobachters gewöhnt haben wird. Das kommt -nicht von heute auf morgen. Zunächst muss das Vertrauen in der Menge -für den realistischen Dichter gewonnen werden, und wir werden gut thun, -die Schauerscenen nach Kräften zu vermeiden, so lange die Vorurtheile -noch so sehr gross sind. Auch werden die Lyrik und das Drama, die ja -immer mehr zum Herzen sprechen, den harten Tritt des Romanes dämpfen -helfen, wenn sie erst einmal zur Stelle sind. Am Ende wird auch die -Masse des Volkes besser sehen lernen, und das ist für alle Fälle ein -Gewinn. Die Poesie wahrt so nur ihre alte Rolle als Erzieherin des -Menschengeschlechtes, und indem sie es thut, darf sie hoffen, auf -freundlichem Boden sich mit der Naturwissenschaft zu begegnen. Beide -reichen sich dann die Hand in dem Bestreben, den Menschen gesund zu -machen. - -[Illustration: FINIS] - - - - -C. G. Röder, Leipzig. - - - - - Weitere Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend - korrigiert. Alte und unterschiedliche Schreibweisen wurden - beibehalten. - - Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen): - - S. 12: Methaphysische → Metaphysische - Das {Metaphysische} kann ich dabei nur streifen - - S. 53: uud → und - {und} indem der wachsende Embryo - - S. 57: letztere → letzteres - {letzteres} etwas Geistiges - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die naturwissenschaftlichen Grundlagen -der Poesie., by Wilhelm Bölsche - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTLICHEN *** - -***** This file should be named 51835-0.txt or 51835-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/1/8/3/51835/ - -Produced by Peter Becker and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. - Prolegomena einer realistischen Aesthetik - -Author: Wilhelm Bölsche - -Release Date: April 22, 2016 [EBook #51835] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTLICHEN *** - - - - -Produced by Peter Becker and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - - - - - - -</pre> - - -<div class="transnote"> -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.</p> - -<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am -<a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p> -</div> - -<div class="chapter"> -<h1><span class="smaller">Die naturwissenschaftlichen</span><br /> -Grundlagen der Poesie.</h1> - -<p class="center larger"><b>Prolegomena</b></p> - -<p class="center">einer realistischen Aesthetik</p> - -<p class="center smaller">von</p> - -<p class="h2">Wilhelm Bölsche.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/title_logo.jpg" alt="Signet" /> -</div> - -<p class="center p2"><b>Leipzig,</b><br /> -Verlag von Carl Reissner.<br /> -1887. -</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_iii">[III]</a></span></p> - -<h2 id="Vorwort">Vorwort.</h2> -</div> - -<p>Die nachfolgenden wissenschaftlichen Studien behandeln -in selbstständiger Abrundung das, was nach -meiner Ueberzeugung im ersten Buche jeder neuen, -unserm modernen Streben gerecht werdenden Aesthetik -seine Stelle finden müsste. Realistisch nenne ich diese -Aesthetik, weil sie unserm gegenwärtigen Denken -entsprechend nicht vom metaphysischen Standpuncte, -sondern vom realen, durch vorurtheilsfreie Forschung -bezeichneten ausgehen soll. Wie ich mir die Rolle -des besonnenen Realismus in unserer Literatur denke, -ist im ersten Capitel ausführlich entwickelt; die übrigen -behandeln einzelne Probleme, an denen der Naturforscher -und der Dichter gleich grossen Antheil nehmen. -Zurückweisen muss ich im Voraus alle Uebertreibungen, -die man von unberufener Seite an das Wort -Realismus geknüpft hat. Der Realismus ist nicht gekommen, -die bestehende Literatur in wüster Revolution -zu zerstören, sondern er bedeutet das einfache Resultat -einer langsamen Fortentwickelung, wie die gewaltige -Machtstellung der modernen Naturwissenschaften es<span class="pagenum"><a id="Seite_iv">[IV]</a></span> -nicht mehr und nicht minder ist. Jene Utopien von -einer Literatur der Kraft und der Leidenschaft, die in -jähem Anprall unsere Literatur der Convenienz und -der sanften Bemäntelung wegfegen soll, bedeuten mir -gar nichts; was ich von dem aufwachsenden Dichtergeschlecht -fordere und hoffe, ist eine geschickte Bethätigung -besseren Wissens auf psychologischem Gebiete, -besserer Beobachtung, gesunderen Empfindens, -und die Grundlage dazu ist Fühlung mit den Naturwissenschaften. -Leichte Plaudereien, wie sie der Spalte -eines Feuilletons ziemen, wird der Leser vergebens -auf diesen Blättern suchen, weder unfeines Schmähen -noch kritiklose Verhimmelung rechne ich unter die -nothwendigen Requisiten der neuen Sache. Die jungen -Kräfte, die jetzt so viel Lärm machen, werden schon -allein ihren Weg gehen; ich aber möchte durch eine -anständige Polemik sowohl wie durch einen anständigen -Vortrag überhaupt auch zu denen reden, die im -Banne älterer Anschauungen jede Form realistischen -Fortschritts mit zweifelndem Auge betrachten.</p> - -<p> -<em class="gesperrt">Berlin</em>, im Winter 1886. -</p> -<p class="right"> -<b>Wilhelm Bölsche.</b> -</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_1">[1]</a></span></p> - -<h2 id="Erstes_Capitel">Erstes Capitel.<br /> -Die versöhnende Tendenz des Realismus.</h2> -</div> - -<p>Durch die gesammte – und nicht zum Wenigsten -die deutsche – Literatur geht seit einiger Zeit eine -lebhafte Bewegung. Die Schaufenster der Buchhandlungen -wie die Spalten der Journale sind überfüllt -mit Streitschriften und Streitartikeln, die bereits durch -die Kühnheit der Titel von der Hitze der Kämpfenden -Zeugniss ablegen. Aber auch abgesehen von diesen -Kundgebungen der eigentlichen Ritter des Tourniers -fühlt sich jeder Einzelne im grossen Publicum mehr -oder weniger berufen, seinen Wahlzettel in die Urne -zu werfen. Denn das Wort ist gefunden, welches in -neun Buchstaben die Loosung des Ganzen enthüllen -soll. Dieses schicksalsschwere Wort heisst Realismus.</p> - -<p>Für die eine Partei ein goldenes Wort, eins aus -jener Reihe unvergänglicher Schlagwörter, die mit -ihrer prächtigen Kürze gleichsam die Stenographie der -Culturgeschichte darstellen, – ist es der andern ein -Gräuel, ein Hemmniss aller Fortentwicklung, der Name -einer bösen, wenn auch glücklicherweise vergänglichen -Krankheit.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_2">[2]</a></span></p> - -<p>Revolution der Literatur für jene, Aufdämmern -eines neuen Tages, weit heller und strahlender noch -als der junge Morgen, der sich einst in dem klaren -Auge Lessing's spiegelte und durch dessen weichende -Frühnebel der rasselnde Schritt des eisernen Ritters -von Berlichingen erklang, ist dieser die gleiche Erscheinung, -die hässliche Brandröthe eines Zerstörungskampfes, -das Blutmal am Himmel, das über der Stätte -des Mordens und Brennens plündernder Vandalenhorden -loht, es fehlt nicht an alten Fritzen, die im -Sanssouci ihrer unerschütterlichen Kunsttheorieen zweifelnd -die schönen, geraden Terrassen und Orangerieen -abschreiten und sich kopfschüttelnd fragen: Was soll -der Lärm?</p> - -<p>Verbrüderung aller nationalen Literaturen durch -die Blutsgemeinschaft gleicher Methode für die Schwärmer, -erscheint den Skeptikern der ganze Aufstand bei -uns in Deutschland nur als der feige Abklatsch einer -widerwärtigen Krankheitserscheinung im schlechteren, -in alter Sünde absterbenden oder in unwissender Roheit -der Halbbildung haltlos hin und her schwankenden -Nachbarlande, und, dem Franzosen gleich, der -das deutsche Bier als fremdes Gift verbannen möchte, -wäre ihnen nichts lieber, als eine literarische Grenzsperre -für alle fremden Einflüsse.</p> - -<p>Und endlich, was das Seltsamste ist: während die -Einen glauben, der Reinheit ihrer Gesinnung und dem -Genius poetischer Sittlichkeit nicht besser dienen zu -können, als in dem Gewande der neuen Ritterschaft, -meinen die Andern das Schwert gegen diese erheben -zu müssen zum Schutze der unschuldigen Gemüther -in der Welt, zum Schutze ihrer Söhne und Töchter, -denen der weihende Tempel des dichterischen Ideals<span class="pagenum"><a id="Seite_3">[3]</a></span> -kein Sündenhaus werden soll und keine Schnapsschenke.</p> - -<p>Jeder Vernünftige sieht, dass unter dem einen -Worte Realismus thatsächlich nicht immer das Gleiche -verstanden wird und dass sich hier Begriffe mischen, -die strenge Sonderung fordern. Es fehlt denn auch -nicht an besonneneren Stimmen, die sich bemühen, -Realismus in einer Weise zu definiren, die jeden -gröberen Irrthum ausschliesst.</p> - -<p>Ich gebe diese Definition zunächst in möglichst -allgemeiner Fassung wieder, um später den speciellen -Punct herauszugreifen, dem ich eine eingehendere -Betrachtung zu widmen gedenke.</p> - -<p>Die Basis unseres gesammten modernen Denkens -bilden die Naturwissenschaften. Wir hören täglich -mehr auf, die Welt und die Menschen nach metaphysischen -Gesichtspuncten zu betrachten, die Erscheinungen -der Natur selbst haben uns allmählich -das Bild einer unerschütterlichen Gesetzmässigkeit -alles kosmischen Geschehens eingeprägt, dessen letzte -Gründe wir nicht kennen, von dessen lebendiger Bethätigung -wir aber unausgesetzt Zeuge sind. Das -vornehmste Object naturwissenschaftlicher Forschung -ist dabei selbstverständlich der Mensch geblieben, -und es ist der fortschreitenden Wissenschaft gelungen, -über das Wesen seiner geistigen und körperlichen -Existenz ein ausserordentlich grosses Thatsachenmaterial -festzustellen, das noch mit jeder Stunde wächst, -aber bereits jetzt von einer derartigen beweisenden -Kraft ist, dass die gesammten älteren Vorstellungen, -die sich die Menschheit von ihrer eigenen Natur auf -Grund weniger exacter Forschung gebildet, in den -entscheidendsten Puncten über den Haufen geworfen<span class="pagenum"><a id="Seite_4">[4]</a></span> -werden. Da, wo diese ältern Ansichten sich während -der Dauer ihrer langen Alleinherrschaft mit andern -Gebieten menschlicher Geistesthätigkeit eng verknotet -hatten, bedeutete dieser Sturz nothwendig eine gänzliche -Umbildung und Neugestaltung auch auf diesen -verwandten Gebieten. Das bekannteste Beispiel hierfür -ist die Religion, deren einseitig dogmatischer Theil -durch die Naturwissenschaften zersetzt und zu völliger -Umwandlung gezwungen wurde. Ein zweites Gebiet -aber, das auch wesentlich in Frage kommt, ist die -Poesie. Welche besondern Zwecke diese auch immer -verfolgen mag und wie sehr sie in ihrem innersten -Wesen sich von den exacten Naturwissenschaften -unterscheiden mag, – eine Sonderung, die wir so -wenig, wie die Sonderstellung einer vernünftigen -Religion, antasten, – ganz unbezweifelbar hat sie -unausgesetzt, um zu ihren besondern Zielen zu gelangen, -mit Menschen und Naturerscheinungen zu thun -und zwar, so fern sie im Geringsten gewissenhafte -Poesie, also Poesie im echten und edeln Sinne und -nicht ein Fabuliren für Kinder sein will, mit eben -denselben Menschen und Naturerscheinungen, von -denen die Wissenschaft uns gegenwärtig jenen Schatz -sicherer Erkenntnisse darbietet. Nothwendig muss sie -auch von letzteren Notiz nehmen und frühere irrige -Grundanschauungen fahren lassen. Es kann ihr, was -Jedermann einsieht, von dem Puncte ab, wo das Dasein -von Gespenstern wissenschaftlich widerlegt ist, -nicht mehr gestattet werden, dass sie zum Zwecke -irgend welcher Aufklärung einen Geist aus dem Jenseits -erscheinen lässt, weil sie sich sonst durchaus -lächerlich und verächtlich machen würde. Es kann -ihr, was zwar nicht so bekannt, aber ebenso wahr ist,<span class="pagenum"><a id="Seite_5">[5]</a></span> -auch nicht mehr ungerügt hingehen, wenn sie eine -Psychologie bei den lebendigen Figuren ihrer Erzeugnisse -verwerthet, die durch die Fortschritte der modernen -wissenschaftlichen Psychologie entschieden als -falsch dargethan ist. Eine Anpassung an die neuen -Resultate der Forschung ist durchweg das Einfachste, -was man verlangen kann. Der gesunde Realismus -ermöglicht diese Anpassung. Indem er einerseits die -hohen Güter der Poesie wahrt, ersetzt er andererseits -die veralteten Grundanschauungen in geschicktem -Umtausch durch neue, der exacten Wissenschaft entsprechende. -Mit Genugthuung gewahrt er dabei, dass -die neuen Stützen nicht nur relativ, sondern auch absolut -besser sind, als die alten, und dass er bei Gelegenheit -dieser Anpassung der Poesie ein frisches -Lebensprincip zuführt, das nach vollkommener Eingewöhnung -höchstwahrscheinlich ganz neue Blüthen am -edeln Stamme des dichterischen Schaffens zeitigen -wird, die vormals Niemand ahnen konnte. Das ist in -abstracter Kürze die eigentlich verstandesgemässe -Definition des Realismus.</p> - -<p>So rund ausgesprochen, hat die Forderung, die -darin liegt, alle Eigenschaften, um den Kritiker oder -Dichter, dem die Poesie als ein leuchtendes Palladium -der Menschheit, das jede Zeit auf den höchsten Platz -ihres intellectuellen Könnens zu stellen verpflichtet -sein soll, eine wahre Herzenssache ist, zu ernstem, -wohlwollendem Nachdenken zu zwingen.</p> - -<p>Angesichts der gestellten Wahl muss er die ganze, -schwere Verantwortung empfinden, die in einem leichtsinnig -heraufbeschworenen Streite zwischen Poesie und -Naturwissenschaften läge. Er wird sich nicht stören -an die werthlose Phrase, dass ein solcher Conflict<span class="pagenum"><a id="Seite_6">[6]</a></span> -nothwendig im Wesen der beiden Geistesgebiete begründet -sei. Er wird vielmehr den Blick haften -lassen auf den starken Meistern der Vergangenheit, -auf dem heldenkühnen Ringen Schiller's, die Wahrheiten -der Philosophie, die doch in der speciellen -Form auch mit dem Wissen zusammen fiel, dem poetischen -Ideal zu vermählen, auf dem unablässigen -Forschen Göthe's, der in den Wahlverwandtschaften -– fehlerhaft vielleicht, aber doch in sicherem Ahnen -der Methode – die Arbeit des Forschers auf dem -Gebiete der Seelenkunde im Dichterwerke zu verwerthen -suchte, auf dem lichten Bau der physischen -Weltbeschreibung des greisen Alexander von Humboldt, -in deren kosmischem Rahmen unter der Form -der dichterischen Naturanschauung die ganze Poesie -mit Leichtigkeit eine Stelle gefunden hätte. Dürfen -wir stehen bleiben, wo jene, denen die ganze Fülle -unserer Offenbarung im Naturgebiete noch versagt -war, unentwegt den Wanderstab zum Vorwärtsschreiten -ansetzten? Gewiss steckt in den erhitzten Parteien -des Tages die lebhafteste Neigung zu schwerem -Kampfe; sollen wir die einzige noch mögliche Gelegenheit -zur Versöhnung zurückweisen, – zu einer -Versöhnung, die vielleicht zugleich einen Fortschritt -für die Poesie bedeutet?</p> - -<p>Ich meine, so, wie die Frage gestellt ist, giebt es -nur eine Antwort. Es handelt sich nicht um Namen, -um Nationalitäten, um Meister und Jünger einer -Schule, sondern um zwei Dinge, die vor aller Augen -sind: eine Wissenschaft, die energisch vorgeht und -neue Begriffe schafft, und eine Literatur, die zurückbleibt, -und mit Begriffen arbeitet, die keinen Sinn und -Verstand mehr haben. Thatsächlich hat denn auch<span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span> -ein beträchtlicher Theil unserer modernen Dichter die -richtige Antwort gefunden, und es kommt hier nicht -darauf an, ob Dieser ernste und wohlüberlegte Entschlüsse -daran angeknüpft oder Jener bloss in kindlicher -Freude ein polizeiwidrig lautes Jubelgeschrei -über sein findiges Genie dazu ausgestossen hat. Man -hat sich geeinigt über den Satz: Wir müssen uns dem -Naturforscher nähern, müssen unsere Ideen auf Grund -seiner Resultate durchsehen und das Veraltete ausmerzen.</p> - -<p>Das Erste, worauf man im Verfolgen dieses Gedankens -kam, war ein Satz, der ebenso einfach und -selbstverständlich war, wie er paradox klang. Jede -poetische Schöpfung, die sich bemüht, die Linien des -Natürlichen und Möglichen nicht zu überschreiten und -die Dinge logisch sich entwickeln zu lassen, ist vom -Standpuncte der Wissenschaft betrachtet nichts mehr -und nichts minder als ein einfaches, in der Phantasie -durchgeführtes Experiment, das Wort Experiment im -buchstäblichen, wissenschaftlichen Sinne genommen.</p> - -<p>Daher der Name »Experimental-Roman«, und -daher eine ungeheuerliche Begriffsverwirrung bei allen -Kritikern und Poeten, die weder wussten, was man -unter einem wissenschaftlichen Experimente, noch was -man unter dichterischer Thätigkeit verstand. Der -Mann, der das Wort populär gemacht hat, Zola, ist -selbst unschuldig an der Verwirrung der Geister. Nur -hat auch er den Fehler nebenher begangen, die Definition -eines Kunstwerks als Experiment nicht einzuschränken -durch die Worte »vom wissenschaftlichen -Standpuncte aus«, womit alles klarer und einfacher -wird. Vom moralischen Standpuncte beispielsweise -will die Definition gar nichts besagen, denn was ist<span class="pagenum"><a id="Seite_8">[8]</a></span> -moralisch ein »Experiment«? Aber wissenschaftlich -passt die Sache. Sehen wir das unheimliche Wort -näher an.</p> - -<p>Der Dichter, der Menschen, deren Eigenschaften -er sich möglichst genau ausmalt, durch die Macht der -Umstände in alle möglichen Conflicte gerathen und -unter Bethätigung jener Eigenschaften als Sieger oder -Besiegte, umwandelnd oder umgewandelt, daraus hervorgehen -oder darin untergehen lässt, ist in seiner -Weise ein Experimentator, wie der Chemiker, der -allerlei Stoffe mischt, in gewisse Temperaturgrade -bringt und den Erfolg beobachtet. Natürlich: der -Dichter hat Menschen vor sich, keine Chemikalien. -Aber, wie oben ausgesprochen ist, auch diese Menschen -fallen in's Gebiet der Naturwissenschaften. Ihre -Leidenschaften, ihr Reagiren gegen äussere Umstände, -das ganze Spiel ihrer Gedanken folgen gewissen Gesetzen, -die der Forscher ergründet hat und die der -Dichter bei dem freien Experimente so gut zu beachten -hat, wie der Chemiker, wenn er etwas Vernünftiges -und keinen werthlosen Mischmasch herstellen -will, die Kräfte und Wirkungen vorher berechnen -muss, ehe er an's Werk geht und Stoffe combinirt.</p> - -<p>Wer sich die Mühe nehmen will, einen ganz -flüchtigen Blick auf das Beste zu werfen, was Shakespeare -oder Schiller oder Göthe geschaffen, der wird -den Faden des psychologischen Experiments in jeder -dieser Dichtungen klar durchschimmern sehen. Bloss -jene Voraussetzungen waren vielfach etwas andere, -und hier ist denn eben der Punct, wo der Einfluss -der modernen Wissenschaft sich als ein neues Element -geltend machen und der Realismus, dessen -Theorie wir zugegeben haben, practisch werden soll.<span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span> -Es gilt, neue Prämissen für die weitern Experimente, -die wir machen wollen, aufzustellen oder besser, sie -uns von der Naturwissenschaft aufstellen zu lassen. -Hier aber, beim Eintritt in die Praxis, wird die ganze -Sache sehr schwierig. Wir haben bisheran einer allgemeinen -Erörterung Raum gegeben. Der allgemeine -Zustand des Denkens in unserer Zeit und des Verhältnisses -von Poesie und Forschung zu einander hat -uns ein Geständniss abgezwungen, indem er uns ein -Dilemma zeigte, aus dem es nur einen Ausweg gab. -Wir haben uns einverstanden erklärt mit der versöhnlichen -Richtung eines gesunden Realismus und sind -vorgedrungen bis an den Fleck, wo die Berührung -der exacten Wissenschaften mit derjenigen Definition -der Poesie, die von allen am wissenschaftlichsten klingt, -endlich stattfinden soll. Alle Vorfragen sind damit -erledigt, und ich trete jetzt an das heran, was eigentlich -den Kern des Ganzen ausmacht und zugleich -ein solches Gewebe ernster Schwierigkeiten aufweist, -dass ich eine eingehende Betrachtung derselben für -die nothwendige Basis jeder realistischen Dichtung -sowohl, wie jeder realistischen Aesthetik halte.</p> - -<p>Die Prämissen des poetischen Experiments: das -sagt in einem Worte alles. Hier verknoten sich -Naturwissenschaft und Poesie.</p> - -<p>Wohlverstanden: diese Prämissen umschliessen -nicht die Naturgeschichte des poetischen Genius selbst, -eine Sache, die ja auch in die Aesthetik hineingehört, -die aber mit dem, was ich meine, direct nichts zu -schaffen hat. Geniale Anlage muss der Mensch besitzen, -um überhaupt als Dichter auftreten zu können, -und zwar eine ganz bestimmte Form genialer Anlage, -die sich von der für andere Geistesgebiete individuell<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span> -unterscheidet. Jene andern Prämissen, die erworbenes -Wissen darstellen, verhelfen ihm bloss in zweiter Instanz -dazu, sein schöpferisches Wollen nach vernünftigen -Gesetzen zu regeln und auch andern, nicht -dichterisch Beanlagten durch das Medium der Logik -einigermassen verständlich zu machen. Aber auch -wenn wir alle Missverständnisse ausschliessen, bleibt -die Sache immer noch sehr schwierig. Es mangelt -zunächst gänzlich an brauchbaren Büchern, die dem -Dichter einen vollkommenen Einblick in das verschaffen -könnten, was ihm aus dem ungeheuren Bereiche -der wissenschaftlichen Forschung über den -Menschen zu wissen Noth thut. Die in ihren Resultaten -so sehr werthvolle psychologische und physiologische -Fachliteratur zeigt den Bestand des Materials -nur in seiner äussersten Zersplitterung. Weit -entfernt, die Arbeit des einsichtigen Dichters unter -der Rubrik des psychologischen Experimentes entsprechend -zu würdigen, zieht sich die Fachwissenschaft -in den allermeisten Fällen vornehm zurück -und überlässt die Verarbeitung ihres Materials für -poetische Zwecke dem Philosophen, der unter zehn -Fällen neunmal die Thatsachen unter dem Vorwande -der Ordnung einfach fälscht. Statt der Wissenschaft -Rechnung zu tragen, suchen schaffende Poesie wie -Aesthetik dann ihre Prämissen durch Studium philosophischer -Systeme zu gewinnen, und der Erfolg ist, -dass wir unter dem Vorwande realistischer Annäherung -an die Resultate der Forschung allenthalben -einer Verherrlichung Hegel'scher Phrasen, Schopenhauer'scher -Verbohrtheiten oder Hartmann'scher Willkür -begegnen, die mit echter Wissensbasis wenig -mehr zu schaffen haben, als die alten religiösen Ideen,<span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span> -so geistvoll sie auch im Einzelnen ersonnen sein -mögen.</p> - -<p>Eine Anzahl vorsichtiger Geister, besonders ausübender -Poeten, verschmäht mit Recht diese schwankende -Brücke und stürzt sich kühn in die Detailmasse -des exacten Fachwissens. Der Erfolg zeigt eine -ernstliche Gefahr auch bei diesem Unterfangen. Die -wissenschaftliche Psychologie und Physiologie sind -durch Gründe, die Jedermann kennt, gezwungen, ihre -Studien überwiegend am erkrankten Organismus zu -machen, sie decken sich fast durchweg mit Psychiatrie -und Pathologie. Der Dichter nun, der sich in berechtigtem -Wissensdrange bei ihnen direct unterrichten -will, sieht sich ohne sein Zuthun in die Atmosphäre -der Clinic hineingezogen, er beginnt sein Augenmerk -mehr und mehr von seinem eigentlichen Gegenstande, -dem Gesunden, allgemein Menschlichen hinweg dem -Abnormen zuzuwenden, und unversehends füllt er im -Bestreben, die Prämissen seiner realistischen Kunst zu -beachten, die Seiten seiner Werke mit den Prämissen -dieser Prämissen, mit dem Beobachtungsmateriale -selbst, aus dem er Schlüsse ziehen sollte, – es entsteht -jene Literatur des kranken Menschen, der Geistesstörungen, -der schwierigen Entbindungen, der Gichtkranken, -– kurz, das, was eine nicht kleine Zahl -unwissender Leute sich überhaupt unter Realismus -vorstellt.</p> - -<p>Ich habe den Weg gezeigt, wie klar denkende -Dichter auf diese Linie gerathen können, und bin weit -davon entfernt, das blöde Gelächter der Menge bei -Beurtheilung derselben zu theilen. Es sind keineswegs -die kleinen, rasch zufriedenen Geister, die in solche -heroischen Irrthümer verfallen, und der still vergnügte<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span> -Poet, der im einsamen Kämmerlein von Sinnen und -Minnen träumt, hat für gewöhnlich nur sehr problematische -Kenntniss davon, welcher Riesenarbeit sich -gerade der dichtende Genius unterzieht, der im treibenden -Banne seiner Gedanken bis zum Unschönsten, -was die Welt im gebräuchlichen Sinne hat, dem Krankensaale, -vordringt. Ein Irrthum bleibt die Einseitigkeit -darum doch. Die Krankheit kann nicht verlangen, -den Raum der Gesundheit für sich in Anspruch nehmen -zu wollen, das unausgesetzte Experimentiren mit dem -Pathologischen, also dem ganz ausschliesslich Individuellen, -das eine Ausnahme vom normalen Allgemeinzustande -bildet, nimmt der Poesie ihren eigentlichsten -Charakter und verführt den Leser zu Irrthümern aller -Art, die hinterher den ganzen Realismus treffen.</p> - -<p>Ich halte es angesichts all' dieser Gefahren für -durchaus an der Zeit, in einer übersichtlichen Darstellung -diejenigen Puncte herauszuheben, die eigentlich -in der Gesammtfülle des modernen naturwissenschaftlichen -Materials als wahre Prämissen seiner Kunst den -Dichter unmittelbar angehen. Ich möchte dabei ebensoweit -von philosophischer Verwässerung wie von fachwissenschaftlicher -Detailüberlastung entfernt bleiben. -Was sich als Resultat der bisherigen objectiven Forschung -ergiebt, möchte ich unter dem beständig beibehaltenen -Gesichtspuncte der dichterischen Verwerthung -klar darlegen. Das <span id="corr012">Metaphysische</span> kann ich dabei -nur streifen als nothwendigen Grenzbegriff des Physischen. -Die Erkenntnisslehren der modernen Naturwissenschaft -sind, wie schon gesagt, bisher in die -weiten Kreise fast stets als Beiwerk in gewissen -Systemen, als Stütze materialistischer oder pessimistischer -oder sonst irgendwie auf einen Glauben getaufter<span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span> -Weltanschauungen verbreitet worden. All' diesen Bestrebungen -stehe ich durchaus fern. Was der Poet -sich über das innerste Wesen der kosmischen Erscheinungen -denkt, ist seine Sache. Die Puncte, um die -es sich für mich handelt, sind als Wissensgrundlagen -massgebend für Alle, so gut wie das Wasser das -Product zweier Elemente, des Wasserstoffs und des -Sauerstoffs, für jeden vernünftigen Menschen bleibt, -mag er nun im Puncte des Gemüthes Christ oder Jude -oder Mohammedaner sein oder die heilige Materie -anbeten.</p> - -<p>Es giebt Dinge darunter, die den Dichter stärker -machen werden, als seine Vorgänger waren, wenn er -sie in der rechten Weise beachtet. Es giebt auch Dinge, -die ein zweischneidiges Schwert sind und mit aller -Vorsicht behandelt werden wollen. Im Grossen und -Ganzen kann ich nur sagen: eine echte realistische -Dichtung ist kein leichter Scherz, es ist eine harte -Arbeit. Die grossen Dichter vor uns haben das sämmtlich -empfunden, die kommende Generation wird es -möglicher Weise noch mehr fühlen. Einen Menschen -bauen, der naturgeschichtlich echt ausschaut und doch -sich so zum Typischen, zum Allgemeinen, zum Idealen -erhebt, dass er im Stande ist, uns zu interessiren aus -mehr als einem Gesichtspuncte, – das ist zugleich -das Höchste und das Schwerste, was der Genius -schaffen kann. Wie so der Mensch Gott wird, ist -darin enthalten, – aber es wird jederzeit auch darin -sich offenbaren, wie so er Gottes Knecht ist. Das -Erhebendste dabei ist der Gedanke, dass die Kunst -mit der Wissenschaft empor steigt. Wenn das nicht -werden sollte, wenn diese Beiden fortan im Kampfe -beharren sollten, wenn Ideal und Wirklichkeit sich<span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span> -gegenseitig ermatten sollten in hoffnungslosem, versöhnungslosem -Zwiste: dann wären die Gegenwart, -wie die Zukunft ein ödes Revier und die Mystiker -hätten Recht, die vom Aufleben der Vergangenheit -träumen. Es ist in Wahrheit nicht so. Ein gesunder -Realismus genügt zur Versöhnung, und er erwächst -uns von selbst aus dem Nebeneinanderschreiten der -beiden grossen menschlichen Geistesgebiete. Dichtung -um Dichtung, ästhetische Arbeit um ästhetische Arbeit, -alle nach derselben Richtung gestimmt, müssen -den Sieg anbahnen. Die rohe Brutalität, von der -hitzige Köpfe träumen, wollen wir dabei gern entbehren, -– ich meine, die Wissenschaft ist dazu viel zu -ernst und die Kunst viel zu sehr der Liebe und des -klaren, blauen, herzerwärmenden Frühlingshimmels -bedürftig.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-014.png" alt="" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span></p> - -<h2 id="Zweites_Capitel">Zweites Capitel.<br /> -Willensfreiheit.</h2> -</div> - -<p>Ich will als Dichter einen Menschen, den ich in -eine bestimmte Lage des Lebens gebracht habe, eine -Handlung begehen lassen und zwar diejenige, welche -ein wirklicher Mensch in gleicher Lage wahrscheinlich -oder sogar sicher begehen würde.</p> - -<p>Ich will als Kritiker einer Dichtung beurtheilen, -ob eine bestimmte Handlung, die ein bestimmter Held -dieser Dichtung unter bestimmten Umständen begeht, -wirklich richtig, das heisst den Gesetzen der Wirklichkeit -entsprechend, erfunden ist.</p> - -<p>In beiden Fällen werde ich beim geringsten Nachdenken -auf die allgemeine Frage der Willensfreiheit -geführt.</p> - -<p>Diese Frage aber ist weder eine dichterische, noch -eine philosophische, sondern eine naturwissenschaftliche. -In ihr kreuzen sich die sämmtlichen Grundfragen der -wissenschaftlichen Psychologie, und sie ist meiner Ansicht -nach die erste und wichtigste Frage, mit der -sich die Prämissen der realistischen Poesie und Aesthetik -zu befassen haben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span></p> - -<p>Die oberflächlichste Anschauung der wahren Dinge -in der Welt lehrt, dass die menschliche Willensfreiheit -nicht ist, was das Wort nahe legt: eine absolute Freiheit. -Wir sehen nicht nur die Macht des Willens -physikalisch beschränkt, sondern gewahren auch in -dem eigenthümlichen Gefüge und Bau der Gedanken, -die den Willen zu irgend etwas schliesslich als äussern -Act entstehen lassen, beständig sehr eigenthümliche, -subjective Factoren, die in uns sofort das Gefühl eines -eingeschränkten Laufes der Gedankenketten entstehen -lassen. Genau dieselbe Thatsache erweckt im Geiste -verschiedener Menschen verschiedene Gedankenreihen, -die oft den genau entgegengesetzten Willen hervorrufen. -Eine unbewacht gelassene Casse ruft in einem -Gewohnheitsdiebe den Gedanken und in directer Fortsetzung -die Handlung des Stehlens, in einem seiner -bisherigen Lebensbahn nach durchaus rechtlich gesinnten -Menschen höchstens den Gedanken an eine -Sicherung und Bewachung zur Verhütung eines Diebstahls -hervor. Eine grosse Anzahl von Menschen ist -zwar geneigt, gerade den Umstand hier für allgemeine -Freiheit zu halten, dass der Eine so, der Andere anders -handelt. Der Naturforscher wird sich sagen -müssen, dass die gleiche äussere Sache nur einen verschiedenen -innern Effect haben kann, weil sie offenbar -in dem Innern der beiden geistigen Individuen -auf eine ungleiche Disposition trifft, etwa wie in der -Physik derselbe Funke, je nachdem er in eine Pulvertonne -oder in ein Wasserfass fällt, sehr verschiedene -Kräfte auslöst.</p> - -<p>Damit ist ein erster, roher Anhaltspunct für die -Auffassung psychologischer Vorgänge gewonnen. -Wenn ich als Dichter Menschen in Berührung mit<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span> -äusseren Erscheinungen bringe, so wechselt nicht nur -der Wille in den Handlungen der Person je nach den -äusser'n Impulsen, sondern er ist auch subjectiv bei -den Einzelnen verschieden je nach der Disposition des -Geistes, die der Impuls bei Jedem findet.</p> - -<p>Die Physiologie giebt uns nun als nächsten Fortschritt -über diesen ersten Punct weg die Thatsache -an die Hand, dass jede Disposition des Geistes zugleich -eine Disposition des stofflichen Untergrundes, des Gehirns, -bedeutet.</p> - -<p>Die Frage, in welchem Causalitätsverhältniss diese -Doppelerscheinungen der geistigen und stofflichen Disposition -unter sich wohl stehen möchten, ob der Geist -als solcher existire oder bloss eine subjective Rückansicht -desselben Dinges sei, das wir äusserlich als -Stoff, respective mechanische Kraft uns gegenüber -stellen, geht uns hier als eine erkenntniss-theoretische, -wissenschaftlich nicht lösbare gar nichts an. Was wir -mit Händen greifen können, ist das Zusammenfallen -jeder psychischen Erscheinung mit einer molecularen, -jedes Gedankens mit einem ganz bestimmten physiologischen -Ereignisse innerhalb des nervösen Centralorgans. -Dieses leugnen, hiesse rundweg das Gehirn -leugnen und die ganze überwältigende Masse künstlicher -wie unfreiwilliger Beeinflussungen des psychischen -Apparats, die man bei vivisecirten Thieren und -verwundeten oder gehirnkranken Menschen durch -stoffliche Umwandlungen in der Gehirnmasse hat entstehen -sehen. Die Thatsache steht also unbezweifelbar -fest: wir können behaupten, wenn bei einer bestimmten -Person ein bestimmter äusserer Impuls eine bestimmte -Disposition im Gedankengange des Betreffenden vorfindet, -so ist diese Disposition zugleich etwas Stoffliches,<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span> -eine Curve, Furche, reihenweise Gruppirung -kleiner Theilchen, Schwingung der Molecüle nach -einer bestimmten Richtung oder was man sich sonst -denken will in der greifbaren Masse des Gehirns. Das -oben gebrauchte Beispiel mag das zur Deutlichkeit -nochmals illustriren. Gleicher äusserer Impuls: eine -offene Casse. Erfolg bei dem einen Menschen unmittelbar -und ohne Wahl eine moralisch verwerfliche -Gedankenkette, die endigt mit der Handlung des -Stehlens, bei dem andern ebenso unmittelbar eine gute, -die ausläuft in die Handlung des Bewachens. Grund: -der erste Mensch ist gewöhnt, schlecht zu handeln, -seine Gedankenkette schlägt sofort eine bestimmte -Richtung ein, die körperlich einem durch Gewohnheit -tief ausgefahrenen Geleise entspricht, in das ein neu -ankommender Wagen stets mit mechanischer Nothwendigkeit -wieder hineinrollt; umgekehrt bei dem gewohnheitsmässig -moralischen Menschen geräth die -Ideenverbindung unmittelbar in eine ganz entgegengesetzte -Linie, die schliesslich den umgekehrten Effect -auslöst.</p> - -<p>Ich habe das Beispiel so nackt gewählt, wie möglich, -– ohne jeden Conflict, was nicht ausschliesst, -dass es täglich so vorkäme. Wer oft gestohlen hat, -stiehlt wieder; wer in moralischem Denken aufgewachsen -ist, kommt für gewöhnlich gar nicht auf den -Gedanken, zu stehlen; die Ideenkette lenkt ohne Ablenkungen -besonderer Art, die ich hier vernachlässige, -stets in dieselben Geleise ein. Das Wort Geleise dürfen -wir unbedenklich anwenden, da ja ein stofflicher Vorgang -stets mit unterläuft. Geschaffen hat die Geleise, -wie sich Jeder schon zur einfachsten Erläuterung dazu -sagt: die Gewohnheit. Jede Minute unseres Lebens<span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span> -bringt uns Beweise dafür, – das Wort Gewohnheit, -das uns beständig auf der Zunge schwebt, ist eben -nur der Ausdruck des Factums, dass die mehrmals -aufgestellten Gedankenketten sich ein derartig festes -Bett in unserm Denkorgane graben, dass gewisse, nur -entfernt daran gemahnende Impulse sie jedesmal mit -zwingender Nothwendigkeit wieder hervorrufen und -dieselbe Handlung als schliesslichen Effect daraus entstehen -lassen. Je ausgefahrener die Geleise nach und -nach werden, desto rascher und damit dem Bewusstsein -desto undeutlicher saust der Gedanke hindurch, -desto unmittelbarer lösen sich Impuls und Willenseffect -ab, bis schliesslich der Gedanke gar nicht mehr -bewusst wahrgenommen wird und die Handlung sich -als rein mechanischer Reflex des Impulses darstellt, -– Erscheinungen, die wir täglich am Menschen beobachten -können und die beim Thiere, dem die wenigen -Eindrücke seines Lebens durch ihre regelmässige Wiederkehr -fast alle in der genannten Weise constant -und zur Quelle reiner Reflexhandlungen werden, die -Regel bilden.</p> - -<p>Wenn es auf Grund eines ungeheuren Fortschrittes -mikroskopischer Forschung möglich wäre, ein vollkommenes -Bild eines beliebigen menschlichen Gehirns, -das zu seinen Lebzeiten Gedanken gehegt hat, zu entwerfen, -so würde man, wie immer das wahre Antlitz -der Sache sich gestaltete, stets auf das schematische -Bild einer Ebene kommen, die von Linien ungleicher -Dicke durchkreuzt wird, von denen eine Anzahl nur -matt angedeutet und halbverwischt, eine gewisse Zahl -dagegen äusserst scharf und deutlich erschiene, und -der Beschauer würde unmittelbar das Gefühl haben, -dass es sich hier um ein Strassensystem handle, bei<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span> -dem dasselbe obgewaltet, wie bei menschlichen Verkehrswegen: -irgend ein äusserer Umstand hat mehrmals -die Verkehrenden auf dieselbe Strasse geführt -und, einmal ausgetreten, hat diese nun Alle, die nur -entfernt nach derselben Richtung wollten, veranlasst, -ihrer Linie und keiner andern zu folgen.</p> - -<p>Thatsächlich sind wir ja so weit nicht. Das Gehirn, -welches wir kennen, bietet uns, was das unmittelbare -Sehen anbelangt, ungefähr so viel Anhaltspuncte zur -Kenntniss seiner innern Processe, wie dem Astronomen -die Oberfläche des Planeten Mars. Wir erkennen auf -dieser Länder und Meere, Canäle, die das Festland -durchschneiden, atmosphärische Vorgänge, Wolken, -Schnee, Eismassen am Pol; das Alles aber kommt so -wenig über den groben Umriss hinaus, dass Objecte -von der Grösse der Victoria-Nyanza noch gerade als -Puncte wahrnehmbar sind.</p> - -<p>Unsere Anschauungen vom Wesen der ganzen -Gedankenthätigkeit müssen wir, unfähig, die Maschine -in ihre Rädchen auseinander zu nehmen und im todten -Material zu studiren, abstrahiren aus dem Erfolge, -aus der regelmässigen, positiv zu beobachtenden Wiederkehr -gewisser gewohnheitsmässiger Gedankenreihen -in uns selbst und den Handlungen, die wir täglich bei -uns als Folgen dieser zwangsweisen Ideenketten wahrnehmen -und bei Andern als solche voraussetzen dürfen. -Immerhin ist diese Art der Beobachtung ein vollkommen -guter Ersatz für jene.</p> - -<p>Für die Freiheit des Willens, von der wir ausgegangen -sind, ist jedenfalls – mögen wir nun physiologisch -oder psychologisch zu unsern Resultaten gekommen -sein – in dem Bestehen der durch Gewohnheit -gegrabenen Gedankenstrassen ein bedenkliches Hinderniss<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span> -gegeben. Der Wille ist Endergebniss eines nicht -gestörten, bis zu einer gewissen Intensität angeschwollenen -Gedankens, – wenn der Gedanke aber in seinem -Flusse sich in den meisten Fällen einem gegrabenen -Bette anschmiegen muss, so kann in allen diesen von -einer Freiheit des endlichen Willens keine Rede mehr -sein, und man braucht noch gar nicht auf jene oben -erwähnten, ganz reflectorisch gewordenen Willensacte -zurückzugehen, um auf Schritt und Tritt diesen einfacheren -hemmenden Einflüssen zu begegnen.</p> - -<p>Die wichtigste Frage scheint also, um hier Klarheit -zu schaffen, die nach der Natur der Gewohnheit -zu sein. Es gilt festzustellen, was sich unter diesem -Begriffe, der die Willensfreiheit in so frappanter Weise -bedroht, für einzelne Factoren verstecken und ob in -dem einen Worte, das der Gebrauch selbst geschaffen, -nicht Verschiedenartiges sich birgt. Gewohnheit ist, -so haben wir physiologisch definirt, langsame Einprägung -einer bestimmten Furche (psychologisch: Denkrichtung) -im Gehirn, die durch eine längere Folge -gleichartiger Wahrnehmungen erzeugt wird. Woher -kommt eine derartige Gleichartigkeit der Wahrnehmungen? -Zunächst aus der Einrichtung der Natur, die -uns trotz der unendlichen Fülle ihrer Erscheinungen -doch gewisse Phänomene in ewiger Regelmässigkeit -wiederkehren lässt, die beständig gleiche Wahrnehmungen -in uns hervorrufen. In zweiter Linie aber -aus einem Umstande, der den Culturmenschen mit -verschwindenden Ausnahmen fest und unerbittlich umklammert -hält: der Erziehung. Wir sind nicht neu -geschaffene Wesen, die bloss die Natur sich gegenüber -haben. Wir gehören einer Gesellschaft an, die -ebenfalls aus Menschen mit einem, dem unsern ähnlichen<span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span> -Denkapparate besteht. Wir sind jung, die -Tafel unseres Gehirnes ist noch kaum beschrieben. -Jene Menschen, die vielleicht unsere Erzeuger, jedenfalls -als Erwachsene unsere Meister sind, sind in ihrem -Denken bereits erfüllt mit jenen festen Linien, jenen -Geleisen des Gewohnten, und sie fühlen sich wohl dabei. -Ihr Bemühen geht dahin, in unser Gehirn dieselben -Linien zu prägen. Unfähig, unmittelbar zu -wirken, beschreiten sie den Umweg durch die wiederholten -Wahrnehmungen, aber in der Weise, dass sie -bestimmte Wahrnehmungen – eben jene, die ihren -Gedankenlinien die bequemen sind – auswählen und -uns so lange einseitig vorführen, bis sich in unserm -Gehirn die gleiche Linie, wie bei ihnen, gebildet hat -und wir ihre wahren geistigen Kinder sind. Mit andern -Worten heisst das: wir erhalten die grosse Masse -unserer gewohnheitsmässigen Gedanken durch Unterricht, -durch Schulung. Der Werth dessen, was uns -vermittelst derselben im Gehirn eingeritzt wird, ist -dabei ganz gleichgiltig, es kann die höchste Moral -oder die äusserste Unmoral sein: von einem gewissen -Puncte ab ist die Gedankenübertragung gelungen, die -Linie angelegt, und es bedarf fortan nur der leisesten -Aehnlichkeit in einer Wahrnehmung mit jenen früheren, -um sofort den ganzen Gedankenapparat nach der eingeprägten -Richtung hin in Thätigkeit zu setzen.<a id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a></p> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Sehr lehrreich für das ganze Gebiet der Gedankenübertragung -sind die <i>hypnotischen</i> Experimente, die gewiss auch für -den Dichter ein gewisses Interesse haben müssen. Ganz energisch -aber ist zu verlangen, dass jeder Verwerthung derartiger Erscheinungen -ein kritisches Verständniss und Studium vorausgehe. Es -handelt sich hier durchaus nicht um ein Stück jener behaglichen -Mystik, bei der alle Menschen, denen einmal etwas Unerklärliches -vorgekommen, den Beruf fühlen, mitzusprechen, sondern um -exacte wissenschaftliche Gegenstände, die, eben weil sie von der -grössten Tragweite sind, auch die vorsichtigste Behandlung erfordern. -Wen der Schleier des Unbegreiflichen allein verlocken -sollte, der wird bei sorgfältiger Kenntnissnahme dann schon von -selbst merken, wie wenig seine Neugier belohnt wird.</p> -</div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span></p> - -<p>Je tiefer diese Schulung geht, je reflectorischer -die Ideenlinien arbeiten, desto mehr scheinen sie später -ursprünglich mit dem Individuellen verwachsen und -erlangen in Wörtern, wie Gewissen, Tact und ähnlichen, -Bezeichnungen, die uns im Leben sehr oft geneigt -machen, sie angeborene zu nennen, obwohl sie -allem Anscheine nach durchweg erworbene, von aussen -eingeprägte sind.</p> - -<p>Das Adjectivum »angeboren« aber, welches sich -uns hier zwanglos in die Erörterung einmischt, führt -uns unwillkürlich auf ein Zweites, das im Begriffe der -Gewohnheit, wenn auch wahrscheinlich nicht dort, wo -man es vermuthete, so doch anderswo steckt.</p> - -<p>Ein Vogel, den man im Zimmer fern von Seinesgleichen -aufgezogen, zeigt bei nahendem Winter ein -Bestreben, zu wandern. Hier kann nicht mehr von -individueller Aneignung, von einer durch Gewohnheit -erzielten Gedankenlinie, in die jedesmal beim Anblick -fallenden Laubes oder sonstiger Erscheinungen des -Wechsels der Jahreszeiten der Gedanke einlenkt, um -schliesslich den Willen des Wanderns auszulösen, die -Rede sein. Eben haben wir gesehen, dass die Function, -das beständige Wahrnehmen gleicher Dinge allmählich -eine körperliche und geistige Disposition, ein -Geleise gewissermassen, schafft, das dann beim Nachfolgenden -wie ein Organ die Function bestimmt; bei -diesem geborenen Zugvogel ist offenbar die Umwandlung -einer bestimmten Stelle des Denkapparates schon<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span> -bei der Geburt mit allen andern Organen, die im embryonalen -Leben nicht durch, sondern für die Function -entstehen, angelegt worden und tritt jetzt beim geringsten -dahin zielenden Impuls mit voller Kraft in -Thätigkeit, indem sie den Vogel zwingt, beim ersten -Anzeichen des Herbstes – und sei es auch sein allererster, -den er im individuellen Leben mitmacht – eine -Gedankenreihe zu verfolgen, die ihm bei menschlich -klarem Bewusstsein wie eine Vision vorkommen würde, -indem er Bilder von einem warmen Lande, wohin er -wandern soll, denkt, die keine eigene Erfahrung ihm -eingeben kann.</p> - -<p>Wir haben es hier mit einer Gewohnheit secundärer -Art zu thun: – mit vererbten geistigen Linien. -Jede geistige Gewohnheit bedingt etwas körperliches, -einerlei, ob als Ursache oder als unvermeidliche Parallelerscheinung; -dass körperliche Veränderungen sich -vererben, wissen wir alle; es kann in Fällen wie dem -genannten nicht anders sein, als dass sich hier eine -Structurverschiebung des Gehirns, eine moleculare -Disposition vererbt hat, deren unzertrennliche Begleiterin -die psychische Erscheinung ist, die wir sehen. -Zwischen dem Gehirn jenes Vogels und dem gewaltigen -Verstandesapparate des Menschen aber besteht -physiologisch wie psychologisch lediglich ein Unterschied -des Grades, nicht der Art, – es fragt sich: -spielen auch beim Menschen ererbte Gedankenreihen -eine Rolle, die sich unter dem allgemeinen Worte -»Gewohnheit des Denkens« verbirgt? Bei der ungeheuren -Masse von Eindrücken, die der Mensch im Gegensatz -zu den meisten Thieren während der Dauer -seiner individuellen Existenz empfängt und die trotz -aller Macht der Gewohnheit gerade auf den höheren<span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span> -geistigen Gebieten durchweg nicht reflectorisch werden, -nicht ganz aus dem Bewusstsein verschwinden, scheint -es von vornherein nicht wahrscheinlich, dass hier sehr -viel vererbt werden sollte. Jedenfalls bestätigt die -Erfahrung, dass Vererbung überwiegend dann stattfindet, -wenn gewisse Gedankenketten über das gewöhnliche -Mass hinaus sich eingebohrt haben, also -beispielsweise bei einseitigem Genie, bei krankhaft eingewurzelten -fixen Ideen, also fast oder ganz abnormen -Zuständen, – und es scheint selbst hier, als vererbten -sich nicht eigentliche Gedankenlinien, sondern nur gewisse -Stimmungen des Untergrundes, wenn ich so -sagen soll, gewisse Weichheiten oder Härten der -Fläche, die den später durch Erziehung herantretenden -Geleisen einen ungewöhnlichen Widerstand oder ein -ungewöhnliches Entgegenkommen bewiesen. In der -Empfänglichkeit des Gehirns für einzugrabende Linien -überhaupt liegt ganz unbezweifelbar die eigentliche -grosse Erbschaft, die der Mensch, der als solcher geboren -wird, vor dem Thiere voraus hat; wer das exact -beobachten will, vergleiche ein lernendes Kind mit -einem lernenden Papageien. Wahrscheinlich ist dem -Vogel der absolute Fortschritt gerade deshalb so erschwert, -weil sein Gehirn von Jugend auf mit einer -Reihe ererbter Linien (Instincte nennt es ein geläufiges -Wort) durchsetzt ist, die den Boden hart gemacht -haben für alles Neue; die wenigen ererbten Geisteslinien -des Menschen, der Mangel an Instincten, wäre -im Lichte dieser Anschauung dann vielleicht die Wiege -seiner geistigen Entwicklungsfähigkeit, indem es ihm -die Tafel für das Lernen frei hielte. Dass darum gewisse -Instincte, ganz oder beinah reflectorische Geisteslinien, -auch beim Menschen und zwar bei allen ohne<span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span> -Ausnahme als Erbe früherer, mehr thierischer Verhältnisse -sich – wenn auch bisweilen gleichsam verschüttet -und von den tausend Erziehungslinien überdeckt -– vorfinden, ist nicht zu leugnen. Stark erregte -Momente, Revolutionen, Hungersnoth, beständiger -Anblick von Blut, sexuelle Ueberreizung lassen diese -Instincte gelegentlich in roher und erschreckender -Weise durchbrechen, und der Mensch handelt in solchen -Momenten im Banne einer dämonischen Gehirnmacht, -einer entfesselten psychisch-molecularen Bewegungswelle, -die unvergleichlich mächtiger fortreisst, -als alle individuell durch Erziehung erworbenen Moral- -oder Unmorallinien, er handelt mit dem Instincte von -Thierformen, die weit unten an der Schwelle des -Menschlichen stehen und für uns nur noch in analogen -Erscheinungen der jetzigen höheren Säugethierwelt zu -studiren sind. Der Dichter, wie der Historiker müssen -gerade diesen geheimnissvollen Vererbungslinien, deren -Rolle im einzelnen Leben wie in der Geschichte sehr -gross ist, mit Interesse nachgehen. Wünschen möchte -man, dass gewisse dauernde Errungenschaften der -menschlichen Cultur – beispielsweise die Basis der -Moral, das Mitleid – mit der Zeit bereits reine Instincte -geworden wären, die der Einzelne mit auf die -Welt brächte. Man ist mitunter versucht, dergleichen -zu glauben. Wenn ein Mensch, ohne eine Secunde -zu zögern, einem Kinde, das in's Wasser gefallen ist, -nachspringt und es rettet, so scheint hier eine Geisteskette -vorzuliegen, die bereits ganz reflectorisch wirkt -und wohl als solche vererbt werden könnte.</p> - -<p>Die Erfahrungen, die man andererseits an Kindern -macht, die aus besten Bildungskreisen entspringen und -doch, ehe sie durch Zucht selbst gebildet sind, nichts<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span> -bethätigen als die alten thierischen Instincte, die mit -ihrem roheren Egoismus dem Mitleid gerade zuwider -laufen, verhindern alle derartigen optimistisch gefärbten -Schlüsse.</p> - -<p>Beschränkt, wie unsere Kenntnisse von dem -ganzen Gewebe der Vererbungsfragen gegenwärtig -noch sind, müssen sie dem Dichter, der in ihnen das -Material tragischer oder versöhnender Verknotungen -sucht, eine starke Resignation und scharfe Kritik als -Grundbedingung an's Herz legen. Rechnen soll er -mit der Vererbungsfrage als Ganzem, das ist sicher. -Aber er soll nicht spielen damit, sich nicht muthwillig -auf Gebiete begeben, die der Fackel des Forschers -selbst noch verschlossen sind. Die Zukunft wird erst -zeigen können, wie eigentlich diese Dinge eingreifen -in's Leben des Einzelnen, wie die Sünden und Vorzüge -der Ahnen sich unmittelbar im Gehirne des Enkels -rächen. Immerhin mag heute schon der grandiose -Romancyklus von Zola eine durchdachte Vorahnung -für das Kommende darstellen. Wenn man sich aber -vergegenwärtigen will, welche zahllosen dichterischen -Vorwürfe in dem Spiel der Ideenketten, an die Schule -und erste Bildung uns schmieden, enthalten sind, so -kann man im Grunde nur warnen vor dem einseitigen -Betonen der Vererbungsconflicte, so lange die Physiologie -noch nicht in festen Gesetzen die nöthigen Prämissen -aufgestellt. Man soll sie beachten, wo man -durch den Stoff nothwendig auf sie geführt wird, aber -sie noch nicht in den Vordergrund drängen, wo es -nicht durchaus nöthig ist.</p> - -<p>Die indirecte Vererbung, das unbrauchbare Alte, -das uns in unserer Bildung, durch unsere Umgebung -allenthalben belastend in's Gehirn gegraben wird,<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span> -tausend begabte Köpfe im Kampfe mit dem lebendigen -Neuen zu Tode hetzt, uns als unechte Religion, -veraltete Moral, conventioneller Humbug, historische -Entartung und was sonst noch alles, den Geist trübt -und für die Ziele der Gegenwart blind macht: das ist -durchschnittlich weit gefährlicher, als die dunklen -chemischen und physikalischen Mächte, die hier oder -dort eine Familie in allen Phasen des Wahnsinns untergehen -lassen oder an den geschlechtlichen Fähigkeiten -eines unschuldigen Nachkommen die sexuellen -Verrücktheiten des Urgrossvaters rächen. Es sind -harte, unerbittliche Gesetze im Einen, wie im Andern, -aber im letztern Falle haben sie mehr von jener dunklen -Tragic, die allem Geschehen der Natur geheimnissvoll -zu Grunde liegt, im ersteren sehen wir den -Kampf menschlich lebhafter und näher vor Augen, -wir fühlen die Schmerzen, wie die Triumphe innerlich -blutiger und siegesstolzer mit, weil wir mehr verstehen -und stärker durchfühlen, dass die Sache auch einmal -anders werden könnte durch unser Zuthun.</p> - -<p>Ich kehre zur eigentlichen Frage zurück. Gewohnheit -umschliesst, so haben wir jetzt gesehen, -zweierlei: Ererbtes und Erworbenes. Da das Letztere -wenigstens beim normalen Culturmenschen mit zunehmendem -Alter unausgesetzt wächst, so gleicht das -Gehirn dieses Menschen schliesslich einer über und -über beschriebenen Tafel, auf der sich gewisse Striche -mehr und mehr verdickt haben, und die am Ende gar -nichts ganz Neues mehr aufzunehmen im Stande ist, -so dass der Geist wie ein geschickter Seiltänzer mehr -oder weniger nur noch die vorgeschriebenen Stangen -abklettert, je nachdem dieser oder jener äussere Anlass -bei einer der ewig bereiten Endstationen anklopft.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span></p> - -<p>Eigentliches Leben in dieses an und für sich sehr -einfache Gedankenspiel bringt aber nun eine Thatsache, -die ich bisheran absichtlich vernachlässigt habe. -Was wir durch Unterricht (sei es nun unmittelbarer -durch das Leben oder mittelbarer in der Schule) an -festen Gedankenlinien eingeprägt bekommen, steht -weder immer im Einklange untereinander, noch mit -dem, was durch die Vererbung an allgemeinen Instincten -oder individuellen Neigungen in uns bereits -bei der Geburt befestigt ist. Mit andern Worten: -jene constanten Linien im Denkorgan kreuzen, hemmen, -verwickeln sich vielfach, wodurch die einfachen Denkprocesse, -die durch die Möglichkeit des Eingrabens -fester Linien so bequem und bis zur Grenze des Reflectorischen -glatt gemacht wurden, wiederum recht -erschwert werden. Ich sehe ab von ganz krankhaften -Erscheinungen. Man hat Fälle, wo eine Gedankenlinie -eines Menschen von einem gewissen Puncte ab, -ohne dass er sich dessen bewusst wurde, in eine ganz -andere überging, so dass beim Versuche, den Gedankengang -wieder zu geben, von einer Ecke ab -jedesmal die Begriffe wie vertauscht waren. Hier -waren offenbar zwei Linien in abnormer Weise verschmolzen, -ein hochinteressanter, aber lediglich psychiatrischer -Fall.</p> - -<p>Ich will jetzt versuchen, an einem consequent -durchgeführten Beispiele genau den normalen Fall -von sich widersprechenden Gedankenlinien aufzudecken. -Es ist das um so wichtiger, als man gerade hier, im -Widerstreite der Gedankenlinien, den schärfsten Beweis -für eine metaphysisch beeinflusste Willensfreiheit -zu finden geglaubt hat.</p> - -<p>Ich nehme an, einen Menschen trifft ein äusserer<span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span> -Sinneseindruck, – etwa der Anblick einer schönen -Frau, die das Weib eines Andern ist, also ein Sinneseindruck, -den das Auge in's Gehirn übermittelt, der -dort zur geistigen Wahrnehmung wird und als solche -gewisse Gedanken erregen muss, deren Lauf durch -die vorhandenen Gewohnheitslinien bestimmt wird und -deren endliches Resultat bei genügend starker Erregung -ein Willensact, eine Handlung ist. Der Anblick -einer körperlich reizenden Frau erweckt im Manne -nothwendig zunächst die Gedankenketten, die um das -Geschlechtliche gelagert sind. Diese können aber sehr -verschiedener Art sein, von dem einen örtlichen Centrum -können Furchen ganz entgegengesetzter Richtung -und Tiefe ausstrahlen. Nehmen wir den Fall -eines Menschen, der gar keine Bildung genossen hat, -aber auch, vielleicht weil er eben erst geschlechtsreif -geworden ist, im Bezug auf das Geschlechtliche noch -durchaus keine feste Gewohnheitsfurche im Gehirn -trägt. Bei ihm wird der erste Gedanke höchstwahrscheinlich -die Vererbungsfurche, die den instinctiven -Fortpflanzungstrieb als uraltes Erbe stets neu zeitigt, -einschlagen, ein Kampf ist ausgeschlossen, da nur diese -einzige Linie vorhanden ist, aber der aus der angeregten -Gedankenkette hervorgehende Wille wird etwas -Unklares, Reflectorisches haben, das sich dämonisch -Bahn bricht, aber dem Bewusstsein selbst fast -ganz entzogen ist.</p> - -<p>Zweiter Fall: der Mensch ist ein geübter und geriebener -Don Juan. Im Worte liegt schon enthalten, -dass bei diesem Typus sich in der für das Geschlechtliche -reservirten Gegend des Gehirns nicht bloss die -instinctive Vererbungs-Furche, sondern daneben noch -eine sehr tief ausgefahrene Aneignungs-Furche, ein<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span> -durch Gewohnheit individuell scharf eingepflügtes Geleise -findet, das beim Anblick des schönen Weibes -eine grosse, aber dem Bewusstsein noch durchweg zugängliche -Gedankenkette durchpassiren lässt, als deren -Resultat ein sicherer, auf hundert Erfahrungen gestützter -Wille entsteht, – der Wille zur Verführung, -der Wille zum geschlechtlichen Genuss, – im Princip -derselbe Wille, wie bei dem ersten Menschen, nur -unendlich bewusster und dauernder. Ein Conflict findet -– moralische Bildung bei dem Typus des Don Juan -ausgeschlossen – auch hier nicht statt, die Wahrnehmung -erregt nur eine einzige Ideenkette, die als -Endresultat nur einen Willen kennt.</p> - -<p>Der dritte Fall aber, an den ich jetzt herantrete, -ist der weitaus interessanteste, dichterisch jedenfalls -der werthvollste. Ein Mensch soll eine ordentliche -moralische Bildung genossen haben, dabei aber dem -Geschlechtlichen nicht so fern geblieben sein, dass es -nicht auch, abgesehen von der stets vorhandenen ererbten -Linie, eine gewisse Spur in seinem Gehirn -zurückgelassen hätte, die im Stande wäre, den Gedanken -bei völliger Unbeeinflussung in Don Juanartige Gelüste -zu treiben. Eine Disposition, wie diese, ist unter -allen die verbreitetste. Ihr Ergebniss ist im vorliegenden -Falle ein innerer Kampf. Die Wahrnehmung erweckt -zwei Gedankenlinien, die moralische und die -schlechthin sexuelle, von denen die eine als Endergebniss -einen Willen erzeugen muss, der dem der -andern durchaus entgegengesetzt ist. Die Moral verbietet, -was die geschlechtliche Neigung verlangt. Beide -Gedankenketten erscheinen vor dem Bewusstsein, – -eine freie Wahl ist diesem aber absolut versagt; es -steht als indifferenter Zuschauer vor dem Kampfe der<span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span> -Gedanken um den Willen. Nur ein Wille kann als -Endresultat hervortreten. So lange beide Ideenketten -vollkommen gleich stark sind, heben sie sich gegenseitig -im Puncte des Willens auf wie Plus und Minus. -Rollt der eine Gedankenzug glatt durch sein Geleise -bis zur Willensstation, so ist inzwischen der andere -ebenso glatt dort angekommen und die Beiden verschliessen -sich gegenseitig den Ausgang. Die Entscheidung, -welche Linie siegt, kann sehr lange ausstehen. -Ueber ihre Veranlassung herrschen vielfach -die irrigsten Vorstellungen. Man denkt sich unwillkürlich, -das Bewusstsein selbst, welches doch keinerlei -mechanische Macht besitzt, könne durch einen metaphysischen -Druck diesen oder jenen Willen zum Durchschlag -bringen. Das wäre die reinste Hexerei. Die -Entscheidung kommt vielmehr daher, von wo überhaupt -alles Motorische nur kommen kann: von aussen, -durch neue Wahrnehmungen, die während der Hemmung -jener beiden Ketten in's Gehirn eintreten. Es -fragt sich bei diesen, in welche der beiden Linien sie -einlenken. Sind es zufällig sexuelle Eindrücke, die -mit dem Streite sonst nichts zu schaffen haben, aber -nothwendig in die geschlechtliche Linie gerathen, so -graben sie dort die Furche ebenso nothwendig ein -Minimum tiefer, und dieses Minimum genügt, grob -sinnlich gesprochen, um dem sexuellen Gedankenzuge -im Wettlaufe zum Willensziel einen Vorsprung zu -geben und damit das Resultat zu entscheiden. Umgekehrt: -nahen sich zufällig bei schwebendem Streite -neue, moralische Wahrnehmungen, so siegt die Moral -auch in jenem offenen Falle. Unendlich geringe Factoren -haben hier die weittragendste Bedeutung. Ein -zufälliges Wort, ein lebhaftes Erinnerungsbild, der Anblick<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span> -irgend einer Situation, die unmittelbar alle nicht -das Mindeste mit dem obwaltenden Gedankenzwist in -der kritischen Sache zu thun haben, entscheidet mit -mathematischer Gewissheit über den Sieg. In mancher -bedeutenden Dichtung will es uns bei oberflächlicher -Betrachtung fast störend und unlogisch erscheinen, -dass lange Seelenkämpfe plötzlich durch einen vielleicht -sehr geringfügigen äusserlichen Umstand zur -jähen Entscheidung gebracht werden. Wer sicherer -beobachtet hat, sieht gerade hierin den echten Spiegel -des Wahren, und er wird in der Wahl jenes scheinbar -geringfügigen Umstandes bei schärferem Hinblick stets -etwas entdecken, was indirect einem der streitenden -Gedanken des Helden nicht zufällig, sondern nothwendig -den Sieg verleihen musste, selbst wenn es gar -nicht direct an die Objecte des Seelenkampfes heranreichte. -Es ist nichts weiter als der Tropfen Oel, der -die eine Wagenaxe in der Arena geschmeidiger macht; -aber dieser Tropfen ist die weihende Spende der Nike.</p> - -<p>Von diesem dritten Menschen giebt es tausend -und abertausend Varianten. Die gegenseitige Hemmung -und Beeinflussung der Gedankenketten ist es, -die uns erst eigentlich das geistige Werden unserer -Handlungen zum Bewusstsein bringt und verhindert, -dass Impuls und Effect sich bloss reflectorisch auslösen. -Man kann sagen, dass wir unserer Gedanken -erst recht bewusst werden, wenn sie gehemmt sind -und einander bekämpfen, etwa so, wie die Meeresfläche -uns erst charakteristische Form gewinnt, wenn -wir sie uns als ein Spiel sich brechender Wogen denken. -Von einer freien Beeinflussung des Willens aber -durch das Bewusstsein kann im buchstäblichen Sinne -keine Rede sein. Wir erhalten äussere Eindrücke, wir<span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span> -denken in gewissen vorgezogenen Linien, dieses Denken -wird uns unter gewissen Bedingungen durch einen -Act, dessen innerste Natur wir nicht ergründen können, -bewusst: das ist alles. In diesen Verhältnissen liegen -die Wurzeln unseres Glückes und unserer Schmerzen, -unserer Fortschritte und unserer Rückschritte. Naturwissenschaftlich -sind wir als ehrliche Beobachter gezwungen, -die Bedingtheit aller menschlichen Willensacte -der Art des geistigen Apparates gemäss als -eine Thatsache auszusprechen, die weder juristische -noch theologische Forderungen irgendwie erschüttern -können.</p> - -<p>Diese Forderungen müssen sich mit der Thatsache -abfinden. Die Genesis seiner Gedanken und Handlungen -zugestanden, bleibt ja praktisch der Mensch -mit lauter Gedankenketten, die im Verbrechen gipfeln, -schlecht und strafbar und der Mensch, der durch den -Zwang seiner Gehirnfurchen zu moralischem Denken -und Thun gezwungen wird, gut.</p> - -<p>Für den Dichter aber scheint mir in der Thatsache -der Willensunfreiheit der höchste Gewinn zu liegen. -Ich wage es auszusprechen: wenn sie nicht bestände, -wäre eine wahre realistische Dichtung überhaupt unmöglich. -Erst indem wir uns dazu aufschwingen, im -menschlichen Denken Gesetze zu ergründen, erst indem -wir einsehen, dass eine menschliche Handlung, wie -immer sie beschaffen sei, das restlose Ergebniss gewisser -Factoren, einer äussern Veranlassung und einer -innern Disposition, sein müsse und dass auch diese Disposition -sich aus gegebenen Grössen ableiten lasse, – -erst so können wir hoffen, jemals zu einer wahren -mathematischen Durchdringung der ganzen Handlungsweise -eines Menschen zu gelangen und Gestalten vor<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span> -unserm Auge aufwachsen zu lassen, die logisch sind, -wie die Natur.</p> - -<p>Im Angesicht von Gesetzen können wir die Frage -aufwerfen: Wie wird der Held meiner Dichtung unter -diesen oder jenen Umständen handeln? Wir fragen -zuerst: Wie wird er denken? Hier habe ich die äussere -Ursache: was findet sie in ihm vor? Was liegt als -Erbe in seinem Geistesapparate, was hat die Bildung -und Uebung des Lebens darin angebahnt, welche fertigen -Gedankenlinien wird jene äussere Thatsache erregen, -wie werden diese sich hemmen oder befördern, -welche wird siegen und den Willen schaffen, der die -Handlung macht? Ich habe das Wort »mathematisch« -gebraucht. Ja, eine derartige Dichtung wäre in der -That eine Art von Mathematik, und indem sie es wäre, -hätte sie ein Recht, ihr Phantasiewerk mit dem stolzen -Namen eines psychologischen Experimentes zu bezeichnen.</p> - -<p>Ich glaube gezeigt zu haben, wie gross unsere -Unkenntniss im Einzelnen besonders bei der Vererbungsfrage -noch ist. Jene Dichtung, von der ich rede, -ist in ihrer Vollendung noch ein Traum. Aber das -soll uns nicht hindern, rüstig am grossen Bau mitzuschaffen. -Einstweilen möge sich vor allem die Klarheit -über die Hauptprobleme Bahn brechen. Der -Dichter soll anfangen, sich bei der Unzahl von Phrasen -etwas zu denken, die auf seinem Gebiete umherschwirren, -die Sätze wie: »Es lag in ihm so zu handeln«, »Die -Natur brach sich gewaltsam Bahn«, »Er fühlte etwas, -was seinen Gedanken blitzschnell eine andere Richtung -gab« und ähnliches, sollen ihm einen Inhalt bekommen, -er soll einsehen, dass es im Geiste so wenig Sprünge -giebt, wie bei einem festen Verkehrsnetz, wo jede alte<span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span> -Strasse so lange wie möglich benutzt wird und eine -neue nicht von heute auf morgen gebaut wird, er soll -endlich alle die grossen Namen: Schicksal, Erbsünde, -Zufall und wie sie heissen mögen, im Einzelnen neu -prüfen und auf die Principien hin modificiren, wo es -Noth thut. Ich gebe hier keine Aesthetik, sondern -beschränke mich auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen, -es liegt mir fern, in jene Fragen näher einzutreten, -die sich daran anknüpfen. Man sagt wohl, die -Poesie werde roh und alltäglich, wenn sie sich an die -Fragen der Physiologie um Auskunft wende. Wenn -ich die Probleme überblicke, auf die der Gang dieser -Studie mich geführt hat, so weiss ich nicht, was das -heissen soll. Diese Probleme sind die höchsten, die -ich mir denken kann. Wir stehen dicht vor der Schwelle -des Ewigen, des Unerreichten, und wandeln doch noch -auf dem sicheren Boden der Wirklichkeit. Giebt es -einen höheren Genuss?</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-036.png" alt="" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span></p> - -<h2 id="Drittes_Capitel">Drittes Capitel.<br /> -Unsterblichkeit.</h2> -</div> - -<p>Geheimnissvolles Wort, – Unsterblichkeit! Wer -die Geschichte der Menschheit anknüpfen wollte an die -Geschichte ihrer tiefsten Träume, ihres bangesten, herzbewegtesten -Sehnens, der müsste sie anknüpfen an -dieses Wort.</p> - -<p>Es ist nicht wahr, dass dieses Wort nicht auch -uns noch immer im Grunde all' unseres Denkens fortzitterte: -– die uralten Phantasieen des Volkes vom -Nilstrande, in denen der Zauber desselben zuerst eine -dämonische Macht geworden, sind von all' dem Alten, -Verklungenen vielleicht noch das Lebendigste und -greifbar Deutlichste, was mitten durch unsere junge -Welt wandelt. Wir sind anders geworden, besser, -freier, wir stehen nicht mehr im Morgenschein der -Jahrtausende, der helle Mittag wölbt sich über uns, der -grosse, helle Mittag, von dem wir noch kein Ende -sehen, – und doch – und doch. Das Wort Unsterblichkeit -ist nach wie vor eine zwingende Gewalt. Es -ist die Basis aller Metaphysik in der Religion. Die -Zeiten sind herum, wo die Menschheit einen Gott in<span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span> -Donnerwolken oder Knechtsgestalt zur Erklärung ihrer -Sittengesetze brauchte: die Frage des ewigen Looses -nach aller Zeitlichkeit fordert auch heute noch den -kühnen Flug über die Grenzen des Erkannten, und -wenn alle dogmatische Religion sich sonst zersetzen -sollte, so wird ihre letzte lebenskräftige Ranke sich -immer wieder emporwinden an der festen Säule des -Trostes am Grabe unserer Todten. Aber wie die -meisten Fragen, die eine religiöse Bedeutung besitzen, -ist auch diese zugleich auf's Engste verwachsen mit der -Dichtung. Ihre Behandlung unter den Prämissen realistischer -Aesthetik und Poesie scheint mir um so dringender -geboten, als die allgemeine Ansicht von der Stellung -der exakten Naturwissenschaft zu ihr vielfach eine einseitige -oder geradezu falsche ist. Dank einer gewissen -Sorte von voreiligem und bei bestem Willen hochgradig -ungeschicktem Popularisiren physiologischer Erkenntniss, -hat man sich daran gewöhnt, ein Dilemma -aufzustellen, das thatsächlich nicht stichhaltig ist. Man -wiederholt unaufhörlich die beiden Sätze: Entweder -unsere Seelen sind unsterblich, – – oder mit dem -Tode ist alles aus für ewige Zeiten und in jeder Bedeutung, -– wobei es dann als Folgerung der Wissenschaft -nahe gelegt wird, dass die erste Möglichkeit in -Wahrheit keine sei und die zweite als Kehrseite der -andern die nothwendig richtige sein müsse. Der Fehler -liegt in dem »entweder – oder«. Ich will versuchen, -das exact zu entwickeln. Die moderne Physiologie -ist, um den ersten Punct zunächst allein in's Auge zu -fassen, allerdings, sobald sie ehrlich sein will, gezwungen, -die gewöhnlichen Vorstellungen von Unsterblichkeit -sämmtlich zu vernichten. Die Seele im Volkssinne ist -für sie lebend wie todt ganz gleichmässig ein Gespenst.<span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span> -Das, was wir so nennen, ist ein Complex von Erscheinungen -höchst verwickelter Art, die wir unabänderlich -als Parallelphänomene gewisser molecularer Vorgänge -finden und zwar so parallel, dass jeder molecularen -Verschiebung auch eine Verschiebung des Psychischen -entspricht und das so genau, dass, wie ich es im vorigen -Capitel für ein bestimmtes Gebiet durchgeführt habe, -schematische Bilder des psychischen Mechanismus auf -den molecularen passen und umgekehrt. Möglicherweise -ist jede moleculare Erscheinung in der Welt von -entsprechenden psychischen begleitet, doch werden -letztere uns erst bemerkbar bei einer gewissen Summirung -und Ordnung der Molecularphänomene, wie -sie in der organischen und hier vor allem der höheren -organischen, der thierischen und schliesslich der menschlichen -Molecularstructur sich finden. Diese höhere -Structur ist lediglich ein Anordnungsproblem, eine -Constructionsaufgabe, bei der einfachste Bestandtheile -schliesslich den complicirtesten Bau liefern. Obwohl -durch gewisse, uns zur Zeit noch verschlossene Zeugungs- -und Vererbungsgesetze mit der nächsten Generation -ähnlicher Gebilde verknüpft, hat die einzelne -Molecularpyramide, die in ihrer ungeheuren Massenanhäufung -für bestimmte Zwecke auch die erstaunlichsten -psychischen Parallelerscheinungen aufwies, die -je geleistet worden waren, doch eine endliche Dauer -und zerfällt nach einer gewissen Zeit wieder in ihre -kleinen molecularen Bausteine. Letzteren Vorgang -nennen wir Tod. Dass die psychischen Phänomene, -die sich parallel mit den molecularen zu einer colossalen -Gesammtleistung für die Dauer der molecularen -Massenordnung vereinigt, im Momente des Zusammenbruchs -der molecularen Pyramide ebenfalls als Ganzes<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span> -verschwinden und sich in die problematischen geringsten -Procentsätze auflösen, die möglicherweise an jedem -Einzelmolecül haften, ist vollkommen selbstverständlich. -Das Schema des physiologischen Todes: Zerfallen einer -kunstvollen mathematischen Figur in lose, durch das -Spiel neuer Kräfte bald nach allen Richtungen verschobene -Puncte, muss sich nothwendig auch decken -mit dem Schema des psychologischen Todes. Der -Naturforscher muss als absolut sichere Thatsache constatiren, -dass noch niemals an irgend einem Puncte -der bekannten Welt psychische Erscheinungen ohne -entsprechende moleculare beobachtet worden sind, und -der Inductionsschluss vom Bekannten auf das Unbekannte -tritt mit allem Rechte in Kraft. Das Suchen -nach körperlosen Seelen, wie es in spiritistischen Kreisen -als angebliches Problem behandelt wird, kann gerade -vom methodologischen Standpuncte aus nur mit -dem Eifer verglichen werden, mit dem jener berühmte -Bürger der guten Stadt Schilda das Tageslicht vermittelst -einer Mausefalle zu fangen versuchte, um es -in das fensterlose Rathhaus zu überführen. Alles was -in's Gebiet dieser theoretischen wie practischen Narrheiten -gehört, kann physiologisch nicht scharf genug -zurückgewiesen werden. Der Dichter, der hier pikante -Stoffe zu finden glaubt, ist zu bedauern. Ich bin sogar -der Ansicht, dass, abgesehen von den Geistererscheinungen, -die keine Dichtung uns mehr im Ernste auftischen -kann, der rechte Poet auf so manche kleinen -Effecte verzichten soll, die man sich im Banne älterer -Anschauungen noch gefallen liess. Wenn er einen -Todten schildert, soll er nicht mehr die Reporterphrase -verwenden: »Die Mienen des Entschlafenen bezeugten -den tiefen Frieden, zu dem er eingegangen.« Die Gesichtsmuskeln<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span> -werden nach eingetretenem Tode meist -schlaff und geben den Zügen etwas Lächelndes. Aber -man sollte das nicht mehr als Anhaltspunct benutzen, -nachdem man weiss, dass es in Wahrheit nichts besagt -und eine körperliche Erscheinung ganz gleicher -Natur wie die nachfolgenden der Verwesung ist, die -kein Mensch als Effecte ausspielen möchte.</p> - -<p>Die strenge Wissenschaft geht übrigens noch -weiter. Sie verneint nicht nur die individuelle Fortdauer -der psychischen Processe über den Tod hinaus, -sondern sie bedroht auch ernstlich die letzte Zuflucht -der Unsterblichkeitsträume, die bedingte Fortdauer der -Väter in den Nachkommen. Es giebt gewisse nicht -wohl anfechtbare Schlüsse, die das ewige Bestehen -des Menschengeschlechts für die Zukunft ebenso unsicher -machen, wie es auf Grund der paläontologischen -Forschung für die Vergangenheit ist.</p> - -<p>Cosmologische Erscheinungen, die theils als Ergebniss -unendlich kleiner, aber unablässig anwachsender -Störungen, theils in Form gröberer Catastrophen -eintreten können, sind möglich, die den Planeten, an -dessen Existenz und Temperaturhöhe das organische -Leben gebunden ist, gänzlich vernichten oder doch -zum Bewohnen untauglich machen können. Auch -jener Fortdauer durch Zeugung ähnlicher Nachkommen -wäre damit ein Ziel gesetzt.</p> - -<p>Das ist mit runden Worten die eine Seite der -Frage. Die Antwort der Wissenschaft ist bei aller -Mangelhaftigkeit unserer physiologischen Erkenntniss -in diesem Falle decidirt genug, um alle leichtfertigen -Träumereien auszuschliessen. Die Dichtung kann nichts -thun, als die Thatsache annehmen, wie sie ist. Wir -dürfen weder poetisch darstellen, wie ein verstorbener<span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span> -Mensch aus dem Jenseits zurückgekommen, noch dürfen -wir überhaupt den Anschein erwecken, als hielten wir -die psychische Existenz eines lebenden Wesens für -etwas, was von der physiologischen Erscheinungsform -so unabhängig wäre, dass es beim Zerfallen der Letzteren -selbstständig weiter existiren könne.</p> - -<p>Mit Entschiedenheit muss ich mich nun aber gegen -die zweite Hälfte jenes Doppelsatzes wenden. Ich -frage: was will der Satz »mit dem Tode ist Alles aus«? -In dem »Alles« steckt eine Vermessenheit, die derselbe -Naturforscher, der eben die bestimmte, positive Einzelannahme -eines Fortlebens der individuellen Seele zurückweisen -musste, darum noch lange nicht kritiklos -nachzusprechen gezwungen ist. In jenem »Alles« wäre -enthalten, dass wir eine factische Kenntniss vom Wesen -der ganzen Welt, wie des Individuums hätten. Das ist -nicht der Fall. Es muss ganz scharf unterschieden -werden: die bestimmte psychisch-physiologische Weltansicht -des Naturforschers und die Welt an sich, die -Welt, die sich hinter dem Bilde verbirgt, das wir sehen. -Der Naturforscher ist ein Mensch. Er sieht Dinge um -sich her, so weit seine Sinnesorgane und sein Gehirn -ihm das erlauben – nicht mehr. Die schärfsten Beweise -sprechen dafür, dass diese Sinnesorgane und -dieses Gehirn ihm nur einen ganz beschränkten Theil -der wirklichen Welt zeigen, und es giebt eine Reihe -von Puncten, die nahe zu legen scheinen, dass sogar -dieser kleine Theil beeinflusst und möglicherweise gefälscht -ist durch die feste Form seines beobachtenden -und reflectirenden Organes. Da Alles, was wir gewahren, -erst in unserm Centralorgan zum Bilde wird, -so kann die Vermuthung nicht wohl widerlegt werden, -dass die Structur dieses Organs auf die Form dieses<span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span> -Bildes einen Druck ausübt; man hat mit einiger Wahrscheinlichkeit -bereits ausgesprochen, dass die Begriffe -des Raumes, der Zeit und der Causalität in unserm -subjectiven Weltbilde erst Wirkungen dieses Druckes -wären und somit überhaupt nur in uns, nicht in der -Aussenwelt existirten; man hat mit ziemlicher Sicherheit -den Begriff des Stoffes in uns selbst verlegt, -während von Aussen nur Krafteindrücke kommen. -Und es wird für den Laien am Besten ermöglicht, sich -in diese kühnen, aber nicht unbegründeten Hypothesen -hineinzudenken, wenn er sich an rohe Facta der -Sinnenwelt hält (beispielsweise die Farben, welche -bekanntlich nicht an den Gegenständen haften, die wir -roth, blau oder grün sehen, sondern in unserm Auge -sind) und sich mit ihrer Hilfe die Möglichkeit vergegenwärtigt. -Während diese Ideenkreise die Fälschung -unseres Weltbildes durch unser eigenes Denkorgan als -wahrscheinlich hinstellen, zwingt andererseits die Forschung -selbst zur Erkenntniss fester Grenzen. Wir -sind nicht im Stande, jenen Parallelismus von Psychischem -und Molecularem, von dem auf diesen Blättern -bereits so oft die Rede gewesen ist, irgendwie zu verstehen. -Wenn eine Molecülreihe rechts schwingt beim -Gefühl des Schmerzes, links bei dem des Angenehmen, -so ist damit noch keine Brücke geschlagen von der -Schwingung zum Gefühl und wir können lediglich den -nie wechselnden Parallelismus constatiren. Wenn wir -den Begriff des Molecüls zerlegen und die tieferen Geheimnisse -dessen aufzudecken versuchen, was wir -mechanische Kraft nennen, so verwickeln wir uns -nicht aus Unkenntniss der Sachen, sondern durch -offenkundiges Versagen der Logik in unlösbare Widersprüche. -Wir können nicht umhin, ein derartiges Aufhören<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span> -aller wissenschaftlich gangbaren Strassen als -Grenze zu bezeichnen. Wir fühlen sehr wohl, dass -jenseits derselben noch sehr Viel liegt, ja, die fundamentale -Kenntniss des Daseins eigentlich erst ihren Anfang -nehmen würde, aber es ist nichts zu machen, wir -können mit dem Gehirn, das wir haben, einfach nicht -weiter. Ob unsere Urenkel mehr vermögen werden, -muss ihnen ihr vielleicht weiter entwickeltes Gehirn -sagen, es geht uns gegenwärtig nichts an.</p> - -<p>Eine Wissenschaft aber, die von Grenzen, von -Fälschungen ihres Weltbildes zu reden gezwungen ist, -kann zwar innerhalb ihres Gebietes sehr wohl diese -oder jene Thatsache als sicheres Resultat aufstellen, -sie hat aber kein Recht, ihre Urtheile in der Weise -zu verallgemeinern, dass sie sich für competent in -Fragen der absoluten Welt, der Welt an sich, erklären -darf. Die Wissenschaft ist nicht nur berechtigt, sondern -genöthigt, ausdrücklich festzustellen, dass so, wie sich -die Welt in unsern Menschenaugen deutlich erkennbar -spiegelt, ein isolirtes Fortleben der Seele einfach unmöglich -ist. Mit dem Tode ist eine Kette von Ereignissen -der sichtbaren Welt zu Ende. Was beweist -das für die wirkliche Welt, jene Welt, die sich noch -unabsehbar hinter unsern Erkenntnissgrenzen dehnt und -von der ein ganz kleines, getrübtes Endchen in unser -Sehfeld sich erstreckt? Gar nichts. Wir, die wir weder -wissen, was psychische und moleculare Vorgänge ihrem -innersten Wesen nach sind, noch wie sie zusammen -kommen, wir, die wir von Zielen, Zwecken, Sittlichkeit, -Gesetzmässigkeit, Anfang, Ende, Schönheit oder Hässlichkeit -der wahren Welt auch nicht das Geringste -ahnen, wir sollten von etwas sagen, es sei zu Ende? -Wir, die wir in einer Welt voll unendlicher, sich im<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span> -Raum verlierender Linien, voll unendlicher Decimalbrüche, -voll unendlich theilbarer Körper leben, wir -sollen von irgend einem Ding sagen: Hier ist alles -aus? Eine wohlfeile Philosophie, die aus dem schwankendsten -unserer Begriffe, der Materie, etwas absolutes -macht, mag sich dabei beruhigen; Naturwissenschaft -ist das nicht.</p> - -<p>Ich hoffe, dass man mich richtig verstanden hat. -Alles was wir Menschen sehen, ist Physisches, auch -das Psychische, in so fern es stets an ein Physisches -geknüpft ist. Innerhalb dieses Physischen giebt es -keine Unsterblichkeit. Aber wir haben Grund zu -glauben, dass dieses Physische vor unsern Augen nicht -das echte Cosmische, das eigentlich Wahre und Seiende -ist, sondern bloss ein mattes und lückenhaftes Gleichniss -desselben. Innerhalb dieses eigentlich Seienden -ist allem Anschein nach das Leben, das psychische -wie das moleculare, selbst etwas ganz anderes, und -dort mag es Verhältnisse geben, die alle irdischen -Conflicte lösen, alles Schiefe versöhnen; die Annahme -kann uns nicht bestritten werden, der Naturforscher -hat hier nichts mehr zu sagen. Freilich: Wissen thun -wir von jener Welt an sich gar nichts, als dass sie -besteht. Aber darin liegt viel. Mit ihrer Existenz -haben wir einen ruhenden Punct gefunden, der ausserhalb -des Irdischen liegt. Mit dem Bewusstsein eines -solchen Punctes weicht die drückende Schwere des -Vernichtungsgedankens sowohl im Individuellen, wie -im allgemeinen Erdenloos. Mag unsere Laufbahn -immerhin um sein für die Augen, für das enge Gehirn -der verschwindenden Menschenwelle auf dem einsamen -Planeten der Sonne. <em class="gesperrt">Alles</em> ist damit nicht -aus. Hinter dem ewig verschlossenen Vorhang wandelt<span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span> -ein Anderes, ein Grösseres, als wir. Indem der -Forscher uns unerbittlich versagt, unsere Unsterblichkeitsträume -in Bilder der sichtbaren Welt zu kleiden, -eröffnet er uns zugleich durch die Feststellung von -Grenzen die Ahnung einer Welt, an die jene Träume -sich ungestört heften dürfen. In dem Versagen jenes -ersten Punctes muss er denn allerdings seine ganze -Strenge walten lassen.</p> - -<p>Wohl eröffnet sich uns der tiefe Gedanke, dass -unser Leben nicht das Absolute, nicht Leben im eigentlicheren -Sinne sei, sondern nur ein seltsamer Traum, -ein Wandelbild, das an uns vorüberzieht, wohl mögen -wir zugeben, dass der Tod nur eine Episode in diesem -Bilde, kein wirklicher Abschluss sei. Aber das ist -auch nun von der andern Seite wieder alles. Jene -wahre Welt greift nicht als fremder Gott in unsere -Welt ein, weder in den Offenbarungen der Religion, -noch den Geheimnissen des innersten Seelenlebens, -noch auch in den Idealen der menschlichen Kunst. Es -giebt keine Puncte im physischen Weltbilde, das wir -vor uns sehen, wo wir der Welt an sich näher oder -ferner wären; überall stossen wir bei einiger Durchdringung -der Erscheinungen auf die ewige Schranke.</p> - -<p>Gleichwohl – selbst mit all' diesem Vorbehalt – -scheint mir der Poesie vor allem eine mächtige Stütze -in dieser Fassung des Unsterblichkeitsgedankens zu -liegen. Für sie, die stets das Ganze, das Allgemeine -im Auge hat, ist das Resultat des Naturforschers, das -hinter der physischen Welt eine andere, wenn auch -unbekannte, nachweist, ein gewaltiger Gewinn. Dem -Irdischen, das in ungelösten Conflicten auseinandergeht, -wahrt sie die Fernsicht in ein Zweites, das dahinter -liegt und das zugleich unsere Erkenntnissschwäche,<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span> -wie unsere Hoffnung einschliesst. Nur wenn sich die -Poesie frei macht von dem gewöhnlichen, physischen -Unsterblichkeitsglauben und, der Wissenschaft folgend, -sich zu dem wahrhaft philosophischen Gedanken erhebt, -dass diese Erscheinungen des Lebens, wie des -Todes überhaupt nicht das wahre Wesen der Sache, -sondern nur das getrübte Bild, wie es unser Gehirn -im Zwange fester Ursachen schafft, darstellen – nur -dann kann sie mit gutem Gewissen wieder gelegentlich -den Schmerz der Tragödie mildern durch ein -weises Betonen des tröstenden Gedankens, dass weder -mit dem Leben, noch mit dem Tode, weder mit menschlichem -Glücke noch menschlichem Unglücke »Alles aus -sei.« Und es ist dann sehr einerlei, ob sie mit Hamlet -bloss unser Nichtwissen in die geheimnissschweren -Worte kleidet: »Der Rest ist Schweigen,« oder ob sie -in sieghaftem Vertrauen emporjubelt mit dem Götheschen -Chor: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniss!«</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-047.png" alt="" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span></p> - -<h2 id="Viertes_Capitel">Viertes Capitel.<br /> -Liebe.</h2> -</div> - -<p>Weit ab von jenen geheimnissvollen Schranken -des irdischen Geschehens, die wir im letzten Capitel -berührten, liegt mitten im Centrum der molecularen -Welt der unscheinbare Ursprung dessen, was unter -dem Flammenzeichen des stolzen Namens »Liebe« sich -zum mächtigsten Herrscher im Gesammtbereiche der -Poesie aufgerungen hat. Das Wort Unsterblichkeit -mit seinem Echo in den Gründen, »von wo kein -Wandrer wiederkehrt,« muss seiner Natur nach den -menschlichen Gedanken bis zu jenen Grenzen führen, -die dem Forscher gestellt sind; das Wort Liebe, und -mag das noch so hart hineintönen in alle unklaren -Träumerseelen, bedeutet in seiner Quelle, seinem Verlauf -und seinen Zielen eine durchaus irdische Erscheinung.</p> - -<p>Der Naturforscher, von dem der gewissenhafte -Dichter Aufschluss verlangt über die Resultate seiner -unbefangenen Forschung nach der Natur der Liebesempfindung, -ist gezwungen, den Fragenden vor die -Anfänge jener ungeheuren Kette zu stellen, die wir<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span> -zusammenfassend die organische Welt nennen. Tief -unten an den Wurzeln dieses riesigen Lebensbaumes -zeigt er ihm die einfache Zelle, ein selbstständiges -Wesen, nicht Thier noch Pflanze – einen Crystall aus -gleichem Stoffe geformt wie alle andern, aber von -allen ewig geschieden durch die Besonderheit seiner -molecularen Zusammensetzung. Gesetze, ihrem Wesen -nach unbekannt, wie jene, die den crystallinischen -Sprösslingen irgend einer Mutterlauge alltäglich vor -unsern Augen jenes mathematisch starre Gefüge geben, -das jeder Mineraliensammlung den allgemein bekannten -Charakter verleiht, ermöglichen dieser organischen Zelle -eine bestimmte Art von Aufnahme fremder Stoffe, die -sie wachsen lassen, und eine Zertheilung in zwei oder -mehrere Individuen vom Puncte an, wo dieses Wachsthum -einen gewissen, nicht näher definirbaren Zustand -der Reife erlangt hat. Wir kennen heute noch Geschöpfe -solcher einfachsten Art, deren Leben in den -beiden Processen des Wachsens durch Nahrungsaufnahme, -das durch das Vermögen der Ortsbewegung -unterstützt werden kann, und des Zerfallens in eine -Anzahl neuer, kleiner Individuen, bei denen sich dasselbe -wiederholt, erschöpft zu sein scheint. Die höchste -Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass sie unveränderte -Nachkommen uralter Formen sind, aus denen sich an -andern Stellen durch Umwandlung die gesammte Linie -der höheren Organismen entwickelt hat. Der Begriff -der Fortpflanzung bedeutet hier einfach, wie bei Mutter -und Kind: Trennung. Von Liebe, von einer Vereinigung -zweier Individuen ist noch keine Rede. Aber -in dieser Trennung liegt bereits der erste Schritt zum -Kommenden. Gewisse äussere Ursachen, die im Princip -jedenfalls am Besten in dem Darwin'schen Gedanken<span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span> -von der umwandelnden Macht des Kampfes -um's Dasein, der kleinste chemisch und physicalisch -bedingte individuelle Neigungen im bestehenden Typus -zu grossen Verwandlungen heraufzüchtet, ausgesprochen -sind, führten nämlich im Laufe der Zeit eine Fortentwickelung -unter den einzelligen Wesen herbei. Die -einfache Zelle zerfiel unter Umständen in ein Dutzend -Tochterzellen. Anstatt sich nun nach allen Richtungen -zu zerstreuen, konnte es für diese nützlich werden, -beisammen zu bleiben. Wir sehen ein Conglomerat -von Zellen einer einzigen Generation, die sich wie die -Haut einer Blase um einen hohlen Mittelraum gruppiren -und als Ganzes in einfachster Form das Schema -eines thierischen Körpers bilden. Zwischen den Zellen -entwickelt sich ein Gefühl der Gemeinschaft – der -Freundschaft, wenn man so will. Aus der Generation -von Zellen wird ein Zellenstaat, in dem die Mitglieder, -selbst Sprösslinge einer Einheit, sich gewissermassen -zu einer neuen, höheren Einheit zusammenthun. Sehr -bald entwickelt sich Arbeitstheilung. Da die Nahrungssäfte -durch die dünnen Zellwände hindurch bei -näherem Aneinanderschliessen auf Grund physikalischer -Gesetze frei circuliren, können sich einige wenige -Zellen, indem sie alle Kraft darauf verwenden, ganz -der Nahrungsaufnahme widmen und den übrigen die -motorischen und sensitiven Eigenschaften überlassen. -Durch diese Theilung der Functionen entstehen Organe, -das heisst bestimmte Ecken des Zellenstaates, -wo Zellen bloss noch für eine einzige Function thätig -sind, diese aber so intensiv betreiben, dass sie für alle -andern mit genügt. Am Ende ist ein höchst verwickelter -Organismus geschaffen, dessen Theile nur -mehr in der Gesammtmasse existiren können, so dass<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span> -der Zellenstaat ein einheitliches Wesen, ein wahres -Individuum wird. Die Frage ist: wie wird die Fortpflanzung -dieser complicirten Maschine vor sich gehen? -Das Zerfallen in neue Individuen war eine Function -der Einzelzelle. Im Zellenstaat hat diese sich bei der -allgemeinen Arbeitstheilung ebenfalls derartig in gewissen -Zellen localisirt, dass nur noch diese zerfallen -und Abkömmlinge des Ganzen in Gestalt einzelner -Zellen entsenden. Von diesen Tochterzellen gründet -später jede ihren neuen Staat für sich, indem sie den -alten Weg der Selbsttheilung einschlägt und aus den -Theilchen den Staat hervorgehen lässt. Der Vorgang -ist jetzt complicirter, aber noch immer behauptet die -Trennung allein ihr Recht, wo es sich um Fortpflanzung -handelt. Erst die nächste Stufe erweitert sie zu -etwas Neuem. Allenthalben bestehen Zellengemeinden, -die kleine Einzelzellchen als Sprösslinge aussenden. -Es ereignet sich, dass zwei dieser Sprösslinge – zwei -von verschiedenen Gemeinden – auf einander stossen, -sich vermischen. Jeder trägt das Bestreben in sich, -durch Selbsttheilung einen neuen Staat zu gründen. -Indem das Bestreben der Beiden sich vermischt, entsteht -ein gemeinsamer Bau von doppelt starken Dimensionen. -Wieder treten Gesetze in Kraft, die den Vortheil -nicht verloren gehen lassen, es bildet sich bei -einem grossen Theile der Zellenstaaten allmählich das -Bestreben aus, seine Sprösslinge alle sich mit je einem -Sprössling eines andern vermischen zu lassen, um dem -künftigen Neubau eine Doppelbasis von verstärkter -Kraft zu geben. Die Trennung des Keims vom Mutterorganismus -bleibt nach wie vor; aber es folgt ihr -eine Mischung, eine Vereinigung, ehe ein neuer Organismus -entstehen kann.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span></p> - -<p>Inzwischen, während dieser letzte Fortschritt sich -anbahnte, hat die Arbeitstheilung und Organisation in -den einzelnen Zellenstaaten colossale Entwickelungen -durchgemacht. Es giebt Zellstaaten, die aus Millionen -einzelner Zellen bestehen, welche sich um die verschiedensten -Hohlräume in mehrschichtigen Blasen -gruppiren, und jeder Keimzelle wird durch bestimmte -Vererbungsgesetze auferlegt, nach Verschmelzung mit -einer solchen eines andern gleichartigen Staates ein Gebäude -aufzuführen, das nach Kräften dem Mutterstaate -gleichen muss. Indessen: die Welt ist gross, die gleichartigen -Staaten sind oft weit von einander entfernt, -die frei ausschwärmenden Keimzellen finden sich oft -nicht zueinander. Es bahnt sich ein neuer Fortschritt -an. Wie einst jene ersten Tochterzellen in einem -Gefühle von Zugehörigkeit, von Freundschaft beisammen -blieben und den Zellenstaat gründeten, so vereinigen -sich jetzt je zwei Zellenstaaten – nicht um ganz zu -verwachsen, sondern bloss, um ihren Keimzellen durch -möglichst günstige locale Bedingungen das Verschmelzen -zu erleichtern. Sie treten von Zeit zu Zeit nahe zusammen, -und der eine entsendet seine Fortpflanzungszellen -in einen der geschützten Hohlräume im Innern -des andern, wo sie sich ungestört mit den Keimzellen -dieses letztern verbinden können, um ihr Verschmelzungsproduct -nachher von dort aus in's Freie treten -zu lassen.</p> - -<p>Der Laie, dem diese Dinge neu sind, denkt vielleicht, -der Naturforscher, indem er die letzte Stufe der -Zellenentwickelung schildert, stehe noch immer bei -grauen Urzeiten. In Wahrheit sind wir bereits am -Ziel. Der Mensch ist der höchste und vollendetste -Zellenstaat der zuletzt besprochenen Art; und zwar<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span> -ist der Mann der eine, das Weib der andere. Indem -sie sich geschlechtlich nähern, vermischt sich eine Keimzelle -des Mannes, die Samenzelle, mit einer Keimzelle -des Weibes, der Eizelle, in geschütztem Hohlraum des -weiblichen Körpers, aus der Mischung der beiden -Zellen entsteht der neue Zellenstaat des kindlichen -Organismus, der später aus dem bergenden Leibe des -Mutterstaates an's Licht des Tages tritt, um sich hier -fertig auszugestalten. Bei allen Verwickelungen des -Details geht durch den ganzen Zeugungsprocess ein -Athem staunenswerthester Einfachheit, ein Zurückgehen -auf die ursprünglichsten Erscheinungen des -organischen Lebens. In jenen beiden Keimzellen, der -Samen- und der Eizelle, wird der werdende Organismus -unter dem Bilde der anfänglichen Einzelzelle, des -Urwesens, von dem die ganze Kette abstammt, wieder -angelegt, <span id="corr053">und</span> indem der wachsende Embryo sich aus -ihnen formt, durchläuft er noch einmal die wichtigsten -Stufen der ganzen Ahnenreihe in traumhaft verschwommenem -Fluge. Noch einmal scheint die Natur -sich durchzutasten durch die unzähligen Erinnerungen -des organischen Stammbaums, über dessen einstigen -lebenden Vertretern jetzt bereits der Sedimentärschutt -vieler Jahrmillionen versteinernd lastet. Endlich wird -der Mensch. Aber auch in ihm mischen sich Vater -und Mutter noch immer so seltsam, dass man den -doppelten Ursprung ahnen kann, selbst wenn wir vom -Zeugungsacte gar keine Vorstellung hätten, die Eizelle -des Weibes und die Samenzelle des Mannes nie -im Lichtfelde unseres Mikroskops erschienen wären.</p> - -<p>Geheimnisse für den gegenwärtigen Stand der -Wissenschaft giebt es hier im Einzelnen die Menge, -Metaphysik gar nicht. Der Parallelismus des Psychischen<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span> -und Molecularen wahrt seine gewöhnliche Rolle, -das Geistige zeigt sich durchaus in stufenweisem Aufbau, -je nach der Entwicklungshöhe des Körperlichen, -und die menschlichen Seelenregungen äussern sich -folgerichtig erst mit Vollendung des menschlichen -Gehirns. Wer geneigt ist, den Schauer des Erhabenen -besonders stark vor den Momenten der höchsten Vereinigung -des Universellen und Geschichtlichen mit -dem Individuellen und Vorübergehenden zu empfinden -und dem Idealen die wissenschaftlich allein zulässige -Bedeutung des Allgemeinen, über das Einzelne als -höhere Einheit Hervorragenden zu geben, der wird in -den gesammten Erscheinungen des Zeugungsprocesses -eine hohe, vielleicht die allerhöchste ideale Erhebung -des individuell Menschlichen erblicken müssen und -ihnen gegenüber jene Regung stärker als irgendwo -anders empfinden. Wir verdanken den Begleitungsphänomenen -des Zeugungsgesetzes überhaupt, wenn -nicht sogar den Sinn für Schönheit, so doch das Wichtigste, -was wir schön nennen: die edeln Formen des -Weibes in ihrer künstlerischen Gegensätzlichkeit zum -Manne, die Farbenpracht der organischen Natur, deren -Blüthen, Federn, Düfte in ihrer höchsten Entfaltung -sämmtlich auf geschlechtlichen Beziehungen beruhen, -die reichen Gaben des Gemüthes, die sich in der Gatten- -und Elternliebe durch die höhere Thierwelt ziehen, um -schliesslich in den verallgemeinernden Regungen des -menschlichen Mitleids ihre höchsten Triumphe zu feiern.</p> - -<p>Unsere grossen Dichter haben sich dementsprechend -auch niemals gescheut, von den natürlichen -Acten der Zeugung als etwas Grossartigem und im -eminenten Sinne Idealem unbefangen zu reden und -den Satz aufrecht zu erhalten, dass wir es in ihnen<span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span> -keineswegs mit einem der Sittlichkeit als »Sinnlichkeit« -feindselig gegenübergestellten Principe, sondern vielmehr -mit der Basis aller Sittlichkeit zu thun haben. -Ohne eine solche naturgemässe Grundidee wäre beispielsweise -die Gretchentragödie des Faust, in der -gerade die Tiefe und Wahrheit der Neigung bei dem -Weibe, das geschlechtlich »Echte« das versöhnende -Element für alle Verletzung der Sitte abgiebt, vollkommen -widersinnig. Hier wie in andern poetischen -Meisterwerken liegt der Nachdruck auf dem Satze: -die Liebe <em class="gesperrt">muss</em> auf enge geschlechtliche Vereinigung -als ihr natürliches Ziel hinauslaufen, wenn sie wahr -sein soll – und wenn äussere Umstände gerade diese -Wahrheit des Gefühls zur Tragödie gestalten, so ist -sie selbst dann noch immer grösser als eine Unwahrheit -im gleichen Falle wäre, so gut wie Wallenstein, -obwohl er tragisch endet, grösser bleibt, als Einer, -der in seiner Lage anders handelte; der ganze Begriff -der Tragödie rankt sich eben um die Wahrheit auf.</p> - -<p>Diese Anschauungen unserer grossen Dichter, die -viel genannt, aber weniger gelesen werden, sind jedoch -keineswegs die gleichen wie die einer ungeheuren -Masse kleiner Dichter, die weniger genannt, aber vermöge -ihrer colossalen Menge weit mehr gelesen werden. -Die Begriffe, die unser Publicum sich seit Jahrhunderten -von der Bedeutung der geschlechtlichen -Dinge für das unausgesetzt behandelte Thema der -Liebe bildet, sind unter dem Einflusse dieser zweiten -Sorte von Dichtern nach und nach ganz eigenthümliche -geworden.</p> - -<p>Ich halte diesen Punct für lehrreich genug, um -ein deutliches Beispiel für jene eigenartige Krankheitsgeschichte -abzugeben, die sich unter dem Titel der<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span> -sogenannten »rein idealistischen« Richtung durch die -erotische Weltliteratur und wohl mit am ärgsten -durch unsere neuere erotische Poesie zieht, eine Krankheitsgeschichte, -die sich freilich, wie schon gesagt, zumeist -nur an der breiten Masse der Dichterwerke -bemerkbar macht, aber von hier aus schwere Ansteckungsstoffe -in's Publicum verbreitet hat. Man -wirft der modernen realistischen Richtung die Vorliebe -für pathologische Probleme vor. Ich erlaube mir im -Nachfolgenden, ein solches an einem ganzen Kreise -poetischer Bestrebungen zu entwickeln, auf die Gefahr -hin, jenem Vorwurfe zu verfallen. Ich schicke dabei -voraus, dass ich keineswegs der Erste bin, der darauf -hin weist, dass aber, wie so viele Fälle, die unmittelbar -in's Gebiet der Wechselbeziehungen zwischen -naturwissenschaftlichem Denken und poetischem Schaffen -gehören, auch dieser noch lange nicht eindringlich -und oft genug öffentlich besprochen wird und darum -in den Prämissen einer realistischen Aesthetik nicht -fehlen darf.</p> - -<p>Nehmen wir einmal für einen heitern Moment an, -es gäbe eine Dichterschule, die den kühnen Satz als -poetisches Programm aufstellte, die physiologische -Function der Nahrungsaufnahme im Menschen gehöre -zu den höchsten und dankbarsten Vorwürfen der -Poesie, und thatsächlich durch practische Werke ersten -Ranges die Haltbarkeit dieses Programmes darthäte. -Man müsste die Gründe prüfen, die jenem Unterfangen -zu Grunde lägen und, wofern diese stichhaltig -wären, sich darein finden und der Sache freuen. Jetzt -aber käme eine Spaltung innerhalb der neuen Partei -und es erhöben sich beredte Apostel, die Folgendes -aufstellten. Das Essen selbst sei etwas Unschönes,<span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span> -Unappetitliches, wohl gar Unmoralisches, dürfe nur im -Geheimen geübt werden, sei kein Gegenstand der -Poesie. Ein poetisches Element stecke bloss im Hunger. -Von unvergleichlichem dichterischen Werthe sei jener -eigenartige nervöse Zustand des Gehirns bei leise -dämmerndem Hungergefühl, jener Wechsel von geistigem -Eifer und geistiger Abspannung in seinen tausend -feinen Nuancen, wie er dem Mahle vorausgehe, bis zu -jenen Anfällen von Raserei, von Hallucinationen und -von völliger Lethargie, wie sie bei Verhungernden in -der Wüste sich zeigten, oder dem Ekel vor aller -Nahrungsaufnahme, der Blasirtheit im Puncte des Appetits, -wie sie durch sonstige Störungen des Nervensystems -hervorgebracht würden.</p> - -<p>Ich glaube, man würde, selbst das Ganze zugestanden, -diese Sectirer der letztern Sorte für Narren -erklären.</p> - -<p>Ich bin weit entfernt, diesen Titel auf alle Poeten -anzuwenden, die das Liebesproblem nach derselben -Seite hin einseitig gefasst haben, aber das Gefühl eines -vollkommenen Parallelismus kann ich nicht opfern. -Das natürliche Ziel der Liebesempfindung, so höre ich -von allen Seiten, soll man in der Poesie verschleiern -und beseitigen, die Empfindung selbst, die voraufgeht, -verherrlichen. Ersteres soll etwas grob Sinnliches sein, -<span id="corr057">letzteres</span> etwas Geistiges. In der That, auch der Hunger -ist scheinbar mehr ein nervösgeistiges Phänomen als -das Zerkauen der Nahrung zwischen den Zähnen. Aber -diese geistige Disposition ist, was beim Hunger kein -kleines Kind je bezweifelt hat, doch unmittelbares Erzeugniss -eines physiologischen Vorganges. Ganz so -die Liebe. Es ist physiologisch sogar leichter, die -Liebe aus dem Geschlechtsbedürfniss, als den Hunger<span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span> -aus dem leeren Magen abzuleiten. Erst von einem -gewissen Alter ab entwickeln sich beim Menschen die -mechanischen Bedingungen des Zeugungsactes; Hand -in Hand mit dieser Entwickelung schreitet das allmähliche -Erwachen und Functioniren des sexuellen Hauptcentrums -im Gehirn vor, dessen Thätigkeit wir uns in -der geistigen, nervösen Erscheinung des Liebesgefühls -bewusst werden. Jüngling und Mädchen beginnen sich -als etwas Gegensätzliches zu betrachten, das doch eine -Vereinigung fordert, der Unterschied der Formen erweckt -unklare Phantasiebilder, die durch individuelle -Sympathieen meist sehr bald eine feste Gestalt annehmen, -die Gestalt eines subjectiven Ideals, mit dem -vorkommenden Falles die geschlechtliche Vereinigung -grössern Reiz gewähren würde, als mit jedem zweiten -Wesen des andern Geschlechtes.</p> - -<p>Gegen diese einfache, dem Thatsächlichen Rechnung -tragende Auffassung der Liebe als Anregung -einer gewissen Gehirnpartie in Folge eines dem Gesammtorganismus, -dem Zellenstaate, erwachsenen Bedürfnisses -erhebt sich aber jene andere Meinung mit -erneuter Macht, indem sie das Wort »die Liebe ist -etwas Geistiges« so gefasst haben will, dass darin noch -etwas Besonderes stecken soll. Dieses Besondere aber, -das meist nicht näher definirt, dafür aber desto mehr -gepriesen und dem »Gemeinen« gegenüber gesetzt wird, -stellt sich bei kritischer Zerlegung sehr leicht als ein -Doppeltes heraus. Einmal ist es ein »Göttliches«, ein -»göttlicher Funke«, der in der Liebe zum Ausdruck -kommen soll, also ein Stück Metaphysik – das andere -Mal ein »Wahnsinn«, eine »zerstörende Macht«, also, -physiologisch gesprochen, ein Stück Psychiatrie. Wer -sich davon überzeugen will, ob diese Zerlegung des<span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span> -beliebten Begriffes richtig ist, der unterziehe sich der -Aufgabe, aus einigen Dutzend Romanen und lyrischen -Gedichtsammlungen der Alltagsmode die Phrasen -herauszuschreiben, in denen der Autor selbst oder seine -Haupthelden ihre Liebesgefühle definiren. Stets wird -er das Entweder – Oder finden: die Liebe ist von -Gott – die Liebe ist Wahnsinn. Nur höchst selten -wird er auch einmal verschämt angedeutet finden, dass -die Liebe auf natürlichen Gesetzen und Functionen -basirt, die ihre feste und geordnete Stellung im Zellenstaate -des menschlichen Organismus einnehmen. Am -»Göttlichen« in der Liebe zweifeln, ist für diese Poeten -und ihre Verehrer gleichbedeutend mit äusserster Roheit -und Gefühllosigkeit. Gleichwohl ist der realistische -Aesthetiker, der auf naturwissenschaftlichem Boden -steht, genöthigt, den Ausdruck für gänzlich werthlose -Phrase zu erklären. Wenn »göttlich« so viel heissen -will, wie in eminentem Sinne gemahnend an unsere -Abhängigkeit von einer grossen Entwicklungswelle, -an die Unterordnung des Subjectiven unter das Allgemeine, -so kann man sich das Wort gefallen lassen für -das eigentliche Ziel der Liebe, für die ganze Annäherung -und Vereinigung der Geschlechter. Das angeblich -Roheste und Gemeinste ist dann das hochgradig -Göttlichste und die Verbindung von Mann und Weib -in ihrer physiologischen Thatsächlichkeit der göttlichste, -d. h. der Gottheit nächst stehende Act, den das individuelle -Menschenleben überhaupt umschliesst. Die -göttliche Mission des Weibes besteht dann in seiner -Schönheit, die den Mann reizt – die Liebe, mit der -die Gatten einander begegnen, ist der höchste Gottesdienst. -In solchem Sinne mag das Wort gelten. Aber -diese Auslegung läuft dem gewöhnlichen Wortbegriffe<span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span> -schnurstracks entgegen. Andererseits die Liebe schlechthin -als Wahnsinn zu bezeichnen, ist physiologisch eine -Ungeheuerlichkeit. Das Geschlechtscentrum im geistigen -Apparate des Menschen kann erkranken, das ist -richtig. Die Liebe kann eine Verrücktheit werden, sie -kann vermöge der Trennung von functionirendem -Geschlechtsorgan und nervösem Gehirncentrum eine -Geisteskrankheit werden, deren Wahngebilde jede Fühlung -mit den wahren Zielen des natürlichen Triebes -verlieren, so gut wie es psychiatrische Fälle giebt, in -denen der Kranke jedes Gefühl für Nahrungsaufnahme -verliert und ohne Hilfe bei normalem Munde und -Magen verhungern würde. Diese sexuellen Geisteskrankheiten -sind streng zu unterscheiden von den -Krankheiten der sexuellen Functionsorgane. Sie treten -zumeist als Folgen bereits vorhandener anderer Verbildungen -des Gehirns auf. Seit uralten Zeiten sind -sie eine Begleiterscheinung bestimmter Formen von -religiösem Wahnsinn gewesen und lassen sich als -solche durch die Geschichte der orientalischen Völker -wie der abendländischen bis in's Mittelalter und bis -auf den heutigen Tag verfolgen – eine Aufgabe, der -allerdings noch kein grosser Historiker sich im rechten -Masse unterzogen hat. Sie treten ferner chronisch und -wahrscheinlich sogar erblich bei Nationen auf, deren -cerebrale Centra durch Ueberbildung und zwecklosen -Luxus geschwächt und verdorben sind; dahin gehört -die gesammte historische Entwickelung der Päderastie, -bei deren Beurtheilung übrigens der moderne Rechtsstandpunct -so wenig durch die Erkenntniss des Krankhaften -verrückt wird, wie es durch die Leugnung der -Willensfreiheit auf andern Gebieten geschieht. Selbst -die einfache Einseitigkeit in der Anstrengung gewisser<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span> -Gehirnpartieen beim vollkräftigen Genie besitzt meistens -einen irgendwie schädigenden Einfluss auf die benachbarte -sexuelle Gegend des nervösen Centralapparates, -so dass die geschlechtlichen Neigungen sehr grosser -Männer durchweg nicht als Muster des Normalen -gelten können, äussere sich dieses Abweichen von der -Linie nun in widernatürlicher Enthaltsamkeit oder unbändiger -Ausschweifung.</p> - -<p>Aus allen diesen Einschränkungen ergiebt sich -nun aber doch noch lange nicht die Krankhaftigkeit -<em class="gesperrt">aller</em> Liebeserscheinungen. Die Liebe soll ein Zwang -sein, der auf dem freien Bewusstsein lastet, der die -Seele knechtet und zu Gemeinem treibt. Da liegt der -fundamentale Irrthum. Um das freie Bewusstsein, die -unabhängige göttliche Seele zu retten, erklärt man -den einfachsten und logischsten Naturtrieb für eine -unwürdige Fessel, die uns an's Gemeine kettet. Hier, -wie bei dem andern Falle liegen die Wurzeln im Metaphysischen, -sagen wir immerhin, da wir von modernen -Dichtern sprechen: im Christlichen. Die künstliche -Seele, die uns diese religiösen Anschauungen in den -Menschen hineingedacht haben, empfindet schliesslich -die ganze Natur, auch wo sie heiter und glücklich -macht, als Zwang. Der Zeugungsact verwandelt sich -ihr, obwohl von anderem Standpuncte, von anderer -cerebraler Verbildung aus, als bei dem sexuell erkrankten -Don Juan oder dem geschlechtlich complet -wahnsinnigen alten Griechen, in ein leeres Spiel, eine -Dummheit, von der wir uns frei machen möchten. Das -fällt aber selbst bereits in's Gebiet der sexuellen Gehirnkrankheit.</p> - -<p>Der einfache Schluss ergiebt sich: jene ganze Literatur, -die in guten oder schlechten Versen, reiner oder<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span> -fehlerhafter Prosa uns unablässig von dem Dämon der -Liebe, von der Knechtung unter das Joch Amors seufzt -und die reine, heilige, göttliche Minne preist – jene -ganze Literatur ist Product einer mehr oder minder -entwickelten sexuellen Gehirnschwächung, die täglich -weiter um sich greift, je mehr Menschen mit empfänglichem, -für die Gewohnheitslinien des Unterrichts geebnetem -Gehirn jene Literatur lesen und wieder lesen. -Ein schwererer Vorwurf kann meines Erachtens gegen -eine ganze Richtung der Poesie nicht wohl erhoben -werden. Die nothwendige practische Folge ist, dass eine -Scheidung entsteht zwischen der gewöhnlichen, normalen -Liebe, der sogenannten hausbackenen, und jenem -metaphysisch verbildeten, in lauter Jammer und Träumen -dahinsiechenden Zerrbilde der Liebe, das Roman, -Drama und Lyrik allerorten predigen. Der gesunde -Spiessbürger, der seine Gehirncentra noch in erfreulicher -Ordnung beisammen hat, unterscheidet schliesslich -mit sicherm Gefühl die »Liebe, wie sie im Leben -vorkommt« von der »Liebe in Büchern und Theaterstücken«, -und der junge Mann oder das junge Mädchen, -die sich schon in unreifen Jahren durch das beständige -Hören und Lesen in letztere zuerst hineinhimmeln, -sehen sich durchweg bei späterm, reifem Eintritt in das -wirkliche Leben genöthigt, jenes erste Bild zwangsweise -wieder aus dem Gehirn herauszuschaffen – ein -Process, der in nur zu vielen Fällen gar nicht mehr -gelingt – so wenig, wie ein Kind, das man an Morphium -gewöhnt hat, später noch normal einschlafen -kann. Wer nicht blind ist, muss einsehen, dass wir -hier dem vollkommenen Bankerotte der erotischen -Poesie entgegensteuern, denn was sich vom Normalen -derartig trennt, muss über kurz oder lang nothwendig<span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span> -gewaltsam unterdrückt werden. Anstatt aber Hilfe zu -schaffen, wüthet man vielmehr gegen jede Sorte von -Schriftstellern, die der Liebe in ihren Dichtungen wieder -zu einem natürlichen Boden verhelfen möchten. -Es ist eine höchst traurige Erscheinung, wie dabei -alles durcheinander geworfen wird. Männer, die mit -Bewusstsein daran gehen, die Kehrseite der echten -Liebe in den krankhaften Entartungen zu schildern, -stellt man ganz unbefangen neben oder unter solche, -die selbst im Banne sexueller Gehirnaffectionen stehen -und ihre Bücher mit den unlogischen Gebilden ihrer -kranken Phantasie füllen, ohne ihre Abirrung vom -Normalen selbst zu empfinden. Gewiss sind auch jene -bewussten Studien über das Abnorme mehr oder -weniger eine unerfreuliche Lectüre und gewinnen -höchstens durch den Contrast, den das Logische und -Helle der wahren Liebe selbst unausgesprochen gegen -alle diese Fratzen und Verirrungen bildet. Aber -welcher unendliche Fortschritt liegt schon allein in -dem Bewusstsein, wie es Zola's Nana oder Daudet's -Sappho vertreten – dem schneidig scharfen Bewusstsein, -dass wir es hier mit kranken Menschen zu thun -haben, mit krankhaften Situationen, krankhaften Verwickelungen. -Von der Erkenntniss des Falschen, Ungesunden -zur Erkenntniss des Wahren und Gesunden -ist aber nur ein Schritt. Jene Schriftsteller, die vor -unsern Augen sich so eifrig mit dem Studium der -entarteten Liebe befassen, bekunden bereits auf Schritt -und Tritt eine weit tiefere Einsicht in das Gebiet des -Normalen, wie hundert andere, die nach ihrer und -ihrer Leser Meinung niemals die Linie des Erhabenen -auf erotischem Gebiete verlassen haben. Eine zukünftige -Poesie, die sich an die Ersteren anlehnt, ohne<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span> -ihnen auf ihr Specialgebiet zu folgen, wird das Grösste -zu leisten im Stande sein. Wir wollen übrigens darin -Gerechtigkeit walten lassen, dass wir unsern Poeten, -die theils unbefangen, theils mit kritischem Bewusstsein -immerfort das Krankhafte in der Liebe schildern, -nicht die ganze Schuld daran aufbürden. Die Poesie -– wenigstens die unbefangene – hilft zwar das Gift -weiterverbreiten, aber sie empfängt es auch unablässig -aus dem Leben zurück. Eine ungeheure Masse falscher -Sentimentalität, künstlicher Gefühle, moralischer Unnatur -belastet unser ganzes modernes Liebesleben. -Freytag hat gelegentlich in seinem Romane von der -verlorenen Handschrift ein anmuthiges Bildchen vom -deutschen Mädchen entworfen, wie es unsere Bildung -in unsern Städten heranbildet. Das Bild ist anmuthig -geblieben, weil der Kern in diesem einzelnen Mädchen -durch und durch gesunde Erbschaft war und das Sentimentale -sich bloss in einer Form darüber ranken -konnte, die dem Humor Stoff bot, aber ohne ernste -Folgen blieb. Leider ist dieses Bild schon nicht mehr -überall das Typische. Eine widerwärtige Sentimentalität -greift wie ein schleichendes Gift allenthalben um -sich und zeitigt ein Geschlecht von Menschenkindern, -in deren Empfindungen so wenig waschechte Natur -steckt, wie auf den Wangen einer Pariser Ballschönheit. -Es ist vor allen Dingen Mission der Poesie, die -hier viel gesündigt und viel gelitten, mit festem Muthe -sich mehr und mehr dem Modegeschmacke entgegenzustellen. -Sie kann es aber nur, indem sie echt realistisch -wird, das heisst: sich an die Natur anlehnt. -Der einfache Realismus, der den Menschen die wahren -Kleider des Lebens anzieht, ist noch lange nicht ausreichend -zum wirklichen Zweck. Es gilt tiefer zu<span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span> -gehen und die Welt wieder an den Gedanken zu gewöhnen, -den sie durch Metaphysik, Sentimentalität und -Katzenjammer so vielfach verloren: dass die Liebe -weder etwas überirdisch Göttliches, noch etwas Verrücktes -und Teuflisches, dass sie weder ein Traum, -noch eine Gemeinheit sei, sondern diejenige Erscheinung -des menschlichen Geisteslebens darstelle, die den -Menschen mit Bewusstsein zu der folgenreichsten und -tiefsten aller physischen Functionen hinleitet, zum -Zeugungsacte. Damit eine derartige Rolle für die -Poesie aber ermöglicht werde, ist es allererste Bedingung -für den realistischen Dichter, sich über die -näheren Puncte der physiologischen Basis des Liebesgefühls -zu unterrichten. Nur eine strenge Beobachtung -der Gesetze und Erscheinungen des Körperlichen -in seinen verschiedenen Phasen kann zu neuen Zielen -führen. Das erfordert freilich auch an dieser Stelle -wieder harte Arbeit für den Poeten. Das leichte Fabuliren -von den lustigen oder bösen Abenteuern verliebter -Seelchen hört dabei auf, und der Dichter wird -nothgedrungen sogar hin und wieder Pfade wandeln -müssen, wo die landläufige Moral erschreckt zurückschaudert. -Wer dazu nicht das Zeug in sich fühlt, -der soll dem Liebesproblem fern bleiben; besser gar -keine Liebesgeschichten mehr, als jene gefälschten; -denn der Dichter mag lügen, wo er Lust hat – es -ist alles harmlos gegen das Lügen auf erotischem Gebiete, -dessen Folgen bei dem von Natur gesetzten -Nachahmungs- und Gewohnheitstriebe des menschlichen -Geistes unmittelbar in's practische Leben hineingreifen. -Ich nehme keinen Anstand, zu behaupten, -dass wir überhaupt eine erschöpfende dichterische -Darstellung des ganzen normalen Liebeslebens in Weib<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span> -und Mann von seinen ersten Keimen bis zur reifen -Mitte und wiederum abwärts bis zum langsamen Versiegen -im alternden Organismus in der gesammten -Weltliteratur noch nicht besitzen. Zola hat in seinem -geistvollen und tiefen Romane »La joie de vivre« -wenigstens gelegentlich einmal den Versuch gemacht, -an einem gesunden weiblichen Typus ein vollkommen -plastisches Bild zu entwickeln; aber bei seiner Neigung -für das Pathologische, die ihm nun einmal im Blute -steckt, ist das Ganze nach meisterhafter Anlage -schliesslich doch einseitig und ohne die natürliche Versöhnung -ausgelaufen. Was ich fordere, ist noch weitaus -mehr. Ich fordere neben vollkommen scharfer -Beobachtung eine bestimmte Tendenz. Man rede mir -nicht davon, die realistische Dichtung müsse sich ganz -frei machen von jeder Tendenz. Ihre Tendenz ist die -Richtung auf das Normale, das Natürliche, das bewusst -Gesetzmässige. Die Poesie hat mit wenigen, -allerdings sehr hoch stehenden Ausnahmen bisher zu -allen Sorten abnormer Liebe erzogen. Sie muss in -Zukunft versuchen, dem Leser gerade das Normale -als das im eminenten Sinne Ideale, Anzustrebende -auszumalen. Nur dann giebt es noch einen Aufschwung -in der erotischen Poesie. Der vermessene -Ausspruch muss mit Macht widerlegt werden: das -Gewöhnliche, jene Liebe, die der einfache Spiessbürger -auch erlebt, wenn er gesund ist, sei zu gering für den -edeln Schwung der Poesie. Das ist die schwerste -Unwahrheit, die je Geltung gewonnen hat in der Literatur. -Ihre Folge ist gewesen, dass wir hunderttausend -Bände über eine sentimentale, nervös überspannte -Liebe und eben so viele über eine unter alles -Natürliche herabgesunkene Liebe besitzen – eine<span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span> -Literatur voller Göttinnen und Cocotten, aber ohne -Normalmenschen.</p> - -<p>Unwillkürlich, indem ich dieses schreibe, schweift -mein Blick in entlegene Tage hinüber. Wunderbare -Gleichförmigkeit der auf- und niedersteigenden Wellen -im Laufe der Culturgeschichte! Derselbe Gedanke, -der uns heute zu so herbem Urtheile über eine grosse -Masse der vorhandenen Poesie treibt, den wir als neue -Frucht vom ewig fortgrünenden Baume der Erkenntniss -zu pflücken glauben: er lebte in Cervantes schon, -als er Don Quixote's Freunde die geistverderbenden -Ritterromane zum Flammentode verdammen liess.</p> - -<p>Wann erstehen unserer Zeit die treuen Freunde, -die sie von ihren gefährlichen Lieblingen erlösen?</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-067.png" alt="" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span></p> - -<h2 id="Fuenftes_Capitel">Fünftes Capitel.<br /> -Das realistische Ideal.</h2> -</div> - -<p>Ist es mehr als ein Wortspiel, ein heiteres Paradoxon, -was in den beiden Worten der Ueberschrift -liegt? Kennt der Realismus ein Ideal? Giebt es etwas -derart in all' den Gigantomachieen des modernen realistischen -Romans, diesen wilden Büchern, in denen -der Mensch hoffnungslos ringt mit zerstörenden Gewalten, -mit den zermalmenden Gespenstern der Vergangenheit, -mit den rohen Naturmächten einer blinden -mechanischen Weltordnung, in diesem öden Lande, -das keine Götter mehr kennt, keine Freiheit des Willens, -keine Unsterblichkeit im alten Sinne, keine von -allen Banden der gemeinen Natur erlöste Liebe?</p> - -<p>Es wäre vielleicht angemessener gewesen, diese -Frage zu allererst aufzuwerfen, ehe wir uns der Mühe -unterzogen, jene einzelnen Puncte näher zu prüfen. -Ich habe gleichwohl den umgekehrten Weg gewählt. -Anstatt das Wort »Ideal« unmittelbar mit seinem Vollgewicht -in die Rechnung einzusetzen, habe ich mich -bemüht, den Leser selbst mehr und mehr dem Begriffe -nahe zu bringen, der nach meiner Ansicht sich<span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span> -innerhalb des Realismus allein noch mit jenem stolzen -Worte deckt. Wer mir genau gefolgt ist, kann nicht -mehr im Zweifel darüber sein.</p> - -<p>Wir haben gebrochen mit der Metaphysik. Jenseits -unseres Erkennens liegt eine andere Welt, aber -wir wissen nichts von ihr; unser Ideal, so fern es eine -lebendige Macht sein soll, muss irdisch, muss ein Theil -von uns sein, muss der Welt angehören, die wir bewohnen, -die in uns lebt und webt. Wir haben gebrochen -mit den heitern Kinderträumen von Willensfreiheit, -von Unsterblichkeit der Seelen in den Grenzen -unseres Denkens, von einer göttlichen Liebe, die ein -anderes, als das natürliche Dasein lebt. Unser Weg -geht aufwärts zwischen zerborstenen Tempelsäulen, -zwischen versiegenden Quellen, zwischen verdorrendem -Laub. Wir wissen jetzt, dass unsere Visionen, unsere -Prophetenstimmen, unsere leidenschaftlich schmachtenden -und schwelgenden Gefühle nichts besseres waren, -als Krankheit, Delirien des Fiebertraums, dämmernde -Nacht des klaren Geisteslichts. Nun denn: wenn dem -allem so ist, das Ideale geben wir damit doch nicht -auf. Wenn es nicht mehr der Abglanz des Göttlichen -sein darf, so ist ihm darum nicht benommen, die Blüthe -des Irdischen zu sein, die tiefste, reinste Summe, die -der Mensch ziehen kann aus allem, was er sieht, all' -dem Unermesslichen, was sich in der Natur, in der -Geschichte, in allem Erkennbaren ihm darbietet. Wenn -er den Blick schweifen lässt über diese ganze Erde, -über sein ganzes Geistesreich, so sieht er im Grunde -all' dieser wechselnden Formen ein einziges grosses -Princip, nach dem alles strebt, alles ringt: das gesicherte -Gleichmass, die fest in beiden Schaalen schwebende -Wage, den Zustand des Normalen, die Gesundheit.<span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span> -Ganz vollkommen erfüllt ist dieses Princip allerdings -nirgendwo. Aber es schwebt über Allem als -das ewige Ziel, niemals ganz realisirt, aber darum -doch die unablässige Hoffnung des Realen. Es giebt -nur einen Namen für dieses Princip, er lautet: Ideal. -Vor diesem Ideale schwindet jeder Unterschied des -Bewussten und Mechanischen in der Natur. Der Mensch, -indem er sich seiner bewusst wird im Triebe nach -Glück, Frieden, Wohlsein, harmonischem Ausleben des -Zuerkannten, theilt nur den innern Wunsch, der allem -Spiel molecularer Kräfte zu Grunde liegt. Das letzte -Ziel des grandiosen Daseinskampfes, der zwischen den -frei schwebenden Himmelskörpern wie zwischen den -Elementen auf Erden, zwischen den einfachen chemischen -Stoffen wie zwischen den geheimnissvollen Bildungen -des organischen Lebens tobt, ist nichts anderes, -als der dauernde Wohlstand von Generationen, die in -Einklang mit der Umgebung gelangt sind. In diesem -Sinne ist die Natur selbst erfüllt von einer tiefen, -zwangsweisen Idealität, und wo ihre volle Entfaltung -zu Tage tritt, äussert sich diese in der höchsten Annäherung -an das ideale Princip des grösstmöglichen -Glückes der Gesammtheit, an dem jedes Individuum -seinen Antheil hat. Dunkel, wie der ganze Untergrund -der grossen Daseinswelle, in der wir leben, für -unsere Erkenntniss bleibt, ist die ideale Richtung auf -das Harmonische, nach allen Seiten Festgefügte, in -seiner Existenz Glückliche und Normale überhaupt die -einzige feste Linie, die wir durch das ganze Weltsystem -verfolgen können. Es ist die einzige treibende -Idee, die aus dem ungeheuren Wirrsal des Geschehens -einigermassen deutlich hervortritt, von der wir sagen -können: sie verkörpert ein Ziel, einen Endpunct. Die<span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span> -weiteren philosophischen Träumereien, ob man sich -die Welt denken solle als etwas ursprünglich Gutes, -das schlecht geworden und nun im Banne eines metaphysischen -Willens wieder zum Anfänglichen zurückstrebe -– ob das absolute Glück denkbar sei als absolute -Ruhe oder harmonische Bewegung – das alles -geht mich hierbei herzlich wenig an.</p> - -<p>Ich wahre durchaus den Standpunct des Naturforschers. -Wenn aber ein derartiges ideales Princip -sich von diesem aus für die ganze sichtbare Welt -ergiebt, so hat auch der realistische Dichter ein Recht, -sich seiner zu bemächtigen, es als »Tendenz« in seinen -Dichtungen erscheinen zu lassen. Tendenz zum Harmonischen, -Gesunden, Glücklichen: – – – was will -man mehr von der Kunst? Giebt es einen besseren -Boden für die Aesthetik, um ihren menschlichen Begriff -des Schönen darauf zu bauen? Es ist hier nicht -meine Aufgabe, zu zeigen, wie dieser Begriff des -Schönen selbst sich im Einzelnen aus dem Begriffe -des Normalen, Gesunden entwickelt, ich beschränke -mich auf die Grundlagen. Es wird nicht Wenigen -so vorkommen, als sinke die realistische Dichtung -durch Anerkennung jener Tendenz von ihrer hohen -Sonderstellung jäh wieder herab zum Gewöhnlichen. -Wenn die Tendenz zum Glücke wieder oben anstehen -soll, so hat ja auch der billigste Liebesroman, dessen -einziges Ziel ist, dass »sie sich bekommen«, das Recht -der Existenz damit zurück erhalten. In Wahrheit will -das nichts heissen. Der realistische Dichter soll das -Leben schildern, wie es ist. Im Leben waltet die -Tendenz zum Glück, zur Gesundheit als Wunsch, -nicht als absolute Erfüllung. Das wird der Dichter -durchaus anerkennen müssen. Er wird sich stets fernhalten<span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span> -von dem Unterfangen, uns die Welt als ein -heiteres Theater darzustellen, wo alle Conflicte zum -Guten auslaufen. Eine unerbittliche Nothwendigkeit -wird ihn zu den schärfsten Consequenzen zwingen, -und wenn er, was nicht zu vermeiden, das Ungesunde -in sein Experiment hineinzieht, so ist er verpflichtet, -es in seinem ganzen Umfange zur folgerichtigen Entwicklung -zu bringen. Seiner Tendenz dient er dann -eben bloss im Negativen, im Contraste.</p> - -<p>Im Allgemeinen kann ich auch hier nur wiederholen, -was bereits öfter gesagt ist: der Realismus hat -gar kein Interesse daran, allenthalben mit der Prätention -des durchaus »Neuen« aufzutreten. Seine wesentlichste -Mission ist, zu zeigen, dass Wissenschaft und -Poesie keine principiellen Gegner zu sein brauchen. -Das kann aber ebenso gut geschehen, indem wir -wissenschaftlichen Factoren in der Dichtung zu ihrem -Rechte verhelfen, wie gelegentlichen Falles auch, indem -wir einen Zug zum Idealen in der Wissenschaft -nachweisen. Nur allein das Metaphysische muss uns -fern bleiben. Das Streben nach harmonischem Ausgleich -der Kräfte, nach dauerndem Glück ist in jeder -Faser etwas Irdisches. Hier auf Erden ringt der Einzelne -nach Seligkeit, hier auf Erden pflanzen wir in -heiterem Bewusstsein Keime zum Segen der kommenden -Geschlechter. Die dunkle Welt des Metaphysischen -sagt hier nichts, hilft nichts, hindert nichts; sie -kann, wie ich das ausgeführt habe, einen tröstenden -Gedanken abgeben beim Tode; an Glück und Unglück -im Leben ändert sie nichts.</p> - -<p>Jene Schule des Realismus, die gegenwärtig so -viel Staub aufwirbelt, hat uns mit beharrlichem Bemühen -in einer langen Reihe von psychologischen<span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span> -Gemälden mit dem traurigen Bankerotte des menschlichen -Glücksgefühls in Folge krankhafter Verbildung -bekannt zu machen gesucht. Ich erwarte eine neue -Literatur, die uns mit derselben Schärfe das Gegenstück, -den Sieg des Glückes in Folge wachsender, -durch Generationen vererbter Gesundheit, in Folge -fördernder Verknüpfung des schwachen Individuellen -mit einem starken Allgemeinen in Vergangenheit und -Gegenwart vorführen soll. Auch dafür giebt es Stoff -genug in der Welt, und zwar ist das gerade der Stoff, -der in eminentem Sinne das Ideale in der natürlichen -Entwickelung darlegen wird. Das Ideale, von dem -wir nach Vernichtung so vieler Illusionen noch zu -reden wagen, liegt nicht hinter uns wie das Paradies -der Christen, nicht nach unserer individuellen Existenz -in einer persönlichen Fortdauer im Sinne der Jünger -Mohammeds, nicht ganz ausserhalb des practischen -Lebens in den Träumen des Genies, des Poeten: es -liegt vor uns in der Weise, dass wir selbst unablässig -danach streben und in diesem Streben zugleich das -Wohl unserer Nachkommen, die Erfüllung derselben -im Ideale anbahnen helfen. Das soll uns die Dichtung -zeigen. Idealisiren muss für sie nicht heissen, -die realen Dinge versetzen mit einem Phantasiestoffe, -einem narkotischen Mittel, das Alles rosig macht, aber -in seinen schliesslichen Folgen unabänderlich ein Gift -bleibt, das den normalen Körper zerstört – sondern -es muss heissen, den idealen Faden, den fortwirkenden -Hang zum Glücke und zur Gesundheit, der an allem -Vorhandenen haftet, durch eine gewisse geschickte -Behandlung deutlicher herausleuchten zu lassen, ungefähr -wie ein Docent bei einem Experimente sehr wohl -die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf eine bestimmte<span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span> -Seite desselben lenken kann, ohne darum den natürlichen -Lauf zu verfälschen. Die oberste Pflicht des -Dichters hierbei muss freilich allezeit Entsagung sein. -Wie schon betont: das Wollen, das wir in der Natur -sehen, ist selbst noch keine Erfüllung. Je gesunder -der Poet selbst ist, desto eher wird er in die Gefahr -gerathen, einerseits das Ungesunde zu grell zu malen, -andererseits seine Welt gewaltsam als ein Reich der -Gesundheit ausmalen zu wollen. Das Wirkliche muss -hier als ewiger Corrector die Auswüchse beseitigen. -Für den Standpunct des natürlichen Ideals in der allgemeinen -Werthschätzung ist es schliesslich immer -noch besser, man lässt es zu schwach durchschimmern -im Gange der geschilderten Begebenheiten, als man -profanirt es in der Weise des alten metaphysischen -Ideals durch künstliches Auffärben.</p> - -<p>Eine realistische Dichtung aber ganz ohne Ideal -– – – das ist mir etwas Unverständliches. Im -Märchen mag gelegentlich alles schwarz sein. Im -Leben giebt es dunkle Sterne und dunkle Menschenherzen. -Aber um den finstern Bruder, mit dem ihn -am Himmel das Gesetz der Schwere verkettet, kreist -der helle Sirius – neben den kranken Seelen wandeln -gesunde. Wer die Welt schildern will, wie sie ist, -wird sich dem nicht verschliessen dürfen.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-074.png" alt="" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span></p> - -<h2 id="Sechstes_Capitel">Sechstes Capitel.<br /> -Darwin in der Poesie.</h2> -</div> - -<p>Es giebt ein psychologisches Gebiet, das wie kein -anderes geschaffen ist, den Blick des Dichters, der in -die Tiefen der menschlichen Tragödie einzudringen -sucht, mit magischem Banne zu fesseln. Es ist die -Erscheinung des bahnbrechenden Genies, des Entdeckers, -Erfinders, Reformators auf irgend einem Boden, -den noch keiner bebaut hat. Wechselnde Bilder -ziehen bei dem einfachen Worte durch den Vorstellungskreis -des Gebildeten. Ein Hauch des Einsamen, Weltentrückten, -der menschenleeren Wüste streift seine -Stirn, durch sein geistiges Auge zittert der verlorene -Schein des Lämpchens in der Zelle des verlassenen -Grüblers, ein Rauschen von Wogen berührt sein Ohr, -über denen schwere Nebelmassen die Fernsicht nach -jungfräulichem Inselboden für den Blick der Welt verhüllen. -Christus, der dem Zwiegespräch der Geister in -der Einöde lauscht, Gutenberg, der im stillen Gemache -seine Lettern fügt, Columbus, der die Wellen eines -neuen Meeres an sein Steuer branden lässt, treten aus -dem Schatten der Geschichte hervor. Aber aus dem<span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span> -Strahlenkreise der Vision steigt auch das blutige Kreuz -von Golgatha, klirrt die Kette an den Armen des hispanischen -Admirals, tönt der Seufzer des sterbenden -Buchdruckermeisters von Mainz, den sie um die Früchte -seiner Arbeit betrogen. Der prüfende Geist öffnet sich -der Frage: Was für ein Phänomen der irdischen Entwickelungslinie -wandelt in diesen Bildern der Einsamkeit, -der Grösse und des Martyriums an uns vorüber? -Wieder, wie bei den grossen Problemen, die ich früher -gestreift, steht die Antwort in erster Linie dem Naturforscher -zu.</p> - -<p>Um was es sich handelt, das ist nichts Wichtigeres -und nichts Geringeres, als die Bildung einer neuen Art.</p> - -<p>Die Zeit ist noch nicht allzu fern, wo der Naturforscher -sich bei diesem Begriffe nicht viel denken -konnte. Heute ist das anders. Die gesammte Formenwelt -des Organischen hat sich herausgestellt als eine -mächtige, in tausend und tausend Adern zerspaltene -Entwickelungswelle, in der das Geschlecht des Menschen -nur einen einzigen Ast bildet.</p> - -<p>Tief an der Wurzel schon zertheilt in die Doppellinie -des Pflanzlichen und des Thierischen, reicht diese -Welle aus uralten Zeiten herauf bis zum heutigen -Tage. Hervorgegangen aus sehr einfachen Urformen, -hat sich innerhalb des Ganzen allmählich eine Fülle -verschiedener Typen ausgebildet, die theils nebeneinander -fortbestanden, theils ausstarben und Neuem Platz -machten. Darwin hat zuerst in der allgemein bekannten -einfachen Weise gezeigt, wie in Folge der äussern, -örtlichen Bedingungen, in die das organische Leben -auf der Erde bei fortschreitender Vermehrung versetzt -war, die Bildung der Arten aus gleicher Urform sich -annähernd logisch erklären lässt. Ich kenne sehr wohl<span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span> -die Schwierigkeiten, die uns noch auf Schritt und Tritt -hier begegnen. Aber sie sind gerade für den Punct, -auf den ich für die Betrachtung des menschlichen Entdeckergenies -hinaus will, nebensächlicher Natur. Für -gewöhnlich giebt es ein organisches Vererbungsgesetz, -welches vorschreibt, dass die Nachkommen eines bestimmten -Mitgliedes einer Thier- oder Pflanzenart -durchaus den Eltern gleichen, also wiederum den Arttypus -rein darstellen müssen. Indessen, dieses Gesetz -erleidet Störungen, die an sich zwar so geringfügiger -Natur sind, wie die unablässigen kleinen Störungen -der Planetenbahnen.</p> - -<p>Chemische und physikalische Einflüsse machen -sich hier geltend, die wir im Detail noch nicht verfolgen -können. Das Resultat sind unablässige individuelle -Abneigungen der Jungen von den Eltern, meist -zu klein, um als wahre pathologische Abnormitäten -zu gelten, aber doch stark genug, eine gewisse Rolle -im Leben des Individuums zu spielen; von einem Wurf -junger Katzen können alle drei gesund sein, wenn -auch jede anders gefärbt ist, und es muss schon eine -sechs Beine haben oder zeitlebens blind bleiben, um -pathologisch als Abnormität aufgefasst zu werden.</p> - -<p>Diese anscheinend zwecklosen Varietäten innerhalb -des Normalen werden aber von Wichtigkeit, wenn die -äussern Existenzbedingungen der ganzen Art sich in -Folge klimatischer oder sonstiger Umwälzungen verändern. -Wenn ein Land plötzlich kältere Winter bekommt, -kann der sonst werthlose Umstand, dass eine -Katze vermöge kleiner individueller Abweichung doppelt -so dichtes Haar besitzt als die übrigen, von entscheidender -Wichtigkeit werden, kann sogar bewirken, -dass sie allein mit denjenigen ihrer Jungen, die das<span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span> -starke Kleid geerbt haben, alle andern überdauert und -Stammmutter einer neuen Spielart mit wolligerem -Pelze wird. Das Ueberdauern der Andern bezeichnet -dabei ein Schlagwort als: Sieg im Kampfe um's Dasein.</p> - -<p>Innerhalb des Thierischen ist die als Beispiel gewählte -Katze ein Genie. Es ist ihr etwas vererbt, -etwas in ihr gegeben, das mit Hilfe des zufälligen -Zusammentreffens der vorhandenen Gabe und des -äussern Bedürfnisses zu einer Erfindung, einem Fortschritte -wird. Dieses Genie wird, schematisch gesprochen, -geboren als eine willkürliche, ziellose Linie, -die aber im Leben plötzlich in's Herz einer Scheibe -trifft und ihren Entsender zum Schützenkönige macht. -Und die Art, wie dieses Genie sich auf die Nachkommen -überträgt, wo es normale Gabe aller wird, -ist die directe der körperlichen Vererbung.</p> - -<p>Stellen wir jetzt daneben das menschliche Genie. -Zunächst handelt es sich hier um etwas weit Feineres, -nämlich einen Gehirnprocess. Ein Mensch wird geboren, -dessen Art zu denken, Vorstellungen zu verknüpfen, -eine gewisse individuelle Besonderheit aufweist, -die, ohne pathologisch zu werden, doch innerhalb -des Spielraums des Normalen ihre Eigenart wahrt. -Die Linie, von der ich eben sprach, ist damit gegeben, -aber sie ist noch völlig ziellos. Tausend Genies bleiben -einfach unter der Masse verborgen, weil ihre -Linie nie das Centrum einer Scheibe trifft. Dieses -Treffen hängt von bestimmten Möglichkeiten ab. Es -muss irgendwo in der Nähe eine Zielscheibe stehen, -ein Stoff sich finden, an dem das Genie sich bewähren -kann. Solche Stoffe liegen zu gewissen Zeiten in der -Luft. Man denke an die Entdeckungen, die von drei -oder vier Menschen fast zu gleicher Zeit gemacht<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span> -wurden. Man denke daran, was Luther oder Copernicus -oder Columbus bereits vorfanden. Wir nehmen -an, das Genie ist geboren, der Stoff, an dem es sich -bewähren kann, ist auch gegeben. Der betreffende -Mensch besitzt jetzt etwas, eine Idee, ein geistiges -Plus, das ihn von allen seinen Mitmenschen zugleich -scheidet und fördernd heraushebt. So weit ist der -Process gänzlich dem oben skizzirten bei der Neubildung -einer zoologischen oder botanischen Spielart -analog. Durchaus anders aber gestaltet sich der weitere -Verlauf im Kampfe um's Dasein. Das doppelte Wollhaar -des Raubthiers war etwas vom Individuellen -Untrennbares. Es haftete an der Person, es schützte -diese Person im Kampfe um's Dasein, und es übertrug -sich von ihr zu neuen Personen auf dem Wege -physischer Vererbung im Zeugungsprocess. Anders -bei der menschlichen Idee, die das Genie durch Zusammenstoss -mit einem äussern Zündstoffe entfesselt. -In den allermeisten Fällen emancipirt diese sich sehr -schnell vom Individuellen, dem eine körperliche Uebertragung -durch Vererbung doch nicht gegeben ist, -dessen einzelne Person also weiterhin nebensächlich -ist. Die Idee überträgt sich von Gehirn zu Gehirn, -kämpft vermöge ihrer bessern Kraft sich durch im -Kampfe um's Dasein mit andern Ideen und befestigt -sich schliesslich als eiserner Bestand im Denkapparate -der ganzen Culturmenschheit. In dieser Loslösung der -Idee von ihrem Urheber liegt das tragische Schicksal -des Genies als Person; die Idee, indem sie als Macht -im Kampfe um's Dasein auftritt, kämpft für sich, nicht -für ihren Urheber. Die Tragik ist bitter, darüber kann -kein Zweifel bestehen. Man fühlt sich manchmal berufen, -die Natur grausam zu nennen wegen der groben<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span> -Mittel, die sie im Daseinskampfe zur Schöpfung einer -neuen Thier- oder Pflanzenart anwendet; die Wiege -des Fortschritts, des Neuen im Geistesleben der Menschheit -ist in dem Sinne das ärgste Procrustesbett, das -überhaupt denkbar ist; das Individuum gilt hier gar -nichts mehr. Aber eine vernünftige Lebensphilosophie -muss sich in diese Thatsachen zu finden wissen. Jene -Idee, die unter dem Nebel all' des mystischen Beiwerks -doch immer die Herzen der Menschen am meisten im -Christenthum angesprochen hat: die stille Resignation, -dass der Einzelne am Kreuze sterben müsse, damit -sein Werk ein beglückendes Evangelium für viele -Tausende werde – sie wird bleiben, auch wenn kein -Wort mehr von aller christlichen Metaphysik Gläubige -finden sollte – weil sie eine tiefe Wahrheit enthält. -Nicht der Mensch siegt im Kampfe um's Dasein, sondern -die Idee: so lautet derselbe Satz in wissenschaftlicher -Form. Er enthält zugleich eine Formel für die -Thatsache und einen Trost. Denn schliesslich, wenn -der Mensch auch nicht, wie das bevorzugte Thier in -jenem Beispiele von dem doppelten Wollpelze, am -eigenen Leibe die Segnungen dessen fühlt, was sein -Gehirn in dunkler Mission ausgestreut, so sieht er doch -als bewusstes Wesen die Siegesbahn seiner Idee auch -noch in ihrer Trennung von seinem Selbst und empfindet -ihren Glanz als versöhnende Wärme.</p> - -<p>Ich habe das erfinderische Genie mit Absicht aus -der reichen Fülle der Erscheinungen im menschlichen -Dasein herausgegriffen, die man im engern Sinne als -darwinistische Probleme auffassen kann. Ich denke, -dass schon dieses eine Beispiel genügt, um zu zeigen, -wie sehr man sich hier vor willkürlicher Uebertragung -einfacher biologischer Gesetze auf die complicirten<span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span> -Phänomene des menschlichen Geisteslebens hüten muss. -Die Anlage, die Zielscheibe, der Kampf um's Dasein: -alles spielt auch hier seine Rolle. Aber der Verlauf -ist gerade in wesentlichen Puncten ein anderer. Unendlicher -Stoff für den Dichter liegt allerdings auf -diesen Gebieten. Sowohl das Aufstreben des Neuen -wie das Absterben des Veralteten, die geheimnissvollen -Processe, wie das Gesunde verdrängt wird durch -ein Gesunderes, wie es zum Ungesunden herabsinkt -durch haltlose Opposition gegen das bessere Neue, -ohne selbst das alles begreifen zu können – sie sind -seit alten Tagen die Domäne der Poesie, ohne dass -man sich in der rechten Weise über die eigentlichen -Gesetze, die darin walten, und ihre Beziehungen zu -den Darwin'schen Gedanken hat klar werden wollen. -Man kann wohl verlangen, dass ein realistischer Dichter -<em class="gesperrt">nach</em> Darwin kein Bedenken mehr trägt, die Dinge -beim rechten Namen zu nennen. Aber es gehört dazu -in erster Linie ein ernstes Studium. Allgemeine -Schlagwörter beweisen nichts. Man mache sich daran -und entwickele uns zunächst, was noch nicht ordentlich -versucht worden ist, die darwinistischen Linien in -der Geschichte; man prüfe die Werke ausgezeichneter -Beobachter wie Shakespeare im Einzelnen auf das -ganze Princip. Dann wird man dahin kommen, Sätze -aufstellen zu können, die den Schlagwörtern einen -lebendigen Zusammenhang mit der ganzen Wissenschaft -geben. Zahllose Puncte sind dabei im Auge -zu behalten. Die einfache Zuchtwahl durch persönliches -Emporkämpfen und dadurch ermöglichte Gründung -einer Familie, die mit jener Ideenneuerung im -Genie nichts zu schaffen hat, bei der neben den geistigen -vor allen auch die körperlichen Fähigkeiten,<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span> -Arbeitskraft, weibliche wie männliche Schönheit und -anderes, mitspielen, ist beim Menschen natürlich nicht -erloschen und wahrt ihre alte Rolle. Das ganze sociale -Leben mit all' seinen Klippen und Irrthümern, -seinen Triumphen und Fortschritten fordert die Beleuchtung -vom Darwin'schen Gesichtspuncte aus. Aber -was schon im eng beschränkten Thier- und Pflanzenleben -seine ernsten Schwierigkeiten bietet, wird hier vollends -zu einem fast unentwirrbaren Gewebe. Körperliche -Gesundheit als Vortheil im Daseinskampfe findet ihr -Aequivalent in Geldmitteln, die Kraft der Sehnen wird -gleichwerthig ersetzt durch die bessere Molecularconstruction -des Gehirns, die unerbittliche Strenge des -Gesetzes vom Recht der Stärkern sieht sich seltsam -durchkreuzt von einem bereits gewaltig angesammelten -Fond humaner Anschauungen, die wieder von einer -das Gesetz überbietenden Brutalität auf der andern -Seite paralysirt werden. Der Dichter, der sich mit -Muth der Aufgabe unterzieht, in jeder einzelnen Thatsache -hierbei ein Glied grosser Ketten nachzuweisen, -sieht sich allerdings auch darin belohnt, dass er jede, -auch die geringfügigste Erscheinung, so fern sie nur -echt dem Leben entspricht, zum Gegenstande höchst -interessanter Darstellungen machen kann. Im Lichte -grosser, allgemeiner Gesetze kann die an und für sich -nicht sehr poetische Chronik eines Krämerviertels, das -ein grosses Magazin im modernsten Stile nach und -nach vollkommen todt macht, von höchster dramatischer -Wirkung werden, ein Motiv, das Zola in einem seiner -besten Romane bereits mit Geschick durchgeführt hat. -Die kleinen Thatsachen in dieses Licht des Allgemeinen, -Gesetzlichen, höheren Zielen Zustrebenden -heraufrücken: das ist ja eben die idealisirende Macht,<span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span> -die der Dichter hat. Das werthlose Gezänk über Werth -und Grenzen der Detailmalerei kann hier keine Geltung -beanspruchen. Gerade das Studium der biologischen -Phänomene der Artumwandlung, wie es Darwin -angebahnt, führt von selbst darauf, dass wir uns gewöhnen, -den kleinsten Ursachen, den winzigsten Fortschritten -und Störungen unter Umständen die allergrösste -Wichtigkeit beizulegen. Der Dichter, der nur -Einiges von Darwin gelesen, wird mit ganz anderer -Werthschätzung an die Dinge des täglichen Lebens -herangehen und sich sagen, dass nicht das Ungeheuere, -Welterschütternde allein die geistige Durchdringung -durch die dichterische Anschauung ermögliche, sondern -auch das Kleine – wofern nur der Poet den nöthigen -hellen Kopf mitbringt. Denn hohe Ideen aus der -Sonne zu lesen ist unverhältnissmässig viel leichter, -als aus einem Sandkorn.</p> - -<p>Eine andere Bereicherung als Frucht darwinistischer -Studien erblicke ich in dem verschärften Verständniss -des Dichters für die längere Zeitdauer, die -jeder Entwickelungsprocess auch im Menschenleben -in Anspruch nimmt. Wie die Welt nicht in sieben -Tagen geschaffen ist, so schafft sich auch keine psychologische -Thatsache von heute auf morgen. Unsere -Bücher sind zwar voll von einer Liebe, einem Hass, -die sich einer geschleuderten Dynamitbombe gleich -ohne alle Prämissen entladen; der naturwissenschaftlich -gebildete Dichter wird hier sceptischer zu Werke -gehen.</p> - -<p>Unsere älteren grossen Meister – Shakespeare, -der Zeitgenosse Bakons, und Göthe, der unmittelbare -Vorgänger Darwin's – bleiben dabei nach wie vor -unsere Führer und Lehrer. Gerade auf dem darwinistischen<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span> -Gebiete scheint mir der allgemeine Werth der -Methode die Hauptsache, die den Dichter fördern muss -– viel mehr noch als das nähere Eingehen auf Fragen -der Zuchtwahl. Ich will, um noch einen dritten dahin -gehörigen Punct herauszugreifen, auch Gewicht legen -auf die Rolle des oft verkannten Wortes Zufall in der -Dichtung. Was ist naturwissenschaftlich gesprochen -– Zufall?</p> - -<p>Nicht Wenige, die sich im Allgemeinen an das -Causalprincip gewöhnt haben, wie es die logische -Wissenschaft lehrt, meinen in Folge dessen jeden Zufall, -der als Factor in einer Dichtung auftritt, schlechtweg -als unerlaubten deus ex machina verwerfen zu -müssen. Im letzten Grunde der Erscheinungen hängt -ja Alles zusammen, das ist richtig. Trotzdem bietet -die Welt von einem Standpuncte wie unserm menschlichen, -der gewissermassen sehr weit ab in der grossen -Kette liegt, das schematische Bild einer unendlichen -Menge in sich geschlossener Linien dar, innerhalb -deren alles causal verknüpft ist und ohne fremde Beihilfe -weiterläuft. Jede Kreuzung zweier dieser Linien -erscheint vom Standpuncte der beiden einzelnen wie -ein in keinem ihrer eigenen Richtungsgesetze begründeter -grober Stoss von aussen. Diesen jedesmaligen -Kreuzungsstoss nennen wir Zufall. Vom hypothetischen -Standpuncte einer Kenntniss sämmtlicher anfänglicher -Richtungsverhältnisse aller causalen Sonderlinien -zueinander, also einer mathematisch exacten -Vorstellung von der anfänglichen Atomlagerung der -irdischen Welt aus hörten die Empfindungen dieses unerwarteten -Stosses und damit der Zufall als Sonderbegriff -auf zu existiren. Der menschliche Standpunct -den Dingen gegenüber ist hiervon noch sehr weit<span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span> -entfernt. Wenn ich in einer Weltstadt von zwei -Millionen Einwohnern an einem Tage mit meiner individuellen -Linie ohne jede bewusste Abneigung zu -einer zweiten hin vier Mal auf diese zweite treffe, also -einem und demselben Bekannten vier Mal an vier -verschiedenen Orten, die wir beide ohne Kenntniss von -der Anwesenheit des andern aufsuchten, begegne, so -bleibt mir das, aller atomistischen Nothwendigkeit unbeschadet, -persönlich ein vierfacher Zufall. Oder im -oben gewählten Beispiele von der neu entstehenden -Raubthierart: wenn dort die in sich geschlossene Causalitätsreihe -innerhalb des doppelt behaarten Individuums -mit der absolut unabhängigen klimatischen -Causalitätsreihe, die den strengeren Winter bewirkt, -zusammenstösst, so ist dieser Zusammenstoss Zufall. -Das Weitere nicht mehr; denn die Erhaltung jenes -Individuums und die folgende Ausbildung einer neuen -Rasse sind von da ab logische Consequenzen des Zufalls, -der als solcher den Ausgangspunct einer neuen, -selbstständigen Causalitätslinie bildet. Vom Dichter -verlangen, dass er diesen Erscheinungen gegenüber -seinen menschlichen Betrachtungsstandpunct aufgeben -und uns nur noch überall geschlossene Linien vorführen -sollte, hiesse denn doch gerade die Wirklichkeit in -seinen Bildern antasten. Wir wissen physikalisch sehr -gut, dass unsere Auffassung beispielsweise von der -Farbe der Gegenstände eine illusorische ist, indem wir -die Farbe an den Dingen haftend glauben, während -sie in unserm Auge liegt; soll etwa deswegen der -Dichter nicht mehr von rothen Rosen oder blauem -Himmel sprechen? Ja, man kann geradezu sagen, dass -eine schärfere Beachtung des Zufalls in seiner thatsächlichen -Erscheinung den Dichter eher darauf führen<span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span> -wird, ihm eine mehr, als eine weniger wichtige Rolle -zuzuertheilen. Man führe – was fachwissenschaftlich -bei Gelegenheit angeblicher mystischer Phänomene, -zweitem Gesicht, Prophezeiungen und Aehnlichem fast -zur Pflicht wird – nur eine kurze Zeit seines Lebens -einmal Buch über die Zufälle, denen man begegnet, -vor allem die mehrfachen in derselben Sache. Man -wird selbst staunen, welche Resultate man erhält, wie -merkwürdig unwahrscheinlich das alltäglichste Leben -im Grunde genommen ist! Hier und da, an einer Spielbank -zum Beispiel, sind die tollsten Beobachtungen -dieser Art in einem einzigen Tage zusammen zu -bringen. In diesem Puncte aber ist das ganze Leben -ein ununterbrochenes blindes Glücksspiel. Der Begriff -der Wahrscheinlichkeit – und hier liegt der Knoten -– der Begriff, den wir in jedem prüfenden Augenblicke -hineinschmuggeln, ist eben in Wahrheit nichts -Reales. Für unsern Standpunct ist es, wenn wir einen -Würfel fallen lassen, selbst wenn er fünf leere Seiten -hat, positiv nicht wahrscheinlicher, dass eine der leeren, -als dass die einzige bezeichnete Seite nach oben zu -liegen kommt. Jede Wahrscheinlichkeit hört der freien -Macht des Zufalls in der Welt gegenüber auf, gerade -weil der Zufall im letzten Ende auch ein Nothwendiges, -uns aber völlig Verhülltes einschliesst. Ich weiss -recht wohl, dass sich das ganze Innere des logisch -denkenden Kritikers auflehnt, wenn ein Poet uns eine -Liebesgeschichte erzählt, die auf fünf oder sechs groben -Zufällen, wie ungewolltes Begegnen, aufgebaut ist. -Und doch spreche ich es rund als meine Ueberzeugung -aus, dass man Bände füllen könnte mit der einfachen -Aufzählung der grossen und kleinen Zufälle, die bei -einer nicht annähernd gleich verwickelten Geschichte<span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span> -im wahren Leben bei peinlicher Beobachtung sich -ergeben würden, denn mit jedem Schritt, den wir -thun, kreuzen wir fremde ungeahnte Causalitätsreihen, -die in Folge der neuen Reihe, die aus dem Contact -hervorgeht, eine Macht innerhalb unserer eigenen -Linie werden. Ein ganzes Menschenleben bis in dieses -feine Gewebe seines Schicksals hinein zu zergliedern: -das wäre ein Kunstwerk, wie wir es noch nicht einmal -ahnen. In Wahrheit giebt es wenige Puncte, die -dem Beobachter so schmerzlich nahe legen, wie weit -unsere Kunst in all' ihrer Erfassung des Menschlichen -noch hinter der Wirklichkeit zurücksteht.</p> - -<p>Das Wort des alten Malers bei Zola muss uns -trösten: »Arbeiten wir!« Arbeit steckt auch in all' -diesen darwinistischen Problemen, Arbeit nicht bloss -für den Naturforscher, sondern auch für den Dichter. -Sagen wir uns unablässig, dass die Arbeit, das harte, -mit dem Leben ringende Künstlerstreben, unser wahres -Erbe von den grossen Geistern der Vergangenheit -her ist, nicht das unklare Träumen. Genialität wird -geboren; aber das Ausleben der Genialität ist unablässige -Durchdringung des Stoffes, ist ewiges Studium; -wenn sie das nicht ist, so ist sie eine Krankheit, für -die der schonungslose Kampf um's Dasein die ideale -Nemesis wird, indem er sie ausrottet.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-087.png" alt="" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span></p> - -<h2 id="Siebentes_Capitel">Siebentes Capitel.<br /> -Eine Schlussbetrachtung.</h2> -</div> - -<p>In dem Augenblicke, wo ich diese Studie abschliesse, -hat die realistische Bewegung bei uns in -Deutschland eine Form angenommen, die es mehr und -mehr wünschenswerth erscheinen lässt, das Wort zu -friedlicher Verständigung zu ergreifen. Während in -Russland und Frankreich muthige Werkmeister sich -in harter Arbeit um die neuen Stoffe der Dichtung -mühen und, bald mit falschen, bald mit treffenden -Schlägen, doch unablässig das Rohmaterial gefügig -machen und das Instrument üben, vernimmt man bei -uns viel Lärm und sieht wenig Früchte. Man ist -allerdings bisweilen geneigt, das laute Geschrei bloss -für das harmlose Jauchzen von Schulknaben zu halten, -die einen freien Tag haben, weil ihre Lehrer zu stiller, -ernster Conferenz über die wichtigsten Fragen des -Unterrichts zusammengetreten sind. Werden wir erleben, -dass auch die Stimme der Meister einmal laut -wird und uns in anderer Weise, als das Gezwitscher -der Jungen es vermochte, von der Bedeutung der -Stunde Rechenschaft ablegt? Wir haben es schon oft<span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span> -gesehen, dass der Deutsche zuletzt kam, dann aber -dem Ganzen die Krone aufsetzte, indem er ihm aus -der Tiefe seiner geistigen Entwickelung heraus Dinge -verlieh, die keine andere Nation je besessen. Ich bin -auf diesen Blättern wiederholt gezwungen gewesen, -den Namen Zola zu nennen, und ich kann es als meine -ruhige Ueberzeugung auch hier noch einmal aussprechen, -dass mir Zola in vielen Puncten sehr hoch -steht, sowohl in seinem Können, wie in der Ehrlichkeit -seines Wollens. Aber ich möchte diese fragmentarische -Behandlung des realistischen Problems nicht -schliessen, ohne vorher noch mit ein paar Worten auch -dem deutschen Antheil an der Entstehung jener ganzen -Richtung – wie immer unsere Besten im Augenblick -sich zu ihr stellen mögen – gerecht geworden zu sein. -Wenn die Literaturgeschichte dereinst mit dem Werkzeuge -einer geläuterten darwinistischen Methode die -Wurzeln dessen aufdecken wird, was wir jetzt Realismus -in der Poesie nennen, so wird der Hass der -gereizten Parteien sich versöhnen müssen in der Erkenntniss -ihres gemeinsamen Ursprungs. Einseitige -Beurtheiler schmähen heute in Zola das Stück Victor -Hugo, das unbezweifelbar in ihm steckt; die einsichtigere -Zukunft wird sich mit Ruhe sagen dürfen, dass -es sich hier einfach um eine Entwickelung handelt, -dass der Zola'sche Realismus sich folgerichtig als -zweite Stufe des bessern Theils in Victor Hugo aus -dem Hugo'schen Idealismus ergeben musste. Nicht -anders ergeht es uns in Deutschland. Indem wir -scheinbar neue Wege wandeln werden, werden wir -unbewusst doch nur das bessere Theil unserer grossen -literarischen Vergangenheit ausbauen. Welch' himmelweite -Kluft trennt scheinbar eine deutsche Dichtung,<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span> -die sich in dem von mir im Vorstehenden ausgeführten -Sinne mit den Principien der Naturwissenschaft in -Einklang setzt, von einem Freytag'schen Romane! -Und doch ist das alles nur scheinbar. Als Freytag -den tiefen Ausspruch Julian Schmidt's zum Motto -machte: »Die Dichtung soll das Volk bei der Arbeit -aufsuchen«, war er nach den Träumen der Romantik -im Grunde der Begründer des Realismus. Anderes -hat dann, sollte man glauben, die Linie abgelenkt, die -Richtung auf das Historische hat den Roman wieder -auf ein neues Gebiet gedrängt. In schärferer Beleuchtung -erscheint auch das als ein realistisches Symptom. -Man wollte die Ahnen in der Dichtung sehen, um die -Enkel in ihrer Arbeit zu begreifen. Leichter Sinn -sieht in diesen krausen Gängen, die das Princip gewandelt, -eine Modekrankheit. Das heisst nichts. -Krankhaft war allerdings und ist hier mancher Detailzug -geblieben, wie ich das in dem Capitel über die -Liebe vielleicht schroff, aber als volle Ueberzeugung -ausgesprochen. Doch selbst dieser Tadel trifft kaum -die Bessern, fast nur die Kleinen. Die historische -Dichtung als Ganzes war eine berechtigte Pionierarbeit -– grösser und glänzender als sie, folgt ihr freilich -jetzt die Aufgabe, das Geschichtliche nicht darzustellen -in künstlich belebten Bildern des Vergangenen, sondern -in seiner lebendigen Bethätigung mitten unter uns, in -seinen fortschwirrenden Fäden, in seiner Macht über -die Gegenwart.</p> - -<p>Von diesem freien Standpuncte aus verliert der -Kampf um den Realismus seine Bitterkeit. Die grosse -Literatur, auf die wir stolz sind, erscheint wieder als -Ganzes, wo jeder Bedeutende sein Recht erhält. Und -am Ende, wenn auch bei uns in Deutschland der<span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span> -Realismus im neuen Sinne einmal seine grossen Vertreter -gefunden hat, wird als Summe sich ergeben, -dass wir, die wir auf einer stofflich reicheren und -tieferen Literatur fussen, als die Nachbarländer, auch -nun in jenem Gebiete fester und sicherer uns ergehen -werden, als die Franzosen und Engländer oder die -Russen und Skandinavier. Gerade den Jüngeren, die -jetzt so viel Lärm schlagen, kann nicht genug an's -Herz gelegt werden, dass Realisten sein nicht heissen -darf, die Fühlung mit den grossen Traditionen unserer -Literatur verlieren. Studirt Zola, achtet ihn, helft die -Kurzsichtigen im Publicum aufklären, die keinen -Dichter vertragen können, der im Dienste einer Idee -selbst das Extreme nicht scheut; aber gebt euch nicht -blind für Schüler Zola's aus, als wenn in Paris ein -Messias erstanden sei, der alle alten und neuen Testamente -auflösen sollte. Studirt, was Zola sich zu thun -ehrlich bemüht hat, Naturwissenschaften, beobachtet, -wendet Gesetze auf das menschliche Leben an, das -ist alles schwere Arbeit, aber es bringt uns vorwärts. -Und vor allem: vergesst nicht, dass ihr der deutschen -Literatur angehört, dass hinter euch Göthe und Schiller -stehen und dass ihr ein Recht habt, euch als deren -Enkel selbstständig neben den Schüler Balzac's und -Nachfolger Victor Hugo's zu stellen, was die Vergangenheit -und den Bildungsgrad eures Volkes anbetrifft. -Die Wissenschaft ist internationales Gut, Jeder -kann sie sich aneignen, der sich der Mühe unterzieht. -Aber bildet euch nicht ein, das leere Poltern und -Schreien hülfe irgend etwas. Ihr habt jetzt nach -Kräften auf den historischen Roman gescholten, obwohl -darin doch wenigstens ordentliche Arbeit, ordentliches -Studium steckte. Ich will glauben, dass das<span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span> -Schelten begründet war, wenn ihr zeigt, dass ihr mehr -könnt, dass ihr das unendlich viel erhabenere Problem -zu lösen wisst, wie die Fäden der Geschichte sich -verknoten im socialen und ethischen Leben der Gegenwart, -wie man historische Dichtungen schreibt, die -gestern und heute spielen. Ihr habt die weiche, tändelnde -Lyrik ausgepfiffen auf allen Gassen. Auch -das soll gut und recht sein, wenn ihr mir eine neue -Lyrik zeigt, die an Göthe und Heine organisch anknüpft -und doch selbstständig das Herzensglück und -Herzensweh des modernen Menschen zum Ausdruck -bringt. Macht der Welt klar, dass der Realismus in -Wahrheit der höchste, der vollkommene Idealismus -ist, indem er auch das Kleinste hinaufrückt in's Licht -des grossen Ganzen, in's Licht der Idee. Dann werden -die Missverständnisse aufhören. Der Leser wird -nicht mehr der Ansicht huldigen, wenn er eine realistische -Dichtung aufschlüge, so umgellte ihn das Gelächter -von Idioten und Cocotten, und wenn man, -was überhaupt recht rathsam wäre, sich bloss genöthigt -sähe, das Romanlesen bei unreifen Mädchen -etwas mehr einzuschränken in Folge des Ueberwiegens -der realistischen Richtung, so sollte das unser geringster -Schmerz sein. Freilich wird es auch ohne -Missverständnisse noch manchen harten Kampf kosten, -bis die Mehrzahl der geniessenden Leser sich an das -schärfere Instrument des Beobachters gewöhnt haben -wird. Das kommt nicht von heute auf morgen. Zunächst -muss das Vertrauen in der Menge für den -realistischen Dichter gewonnen werden, und wir werden -gut thun, die Schauerscenen nach Kräften zu -vermeiden, so lange die Vorurtheile noch so sehr gross -sind. Auch werden die Lyrik und das Drama, die ja<span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span> -immer mehr zum Herzen sprechen, den harten Tritt -des Romanes dämpfen helfen, wenn sie erst einmal -zur Stelle sind. Am Ende wird auch die Masse des -Volkes besser sehen lernen, und das ist für alle Fälle -ein Gewinn. Die Poesie wahrt so nur ihre alte Rolle -als Erzieherin des Menschengeschlechtes, und indem -sie es thut, darf sie hoffen, auf freundlichem Boden -sich mit der Naturwissenschaft zu begegnen. Beide -reichen sich dann die Hand in dem Bestreben, den -Menschen gesund zu machen.</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-093.png" alt="FINIS" /> -</div> -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span></p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-094.png" alt="C. G. Röder, Leipzig." /> -</div> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"></div> -<div class="transnote" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. -Alte und unterschiedliche Schreibweisen wurden beibehalten.</p> - -<p>Korrekturen:</p> - -<div class="corr"> -<p> -S. 12: Methaphysische → Metaphysische<br /> -Das <a href="#corr012">Metaphysische</a> kann ich dabei nur streifen</p> -<p> -S. 53: uud → und<br /> -<a href="#corr053">und</a> indem der wachsende Embryo</p> -<p> -S. 57: letztere → letzteres<br /> -<a href="#corr057">letzteres</a> etwas Geistiges</p> -</div> -</div> - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die naturwissenschaftlichen Grundlagen -der Poesie., by Wilhelm Bölsche - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTLICHEN *** - -***** This file should be named 51835-h.htm or 51835-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/1/8/3/51835/ - -Produced by Peter Becker and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - - -</pre> - -</body> -</html> diff --git a/old/51835-h/images/cover.jpg b/old/51835-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index d8c64ab..0000000 --- a/old/51835-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-014.png b/old/51835-h/images/illu-014.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 807c53c..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-014.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-036.png b/old/51835-h/images/illu-036.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 3bec2ca..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-036.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-047.png b/old/51835-h/images/illu-047.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 716096c..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-047.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-067.png b/old/51835-h/images/illu-067.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 322e659..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-067.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-074.png b/old/51835-h/images/illu-074.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 4cd8f88..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-074.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-087.png b/old/51835-h/images/illu-087.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 506b056..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-087.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-093.png b/old/51835-h/images/illu-093.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 6faef05..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-093.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/illu-094.png b/old/51835-h/images/illu-094.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 7948c17..0000000 --- a/old/51835-h/images/illu-094.png +++ /dev/null diff --git a/old/51835-h/images/title_logo.jpg b/old/51835-h/images/title_logo.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index cb63ee8..0000000 --- a/old/51835-h/images/title_logo.jpg +++ /dev/null |
