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-The Project Gutenberg EBook of Kreuzwege, by Karel Čapek
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Kreuzwege
-
-Author: Karel Čapek
-
-Translator: Otto Pick
-
-Release Date: May 23, 2016 [EBook #52144]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZWEGE ***
-
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-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
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- KAREL ČAPEK
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- KREUZWEGE
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- LEIPZIG
- KURT WOLFF VERLAG
-
- BÜCHEREI »DER JÜNGSTE TAG« BAND 64
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- GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER IN WEIMAR
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- EINZIG BERECHTIGTE ÜBERTRAGUNG AUS
- DEM TSCHECHISCHEN VON _OTTO PICK_
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- STOCKEN DER ZEIT
-
-
-Warum ist jener, an den ich denke, welcher sich über den Schreibtisch
-beugt, warum ist er so unbewegt, warum wartet er und horcht, daß etwas
-außer ihm geschehe; als ob ihm irgendein Ding einen Wink im Kummer
-geben könnte und einen Abschluß dieser unendlichen Reihe von
-Unsicherheiten, die ihn durchwallt. Alle Dinge um ihn herum sind nur
-melancholieverhangene Gewohnheiten; nur die gegenüberstehende Wand der
-Gasse hat in der formlosen Stille einen ungewöhnlich dummen und so
-unangenehmen Ausdruck, daß der Mensch, leidend, sich dankbar an das
-Rasseln einer Droschke auf dem Pflaster hält, als einem Ausgangspunkt
-von dieser Sekunde zur nächsten.
-
-Klapp-klapp der Hufe im Räderknarren, langes rhythmisches Kettchen und
-Poltern hinter der Ecke, rasches Rasseln auf den Steinen; das ist etwas,
-was sich aufrollt in die Ferne wie ein Knäuel, jetzt schon von weitem
-immer schwächeres Klappern, ein Ticken so lang wie ein dünner gespannter
-Faden, so dünn, daß er fast nicht mehr ist, schon nichts mehr ist als
-angespannte Entfernung, unmögliche Länge, und Stille.
-
-Die Stille von innen und außen flossen zusammen wie zwei von nichts
-gekräuselte und durchaus gleichartige Wasserflächen. Alles ist durchaus
-gleichartig wie eine Fläche, unbewegt und gespannt. Der Mensch beim
-Tisch hält den Atem an und sein Herz steht wie eine Fläche. Die Stille
-ist gespannt wie ein Tuch, und alles ist still, alle Dinge sind Stücke
-der Stille, hineingeplättet in die glatte Ebene ohne Regung Tisch und
-Wände, alle Dinge zusammen sind wie eine Zeichnung auf geglätteter
-Fläche, klar, ohne Verkürzung und Schatten. Sie sind eine gespannte
-Oberfläche, die ohne Falten und Rauheit ist; alle sind in dieser
-unstofflichen Ebene enthalten wie in Eis festgefrorene Halme. Nicht
-einmal der Mensch beim Tisch ist außerhalb ihrer: er ist dort, ohne
-Regung, in der unendlichen Ebene der Dinge, und kann sich ihr nicht
-entraffen; wenn er sich rührte, fühlt er, würde eine Entgleisung und ein
-Zusammensturz aller Teile erfolgen, ein furchtbares Zusammenschrumpfen
-der gespannten Oberflächen. Ohne Erstaunen, ohne Inneres, ohne Zeit.
-Angst, daß dies vielleicht der Tod sei, ein Abgang, Vernichtung. Nicht
-fühlen, das ist das positive Gefühl des Nichtseins und ein starkes
-Leiden am Nichtsein; unbewegter Kampf des Unbewußten um den Gedanken und
-Beklemmung in den Grenzen der Leere. Überall Ebene mit trauriger toter
-Oberfläche. Und dieses, was steht, ist die Zeit; wäre es möglich, sie zu
-bewegen, so zerfiele sie sogleich in tausende Sekunden, die, tot, wie
-Staub zerflatterten. Doch der Mensch beim Tisch fürchtet sich zu rühren;
-mit all seiner Bangheit und Machtlosigkeit ist er in der Stille
-festgelegt wie ein Insekt in durchsichtigem Bernstein; er ist einfach
-eingestellt.
-
-Und da Schritte auf dem Gehsteig, schöne, laute und ordentliche.
-Die Welt in der reglosen Fläche ist in lautloser Explosion
-auseinandergefallen; die eckigen und massiven Dinge reckten sich
-krachend auf, der Mensch an seinem Tische breitet sich aus in alle
-Richtungen des Raums im Gefühl seiner reichen Verzweigung und seiner in
-die Welt getauchten Bewegungen. Die Kanten und Winkel aller Dinge
-kündeten sich in rauhem Rauschen des Raums: so rasch liefen sie in ihren
-Richtungen, mit Selbstgewißheit und Härte. Das Herz des Menschen ergriff
-seinen alten Schmerz, mit starken, starken Schlägen; jener, an den ich
-denke, erhob sich, um seiner Trauer Gewicht zu ertragen, und das große
-Rad des Seins dreht sich in immer weiteren und schnelleren Kreisen.
-
-
-
-
- HISTORIE OHNE WORTE
-
-
-Tief sind die Wälder in der Nacht wie ein grundloser See, und du blickst
-schweigend auf einen Stern über Melatín, denkst an das Wild, das in der
-Tiefe das Waldes schläft, an den tiefen Schlummer aller und an alles,
-was niemals in dir entschlafen wird. Lang, endlos lang sind dämmrige
-Tage; wie oft durchschrittest du die Wälder an solchen Tagen, o Schritte
-und Erinnerungen ohne Zahl, und nie bist du an das Ende der Schritte und
-Erinnerungen gelangt: so lang und tief sind die Wälder über Melatín.
-
-Aber daß heut ein flammender Augustmittag ist — brennende Lücken in den
-Baumkronen und des Lichtes Sichel die Forste durchfahrend; daß ein so
-klarer Tag ist, wie wenn ihr schütterer würdet, tiefe Wälder, und vor
-der Sonne auseinanderträtet. Die Glut hat meine Erinnerungen
-ausgetrunken und fast schlief ich ein, ich weiß nicht ob vor Lust oder
-Ermattung, eingewiegt von den weißen Dolden, die über meinem Haupte
-schwanken. —
-
-An einem solchen Tage ging Ježek durch den Wald, zufrieden, daß er an
-nichts dachte und denken konnte. Breit atmete die Wärme zwischen den
-Bäumen. Ein Tannenzapfen riß sich los, — er hatte sich festzuhalten
-vergessen, weil es so windstill war; die Kronen kräuselten sich und
-überall zitterte Licht. Oh, welch schöner, herrlicher Tag! Wie schimmern
-silbern die schwanken Ährchen des Windhalms! Eingewiegt von Freude oder
-Langweile lauschte Ježek dem warmen Summen des Waldes.
-
-Geblendet stand er am Rande der Lichtung, wo unhörbar die Glut zitterte.
-Wer liegt da? Es ist ein Mensch. Er liegt mit dem Gesicht auf der Erde
-und ohne Regung. Fliegen weiden auf der ausgestreckten Hand, die sie
-nicht verscheucht. Ist er etwa tot?
-
-Andächtig und mit Grauen bückte sich Ježek über die gereckte Hand,
-welche noch den alten Schlapphut hielt. Die Fliegen entflohen nicht
-einmal. An dem verblaßten Futter waren noch einige Buchstaben leserlich:
-..ERTA. EL SOL. Puerta del Sol, erriet Ježek erstaunt und neigte sich
-über das Antlitz des Toten. Aber da öffnete dieser die Augen und sagte:
-»Möchten Sie mir nicht eine Zigarette geben?«
-
-»Recht gern,« atmete Ježek in nicht geringer Erleichterung eifrig
-auf. Der Mensch nahm die Zigarette, knetete sie sorgfältig, wälzte sich
-auf die Seite und ließ sich Feuer geben. »Danke,« sagte er und begann
-nachzusinnen.
-
-Er war nicht jung, durchgraut, mit breitem und unbestimmtem Gesicht; er
-war irgendwie sehr abgemagert in seinen Kleidern, so daß sie in
-seltsamen, leblosen Falten an ihm lagen. So war er ausgestreckt auf der
-Seite und rauchte, unbewegt irgendwohin zu Boden blickend.
-
-Puerta del Sol, überlegte Ježek, Tor der Sonne; was hat er nur in
-Spanien gemacht? Nach einem Touristen sieht er nicht aus. Vielleicht ist
-er nicht gesund, daß er so heilige Augen hat. Puerta del Sol in Madrid.
-
-»Sie waren in Madrid?« sprach er unversehens aus.
-
-Der Mensch atmete zustimmend durch die Nase und schwieg.
-
-Er könnte sagen, wer er ist, überlegte Ježek; ein Wort gibt das
-andere, und das Übrige errätst du. — Er könnte übrigens sagen: Ja, ich
-war in Madrid; aber es ist nicht der entfernteste Ort, wo ich gewesen,
-und es gibt noch schönere Orte und ein wunderbareres Leben. Allerlei
-könnte er lügen. Siehe, jetzt besinnt er sich.
-
-Der Mensch winkte leicht mit der Hand, unbestimmt und versonnen
-nirgendwohin blickend.
-
-Vielleicht sagt er: Ich sehe, daß Sie mich teilnehmend betrachten; Sie
-haben mich für tot gehalten und sich mitleidig über mich gebeugt. Ich
-will Ihnen also die Historie meines Lebens berichten. Unterbrechen Sie
-mich nicht, falls Ihnen etwas unzusammenhängend oder unmotiviert
-erscheint. Lesen Sie nur auf meinem Gesicht, ob ich leicht und einfach
-gelebt habe. So irgendwie würde er etwa beginnen.
-
-Aber der Mensch rauchte schweigend und langsam, die hellen, blicklosen
-Augen ins Unendliche geheftet.
-
-Sicherlich wird er etwas sagen, dachte Ježek; es ist schwer, Worte
-für eines Lebens Verlauf zu finden. Es sei, ich warte. Leise legte er
-sich auf den Rücken. Die Sonne schlug ihm in die Augen und drang durch
-die geschlossenen Lider hindurch; rote und schwarze Kreise haben sich zu
-drehen begonnen und tanzen brennend vor den Augen. Die Wärme atmet in
-langen, feurigen Wellen, und Ježek fühlt sich so wohl, als würde er
-entführt von den schwarzen und roten Kreisen, von der Flut langgezogener
-Wellen, von unendlicher und unfortschreitender Bewegung. Wohin fließt
-diese starke hinreißende Bewegung? Ach nichts; nur die Bewegung des
-Lebens an seinem Ort.
-
-Plötzlich wandte er sich. Über die Hand lief ihm eine helle Ameise,
-nicht wissend wohin auf der allzu großen Fläche. Auch uns, dachte
-Ježek, Ameislein, auch uns regt die allzugroße Welt auf: diese
-Fernen, Wanderer, diese hartnäckige Panik. Warum läufst du so? Warte,
-verweile; ich tu dir nichts, wenn ich auch groß bin. Ach, kleiner
-Abenteurer, ist's nur Verwirrung, die dich so jagt? Wilde und
-verzweifelte Verwirrung der Einsamkeit? irgendeine Angst? Wo ist denn
-ein Tor, durch das du entrönnest?
-
-Nahe, auf Griffweite nah hat sich ein Schmetterling mit weit geöffneten
-Flügeln auf eine Blume niedergelassen, wiegt sich auf der weißen Dolde
-und bewegt die leichten Flügel, schließt sie und breitet sie aus mit
-einer zauberischen und wollüstigen Bewegung, berauschend süß. Ach
-bleibe, o Lust! Verzaubere mein Herz nicht mit dieser ewigen Gebärde des
-Entfliehens! Bleib und lasse dich schaukeln, liebliches Weilchen,
-Sekunde ohne Gleichgewicht, unaussprechlicher Wink! Edle Begegnung nach
-solchen Qualen der Reise! Jungfräulich erbebten die Zauberflügel und
-jäh, unbegreiflich entschwindet der Falter, Sekunde, Wollust, als
-schlösse sich plötzlich ein Tor hinter ihm.
-
-Ježek blickt empor. Wohin ist all das entflogen? Wohin entfliegt ihr,
-leuchtende Wolken, in zielloser und unermüdlicher Bewegung? Ach, so
-entführt zu werden, wegen nichts, aus gar keinem andern Grunde als wegen
-der Größe des Himmels; so entführt zu werden, weil der Raum groß ist und
-nicht endet! Weil die Sehnsucht groß ist und nicht endet. Sanfter
-Himmel, meine Seele ist friedlich wie meine Augen. Aber warum blickt ihr
-bis hinter den Horizont, friedliche Augen? Warum, friedlichste Seele,
-findest du immer die dämonische Tugend der Unrast in dir? Wie hoch
-segeln die Wolken, schwindlig hoch, — du möchtest sagen, bis am Tore
-der Sonne hin.
-
-Puerta del Sol. Ježek sah sich um. Der Mensch, den er gefunden hatte,
-war wieder eingeschlafen, und sein Antlitz erschien unklar und zerquält,
-friedlich und weit. — Da stand Ježek auf, um ihn nicht zu wecken,
-und ging durch den warmen Wald, zerstreut, ohne Frage und wie gesättigt.
-Ihm war, als hätte er die Historie eines Lebens vernommen, eine wenig
-klare, aber nahe Geschichte, unzusammenhängend, aber nichtsdestoweniger
-eine Geschichte. — Ihm war, als hätte er die Historie eines Lebens
-vernommen und begönne schon sie zu vergessen.
-
-
-
-
- VERLORENER WEG
-
-
-»Aber wir haben ja den Weg verloren!«
-
-»Augenscheinlich.«
-
-»Wohin sind wir geraten? Sehen Sie etwas? Wo ist die Allee?«
-
-»Ich weiß nicht.«
-
-»Wo sind wir? Sahen Sie jemals, daß hier ein Heidefeld wäre?«
-
-»Nein.«
-
-»Aber wie konnten wir nur die Landstraße verlieren? Wir hätten ja über
-den Graben gemußt — — Hören Sie, sind wir nicht vielleicht über den
-Graben gegangen?«
-
-»Ich weiß nicht.«
-
-»Das ist absurd. Die Straße kann doch nicht unter den Füßen verloren
-gehn. Wo sind Sie?«
-
-»Ich hab' mich gesetzt.«
-
-»Auf dem Weg geht man doch anders als im Gras. Hart und laut. Geradeso
-wie ich uns auf der Landstraße gehen gehört.«
-
-»Das waren Sie, der so lärmend ging.«
-
-»Um so eher! Es ist doch geradezu undenkbar … Das ist das
-Sonderbarste, was ich je — — Mensch, schlafen Sie nicht!«
-
-»Ich schlafe nicht.«
-
-»Wo sind wir eigentlich?«
-
-Es war eine dunkle und fast sternlose Nacht; nur etwas lichtes Gestein
-auf der Erde und kleine, aufrechte Wacholdersträucher, winzigen reglosen
-Gestalten gleichend; von fern der Ruf eines Käuzchens nur drehte die
-unbekannte Weite in die stockende Finsternis her.
-
-»Lachen Sie mich nicht aus«, sagte der stehende Mann, »aber mir gefällt
-das nicht. Wir haben überhaupt die Richtung verloren. Wir müssen auf
-irgendeinen Weg gelangen, wohin immer er führe; ein Weg zeigt wenigstens
-»vorwärts«, aber das Unwegsame schweigt. Das Unwegsame schmeckt
-gleichsam nach Unendlichkeit; sie ist hier um uns herum auf allen
-Seiten; hören Sie, das ist eine unmögliche Lage.«
-
-»Setzen Sie sich«, sagte der andere.
-
-»Ich will nicht. Ich setze mich erst irgendwo am Weg, mitten zwischen
-die rechte und linke Hand, damit ich weiß, wo ich bin. Wer auf dem Wege
-geht, dem ist die Welt rechts und links eine Kulisse ohne Bedeutung und
-die Wände eines langen Ganges; aber das Weglose ist wie der Gipfel eines
-Berges; zu sehr im All; zu offen nach allen Seiten. Gehn wir von hier!«
-
-»Warten Sie noch, ich kann nicht.«
-
-»Ist Ihnen etwas geschehn?«
-
-»Ich kann nicht. Ja, mir ist etwas geschehn. Ich bin auf etwas gekommen,
-gerade als wir irrezugehn begannen. Vielleicht genau in jenem
-Augenblick.«
-
-»Wo war das?«
-
-»Ich weiß nicht. Ganz plötzlich tauchte es vor mir auf. Ich hatte schon
-seit Jahren nicht mehr daran gedacht, und jetzt kam es von selbst.
-Vielleicht gerade deshalb, weil wir auf einmal den Weg verloren.«
-
-»Irgendeine Erinnerung?«
-
-»Erinnerung, nein. Eine Lösung. Eine Antwort. Etwas, was ich das ganze
-Leben lang gesucht habe, selbst wenn ich nicht daran dachte. O Gott, ist
-das furchtbar kompliziert! Dadurch ändert sich mein ganzes Leben — —
-Alles hängt zusammen. Begreifen Sie das?«
-
-»Durchaus nicht.«
-
-»Ich auch nicht. Offenbar mußte ich vom Weg abkommen, um darauf zu
-kommen. Von Allem abkommen, was dir bekannt ist! Darum gingen sie in die
-Wüste! Aber verlasse dein Haus und deine Familie; deine Logik ist aus
-Gewohnheiten gewebt und deine Wege aus tausenderlei vergangenen
-Schritten; darum komme ab von Allem und beginne zu irren, um im
-Unbekannten zu suchen. Dich selbst findest du dann in dem, was das
-Seltsamste und Ungewohnteste ist.«
-
-»Das sagen Sie mir?«
-
-»Das sage ich mir selbst, weil ich es gefunden habe. Dich selbst hast du
-gefunden und kannst dich nicht erkennen; und doch ist es das einzige,
-was du je gesucht hast. Mein Gott, so viele Jahre! Und plötzlich diese
-Lösung: dir kommt das freudige und wortlose Gefühl, daß es da ist; das,
-was noch kein Gedanke ist, sondern nur eine blendende Weile und
-wunderbare Gewißheit. Hören Sie, mein Leben verändert sich
-wahrscheinlich, vielleicht gehen unsere Wege auseinander; aber ich bin
-froh, daß ich diesen Augenblick mit Ihnen erlebt habe.«
-
-»Wenn Sie mir wenigstens sagen würden —«
-
-»Ich kann nicht. Jetzt kann ich noch nichts unterscheiden. Die Wahrheit
-mußt du genießen wie ein Gefühl, bevor sie dir zum Wort wird. Du mußt in
-sie hineingeraten wie in einen Raum, der nirgendwohin führt, sondern
-nach allen Seiten sich öffnet; denn dein Nachsinnen ist nur ein Weg in
-einer Richtung, wie ein Gang zwischen Mauern. Dein Denken geht nur
-vorwärts auf irgendeinem der vielen Wege: aber die einzige Wahrheit geht
-nirgendwohin und zielt nirgendwohin, sondern besteht wie die
-Ausdehnung.«
-
-Der stehende Mann schwieg und horchte gespannt in die Ferne. In der
-tausendfachen Stille der Nacht, schien es ihm, entfaltete sich irgendwo
-ein winziger, klangloser Rhythmus. Er schien von der Tiefe der Stille
-überschwemmt zu sein, aber er war da und brach sich unaufhaltsam Bahn.
-Menschenschritte! ferne Schläge auf hartem Weg. Der stehende Mann atmete
-auf.
-
-»Dort also ist die Landstraße,« sagte er und wunderte sich plötzlich
-über seine Stimme; um soviel klarer und farbiger klang sie als zuvor.
-
-Der sitzende Mann erwachte gleichsam. »Was? Die Straße? Sie gehen schon
-nach Hause?«
-
-»Sie wollen vielleicht hier bleiben?«
-
-»Ja, ich erkläre es Ihnen dann. Es ist maßlos kompliziert. Warten Sie
-noch!«
-
-»Erklären Sie es mir lieber unterwegs.«
-
-»Wenn ich mir das notieren könnte! Was mir alles einfällt! O Gott, wie
-zahllos!«
-
-»Notieren Sie sich's zu Hause. Ich begleite Sie schon.«
-
-»Ich danke Ihnen. Wo sind wir?«
-
-»Ich weiß nicht, kommen Sie nur. Geben Sie acht, hier ist eine
-Schlucht!«
-
-»Ich sehe nichts.«
-
-»Reichen Sie mir die Hand. Christus, wie sind wir eigentlich
-hiehergeraten? Achtung!«
-
-»Warten Sie, hier kann ich nicht … Gehn wir zurück!«
-
-»Das geht nicht, der Weg ist vor uns. Wo stecken Sie?«
-
-»Hier oben. Und Sie?«
-
-»Im Wasser. Bleiben Sie dort, ach! Ist Ihnen etwas geschehn?«
-
-»Nein, danke. Wenn ich nur unten bin.«
-
-»Jetzt folgen Sie mir. So!«
-
-Und die beiden Männer stolperten den Hang empor und wieder hinunter; es
-war ein mühseliger, zerfurchter Boden, wo sie mit tausendfacher Vorsicht
-gehen mußten; es gab Gesträuch da, durch das sie sich hindurcharbeiten
-mußten; es waren breite, bebaute Ackerfelder da, über welche sie
-rücksichtslos wie Eber dahinfuhren. Endlich ein Graben und die
-Landstraße.
-
-»Und nun sagen Sie mir,« rief der, welcher vorausging, »wie konnten wir
-überhaupt dort hinauf gelangen?«
-
-»Ich weiß nicht,« sagte der andere etwas bedrückt, »es ist wirklich
-seltsam. Ich müßte es mir überlegen … Ich habe jetzt so viel
-nachzudenken!«
-
-»Sagen Sie mir nun, worauf Sie gekommen sind?«
-
-»Ja. Es ist sonderbar mit diesem Verirren! Gewiß fand ich es gerade in
-dem Augenblick, als wir den Weg verloren. Wär' ich schon zu Hause!«
-
-»Wovon handelt es?«
-
-»Von der Seele …«
-
-Nun schritten beide rasch und schweigend aus; sie kamen durch einen Wald
-und durchliefen ein Dorf; einige Fenster leuchteten menschlich in der
-tiefen Finsternis; und wieder tat sich eine weite und ferne Heide auf.
-
-»Was wollen Sie also sagen?«
-
-»Wovon?«
-
-»Von dem, worauf Sie dort oben gekommen sind — von der Seele.«
-
-»Ach ja, Sie haben recht. Sagte ich, von der Seele? Eigentlich war es
-nicht bloß das …«
-
-»Hören Sie,« sagte nach einer recht langen Weile sein Gefährte, »wie ist
-es also mit dieser Seele? Sie sind schrecklich zerstreut.«
-
-»Ich? Im Gegenteil. Ich dachte gerade darüber nach. Ist es nicht
-merkwürdig, daß sich der Mensch im Wesen nicht kennt?«
-
-»Und Ihre Lösung?«
-
-»Was für eine Lösung? Das ist auf ewig nur ein Problem.«
-
-»Aber Sie hatten irgendeine Lösung.«
-
-»Das war bestimmt nicht von der Seele. Das waren eher andere Fragen, vom
-Leben überhaupt … Ich dachte soeben darüber nach, womit zu beginnen.«
-
-»Mit dem, was Ihnen zuerst aufblitzte.«
-
-»Zuerst? Das war nur eine Ahnung … Es ist höchst schwierig zu
-formulieren. — Ich weiß wirklich nicht, was mir zuerst aufblitzte. Es
-kam das alles so auf einmal!«
-
-»Also beginnen Sie womit immer.«
-
-»Das geht nicht. Alles war ein Ganzes … Ja, das alles hing zusammen.
-Könnte ich es nur umfassen!«
-
-»Sie werden es mir ein andermal sagen?«
-
-»Nein, lieber gleich jetzt. Nur, bis ich es ein wenig geordnet habe.
-Aber mich stört es, wie laut wir gehen.«
-
-»Setzen wir uns also.«
-
-»Ja, ich danke Ihnen. Vor allem bedenken Sie … So klar leuchtete es
-mir ein … Zunächst folgt daraus, wie elend und sinnlos alles war, was
-ich bis jetzt gelebt. Plötzlich durchdrang es mich wie ein Messer; ich
-entsetzte mich vor mir selbst und begriff, daß ich so viele Jahre, o
-Gott, nur einen unaussprechlichen und ungeahnten Schmerz gelebt habe. So
-viele Jahre! Dies also blitzte in mir auf, was ich war und wie ich
-unbewußt gelitten; und alles war vergeblich und irrig, und eng wie ein
-Kerker; und mir war furchtbar zumute, wenn mein ganzes Leben sich mir
-als ein gefundener Fehler erwies. Ach, Vieles erkläre ich Ihnen noch
-näher. Aber zweitens, warten Sie, zweitens —«
-
-»Was ist zweitens?« fragte nach einer Weile der Gefährte.
-
-»Warten Sie, es war doch etwas von der Seele darin, aber jetzt weiß ich
-nicht. — Ja, es war etwas Unermeßliches von der Seele. Gott, was war es
-eigentlich?«
-
-»In welchem Sinne von der Seele?«
-
-»Ich weiß nicht, es waren überhaupt keine Worte, es war nur eine
-Gewißheit — — es ist so flüchtig!«
-
-»Besinnen Sie sich doch!«
-
-»Ja, gleich. Etwas von der Seele? Was war es?«
-
-»Denken Sie nur nach, ich warte.«
-
-»Ich danke Ihnen. Gleich werde ich es haben.«
-
-Die Nachtzeit lag unbewegt auf den schwarzen und formlosen Dingen. Und
-siehe, da geht der erste morgendliche Mensch über die leere Landstraße.
-Ist das nicht der Schrei eines Hahns im Dorfe? Hat sich die Nacht nicht
-in ihrem stillen Innern gerührt?
-
-»Haben Sie es gefunden?«
-
-»Ach gleich, nur noch etwas —«
-
-Am Horizonte dämmerte es schwach. Die Erde und ihre Dinge nahmen eine
-kühle, schemenhafte Blässe an; ständig ausgebleichter und schärfer hoben
-sie sich empor, und es ward Licht.
-
-»Also was haben Sie gefunden?«
-
-»Ich weiß nicht … Es ist mir entglitten. Alles habe ich verloren, und
-ich werde es niemals mehr wissen.«
-
-»Und überhaupt nichts, vollkommen nichts ist Ihnen davon geblieben?«
-
-»Vollkommen nichts; nur das, was mir auf ewig klar geworden über mein
-Leben.«
-
-
-
-
- DIE AUFSCHRIFT
-
-
-Ein Weilchen verschnaufend stand Kvíčala an der Tür und freute sich:
-Matys ist krank, er wird Freude haben, daß ich gekommen bin: ich werde
-ihm ein wenig vorplaudern am Bett, um ihn zu zerstreuen.
-
-Die Glocke ertönte so abgerissen, daß es Kvíčala quälend beklemmte;
-ihm war, als ob sich der Klang drinnen so aufgescheucht und blind einen
-Weg bahne durch die allzuabgestandene Stille, und er lauschte mit der
-Hand an der Glocke. Es kam das alte Mütterchen in Hausschuhen öffnen und
-bat ihn flüsternd einzutreten. Kvíčala ging auf den Spitzen, er wußte
-selbst nicht warum; durch die offene Tür sah er Matys mit dem Gesicht
-zur Wand im Bett liegen, wie wenn er schliefe.
-
-»Wer ist das?« fragte der Kranke gleichgültig.
-
-»Der Herr Kvíčala,« flüsterte die alte Frau und entfernte sich.
-
-Matys wandte sich mit aufgeheiterten Augen dem Freunde zu.
-
-»Das ist brav von Ihnen. Oh, es ist nichts; nur eine
-Brustfellentzündung, irgendein Exsudat … In vierzehn Tagen werde ich
-gehen.«
-
-Kvíčala lächelte gezwungen. Ihm war schwül in dem heißen Zimmer, wo
-er den schwachen und faden Geruch von Umschlägen, Urin, Tee und Eiern
-spürte. Ihn rührte das unrasierte Kinn des Matys und seine strahlenden
-Augen; er bedauerte, daß er vergessen hatte, eine kalte Orange oder ein
-nasses Sträußchen mitzubringen, um sie auf das Nachttischchen zwischen
-die zerknüllten Taschentücher, Speisereste und ungelesenen Bücher zu
-legen. Im ganzen übermannte ihn eine matte Übelkeit.
-
-Er bemühte sich zu plaudern; er erzählte irgendwelche Neuigkeit und
-ärgerte sich über seine fremde, gleichsam belegte Stimme; er fühlte die
-Augen des Kranken aufmerksam und doch entfernt auf sich geheftet; und da
-verschluckte er seine Neuigkeit und sehnte sich zu verschwinden.
-
-Matys erkundigte sich nach Bekannten; aber Kvíčala spürte die
-besondere Rücksichtnahme des Kranken auf die Gesunden heraus und
-antwortete immer schwerer. Schließlich war alles erschöpft. Wenigstens
-das Fenster öffnen! Horchen, was draußen geschieht! Nur einen Teil
-seiner selbst dorthin übertragen! Verdrossen wich Kvíčala den starren
-und abwesenden Blicken des Freundes aus; seine Augen wichen dem heißen
-und zerdrückten Bette aus; er wich der eingetrockneten Häßlichkeit des
-Nachttischchens aus; und heftete den Blick auf das Fenster, das blasse
-halbundurchsichtige Fenster, das Fenster, welches ins Freie führt.
-
-»Schauen Sie her,« sagte plötzlich der Kranke und wies mit dem Finger
-auf die Wand zu Häupten des Bettes.
-
-Kvíčala beugte sich vor; an die Wand war grau und verwischt und
-zweimal unterstrichen mit Bleistift das Wort »_zurück_« geschrieben.
-»Zurück«, las Kvíčala.
-
-»Was sagen Sie dazu?« fragte Matys still.
-
-»Jemand hat es hingeschrieben. Es steht offenbar schon viele Jahre
-dort.«
-
-»Wieviel Jahre denken Sie?«
-
-»Ich weiß nicht. Vielleicht fünf oder zehn — Wann wurde hier das
-letztemal gemalt?«
-
-»Ich habe die Mutter gefragt,« sagte Matys und schaute zu der trüben
-Zimmerdecke empor. »Vor mehr als zehn Jahren. Ich wollte es niemals
-erlauben.«
-
-Kvíčala ließ seine Blicke hastig zum Fenster zurückkehren.
-
-»Sehen Sie nur her,« nötigte der Kranke, »fällt Ihnen nichts auf?«
-
-Kvíčala neigte sich wieder über das Bett. »Es ist von einer
-Männerhand geschrieben. Jemand schrieb es in Aufregung und ungeduldig,
-so daß hier der Graphit abgebrochen ist. Er hat geradezu in die Wand
-geritzt. Und im Dunkeln. Dieses Häkchen ist ein wenig seltsam … Diese
-langen Striche auf dem u und ü sehen irgendwie entschlossen aus.«
-
-»Zurück,« wiederholte Matys. »Wissen Sie nicht, was wohl damit gemeint
-ist?«
-
-»Gott weiß, vielleicht irgendein Entschluß. Vielleicht, etwas
-zurückzugeben.«
-
-»Oder selber zu etwas zurückzukehren?«
-
-»Möglich. Warum fragen Sie?«
-
-»Nur so. Ich überlege, weshalb es hier geschrieben steht.«
-
-»Jemand hatte wohl einen Einfall oder eine Eingebung — Er schrieb es
-sich bloß als Leitwort auf, um nicht daran zu vergessen. Weshalb
-interessiert es Sie so?«
-
-»Weil es mit meiner Schrift geschrieben ist. Ich habe es offenbar selbst
-geschrieben, aber jetzt weiß ich überhaupt nichts mehr und kann mich
-nicht entsinnen, wann und warum. Andauernd überdenke ich, was das
-bedeuten sollte.«
-
-»Jetzt bedeutet es nichts mehr.«
-
-»Jetzt nicht, aber damals. Ich fand es hier während der Krankheit. Nie
-zuvor hatte ich es beachtet, bis jetzt. Und so sinne ich aus Langweile
-nach —«
-
-»Worüber?« fuhr Kvíčala nach einer Weile auf.
-
-»Nie habe ich an die vergangenen Jahre gedacht,« sagte Matys mit
-geschlossenen Augen. »Wozu auch? Alles Vergangene ist so
-selbstverständlich. Der Mensch gewöhnt sich an die vergangenen Dinge.
-Alle dünken ihm bekannt. — Aber jetzt weiß ich nicht, zu was ich mich
-damals entschlossen habe; ich weiß nicht, zu was ich zurückwollte und
-weshalb es mir so unerträglich war, und weiß nicht, wann es überhaupt
-war. Niemals wird es mir klar werden … Überrascht und beunruhigt Sie
-nicht manchmal etwas Vergangenes?«
-
-»Nein,« sagte Kvíčala aufrichtig.
-
-Der Kranke bewegte ungeduldig die Schultern und schwieg. »Ich weiß
-nicht, wann und warum ich es geschrieben habe,« begann er; »aber mir
-sind viele Augenblicke eingefallen, in denen mir dies Wort als Erlösung
-erscheinen konnte, und ich finde ständig neue Augenblicke, wo ich es
-hätte schreiben können. Oder lieber erfüllen.«
-
-»Wie erfüllen?«
-
-»Ich weiß nicht. Schon lange sinne ich darüber nach, wie es sich
-erfüllen ließe. Zurück, ja zurück, aber zu was? Ich liege da und
-erinnere mich an allerlei: zu was von alledem zurückzukehren? Ich kann
-mich vieles Schönen entsinnen. Vieles tut mir leid. Manche Liebe. Hie
-und da leuchtet ein alter Gedanke auf. Und viel, unzählig viel habe ich
-vergessen, und daran denke ich am meisten. Es gibt furchtbar viele
-vergangene Dinge. Die Vergangenheit ist schwindelerregend.«
-
-Kvíčala seufzte; ihm ward immer schwüler. Ach, die Gasse hinter dem
-Fenster! Licht, Raum! Schnelligkeit und Bewegung dort draußen!
-
-»Die Vergangenheit ist nicht so selbstverständlich, wie ich's mir
-dachte,« sagte Matys wie für sich selbst. »Sie ist unermeßlich unklar.
-Zeitweilig geschahen merkwürdige und unmögliche Dinge. Mir ist als
-stünde ich am Rande einer halb unbekannten Welt; etwas habe ich schon
-entdeckt, aber der Rest geht unendlich weiter und breiter, als ich
-geahnt. Ich hatte keine Vorstellung davon … Das ist ein barmherziger
-Irrtum, daß uns die eigene Vergangenheit bekannt erscheint; wir kennen
-nur etwas, aber alles übrige … Das Meiste sollten wir _erst erleben_!«
-
-Kvíčala horchte: Draußen klingelt der Tramway, die Schritte vermehren
-sich, breit schüttet sich Wagenrasseln hin; dünn und klar flog ein
-Kinderschrei auf. Aber hierher kommen nur die Schatten der unstofflich
-durch das Glas hindurchgegangenen Laute; sie sind alles Nahen und
-Wirklichen beraubt; entfremdet den Lauten, die von außen her an das
-Fenster sich pressen; mit der Stille vermengt.
-
-»Es ist still hier,« sagte der Kranke, »und die Zeit ist lang. Ich denke
-an vergangene Dinge. Sie hätten noch nicht entschwinden sollen. Und
-woran ich immer nur denke, nichts hätte noch schwinden sollen. Ich müßte
-es erst erleben, aufmerksam verweilend — selbst die schlimmsten
-Augenblicke. So als hätte ich sie alle zwischen den Fingern entgleiten
-lassen, noch unwissend wie sie sind: und überaus seltene darunter —«
-
-»Sie sind hier zu sehr allein,« sagte Kvíčala.
-
-»Ja. Und in vierzehn Tagen stehe ich wieder auf und erinnere mich
-vielleicht nicht mehr, daß ich einmal ›zurück‹ geschrieben habe. Aber
-jetzt ist es da als Aufschrift an irgendeiner Wand. Zurück! Alles
-Vergangene ist nur ein Stichwort; alles ist unvollendet geblieben,
-angedeutet als Anfang und Ahnung … Zurück! Vielleicht fühlt es ein
-jeder einmal und möchte zurückkehren, so als wäre es nach Hause —
-zurück! Es ist nicht, ach es ist nicht Rückkehr zu seinen Anfängen, —
-zu den ersten Schritten; aber zurück zu den Enden, zur Aussprache und
-Beendung seiner selbst, zu den letzten Schritten … Unmögliche
-Rückkehr! Niemals zurück!«
-
-Kvíčala erhob sich. »In vierzehn Tagen,« lächelte Matys.
-»Entschuldigen Sie, eine Woche schon hab' ich mit niemandem geredet.
-Grüßen Sie alle.« Seine Hand war heiß und trocken. Oh, hinaus! Lautere
-Kühle, Gasse, Menschen, Menschen — und »vorwärts« in diesem allen!
-
-
-
-
- DIE VERSUCHUNG
-
-
-Lange schon ging Růžička wie in Nebel herum. Er wehrte sich
-hartnäckig dagegen und ersann ohne Ende Gründe für und gegen, bewies
-sich etwas, ärgerte sich. Hart kämpfte er um Sammlung und sehnte sich
-zugleich: sich endlich ohne Gedanken und Richtung entführen zu lassen.
-— So wie ein schwarzer Pfahl am Teiche im Nebel, dachte er; über dem
-Wasser schreit die Möwe und läßt sich herab, um die Fläche in die Klauen
-zu ergreifen; das Wasser erbebt, und die Möwe entflieht wie ein
-Gassenjunge; erst Gott weiß, wo sie auflachen wird …
-
-Růžička blieb stehen: Reise ich oder bleibe ich? — Alle Gründe
-starben ab und er vermochte sich ihrer nicht mehr zu bemächtigen; alle
-starben ab und wurden starr und er konnte sich ihrer nicht mehr
-entledigen. Gründe, die ihn nicht mehr freuten. Sie waren in diesem
-engen Zimmer verwelkt. In dem Zimmer, das ihn nicht mehr freute. Gründe
-dafür, daß er blieb und nicht verreiste und nicht diese paar Chancen
-überflüssig verwarf. Ruhe, Beruf, Gewohnheiten, Lampe, Bett, Lehnstuhl
-— mehr brauche ich ja nicht, sagte er sich; ich bleibe und erfülle dies
-alles mit der Wahrheit des Lebens. Mein Platz ist schmal, aber ich kann
-ihn vertiefen. Ach, auf immer bleiben!
-
-Oder fortgehn, sagte er sich beklommen; sich von neuem versuchen und in
-die Welt schleudern wie ein Stein ins Wasser … Müßte man sich nur
-nicht entschließen! Könnte ich mich, ohne zu wissen wie, irgendwo in der
-Welt finden und nichts haben als vor mir den Tag, o Gott! was wäre das
-für ein Tag! Es geschehe mir als Schicksal oder Zufall, — ich nehme
-alles an; aber selbst wollen ist furchtbar.
-
-— Reise ich oder bleibe ich?
-
-Ich gehe aus, entschloß er sich endlich (wenigstens etwas tun! was
-immer!), ein bißchen hinaus, zögerte er bei der Türe, den Abend
-genießen, nötigte er sich; aber »bleib«, sprechen Lampe, Bett,
-Lehnstuhl, Langweile, »wozu gehn? Gehn ist so anstrengend; Bleiben so
-einfach; Gehn so verzweifelt; Bleiben so verzweifelt; bleib!« Nein,
-heute nicht, entschied er sich mit Gewalt, und ging. »Bleib,« sprechen
-die entflammten Gassen, »wir stören dich nicht mehr; du hast uns so oft
-durchmessen, daß du uns nicht mehr siehst.« Auch ihr seht mich gar
-nicht, wandte er ein, und eure Fenster blinken mir nicht mißtrauisch zu
-wie ein Blick, lächelnd wie ein Blick, durchsichtig wie ein Blick des
-Zufalls. Ich gehe täglich hier: wir sind einander fremd geworden. »Ja,
-nach so vielen Jahren!«
-
-Růžička nahm, sich zerstreut erholend, Zuflucht zu einem
-Kaffeehaus, froh, daß er so verloren war in der Zersplitterung von
-Lichtern und Stimmen, daß er sich selber entschwand in der Menge, daß
-die Spiegel strahlten und die Gläser klirrten; er schrieb mit dem Finger
-ein Fragezeichen auf den Tisch und entdeckte in der Marmorplatte
-interessante Adergänge, ein Zufallsnetz, zahllose Bahnen ohne Ziel. —
-Verreise ich oder bleibe ich? Augen! wer sieht mich da an?
-
-Mädchen, lachte sein Blick, was willst du von mir? Glatte Augen glitten
-ab, flüchteten hinter die Lider und blickten süß, dunkel nirgendwohin.
-Nichts, blasses Gesichtchen unter schwarzem Hütchen, Spielzeug aus
-Elfenbein, die jungen Hände spielen auf dem Schoße mit nichts. Das große
-Schwarze ist die Mama und besieht die Modeblätter. Die grauen Augen
-fliegen verstohlen herüber, fliehen, bleiben nicht da; anmutig sind die
-Lider der Augen, gesenkte Lider, anmutige Trauer, Liebe und Musik,
-Abend, Frage und nichts, lieblich der Augen Blick, Freude, Kleider,
-Musik und Frage, liebliches Lieben, lieblicher Frühling, Veilchen auf
-der Straße, rosige Blüte, rosiges Lächeln, lieblicher Blick, und in die
-Augen! gerade in die Augen, stark und direkt, kurz und fragend
-lieblicher Blick! Die glatten Wangen sind rosig erglüht. Schön sind
-weiße und errötete Wangen; schön und traurig die Haare; traurig und
-schlank die Hände im Schoß, auf schwarzem Trauerrock.
-
-»Genug,« baten die grauen Augen, »soviel Lob, mein Gott, — wohin soll
-ich jetzt mit den Augen, mit Lidern und Händen? Sehen Sie mich nicht an,
-ich lasse das Glas fallen; um keinen Preis sehe ich Sie mehr an.«
-
-Schlanke Hände, dachte er gerührt, wie einer Geigerin Hände; ach, welch
-ein Tremolo, gegenstandsloses Weinen, Lied, welches endet und nicht; ob
-ich es jemals vernehme, dies bange und feine Lied? Diese feine, kindlich
-rauhe Stimme?
-
-»Gott, das nicht! Was würde ich Ihnen sagen? Ich kann nicht bis fünf
-zählen. Wer sind Sie? Warum schauen Sie so? Warum schauen Sie nicht?«
-
-»Wenn ich sehe, denke ich an die Leute ringsum, an Sie, an Ihren Atem,
-an die Liebe, an alles, was ich dir sagen möchte, — ich weiß nicht,
-woran ich denke, wenn ich schaue; aber wenn ich nicht schaue, denke ich
-an Sie, an alles, was ich nicht sehe, an mich selbst, an den glücklichen
-Zufall, und hauptsächlich an dich.«
-
-»Hören Sie auf! Hören Sie auf!«
-
-— Drüben haben neue Menschen sich gesetzt, und in ihrer Mitte —
-
-»Ach sehen Sie doch,« riefen die grauen Augen aus, »wie schön sie ist!«
-
-— ja, schön, tatsächlich schön, o Mädchen, wie groß und schön! Warum
-ist sie gekommen, wen sucht sie mit den dunklen Augen! Ach, wer ertrüge
-der Schönheit vernichtenden Blick? Wie erbebte er nicht in Verwirrung
-und Schrecken, wie schlüge er nicht nieder die Augen? Wehe, daß sie ihn
-angeblickt!
-
-Langsam, ohne Unsicherheit hefteten sich die großen schwarzen Blicke der
-neu angekommenen Frau auf sein Gesicht. Da stockte sein Herz vor
-Erstaunen und schwieg.
-
-»Ich bin schön. So viele sind mir untertan. Sieh.«
-
-Ich verreise, entgegnete er finster.
-
-»Bleib. Ich bin schön. Du begegnest mir auf den Straßen, in den Basaren
-und auf Festen. Suche mich in den Logen der Theater. Du wirst mir
-begegnen, wenn du willst. Wir können einander kennen lernen und — wer
-weiß?«
-
-Ich reise, wiederholte er hartnäckig.
-
-»Bleib. Ich habe so wenig Unterhaltung, so wenig. Ich bin so schön. Du
-wirst mich oft sehn, täglich, wenn du willst, und so nahe! Bleib!«
-
-Nein, sagte er mit brennender Pein, ich reise; ich verreise und kehre
-wieder mit Lippen, bitter von Meer und Fremde; ich kehre mit anderer
-Seele zurück. Mit einer Seele ohne Staunen und Beben; mit einer rauhen,
-mutigen, wilden und schamlosen Seele; mit einer unruhigen und grausamen
-Seele; mit einer Seele für dich. Aber dann! Daß diese herrlichsten Augen
-weinen! Daß die Schönheit erbebe! Daß ich schlimmer sei als du! Daß du
-mich liebest. Daß sich das Schicksal erfülle. Daß ich Gott nicht
-fürchte. Daß ich dir gleichkomme. Nichts ist furchtbarer als Schönheit
-und Mut.
-
-Die schwarzen Pupillen wandten sich ab und zauberten weich ins
-Unendliche.
-
-Sei es, fühlte er, geschehe mir dies als ein Schicksal. Ich gehe hinweg,
-um zu wagen.
-
-»Bleiben Sie,« sprachen verloren die grauen Augen, »ach, bleiben Sie!
-Ich käme künftigen Samstag wieder her. Manchmal begegne ich Ihnen. Ich
-laufe nicht weg, selbst wenn Sie mich anreden. Warum wollen Sie nicht
-bleiben?«
-
-Ach, Mädchen, weinte sein Herz in sinnlicher Zärtlichkeit, ich möchte
-bleiben; wie möchte ich nicht bleiben wollen? Aber gerade du hast mich
-an einen Tag in der Fremde erinnert, eines unglücklichen Menschen in der
-Fremde, ich weiß nicht warum so unglücklich und so verloren; du hast
-mich erinnert an glücklichen Zufall, Lächeln, freundliches Wort in
-fremder Zunge und lieblichen Blick, der nicht mehr wiederkehrt: die
-Freude, wenn du wüßtest, und der herrliche Tag in der Fremde! Nichts ist
-schöner als Liebe und glücklicher Zufall, nichts vergleicht sich einer
-guten Begegnung, die nicht wiederkehrt. Ich würde bleiben: aber du hast
-in mir die ewige Sehnsucht nach dem Zufall erweckt.
-
-
-
-
- SPIEGELUNG
-
-
-»Achtung!« rief Lhota dem unbekannten Fischer zu, »er schnappt!«
-
-»Ach, ich danke Ihnen,« entgegnete der Angeredete freundlich, »wollen
-Sie sich ihn nicht herausziehn?«
-
-Lhota glitt rasch den Damm hinunter und ergriff die Rute. Die Angel war
-leer; und als Lhota das Haar heranzog, entdeckte er an dem Angelhaken
-festgebunden eine rote Schnur.
-
-»Das da geben Sie statt des Wurms?« fragte er mißmutig.
-
-»Ja,« sagte der Fischer mit schüchternem Lächeln.
-
-»Haben Sie schon etwas gefangen?«
-
-»Niemals.«
-
-Lhota blieb auf dem Damme sitzen, unschlüssig ob er lachen oder zürnen
-solle. Wie ist das möglich, dachte er, wie ist es überhaupt möglich, so
-Fische zu fangen?
-
-»Ich angle nämlich nicht,« äußerte der Fischer, »ich sitze nur mit der
-Rute so da, damit die Leute nicht über mich lachen, wenn sie mich hier
-sehn.«
-
-»Sie sind ein Hiesiger?«
-
-»Ich wohne in dem Häuschen hinter uns. Schon viele Jahre gehe ich her,
-weil es mir hier gefällt. Und angle nicht.«
-
-Lhota blickte in die großen, hellen Augen des Fischers. »Sie sind krank,
-nicht?«
-
-»Ich kann nicht gehn. Schon seit Jahren. Viele Jahre bin ich nicht
-weiter gewesen als hier. — Aber hier ist es schön.«
-
-»Tatsächlich,« sagte Lhota unsicher. Unabsehbar zogen sich die kahlen
-Dämme hin, und zwischen ihnen strömte der breite, graue Fluß.
-
-»Sie sollten bei Sonnenuntergang hier sein,« sagte der Kranke, »oder am
-Morgen. Ich sitze seit früh hier, und niemals ist mir langweilig oder
-leer zumute; wenn ich dann abends heimkomme, schlafe ich ohne Traum,
-Nacht für Nacht schlafe ich herrlich und ohne Traum. Erst im Winter —«
-
-»Was im Winter?«
-
-»Nichts, die Träume. Im Winter kann ich nicht, und ich schlafe bei Tag
-und bei Nacht, ohne Rast, bis ich vor Müdigkeit nicht mehr schlafen
-kann. Aber im Sommer bin ich täglich da.«
-
-Lhota blickte sinnend in das Wasser: Es strömte breit und unförmig
-dahin, rieb sich mit der unendlichen Flanke an dem Gestein; gewellt,
-gekräuselt, bewegt, daß ihm die Augen übergingen. Und es war schon kein
-fließender Fluß mehr; nur ein Rauschen, das nicht verharrt, sondern ohne
-Ende verläuft und entschwindet; ein Vorbei ohne Grenzen, ohn Ende
-Vergehen von Allem —
-
-»Auch im Winter träume ich nur vom Wasser,« sagte der Kranke. »Es ist
-der einzige Traum, den ich ganze Tage und Nächte und ganze Monate
-träume, nur dann unterbrochen, wenn ich aus dem Schlafe auffahre. Erst
-im Sommer vergeht er, wenn ich das wirkliche Wasser sehe.«
-
-Lhota schloß in schwachem Schwindel die Augen. »Ich möchte nicht von
-strömendem Wasser träumen.«
-
-»Nein, das strömt überhaupt nicht,« sagte der Kranke. »Mir träumt nicht
-von wirklichem Wasser. Es ist das ein großer Fluß, der ohne Regung
-steht, und auf ihm schwimmen Reflexe. Sie eilen auf ihm dahin wie jene
-Blätter, welche von der Strömung mitgerissen werden.«
-
-»Was für Reflexe?«
-
-»Gespiegelte Dinge. Ufer, die sich in der Fläche reflektieren. Sie
-gleiten über das Wasser hin, rasch wie diese Wellen und kräuseln es
-nicht. Vielleicht kommen sie bis vom Gebirge her. Es sind große Bäume,
-die sich still und mit der Krone abwärts zu neigen, als hingen sie in
-einen grundlosen Himmel hinein. Auch der Himmel gleitet auf diesem
-reglosen Flusse mit Sonne und Wolken und Sternen dahin. Ich sah die
-Reflexe von Bergen und Dörfern am Flußufer mitsamt den Menschen
-dahinschwimmen. Ein andermal ist es ein weißes einsames Haus oder ein
-erleuchtetes Fenster.«
-
-»Das ist ein absurder Traum,« sagte Lhota.
-
-»Ein furchtbarer. Manchmal segelt eine gespiegelte Stadt und Quais mit
-flammenden Lichtern. Auf der Fläche bebt das Laub der Bäume, als wehte
-der Wind, aber das Wasser kräuselt sich nicht. Ein Mädchen ringt die
-weißen Hände und wird weitergetragen. Und ich sehe in der Spiegelung,
-als stünde jemand am andern Ufer und wollte auf mich blicken oder mir
-ein Zeichen geben; aber das Bild auf dem Wasser entgleitet mitsamt der
-an die Augen gelegten Hand.«
-
-Der Kranke schwieg eine Weile. »Und manchmal«, begann er wieder, »ist es
-nur die brennende Laterne eines verlassenen Hafens am Ufer des Flusses;
-sie schaukelt wie im Novemberwind, und schwimmt davon. Nichts kann
-innehalten und nichts verweilt. Nichts runzelt das Wasser und nichts ist
-oberhalb oder außerhalb seiner. Die Ewigkeit ist fürchterlich.«
-
-Lhota blickte schweigend in das Wasser; Welle um Welle kehrte endlos zu
-dem Gestein unter seinen Füßen zurück und floß wieder ab in hartnäckigem
-Spiel, das ihn reizte und beschwichtigte.
-
-»Oft erwache ich,« redete der Kranke, »mit Schweiß bedeckt und zu Tode
-entsetzt; und da sage ich mir: Die Ewigkeit ist fürchterlich. Welle um
-Welle kommt, um am Stein zu zerbrechen; Stein um Stein wälzt sich hinab
-zu den Wellen, die ihn davontragen. Aber ich habe eine Fläche gesehen,
-die sich an nichts bricht und nicht zerbricht. Lichter und Schatten von
-Allem gleiten über sie hin. Berge wälzen sich fort und Bäume eilen von
-dannen; es schwimmen Städte und Felsen, ein Mädchen ringt vergeblich die
-Hände und Anfang und Ende der Welt gleitet vorbei wie eine Spiegelung.
-Eine Fläche, die niemals sich kräuselt und zu kräuseln vermag. Die
-nichts berührt und niemals berühren kann. Und wer hineinblickt, sieht
-immer nur bloße Reflexe der Dinge fliehen, der Wirklichkeit entledigt.«
-
-Auf dem Damm gegenüber blieb ein Mann stehen und schaute eine Weile zu.
-»Also was,« rief er endlich, »schnappen sie?«
-
-»Sie schnappen nicht,« erwiderte der Kranke lustig. »Ich sitze gern
-hier,« sprach er wieder zu Lhota. »Wenn ein Blatt in das Wasser fällt,
-dann zittert das Wasser, und auch ich zittere, aber ohne Angst. Manchmal
-bei Sonnenuntergang, da denke ich an Gott. Die Ewigkeit ist
-fürchterlich.«
-
-Lhota wendete sich fragend.
-
-»Manchmal«, fuhr der Sieche fort, »sah ich ein so merkwürdiges Kräuseln
-auf dem Wasser, daß man nicht begreifen kann, woher es kommt. Manchmal
-bricht sich eine Welle und erglänzt schöner als die andern; und es sind
-auch Erscheinungen am Himmel — das geschieht sehr selten. Und da denke
-ich mir: warum könnte das nicht Gott sein? Vielleicht ist er gerade das
-Flüchtigste in der Welt; vielleicht ist auch seine Wirklichkeit ein
-jähes Brechen der Welle und ein Schimmer; unfaßbar, ausnahmsweise
-erscheint er, und vergeht —. Oft habe ich darüber nachgedacht; aber
-sehn Sie, ich habe einen so kleinen Horizont, durch Jahre kam ich nicht
-weiter als hierher. Es ist möglich, daß auch unter den Menschen ein
-solches Sichkräuseln oder Aufblitzen sich ereignet und wieder zerbricht.
-Es muß zerbrechen. Die echte Wirklichkeit muß mit dem Untergang bezahlt
-werden. Ach, die Sonne versinkt schon.«
-
-Ein barfüßiges Mädchen stand schweigend hinter dem kranken Herrn. »Ja,
-gehen wir,« sagte der Sieche. »Gute Nacht, Herr. Schauen Sie, jetzt,
-jetzt,« zeigte er auf den Fluß. »Nie ist es zweimal dasselbe. Gute
-Nacht.«
-
-Langsam und gleichgültig führte ihn das Mädchen nach Hause. Der Fluß war
-perlmutterlicht, wechselnd ohne Ende, und Lhota schaute leise
-schwindelnd dem hartnäckigen Spiel der Wellen zu.
-
-
-
-
- DER WARTESAAL
-
-
-Ich verbringe die Nacht in der Restauration, dachte Záruba, als der Zug
-schon einfuhr, oder ausgestreckt irgendwo im Wartesaal; ich verschlafe
-drei oder vier Stunden, und mit dem ersten Morgenzuge fahre ich weiter.
-Gott, nur rasch! Noch verbleibt Hoffnung, und Alles kann gerettet
-werden; ach, so viele Stunden.
-
-Aber die Restauration war schon geschlossen und den einzigen Warteraum
-erfüllte ein Soldatentransport. Sie schliefen auf Bänken und Tischen,
-lagen überall auf der Erde, den Kopf auf Tischleisten, auf Spucknäpfe,
-auf zerknülltes Papier gebettet, das Gesicht zu Boden und gehäuft wie
-Hügel von Leichen. Záruba rettete sich auf den Gang; es war kalt da, und
-zwei Gasflammen zitterten gequält in dem feuchten Halbdunkel, das vom
-Teer und Urin der Aborte stank; einige Menschen fröstelten und gähnten
-auf den Bänken in der stumpfen Geduld langen Wartens. Aber es war
-wenigstens ein bißchen Platz da, ein bißchen Platz für einen Menschen,
-wenigstens ein bißchen Platz für den stillen Schlummer eines Müden.
-
-Záruba fand eine Bank und lagerte sich so warm wie möglich, so fest wie
-nur möglich; aus sich selbst erbaute er einen Winkel für seinen Schlaf,
-Bett, Bettleiste, Viereck, Asyl. — Ach, die Unbequemlichkeit, fuhr er
-aus dem Halbschlaf empor; wie nur die Glieder legen? Lange und
-angestrengt dachte er darüber nach; schließlich kam ihm der kindliche
-Wunsch, zu liegen, und er streckte sich auf der Bank aus. Aber die Bank
-war zu kurz. Záruba kämpfte verzweifelt mit seinem Ausmaß, ergrimmt über
-einen so rücksichtslosen Widerstand; schließlich lag er gleichsam
-gefesselt, regungslos, knabenhaft klein, und sah auf die großen
-funkelnden Kreise, die sich im Dunkeln drehen, auf die kreisenden
-Scheiben. — Ich schlafe ja schon, durchblitzte es ihn, und in diesem
-Augenblicke öffnete er die Augen; da sah er den Winkel zweier Wände
-verschwimmen und ward furchtbar verwirrt: Wo bin ich denn? Was ist das
-eigentlich? Entsetzt suchte er eine Orientierung, vermochte aber weder
-Raum noch Richtung zu erraten; da raffte er alle Kraft zusammen und
-erhob sich. Neuerlich sah er den langen und kalten Gang, aber er sah ihn
-trauriger als früher, und erkannte, daß er schon durchaus aus dem
-Schlafe gerissen sei und er verspürte den bittern Geschmack des Wachens
-im Munde.
-
-Auf die Knie gestützt dachte er über seine Angelegenheit nach. Das
-Letzte tun, sich für die Rettung einzusetzen, ja, aber noch so viele
-Stunden! Zerstreut blickte er auf das schmutzige Pflaster des Ganges; er
-entdeckte zertretene Papiere, ekelhaften Auswurf, den Schmutz von
-zahllosen Füßen — und das dort ist wie die Form eines Gesichts, Augen
-aus Kot und aus Speichel der Mund, abscheulich zu lächeln bemüht …
-
-Angeekelt hob er den Blick empor. Dort liegt ein Soldat auf der Bank,
-schläft mit hintenüberhangendem Kopfe und stöhnt wie ein Sterbender.
-Irgendeine Frau schläft, eines Mäderls Haupt im Schoße; sie hat ein
-böses und armseliges Gesicht, sie schläft; aber das Mäderl blickt mit
-blassen Augen und flüstert etwas für sich; es hat ein langes,
-vorstehendes Kinn und einen breiten Mund in mageren Bäckchen, eine
-kindliche Greisin mit traurigen, weiten, fliegenden Augen. — Sieh da,
-der Beleibte, wie er schläft, aufgedunsen vor Schläfrigkeit, haltlos von
-der Bank fallend, erstaunt und stumpfsinnig; weiche Masse, die sich auf
-den ersten Stützpunkt herabwälzt. — Unter einem grünen Hute blinzeln
-die schwarzen muntern Augen eines jungen Mannes. »Komm her,« pfeift er
-durch die Lücken der zerfressenen Zähne dem blaßäugigen Mädchen zu;
-»komm her,« flüstert er und lacht. Das Mädchen windet sich verlegen und
-lächelt ein furchtbares greisenhaftes Lächeln; sie ist zahnlos. »Komm
-her,« pfeift der Jüngling und setzt sich selber zu ihr. »Wie heißt du?«
-Und streichelt ihr mit der flachen Hand die kleinen Knie. Das Mädchen
-lächelt ängstlich und unschön. Der schlafende Soldat röchelt wie in der
-Todesstunde. Záruba schüttelte sich vor Kälte und Übelkeit.
-
-Eine Stunde von Mitternacht. Die Zeit schlich quälend langsam dahin, und
-Záruba fühlte sich von ihr verschleppt, gedankenlos zerzogen in
-wachsender und zielloser Spannung. Gut, sagte er sich, ich schließe die
-Augen und halte es so ohne Gedanken, ohne Bewegung so lang wie möglich
-aus, ganze Stunden hindurch, bis sich die Zeit umwälzt. — Und so saß er
-starr da, zwang sich, möglichst lange auszuhalten; endlos stockte die
-Dauer der Minuten, ein Zählen ohne Zahlen, Verzug um Verzug. — Endlich,
-nach unüberlebbarer Zeit, öffnete er die Augen. Fünf Minuten nach Eins.
-Der Gang, die Papiere, das Kind, das gleiche verlegene, greisenhafte
-Lachen … Nichts hatte sich verändert. Alles war zu unfortschreitender,
-bleibend naher Gegenwart erstarrt.
-
-Und plötzlich entdeckte Záruba einen Menschen. Er saß regungslos wie er
-selbst in einem Winkel und schlief nicht. Der ist wie ich, dachte
-Záruba; er kann auch nicht schlafen wegen der Zeit. Woran denkt er? An
-das Warten ohne Ende wie ich? Der Mensch erbebte, wie wenn ihm diese
-Frage unlieb wäre. Záruba blickte unwillkürlich in sein formloses
-Gesicht; er gewahrte darauf eine unruhige Bewegung, wie wenn jemand eine
-zudringliche Fliege verjagt. Auf einmal stand dieser Mensch auf,
-überschritt auf den Spitzen den Gang und setzte sich geradezu neben ihn.
-
-»Ihnen war es unangenehm, daß ich Sie ausschaue,« sagte Záruba gedämpft.
-
-»Ja.« Beide schwiegen lang. »Schauen Sie,« flüsterte endlich der Mensch
-und wies mit dem Finger auf die Erde, »das da sieht aus wie ein
-menschliches Gesicht.«
-
-»Ich habe schon vorhin geschaut.«
-
-»Sie haben schon geschaut,« wiederholte der Mensch schwermütig, »Ihnen
-war also auch so —«
-
-»Wie?«
-
-»Nichts ist schwerer als Warten,« erwiderte der Mensch.
-
-»Wie war mir?«
-
-»Schwer. Es ist schwer zu warten. Was immer auch komme, es ist Erlösung.
-Warten ist schwer.«
-
-»Weshalb reden Sie davon?«
-
-»Weil es schwer ist, zu warten. Auch Sie haben Gesichter gelesen,
-geschrieben in Speichel und Staub. Auch Sie haben sich gequält. Nichts
-ist qualvoller als die Gegenwart.«
-
-»Warum?«
-
-»Weil Warten schwer ist.« Der Mensch verstummte und blickte zu Boden.
-
-»Wohin fahren Sie?« fragte Záruba nach einer Weile.
-
-»Ich fahre nur so,« antwortete der Gefragte zerstreut, »zum Vergnügen.
-Oft findet man nämlich schöne Städte. Sie fahren so weit, daß Sie
-bereits an nichts mehr denken, und auf einmal sind Sie an einer solchen
-Stelle; es ist ein Bach oder Brunnen im Hain, oder Kinder, etwas
-Unerwartetes und Schönes — und da begreifen Sie überrascht, was Glück
-ist.«
-
-»Was ist Glück?«
-
-»Nichts. Sie begegnen ihm einfach. Es ist, kurz gesagt, zum Verwundern.
-Haben Sie je an die heidnischen Götter gedacht?«
-
-»Nein.«
-
-»Das war so: Niemand erwartete sie, und unverhofft erblickte er sie.
-Irgendwo im Wasser oder im Gebüsch oder in den Flammen. Deshalb waren
-sie so schön. Oh, wenn ich das ausdrücken könnte! Wenn ich es nur
-ausdrücken könnte!«
-
-»Warum denken Sie an Götter?«
-
-»Nur so. Dem Glück muß man rasch und unverhofft begegnen. Es ist solch
-ein besonderer Zufall! Solch ein jähes Ereignis, daß man sagen möchte:
-ach, welch ein Abenteuer! Ist es Ihnen jemals begegnet?«
-
-»Es ist mir begegnet.«
-
-»Und da war Ihnen wie im Traum. Das Herrlichste ist nur ein Abenteuer.
-Dort, wo die Liebe aufhört, ein Abenteuer zu sein, wird sie eine Qual.«
-
-»Warum, warum ist das so!«
-
-»Ich weiß nicht. Sie könnte nicht dauern, wenn sie keine Qual wäre.
-Schauen Sie, die Alten hatten einen einzigen Namen für Glück und Zufall.
-Aber es war ein Göttername.«
-
-Fortuna, dachte Záruba beklommen. Wenn sie mir begegnete auf dieser
-Reise! Aber es ist schwer, auf den Zufall zu warten!
-
-»Warten ist schwer,« begann der Mensch wieder, »so schwer und quälend,
-daß, was immer Sie erwarten, Sie nur eines abwarten: des Wartens Ende,
-Erlösung vom Warten. So schwer, daß das, was Sie als Erfüllung erleben
-werden, weder schön noch glücklich mehr sein kann; sondern an sich
-sonderbar und gleichsam traurig, schmerzlich durch all dies Warten —
-ich weiß es gar nicht zu sagen. Jede Erlösung ist so: niemals ist es das
-rechte Glück.«
-
-Warum sagt er das? dachte Záruba; wie, wäre ich nicht glücklich, wenn
-ich die Erfüllung erlebte?
-
-»Sie haben Gott selber erwartet,« fuhr der Mensch fort; »ach, was für
-ein Mensch ist da gekommen, um Sie vom Warten zu erlösen? Weder Ansehen
-noch Schönheit waren an ihm, der letzte der Männer, ein Mann des
-Schmerzes; unsere Gebrechen hat er getragen und unsere Schmerzen
-ertragen, so als wäre er gar kein Gott.«
-
-»Warum reden Sie davon?«
-
-»Warten, sehen Sie, ist schwer; selbst einen Gott zerbricht und demütigt
-es. Erwarten Sie jahrelang irgendein Glück, ein großes und schönes
-Ereignis; endlich kommt es, irgendwie klein und trübselig wie irgendein
-Schmerz; aber Sie sagen: ja, Gott, das ist es, worauf ich so viele Jahre
-gewartet habe, auf daß es mich erlöse!«
-
-»Was meinen Sie damit?«
-
-»Damit meine ich: Der einzige Lohn für das Warten ist das Ende des
-Wartens; und nur darum steht das Warten dafür. Darum, darum ist es
-notwendig zu warten. Das ist der Sinn unseres Glaubens.«
-
-»Welchen Glaubens?«
-
-»Welchen immer,« sagte der Mensch und schwieg.
-
-Die Leute auf dem Gange erwachten und begannen herumzugehn. Das zahnlose
-Mäderl war jetzt in den Armen der Mutter eingeschlafen, verloren unter
-dem Shawl. Etwas Leben strömte durch den Gang; es war ziellos und
-unordentlich, aber es regte sich und vermochte sich zu erhalten.
-
-»Was haben Sie mit diesen Göttern gemeint?« fragte Záruba plötzlich
-laut.
-
-»Sie waren schön,« sagte der Mensch; »es genügte bloß Glück oder Zufall,
-um sie zu erblicken und dadurch selbst ein wenig ein Gott zu werden. Ich
-denke mir also: wunderlich ist das Glück, so überaus seltsam ist
-Schönheit und Glück, daß es nur durch Wunder und Zufall geschehen kann.
-Aber wer wartet, der wartet auf etwas, das geschehen muß; etwas muß
-kommen, das sein Warten beendet. Sehen Sie, jeder wartet …, auch Sie;
-wir sind vom Wege der Freude abgekommen, um große Dinge zu erwarten.
-Ach, warten ist eine große Spannung des Lebens, fast wie der Glaube.
-Aber je mehr wir warten — — _was immer auch komme, wir werden, wir
-werden erlöst werden_. Schauen Sie, es ist schon Tag.«
-
-In den Bahnhof wälzte sich ein Menschenstrom herein mit Lachen, Husten
-und Geschrei. Wie ein großer Besen fuhr der Lärm durch den Gang, fegte
-die angesetzte Stille fort und blies die verstaubten Stimmen an. Die
-Passagiere erhoben sich von den Bänken, schüttelten die Spinnweben des
-Schlummers ab und blickten einander ohne Mißbehagen an, verbündet durch
-die gemeinsame Nacht. Aber draußen, hinter den Fenstern, dämmerte der
-Tag.
-
-Der Mensch, der gesprochen hatte, verlor sich Záruba zwischen den
-Leuten. Eine neue Schar, Fahrkarten, Geschrei und Glockenzeichen — der
-schwarze und lärmende Zug fuhr in den Bahnhof ein, verschlang die Schar,
-zischte, fauchte und fuhr dem Ziele zu. Gott, nur schnell, dachte
-Záruba, noch ist nicht alles verloren: noch bleibt Hoffnung.
-
-
-
-
- HILFE!
-
-
-Er wurde gewahr, daß er sich an einem weiten, mit schönen Bäumen
-bewachsenen Hange befand. Das ist ja Frankreich, erriet er plötzlich,
-ich bin wohl in einen falschen Zug eingestiegen. Es ist wirklich ein
-seltsamer Zug, — lauter fremde Gesichter, die über ihn lachen, als wäre
-er schlecht gekleidet; und der Zug fährt wild, daß die Fenster klirren.
-
-Brož fuhr aus dem Traum empor. Jemand klopfte ans Fenster.
-
-»Was ist?« schrie Brož mit verklebter Zunge.
-
-»Ich bitte Sie,« sagte draußen eine zitternde Frauenstimme, »wenn Sie
-uns rasch zu Hilfe kämen!«
-
-»Gehn Sie zum Teufel!« erwiderte Brož wütend und wühlte den Kopf in
-die Kissen hinein. Nur den zerrissenen Faden des Traums einzufangen! den
-Schlummer eben dort wieder anzuknüpfen, wo er unterbrochen worden! Ein
-Zug, etwas von einem Zug, zwang sich Brož; und plötzlich fiel ihm
-peinlich klar ein: Ich hätte fragen sollen, was ihnen geschehn ist!
-
-Er sprang aus dem Bett und lief das Fenster öffnen. Kühl, schwarz wehte
-die öde Nacht herein. »Wer ist da?« rief er, aber nichts antwortete. Da
-schüttelte ihn die Kälte, und er ging sich legen; in den Federbetten
-fand er seine eigene trockene Wärme wieder und genoß sie gierig und
-unbegrenzt; wieder sanken ihm die Lider und die Glieder lockerten sich
-zu einem Komma. Ach, schlafen!
-
-Mit weit geöffneten Augen schaute Brož in die Finsternis. Wer das
-wohl gewesen war? Niemand in diesem Dorf hier kümmert sich um mich. Wer
-hat bei mir Hilfe gesucht? Es war eine Frauenstimme. Es war eine
-unsäglich schmerzliche Stimme. Vielleicht ging es ums Leben. Übrigens,
-ich bin kein Arzt. Aber vielleicht ging es ums Leben.
-
-Zerquält wandte sich Brož dem Fenster zu. Es zeichnete sich wie ein
-kaltblaues Rechteck in der schwarzen, raumlosen Dunkelheit ab. Nirgends
-brennt es. Es ist still, nur die Uhr zu Häupten tickt spitzig. Was ist
-nur geschehn? Was für ein Unglück? Vielleicht ist es in der
-Nachbarschaft; jemand stirbt; irgendwo wird ratlos mit dem schweren
-Augenblick gekämpft. Ich bin schließlich kein Arzt.
-
-Aber das Bett knarrt und brennt ermüdend. Brož setzte sich im Bette
-auf und nahm gewohnheitsmäßig die Brille. Wodurch vermöchte ich
-überhaupt, überlegte er, zu helfen? Wie nur zu nützen? Verstehe ich mich
-denn auf etwas Hilfreiches? Gott, nicht einmal raten, nicht einmal
-trösten; nicht einmal mit Worten vermöchte ich einen Teil der Last von
-irgend jemandem zu nehmen; nicht einmal durch Anteilnahme jemand zu
-stützen. Ich will ja selber nichts, als Ruhe haben; als mich der andern
-zu entledigen. Was mag da geschehen sein?
-
-Indem fiel es ihm ein, die Lampe zu entzünden. Vielleicht bemerken sie,
-daß ich leuchte, sagte er sich, und kommen abermals. Ich werde leuchten
-wie ein Leuchtturm. Kommen sie, so frage ich, was geschehn ist;
-wenigstens erkenne ich, daß ich wirklich nicht habe helfen können. — Im
-voraus getröstet bettete sich Brož die Polster hinter den Rücken;
-gespannt lauerte er, daß das Pförtchen knarren und dieselbe Frauenstimme
-hinterm Fenster bitten werde. Aber der tickende Gang der Uhr quälte ihn.
-Vergeblich bemühte er sich, sie zum Stehen zu bringen. Es war drei Uhr.
-Auf einmal schnürte ihm ein häßliches Gewicht von Unruhe und Erregung
-die Brust zusammen. Niemand kam.
-
-Zögernd und hastig begann sich Brož anzukleiden. Sicherlich, sagte er
-sich, werden sie dort leuchten, wo etwas geschehen ist, und ich werde
-ans Fenster pochen. Sowieso würde ich nicht mehr schlafen. Ich werde
-dort nichts nützen, aber — vielleicht sind sie so ratlos — Brož
-verwirrte sich in der Hast und verfluchte leise die Schuhbänder;
-schließlich gelang ihm ein ungewöhnlicher Knoten, und er lief vor das
-Haus hinaus.
-
-Es war schwarz, durchaus schwarz. Brož begab sich die Gasse hinab und
-suchte ein erleuchtetes Fenster; nie zuvor hatte er ein so bis ins
-Bewußtlose entschlummertes Dorf gesehen, so fremd allem Wachenden, so
-fremd — nirgends waren klagende Nachtlampen, nirgends ein Lichtstreifen
-hinter den Fensterscheiben. Entsetzt hielt er inne vor der Kapelle: in
-den Fenstern zitterte und irrte das matte Licht einer Flamme. Die ewige
-Lampe, begriff er nach einer Weile und ging weiter; aber nirgends war
-beleuchtet; überall dunkel, nur etwas Blässe, von den Wänden
-ausgeschwitzt —.
-
-Leise kehrte Brož zurück und lauschte vor den stummen Häuschen. Wird
-drinnen kein Jammern ertönen, wird nicht stille Ohnmacht erbeben? Wird
-keine Frauenstimme weinen? Bebend sondierte Brož die verschlossenen
-Räume des Schweigens; nichts, kein dichter Atem, nichts — fliegt nicht
-aus der Weite der Nacht, aus irgendeiner Ferne, von irgendeiner Seite
-der Welt ein herzzerreißender Schrei um Hilfe heran?
-
-Wie fremd ist diese schlafende Welt, die nicht spricht! Die nicht vor
-Schmerz aufschreit! Die nicht nach Erlösung ruft! Wenn jetzt der
-leiseste Klageruf sich erhübe, würde er nicht feurig nach ihm langen,
-würde er sich nicht an ihn lehnen wie an eine Säule, würde er ihn nicht
-erfassen wie ein im Dunkel entzündetes Licht …
-
-Andern willst du helfen, ertönte es spöttisch und klar in ihm, und
-kannst dir selber nicht helfen! Aber was, dachte Brož in
-schmerzlichem Erstaunen, ist dem wirklich so? Doch eher darum, ach,
-_gerade darum_, weil du dir selber nicht helfen kannst — wer sich zu
-helfen vermag, wird sich selber helfen; aber du, der du dir nicht helfen
-kannst, hier bist es nicht eben du …
-
-Brož blieb wie geschlagen stehen. Dir selber kannst du nicht helfen?
-Aber ist es denn wirklich so? Brauch ich überhaupt Hilfe … von mir
-selbst oder von irgendwem? Ist mir so schlimm? Gott, das nicht! Ich lebe
-ja nach meinem Sinn und mehr will ich nicht. Nur meine Tage für mich
-allein zu verleben. Ich habe keine unerfüllten Wünsche. Vielleicht habe
-ich überhaupt keine Wünsche. Mir selbst kann ich nicht helfen … Worin
-auch. Nie ist es mir in den Sinn gekommen. Bleibe alles, wie es ist: Tag
-um Tag, bis ins Unabsehbare.
-
-Tag um Tag? Brož setzte sich auf einen Eckstein und blickte unbewegt
-in die Finsternis, als träumte er heimlich den unterbrochenen Traum zu
-Ende; oder als träumte er ihn Tag um Tag, Monat und Jahr, bis ins
-Unabsehbare. — Nichts mehr verändert sich; was sollte sich auch ändern?
-Die Ereignisse fliehen und die Jahre vergehen; aber Tag um Tag kehrt
-zurück, so als geschähe überhaupt nichts. Ein Tag ist vergangen: was
-liegt daran? Es wird ja derselbe Tag, derselbe Tag mir morgen kommen.
-Nur wenn die Zeit vergeht!
-
-Und täglich kann ich mir sagen: Ich habe nichts verloren als einen Tag.
-Nichts mehr als einen Tag! Warum also diese Angst? Brož rieb sich
-hart die Stirn. Ich sollte mich fassen. Ich bin unausgeschlafen. Ich bin
-stehengeblieben, und die Tage sind um mich gewachsen wie Mauern; Tag um
-Tag haben sich glatt und schwer geschichtet wie Wände. Schon erwache ich
-allmählich: aber wird es ein neuer und niegewesener Tag sein, den ich
-ringsum finde? Oder ein Tag, zusammengesetzt aus tausend vergangenen —
-wie Mauern? Und sage ich mir wieder: das ist also wieder ein weiterer
-Tag unter tausend aufgerichteten — wie Mauern? Warum ist er geworden?
-gestern war doch nur um einen weniger! Stand es dafür, wegen dieses
-einen Tages zu erwachen?
-
-Alle Schläfrigkeit fiel plötzlich von ihm ab. Das ist ja ein Kerker,
-begriff er entsetzt; so viele Jahre habe ich wie im Kerker gelebt! Weit
-tat er die Augen auf; ihm war, als erhellten sich traurig all diese
-Jahre: seltsam fremd, seltsamer bekannt; alles, nichts, Tage ohne Zahl
-… Ach, ein Kerker, riß sich Brož los. Werde ich denn niemals
-erwachen in niegewesenem Tag? Warte ich denn nicht täglich darauf (—
-ach, Kerker!) und _habe ich nicht vielleicht immer gewartet_, begriff er
-plötzlich (— vergangene Jahre klärten sich auf), ach, bin ich
-eigentlich nur deshalb stehen geblieben, um den ungeahnten Tag zu
-erwarten?
-
-Vergangene Jahre klärten sich auf. Sieh, Gott, flüsterte Brož, zum
-Himmel emporblickend, ich verschweige es dir nicht länger; ich habe auf
-deine Hilfe gewartet, auf eine wunderbare Erlösung; daß ein großes
-Ereignis geschähe, ein jähes Licht in den Ritzen, und nach heftigen
-Schlägen in die Tür eine starke Stimme geböte: Lazarus, steh auf! So
-viele Jahre habe ich die Stimme des Siegers erwartet; du kamst nicht,
-und ich verlasse mich nicht mehr darauf.
-
-Aber wenn ich noch harre, so ist es auf Hilfe und Erlösung. Auf eine
-Stimme, die mich aus meinem Gefängnisse ruft. Vielleicht ist sie nicht
-so stark, sondern so schwach, daß ich sie mit der eigenen Stimme
-unterstützen muß. Vielleicht ist es keine gebietende, sondern eine
-flehende Stimme: Lazarus, steh auf, uns zu helfen!
-
-— Dir selbst kannst du nicht helfen: wer wird dir helfen? Wer kommt
-dich befreien, der du es selbst nicht vermagst? Alles schläft in
-unbewußtem Frieden; kindlich piept der Schmerz auf des Schlafenden
-Lippen; ein knabenhafter Traum, etwas von einem Zug, ein flüchtiger
-Traum zeichnet sich an den Wänden des Gefängnisses ab. Aber unversehens
-kommt er — pocht an dein Fenster und ruft dich aus dem Traume der
-niegewesene Tag. Ob du ihn erkennst und unverschlafen aufspringst?
-
-Vielleicht hast du ein Weltbeben erwartet: höre ein stilles, flehendes
-Rufen. Vielleicht kommt der Tag, den du erwartest, gar nicht wie ein
-Feiertag; nur ein Wochentag, Montag des Lebens, neuer Tag.
-
-Über den Wäldern wird es licht.
-
-
-
-
- INHALT
-
-
- Seite
- Stocken der Zeit 5
- Historie ohne Worte 7
- Verlorener Weg 10
- Die Aufschrift 15
- Die Versuchung 19
- Spiegelung 23
- Der Wartesaal 27
- Hilfe! 32
-
-
-
-
-Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit
-Unterstrichen wie _hier_ gekennzeichnet.
-
-Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-
- [S. 6]:
- … durchsichtigen Bernstein; er ist einfach eingestellt. …
- … durchsichtigem Bernstein; er ist einfach eingestellt. …
-
- [S. 8]:
- … Puerta de Sol, überlegte Ježek, Tor der Sonne; was hat er
- nur …
- … Puerta del Sol, überlegte Ježek, Tor der Sonne; was hat er
- nur …
-
- [S. 8]:
- … Sicherlich wird er etwa sagen, dachte Ježek; es ist
- schwer, …
- … Sicherlich wird er etwas sagen, dachte Ježek; es ist
- schwer, …
-
- [S. 11]:
- … Jahre! Und plötzlich diese Lösung: dir kommt das freudige und
- und …
- … Jahre! Und plötzlich diese Lösung: dir kommt das freudige und …
-
- [S. 33]:
- … Er war schwarz, durchaus schwarz. Brož begab sich die
- Gasse …
- … Es war schwarz, durchaus schwarz. Brož begab sich die
- Gasse …
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Kreuzwege, by Karel Čapek
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZWEGE ***
-
-***** This file should be named 52144-0.txt or 52144-0.zip *****
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-
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-
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-be renamed.
-
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-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
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-1.E.8.
-
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
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-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
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-electronic works. See paragraph 1.E below.
-
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-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
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-works in the collection are in the public domain in the United
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@@ -1,1838 +0,0 @@
-The Project Gutenberg EBook of Kreuzwege, by Karel Capek
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-
-Title: Kreuzwege
-
-Author: Karel Capek
-
-Translator: Otto Pick
-
-Release Date: May 23, 2016 [EBook #52144]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZWEGE ***
-
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-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
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- KAREL CAPEK
-
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- KREUZWEGE
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-
- LEIPZIG
- KURT WOLFF VERLAG
-
- BCHEREI DER JNGSTE TAG BAND 64
-
- GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRCKNER IN WEIMAR
-
- EINZIG BERECHTIGTE BERTRAGUNG AUS
- DEM TSCHECHISCHEN VON _OTTO PICK_
-
-
-
-
- STOCKEN DER ZEIT
-
-
-Warum ist jener, an den ich denke, welcher sich ber den Schreibtisch
-beugt, warum ist er so unbewegt, warum wartet er und horcht, da etwas
-auer ihm geschehe; als ob ihm irgendein Ding einen Wink im Kummer
-geben knnte und einen Abschlu dieser unendlichen Reihe von
-Unsicherheiten, die ihn durchwallt. Alle Dinge um ihn herum sind nur
-melancholieverhangene Gewohnheiten; nur die gegenberstehende Wand der
-Gasse hat in der formlosen Stille einen ungewhnlich dummen und so
-unangenehmen Ausdruck, da der Mensch, leidend, sich dankbar an das
-Rasseln einer Droschke auf dem Pflaster hlt, als einem Ausgangspunkt
-von dieser Sekunde zur nchsten.
-
-Klapp-klapp der Hufe im Rderknarren, langes rhythmisches Kettchen und
-Poltern hinter der Ecke, rasches Rasseln auf den Steinen; das ist etwas,
-was sich aufrollt in die Ferne wie ein Knuel, jetzt schon von weitem
-immer schwcheres Klappern, ein Ticken so lang wie ein dnner gespannter
-Faden, so dnn, da er fast nicht mehr ist, schon nichts mehr ist als
-angespannte Entfernung, unmgliche Lnge, und Stille.
-
-Die Stille von innen und auen flossen zusammen wie zwei von nichts
-gekruselte und durchaus gleichartige Wasserflchen. Alles ist durchaus
-gleichartig wie eine Flche, unbewegt und gespannt. Der Mensch beim
-Tisch hlt den Atem an und sein Herz steht wie eine Flche. Die Stille
-ist gespannt wie ein Tuch, und alles ist still, alle Dinge sind Stcke
-der Stille, hineingeplttet in die glatte Ebene ohne Regung Tisch und
-Wnde, alle Dinge zusammen sind wie eine Zeichnung auf gegltteter
-Flche, klar, ohne Verkrzung und Schatten. Sie sind eine gespannte
-Oberflche, die ohne Falten und Rauheit ist; alle sind in dieser
-unstofflichen Ebene enthalten wie in Eis festgefrorene Halme. Nicht
-einmal der Mensch beim Tisch ist auerhalb ihrer: er ist dort, ohne
-Regung, in der unendlichen Ebene der Dinge, und kann sich ihr nicht
-entraffen; wenn er sich rhrte, fhlt er, wrde eine Entgleisung und ein
-Zusammensturz aller Teile erfolgen, ein furchtbares Zusammenschrumpfen
-der gespannten Oberflchen. Ohne Erstaunen, ohne Inneres, ohne Zeit.
-Angst, da dies vielleicht der Tod sei, ein Abgang, Vernichtung. Nicht
-fhlen, das ist das positive Gefhl des Nichtseins und ein starkes
-Leiden am Nichtsein; unbewegter Kampf des Unbewuten um den Gedanken und
-Beklemmung in den Grenzen der Leere. berall Ebene mit trauriger toter
-Oberflche. Und dieses, was steht, ist die Zeit; wre es mglich, sie zu
-bewegen, so zerfiele sie sogleich in tausende Sekunden, die, tot, wie
-Staub zerflatterten. Doch der Mensch beim Tisch frchtet sich zu rhren;
-mit all seiner Bangheit und Machtlosigkeit ist er in der Stille
-festgelegt wie ein Insekt in durchsichtigem Bernstein; er ist einfach
-eingestellt.
-
-Und da Schritte auf dem Gehsteig, schne, laute und ordentliche.
-Die Welt in der reglosen Flche ist in lautloser Explosion
-auseinandergefallen; die eckigen und massiven Dinge reckten sich
-krachend auf, der Mensch an seinem Tische breitet sich aus in alle
-Richtungen des Raums im Gefhl seiner reichen Verzweigung und seiner in
-die Welt getauchten Bewegungen. Die Kanten und Winkel aller Dinge
-kndeten sich in rauhem Rauschen des Raums: so rasch liefen sie in ihren
-Richtungen, mit Selbstgewiheit und Hrte. Das Herz des Menschen ergriff
-seinen alten Schmerz, mit starken, starken Schlgen; jener, an den ich
-denke, erhob sich, um seiner Trauer Gewicht zu ertragen, und das groe
-Rad des Seins dreht sich in immer weiteren und schnelleren Kreisen.
-
-
-
-
- HISTORIE OHNE WORTE
-
-
-Tief sind die Wlder in der Nacht wie ein grundloser See, und du blickst
-schweigend auf einen Stern ber Melatn, denkst an das Wild, das in der
-Tiefe das Waldes schlft, an den tiefen Schlummer aller und an alles,
-was niemals in dir entschlafen wird. Lang, endlos lang sind dmmrige
-Tage; wie oft durchschrittest du die Wlder an solchen Tagen, o Schritte
-und Erinnerungen ohne Zahl, und nie bist du an das Ende der Schritte und
-Erinnerungen gelangt: so lang und tief sind die Wlder ber Melatn.
-
-Aber da heut ein flammender Augustmittag ist -- brennende Lcken in den
-Baumkronen und des Lichtes Sichel die Forste durchfahrend; da ein so
-klarer Tag ist, wie wenn ihr schtterer wrdet, tiefe Wlder, und vor
-der Sonne auseinandertrtet. Die Glut hat meine Erinnerungen
-ausgetrunken und fast schlief ich ein, ich wei nicht ob vor Lust oder
-Ermattung, eingewiegt von den weien Dolden, die ber meinem Haupte
-schwanken. --
-
-An einem solchen Tage ging Jezek durch den Wald, zufrieden, da er an
-nichts dachte und denken konnte. Breit atmete die Wrme zwischen den
-Bumen. Ein Tannenzapfen ri sich los, -- er hatte sich festzuhalten
-vergessen, weil es so windstill war; die Kronen kruselten sich und
-berall zitterte Licht. Oh, welch schner, herrlicher Tag! Wie schimmern
-silbern die schwanken hrchen des Windhalms! Eingewiegt von Freude oder
-Langweile lauschte Jezek dem warmen Summen des Waldes.
-
-Geblendet stand er am Rande der Lichtung, wo unhrbar die Glut zitterte.
-Wer liegt da? Es ist ein Mensch. Er liegt mit dem Gesicht auf der Erde
-und ohne Regung. Fliegen weiden auf der ausgestreckten Hand, die sie
-nicht verscheucht. Ist er etwa tot?
-
-Andchtig und mit Grauen bckte sich Jezek ber die gereckte Hand,
-welche noch den alten Schlapphut hielt. Die Fliegen entflohen nicht
-einmal. An dem verblaten Futter waren noch einige Buchstaben leserlich:
-..ERTA. EL SOL. Puerta del Sol, erriet Jezek erstaunt und neigte sich
-ber das Antlitz des Toten. Aber da ffnete dieser die Augen und sagte:
-Mchten Sie mir nicht eine Zigarette geben?
-
-Recht gern, atmete Jezek in nicht geringer Erleichterung eifrig auf.
-Der Mensch nahm die Zigarette, knetete sie sorgfltig, wlzte sich auf
-die Seite und lie sich Feuer geben. Danke, sagte er und begann
-nachzusinnen.
-
-Er war nicht jung, durchgraut, mit breitem und unbestimmtem Gesicht; er
-war irgendwie sehr abgemagert in seinen Kleidern, so da sie in
-seltsamen, leblosen Falten an ihm lagen. So war er ausgestreckt auf der
-Seite und rauchte, unbewegt irgendwohin zu Boden blickend.
-
-Puerta del Sol, berlegte Jezek, Tor der Sonne; was hat er nur in
-Spanien gemacht? Nach einem Touristen sieht er nicht aus. Vielleicht ist
-er nicht gesund, da er so heilige Augen hat. Puerta del Sol in Madrid.
-
-Sie waren in Madrid? sprach er unversehens aus.
-
-Der Mensch atmete zustimmend durch die Nase und schwieg.
-
-Er knnte sagen, wer er ist, berlegte Jezek; ein Wort gibt das andere,
-und das brige errtst du. -- Er knnte brigens sagen: Ja, ich war in
-Madrid; aber es ist nicht der entfernteste Ort, wo ich gewesen, und es
-gibt noch schnere Orte und ein wunderbareres Leben. Allerlei knnte er
-lgen. Siehe, jetzt besinnt er sich.
-
-Der Mensch winkte leicht mit der Hand, unbestimmt und versonnen
-nirgendwohin blickend.
-
-Vielleicht sagt er: Ich sehe, da Sie mich teilnehmend betrachten; Sie
-haben mich fr tot gehalten und sich mitleidig ber mich gebeugt. Ich
-will Ihnen also die Historie meines Lebens berichten. Unterbrechen Sie
-mich nicht, falls Ihnen etwas unzusammenhngend oder unmotiviert
-erscheint. Lesen Sie nur auf meinem Gesicht, ob ich leicht und einfach
-gelebt habe. So irgendwie wrde er etwa beginnen.
-
-Aber der Mensch rauchte schweigend und langsam, die hellen, blicklosen
-Augen ins Unendliche geheftet.
-
-Sicherlich wird er etwas sagen, dachte Jezek; es ist schwer, Worte fr
-eines Lebens Verlauf zu finden. Es sei, ich warte. Leise legte er sich
-auf den Rcken. Die Sonne schlug ihm in die Augen und drang durch die
-geschlossenen Lider hindurch; rote und schwarze Kreise haben sich zu
-drehen begonnen und tanzen brennend vor den Augen. Die Wrme atmet in
-langen, feurigen Wellen, und Jezek fhlt sich so wohl, als wrde er
-entfhrt von den schwarzen und roten Kreisen, von der Flut langgezogener
-Wellen, von unendlicher und unfortschreitender Bewegung. Wohin fliet
-diese starke hinreiende Bewegung? Ach nichts; nur die Bewegung des
-Lebens an seinem Ort.
-
-Pltzlich wandte er sich. ber die Hand lief ihm eine helle Ameise,
-nicht wissend wohin auf der allzu groen Flche. Auch uns, dachte Jezek,
-Ameislein, auch uns regt die allzugroe Welt auf: diese Fernen,
-Wanderer, diese hartnckige Panik. Warum lufst du so? Warte, verweile;
-ich tu dir nichts, wenn ich auch gro bin. Ach, kleiner Abenteurer,
-ist's nur Verwirrung, die dich so jagt? Wilde und verzweifelte
-Verwirrung der Einsamkeit? irgendeine Angst? Wo ist denn ein Tor, durch
-das du entrnnest?
-
-Nahe, auf Griffweite nah hat sich ein Schmetterling mit weit geffneten
-Flgeln auf eine Blume niedergelassen, wiegt sich auf der weien Dolde
-und bewegt die leichten Flgel, schliet sie und breitet sie aus mit
-einer zauberischen und wollstigen Bewegung, berauschend s. Ach
-bleibe, o Lust! Verzaubere mein Herz nicht mit dieser ewigen Gebrde des
-Entfliehens! Bleib und lasse dich schaukeln, liebliches Weilchen,
-Sekunde ohne Gleichgewicht, unaussprechlicher Wink! Edle Begegnung nach
-solchen Qualen der Reise! Jungfrulich erbebten die Zauberflgel und
-jh, unbegreiflich entschwindet der Falter, Sekunde, Wollust, als
-schlsse sich pltzlich ein Tor hinter ihm.
-
-Jezek blickt empor. Wohin ist all das entflogen? Wohin entfliegt ihr,
-leuchtende Wolken, in zielloser und unermdlicher Bewegung? Ach, so
-entfhrt zu werden, wegen nichts, aus gar keinem andern Grunde als wegen
-der Gre des Himmels; so entfhrt zu werden, weil der Raum gro ist und
-nicht endet! Weil die Sehnsucht gro ist und nicht endet. Sanfter
-Himmel, meine Seele ist friedlich wie meine Augen. Aber warum blickt ihr
-bis hinter den Horizont, friedliche Augen? Warum, friedlichste Seele,
-findest du immer die dmonische Tugend der Unrast in dir? Wie hoch
-segeln die Wolken, schwindlig hoch, -- du mchtest sagen, bis am Tore
-der Sonne hin.
-
-Puerta del Sol. Jezek sah sich um. Der Mensch, den er gefunden hatte,
-war wieder eingeschlafen, und sein Antlitz erschien unklar und zerqult,
-friedlich und weit. -- Da stand Jezek auf, um ihn nicht zu wecken, und
-ging durch den warmen Wald, zerstreut, ohne Frage und wie gesttigt. Ihm
-war, als htte er die Historie eines Lebens vernommen, eine wenig klare,
-aber nahe Geschichte, unzusammenhngend, aber nichtsdestoweniger eine
-Geschichte. -- Ihm war, als htte er die Historie eines Lebens vernommen
-und begnne schon sie zu vergessen.
-
-
-
-
- VERLORENER WEG
-
-
-Aber wir haben ja den Weg verloren!
-
-Augenscheinlich.
-
-Wohin sind wir geraten? Sehen Sie etwas? Wo ist die Allee?
-
-Ich wei nicht.
-
-Wo sind wir? Sahen Sie jemals, da hier ein Heidefeld wre?
-
-Nein.
-
-Aber wie konnten wir nur die Landstrae verlieren? Wir htten ja ber
-den Graben gemut -- -- Hren Sie, sind wir nicht vielleicht ber den
-Graben gegangen?
-
-Ich wei nicht.
-
-Das ist absurd. Die Strae kann doch nicht unter den Fen verloren
-gehn. Wo sind Sie?
-
-Ich hab' mich gesetzt.
-
-Auf dem Weg geht man doch anders als im Gras. Hart und laut. Geradeso
-wie ich uns auf der Landstrae gehen gehrt.
-
-Das waren Sie, der so lrmend ging.
-
-Um so eher! Es ist doch geradezu undenkbar ... Das ist das
-Sonderbarste, was ich je -- -- Mensch, schlafen Sie nicht!
-
-Ich schlafe nicht.
-
-Wo sind wir eigentlich?
-
-Es war eine dunkle und fast sternlose Nacht; nur etwas lichtes Gestein
-auf der Erde und kleine, aufrechte Wacholderstrucher, winzigen reglosen
-Gestalten gleichend; von fern der Ruf eines Kuzchens nur drehte die
-unbekannte Weite in die stockende Finsternis her.
-
-Lachen Sie mich nicht aus, sagte der stehende Mann, aber mir gefllt
-das nicht. Wir haben berhaupt die Richtung verloren. Wir mssen auf
-irgendeinen Weg gelangen, wohin immer er fhre; ein Weg zeigt wenigstens
-vorwrts, aber das Unwegsame schweigt. Das Unwegsame schmeckt
-gleichsam nach Unendlichkeit; sie ist hier um uns herum auf allen
-Seiten; hren Sie, das ist eine unmgliche Lage.
-
-Setzen Sie sich, sagte der andere.
-
-Ich will nicht. Ich setze mich erst irgendwo am Weg, mitten zwischen
-die rechte und linke Hand, damit ich wei, wo ich bin. Wer auf dem Wege
-geht, dem ist die Welt rechts und links eine Kulisse ohne Bedeutung und
-die Wnde eines langen Ganges; aber das Weglose ist wie der Gipfel eines
-Berges; zu sehr im All; zu offen nach allen Seiten. Gehn wir von hier!
-
-Warten Sie noch, ich kann nicht.
-
-Ist Ihnen etwas geschehn?
-
-Ich kann nicht. Ja, mir ist etwas geschehn. Ich bin auf etwas gekommen,
-gerade als wir irrezugehn begannen. Vielleicht genau in jenem
-Augenblick.
-
-Wo war das?
-
-Ich wei nicht. Ganz pltzlich tauchte es vor mir auf. Ich hatte schon
-seit Jahren nicht mehr daran gedacht, und jetzt kam es von selbst.
-Vielleicht gerade deshalb, weil wir auf einmal den Weg verloren.
-
-Irgendeine Erinnerung?
-
-Erinnerung, nein. Eine Lsung. Eine Antwort. Etwas, was ich das ganze
-Leben lang gesucht habe, selbst wenn ich nicht daran dachte. O Gott, ist
-das furchtbar kompliziert! Dadurch ndert sich mein ganzes Leben -- --
-Alles hngt zusammen. Begreifen Sie das?
-
-Durchaus nicht.
-
-Ich auch nicht. Offenbar mute ich vom Weg abkommen, um darauf zu
-kommen. Von Allem abkommen, was dir bekannt ist! Darum gingen sie in die
-Wste! Aber verlasse dein Haus und deine Familie; deine Logik ist aus
-Gewohnheiten gewebt und deine Wege aus tausenderlei vergangenen
-Schritten; darum komme ab von Allem und beginne zu irren, um im
-Unbekannten zu suchen. Dich selbst findest du dann in dem, was das
-Seltsamste und Ungewohnteste ist.
-
-Das sagen Sie mir?
-
-Das sage ich mir selbst, weil ich es gefunden habe. Dich selbst hast du
-gefunden und kannst dich nicht erkennen; und doch ist es das einzige,
-was du je gesucht hast. Mein Gott, so viele Jahre! Und pltzlich diese
-Lsung: dir kommt das freudige und wortlose Gefhl, da es da ist; das,
-was noch kein Gedanke ist, sondern nur eine blendende Weile und
-wunderbare Gewiheit. Hren Sie, mein Leben verndert sich
-wahrscheinlich, vielleicht gehen unsere Wege auseinander; aber ich bin
-froh, da ich diesen Augenblick mit Ihnen erlebt habe.
-
-Wenn Sie mir wenigstens sagen wrden --
-
-Ich kann nicht. Jetzt kann ich noch nichts unterscheiden. Die Wahrheit
-mut du genieen wie ein Gefhl, bevor sie dir zum Wort wird. Du mut in
-sie hineingeraten wie in einen Raum, der nirgendwohin fhrt, sondern
-nach allen Seiten sich ffnet; denn dein Nachsinnen ist nur ein Weg in
-einer Richtung, wie ein Gang zwischen Mauern. Dein Denken geht nur
-vorwrts auf irgendeinem der vielen Wege: aber die einzige Wahrheit geht
-nirgendwohin und zielt nirgendwohin, sondern besteht wie die
-Ausdehnung.
-
-Der stehende Mann schwieg und horchte gespannt in die Ferne. In der
-tausendfachen Stille der Nacht, schien es ihm, entfaltete sich irgendwo
-ein winziger, klangloser Rhythmus. Er schien von der Tiefe der Stille
-berschwemmt zu sein, aber er war da und brach sich unaufhaltsam Bahn.
-Menschenschritte! ferne Schlge auf hartem Weg. Der stehende Mann atmete
-auf.
-
-Dort also ist die Landstrae, sagte er und wunderte sich pltzlich
-ber seine Stimme; um soviel klarer und farbiger klang sie als zuvor.
-
-Der sitzende Mann erwachte gleichsam. Was? Die Strae? Sie gehen schon
-nach Hause?
-
-Sie wollen vielleicht hier bleiben?
-
-Ja, ich erklre es Ihnen dann. Es ist malos kompliziert. Warten Sie
-noch!
-
-Erklren Sie es mir lieber unterwegs.
-
-Wenn ich mir das notieren knnte! Was mir alles einfllt! O Gott, wie
-zahllos!
-
-Notieren Sie sich's zu Hause. Ich begleite Sie schon.
-
-Ich danke Ihnen. Wo sind wir?
-
-Ich wei nicht, kommen Sie nur. Geben Sie acht, hier ist eine
-Schlucht!
-
-Ich sehe nichts.
-
-Reichen Sie mir die Hand. Christus, wie sind wir eigentlich
-hiehergeraten? Achtung!
-
-Warten Sie, hier kann ich nicht ... Gehn wir zurck!
-
-Das geht nicht, der Weg ist vor uns. Wo stecken Sie?
-
-Hier oben. Und Sie?
-
-Im Wasser. Bleiben Sie dort, ach! Ist Ihnen etwas geschehn?
-
-Nein, danke. Wenn ich nur unten bin.
-
-Jetzt folgen Sie mir. So!
-
-Und die beiden Mnner stolperten den Hang empor und wieder hinunter; es
-war ein mhseliger, zerfurchter Boden, wo sie mit tausendfacher Vorsicht
-gehen muten; es gab Gestruch da, durch das sie sich hindurcharbeiten
-muten; es waren breite, bebaute Ackerfelder da, ber welche sie
-rcksichtslos wie Eber dahinfuhren. Endlich ein Graben und die
-Landstrae.
-
-Und nun sagen Sie mir, rief der, welcher vorausging, wie konnten wir
-berhaupt dort hinauf gelangen?
-
-Ich wei nicht, sagte der andere etwas bedrckt, es ist wirklich
-seltsam. Ich mte es mir berlegen ... Ich habe jetzt so viel
-nachzudenken!
-
-Sagen Sie mir nun, worauf Sie gekommen sind?
-
-Ja. Es ist sonderbar mit diesem Verirren! Gewi fand ich es gerade in
-dem Augenblick, als wir den Weg verloren. Wr' ich schon zu Hause!
-
-Wovon handelt es?
-
-Von der Seele ...
-
-Nun schritten beide rasch und schweigend aus; sie kamen durch einen Wald
-und durchliefen ein Dorf; einige Fenster leuchteten menschlich in der
-tiefen Finsternis; und wieder tat sich eine weite und ferne Heide auf.
-
-Was wollen Sie also sagen?
-
-Wovon?
-
-Von dem, worauf Sie dort oben gekommen sind -- von der Seele.
-
-Ach ja, Sie haben recht. Sagte ich, von der Seele? Eigentlich war es
-nicht blo das ...
-
-Hren Sie, sagte nach einer recht langen Weile sein Gefhrte, wie ist
-es also mit dieser Seele? Sie sind schrecklich zerstreut.
-
-Ich? Im Gegenteil. Ich dachte gerade darber nach. Ist es nicht
-merkwrdig, da sich der Mensch im Wesen nicht kennt?
-
-Und Ihre Lsung?
-
-Was fr eine Lsung? Das ist auf ewig nur ein Problem.
-
-Aber Sie hatten irgendeine Lsung.
-
-Das war bestimmt nicht von der Seele. Das waren eher andere Fragen, vom
-Leben berhaupt ... Ich dachte soeben darber nach, womit zu beginnen.
-
-Mit dem, was Ihnen zuerst aufblitzte.
-
-Zuerst? Das war nur eine Ahnung ... Es ist hchst schwierig zu
-formulieren. -- Ich wei wirklich nicht, was mir zuerst aufblitzte. Es
-kam das alles so auf einmal!
-
-Also beginnen Sie womit immer.
-
-Das geht nicht. Alles war ein Ganzes ... Ja, das alles hing zusammen.
-Knnte ich es nur umfassen!
-
-Sie werden es mir ein andermal sagen?
-
-Nein, lieber gleich jetzt. Nur, bis ich es ein wenig geordnet habe.
-Aber mich strt es, wie laut wir gehen.
-
-Setzen wir uns also.
-
-Ja, ich danke Ihnen. Vor allem bedenken Sie ... So klar leuchtete es
-mir ein ... Zunchst folgt daraus, wie elend und sinnlos alles war, was
-ich bis jetzt gelebt. Pltzlich durchdrang es mich wie ein Messer; ich
-entsetzte mich vor mir selbst und begriff, da ich so viele Jahre, o
-Gott, nur einen unaussprechlichen und ungeahnten Schmerz gelebt habe. So
-viele Jahre! Dies also blitzte in mir auf, was ich war und wie ich
-unbewut gelitten; und alles war vergeblich und irrig, und eng wie ein
-Kerker; und mir war furchtbar zumute, wenn mein ganzes Leben sich mir
-als ein gefundener Fehler erwies. Ach, Vieles erklre ich Ihnen noch
-nher. Aber zweitens, warten Sie, zweitens --
-
-Was ist zweitens? fragte nach einer Weile der Gefhrte.
-
-Warten Sie, es war doch etwas von der Seele darin, aber jetzt wei ich
-nicht. -- Ja, es war etwas Unermeliches von der Seele. Gott, was war es
-eigentlich?
-
-In welchem Sinne von der Seele?
-
-Ich wei nicht, es waren berhaupt keine Worte, es war nur eine
-Gewiheit -- -- es ist so flchtig!
-
-Besinnen Sie sich doch!
-
-Ja, gleich. Etwas von der Seele? Was war es?
-
-Denken Sie nur nach, ich warte.
-
-Ich danke Ihnen. Gleich werde ich es haben.
-
-Die Nachtzeit lag unbewegt auf den schwarzen und formlosen Dingen. Und
-siehe, da geht der erste morgendliche Mensch ber die leere Landstrae.
-Ist das nicht der Schrei eines Hahns im Dorfe? Hat sich die Nacht nicht
-in ihrem stillen Innern gerhrt?
-
-Haben Sie es gefunden?
-
-Ach gleich, nur noch etwas --
-
-Am Horizonte dmmerte es schwach. Die Erde und ihre Dinge nahmen eine
-khle, schemenhafte Blsse an; stndig ausgebleichter und schrfer hoben
-sie sich empor, und es ward Licht.
-
-Also was haben Sie gefunden?
-
-Ich wei nicht ... Es ist mir entglitten. Alles habe ich verloren, und
-ich werde es niemals mehr wissen.
-
-Und berhaupt nichts, vollkommen nichts ist Ihnen davon geblieben?
-
-Vollkommen nichts; nur das, was mir auf ewig klar geworden ber mein
-Leben.
-
-
-
-
- DIE AUFSCHRIFT
-
-
-Ein Weilchen verschnaufend stand Kvcala an der Tr und freute sich:
-Matys ist krank, er wird Freude haben, da ich gekommen bin: ich werde
-ihm ein wenig vorplaudern am Bett, um ihn zu zerstreuen.
-
-Die Glocke ertnte so abgerissen, da es Kvcala qulend beklemmte; ihm
-war, als ob sich der Klang drinnen so aufgescheucht und blind einen Weg
-bahne durch die allzuabgestandene Stille, und er lauschte mit der Hand
-an der Glocke. Es kam das alte Mtterchen in Hausschuhen ffnen und bat
-ihn flsternd einzutreten. Kvcala ging auf den Spitzen, er wute selbst
-nicht warum; durch die offene Tr sah er Matys mit dem Gesicht zur Wand
-im Bett liegen, wie wenn er schliefe.
-
-Wer ist das? fragte der Kranke gleichgltig.
-
-Der Herr Kvcala, flsterte die alte Frau und entfernte sich.
-
-Matys wandte sich mit aufgeheiterten Augen dem Freunde zu.
-
-Das ist brav von Ihnen. Oh, es ist nichts; nur eine
-Brustfellentzndung, irgendein Exsudat ... In vierzehn Tagen werde ich
-gehen.
-
-Kvcala lchelte gezwungen. Ihm war schwl in dem heien Zimmer, wo er
-den schwachen und faden Geruch von Umschlgen, Urin, Tee und Eiern
-sprte. Ihn rhrte das unrasierte Kinn des Matys und seine strahlenden
-Augen; er bedauerte, da er vergessen hatte, eine kalte Orange oder ein
-nasses Struchen mitzubringen, um sie auf das Nachttischchen zwischen
-die zerknllten Taschentcher, Speisereste und ungelesenen Bcher zu
-legen. Im ganzen bermannte ihn eine matte belkeit.
-
-Er bemhte sich zu plaudern; er erzhlte irgendwelche Neuigkeit und
-rgerte sich ber seine fremde, gleichsam belegte Stimme; er fhlte die
-Augen des Kranken aufmerksam und doch entfernt auf sich geheftet; und da
-verschluckte er seine Neuigkeit und sehnte sich zu verschwinden.
-
-Matys erkundigte sich nach Bekannten; aber Kvcala sprte die besondere
-Rcksichtnahme des Kranken auf die Gesunden heraus und antwortete immer
-schwerer. Schlielich war alles erschpft. Wenigstens das Fenster
-ffnen! Horchen, was drauen geschieht! Nur einen Teil seiner selbst
-dorthin bertragen! Verdrossen wich Kvcala den starren und abwesenden
-Blicken des Freundes aus; seine Augen wichen dem heien und
-zerdrckten Bette aus; er wich der eingetrockneten Hlichkeit des
-Nachttischchens aus; und heftete den Blick auf das Fenster, das blasse
-halbundurchsichtige Fenster, das Fenster, welches ins Freie fhrt.
-
-Schauen Sie her, sagte pltzlich der Kranke und wies mit dem Finger
-auf die Wand zu Hupten des Bettes.
-
-Kvcala beugte sich vor; an die Wand war grau und verwischt und zweimal
-unterstrichen mit Bleistift das Wort _zurck_ geschrieben. Zurck,
-las Kvcala.
-
-Was sagen Sie dazu? fragte Matys still.
-
-Jemand hat es hingeschrieben. Es steht offenbar schon viele Jahre
-dort.
-
-Wieviel Jahre denken Sie?
-
-Ich wei nicht. Vielleicht fnf oder zehn -- Wann wurde hier das
-letztemal gemalt?
-
-Ich habe die Mutter gefragt, sagte Matys und schaute zu der trben
-Zimmerdecke empor. Vor mehr als zehn Jahren. Ich wollte es niemals
-erlauben.
-
-Kvcala lie seine Blicke hastig zum Fenster zurckkehren.
-
-Sehen Sie nur her, ntigte der Kranke, fllt Ihnen nichts auf?
-
-Kvcala neigte sich wieder ber das Bett. Es ist von einer Mnnerhand
-geschrieben. Jemand schrieb es in Aufregung und ungeduldig, so da hier
-der Graphit abgebrochen ist. Er hat geradezu in die Wand geritzt. Und im
-Dunkeln. Dieses Hkchen ist ein wenig seltsam ... Diese langen Striche
-auf dem u und sehen irgendwie entschlossen aus.
-
-Zurck, wiederholte Matys. Wissen Sie nicht, was wohl damit gemeint
-ist?
-
-Gott wei, vielleicht irgendein Entschlu. Vielleicht, etwas
-zurckzugeben.
-
-Oder selber zu etwas zurckzukehren?
-
-Mglich. Warum fragen Sie?
-
-Nur so. Ich berlege, weshalb es hier geschrieben steht.
-
-Jemand hatte wohl einen Einfall oder eine Eingebung -- Er schrieb es
-sich blo als Leitwort auf, um nicht daran zu vergessen. Weshalb
-interessiert es Sie so?
-
-Weil es mit meiner Schrift geschrieben ist. Ich habe es offenbar selbst
-geschrieben, aber jetzt wei ich berhaupt nichts mehr und kann mich
-nicht entsinnen, wann und warum. Andauernd berdenke ich, was das
-bedeuten sollte.
-
-Jetzt bedeutet es nichts mehr.
-
-Jetzt nicht, aber damals. Ich fand es hier whrend der Krankheit. Nie
-zuvor hatte ich es beachtet, bis jetzt. Und so sinne ich aus Langweile
-nach --
-
-Worber? fuhr Kvcala nach einer Weile auf.
-
-Nie habe ich an die vergangenen Jahre gedacht, sagte Matys mit
-geschlossenen Augen. Wozu auch? Alles Vergangene ist so
-selbstverstndlich. Der Mensch gewhnt sich an die vergangenen Dinge.
-Alle dnken ihm bekannt. -- Aber jetzt wei ich nicht, zu was ich mich
-damals entschlossen habe; ich wei nicht, zu was ich zurckwollte und
-weshalb es mir so unertrglich war, und wei nicht, wann es berhaupt
-war. Niemals wird es mir klar werden ... berrascht und beunruhigt Sie
-nicht manchmal etwas Vergangenes?
-
-Nein, sagte Kvcala aufrichtig.
-
-Der Kranke bewegte ungeduldig die Schultern und schwieg. Ich wei
-nicht, wann und warum ich es geschrieben habe, begann er; aber mir
-sind viele Augenblicke eingefallen, in denen mir dies Wort als Erlsung
-erscheinen konnte, und ich finde stndig neue Augenblicke, wo ich es
-htte schreiben knnen. Oder lieber erfllen.
-
-Wie erfllen?
-
-Ich wei nicht. Schon lange sinne ich darber nach, wie es sich
-erfllen liee. Zurck, ja zurck, aber zu was? Ich liege da und
-erinnere mich an allerlei: zu was von alledem zurckzukehren? Ich kann
-mich vieles Schnen entsinnen. Vieles tut mir leid. Manche Liebe. Hie
-und da leuchtet ein alter Gedanke auf. Und viel, unzhlig viel habe ich
-vergessen, und daran denke ich am meisten. Es gibt furchtbar viele
-vergangene Dinge. Die Vergangenheit ist schwindelerregend.
-
-Kvcala seufzte; ihm ward immer schwler. Ach, die Gasse hinter dem
-Fenster! Licht, Raum! Schnelligkeit und Bewegung dort drauen!
-
-Die Vergangenheit ist nicht so selbstverstndlich, wie ich's mir
-dachte, sagte Matys wie fr sich selbst. Sie ist unermelich unklar.
-Zeitweilig geschahen merkwrdige und unmgliche Dinge. Mir ist als
-stnde ich am Rande einer halb unbekannten Welt; etwas habe ich schon
-entdeckt, aber der Rest geht unendlich weiter und breiter, als ich
-geahnt. Ich hatte keine Vorstellung davon ... Das ist ein barmherziger
-Irrtum, da uns die eigene Vergangenheit bekannt erscheint; wir kennen
-nur etwas, aber alles brige ... Das Meiste sollten wir _erst erleben_!
-
-Kvcala horchte: Drauen klingelt der Tramway, die Schritte vermehren
-sich, breit schttet sich Wagenrasseln hin; dnn und klar flog ein
-Kinderschrei auf. Aber hierher kommen nur die Schatten der unstofflich
-durch das Glas hindurchgegangenen Laute; sie sind alles Nahen und
-Wirklichen beraubt; entfremdet den Lauten, die von auen her an das
-Fenster sich pressen; mit der Stille vermengt.
-
-Es ist still hier, sagte der Kranke, und die Zeit ist lang. Ich denke
-an vergangene Dinge. Sie htten noch nicht entschwinden sollen. Und
-woran ich immer nur denke, nichts htte noch schwinden sollen. Ich mte
-es erst erleben, aufmerksam verweilend -- selbst die schlimmsten
-Augenblicke. So als htte ich sie alle zwischen den Fingern entgleiten
-lassen, noch unwissend wie sie sind: und beraus seltene darunter --
-
-Sie sind hier zu sehr allein, sagte Kvcala.
-
-Ja. Und in vierzehn Tagen stehe ich wieder auf und erinnere mich
-vielleicht nicht mehr, da ich einmal >zurck< geschrieben habe. Aber
-jetzt ist es da als Aufschrift an irgendeiner Wand. Zurck! Alles
-Vergangene ist nur ein Stichwort; alles ist unvollendet geblieben,
-angedeutet als Anfang und Ahnung ... Zurck! Vielleicht fhlt es ein
-jeder einmal und mchte zurckkehren, so als wre es nach Hause --
-zurck! Es ist nicht, ach es ist nicht Rckkehr zu seinen Anfngen, --
-zu den ersten Schritten; aber zurck zu den Enden, zur Aussprache und
-Beendung seiner selbst, zu den letzten Schritten ... Unmgliche
-Rckkehr! Niemals zurck!
-
-Kvcala erhob sich. In vierzehn Tagen, lchelte Matys. Entschuldigen
-Sie, eine Woche schon hab' ich mit niemandem geredet. Gren Sie alle.
-Seine Hand war hei und trocken. Oh, hinaus! Lautere Khle, Gasse,
-Menschen, Menschen -- und vorwrts in diesem allen!
-
-
-
-
- DIE VERSUCHUNG
-
-
-Lange schon ging Ruzicka wie in Nebel herum. Er wehrte sich hartnckig
-dagegen und ersann ohne Ende Grnde fr und gegen, bewies sich etwas,
-rgerte sich. Hart kmpfte er um Sammlung und sehnte sich zugleich: sich
-endlich ohne Gedanken und Richtung entfhren zu lassen. -- So wie ein
-schwarzer Pfahl am Teiche im Nebel, dachte er; ber dem Wasser schreit
-die Mwe und lt sich herab, um die Flche in die Klauen zu ergreifen;
-das Wasser erbebt, und die Mwe entflieht wie ein Gassenjunge; erst Gott
-wei, wo sie auflachen wird ...
-
-Ruzicka blieb stehen: Reise ich oder bleibe ich? -- Alle Grnde starben
-ab und er vermochte sich ihrer nicht mehr zu bemchtigen; alle starben
-ab und wurden starr und er konnte sich ihrer nicht mehr entledigen.
-Grnde, die ihn nicht mehr freuten. Sie waren in diesem engen Zimmer
-verwelkt. In dem Zimmer, das ihn nicht mehr freute. Grnde dafr, da er
-blieb und nicht verreiste und nicht diese paar Chancen berflssig
-verwarf. Ruhe, Beruf, Gewohnheiten, Lampe, Bett, Lehnstuhl -- mehr
-brauche ich ja nicht, sagte er sich; ich bleibe und erflle dies alles
-mit der Wahrheit des Lebens. Mein Platz ist schmal, aber ich kann ihn
-vertiefen. Ach, auf immer bleiben!
-
-Oder fortgehn, sagte er sich beklommen; sich von neuem versuchen und in
-die Welt schleudern wie ein Stein ins Wasser ... Mte man sich nur
-nicht entschlieen! Knnte ich mich, ohne zu wissen wie, irgendwo in der
-Welt finden und nichts haben als vor mir den Tag, o Gott! was wre das
-fr ein Tag! Es geschehe mir als Schicksal oder Zufall, -- ich nehme
-alles an; aber selbst wollen ist furchtbar.
-
--- Reise ich oder bleibe ich?
-
-Ich gehe aus, entschlo er sich endlich (wenigstens etwas tun! was
-immer!), ein bichen hinaus, zgerte er bei der Tre, den Abend
-genieen, ntigte er sich; aber bleib, sprechen Lampe, Bett,
-Lehnstuhl, Langweile, wozu gehn? Gehn ist so anstrengend; Bleiben so
-einfach; Gehn so verzweifelt; Bleiben so verzweifelt; bleib! Nein,
-heute nicht, entschied er sich mit Gewalt, und ging. Bleib, sprechen
-die entflammten Gassen, wir stren dich nicht mehr; du hast uns so oft
-durchmessen, da du uns nicht mehr siehst. Auch ihr seht mich gar
-nicht, wandte er ein, und eure Fenster blinken mir nicht mitrauisch zu
-wie ein Blick, lchelnd wie ein Blick, durchsichtig wie ein Blick des
-Zufalls. Ich gehe tglich hier: wir sind einander fremd geworden. Ja,
-nach so vielen Jahren!
-
-Ruzicka nahm, sich zerstreut erholend, Zuflucht zu einem Kaffeehaus,
-froh, da er so verloren war in der Zersplitterung von Lichtern und
-Stimmen, da er sich selber entschwand in der Menge, da die Spiegel
-strahlten und die Glser klirrten; er schrieb mit dem Finger ein
-Fragezeichen auf den Tisch und entdeckte in der Marmorplatte
-interessante Adergnge, ein Zufallsnetz, zahllose Bahnen ohne Ziel. --
-Verreise ich oder bleibe ich? Augen! wer sieht mich da an?
-
-Mdchen, lachte sein Blick, was willst du von mir? Glatte Augen glitten
-ab, flchteten hinter die Lider und blickten s, dunkel nirgendwohin.
-Nichts, blasses Gesichtchen unter schwarzem Htchen, Spielzeug aus
-Elfenbein, die jungen Hnde spielen auf dem Schoe mit nichts. Das groe
-Schwarze ist die Mama und besieht die Modebltter. Die grauen Augen
-fliegen verstohlen herber, fliehen, bleiben nicht da; anmutig sind die
-Lider der Augen, gesenkte Lider, anmutige Trauer, Liebe und Musik,
-Abend, Frage und nichts, lieblich der Augen Blick, Freude, Kleider,
-Musik und Frage, liebliches Lieben, lieblicher Frhling, Veilchen auf
-der Strae, rosige Blte, rosiges Lcheln, lieblicher Blick, und in die
-Augen! gerade in die Augen, stark und direkt, kurz und fragend
-lieblicher Blick! Die glatten Wangen sind rosig erglht. Schn sind
-weie und errtete Wangen; schn und traurig die Haare; traurig und
-schlank die Hnde im Scho, auf schwarzem Trauerrock.
-
-Genug, baten die grauen Augen, soviel Lob, mein Gott, -- wohin soll
-ich jetzt mit den Augen, mit Lidern und Hnden? Sehen Sie mich nicht an,
-ich lasse das Glas fallen; um keinen Preis sehe ich Sie mehr an.
-
-Schlanke Hnde, dachte er gerhrt, wie einer Geigerin Hnde; ach, welch
-ein Tremolo, gegenstandsloses Weinen, Lied, welches endet und nicht; ob
-ich es jemals vernehme, dies bange und feine Lied? Diese feine, kindlich
-rauhe Stimme?
-
-Gott, das nicht! Was wrde ich Ihnen sagen? Ich kann nicht bis fnf
-zhlen. Wer sind Sie? Warum schauen Sie so? Warum schauen Sie nicht?
-
-Wenn ich sehe, denke ich an die Leute ringsum, an Sie, an Ihren Atem,
-an die Liebe, an alles, was ich dir sagen mchte, -- ich wei nicht,
-woran ich denke, wenn ich schaue; aber wenn ich nicht schaue, denke ich
-an Sie, an alles, was ich nicht sehe, an mich selbst, an den glcklichen
-Zufall, und hauptschlich an dich.
-
-Hren Sie auf! Hren Sie auf!
-
--- Drben haben neue Menschen sich gesetzt, und in ihrer Mitte --
-
-Ach sehen Sie doch, riefen die grauen Augen aus, wie schn sie ist!
-
--- ja, schn, tatschlich schn, o Mdchen, wie gro und schn! Warum
-ist sie gekommen, wen sucht sie mit den dunklen Augen! Ach, wer ertrge
-der Schnheit vernichtenden Blick? Wie erbebte er nicht in Verwirrung
-und Schrecken, wie schlge er nicht nieder die Augen? Wehe, da sie ihn
-angeblickt!
-
-Langsam, ohne Unsicherheit hefteten sich die groen schwarzen Blicke der
-neu angekommenen Frau auf sein Gesicht. Da stockte sein Herz vor
-Erstaunen und schwieg.
-
-Ich bin schn. So viele sind mir untertan. Sieh.
-
-Ich verreise, entgegnete er finster.
-
-Bleib. Ich bin schn. Du begegnest mir auf den Straen, in den Basaren
-und auf Festen. Suche mich in den Logen der Theater. Du wirst mir
-begegnen, wenn du willst. Wir knnen einander kennen lernen und -- wer
-wei?
-
-Ich reise, wiederholte er hartnckig.
-
-Bleib. Ich habe so wenig Unterhaltung, so wenig. Ich bin so schn. Du
-wirst mich oft sehn, tglich, wenn du willst, und so nahe! Bleib!
-
-Nein, sagte er mit brennender Pein, ich reise; ich verreise und kehre
-wieder mit Lippen, bitter von Meer und Fremde; ich kehre mit anderer
-Seele zurck. Mit einer Seele ohne Staunen und Beben; mit einer rauhen,
-mutigen, wilden und schamlosen Seele; mit einer unruhigen und grausamen
-Seele; mit einer Seele fr dich. Aber dann! Da diese herrlichsten Augen
-weinen! Da die Schnheit erbebe! Da ich schlimmer sei als du! Da du
-mich liebest. Da sich das Schicksal erflle. Da ich Gott nicht
-frchte. Da ich dir gleichkomme. Nichts ist furchtbarer als Schnheit
-und Mut.
-
-Die schwarzen Pupillen wandten sich ab und zauberten weich ins
-Unendliche.
-
-Sei es, fhlte er, geschehe mir dies als ein Schicksal. Ich gehe hinweg,
-um zu wagen.
-
-Bleiben Sie, sprachen verloren die grauen Augen, ach, bleiben Sie!
-Ich kme knftigen Samstag wieder her. Manchmal begegne ich Ihnen. Ich
-laufe nicht weg, selbst wenn Sie mich anreden. Warum wollen Sie nicht
-bleiben?
-
-Ach, Mdchen, weinte sein Herz in sinnlicher Zrtlichkeit, ich mchte
-bleiben; wie mchte ich nicht bleiben wollen? Aber gerade du hast mich
-an einen Tag in der Fremde erinnert, eines unglcklichen Menschen in der
-Fremde, ich wei nicht warum so unglcklich und so verloren; du hast
-mich erinnert an glcklichen Zufall, Lcheln, freundliches Wort in
-fremder Zunge und lieblichen Blick, der nicht mehr wiederkehrt: die
-Freude, wenn du wtest, und der herrliche Tag in der Fremde! Nichts ist
-schner als Liebe und glcklicher Zufall, nichts vergleicht sich einer
-guten Begegnung, die nicht wiederkehrt. Ich wrde bleiben: aber du hast
-in mir die ewige Sehnsucht nach dem Zufall erweckt.
-
-
-
-
- SPIEGELUNG
-
-
-Achtung! rief Lhota dem unbekannten Fischer zu, er schnappt!
-
-Ach, ich danke Ihnen, entgegnete der Angeredete freundlich, wollen
-Sie sich ihn nicht herausziehn?
-
-Lhota glitt rasch den Damm hinunter und ergriff die Rute. Die Angel war
-leer; und als Lhota das Haar heranzog, entdeckte er an dem Angelhaken
-festgebunden eine rote Schnur.
-
-Das da geben Sie statt des Wurms? fragte er mimutig.
-
-Ja, sagte der Fischer mit schchternem Lcheln.
-
-Haben Sie schon etwas gefangen?
-
-Niemals.
-
-Lhota blieb auf dem Damme sitzen, unschlssig ob er lachen oder zrnen
-solle. Wie ist das mglich, dachte er, wie ist es berhaupt mglich, so
-Fische zu fangen?
-
-Ich angle nmlich nicht, uerte der Fischer, ich sitze nur mit der
-Rute so da, damit die Leute nicht ber mich lachen, wenn sie mich hier
-sehn.
-
-Sie sind ein Hiesiger?
-
-Ich wohne in dem Huschen hinter uns. Schon viele Jahre gehe ich her,
-weil es mir hier gefllt. Und angle nicht.
-
-Lhota blickte in die groen, hellen Augen des Fischers. Sie sind krank,
-nicht?
-
-Ich kann nicht gehn. Schon seit Jahren. Viele Jahre bin ich nicht
-weiter gewesen als hier. -- Aber hier ist es schn.
-
-Tatschlich, sagte Lhota unsicher. Unabsehbar zogen sich die kahlen
-Dmme hin, und zwischen ihnen strmte der breite, graue Flu.
-
-Sie sollten bei Sonnenuntergang hier sein, sagte der Kranke, oder am
-Morgen. Ich sitze seit frh hier, und niemals ist mir langweilig oder
-leer zumute; wenn ich dann abends heimkomme, schlafe ich ohne Traum,
-Nacht fr Nacht schlafe ich herrlich und ohne Traum. Erst im Winter --
-
-Was im Winter?
-
-Nichts, die Trume. Im Winter kann ich nicht, und ich schlafe bei Tag
-und bei Nacht, ohne Rast, bis ich vor Mdigkeit nicht mehr schlafen
-kann. Aber im Sommer bin ich tglich da.
-
-Lhota blickte sinnend in das Wasser: Es strmte breit und unfrmig
-dahin, rieb sich mit der unendlichen Flanke an dem Gestein; gewellt,
-gekruselt, bewegt, da ihm die Augen bergingen. Und es war schon kein
-flieender Flu mehr; nur ein Rauschen, das nicht verharrt, sondern ohne
-Ende verluft und entschwindet; ein Vorbei ohne Grenzen, ohn Ende
-Vergehen von Allem --
-
-Auch im Winter trume ich nur vom Wasser, sagte der Kranke. Es ist
-der einzige Traum, den ich ganze Tage und Nchte und ganze Monate
-trume, nur dann unterbrochen, wenn ich aus dem Schlafe auffahre. Erst
-im Sommer vergeht er, wenn ich das wirkliche Wasser sehe.
-
-Lhota schlo in schwachem Schwindel die Augen. Ich mchte nicht von
-strmendem Wasser trumen.
-
-Nein, das strmt berhaupt nicht, sagte der Kranke. Mir trumt nicht
-von wirklichem Wasser. Es ist das ein groer Flu, der ohne Regung
-steht, und auf ihm schwimmen Reflexe. Sie eilen auf ihm dahin wie jene
-Bltter, welche von der Strmung mitgerissen werden.
-
-Was fr Reflexe?
-
-Gespiegelte Dinge. Ufer, die sich in der Flche reflektieren. Sie
-gleiten ber das Wasser hin, rasch wie diese Wellen und kruseln es
-nicht. Vielleicht kommen sie bis vom Gebirge her. Es sind groe Bume,
-die sich still und mit der Krone abwrts zu neigen, als hingen sie in
-einen grundlosen Himmel hinein. Auch der Himmel gleitet auf diesem
-reglosen Flusse mit Sonne und Wolken und Sternen dahin. Ich sah die
-Reflexe von Bergen und Drfern am Fluufer mitsamt den Menschen
-dahinschwimmen. Ein andermal ist es ein weies einsames Haus oder ein
-erleuchtetes Fenster.
-
-Das ist ein absurder Traum, sagte Lhota.
-
-Ein furchtbarer. Manchmal segelt eine gespiegelte Stadt und Quais mit
-flammenden Lichtern. Auf der Flche bebt das Laub der Bume, als wehte
-der Wind, aber das Wasser kruselt sich nicht. Ein Mdchen ringt die
-weien Hnde und wird weitergetragen. Und ich sehe in der Spiegelung,
-als stnde jemand am andern Ufer und wollte auf mich blicken oder mir
-ein Zeichen geben; aber das Bild auf dem Wasser entgleitet mitsamt der
-an die Augen gelegten Hand.
-
-Der Kranke schwieg eine Weile. Und manchmal, begann er wieder, ist es
-nur die brennende Laterne eines verlassenen Hafens am Ufer des Flusses;
-sie schaukelt wie im Novemberwind, und schwimmt davon. Nichts kann
-innehalten und nichts verweilt. Nichts runzelt das Wasser und nichts ist
-oberhalb oder auerhalb seiner. Die Ewigkeit ist frchterlich.
-
-Lhota blickte schweigend in das Wasser; Welle um Welle kehrte endlos zu
-dem Gestein unter seinen Fen zurck und flo wieder ab in hartnckigem
-Spiel, das ihn reizte und beschwichtigte.
-
-Oft erwache ich, redete der Kranke, mit Schwei bedeckt und zu Tode
-entsetzt; und da sage ich mir: Die Ewigkeit ist frchterlich. Welle um
-Welle kommt, um am Stein zu zerbrechen; Stein um Stein wlzt sich hinab
-zu den Wellen, die ihn davontragen. Aber ich habe eine Flche gesehen,
-die sich an nichts bricht und nicht zerbricht. Lichter und Schatten von
-Allem gleiten ber sie hin. Berge wlzen sich fort und Bume eilen von
-dannen; es schwimmen Stdte und Felsen, ein Mdchen ringt vergeblich die
-Hnde und Anfang und Ende der Welt gleitet vorbei wie eine Spiegelung.
-Eine Flche, die niemals sich kruselt und zu kruseln vermag. Die
-nichts berhrt und niemals berhren kann. Und wer hineinblickt, sieht
-immer nur bloe Reflexe der Dinge fliehen, der Wirklichkeit entledigt.
-
-Auf dem Damm gegenber blieb ein Mann stehen und schaute eine Weile zu.
-Also was, rief er endlich, schnappen sie?
-
-Sie schnappen nicht, erwiderte der Kranke lustig. Ich sitze gern
-hier, sprach er wieder zu Lhota. Wenn ein Blatt in das Wasser fllt,
-dann zittert das Wasser, und auch ich zittere, aber ohne Angst. Manchmal
-bei Sonnenuntergang, da denke ich an Gott. Die Ewigkeit ist
-frchterlich.
-
-Lhota wendete sich fragend.
-
-Manchmal, fuhr der Sieche fort, sah ich ein so merkwrdiges Kruseln
-auf dem Wasser, da man nicht begreifen kann, woher es kommt. Manchmal
-bricht sich eine Welle und erglnzt schner als die andern; und es sind
-auch Erscheinungen am Himmel -- das geschieht sehr selten. Und da denke
-ich mir: warum knnte das nicht Gott sein? Vielleicht ist er gerade das
-Flchtigste in der Welt; vielleicht ist auch seine Wirklichkeit ein
-jhes Brechen der Welle und ein Schimmer; unfabar, ausnahmsweise
-erscheint er, und vergeht --. Oft habe ich darber nachgedacht; aber
-sehn Sie, ich habe einen so kleinen Horizont, durch Jahre kam ich nicht
-weiter als hierher. Es ist mglich, da auch unter den Menschen ein
-solches Sichkruseln oder Aufblitzen sich ereignet und wieder zerbricht.
-Es mu zerbrechen. Die echte Wirklichkeit mu mit dem Untergang bezahlt
-werden. Ach, die Sonne versinkt schon.
-
-Ein barfiges Mdchen stand schweigend hinter dem kranken Herrn. Ja,
-gehen wir, sagte der Sieche. Gute Nacht, Herr. Schauen Sie, jetzt,
-jetzt, zeigte er auf den Flu. Nie ist es zweimal dasselbe. Gute
-Nacht.
-
-Langsam und gleichgltig fhrte ihn das Mdchen nach Hause. Der Flu war
-perlmutterlicht, wechselnd ohne Ende, und Lhota schaute leise
-schwindelnd dem hartnckigen Spiel der Wellen zu.
-
-
-
-
- DER WARTESAAL
-
-
-Ich verbringe die Nacht in der Restauration, dachte Zruba, als der Zug
-schon einfuhr, oder ausgestreckt irgendwo im Wartesaal; ich verschlafe
-drei oder vier Stunden, und mit dem ersten Morgenzuge fahre ich weiter.
-Gott, nur rasch! Noch verbleibt Hoffnung, und Alles kann gerettet
-werden; ach, so viele Stunden.
-
-Aber die Restauration war schon geschlossen und den einzigen Warteraum
-erfllte ein Soldatentransport. Sie schliefen auf Bnken und Tischen,
-lagen berall auf der Erde, den Kopf auf Tischleisten, auf Spucknpfe,
-auf zerknlltes Papier gebettet, das Gesicht zu Boden und gehuft wie
-Hgel von Leichen. Zruba rettete sich auf den Gang; es war kalt da, und
-zwei Gasflammen zitterten geqult in dem feuchten Halbdunkel, das vom
-Teer und Urin der Aborte stank; einige Menschen frstelten und ghnten
-auf den Bnken in der stumpfen Geduld langen Wartens. Aber es war
-wenigstens ein bichen Platz da, ein bichen Platz fr einen Menschen,
-wenigstens ein bichen Platz fr den stillen Schlummer eines Mden.
-
-Zruba fand eine Bank und lagerte sich so warm wie mglich, so fest wie
-nur mglich; aus sich selbst erbaute er einen Winkel fr seinen Schlaf,
-Bett, Bettleiste, Viereck, Asyl. -- Ach, die Unbequemlichkeit, fuhr er
-aus dem Halbschlaf empor; wie nur die Glieder legen? Lange und
-angestrengt dachte er darber nach; schlielich kam ihm der kindliche
-Wunsch, zu liegen, und er streckte sich auf der Bank aus. Aber die Bank
-war zu kurz. Zruba kmpfte verzweifelt mit seinem Ausma, ergrimmt ber
-einen so rcksichtslosen Widerstand; schlielich lag er gleichsam
-gefesselt, regungslos, knabenhaft klein, und sah auf die groen
-funkelnden Kreise, die sich im Dunkeln drehen, auf die kreisenden
-Scheiben. -- Ich schlafe ja schon, durchblitzte es ihn, und in diesem
-Augenblicke ffnete er die Augen; da sah er den Winkel zweier Wnde
-verschwimmen und ward furchtbar verwirrt: Wo bin ich denn? Was ist das
-eigentlich? Entsetzt suchte er eine Orientierung, vermochte aber weder
-Raum noch Richtung zu erraten; da raffte er alle Kraft zusammen und
-erhob sich. Neuerlich sah er den langen und kalten Gang, aber er sah ihn
-trauriger als frher, und erkannte, da er schon durchaus aus dem
-Schlafe gerissen sei und er versprte den bittern Geschmack des Wachens
-im Munde.
-
-Auf die Knie gesttzt dachte er ber seine Angelegenheit nach. Das
-Letzte tun, sich fr die Rettung einzusetzen, ja, aber noch so viele
-Stunden! Zerstreut blickte er auf das schmutzige Pflaster des Ganges; er
-entdeckte zertretene Papiere, ekelhaften Auswurf, den Schmutz von
-zahllosen Fen -- und das dort ist wie die Form eines Gesichts, Augen
-aus Kot und aus Speichel der Mund, abscheulich zu lcheln bemht ...
-
-Angeekelt hob er den Blick empor. Dort liegt ein Soldat auf der Bank,
-schlft mit hintenberhangendem Kopfe und sthnt wie ein Sterbender.
-Irgendeine Frau schlft, eines Mderls Haupt im Schoe; sie hat ein
-bses und armseliges Gesicht, sie schlft; aber das Mderl blickt mit
-blassen Augen und flstert etwas fr sich; es hat ein langes,
-vorstehendes Kinn und einen breiten Mund in mageren Bckchen, eine
-kindliche Greisin mit traurigen, weiten, fliegenden Augen. -- Sieh da,
-der Beleibte, wie er schlft, aufgedunsen vor Schlfrigkeit, haltlos von
-der Bank fallend, erstaunt und stumpfsinnig; weiche Masse, die sich auf
-den ersten Sttzpunkt herabwlzt. -- Unter einem grnen Hute blinzeln
-die schwarzen muntern Augen eines jungen Mannes. Komm her, pfeift er
-durch die Lcken der zerfressenen Zhne dem blaugigen Mdchen zu;
-komm her, flstert er und lacht. Das Mdchen windet sich verlegen und
-lchelt ein furchtbares greisenhaftes Lcheln; sie ist zahnlos. Komm
-her, pfeift der Jngling und setzt sich selber zu ihr. Wie heit du?
-Und streichelt ihr mit der flachen Hand die kleinen Knie. Das Mdchen
-lchelt ngstlich und unschn. Der schlafende Soldat rchelt wie in der
-Todesstunde. Zruba schttelte sich vor Klte und belkeit.
-
-Eine Stunde von Mitternacht. Die Zeit schlich qulend langsam dahin, und
-Zruba fhlte sich von ihr verschleppt, gedankenlos zerzogen in
-wachsender und zielloser Spannung. Gut, sagte er sich, ich schliee die
-Augen und halte es so ohne Gedanken, ohne Bewegung so lang wie mglich
-aus, ganze Stunden hindurch, bis sich die Zeit umwlzt. -- Und so sa er
-starr da, zwang sich, mglichst lange auszuhalten; endlos stockte die
-Dauer der Minuten, ein Zhlen ohne Zahlen, Verzug um Verzug. -- Endlich,
-nach unberlebbarer Zeit, ffnete er die Augen. Fnf Minuten nach Eins.
-Der Gang, die Papiere, das Kind, das gleiche verlegene, greisenhafte
-Lachen ... Nichts hatte sich verndert. Alles war zu unfortschreitender,
-bleibend naher Gegenwart erstarrt.
-
-Und pltzlich entdeckte Zruba einen Menschen. Er sa regungslos wie er
-selbst in einem Winkel und schlief nicht. Der ist wie ich, dachte
-Zruba; er kann auch nicht schlafen wegen der Zeit. Woran denkt er? An
-das Warten ohne Ende wie ich? Der Mensch erbebte, wie wenn ihm diese
-Frage unlieb wre. Zruba blickte unwillkrlich in sein formloses
-Gesicht; er gewahrte darauf eine unruhige Bewegung, wie wenn jemand eine
-zudringliche Fliege verjagt. Auf einmal stand dieser Mensch auf,
-berschritt auf den Spitzen den Gang und setzte sich geradezu neben ihn.
-
-Ihnen war es unangenehm, da ich Sie ausschaue, sagte Zruba gedmpft.
-
-Ja. Beide schwiegen lang. Schauen Sie, flsterte endlich der Mensch
-und wies mit dem Finger auf die Erde, das da sieht aus wie ein
-menschliches Gesicht.
-
-Ich habe schon vorhin geschaut.
-
-Sie haben schon geschaut, wiederholte der Mensch schwermtig, Ihnen
-war also auch so --
-
-Wie?
-
-Nichts ist schwerer als Warten, erwiderte der Mensch.
-
-Wie war mir?
-
-Schwer. Es ist schwer zu warten. Was immer auch komme, es ist Erlsung.
-Warten ist schwer.
-
-Weshalb reden Sie davon?
-
-Weil es schwer ist, zu warten. Auch Sie haben Gesichter gelesen,
-geschrieben in Speichel und Staub. Auch Sie haben sich geqult. Nichts
-ist qualvoller als die Gegenwart.
-
-Warum?
-
-Weil Warten schwer ist. Der Mensch verstummte und blickte zu Boden.
-
-Wohin fahren Sie? fragte Zruba nach einer Weile.
-
-Ich fahre nur so, antwortete der Gefragte zerstreut, zum Vergngen.
-Oft findet man nmlich schne Stdte. Sie fahren so weit, da Sie
-bereits an nichts mehr denken, und auf einmal sind Sie an einer solchen
-Stelle; es ist ein Bach oder Brunnen im Hain, oder Kinder, etwas
-Unerwartetes und Schnes -- und da begreifen Sie berrascht, was Glck
-ist.
-
-Was ist Glck?
-
-Nichts. Sie begegnen ihm einfach. Es ist, kurz gesagt, zum Verwundern.
-Haben Sie je an die heidnischen Gtter gedacht?
-
-Nein.
-
-Das war so: Niemand erwartete sie, und unverhofft erblickte er sie.
-Irgendwo im Wasser oder im Gebsch oder in den Flammen. Deshalb waren
-sie so schn. Oh, wenn ich das ausdrcken knnte! Wenn ich es nur
-ausdrcken knnte!
-
-Warum denken Sie an Gtter?
-
-Nur so. Dem Glck mu man rasch und unverhofft begegnen. Es ist solch
-ein besonderer Zufall! Solch ein jhes Ereignis, da man sagen mchte:
-ach, welch ein Abenteuer! Ist es Ihnen jemals begegnet?
-
-Es ist mir begegnet.
-
-Und da war Ihnen wie im Traum. Das Herrlichste ist nur ein Abenteuer.
-Dort, wo die Liebe aufhrt, ein Abenteuer zu sein, wird sie eine Qual.
-
-Warum, warum ist das so!
-
-Ich wei nicht. Sie knnte nicht dauern, wenn sie keine Qual wre.
-Schauen Sie, die Alten hatten einen einzigen Namen fr Glck und Zufall.
-Aber es war ein Gttername.
-
-Fortuna, dachte Zruba beklommen. Wenn sie mir begegnete auf dieser
-Reise! Aber es ist schwer, auf den Zufall zu warten!
-
-Warten ist schwer, begann der Mensch wieder, so schwer und qulend,
-da, was immer Sie erwarten, Sie nur eines abwarten: des Wartens Ende,
-Erlsung vom Warten. So schwer, da das, was Sie als Erfllung erleben
-werden, weder schn noch glcklich mehr sein kann; sondern an sich
-sonderbar und gleichsam traurig, schmerzlich durch all dies Warten --
-ich wei es gar nicht zu sagen. Jede Erlsung ist so: niemals ist es das
-rechte Glck.
-
-Warum sagt er das? dachte Zruba; wie, wre ich nicht glcklich, wenn
-ich die Erfllung erlebte?
-
-Sie haben Gott selber erwartet, fuhr der Mensch fort; ach, was fr
-ein Mensch ist da gekommen, um Sie vom Warten zu erlsen? Weder Ansehen
-noch Schnheit waren an ihm, der letzte der Mnner, ein Mann des
-Schmerzes; unsere Gebrechen hat er getragen und unsere Schmerzen
-ertragen, so als wre er gar kein Gott.
-
-Warum reden Sie davon?
-
-Warten, sehen Sie, ist schwer; selbst einen Gott zerbricht und demtigt
-es. Erwarten Sie jahrelang irgendein Glck, ein groes und schnes
-Ereignis; endlich kommt es, irgendwie klein und trbselig wie irgendein
-Schmerz; aber Sie sagen: ja, Gott, das ist es, worauf ich so viele Jahre
-gewartet habe, auf da es mich erlse!
-
-Was meinen Sie damit?
-
-Damit meine ich: Der einzige Lohn fr das Warten ist das Ende des
-Wartens; und nur darum steht das Warten dafr. Darum, darum ist es
-notwendig zu warten. Das ist der Sinn unseres Glaubens.
-
-Welchen Glaubens?
-
-Welchen immer, sagte der Mensch und schwieg.
-
-Die Leute auf dem Gange erwachten und begannen herumzugehn. Das zahnlose
-Mderl war jetzt in den Armen der Mutter eingeschlafen, verloren unter
-dem Shawl. Etwas Leben strmte durch den Gang; es war ziellos und
-unordentlich, aber es regte sich und vermochte sich zu erhalten.
-
-Was haben Sie mit diesen Gttern gemeint? fragte Zruba pltzlich
-laut.
-
-Sie waren schn, sagte der Mensch; es gengte blo Glck oder Zufall,
-um sie zu erblicken und dadurch selbst ein wenig ein Gott zu werden. Ich
-denke mir also: wunderlich ist das Glck, so beraus seltsam ist
-Schnheit und Glck, da es nur durch Wunder und Zufall geschehen kann.
-Aber wer wartet, der wartet auf etwas, das geschehen mu; etwas mu
-kommen, das sein Warten beendet. Sehen Sie, jeder wartet ..., auch Sie;
-wir sind vom Wege der Freude abgekommen, um groe Dinge zu erwarten.
-Ach, warten ist eine groe Spannung des Lebens, fast wie der Glaube.
-Aber je mehr wir warten -- -- _was immer auch komme, wir werden, wir
-werden erlst werden_. Schauen Sie, es ist schon Tag.
-
-In den Bahnhof wlzte sich ein Menschenstrom herein mit Lachen, Husten
-und Geschrei. Wie ein groer Besen fuhr der Lrm durch den Gang, fegte
-die angesetzte Stille fort und blies die verstaubten Stimmen an. Die
-Passagiere erhoben sich von den Bnken, schttelten die Spinnweben des
-Schlummers ab und blickten einander ohne Mibehagen an, verbndet durch
-die gemeinsame Nacht. Aber drauen, hinter den Fenstern, dmmerte der
-Tag.
-
-Der Mensch, der gesprochen hatte, verlor sich Zruba zwischen den
-Leuten. Eine neue Schar, Fahrkarten, Geschrei und Glockenzeichen -- der
-schwarze und lrmende Zug fuhr in den Bahnhof ein, verschlang die Schar,
-zischte, fauchte und fuhr dem Ziele zu. Gott, nur schnell, dachte
-Zruba, noch ist nicht alles verloren: noch bleibt Hoffnung.
-
-
-
-
- HILFE!
-
-
-Er wurde gewahr, da er sich an einem weiten, mit schnen Bumen
-bewachsenen Hange befand. Das ist ja Frankreich, erriet er pltzlich,
-ich bin wohl in einen falschen Zug eingestiegen. Es ist wirklich ein
-seltsamer Zug, -- lauter fremde Gesichter, die ber ihn lachen, als wre
-er schlecht gekleidet; und der Zug fhrt wild, da die Fenster klirren.
-
-Broz fuhr aus dem Traum empor. Jemand klopfte ans Fenster.
-
-Was ist? schrie Broz mit verklebter Zunge.
-
-Ich bitte Sie, sagte drauen eine zitternde Frauenstimme, wenn Sie
-uns rasch zu Hilfe kmen!
-
-Gehn Sie zum Teufel! erwiderte Broz wtend und whlte den Kopf in die
-Kissen hinein. Nur den zerrissenen Faden des Traums einzufangen! den
-Schlummer eben dort wieder anzuknpfen, wo er unterbrochen worden! Ein
-Zug, etwas von einem Zug, zwang sich Broz; und pltzlich fiel ihm
-peinlich klar ein: Ich htte fragen sollen, was ihnen geschehn ist!
-
-Er sprang aus dem Bett und lief das Fenster ffnen. Khl, schwarz wehte
-die de Nacht herein. Wer ist da? rief er, aber nichts antwortete. Da
-schttelte ihn die Klte, und er ging sich legen; in den Federbetten
-fand er seine eigene trockene Wrme wieder und geno sie gierig und
-unbegrenzt; wieder sanken ihm die Lider und die Glieder lockerten sich
-zu einem Komma. Ach, schlafen!
-
-Mit weit geffneten Augen schaute Broz in die Finsternis. Wer das wohl
-gewesen war? Niemand in diesem Dorf hier kmmert sich um mich. Wer hat
-bei mir Hilfe gesucht? Es war eine Frauenstimme. Es war eine unsglich
-schmerzliche Stimme. Vielleicht ging es ums Leben. brigens, ich bin
-kein Arzt. Aber vielleicht ging es ums Leben.
-
-Zerqult wandte sich Broz dem Fenster zu. Es zeichnete sich wie ein
-kaltblaues Rechteck in der schwarzen, raumlosen Dunkelheit ab. Nirgends
-brennt es. Es ist still, nur die Uhr zu Hupten tickt spitzig. Was ist
-nur geschehn? Was fr ein Unglck? Vielleicht ist es in der
-Nachbarschaft; jemand stirbt; irgendwo wird ratlos mit dem schweren
-Augenblick gekmpft. Ich bin schlielich kein Arzt.
-
-Aber das Bett knarrt und brennt ermdend. Broz setzte sich im Bette auf
-und nahm gewohnheitsmig die Brille. Wodurch vermchte ich berhaupt,
-berlegte er, zu helfen? Wie nur zu ntzen? Verstehe ich mich denn auf
-etwas Hilfreiches? Gott, nicht einmal raten, nicht einmal trsten; nicht
-einmal mit Worten vermchte ich einen Teil der Last von irgend jemandem
-zu nehmen; nicht einmal durch Anteilnahme jemand zu sttzen. Ich will ja
-selber nichts, als Ruhe haben; als mich der andern zu entledigen. Was
-mag da geschehen sein?
-
-Indem fiel es ihm ein, die Lampe zu entznden. Vielleicht bemerken sie,
-da ich leuchte, sagte er sich, und kommen abermals. Ich werde leuchten
-wie ein Leuchtturm. Kommen sie, so frage ich, was geschehn ist;
-wenigstens erkenne ich, da ich wirklich nicht habe helfen knnen. -- Im
-voraus getrstet bettete sich Broz die Polster hinter den Rcken;
-gespannt lauerte er, da das Pfrtchen knarren und dieselbe Frauenstimme
-hinterm Fenster bitten werde. Aber der tickende Gang der Uhr qulte ihn.
-Vergeblich bemhte er sich, sie zum Stehen zu bringen. Es war drei Uhr.
-Auf einmal schnrte ihm ein hliches Gewicht von Unruhe und Erregung
-die Brust zusammen. Niemand kam.
-
-Zgernd und hastig begann sich Broz anzukleiden. Sicherlich, sagte er
-sich, werden sie dort leuchten, wo etwas geschehen ist, und ich werde
-ans Fenster pochen. Sowieso wrde ich nicht mehr schlafen. Ich werde
-dort nichts ntzen, aber -- vielleicht sind sie so ratlos -- Broz
-verwirrte sich in der Hast und verfluchte leise die Schuhbnder;
-schlielich gelang ihm ein ungewhnlicher Knoten, und er lief vor das
-Haus hinaus.
-
-Es war schwarz, durchaus schwarz. Broz begab sich die Gasse hinab und
-suchte ein erleuchtetes Fenster; nie zuvor hatte er ein so bis ins
-Bewutlose entschlummertes Dorf gesehen, so fremd allem Wachenden, so
-fremd -- nirgends waren klagende Nachtlampen, nirgends ein Lichtstreifen
-hinter den Fensterscheiben. Entsetzt hielt er inne vor der Kapelle: in
-den Fenstern zitterte und irrte das matte Licht einer Flamme. Die ewige
-Lampe, begriff er nach einer Weile und ging weiter; aber nirgends war
-beleuchtet; berall dunkel, nur etwas Blsse, von den Wnden
-ausgeschwitzt --.
-
-Leise kehrte Broz zurck und lauschte vor den stummen Huschen. Wird
-drinnen kein Jammern ertnen, wird nicht stille Ohnmacht erbeben? Wird
-keine Frauenstimme weinen? Bebend sondierte Broz die verschlossenen
-Rume des Schweigens; nichts, kein dichter Atem, nichts -- fliegt nicht
-aus der Weite der Nacht, aus irgendeiner Ferne, von irgendeiner Seite
-der Welt ein herzzerreiender Schrei um Hilfe heran?
-
-Wie fremd ist diese schlafende Welt, die nicht spricht! Die nicht vor
-Schmerz aufschreit! Die nicht nach Erlsung ruft! Wenn jetzt der
-leiseste Klageruf sich erhbe, wrde er nicht feurig nach ihm langen,
-wrde er sich nicht an ihn lehnen wie an eine Sule, wrde er ihn nicht
-erfassen wie ein im Dunkel entzndetes Licht ...
-
-Andern willst du helfen, ertnte es spttisch und klar in ihm, und
-kannst dir selber nicht helfen! Aber was, dachte Broz in schmerzlichem
-Erstaunen, ist dem wirklich so? Doch eher darum, ach, _gerade darum_,
-weil du dir selber nicht helfen kannst -- wer sich zu helfen vermag,
-wird sich selber helfen; aber du, der du dir nicht helfen kannst, hier
-bist es nicht eben du ...
-
-Broz blieb wie geschlagen stehen. Dir selber kannst du nicht helfen?
-Aber ist es denn wirklich so? Brauch ich berhaupt Hilfe ... von mir
-selbst oder von irgendwem? Ist mir so schlimm? Gott, das nicht! Ich lebe
-ja nach meinem Sinn und mehr will ich nicht. Nur meine Tage fr mich
-allein zu verleben. Ich habe keine unerfllten Wnsche. Vielleicht habe
-ich berhaupt keine Wnsche. Mir selbst kann ich nicht helfen ... Worin
-auch. Nie ist es mir in den Sinn gekommen. Bleibe alles, wie es ist: Tag
-um Tag, bis ins Unabsehbare.
-
-Tag um Tag? Broz setzte sich auf einen Eckstein und blickte unbewegt in
-die Finsternis, als trumte er heimlich den unterbrochenen Traum zu
-Ende; oder als trumte er ihn Tag um Tag, Monat und Jahr, bis ins
-Unabsehbare. -- Nichts mehr verndert sich; was sollte sich auch ndern?
-Die Ereignisse fliehen und die Jahre vergehen; aber Tag um Tag kehrt
-zurck, so als geschhe berhaupt nichts. Ein Tag ist vergangen: was
-liegt daran? Es wird ja derselbe Tag, derselbe Tag mir morgen kommen.
-Nur wenn die Zeit vergeht!
-
-Und tglich kann ich mir sagen: Ich habe nichts verloren als einen Tag.
-Nichts mehr als einen Tag! Warum also diese Angst? Broz rieb sich hart
-die Stirn. Ich sollte mich fassen. Ich bin unausgeschlafen. Ich bin
-stehengeblieben, und die Tage sind um mich gewachsen wie Mauern; Tag um
-Tag haben sich glatt und schwer geschichtet wie Wnde. Schon erwache ich
-allmhlich: aber wird es ein neuer und niegewesener Tag sein, den ich
-ringsum finde? Oder ein Tag, zusammengesetzt aus tausend vergangenen --
-wie Mauern? Und sage ich mir wieder: das ist also wieder ein weiterer
-Tag unter tausend aufgerichteten -- wie Mauern? Warum ist er geworden?
-gestern war doch nur um einen weniger! Stand es dafr, wegen dieses
-einen Tages zu erwachen?
-
-Alle Schlfrigkeit fiel pltzlich von ihm ab. Das ist ja ein Kerker,
-begriff er entsetzt; so viele Jahre habe ich wie im Kerker gelebt! Weit
-tat er die Augen auf; ihm war, als erhellten sich traurig all diese
-Jahre: seltsam fremd, seltsamer bekannt; alles, nichts, Tage ohne Zahl
-... Ach, ein Kerker, ri sich Broz los. Werde ich denn niemals erwachen
-in niegewesenem Tag? Warte ich denn nicht tglich darauf (-- ach,
-Kerker!) und _habe ich nicht vielleicht immer gewartet_, begriff er
-pltzlich (-- vergangene Jahre klrten sich auf), ach, bin ich
-eigentlich nur deshalb stehen geblieben, um den ungeahnten Tag zu
-erwarten?
-
-Vergangene Jahre klrten sich auf. Sieh, Gott, flsterte Broz, zum
-Himmel emporblickend, ich verschweige es dir nicht lnger; ich habe auf
-deine Hilfe gewartet, auf eine wunderbare Erlsung; da ein groes
-Ereignis geschhe, ein jhes Licht in den Ritzen, und nach heftigen
-Schlgen in die Tr eine starke Stimme gebte: Lazarus, steh auf! So
-viele Jahre habe ich die Stimme des Siegers erwartet; du kamst nicht,
-und ich verlasse mich nicht mehr darauf.
-
-Aber wenn ich noch harre, so ist es auf Hilfe und Erlsung. Auf eine
-Stimme, die mich aus meinem Gefngnisse ruft. Vielleicht ist sie nicht
-so stark, sondern so schwach, da ich sie mit der eigenen Stimme
-untersttzen mu. Vielleicht ist es keine gebietende, sondern eine
-flehende Stimme: Lazarus, steh auf, uns zu helfen!
-
--- Dir selbst kannst du nicht helfen: wer wird dir helfen? Wer kommt
-dich befreien, der du es selbst nicht vermagst? Alles schlft in
-unbewutem Frieden; kindlich piept der Schmerz auf des Schlafenden
-Lippen; ein knabenhafter Traum, etwas von einem Zug, ein flchtiger
-Traum zeichnet sich an den Wnden des Gefngnisses ab. Aber unversehens
-kommt er -- pocht an dein Fenster und ruft dich aus dem Traume der
-niegewesene Tag. Ob du ihn erkennst und unverschlafen aufspringst?
-
-Vielleicht hast du ein Weltbeben erwartet: hre ein stilles, flehendes
-Rufen. Vielleicht kommt der Tag, den du erwartest, gar nicht wie ein
-Feiertag; nur ein Wochentag, Montag des Lebens, neuer Tag.
-
-ber den Wldern wird es licht.
-
-
-
-
- INHALT
-
-
- Seite
- Stocken der Zeit 5
- Historie ohne Worte 7
- Verlorener Weg 10
- Die Aufschrift 15
- Die Versuchung 19
- Spiegelung 23
- Der Wartesaal 27
- Hilfe! 32
-
-
-
-
-Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit
-Unterstrichen wie _hier_ gekennzeichnet.
-
-Die im Latin-1-Zeichensatz nicht enthaltenen Buchstaben mit Akzent
-wurden in die entsprechenden akzentlosen Buchstaben umgewandelt. Der
-Text mit Akzenten ist als UTF-8-Text oder HTML verfgbar.
-
-Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgefhrt
-(vorher/nachher):
-
- [S. 6]:
- ... durchsichtigen Bernstein; er ist einfach eingestellt. ...
- ... durchsichtigem Bernstein; er ist einfach eingestellt. ...
-
- [S. 8]:
- ... Puerta de Sol, berlegte Jezek, Tor der Sonne; was hat er nur ...
- ... Puerta del Sol, berlegte Jezek, Tor der Sonne; was hat er
- nur ...
-
- [S. 8]:
- ... Sicherlich wird er etwa sagen, dachte Jezek; es ist schwer, ...
- ... Sicherlich wird er etwas sagen, dachte Jezek; es ist schwer, ...
-
- [S. 11]:
- ... Jahre! Und pltzlich diese Lsung: dir kommt das freudige und
- und ...
- ... Jahre! Und pltzlich diese Lsung: dir kommt das freudige und ...
-
- [S. 33]:
- ... Er war schwarz, durchaus schwarz. Broz begab sich die Gasse ...
- ... Es war schwarz, durchaus schwarz. Broz begab sich die Gasse ...
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Kreuzwege, by Karel Capek
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZWEGE ***
-
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-<title>The Project Gutenberg eBook of Kreuzwege, by Karel &#268;apek</title>
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-The Project Gutenberg EBook of Kreuzwege, by Karel Capek
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-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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-
-Title: Kreuzwege
-
-Author: Karel Capek
-
-Translator: Otto Pick
-
-Release Date: May 23, 2016 [EBook #52144]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZWEGE ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
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-
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-
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-<div class="frontmatter">
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-
-</div>
-
-<div class="frontmatter">
-<p class="aut">
-KAREL &#268;APEK
-</p>
-
-<h1 class="title">
-KREUZWEGE
-</h1>
-
-<p class="pub">
-LEIPZIG<br />
-KURT WOLFF VERLAG
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter">
-<p class="ser">
-BCHEREI &bdquo;DER JNGSTE TAG&ldquo; BAND 64
-</p>
-
-<p class="printer">
-GEDRUCKT BEI DIETSCH &amp; BRCKNER IN WEIMAR
-</p>
-
-<p class="trn">
-EINZIG BERECHTIGTE BERTRAGUNG AUS<br />
-DEM TSCHECHISCHEN VON <em>OTTO PICK</em>
-</p>
-
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-1">
-<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-STOCKEN DER ZEIT
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">W</span>arum ist jener, an den ich denke, welcher sich ber den
-Schreibtisch beugt, warum ist er so unbewegt, warum wartet
-er und horcht, da etwas auer ihm geschehe; als ob ihm irgendein
-Ding einen Wink im Kummer geben knnte und einen Abschlu
-dieser unendlichen Reihe von Unsicherheiten, die ihn
-durchwallt. Alle Dinge um ihn herum sind nur melancholieverhangene
-Gewohnheiten; nur die gegenberstehende Wand der
-Gasse hat in der formlosen Stille einen ungewhnlich dummen
-und so unangenehmen Ausdruck, da der Mensch, leidend,
-sich dankbar an das Rasseln einer Droschke auf dem Pflaster hlt,
-als einem Ausgangspunkt von dieser Sekunde zur nchsten.
-</p>
-
-<p>
-Klapp-klapp der Hufe im Rderknarren, langes rhythmisches
-Kettchen und Poltern hinter der Ecke, rasches Rasseln auf den
-Steinen; das ist etwas, was sich aufrollt in die Ferne wie ein
-Knuel, jetzt schon von weitem immer schwcheres Klappern,
-ein Ticken so lang wie ein dnner gespannter Faden, so dnn,
-da er fast nicht mehr ist, schon nichts mehr ist als angespannte
-Entfernung, unmgliche Lnge, und Stille.
-</p>
-
-<p>
-Die Stille von innen und auen flossen zusammen wie zwei
-von nichts gekruselte und durchaus gleichartige Wasserflchen.
-Alles ist durchaus gleichartig wie eine Flche, unbewegt und gespannt.
-Der Mensch beim Tisch hlt den Atem an und sein Herz
-steht wie eine Flche. Die Stille ist gespannt wie ein Tuch, und
-alles ist still, alle Dinge sind Stcke der Stille, hineingeplttet in
-die glatte Ebene ohne Regung Tisch und Wnde, alle Dinge
-zusammen sind wie eine Zeichnung auf gegltteter Flche,
-klar, ohne Verkrzung und Schatten. Sie sind eine gespannte
-Oberflche, die ohne Falten und Rauheit ist; alle sind in dieser
-unstofflichen Ebene enthalten wie in Eis festgefrorene Halme.
-Nicht einmal der Mensch beim Tisch ist auerhalb ihrer: er ist
-dort, ohne Regung, in der unendlichen Ebene der Dinge, und
-kann sich ihr nicht entraffen; wenn er sich rhrte, fhlt er, wrde
-eine Entgleisung und ein Zusammensturz aller Teile erfolgen,
-ein furchtbares Zusammenschrumpfen der gespannten Oberflchen.
-Ohne Erstaunen, ohne Inneres, ohne Zeit. Angst, da dies
-vielleicht der Tod sei, ein Abgang, Vernichtung. Nicht fhlen, das
-ist das positive Gefhl des Nichtseins und ein starkes Leiden am
-Nichtsein; unbewegter Kampf des Unbewuten um den Gedanken
-<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a>
-und Beklemmung in den Grenzen der Leere. berall Ebene
-mit trauriger toter Oberflche. Und dieses, was steht, ist die Zeit;
-wre es mglich, sie zu bewegen, so zerfiele sie sogleich in tausende
-Sekunden, die, tot, wie Staub zerflatterten. Doch der Mensch
-beim Tisch frchtet sich zu rhren; mit all seiner Bangheit und
-Machtlosigkeit ist er in der Stille festgelegt wie ein Insekt in
-<a id="corr-0"></a>durchsichtigem Bernstein; er ist einfach eingestellt.
-</p>
-
-<p>
-Und da Schritte auf dem Gehsteig, schne, laute und ordentliche.
-Die Welt in der reglosen Flche ist in lautloser Explosion
-auseinandergefallen; die eckigen und massiven Dinge reckten
-sich krachend auf, der Mensch an seinem Tische breitet sich aus
-in alle Richtungen des Raums im Gefhl seiner reichen Verzweigung
-und seiner in die Welt getauchten Bewegungen. Die Kanten
-und Winkel aller Dinge kndeten sich in rauhem Rauschen
-des Raums: so rasch liefen sie in ihren Richtungen, mit Selbstgewiheit
-und Hrte. Das Herz des Menschen ergriff seinen alten
-Schmerz, mit starken, starken Schlgen; jener, an den ich denke,
-erhob sich, um seiner Trauer Gewicht zu ertragen, und das groe
-Rad des Seins dreht sich in immer weiteren und schnelleren
-Kreisen.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-2">
-<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
-HISTORIE OHNE WORTE
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">T</span>ief sind die Wlder in der Nacht wie ein grundloser See,
-und du blickst schweigend auf einen Stern ber Melatn,
-denkst an das Wild, das in der Tiefe das Waldes schlft, an den
-tiefen Schlummer aller und an alles, was niemals in dir entschlafen
-wird. Lang, endlos lang sind dmmrige Tage; wie oft
-durchschrittest du die Wlder an solchen Tagen, o Schritte und
-Erinnerungen ohne Zahl, und nie bist du an das Ende der
-Schritte und Erinnerungen gelangt: so lang und tief sind die
-Wlder ber Melatn.
-</p>
-
-<p>
-Aber da heut ein flammender Augustmittag ist &mdash; brennende
-Lcken in den Baumkronen und des Lichtes Sichel die Forste
-durchfahrend; da ein so klarer Tag ist, wie wenn ihr schtterer
-wrdet, tiefe Wlder, und vor der Sonne auseinandertrtet. Die
-Glut hat meine Erinnerungen ausgetrunken und fast schlief ich
-ein, ich wei nicht ob vor Lust oder Ermattung, eingewiegt von
-den weien Dolden, die ber meinem Haupte schwanken. &mdash;
-</p>
-
-<p>
-An einem solchen Tage ging Je&#382;ek durch den Wald, zufrieden,
-da er an nichts dachte und denken konnte. Breit atmete
-die Wrme zwischen den Bumen. Ein Tannenzapfen ri sich
-los, &mdash; er hatte sich festzuhalten vergessen, weil es so windstill
-war; die Kronen kruselten sich und berall zitterte Licht.
-Oh, welch schner, herrlicher Tag! Wie schimmern silbern die
-schwanken hrchen des Windhalms! Eingewiegt von Freude
-oder Langweile lauschte Je&#382;ek dem warmen Summen des
-Waldes.
-</p>
-
-<p>
-Geblendet stand er am Rande der Lichtung, wo unhrbar die
-Glut zitterte. Wer liegt da? Es ist ein Mensch. Er liegt mit dem
-Gesicht auf der Erde und ohne Regung. Fliegen weiden auf der
-ausgestreckten Hand, die sie nicht verscheucht. Ist er etwa tot?
-</p>
-
-<p>
-Andchtig und mit Grauen bckte sich Je&#382;ek ber die gereckte
-Hand, welche noch den alten Schlapphut hielt. Die Fliegen
-entflohen nicht einmal. An dem verblaten Futter waren
-noch einige Buchstaben leserlich: ..ERTA. EL SOL. Puerta del
-Sol, erriet Je&#382;ek erstaunt und neigte sich ber das Antlitz des
-Toten. Aber da ffnete dieser die Augen und sagte: &bdquo;Mchten
-Sie mir nicht eine Zigarette geben?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Recht gern,&ldquo; atmete Je&#382;ek in nicht geringer Erleichterung
-eifrig auf. Der Mensch nahm die Zigarette, knetete sie sorgfltig,
-<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
-wlzte sich auf die Seite und lie sich Feuer geben. &bdquo;Danke,&ldquo;
-sagte er und begann nachzusinnen.
-</p>
-
-<p>
-Er war nicht jung, durchgraut, mit breitem und unbestimmtem
-Gesicht; er war irgendwie sehr abgemagert in seinen Kleidern,
-so da sie in seltsamen, leblosen Falten an ihm lagen. So war er
-ausgestreckt auf der Seite und rauchte, unbewegt irgendwohin
-zu Boden blickend.
-</p>
-
-<p>
-Puerta <a id="corr-1"></a>del Sol, berlegte Je&#382;ek, Tor der Sonne; was hat er nur
-in Spanien gemacht? Nach einem Touristen sieht er nicht aus.
-Vielleicht ist er nicht gesund, da er so heilige Augen hat. Puerta
-del Sol in Madrid.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie waren in Madrid?&ldquo; sprach er unversehens aus.
-</p>
-
-<p>
-Der Mensch atmete zustimmend durch die Nase und schwieg.
-</p>
-
-<p>
-Er knnte sagen, wer er ist, berlegte Je&#382;ek; ein Wort gibt
-das andere, und das brige errtst du. &mdash; Er knnte brigens sagen:
-Ja, ich war in Madrid; aber es ist nicht der entfernteste
-Ort, wo ich gewesen, und es gibt noch schnere Orte und ein
-wunderbareres Leben. Allerlei knnte er lgen. Siehe, jetzt besinnt
-er sich.
-</p>
-
-<p>
-Der Mensch winkte leicht mit der Hand, unbestimmt und
-versonnen nirgendwohin blickend.
-</p>
-
-<p>
-Vielleicht sagt er: Ich sehe, da Sie mich teilnehmend betrachten;
-Sie haben mich fr tot gehalten und sich mitleidig ber
-mich gebeugt. Ich will Ihnen also die Historie meines Lebens
-berichten. Unterbrechen Sie mich nicht, falls Ihnen etwas unzusammenhngend
-oder unmotiviert erscheint. Lesen Sie nur
-auf meinem Gesicht, ob ich leicht und einfach gelebt habe. So
-irgendwie wrde er etwa beginnen.
-</p>
-
-<p>
-Aber der Mensch rauchte schweigend und langsam, die hellen,
-blicklosen Augen ins Unendliche geheftet.
-</p>
-
-<p>
-Sicherlich wird er <a id="corr-2"></a>etwas sagen, dachte Je&#382;ek; es ist schwer,
-Worte fr eines Lebens Verlauf zu finden. Es sei, ich warte.
-Leise legte er sich auf den Rcken. Die Sonne schlug ihm in
-die Augen und drang durch die geschlossenen Lider hindurch;
-rote und schwarze Kreise haben sich zu drehen begonnen und
-tanzen brennend vor den Augen. Die Wrme atmet in langen,
-feurigen Wellen, und Je&#382;ek fhlt sich so wohl, als wrde er entfhrt
-von den schwarzen und roten Kreisen, von der Flut langgezogener
-Wellen, von unendlicher und unfortschreitender Bewegung.
-Wohin fliet diese starke hinreiende Bewegung? Ach
-nichts; nur die Bewegung des Lebens an seinem Ort.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
-Pltzlich wandte er sich. ber die Hand lief ihm eine helle
-Ameise, nicht wissend wohin auf der allzu groen Flche. Auch
-uns, dachte Je&#382;ek, Ameislein, auch uns regt die allzugroe Welt
-auf: diese Fernen, Wanderer, diese hartnckige Panik. Warum
-lufst du so? Warte, verweile; ich tu dir nichts, wenn ich auch
-gro bin. Ach, kleiner Abenteurer, ist&rsquo;s nur Verwirrung, die
-dich so jagt? Wilde und verzweifelte Verwirrung der Einsamkeit?
-irgendeine Angst? Wo ist denn ein Tor, durch das du
-entrnnest?
-</p>
-
-<p>
-Nahe, auf Griffweite nah hat sich ein Schmetterling mit weit
-geffneten Flgeln auf eine Blume niedergelassen, wiegt sich
-auf der weien Dolde und bewegt die leichten Flgel, schliet
-sie und breitet sie aus mit einer zauberischen und wollstigen
-Bewegung, berauschend s. Ach bleibe, o Lust! Verzaubere
-mein Herz nicht mit dieser ewigen Gebrde des Entfliehens!
-Bleib und lasse dich schaukeln, liebliches Weilchen, Sekunde
-ohne Gleichgewicht, unaussprechlicher Wink! Edle Begegnung
-nach solchen Qualen der Reise! Jungfrulich erbebten die Zauberflgel
-und jh, unbegreiflich entschwindet der Falter, Sekunde,
-Wollust, als schlsse sich pltzlich ein Tor hinter ihm.
-</p>
-
-<p>
-Je&#382;ek blickt empor. Wohin ist all das entflogen? Wohin entfliegt
-ihr, leuchtende Wolken, in zielloser und unermdlicher
-Bewegung? Ach, so entfhrt zu werden, wegen nichts, aus gar
-keinem andern Grunde als wegen der Gre des Himmels; so
-entfhrt zu werden, weil der Raum gro ist und nicht endet!
-Weil die Sehnsucht gro ist und nicht endet. Sanfter Himmel,
-meine Seele ist friedlich wie meine Augen. Aber warum blickt
-ihr bis hinter den Horizont, friedliche Augen? Warum, friedlichste
-Seele, findest du immer die dmonische Tugend der Unrast
-in dir? Wie hoch segeln die Wolken, schwindlig hoch, &mdash;
-du mchtest sagen, bis am Tore der Sonne hin.
-</p>
-
-<p>
-Puerta del Sol. Je&#382;ek sah sich um. Der Mensch, den er gefunden
-hatte, war wieder eingeschlafen, und sein Antlitz erschien
-unklar und zerqult, friedlich und weit. &mdash; Da stand Je&#382;ek auf,
-um ihn nicht zu wecken, und ging durch den warmen Wald,
-zerstreut, ohne Frage und wie gesttigt. Ihm war, als htte er
-die Historie eines Lebens vernommen, eine wenig klare, aber
-nahe Geschichte, unzusammenhngend, aber nichtsdestoweniger
-eine Geschichte. &mdash; Ihm war, als htte er die Historie eines Lebens
-vernommen und begnne schon sie zu vergessen.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-3">
-<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
-VERLORENER WEG
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar"><span class="prefirstchar">&bdquo;</span>A</span>ber wir haben ja den Weg verloren!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Augenscheinlich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wohin sind wir geraten? Sehen Sie etwas? Wo ist die Allee?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wo sind wir? Sahen Sie jemals, da hier ein Heidefeld wre?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Aber wie konnten wir nur die Landstrae verlieren? Wir htten
-ja ber den Graben gemut &mdash; &mdash; Hren Sie, sind wir nicht
-vielleicht ber den Graben gegangen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das ist absurd. Die Strae kann doch nicht unter den Fen
-verloren gehn. Wo sind Sie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich hab&rsquo; mich gesetzt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Auf dem Weg geht man doch anders als im Gras. Hart und
-laut. Geradeso wie ich uns auf der Landstrae gehen gehrt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das waren Sie, der so lrmend ging.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Um so eher! Es ist doch geradezu undenkbar ... Das ist das
-Sonderbarste, was ich je &mdash; &mdash; Mensch, schlafen Sie nicht!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich schlafe nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wo sind wir eigentlich?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Es war eine dunkle und fast sternlose Nacht; nur etwas lichtes Gestein
-auf der Erde und kleine, aufrechte Wacholderstrucher, winzigen
-reglosen Gestalten gleichend; von fern der Ruf eines Kuzchens
-nur drehte die unbekannte Weite in die stockende Finsternis her.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Lachen Sie mich nicht aus&ldquo;, sagte der stehende Mann, &bdquo;aber mir
-gefllt das nicht. Wir haben berhaupt die Richtung verloren. Wir
-mssen auf irgendeinen Weg gelangen, wohin immer er fhre; ein
-Weg zeigt wenigstens &bdquo;vorwrts&ldquo;, aber das Unwegsame schweigt.
-Das Unwegsame schmeckt gleichsam nach Unendlichkeit; sie ist
-hier um uns herum auf allen Seiten; hren Sie, das ist eine unmgliche
-Lage.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Setzen Sie sich&ldquo;, sagte der andere.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich will nicht. Ich setze mich erst irgendwo am Weg, mitten
-zwischen die rechte und linke Hand, damit ich wei, wo ich
-bin. Wer auf dem Wege geht, dem ist die Welt rechts und links
-eine Kulisse ohne Bedeutung und die Wnde eines langen Ganges;
-aber das Weglose ist wie der Gipfel eines Berges; zu sehr im All;
-zu offen nach allen Seiten. Gehn wir von hier!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
-&bdquo;Warten Sie noch, ich kann nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ist Ihnen etwas geschehn?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich kann nicht. Ja, mir ist etwas geschehn. Ich bin auf etwas
-gekommen, gerade als wir irrezugehn begannen. Vielleicht genau
-in jenem Augenblick.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wo war das?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht. Ganz pltzlich tauchte es vor mir auf. Ich hatte
-schon seit Jahren nicht mehr daran gedacht, und jetzt kam es von
-selbst. Vielleicht gerade deshalb, weil wir auf einmal den Weg
-verloren.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Irgendeine Erinnerung?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Erinnerung, nein. Eine Lsung. Eine Antwort. Etwas, was ich
-das ganze Leben lang gesucht habe, selbst wenn ich nicht daran
-dachte. O Gott, ist das furchtbar kompliziert! Dadurch ndert
-sich mein ganzes Leben &mdash; &mdash; Alles hngt zusammen. Begreifen
-Sie das?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Durchaus nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich auch nicht. Offenbar mute ich vom Weg abkommen,
-um darauf zu kommen. Von Allem abkommen, was dir bekannt
-ist! Darum gingen sie in die Wste! Aber verlasse dein Haus
-und deine Familie; deine Logik ist aus Gewohnheiten gewebt
-und deine Wege aus tausenderlei vergangenen Schritten; darum
-komme ab von Allem und beginne zu irren, um im Unbekannten
-zu suchen. Dich selbst findest du dann in dem, was das Seltsamste
-und Ungewohnteste ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das sagen Sie mir?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das sage ich mir selbst, weil ich es gefunden habe. Dich selbst
-hast du gefunden und kannst dich nicht erkennen; und doch
-ist es das einzige, was du je gesucht hast. Mein Gott, so viele
-Jahre! Und pltzlich diese Lsung: dir kommt das freudige <a id="corr-3"></a>und
-wortlose Gefhl, da es da ist; das, was noch kein Gedanke
-ist, sondern nur eine blendende Weile und wunderbare Gewiheit.
-Hren Sie, mein Leben verndert sich wahrscheinlich,
-vielleicht gehen unsere Wege auseinander; aber ich bin froh, da
-ich diesen Augenblick mit Ihnen erlebt habe.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn Sie mir wenigstens sagen wrden &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich kann nicht. Jetzt kann ich noch nichts unterscheiden.
-Die Wahrheit mut du genieen wie ein Gefhl, bevor sie dir
-zum Wort wird. Du mut in sie hineingeraten wie in einen
-Raum, der nirgendwohin fhrt, sondern nach allen Seiten sich
-ffnet; denn dein Nachsinnen ist nur ein Weg in einer Richtung,
-<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
-wie ein Gang zwischen Mauern. Dein Denken geht nur
-vorwrts auf irgendeinem der vielen Wege: aber die einzige
-Wahrheit geht nirgendwohin und zielt nirgendwohin, sondern
-besteht wie die Ausdehnung.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der stehende Mann schwieg und horchte gespannt in die
-Ferne. In der tausendfachen Stille der Nacht, schien es ihm,
-entfaltete sich irgendwo ein winziger, klangloser Rhythmus.
-Er schien von der Tiefe der Stille berschwemmt zu sein,
-aber er war da und brach sich unaufhaltsam Bahn. Menschenschritte!
-ferne Schlge auf hartem Weg. Der stehende Mann
-atmete auf.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Dort also ist die Landstrae,&ldquo; sagte er und wunderte sich
-pltzlich ber seine Stimme; um soviel klarer und farbiger klang
-sie als zuvor.
-</p>
-
-<p>
-Der sitzende Mann erwachte gleichsam. &bdquo;Was? Die Strae?
-Sie gehen schon nach Hause?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie wollen vielleicht hier bleiben?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja, ich erklre es Ihnen dann. Es ist malos kompliziert. Warten
-Sie noch!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Erklren Sie es mir lieber unterwegs.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn ich mir das notieren knnte! Was mir alles einfllt!
-O Gott, wie zahllos!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Notieren Sie sich&rsquo;s zu Hause. Ich begleite Sie schon.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich danke Ihnen. Wo sind wir?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht, kommen Sie nur. Geben Sie acht, hier ist
-eine Schlucht!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich sehe nichts.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Reichen Sie mir die Hand. Christus, wie sind wir eigentlich
-hiehergeraten? Achtung!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warten Sie, hier kann ich nicht ... Gehn wir zurck!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das geht nicht, der Weg ist vor uns. Wo stecken Sie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Hier oben. Und Sie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Im Wasser. Bleiben Sie dort, ach! Ist Ihnen etwas geschehn?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein, danke. Wenn ich nur unten bin.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Jetzt folgen Sie mir. So!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Und die beiden Mnner stolperten den Hang empor und wieder
-hinunter; es war ein mhseliger, zerfurchter Boden, wo sie
-mit tausendfacher Vorsicht gehen muten; es gab Gestruch da,
-durch das sie sich hindurcharbeiten muten; es waren breite,
-bebaute Ackerfelder da, ber welche sie rcksichtslos wie Eber
-dahinfuhren. Endlich ein Graben und die Landstrae.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
-&bdquo;Und nun sagen Sie mir,&ldquo; rief der, welcher vorausging, &bdquo;wie
-konnten wir berhaupt dort hinauf gelangen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht,&ldquo; sagte der andere etwas bedrckt, &bdquo;es ist wirklich
-seltsam. Ich mte es mir berlegen ... Ich habe jetzt so
-viel nachzudenken!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sagen Sie mir nun, worauf Sie gekommen sind?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja. Es ist sonderbar mit diesem Verirren! Gewi fand ich es
-gerade in dem Augenblick, als wir den Weg verloren. Wr&rsquo; ich
-schon zu Hause!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wovon handelt es?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Von der Seele ...&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Nun schritten beide rasch und schweigend aus; sie kamen
-durch einen Wald und durchliefen ein Dorf; einige Fenster
-leuchteten menschlich in der tiefen Finsternis; und wieder tat
-sich eine weite und ferne Heide auf.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was wollen Sie also sagen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wovon?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Von dem, worauf Sie dort oben gekommen sind &mdash; von der
-Seele.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ach ja, Sie haben recht. Sagte ich, von der Seele? Eigentlich
-war es nicht blo das ...&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Hren Sie,&ldquo; sagte nach einer recht langen Weile sein Gefhrte,
-&bdquo;wie ist es also mit dieser Seele? Sie sind schrecklich zerstreut.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich? Im Gegenteil. Ich dachte gerade darber nach. Ist es
-nicht merkwrdig, da sich der Mensch im Wesen nicht
-kennt?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und Ihre Lsung?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was fr eine Lsung? Das ist auf ewig nur ein Problem.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Aber Sie hatten irgendeine Lsung.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das war bestimmt nicht von der Seele. Das waren eher andere
-Fragen, vom Leben berhaupt ... Ich dachte soeben darber
-nach, womit zu beginnen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Mit dem, was Ihnen zuerst aufblitzte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Zuerst? Das war nur eine Ahnung ... Es ist hchst schwierig
-zu formulieren. &mdash; Ich wei wirklich nicht, was mir zuerst aufblitzte.
-Es kam das alles so auf einmal!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Also beginnen Sie womit immer.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das geht nicht. Alles war ein Ganzes ... Ja, das alles hing
-zusammen. Knnte ich es nur umfassen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie werden es mir ein andermal sagen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
-&bdquo;Nein, lieber gleich jetzt. Nur, bis ich es ein wenig geordnet
-habe. Aber mich strt es, wie laut wir gehen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Setzen wir uns also.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja, ich danke Ihnen. Vor allem bedenken Sie ... So klar leuchtete
-es mir ein ... Zunchst folgt daraus, wie elend und sinnlos
-alles war, was ich bis jetzt gelebt. Pltzlich durchdrang es mich
-wie ein Messer; ich entsetzte mich vor mir selbst und begriff,
-da ich so viele Jahre, o Gott, nur einen unaussprechlichen
-und ungeahnten Schmerz gelebt habe. So viele Jahre! Dies also
-blitzte in mir auf, was ich war und wie ich unbewut gelitten;
-und alles war vergeblich und irrig, und eng wie ein Kerker;
-und mir war furchtbar zumute, wenn mein ganzes Leben sich
-mir als ein gefundener Fehler erwies. Ach, Vieles erklre ich
-Ihnen noch nher. Aber zweitens, warten Sie, zweitens &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was ist zweitens?&ldquo; fragte nach einer Weile der Gefhrte.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warten Sie, es war doch etwas von der Seele darin, aber jetzt
-wei ich nicht. &mdash; Ja, es war etwas Unermeliches von der Seele.
-Gott, was war es eigentlich?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;In welchem Sinne von der Seele?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht, es waren berhaupt keine Worte, es war nur
-eine Gewiheit &mdash; &mdash; es ist so flchtig!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Besinnen Sie sich doch!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja, gleich. Etwas von der Seele? Was war es?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Denken Sie nur nach, ich warte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich danke Ihnen. Gleich werde ich es haben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Die Nachtzeit lag unbewegt auf den schwarzen und formlosen
-Dingen. Und siehe, da geht der erste morgendliche Mensch ber
-die leere Landstrae. Ist das nicht der Schrei eines Hahns im Dorfe?
-Hat sich die Nacht nicht in ihrem stillen Innern gerhrt?
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Haben Sie es gefunden?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ach gleich, nur noch etwas &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Am Horizonte dmmerte es schwach. Die Erde und ihre Dinge
-nahmen eine khle, schemenhafte Blsse an; stndig ausgebleichter
-und schrfer hoben sie sich empor, und es ward Licht.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Also was haben Sie gefunden?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht ... Es ist mir entglitten. Alles habe ich verloren,
-und ich werde es niemals mehr wissen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und berhaupt nichts, vollkommen nichts ist Ihnen davon
-geblieben?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Vollkommen nichts; nur das, was mir auf ewig klar geworden
-ber mein Leben.&ldquo;
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-4">
-<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
-DIE AUFSCHRIFT
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">E</span>in Weilchen verschnaufend stand Kv&#269;ala an der Tr und
-freute sich: Matys ist krank, er wird Freude haben, da ich
-gekommen bin: ich werde ihm ein wenig vorplaudern am Bett,
-um ihn zu zerstreuen.
-</p>
-
-<p>
-Die Glocke ertnte so abgerissen, da es Kv&#269;ala qulend beklemmte;
-ihm war, als ob sich der Klang drinnen so aufgescheucht
-und blind einen Weg bahne durch die allzuabgestandene
-Stille, und er lauschte mit der Hand an der Glocke. Es
-kam das alte Mtterchen in Hausschuhen ffnen und bat ihn
-flsternd einzutreten. Kv&#269;ala ging auf den Spitzen, er wute
-selbst nicht warum; durch die offene Tr sah er Matys mit dem
-Gesicht zur Wand im Bett liegen, wie wenn er schliefe.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wer ist das?&ldquo; fragte der Kranke gleichgltig.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Der Herr Kv&#269;ala,&ldquo; flsterte die alte Frau und entfernte sich.
-</p>
-
-<p>
-Matys wandte sich mit aufgeheiterten Augen dem Freunde zu.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das ist brav von Ihnen. Oh, es ist nichts; nur eine Brustfellentzndung,
-irgendein Exsudat ... In vierzehn Tagen werde ich
-gehen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Kv&#269;ala lchelte gezwungen. Ihm war schwl in dem heien
-Zimmer, wo er den schwachen und faden Geruch von Umschlgen,
-Urin, Tee und Eiern sprte. Ihn rhrte das unrasierte Kinn
-des Matys und seine strahlenden Augen; er bedauerte, da er
-vergessen hatte, eine kalte Orange oder ein nasses Struchen
-mitzubringen, um sie auf das Nachttischchen zwischen die zerknllten
-Taschentcher, Speisereste und ungelesenen Bcher zu
-legen. Im ganzen bermannte ihn eine matte belkeit.
-</p>
-
-<p>
-Er bemhte sich zu plaudern; er erzhlte irgendwelche Neuigkeit
-und rgerte sich ber seine fremde, gleichsam belegte Stimme;
-er fhlte die Augen des Kranken aufmerksam und doch entfernt
-auf sich geheftet; und da verschluckte er seine Neuigkeit und
-sehnte sich zu verschwinden.
-</p>
-
-<p>
-Matys erkundigte sich nach Bekannten; aber Kv&#269;ala sprte
-die besondere Rcksichtnahme des Kranken auf die Gesunden
-heraus und antwortete immer schwerer. Schlielich war alles erschpft.
-Wenigstens das Fenster ffnen! Horchen, was drauen
-geschieht! Nur einen Teil seiner selbst dorthin bertragen! Verdrossen
-wich Kv&#269;ala den starren und abwesenden Blicken des
-Freundes aus; seine Augen wichen dem heien und zerdrckten
-<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
-Bette aus; er wich der eingetrockneten Hlichkeit des Nachttischchens
-aus; und heftete den Blick auf das Fenster, das blasse
-halbundurchsichtige Fenster, das Fenster, welches ins Freie fhrt.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Schauen Sie her,&ldquo; sagte pltzlich der Kranke und wies mit
-dem Finger auf die Wand zu Hupten des Bettes.
-</p>
-
-<p>
-Kv&#269;ala beugte sich vor; an die Wand war grau und verwischt
-und zweimal unterstrichen mit Bleistift das Wort &bdquo;<em>zurck</em>&ldquo;
-geschrieben. &bdquo;Zurck&ldquo;, las Kv&#269;ala.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was sagen Sie dazu?&ldquo; fragte Matys still.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Jemand hat es hingeschrieben. Es steht offenbar schon viele
-Jahre dort.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wieviel Jahre denken Sie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht. Vielleicht fnf oder zehn &mdash; Wann wurde hier
-das letztemal gemalt?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich habe die Mutter gefragt,&ldquo; sagte Matys und schaute zu der
-trben Zimmerdecke empor. &bdquo;Vor mehr als zehn Jahren. Ich
-wollte es niemals erlauben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Kv&#269;ala lie seine Blicke hastig zum Fenster zurckkehren.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sehen Sie nur her,&ldquo; ntigte der Kranke, &bdquo;fllt Ihnen nichts
-auf?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Kv&#269;ala neigte sich wieder ber das Bett. &bdquo;Es ist von einer
-Mnnerhand geschrieben. Jemand schrieb es in Aufregung und
-ungeduldig, so da hier der Graphit abgebrochen ist. Er hat geradezu
-in die Wand geritzt. Und im Dunkeln. Dieses Hkchen
-ist ein wenig seltsam ... Diese langen Striche auf dem u und
-sehen irgendwie entschlossen aus.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Zurck,&ldquo; wiederholte Matys. &bdquo;Wissen Sie nicht, was wohl
-damit gemeint ist?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gott wei, vielleicht irgendein Entschlu. Vielleicht, etwas
-zurckzugeben.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Oder selber zu etwas zurckzukehren?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Mglich. Warum fragen Sie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nur so. Ich berlege, weshalb es hier geschrieben steht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Jemand hatte wohl einen Einfall oder eine Eingebung &mdash; Er
-schrieb es sich blo als Leitwort auf, um nicht daran zu vergessen.
-Weshalb interessiert es Sie so?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Weil es mit meiner Schrift geschrieben ist. Ich habe es offenbar
-selbst geschrieben, aber jetzt wei ich berhaupt nichts mehr
-und kann mich nicht entsinnen, wann und warum. Andauernd
-berdenke ich, was das bedeuten sollte.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Jetzt bedeutet es nichts mehr.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
-&bdquo;Jetzt nicht, aber damals. Ich fand es hier whrend der Krankheit.
-Nie zuvor hatte ich es beachtet, bis jetzt. Und so sinne ich
-aus Langweile nach &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Worber?&ldquo; fuhr Kv&#269;ala nach einer Weile auf.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nie habe ich an die vergangenen Jahre gedacht,&ldquo; sagte Matys
-mit geschlossenen Augen. &bdquo;Wozu auch? Alles Vergangene ist so
-selbstverstndlich. Der Mensch gewhnt sich an die vergangenen
-Dinge. Alle dnken ihm bekannt. &mdash; Aber jetzt wei ich nicht,
-zu was ich mich damals entschlossen habe; ich wei nicht, zu
-was ich zurckwollte und weshalb es mir so unertrglich war,
-und wei nicht, wann es berhaupt war. Niemals wird es mir
-klar werden ... berrascht und beunruhigt Sie nicht manchmal
-etwas Vergangenes?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein,&ldquo; sagte Kv&#269;ala aufrichtig.
-</p>
-
-<p>
-Der Kranke bewegte ungeduldig die Schultern und schwieg.
-&bdquo;Ich wei nicht, wann und warum ich es geschrieben habe,&ldquo;
-begann er; &bdquo;aber mir sind viele Augenblicke eingefallen, in
-denen mir dies Wort als Erlsung erscheinen konnte, und ich finde
-stndig neue Augenblicke, wo ich es htte schreiben knnen.
-Oder lieber erfllen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie erfllen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht. Schon lange sinne ich darber nach, wie es
-sich erfllen liee. Zurck, ja zurck, aber zu was? Ich liege da
-und erinnere mich an allerlei: zu was von alledem zurckzukehren?
-Ich kann mich vieles Schnen entsinnen. Vieles tut mir leid.
-Manche Liebe. Hie und da leuchtet ein alter Gedanke auf. Und
-viel, unzhlig viel habe ich vergessen, und daran denke ich am
-meisten. Es gibt furchtbar viele vergangene Dinge. Die Vergangenheit
-ist schwindelerregend.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Kv&#269;ala seufzte; ihm ward immer schwler. Ach, die Gasse
-hinter dem Fenster! Licht, Raum! Schnelligkeit und Bewegung
-dort drauen!
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Die Vergangenheit ist nicht so selbstverstndlich, wie ich&rsquo;s
-mir dachte,&ldquo; sagte Matys wie fr sich selbst. &bdquo;Sie ist unermelich
-unklar. Zeitweilig geschahen merkwrdige und unmgliche
-Dinge. Mir ist als stnde ich am Rande einer halb unbekannten
-Welt; etwas habe ich schon entdeckt, aber der Rest geht unendlich
-weiter und breiter, als ich geahnt. Ich hatte keine Vorstellung
-davon ... Das ist ein barmherziger Irrtum, da uns die
-eigene Vergangenheit bekannt erscheint; wir kennen nur etwas,
-aber alles brige ... Das Meiste sollten wir <em>erst erleben</em>!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-Kv&#269;ala horchte: Drauen klingelt der Tramway, die Schritte
-vermehren sich, breit schttet sich Wagenrasseln hin; dnn und
-klar flog ein Kinderschrei auf. Aber hierher kommen nur die
-Schatten der unstofflich durch das Glas hindurchgegangenen
-Laute; sie sind alles Nahen und Wirklichen beraubt; entfremdet
-den Lauten, die von auen her an das Fenster sich pressen; mit
-der Stille vermengt.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es ist still hier,&ldquo; sagte der Kranke, &bdquo;und die Zeit ist lang.
-Ich denke an vergangene Dinge. Sie htten noch nicht entschwinden
-sollen. Und woran ich immer nur denke, nichts htte noch
-schwinden sollen. Ich mte es erst erleben, aufmerksam verweilend
-&mdash; selbst die schlimmsten Augenblicke. So als htte ich
-sie alle zwischen den Fingern entgleiten lassen, noch unwissend
-wie sie sind: und beraus seltene darunter &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sind hier zu sehr allein,&ldquo; sagte Kv&#269;ala.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja. Und in vierzehn Tagen stehe ich wieder auf und erinnere
-mich vielleicht nicht mehr, da ich einmal &sbquo;zurck&lsquo; geschrieben
-habe. Aber jetzt ist es da als Aufschrift an irgendeiner Wand.
-Zurck! Alles Vergangene ist nur ein Stichwort; alles ist unvollendet
-geblieben, angedeutet als Anfang und Ahnung ... Zurck!
-Vielleicht fhlt es ein jeder einmal und mchte zurckkehren,
-so als wre es nach Hause &mdash; zurck! Es ist nicht, ach es ist nicht
-Rckkehr zu seinen Anfngen, &mdash; zu den ersten Schritten; aber
-zurck zu den Enden, zur Aussprache und Beendung seiner
-selbst, zu den letzten Schritten ... Unmgliche Rckkehr! Niemals
-zurck!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Kv&#269;ala erhob sich. &bdquo;In vierzehn Tagen,&ldquo; lchelte Matys. &bdquo;Entschuldigen
-Sie, eine Woche schon hab&rsquo; ich mit niemandem
-geredet. Gren Sie alle.&ldquo; Seine Hand war hei und trocken. Oh,
-hinaus! Lautere Khle, Gasse, Menschen, Menschen &mdash; und
-&bdquo;vorwrts&ldquo; in diesem allen!
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-5">
-<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
-DIE VERSUCHUNG
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">L</span>ange schon ging R&#367;&#382;i&#269;ka wie in Nebel herum. Er wehrte sich
-hartnckig dagegen und ersann ohne Ende Grnde fr und
-gegen, bewies sich etwas, rgerte sich. Hart kmpfte er um Sammlung
-und sehnte sich zugleich: sich endlich ohne Gedanken und
-Richtung entfhren zu lassen. &mdash; So wie ein schwarzer Pfahl am
-Teiche im Nebel, dachte er; ber dem Wasser schreit die Mwe
-und lt sich herab, um die Flche in die Klauen zu ergreifen;
-das Wasser erbebt, und die Mwe entflieht wie ein Gassenjunge;
-erst Gott wei, wo sie auflachen wird ...
-</p>
-
-<p>
-R&#367;&#382;i&#269;ka blieb stehen: Reise ich oder bleibe ich? &mdash; Alle Grnde
-starben ab und er vermochte sich ihrer nicht mehr zu bemchtigen;
-alle starben ab und wurden starr und er konnte sich ihrer
-nicht mehr entledigen. Grnde, die ihn nicht mehr freuten. Sie
-waren in diesem engen Zimmer verwelkt. In dem Zimmer, das
-ihn nicht mehr freute. Grnde dafr, da er blieb und nicht verreiste
-und nicht diese paar Chancen berflssig verwarf. Ruhe,
-Beruf, Gewohnheiten, Lampe, Bett, Lehnstuhl &mdash; mehr brauche
-ich ja nicht, sagte er sich; ich bleibe und erflle dies alles mit
-der Wahrheit des Lebens. Mein Platz ist schmal, aber ich kann
-ihn vertiefen. Ach, auf immer bleiben!
-</p>
-
-<p>
-Oder fortgehn, sagte er sich beklommen; sich von neuem versuchen
-und in die Welt schleudern wie ein Stein ins Wasser ...
-Mte man sich nur nicht entschlieen! Knnte ich mich, ohne
-zu wissen wie, irgendwo in der Welt finden und nichts haben
-als vor mir den Tag, o Gott! was wre das fr ein Tag! Es geschehe
-mir als Schicksal oder Zufall, &mdash; ich nehme alles an; aber
-selbst wollen ist furchtbar.
-</p>
-
-<p>
-&mdash; Reise ich oder bleibe ich?
-</p>
-
-<p>
-Ich gehe aus, entschlo er sich endlich (wenigstens etwas tun!
-was immer!), ein bichen hinaus, zgerte er bei der Tre, den
-Abend genieen, ntigte er sich; aber &bdquo;bleib&ldquo;, sprechen Lampe,
-Bett, Lehnstuhl, Langweile, &bdquo;wozu gehn? Gehn ist so anstrengend;
-Bleiben so einfach; Gehn so verzweifelt; Bleiben so verzweifelt;
-bleib!&ldquo; Nein, heute nicht, entschied er sich mit Gewalt, und
-ging. &bdquo;Bleib,&ldquo; sprechen die entflammten Gassen, &bdquo;wir stren dich
-nicht mehr; du hast uns so oft durchmessen, da du uns nicht
-mehr siehst.&ldquo; Auch ihr seht mich gar nicht, wandte er ein, und
-eure Fenster blinken mir nicht mitrauisch zu wie ein Blick,
-<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-lchelnd wie ein Blick, durchsichtig wie ein Blick des Zufalls.
-Ich gehe tglich hier: wir sind einander fremd geworden. &bdquo;Ja,
-nach so vielen Jahren!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-R&#367;&#382;i&#269;ka nahm, sich zerstreut erholend, Zuflucht zu einem
-Kaffeehaus, froh, da er so verloren war in der Zersplitterung
-von Lichtern und Stimmen, da er sich selber entschwand in
-der Menge, da die Spiegel strahlten und die Glser klirrten; er
-schrieb mit dem Finger ein Fragezeichen auf den Tisch und entdeckte
-in der Marmorplatte interessante Adergnge, ein Zufallsnetz,
-zahllose Bahnen ohne Ziel. &mdash; Verreise ich oder bleibe ich?
-Augen! wer sieht mich da an?
-</p>
-
-<p>
-Mdchen, lachte sein Blick, was willst du von mir? Glatte
-Augen glitten ab, flchteten hinter die Lider und blickten s,
-dunkel nirgendwohin. Nichts, blasses Gesichtchen unter schwarzem
-Htchen, Spielzeug aus Elfenbein, die jungen Hnde spielen
-auf dem Schoe mit nichts. Das groe Schwarze ist die Mama
-und besieht die Modebltter. Die grauen Augen fliegen verstohlen
-herber, fliehen, bleiben nicht da; anmutig sind die Lider
-der Augen, gesenkte Lider, anmutige Trauer, Liebe und Musik,
-Abend, Frage und nichts, lieblich der Augen Blick, Freude,
-Kleider, Musik und Frage, liebliches Lieben, lieblicher Frhling,
-Veilchen auf der Strae, rosige Blte, rosiges Lcheln, lieblicher
-Blick, und in die Augen! gerade in die Augen, stark und direkt,
-kurz und fragend lieblicher Blick! Die glatten Wangen sind rosig
-erglht. Schn sind weie und errtete Wangen; schn und traurig
-die Haare; traurig und schlank die Hnde im Scho, auf
-schwarzem Trauerrock.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Genug,&ldquo; baten die grauen Augen, &bdquo;soviel Lob, mein Gott, &mdash;
-wohin soll ich jetzt mit den Augen, mit Lidern und Hnden?
-Sehen Sie mich nicht an, ich lasse das Glas fallen; um keinen
-Preis sehe ich Sie mehr an.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Schlanke Hnde, dachte er gerhrt, wie einer Geigerin Hnde;
-ach, welch ein Tremolo, gegenstandsloses Weinen, Lied, welches
-endet und nicht; ob ich es jemals vernehme, dies bange und
-feine Lied? Diese feine, kindlich rauhe Stimme?
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gott, das nicht! Was wrde ich Ihnen sagen? Ich kann nicht
-bis fnf zhlen. Wer sind Sie? Warum schauen Sie so? Warum
-schauen Sie nicht?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wenn ich sehe, denke ich an die Leute ringsum, an Sie, an
-Ihren Atem, an die Liebe, an alles, was ich dir sagen mchte, &mdash;
-ich wei nicht, woran ich denke, wenn ich schaue; aber wenn
-<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
-ich nicht schaue, denke ich an Sie, an alles, was ich nicht sehe,
-an mich selbst, an den glcklichen Zufall, und hauptschlich an
-dich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Hren Sie auf! Hren Sie auf!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&mdash; Drben haben neue Menschen sich gesetzt, und in ihrer
-Mitte &mdash;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ach sehen Sie doch,&ldquo; riefen die grauen Augen aus, &bdquo;wie schn
-sie ist!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&mdash; ja, schn, tatschlich schn, o Mdchen, wie gro und schn!
-Warum ist sie gekommen, wen sucht sie mit den dunklen Augen!
-Ach, wer ertrge der Schnheit vernichtenden Blick? Wie erbebte
-er nicht in Verwirrung und Schrecken, wie schlge er
-nicht nieder die Augen? Wehe, da sie ihn angeblickt!
-</p>
-
-<p>
-Langsam, ohne Unsicherheit hefteten sich die groen schwarzen
-Blicke der neu angekommenen Frau auf sein Gesicht. Da
-stockte sein Herz vor Erstaunen und schwieg.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich bin schn. So viele sind mir untertan. Sieh.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ich verreise, entgegnete er finster.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Bleib. Ich bin schn. Du begegnest mir auf den Straen, in
-den Basaren und auf Festen. Suche mich in den Logen der
-Theater. Du wirst mir begegnen, wenn du willst. Wir knnen
-einander kennen lernen und &mdash; wer wei?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ich reise, wiederholte er hartnckig.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Bleib. Ich habe so wenig Unterhaltung, so wenig. Ich bin so
-schn. Du wirst mich oft sehn, tglich, wenn du willst, und so
-nahe! Bleib!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Nein, sagte er mit brennender Pein, ich reise; ich verreise und
-kehre wieder mit Lippen, bitter von Meer und Fremde; ich kehre
-mit anderer Seele zurck. Mit einer Seele ohne Staunen und
-Beben; mit einer rauhen, mutigen, wilden und schamlosen Seele;
-mit einer unruhigen und grausamen Seele; mit einer Seele fr
-dich. Aber dann! Da diese herrlichsten Augen weinen! Da die
-Schnheit erbebe! Da ich schlimmer sei als du! Da du mich
-liebest. Da sich das Schicksal erflle. Da ich Gott nicht frchte.
-Da ich dir gleichkomme. Nichts ist furchtbarer als Schnheit
-und Mut.
-</p>
-
-<p>
-Die schwarzen Pupillen wandten sich ab und zauberten weich
-ins Unendliche.
-</p>
-
-<p>
-Sei es, fhlte er, geschehe mir dies als ein Schicksal. Ich gehe
-hinweg, um zu wagen.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Bleiben Sie,&ldquo; sprachen verloren die grauen Augen, &bdquo;ach,
-<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
-bleiben Sie! Ich kme knftigen Samstag wieder her. Manchmal
-begegne ich Ihnen. Ich laufe nicht weg, selbst wenn Sie mich
-anreden. Warum wollen Sie nicht bleiben?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ach, Mdchen, weinte sein Herz in sinnlicher Zrtlichkeit,
-ich mchte bleiben; wie mchte ich nicht bleiben wollen? Aber
-gerade du hast mich an einen Tag in der Fremde erinnert, eines
-unglcklichen Menschen in der Fremde, ich wei nicht warum
-so unglcklich und so verloren; du hast mich erinnert an glcklichen
-Zufall, Lcheln, freundliches Wort in fremder Zunge und
-lieblichen Blick, der nicht mehr wiederkehrt: die Freude, wenn
-du wtest, und der herrliche Tag in der Fremde! Nichts ist
-schner als Liebe und glcklicher Zufall, nichts vergleicht sich
-einer guten Begegnung, die nicht wiederkehrt. Ich wrde bleiben:
-aber du hast in mir die ewige Sehnsucht nach dem Zufall erweckt.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-6">
-<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
-SPIEGELUNG
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar"><span class="prefirstchar">&bdquo;</span>A</span>chtung!&ldquo; rief Lhota dem unbekannten Fischer zu, &bdquo;er
-schnappt!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ach, ich danke Ihnen,&ldquo; entgegnete der Angeredete freundlich,
-&bdquo;wollen Sie sich ihn nicht herausziehn?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota glitt rasch den Damm hinunter und ergriff die Rute.
-Die Angel war leer; und als Lhota das Haar heranzog, entdeckte
-er an dem Angelhaken festgebunden eine rote Schnur.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das da geben Sie statt des Wurms?&ldquo; fragte er mimutig.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja,&ldquo; sagte der Fischer mit schchternem Lcheln.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Haben Sie schon etwas gefangen?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Niemals.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota blieb auf dem Damme sitzen, unschlssig ob er lachen
-oder zrnen solle. Wie ist das mglich, dachte er, wie ist es berhaupt
-mglich, so Fische zu fangen?
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich angle nmlich nicht,&ldquo; uerte der Fischer, &bdquo;ich sitze nur
-mit der Rute so da, damit die Leute nicht ber mich lachen,
-wenn sie mich hier sehn.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sind ein Hiesiger?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wohne in dem Huschen hinter uns. Schon viele Jahre
-gehe ich her, weil es mir hier gefllt. Und angle nicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota blickte in die groen, hellen Augen des Fischers. &bdquo;Sie
-sind krank, nicht?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich kann nicht gehn. Schon seit Jahren. Viele Jahre bin ich
-nicht weiter gewesen als hier. &mdash; Aber hier ist es schn.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Tatschlich,&ldquo; sagte Lhota unsicher. Unabsehbar zogen sich
-die kahlen Dmme hin, und zwischen ihnen strmte der breite,
-graue Flu.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie sollten bei Sonnenuntergang hier sein,&ldquo; sagte der Kranke,
-&bdquo;oder am Morgen. Ich sitze seit frh hier, und niemals ist mir
-langweilig oder leer zumute; wenn ich dann abends heimkomme,
-schlafe ich ohne Traum, Nacht fr Nacht schlafe ich herrlich
-und ohne Traum. Erst im Winter &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was im Winter?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nichts, die Trume. Im Winter kann ich nicht, und ich
-schlafe bei Tag und bei Nacht, ohne Rast, bis ich vor Mdigkeit
-nicht mehr schlafen kann. Aber im Sommer bin ich tglich
-da.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota blickte sinnend in das Wasser: Es strmte breit und
-<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
-unfrmig dahin, rieb sich mit der unendlichen Flanke an dem
-Gestein; gewellt, gekruselt, bewegt, da ihm die Augen bergingen.
-Und es war schon kein flieender Flu mehr; nur ein
-Rauschen, das nicht verharrt, sondern ohne Ende verluft und
-entschwindet; ein Vorbei ohne Grenzen, ohn Ende Vergehen
-von Allem &mdash;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Auch im Winter trume ich nur vom Wasser,&ldquo; sagte der
-Kranke. &bdquo;Es ist der einzige Traum, den ich ganze Tage und
-Nchte und ganze Monate trume, nur dann unterbrochen,
-wenn ich aus dem Schlafe auffahre. Erst im Sommer vergeht er,
-wenn ich das wirkliche Wasser sehe.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota schlo in schwachem Schwindel die Augen. &bdquo;Ich mchte
-nicht von strmendem Wasser trumen.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nein, das strmt berhaupt nicht,&ldquo; sagte der Kranke. &bdquo;Mir
-trumt nicht von wirklichem Wasser. Es ist das ein groer Flu,
-der ohne Regung steht, und auf ihm schwimmen Reflexe. Sie
-eilen auf ihm dahin wie jene Bltter, welche von der Strmung
-mitgerissen werden.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was fr Reflexe?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gespiegelte Dinge. Ufer, die sich in der Flche reflektieren.
-Sie gleiten ber das Wasser hin, rasch wie diese Wellen und
-kruseln es nicht. Vielleicht kommen sie bis vom Gebirge her.
-Es sind groe Bume, die sich still und mit der Krone abwrts
-zu neigen, als hingen sie in einen grundlosen Himmel hinein.
-Auch der Himmel gleitet auf diesem reglosen Flusse mit
-Sonne und Wolken und Sternen dahin. Ich sah die Reflexe von
-Bergen und Drfern am Fluufer mitsamt den Menschen dahinschwimmen.
-Ein andermal ist es ein weies einsames Haus oder
-ein erleuchtetes Fenster.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das ist ein absurder Traum,&ldquo; sagte Lhota.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ein furchtbarer. Manchmal segelt eine gespiegelte Stadt und
-Quais mit flammenden Lichtern. Auf der Flche bebt das Laub
-der Bume, als wehte der Wind, aber das Wasser kruselt sich
-nicht. Ein Mdchen ringt die weien Hnde und wird weitergetragen.
-Und ich sehe in der Spiegelung, als stnde jemand
-am andern Ufer und wollte auf mich blicken oder mir ein Zeichen
-geben; aber das Bild auf dem Wasser entgleitet mitsamt
-der an die Augen gelegten Hand.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Der Kranke schwieg eine Weile. &bdquo;Und manchmal&ldquo;, begann
-er wieder, &bdquo;ist es nur die brennende Laterne eines verlassenen
-Hafens am Ufer des Flusses; sie schaukelt wie im Novemberwind,
-<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
-und schwimmt davon. Nichts kann innehalten und nichts
-verweilt. Nichts runzelt das Wasser und nichts ist oberhalb oder
-auerhalb seiner. Die Ewigkeit ist frchterlich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota blickte schweigend in das Wasser; Welle um Welle
-kehrte endlos zu dem Gestein unter seinen Fen zurck und
-flo wieder ab in hartnckigem Spiel, das ihn reizte und beschwichtigte.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Oft erwache ich,&ldquo; redete der Kranke, &bdquo;mit Schwei bedeckt
-und zu Tode entsetzt; und da sage ich mir: Die Ewigkeit ist
-frchterlich. Welle um Welle kommt, um am Stein zu zerbrechen;
-Stein um Stein wlzt sich hinab zu den Wellen, die ihn davontragen.
-Aber ich habe eine Flche gesehen, die sich an nichts
-bricht und nicht zerbricht. Lichter und Schatten von Allem gleiten
-ber sie hin. Berge wlzen sich fort und Bume eilen von
-dannen; es schwimmen Stdte und Felsen, ein Mdchen ringt
-vergeblich die Hnde und Anfang und Ende der Welt gleitet
-vorbei wie eine Spiegelung. Eine Flche, die niemals sich kruselt
-und zu kruseln vermag. Die nichts berhrt und niemals
-berhren kann. Und wer hineinblickt, sieht immer nur bloe
-Reflexe der Dinge fliehen, der Wirklichkeit entledigt.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Auf dem Damm gegenber blieb ein Mann stehen und schaute
-eine Weile zu. &bdquo;Also was,&ldquo; rief er endlich, &bdquo;schnappen sie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie schnappen nicht,&ldquo; erwiderte der Kranke lustig. &bdquo;Ich sitze
-gern hier,&ldquo; sprach er wieder zu Lhota. &bdquo;Wenn ein Blatt in das
-Wasser fllt, dann zittert das Wasser, und auch ich zittere, aber
-ohne Angst. Manchmal bei Sonnenuntergang, da denke ich an
-Gott. Die Ewigkeit ist frchterlich.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Lhota wendete sich fragend.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Manchmal&ldquo;, fuhr der Sieche fort, &bdquo;sah ich ein so merkwrdiges
-Kruseln auf dem Wasser, da man nicht begreifen kann,
-woher es kommt. Manchmal bricht sich eine Welle und erglnzt
-schner als die andern; und es sind auch Erscheinungen am Himmel
-&mdash; das geschieht sehr selten. Und da denke ich mir: warum
-knnte das nicht Gott sein? Vielleicht ist er gerade das Flchtigste
-in der Welt; vielleicht ist auch seine Wirklichkeit ein jhes Brechen
-der Welle und ein Schimmer; unfabar, ausnahmsweise erscheint
-er, und vergeht &mdash;. Oft habe ich darber nachgedacht; aber
-sehn Sie, ich habe einen so kleinen Horizont, durch Jahre kam
-ich nicht weiter als hierher. Es ist mglich, da auch unter
-den Menschen ein solches Sichkruseln oder Aufblitzen sich
-ereignet und wieder zerbricht. Es mu zerbrechen. Die echte
-<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
-Wirklichkeit mu mit dem Untergang bezahlt werden. Ach,
-die Sonne versinkt schon.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Ein barfiges Mdchen stand schweigend hinter dem kranken
-Herrn. &bdquo;Ja, gehen wir,&ldquo; sagte der Sieche. &bdquo;Gute Nacht,
-Herr. Schauen Sie, jetzt, jetzt,&ldquo; zeigte er auf den Flu. &bdquo;Nie ist
-es zweimal dasselbe. Gute Nacht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Langsam und gleichgltig fhrte ihn das Mdchen nach Hause.
-Der Flu war perlmutterlicht, wechselnd ohne Ende, und Lhota
-schaute leise schwindelnd dem hartnckigen Spiel der Wellen zu.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-7">
-<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-DER WARTESAAL
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">I</span>ch verbringe die Nacht in der Restauration, dachte Zruba, als
-der Zug schon einfuhr, oder ausgestreckt irgendwo im Wartesaal;
-ich verschlafe drei oder vier Stunden, und mit dem ersten
-Morgenzuge fahre ich weiter. Gott, nur rasch! Noch verbleibt
-Hoffnung, und Alles kann gerettet werden; ach, so viele Stunden.
-</p>
-
-<p>
-Aber die Restauration war schon geschlossen und den einzigen
-Warteraum erfllte ein Soldatentransport. Sie schliefen auf Bnken
-und Tischen, lagen berall auf der Erde, den Kopf auf Tischleisten,
-auf Spucknpfe, auf zerknlltes Papier gebettet, das Gesicht
-zu Boden und gehuft wie Hgel von Leichen. Zruba
-rettete sich auf den Gang; es war kalt da, und zwei Gasflammen
-zitterten geqult in dem feuchten Halbdunkel, das vom Teer und
-Urin der Aborte stank; einige Menschen frstelten und ghnten
-auf den Bnken in der stumpfen Geduld langen Wartens. Aber es
-war wenigstens ein bichen Platz da, ein bichen Platz fr einen
-Menschen, wenigstens ein bichen Platz fr den stillen Schlummer
-eines Mden.
-</p>
-
-<p>
-Zruba fand eine Bank und lagerte sich so warm wie mglich,
-so fest wie nur mglich; aus sich selbst erbaute er einen Winkel
-fr seinen Schlaf, Bett, Bettleiste, Viereck, Asyl. &mdash; Ach, die Unbequemlichkeit,
-fuhr er aus dem Halbschlaf empor; wie nur die
-Glieder legen? Lange und angestrengt dachte er darber nach;
-schlielich kam ihm der kindliche Wunsch, zu liegen, und er
-streckte sich auf der Bank aus. Aber die Bank war zu kurz.
-Zruba kmpfte verzweifelt mit seinem Ausma, ergrimmt ber
-einen so rcksichtslosen Widerstand; schlielich lag er gleichsam
-gefesselt, regungslos, knabenhaft klein, und sah auf die
-groen funkelnden Kreise, die sich im Dunkeln drehen, auf die
-kreisenden Scheiben. &mdash; Ich schlafe ja schon, durchblitzte es ihn,
-und in diesem Augenblicke ffnete er die Augen; da sah er den
-Winkel zweier Wnde verschwimmen und ward furchtbar verwirrt:
-Wo bin ich denn? Was ist das eigentlich? Entsetzt suchte
-er eine Orientierung, vermochte aber weder Raum noch Richtung
-zu erraten; da raffte er alle Kraft zusammen und erhob sich.
-Neuerlich sah er den langen und kalten Gang, aber er sah ihn
-trauriger als frher, und erkannte, da er schon durchaus aus
-dem Schlafe gerissen sei und er versprte den bittern Geschmack
-des Wachens im Munde.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
-Auf die Knie gesttzt dachte er ber seine Angelegenheit nach.
-Das Letzte tun, sich fr die Rettung einzusetzen, ja, aber noch
-so viele Stunden! Zerstreut blickte er auf das schmutzige Pflaster
-des Ganges; er entdeckte zertretene Papiere, ekelhaften Auswurf,
-den Schmutz von zahllosen Fen &mdash; und das dort ist wie
-die Form eines Gesichts, Augen aus Kot und aus Speichel der
-Mund, abscheulich zu lcheln bemht ...
-</p>
-
-<p>
-Angeekelt hob er den Blick empor. Dort liegt ein Soldat auf
-der Bank, schlft mit hintenberhangendem Kopfe und sthnt
-wie ein Sterbender. Irgendeine Frau schlft, eines Mderls Haupt
-im Schoe; sie hat ein bses und armseliges Gesicht, sie schlft;
-aber das Mderl blickt mit blassen Augen und flstert etwas fr
-sich; es hat ein langes, vorstehendes Kinn und einen breiten
-Mund in mageren Bckchen, eine kindliche Greisin mit traurigen,
-weiten, fliegenden Augen. &mdash; Sieh da, der Beleibte, wie er schlft,
-aufgedunsen vor Schlfrigkeit, haltlos von der Bank fallend,
-erstaunt und stumpfsinnig; weiche Masse, die sich auf den ersten
-Sttzpunkt herabwlzt. &mdash; Unter einem grnen Hute blinzeln
-die schwarzen muntern Augen eines jungen Mannes. &bdquo;Komm
-her,&ldquo; pfeift er durch die Lcken der zerfressenen Zhne dem
-blaugigen Mdchen zu; &bdquo;komm her,&ldquo; flstert er und lacht.
-Das Mdchen windet sich verlegen und lchelt ein furchtbares
-greisenhaftes Lcheln; sie ist zahnlos. &bdquo;Komm her,&ldquo; pfeift der
-Jngling und setzt sich selber zu ihr. &bdquo;Wie heit du?&ldquo; Und
-streichelt ihr mit der flachen Hand die kleinen Knie. Das Mdchen
-lchelt ngstlich und unschn. Der schlafende Soldat rchelt
-wie in der Todesstunde. Zruba schttelte sich vor Klte und
-belkeit.
-</p>
-
-<p>
-Eine Stunde von Mitternacht. Die Zeit schlich qulend langsam
-dahin, und Zruba fhlte sich von ihr verschleppt, gedankenlos
-zerzogen in wachsender und zielloser Spannung. Gut,
-sagte er sich, ich schliee die Augen und halte es so ohne Gedanken,
-ohne Bewegung so lang wie mglich aus, ganze Stunden
-hindurch, bis sich die Zeit umwlzt. &mdash; Und so sa er starr
-da, zwang sich, mglichst lange auszuhalten; endlos stockte die
-Dauer der Minuten, ein Zhlen ohne Zahlen, Verzug um Verzug.
-&mdash; Endlich, nach unberlebbarer Zeit, ffnete er die Augen.
-Fnf Minuten nach Eins. Der Gang, die Papiere, das Kind, das
-gleiche verlegene, greisenhafte Lachen ... Nichts hatte sich verndert.
-Alles war zu unfortschreitender, bleibend naher Gegenwart
-erstarrt.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
-Und pltzlich entdeckte Zruba einen Menschen. Er sa regungslos
-wie er selbst in einem Winkel und schlief nicht. Der
-ist wie ich, dachte Zruba; er kann auch nicht schlafen wegen
-der Zeit. Woran denkt er? An das Warten ohne Ende wie ich?
-Der Mensch erbebte, wie wenn ihm diese Frage unlieb wre. Zruba
-blickte unwillkrlich in sein formloses Gesicht; er gewahrte
-darauf eine unruhige Bewegung, wie wenn jemand eine zudringliche
-Fliege verjagt. Auf einmal stand dieser Mensch auf, berschritt
-auf den Spitzen den Gang und setzte sich geradezu neben
-ihn.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ihnen war es unangenehm, da ich Sie ausschaue,&ldquo; sagte Zruba
-gedmpft.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ja.&ldquo; Beide schwiegen lang. &bdquo;Schauen Sie,&ldquo; flsterte endlich
-der Mensch und wies mit dem Finger auf die Erde, &bdquo;das da sieht
-aus wie ein menschliches Gesicht.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich habe schon vorhin geschaut.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie haben schon geschaut,&ldquo; wiederholte der Mensch schwermtig,
-&bdquo;Ihnen war also auch so &mdash;&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nichts ist schwerer als Warten,&ldquo; erwiderte der Mensch.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wie war mir?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Schwer. Es ist schwer zu warten. Was immer auch komme, es
-ist Erlsung. Warten ist schwer.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Weshalb reden Sie davon?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Weil es schwer ist, zu warten. Auch Sie haben Gesichter gelesen,
-geschrieben in Speichel und Staub. Auch Sie haben sich
-geqult. Nichts ist qualvoller als die Gegenwart.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warum?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Weil Warten schwer ist.&ldquo; Der Mensch verstummte und blickte
-zu Boden.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Wohin fahren Sie?&ldquo; fragte Zruba nach einer Weile.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich fahre nur so,&ldquo; antwortete der Gefragte zerstreut, &bdquo;zum
-Vergngen. Oft findet man nmlich schne Stdte. Sie fahren
-so weit, da Sie bereits an nichts mehr denken, und auf einmal
-sind Sie an einer solchen Stelle; es ist ein Bach oder Brunnen
-im Hain, oder Kinder, etwas Unerwartetes und Schnes &mdash; und
-da begreifen Sie berrascht, was Glck ist.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was ist Glck?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nichts. Sie begegnen ihm einfach. Es ist, kurz gesagt,
-zum Verwundern. Haben Sie je an die heidnischen Gtter gedacht?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
-&bdquo;Nein.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Das war so: Niemand erwartete sie, und unverhofft erblickte
-er sie. Irgendwo im Wasser oder im Gebsch oder in den Flammen.
-Deshalb waren sie so schn. Oh, wenn ich das ausdrcken
-knnte! Wenn ich es nur ausdrcken knnte!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warum denken Sie an Gtter?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Nur so. Dem Glck mu man rasch und unverhofft begegnen.
-Es ist solch ein besonderer Zufall! Solch ein jhes Ereignis, da
-man sagen mchte: ach, welch ein Abenteuer! Ist es Ihnen jemals
-begegnet?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Es ist mir begegnet.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Und da war Ihnen wie im Traum. Das Herrlichste ist nur
-ein Abenteuer. Dort, wo die Liebe aufhrt, ein Abenteuer zu
-sein, wird sie eine Qual.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warum, warum ist das so!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich wei nicht. Sie knnte nicht dauern, wenn sie keine
-Qual wre. Schauen Sie, die Alten hatten einen einzigen Namen
-fr Glck und Zufall. Aber es war ein Gttername.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Fortuna, dachte Zruba beklommen. Wenn sie mir begegnete
-auf dieser Reise! Aber es ist schwer, auf den Zufall zu warten!
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warten ist schwer,&ldquo; begann der Mensch wieder, &bdquo;so schwer
-und qulend, da, was immer Sie erwarten, Sie nur eines abwarten:
-des Wartens Ende, Erlsung vom Warten. So schwer,
-da das, was Sie als Erfllung erleben werden, weder schn
-noch glcklich mehr sein kann; sondern an sich sonderbar und
-gleichsam traurig, schmerzlich durch all dies Warten &mdash; ich wei
-es gar nicht zu sagen. Jede Erlsung ist so: niemals ist es das
-rechte Glck.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Warum sagt er das? dachte Zruba; wie, wre ich nicht glcklich,
-wenn ich die Erfllung erlebte?
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie haben Gott selber erwartet,&ldquo; fuhr der Mensch fort; &bdquo;ach,
-was fr ein Mensch ist da gekommen, um Sie vom Warten zu
-erlsen? Weder Ansehen noch Schnheit waren an ihm, der
-letzte der Mnner, ein Mann des Schmerzes; unsere Gebrechen
-hat er getragen und unsere Schmerzen ertragen, so als wre er
-gar kein Gott.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warum reden Sie davon?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Warten, sehen Sie, ist schwer; selbst einen Gott zerbricht und
-demtigt es. Erwarten Sie jahrelang irgendein Glck, ein groes
-und schnes Ereignis; endlich kommt es, irgendwie klein und
-trbselig wie irgendein Schmerz; aber Sie sagen: ja, Gott, das
-<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
-ist es, worauf ich so viele Jahre gewartet habe, auf da es mich
-erlse!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was meinen Sie damit?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Damit meine ich: Der einzige Lohn fr das Warten ist das
-Ende des Wartens; und nur darum steht das Warten dafr.
-Darum, darum ist es notwendig zu warten. Das ist der Sinn unseres
-Glaubens.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Welchen Glaubens?&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Welchen immer,&ldquo; sagte der Mensch und schwieg.
-</p>
-
-<p>
-Die Leute auf dem Gange erwachten und begannen herumzugehn.
-Das zahnlose Mderl war jetzt in den Armen der Mutter
-eingeschlafen, verloren unter dem Shawl. Etwas Leben strmte
-durch den Gang; es war ziellos und unordentlich, aber es regte
-sich und vermochte sich zu erhalten.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was haben Sie mit diesen Gttern gemeint?&ldquo; fragte Zruba
-pltzlich laut.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Sie waren schn,&ldquo; sagte der Mensch; &bdquo;es gengte blo Glck
-oder Zufall, um sie zu erblicken und dadurch selbst ein wenig
-ein Gott zu werden. Ich denke mir also: wunderlich ist das
-Glck, so beraus seltsam ist Schnheit und Glck, da es nur
-durch Wunder und Zufall geschehen kann. Aber wer wartet,
-der wartet auf etwas, das geschehen mu; etwas mu kommen,
-das sein Warten beendet. Sehen Sie, jeder wartet ..., auch Sie;
-wir sind vom Wege der Freude abgekommen, um groe Dinge
-zu erwarten. Ach, warten ist eine groe Spannung des Lebens,
-fast wie der Glaube. Aber je mehr wir warten &mdash; &mdash; <em>was immer
-auch komme, wir werden, wir werden erlst werden</em>.
-Schauen Sie, es ist schon Tag.&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-In den Bahnhof wlzte sich ein Menschenstrom herein mit
-Lachen, Husten und Geschrei. Wie ein groer Besen fuhr der
-Lrm durch den Gang, fegte die angesetzte Stille fort und blies
-die verstaubten Stimmen an. Die Passagiere erhoben sich von den
-Bnken, schttelten die Spinnweben des Schlummers ab und blickten
-einander ohne Mibehagen an, verbndet durch die gemeinsame
-Nacht. Aber drauen, hinter den Fenstern, dmmerte der Tag.
-</p>
-
-<p>
-Der Mensch, der gesprochen hatte, verlor sich Zruba zwischen
-den Leuten. Eine neue Schar, Fahrkarten, Geschrei und Glockenzeichen
-&mdash; der schwarze und lrmende Zug fuhr in den Bahnhof
-ein, verschlang die Schar, zischte, fauchte und fuhr dem Ziele
-zu. Gott, nur schnell, dachte Zruba, noch ist nicht alles verloren:
-noch bleibt Hoffnung.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-8">
-<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
-HILFE!
-</h2>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">E</span>r wurde gewahr, da er sich an einem weiten, mit schnen
-Bumen bewachsenen Hange befand. Das ist ja Frankreich,
-erriet er pltzlich, ich bin wohl in einen falschen Zug eingestiegen.
-Es ist wirklich ein seltsamer Zug, &mdash; lauter fremde Gesichter,
-die ber ihn lachen, als wre er schlecht gekleidet; und
-der Zug fhrt wild, da die Fenster klirren.
-</p>
-
-<p>
-Bro&#382; fuhr aus dem Traum empor. Jemand klopfte ans
-Fenster.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Was ist?&ldquo; schrie Bro&#382; mit verklebter Zunge.
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Ich bitte Sie,&ldquo; sagte drauen eine zitternde Frauenstimme,
-&bdquo;wenn Sie uns rasch zu Hilfe kmen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-&bdquo;Gehn Sie zum Teufel!&ldquo; erwiderte Bro&#382; wtend und whlte
-den Kopf in die Kissen hinein. Nur den zerrissenen Faden des
-Traums einzufangen! den Schlummer eben dort wieder anzuknpfen,
-wo er unterbrochen worden! Ein Zug, etwas von einem
-Zug, zwang sich Bro&#382;; und pltzlich fiel ihm peinlich klar
-ein: Ich htte fragen sollen, was ihnen geschehn ist!
-</p>
-
-<p>
-Er sprang aus dem Bett und lief das Fenster ffnen. Khl,
-schwarz wehte die de Nacht herein. &bdquo;Wer ist da?&ldquo; rief er, aber
-nichts antwortete. Da schttelte ihn die Klte, und er ging sich
-legen; in den Federbetten fand er seine eigene trockene Wrme
-wieder und geno sie gierig und unbegrenzt; wieder sanken
-ihm die Lider und die Glieder lockerten sich zu einem Komma.
-Ach, schlafen!
-</p>
-
-<p>
-Mit weit geffneten Augen schaute Bro&#382; in die Finsternis.
-Wer das wohl gewesen war? Niemand in diesem Dorf hier kmmert
-sich um mich. Wer hat bei mir Hilfe gesucht? Es war eine
-Frauenstimme. Es war eine unsglich schmerzliche Stimme.
-Vielleicht ging es ums Leben. brigens, ich bin kein Arzt. Aber
-vielleicht ging es ums Leben.
-</p>
-
-<p>
-Zerqult wandte sich Bro&#382; dem Fenster zu. Es zeichnete sich
-wie ein kaltblaues Rechteck in der schwarzen, raumlosen Dunkelheit
-ab. Nirgends brennt es. Es ist still, nur die Uhr zu Hupten
-tickt spitzig. Was ist nur geschehn? Was fr ein Unglck?
-Vielleicht ist es in der Nachbarschaft; jemand stirbt; irgendwo
-wird ratlos mit dem schweren Augenblick gekmpft. Ich bin
-schlielich kein Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Aber das Bett knarrt und brennt ermdend. Bro&#382; setzte sich
-<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
-im Bette auf und nahm gewohnheitsmig die Brille. Wodurch
-vermchte ich berhaupt, berlegte er, zu helfen? Wie nur zu
-ntzen? Verstehe ich mich denn auf etwas Hilfreiches? Gott,
-nicht einmal raten, nicht einmal trsten; nicht einmal mit Worten
-vermchte ich einen Teil der Last von irgend jemandem zu
-nehmen; nicht einmal durch Anteilnahme jemand zu sttzen.
-Ich will ja selber nichts, als Ruhe haben; als mich der andern
-zu entledigen. Was mag da geschehen sein?
-</p>
-
-<p>
-Indem fiel es ihm ein, die Lampe zu entznden. Vielleicht bemerken
-sie, da ich leuchte, sagte er sich, und kommen abermals.
-Ich werde leuchten wie ein Leuchtturm. Kommen sie, so
-frage ich, was geschehn ist; wenigstens erkenne ich, da ich wirklich
-nicht habe helfen knnen. &mdash; Im voraus getrstet bettete sich
-Bro&#382; die Polster hinter den Rcken; gespannt lauerte er, da
-das Pfrtchen knarren und dieselbe Frauenstimme hinterm Fenster
-bitten werde. Aber der tickende Gang der Uhr qulte ihn.
-Vergeblich bemhte er sich, sie zum Stehen zu bringen. Es war
-drei Uhr. Auf einmal schnrte ihm ein hliches Gewicht von
-Unruhe und Erregung die Brust zusammen. Niemand kam.
-</p>
-
-<p>
-Zgernd und hastig begann sich Bro&#382; anzukleiden. Sicherlich,
-sagte er sich, werden sie dort leuchten, wo etwas geschehen ist,
-und ich werde ans Fenster pochen. Sowieso wrde ich nicht
-mehr schlafen. Ich werde dort nichts ntzen, aber &mdash; vielleicht
-sind sie so ratlos &mdash; Bro&#382; verwirrte sich in der Hast und verfluchte
-leise die Schuhbnder; schlielich gelang ihm ein ungewhnlicher
-Knoten, und er lief vor das Haus hinaus.
-</p>
-
-<p>
-<a id="corr-4"></a>Es war schwarz, durchaus schwarz. Bro&#382; begab sich die Gasse
-hinab und suchte ein erleuchtetes Fenster; nie zuvor hatte er
-ein so bis ins Bewutlose entschlummertes Dorf gesehen, so
-fremd allem Wachenden, so fremd &mdash; nirgends waren klagende
-Nachtlampen, nirgends ein Lichtstreifen hinter den Fensterscheiben.
-Entsetzt hielt er inne vor der Kapelle: in den Fenstern
-zitterte und irrte das matte Licht einer Flamme. Die ewige Lampe,
-begriff er nach einer Weile und ging weiter; aber nirgends war
-beleuchtet; berall dunkel, nur etwas Blsse, von den Wnden
-ausgeschwitzt &mdash;.
-</p>
-
-<p>
-Leise kehrte Bro&#382; zurck und lauschte vor den stummen Huschen.
-Wird drinnen kein Jammern ertnen, wird nicht stille
-Ohnmacht erbeben? Wird keine Frauenstimme weinen? Bebend
-sondierte Bro&#382; die verschlossenen Rume des Schweigens; nichts,
-kein dichter Atem, nichts &mdash; fliegt nicht aus der Weite der Nacht,
-<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
-aus irgendeiner Ferne, von irgendeiner Seite der Welt ein herzzerreiender
-Schrei um Hilfe heran?
-</p>
-
-<p>
-Wie fremd ist diese schlafende Welt, die nicht spricht! Die
-nicht vor Schmerz aufschreit! Die nicht nach Erlsung ruft!
-Wenn jetzt der leiseste Klageruf sich erhbe, wrde er nicht
-feurig nach ihm langen, wrde er sich nicht an ihn lehnen wie
-an eine Sule, wrde er ihn nicht erfassen wie ein im Dunkel
-entzndetes Licht ...
-</p>
-
-<p>
-Andern willst du helfen, ertnte es spttisch und klar in ihm,
-und kannst dir selber nicht helfen! Aber was, dachte Bro&#382; in
-schmerzlichem Erstaunen, ist dem wirklich so? Doch eher darum,
-ach, <em>gerade darum</em>, weil du dir selber nicht helfen kannst &mdash;
-wer sich zu helfen vermag, wird sich selber helfen; aber du,
-der du dir nicht helfen kannst, hier bist es nicht eben du ...
-</p>
-
-<p>
-Bro&#382; blieb wie geschlagen stehen. Dir selber kannst du nicht helfen?
-Aber ist es denn wirklich so? Brauch ich berhaupt Hilfe ...
-von mir selbst oder von irgendwem? Ist mir so schlimm? Gott,
-das nicht! Ich lebe ja nach meinem Sinn und mehr will ich nicht.
-Nur meine Tage fr mich allein zu verleben. Ich habe keine
-unerfllten Wnsche. Vielleicht habe ich berhaupt keine
-Wnsche. Mir selbst kann ich nicht helfen ... Worin auch. Nie
-ist es mir in den Sinn gekommen. Bleibe alles, wie es ist: Tag
-um Tag, bis ins Unabsehbare.
-</p>
-
-<p>
-Tag um Tag? Bro&#382; setzte sich auf einen Eckstein und blickte
-unbewegt in die Finsternis, als trumte er heimlich den unterbrochenen
-Traum zu Ende; oder als trumte er ihn Tag um Tag,
-Monat und Jahr, bis ins Unabsehbare. &mdash; Nichts mehr verndert
-sich; was sollte sich auch ndern? Die Ereignisse fliehen und
-die Jahre vergehen; aber Tag um Tag kehrt zurck, so als geschhe
-berhaupt nichts. Ein Tag ist vergangen: was liegt daran?
-Es wird ja derselbe Tag, derselbe Tag mir morgen kommen. Nur
-wenn die Zeit vergeht!
-</p>
-
-<p>
-Und tglich kann ich mir sagen: Ich habe nichts verloren als
-einen Tag. Nichts mehr als einen Tag! Warum also diese Angst?
-Bro&#382; rieb sich hart die Stirn. Ich sollte mich fassen. Ich bin unausgeschlafen.
-Ich bin stehengeblieben, und die Tage sind um
-mich gewachsen wie Mauern; Tag um Tag haben sich glatt und
-schwer geschichtet wie Wnde. Schon erwache ich allmhlich:
-aber wird es ein neuer und niegewesener Tag sein, den ich ringsum
-finde? Oder ein Tag, zusammengesetzt aus tausend vergangenen
-&mdash; wie Mauern? Und sage ich mir wieder: das ist also wieder
-<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
-ein weiterer Tag unter tausend aufgerichteten &mdash; wie Mauern?
-Warum ist er geworden? gestern war doch nur um einen weniger!
-Stand es dafr, wegen dieses einen Tages zu erwachen?
-</p>
-
-<p>
-Alle Schlfrigkeit fiel pltzlich von ihm ab. Das ist ja ein Kerker,
-begriff er entsetzt; so viele Jahre habe ich wie im Kerker
-gelebt! Weit tat er die Augen auf; ihm war, als erhellten sich
-traurig all diese Jahre: seltsam fremd, seltsamer bekannt; alles,
-nichts, Tage ohne Zahl ... Ach, ein Kerker, ri sich Bro&#382; los.
-Werde ich denn niemals erwachen in niegewesenem Tag? Warte
-ich denn nicht tglich darauf (&mdash; ach, Kerker!) und <em>habe ich
-nicht vielleicht immer gewartet</em>, begriff er pltzlich
-(&mdash; vergangene Jahre klrten sich auf), ach, bin ich eigentlich nur
-deshalb stehen geblieben, um den ungeahnten Tag zu erwarten?
-</p>
-
-<p>
-Vergangene Jahre klrten sich auf. Sieh, Gott, flsterte Bro&#382;,
-zum Himmel emporblickend, ich verschweige es dir nicht lnger;
-ich habe auf deine Hilfe gewartet, auf eine wunderbare Erlsung;
-da ein groes Ereignis geschhe, ein jhes Licht in den Ritzen,
-und nach heftigen Schlgen in die Tr eine starke Stimme gebte:
-Lazarus, steh auf! So viele Jahre habe ich die Stimme des
-Siegers erwartet; du kamst nicht, und ich verlasse mich nicht
-mehr darauf.
-</p>
-
-<p>
-Aber wenn ich noch harre, so ist es auf Hilfe und Erlsung.
-Auf eine Stimme, die mich aus meinem Gefngnisse ruft. Vielleicht
-ist sie nicht so stark, sondern so schwach, da ich sie mit
-der eigenen Stimme untersttzen mu. Vielleicht ist es keine
-gebietende, sondern eine flehende Stimme: Lazarus, steh auf,
-uns zu helfen!
-</p>
-
-<p>
-&mdash; Dir selbst kannst du nicht helfen: wer wird dir helfen?
-Wer kommt dich befreien, der du es selbst nicht vermagst? Alles
-schlft in unbewutem Frieden; kindlich piept der Schmerz auf
-des Schlafenden Lippen; ein knabenhafter Traum, etwas von
-einem Zug, ein flchtiger Traum zeichnet sich an den Wnden
-des Gefngnisses ab. Aber unversehens kommt er &mdash; pocht an
-dein Fenster und ruft dich aus dem Traume der niegewesene
-Tag. Ob du ihn erkennst und unverschlafen aufspringst?
-</p>
-
-<p>
-Vielleicht hast du ein Weltbeben erwartet: hre ein stilles,
-flehendes Rufen. Vielleicht kommt der Tag, den du erwartest,
-gar nicht wie ein Feiertag; nur ein Wochentag, Montag des Lebens,
-neuer Tag.
-</p>
-
-<p>
-ber den Wldern wird es licht.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-9">
-<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
-INHALT
-</h2>
-
-<div class="table">
-<table class="toc" summary="TOC">
-<tbody>
- <tr>
- <td class="col1">&nbsp;</td>
- <td class="col_page">Seite</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Stocken der Zeit</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-5">5</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Historie ohne Worte</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-7">7</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Verlorener Weg</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-10">10</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Die Aufschrift</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-15">15</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Die Versuchung</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-19">19</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Spiegelung</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-23">23</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Der Wartesaal</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-27">27</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Hilfe!</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-32">32</a></td>
- </tr>
-</tbody>
-</table>
-</div>
-
-
-<div class="trnote">
-<p id="trnote" class="chapter"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="handheld-only">
-Im Original
-g&nbsp;e&nbsp;s&nbsp;p&nbsp;e&nbsp;r&nbsp;r&nbsp;t
-hervorgehobener Text wurde in einem <em>anderen Schriftstil</em> markiert.
-</p>
-
-<p>
-Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgefhrt (vorher/nachher):
-</p>
-
-<ul>
-
-<li>
-... <span class="underline">durchsichtigen</span> Bernstein; er ist einfach eingestellt. ...<br />
-... <a href="#corr-0"><span class="underline">durchsichtigem</span></a> Bernstein; er ist einfach eingestellt. ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Puerta <span class="underline">de</span> Sol, berlegte Je&#382;ek, Tor der Sonne; was hat er nur ...<br />
-... Puerta <a href="#corr-1"><span class="underline">del</span></a> Sol, berlegte Je&#382;ek, Tor der Sonne; was hat er nur ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Sicherlich wird er <span class="underline">etwa</span> sagen, dachte Je&#382;ek; es ist schwer, ...<br />
-... Sicherlich wird er <a href="#corr-2"><span class="underline">etwas</span></a> sagen, dachte Je&#382;ek; es ist schwer, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Jahre! Und pltzlich diese Lsung: dir kommt das freudige <span class="underline">und und</span> ...<br />
-... Jahre! Und pltzlich diese Lsung: dir kommt das freudige <a href="#corr-3"><span class="underline">und</span></a> ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... <span class="underline">Er</span> war schwarz, durchaus schwarz. Bro&#382; begab sich die Gasse ...<br />
-... <a href="#corr-4"><span class="underline">Es</span></a> war schwarz, durchaus schwarz. Bro&#382; begab sich die Gasse ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Kreuzwege, by Karel Capek
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZWEGE ***
-
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
-
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
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