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-The Project Gutenberg EBook of Gedichte, by Julius Maria Becker
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Gedichte
-
-Author: Julius Maria Becker
-
-Release Date: June 2, 2016 [EBook #52219]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
- Julius Maria Becker
-
-
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-
- Gedichte
-
-
- Kurt Wolff Verlag · Leipzig
-
- Bücherei »Der jüngste Tag«. Band 72
-
- Gedruckt bei Poeschel & Trepte, Leipzig
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-
-
- Johanni
-
-
- Als sich dein Haar den Berg entlang ergoß,
- Wogte das Weizenfeld in seinem gereiften Gold.
- Kornblumen dunkelten, wo noch eben dein Blick geweilt.
- Im silbernen Blütenstaub dämmert dein Odem hinab.
-
- Der Beter vorm Bildstock erfleht noch den Saaten Bestand:
- Es tränke sie Tau und der Sturm erachte des Halms.
- Dann schließt er auch dich in sein gilbes Gebet.
- Saum deines Kleides wehet den Tannen vorbei.
-
- Jetzt bette ich Müdsein in deine eratmete Saat,
- Erde ist kühl und dein Leib ist dem Sinne der Erde so nah.
- In Küssen beschwörst du den silbernen Abend heran.
- Blaß über Wimpern tanzt schon die Sichel des Monds.
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-
-
-
- Ich -- Du
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- Ich halte im Umkreis deiner Verflüchtung mich auf.
- Ich weile auch ferne der grenzenden Körperlichkeit.
- Ich wandle im blasseren Licht deines Heiligenscheins.
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- Du stehst im Abend und verdämmerst ganz still hinaus.
- Du streifst noch die Sterne und zitterst im Boden fort.
- Der Schleier sind viele, sind Wolken und wehen dich hin.
-
- Ich nehme das Beste von dir fern atmend in mich.
- Ich tränke mein Erdreich mit deinem durchgoldeten Tau.
- Ich helle den Traum mit deinem vergessenen Licht.
-
- Du bist wie zu Hause und weißt auch nicht, wie du mich nährst.
- Du senkst deinen Schatten, umwandelst dein Wurzelgerank.
- Du blühst und vergehst, doch die Ferne stammelt von dir.
-
- Ich pflanze dein Echo auf einen verewigten Stern.
- Ich rette die Strahlung des Bluts in eine bedürftige Nacht.
- Ich trage den Hauch, der noch blieb, auf meinem Fittich hinauf.
-
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-
-
- Dein Wesen ist über alle Welt zerstreut --
-
-
- Dein Wesen ist über alle Welt zerstreut,
- An alle Himmel verloren.
- Im Kelch von tausend Blumen sammle
- Ich dich ein.
-
- Ich werfe meine Netze weit im Meer
- Der Nachthimmel aus,
- Feierliche Sternbilder, worin dein Blick sich verewigt,
- Sammle ich in meinen Netzen.
-
- Ich eile zu gehen:
- Zurückholen will ich deinen Blick
- Aus allen vier Winden der Rose.
- Jedem deiner Gedanken reise ich nach.
-
- Ich behüte mit aufgestellten Windharfen,
- Die mein Lied dir brausen,
- Geliebte, dein waches, hellwaches Ohr.
-
- Ich will, daß deines Wesens
- Volle Pracht in einem heißen
- Kuß mich überschütte:
-
- O ja, Geliebte, bleibe in meiner Hand!
- Schwinde nicht fort aus meinen
- Verdämmernden Horizonten!
-
- Entferne dich nicht aus dem Goldrahmen
- Meines geruhigen Tags!
- Lästere nicht meinen Besitz an dir!
- Habe keine fremden Götter neben mir!
-
-
-
-
- Als ich im ersten Viertel des Monds --
-
-
- Als ich im ersten Viertel des Monds
- Ausgestreckt in den Rosen des Hügels lag,
- Kamst du -- ein wärmender Schatten -- heran,
- Gossest auf meine Stirne die Schale des Schlafs.
-
- Ich eilte in rötlichen Blätterstürzen -- im Herbst
- Und war deiner atmenden Nähe schon minder gewiß.
- Zeitlosen rahmten die Landschaft der Traurigkeit.
- Bei einer Harfe fand ich Zuflucht des Nachts.
-
- Winters, wenn ich den Eiskristall
- In das Licht der erstorbenen Sonne hob,
- Fremde, erschienest du nicht.
- Regenbogen umkreisten den ewigen Kern.
- Zierliche Sterne des Schnees
- Schmückten das Grab meiner Seele.
-
- Aber im Lenz, bald schwimmt die immergrüne Insel heran.
- Leidenschaftliche Sonne wühlt sich aus flimmerndem Gras.
- Auftaucht, von rosiger Muschel gehoben,
- Die Herbstliche, Nackte im Schaumgekräusel des Sees.
-
- Füllhörner schütten Farben und Blumen über dich hin.
- O wer darf dir jetzt
- Aus zauberischen Lüften den purpurnen,
- Rosenbestickten Mantel der Schönheit reichen?
-
- Auf erhöhtem Wagen ziehst du einher,
- An schlanke Deichsel sind goldgezäumte Rosse gespannt,
- Schwebende Frauen führen die lockeren Zügel.
- Weidenbüsche, die der Lufthauch deines Zuges berührt,
- Tönen mit allen Zweigen, Schalmeien gleich.
- Orgeln brausen inmitten des Schilfs.
- Überall zieht Morgenröte herauf.
-
- O und dein Wagen rast über mich hin.
- Um lodernde Achse rollt sprühend das Sonnenrad.
- Ich bin von den Bildern blitzender Sprossen umschattet.
- Silberner Wegstaub hüllt meinen Jammer ein.
-
-
-
-
- Es werde Licht
-
-
- Ich hatte diese Welt schon ganz in meinen Geist genommen
- Und sah nach innen, wo im Sphärendrehn
- Die düstern Bilder wechselten. -- Es war ein stetes Kommen
- Von Nachtgestalten -- stetiges Vergehn.
-
- Von Gram gebleicht, von Last gekrümmt und mit zerquerter Stirne
- So hing ich über diesem tiefsten See.
- Aus Spiegelquellen wuchs mein Wolkenhaupt wie Glanz der Firne.
- Die Wirbel kreisten um ein Tausend-Weh.
-
- Da kam der Tag. Mich rief ein Lied. Da war's, als hell im Frühen
- Sich diese Welt in deine Augen schwang.
- Da brach aus jedem Ding sein Kern des Lichts im Fächerblühen,
- Aus allen Wipfeln brauste der Gesang.
-
- So werd ich diese Nacht der Welt durch deinen Himmel tragen
- Und Träume sind der Möven Silberflug.
- Des bangen Tags Geschehen ist ein lautlos Ruderschlagen.
- Doch Güte kniet in Lämmern, sich genug.
-
-
-
-
- Lied
-
-
- Sie sind im Licht der Tagessonne
- Der Leiber zwei, der Seelen zwei,
- Sie streben sonder Wort und Wonne
- In weiten Kreisen sich vorbei.
-
- Er zieht mit jedem roten Morgen
- Die wachen Pfade streng hinauf;
- Im Köcher ist der Pfeil geborgen,
- Es ruht die Hand an Schwertes Knauf.
-
- Des Weibes Tag ist stiller Wandel
- Der Sonne um umlaubtes Haus,
- Ein ferner, süßer Duft von Sandel,
- An seinem Weg ein Blütenstrauß.
-
- Doch mit der Sonne Lichtvergluten
- Fällt beider Kreis aus ihrer Kraft
- Und dunkel muß zusammenfluten,
- Was tags sein Einzelsein erschafft.
-
- Baum, Strauch und Turm zerfließt ins Schweigen,
- Der Strom verebbt im weiten Tal;
- Der Himmelszeichen goldner Reigen
- Geht ein in diesen Sternensaal.
-
- Nichts will nun beide mehr umragen,
- Ein Grauen zwingt den Mann zum Weib.
- Von eines Odems Maß getragen,
- Durchblüht die Nacht ein Sein, ein Leib.
-
-
-
-
- Liebesode
-
-
- Dein Blick ist unsterblich in mir.
- Er hat ja erst wie ein Sonnenstrahl
- Mein dumpf-unseiendes Leben erweckt.
- Er hat ja erst die Sehnsucht erweckt.
- Dein Blick ist unsterblich in mir.
-
- Wir sanken, Glieder an Glieder gepreßt
- Und Mund an Mund
- Als Leib, lustvergessen ein Leib, ins Gras;
- Und tief der Himmel mit tausend Sternen
- Sank und deckte uns zu.
- O Himmel der Lust! O Grab der Lust!
- Aber dein Blick ist unsterblich in mir.
-
- Und, die du gebärst, die Kinder kreisen
- Als Sonnen auf eigen-beschriebener Bahn:
- Ein neues System. Ich hab es erregt.
- Nein, dein Blick hat es erregt.
- Und dein Blick ist unsterblich in mir.
-
- Unsterblicher als die Geschlechter nach mir.
- In meiner Seele, wenn alles, was Staub war,
- Staub wieder ist, lebt noch dein Blick,
- Ihr sphärisches Sein durchleuchtend mit mildem Strahl,
- Unsterblich ist dein Blick in mir.
-
- So wird meine Seele die Sehnsucht hegen,
- Wie tief ich gestorben, nach Leben im Fleische,
- Um voller zu fassen das schwebende Leben
- Im Blicke von dir zu mir,
- Unsterblich ist dein Blick in mir.
-
-
-
-
- Im Abenddämmern zwischen den Jahren --
-
-
- Nun muß ich nächtelang
- Vergeblich am Scheideweg der Milchstraße auf dich warten,
- Im Abenddämmern zwischen den Jahren
- Säumte ich drüben als der Mann im Mond.
-
- Früher konnte ich dich in den verzweigten Tälern
- Der Erde noch suchen gehn.
- Im bläulichen Frostlicht des Monds
- Schliefen die Hütten, im Schatten zerstreut.
-
- Doch irgendwo, drinnen, dein kristallener Atem
- Zeichnete Orchideen auf silberne Scheiben.
- Eisblumen -- die schönsten auf gläsernen Beeten der Nacht --
- Zeigten den Weg zum wärmenden Licht deines Kusses.
-
- Nun weiß ich dich nirgends zu finden.
- Ich suche die Träume der Jünglinge auf.
- Ich weiß es, in Nächten des klirrenden Siebengestirns
- Träumen sie immer nur dich,
- Träumen dich mit all deinem Lächeln, farbig im stillen
- Gedenken an mich.
- Nur in den Träumen Verliebter finde ich nochmals zu dir zurück.
-
-
-
-
- Der Kranke
-
-
- Abends wissen wir, wenn jach das erste Viertel
- Kalten Monds im Oberlichte reift,
- Wenn um silberisch Gewand den Sternengürtel
- Naher Abend zart mit Händen streift,
- Daß der Adler nun sein Nest
- Giererwacht, die Nacht auf Schwingen,
- Nacht zu bringen,
- Flügelgroß verläßt.
-
- Leises Rollen wie bei düstern Nachtgewittern
- Kündet, daß der fremde Vogel naht.
- Diesen Kranken dann befällt ein heftig Zittern
- Und er rüstet sich zur schwersten Tat,
- Atmet hart; und fast erstickt
- Ruft er Hilfe, wehrt mit Händen,
- Abzuwenden
- Unheil, blind geschickt.
-
- Durch geschlossene Fenster, schmal durch Schloß und Riegel,
- Sichtbar nur dem heißen Fiebertraum,
- Schlägt's wie Schwefelflammen, bricht's wie Aschenflügel,
- Spreitet sich wie Fächer, Krone, Baum,
- Stürzt dem Kranken auf die Brust,
- Krallt sich fest mit krummen Klauen,
- Hell in blauen
- Augen thront die Lust
- Mit dem Schnabel dieses Kranken Fleisch zu spalten.
- Eine Sichel bohrt sich tief hinein,
- Wühlt hinab; das Herz in zuckenden Gewalten
- Blutet Funken, sprüht wie Feuerstein.
- Sieben Stunden währt die Not
- Und den Kranken hört man stöhnen,
- Gott verhöhnen
- Und er liegt wie tot.
-
- Heiße Tränen seh ich ihn aufs Kissen weinen,
- Das ihn wie ein Felsgeklüft umfängt,
- Und wir andern um sein Lager, Kinder, scheinen
- Steinernes Gebirg, das ihn bedrängt
- Und so wie Gebirge schweigt,
- Da wir ganz in Schmerz erstarrten,
- Zählen, warten,
- Bis der Morgen steigt.
-
- Unsre Blicke bohren sich ins Fensterdunkel,
- Unsre Blicke suchen morgenwärts.
- »Endigt, Venus, endigt nicht dein Lichtgefunkel?
- Findet Ruhe endlich nicht dies Herz?«
- Und ins Licht noch ganz versteckt,
- Mündet Glanz der blassern Sterne.
- Wolkenferne
- Kühn der Tag sich reckt.
-
- Ragt empor als Held mit goldenem Schild und Bogen,
- Ist im Sonnenkahn herbeigeschifft.
- Durch den Dämmer klirrend kommt ein Pfeil geflogen,
- Der durchs Fenster kühn den Vogel trifft.
- Lauter Jammer ist verweht,
- Selbst der Kranke atmet Wonne
- Bringt dir, Sonne,
- Froh sein Dankgebet.
-
-
-
-
- Nacht
-
-
- Sei zufrieden! Schon ringt sich der Abendstern aus totem Sonnenrot.
- Schmale Sichel des Monds schwimmt am gotischen Fenster vorbei.
- Das farbige Traumbuch des Tags entblättert im Wind.
- Atem des schlafenden Kinds eilt den Sternbildern voraus.
-
- Siehe, ich harre der göttlichen Huld dieser Nacht,
- Denn sie löst mir von Gliedern der trotzigen Ketten Geklirr
- Und ich wandre im schneeigen Licht vormitternächtigen Schlafs
- Lämmerumtanzt zu den äußersten Küsten der Seele.
-
- Überm veilchenfarbigen Segel am Fährenrand
- Dehnt sich im Sternengewoge das Meer der Unendlichkeit.
- Meine Harfe am schäumenden Kiel erbraust in die Nacht.
- Eure Hände, Geliebten, die einst ihr wart,
- Mischen sich still in atmender Saiten Geflecht.
-
- Nachtviolengeranke, so flicht sich der Sang um das Boot
- Und mich besitzt die Gemeinschaft der Erdeentschwerten.
- Aber schon dringen vom anderen Ufer Geräusche, erwacht,
- Helios schirrt die blendenden Rosse zur morgigen Sonnenfahrt.
- Und ich erwache zum Wissen der ärmlichsten Traurigkeit.
- Langsam wachse ich wieder ins Kettengefüge des leiblichen Tags.
-
-
-
-
- Ich komme aus meinen Träumen --
-
-
- Ich komme aus meinen Träumen euch zugereist.
- Ich habe meine Hände voll Glanz,
- In meinen Augen ist Licht des fernsten Gestirns.
- Ich will euch die Farben des Regenbogens bringen,
- Denn ihr seid ja so aschengrau,
- So erdgebrannten Gesichts.
- Ihr säuselt an Krankenbetten als Echo der giftigen Seufzer,
- Sterbet zehnmal des Tags und werdet
- Mit blechernen Trauermärschen zehnmal des Tags zu Grabe gebracht.
- Auswendig kennt ihr die Inschrift auf spiegelndem Marmor in Gold,
- Den ewigen Grabstein schleppt ihr auf Rücken das Leben entlang.
-
- Ihr sitzet am Schachbrett und haltet gedrechselten Läufer,
- Schwimmt auf dem Rauch des Cafés
- In euer brodelndes Nichts hinab,
- Gespenster, hört mich, Gebannte ins schattenzerworfene
- Nachttal der Erde:
- Ich komme aus meinen Träumen euch zugereist,
- Ich zünde nun farbige Feuer,
- Lasse die Girandolen kreisen,
- Eröffne das Lichtfest der Sterne,
- Wehe mit farbigen Phönixflügeln heran.
-
- Farbige Flügel mit Federn der trunkenen Asia
- Dehnen sich zwischen den Säulen im morgenrötlichen Tempel.
- O ich jage euch Sonnen über die Erde hin,
- Ihr sehet an blühenden Himmeln weit
- Lilienhände im Spiel der klingenden Saiten;
- Ihr sollt euch nach Blumen bücken, hört ihr!
- Kinder emporheben in den goldenen Stromfall des Lichts.
- Sehnen soll euch erfassen
- Nach dem göttlichen Tod im entflammtesten Kuß!
-
-
-
-
- So haben mich die Jahrtausende gesehn --
-
-
- So haben mich die Jahrtausende gesehn:
- Hochgebäumt über brodelndem Menschen-Weh.
- Ich war ein Springquell, mein Blutstrahl fiel
- In die tönende Muschel der Erde hinab.
-
- Deingedenken doch war das Rot am Abendhimmel der Schlacht,
- War im zehnfachen Tod die tastende Ewigkeit.
- Komm und brich den Glanz deiner Schönheit
- Lächelnd im Stromfall, wenn ich mich erdwärts ergieße!
-
- Denn so wird die Welt den fliehenden Augenblick schön
- Und ihr Abglanz spiegelt im Antlitz der Engel sich fort.
- Stürze sie ab!
- Geläuterter Widerschein sind wir, der entflieht.
-
-
-
-
- Fluch
-
-
- Auf euere Neroschädel treffe dieser Fluch!
- Euch war der Brudermord die beste Konjunktur,
- Euch war der Börsenzettel die präzise Uhr,
- Das Manometer, wo ihr grinsend -- o verrucht --
- In Ledersesseln mit umpolsterten Gesäßen
- Den letzten Stand der Blut-Flut lächelnd abgelesen.
-
- Ach, meine neue Welt, ich weiß ja keine Qual,
- So tief an tiefer Zeit, so weit an weitem Raum
- Und meinen großen Fluch, o Fluch! erreicht sie kaum.
- Denn schnürte ich euch auch an jeden Marterpfahl
- Und bräch mein heilig Zorngefäß an euch in Scherben,
- In tausend Blitzen könnt ihr doch nur einmal sterben!
-
- Drum seiet ihr -- ich will's! -- der Ewigkeit erwählt!
- Daß immer neu die Rache in Erfüllung geht,
- Sei euch der Tod die Stunde, wo ihr aufersteht
- Zu einem Leben, das gleich tausend Leben zählt.
- Aus jedem Euter sollt ihr euch das Sterben melken.
- Mit jedem Grashalm, jedem Blatt sollt ihr verwelken!
-
- Ich schmeiße euern Balg in jeden Erdvulkan,
- Ich warte, bis sein Ekel ihn zu Rande speit,
- Ich stürz ihn neuerdings in Glut und Flammenleid,
- Laß ihn hinab, zieh ihn empor wie Last am Kran
- Und will mich höhnisch in ekstatischem Ergötzen
- An seinen Tantalqualen tausend Jahre letzen.
-
- Ihr trankt der Brüder Blut aus tausendfachem Kelch,
- Verspeistet auch sein Herz und wurdet fett.
- Nun reiß ich's euch aus klirrendem Skelett
- Und werf es weit im Schnee der Arkten vor den Elch,
- Damit er's schlinge; daß im Gallenschleim es ende.
- Vielleicht auch findet es den Weg der Exkremente.
-
- Ich denke mir die Quellenstollen tief genug;
- Zehn Menschenalter sein sie finsterstes Verließ,
- Worin euch meine Faust von Schacht zu Schächten stieß,
- Erschaffend euch in jeder Ferne einen Trug
- Von Luft, Eratmung, hellem Glanz der Tageslichter:
- Doch meine Schlangen gürten eure Brüste dichter.
-
- Auf jedes Rad, wenn sich's im Staub der Rosse bäumt,
- Sei euer morscher Leib mit Strippen festgespannt,
- Aus jeder Rille, Hufesspur, dem Tritt im Sand
- Aufquelle euch ein Born von Blut, das schäumt,
- Und fülle eure Mäuler, peste auch in Nasen:
- So will ich mit euch durch die neuen Welten rasen!
-
-
-
-
- Apokalyptisches Gebet
-
-
- Nimm doch zurück, o Gott, in deine Stadt
- Von Jaspismauern, Häusern roten Golds,
- In heiliges Gezelt aus schmiegsam Zedernholz,
- So uns dein Grimm, o Gott, gesendet hat:
- Der Kräfte, Mächte, Engel Siebenzahl,
- Die auf uns geußen Schalen wilder Qual.
-
- Sieh, unsre Scheitel flammten auf und aschten grau!
- Was je in Schmerz geboren aus dem Weib,
- Wir decken ja mit blutbeströmtem Leib
- Das Kraterland der Erde; Blut ist Tau,
- Der alle Kelche füllt, aus Keltern träuft.
- Geschlecht der Sünde ward zum Tod gehäuft.
-
- Wo ragt das Schloß, das du erbauen wirst
- Aus Schläfenquadern: Haus der Menschheitsnot?
- Auf kahlen Straßen treibt der Kärrner Tod
- Den Maultierkarren, der von Schädeln birst.
- O düsterer Karren Karawanenzug!
- Der Krähen Volk zieht mit, die Nacht im Flug.
-
- In Höllengängen, wo Entsetzen Odemgift
- Aus dickverknäulten Brüdermassen zeugt,
- Im Rumpf des Schiffes, das dein Wehen beugt,
- In Tempeln ist es, wo dein Schwertstreich trifft.
- Wir finden auf der Erde, die wir groß geglaubt,
- Nicht ein Versteck für dieses Dornenhaupt.
-
- Kein Baum, wo im Geäst nicht wehend trieb
- Ein Absalon im letzten Stolz, kein Stein,
- Darunter nicht im Dunkeln das Gebein
- Der Mensch-Skorpione dorrte. Warum schrieb
- Dein Finger eine Sichel nur ans Firmament?
- Zulang die Ernte! -- Ende ohne End.
-
- Wie würgten Adler, Löwe ja und Stier
- In uns, o Gott, und knieen vor dem Lamm,
- Der weißen Wolke, die aus Nacht herfür
- Die Sonne deckte am gekreuzten Stamm!
- In zwanzig Zungen, Menschheit schreit zum Herrn:
- Auf reiner Schale reiche uns den Morgenstern!
-
-
-
-
- Altartiefe sollst du mir enthüllen --
-
-
- Herzschlag ist nirgends, doch Pochen der Maschine, doch
- Stundenschlag.
- Odem ist nirgends, doch Qualm der Fabrik, doch Giftgas.
- Sklavenrücken auf Schweißspuren mürrisch geschleppter Last
- Tragen den Fluch in Wüsten, ferne den Tempeln, hinaus.
-
- Dein Urgrund, o Mensch, ist Saatacker voll Unkraut und Moorsumpf,
- Ist Kammer voll Lava,
- Ist Bergwerk gestauter Nacht,
- Ist Tümpel des Drachen, ist Einöde der Schlange --
- Und Herdes Dumpfheit entsendet im Rauch
- Heillose Wechselgestalt des Seins.
-
- Sein, das in Kerkern liegt, treibt alpdrückenden Traum aus Licht.
- Völkerwanderungen, Untergänge, Sturz der Babeltürme, Fluten
- Geschlagener Heere auf Straßen, die Bäche des Blutes entlang:
- Dumpfer Widerstreit deiner Triebe gebiert die Phantome der Schlacht.
- Maschinengespenster mit hurtigem Arm: es schuf sie die Angst.
- Gier stiebt auf in den Mückenschwärmen der Pest.
- Aus rotem Blut hat dein Traum die Fahnen des Aufruhrs gehißt.
-
- Tempelwinkel der Seele aber, Altartiefe sollst du mir enthüllen,
- Verlorenen Weihrauchduft und zerbrochenen Heiligenschein,
- Vergessene Heimlichkeit, Kniebeugen der Sehnsucht, die Liebe,
- Dein Göttliches, deine stille Morgenschönheit, deine Psalmmelodie,
- Das Schneeskleid deiner Lammesgüte, den Blumenhauch, dein Herz!
-
-
-
-
- Erde -- o Erde
-
-
- Erde, o Erde,
- Wer hieß uns wandeln auf Blutäckern, auf Leichengefild,
- Wer hat uns zum Dünger bestellt
- Für Saatfrucht des Morgen, die eigenem Samen entsprießt?
-
- Zackiger Flügelschlag des Drachen
- Und sein Doppelstrahl aus goldenen Nüstern,
- Purpurbeschlagener Rachen des Löwen und Tigersprung,
- Schillernd herkriechende Schlangennähe und Ebers Zahn,
- Brüllende Zorngiere gehörnter Ure, Auswurf verschmitzten Lamas
- Und plattfüßig gewälzte Wucht der Bäre,
- Und Stachel und Biß und Hieb und Hinterhalt,
- Wurf, Stich, Überfall, Angriff -- Erde, o Erde:
- So drohet die Geste, mit der du dich gegen uns Schollensöhne
- erhobst,
- So sengt, brennt, giftet das Kleid deiner Feindschaft,
- So zündet der Glanz deines Harnischs, in Bilder der Angst zerträumt.
-
- Heillosestes Bild, du bist es uns -- Mensch! -- --
- Da schält uns Sonne aus Mitleidshüllen des Schlafs
- Und zieht uns im Strahlglanz aufs Festland der üppigsten Schlacht.
- Von Wunden löst sie das leichthin getrocknete Siegel
- Und zahllos -- im Bogen gekreuzt --
- Ergießt sich heiliger Springquell des Bluts.
-
- Erde, o Erde,
- Wo retten wir hin
- Ärmliches Unsgehören des Schlafs?
- O nähme Wipfel der Esche uns auf,
- Daß Sterne fielen in heiter beruhigten Traum
- O bettete See uns kühl, wo hoch die Glocken
- Aus Türmen läuten im grünen und goldenen Strom,
- O schliefen wir fort an Brüsten der seligsten Frau,
- Von Kindheitsliedern unendlich gewiegt! --
-
- Doch sollen wir träumens noch wissen,
- Wie grimmig wir tags uns mähten
- Zu Dünger -- zu Speise des Kots.
- Aus Tiefen grellt auf
- Funke gezückten Schwerts.
- Schlachtlärm tost in der heulenden Schnecke des Ohrs
- In Augen bricht nieder
- Stützen von Leibern quer weg über Lanzen
- Und Rücklingsbäumen von Pferden mit schmerzhaft geblecktem Gebiß.
-
- Erde, o Erde!
- Blut ist dein Trank,
- Fleisch ist hehre Speise deinem Mund.
- Dein Glanz, das Weltall durchdämmernd,
- Ist Glanz der Schwerter, geschwungen von Menschenhand.
- Dein Brausen auf blauer Sonnenbahn
- Ist Donner der niebeendeten Schlacht.
- Im Säulendrehn dein goldener Himmelsrauch
- Ist Opfergruß des getränkten Altars.
-
-
-
-
- Warum fällt denn nicht --
-
-
- Warum fällt denn nicht die Sonne, Herr, aus deiner Hand?
- Warum stürzen nicht im Strom der Falten
- Weithin klirrend die Gestirne nieder?
- Warum zittern nicht die fluchverwiesnen Erden,
- Dunkeln blutbeströmt beschämte Monde nicht?
- Warum welken nicht, vom Aschenatem angeweht,
- Bäume, Gräser, wie vom Wurzelwurm zernagt?
- Warum lodert nicht der Liebe Kuß verzehrend
- Flammend auf?
- Warum dorrt die Frucht im Kelch der Frauen nicht?
- Warum stirbt denn nicht im Tröstermund dein Gotteswort?
-
- Gott der Wüsten, du bist überlistet!
- Hast du nicht die sieben Farben einst ans Firmament gesetzt,
- Kündend, daß die Flut nie wiederkehre! --
- Doch es war nicht ausgemacht, ob Wassers, ob des Bluts,
- Und wir haben dich mit unserm Blut betrogen, Herr!
- Sieh, aus Flüssen, aus Kanälen quillt's,
- Aus den Ritzen des Planeten wie aus dorngekröntem Haupt!
- Denn gespiegelt sieht, o Herr, dein Ebenbild
- Lauernd Mensch im andern und sein Haß auf dich
- Treibt verwirrten Triebes splitternd zu zerschlagen
- Jenen Spiegel, fortzuscheuchen
- Schreckendes Phantom.
-
- O er trug ja welke Last des Daseins lang auf Schultern,
- Tempelschüler war er aller abgelebten Alter,
- Ward gelangweilt, ach, mit deiner Götzen
- Pfauenäugig bunter, ungezählter Schar,
- Ward von jedem grauen Wahn in Schlangenkreisen
- Tausend Jahre lang umhergenarrt.
-
- Hoch auf Wolken türme sich, o Gott, dein nah Gericht!
- Wehe Völker recken tausend Arme
- Brünstig deinem flammennahen Blitz entgegen,
- Gieren Nacht und Tag um Gnade der Zerstörung,
- Auszutilgen, was sich selbst mit Gram belud,
- Auszurotten, was sich selbst sein Gift gebar,
- Auszulöschen, was sein eignes Fleisch geschändet.
-
- Schall des Endes, wenn erhobene Posaunen
- Aus vier Winden letzten Gang verkünden:
- Töne bald und breche berstend in den Chor
- Dröhnenden Gemordes, ins Gebraus
- Dunklen Blutes, das an Säulen brandet
- Morschen Tempels
- Totgeglaubten Gotts.
-
-
-
-
- Es werden sich die Posaunen des Gerichts erheben --
-
-
- Es werden sich die Posaunen des Gerichts erheben.
- Aus einer Wolke, die sich erdwärts neigt,
- Ragen die schlanken, zuckenden Rohre --
- Tausend sind es an der Zahl --.
- Ihr Schall trifft lanzensteil, schwertschlank,
- Die Gewänder der Bläser bauschen sich im Erzgebraus
- Rund auf wie Schwanengefieder.
-
- Über der Erde aufgeworfenes Hügelland
- Ist wimmelnd hingebreitet alles Fleisch.
- Ganze Völker, Sippen, Jahrtausende reihen sich hügelan,
- Schultern von Frauen glänzen rhythmisch wie Wellenkämme im Meer.
- Haar stammt auf. Blicke dämmern in violettener Nacht.
-
- Und Schall der Posaunen nimmt sie auf stählernen Rücken,
- Die Zonen der Luft sind angefüllt von sanfthinschwebenden Leibern.
- Manche sind leicht, es trägt sie verschwimmendes Wolkenrot wie
- Rosenblätter;
- Andere hanteln an flatternden Tüchern sich hoch.
-
- Mütter bergen die Kinder in schützendem Arm,
- Nackthineilende Frauen decken mit schattenden Händen
- Die Scham.
- Augen sind, in denen die Welt wie berstender Sternhimmel
- ineinanderstürzt,
- Augen voll Schuld und traumvergessener Angst,
- Greller, tagheller Wiederkehr verjährtester Tat.
-
- Und keiner möchte
- Der Erste sein vor dem Blitz aus der goldenen Wolke,
- Männer mit Würdebärten drängen sich vor, weichen voll Zagens zurück.
- Es stauen sich Völker, Mauern des Fleischs
- Und Leiber sind angstvoll vermischt
- Im Mantel der ungewissesten Qual.
-
- Jenseits aber ist Stürzen in klaffende Tiefen,
- Girlanden aus wirrvoll verschlungenen Körpern
- Ranken aus helleren Tiefen ins Dunkel hinab.
- Sünder haben die Hände vors schreiende Antlitz geschlagen,
- Knie zerbersten, Rücken zerbrechen im schwindelnden Fall.
- Loderndes Haar flammt züngelnd dem Feuer entgegen.
- Sie stürzen mit Köpfen voraus.
- Aus Mündern dünstet die bläuliche Wolke des Fluchs.
-
-
-
-
- Wenn drunten dunkel die Posaunen brausen --
-
-
- Wenn drunten dunkel die Posaunen brausen,
- Als Sonnenstäubchen werde ich zum Lichtquell aufwärtsstreben.
- Von feinen Händen fühl ich unter Schultern mich gefaßt,
- Mich trägt ein Schwanenflügelpaar,
- Der goldne Odem eines Engels überströmt mich warm.
-
- Noch bin ich ganz von Schollenlast betäubt,
- Noch kreisen Regenbogen hinter wehgeschlossnen Lidern
- Glanzlichternd gleitet noch die grüne Schlange der Verwesung
- Um meinen marmorn-abgekühlten Leib.
- Ein Wiegenlied -- unendlich tief, verschlafen --
- Von Äolsharfen weit aus Pappelwipfeln hergeflockt,
- Träumt mir im Ohre nach.
- Ich schwimme müd-gestreckt im Fluß der Sonne.
-
- Da fällt mich, den sein Schutzgeist trug,
- Ein Nachtgespenst, ein fledermausgeflügelt Untier an.
- Der Krallen Zwölfzahl -- Monde sind's, die aneinanderklirren --
- Stürzt sich gleich Sicheln in mein trübes Fleisch.
- Die Nüstern qualmen stinkendes Gewölk,
- Das Maul bespeit mich frech mit Eiter, Schleim und Galle;
- Erschrocken sehe ich in grausem Hundsgesicht,
- In Augen, die wie Licht im Wind verflackern,
- Die schlankgestreckte Landschaft meiner Sünden, Frevel Süchte.
-
- Um mich tobt der Zweikampf.
- Manchmal sinke ich hinab, es stürzt mit geiler Wucht
- Des Bösen lastendes Gewicht auf mich;
- Dann steige ich empor, vom guten Geist emporgerafft,
- Sein silbern Flügelpaar verebbt in müder Luft.
- Die müde Luft erklingt von hellem Kampf.
- Um die Erstandnen rast die Schlacht entzweiter Mächte.
- In sich verbissne Knäuel schweben hin.
- Stürzt jetzt die Last in enger Krallenhaft zur Erde.
- Schwebt sie mit ihrem Engel siegend auf?
- Ich bin der Kräfte Spiel im schalldurchbrausten Meer.
-
-
-
-
- Trümmer
-
-
- Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese
- Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen;
- Roll sie ins Meer, zerstreue sie in Steppen,
- Daß keiner käme, meine Torheit priese.
- Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese
- Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen.
-
- Mein Babelturm ließ seine Wolkenfahne
- Im Wirbelwehn der Sterne wütend kreisen.
- Gewundne Treppen wollten aufwärtsweisen,
- Dem wachen Hochmut seinen Himmelssteig zu bahnen.
- Mein Turm des Ichs ließ seine Wolkenfahne
- Im Wirbelwehn der Sterne wütend kreisen.
-
- Doch fiel in müdern Stunden, sollt ich rasten,
- Der Turm mit Schattenmacht auf Haupt und Glieder
- Und beugte meinen Schlaf und warf mich nieder.
- In meine Träume stürzt er seine Quaderlasten.
- Es fiel in müdern Stunden, sollt ich rasten,
- Der Turm mit Schattenmacht auf Haupt und Glieder.
-
- Geschaffne Mauern wölbten mir den Kerker,
- Doch oben brannten Sterne in den Haaren.
- Wie sollte ich mein blassres Licht bewahren?
- Kein Wirbelsturm der Täler tobte ärger.
- Geschaffne Mauern wölbten mir den Kerker,
- Doch oben brannten Sterne in den Haaren.
-
- Da war ich's selber, der auf der Altane
- Mit schwurerhobner Hand den Blitz gerufen.
- Er zückte nieder. Erker barsten, Stuben.
- Zerworfner Schutt begrub die Wolkenfahne.
- Da war ich's selber, der auf der Altane
- Mit schwurerhobner Hand den Blitz gerufen.
-
- Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese
- Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen;
- Roll sie ins Meer, zerstreue sie in Steppen,
- Daß keiner käme, meine Torheit priese.
- Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese
- Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen.
-
-
-
-
- Trost
-
-
- Es sind auch nicht all, o Gott, deine Gedanken
- Nur Lämmer, von gütlicher Wärme beschneite,
- Und dehnen nicht all sich
- Nach seligem Tanz an Hängen von Klee
- In süßen Schalmeiton des schläfrigen Monds.
-
- In Pfauen auch denkst du
- Und starrst in gespreizter Eitelkeitsgier
- Aus Augen, in Fächern,
- Vom Tempelteppich gewirkten Allsehens
- In ewige Brunst des Lichts hinein.
-
- In Tigers Kraft selbst dunkelt dein Groll,
- Entflammt im Zinnober des Rachens noch Gier.
- In Schlangen wirft Hinterlist metallischen Schimmers
- So giftigen Ring vor ein ärmer Geschöpf.
-
- Auch bist du ja Flamme und Lohe und Feuersbrunst,
- Getümmelte Wogenherde, Zentaurenschar, Schlund,
- Bist Zickzack und Blitz, Erdbeben, Vulkanausbruch,
- Zusammenprall der Planeten, bist Untergang.
-
- Doch wie du es bist, Gott: auch ich muß es sein.
- O wandle mich denn in schwindenden Formen ab!
- Denn Flamme schon war ich und Lohe und Feuersbrunst,
- Erd-Erbeben -- Vulkanausbruch -- Untergang.
- Als Tiger der Dschungeln ich trug
-
- Im Nacken gefiederte Pfeile hinab,
- Schweifte als Pfau an Tempelsäulen der Juno vorbei,
- Lag lauernd geschmiegten Schlangenleibs
- Im Schatten der lehmigen Diele zur Nacht. --
-
- Gib Güte nun endlich,
- Wärme des schneeigen Lämmerkleids!
- Hülle mein Herz, o Gott,
- In Sehnsucht der Hirtenschalmei!
-
-
-
-
- Der neue Mensch
-
-
- Aus Unform, Irrform, Wirrform,
- Aus Zwitterform und Aberform der Zeit
- Schreitet in banger Zuversicht der neue Mensch.
- Die Brodemnebel veraschter Leichenhügel
- Sind unter ihm.
- Die Meere gekelterten Bluts, die Ströme, die Schaum krönt,
- Sind unter ihm.
- Die Babeltürme versteinter Irrtümer
- Sind unter ihm.
-
- Er schreitet: mehr Stirne als Kinn, mehr Gott als Tier.
- Im Zackengeklüfte der Felsen
- Nur manchmal hört er das Echo
- Verworrenen Brudermords, verjährten Totschlags.
- Denn jung war er noch, als Donner verzückter Kanonen
- Die alten Jahrtausende pomphaft zu Grabe geläutet.
- Das war einmal:
- Schwertertag und Lorbeersieg,
- Klirrender Klingenkampf und Triumphglanz,
- Das war einmal:
- Irgendwo, fern, irgendwann.
-
- Er schreitet in nacktem Verzicht.
- Er badet sich rein
- Im weißen Quell des Gedankens.
-
- Er nimmt -- lächelnd, großmütig und gütig --
- Den armen Planeten in warme, umgitternde Hände
- Und hebt ihn hinauf in den läuternden
- Lichtstrom der Sonne, bettet ihn sanft in die kühlen
- Heilenden Rosen der Morgenröte und wartet
- Des dämmernden Tags.
- Nicht wissen durchaus will er des Gestern.
- Denn Gestern: Das ist ja gesammelter Fluch,
- Geballtes Verhängnis, genetztes, tausendmaschig
- Gefädeltes Schicksal. Nicht wissen will er des Gestern.
-
- In Schutt sieht er stürzen
- Dorische Säulen, Akanthus und gotische Fenster,
- Gemauerte Schreie des Gottwahns verblichener Zeiten
- Er fället der Götzen glanzbäuchige Hochmut
- Und glüht in den Bränden des Alten sein jugendlich Herz,
- Dies Pfand der Allmacht,
- Die brausende Mitte des neuen, schaffenden Seins.
-
- Und also weiß er zu beten: -- Nichts über mir!
- Im Anfang war ich. Ich werde im Ende sein,
- Bin ich doch Tempel, Gott, Beter zugleich
- Und krümme den Rücken so wenig der mummenumschanzten Hoheit
- Als Lasten, die fremder Wille mir auflädt.
- Ich bin so berechtigt als irgend ein Mensch.
- Nichts über mir!
-
- Frauen will ich nicht suchen gehn. Sie nahen allein!
- In ihrem Lächeln der Wollust
- Einschleichend wälzen sich früheste Alter der Erde
- In unseren kornreifen, ausgeglätteten Sommertag.
- Die List ihrer Buhlschaft reicht uns die rostigen Schwerter
- Hellbrünstigen Zweikampfs. Besitzgier und Eifersüchte
- Spornen in uns nichtigen Krämergeist, Hamstersorge.
- Wütendes Morden des Fleischs,
- Wer stiftet es anders, als die es gebar: Helena,
- Die maskenschöne Mutter der irdischen Kriege?
- Wer säh sich nicht vor!
-
-
-
-
- Die Fahrt
-
-
- Offenem Lichtkreis, neuem Sonnejahr
- Rollt steuernder Kiel der Erde entgegen.
- Noch sind alle Segel von blutendem Abend rot;
- Im Brackwasser ertrinkt in tausend Rubinen zerstäubter Komet.
- Tief-Schlummernder bin ich,
- Da scheucht erster Strahl den Alpdruck der engen Kabine.
- Mitternächtiger Wintertraum unter Dächern des Schnees
- Kleidet vergessene Spiegel mit jauchzendem Lenzgrün aus,
- Tollt mit zerfetztem Haar im Glanz die Alleen entlang,
- Jubelt im Birkenwipfel des Hügels ein harfenes Lied,
- Sinkt als Frühtau mit kreisenden Himmeln die Kelche hinab.
-
- Im Golfstrom des Lichtes saust glühende Erde empor.
- Mit herzhafter Kraft umgürtet die Sonne das taumelnde Rund.
- Ihr Licht trinkt die haftenden Dämpfe des Blutes hinweg,
- Ihr heilender Atem saugt Pestgift und Brandhauch in sich.
-
- Nun steig ich hinauf,
- Letzte Wendeltreppen,
- Schattenlabyrinthe hinauf!
- Trunkener Aufstieg peitscht schon die tummelnden Wogen des Herzens
- voraus.
- Und ich stehe an höchstem Bord, auf fliegender Brücke am Steuerrad
- Und winke die farbigen Vögel heran
- Und winke Delphine heran
- Und Fische mit silbernen Schuppen, mit güldenen Flossen
- Und Haie und Wale und Robben und Rosse
- Und alle geschäumten Wogen, die von den Polen schießen,
- Und alle Sternbilder, auf schaukelnden Wassern an Bord gewiegt.
-
- Der neue Mensch hält auf die Sonne zu.
- Sein Herz umfaßt mit dem Strahlglanz den magischen Spiegel der Welt
- Und jeglicher Atem strömt in den goldenen Becher zurück.
- Mit ihm wird die Erde das fährliche Kap der Nächte umschiffen,
- Krieg, Krankheit, Entzweiung, Verzweiflung umschiffen
- Und Ekel der Wollust
- Und Blutgier
- Und Brunst.
-
- Zermürbte Monde schon decken die Schädelstätte entfremdeter Nacht.
- Träume versinken im Blachfeld der Not.
- Alpdruck und Nachtmahr gurgeln im Sumpf hinab.
- Denn offenem Lichtkreis, neuem Sonnejahr
- Rollt steuernder Kiel der Erde entgegen.
-
- All-Lebendes wandelt im Goldtau sein Herz
- Und trägt es mir zu. Aus Palmenwipfeln
- Wiegt sich fasanenbeschwingte Sehnsucht heran,
- Aus Ranken der Beere dehnt es sich nah,
- Zinnoberne Schnecken herkriechen auf silberner Spur.
-
- Die Fahrt ist im Gang,
- Die Erde im Brausen tönt selber Triumphgesang.
- Folgt alle!
- Ich steure die Arche auf goldener Flut!
- Schon ist die Taube auf Wegen zu Gott voraus!
-
-
-
-
- Inhaltsübersicht
-
-
- Johanni 5
- Ich -- Du 6
- Dein Wesen ist über alle Welt zerstreut -- 7
- Als ich im ersten Viertel des Monds -- 9
- Es werde Licht 11
- Lied 12
- Liebesode 13
- Im Abenddämmern zwischen den Jahren -- 14
- Der Kranke 15
- Nacht 18
- Ich komme aus meinen Träumen -- 20
- So haben mich die Jahrtausende gesehn -- 22
- Fluch 23
- Apokalyptisches Gebet 25
- Altartiefe sollst du mir enthüllen -- 27
- Erde -- o Erde 29
- Warum fällt denn nicht -- 32
- Es werden sich die Posaunen des Gerichts erheben -- 34
- Wenn drunten dunkel die Posaunen brausen -- 36
- Trümmer 38
- Trost 40
- Der neue Mensch 42
- Die Fahrt 45
-
-
-
-
-Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-
- [S. 10]:
- ... An schlanke Deichsel sind goldgezäunte Rosse gespannt, ...
- ... An schlanke Deichsel sind goldgezäumte Rosse gespannt, ...
-
- [S. 11]:
- ... So hing ich über diesem tiefstem See. ...
- ... So hing ich über diesem tiefsten See. ...
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Gedichte, by Julius Maria Becker
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE ***
-
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-
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-
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
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-electronic works. See paragraph 1.E below.
-
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-<title>The Project Gutenberg eBook of Gedichte, by Julius Maria Becker</title>
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-
-The Project Gutenberg EBook of Gedichte, by Julius Maria Becker
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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-
-Title: Gedichte
-
-Author: Julius Maria Becker
-
-Release Date: June 2, 2016 [EBook #52219]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
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-
-
-<div class="frontmatter">
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-
-</div>
-
-<div class="frontmatter">
-<p class="aut">
-Julius Maria Becker
-</p>
-
-<h1 class="title">
-Gedichte
-</h1>
-
-<p class="pub">
-Kurt Wolff Verlag · Leipzig
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter">
-<p class="ser">
-Bücherei &bdquo;Der jüngste Tag&ldquo;. Band 72
-</p>
-
-<p class="printer">
-Gedruckt bei Poeschel &amp; Trepte, Leipzig
-</p>
-
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-1">
-<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-<span class="line1">Johanni</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Als sich dein Haar den Berg entlang ergoß,</p>
- <p class="verse">Wogte das Weizenfeld in seinem gereiften Gold.</p>
- <p class="verse">Kornblumen dunkelten, wo noch eben dein Blick geweilt.</p>
- <p class="verse">Im silbernen Blütenstaub dämmert dein Odem hinab.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Der Beter vorm Bildstock erfleht noch den Saaten Bestand:</p>
- <p class="verse">Es tränke sie Tau und der Sturm erachte des Halms.</p>
- <p class="verse">Dann schließt er auch dich in sein gilbes Gebet.</p>
- <p class="verse">Saum deines Kleides wehet den Tannen vorbei.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Jetzt bette ich Müdsein in deine eratmete Saat,</p>
- <p class="verse">Erde ist kühl und dein Leib ist dem Sinne der Erde so nah.</p>
- <p class="verse">In Küssen beschwörst du den silbernen Abend heran.</p>
- <p class="verse">Blaß über Wimpern tanzt schon die Sichel des Monds.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-2">
-<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a>
-<span class="line1">Ich &mdash; Du</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich halte im Umkreis deiner Verflüchtung mich auf.</p>
- <p class="verse">Ich weile auch ferne der grenzenden Körperlichkeit.</p>
- <p class="verse">Ich wandle im blasseren Licht deines Heiligenscheins.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Du stehst im Abend und verdämmerst ganz still hinaus.</p>
- <p class="verse">Du streifst noch die Sterne und zitterst im Boden fort.</p>
- <p class="verse">Der Schleier sind viele, sind Wolken und wehen dich hin.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich nehme das Beste von dir fern atmend in mich.</p>
- <p class="verse">Ich tränke mein Erdreich mit deinem durchgoldeten Tau.</p>
- <p class="verse">Ich helle den Traum mit deinem vergessenen Licht.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Du bist wie zu Hause und weißt auch nicht, wie du mich nährst.</p>
- <p class="verse">Du senkst deinen Schatten, umwandelst dein Wurzelgerank.</p>
- <p class="verse">Du blühst und vergehst, doch die Ferne stammelt von dir.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich pflanze dein Echo auf einen verewigten Stern.</p>
- <p class="verse">Ich rette die Strahlung des Bluts in eine bedürftige Nacht.</p>
- <p class="verse">Ich trage den Hauch, der noch blieb, auf meinem Fittich hinauf.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-3">
-<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
-<span class="line1">Dein Wesen</span><br />
-<span class="line2">ist über alle Welt zerstreut &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Dein Wesen ist über alle Welt zerstreut,</p>
- <p class="verse">An alle Himmel verloren.</p>
- <p class="verse">Im Kelch von tausend Blumen sammle</p>
- <p class="verse">Ich dich ein.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich werfe meine Netze weit im Meer</p>
- <p class="verse">Der Nachthimmel aus,</p>
- <p class="verse">Feierliche Sternbilder, worin dein Blick sich verewigt,</p>
- <p class="verse">Sammle ich in meinen Netzen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich eile zu gehen:</p>
- <p class="verse">Zurückholen will ich deinen Blick</p>
- <p class="verse">Aus allen vier Winden der Rose.</p>
- <p class="verse">Jedem deiner Gedanken reise ich nach.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich behüte mit aufgestellten Windharfen,</p>
- <p class="verse">Die mein Lied dir brausen,</p>
- <p class="verse">Geliebte, dein waches, hellwaches Ohr.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich will, daß deines Wesens</p>
- <p class="verse">Volle Pracht in einem heißen</p>
- <p class="verse">Kuß mich überschütte:</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">O ja, Geliebte, bleibe in meiner Hand!</p>
- <p class="verse">Schwinde nicht fort aus meinen</p>
- <p class="verse">Verdämmernden Horizonten!</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
- <p class="verse">Entferne dich nicht aus dem Goldrahmen</p>
- <p class="verse">Meines geruhigen Tags!</p>
- <p class="verse">Lästere nicht meinen Besitz an dir!</p>
- <p class="verse">Habe keine fremden Götter neben mir!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-4">
-<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
-<span class="line1">Als ich</span><br />
-<span class="line2">im ersten Viertel des Monds &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Als ich im ersten Viertel des Monds</p>
- <p class="verse">Ausgestreckt in den Rosen des Hügels lag,</p>
- <p class="verse">Kamst du &mdash; ein wärmender Schatten &mdash; heran,</p>
- <p class="verse">Gossest auf meine Stirne die Schale des Schlafs.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich eilte in rötlichen Blätterstürzen &mdash; im Herbst</p>
- <p class="verse">Und war deiner atmenden Nähe schon minder gewiß.</p>
- <p class="verse">Zeitlosen rahmten die Landschaft der Traurigkeit.</p>
- <p class="verse">Bei einer Harfe fand ich Zuflucht des Nachts.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Winters, wenn ich den Eiskristall</p>
- <p class="verse">In das Licht der erstorbenen Sonne hob,</p>
- <p class="verse">Fremde, erschienest du nicht.</p>
- <p class="verse">Regenbogen umkreisten den ewigen Kern.</p>
- <p class="verse">Zierliche Sterne des Schnees</p>
- <p class="verse">Schmückten das Grab meiner Seele.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Aber im Lenz, bald schwimmt die immergrüne Insel heran.</p>
- <p class="verse">Leidenschaftliche Sonne wühlt sich aus flimmerndem Gras.</p>
- <p class="verse">Auftaucht, von rosiger Muschel gehoben,</p>
- <p class="verse">Die Herbstliche, Nackte im Schaumgekräusel des Sees.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Füllhörner schütten Farben und Blumen über dich hin.</p>
- <p class="verse">O wer darf dir jetzt</p>
-<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
- <p class="verse">Aus zauberischen Lüften den purpurnen,</p>
- <p class="verse">Rosenbestickten Mantel der Schönheit reichen?</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Auf erhöhtem Wagen ziehst du einher,</p>
- <p class="verse">An schlanke Deichsel sind gold<a id="corr-0"></a>gezäumte Rosse gespannt,</p>
- <p class="verse">Schwebende Frauen führen die lockeren Zügel.</p>
- <p class="verse">Weidenbüsche, die der Lufthauch deines Zuges berührt,</p>
- <p class="verse">Tönen mit allen Zweigen, Schalmeien gleich.</p>
- <p class="verse">Orgeln brausen inmitten des Schilfs.</p>
- <p class="verse">Überall zieht Morgenröte herauf.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">O und dein Wagen rast über mich hin.</p>
- <p class="verse">Um lodernde Achse rollt sprühend das Sonnenrad.</p>
- <p class="verse">Ich bin von den Bildern blitzender Sprossen umschattet.</p>
- <p class="verse">Silberner Wegstaub hüllt meinen Jammer ein.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-5">
-<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
-<span class="line1">Es werde Licht</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich hatte diese Welt schon ganz in meinen Geist genommen</p>
- <p class="verse">Und sah nach innen, wo im Sphärendrehn</p>
- <p class="verse">Die düstern Bilder wechselten. &mdash; Es war ein stetes Kommen</p>
- <p class="verse">Von Nachtgestalten &mdash; stetiges Vergehn.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Von Gram gebleicht, von Last gekrümmt und mit zerquerter Stirne</p>
- <p class="verse">So hing ich über diesem <a id="corr-2"></a>tiefsten See.</p>
- <p class="verse">Aus Spiegelquellen wuchs mein Wolkenhaupt wie Glanz der Firne.</p>
- <p class="verse">Die Wirbel kreisten um ein Tausend-Weh.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Da kam der Tag. Mich rief ein Lied. Da war&rsquo;s, als hell im Frühen</p>
- <p class="verse">Sich diese Welt in deine Augen schwang.</p>
- <p class="verse">Da brach aus jedem Ding sein Kern des Lichts im Fächerblühen,</p>
- <p class="verse">Aus allen Wipfeln brauste der Gesang.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">So werd ich diese Nacht der Welt durch deinen Himmel tragen</p>
- <p class="verse">Und Träume sind der Möven Silberflug.</p>
- <p class="verse">Des bangen Tags Geschehen ist ein lautlos Ruderschlagen.</p>
- <p class="verse">Doch Güte kniet in Lämmern, sich genug.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-6">
-<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
-<span class="line1">Lied</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Sie sind im Licht der Tagessonne</p>
- <p class="verse">Der Leiber zwei, der Seelen zwei,</p>
- <p class="verse">Sie streben sonder Wort und Wonne</p>
- <p class="verse">In weiten Kreisen sich vorbei.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Er zieht mit jedem roten Morgen</p>
- <p class="verse">Die wachen Pfade streng hinauf;</p>
- <p class="verse">Im Köcher ist der Pfeil geborgen,</p>
- <p class="verse">Es ruht die Hand an Schwertes Knauf.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Des Weibes Tag ist stiller Wandel</p>
- <p class="verse">Der Sonne um umlaubtes Haus,</p>
- <p class="verse">Ein ferner, süßer Duft von Sandel,</p>
- <p class="verse">An seinem Weg ein Blütenstrauß.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Doch mit der Sonne Lichtvergluten</p>
- <p class="verse">Fällt beider Kreis aus ihrer Kraft</p>
- <p class="verse">Und dunkel muß zusammenfluten,</p>
- <p class="verse">Was tags sein Einzelsein erschafft.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Baum, Strauch und Turm zerfließt ins Schweigen,</p>
- <p class="verse">Der Strom verebbt im weiten Tal;</p>
- <p class="verse">Der Himmelszeichen goldner Reigen</p>
- <p class="verse">Geht ein in diesen Sternensaal.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nichts will nun beide mehr umragen,</p>
- <p class="verse">Ein Grauen zwingt den Mann zum Weib.</p>
- <p class="verse">Von eines Odems Maß getragen,</p>
- <p class="verse">Durchblüht die Nacht ein Sein, ein Leib.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-7">
-<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
-<span class="line1">Liebesode</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Dein Blick ist unsterblich in mir.</p>
- <p class="verse">Er hat ja erst wie ein Sonnenstrahl</p>
- <p class="verse">Mein dumpf-unseiendes Leben erweckt.</p>
- <p class="verse">Er hat ja erst die Sehnsucht erweckt.</p>
- <p class="verse">Dein Blick ist unsterblich in mir.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Wir sanken, Glieder an Glieder gepreßt</p>
- <p class="verse">Und Mund an Mund</p>
- <p class="verse">Als Leib, lustvergessen ein Leib, ins Gras;</p>
- <p class="verse">Und tief der Himmel mit tausend Sternen</p>
- <p class="verse">Sank und deckte uns zu.</p>
- <p class="verse">O Himmel der Lust! O Grab der Lust!</p>
- <p class="verse">Aber dein Blick ist unsterblich in mir.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Und, die du gebärst, die Kinder kreisen</p>
- <p class="verse">Als Sonnen auf eigen-beschriebener Bahn:</p>
- <p class="verse">Ein neues System. Ich hab es erregt.</p>
- <p class="verse">Nein, dein Blick hat es erregt.</p>
- <p class="verse">Und dein Blick ist unsterblich in mir.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Unsterblicher als die Geschlechter nach mir.</p>
- <p class="verse">In meiner Seele, wenn alles, was Staub war,</p>
- <p class="verse">Staub wieder ist, lebt noch dein Blick,</p>
- <p class="verse">Ihr sphärisches Sein durchleuchtend mit mildem Strahl,</p>
- <p class="verse">Unsterblich ist dein Blick in mir.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">So wird meine Seele die Sehnsucht hegen,</p>
- <p class="verse">Wie tief ich gestorben, nach Leben im Fleische,</p>
- <p class="verse">Um voller zu fassen das schwebende Leben</p>
- <p class="verse">Im Blicke von dir zu mir,</p>
- <p class="verse">Unsterblich ist dein Blick in mir.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-8">
-<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
-<span class="line1">Im Abenddämmern</span><br />
-<span class="line2">zwischen den Jahren &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nun muß ich nächtelang</p>
- <p class="verse">Vergeblich am Scheideweg der Milchstraße auf dich warten,</p>
- <p class="verse">Im Abenddämmern zwischen den Jahren</p>
- <p class="verse">Säumte ich drüben als der Mann im Mond.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Früher konnte ich dich in den verzweigten Tälern</p>
- <p class="verse">Der Erde noch suchen gehn.</p>
- <p class="verse">Im bläulichen Frostlicht des Monds</p>
- <p class="verse">Schliefen die Hütten, im Schatten zerstreut.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Doch irgendwo, drinnen, dein kristallener Atem</p>
- <p class="verse">Zeichnete Orchideen auf silberne Scheiben.</p>
- <p class="verse">Eisblumen &mdash; die schönsten auf gläsernen Beeten der Nacht &mdash;</p>
- <p class="verse">Zeigten den Weg zum wärmenden Licht deines Kusses.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nun weiß ich dich nirgends zu finden.</p>
- <p class="verse">Ich suche die Träume der Jünglinge auf.</p>
- <p class="verse">Ich weiß es, in Nächten des klirrenden Siebengestirns</p>
- <p class="verse">Träumen sie immer nur dich,</p>
- <p class="verse">Träumen dich mit all deinem Lächeln, farbig im stillen</p>
- <p class="verse">Gedenken an mich.</p>
- <p class="verse">Nur in den Träumen Verliebter finde ich nochmals zu dir zurück.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-9">
-<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
-<span class="line1">Der Kranke</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Abends wissen wir, wenn jach das erste Viertel</p>
- <p class="verse">Kalten Monds im Oberlichte reift,</p>
- <p class="verse">Wenn um silberisch Gewand den Sternengürtel</p>
- <p class="verse">Naher Abend zart mit Händen streift,</p>
- <p class="verse">Daß der Adler nun sein Nest</p>
- <p class="verse">Giererwacht, die Nacht auf Schwingen,</p>
- <p class="verse">Nacht zu bringen,</p>
- <p class="verse">Flügelgroß verläßt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Leises Rollen wie bei düstern Nachtgewittern</p>
- <p class="verse">Kündet, daß der fremde Vogel naht.</p>
- <p class="verse">Diesen Kranken dann befällt ein heftig Zittern</p>
- <p class="verse">Und er rüstet sich zur schwersten Tat,</p>
- <p class="verse">Atmet hart; und fast erstickt</p>
- <p class="verse">Ruft er Hilfe, wehrt mit Händen,</p>
- <p class="verse">Abzuwenden</p>
- <p class="verse">Unheil, blind geschickt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Durch geschlossene Fenster, schmal durch Schloß und Riegel,</p>
- <p class="verse">Sichtbar nur dem heißen Fiebertraum,</p>
- <p class="verse">Schlägt&rsquo;s wie Schwefelflammen, bricht&rsquo;s wie Aschenflügel,</p>
- <p class="verse">Spreitet sich wie Fächer, Krone, Baum,</p>
- <p class="verse">Stürzt dem Kranken auf die Brust,</p>
- <p class="verse">Krallt sich fest mit krummen Klauen,</p>
- <p class="verse">Hell in blauen</p>
- <p class="verse">Augen thront die Lust</p>
-<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
- <p class="verse">Mit dem Schnabel dieses Kranken Fleisch zu spalten.</p>
- <p class="verse">Eine Sichel bohrt sich tief hinein,</p>
- <p class="verse">Wühlt hinab; das Herz in zuckenden Gewalten</p>
- <p class="verse">Blutet Funken, sprüht wie Feuerstein.</p>
- <p class="verse">Sieben Stunden währt die Not</p>
- <p class="verse">Und den Kranken hört man stöhnen,</p>
- <p class="verse">Gott verhöhnen</p>
- <p class="verse">Und er liegt wie tot.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Heiße Tränen seh ich ihn aufs Kissen weinen,</p>
- <p class="verse">Das ihn wie ein Felsgeklüft umfängt,</p>
- <p class="verse">Und wir andern um sein Lager, Kinder, scheinen</p>
- <p class="verse">Steinernes Gebirg, das ihn bedrängt</p>
- <p class="verse">Und so wie Gebirge schweigt,</p>
- <p class="verse">Da wir ganz in Schmerz erstarrten,</p>
- <p class="verse">Zählen, warten,</p>
- <p class="verse">Bis der Morgen steigt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Unsre Blicke bohren sich ins Fensterdunkel,</p>
- <p class="verse">Unsre Blicke suchen morgenwärts.</p>
- <p class="verse">&bdquo;Endigt, Venus, endigt nicht dein Lichtgefunkel?</p>
- <p class="verse">Findet Ruhe endlich nicht dies Herz?&ldquo;</p>
- <p class="verse">Und ins Licht noch ganz versteckt,</p>
- <p class="verse">Mündet Glanz der blassern Sterne.</p>
- <p class="verse">Wolkenferne</p>
- <p class="verse">Kühn der Tag sich reckt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ragt empor als Held mit goldenem Schild und Bogen,</p>
- <p class="verse">Ist im Sonnenkahn herbeigeschifft.</p>
-<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
- <p class="verse">Durch den Dämmer klirrend kommt ein Pfeil geflogen,</p>
- <p class="verse">Der durchs Fenster kühn den Vogel trifft.</p>
- <p class="verse">Lauter Jammer ist verweht,</p>
- <p class="verse">Selbst der Kranke atmet Wonne</p>
- <p class="verse">Bringt dir, Sonne,</p>
- <p class="verse">Froh sein Dankgebet.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-10">
-<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-<span class="line1">Nacht</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Sei zufrieden! Schon ringt sich der Abendstern aus totem Sonnenrot.</p>
- <p class="verse">Schmale Sichel des Monds schwimmt am gotischen Fenster vorbei.</p>
- <p class="verse">Das farbige Traumbuch des Tags entblättert im Wind.</p>
- <p class="verse">Atem des schlafenden Kinds eilt den Sternbildern voraus.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Siehe, ich harre der göttlichen Huld dieser Nacht,</p>
- <p class="verse">Denn sie löst mir von Gliedern der trotzigen Ketten Geklirr</p>
- <p class="verse">Und ich wandre im schneeigen Licht vormitternächtigen Schlafs</p>
- <p class="verse">Lämmerumtanzt zu den äußersten Küsten der Seele.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Überm veilchenfarbigen Segel am Fährenrand</p>
- <p class="verse">Dehnt sich im Sternengewoge das Meer der Unendlichkeit.</p>
- <p class="verse">Meine Harfe am schäumenden Kiel erbraust in die Nacht.</p>
- <p class="verse">Eure Hände, Geliebten, die einst ihr wart,</p>
- <p class="verse">Mischen sich still in atmender Saiten Geflecht.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nachtviolengeranke, so flicht sich der Sang um das Boot</p>
- <p class="verse">Und mich besitzt die Gemeinschaft der Erdeentschwerten.</p>
-<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
- <p class="verse">Aber schon dringen vom anderen Ufer Geräusche, erwacht,</p>
- <p class="verse">Helios schirrt die blendenden Rosse zur morgigen Sonnenfahrt.</p>
- <p class="verse">Und ich erwache zum Wissen der ärmlichsten Traurigkeit.</p>
- <p class="verse">Langsam wachse ich wieder ins Kettengefüge des leiblichen Tags.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-11">
-<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-<span class="line1">Ich komme</span><br />
-<span class="line2">aus meinen Träumen &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich komme aus meinen Träumen euch zugereist.</p>
- <p class="verse">Ich habe meine Hände voll Glanz,</p>
- <p class="verse">In meinen Augen ist Licht des fernsten Gestirns.</p>
- <p class="verse">Ich will euch die Farben des Regenbogens bringen,</p>
- <p class="verse">Denn ihr seid ja so aschengrau,</p>
- <p class="verse">So erdgebrannten Gesichts.</p>
- <p class="verse">Ihr säuselt an Krankenbetten als Echo der giftigen Seufzer,</p>
- <p class="verse">Sterbet zehnmal des Tags und werdet</p>
- <p class="verse">Mit blechernen Trauermärschen zehnmal des Tags zu Grabe gebracht.</p>
- <p class="verse">Auswendig kennt ihr die Inschrift auf spiegelndem Marmor in Gold,</p>
- <p class="verse">Den ewigen Grabstein schleppt ihr auf Rücken das Leben entlang.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ihr sitzet am Schachbrett und haltet gedrechselten Läufer,</p>
- <p class="verse">Schwimmt auf dem Rauch des Cafés</p>
- <p class="verse">In euer brodelndes Nichts hinab,</p>
- <p class="verse">Gespenster, hört mich, Gebannte ins schattenzerworfene</p>
- <p class="verse">Nachttal der Erde:</p>
- <p class="verse">Ich komme aus meinen Träumen euch zugereist,</p>
- <p class="verse">Ich zünde nun farbige Feuer,</p>
-<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
- <p class="verse">Lasse die Girandolen kreisen,</p>
- <p class="verse">Eröffne das Lichtfest der Sterne,</p>
- <p class="verse">Wehe mit farbigen Phönixflügeln heran.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Farbige Flügel mit Federn der trunkenen Asia</p>
- <p class="verse">Dehnen sich zwischen den Säulen im morgenrötlichen Tempel.</p>
- <p class="verse">O ich jage euch Sonnen über die Erde hin,</p>
- <p class="verse">Ihr sehet an blühenden Himmeln weit</p>
- <p class="verse">Lilienhände im Spiel der klingenden Saiten;</p>
- <p class="verse">Ihr sollt euch nach Blumen bücken, hört ihr!</p>
- <p class="verse">Kinder emporheben in den goldenen Stromfall des Lichts.</p>
- <p class="verse">Sehnen soll euch erfassen</p>
- <p class="verse">Nach dem göttlichen Tod im entflammtesten Kuß!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-12">
-<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
-<span class="line1">So haben</span><br />
-<span class="line2">mich die Jahrtausende gesehn &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">So haben mich die Jahrtausende gesehn:</p>
- <p class="verse">Hochgebäumt über brodelndem Menschen-Weh.</p>
- <p class="verse">Ich war ein Springquell, mein Blutstrahl fiel</p>
- <p class="verse">In die tönende Muschel der Erde hinab.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Deingedenken doch war das Rot am Abendhimmel der Schlacht,</p>
- <p class="verse">War im zehnfachen Tod die tastende Ewigkeit.</p>
- <p class="verse">Komm und brich den Glanz deiner Schönheit</p>
- <p class="verse">Lächelnd im Stromfall, wenn ich mich erdwärts ergieße!</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Denn so wird die Welt den fliehenden Augenblick schön</p>
- <p class="verse">Und ihr Abglanz spiegelt im Antlitz der Engel sich fort.</p>
- <p class="verse">Stürze sie ab!</p>
- <p class="verse">Geläuterter Widerschein sind wir, der entflieht.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-13">
-<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
-<span class="line1">Fluch</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Auf euere Neroschädel treffe dieser Fluch!</p>
- <p class="verse">Euch war der Brudermord die beste Konjunktur,</p>
- <p class="verse">Euch war der Börsenzettel die präzise Uhr,</p>
- <p class="verse">Das Manometer, wo ihr grinsend &mdash; o verrucht &mdash;</p>
- <p class="verse">In Ledersesseln mit umpolsterten Gesäßen</p>
- <p class="verse">Den letzten Stand der Blut-Flut lächelnd abgelesen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ach, meine neue Welt, ich weiß ja keine Qual,</p>
- <p class="verse">So tief an tiefer Zeit, so weit an weitem Raum</p>
- <p class="verse">Und meinen großen Fluch, o Fluch! erreicht sie kaum.</p>
- <p class="verse">Denn schnürte ich euch auch an jeden Marterpfahl</p>
- <p class="verse">Und bräch mein heilig Zorngefäß an euch in Scherben,</p>
- <p class="verse">In tausend Blitzen könnt ihr doch nur einmal sterben!</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Drum seiet ihr &mdash; ich will&rsquo;s! &mdash; der Ewigkeit erwählt!</p>
- <p class="verse">Daß immer neu die Rache in Erfüllung geht,</p>
- <p class="verse">Sei euch der Tod die Stunde, wo ihr aufersteht</p>
- <p class="verse">Zu einem Leben, das gleich tausend Leben zählt.</p>
- <p class="verse">Aus jedem Euter sollt ihr euch das Sterben melken.</p>
- <p class="verse">Mit jedem Grashalm, jedem Blatt sollt ihr verwelken!</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich schmeiße euern Balg in jeden Erdvulkan,</p>
- <p class="verse">Ich warte, bis sein Ekel ihn zu Rande speit,</p>
- <p class="verse">Ich stürz ihn neuerdings in Glut und Flammenleid,</p>
- <p class="verse">Laß ihn hinab, zieh ihn empor wie Last am Kran</p>
- <p class="verse">Und will mich höhnisch in ekstatischem Ergötzen</p>
- <p class="verse">An seinen Tantalqualen tausend Jahre letzen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
- <p class="verse">Ihr trankt der Brüder Blut aus tausendfachem Kelch,</p>
- <p class="verse">Verspeistet auch sein Herz und wurdet fett.</p>
- <p class="verse">Nun reiß ich&rsquo;s euch aus klirrendem Skelett</p>
- <p class="verse">Und werf es weit im Schnee der Arkten vor den Elch,</p>
- <p class="verse">Damit er&rsquo;s schlinge; daß im Gallenschleim es ende.</p>
- <p class="verse">Vielleicht auch findet es den Weg der Exkremente.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Ich denke mir die Quellenstollen tief genug;</p>
- <p class="verse">Zehn Menschenalter sein sie finsterstes Verließ,</p>
- <p class="verse">Worin euch meine Faust von Schacht zu Schächten stieß,</p>
- <p class="verse">Erschaffend euch in jeder Ferne einen Trug</p>
- <p class="verse">Von Luft, Eratmung, hellem Glanz der Tageslichter:</p>
- <p class="verse">Doch meine Schlangen gürten eure Brüste dichter.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Auf jedes Rad, wenn sich&rsquo;s im Staub der Rosse bäumt,</p>
- <p class="verse">Sei euer morscher Leib mit Strippen festgespannt,</p>
- <p class="verse">Aus jeder Rille, Hufesspur, dem Tritt im Sand</p>
- <p class="verse">Aufquelle euch ein Born von Blut, das schäumt,</p>
- <p class="verse">Und fülle eure Mäuler, peste auch in Nasen:</p>
- <p class="verse">So will ich mit euch durch die neuen Welten rasen!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-14">
-<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
-<span class="line1">Apokalyptisches Gebet</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nimm doch zurück, o Gott, in deine Stadt</p>
- <p class="verse">Von Jaspismauern, Häusern roten Golds,</p>
- <p class="verse">In heiliges Gezelt aus schmiegsam Zedernholz,</p>
- <p class="verse">So uns dein Grimm, o Gott, gesendet hat:</p>
- <p class="verse">Der Kräfte, Mächte, Engel Siebenzahl,</p>
- <p class="verse">Die auf uns geußen Schalen wilder Qual.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Sieh, unsre Scheitel flammten auf und aschten grau!</p>
- <p class="verse">Was je in Schmerz geboren aus dem Weib,</p>
- <p class="verse">Wir decken ja mit blutbeströmtem Leib</p>
- <p class="verse">Das Kraterland der Erde; Blut ist Tau,</p>
- <p class="verse">Der alle Kelche füllt, aus Keltern träuft.</p>
- <p class="verse">Geschlecht der Sünde ward zum Tod gehäuft.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Wo ragt das Schloß, das du erbauen wirst</p>
- <p class="verse">Aus Schläfenquadern: Haus der Menschheitsnot?</p>
- <p class="verse">Auf kahlen Straßen treibt der Kärrner Tod</p>
- <p class="verse">Den Maultierkarren, der von Schädeln birst.</p>
- <p class="verse">O düsterer Karren Karawanenzug!</p>
- <p class="verse">Der Krähen Volk zieht mit, die Nacht im Flug.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">In Höllengängen, wo Entsetzen Odemgift</p>
- <p class="verse">Aus dickverknäulten Brüdermassen zeugt,</p>
- <p class="verse">Im Rumpf des Schiffes, das dein Wehen beugt,</p>
- <p class="verse">In Tempeln ist es, wo dein Schwertstreich trifft.</p>
- <p class="verse">Wir finden auf der Erde, die wir groß geglaubt,</p>
- <p class="verse">Nicht ein Versteck für dieses Dornenhaupt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
- <p class="verse">Kein Baum, wo im Geäst nicht wehend trieb</p>
- <p class="verse">Ein Absalon im letzten Stolz, kein Stein,</p>
- <p class="verse">Darunter nicht im Dunkeln das Gebein</p>
- <p class="verse">Der Mensch-Skorpione dorrte. Warum schrieb</p>
- <p class="verse">Dein Finger eine Sichel nur ans Firmament?</p>
- <p class="verse">Zulang die Ernte! &mdash; Ende ohne End.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Wie würgten Adler, Löwe ja und Stier</p>
- <p class="verse">In uns, o Gott, und knieen vor dem Lamm,</p>
- <p class="verse">Der weißen Wolke, die aus Nacht herfür</p>
- <p class="verse">Die Sonne deckte am gekreuzten Stamm!</p>
- <p class="verse">In zwanzig Zungen, Menschheit schreit zum Herrn:</p>
- <p class="verse">Auf reiner Schale reiche uns den Morgenstern!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-15">
-<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-<span class="line1">Altartiefe</span><br />
-<span class="line2">sollst du mir enthüllen &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Herzschlag ist nirgends, doch Pochen der Maschine, doch Stundenschlag.</p>
- <p class="verse">Odem ist nirgends, doch Qualm der Fabrik, doch Giftgas.</p>
- <p class="verse">Sklavenrücken auf Schweißspuren mürrisch geschleppter Last</p>
- <p class="verse">Tragen den Fluch in Wüsten, ferne den Tempeln, hinaus.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Dein Urgrund, o Mensch, ist Saatacker voll Unkraut und Moorsumpf,</p>
- <p class="verse">Ist Kammer voll Lava,</p>
- <p class="verse">Ist Bergwerk gestauter Nacht,</p>
- <p class="verse">Ist Tümpel des Drachen, ist Einöde der Schlange &mdash;</p>
- <p class="verse">Und Herdes Dumpfheit entsendet im Rauch</p>
- <p class="verse">Heillose Wechselgestalt des Seins.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Sein, das in Kerkern liegt, treibt alpdrückenden Traum aus Licht.</p>
- <p class="verse">Völkerwanderungen, Untergänge, Sturz der Babeltürme, Fluten</p>
- <p class="verse">Geschlagener Heere auf Straßen, die Bäche des Blutes entlang:</p>
- <p class="verse">Dumpfer Widerstreit deiner Triebe gebiert die Phantome der Schlacht.</p>
-<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
- <p class="verse">Maschinengespenster mit hurtigem Arm: es schuf sie die Angst.</p>
- <p class="verse">Gier stiebt auf in den Mückenschwärmen der Pest.</p>
- <p class="verse">Aus rotem Blut hat dein Traum die Fahnen des Aufruhrs gehißt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Tempelwinkel der Seele aber, Altartiefe sollst du mir enthüllen,</p>
- <p class="verse">Verlorenen Weihrauchduft und zerbrochenen Heiligenschein,</p>
- <p class="verse">Vergessene Heimlichkeit, Kniebeugen der Sehnsucht, die Liebe,</p>
- <p class="verse">Dein Göttliches, deine stille Morgenschönheit, deine Psalmmelodie,</p>
- <p class="verse">Das Schneeskleid deiner Lammesgüte, den Blumenhauch, dein Herz!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-16">
-<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
-<span class="line1">Erde &mdash; o Erde</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Erde, o Erde,</p>
- <p class="verse">Wer hieß uns wandeln auf Blutäckern, auf Leichengefild,</p>
- <p class="verse">Wer hat uns zum Dünger bestellt</p>
- <p class="verse">Für Saatfrucht des Morgen, die eigenem Samen entsprießt?</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Zackiger Flügelschlag des Drachen</p>
- <p class="verse">Und sein Doppelstrahl aus goldenen Nüstern,</p>
- <p class="verse">Purpurbeschlagener Rachen des Löwen und Tigersprung,</p>
- <p class="verse">Schillernd herkriechende Schlangennähe und Ebers Zahn,</p>
- <p class="verse">Brüllende Zorngiere gehörnter Ure, Auswurf verschmitzten Lamas</p>
- <p class="verse">Und plattfüßig gewälzte Wucht der Bäre,</p>
- <p class="verse">Und Stachel und Biß und Hieb und Hinterhalt,</p>
- <p class="verse">Wurf, Stich, Überfall, Angriff &mdash; Erde, o Erde:</p>
- <p class="verse">So drohet die Geste, mit der du dich gegen uns Schollensöhne erhobst,</p>
- <p class="verse">So sengt, brennt, giftet das Kleid deiner Feindschaft,</p>
- <p class="verse">So zündet der Glanz deines Harnischs, in Bilder der Angst zerträumt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Heillosestes Bild, du bist es uns &mdash; Mensch! &mdash; &mdash;</p>
- <p class="verse">Da schält uns Sonne aus Mitleidshüllen des Schlafs</p>
- <p class="verse">Und zieht uns im Strahlglanz aufs Festland der üppigsten Schlacht.</p>
-<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
- <p class="verse">Von Wunden löst sie das leichthin getrocknete Siegel</p>
- <p class="verse">Und zahllos &mdash; im Bogen gekreuzt &mdash;</p>
- <p class="verse">Ergießt sich heiliger Springquell des Bluts.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Erde, o Erde,</p>
- <p class="verse">Wo retten wir hin</p>
- <p class="verse">Ärmliches Unsgehören des Schlafs?</p>
- <p class="verse">O nähme Wipfel der Esche uns auf,</p>
- <p class="verse">Daß Sterne fielen in heiter beruhigten Traum</p>
- <p class="verse">O bettete See uns kühl, wo hoch die Glocken</p>
- <p class="verse">Aus Türmen läuten im grünen und goldenen Strom,</p>
- <p class="verse">O schliefen wir fort an Brüsten der seligsten Frau,</p>
- <p class="verse">Von Kindheitsliedern unendlich gewiegt! &mdash;</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Doch sollen wir träumens noch wissen,</p>
- <p class="verse">Wie grimmig wir tags uns mähten</p>
- <p class="verse">Zu Dünger &mdash; zu Speise des Kots.</p>
- <p class="verse">Aus Tiefen grellt auf</p>
- <p class="verse">Funke gezückten Schwerts.</p>
- <p class="verse">Schlachtlärm tost in der heulenden Schnecke des Ohrs</p>
- <p class="verse">In Augen bricht nieder</p>
- <p class="verse">Stützen von Leibern quer weg über Lanzen</p>
- <p class="verse">Und Rücklingsbäumen von Pferden mit schmerzhaft geblecktem Gebiß.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Erde, o Erde!</p>
- <p class="verse">Blut ist dein Trank,</p>
- <p class="verse">Fleisch ist hehre Speise deinem Mund.</p>
- <p class="verse">Dein Glanz, das Weltall durchdämmernd,</p>
-<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
- <p class="verse">Ist Glanz der Schwerter, geschwungen von Menschenhand.</p>
- <p class="verse">Dein Brausen auf blauer Sonnenbahn</p>
- <p class="verse">Ist Donner der niebeendeten Schlacht.</p>
- <p class="verse">Im Säulendrehn dein goldener Himmelsrauch</p>
- <p class="verse">Ist Opfergruß des getränkten Altars.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-17">
-<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
-<span class="line1">Warum fällt denn nicht &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Warum fällt denn nicht die Sonne, Herr, aus deiner Hand?</p>
- <p class="verse">Warum stürzen nicht im Strom der Falten</p>
- <p class="verse">Weithin klirrend die Gestirne nieder?</p>
- <p class="verse">Warum zittern nicht die fluchverwiesnen Erden,</p>
- <p class="verse">Dunkeln blutbeströmt beschämte Monde nicht?</p>
- <p class="verse">Warum welken nicht, vom Aschenatem angeweht,</p>
- <p class="verse">Bäume, Gräser, wie vom Wurzelwurm zernagt?</p>
- <p class="verse">Warum lodert nicht der Liebe Kuß verzehrend</p>
- <p class="verse">Flammend auf?</p>
- <p class="verse">Warum dorrt die Frucht im Kelch der Frauen nicht?</p>
- <p class="verse">Warum stirbt denn nicht im Tröstermund dein Gotteswort?</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Gott der Wüsten, du bist überlistet!</p>
- <p class="verse">Hast du nicht die sieben Farben einst ans Firmament gesetzt,</p>
- <p class="verse">Kündend, daß die Flut nie wiederkehre! &mdash;</p>
- <p class="verse">Doch es war nicht ausgemacht, ob Wassers, ob des Bluts,</p>
- <p class="verse">Und wir haben dich mit unserm Blut betrogen, Herr!</p>
- <p class="verse">Sieh, aus Flüssen, aus Kanälen quillt&rsquo;s,</p>
- <p class="verse">Aus den Ritzen des Planeten wie aus dorngekröntem Haupt!</p>
- <p class="verse">Denn gespiegelt sieht, o Herr, dein Ebenbild</p>
- <p class="verse">Lauernd Mensch im andern und sein Haß auf dich</p>
-<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
- <p class="verse">Treibt verwirrten Triebes splitternd zu zerschlagen</p>
- <p class="verse">Jenen Spiegel, fortzuscheuchen</p>
- <p class="verse">Schreckendes Phantom.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">O er trug ja welke Last des Daseins lang auf Schultern,</p>
- <p class="verse">Tempelschüler war er aller abgelebten Alter,</p>
- <p class="verse">Ward gelangweilt, ach, mit deiner Götzen</p>
- <p class="verse">Pfauenäugig bunter, ungezählter Schar,</p>
- <p class="verse">Ward von jedem grauen Wahn in Schlangenkreisen</p>
- <p class="verse">Tausend Jahre lang umhergenarrt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Hoch auf Wolken türme sich, o Gott, dein nah Gericht!</p>
- <p class="verse">Wehe Völker recken tausend Arme</p>
- <p class="verse">Brünstig deinem flammennahen Blitz entgegen,</p>
- <p class="verse">Gieren Nacht und Tag um Gnade der Zerstörung,</p>
- <p class="verse">Auszutilgen, was sich selbst mit Gram belud,</p>
- <p class="verse">Auszurotten, was sich selbst sein Gift gebar,</p>
- <p class="verse">Auszulöschen, was sein eignes Fleisch geschändet.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Schall des Endes, wenn erhobene Posaunen</p>
- <p class="verse">Aus vier Winden letzten Gang verkünden:</p>
- <p class="verse">Töne bald und breche berstend in den Chor</p>
- <p class="verse">Dröhnenden Gemordes, ins Gebraus</p>
- <p class="verse">Dunklen Blutes, das an Säulen brandet</p>
- <p class="verse">Morschen Tempels</p>
- <p class="verse">Totgeglaubten Gotts.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-18">
-<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
-<span class="line1">Es werden sich die</span><br />
-<span class="line2">Posaunen des Gerichts erheben &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Es werden sich die Posaunen des Gerichts erheben.</p>
- <p class="verse">Aus einer Wolke, die sich erdwärts neigt,</p>
- <p class="verse">Ragen die schlanken, zuckenden Rohre &mdash;</p>
- <p class="verse">Tausend sind es an der Zahl &mdash;.</p>
- <p class="verse">Ihr Schall trifft lanzensteil, schwertschlank,</p>
- <p class="verse">Die Gewänder der Bläser bauschen sich im Erzgebraus</p>
- <p class="verse">Rund auf wie Schwanengefieder.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Über der Erde aufgeworfenes Hügelland</p>
- <p class="verse">Ist wimmelnd hingebreitet alles Fleisch.</p>
- <p class="verse">Ganze Völker, Sippen, Jahrtausende reihen sich hügelan,</p>
- <p class="verse">Schultern von Frauen glänzen rhythmisch wie Wellenkämme im Meer.</p>
- <p class="verse">Haar stammt auf. Blicke dämmern in violettener Nacht.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Und Schall der Posaunen nimmt sie auf stählernen Rücken,</p>
- <p class="verse">Die Zonen der Luft sind angefüllt von sanfthinschwebenden Leibern.</p>
- <p class="verse">Manche sind leicht, es trägt sie verschwimmendes Wolkenrot wie Rosenblätter;</p>
- <p class="verse">Andere hanteln an flatternden Tüchern sich hoch.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
- <p class="verse">Mütter bergen die Kinder in schützendem Arm,</p>
- <p class="verse">Nackthineilende Frauen decken mit schattenden Händen</p>
- <p class="verse">Die Scham.</p>
- <p class="verse">Augen sind, in denen die Welt wie berstender Sternhimmel ineinanderstürzt,</p>
- <p class="verse">Augen voll Schuld und traumvergessener Angst,</p>
- <p class="verse">Greller, tagheller Wiederkehr verjährtester Tat.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Und keiner möchte</p>
- <p class="verse">Der Erste sein vor dem Blitz aus der goldenen Wolke,</p>
- <p class="verse">Männer mit Würdebärten drängen sich vor, weichen voll Zagens zurück.</p>
- <p class="verse">Es stauen sich Völker, Mauern des Fleischs</p>
- <p class="verse">Und Leiber sind angstvoll vermischt</p>
- <p class="verse">Im Mantel der ungewissesten Qual.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Jenseits aber ist Stürzen in klaffende Tiefen,</p>
- <p class="verse">Girlanden aus wirrvoll verschlungenen Körpern</p>
- <p class="verse">Ranken aus helleren Tiefen ins Dunkel hinab.</p>
- <p class="verse">Sünder haben die Hände vors schreiende Antlitz geschlagen,</p>
- <p class="verse">Knie zerbersten, Rücken zerbrechen im schwindelnden Fall.</p>
- <p class="verse">Loderndes Haar flammt züngelnd dem Feuer entgegen.</p>
- <p class="verse">Sie stürzen mit Köpfen voraus.</p>
- <p class="verse">Aus Mündern dünstet die bläuliche Wolke des Fluchs.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-19">
-<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
-<span class="line1">Wenn drunten</span><br />
-<span class="line2">dunkel die Posaunen brausen &mdash;</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Wenn drunten dunkel die Posaunen brausen,</p>
- <p class="verse">Als Sonnenstäubchen werde ich zum Lichtquell aufwärtsstreben.</p>
- <p class="verse">Von feinen Händen fühl ich unter Schultern mich gefaßt,</p>
- <p class="verse">Mich trägt ein Schwanenflügelpaar,</p>
- <p class="verse">Der goldne Odem eines Engels überströmt mich warm.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Noch bin ich ganz von Schollenlast betäubt,</p>
- <p class="verse">Noch kreisen Regenbogen hinter wehgeschlossnen Lidern</p>
- <p class="verse">Glanzlichternd gleitet noch die grüne Schlange der Verwesung</p>
- <p class="verse">Um meinen marmorn-abgekühlten Leib.</p>
- <p class="verse">Ein Wiegenlied &mdash; unendlich tief, verschlafen &mdash;</p>
- <p class="verse">Von Äolsharfen weit aus Pappelwipfeln hergeflockt,</p>
- <p class="verse">Träumt mir im Ohre nach.</p>
- <p class="verse">Ich schwimme müd-gestreckt im Fluß der Sonne.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Da fällt mich, den sein Schutzgeist trug,</p>
- <p class="verse">Ein Nachtgespenst, ein fledermausgeflügelt Untier an.</p>
- <p class="verse">Der Krallen Zwölfzahl &mdash; Monde sind&rsquo;s, die aneinanderklirren &mdash;</p>
- <p class="verse">Stürzt sich gleich Sicheln in mein trübes Fleisch.</p>
- <p class="verse">Die Nüstern qualmen stinkendes Gewölk,</p>
-<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
- <p class="verse">Das Maul bespeit mich frech mit Eiter, Schleim und Galle;</p>
- <p class="verse">Erschrocken sehe ich in grausem Hundsgesicht,</p>
- <p class="verse">In Augen, die wie Licht im Wind verflackern,</p>
- <p class="verse">Die schlankgestreckte Landschaft meiner Sünden, Frevel Süchte.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Um mich tobt der Zweikampf.</p>
- <p class="verse">Manchmal sinke ich hinab, es stürzt mit geiler Wucht</p>
- <p class="verse">Des Bösen lastendes Gewicht auf mich;</p>
- <p class="verse">Dann steige ich empor, vom guten Geist emporgerafft,</p>
- <p class="verse">Sein silbern Flügelpaar verebbt in müder Luft.</p>
- <p class="verse">Die müde Luft erklingt von hellem Kampf.</p>
- <p class="verse">Um die Erstandnen rast die Schlacht entzweiter Mächte.</p>
- <p class="verse">In sich verbissne Knäuel schweben hin.</p>
- <p class="verse">Stürzt jetzt die Last in enger Krallenhaft zur Erde.</p>
- <p class="verse">Schwebt sie mit ihrem Engel siegend auf?</p>
- <p class="verse">Ich bin der Kräfte Spiel im schalldurchbrausten Meer.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-20">
-<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
-<span class="line1">Trümmer</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese</p>
- <p class="verse">Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen;</p>
- <p class="verse">Roll sie ins Meer, zerstreue sie in Steppen,</p>
- <p class="verse">Daß keiner käme, meine Torheit priese.</p>
- <p class="verse">Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese</p>
- <p class="verse">Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Mein Babelturm ließ seine Wolkenfahne</p>
- <p class="verse">Im Wirbelwehn der Sterne wütend kreisen.</p>
- <p class="verse">Gewundne Treppen wollten aufwärtsweisen,</p>
- <p class="verse">Dem wachen Hochmut seinen Himmelssteig zu bahnen.</p>
- <p class="verse">Mein Turm des Ichs ließ seine Wolkenfahne</p>
- <p class="verse">Im Wirbelwehn der Sterne wütend kreisen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Doch fiel in müdern Stunden, sollt ich rasten,</p>
- <p class="verse">Der Turm mit Schattenmacht auf Haupt und Glieder</p>
- <p class="verse">Und beugte meinen Schlaf und warf mich nieder.</p>
- <p class="verse">In meine Träume stürzt er seine Quaderlasten.</p>
- <p class="verse">Es fiel in müdern Stunden, sollt ich rasten,</p>
- <p class="verse">Der Turm mit Schattenmacht auf Haupt und Glieder.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Geschaffne Mauern wölbten mir den Kerker,</p>
- <p class="verse">Doch oben brannten Sterne in den Haaren.</p>
- <p class="verse">Wie sollte ich mein blassres Licht bewahren?</p>
- <p class="verse">Kein Wirbelsturm der Täler tobte ärger.</p>
- <p class="verse">Geschaffne Mauern wölbten mir den Kerker,</p>
- <p class="verse">Doch oben brannten Sterne in den Haaren.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
- <p class="verse">Da war ich&rsquo;s selber, der auf der Altane</p>
- <p class="verse">Mit schwurerhobner Hand den Blitz gerufen.</p>
- <p class="verse">Er zückte nieder. Erker barsten, Stuben.</p>
- <p class="verse">Zerworfner Schutt begrub die Wolkenfahne.</p>
- <p class="verse">Da war ich&rsquo;s selber, der auf der Altane</p>
- <p class="verse">Mit schwurerhobner Hand den Blitz gerufen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese</p>
- <p class="verse">Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen;</p>
- <p class="verse">Roll sie ins Meer, zerstreue sie in Steppen,</p>
- <p class="verse">Daß keiner käme, meine Torheit priese.</p>
- <p class="verse">Nun muß ich wie ein lastgebückter Riese</p>
- <p class="verse">Die Trümmer meines Ichs von dannen schleppen.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-21">
-<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
-<span class="line1">Trost</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Es sind auch nicht all, o Gott, deine Gedanken</p>
- <p class="verse">Nur Lämmer, von gütlicher Wärme beschneite,</p>
- <p class="verse">Und dehnen nicht all sich</p>
- <p class="verse">Nach seligem Tanz an Hängen von Klee</p>
- <p class="verse">In süßen Schalmeiton des schläfrigen Monds.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">In Pfauen auch denkst du</p>
- <p class="verse">Und starrst in gespreizter Eitelkeitsgier</p>
- <p class="verse">Aus Augen, in Fächern,</p>
- <p class="verse">Vom Tempelteppich gewirkten Allsehens</p>
- <p class="verse">In ewige Brunst des Lichts hinein.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">In Tigers Kraft selbst dunkelt dein Groll,</p>
- <p class="verse">Entflammt im Zinnober des Rachens noch Gier.</p>
- <p class="verse">In Schlangen wirft Hinterlist metallischen Schimmers</p>
- <p class="verse">So giftigen Ring vor ein ärmer Geschöpf.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Auch bist du ja Flamme und Lohe und Feuersbrunst,</p>
- <p class="verse">Getümmelte Wogenherde, Zentaurenschar, Schlund,</p>
- <p class="verse">Bist Zickzack und Blitz, Erdbeben, Vulkanausbruch,</p>
- <p class="verse">Zusammenprall der Planeten, bist Untergang.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Doch wie du es bist, Gott: auch ich muß es sein.</p>
- <p class="verse">O wandle mich denn in schwindenden Formen ab!</p>
- <p class="verse">Denn Flamme schon war ich und Lohe und Feuersbrunst,</p>
- <p class="verse">Erd-Erbeben &mdash; Vulkanausbruch &mdash; Untergang.</p>
- <p class="verse">Als Tiger der Dschungeln ich trug</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
- <p class="verse">Im Nacken gefiederte Pfeile hinab,</p>
- <p class="verse">Schweifte als Pfau an Tempelsäulen der Juno vorbei,</p>
- <p class="verse">Lag lauernd geschmiegten Schlangenleibs</p>
- <p class="verse">Im Schatten der lehmigen Diele zur Nacht. &mdash;</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Gib Güte nun endlich,</p>
- <p class="verse">Wärme des schneeigen Lämmerkleids!</p>
- <p class="verse">Hülle mein Herz, o Gott,</p>
- <p class="verse">In Sehnsucht der Hirtenschalmei!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-22">
-<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
-<span class="line1">Der neue Mensch</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Aus Unform, Irrform, Wirrform,</p>
- <p class="verse">Aus Zwitterform und Aberform der Zeit</p>
- <p class="verse">Schreitet in banger Zuversicht der neue Mensch.</p>
- <p class="verse">Die Brodemnebel veraschter Leichenhügel</p>
- <p class="verse">Sind unter ihm.</p>
- <p class="verse">Die Meere gekelterten Bluts, die Ströme, die Schaum krönt,</p>
- <p class="verse">Sind unter ihm.</p>
- <p class="verse">Die Babeltürme versteinter Irrtümer</p>
- <p class="verse">Sind unter ihm.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Er schreitet: mehr Stirne als Kinn, mehr Gott als Tier.</p>
- <p class="verse">Im Zackengeklüfte der Felsen</p>
- <p class="verse">Nur manchmal hört er das Echo</p>
- <p class="verse">Verworrenen Brudermords, verjährten Totschlags.</p>
- <p class="verse">Denn jung war er noch, als Donner verzückter Kanonen</p>
- <p class="verse">Die alten Jahrtausende pomphaft zu Grabe geläutet.</p>
- <p class="verse">Das war einmal:</p>
- <p class="verse">Schwertertag und Lorbeersieg,</p>
- <p class="verse">Klirrender Klingenkampf und Triumphglanz,</p>
- <p class="verse">Das war einmal:</p>
- <p class="verse">Irgendwo, fern, irgendwann.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Er schreitet in nacktem Verzicht.</p>
- <p class="verse">Er badet sich rein</p>
- <p class="verse">Im weißen Quell des Gedankens.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
- <p class="verse">Er nimmt &mdash; lächelnd, großmütig und gütig &mdash;</p>
- <p class="verse">Den armen Planeten in warme, umgitternde Hände</p>
- <p class="verse">Und hebt ihn hinauf in den läuternden</p>
- <p class="verse">Lichtstrom der Sonne, bettet ihn sanft in die kühlen</p>
- <p class="verse">Heilenden Rosen der Morgenröte und wartet</p>
- <p class="verse">Des dämmernden Tags.</p>
- <p class="verse">Nicht wissen durchaus will er des Gestern.</p>
- <p class="verse">Denn Gestern: Das ist ja gesammelter Fluch,</p>
- <p class="verse">Geballtes Verhängnis, genetztes, tausendmaschig</p>
- <p class="verse">Gefädeltes Schicksal. Nicht wissen will er des Gestern.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">In Schutt sieht er stürzen</p>
- <p class="verse">Dorische Säulen, Akanthus und gotische Fenster,</p>
- <p class="verse">Gemauerte Schreie des Gottwahns verblichener Zeiten</p>
- <p class="verse">Er fället der Götzen glanzbäuchige Hochmut</p>
- <p class="verse">Und glüht in den Bränden des Alten sein jugendlich Herz,</p>
- <p class="verse">Dies Pfand der Allmacht,</p>
- <p class="verse">Die brausende Mitte des neuen, schaffenden Seins.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Und also weiß er zu beten: &mdash; Nichts über mir!</p>
- <p class="verse">Im Anfang war ich. Ich werde im Ende sein,</p>
- <p class="verse">Bin ich doch Tempel, Gott, Beter zugleich</p>
- <p class="verse">Und krümme den Rücken so wenig der mummenumschanzten Hoheit</p>
- <p class="verse">Als Lasten, die fremder Wille mir auflädt.</p>
- <p class="verse">Ich bin so berechtigt als irgend ein Mensch.</p>
- <p class="verse">Nichts über mir!</p>
- </div>
- <div class="stanza">
-<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
- <p class="verse">Frauen will ich nicht suchen gehn. Sie nahen allein!</p>
- <p class="verse">In ihrem Lächeln der Wollust</p>
- <p class="verse">Einschleichend wälzen sich früheste Alter der Erde</p>
- <p class="verse">In unseren kornreifen, ausgeglätteten Sommertag.</p>
- <p class="verse">Die List ihrer Buhlschaft reicht uns die rostigen Schwerter</p>
- <p class="verse">Hellbrünstigen Zweikampfs. Besitzgier und Eifersüchte</p>
- <p class="verse">Spornen in uns nichtigen Krämergeist, Hamstersorge.</p>
- <p class="verse">Wütendes Morden des Fleischs,</p>
- <p class="verse">Wer stiftet es anders, als die es gebar: Helena,</p>
- <p class="verse">Die maskenschöne Mutter der irdischen Kriege?</p>
- <p class="verse">Wer säh sich nicht vor!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-23">
-<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
-<span class="line1">Die Fahrt</span>
-</h2>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Offenem Lichtkreis, neuem Sonnejahr</p>
- <p class="verse">Rollt steuernder Kiel der Erde entgegen.</p>
- <p class="verse">Noch sind alle Segel von blutendem Abend rot;</p>
- <p class="verse">Im Brackwasser ertrinkt in tausend Rubinen zerstäubter Komet.</p>
- <p class="verse">Tief-Schlummernder bin ich,</p>
- <p class="verse">Da scheucht erster Strahl den Alpdruck der engen Kabine.</p>
- <p class="verse">Mitternächtiger Wintertraum unter Dächern des Schnees</p>
- <p class="verse">Kleidet vergessene Spiegel mit jauchzendem Lenzgrün aus,</p>
- <p class="verse">Tollt mit zerfetztem Haar im Glanz die Alleen entlang,</p>
- <p class="verse">Jubelt im Birkenwipfel des Hügels ein harfenes Lied,</p>
- <p class="verse">Sinkt als Frühtau mit kreisenden Himmeln die Kelche hinab.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Im Golfstrom des Lichtes saust glühende Erde empor.</p>
- <p class="verse">Mit herzhafter Kraft umgürtet die Sonne das taumelnde Rund.</p>
- <p class="verse">Ihr Licht trinkt die haftenden Dämpfe des Blutes hinweg,</p>
- <p class="verse">Ihr heilender Atem saugt Pestgift und Brandhauch in sich.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Nun steig ich hinauf,</p>
- <p class="verse">Letzte Wendeltreppen,</p>
-<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
- <p class="verse">Schattenlabyrinthe hinauf!</p>
- <p class="verse">Trunkener Aufstieg peitscht schon die tummelnden Wogen des Herzens voraus.</p>
- <p class="verse">Und ich stehe an höchstem Bord, auf fliegender Brücke am Steuerrad</p>
- <p class="verse">Und winke die farbigen Vögel heran</p>
- <p class="verse">Und winke Delphine heran</p>
- <p class="verse">Und Fische mit silbernen Schuppen, mit güldenen Flossen</p>
- <p class="verse">Und Haie und Wale und Robben und Rosse</p>
- <p class="verse">Und alle geschäumten Wogen, die von den Polen schießen,</p>
- <p class="verse">Und alle Sternbilder, auf schaukelnden Wassern an Bord gewiegt.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Der neue Mensch hält auf die Sonne zu.</p>
- <p class="verse">Sein Herz umfaßt mit dem Strahlglanz den magischen Spiegel der Welt</p>
- <p class="verse">Und jeglicher Atem strömt in den goldenen Becher zurück.</p>
- <p class="verse">Mit ihm wird die Erde das fährliche Kap der Nächte umschiffen,</p>
- <p class="verse">Krieg, Krankheit, Entzweiung, Verzweiflung umschiffen</p>
- <p class="verse">Und Ekel der Wollust</p>
- <p class="verse">Und Blutgier</p>
- <p class="verse">Und Brunst.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Zermürbte Monde schon decken die Schädelstätte entfremdeter Nacht.</p>
-<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
- <p class="verse">Träume versinken im Blachfeld der Not.</p>
- <p class="verse">Alpdruck und Nachtmahr gurgeln im Sumpf hinab.</p>
- <p class="verse">Denn offenem Lichtkreis, neuem Sonnejahr</p>
- <p class="verse">Rollt steuernder Kiel der Erde entgegen.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">All-Lebendes wandelt im Goldtau sein Herz</p>
- <p class="verse">Und trägt es mir zu. Aus Palmenwipfeln</p>
- <p class="verse">Wiegt sich fasanenbeschwingte Sehnsucht heran,</p>
- <p class="verse">Aus Ranken der Beere dehnt es sich nah,</p>
- <p class="verse">Zinnoberne Schnecken herkriechen auf silberner Spur.</p>
- </div>
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Die Fahrt ist im Gang,</p>
- <p class="verse">Die Erde im Brausen tönt selber Triumphgesang.</p>
- <p class="verse">Folgt alle!</p>
- <p class="verse">Ich steure die Arche auf goldener Flut!</p>
- <p class="verse">Schon ist die Taube auf Wegen zu Gott voraus!</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-24">
-<span class="line1">Inhaltsübersicht</span>
-</h2>
-
-<div class="table">
-<table class="toc" summary="TOC">
-<tbody>
- <tr>
- <td class="col1">Johanni</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-5">5</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Ich &mdash; Du</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-6">6</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Dein Wesen ist über alle Welt zerstreut &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-7">7</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Als ich im ersten Viertel des Monds &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Es werde Licht</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-11">11</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Lied</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-12">12</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Liebesode</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-13">13</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Im Abenddämmern zwischen den Jahren &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-14">14</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Der Kranke</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-15">15</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Nacht</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-18">18</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Ich komme aus meinen Träumen &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-20">20</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">So haben mich die Jahrtausende gesehn &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-22">22</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Fluch</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-23">23</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Apokalyptisches Gebet</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-25">25</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Altartiefe sollst du mir enthüllen &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-27">27</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Erde &mdash; o Erde</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-29">29</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Warum fällt denn nicht &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-32">32</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Es werden sich die Posaunen des Gerichts erheben &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-34">34</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Wenn drunten dunkel die Posaunen brausen &mdash;</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-36">36</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Trümmer</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-38">38</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Trost</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-40">40</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Der neue Mensch</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-42">42</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">Die Fahrt</td>
- <td class="col_page"><a href="#page-45">45</a></td>
- </tr>
-</tbody>
-</table>
-</div>
-
-
-<div class="trnote">
-<p id="trnote" class="chapter"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p>
-Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
-</p>
-
-<ul>
-
-<li>
-... An schlanke Deichsel sind gold<span class="underline">gezäunte</span> Rosse gespannt, ...<br />
-... An schlanke Deichsel sind gold<a href="#corr-0"><span class="underline">gezäumte</span></a> Rosse gespannt, ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... So hing ich über diesem <span class="underline">tiefstem</span> See. ...<br />
-... So hing ich über diesem <a href="#corr-2"><span class="underline">tiefsten</span></a> See. ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Gedichte, by Julius Maria Becker
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE ***
-
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