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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-06 18:02:44 -0800 |
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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - - -Title: Der Stechlin - - -Author: Theodor Fontane - - - -Release Date: November 28, 2016 [eBook #53628] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - - -***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER STECHLIN*** - - -E-text prepared by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading -Team (http://www.pgdp.net) - - - - - - - -Anmerkungen zur Transkription - - Das Original ist in Fraktur gesetzt. - - Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+, in - Antiqua gesetzte Passagen sind ~so markiert~. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende - des Buches. - - - - - -[Illustration] - -THEODOR FONTANE - -DER STECHLIN - -Roman - - - - - - - -S. Fischer, Verlag, Berlin -1922 - -43. bis 46. Auflage - -Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten - - - - -Der Stechlin - - - - -Schloß Stechlin - - - - -Erstes Kapitel - - -Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, -zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und -noch darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine -menschenarme, nur hie und da mit ein paar alten Dörfern, sonst aber -ausschließlich mit Förstereien, Glas- und Teeröfen besetzte Waldung. -Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der +Stechlin+«. -Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und kaiartig -ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, -deren Zweige, von ihrer eigenen Schwere nach unten gezogen, den See -mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf -und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, -und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten -auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu -Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig. Das ist, wenn es weit -draußen in der Welt, sei's auf Island, sei's auf Java, zu rollen und zu -grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis -weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich's auch +hier+, -und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das -wissen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so -setzen sie wohl auch hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das -Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber draußen was Großes gibt, -wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelts hier nicht bloß und -sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter -Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.« - - * * * * * - -Das ist der Stechlin, der +See+ Stechlin. - -Aber nicht nur der See führt diesen Namen, auch der Wald, der ihn -umschließt. Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte Dorf, das -sich, den Windungen des Sees folgend, um seine Südspitze herumzieht. -Etwa hundert Häuser und Hütten bilden hier eine lange, schmale -Gasse, die sich nur da, wo eine von Kloster Wutz her heranführende -Kastanienallee die Gasse durchschneidet, platzartig erweitert. An eben -dieser Stelle findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf -Stechlin zusammen: das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der -Krug, dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem kleinen -Mohren und einer Girlande von Schwefelfäden in seinem Schaufenster. -Dieser Ecke schräg gegenüber, unmittelbar hinter dem Pfarrhause, -steigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, so ziemlich in seiner Mitte, -die frühmittelalterliche Feldsteinkirche mit einem aus dem vorigen -Jahrhundert stammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten -Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Neben -diesem Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her -heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis -sie vor einer über einen sumpfigen Graben sich hinziehenden und von -zwei riesigen Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke haltmacht. -Diese Brücke ist sehr primitiv. Jenseits derselben aber steigt das -Herrenhaus auf, ein gelbgetünchter Bau mit hohem Dach und zwei -Blitzableitern. - -Auch dieses Herrenhaus heißt Stechlin, +Schloß+ Stechlin. - - * * * * * - -Etliche hundert Jahre zurück stand hier ein wirkliches Schloß, ein -Backsteinbau mit dicken Rundtürmen, aus welcher Zeit her auch noch der -Graben stammt, der die von ihm durchschnittene, sich in den See hinein -erstreckende Landzunge zu einer kleinen Insel machte. Das ging so bis -in die Tage der Reformation. Während der Schwedenzeit aber wurde das -alte Schloß niedergelegt, und man schien es seinem gänzlichen Verfall -überlassen, auch nichts an seine Stelle setzen zu wollen, bis kurz nach -dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms ~I.~ die ganze Trümmermasse -beiseite geschafft und ein Neubau beliebt wurde. Dieser Neubau war das -Haus, das jetzt noch stand. Es hatte denselben nüchternen Charakter -wie fast alles, was unter dem Soldatenkönig entstand, und war nichts -weiter als ein einfaches ~Corps de logis~, dessen zwei vorspringende, -bis dicht an den Graben reichende Seitenflügel ein Hufeisen und -innerhalb desselben einen kahlen Vorhof bildeten, auf dem, als einziges -Schmuckstück, eine große blanke Glaskugel sich präsentierte. Sonst -sah man nichts als eine vor dem Hause sich hinziehende Rampe, von -deren dem Hofe zugekehrter Vorderwand der Kalk schon wieder abfiel. -Gleichzeitig war aber doch ein Bestreben unverkennbar, gerade diese -Rampe zu was Besonderem zu machen, und zwar mit Hilfe mehrerer Kübel -mit exotischen Blattpflanzen, darunter zwei Aloes, von denen die eine -noch gut imstande, die andre dagegen krank war. Aber gerade diese -kranke war der Liebling des Schloßherrn, weil sie jeden Sommer in -einer ihr freilich nicht zukommenden Blüte stand. Und das hing so -zusammen. Aus dem sumpfigen Schloßgraben hatte der Wind vor langer -Zeit ein fremdes Samenkorn in den Kübel der kranken Aloe geweht, und -alljährlich schossen infolge davon aus der Mitte der schon angegelbten -Aloeblätter die weiß und roten Dolden des Wasserliesch oder des -~Butomus umbellatus~ auf. Jeder Fremde, der kam, wenn er nicht zufällig -ein Kenner war, nahm diese Dolden für richtige Aloeblüten, und der -Schloßherr hütete sich wohl, diesen Glauben, der eine Quelle der -Erheiterung für ihn war, zu zerstören. - -Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin führte, so natürlich -auch der Schloßherr selbst. Auch er war ein Stechlin. - -Dubslav von Stechlin, Major a. D. und schon ein gut Stück über Sechzig -hinaus, war der Typus eines Märkischen von Adel, aber von der milderen -Observanz, eines jener erquicklichen Originale, bei denen sich -selbst die Schwächen in Vorzüge verwandeln. Er hatte noch ganz das -eigentümlich sympathisch berührende Selbstgefühl all derer, die »schon -vor den Hohenzollern da waren,« aber er hegte dieses Selbstgefühl nur -ganz im stillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck kam, so kleidete -sich's in Humor, auch wohl in Selbstironie, weil er seinem ganzen Wesen -nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein schönster Zug -war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel -und Überheblichkeit (während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade -sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. -Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto -besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu -wünschen. Beinah das Gegenteil. Paradoxen waren seine Passion. »Ich bin -nicht klug genug, selber welche zu machen, aber ich freue mich, wenn's -andere tun; es ist doch immer was drin. Unanfechtbare Wahrheiten gibt -es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.« -Er ließ sich gern was vorplaudern und plauderte selber gern. - -Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkisch-herkömmlich gewesen. -Von jung an lieber im Sattel als bei den Büchern, war er erst nach -zweimaliger Scheiterung siegreich durch das Fähnrichsexamen gesteuert -und gleich danach bei den brandenburgischen Kürassieren eingetreten, -bei denen selbstverständlich auch schon sein Vater gestanden -hatte. Dieser sein Eintritt ins Regiment fiel so ziemlich mit dem -Regierungsantritt Friedrich Wilhelms ~IV.~ zusammen, und wenn er -dessen erwähnte, so hob er, sich selbst persiflierend, gerne hervor, -»daß alles Große seine Begleiterscheinungen habe.« Seine Jahre bei -den Kürassieren waren im wesentlichen Friedensjahre gewesen; nur Anno -vierundsechzig war er mit in Schleswig, aber auch hier, ohne »zur -Aktion« zu kommen. »Es kommt für einen Märkischen nur darauf an, -überhaupt mit dabei gewesen zu sein; das andre steht in Gottes Hand.« -Und er schmunzelte, wenn er dergleichen sagte, seine Hörer jedesmal -in Zweifel darüber lassend, ob er's ernsthaft oder scherzhaft gemeint -habe. Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger Kriegs -war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder in seine Garnison -Brandenburg eingerückt, nahm er den Abschied, um sich auf sein seit dem -Tode des Vaters halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier -warteten seiner glückliche Tage, seine glücklichsten, aber sie waren -von kurzer Dauer -- schon das Jahr darauf starb ihm die Frau. Sich -eine neue zu nehmen, widerstand ihm, halb aus Ordnungssinn und halb -aus ästhetischer Rücksicht. »Wir glauben doch alle mehr oder weniger -an eine Auferstehung« (das heißt, er persönlich glaubte eigentlich -nicht daran), »und wenn ich dann oben ankomme mit einer rechts und -einer links, so is das doch immer eine genierliche Sache.« Diese Worte --- wie denn der Eltern Tun nur allzu häufig der Mißbilligung der -Kinder begegnet -- richteten sich in Wirklichkeit gegen seinen dreimal -verheiratet gewesenen Vater, an dem er überhaupt allerlei Großes und -Kleines auszusetzen hatte, so beispielsweise auch, daß man ihm, dem -Sohne, den pommerschen Namen »Dubslav« beigelegt hatte. »Gewiß, meine -Mutter war eine Pommersche, noch dazu von der Insel Usedom, und ihr -Bruder, nun ja, der hieß Dubslav. Und so war denn gegen den Namen -schon um des Onkels willen nicht viel einzuwenden, und um so weniger, -als er ein Erbonkel war. (Daß er mich schließlich schändlich im Stich -gelassen, ist eine Sache für sich.) Aber trotzdem bleib ich dabei, -solche Namensmanscherei verwirrt bloß. Was ein Märkischer ist, der muß -Joachim heißen oder Woldemar. Bleib im Lande und taufe dich redlich. -Wer aus Friesack is, darf nicht Raoul heißen.« - -Dubslav von Stechlin blieb also Witwer. Das ging nun schon an die -dreißig Jahre. Anfangs war's ihm schwer geworden, aber jetzt lag -alles hinter ihm, und er lebte »~comme philosophe~« nach dem Wort und -Vorbild des großen Königs, zu dem er jederzeit bewundernd aufblickte. -Das war sein Mann, mehr als irgendwer, der sich seitdem einen Namen -gemacht hatte. Das zeigte sich jedesmal, wenn ihm gesagt wurde, daß er -einen Bismarckkopf habe. »Nun ja, ja, den hab ich; ich soll ihm sogar -ähnlich sehen. Aber die Leute sagen es immer so, als ob ich mich dafür -bedanken müßte. Wenn ich nur wüßte, bei wem; vielleicht beim lieben -Gott, oder am Ende gar bei Bismarck selbst. Die Stechline sind aber -auch nicht von schlechten Eltern. Außerdem, ich für meine Person, ich -habe bei den sechsten Kürassieren gestanden, und Bismarck bloß bei den -siebenten, und die kleinere Zahl ist in Preußen bekanntlich immer die -größere; -- ich bin ihm also einen über. Und Friedrichsruh, wo alles -jetzt hinpilgert, soll auch bloß ne Kate sein. Darin sind wir uns also -gleich. Und solchen See, wie den ›Stechlin‹, nu, den hat er schon ganz -gewiß nicht. So was kommt überhaupt bloß selten vor.« - -Ja, auf seinen See war Dubslav stolz, aber destoweniger stolz war er -auf sein Schloß, weshalb es ihn auch verdroß, wenn es überhaupt so -genannt wurde. Von den armen Leuten ließ er sich's gefallen: »Für die -ist es ein ›Schloß‹, aber sonst ist es ein alter Kasten und weiter -nichts.« Und so sprach er denn lieber von seinem »Haus«, und wenn er -einen Brief schrieb, so stand darüber »Haus Stechlin«. Er war sich -auch bewußt, daß es kein Schloßleben war, das er führte. Vordem, -als der alte Backsteinbau noch stand, mit seinen dicken Türmen und -seinem Luginsland, von dem aus man, über die Kronen der Bäume weg, -weit ins Land hinaussah, ja, damals war hier ein Schloßleben gewesen, -und die derzeitigen alten Stechline hatten teilgenommen an allen -Festlichkeiten, wie sie die Ruppiner Grafen und die mecklenburgischen -Herzöge gaben, und waren mit den Boitzenburgern und den Bassewitzens -verschwägert gewesen. Aber heute waren die Stechliner Leute von -schwachen Mitteln, die sich nur eben noch hielten und beständig bemüht -waren, durch eine »gute Partie« sich wieder leidlich in die Höhe zu -bringen. Auch Dubslavs Vater war auf diese Weise zu seinen drei Frauen -gekommen, unter denen freilich nur die erste das in sie gesetzte -Vertrauen gerechtfertigt hatte. Für den jetzigen Schloßherrn, der von -der zweiten Frau stammte, hatte sich daraus leider kein unmittelbarer -Vorteil ergeben, und Dubslav von Stechlin wäre kleiner und großer -Sorgen und Verlegenheiten nie los und ledig geworden, wenn er nicht in -dem benachbarten Gransee seinen alten Freund Baruch Hirschfeld gehabt -hätte. Dieser Alte, der den großen Tuchladen am Markt und außerdem -die Modesachen und Damenhüte hatte, hinsichtlich deren es immer hieß, -»Gerson schicke ihm alles zuerst« -- dieser alte Baruch, ohne das -»Geschäftliche« darüber zu vergessen, hing in der Tat mit einer Art -Zärtlichkeit an dem Stechliner Schloßherrn, was, wenn es sich mal -wieder um eine neue Schuldverschreibung handelte, regelmäßig zu heikeln -Auseinandersetzungen zwischen Hirschfeld Vater und Hirschfeld Sohn -führte. - -»Gott, Isidor, ich weiß, du bist fürs Neue. Aber was ist das Neue? Das -Neue versammelt sich immer auf unserm Markt, und mal stürmt es uns den -Laden und nimmt uns die Hüte, Stück für Stück, und die Reiherfedern und -die Straußenfedern. Ich bin fürs Alte und für den guten, alten Herrn -von Stechlin. Is doch der Vater von seinem Großvater gefallen in der -großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit seinem Leben.« - -»Ja, der hat gezahlt; wenigstens hat er gezahlt mit seinem Leben. Aber -der von heute ...« - -»Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat. Und wenn er nicht hat, -und ich sage: ›Herr von Stechlin, ich werde schreiben siebeneinhalb‹, -dann feilscht er nicht und dann zwackt er nicht. Und wenn er kippt, -nu, da haben wir das Objekt: Mittelboden und Wald und Jagd und viel -Fischfang. Ich seh es immer so ganz klein in der Perspektiv, und ich -seh auch schon den Kirchturm.« - -»Aber Vaterleben, was sollen wir mit'm Kirchturm?« - -In dieser Richtung gingen öfters die Gespräche zwischen Vater und Sohn, -und was der Alte vorläufig noch in der »Perspektive« sah, das wäre -vielleicht schon Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav -um zehn Jahre ältere Schwester mit ihrem von der Mutter her ererbten -Vermögen gewesen wäre: Schwester Adelheid, Domina zu Kloster Wutz. Die -half und sagte gut, wenn es schlecht stand oder gar zum Äußersten zu -kommen schien. Aber sie half nicht aus Liebe zu dem Bruder -- gegen den -sie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden hatte --, sondern lediglich -aus einem allgemeinen Stechlinschen Familiengefühl. Preußen war was -und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren doch die -Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Besitz und nun -gar in einen solchen übergehen zu sehen, war ihr unerträglich. Und über -all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Woldemar, für -den sie all die Liebe hegte, die sie dem Bruder versagte. - -Ja, die Domina half, aber solcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl -der Entfremdung zwischen den Geschwistern, und so kam es denn, daß der -alte Dubslav, der die Schwester in Kloster Wutz weder gern besuchte -noch auch ihren Besuch gern empfing, nichts von Umgang besaß als seinen -Pastor Lorenzen (den früheren Erzieher Woldemars) und seinen Küster -und Dorfschullehrer Krippenstapel, zu denen sich allenfalls noch -Oberförster Katzler gesellte, Katzler, der Feldjäger gewesen war und -ein gut Stück Welt gesehen hatte. Doch auch diese drei kamen nur, wenn -sie gerufen wurden, und so war eigentlich nur einer da, der in jedem -Augenblick Red und Antwort stand. Das war Engelke, sein alter Diener, -der seit beinahe fünfzig Jahren alles mit seinem Herrn durchlebt -hatte, seine glücklichen Leutnantstage, seine kurze Ehe und seine -lange Einsamkeit. Engelke, noch um ein Jahr älter als sein Herr, war -dessen Vertrauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav verstand -es, die Scheidewand zu ziehen. Übrigens wär es auch ohne diese Kunst -gegangen. Denn Engelke war einer von den guten Menschen, die nicht aus -Berechnung oder Klugheit, sondern von Natur hingebend und demütig sind -und in einem treuen Dienen ihr Genüge finden. Alltags war er, so Winter -wie Sommer, in ein Leinwandhabit gekleidet, und nur wenn es zu Tisch -ging, trug er eine richtige Livree von sandfarbenem Tuch mit großen -Knöpfen dran. Es waren Knöpfe, die noch die Zeiten des Rheinsberger -Prinzen Heinrich gesehen hatten, weshalb Dubslav, als er mal wieder -in Verlegenheit war, zu dem jüngst verstorbenen alten Herrn von -Kortschädel gesagt hatte: »Ja, Kortschädel, wenn ich so meinen Engelke, -wie er da geht und steht, ins märkische Provinzialmuseum abliefern -könnte, so kriegt ich ein Jahrgehalt und wäre raus.« - - * * * * * - -Das war im Mai, daß der alte Stechlin diese Worte zu seinem Freunde -Kortschädel gesprochen hatte. Heute aber war dritter Oktober und ein -wundervoller Herbsttag dazu. Dubslav, sonst empfindlich gegen Zug, -hatte die Türen aufmachen lassen, und von dem großen Portal her zog -ein erquicklicher Luftstrom bis auf die mit weiß und schwarzen Fliesen -gedeckte Veranda hinaus. Eine große, etwas schadhafte Marquise war -hier herabgelassen und gab Schutz gegen die Sonne, deren Lichter -durch die schadhaften Stellen hindurchschienen und auf den Fliesen -ein Schattenspiel aufführten. Gartenstühle standen umher, vor einer -Bank aber, die sich an die Hauswand lehnte, waren doppelte Strohmatten -gelegt. Auf eben dieser Bank, ein Bild des Behagens, saß der alte -Stechlin in Joppe und breitkrempigem Filzhut und sah, während er aus -seinem Meerschaum allerlei Ringe blies, auf ein Rundell, in dessen -Mitte, von Blumen eingefaßt, eine kleine Fontäne plätscherte. Rechts -daneben lief ein sogenannter Poetensteig, an dessen Ausgang ein -ziemlich hoher, aus allerlei Gebälk zusammengezimmerter Aussichtsturm -aufragte. Ganz oben eine Plattform mit Fahnenstange, daran die -preußische Flagge wehte, schwarz und weiß, alles schon ziemlich -verschlissen. - -Engelke hatte vor kurzem einen roten Streifen annähen wollen, war aber -mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen. »Laß. Ich bin nicht dafür. -Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was Rotes dran -nähst, dann reißt es gewiß.« - -Die Pfeife war ausgegangen, und Dubslav wollte sich eben von seinem -Platz erheben und nach Engelke rufen, als dieser vom Gartensaal her auf -die Veranda heraustrat. - -»Das ist recht, Engelke, daß du kommst ... Aber du hast da ja was wie'n -Telegramm in der Hand. Ich kann Telegramms nicht leiden. Immer is einer -dod, oder es kommt wer, der besser zu Hause geblieben wäre.« - -Engelke griente. »Der junge Herr kommt.« - -»Und das weißt du schon?« - -»Ja, Brose hat es mir gesagt.« - -»So, so. Dienstgeheimnis. Na, gib her.« - -Und unter diesen Worten brach er das Telegramm auf und las: »Lieber -Papa. Bin sechs Uhr bei dir. Rex und von Czako begleiten mich. Dein -Woldemar.« - -Engelke stand und wartete. - -»Ja, was da tun, Engelke?« sagte Dubslav und drehte das Telegramm hin -und her. »Und aus Cremmen und von heute früh,« fuhr er fort. »Da müssen -sie also die Nacht über schon in Cremmen gewesen sein. Auch kein Spaß.« - -»Aber Cremmen is doch soweit ganz gut.« - -»Nu, gewiß, gewiß. Bloß sie haben da so kurze Betten ... Und, wenn man, -wie Woldemar, Kavallerist ist, kann man ja doch auch die acht Meilen -von Berlin bis Stechlin in einer Pace machen. Warum also Nachtquartier? -Und Rex und von Czako begleiten mich. Ich kenne Rex nicht und kenne von -Czako nicht. Wahrscheinlich Regimentskameraden. Haben wir denn was?« - -»Ich denk doch, gnäd'ger Herr. Und wovor haben wir denn unsre Mamsell? -Die wird schon was finden.« - -»Nu gut. Also wir haben was. Aber wen laden wir dazu ein? So bloß ich, -das geht nicht. Ich mag mich keinem Menschen mehr vorsetzen. Czako, -das ginge vielleicht noch. Aber Rex, wenn ich ihn auch nicht kenne, -zu so was Feinem wie Rex pass' ich nicht mehr; ich bin zu altmodisch -geworden. Was meinst du, ob die Gundermanns wohl können?« - -»Ach, die können schon. Er gewiß, und sie kluckt auch bloß immer so -rum.« - -»Also Gundermanns. Gut. Und dann vielleicht Oberförsters. Das älteste -Kind hat freilich die Masern, und die Frau, das heißt die Gemahlin (und -Gemahlin is eigentlich auch noch nicht das rechte Wort), die erwartet -wieder. Man weiß nie recht, wie man mit ihr dran ist und wie man sie -nennen soll, Oberförsterin Katzler oder Durchlaucht. Aber man kann's -am Ende versuchen. Und dann unser Pastor. Der hat doch wenigstens -die Bildung. Gundermann allein ist zu wenig und eigentlich bloß ein -Klutentreter. Und seitdem er die Siebenmühlen hat, ist er noch weniger -geworden.« - -Engelke nickte. - -»Na, dann schick also Martin. Aber er soll sich proper machen. Oder -vielleicht ist Brose noch da; der kann ja auf seinem Retourgang bei -Gundermanns mit rangehen. Und soll ihnen sagen sieben Uhr, aber nicht -früher; sie sitzen sonst so lange rum, und man weiß nicht, wovon man -reden soll. Das heißt mit ihm; sie red't immerzu ... Und gib Brosen -auch nen Kornus und funfzig Pfennig.« - -»Ich werd ihm dreißig geben.« - -»Nein, nein, funfzig. Erst hat er ja doch was gebracht und nu nimmt er -wieder was mit. Das is ja so gut wie doppelt. Also funfzig. Knaps ihm -nichts ab.« - - - - -Zweites Kapitel - - -Ziemlich um dieselbe Zeit, wo der Telegraphenbote bei Gundermanns -vorsprach, um die Bestellung des alten Herrn von Stechlin auszurichten, -ritten Woldemar, Rex und Czako, die sich für sechs Uhr angemeldet -hatten, in breiter Front von Cremmen ab; Fritz, Woldemars Reitknecht, -folgte den dreien. Der Weg ging über Wutz. Als sie bis in die Nähe von -Dorf und Kloster dieses Namens gekommen waren, bog Woldemar vorsichtig -nach links hin aus, weil er der Möglichkeit entgehen wollte, seiner -Tante Adelheid, der Domina des Klosters, zu begegnen. Er stand zwar gut -mit dieser und hatte sogar vor, ihr, wie herkömmlich, auf dem Rückwege -nach Berlin seinen Besuch zu machen; aber in diesem Augenblick paßte -ihm solche Begegnung, die sein pünktliches Eintreffen in Stechlin -gehindert haben würde, herzlich schlecht. So beschrieb er denn einen -weiten Halbkreis und hatte das Kloster schon um eine Viertelstunde -hinter sich, als er sich wieder der Hauptstraße zuwandte. Diese, durch -Moor- und Wiesengründe führend, war ein vorzüglicher Reitweg, der an -vielen Stellen noch eine Grasnarbe trug, weshalb es anderthalb Meilen -lang in einem scharfen Trabe vorwärts ging, bis an eine Avenue heran, -die geradlinig auf Schloß Stechlin zuführte. Hier ließen alle drei die -Zügel fallen und ritten im Schritt weiter. Über ihnen wölbten sich die -schönen, alten Kastanienbäume, was ihrem Anritt etwas Anheimelndes und -zugleich etwas beinah Feierliches gab. - -»Das ist ja wie ein Kirchenschiff,« sagte Rex, der am linken Flügel -ritt. »Finden Sie nicht auch, Czako?« - -»Wenn Sie wollen, ja. Aber Pardon, Rex, ich finde die Wendung etwas -trivial für einen Ministerialassessor.« - -»Nun gut, dann sagen Sie was Besseres.« - -»Ich werde mich hüten. Wer unter solchen Umständen was Besseres sagen -will, sagt immer was Schlechteres.« - -Unter diesem sich noch eine Weile fortsetzenden Gespräche waren sie bis -an einen Punkt gekommen, von dem aus man das am Ende der Avenue sich -aufbauende Bild in aller Klarheit überblicken konnte. Dabei war das -Bild nicht bloß klar, sondern auch so frappierend, daß Rex und Czako -unwillkürlich anhielten. - -»Alle Wetter, Stechlin, das ist ja reizend,« wandte sich Czako zu dem -am andern Flügel reitenden Woldemar. »Ich find es geradezu märchenhaft, -Fata Morgana -- das heißt, ich habe noch keine gesehn. Die gelbe -Wand, die da noch das letzte Tageslicht auffängt, das ist wohl Ihr -Zauberschloß? Und das Stückchen Grau da links, das taxier ich auf eine -Kirchenecke. Bleibt nur noch der Staketzaun an der andern Seite; -- da -wohnt natürlich der Schulmeister. Ich verbürge mich, daß ich's damit -getroffen. Aber die zwei schwarzen Riesen, die da grad in der Mitte -stehn und sich von der gelben Wand abheben (›abheben‹ ist übrigens -auch trivial; entschuldigen Sie, Rex), die stehen ja da wie die -Cherubim. Allerdings etwas zu schwarz. Was sind das für Leute?« - -»Das sind Findlinge?« - -»Findlinge.« - -»Ja, Findlinge,« wiederholte Woldemar. »Aber wenn Ihnen das Wort -anstößig ist, so können Sie sie auch Monolithe nennen. Es ist -merkwürdig, Czako, wie hochgradig verwöhnt im Ausdruck Sie sind, wenn -Sie nicht gerade selber das Wort haben ... Aber nun, meine Herren, -müssen wir uns wieder in Trab setzen. Ich bin überzeugt, mein Papa -steht schon ungeduldig auf seiner Rampe, und wenn er uns so in Schritt -ankommen sieht, denkt er, wir bringen eine Trauernachricht oder einen -Verwundeten.« - - * * * * * - -Wenige Minuten später, und alle drei trabten denn auch wirklich, von -Fritz gefolgt, über die Bohlenbrücke fort, erst in den Vorhof hinein -und dann an der blanken Glaskugel vorüber. Der Alte stand bereits -auf der Rampe, Engelke hinter ihm und hinter diesem Martin, der alte -Kutscher. Im Nu waren alle drei Reiter aus dem Sattel, und Martin und -Fritz nahmen die Pferde. So trat man in den Flur. »Erlaube, lieber -Papa, dir zwei liebe Freunde von mir vorzustellen: Assessor von Rex, -Hauptmann von Czako.« - -Der alte Stechlin schüttelte jedem die Hand und sprach ihnen aus, wie -glücklich er über ihren Besuch sei. »Seien Sie mir herzlich willkommen, -meine Herren. Sie haben keine Ahnung, welche Freude Sie mir machen, -mir, einem vergrätzten, alten Einsiedler. Man sieht nichts mehr, man -hört nichts mehr. Ich hoffe auf einen ganzen Sack voll Neuigkeiten.« - -»Ach, Herr Major,« sagte Czako, »wir sind ja schon vierundzwanzig -Stunden fort. Und, ganz abgesehen davon, wer kann heutzutage noch -mit den Zeitungen konkurrieren! Ein Glück, daß manche prinzipiell -einen Posttag zu spät kommen. Ich meine mit den neuesten Nachrichten. -Vielleicht auch sonst noch.« - -»Sehr wahr,« lachte Dubslav. »Der Konservatismus soll übrigens, seinem -Wesen nach, eine Bremse sein; damit muß man vieles entschuldigen. Aber -da kommen Ihre Mantelsäcke, meine Herren. Engelke, führe die Herren auf -ihr Zimmer. Wir haben jetzt sechseinviertel. Um sieben, wenn ich bitten -darf.« - -Engelke hatte mittlerweile die beiden von Dubslav etwas altmodisch -als »Mantelsäcke« bezeichneten Plaidrollen in die Hand genommen und -ging damit, den beiden Herren voran, auf die doppelarmige Treppe zu, -die gerade da, wo die beiden Arme derselben sich kreuzten, einen -ziemlich geräumigen Podest mit Säulchengalerie bildete. Zwischen den -Säulchen aber, und zwar mit Blick auf den Flur, war eine Rokokouhr -angebracht, mit einem Zeitgott darüber, der eine Hippe führte. Czako -wies darauf hin und sagte leise zu Rex: »Ein bißchen graulich,« -- ein -Gefühl, drin er sich bestärkt sah, als man bis auf den mit ungeheurer -Raumverschwendung angelegten Oberflur gekommen war. Über einer nach -hinten zu gelegenen Saaltür hing eine Holztafel mit der Inschrift: -»Museum«, während hüben und drüben, an den Flurwänden links und rechts, -mächtige Birkenmaser- und Ebenholzschränke standen, wahre Prachtstücke, -mit zwei großen Bildern dazwischen, eines eine Burg mit dicken -Backsteintürmen, das andre ein überlebensgroßer Ritter, augenscheinlich -aus der Frundsbergzeit, wo das bunt Landsknechtliche schon die Rüstung -zu drapieren begann. - -»Is wohl ein Ahn?« fragte Czako. - -»Ja, Herr Hauptmann. Und er ist auch unten in der Kirche.« - -»Auch so wie hier?« - -»Nein, bloß Grabstein und schon etwas abgetreten. Aber man sieht doch -noch, daß es derselbe ist.« - -Czako nickte. Dabei waren sie bis an ein Eckzimmer gekommen, das mit -der einen Seite nach dem Flur, mit der andern Seite nach einem schmalen -Gang hin lag. Hier war auch die Tür. Engelke, vorangehend, öffnete und -hing die beiden Plaidrollen an die Haken eines hier gleich an der Tür -stehenden Kleiderständers. Unmittelbar daneben war ein Klingelzug mit -einer grünen, etwas ausgefransten Puschel daran. Engelke wies darauf -hin und sagte: »Wenn die Herren noch was wünschen ... Und um sieben ... -Zweimal wird angeschlagen.« - -Und damit ging er, die beiden ihrer Bequemlichkeit überlassend. - -Es waren zwei nebeneinander gelegene Zimmer, in denen man Rex und Czako -untergebracht hatte, das vordere größer und mit etwas mehr Aufwand -eingerichtet, mit Stehspiegel und Toilette, der Spiegel sogar zum -Kippen. Das Bett in diesem vorderen Zimmer hatte einen kleinen Himmel -und daneben eine Etagere, auf deren oberem Brettchen eine Meißner -Figur stand, ihr ohnehin kurzes Röckchen lüpfend, während auf dem -unteren Brett ein Neues Testament lag, mit Kelch und Kreuz und einem -Palmenzweig auf dem Deckel. - -Czako nahm das Meißner Püppchen und sagte: »Wenn nicht unser Freund -Woldemar bei diesem Arrangement seine Hand mit im Spiele gehabt hat, so -haben wir hier in bezug auf Requisiten ein Ahnungsvermögen, wie's nicht -größer gedacht werden kann. Das Püppchen ~pour moi~, das Testament -~pour vous~.« - -»Czako, wenn Sie doch bloß das Necken lassen könnten!« - -»Ach, sagen Sie doch so was nicht, Rex; Sie lieben mich ja bloß um -meiner Neckereien willen.« - -Und nun traten sie, von dem Vorderzimmer her, in den etwas kleineren -Wohnraum, in dem Spiegel und Toilette fehlten. Dafür aber war ein -Rokokosofa da, mit hellblauem Atlas und weißen Blumen darauf. - -»Ja, Rex,« sagte Czako, »wie teilen wir nun? Ich denke, Sie nehmen -nebenan den Himmel, und ich nehme das Rokokosofa, noch dazu mit weißen -Blumen, vielleicht Lilien. Ich wette, das kleine Ding von Sofa hat eine -Geschichte.« - -»Rokoko hat immer eine Geschichte,« bestätigte Rex. »Aber hundert Jahr -zurück. Was jetzt hier haust, sieht mir, Gott sei Dank, nicht danach -aus. Ein bißchen Spuk trau ich diesem alten Kasten allerdings schon -zu; aber keine Rokokogeschichte. Rokoko ist doch immer unsittlich. Wie -gefällt Ihnen übrigens der Alte?« - -»Vorzüglich. Ich hätte nicht gedacht, daß unser Freund Woldemar solchen -famosen Alten haben könnte.« - -»Das klingt ja beinah,« sagte Rex, »wie wenn Sie gegen unsern Stechlin -etwas hätten.« - -»Was durchaus nicht der Fall ist. Unser Stechlin ist der beste Kerl von -der Welt, und wenn ich das verdammte Wort nicht haßte, würd ich ihn -sogar einen ›perfekten Gentleman‹ nennen müssen. Aber ...« - -»Nun ...« - -»Aber er paßt doch nicht recht an seine Stelle.« - -»An welche?« - -»In sein Regiment.« - -»Aber, Czako, ich verstehe Sie nicht. Er ist ja brillant angeschrieben. -Liebling bei jedem. Der Oberst hält große Stücke von ihm, und die -Prinzen machen ihm beinah den Hof ...« - -»Ja, das ist es ja eben. Die Prinzen, die Prinzen.« - -»Was denn, wie denn?« - -»Ach, das ist eine lange Geschichte, viel zu lang, um sie hier vor -Tisch noch auszukramen. Denn es ist bereits halb, und wir müssen uns -eilen. Übrigens trifft es viele, nicht bloß unsern Stechlin.« - -»Immer dunkler, immer rätselvoller,« sagte Rex. - -»Nun, vielleicht daß ich Ihnen das Rätsel löse. Schließlich kann man -ja Toilette machen und noch seinen Diskurs daneben haben. ›Die Prinzen -machen ihm den Hof,‹ so geruhten Sie zu bemerken, und ich antwortete: -›Ja, das ist es eben.‹ Und diese Worte kann ich Ihnen nur wiederholen. -Die Prinzen -- ja, damit hängt es zusammen und noch mehr damit, daß -die feinen Regimenter immer feiner werden. Kucken Sie sich mal die -alten Ranglisten an, das heißt wirklich alte, voriges Jahrhundert und -dann so bis anno sechs. Da finden Sie bei Regiment Garde du Corps oder -bei Regiment Gensdarmes unsere guten alten Namen: Marwitz, Wakenitz, -Kracht, Löschebrand, Bredow, Rochow, höchstens daß sich mal ein höher -betitelter Schlesischer mit hinein verirrt. Natürlich gab es auch -Prinzen damals, aber der Adel gab den Ton an, und die paar Prinzen -mußten noch froh sein, wenn sie nicht störten. Damit ist es nun aber, -seit wir Kaiser und Reich sind, total vorbei. Natürlich sprech ich -nicht von der Provinz, nicht von Litauen und Masuren, sondern von der -Garde, von den Regimentern unter den Augen Seiner Majestät. Und nun -gar erst diese Gardedragoner! Die waren immer pik, aber seit sie, -~pour combler le bonheur~, auch noch ›Königin von Großbritannien und -Irland‹ sind, wird es immer mehr davon, und je piker sie werden, -desto mehr Prinzen kommen hinein, von denen übrigens auch jetzt schon -mehr da sind, als es so obenhin aussieht, denn manche sind eigentlich -welche und dürfen es bloß nicht sagen. Und wenn man dann gar noch -die alten mitrechnet, die bloß ~à la suite~ stehen, aber doch immer -noch mit dabei sind, wenn irgendwas los ist, so haben wir, wenn der -Kreis geschlossen wird, zwar kein Parkett von Königen, aber doch -einen Zirkus von Prinzen. Und da hinein ist nun unser guter Stechlin -gestellt. Natürlich tut er, was er kann, und macht so gewisse Luxusse -mit, Gefühlsluxusse, Gesinnungsluxusse und, wenn es sein muß, auch -Freiheitsluxusse. So nen Schimmer von Sozialdemokratie. Das ist aber -auf die Dauer schwierig. Richtige Prinzen können sich das leisten, die -verbebeln nicht leicht. Aber Stechlin! Stechlin ist ein reizender Kerl, -aber er ist doch bloß ein Mensch.« - -»Und das sagen Sie, Czako, gerade Sie, der Sie das Menschliche stets -betonen?« - -»Ja, Rex, das tu ich. Heut wie immer. Aber eines schickt sich nicht -für alle. Der eine darf's, der andre nicht. Wenn unser Freund Stechlin -sich in diese seine alte Schloßkate zurückzieht, so darf er Mensch -sein, soviel er will, aber als Gardedragoner kommt er damit nicht -aus. Vom alten Adam will ich nicht sprechen, das hat immer noch so ne -Nebenbedeutung.« - - * * * * * - -Während Rex und Czako Toilette machten und abwechselnd über den alten -und den jungen Stechlin verhandelten, schritten die, die den Gegenstand -dieser Unterhaltung bildeten, Vater und Sohn, im Garten auf und ab und -hatten auch ihrerseits ihr Gespräch. - -»Ich bin dir dankbar, daß du mir deine Freunde mitgebracht hast. -Hoffentlich kommen sie auf ihre Kosten. Mein Leben verläuft ein -bißchen zu einsam, und es wird ohnehin gut sein, wenn ich mich wieder -an Menschen gewöhne. Du wirst gelesen haben, daß unser guter alter -Kortschädel gestorben ist, und in etwa vierzehn Tagen haben wir hier ne -Neuwahl. Da muß ich dann ran und mich populär machen. Die Konservativen -wollen mich haben und keinen andern. Eigentlich mag ich nicht, aber -ich soll, und da paßt es mir denn, daß du mir Leute bringst, an denen -ich mich für die Welt sozusagen wieder wie einüben kann. Sind sie denn -ausgiebig und plauderhaft?« - -»O sehr, Papa, vielleicht zu sehr. Wenigstens der eine.« - -»Das is gewiß der Czako. Sonderbar, die von Alexander reden alle gern. -Aber ich bin sehr dafür; Schweigen kleid't nicht jeden. Und dann sollen -wir uns ja auch durch die Sprache vom Tier unterscheiden. Also wer am -meisten red't, ist der reinste Mensch. Und diesem Czako, den hab ich -es gleich angesehn. Aber der Rex. Du sagst Ministerialassessor. Ist er -denn von der frommen Familie?« - -»Nein, Papa, du machst dieselbe Verwechslung, die beinah alle machen. -Die fromme Familie, das sind die Reckes, gräflich und sehr vornehm. -Die Rex natürlich auch, aber doch nicht so hoch hinaus und auch nicht -so fromm. Allerdings nimmt mein Freund, der Ministerialassessor, einen -Anlauf dazu, die Reckes womöglich einzuholen.« - -»Dann hab ich also doch recht gesehn. Er hat so die Figur, die so was -vermuten läßt, ein bißchen wenig Fleisch und so glatt rasiert. Habt ihr -denn beim Rasieren in Cremmen gleich einen gefunden?« - -»Er hat alles immer bei sich; lauter englische. Von Solingen oder Suhl -will er nichts wissen.« - -»Und muß man ihn denn vorsichtig anfassen, wenn das Gespräch auf -kirchliche Dinge kommt? Ich bin ja, wie du weißt, eigentlich kirchlich, -wenigstens kirchlicher als mein guter Pastor (es wird immer schlimmer -mit ihm), aber ich bin so im Ausdruck mitunter ungenierter, als man -vielleicht sein soll, und bei ›niedergefahren zur Hölle‹ kann mir's -passieren, daß ich nolens volens ein bißchen tolles Zeug rede. Wie -steht es denn da mit ihm? Muß ich mich in acht nehmen? Oder macht er -bloß so mit?« - -»Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke mir, er steht so wie -die meisten stehn; das heißt, er weiß es nicht recht.« - -»Ja, ja, den Zustand kenn ich.« - -»Und weil er es nicht recht weiß, hat er sozusagen die Auswahl und -wählt das, was gerade gilt und nach oben hin empfiehlt. Ich kann das -auch so schlimm nicht finden. Einige nennen ihn einen ›Streber‹. Aber -wenn er es ist, ist er jedenfalls keiner von den schlimmsten. Er hat -eigentlich einen guten Charakter, und im ~cercle intime~ kann er -reizend sein. Er verändert sich dann nicht in dem, was er sagt, oder -doch nur ganz wenig, aber ich möchte sagen, er verändert sich in der -Art, wie er zuhört. Czako meint, unser Freund Rex halte sich mit -dem Ohr für das schadlos, was er mit dem Munde versäumt. Czako wird -überhaupt am besten mit ihm fertig; er schraubt ihn beständig, und -Rex, was ich reizend finde, läßt sich diese Schraubereien gefallen. -Daran siehst du schon, daß sich mit ihm leben läßt. Seine Frömmigkeit -ist keine Lüge, bloß Erziehung, Angewohnheit, und so schließlich seine -zweite Natur geworden.« - -»Ich werde ihn bei Tisch neben Lorenzen setzen; die mögen dann beide -sehn, wie sie miteinander fertig werden. Vielleicht erleben wir ne -Bekehrung. Das heißt Rex den Pastor. Aber da höre ich eine Kutsche -die Dorfstraße raufkommen. Das sind natürlich Gundermanns; die kommen -immer zu früh. Der arme Kerl hat mal was von der Höflichkeit der -Könige gehört und macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon. -Autodidakten übertreiben immer. Ich bin selber einer und kann also -mitreden. Nun, wir sprechen morgen früh weiter; heute wird es nichts -mehr. Du wirst dich auch noch ein bißchen striegeln müssen, und ich -will mir nen schwarzen Rock anziehn. Das bin ich der guten Frau von -Gundermann doch schuldig; sie putzt sich übrigens nach wie vor wie'n -Schlittenpferd und hat immer noch den merkwürdigen Federbusch in ihrem -Zopf -- das heißt, wenn's ihrer ist.« - - - - -Drittes Kapitel - - -Engelke schlug unten im Flur zweimal an einen alten, als Tamtam -fungierenden Schild, der an einem der zwei vorspringenden und -zugleich die ganze Treppe tragenden Pfeiler hing. Eben diese zwei -Pfeiler bildeten denn auch mit dem Podest und der in Front desselben -angebrachten Rokokouhr einen zum Gartensalon, diesem Hauptzimmer des -Erdgeschosses, führenden, ziemlich pittoresken Portikus, von dem ein -auf Besuch anwesender hauptstädtischer Architekt mal gesagt hatte: -sämtliche Bausünden von Schloß Stechlin würden durch diesen verdrehten, -aber malerischen Einfall wieder gutgemacht. - -Die Uhr mit dem Hippenmann schlug gerade sieben, als Rex und Czako die -Treppe herunter kamen und, eine Biegung machend, auf den von berufener -Seite so glimpflich beurteilten sonderbaren Vorbau zusteuerten. Als -die Freunde diesen passierten, sahen sie -- die Türflügel waren -schon geöffnet -- in aller Bequemlichkeit in den Salon hinein und -nahmen hier wahr, daß etliche, ihnen zu Ehren geladene Gäste bereits -erschienen waren. Dubslav, in dunklem Überrock und die Bändchenrosette -sowohl des preußischen wie des wendischen Kronenordens im Knopfloch, -ging den Eintretenden entgegen, begrüßte sie nochmals mit der ihm -eigenen Herzlichkeit, und beide Herren gleich danach in den Kreis -der schon Versammelten einführend, sagte er: »Bitte die Herrschaften -miteinander bekannt machen zu dürfen: Herr und Frau von Gundermann -auf Siebenmühlen, Pastor Lorenzen, Oberförster Katzler,« und dann, -nach links sich wendend, »Ministerialassessor von Rex, Hauptmann von -Czako vom Regiment Alexander.« Man verneigte sich gegenseitig, worauf -Dubslav zwischen Rex und Pastor Lorenzen, Woldemar aber, als Adlatus -seines Vaters, zwischen Czako und Katzler eine Verbindung herzustellen -suchte, was auch ohne weiteres gelang, weil es hüben und drüben weder -an gesellschaftlicher Gewandtheit, noch an gutem Willen gebrach. Nur -konnte Rex nicht umhin, die Siebenmühlener etwas eindringlich zu -mustern, trotzdem Herr von Gundermann in Frack und weißer Binde, Frau -von Gundermann aber in geblümtem Atlas mit Marabufächer erschienen -war, -- er augenscheinlich Parvenu, sie Berlinerin aus einem -nordöstlichen Vorstadtgebiet. - -Rex sah das alles. Er kam aber nicht in die Lage, sich lange damit zu -beschäftigen, weil Dubslav eben jetzt den Arm der Frau von Gundermann -nahm und dadurch das Zeichen zum Aufbruch zu der im Nebenzimmer -gedeckten Tafel gab. Alle folgten paarweise, wie sie sich vorher -zusammengefunden, kamen aber durch die von seiten Dubslavs schon vorher -festgesetzte Tafelordnung wieder auseinander. Die beiden Stechlins, -Vater und Sohn, plazierten sich an den beiden Schmalseiten einander -gegenüber, während zur Rechten und Linken von Dubslav Herr und Frau von -Gundermann, rechts und links von Woldemar aber Rex und Lorenzen saßen. -Die Mittelplätze hatten Katzler und Czako inne. Neben einem großen -alten Eichenbüfett, ganz in Nähe der Tür, standen Engelke und Martin, -Engelke in seiner sandfarbenen Livree mit den großen Knöpfen, Martin, -dem nur oblag, mit der Küche Verbindung zu halten, einfach in schwarzem -Rock und Stulpstiefeln. - -Der alte Dubslav war in bester Laune, stieß gleich nach den ersten -Löffeln Suppe mit Frau von Gundermann vertraulich an, dankte für -ihr Erscheinen und entschuldigte sich wegen der späten Einladung: -»Aber erst um zwölf kam Woldemars Telegramm. Es ist das mit dem -Telegraphieren solche Sache, manches wird besser, aber manches wird -auch schlechter, und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gewiß. -Schon die Form, die Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich -kurz fassen, heißt meistens auch, sich grob fassen. Jede Spur von -Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort ›Herr‹ ist beispielsweise -gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz -ernsthaft versicherte: ›Der häßlichste Mops sei der schönste;‹ so läßt -sich jetzt beinahe sagen, ›das gröbste Telegramm ist das feinste‹. -Wenigstens das in seiner Art vollendetste. Jeder, der wieder eine neue -Fünfpfennigersparnis herausdoktert, ist ein Genie.« - -Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an die Frau von Gundermann, -sehr bald aber mehr an Gundermann selbst gerichtet, weshalb dieser -letztere denn auch antwortete: »Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen -der Zeit. Und ganz bezeichnend, daß gerade das Wort ›Herr‹, wie Sie -schon hervorzuheben die Güte hatten, so gut wie abgeschafft ist. ›Herr‹ -ist Unsinn geworden, ›Herr‹ paßt den Herren nicht mehr, -- ich meine -natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber es ist auch -danach. Alle diese Neuerungen, an denen sich leider auch der Staat -beteiligt, was sind sie? Begünstigungen der Unbotmäßigkeit, also Wasser -auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und niemand da, der -Lust und Kraft hätte, dies Wasser abzustellen. Aber trotzdem, Herr von -Stechlin -- ich würde nicht widersprechen, wenn mich das Tatsächliche -nicht dazu zwänge --, trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie, gerade -hier in unsrer Einsamkeit. Und dabei das beständige Schwanken der -Kurse. Namentlich auch in der Mühlen- und Brettschneidebranche ...« - -»Versteht sich, lieber Gundermann. Was ich da gesagt habe ... Wenn -ich das Gegenteil gesagt hätte, wäre es ebenso richtig. Der Teufel -is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch -nicht, und wir auch nicht. Schließlich ist es doch was Großes, diese -Naturwissenschaften, dieser elektrische Strom, tipp, tipp, tipp, und -wenn uns daran läge (aber uns liegt nichts daran), so könnten wir -den Kaiser von China wissen lassen, daß wir hier versammelt sind und -seiner gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen -in Zeit und Stunde. Beinahe komisch. Als Anno siebzig die Pariser -Septemberrevolution ausbrach, wußte man's in Amerika drüben um ein -paar Stunden früher, als die Revolution überhaupt da war. Ich sagte: -Septemberrevolution. Es kann aber auch ne andre gewesen sein; sie haben -da so viele, daß man sie leicht verwechselt. Eine war im Juni, ne andre -war im Juli, -- wer nich ein Bombengedächtnis hat, muß da notwendig -reinfallen ... Engelke, präsentiere der gnädgen Frau den Fisch noch -mal. Und vielleicht nimmt auch Herr von Czako ...« - -»Gewiß, Herr von Stechlin,« sagte Czako. »Erstlich aus -reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder -Fortschrittsbedürfnis. Man will doch an dem, was gerade gilt oder -überhaupt Menschheitsentwicklung bedeutet, auch seinerseits nach -Möglichkeit teilnehmen, und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan. -Fische sollen außerdem viel Phosphor enthalten, und Phosphor, so heißt -es, macht ›helle‹.« - -»Gewiß,« kicherte Frau von Gundermann, die sich bei dem Wort »helle« -wie persönlich getroffen fühlte. »Phosphor war ja auch schon, eh die -Schwedischen aufkamen.« - -»O, lange vorher,« bestätigte Czako. »Was mich aber,« fuhr er, sich -an Dubslav wendend, fort, »an diesen Karpfen noch ganz besonders -fesselt -- beiläufig ein Prachtexemplar --, das ist das, daß er -doch höchstwahrscheinlich aus Ihrem berühmten See stammt, über den -ich durch Woldemar, Ihren Herrn Sohn, bereits unterrichtet bin. -Dieser merkwürdige See, dieser Stechlin! Und da frag ich mich denn -unwillkürlich (denn Karpfen werden alt; daher beispielsweise die -Mooskarpfen), welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden -Exemplar seiner Gattung wohl schon vorübergegangen? Ich weiß nicht, ob -ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf; wenn aber, so würde -er als Jüngling die Lissaboner Aktion und als Urgreis den neuerlichen -Ausbruch des Krakatowa mitgemacht haben. Und all das erwogen, drängt -sich mir die Frage auf ...« - -Dubslav lächelte zustimmend. - -»... Und all das erwogen, drängt sich mir die Frage auf, wenn's nun in -Ihrem Stechlinsee zu brodeln beginnt oder gar die große Trichterbildung -anhebt, aus der dann und wann, wenn ich recht gehört habe, der krähende -Hahn aufsteigt, wie verhält sich da der Stechlinkarpfen, dieser doch -offenbar Nächstbeteiligte, bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse? -Beneidet er den Hahn, dem es vergönnt ist, in die Ruppiner Lande -hineinzukrähen, oder ist er umgekehrt ein Feigling, der sich in seinem -Moorgrund verkriecht, also ein Bourgeois, der am andern Morgen fragt: -›Schießen sie noch?‹« - -»Mein lieber Herr von Czako, die Beantwortung Ihrer Frage hat selbst -für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten. Ins Innere der -Natur dringt kein erschaffener Geist. Und zu dem innerlichsten und -verschlossensten zählt der Karpfen; er ist nämlich sehr dumm. Aber nach -der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird er sich beim Eintreten der großen -Eruption wohl verkrochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. -Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. Sie -brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen, denn Sie sind noch im Dienst.« - -»Bitte, bitte,« sagte Czako. - - * * * * * - -Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite -der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder außerdienstlich aufs -Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen, -und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das -Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe geborenen Kinder alle -möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zugute kommende -Betrachtungen zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit -Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema -zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwischenfrage den Faden -abschnitt, in die Lage gekommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen -mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Erfahrung -gebracht hatte, daß er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm einen -guten Gesprächsstoff und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförster -nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und -seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde, -- sein früherer -Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite Welt -hinausgeführt, während er jetzt »stabiliert« sei. »Stabilierung« zählte -zu Rex' Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten -Fremdwörterschatz, den er sich -- er hatte diese Dinge dienstlich zu -bearbeiten gehabt -- aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms ~I.~ -angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler, -ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur -von einer oft unausreichenden Orientierungsfähigkeit, fand sich in des -Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich -zurecht und war froh, als ihm der hellhörige, mittlerweile wieder frei -gewordene Pastor in der durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. -»Ich glaube herauszuhören,« sagte Lorenzen, »daß Herr von Rex geneigt -ist, dem Leben draußen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft -den Vorzug zu geben. Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen -können, ich nun schon gewiß nicht; aber auch unser Herr Oberförster -wird mutmaßlich froh sein, seine vordem im Eisenbahncoupé verbrachten -Feldjägertage hinter sich zu haben. Es heißt freilich, ›im engen Kreis -verengert sich der Sinn‹, und in den meisten Fällen mag es zutreffen. -Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde bestimmte -große Vorzüge.« - -»Sie sprechen mir durchaus aus der Seele, Herr Pastor Lorenzen,« -sagte Rex. »Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der -›Globetrotter‹ mein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln -zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem ›Auch-draußen-zu-Hause-sein‹ -auf sich, und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plädieren, so -plädieren Sie wohl in eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster -aus der Welt zurückgezogen hat, so wohl auch Sie. Sie sind beide darin, -ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, daß meine -persönliche Neigung dieselben Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, -die von einem solchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen -wollen, die vielleicht umgekehrt, statt in einem Sichhingeben an den -einzelnen, in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung -finden. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen -Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen zu -dürfen. Sie stehen in der christlich-sozialen Bewegung. Aber nehmen -Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht nahesteht, er und -sein Tun sprechen doch recht eigentlich für mich; sein Feld ist nicht -einzelne Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, sondern eine Weltstadt. -Stöckers Auftreten und seine Mission sind eine Widerlegung davon, daß -das Schaffen im Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere sein -müsse.« - -Lorenzen war daran gewöhnt, sei's zu Lob, sei's zu Tadel, sich mit dem -ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele gestellt -zu sehen, und empfand dies jedesmal als eine Huldigung. Aber nicht -minder empfand er dabei regelmäßig den tiefen Unterschied, der zwischen -dem großen Agitator und seiner stillen Weise lag. »Ich glaube, Herr -von Rex,« nahm er wieder das Wort, »daß Sie den ›Vater der Berliner -Bewegung‹ sehr richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur -Zufriedenheit des Geschilderten selbst, was, wie man sagt, nicht eben -leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht anscheinend in einem -Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel geschlagen und sieht sich -geliebt und gehuldigt, nicht nur seitens derer, denen er mildtätig die -Schuhe schneidet, sondern beinah mehr noch im Lager derer, denen er -das Leder zu den Schuhen nimmt. Er hat schon so viele Beinamen, und der -des heiligen Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben, -die sein Tun im guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag ist -nahe, wo der so Rührige und zugleich so Mutige, der seine Ziele so weit -steckte, sich in die Enge des Daseins zurücksehnen wird. Er besitzt, -wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgendwo in -Franken, und wohl möglich, ja, mir persönlich geradezu wahrscheinlich, -daß ihm an jener stillen Stelle früher oder später ein echteres Glück -erblüht, als er es jetzt hat. Es heißt wohl, ›Gehet hin und lehret alle -Heiden‹, aber schöner ist es doch, wenn die Welt, uns suchend, an uns -herankommt. Und die Welt kommt schon, wenn die richtige Persönlichkeit -sich ihr auftut. Da ist dieser Wörishofener Pfarrer -- er sucht nicht -die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie kommen, so heilt -er sie, heilt sie mit dem Einfachsten und Natürlichsten. Übertragen -Sie das vom Äußern aufs Innere, so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen -graben just an der Stelle, wo man gerade steht. Innere Mission in -nächster Nähe, sei's mit dem Alten, sei's mit etwas Neuem.« - -»Also mit dem Neuen,« sagte Woldemar und reichte seinem alten Lehrer -die Hand. - -Aber dieser antwortete: »Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber -mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, soweit es -muß.« - - * * * * * - -Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem Gange angelangt, -der eine Spezialität von Schloß Stechlin war und jedesmal die -Bewunderung seiner Gäste bildete: losgelöste Krammetsvögelbrüste, -mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichtet, die, wenn die Herbst- und -Ebereschentage da waren, als eine höhere Form von Schwarzsauer auf -den Tisch zu kommen pflegten. Engelke präsentierte Burgunder dazu, -der schon lange lag, noch aus alten, besseren Tagen her, und als -jeder davon genommen, erhob sich Dubslav, um erst kurz seine lieben -Gäste zu begrüßen, dann aber die Damen leben zu lassen. Er müsse bei -diesem Plural bleiben, trotzdem die Damenwelt nur in einer Einheit -vertreten sei; doch er gedenke dabei neben seiner lieben Freundin -und Tischnachbarin (er küßte dieser huldigend die Hand) zugleich -auch der »Gemahlin« seines Freundes Katzler, die leider -- wenn -auch vom Familienstandpunkt aus in hocherfreulichster Veranlassung --- am Erscheinen in ihrer Mitte verhindert sei: »Meine Herren, Frau -Oberförster Katzler« -- er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er -eine höhere Titulatur ganz ernsthaft in Erwägung gezogen hätte -- »Frau -Oberförster Katzler und Frau von Gundermann, sie leben hoch!« Rex, -Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau von Gundermann anzustoßen; -als aber jeder von ihnen auf seinen Platz zurückgekehrt war, nahmen -sie die durch den Toast unterbrochenen Privatgespräche wieder auf, -wobei Dubslav als guter Wirt sich darauf beschränkte, kurze Bemerkungen -nach links und rechts hin einzustreuen. Dies war indessen nicht immer -leicht, am wenigsten leicht bei dem Geplauder, das der Hauptmann und -Frau von Gundermann führten, und das so pausenlos verlief, daß ein -Einhaken sich kaum ermöglichte. Czako war ein guter Sprecher, aber -er verschwand neben seiner Partnerin. Ihres Vaters Laufbahn, der es -(ursprünglich Schreib- und Zeichenlehrer) in einer langen, schon mit -anno 13 beginnenden Dienstzeit bis zum Hauptmann in der »Plankammer« -gebracht hatte, gab ihr in ihren Augen eine gewisse militärische -Zugehörigkeit, und als sie, nach mehrmaligem Auslugen, endlich den ihr -wohlbekannten Namenszug des Regiments Alexander auf Czakos Achselklappe -erkannt hatte, sagte sie: »Gott ..., Alexander. Nein, ich sage. Mir -war aber doch auch gleich so; Münzstraße. Wir wohnten ja Linienstraße, -Ecke der Weinmeister -- das heißt, als ich meinen Mann kennen lernte. -Vorher draußen, Schönhauser Allee. Wenn man so wen aus seiner Gegend -wieder sieht! Ich bin ganz glücklich, Herr Hauptmann. Ach, es ist zu -traurig hier. Und wenn wir nicht den Herrn von Stechlin hätten, so -hätten wir so gut wie gar nichts. Mit Katzlers,« aber dies flüsterte -sie nur leise, »mit Katzlers ist es nichts, die sind zu hoch raus. Da -muß man sich denn klein machen. Und so toll ist es am Ende doch auch -noch nicht. Jetzt passen sie ja noch leidlich. Aber abwarten.« - -»Sehr wahr, sehr wahr,« sagte Czako, der, ohne was Sicheres zu -verstehen, nur ein während des Dubslavschen Toastes schon gehabtes -Gefühl bestätigt sah, daß es mit den Katzlers was Besonderes auf sich -haben müsse. Frau von Gundermann aber, den ihr unbequemen Flüsterton -aufgebend, fuhr mit wieder lauter werdender Stimme fort: »Wir haben -den Herrn von Stechlin, und das ist ein Glück, und es ist auch bloß -eine gute halbe Meile. Die meisten andern wohnen viel zu weit, und -wenn sie auch näher wohnten, sie wollen alle nicht recht; die Leute -hier, mit denen wir eigentlich Umgang haben müßten, sind so difficil -und legen alles auf die Goldwage. Das heißt, vieles legen sie nicht -auf die Goldwage, dazu reicht es bei den meisten nicht aus; nur immer -die Ahnen. Und sechzehn ist das wenigste. Ja, wer hat gleich sechzehn? -Gundermann ist erst geadelt, und wenn er nicht Glück gehabt hätte, so -wär es gar nichts. Er hat nämlich klein angefangen, bloß mit einer -Mühle; jetzt haben wir nun freilich sieben, immer den Rhin entlang, -lauter Schneidemühlen, Bohlen und Bretter, einzöllig, zweizöllig und -noch mehr. Und die Berliner Dielen, die sind fast alle von uns.« - -»Aber, meine gnädigste Frau, das muß Ihnen doch ein Hochgefühl geben. -Alle Berliner Dielen! Und dieser Rhinfluß, von dem Sie sprechen, der -vielleicht eine ganze Seenkette verbindet, und woran mutmaßlich eine -reizende Villa liegt! Und darin hören Sie Tag und Nacht, wie nebenan in -der Mühle die Säge geht, und die dicht herumstehenden Bäume bewegen -sich leise. Mitunter natürlich ist auch Sturm. Und Sie haben eine -Pony-Equipage für Ihre Kinder. Ich darf doch annehmen, daß Sie Kinder -haben? Wenn man so abgeschieden lebt und so beständig aufeinander -angewiesen ist ...« - -»Es ist, wie Sie sagen, Herr Hauptmann; ich habe Kinder, aber schon -erwachsen, beinah alle, denn ich habe mich jung verheiratet. Ja, Herr -von Czako, man ist auch einmal jung gewesen. Und es ist ein Glück, -daß ich die Kinder habe. Sonst ist kein Mensch da, mit dem man ein -gebildetes Gespräch führen kann. Mein Mann hat seine Politik und möchte -sich wählen lassen, aber es wird nichts, und wenn ich die Journale -bringe, nicht mal die Bilder sieht er sich an. Und die Geschichten, -sagt er, seien bloß dummes Zeug und bloß Wasser auf die Mühlen der -Sozialdemokratie. Seine Mühlen, was ich übrigens recht und billig -finde, sind ihm lieber.« - -»Aber Sie müssen doch viele Menschen um sich herum haben, schon in -Ihrer Wirtschaft.« - -»Ja, die hab ich, und die Mamsells, die man so kriegt, ja, ein paar -Wochen geht es; aber dann bändeln sie gleich an, am liebsten mit nem -Volontär; wir haben nämlich auch Volontärs in der Mühlenbranche. Und -die meisten sind aus ganz gutem Hause. Die jungen Menschen passen aber -nicht auf, und da hat man's denn, und immer gleich Knall und Fall. -All das ist doch traurig, und mitunter ist es auch so, daß man sich -geradezu genieren muß.« - -Czako seufzte. »Mir ein Greuel, all dergleichen. Aber ich weiß vom -Manöver her, was alles vorkommt. Und mit einer Schläue ... nichts -schlauer, als verliebte Menschen. Ach, das ist ein Kapitel, womit man -nicht fertig wird. Aber Sie sagten Linienstraße, meine Gnädigste. -Welche Nummer denn? Ich kenne da beinah jedes Haus, kleine, nette -Häuser, immer bloß Bel-Etage, höchstens mal ein ~Oeil de Boeuf~.« - -»Wie? was?« - -»Großes rundes Fenster ohne Glas. Aber ich liebe diese Häuser.« - -»Ja, das kann ich auch von mir sagen, und in gerade solchen Häusern -hab ich meine beste Zeit verbracht, als ich noch ein Quack war, -höchstens vierzehn. Und so grausam wild. Damals waren nämlich noch die -Rinnsteine, und wenn es dann regnete und alles überschwemmt war und -die Bretter anfingen, sich zu heben, und schon so halb herumschwammen, -und die Ratten, die da drunter steckten, nicht mehr wußten, wo sie hin -sollten, dann sprangen wir auf die Bohlen rauf, und nun die Biester -raus, links und rechts, und die Jungens hinterher, immer aufgekrempelt -und ganz nackigt. Und einmal, weil der eine Junge nicht abließ und mit -seinen Holzpantinen immer drauflos schlug, da wurde das Untier falsch -und biß den Jungen so, daß er schrie! Nein, so hab ich noch keinen -Menschen wieder schreien hören. Und es war auch fürchterlich.« - -»Ja, das ist es. Und da helfen bloß Rattenfänger.« - -»Ja, Rattenfänger, davon hab ich auch gehört -- Rattenfänger von -Hameln. Aber die gibt es doch nicht mehr.« - -»Nein, gnädige Frau, die gibt es nicht mehr, wenigstens nicht mehr -solche Hexenmeister mit Zauberspruch und einer Pfeife zum Pfeifen. Aber -die meine ich auch gar nicht. Ich meine überhaupt nicht Menschen, die -dergleichen als Metier betreiben und sich in den Zeitungen anzeigen, -unheimliche Gesichter mit einer Pelzkappe. Was ich meine, sind bloß -Pinscher, die nebenher auch noch ›Rattenfänger‹ heißen und es auch -wirklich sind. Und mit einem solchen Rattenfänger auf die Jagd gehen, -das ist eigentlich das Schönste, was es gibt.« - -»Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die Jagd gehen!« - -»Doch, doch, meine gnädigste Frau. Als ich in Paris war (ich war da -nämlich mal hinkommandiert), da bin ich mit runtergestiegen in die -sogenannten Katakomben, hochgewölbte Kanäle, die sich unter der Erde -hinziehen. Und diese Kanäle sind das wahre Ratteneldorado; da sind -sie zu Millionen. Oben drei Millionen Franzosen, unten drei Millionen -Ratten. Und einmal, wie gesagt, bin ich da mit runtergeklettert und -in einem Boote durch diese Unterwelt hingefahren, immer mitten in die -Ratten hinein.« - -»Gräßlich, gräßlich. Und sind Sie heil wieder raus gekommen?« - -»Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigste Frau, eigentlich war es doch ein -Vergnügen. In unserm Kahn hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger, -einen vorn und einen hinten. Und nun hätten Sie sehen sollen, wie das -losging. ›Schnapp,‹ und das Tier um die Ohren geschlagen, und tot war -es. Und so weiter, so schnell wie Sie nur zählen können, und mitunter -noch schneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver, dem -bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal gelesen haben, der in -der Sekunde drei Glaskugeln wegschoß. Und so immerzu, viele Hundert. -Ja, so was wie diese Rattenjagd da unten, das vergißt man nicht wieder. -Es war aber auch das Beste da. Denn was sonst noch von Paris geredet -wird, das ist alles übertrieben; meist dummes Zeug. Was haben sie denn -Großes? Opern und Zirkus und Museum, und in einem Saal ne Venus, die -man sich nicht recht ansieht, weil sie das Gefühl verletzt, namentlich -wenn man mit Damen da ist. Und das alles haben wir schließlich auch, -und manches haben wir noch besser. So zum Beispiel Niemann und die -dell' Era. Aber solche Rattenschlacht, das muß wahr sein, die haben wir -nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben.« - -Der alte Dubslav, der das Wort »Katakomben« gehört hatte, wandte -sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte: »Pardon, Herr von -Czako, aber Sie müssen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so -furchtbar ernsten Sachen kommen und noch dazu hier bei Tisch, gleich -nach Karpfen und Meerrettich. Katakomben! Ich bitte Sie. Die waren ja -doch eigentlich in Rom und erinnern einen immer an die traurigsten -Zeiten, an den grausamen Kaiser Nero und seine Verfolgungen und seine -Fackeln. Und da war dann noch einer mit einem etwas längeren Namen, der -noch viel grausamer war, und da verkrochen sich diese armen Christen -gerade in eben diese Katakomben, und manche wurden verraten und -gemordet. Nein, Herr von Czako, da lieber was Heiteres. Nicht wahr, -meine liebe Frau von Gundermann?« - -»Ach nein, Herr von Stechlin; es ist doch alles so sehr gelehrig. Und -wenn man so selten Gelegenheit hat ...« - -»Na, wie Sie wollen. Ich hab es gut gemeint. Stoßen wir an! Ihr Rudolf -soll leben; das ist doch der Liebling, trotzdem er der älteste ist. Wie -alt ist er denn jetzt?« - -»Vierundzwanzig.« - -»Ein schönes Alter. Und wie ich höre, ein guter Mensch. Er müßte nur -mehr raus. Er versauert hier ein bißchen.« - -»Sag ich ihm auch. Aber er will nicht fort. Er sagt, zu Hause sei es am -besten.« - -»Bravo. Da nehm ich alles zurück. Lassen Sie ihn. Zu Hause ist es am -Ende wirklich am besten. Und gerade wir hier, die wir den Vorzug haben, -in der Rheinsberger Gegend zu leben. Ja, wo ist so was? Erst der große -König, und dann Prinz Heinrich, der nie ne Schlacht verloren. Und -einige sagen, er wäre noch klüger gewesen als sein Bruder. Aber ich -will so was nicht gesagt haben.« - - - - -Viertes Kapitel - - -Frau von Gundermann schien auf das ihr als einziger, also auch ältester -Dame zustehende Tafelaufhebungsrecht verzichten zu wollen und wartete, -bis statt ihrer der schon seit einer Viertelstunde sich nach seiner -Meerschaumpfeife sehnende Dubslav das Zeichen zum Aufbruch gab. Alles -erhob sich jetzt rasch, um vom Eßzimmer aus in den nach dem Garten -hinaussehenden Salon zurückzukehren, dem es -- war es Zufall oder -Absicht? -- in diesem Augenblick noch an aller Beleuchtung fehlte; -nur im Kamin glühten ein paar Scheite, die während der Essenszeit -halb niedergebrannt waren, und durch die offenstehende hohe Glastür -fiel von der Veranda her das Licht der über den Parkbäumen stehenden -Mondsichel. Alles gruppierte sich alsbald um Frau von Gundermann, um -dieser die pflichtschuldigen Honneurs zu machen, während Martin die -Lampen, Engelke den Kaffee brachte. Das ein paar Minuten lang geführte -gemeinschaftliche Gespräch kam, all die Zeit über, über ein unruhiges -Hin und Her nicht hinaus, bis der Knäuel, in dem man stand, sich wieder -in Gruppen auflöste. - -Das erste sich abtrennende Paar waren Rex und Katzler, beide -passionierte Billardspieler, die sich -- Katzler übernahm die Führung --- erst in den Eßsaal zurück und von diesem aus in das daneben gelegene -Spielzimmer begaben. Das hier stehende, ziemlich vernachlässigte -Billard war schon an die fünfzig Jahre alt und stammte noch aus des -Vaters Zeiten her. Dubslav selbst machte sich nicht viel aus dem Spiel, -aus Spiel überhaupt nicht und interessierte sich, soweit sein Billard -in Betracht kam, nur für eine sehr nachgedunkelte Karoline, von der -ein Berliner Besucher mal gesagt hatte: »Alle Wetter, Stechlin, wo -haben Sie +die+ her? Das ist ja die gelbste Karoline, die ich all mein -Lebtag gesehen habe,« -- Worte, die damals solchen Eindruck auf Dubslav -gemacht hatten, daß er seitdem ein etwas freundlicheres Verhältnis zu -seinem Billard unterhielt und nicht ungern von »seiner Karoline« sprach. - -Das zweite Paar, das sich aus der Gemeinschaft abtrennte, waren -Woldemar und Gundermann. Gundermann, wie alle an Kongestionen -Leidende, fand es überall zu heiß und wies, als er ein paar Worte -mit Woldemar gewechselt, auf die offenstehende Tür. »Es ist ein so -schöner Abend, Herr von Stechlin; könnten wir nicht auf die Veranda -hinaustreten?« - -»Aber gewiß, Herr von Gundermann. Und wenn wir uns absentieren, wollen -wir auch alles Gute gleich mitnehmen. Engelke, bring uns die kleine -Kiste, du weißt schon.« - -»Ah, kapital. So ein paar Züge, das schlägt nieder, besser als -Sodawasser. Und dann ist es auch wohl schicklicher im Freien. Meine -Frau, wenn wir zuhause sind, hat sich zwar daran gewöhnen müssen und -spricht höchstens mal von ›paffen‹ (na, das is nicht anders, dafür is -man eben verheiratet), aber in einem fremden Hause, da fangen denn doch -die Rücksichten an. Unser guter alter Kortschädel sprach auch immer von -›Dehors‹.« - -Unter diesen Worten waren Woldemar und Gundermann vom Salon her auf die -Veranda hinausgetreten, bis dicht an die Treppenstufen heran, und sahen -auf den kleinen Wasserstrahl, der auf dem Rundell aufsprang. - -»Immer, wenn ich den Wasserstrahl sehe,« fuhr Gundermann fort, »muß ich -wieder an unsern guten alten Kortschädel denken. Is nu auch hinüber. -Na, jeder muß mal, und wenn irgendeiner seinen Platz da oben sicher -hat, +der+ hat ihn. Ehrenmann durch und durch, und loyal bis auf die -Knochen. Redner war er nicht, was eigentlich immer ein Vorzug, und -hat mit seiner Schwätzerei dem Staate kein Geld gekostet; aber er -wußte ganz gut Bescheid, und, unter vier Augen, ich habe Sachen von -ihm gehört, großartig. Und ich sage mir, solchen kriegen wir nicht -wieder ...« - -»Ach, das ist Schwarzseherei, Herr von Gundermann. Ich glaube, wir -haben viele von ähnlicher Gesinnung. Und ich sehe nicht ein, warum -nicht ein Mann wie Sie ...« - -»Geht nicht.« - -»Warum nicht?« - -»Weil Ihr Herr Papa kandidieren will. Und da muß ich zurückstehen. Ich -bin hier ein Neuling. Und die Stechlins waren hier schon ...« - -»Nun gut, ich will dies letztere gelten lassen, und nur was das -Kandidieren meines Vaters angeht -- ich denke mir, es ist noch nicht -so weit, vieles kann noch dazwischen kommen, und jedenfalls wird er -schwanken. Aber nehmen wir mal an, es sei, wie Sie vermuten. In diesem -Falle träfe doch gerade das zu, was ich mir soeben zu sagen erlaubt -habe. Mein Vater ist in jedem Anbetracht ein treuer Gesinnungsgenosse -Kortschädels, und wenn er an seine Stelle tritt, was ist da verloren? -Die Lage bleibt dieselbe.« - -»Nein, Herr von Stechlin.« - -»Nun, was ändert sich?« - -»Vieles, alles. Kortschädel war in den großen Fragen unerbittlich, und -Ihr Herr Vater läßt mit sich reden ...« - -»Ich weiß nicht, ob Sie da recht haben. Aber wenn es so wäre, so wäre -das doch ein Glück ...« - -»Ein Unglück, Herr von Stechlin. Wer mit sich reden läßt, ist nicht -stramm, und wer nicht stramm ist, ist schwach. Und Schwäche (die -destruktiven Elemente haben dafür eine feine Fühlung), Schwäche ist -immer Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie.« - -Die vier andern der kleinen Tafelrunde waren im Gartensalon -zurückgeblieben, hatten sich aber auch zu zwei und zwei zusammengetan. -In der einen Fensternische, so daß sie den Blick auf den -mondbeschienenen Vorplatz und die draußen auf der Veranda auf und -ab schreitenden beiden Herren hatten, saßen Lorenzen und Frau von -Gundermann. Die Gundermann war glücklich über das Tete-a-tete, denn sie -hatte wegen ihres jüngsten Sohnes allerhand Fragen auf dem Herzen oder -bildete sich wenigstens ein, sie zu haben. Denn eigentlich hatte sie -für gar nichts Interesse, sie mußte bloß, richtige Berlinerin, die sie -war, reden können. - -»Ich bin so froh, Herr Pastor, daß ich nun doch einmal Gelegenheit -finde. Gott, wer Kinder hat, der hat auch immer Sorgen. Ich möchte -wegen meines Jüngsten so gerne mal mit Ihnen sprechen, wegen meines -Arthur. Rudolf hat mir keine Sorgen gemacht, aber Arthur. Er ist nun -jetzt eingesegnet, und Sie haben ihm, Herr Prediger, den schönen -Spruch mitgegeben, und der Junge hat auch gleich den Spruch auf einen -großen weißen Bogen geschrieben, alle Buchstaben erst mit zwei Linien -nebeneinander und dann dick ausgetuscht. Es sieht aus wie'n Plakat. Und -diesen großen Bogen hat er sich in die Waschtoilette geklebt, und da -mahnt es ihn immer.« - -»Nun, Frau von Gundermann, dagegen ist doch nichts zu sagen.« - -»Nein, das will ich auch nicht. Eher das Gegenteil. Es hat ja doch was -Rührendes, daß es einer so ernst nimmt. Denn er hat zwei Tage dran -gesessen. Aber wenn solch junger Mensch es so immer liest, so gewöhnt -er sich dran. Und dann ist ja auch gleich wieder die Verführung da. -Gott, daß man gerade immer über solche Dinge reden muß; noch keine -Stunde, daß ich mit dem Herrn Hauptmann über unsern Volontär Vehmeyer -gesprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder mit Ihnen, Herr -Pastor, auch über so was. Aber es geht nicht anders. Und dann sind Sie -ja doch auch wie verantwortlich für seine Seele.« - -Lorenzen lächelte. »Gewiß, liebe Frau von Gundermann. Aber was ist es -denn? Um was handelt es sich denn eigentlich?« - -»Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder eine -recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngste von unserm -Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein hübsches Balg, rotbraun und -ganz kraus, und Brandt wollte, sie solle bei uns angelernt werden. -Nun, wir sind kein großes Haus, gewiß nicht, aber Mäntel abnehmen und -rumpräsentieren, und daß sie weiß, ob links oder rechts, so viel lernt -sie am Ende doch.« - -»Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn ich ganz gut; die wurde -jetzt gerade vorm Jahr eingesegnet. Und es ist, wie Sie sagen, ein -allerliebstes Geschöpf und klug und aufgekratzt, ein bißchen zu sehr. -Sie will zu Ostern nach Berlin.« - -»Wenn sie nur erst da wäre. Mir tut es beinahe schon leid, daß ich ihr -nicht gleich zugeredet. Aber so geht es einem immer.« - -»Ist denn was vorgefallen?« - -»Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja doch erst sechzehn -und eine Dusche dazu, gerade wie sein Vater; +der+ hat sich auch erst -rausgemausert, seit er grau geworden. Was beiläufig auch nicht gut -ist. Und da komme ich nun gestern vormittag die Treppe rauf und will -dem Jungen sagen, daß er in den Dohnenstrich geht und nachsieht, ob -Krammetsvögel da sind, und die Tür steht halb auf, was noch das beste -war, und da seh ich, wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze -raussteckt; so was von spitzer Zunge hab ich mein Lebtag noch nicht -gesehen. Die reine Eva. Für die Potiphar ist sie mir noch zu jung. -Und als ich nu dazwischen trete, da kriegt ja nu der arme Junge das -Zittern, und weil ich nicht recht wußte, was ich sagen sollte, ging ich -bloß hin und klappte den Waschtischdeckel auf, wo der Spruch stand, und -sah ihn scharf an. Und da wurde er ganz blaß. Aber das Balg lachte.« - -»Ja, liebe Frau von Gundermann, das ist so; Jugend hat keine Tugend.« - -»Ich weiß doch nicht; ich bin auch einmal jung gewesen ...« - -»Ja, Damen ...« - - * * * * * - -Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in der Fensternische mit -derartigen Intimitäten kam und den guten Pastor Lorenzen abwechselnd -in Verlegenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit versetzte, -hatte sich Dubslav mit Hauptmann von Czako in eine schräg gegenüber -gelegene Ecke zurückgezogen, wo eine altmodische Causeuse stand, mit -einem Marmortischchen davor. Auf dem Tische zwei Kaffeetassen samt -aufgeklapptem Likörkasten, aus dem Dubslav eine Flasche nach der andern -herausnahm. »Jetzt, wenn man von Tisch kommt, muß es immer ein Cognac -sein. Aber ich bekenne Ihnen, lieber Hauptmann, ich mache die Mode -nicht mit; wir aus der alten Zeit, wir waren immer ein bißchen fürs -Süße. Creme de Cacao, na, natürlich, das is Damenschnaps, davon kann -keine Rede sein; aber Pomeranzen oder, wie sie jetzt sagen, Curaçao, -das ist mein Fall. Darf ich Ihnen einschenken? Oder vielleicht lieber -Danziger Goldwasser? Kann ich übrigens auch empfehlen.« - -»Dann bitte ich um Goldwasser. Es ist doch schärfer, und dann bekenne -ich Ihnen offen, Herr Major ... Sie kennen ja unsre Verhältnisse, so'n -bißchen Gold heimelt einen immer an. Man hat keins und dabei doch -zugleich die Vorstellung, daß man es trinken kann -- es hat eigentlich -was Großartiges.« - -Dubslav nickte, schenkte von dem Goldwasser ein, erst für Czako, dann -für sich selbst, und sagte: »Bei Tische hab ich die Damen leben lassen -und Frau von Gundermann im speziellen. Hören Sie, Hauptmann, Sie -verstehen's. Diese Rattengeschichte ...« - -»Vielleicht war es ein bißchen zu viel.« - -»I, keineswegs. Und dann, Sie waren ja ganz unschuldig, die Gnädge fing -ja davon an; erinnern Sie sich, sie verliebte sich ordentlich in die -Geschichte von den Rinnsteinbohlen, und wie sie drauf rumgetrampelt, -bis die Ratten rauskamen. Ich glaube sogar, sie sagte ›Biester‹. Aber -das schadet nicht. Das ist so Berliner Stil. Und unsre Gnädge hier -(beiläufig eine geborene Helfrich) is eine Vollblutberlinerin.« - -»Ein Wort, das mich doch einigermaßen überrascht.« - -»Ah,« drohte Dubslav schelmisch mit dem Finger, »ich verstehe. Sie sind -einer gewissen Unausreichendheit begegnet und verlangen mindestens mehr -Quadrat (von Kubik will ich nicht sprechen). Aber wir von Adel müssen -in diesem Punkte doch ziemlich milde sein und ein Auge zudrücken, wenn -das das richtige Wort ist. Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch -in Extremen und hat einen linken und einen rechten Flügel; der linke -nähert sich unsrer geborenen Helfrich. Übrigens unterhaltliche Madam. -Und wie beseligt sie war, als sie den Namenszug auf Ihrer Achselklappe -glücklich entdeckt und damit den Anmarsch auf die Münzstraße gewonnen -hatte. Was es doch alles für Lokalpatriotismen gibt!« - -»An dem unser Regiment teilnimmt oder ihn mitmacht. Die Welt um den -Alexanderplatz herum hat übrigens so ihren eigenen Zauber, schon um -einer gewissen Unresidenzlichkeit willen. Ich sehe nichts lieber -als die große Markthalle, wenn beispielsweise die Fischtonnen mit -fünfhundert Aalen in die Netze gegossen werden. Etwas Unglaubliches von -Gezappel.« - -»Finde mich ganz darin zurecht und bin auch für Alexanderplatz und -Alexanderkaserne samt allem, was dazu gehört. Und so brech ich -denn auch die Gelegenheit vom Zaun, um nach einem Ihrer früheren -Regimentskommandeure zu fragen, dem liebenswürdigen Obersten von -Zeuner, den ich noch persönlich gekannt habe. Hier unsere Stechliner -Gegend ist nämlich Zeunergegend. Keine Stunde von hier liegt Köpernitz, -eine reizende Besitzung, drauf die Zeunersche Familie schon in -fridericianischen Tagen ansässig war. Bin oft drüben gewesen (nun -freilich schon zwanzig Jahre zurück) und komme noch einmal mit der -Frage: Haben Sie den Obersten noch gekannt?« - -»Nein, Herr Major. Er war schon fort, als ich zum Regimente kam. -Aber ich habe viel von ihm gehört und auch von Köpernitz, weiß aber -freilich nicht mehr, in welchem Zusammenhange.« - -»Schade, daß Sie nur einen Tag für Stechlin festgesetzt haben, sonst -müßten Sie das Gut sehen. Alles ganz eigentümlich und besonders auch -ein Grabstein, unter dem eine uralte Dame von beinah neunzig Jahren -begraben liegt, eine geborne von Zeuner, die sich in früher Jugend -schon mit einem Emigranten am Rheinsberger Hof, mit dem Grafen La -Roche-Aymon, vermählt hatte. Merkwürdige Frau, von der ich Ihnen -erzähle, wenn ich Sie mal wiedersehe. Nur eins müssen Sie heute schon -mit anhören, denn ich glaube, Sie haben den Gustus dafür.« - -»Für alles, was Sie erzählen.« - -»Keine Schmeicheleien! Aber die Geschichte will ich Ihnen doch als -Andenken mitgeben. Andre schenken sich Photographien, was ich, selbst -wenn es hübsche Menschen sind (ein Fall, der übrigens selten zutrifft), -immer greulich finde.« - -»Schenke nie welche.« - -»Was meine Gefühle für Sie steigert. Aber die Geschichte: Da war -also drüben in Köpernitz diese La Roche-Aymon, und weil sie noch -die Prinz-Heinrich-Tage gesehen und während derselben eine Rolle -gespielt hatte, so zählte sie zu den besonderen Lieblingen Friedrich -Wilhelms ~IV.~ Und als nun -- sagen wir ums Jahr fünfzig -- der Zufall -es fügte, daß dem zur Jagd hier erschienenen König das Köpernitzer -Frühstück, ganz besonders aber eine Blut- und Zungenwurst, über die -Maßen gut geschmeckt hatte, so wurde dies Veranlassung für die Gräfin, -am nächsten Heiligabend eine ganze Kiste voll Würste nach Potsdam -hin in die königliche Küche zu liefern. Und das ging so durch Jahre. -Da beschloß zuletzt der gute König, sich für all die gute Gabe zu -revanchieren, und als wieder Weihnachten war, traf in Köpernitz ein -Postpaket ein, Inhalt: eine zierliche, kleine Blutwurst! Und zwar war -es ein wunderschöner, rundlicher Blutkarneol mit Goldspeilerchen an -beiden Seiten und die Speilerchen selbst mit Diamanten besetzt. Und -neben diesem Geschenk lag ein Zettelchen: ›Wurst wider Wurst.‹« - -»Allerliebst.« - -»Mehr als das. Ich persönlich ziehe solchen guten Einfall einer guten -Verfassung vor. Der König, glaub ich, tat es auch. Und es denken auch -heute noch viele so.« - -»Gewiß, Herr Major. Es denken auch heute noch viele so, und bei -dem Schwankezustand, in dem ich mich leider befinde, sind meine -persönlichen Sympathien gelegentlich nicht weitab davon. Aber ich -fürchte doch, daß wir mit dieser unsrer Anschauung sehr in der -Minorität bleiben.« - -»Werden wir. Aber Vernunft ist immer nur bei wenigen. Es wäre das -beste, wenn ein einziger Alter-Fritzen-Verstand die ganze Geschichte -regulieren könnte. Freilich braucht ein solcher oberster Wille auch -seine Werkzeuge. Die haben wir aber noch in unserm Adel, in unsrer -Armee und speziell auch in Ihrem Regiment.« - -Während der Alte diesen Trumpf ausspielte, kam Engelke, um ein paar -neue Tassen zu präsentieren. - -»Nein, nein, Engelke, wir sind schon weiter. Aber stell nur hin ... -In Ihrem Regiment, sag ich, Herr von Czako; schon sein Name bedeutet -ein Programm, und dieses Programm heißt: Rußland. Heutzutage darf man -freilich kaum noch davon reden. Aber das ist Unsinn. Ich sage Ihnen, -Hauptmann, das waren Preußens beste Tage, als da bei Potsdam herum -die ›russische Kirche‹ und das ›russische Haus‹ gebaut wurden, und -als es immer hin und her ging zwischen Berlin und Petersburg. Ihr -Regiment, Gott sei Dank, unterhält noch was von den alten Beziehungen, -und ich freue mich immer, wenn ich davon lese, vor allem, wenn ein -russischer Kaiser kommt und ein Doppelposten vom Regiment Alexander vor -seinem Palais steht. Und noch mehr freu ich mich, wenn das Regiment -Deputationen schickt: Georgsfest, Namenstag des hohen Chefs, oder -wenn sich's auch bloß um Uniformabänderungen handelt, beispielsweise -Klappkragen statt Stehkragen (diese verdammten Stehkragen) -- und wie -dann der Kaiser alle begrüßt und zur Tafel zieht und so bei sich denkt: -›Ja, ja, das sind brave Leute; da hab ich meinen Halt.‹« - -Czako nickte, war aber doch in sichtlicher Verlegenheit, weil er, trotz -seiner vorher versicherten »Sympathien«, ein ganz moderner, politisch -stark angekränkelter Mensch war, der, bei strammster Dienstlichkeit, -zu all dergleichen Überspanntheiten ziemlich kritisch stand. Der alte -Dubslav nahm indessen von alledem nichts wahr und fuhr fort: »Und -sehen Sie, lieber Hauptmann, so hab ich's persönlich in meinen jungen -Jahren auch noch erlebt und vielleicht noch ein bißchen besser; denn, -Pardon, jeder hält seine Zeit für die beste. Vielleicht sogar, daß Sie -mir zustimmen, wenn ich Ihnen mein Sprüchel erst ganz hergesagt haben -werde. Da haben wir ja nun ›jenseits des Njemen‹, wie manche Gebildete -jetzt sagen, die ›drei Alexander‹ gehabt, den ersten, den zweiten und -den dritten, alle drei große Herren und alle drei richtige Kaiser und -fromme Leute, oder doch beinah fromm, die's gut mit ihrem Volk und mit -der Menschheit meinten, und dabei selber richtige Menschen; aber in -dies Alexandertum, das so beinah das ganze Jahrhundert ausfüllt, da -schiebt sich doch noch einer ein, ein Nicht-Alexander, und ohne Ihnen -zu nahe treten zu wollen, +der+ war doch der Häupter. Und das war unser -Nikolaus. Manche dummen Kerle haben Spottlieder auf ihn gemacht und -vom schwarzen Niklas gesungen, wie man Kinder mit dem schwarzen Mann -graulich macht, aber war das ein Mann! Und dieser selbige Nikolaus, -nun, der hatte hier, ganz wie die drei Alexander, auch ein Regiment, -und das waren die Nikolaus-Kürassiere, oder sag ich lieber: das sind -die Nikolaus-Kürassiere, denn wir haben sie, Gott sei Dank, noch. -Und sehen Sie, lieber Czako, das war mein Regiment, dabei hab ich -gestanden, als ich noch ein junger Dachs war, und habe dann den -Abschied genommen; viel zu früh; Dummheit, hätte lieber dabei bleiben -sollen.« - -Czako nickte, Dubslav nahm ein neues Glas von dem Goldwasser. »Unsere -Nikolaus-Kürassiere, Gott erhalte sie, wie sie sind. Ich möchte -sagen, in dem Regimente lebt noch die heilige Alliance fort, die -Waffenbrüderschaft von Anno dreizehn, und dies Anno dreizehn, das wir -mit den Russen zusammen durchgemacht haben, immer nebeneinander im -Biwak, in Glück und Unglück, das war doch unsre größte Zeit. Größer -als die jetzt große. Große Zeit ist es immer nur, wenn's beinah -schief geht, wenn man jeden Augenblick fürchten muß: ›Jetzt ist -alles vorbei.‹ Da zeigt sich's. Courage ist gut, aber Ausdauer ist -besser. Ausdauer, das ist die Hauptsache. Nichts im Leibe, nichts -auf dem Leibe, Hundekälte, Regen und Schnee, so daß man so in der -nassen Patsche liegt, und höchstens nen Kornus (Kognak, ja hast du -was, den gab es damals kaum) und so die Nacht durch, da konnte man -Jesum Christum erkennen lernen. Ich sage das, wenn ich auch nicht mit -dabei gewesen. Anno dreizehn, bei Großgörschen, das war für uns die -richtige Waffenbrüderschaft: jetzt haben wir die Waffenbrüderschaft -der Orgeldreher und der Mausefallenhändler. Ich bin für Rußland, für -Nikolaus und Alexander. Preobraschensk, Semenow, Kaluga, -- da hat -man die richtige Anlehnung; alles andre ist revolutionär, und was -revolutionär ist, das wackelt.« - - * * * * * - -Kurz vor elf, der Mond war inzwischen unter, brach man auf, und -die Wagen fuhren vor, erst der Katzlersche Kaleschwagen, dann die -Gundermannsche Chaise; Martin aber, mit einer Stallaterne, leuchtete -dem Pastor über Vorhof und Bohlenbrücke fort, bis an seine ganz im -Dunkel liegende Pfarre. Gleich darauf zogen sich auch die drei Freunde -zurück und stiegen, unter Vorantritt Engelkes, die große Treppe -hinauf, bis auf den Podest. Hier trennten sich Rex und Czako von -Woldemar, dessen Zimmer auf der andern Flurseite gelegen war. - -Czako, sehr müde, war im Nu bettfertig. »Es bleibt also dabei, Rex, Sie -logieren sich in dem Rokokozimmer ein -- wir wollen es ohne weiteres -so nennen -- und ich nehme das Himmelbett hier in Zimmer Nummer eins. -Vielleicht wäre das Umgekehrte richtiger, aber Sie haben es so gewollt.« - -Und während er noch so sprach, schob er seine Stiefel auf den Flur -hinaus, schloß ab und legte sich nieder. - -Rex war derweilen mit seiner Plaidrolle beschäftigt, aus der -er allerlei Toilettengegenstände hervorholte. »Sie müssen mich -entschuldigen, Czako, wenn ich mich noch eine Viertelstunde hier bei -Ihnen aufhalte. Habe nämlich die Angewohnheit, mich abends zu rasieren, -und der Toilettentisch mit Spiegel, ohne den es doch nicht gut geht, -der steht nun mal hier an Ihrem, statt an meinem Fenster. Ich muß also -stören.« - -»Mir sehr recht, trotz aller Müdigkeit. Nichts besser, als noch -ein bißchen aus dem Bett heraus plaudern können. Und dabei so warm -eingemummelt. Die Betten auf dem Lande sind überhaupt das beste.« - -»Nun, Czako, das freut mich, daß Sie so bereit sind, mir Quartier zu -gönnen. Aber wenn Sie noch eine Plauderei haben wollen, so müssen -Sie sich die Hauptsache selber leisten. Ich schneide mich sonst, was -dann hinterher immer ganz schändlich aussieht. Übrigens muß ich erst -Schaum schlagen, und so lange wenigstens kann ich Ihnen Red und Antwort -stehen. Ein Glück nebenher, daß hier, außer der kleinen Lampe, noch -diese zwei Leuchter sind. Wenn ich nicht Licht von rechts und links -habe, komme ich nicht von der Stelle; das eine wackelt zwar (alle diese -dünnen Silberleuchter wackeln), aber ›wenn gute Reden sie begleiten -...‹ Also strengen Sie sich an. Wie fanden Sie die Gundermanns? -Sonderbare Leute -- haben Sie schon mal den Namen Gundermann gehört?« - -»Ja. Aber das war in ›Waldmeisters Brautfahrt‹.« - -»Richtig; so wirkt er auch. Und nun gar erst die Frau. Der einzige, -der sich sehen lassen konnte, war dieser Katzler. Ein Karambolespieler -ersten Ranges. Übrigens Eisernes Kreuz.« - -»Und dann der Pastor.« - -»Nun ja, auch der. Eine ganz gescheite Nummer. Aber doch ein -wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe, zu der er gehört. Er hält zu -Stöcker, sprach es auch aus, was neuerdings nicht jeder tut; aber der -›neue Luther‹, der doch schon gerade bedenklich genug ist -- Majestät -hat ganz recht mit seiner Verurteilung, der geht ihm gewiß nicht weit -genug. Dieser Lorenzen erscheint mir, im Gegensatz zu seinen Jahren, -als einer der allerjüngsten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der -Alte so gut mit ihm steht. Freund Woldemar hat mir davon erzählt. Der -Alte liebt ihn und sieht nicht, daß ihm sein geliebter Pastor den Ast -absägt, auf dem er sitzt. Ja, diese von der neuesten Schule, das sind -die allerschlimmsten. Immer Volk und wieder Volk, und mal auch etwas -Christus dazwischen. Aber ich lasse mich so leicht nicht hinters Licht -führen. Es läuft alles darauf hinaus, daß sie mit uns aufräumen wollen, -und mit dem alten Christentum auch. Sie haben ein neues, und das -überlieferte behandeln sie despektierlich.« - -»Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken. Seien Sie gut, -Rex, und lassen Sie Konventikel und Partei mal beiseite. Das -Überlieferte, was einem da so vor die Klinge kommt, namentlich -wenn Sie sich die Menschen ansehen, wie sie nun mal sind, ist doch -sehr reparaturbedürftig, und auf solche Reparatur ist ein Mann wie -dieser Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe. Hie Lorenzen, hie -Gundermann. Und Ihren guten Glauben in Ehren, aber Sie werden diesen -Gundermann doch nicht über den Lorenzen stellen und ihn überhaupt -nur ernsthaft nehmen wollen. Und wie dieser Wassermüller aus der -Brettschneidebranche, so sind die meisten. Phrase, Phrase. Mitunter -auch Geschäft oder noch Schlimmeres.« - -»Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie da sagen, berührt eine -große Frage, bei der man doch aufpassen muß. Und so mit dem Messer -in der Hand, da verbietet sich's. Und das eine wacklige Licht hat -ohnehin schon einen Dieb. Erzählen Sie mir lieber was von der Frau von -Gundermann. Debattieren kann ich nicht mehr, aber wenn Sie plaudern, -brauch ich bloß zuzuhören. Sie haben ihr ja bei Tisch nen langen -Vortrag gehalten.« - -»Ja. Und noch dazu über Ratten.« - -»Nein, Czako, davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen; dann doch lieber -über alten und neuen Glauben. Und gerade hier. In solchem alten Kasten -ist man nie sicher vor Spuk und Ratten. Wenn Sie nichts andres wissen, -dann bitt ich um die Geschichte, bei der wir heute früh in Cremmen -unterbrochen wurden. Es schien mir was Pikantes.« - -»Ach, die Geschichte von der kleinen Stubbe. Ja, hören Sie, Rex, das -regt Sie aber auch auf. Und wenn man nicht schlafen kann, ist es am -Ende gleich, ob wegen der Ratten oder wegen der Stubbe.« - - - - -Fünftes Kapitel - - -Rex und Czako waren so müde, daß sie sich, wenn nötig, über Spuk und -Ratten weggeschlafen hätten. Aber es war nicht nötig, nichts war da, -was sie hätte stören können. Kurz vor acht erschien das alte Faktotum -mit einem silbernen Deckelkrug, aus dem der Wrasen heißen Wassers -aufstieg, einem der wenigen Renommierstücke, über die Schloß Stechlin -verfügte. Dazu bot Engelke den Herren einen guten Morgen und stattete -seinen Wetterbericht ab: Es gebe gewiß einen schönen Tag, und der junge -Herr sei auch schon auf und gehe mit dem alten um das Rundell herum. - -So war es denn auch. Woldemar war schon gleich nach sieben unten im -Salon erschienen, um mit seinem Vater, von dem er wußte, daß er ein -Frühauf war, ein Familiengespräch über allerhand difficile Dinge zu -führen. Aber er war entschlossen, seinerseits damit nicht anzufangen, -sondern alles von der Neugier und dem guten Herzen des Vaters zu -erwarten. Und darin sah er sich auch nicht getäuscht. - -»Ah, Woldemar, das ist recht, daß du schon da bist. Nur nicht zu lang -im Bett. Die meisten Langschläfer haben einen Knacks. Es können aber -sonst ganz gute Leute sein. Ich wette, dein Freund Rex schläft bis -neun.« - -»Nein, Papa, der gerade nicht. Wer wie Rex ist, kann sich das nicht -gönnen. Er hat nämlich einen Verein gegründet für Frühgottesdienste, -abwechselnd in Schönhausen und Finkenkrug. Aber es ist noch nicht -perfekt geworden.« - -»Freut mich, daß es noch hapert. Ich mag so was nicht. Der alte -Wilhelm hat zwar seinem Volke die Religion wiedergeben wollen, was ein -schönes Wort von ihm war -- alles, was er tat und sagte, war gut -- -aber Religion und Landpartie, dagegen bin ich doch. Ich bin überhaupt -gegen alle falschen Mischungen. Auch bei den Menschen. Die reine Rasse, -das ist das eigentlich Legitime. Das andre, was sie nebenher noch -Legitimität nennen, das ist schon alles mehr künstlich. Sage, wie steht -es denn eigentlich damit? Du weißt schon, was ich meine.« - -»Ja, Papa ...« - -»Nein, nicht so; nicht immer bloß ›ja, Papa‹. So fängst du jedesmal -an, wenn ich auf dies Thema komme. Da liegt schon ein halber Refus -drin, oder ein Hinausschieben, ein Abwartenwollen. Und damit kann -ich mich nicht befreunden. Du bist jetzt zweiunddreißig, oder doch -beinah, da muß der mit der Fackel kommen; aber du fackelst (verzeih -den Kalauer, ich bin eigentlich gegen Kalauer, die sind so mehr -für Handlungsreisende), also du fackelst, sag ich, und ist kein -Ernst dahinter. Und soviel kann ich dir außerdem sagen, deine Tante -Sanctissima drüben in Kloster Wutz, die wird auch schon ungeduldig. -Und das sollte dir zu denken geben. Mich hat sie zeitlebens schlecht -behandelt; wir stimmten eben nie zusammen und konnten auch nicht, denn -so halb Königin Elisabeth, halb Kaffeeschwester, das is ne Melange, mit -der ich mich nie habe befreunden können. Ihr drittes Wort ist immer ihr -Rentmeister Fix, und wäre sie nicht sechsundsiebzig, so erfänd ich mir -eine Geschichte dazu.« - -»Mach es gnädig, Papa. Sie meint es ja doch gut. Und mit mir nun schon -ganz gewiß.« - -»Gnädig machen? Ja, Woldemar, ich will es versuchen. Nur fürcht ich, -es wird nicht viel dabei herauskommen. Da heißt es immer, man solle -Familiengefühl haben, aber es wird einem doch auch zu blutsauer -gemacht, und ich kann umgekehrt der Versuchung nicht widerstehen, eine -richtige Familienkritik zu üben. Adelheid fordert sie geradezu heraus. -Andrerseits freilich, in dich ist sie wie vernarrt, für dich hat sie -Geld und Liebe. Was davon wichtiger ist, stehe dahin; aber soviel -ist gewiß, ohne sie wär es überhaupt gar nicht gegangen, ich meine -dein Leben in deinem Regiment. Also wir haben ihr zu danken, und weil -sie das gerade so gut weiß wie wir, oder vielleicht noch ein bißchen -besser, gerade deshalb wird sie ungeduldig; sie will Taten sehen, was -vom Weiberstandpunkt aus allemal so viel heißt wie Verheiratung. Und -wenn man will, kann man es auch so nennen, ich meine Taten. Es ist und -bleibt ein Heroismus. Wer Tante Adelheid geheiratet hätte, hätte sich -die Tapferkeitsmedaille verdient, und wenn ich schändlich sein wollte, -so sagte ich das Eiserne Kreuz.« - -»Ja, Papa ...« - -»Schon wieder ›ja, Papa‹. Nun, meinetwegen, ich will dich schließlich -in deiner Lieblingswendung nicht stören. Aber bekenne mir nebenher -- -denn das ist doch schließlich das, um was sich's handelt --, liegst du -mit was im Anschlag, hast du was auf dem Korn?« - -»Papa, diese Wendungen erschrecken mich beinah. Aber wenn denn schon -so jägermäßig gesprochen werden soll, ja; meine Wünsche haben ein -bestimmtes Ziel, und ich darf sagen, mich beschäftigen diese Dinge.« - -»Mich beschäftigen diese Dinge ... Nimm mir's nicht übel, Woldemar, -das ist ja gar nichts. Beschäftigen! Ich bin nicht fürs Poetische, -das ist für Gouvernanten und arme Lehrer, die nach Görbersdorf müssen -(bloß, daß sie meistens kein Geld dazu haben), aber diese Wendung -›sich beschäftigen‹, das ist mir denn doch zu prosaisch. Wenn es sich -um solche Dinge wie Liebe handelt (wiewohl ich über Liebe nicht viel -günstiger denke wie über Poesie, bloß daß Liebe doch noch mehr Unheil -anrichtet, weil sie noch allgemeiner auftritt) -- wenn es sich um -Dinge wie Liebe handelt, so darf man nicht sagen, ›ich habe mich damit -beschäftigt‹. Liebe ist doch schließlich immer was Forsches, sonst kann -sie sich ganz und gar begraben lassen, und da möcht ich denn doch etwas -von dir hören, was ein bißchen wie Leidenschaft aussieht. Es braucht -ja nicht gleich was Schreckliches zu sein. Aber so ganz ohne Stimulus, -wie man, glaub ich, jetzt sagt, so ganz ohne so was geht es nicht; -alle Menschheit ist darauf gestellt, und wo's einschläft, ist so gut -wie alles vorbei. Nun weiß ich zwar recht gut, es geht auch ohne uns, -aber das ist doch alles bloß etwas, was einem von Verstandes wegen -aufgezwungen wird; das egoistische Gefühl, das immer unrecht, aber auch -immer recht hat, will von dem allem nichts wissen und besteht darauf, -daß die Stechline weiterleben, wenn es sein kann, ~in aeternum~. Ewig -weiterleben; -- ich räume ein, es hat ein bißchen was Komisches, aber -es gibt wenig ernste Sachen, die nicht auch eine komische Seite hätten -... Also dich ›beschäftigen‹ diese Dinge. Kannst du Namen nennen? Auf -wem haben Eurer Hoheit Augen zu ruhen geruht?« - -»Papa, Namen darf ich noch nicht nennen. Ich bin meiner Sache noch -nicht sicher genug, und das ist auch der Grund, warum ich Wendungen -gebraucht habe, die dir nüchtern und prosaisch erschienen sind. Ich -kann dir aber sagen, ich hätte mich lieber anders ausgedrückt; nur -darf ich es noch nicht. Und dann weiß ich ja auch, daß du selber einen -abergläubischen Zug hast und ganz aufrichtig davon ausgehst, daß man -sich sein Glück verreden kann, wenn man zu früh oder zu viel davon -spricht.« - -»Brav, brav. Das gefällt mir. So ist es. Wir sind immer von neidischen -und boshaften Wesen mit Fuchsschwänzen und Fledermausflügeln umstellt, -und wenn wir renommieren oder sicher tun, dann lachen sie. Und wenn -sie erst lachen, dann sind wir schon so gut wie verloren. Mit unsrer -eignen Kraft ist nichts getan, ich habe nicht den Grashalm sicher, den -ich hier ausreiße. Demut, Demut ... Aber trotzdem komm ich dir mit der -naiven Frage (denn man widerspricht sich in einem fort), ist es was -Vornehmes, was Pikfeines?« - -»Pikfein, Papa, will ich nicht sagen. Aber vornehm gewiß.« - -»Na, das freut mich. Falsche Vornehmheit ist mir ein Greuel; aber -richtige Vornehmheit, -- ~à la bonne heure~. Sage mal, vielleicht was -vom Hofe?« - -»Nein, Papa.« - -»Na, desto besser. Aber da kommen ja die Herren. Der Rex sieht wirklich -verdeubelt gut aus, ganz das, was wir früher einen Garde-Assessor -nannten. Und fromm, sagst du, -- wird also wohl Karriere machen; -›fromm‹ is wie ne untergelegte Hand.« - - * * * * * - -Während dieser Worte stiegen Rex und Czako die Stufen zum Garten -hinunter und begrüßten den Alten. Er erkundigte sich nach ihren -nächtlichen Schicksalen, freute sich, daß sie »durchgeschlafen« hätten, -und nahm dann Czakos Arm, um vom Garten her auf die Veranda, wo Engelke -mittlerweile unter der großen Marquise den Frühstückstisch hergerichtet -hatte, zurückzukehren. »Darf ich bitten, Herr von Rex.« Und er wies auf -einen Gartenstuhl, ihm gerade gegenüber, während Woldemar und Czako -links und rechts neben ihm Platz nahmen. »Ich habe neuerdings den Tee -eingeführt, das heißt nicht obligatorisch; im Gegenteil, ich persönlich -bleibe lieber bei Kaffee, ›schwarz wie der Teufel, süß wie die Sünde, -heiß wie die Hölle‹, wie bereits Talleyrand gesagt haben soll. Aber, -Pardon, daß ich Sie mit so was überhaupt noch belästige. Schon mein -Vater sagte mal: ›Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten -Wiener Kongreßwitze.‹ Und das ist nun schon wieder ein Menschenalter -her.« - -»Ach, diese alten Kongreßwitze,« sagte Rex verbindlich, »ich möchte -mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, daß diese alten Witze besser -sind als die neuen. Und kann auch kaum anders sein. Denn wer waren denn -die Verfasser von damals? Talleyrand, den Sie schon genannt haben, und -Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, -daß das Metier seitdem sehr herabgestiegen ist.« - -»Ja, herabgestiegen ist alles, und es steigt immer weiter nach unten. -Das ist, was man neue Zeit nennt, immer weiter runter. Und mein Pastor, -den Sie ja gestern abend kennen gelernt haben, der behauptet sogar, das -sei das Wahre, das sei das, was man Kultur nenne, daß immer weiter nach -unten gestiegen würde. Die aristokratische Welt habe abgewirtschaftet, -und nun komme die demokratische ...« - -»Sonderbare Worte für einen Geistlichen,« sagte Rex, »für einen Mann, -der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen kennen sollte.« - -Dubslav lachte. »Ja, das bestreitet er Ihnen. Und ich muß bekennen, es -hat manches für sich, trotzdem es mir nicht recht paßt. Im übrigen, wir -werden ihn, ich meine den Pastor, ja wohl noch beim zweiten Frühstück -sehen, wo Sie dann Gelegenheit nehmen können, sich mit ihm persönlich -darüber auseinanderzusetzen; er liebt solche Gespräche, wie Sie wohl -schon gemerkt haben, und hat eine kleine Lutherneigung, sich immer auf -das jetzt übliche: ›Hier steh ich, ich kann nicht anders‹ auszuspielen. -Mitunter sieht es wirklich so aus, als ob wieder eine gewisse -Märtyrerlust in die Menschen gefahren wäre, bloß ich trau dem Frieden -noch nicht so recht.« - -»Ich auch nicht,« bemerkte Rex, »meistens Renommisterei.« - -»Na, na,« sagte Czako. »Da hab ich doch noch diese letzten Tage von -einem armen russischen Lehrer gelesen, der unter die Soldaten gesteckt -wurde (sie haben da jetzt auch so was wie allgemeine Dienstpflicht), -und dieser Mensch, der Lehrer, hat sich geweigert, eine Flinte -loszuschießen, weil das bloß Vorschule sei zu Mord und Totschlag, also -ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieser Mensch ist sehr gequält -worden, und zuletzt ist er gestorben. Wollen Sie das auch Renommisterei -nennen?« - -»Gewiß will ich das.« - -»Herr von Rex,« sagte Dubslav, »sollten Sie dabei nicht zu weit -gehen? Wenn sich's ums Sterben handelt, da hört das Renommieren auf. -Aber diese Sache, von der ich übrigens auch gehört habe, hat einen -ganz andern Schlüssel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen -Renommisterei, das liegt am Lehrertum. Alle Lehrer sind nämlich -verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich meine Studien gemacht -habe; heißt Krippenstapel, was allein schon was sagen will. Er ist grad -um ein Jahr älter als ich, also runde siebenundsechzig, und eigentlich -ein Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber verrückt -ist er doch.« - -»Das sind alle,« sagte Rex. »Alle Lehrer sind ein Schrecknis. Wir im -Kultusministerium können ein Lied davon singen. Diese Abc-Pauker wissen -alles, und seitdem Anno sechsundsechzig der unsinnige Satz in die Mode -kam, ›der preußische Schulmeister habe die Österreicher geschlagen‹ --- ich meinerseits würde lieber dem Zündnadelgewehr oder dem alten -Steinmetz, der alles, nur kein Schulmeister war, den Preis zuerkennen ---, seitdem ist es vollends mit diesen Leuten nicht mehr auszuhalten. -Herr von Stechlin hat eben von einem der Humboldts gesprochen; nun, an -Wilhelm von Humboldt trauen sie sich noch nicht recht heran, aber was -Alexander von Humboldt konnte, das können sie nun schon lange.« - -»Da treffen Sie's, Herr von Rex,« sagte Dubslav. »Genau so ist meiner -auch. Ich kann nur wiederholen, ein vorzüglicher Mann; aber er hat -den Prioritätswahnsinn. Wenn Koch das Heilserum erfindet oder Edison -Ihnen auf fünfzig Meilen eine Oper vorspielt, mit Getrampel und -Händeklatschen dazwischen, so weist Ihnen mein Krippenstapel nach, daß -er das vor dreißig Jahren auch schon mit sich rumgetragen habe.« - -»Ja, ja, so sind sie alle.« - -»Übrigens ... Aber darf ich Ihnen nicht noch von diesem gebackenen -Schinken vorlegen? ... Übrigens mahnt mich Krippenstapel daran, daß die -Feststellung eines Vormittagsprogramms wohl an der Zeit sein dürfte; -Krippenstapel ist nämlich der geborene Cicerone dieser Gegenden, und -durch Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die Freude machen wollen, -sich um Stechlin und Umgegend ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, -Wald, See -- um den See natürlich am meisten, denn der ist unsre ~pièce -de résistance~. Das andere gibt es wo anders auch, aber der See ... -Lorenzen erklärt ihn außerdem noch für einen richtigen Revolutionär, -der gleich mitrumort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch -wirklich so. Mein Pastor aber sollte, beiläufig bemerkt, so was lieber -nicht sagen. Das sind so Geistreichigkeiten, die leicht übel vermerkt -werden. Ich persönlich lass' es laufen. Es gibt nichts, was mir so -verhaßt wäre wie Polizeimaßregeln, oder einem Menschen, der gern ein -freies Wort spricht, die Kehle zuzuschnüren. Ich rede selber gern, wie -mir der Schnabel gewachsen ist.« - -»Und verplauderst dich dabei,« sagte Woldemar, »und vergißt zunächst -unser Programm. Um spätestens zwei müssen wir fort; wir haben also nur -noch vier Stunden. Und Globsow, ohne das es nicht gehen wird, ist weit -und kostet uns wenigstens die Hälfte davon.« - -»Alles richtig. Also das Menü, meine Herren. Ich denke mir die -Sache so. Erst (da gleich hinter dem Buxbaumgange) Besteigung des -Aussichtsturms, -- noch eine Anlage von meinem Vater her, die sich, -nach Ansicht der Leute hier, vordem um vieles schöner ausnahm als -jetzt. Damals waren nämlich noch lauter bunte Scheiben da oben, und -alles, was man sah, sah rot oder blau oder orangefarben aus. Und alle -Welt hier war unglücklich, als ich diese bunten Gläser wegnehmen -ließ. Ich empfand es aber wie ne Naturbeleidigung. Grün ist grün, und -Wald ist Wald ... Also Nummer eins der Aussichtsturm; Nummer zwei -Krippenstapel und die Schule; Nummer drei die Kirche samt Kirchhof. -Pfarre schenken wir uns. Dann Wald und See. Und dann Globsow, wo sich -eine Glasindustrie befindet. Und dann wieder zurück, und zum Abschluß -ein zweites Frühstück, eine altmodische Bezeichnung, die mir aber -trotzdem immer besser klingt als Lunch. ›Zweites Frühstück‹ hat etwas -ausgesprochen Behagliches und gibt zu verstehen, daß man ein erstes -schon hinter sich hat ... Woldemar, dies ist mein Programm, das ich -dir, als einem Eingeweihten, hiermit unterbreite. Ja oder nein?« - -»Natürlich ja, Papa. Du triffst dergleichen immer am besten. Ich -meinerseits mache aber nur die erste Hälfte mit. Wenn wir in der Kirche -fertig sind, muß ich zu Lorenzen. Krippenstapel kann mich ja mehr als -ersetzen, und in Globsow weiß er all und jedes. Er spricht, als ob er -Glasbläser gewesen wäre.« - -»Darf dich nicht wundern. Dafür ist er Lehrer im allgemeinen und -Krippenstapel im besonderen.« - - * * * * * - -So war denn also das Programm festgestellt, und nachdem Dubslav mit -Engelkes Hilfe seinen noch ziemlich neuen weißen Filzhut, den er sehr -schonte, mit einem wotanartigen schwarzen Filzhut vertauscht und einen -schweren Eichenstock in die Hand genommen hatte, brach man auf, um -zunächst auf den als erste Sehenswürdigkeit festgesetzten Aussichtsturm -hinaufzusteigen. Der Weg dahin, keine hundert Schritte, führte durch -einen sogenannten »Poetensteig«. »Ich weiß nicht,« sagte Dubslav, -»warum meine Mutter diesen etwas anspruchsvollen Namen hier einführte. -Soviel mir bekannt, hat sich hier niemals etwas betreffen lassen, was -zu dieser Rangerhöhung einer ehemaligen Taxushecke hätte Veranlassung -geben können. Und ist auch recht gut so.« - -»Warum gut, Papa?« - -»Nun, nimm es nicht übel,« lachte Dubslav. »Du sprichst ja, wie wenn du -selber einer wärst. Im übrigen räum ich dir ein, daß ich kein rechtes -Urteil über derlei Dinge habe. Bei den Kürassieren war keiner, und ich -habe überhaupt nur einmal einen gesehen, mit einem kleinen Verdruß und -einer Goldbrille, die er beständig abnahm und putzte. Natürlich bloß -ein Männchen, klein und eitel. Aber sehr elegant.« - -»Elegant?« fragte Czako. »Dann stimmt es nicht; dann haben Sie so gut -wie keinen gesehen.« - -Unter diesem Gespräche waren sie bis an den Turm gekommen, der in -mehreren Etagen und zuletzt auf bloßen Leitern anstieg. Man mußte -schwindelfrei sein, um gut hinaufzukommen. Oben aber war es wieder -gefahrlos, weil eine feste Wandung das Podium umgab. Rex und Czako -hielten Umschau. Nach Süden hin lag das Land frei, nach den drei andern -Seiten hin aber war alles mit Waldmassen besetzt, zwischen denen -gelegentlich die sich hier auf weite Meilen hinziehende Seenkette -sichtbar wurde. Der nächste See war der Stechlin. - -»Wo ist nun die Stelle?« fragte Czako. »Natürlich die, wo's sprudelt -und strudelt.« - -»Sehen Sie die kleine Buchtung da, mit der weißen Steinbank?« - -»Jawohl; ganz deutlich.« - -»Nun, von der Steinbank aus keine zwei Bootslängen in den See hinein, -da haben Sie die Stelle, die, wenn's sein muß, mit Java telephoniert.« - -»Ich gäbe was drum,« sagte Czako, »wenn jetzt der Hahn zu krähen -anfinge.« - -»Diese kleine Aufmerksamkeit muß ich Ihnen leider schuldig bleiben und -hab überhaupt da nach rechts hin nichts anderes mehr für Sie als die -roten Ziegeldächer, die sich zwischen dem Waldrand und dem See wie -auf einem Bollwerk hinziehen. Das ist Kolonie Globsow. Da wohnen die -Glasbläser. Und dahinter liegt die Glashütte. Sie ist noch unter dem -alten Fritzen entstanden und heißt die ›grüne Glashütte‹«. - -»Die grüne? Das klingt ja beinah wie aus nem Märchen.« - -»Ist aber eher das Gegenteil davon. Sie heißt nämlich so, weil man da -grünes Glas macht, allergewöhnlichstes Flaschenglas. An Rubinglas mit -Goldrand dürfen Sie hier nicht denken. Das ist nichts für unsre Gegend.« - -Und damit kletterten sie wieder hinunter und traten, nach Passierung -des Schloßvorhofs, auf den quadratischen Dorfplatz hinaus, an dessen -einer Ecke die Schule gelegen war. Es mußte die Schule sein, das sah -man an den offenstehenden Fenstern und den Malven davor, und als die -Herren bis an den grünen Staketenzaun heran waren, hörten sie auch -schon den prompten Schulgang da drinnen, erst die scharfe, kurze -Frage des Lehrers und dann die sofortige Massenantwort. Im nächsten -Augenblick, unter Vorantritt Dubslavs, betraten alle den Flur, und weil -ein kleiner weißer Kläffer sofort furchtbar zu bellen anfing, erschien -Krippenstapel, um zu sehen, was los sei. - -»Guten Morgen, Krippenstapel,« sagte Dubslav. »Ich bring Ihnen Besuch.« - -»Sehr schmeichelhaft, Herr Baron.« - -»Ja, das sagen Sie; wenn's nur wahr ist. Aber unter allen Umständen -lassen Sie den Baron aus dem Spiel ... Sehen Sie, meine Herren, mein -Freund Krippenstapel is ein ganz eignes Haus. Alltags nennt er mich -›Herr von Stechlin‹ (den Major unterschlägt er), und wenn er ärgerlich -ist, nennt er mich ›gnädger Herr‹. Aber sowie ich mit Fremden komme, -betitelt er mich ›Herr Baron‹. Er will was für mich tun.« - -Krippenstapel, still vor sich hinschmunzelnd, hatte mittlerweile die -Tür zu der seiner Schulklasse gegenüber gelegenen Wohnstube geöffnet -und bat die Herren, eintreten zu wollen. Sie nahmen auch jeder einen -Stuhl in die Hand, aber stützten sich nur auf die Lehne, während das -Gespräch zwischen Dubslav und dem Lehrer seinen Fortgang nahm. »Sagen -Sie, Krippenstapel, wird es denn überhaupt gehen? Sie sollen uns -natürlich alles zeigen, und die Schule ist noch nicht aus.« - -»O, gewiß geht es, Herr von Stechlin.« - -»Ja, hören Sie, wenn der Hirt fehlt, rebelliert die Herde ...« - -»Nicht zu befürchten, Herr von Stechlin. Da war mal ein Burgemeister, -achtundvierziger Zeit, Namen will ich lieber nicht nennen, der sagte: -›Wenn ich meinen Stiefel ans Fenster stelle, regier ich die ganze -Stadt.‹ Das war mein Mann.« - -»Richtig; den hab ich auch noch gekannt. Ja, der verstand es. Überhaupt -immer in der Furcht des Herrn. Dann geht alles am besten. Der -Hauptregente bleibt doch der Krückstock.« - -»Der Krückstock,« bestätigte Krippenstapel. »Und dann freilich die -Belohnungen.« - -»Belohnungen?« lachte Dubslav. »Aber Krippenstapel, wo nehmen Sie denn -die her?« - -»O, die hat's schon, Herr von Stechlin. Aber immer mit -Verschiedenheiten. Ist es was Kleines, so kriegt der Junge bloß nen -Katzenkopp weniger, ist es aber was Großes, dann kriegt er ne Wabe.« - -»Ne Wabe? Richtig. Davon haben wir schon heute früh beim Frühstück -gesprochen, als Ihr Honig auf den Tisch kam. Ich habe den Herren dabei -gesagt, Sie wären der beste Imker in der ganzen Grafschaft.« - -»Zuviel Ehre, Herr von Stechlin. Aber das darf ich sagen, ich versteh -es. Und wenn die Herren mir folgen wollen, um das Volk bei der Arbeit -zu sehen -- es ist jetzt gerade beste Zeit.« - -Alle waren einverstanden, und so gingen sie denn durch den Flur bis -in Hof und Garten hinaus und nahmen hier Stellung vor einem offenen -Etageschuppen, drin die Stöcke standen, nicht altmodische Bienenkörbe, -sondern richtige Bienenhäuser, nach der Dzierzonschen Methode, wo -man alles herausnehmen und jeden Augenblick in das Innere bequem -hineingucken kann. Krippenstapel zeigte denn auch alles, und Rex und -Czako waren ganz aufrichtig interessiert. - -»Nun aber, Herr Lehrer Krippenstapel,« sagte Czako, »nun bitte, geben -Sie uns auch einen Kommentar. Wie is das eigentlich mit den Bienen? Es -soll ja was ganz Besondres damit sein.« - -»Ist es auch, Herr Hauptmann. Das Bienenleben ist eigentlich feiner und -vornehmer als das Menschenleben.« - -»Feiner, das kann ich mir schon denken; aber auch vornehmer? Was -Vornehmeres als den Menschen gibt es nicht. Indessen, wie's damit auch -sei, ›ja‹ oder ›nein‹, Sie machen einen nur immer neugieriger. Ich -habe mal gehört, die Bienen sollen sich auf das Staatliche so gut -verstehen; beinah vorbildlich.« - -»So ist es auch, Herr Hauptmann. Und eines ist ja da, worüber sich -als Thema vielleicht reden läßt. Da sind nämlich in jedem Stock drei -Gruppen oder Klassen. In Klasse eins haben wir die Königin, in Klasse -zwei haben wir die Arbeitsbienen (die, was für alles Arbeitsvolk wohl -eigentlich immer das beste ist, geschlechtslos sind), und in Klasse -drei haben wir die Drohnen; die sind männlich, worin zugleich ihr -eigentlicher Beruf besteht. Denn im übrigen tun sie gar nichts.« - -»Interessanter Staat. Gefällt mir. Aber immer noch nicht vorbildlich -genug.« - -»Und nun bedenken Sie, Herr Hauptmann. Winterlang haben sie so -dagesessen und gearbeitet oder auch geschlafen. Und nun kommt der -Frühling, und das erwachende neue Leben ergreift auch die Bienen, am -mächtigsten aber die Klasse eins, die Königin. Und sie beschließt nun, -mit ihrem ganzen Volk einen Frühlingsausflug zu machen, der sich für -sie persönlich sogar zu einer Art Hochzeitsreise gestaltet. So muß ich -es nennen. Unter den vielen Drohnen nämlich, die ihr auf der Ferse -sind, wählt sie sich einen Begleiter, man könnte sagen einen Tänzer, -der denn auch berufen ist, alsbald in eine noch intimere Stellung zu -ihr einzurücken. Etwa nach einer Stunde kehrt die Königin und ihr -Hochzeitszug in die beengenden Schranken ihres Staates zurück. Ihr -Dasein hat sich inzwischen erfüllt. Ein ganzes Geschlecht von Bienen -wird geboren, aber weitere Beziehungen zu dem bewußten Tänzer sind ein -für allemal ausgeschlossen. Es ist das gerade das, was ich vorhin als -fein und vornehm bezeichnet habe. Bienenköniginnen lieben nur einmal. -Die Bienenkönigin liebt und stirbt.« - -»Und was wird aus der bevorzugten Drohne, aus dem Prinzessinnen-Tänzer, -dem Prince-Consort, wenn dieser Titel ausreicht?« - -»Dieser Tänzer wird ermordet.« - -»Nein, Herr Lehrer Krippenstapel, das geht nicht. Unter dieser letzten -Mitteilung bricht meine Begeisterung wieder zusammen. Das ist ja -schlimmer als der Heinesche Asra. Der stirbt doch bloß. Aber hier haben -wir Ermordung. Sagen Sie, Rex, wie stehen Sie dazu?« - -»Das monogamische Prinzip, woran doch schließlich unsre ganze Kultur -hängt, kann nicht strenger und überzeugender demonstriert werden. Ich -finde es großartig.« - -Czako hätte gern geantwortet; aber er kam nicht dazu, weil in diesem -Augenblicke Dubslav darauf aufmerksam machte, daß man noch viel -vor sich habe. Zunächst die Kirche. »Seine Hochwürden, der wohl -eigentlich dabei sein müßte, wird es nicht übelnehmen, wenn wir auf ihn -verzichten. Aber Sie, Krippenstapel, können Sie?« - -Krippenstapel wiederholte, daß er Zeit vollauf habe. Zudem schlug die -Schuluhr, und gleich beim ersten Schlage hörte man, wie's drinnen in -der Klasse lebendig wurde und die Jungens in ihren Holzpantinen über -den Flur weg auf die Straße stürzten. Draußen aber stellten sie sich -militärisch auf, weil sie mittlerweile gehört hatten, daß der gnädige -Herr gekommen sei. - -»Morgen, Jungens,« sagte Dubslav, an einen kleinen Schwarzhaarigen -herantretend. »Bist von Globsow?« - -»Nein, gnädger Herr, von Dagow.« - -»Na, lernst auch gut?« - -Der Junge griente. - -»Wann war denn Fehrbellin?« - -»Achtzehnter Juni.« - -»Und Leipzig?« - -»Achtzehnter Oktober. Immer achtzehnter bei uns.« - -»Das ist recht, Junge ... Da.« - -Und dabei griff er in seinen Rock und suchte nach einem Nickel. »Sehen -Sie, Hauptmann, Sie sind ein bißchen ein Spötter, soviel hab ich schon -gemerkt; aber so muß es gemacht werden. Der Junge weiß von Fehrbellin -und von Leipzig und hat ein kluges Gesicht und steht Red und Antwort. -Und rote Backen hat er auch. Sieht er aus, als ob er einen Kummer hätte -oder einen Gram ums Vaterland? Unsinn. Ordnung und immer feste. Na, so -lange ich hier sitze, so lange hält es noch. Aber freilich, es kommen -andre Tage.« - -Woldemar lächelte. - -»Na,« fuhr der Alte fort, »will mich trösten. Als der alte Fritz zu -sterben kam, dacht er auch, nu ginge die Welt unter. Und sie steht -immer noch, und wir Deutsche sind wieder obenauf, ein bißchen zu sehr. -Aber immer besser als zu wenig.« - -Inzwischen hatte sich Krippenstapel in seiner Stube proper gemacht: -schwarzer Rock mit dem Inhaberband des Adlers von Hohenzollern, den -ihm sein gütiger Gutsherr verschafft hatte. Statt des Hutes, den er in -der Eile nicht hatte finden können, trug er eine Mütze von sonderbarer -Form. In der Rechten aber hielt er einen ausgehöhlten Kirchenschlüssel, -der wie ne rostige Pistole aussah. - -Der Weg bis zur Kirche war ganz nah. Und nun standen sie dem Portal -gegenüber. - -Rex, zu dessen Ressort auch Kirchenbauliches gehörte, setzte sein -Pincenez auf und musterte. »Sehr interessant. Ich setze das Portal -in die Zeit von Bischof Luger. Prämonstratenserbau. Wenn mich nicht -alles täuscht, Anlehnung an die Brandenburger Krypte. Also sagen wir -zwölfhundert. Wenn ich fragen darf, Herr von Stechlin, existieren -Urkunden? Und war vielleicht Herr von Quast schon hier oder Geheimrat -Adler, unser bester Kenner?« - -Dubslav geriet in eine kleine Verlegenheit, weil er sich einer solchen -Gründlichkeit nicht gewärtigt hatte. »Herr von Quast war einmal hier, -aber in Wahlangelegenheiten. Und mit den Urkunden ist es gründlich -vorbei, seit Wrangel hier alles niederbrannte. Wenn ich von Wrangel -spreche, mein ich natürlich nicht unsern ›Vater Wrangel‹, der übrigens -auch keinen Spaß verstand, sondern den Schillerschen Wrangel ... Und -außerdem, Herr von Rex, ist es so schwer für einen Laien. Aber Sie, -Krippenstapel, was meinen Sie?« - -Rex, über den plötzlich etwas von Dienstlichkeit gekommen war, -zuckte zusammen. Er hatte sich an Herrn von Stechlin gewandt, wenn -nicht als an einen Wissenden, so doch als an einen Ebenbürtigen, -und daß jetzt Krippenstapel aufgefordert wurde, das entscheidende -Wort in dieser Angelegenheit zu sprechen, wollte ihm nicht recht -passend erscheinen. Überhaupt, was wollte diese Figur, die doch schon -stark die Karikatur streifte. Schon der Bericht über die Bienen und -namentlich was er über die Haltung der Königin und den Prince-Consort -gesagt hatte, hatte so merkwürdig anzüglich geklungen, und nun wurde -dies Schulmeister-Original auch noch aufgefordert, über bauliche -Fragen und aus welchem Jahrhundert die Kirche stamme, sein Urteil -abzugeben. Er hatte wohlweislich nach Quast und Adler gefragt, und -nun kam Krippenstapel! Wenn man durchaus wollte, konnte man das alles -patriarchalisch finden; aber es mißfiel ihm doch. Und leider war -Krippenstapel -- der zu seinen sonstigen Sonderbarkeiten auch noch -den ganzen Trotz des Autodidakten gesellte -- keineswegs angetan, die -kleinen Unebenheiten, in die das Gespräch hineingeraten war, wieder -glatt zu machen. Er nahm vielmehr die Frage: ›Krippenstapel, was meinen -Sie,‹ ganz ernsthaft auf und sagte: - -»Wollen verzeihen, Herr von Rex, wenn ich unter Anlehnung an eine -neuerdings erschienene Broschüre des Oberlehrers Tucheband in Templin -zu widersprechen wage. Dieser Grafschaftswinkel hier ist von mehr -mecklenburgischem und uckermärkischem als brandenburgischem Charakter, -und wenn wir für unsre Stechliner Kirche nach Vorbildern forschen -wollen, so werden wir sie wahrscheinlich in Kloster Himmelpfort oder -Gransee zu suchen haben, aber nicht in Dom Brandenburg. Ich möchte -hinzusetzen dürfen, daß Oberlehrer Tuchebands Aufstellungen, soviel ich -weiß, unwidersprochen geblieben sind.« - -Czako, der diesem aufflackernden Kampfe zwischen einem -Ministerialassessor und einem Dorfschulmeister mit größtem Vergnügen -folgte, hätte gern noch weitere Scheite herzugetragen; Woldemar aber -empfand, daß es höchste Zeit sei, zu intervenieren, und bemerkte: -nichts sei schwerer, als auf diesem Gebiete Bestimmungen zu treffen -- -ein Satz, den übrigens sowohl Rex wie Krippenstapel ablehnen zu wollen -schienen --, und daß er vorschlagen möchte, lieber in die Kirche selbst -einzutreten, als hier draußen über die Säulen und Kapitelle weiter zu -debattieren. - -Man fand sich in diesen Vorschlag; Krippenstapel öffnete die Kirche mit -seinem Riesenschlüssel, und alle traten ein. - - - - -Sechstes Kapitel - - -Gleich nach zwölf -- Woldemar hatte sich, wie geplant, schon lange -vorher, um bei Lorenzen vorzusprechen, von den andern Herrn getrennt --- waren Dubslav, Rex und Czako von dem Globsower Ausfluge zurück, -und Rex, feiner Mann, der er war, war bei Passierung des Vorhofs -verbindlich an die mit Zinn ausgelegte blanke Glaskugel herangetreten, -um ihr, als einem mutmaßlichen Produkte der eben besichtigten »grünen -Glashütte,« seine Ministerialaufmerksamkeit zu schenken. Er ging dabei -so weit, von »Industriestaat« zu sprechen. Czako, der gemeinschaftlich -mit Rex in die Glaskugel hineinguckte, war mit allem einverstanden, nur -nicht mit seinem Spiegelbilde. »Wenn man nur bloß etwas besser aussähe -...« Rex versuchte zu widersprechen, aber Czako gab nicht nach und -versicherte: »Ja, Rex, Sie sind ein schöner Mann, Sie haben eben mehr -zuzusetzen. Und da bleibt denn immer noch was übrig.« - -Oben auf der Rampe stand Engelke. - -»Nun, Engelke, wie steht's? Woldemar und der Pastor schon da?« - -»Nein, gnädger Herr. Aber ich kann ja die Christel schicken.« - -»Nein, nein, schicke nicht. Das stört bloß. Aber warten wollen wir auch -nicht. Es war doch weiter nach Globsow, als ich dachte; das heißt, -eigentlich war es nicht weiter, bloß die Beine wollen nicht mehr recht. -Und hat solche Anstrengung bloß das eine Gute, daß man hungrig und -durstig wird. Aber da kommen ja die Herren.« - -Und er grüßte von der Rampe her nach der Bohlenbrücke hinüber, über -die Woldemar und Lorenzen eben in den Schloßhof eintraten. Rex ging -ihnen entgegen. Dubslav dagegen nahm Czakos Arm und sagte: »Nun kommen -Sie, Hauptmann, wir wollen derweilen ein bißchen recherchieren und uns -einen guten Platz aussuchen. Mit der ewigen Veranda, das is nichts; -unter der Marquise steht die Luft wie ne Mauer, und ich muß frische -Luft haben. Vielleicht erstes Zeichen von Hydropsie. Kann eigentlich -Fremdwörter nicht leiden. Aber mitunter sind sie doch ein Segen. Wenn -ich so zwischen Hydropsie und Wassersucht die Wahl habe, bin ich immer -für Hydropsie. Wassersucht hat so was kolossal Anschauliches.« - -Unter diesen Worten waren sie bis in den Garten gekommen, an eine -Stelle, wo viel Buchsbaum stand, dem Poetensteige gerad gegenüber. -»Sehen Sie hier, Hauptmann, das wäre so was. Niedrige Buchsbaumwand. -Da haben wir Luft und doch keinen Zug. Denn vor Zug muß ich mich auch -hüten wegen Rheumatismus, oder vielleicht ist es auch Gicht. Und dabei -hören wir das Plätschern von meiner Sanssouci-Fontäne. Was meinen Sie?« - -»Kapital, Herr Major.« - -»Ach, lassen Sie den Major. Major klingt immer so dienstlich ... Also -hier, Engelke, hier decke den Tisch und stell auch ein paar Fuchsien -oder was gerade blüht in die Mitte. Nur nicht Astern. Astern sind -ganz gut, aber doch sozusagen unterm Stand und sehen immer aus wie'n -Bauerngarten. Und dann mache dich in den Keller und hol uns was -Ordentliches herauf. Du weißt ja, was ich zum Frühstück am liebsten -habe. Vielleicht hat Hauptmann Czako denselben Geschmack.« - -»Ich weiß noch nicht, um was es sich handelt, Herr von Stechlin; aber -ich möchte mich für Übereinstimmung schon jetzt verbürgen.« - -Inzwischen waren auch Woldemar, Rex und der Pastor vom Gartensalon her -auf die Veranda hinausgetreten, und Dubslav ging ihnen entgegen. »Guten -Tag, Pastor. Nun, das ist recht. Ich dachte schon, Woldemar würde von -Ihnen annektiert werden.« - -»Aber, Herr von Stechlin ... Ihre Gäste ... Und Woldemars Freunde.« - -»Betonen Sie das nicht so, Lorenzen. Es gibt Umgangsformen und -Artigkeitsgesetze. Gewiß. Aber das alles reicht nicht weit. Was der -Mensch am ehesten durchbricht, das sind gerade solche Formen. Und -wer sie nicht durchbricht, der kann einem auch leid tun. Wie geht es -denn in der Ehe? Haben Sie schon einen Mann gesehen, der die Formen -wahrt, wenn seine Frau ihn ärgert? Ich nicht. Leidenschaft ist immer -siegreich.« - -»Ja, Leidenschaft. Aber Woldemar und ich ...« - -»Sind auch in Leidenschaft. Sie haben die Freundschaftsleidenschaft, -Orest und Pylades -- so was hat es immer gegeben. Und dann, -was noch viel mehr sagen will, Sie haben nebenher die -Konspirationsleidenschaft ...« - -»Aber, Herr von Stechlin.« - -»Nein, nicht die Konspirationsleidenschaft, ich nehm es zurück; aber -Sie haben dafür was anderes, nämlich die Weltverbesserungsleidenschaft. -Und das ist eine der größten, die es gibt. Und wenn solche zwei -Weltverbesserer zusammen sind, da können Rex und Czako warten, und da -kann selbst ein warmes Frühstück warten. Sagt man noch ~Déjeuner à la -fourchette~?« - -»Kaum, Papa. Wie du weißt, es ist jetzt alles englisch.« - -»Natürlich. Die Franzosen sind abgesetzt. Und ist auch recht gut so, -wiewohl unsre Vettern drüben erst recht nichts taugen. Selbst ist der -Mann. Aber ich glaube, das Frühstück wartet.« - -Wirklich, es war so. Während die Herren zu zwei und zwei an der -Buchsbaumwandung auf und ab schritten, hatte Engelke den Tisch -arrangiert, an den jetzt Wirt und Gäste herantraten. - -Es war eine längliche Tafel, deren dem Rundell zugekehrte Längsseite -man frei gelassen hatte, was allen einen Überblick über das hübsche -Gartenbild gestattete. Dubslav, das Arrangement musternd, nickte -Engelke zu, zum Zeichen, daß er's getroffen habe. Dann aber nahm er -die Mittelschüssel und sagte, während er sie Rex reichte: »~Toujours -perdrix.~ Das heißt, es sind eigentlich Krammetsvögel, wie schon -gestern abend. Aber wer weiß, wie Krammetsvögel auf französisch heißen? -Ich wenigstens weiß es nicht. Und ich glaube, nicht einmal Tucheband -wird uns helfen können.« - -Ein allgemeines verlegenes Schweigen bestätigte Dubslavs Vermutung über -französische Vokabelkenntnis. - -»Wir kamen übrigens,« fuhr dieser fort, »dicht vor Globsow durch einen -Dohnenstrich, überall hingen noch viele Krammetsvögel in den Schleifen, -was mir auffiel und was ich doch, wie so vieles Gute, meinem alten -Krippenstapel zuschreiben muß. Es wäre doch ne Kleinigkeit für die -Jungens, den Dohnenstrich auszuplündern. Aber so was kommt nicht vor. -Was meinen Sie, Lorenzen?« - -»Ich freue mich, daß es ist, wie es ist, und daß die Dohnenstriche -nicht ausgeplündert werden. Aber ich glaube, Herr von Stechlin, Sie -dürfen es Krippenstapel nicht anrechnen.« - -Dubslav lachte herzlich. »Da haben wir wieder die alte Geschichte. -Jeder Schulmeister schulmeistert an seinem Pastor herum, und jeder -Pastor pastort über seinen Schulmeister. Ewige Rivalität. Der -natürliche Zug ist doch, daß die Jungens nehmen, was sie kriegen -können. Der Mensch stiehlt wie'n Rabe. Und wenn er's mit einmal -unterläßt, so muß das doch nen Grund haben.« - -»Den hat es auch, Herr von Stechlin. Bloß einen andern. Was sollen sie -mit nem Krammetsvogel machen? Für uns ist es eine Delikatesse, für -einen armen Menschen ist es gar nichts, knapp soviel wie'n Sperling.« - -»Ach, Lorenzen, ich sehe schon, Sie liegen da wieder mit dem -›Patrimonium der Enterbten‹ im Anschlag; Sperling, das klingt ganz so. -Aber soviel ist doch richtig, daß Krippenstapel die Jungens brillant -in Ordnung hält; wie ging das heute Schlag auf Schlag, als ich den -kurzgeschorenen Schwarzkopp ins Examen nahm, und wie stramm waren die -Jungens und wie manierlich, als wir sie nach ner Stunde in Globsow -wiedersahen. Wie sie da so fidel spielten und doch voll Respekt in -allem. ›Frei, aber nicht frech‹, das ist so mein Satz.« - -Woldemar und Lorenzen, die nicht mit dabei gewesen waren, waren -neugierig, auf welchen Vorgang sich all dies Lob des Alten bezöge. - -»Was hat denn,« fragte Woldemar, »die Globsower Jungens mit einemmal zu -so guter Reputation gebracht?« - -»O, es war wirklich scharmant,« sagte Czako, »wir steckten noch -unter den Waldbäumen, als wir auch schon Stimmen wie Kommandorufe -hörten, und kaum daß wir auf einen freien, von Kastanien umstellten -Platz hinausgetreten waren (eigentlich war es wohl schon ein großer -Fabrikhof), so sahen wir uns wie mitten in einer Bataille.« - -Rex nickte zustimmend, während Czako fortfuhr: »Auf unserer Seite stand -die bis dahin augenscheinlich siegreiche Partei, deren weiterer Angriff -aber wegen der guten gegnerischen Deckung mit einem Male stoppte. Kaum -zu verwundern. Denn eben diese Deckung bestand aus wohl tausend, ein -großes Karree bildenden Glasballons, hinter die sich die geschlagene -Truppe wie hinter eine Barrikade zurückgezogen hatte. Da standen -sie nun und nahmen ein mit den massenhaft umherliegenden Kastanien -geführtes Feuergefecht auf. Die meisten ihrer Schüsse gingen zu kurz -und fielen klappernd wie Hagel auf die Ballons nieder. Ich hätte -dem Spiel, ich weiß nicht wie lange, zusehn können. Als man unserer -aber ansichtig wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken -auseinander. Überall sind Photographen. Nur wo sie hingehören, da -fehlen sie. Genau so wie bei der Polizei.« - -Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört. - -»Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehen es aber; Sie können mit nem -Dukaten den Großen Kurfürsten vergolden.« - -»Ja,« sagte Rex, seinen Partner plötzlich im Stiche lassend, »das tut -unser Freund Czako nicht anders; dreiviertel ist immer Dichtung.« - -»Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus und am wenigsten für -einen korrekten Aktenmenschen.« - -»Und dabei, lieber Czako,« nahm jetzt Dubslav das Wort, »dabei bleiben -Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In so wichtiger Sache müssen Sie mir aber -in meiner Lieblingssorte Bescheid tun, nicht in Rotwein, den mein -berühmter Miteinsiedler das ›natürliche Getränk des norddeutschen -Menschen‹ genannt hatte. Einer seiner mannigfachen Irrtümer; vielleicht -der größte. Das natürliche Getränk des norddeutschen Menschen ist am -Rhein und Main zu finden. Und am vorzüglichsten da, wo sich, wenn ich -den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen. Ungefähr von dieser -Vermählungsstelle kommt auch der hier.« Und dabei wies er auf eine vor -ihm stehende Bocksbeutelflasche. »Sehen Sie, meine Herren, verhaßt sind -mir alle langen Hälse; das hier aber, das nenn ich eine gefällige Form. -Heißt es nicht irgendwo: ›Laßt mich dicke Leute sehn,‹ oder so ähnlich. -Da stimm ich zu; dicke Flaschen, die sind mein Fall.« Und dabei stieß -er wiederholt mit Czako an. »Noch einmal, auf Ihr Wohl. Und auf Ihres, -Herr von Rex. Und dann auf das Wohl meiner Globsower, oder wenigstens -meiner Globsower Jungens, die sich nicht bloß um Fehrbellin kümmern und -um Leipzig, sondern, wie wir gesehen haben, auch selber ihre Schlachten -schlagen. Ich ärgere mich nur immer, wenn ich diese riesigen Ballons -da zwischen meinen Globsowern sehe. Und hinter dem ersten Fabrikhof -(ich wollte Sie nur nicht weiter damit behelligen), da ist noch ein -zweiter Hof, der sieht noch schlimmer aus. Da stehen nämlich wahre -Glasungeheuer, auch Ballons, aber mit langem Hals dran, und die heißen -dann Retorten.« - -»Aber Papa,« sagte Woldemar, »daß du dich über die paar Retorten und -Ballons nie beruhigen kannst. So lang ich nur denken kann, eiferst du -dagegen. Es ist doch ein wahres Glück, daß so viel davon in die Welt -geht und den armen Fabrikleuten einen guten Lohn sichert. So was wie -Streik kommt hier ja gar nicht vor, und in diesem Punkt ist unsre -Stechliner Gegend doch wirklich noch wie ein Paradies.« - -Lorenzen lachte. - -»Ja, Lorenzen, Sie lachen,« warf Dubslav hier ein. »Aber bei Lichte -besehen hat Woldemar doch recht, was (und Sie wissen auch warum) -eigentlich nicht oft vorkommt. Es ist genau so, wie er sagt. Natürlich -bleibt uns Eva und die Schlange; das ist uralte Erbschaft. Aber so -viel noch von guter alter Zeit in dieser Welt zu finden ist, so viel -findet sich hier, hier in unsrer lieben alten Grafschaft. Und in dies -Bild richtiger Gliederung, oder meinetwegen auch richtiger Unterordnung -(denn ich erschrecke vor solchem Worte nicht), in dieses Bild des -Friedens paßt mir diese ganze Globsower Retortenbläserei nicht hinein. -Und wenn ich nicht fürchten müßte, für einen Querkopf gehalten zu -werden, so hätt ich bei hoher Behörde schon lange meine Vorschläge -wegen dieser Retorten und Ballons eingereicht. Und natürlich +gegen+ -beide. Warum müssen es immer Ballons sein? Und wenn schon, na, dann -lieber solche wie diese. Die lass' ich mir gefallen.« Und dabei hob er -die Bocksbeutelflasche. - -»Wie diese,« bestätigte Czako. - -»Ja, Czako, Sie sind ganz der Mann, meinen Papa in seiner Idiosynkrasie -zu bestärken.« - -»Idiosynkrasie,« wiederholte der Alte. »Wenn ich so was höre. Ja, -Woldemar, da glaubst du nun wieder wunder was Feines gesagt zu haben. -Aber es ist doch bloß ein Wort. Und was bloß ein Wort ist, ist nie was -Feines, auch wenn es so aussieht. Dunkle Gefühle, die sind fein. Und so -gewiß die Vorstellung, die ich mit dieser lieben Flasche hier verbinde, -für mich persönlich was Celestes hat ... kann man Celestes sagen? ...« -Lorenzen nickte zustimmend, »so gewiß hat die Vorstellung, die sich -für mich an diese Globsower Riesenbocksbeutelflaschen knüpft, etwas -Infernalisches.« - -»Aber Papa.« - -»Still, unterbrich mich nicht, Woldemar. Denn ich komme jetzt eben an -eine Berechnung, und bei Berechnungen darf man nicht gestört werden. -Über hundert Jahre besteht nun schon diese Glashütte, und wenn ich nun -so das jedesmalige Jahresprodukt mit hundert multipliziere, so rechne -ich mir alles in allem wenigstens eine Million heraus. Die schicken sie -zunächst in andre Fabriken, und da destillieren sie flott drauflos, -und zwar allerhand schreckliches Zeug in diese grünen Ballons hinein: -Salzsäure, Schwefelsäure, rauchende Salpetersäure. Das ist die -schlimmste, die hat immer einen rotgelben Rauch, der einem gleich die -Lunge anfrißt. Aber wenn einen der Rauch auch zufrieden läßt, jeder -Tropfen brennt ein Loch, in Leinwand oder in Tuch, oder in Leder, -überhaupt in alles; alles wird angebrannt und angeätzt. Das ist das -Zeichen unsrer Zeit jetzt, ›angebrannt und angeätzt‹. Und wenn ich dann -bedenke, daß meine Globsower da mittun und ganz gemütlich die Werkzeuge -liefern für die große Generalweltanbrennung, ja, hören Sie, meine -Herren, das gibt mir einen Stich. Und ich muß Ihnen sagen, ich wollte, -jeder kriegte lieber einen halben Morgen Land von Staats wegen und -kaufte sich zu Ostern ein Ferkelchen, und zu Martini schlachteten sie -ein Schwein und hätten den Winter über zwei Speckseiten, jeden Sonntag -eine ordentliche Scheibe, und alltags Kartoffeln und Grieben.« - -»Aber Herr von Stechlin,« lachte Lorenzen, »das ist ja die reine -Neulandtheorie. Das wollen ja die Sozialdemokraten auch.« - -»Ach was, Lorenzen, mit Ihnen ist nicht zu reden ... Übrigens Prosit -... wenn Sie's auch eigentlich nicht verdienen.« - - * * * * * - -Das Frühstück zog sich lange hin, und das dabei geführte Gespräch nahm -noch ein paarmal einen Anlauf ins Politische hinein; Lorenzen aber, der -kleine Schraubereien gern vermeiden wollte, wich jedesmal geschickt aus -und kam lieber auf die Stechliner Kirche zu sprechen. Er war aber auch -hier vorsichtig und beschränkte sich, unter Anlehnung an Tucheband, auf -Architektonisches und Historisches, bis Dubslav, ziemlich abrupt, ihn -fragte: »Wissen Sie denn, Lorenzen, auf unserm Kirchenboden Bescheid? -Krippenstapel hat mich erst heute wissen lassen, daß wir da zwei -vergoldete Bischöfe mit Krummstab haben. Oder vielleicht sind es auch -bloß Äbte.« Lorenzen wußte nichts davon, weshalb ihm Dubslav gutmütig -mit dem Finger drohte. - -So ging das Gespräch. Aber kurz vor zwei mußte dem allen ein Ende -gemacht werden. Engelke kam und meldete, daß die Pferde da und die -Mantelsäcke bereits aufgeschnallt seien. Dubslav ergriff sein Glas, um -auf ein frohes Wiedersehn anzustoßen. Dann erhob man sich. - -Rex, bei Passierung der Rampe, trat noch einmal an die kranke Aloe -heran und versicherte, daß solche Blüte doch etwas eigentümlich -Geheimnisvolles habe. Dubslav hütete sich, zu widersprechen, und freute -sich, daß der Besuch mit etwas für ihn so Erheiterndem abschloß. - - * * * * * - -Gleich danach ritt man ab. Als sie bei der Glaskugel vorbeikamen, -wandten sich alle drei noch einmal zurück, und jeder lüpfte seine -Mütze. Dann ging es, zwischen den Findlingen hin, auf die Dorfstraße -hinaus, auf der eben eine ziemlich ramponiert aussehende Halbchaise, -das lederne Verdeck zurückgeschlagen, an ihnen vorüberfuhr; die Sitze -leer, alles an dem Fuhrwerk ließ Ordnung und Sauberkeit vermissen; -das eine Pferd war leidlich gut, das andre schlecht, und zu dem neuen -Livreerock des Kutschers wollte der alte Hut, der wie ein fuchsiges -Torfstück aussah, nicht recht passen. - -»Das war ja Gundermanns Wagen.« - -»So, so,« sagte Czako. »Auf den hätt ich beinah geraten.« - -»Ja, dieser Gundermann,« lachte Woldemar. »Mein Vater wollt Ihnen -gestern gern etwas Grafschaftliches vorsetzen, aber er vergriff sich. -Gundermann auf Siebenmühlen ist so ziemlich unsere schlechteste Nummer. -Ich sehe, er hat Ihnen nicht recht gefallen.« - -»Gott, gefallen, Stechlin, -- was heißt gefallen? Eigentlich -gefällt mir jeder oder auch keiner. Eine Dame hat mir mal gesagt, -die langweiligen Leute wären schließlich gerade so gut wie die -interessanten, und es hat was für sich. Aber dieser Gundermann! Zu -welchem Zwecke läßt er denn eigentlich seinen leeren Wagen in der Welt -herumkutschieren?« - -»Ich bin dessen auch nicht sicher. Wahrscheinlich in -Wahlangelegenheiten. Er persönlich wird irgendwo hängen geblieben sein, -um Stimmen einzufangen. Unser alter braver Kortschädel nämlich, der -allgemein beliebt war, ist diesen Sommer gestorben, und da will nun -Gundermann, der sich auf den Konservativen hin ausspielt, aber keiner -ist, im trüben fischen. Er intrigiert. Ich habe das in einem Gespräch, -das ich mit ihm hatte, ziemlich deutlich herausgehört, und Lorenzen hat -es mir bestätigt.« - -»Ich kann mir denken,« sagte Rex, »daß gerade Lorenzen gegen ihn ist. -Aber dieser Gundermann, für den ich weiter nichts übrig habe, hat doch -wenigstens die richtigen Prinzipien.« - -»Ach, Rex, ich bitte Sie,« sagte Czako, »richtige Prinzipien! -Geschmacklosigkeiten hat er und öde Redensarten. Dreimal hab -ich ihn sagen hören: ›Das wäre wieder Wasser auf die Mühlen der -Sozialdemokratie.‹ So was sagt kein anständiger Mensch mehr, und -jedenfalls setzt er nicht hinzu: ›daß er das Wasser abstellen wolle‹. -Das ist ja eine schreckliche Wendung.« - -Unter diesen Worten waren sie bis an den hochüberwölbten Teil der -Kastanienallee gekommen. - -Engelke, der gleich frühmorgens ein allerschönstes Wetter in Aussicht -gestellt hatte, hatte recht behalten; es war ein richtiger Oktobertag, -klar und frisch und milde zugleich. Die Sonne fiel hie und da durch das -noch ziemlich dichte Laub, und die Reiter freuten sich des Spielens der -Schatten und Lichter. Aber noch anmutiger gestaltete sich das Bild, als -sie bald danach in einen Seitenweg einmündeten, der sich durch eine -flache, nur hie und da von Wasserlachen durchzogene Wiesenlandschaft -hinschlängelte. Die großen Heiden und Forsten, die das eigentlich -Charakteristische dieses nordöstlichen Grafschaftswinkels bilden, -traten an dieser Stelle weit zurück, und nur ein paar einzelne, wie -vorgeschobene Kulissen wirkende Waldstreifen wurden sichtbar. - -Alle drei hielten an, um das Bild auf sich wirken zu lassen; aber sie -kamen nicht recht dazu, weil sie, während sie sich umschauten, eines -alten Mannes ansichtig wurden, der, nur durch einen flachen Graben -von ihnen getrennt, auf einem Stück Wiese stand und das hochstehende -Gras mähte. Jetzt erst sah auch er von seiner Arbeit auf und zog seine -Mütze. Die Herren taten ein Gleiches und schwankten, ob sie näher -heranreiten und eine Ansprache mit ihm haben sollten. Aber er schien -das weder zu wünschen noch zu erwarten, und so ritten sie denn weiter. - -»Mein Gott,« sagte Rex, »das war ja Krippenstapel. Und hier draußen, so -weit ab von seiner Schule. Wenn er nicht die Seehundsfellmütze gehabt -hätte, die wie aus einer konfiszierten Schulmappe geschnitten aussah, -hätt ich ihn nicht wieder erkannt.« - -»Ja, er war es, und das mit der Schulmappe wird wohl auch zutreffen,« -sagte Woldemar. »Krippenstapel kann eben alles -- der reine Robinson.« - -»Ja, Stechlin,« warf Czako hier ein, »Sie sagen das so hin, als ob -Sie's bespötteln wollten. Eigentlich ist es doch aber was Großes, -sich immer selber helfen zu können. Er wird wohl nen Sparren haben, -zugegeben, aber Ihrem gepriesenen Lorenzen ist er denn doch um ein gut -Stück überlegen. Schon weil er ein Original ist und ein Eulengesicht -hat. Eulengesichtsmenschen sind anderen Menschen fast immer überlegen.« - -»Aber Czako, ich bitte Sie, das ist ja doch alles Unsinn. Und Sie -wissen es auch. Sie möchten nur, ganz wie Rex, wenn auch aus einem -andern Motiv, dem armen Lorenzen was am Zeug flicken, bloß weil Sie -herausfühlen: ›das ist eine lautere Persönlichkeit‹.« - -»Da tun Sie mir unrecht, Stechlin. Ganz und gar. Ich bin auch fürs -Lautere, wenn ich nur persönlich nicht in Anspruch genommen werde.« - -»Nun, davor sind Sie sicher, -- vom Brombeerstrauch keine Trauben. Im -übrigen muß ich hier abbrechen und Sie bitten, mich auf ein Weilchen -entschuldigen zu wollen. Ich muß da nämlich nach dem Forsthause -hinüber, da drüben neben der Waldecke.« - -»Aber Stechlin, was wollen Sie denn bei nem Förster?« - -»Kein Förster. Es ist ein Oberförster, zu dem ich will, und zwar -derselbe, den Sie gestern abend bei meinem Papa gesehen haben. -Oberförster Katzler, bürgerlich, aber doch beinah schon historischer -Name.« - -»So, so; jedenfalls nach dem, was mir Rex erzählt, ein brillanter -Billardspieler. Und doch, wenn Sie nicht ganz intim mit ihm sind, find -ich diesen Abstecher übertrieben artig.« - -»Sie hätten recht, Czako, wenn es sich lediglich um Katzler handelte. -Das ist aber nicht der Fall. Es handelt sich nicht um ihn, sondern um -seine junge Frau.« - -»~A la bonne heure.~« - -»Ja, da sind Sie nun auch wieder auf einer falschen Fährte. So was -kann nicht vorkommen, ganz abgesehen davon, daß mit Oberförstern -immer schlecht Kirschen pflücken ist; die blasen einen weg, man weiß -nicht wie ... Es handelt sich hier einfach um einen Teilnahmebesuch, -um etwas, wenn Sie wollen, schön Menschliches. Frau Katzler erwartet -nämlich.« - -»Aber mein Gott, Stechlin, Ihre Worte werden immer rätselhafter. Sie -können doch nicht bei jeder Oberförstersfrau, die ›erwartet‹, eine -Visite machen wollen. Das wäre denn doch eine Riesenaufgabe, selbst -wenn Sie sich auf Ihre Grafschaft hier beschränken wollten.« - -»Es liegt alles ganz exceptionell. Übrigens mach ich es kurz mit meinem -Besuch, und wenn Sie Schritt reiten, worum ich bitte, so hol ich Sie -bei Genshagen noch wieder ein. Von da bis Wutz haben wir kaum noch eine -Stunde, und wenn wir's forcieren wollen, keine halbe.« - -Und während er noch so sprach, bog er rechts ein und ritt auf das -Forsthaus zu. - -Woldemar hatte die Mitte zwischen Rex und Czako gehabt; jetzt ritten -diese beiden nebeneinander. Czako war neugierig und hätte gern -Fritz herangerufen, um dies und das über Katzler und Frau zu hören. -Aber er sah ein, daß das nicht ginge. So blieb ihm nichts als ein -Meinungsaustausch mit Rex. - -»Sehen Sie,« hob er an, »unser Freund Woldemar, trabt er da nicht -hin, wie wenn er dem Glücke nachjagte? Glauben Sie mir, da steckt ne -Geschichte dahinter. Er hat die Frau geliebt oder liebt sie noch. Und -dies merkwürdige Interesse für den in Sicht stehenden Erdenbürger. -Übrigens vielleicht ein Mädchen. Was meinen Sie dazu, Rex?« - -»Ach Czako, Sie wollen ja doch nur hören, was Ihrer eignen frivolen -Natur entspricht. Sie haben keinen Glauben an reine Verhältnisse. Sehr -mit Unrecht. Ich kann Ihnen versichern, es gibt dergleichen.« - -»Nun ja, Sie, Rex. Sie, der sich Frühgottesdienste leistet. Aber -Stechlin ...« - -»Stechlin ist auch eine sittliche Natur. Sittlichkeit ist ihm -angeboren, und was er von Natur mitbrachte, das hat sein Regiment -weiter in ihm ausgebildet.« - -Czako lachte. »Nun hören Sie, Rex, Regimenter kenn ich doch auch. Es -gibt ihrer von allen Arten, aber Sittlichkeitsregimenter kenn ich noch -nicht.« - -»Es gibt's ihrer aber. Zum mindesten hat's ihrer immer gegeben, sogar -solche mit Askese.« - -»Nun ja, Cromwell und die Puritaner. Aber, ~long, long ago~. Verzeihen -Sie die abgedudelte Phrase. Aber wenn sich's um so feine Dinge wie -Askese handelt, muß man notwendig einen englischen Brocken einschalten. -In Wirklichkeit bleibt alles beim alten. Sie sind ein schlechter -Menschenkenner, Rex, wie alle Konventikler. Die glauben immer, was sie -wünschen. Und auch an unserm Stechlin werden Sie mutmaßlich erfahren, -wie falsch Sie gerechnet haben. Im übrigen kommt da gerade zu rechter -Zeit ein Wegweiser. Lassen Sie uns nachsehen, wo wir eigentlich sind. -Wir reiten so immer drauflos und wissen nicht mehr, ob links oder -rechts.« - -Rex, der von dem Wegweiser nichts wissen wollte, war einfach für -Weiterreiten, und das war auch das Richtige. Denn keine halbe Stunde -mehr, so holte Stechlin sie wieder ein. »Ich wußte, daß ich Sie noch -vor Genshagen treffen würde. Die Frau Oberförsterin läßt sich übrigens -den Herren empfehlen. Er war nicht da, was recht gut war.« - -»Kann ich mir denken,« sagte Czako. - -»Und was noch besser war, sie sah brillant aus. Eigentlich ist sie -nicht hübsch, Blondine mit großen Vergißmeinnichtaugen und etwas -lymphatisch; auch wohl nicht ganz gesund. Aber sonderbar, solche Damen, -wenn was in Sicht steht, sehen immer besser aus als in natürlicher -Verfassung, ein Zustand, der allerdings bei der Katzler kaum vorkommt. -Sie ist noch nicht volle sechs Jahre verheiratet und erwartet mit -nächstem das Siebente.« - -»Das ist aber doch unerhört. Ich glaube, so was ist Scheidungsgrund.« - -»Mir nicht bekannt und auch, offen gestanden, nicht sehr -wahrscheinlich. Jedenfalls wird es die Prinzessin nicht als -Scheidungsgrund nehmen.« - -»Die Prinzessin?« fuhren Rex und Czako a tempo heraus. - -»Ja, die Prinzessin,« wiederholte Woldemar. »Ich war all die Zeit über -gespannt, was das wohl für einen Eindruck auf Sie machen würde, weshalb -ich mich auch gehütet habe, vorher mit Andeutungen zu kommen. Und es -traf sich gut, daß mein Vater gestern abend nur so ganz leicht drüber -hinging, ich möchte beinah sagen diskret, was sonst nicht seine Sache -ist.« - -»Prinzessin,« wiederholte Rex, dem die Sache beinah den Atem nahm. »Und -aus einem regierenden Hause?« - -»Ja, was heißt aus einem regierenden Hause? Regiert haben sie alle mal. -Und soviel ich weiß, wird ihnen dies ›mal regiert haben‹ auch immer -noch angerechnet, wenigstens sowie sich's um Eheschließungen handelt. -Um so großartiger, wenn einzelne der hier in Betracht kommenden -Damen auf alle diese Vorrechte verzichten und ohne Rücksicht auf -Ebenbürtigkeit sich aus reiner Liebe vermählen. Ich sage ›vermählen‹, -weil ›sich verheiraten‹ etwas plebeje klingt. Frau Katzler ist eine -Ippe-Büchsenstein.« - -»Eine Ippe!« sagte Rex. »Nicht zu glauben. Und erwartet wieder. Ich -bekenne, daß mich das am meisten chokiert. Diese Ausgiebigkeit, ich -finde kein anderes Wort, oder richtiger, ich +will+ kein andres finden, -ist doch eigentlich das Bürgerlichste, was es gibt.« - -»Zugegeben. Und so hat es die Prinzessin auch wohl selber aufgefaßt. -Aber das ist gerade das Große an der Sache; ja, so sonderbar es klingt, -das Ideale.« - -»Stechlin, Sie können nicht verlangen, daß man das so ohne weiteres -versteht. Ein halb Dutzend Bälge, wo steckt da das Ideale?« - -»Doch, Rex, doch. Die Prinzessin selbst, und das ist das Rührendste, -hat sich darüber ganz unumwunden ausgesprochen. Und zwar zu meinem -Alten. Sie sieht ihn öfter und möcht ihn, glaub ich, bekehren, -- -sie ist nämlich von der strengen Richtung und hält sich auch zu -Superintendent Koseleger, unserm Papst hier. Und kurz und gut, sie -macht meinem Papa beinah den Hof und erklärt ihn für einen perfekten -Kavalier, wobei Katzler immer ein etwas süßsaures Gesicht macht, aber -natürlich nicht widerspricht.« - -»Und wie kam sie nur dazu, Ihrem Papa gerade Konfessions in einer so -delikaten Sache zu machen?« - -»Das war voriges Jahr, genau um diese Zeit, als sie auch mal wieder -erwartete. Da war mein Vater drüben und sprach, als das durch die -Situation gegebene Thema berührt wurde, halb diplomatisch, halb -humoristisch von der Königin Luise, hinsichtlich deren der alte Doktor -Heim, als der Königin das ›Sechste oder Siebente‹ geboren werden -sollte, ziemlich freiweg von der Notwendigkeit der ›Brache‹ gesprochen -hatte.« - -»Bißchen stark,« sagte Rex. »Ganz im alten Heimstil. Aber freilich, -Königinnen lassen sich viel gefallen. Und wie nahm es die Prinzessin -auf?« - -»O, sie war reizend, lachte, war weder verlegen noch verstimmt, sondern -nahm meines Vaters Hand so zutraulich, wie wenn sie seine Tochter -gewesen wäre. ›Ja, lieber Herr von Stechlin,‹ sagte sie, ›wer A sagt, -der muß auch B sagen. Wenn ich diesen Segen durchaus nicht wollte, dann -mußt ich einen Durchschnittsprinzen heiraten, -- da hätt ich vielleicht -das gehabt, was der alte Heim empfehlen zu müssen glaubte. Statt dessen -nahm ich aber meinen guten Katzler. Herrlicher Mann. Sie kennen ihn und -wissen, er hat die schöne Einfachheit aller stattlichen Männer, und -seine Fähigkeiten, soweit sich überhaupt davon sprechen läßt, haben -etwas Einseitiges. Als ich ihn heiratete, war ich deshalb ganz von -dem einen Gedanken erfüllt, alles Prinzeßliche von mir abzustreifen -und nichts bestehen zu lassen, woraus Übelwollende hätten herleiten -können: ›Ah, sie will immer noch eine Prinzessin sein.‹ Ich entschloß -mich also für das Bürgerliche, und zwar ›voll und ganz‹, wie man jetzt, -glaub ich, sagt. Und was dann kam, nun, das war einfach die natürliche -Konsequenz.‹« - -»Großartig,« sagte Rex. »Ich entschlage mich nach solchen Mitteilungen -jeder weiteren Opposition. Welch ein Maß von Entsagung! Denn auch im -Nichtentsagen kann ein Entsagen liegen. Andauernde Opferung eines -Innersten und Höchsten.« - -»Unglaublich!« lachte Czako. »Rex, Rex. Ich hab Ihnen da schon vorhin -alle Menschenkenntnis abgesprochen. Aber hier übertrumpfen Sie sich -selbst. Wer Konventikel leitet, der sollte doch wenigstens die Weiber -kennen. Erinnern Sie sich, Stechlin sagte, sie sei lymphatisch und habe -Vergißmeinnichtaugen. Und nun sehen Sie sich den Katzler an. Beinah -sechs Fuß und rotblond und das Eiserne Kreuz.« - -»Czako, Sie sind mal wieder frivol. Aber man darf es mit Ihnen nicht so -genau nehmen. Das ist das Slawische, was in Ihnen nachspukt; latente -Sinnlichkeit.« - -»Ja, sehr latent; durchaus vergrabner Schatz. Und ich wollte wohl, daß -ich in die Lage käme, besser damit wuchern zu können. Aber ...« - -So ging das Gespräch noch eine gute Weile. - -Die große Chaussee, darauf ihr Weg inzwischen wieder eingemündet, -stieg allmählich an, und als man den Höhepunkt dieser Steigung -erreicht hatte, lag das Kloster samt seinem gleichnamigen Städtchen -in verhältnismäßiger Nähe vor ihnen. Auf ihrem Hinritte hatten Rex -und Czako so wenig davon zu Gesicht bekommen, daß ein gewisses -Betroffensein über die Schönheit des sich ihnen jetzt darbietenden -Landschafts- und Architekturbildes kaum ausbleiben konnte. Czako -besonders war ganz aus dem Häuschen, aber auch Rex stimmte mit ein. -»Die große Feldsteingiebelwand,« sagte er, »so gewagt im allgemeinen -bestimmte Zeitangaben auf diesem Gebiete sind, möcht ich in das Jahr -1375, also Landbuch Kaiser Karls ~IV.~, setzen dürfen.« - -»Wohl möglich,« lachte Woldemar. »Es gibt nämlich Zahlen, die nicht gut -widerlegt werden können, und ›Landbuch Kaiser Karls ~IV.~‹ paßt beinah -immer.« - -Rex hörte drüber hin, weil er in seinem Geiste mal wieder einer -allgemeineren und zugleich höheren Auffassung der Dinge zustrebte. -»Ja, meine Herren,« hob er an, »das geschmähte Mittelalter. Da -verstand man's. Ich wage den Ausspruch, den ich übrigens nicht einem -Kunsthandbuch entnehme, sondern der langsam in mir herangereift ist: -›Die Platzfrage geht über die Stilfrage.‹ Jetzt wählt man immer die -häßlichste Stelle. Das Mittelalter hatte noch keine Brillen, aber man -sah besser.« - -»Gewiß,« sagte Czako. »Aber dieser Angriff auf die Brillen, Rex, -ist nichts für Sie. Wer mit seinem Pincenez oder Monocle so viel -operiert ...« - -Das Gespräch kam nicht weiter, weil in eben diesem Augenblick mächtige -Turmuhrschläge vom Städtchen Wutz her herüberklangen. Man hielt an, und -jeder zählte »Vier«. Kaum aber hatte die Uhr ausgeschlagen, so begann -eine zweite und tat auch ihre vier Schläge. - -»Das ist die Klosteruhr,« sagte Czako. - -»Warum?« - -»Weil sie nachschlägt; alle Klosteruhren gehen nach. Natürlich. Aber -wie dem auch sei, Freund Woldemar hat uns, glaub ich, für vier Uhr -angemeldet, und so werden wir uns eilen müssen.« - - - - -Kloster Wutz - - - - -Siebentes Kapitel - - -Alle setzten sich denn auch wieder in Trab, mit ihnen Fritz, der dabei -näher an die voraufreitenden Herren herankam. Das Gespräch schwieg -ganz, weil jeder in Erwartung der kommenden Dinge war. - -Die Chaussee lief hier, auf eine gute Strecke, zwischen Pappeln hin; -als man aber bis in unmittelbare Nähe von Kloster Wutz gekommen war, -hörten diese Pappeln auf, und der sich mehr und mehr verschmälernde -Weg wurde zu beiden Seiten von Feldsteinmauern eingefaßt, über die man -alsbald in die verschiedensten Gartenanlagen mit allerhand Küchen- und -Blumenbeeten und mit vielen Obstbäumen dazwischen hineinsah. Alle drei -ließen jetzt die Pferde wieder in Schritt fallen. - -»Der Garten hier links,« sagte Woldemar, »ist der Garten der Domina, -meiner Tante Adelheid; etwas primitiv, aber wundervolles Obst. Und hier -gleich rechts, da bauen die Stiftsdamen ihren Dill und ihren Meiran. Es -sind aber nur ihrer vier, und wenn welche gestorben sind -- aber sie -sterben selten --, so sind es noch weniger.« - -Unter diesen orientierenden Mitteilungen des hier aus seinen -Knabenjahren her Weg und Steg kennenden Woldemar waren alle durch -eine Maueröffnung in einen großen Wirtschaftshof eingeritten, der -baulich so ziemlich jegliches enthielt, was hier, bis in die Tage des -Dreißigjährigen Krieges hinein, der dann freilich alles zerstörte, -mal Kloster Wutz gewesen war. Vom Sattel aus ließ sich alles bequem -überblicken. Das meiste, was sie sahen, waren wirr durcheinander -geworfene, von Baum und Strauch überwachsene Trümmermassen. - -»Es erinnert mich an den Palatin,« sagte Rex, »nur ins christlich -Gotische transponiert.« - -»Gewiß,« bestätigte Czako lachend. »Soweit ich urteilen kann, sehr -ähnlich. Schade, daß Krippenstapel nicht da ist. Oder Tucheband.« - -Damit brach das Gespräch wieder ab. - -In der Tat, wohin man sah, lagen Mauerreste, in die, seltsamlich genug, -die Wohnungen der Klosterfrauen eingebaut waren, zunächst die größere -der Domina, daneben die kleineren der vier Stiftsdamen, alles an der -vorderen Langseite hin. Dieser gegenüber aber zog sich eine zweite, -parallel laufende Trümmerlinie, darin die Stallgebäude, die Remisen -und die Rollkammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die zwei -Schmalseiten, von denen die eine nichts als eine von Holunderbüschen -übergrünte Mauer, die andere dagegen eine hochaufragende mächtige -Giebelwand war, dieselbe, die man schon beim Anritt aus einiger -Entfernung gesehen hatte. Sie stand da, wie bereit, alles unter -ihrem beständig drohenden Niedersturz zu begraben, und nur das eine -konnte wieder beruhigen, daß sich auf höchster Spitze der Wand ein -Storchenpaar eingenistet hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer -weiß, ob etwas hält oder fällt. - -Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten, bis an die in die -Feldsteintrümmer eingebauten Wohngebäude waren nur wenige Schritte, -und als man davor hielt, erschien alsbald die Domina selbst, um ihren -Neffen und seine beiden Freunde zu begrüßen. Fritz, der, wie überall, -so auch hier Bescheid wußte, nahm die Pferde, um sie nach einem an der -andern Seite gelegenen Stallgebäude hinüberzuführen, während Rex und -Czako nach kurzer Vorstellung in den von Schränken umstellten Flur -eintraten. - -»Ich habe dein Telegramm,« sagte die Domina, »erst um ein Uhr erhalten. -Es geht über Gransee, und der Bote muß weit laufen. Aber sie wollen -ihm ein Rad anschaffen, solches, wie jetzt überall Mode ist. Ich -sage Rad, weil ich das fremde Wort, das so verschieden ausgesprochen -wird, nicht leiden kann. Manche sagen ›ci,‹ und manche sagen ›schi‹. -Bildungsprätensionen sind mir fremd, aber man will sich doch auch nicht -bloßstellen.« - -Eine Treppe führte bis in den ersten Stock hinauf, eigentlich war es -nur eine Stiege. Die Domina, nachdem sie die Herren bis an die unterste -Stufe begleitet hatte, verabschiedete sich hier auf eine Weile. »Du -wirst so gut sein, Woldemar, alles in deine Hand zu nehmen. Führe die -Herren hinauf. Ich habe unser bescheidenes Klostermahl auf fünf Uhr -angeordnet; also noch eine gute halbe Stunde. Bis dahin, meine Herren.« - -Oben war eine große Plättkammer zur Fremdenstube hergerichtet -worden. Ein Waschtisch mit Finkennäpfchen und Krügen in Kleinformat -war aufgestellt worden, was in Erwägung der beinah liliputanischen -Raumverhältnisse durchaus passend gewesen wäre, wenn nicht sechs an -ebenso vielen Türhaken hängende Riesenhandtücher das Ensemble wieder -gestört hätten. Rex, der sich -- ihn drückten die Stiefel -- auf kurze -zehn Minuten nach einer kleinen Erleichterung sehnte, bediente sich -eines eisernen Stiefelknechts, während Czako sein Gesicht in einer der -kleinen Waschschüsseln begrub und beim Abreiben das feste Gewebe der -Handtücher lobte. - -»Sicherlich Eigengespinst. Überhaupt, Stechlin, das muß wahr sein, Ihre -Tante hat so was; man merkt doch, daß sie das Regiment führt. Und wohl -schon seit lange. Wenn ich recht gehört, ist sie älter als Ihr Papa.« - -»O, viel; beinahe um zehn Jahre. Sie wird sechsundsiebzig.« - -»Ein respektables Alter. Und ich muß sagen, wohl konserviert.« - -»Ja, man kann es beinahe sagen. Das ist eben der Vorzug solcher, die -man ›schlank‹ nennt. Beiläufig ein Euphemismus. Wo nichts ist, hat -der Kaiser sein Recht verloren und die Zeit natürlich auch; sie kann -nichts nehmen, wo sie nichts mehr findet. Aber ich denke -- Rex tut mir -übrigens leid, weil er wieder in seine Stiefel muß -- wir begeben uns -jetzt nach unten und machen uns möglichst liebenswürdig bei der Tante. -Sie wird uns wohl schon erwarten, um uns ihren Liebling vorzustellen.« - -»Wer ist das?« - -»Nun, das wechselt. Aber da es bloß vier sein können, so kommt jeder -bald wieder an die Reihe. Während ich das letztemal hier war, war es -ein Fräulein von Schmargendorf. Und es ist leicht möglich, daß sie -jetzt gerade wieder dran ist.« - -»Eine nette Dame?« - -»O ja. Ein Pummel.« - - * * * * * - -Und wie vorgeschlagen, nach kurzem »Sichadjustieren« in der -improvisierten Fremdenstube, kehrten alle drei Herren in Tante -Adelheids Salon zurück, der niedrig und verblakt und etwas altmodisch -war. Die Möbel, lauter Erbschaftsstücke, wirkten in dem niedrigen -Raume beinah grotesk, und die schwere Tischdecke, mit einer mächtigen, -ziemlich modernen Astrallampe darauf, paßte schlecht zu dem Zeisigbauer -am Fenster und noch schlechter zu dem über einem kleinen Klavier -hängenden Schlachtenbilde: »König Wilhelm auf der Höhe von Lipa«. -Trotzdem hatte dies stillose Durcheinander etwas Anheimelndes. In dem -primitiven Kamin -- nur eine Steinplatte mit Rauchfang -- war ein -Holzfeuer angezündet; beide Fenster standen auf, waren aber durch -schwere Gardinen so gut wie wieder geschlossen, und aus dem etwas -schief über dem Sofa hängenden Quadratspiegel wuchsen drei Pfauenfedern -heraus. - -Tante Adelheid hatte sich in Staat geworfen und ihre Karlsbader -Granatbrosche vorgesteckt, die der alte Dubslav wegen der sieben -mittelgroßen Steine, die einen größeren und buckelartig vorspringenden -umstanden, die »Sieben-Kurfürsten-Brosche« nannte. Der hohe hagere -Hals ließ die Domina noch größer und herrischer erscheinen, als sie -war, und rechtfertigte durchaus die brüderliche Malice: »Wickelkinder, -wenn sie sie sehen, werden unruhig, und wenn sie zärtlich wird, fangen -sie an zu schreien.« Man sah ihr an, daß sie nur immer vorübergehend -in einer höheren Gesellschaftssphäre gelebt hatte, sich trotzdem aber -zeitlebens der angeborenen Zugehörigkeit zu eben diesen Kreisen bewußt -gewesen war. Daß man sie zur Domina gemacht hatte, war nur zu billigen. -Sie wußte zu rechnen und anzuordnen und war nicht bloß von sehr gutem -natürlichen Verstand, sondern unter Umständen auch voller Interesse für -ganz bestimmte Personen und Dinge. Was aber, trotz solcher Vorzüge, -den Verkehr mit ihr so schwer machte, das war die tiefe Prosa ihrer -Natur, das märkisch Enge, das Mißtrauen gegen alles, was die Welt der -Schönheit oder gar der Freiheit auch nur streifte. - -Sie erhob sich, als die drei Herren eintraten, und war gegen Rex und -Czako aufs neue von verbindlichstem Entgegenkommen. »Ich muß Ihnen noch -einmal aussprechen, meine Herren, wie sehr ich bedaure, Sie nur so -kurze Zeit unter meinem Dache sehen zu dürfen.« - -»Du vergißt mich, liebe Tante,« sagte Woldemar. »Ich bleibe dir noch -eine gute Weile. Mein Zug geht, glaub ich, erst um neun. Und bis dahin -erzähl ich dir eine Welt und -- beichte.« - -»Nein, nein, Woldemar, nicht das, nicht das. Erzählen sollst du mir -recht, recht viel. Und ich habe sogar Fragen auf dem Herzen. Du weißt -wohl schon, welche. Aber nur nicht beichten. Schon das Wort macht -mir jedesmal ein Unbehagen. Es hat solch ausgesprochen katholischen -Beigeschmack. Unser Rentmeister Fix hat recht, wenn er sagt: ›Beichte -sei nichts, weil immer unaufrichtig, und es habe in Berlin -- aber -das sei nun freilich schon sehr, sehr lange her -- einen Geistlichen -gegeben, der habe den Beichtstuhl einen Satansstuhl genannt.‹ Das find -ich nun offenbar übertrieben und habe mich auch in diesem Sinne zu -Fix geäußert. Aber andrerseits freue ich mich doch immer aufrichtig, -einem so mutig protestantischen Worte zu begegnen. Mut ist, was uns not -tut. Ein fester Protestant, selbst wenn er schroff auftritt, ist mir -jedesmal eine Herzstärkung, und ich darf ein gleiches Empfinden auch -wohl bei Ihnen, Herr von Rex, voraussetzen?« - -Rex verbeugte sich. Woldemar aber sagte zu Czako: »Ja, Czako, da sehen -Sie's. Sie sind nicht einmal genannt worden. Eine Domina -- verzeih, -Tante -- bildet eben ein feines Unterscheidungsvermögen aus.« - -Die Tante lächelte gnädig und sagte: »Herr von Czako ist Offizier. -Es gibt viele Wohnungen in meines Vaters Hause. Das aber muß ich -aussprechen, der Unglaube wächst, und das Katholische wächst auch. Und -das Katholische, das ist das Schlimmere. Götzendienst ist schlimmer als -Unglaube.« - -»Gehst du darin nicht zu weit, liebe Tante?« - -»Nein, Woldemar. Sieh, der Unglaube, der ein Nichts ist, kann den -lieben Gott nicht beleidigen; aber Götzendienst beleidigt ihn. Du -sollst keine andern Götter haben neben mir. Da steht es. Und nun gar -der Papst in Rom, der ein Obergott sein will und unfehlbar.« - -Czako, während Rex schwieg und nur seine Verbeugung wiederholte, kam -auf die verwegene Idee, für Papst und Papsttum eine Lanze brechen -zu wollen, entschlug sich dieses Vorhabens aber, als er wahrnahm, -daß die alte Dame ihr Dominagesicht aufsetzte. Das war indessen nur -eine rasch vorüberziehende Wolke. Dann fuhr Tante Adelheid, das Thema -wechselnd, in schnell wiedergewonnener guter Laune fort: »Ich habe -die Fenster öffnen lassen. Aber auch jetzt noch, meine Herren, ist -es ein wenig stickig. Das macht die niedrige Decke. Darf ich Sie -vielleicht auffordern, noch eine Promenade durch unsern Garten zu -machen? Unser Klostergarten ist eigentlich das Beste, was wir hier -haben. Nur der unsers Rentmeisters ist noch gepflegter und größer und -liegt auch am See. Rentmeister Fix, der hier alles zusammenhält, ist -uns, wie in wirtschaftlichen Dingen, so auch namentlich in seinen -Gartenanlagen, ein Vorbild; überhaupt ein charaktervoller Mann, und -dabei treu wie Gold, trotzdem sein Gehalt unbedeutend ist und seine -Nebeneinnahmen ganz unsicher in der Luft schweben. Ich hatte Fix denn -auch bitten lassen, mit uns bei Tisch zu sein; er versteht so gut zu -plaudern, gut und leicht, ja beinahe freimütig und doch immer durchaus -diskret. Aber er ist dienstlich verhindert. Die Herren müssen sich -also mit mir begnügen und mit einer unsrer Konventualinnen, einem mir -lieben Fräulein, das immer munter und ausgelassen, aber doch zugleich -bekenntnisstreng ist, ganz von jener schönen Heiterkeit, die man bloß -bei denen findet, deren Glaube feste Wurzeln getrieben hat. Ein gut -Gewissen ist das beste Ruhekissen. Damit hängt es wohl zusammen.« - -Rex, an den sich diese Worte vorzugsweise gerichtet hatten, drückte -wiederholt seine Zustimmung aus, während Czako beklagte, daß Fix -verhindert sei. »Solche Männer sprechen zu hören, die mit dem Volke -Fühlung haben und genau wissen, wie's einerseits in den Schlössern, -andrerseits in den Hütten der Armut aussieht, das ist immer in hohem -Maße fördernd und lehrreich und ein Etwas, auf das ich jederzeit ungern -verzichte.« - -Gleich danach erhob man sich und ging ins Freie. - -Der Garten war von sehr ländlicher Art. Durch seine ganze Länge hin -zog sich ein von Buchsbaumrabatten eingefaßter Gang, neben dem links -und rechts, in wohlgepflegten Beeten, Rittersporn und Studentenblumen -blühten. Gerade in seiner Mitte weitete sich der sonst schmale Gang zu -einem runden Platz aus, darauf eine große Glaskugel stand, ganz an die -Stechliner erinnernd, nur mit dem Unterschied, daß hier das eingelegte -blanke Zinn fehlte. Beide Kugeln stammten natürlich aus der Globsower -»grünen Hütte«. Weiterhin, ganz am Ausgange des Gartens, wurde man -eines etwas schiefen Bretterzaunes ansichtig, mit einem Pflaumenbaum -dahinter, dessen einer Hauptzweig aus dem Nachbargarten her in den der -Domina herüberreichte. - -Rex führte die Tante. Dann folgte Woldemar mit Hauptmann Czako, weit -genug ab von dem vorausgehenden Paar, um ungeniert miteinander sprechen -zu können. - -»Nun, Czako,« sagte Woldemar, »bleiben wir, wenn's sein kann, noch ein -bißchen weiter zurück. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gern ich -in diesem Garten bin. Allen Ernstes. Ich habe hier nämlich als Junge -hundertmal gespielt und in den Birnbäumen gesessen; damals standen hier -noch etliche, hier links, wo jetzt die Mohrrübenbeete stehen. Ich mache -mir nichts aus Mohrrüben, woraus ich übrigens schließe, daß wir heute -welche zu Tisch kriegen. Wie gefällt Ihnen der Garten?« - -»Ausgezeichnet. Es ist ja eigentlich ein Bauerngarten, aber doch mit -viel Rittersporn drin. Und zu jedem Rittersporn gehört eine Stiftsdame.« - -»Nein, Czako, nicht so. Sagen Sie mir ganz ernsthaft, ob Sie solche -Gärten leiden können.« - -»Ich kann solche Gärten eigentlich nur leiden, wenn sie eine Kegelbahn -haben. Und dieser hier ist wie geschaffen dazu, lang und schmal. Alle -unsre modernen Kegelbahnen sind zu kurz, wie früher alle Betten zu -kurz waren. Wenn die Kugel aufsetzt, ist sie auch schon da, und der -Bengel unten schreit einen an mit seinem ›acht um den König‹. Für mich -fängt das Vergnügen erst an, wenn das Brett lang ist und man der Kugel -anmerkt, sie möchte links oder rechts abirren, aber die eingeborene -Gewalt zwingt sie zum Ausharren, zum Bleiben auf der rechten Bahn. -Es hat was Symbolisches oder Pädagogisches, oder meinetwegen auch -Politisches.« - -Unter diesem Gespräche waren sie, ganz nach unten hin, bis an die -Stelle gekommen, wo der nachbarliche Pflaumenbaum seinen Zweig über -den Zaun wegstreckte. Neben dem Zaun aber, in gleicher Linie mit ihm, -stand eine grüngestrichene Bank, auf der, von dem Gezweig überdacht, -eine Dame saß, mit einem kleinen runden Hut und einer Adlerfeder. Als -sich die Herrschaften ihr näherten, erhob sie sich und schritt auf die -Domina zu, dieser die Hand zu küssen; zugleich verneigte sie sich gegen -die drei Herren. - -»Erlauben Sie mir,« sagte Adelheid, »Sie mit meiner lieben Freundin, -Fräulein von Schmargendorf, bekannt zu machen. Hauptmann von Czako, -Ministerialassessor von Rex ... Meinen Neffen, liebe Schmargendorf, -kennen Sie ja.« - -Adelheid, als sie so vorgestellt hatte, zog ihre kleine Uhr aus dem -Gürtel hervor und sagte: »Wir haben noch zehn Minuten. Wenn es Ihnen -recht ist, bleiben wir noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe -meine liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann, -- Fräulein von -Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tischdame sein.« - -Das Fräulein von Schmargendorf war klein und rundlich, einige -vierzig Jahre alt, von kurzem Hals und wenig Taille. Von den sieben -Schönheiten, über die jede Evastochter Verfügung haben soll, hatte -sie, soweit sich ihr »Kredit« feststellen ließ, nur die Büste. Sie war -sich dessen denn auch bewußt und trug immer dunkle Tuchkleider, mit -einem Sammetbesatz oberhalb der Taille. Dieser Besatz bestand aus drei -Dreiecken, deren Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächst -aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil sie mal gehört hatte: -Fidelität erhalte jung. Ihr lag daran, jung zu sein, obwohl sie keinen -rechten Nutzen mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es -nicht, der Pastor war natürlich verheiratet und Fix auch. Und weiter -nach unten ging es nicht. - -Adelheid und Rex waren meist weit voraus, so daß man sich immer erst an -der Glaskugel traf, wenn das voranschreitende Paar schon wieder auf dem -Rückwege war. Czako grüßte dann jedesmal militärisch zur Domina hinüber. - -Diese selbst war in einem Gespräch mit Rex fest engagiert und -verhandelte mit ihm über ein bedrohliches Wachsen des Sektiererwesens. -Rex fühlte sich davon getroffen, da er selbst auf dem Punkte stand, -Irvingianer zu werden; er war aber Lebemann genug, um sich schnell -zurechtzufinden und vor allem auf jede nachhaltige Bekämpfung der von -Adelheid geäußerten Ansichten zu verzichten. Er lenkte geschickt in -das Gebiet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei sofort einer vollen -Zustimmung begegnend. Ja, die Domina ging weiter, und sich abwechselnd -auf die Apokalypse und dann wieder auf Fix berufend, betonte sie, daß -wir am Anfang vom Ende stünden. Fix gehe freilich wohl etwas zu weit, -wenn er eigentlich keinem Tage mehr so recht traue. Das seien nutzlose -Beunruhigungen, weshalb sie denn auch in ihn gedrungen sei, von solchen -Berechnungen Abstand zu nehmen oder wenigstens alles nochmals zu -prüfen. »Kein Zweifel,« so schloß sie, »Fix ist für Rechnungssachen -entschieden talentiert, aber ich habe ihm trotzdem sagen müssen, daß -zwischen Rechnungen und Rechnungen doch immer noch ein Unterschied sei.« - -Czako hatte dem Fräulein von Schmargendorf den Arm gereicht; Woldemar, -weil der Mittelgang zu schmal war, folgte wenige Schritte hinter den -beiden und trat nur immer da, wo der Weg sich erweiterte, vorübergehend -an ihre Seite. - -»Wie glücklich ich bin, Herr Hauptmann,« sagte die Schmargendorf, »Ihre -Partnerin zu sein, jetzt schon hier und dann später bei Tisch.« - -Czako verneigte sich. - -»Und merkwürdig,« fuhr sie fort, »daß gerade das Regiment Alexander -immer so vergnügte Herren hat; einen Namensvetter von Ihnen, oder -vielleicht war es auch Ihr älterer Herr Bruder, den hab ich noch von -einer Einquartierung in der Priegnitz her ganz deutlich in Erinnerung, -trotzdem es schon an die zwanzig Jahre ist oder mehr. Denn ich war -damals noch blutjung und tanzte mit Ihrem Herrn Vetter einen richtigen -Radowa, der um jene Zeit noch in Mode war, aber schon nicht mehr so -recht. Und ich hab auch noch den Namenszug und einen kleinen Vers von -ihm in meinem Album. ›Jegor von Baczko, Secondelieutenant im Regiment -Alexander.‹ Ja, Herr von Baczko, so kommt man wieder zusammen. Oder -wenigstens mit einem Herrn gleichen Namens.« - -Czako schwieg und nickte nur, weil er Richtigstellungen überhaupt -nicht liebte; Woldemar aber, der jedes Wort gehört und in bezug auf -solche Dinge kleinlicher als sein Freund, der Hauptmann, dachte, wollte -durchaus Remedur schaffen und bat, das Fräulein darauf aufmerksam -machen zu dürfen, daß der Herr, der den Vorzug habe, sie zu führen, -nicht ein Herr von Baczko, sondern ein Herr von Czako sei. - -Die kleine Rundliche geriet in eine momentane Verlegenheit, Czako -selbst aber kam ihr mit großer Courtoisie zu Hilfe. - -»Lieber Stechlin,« begann er, »ich beschwöre Sie um sechsundsechzig -Schock sächsische Schuhzwecken, kommen Sie doch nicht mit solchen -Kleinigkeiten, die man jetzt, glaub ich, Velleitäten nennt. Wenigstens -hab ich das Wort immer so übersetzt. Czako, Baczko, Baczko, Czako -- -wie kann man davon so viel Aufhebens machen. Name, wie Sie wissen, -ist Schall und Rauch, siehe Goethe, und Sie werden sich doch nicht in -Widerspruch mit dem bringen wollen. Dazu reicht es denn doch am Ende -nicht aus.« - -»Hihi.« - -»Außerdem, ein Mann wie Sie, der es trotz seines Liberalismus -fertig bringt, immer seinen Adel bis wenigstens dritten Kreuzzug -zurückzuführen, ein Mann wie Sie sollte mir doch diese kleine -Verwechslung ehrlich gönnen. Denn dieser mir in den Schoß gefallene -›Baczko‹ ... Gott sei Dank, daß auch unsereinem noch was in den Schoß -fallen kann ...« - -»Hihi.« - -»Denn dieser mir in den Schoß gefallene Baczko ist doch einfach eine -Rang- und Standeserhöhung, ein richtiges Avancement. Die Baczkos -reichen mindestens bis Huß oder Ziska, und wenn es vielleicht Ungarn -sind, bis auf die Hunyadis zurück, während der erste wirkliche Czako -noch keine zweihundert Jahre alt ist. Und von diesem ersten wirklichen -Czako stammen wir doch natürlich ab. Erwägen Sie, bevor es nicht einen -wirklichen Czako gab, also einen steifen grauen Filzhut mit Leder -oder Blech beschlagen, eher kann es auch keinen ›+von+ Czako‹ gegeben -haben; der Adel schreibt sich immer von solchen Dingen seiner Umgebung -oder seines Metiers oder seiner Beschäftigung her. Wenn ich wirklich -noch mal Lust verspüren sollte, mich standesgemäß zu verheiraten, so -scheitre ich vielleicht an der Jugendlichkeit meines Adels und werde -mich dann dieser Stunde wehmütig freundlich erinnern, die mich, wenn -auch nur durch eine Namensverwechslung, auf einen kurzen Augenblick zu -erhöhen trachtete.« - -Woldemar, seiner Philisterei sich bewußt werdend, zog sich wieder -zurück, während die Schmargendorf treuherzig sagte: »Sie glauben also -wirklich, Herr von ... Herr Hauptmann ... daß Sie von einem Czako -herstammen?« - -»Soweit solch merkwürdiges Spiel der Natur überhaupt möglich ist, bin -ich fest davon durchdrungen.« - -In diesem Moment, nach abermaliger Passierung des Platzes mit der -Glaskugel, erreichte das Paar die Bank unter dem Pflaumenbaumzweige. -Die Schmargendorf hatte schon lange vorher nach zwei großen, dicht -zusammensitzenden Pflaumen hinübergeblickt und sagte, während sie jetzt -ihre Hand danach ausstreckte: »Nun wollen wir aber ein Vielliebchen -essen, Herr Hauptmann; wo, wie hier, zwei zusammensitzen, da ist immer -ein Vielliebchen.« - -»Eine Definition, der ich mich durchaus anschließe. Aber mein -gnädigstes Fräulein, wenn ich vorschlagen dürfte, mit dieser herrlichen -Gabe Gottes doch lieber bis zum Dessert zu warten. Das ist ja doch auch -die eigentliche Zeit für Vielliebchen.« - -»Nun, wie Sie wollen, Herr Hauptmann. Und ich werde diese zwei bis -dahin für uns aufheben. Aber diese dritte hier, die nicht mehr so ganz -dazu gehört, die werd ich essen. Ich esse so gern Pflaumen. Und Sie -werden sie mir auch gönnen.« - -»Alles, alles. Eine Welt.« - -Es schien fast, als ob sich Czako noch weiter über dies Pflaumenthema, -namentlich auch über die sich darin bergenden Wagnisse verbreiten -wollte, kam aber nicht dazu, weil eben jetzt ein Diener in weißen -Baumwollhandschuhen, augenscheinlich eine Gelegenheitsschöpfung, in der -Hoftür sichtbar wurde. Dies war das mit der Domina verabredete Zeichen, -daß der Tisch gedeckt sei. Die Schmargendorf, ebenfalls eingeweiht in -diese zu raschen Entschlüssen drängende Zeichensprache, bückte sich -deshalb, um von einem der Gemüsebeete rasch noch ein großes Kohlblatt -abzubrechen, auf das sie sorglich die beiden rotgetüpfelten Pflaumen -legte. Gleich danach aber aufs neue des Hauptmanns Arm nehmend, schritt -sie, unter Vorantritt der Domina, auf Hof und Flur und ganz zuletzt -auf den Salon zu, der sich inzwischen in manchem Stücke verändert -hatte, vor allem darin, daß neben dem Kamin eine zweite Konventualin -stand, in dunkler Seide, mit Kopfschleifen und tiefliegenden, starren -Kakadu-Augen, die in das Wesen aller Dinge einzudringen schienen. - -»Ah, meine Liebste,« sagte die Domina, auf diese zweite Konventualin -zuschreitend, »es freut mich herzlich, daß Sie sich, trotz Migräne, -noch herausgemacht haben; wir wären sonst ohne dritte Tischdame -geblieben. Erlauben Sie mir vorzustellen: Herr von Rex, Herr von Czako -... Fräulein von Triglaff aus dem Hause Triglaff.« - -Rex und Czako verbeugten sich, während Woldemar, dem sie keine Fremde -war, an die Konventualin herantrat, um ein Wort der Begrüßung an sie -zu richten. Czako, die Triglaff unwillkürlich musternd, war sofort von -einer ihn frappierenden Ähnlichkeit betroffen und flüsterte gleich -danach dem sein Monocle wiederholentlich in Angriff nehmenden Rex leise -zu: »Krippenstapel, weibliche Linie.« - -Rex nickte. - -Während dieser Vorstellung hatte der im Hintergrunde stehende Diener -den oberen und unteren Türriegel mit einer gewissen Ostentation -zurückgezogen; einen Augenblick noch, und beide Flügel zu dem neben dem -Salon gelegenen Eßzimmer taten sich mit einer stillen Feierlichkeit auf. - -»Herr von Rex,« sagte die Domina, »darf ich um Ihren Arm bitten?« - -Im Nu war Rex an ihrer Seite, und gleich danach traten alle drei Paare -in den Nebenraum ein, auf dessen gastlicher und nicht ohne Geschick -hergerichteter Tafel zwei Blumenvasen und zwei silberne Doppelleuchter -standen. Auch der Diener war schon in Aktion; er hatte sich inzwischen -am Büfett in Front einer Meißner Suppenterrine aufgestellt, und indem -er den Deckel (mit einem abgestoßenen Engel obenauf) abnahm, stieg der -Wrasen wie Opferrauch in die Höhe. - - - - -Achtes Kapitel - - -Tante Adelheid, wenn sich nichts geradezu Verstimmliches ereignete, -war, von alten Zeiten her, eine gute Wirtin und besaß neben anderm auch -jene Direktoralaugen, die bei Tische so viel bedeuten; aber +eine+ Gabe -besaß sie nicht, die, das Gespräch, wie's in einem engsten Zirkel doch -sein sollte, zusammenzufassen. So zerfiel denn die kleine Tafelrunde -von Anfang an in drei Gruppen, von denen eine, wiewohl nicht absolut -schweigsam, doch vorwiegend als Tafelornament wirkte. Dies war die -Gruppe Woldemar-Triglaff. Und das konnte nicht wohl anders sein. Die -Triglaff, wie sich das bei Kakadugesichtern so häufig findet, verband -in sich den Ausdruck höchster Tiefsinnigkeit mit ganz ungewöhnlicher -Umnachtung, und ein letzter Rest von Helle, der ihr vielleicht -geblieben sein mochte, war ihr durch eine stupende Triglaffvorstellung -schließlich doch auch noch abhanden gekommen. Eine direkte Deszendenz -von dem gleichnamigen Wendengotte, etwa wie Czako von Czako, war -freilich nicht nachzuweisen, aber doch auch nicht ausgeschlossen, und -wenn dergleichen überhaupt vorkommen oder nach stiller Übereinkunft -auch nur allgemein angenommen werden konnte, so war nicht abzusehen, -warum gerade +sie+ leer ausgehen oder auf solche Möglichkeit verzichten -sollte. Dieser hochgespannten, ganz im Speziellen sich bewegenden -Adelsvorstellung entsprach denn auch das gereizte Gefühl, das sie -gegen +den+ Zweig des Hauses Thadden unterhielt, der sich, nach -seinem pommerschen Gute Triglaff, Thadden-Triglaff nannte, -- eine -Zubenennung, die +ihr+, der einzig wirklichen Triglaff, einfach -als ein Übergriff oder doch mindestens als eine Beeinträchtigung -erschien. Woldemar, der dies alles kannte, war dagegen gefeit und wußte -seinerseits seit lange, wie zu verfahren sei, wenn ihm die Triglaff -als Tischnachbarin zufiel. Er hatte sich für diesen Fall, der übrigens -öfter eintrat als ihm lieb war, die Namen aller Konventualinnen -auswendig gelernt, die während seiner Kinderzeit in Kloster Wutz gelebt -hatten und von denen er recht gut wußte, daß sie seit lange tot waren. -Er begann aber trotzdem regelmäßig seine Fragen so zu stellen, als ob -das Dasein dieser längst Abgeschiedenen immer noch einer Möglichkeit -unterläge. - -»Da war ja hier früher, mein gnädigstes Fräulein, eine Drachenhausen, -Aurelie von Drachenhausen, und übersiedelte dann, wenn ich nicht -irre, nach Kloster Zehdenick. Es würde mich lebhaft interessieren, in -Erfahrung zu bringen, ob sie noch lebt oder ob sie vielleicht schon tot -ist.« - -Die Triglaff nickte. - -Czako, dieses Nicken beobachtend, sprach sich später gegen Rex dahin -aus, daß das alles mit der Abstammung der Triglaff ganz natürlich -zusammenhänge. »Götzen nicken bloß.« - -Um vieles lebendiger waren Rede und Gegenrede zwischen Tante Adelheid -und dem Ministerialassessor, und das Gespräch beider, das nur -sittliche Hebungsfragen berührte, hätte durchaus den Charakter einer -gemütlichen, aber doch durch Ernst geweihten Synodalplauderei gehabt, -wenn sich nicht die Gestalt des Rentmeisters Fix beständig eingedrängt -hätte, dieses Dominaprotegés, von dem Rex, unter Zurückhaltung -seiner wahren Meinung, immer aufs neue versicherte, »daß in diesem -klösterlichen Beamten eine seltene Verquickung von Prinzipienstrenge -mit Geschäftsgenie vorzuliegen scheine«. - -Das waren die zwei Paare, die den linken Flügel beziehungsweise die -Mitte des Tisches bildeten. Die beiden Hauptfiguren waren aber doch -Czako und die Schmargendorf, die ganz nach rechts hin saßen, in Nähe -der dicken Fenstergardinen aus Wollstoff, in deren Falten denn auch -vieles glücklicherweise verklang. An die Suppe hatte sich ein Fisch -und an diesen ein Linsenpüree mit gebackenem Schinken gereiht, und nun -wurden gespickte Rebhuhnflügel in einer pikanten Sauce, die zugleich -Küchengeheimnis der Domina war, herumgereicht. Czako, trotzdem er -schon dem gebackenen Schinken erheblich zugesprochen hatte, nahm ein -zweites Mal auch noch von dem Rebhuhngericht und fühlte das Bedürfnis, -dies zu motivieren. - -»Eine gesegnete Gegend, Ihre Grafschaft hier,« begann er. »Aber -freilich heuer auch eine gesegnete Jahreszeit. Gestern abend bei -Dubslav von Stechlin Krammetsvögelbrüste, heute bei Adelheid von -Stechlin Rebhuhnflügel.« - -»Und was ziehen Sie vor?« fragte die Schmargendorf. - -»Im allgemeinen, mein gnädigstes Fräulein, ist die Frage wohl zugunsten -ersterer entschieden. Aber hier und speziell für mich ist doch wohl der -Ausnahmefall gegeben.« - -»Warum ein Ausnahmefall?« - -»Sie haben recht, eine solche Frage zu stellen. Und ich antworte, so -gut ich kann. Nun denn, in Brust und Flügel ...« - -»Hihi.« - -»In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, ein großartiger -Gegensatz von hüben und drüben; es gibt nichts Diesseitigeres als -Brust, und es gibt nichts Jenseitigeres als Flügel. Der Flügel trägt -uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz aller nach der andern Seite hin -liegenden Verlockung, möchte ich alles, was Flügel heißt, doch höher -stellen.« - -Er hatte dies in einem möglichst gedämpften Tone gesprochen. Aber -es war nicht nötig, weil einerseits die links ihm zunächst sitzende -Triglaff aus purem Hochgefühl ihr Ohr gegen alles, was gesprochen -wurde, verschloß, während andrerseits die Domina, nachdem der Diener -allerlei kleine Spitzgläser herumgereicht hatte, ganz ersichtlich mit -einer Ansprache beschäftigt war. - -»Lassen Sie mich Ihnen noch einmal aussprechen,« sagte sie, während sie -sich halb erhob, »wie glücklich es mich macht, Sie in meinem Kloster -begrüßen zu können. Herr von Rex, Herr von Czako, Ihr Wohl.« - -Man stieß an. Rex dankte unmittelbar und sprach, als man sich wieder -gesetzt hatte, seine Bewunderung über den schönen Wein aus. »Ich -vermute Montefiascone.« - -»Vornehmer, Herr von Rex,« sagte Adelheid in guter Stimmung, »eine -Rangstufe höher. Nicht Montefiascone, den wir allerdings unter meiner -Amtsvorgängerin auch hier im Keller hatten, sondern ~Lacrimae Christi~. -Mein Bruder, der alles bemängelt, meinte freilich, als ich ihm vor -einiger Zeit davon vorsetzte, das passe nicht, das sei Begräbniswein, -höchstens Wein für Einsegnungen, aber nicht für heitere Zusammenkünfte.« - -»Ein Wort von eigenartiger Bedeutung, darin ich Ihren Herrn Bruder -durchaus wiedererkenne.« - -»Gewiß, Herr von Rex. Und ich bin mir bewußt, daß uns der Name gerade -dieses Weines allerlei Rücksichten auferlegt. Aber wenn Sie sich -vergegenwärtigen wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloster sind ... -und so meine ich denn, der Ort, an dem wir leben, gibt uns doch auch -ein Recht und eine Weihe.« - -»Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Bedenken Ihres Herrn -Bruders als irrtümlich anerkennen. Aber wenn ich mich so ausdrücken -darf, ein kleidsamer Irrtum ... Auf das Wohl Ihres Herrn Bruders.« - -Damit schloß das etwas difficile Zwiegespräch, dem alle mit einiger -Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht die Schmargendorf. »Ach,« sagte -diese, während sie sich halb in den Vorhängen versteckte, »wenn wir von -dem Wein trinken, dann hören wir auch immer dieselbe Geschichte. Die -Domina muß sich damals sehr über den alten Herrn von Stechlin geärgert -haben. Und doch hat er eigentlich recht; schon der bloße Name stimmt -ernst und feierlich, und es liegt was drin, das einem Christenmenschen -denn doch zu denken gibt. Und gerade wenn man so recht vergnügt ist.« - -»Darauf wollen wir anstoßen,« sagte Czako, völlig im Dunkeln lassend, -ob er mehr den Christenmenschen oder den Ernst oder das Vergnügtsein -meinte. - -»Und überhaupt,« fuhr die Schmargendorf fort, »die Weine müßten -eigentlich alle anders heißen, oder wenigstens sehr, sehr viele.« - -»Ganz meine Meinung, meine Gnädigste,« sagte Czako. »Da sind wirklich -so manche ... Man darf aber andrerseits das Zartgefühl nicht -überspannen. Will man das, so bringen wir uns einfach um die reichsten -Quellen wahrer Poesie. Da haben wir beispielsweise, so ganz allgemein -und bloß als Gattungsbegriff, die ›Milch der Greise‹ -- zunächst ein -durchaus unbeanstandenswertes Wort. Aber alsbald (denn unsre Sprache -liebt solche Spiele) treten mannigfache Fort- und Weiterbildungen, -selbst Geschlechtsüberspringungen an uns heran, und ehe wir's uns -versehen, hat sich die ›Milch der Greise‹ in eine ›Liebfrauenmilch‹ -verwandelt.« - -»Hihi ... Ja, Liebfrauenmilch, die trinken wir auch. Aber nur selten. -Und es ist auch nicht +der+ Name, woran ich eigentlich dachte.« - -»Sicherlich nicht, meine Gnädigste. Denn wir haben eben noch andre, -decidiertere, denen gegenüber uns dann nur noch das Refugium der -französischen Aussprache bleibt.« - -»Hihi ... Ja, französisch, da geht es. Aber doch auch nicht immer, und -jedesmal, wenn Rentmeister Fix unser Gast ist und die Triglaff die -Flasche hin und her dreht (und ich habe gesehen, daß sie sie dreimal -herumdrehte), dann lacht Fix ... Übrigens sieht es so aus, als ob die -Domina noch was auf dem Herzen hätte; sie macht ein so feierliches -Gesicht. Oder vielleicht will sie auch bloß die Tafel aufheben.« - -Und wirklich, es war so, wie die Schmargendorf vermutete. »Meine -Herren,« sagte die Domina, »da Sie zu meinem Leidwesen so früh fort -wollen (wir haben nur noch wenig über eine Viertelstunde), so geb ich -anheim, ob wir den Kaffee lieber in meinem Zimmer nehmen wollen oder -draußen unter dem Holunderbaum.« - -Eine Gesamtantwort wurde nicht laut, aber während man sich unmittelbar -danach erhob, küßte Czako der Schmargendorf die Hand und sagte mit -einem gewissen Empressement: »Unter dem Holunderbaum also.« - -Die Schmargendorf verstand nicht im entferntesten, auf was es sich -bezog. Aber das war Czako gleich. Ihm lag lediglich daran, sich ganz -privatim, ganz für sich selbst, die Schmargendorf auf einen kurzen, -aber großen Augenblick als »Käthchen« vorstellen zu können. - -Im übrigen zeigte sich's, daß nicht bloß Czako, sondern auch Rex und -Woldemar für den Holunderbaum waren, und so näherte man sich denn -diesem. - -Es war derselbe Baum, den die Herren schon beim Einreiten in den -Klosterhof gesehen, aber in jenem Augenblick wenig beachtet hatten. -Jetzt erst bemerkten sie, was es mit ihm auf sich habe. Der Baum, -der uralt sein mochte, stand außerhalb des Gehöftes, war aber, -ähnlich wie der Pflaumenbaum im Garten, mit seinem Gezweig über das -zerbröckelte Gemäuer fortgewachsen. Er war an und für sich schon eine -Pracht. Was ihm aber noch eine besondere Schönheit lieh, das war, daß -sein Laubendach von ein paar dahinter stehenden Ebereschenbäumen wie -durchwachsen war, so daß man überall neben den schwarzen Fruchtdolden -des Holunders die leuchtenden roten Ebereschenbüschel sah. Auch das -verschiedene Laub schattierte sich. Rex und Czako waren aufrichtig -entzückt, beinahe mehr als zulässig. Denn so reizend die Laube selbst -war, so zweifelhaft war das unmittelbar vor ihnen in großer Unordnung -und durchaus ermangelnder Sauberkeit ausgebreitete Hofbild. Aber -pittoresk blieb es doch. Zusammengemörtelte Feldsteinklumpen lagen in -hohem Grase, dazwischen Karren und Düngerwagen, Enten- und Hühnerkörbe, -während ein kollernder Truthahn von Zeit zu Zeit bis dicht an die -Laube herankam, sei's aus Neugier oder um sich mit der Triglaff zu -messen. - -Als sechs Uhr heran war, erschien Fritz und führte die Pferde vor. -Czako wies darauf hin. Bevor er aber noch an die Domina herantreten -und ihr einige Dankesworte sagen konnte, kam die Schmargendorf, die -kurz vorher ihren Platz verlassen, mit dem großen Kohlblatt zurück, auf -dem die beiden zusammengewachsenen Pflaumen lagen. »Sie wollten mir -entgehen, Herr von Czako. Das hilft Ihnen aber nichts. Ich will mein -Vielliebchen gewinnen. Und Sie sollen sehen, ich siege.« - -»Sie siegen immer, meine Gnädigste.« - - - - -Neuntes Kapitel - - -Rex und Czako ritten ab; Fritz führte Woldemars Pferd am Zügel. Aber -weder die Schmargendorf noch die Triglaff erwiesen sich, als die -beiden Herren fort und die drei Damen samt Woldemar in die Wohnräume -zurückgekehrt waren, irgendwie beflissen, das Feld zu räumen, was die -Domina, die wegen zu verhandelnder difficiler Dinge mit ihrem Neffen -allein sein wollte, stark verstimmte. Sie zeigte das auch, war steif -und schweigsam und belebte sich erst wieder, als die Schmargendorf mit -einem Male glückstrahlend versicherte: jetzt wisse sie's; sie habe noch -eine Photographie, die wolle sie gleich an Herrn von Czako schicken, -und wenn er dann morgen mittag von Cremmen her in Berlin einträfe, -dann werd er Brief und Bild schon vorfinden und auf der Rückseite des -Bildes ein »Guten Morgen, Vielliebchen«. Die Domina fand alles so -lächerlich und unpassend wie nur möglich; weil ihr aber daran lag, die -Schmargendorf loszuwerden, so hielt sie mit ihrer wahren Meinung zurück -und sagte: »Ja, liebe Schmargendorf, wenn Sie so was vorhaben, dann -ist es allerdings die höchste Zeit. Der Postbote kann gleich kommen.« -Und wirklich, die Schmargendorf ging, nur die Triglaff zurücklassend, -deren Auge sich jetzt von der Domina zu Woldemar hinüber und dann -wieder von Woldemar zur Domina zurückbewegte. Sie war bei dem allem -ganz unbefangen. Ein Verlangen, etwas zu belauschen oder von ungefähr -in Familienangelegenheiten eingeweiht zu werden, lag ihr völlig fern, -und alles, was sie trotzdem zum Ausharren bestimmte, war lediglich -der Wunsch, solchem historischen Beisammensein eine durch ihre -Triglaffgegenwart gesteigerte Weihe zu geben. Indessen schließlich ging -auch sie. Man hatte sich wenig um sie gekümmert, und Tante und Neffe -ließen sich, als sie jetzt allein waren, in zwei braune Plüschfauteuils -(Erbstücke noch vom Schloß Stechlin her) nieder, Woldemar allerdings -mit äußerster Vorsicht, weil die Sprungfedern bereits jenen Altersgrad -erreicht hatten, wo sie nicht nur einen dumpfen Ton von sich zu geben, -sondern auch zu stechen anfangen. - -Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr froh, ihren Neffen -endlich allein zu haben, und sagte mit rasch wiedergewonnenem Behagen: -»Ich hätte dir schon bei Tische gern was Bessres an die Seite gegeben; -aber wir haben hier, wie du weißt, nur unsre vier Konventualinnen, und -von diesen vieren sind die Schmargendorf und die Triglaff immer noch -die besten. Unsre gute Schimonski, die morgen einundachtzig wird, ist -eigentlich ein Schatz, aber leider stocktaub, und die Teschendorf, -die mal Gouvernante bei den Esterhazys war und auch noch den Fürsten -Schwarzenberg, dessen Frau in Paris verbrannte, gekannt hat, ja, die -hätt ich natürlich solchem feinen Herrn wie dem Herrn von Rex gerne -vorgesetzt, aber es ist ein Unglück, die arme Person, die Teschendorf, -ist so zittrig und kann den Löffel nicht recht mehr halten. Da hab -ich denn doch lieber die Triglaff genommen; sie ist sehr dumm, aber -doch wenigstens manierlich, soviel muß man ihr lassen. Und die -Schmargendorf ...« - -Woldemar lachte. - -»Ja, du lachst, Woldemar, und ich will dir auch nicht bestreiten, -daß man über die gute Seele lachen kann. Aber sie hat doch auch -was Gehaltvolles in ihrer Natur, was sich erst neulich wieder in -einem intimen Gespräch mit unserm Fix zeigte, der trotz aller -Bekenntnisstrenge (die selbst Koseleger ihm zugesteht) an unserm -letzten Whistabend Äußerungen tat, die wir alle tief bedauern mußten, -wir, die wir die Whistpartie machten, nun schon ganz gewiß, aber auch -die gute, taube Schimonski, der wir, weil sie uns so aufgeregt sah, -alles auf einen Zettel schreiben mußten.« - -»Und was war es denn?« - -»Ach, es handelte sich um das, was uns allen, wie du dir denken kannst, -jetzt das Teuerste bedeutet, um den ›Wortlaut‹. Und denke dir, unser -Fix war dagegen. Er mußte wohl denselben Tag was gelesen haben, was -ihn abtrünnig gemacht hatte. Personen wie Fix sind sehr bestimmbar. -Und kurz und gut, er sagte: das mit dem ›Wortlaut‹, das ginge nicht -länger mehr, die ›Werte‹ wären jetzt anders, und weil die Werte nicht -mehr dieselben wären, müßten auch die Worte sich danach richten und -müßten gemodelt werden. Er sagte ›gemodelt‹. Aber was er am meisten -immer wieder betonte, das waren die ›Werte‹ und die Notwendigkeit der -›Umwertung‹.« - -»Und was sagte die Schmargendorf dazu?« - -»Du hast ganz recht, mich dabei wieder auf die Schmargendorf zu -bringen. Nun, die war außer sich und hat die darauffolgende Nacht -nicht schlafen können. Erst gegen Morgen kam ihr ein tiefer Schlaf, -und da sah sie, so wenigstens hat sie's mir und dem Superintendenten -versichert, einen Engel, der mit seinem Flammenfinger immer auf ein -Buch wies und in dem Buch auf eine und dieselbe Stelle.« - -»Welche Stelle?« - -»Ja, darüber war ein Streit; die Schmargendorf hatte sie genau gelesen -und wollte sie hersagen. Aber sie sagte sie falsch, weil sie Sonntags -in der Kirche nie recht aufpaßt. Und wir sagten ihr das auch. Und denke -dir, sie widersprach nicht und blieb überhaupt ganz ruhig dabei. ›Ja,‹ -sagte sie, ›sie wisse recht gut, daß sie die Stelle falsch hergesagt -hätte, sie habe nie was richtig hersagen können; aber das wisse sie -ganz genau, die Stelle mit dem Flammenfinger, das sei der ›Wortlaut‹ -gewesen.‹« - -»Und das hast du wirklich alles geglaubt, liebe Tante? Diese gute -Schmargendorf! Ich will ihr ja gerne folgen; aber was ihren Traum -angeht, da kann ich beim besten Willen nicht mit. Es wird ihr ein -Amtmann erschienen sein oder ein Pastor. Dreißig Jahre früher wär es -ein Student gewesen.« - -»Ach, Woldemar, sprich doch nicht so. Das ist ja die neue Façon, in -der die Berliner sprechen, und in dem Punkt ist einer wie der andre. -Dein Freund Czako spricht auch so. Du mokierst dich jetzt über die gute -Schmargendorf, und dein Freund, der Hauptmann, soviel hab ich ganz -deutlich gesehen, tat es auch und hat sie bei Tische geuzt.« - -»Geuzt?« - -»Du wunderst dich über das Wort, und ich wundre mich selber darüber. -Aber daran ist auch unser guter Fix schuld. Der ist alle Monat mal -nach Berlin rüber, und wenn er dann wiederkommt, dann bringt er so was -mit, und wiewohl ich's unpassend finde, nehm ich's doch an und die -Schmargendorf auch. Bloß die Triglaff nicht und natürlich die gute -Schimonski auch nicht, wegen der Taubheit. Ja, Woldemar, ich sage -›geuzt‹, und dein Freund Czako hätt es lieber unterlassen sollen. Aber -das muß wahr sein, er ist amüsant, wenn auch ein bißchen auf der Wippe. -Siehst du ihn oft?« - -»Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten Entfernungen. Von -unsrer Kaserne bis zu seiner, oder auch umgekehrt, das ist eine kleine -Reise. Dazu kommt noch, daß wir vor unserm Halleschen Tor eigentlich -gar nichts haben, bloß die Kirchhöfe, das Tempelhofer Feld und das -Rotherstift.« - -»Aber ihr habt doch die Pferdebahn, wenn ihr irgendwo hin wollt. Beinah -muß ich sagen leider. Denn es gibt mir immer einen Stich, wenn ich mal -in Berlin bin, so die Offiziere zu sehen, wie sie da hinten stehen und -Platz machen, wenn eine Madamm aufsteigt, manchmal mit nem Korb und -manchmal auch mit ner Spreewaldsamme. Mir immer ein Horreur.« - -»Ja, die Pferdebahn, liebe Tante, die haben wir freilich, und man kann -mit ihr in einer halben Stunde bis in Czakos Kaserne. Der weite Weg ist -es auch eigentlich nicht, wenigstens nicht allein, weshalb ich Czako so -selten sehe. Der Hauptgrund ist doch wohl der, er paßt nicht so ganz zu -uns und eigentlich auch kaum zu seinem Regiment. Er ist ein guter Kerl, -aber ein Äquivokenmensch und erzählt immer Nachmitternachtsgeschichten. -Wenn man ihn allein hat, geht es. Aber hat er ein Publikum, dann -kribbelt es ihn ordentlich, und je feiner das Publikum ist, desto mehr. -Er hat mich schon oft in Verlegenheit gebracht. Ich muß sagen, ich hab -ihn sehr gern, aber gesellschaftlich ist ihm Rex doch sehr überlegen.« - -»Ja, Rex; natürlich. Das hab ich auch gleich bemerkt, ohne mir weiter -Rechenschaft darüber zu geben. Du wirst es aber wissen, wodurch er ihm -überlegen ist.« - -»Durch vieles. Erstens, wenn man die Familien abwägt. Rex ist mehr als -Czako. Und dann ist Rex Kavallerist.« - -»Aber ich denke, er ist Ministerialassessor.« - -»Ja, das ist er auch. Aber nebenher, oder vielleicht noch darüber -hinaus, ist er Offizier, und sogar in unsrer Dragonerbrigade.« - -»Das freut mich; da ist er ja so gut wie ein Spezialkamerad von dir.« - -»Ich kann das zugeben und doch auch wieder nicht. Denn erstens ist er -in der Reserve, und zweitens steht er bei den zweiten Dragonern.« - -»Macht das nen Unterschied?« - -»Gott, Tante, wie man's nehmen will. Ja und nein. Bei Mars la Tour -haben wir dieselbe Attacke geritten.« - -»Und doch ...« - -»Und doch ist da ein gewisses ~je ne sais quoi~.« - -»Sage nichts Französisches. Das verdrießt mich immer. Manche sagen -jetzt auch Englisches, was mir noch weniger gefällt. Aber lassen wir -das; ich finde nur, es wäre doch schrecklich, wenn es so bloß nach -der Zahl ginge. Was sollte denn da das Regiment anfangen, bei dem -ein Bruder unsrer guten Schmargendorf steht? Es ist, glaube ich, das -hundertfünfundvierzigste.« - -»Ja, wenn es so hoch kommt, dann vertut es sich wieder. Aber so bei der -Garde ...« - -Die Domina schüttelte den Kopf. »Darin, mein lieber Woldemar, kann -ich dir doch kaum folgen. Unser Fix sagt mitunter, ich sei zu -exklusiv, aber so exklusiv bin ich doch noch lange nicht. Und solch -Verstandesmensch, wie du bist, so ruhig und dabei so ›abgeklärt‹, wie -manche jetzt sagen, und, Gott verzeih mir die Sünde, auch so liberal, -worüber selbst dein Vater klagt. Und nun kommst du mir mit solchem -Vorurteil, ja, verzeih mir das Wort, mit solchen Überheblichkeiten. -Ich erkenne dich darin gar nicht wieder. Und wenn ich nun das erste -Garderegiment nehme, das ist ja doch auch ein erstes. Ist es denn -mehr als das zweite? Man kann ja sagen, soviel will ich zugeben, sie -haben die Blechmützen und sehen aus, als ob sie lauter Holländerinnen -heiraten wollten ... Was ihnen schon gefallen sollte.« - -»Den Holländerinnen?« - -»Nun, denen auch,« lachte die Tante. »Aber ich meinte jetzt unsre -Leute. Mißversteh mich übrigens nicht. Ich weiß recht gut, was es -mit den großen Grenadieren auf sich hat; aber die andern sind doch -ebensogut, und Potsdam ist doch schließlich bloß Potsdam.« - -»Ja, Tante, das ist es ja eben. Daß sie noch immer in Potsdam sind, -das macht es. Deshalb ist es nach wie vor die ›Potsdamer Wachtparade‹. -Und dann das Wort ›erstes‹ spielt allerdings auch mit. Ein alter -Römer, mit dessen Namen ich dich nicht behelligen will, der wollte in -seinem Potsdam lieber der Erste, als in seinem Berlin der Zweite sein. -Wer der Erste ist, nun, der ist eben der Erste, und als die andern -aufstanden, da hatte dieser ›Erste‹ schon seinen Morgenspaziergang -gemacht und mitunter was für einen! Sieh, als das zweite Garderegiment -geboren wurde, da hatten die mit den Blechmützen schon den ganzen -Siebenjährigen Krieg hinter sich. Es ist damit wie mit dem ältesten -Sohn. Der älteste Sohn kann unter Umständen dümmer und schlechter -sein als sein Bruder, aber er ist der älteste, das kann ihm keiner -nehmen, und das gibt ihm einen gewissen Vorrang, auch wenn er sonst gar -keinen Vorzug hat. Alles ist göttliches Geschenk. Warum ist der eine -hübsch und der andere häßlich? Und nun gar erst die Damen. In das eine -Fräulein verliebt sich alles, und das andre spielt bloß Mauerblümchen. -Es wird jedem seine Stelle gegeben. Und so ist es auch mit unserm -Regiment. Wir mögen nicht besser sein als die andern, aber wir sind die -ersten, wir haben die Nummer eins.« - -»Ich kann da beim besten Willen nicht recht mit, Woldemar. Was in -unsrer Armee den Ausschlag gibt, ist doch immer die Schneidigkeit.« - -»Liebe Tante, sprich, wovon du willst, nur nicht davon. Das ist ein -Wort für kleine Garnisonen. Wir wissen, was wir zu tun haben. Dienst -ist alles, und Schneidigkeit ist bloß Renommisterei. Und das ist das, -was bei uns am niedrigsten steht.« - -»Gut, Woldemar; was du da zuletzt gesagt hast, das gefällt mir. Und -in diesem Punkte muß ich auch deinen Vater loben. Er hat vieles, was -mir nicht zusagt, aber darin ist er doch ein echter Stechlin. Und du -bist auch so. Und das hab ich immer gefunden, alle, die so sind, die -schießen zuletzt doch den Vogel ab, ganz besonders auch bei den Damen.« - -Dies »bei den Damen« war nicht ohne Absicht gesprochen und schien auf -das bis dahin vorsichtig vermiedene Hauptthema hinüberführen zu sollen. -Aber ehe die Tante noch eine direkte Frage stellen konnte, wurde der -Rentmeister gemeldet, der ihr in diesem Augenblicke sehr ungelegen kam. -Die Domina wandte sich denn auch in sichtlicher Verstimmung an Woldemar -und sagte: »Soll ich ihn fortschicken?« - -»Es wird kaum gehen, liebe Tante.« - -»Nun denn.« - -Und gleich danach trat Fix ein. - - - - -Zehntes Kapitel - - -Während Woldemar und die Domina miteinander plauderten, erst im -Tete-a-Tete, dann in Gegenwart von Rentmeister Fix, ritten Rex und -Czako (Fritz mit dem Leinpferd folgend) auf Cremmen zu. Das war noch -eine tüchtige Strecke, gute drei Meilen. Aber trotzdem waren beide -Reiter übereingekommen, nichts zu übereilen und sich's nach Möglichkeit -bequem zu machen. »Es ist am Ende gleichgültig, ob wir um acht oder -um neun über den Cremmer Damm reiten. Das bißchen Abendrot, das da -drüben noch hinter dem Kirchturm steht ... Fritz, wie heißt er? Welcher -Kirchturm ist es? ...« -- »Das ist der Wulkowsche, Herr Hauptmann!« -- -»... Also, das bißchen Abendrot, das da noch hinter dem Wulkowschen -steht, wird ohnehin nicht lange mehr vorhalten. Dunkel wird's also -doch, und von dem Hohenlohedenkmal, das ich mir übrigens gern einmal -näher angesehen hätte (man muß so was immer auf dem Hinwege mitnehmen), -kommt uns bei Tageslicht nichts mehr vor die Klinge. Das Denkmal liegt -etwas ab vom Wege.« - -»Schade,« sagte Rex. - -»Ja, man kann es beinah sagen. Ich für meine Person komme schließlich -drüber hin, aber ein Mann wie Sie, Rex, sollte dergleichen mehr -wallfahrtartig auffassen.« - -»Ach Czako, Sie reden wieder tolles Zeug, diesmal mit einem kleinen -Abstecher ins Lästerliche. Was soll ›Wallfahrt‹ hier überhaupt? Und -dann, was haben Sie gegen Wallfahrten? Und was haben Sie gegen die -Hohenlohes?« - -»Gott, Rex, wie Sie sich wieder irren. Ich habe nichts gegen die einen, -und ich habe nichts gegen die andern. Alles, was ich von Wallfahrten -gelesen habe, hat mich immer nur wünschen lassen, mal mit dabei zu -sein. Und ~ad vocem~ der Hohenlohes, so kann ich Ihnen nur sagen, für -die hab ich sogar was übrig in meinem Herzen, viel, viel mehr als für -unser eigentliches Landesgewächs. Oder, wenn Sie wollen, für unsre -Autochthonen.« - -»Und das meinen Sie ganz ernsthaft?« - -»Ganz ernsthaft. Und wir wollen mal fünf Minuten wie vernünftige Leute -darüber reden. Wenn ich sage ›wir‹, so meine ich natürlich mich. Denn -Sie sprechen immer vernünftig. Vielleicht ein bißchen zu sehr.« - -Rex lächelte. »Nun gut; ich will's Ihnen glauben.« - -»Also die Hohenlohes,« fuhr Czako fort. »Ja, wie steht es damit? Wie -liegt da die Sache? Da kommt hier so Anno Domini ein Burggraf ins -Land, und das Land will ihn nicht, und er muß sich alles erst erobern, -die Städte beinah und die Schlösser gewiß. Und die Herzen natürlich -erst recht. Und der Kaiser sitzt mal wieder weitab und kann ihm nicht -helfen. Und da hat nun dieser Nürnberger Burggraf, wenn's hoch kommt, -ein halbes Dutzend Menschen um sich, schwäbische Leute, die mit ihm in -diese Mördergrube hinabsteigen. Denn ein bißchen so was war es. Und -geht auch gleich los, und die Quitzows und die, die's sein wollen, -rufen die Pommern ins Land, und hier auf diesem alten Cremmer Damm -stoßen sie zusammen, und die paar, die da fallen, das sind eben die -Schwaben, die's gewagt hatten und mit in den Kahn gestiegen waren. -Allen vorauf aber ein Graf, so ein Herr in mittleren Jahren. Der fiel -zuerst und versank in den Sumpf, und da liegt er. Das heißt, sie haben -ihn rausgeholt, und nun liegt er in der Klosterkirche. Und dieser eine, -der da voran fiel, der hieß Hohenlohe.« - -»Ja, Czako, das weiß ich ja alles. Das steht ja schon im -Brandenburgischen Kinderfreund. Sie denken aber immer, Sie haben so was -allein gepachtet.« - -»Immer vorsichtig, Rex; im Kinderfreund steht es. Gewiß. Aber was steht -nicht alles -- von Kinderfreund gar nicht zu reden -- in Bibel und -Katechismus, und die Leute wissen es doch nicht. Ich zum Beispiel. Und -ob es nun drin steht oder nicht drin steht, ich sage nur: so hat es -angefangen, und so läuft der Hase noch. Oder glauben Sie, daß der alte -Fürst, der jetzt dran ist, daß der zu seinem Spezialvergnügen in unser -sogenanntes Reichskanzlerpalais gezogen ist, drin die Bismarckschen -Nachfolger, die sich wahrhaftig nicht danach drängten, ihre Tage -vertrauern? Ein Opfer ist es, nicht mehr und nicht weniger, und ein -Opfer bringt auch der alte Fürst, gerade wie der, der damals am Cremmer -Damm als erster fiel. Und ich sage Ihnen, Rex, das ist das, was mir -imponiert; immer da sein, wenn Not an Mann ist. Die Kleinen von hier, -trotz der ›Loyalität bis auf die Knochen‹, die mucken immer bloß auf, -aber die wirklich Vornehmen, die gehorchen, nicht einem Machthaber, -sondern dem Gefühl ihrer Pflicht.« - -Rex war einverstanden und wiederholte nur: »Schade, daß wir so spät an -dem Denkmal vorbeikommen.« - -»Ja, schade,« sagte Czako. »Wir müssen es uns aber schenken. Im -übrigen, denk ich, lassen wir in dem, was wir uns noch weiter zu sagen -haben, die Hohenlohes aus dem Spiel. Andres liegt uns heute näher. Wie -hat Ihnen denn eigentlich die Schmargendorf gefallen?« - -»Ich werde mich hüten, Czako, Ihnen darauf zu antworten. Außerdem haben -Sie sie durch den Garten geführt, nicht ich, und mir war immer, als ob -ich Faust und Gretchen sähe.« - -Czako lachte. »Natürlich schwebt Ihnen das andre Paar vor, und ich -bin nicht böse darüber. Die Rolle, die mir dabei zufällt -- der mit -der Hahnenfeder ist doch am Ende ne andre Nummer wie der sentimentale -›Habe-nun-ach-Mann‹ -- diese Mephistorolle, sag ich, gefällt mir -besser, und was die Schmargendorf angeht, so kann ich nur sagen: Von -meiner Martha lass' ich nicht.« - -»Czako, Sie münden wieder ins Frivole.« - -»Gut, gut, Rex, Sie werden unwirsch, und Sie sollen recht haben. -Lassen wir also die Schmargendorf so gut wie die Hohenlohes. Aber -über die Domina ließe sich vielleicht sprechen, und sind wir erst -bei der Tante, so sind wir auch bald bei dem Neffen. Ich fürchte, -unser Freund Woldemar befindet sich in diesem Augenblick in einer -scharfen Zwickmühle. Die Domina liegt ihm seit Jahr und Tag (er hat mir -selber Andeutungen darüber gemacht) mit Heiratsplänen in den Ohren, -mutmaßlich weil ihr die Vorstellung einer Stechlinlosen Welt einfach -ein Schrecknis ist. Solche alten Jungfern mit einer Granatbrosche haben -immer eine merkwürdig hohe Meinung von ihrer Familie. Freilich auch -andre, die klüger sein sollten. Unsre Leute gefallen sich nun mal in -der Idee, sie hingen mit dem Fortbestande der göttlichen Weltordnung -aufs engste zusammen. In Wahrheit liegt es so, daß wir sämtlich -abkommen können. Ohne die Czakos geht es nun schon gewiß, wofür -sozusagen historisch-symbolisch der Beweis erbracht ist.« - -»Und die Rex?« - -»Vor diesem Namen mach ich halt.« - -»Wer's Ihnen glaubt. Aber lassen wir die Rex und lassen wir die Czakos, -und bleiben wir bei den Stechlins, will sagen bei unserm Freunde -Woldemar. Die Tante will ihn verheiraten, darin haben Sie recht.« - -»Und ich habe wohl auch recht, wenn ich das eine heikle Lage nenne. -Denn ich glaube, daß er sich seine Freiheit wahren will und mit -Bewußtsein auf den Célibataire lossteuert.« - -»Ein Glauben, in dem Sie sich, lieber Czako, wie jedesmal, wenn Sie zu -glauben anfangen, in einem großen Irrtum befinden.« - -»Das kann nicht sein.« - -»Es kann nicht bloß sein, es ist. Und ich wundre mich nur, daß -gerade Sie, der Sie doch sonst das Gras wachsen hören und allen -Gesellschaftsklatsch kennen wie kaum ein zweiter, daß gerade Sie von -dem allen kein Sterbenswörtchen vernommen haben sollen. Sie verkehren -doch auch bei den Xylanders, ja, ich glaube, Sie da, letzten Winter, -mal kämpfend am Büfett gesehen zu haben.« - -»Gewiß.« - -»Und da waren an jenem Abend auch die Berchtesgadens, Baron und -Frau, und in lebhaftestem Gespräche mit diesem bayerischen Baron ein -distinguierter alter Herr und zwei Damen. Und diese drei, das waren die -Barbys.« - -»Die Barbys,« wiederholte Czako, »Botschaftsrat oder dergleichen. -Ja, gewiß, ich habe davon gehört; aber ich kann mich jedenfalls -nicht erinnern, ihn und die Damen gesehen zu haben. Und sicherlich -nicht an jenem Abend, wo ja von Vorstellen keine Rede war, die reine -Völkerschlacht. Aber Sie wollten mir, glaube ich, von eben diesen -Barbys erzählen.« - -»Ja, das wollt ich. Ich wollte Sie nämlich wissen lassen, daß Ihr -Célibataire seit Ausgang vorigen Winters in eben diesem Hause -regelmäßig verkehrt.« - -»Er wird wohl in vielen Häusern verkehren.« - -»Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, da das eine Haus ihn ganz in -Anspruch nimmt.« - -»Nun gut, so lassen wir ihn bei den Barbys. Aber was bedeutet das?« - -»Das bedeutet, daß in einem solchen Hause verkehren und sich mit -einer Tochter verloben so ziemlich ein und dasselbe ist. Bloß eine -Frage der Zeit. Und die Tante wird sich damit aussöhnen müssen, auch -wenn sie, wie beinah gewiß, über ihr Herzblatt bereits anders verfügt -haben sollte. Solche Dinge begleichen sich indessen fast immer. Unser -Woldemar wird sich aber mittlerweile vor ganz andre Schwierigkeiten -gestellt sehen.« - -»Und die wären? Ist er nicht vornehm genug? Oder mankiert vielleicht -Gegenliebe?« - -»Nein, Czako, von ›mankierender Gegenliebe‹, wie Sie sich auszudrücken -belieben, kann keine Rede sein. Die Schwierigkeiten liegen in was -anderm. Es sind da nämlich, wie ich mir schon anzudeuten erlaubte, -zwei Komtessen im Hause. Nun, die jüngere wird es wohl werden, schon -weil sie eben die jüngere ist. Aber so ganz sicher ist es doch -keineswegs. Denn auch die ältere, wiewohl schon über dreißig, ist sehr -reizend und zum Überfluß auch noch Witwe -- das heißt eigentlich nicht -Witwe, sondern richtiger eine gleich nach der Ehe geschiedene Frau. -Sie war nur ein halbes Jahr verheiratet, oder vielleicht auch nicht -verheiratet.« - -»Verheiratet, oder vielleicht auch nicht verheiratet,« wiederholte -Czako, während er unwillkürlich sein Pferd anhielt. »Aber Rex, das ist -ja hoch pikant. Und daß ich erst heute davon höre und noch dazu durch -Sie, der Sie sich von solchen Dingen doch zunächst entsetzt abwenden -müßten. Aber so seid ihr Konventikler. Schließlich ist all dergleichen -doch eigentlich euer Lieblingsfeld. Und nun erzählen Sie weiter, -ich bin neugierig wie ein Backfisch. Wer war denn der unglücklich -Glückliche?« - -»Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, wer es war, der diese -ältere Komtesse heiratete. Nun dieser glücklich Unglückliche -- oder -vielleicht auch umgekehrt -- war auch Graf, sogar ein italienischer -(vorausgesetzt, daß Sie dies als eine Steigerung ansehn), und hatte -natürlich einen echt italienischen Namen: Conte Ghiberti, derselbe Name -wie der des florentinischen Bildhauers, von dem die berühmten Türen -herrühren.« - -»Welche Türen?« - -»Nun, die berühmten Baptisteriumtüren in Florenz, von denen -Michelangelo gesagt haben soll, ›sie wären wert, den Eingang zum -Paradiese zu bilden‹. Und diese Türen heißen denn auch, ihrem großen -Künstler zu Ehren, die Ghibertischen Türen. Übrigens eine Sache, von -der ein Mann wie Sie was wissen müßte.« - -»Ja, Rex, Sie haben gut reden von ›wissen müssen‹. Sie sind aus einem -großen Hause, haben mutmaßlich einen frommen Kandidaten als Lehrer -gehabt und sind dann auf Reisen gegangen, wo man so feine Dinge -wegkriegt. Aber ich! Ich bin aus Ostrowo.« - -»Das ändert nichts.« - -»Doch, doch, Rex. Italienische Kunst! Ich bitte Sie, wo soll -dergleichen bei mir herkommen? Was Hänschen nicht lernt, -- dabei -bleibt es nun mal. Ich erinnere mich noch ganz deutlich einer Auktion -in Ostrowo, bei der (es war in einem kommerzienrätlichen Hause) -schließlich ein roter Kasten zur Versteigerung kam, ein Kasten mit -Doppelbildern und einem Opernkucker dazu, der aber keiner war. Und all -das kaufte sich meine Mutter. Und an diesem Stereoskopenkasten, ein -Wort, das ich damals noch nicht kannte, habe ich meine italienische -Kunst gelernt. Die ›Türen‹ waren aber nicht dabei. Was können Sie da -groß verlangen? Ich habe, wenn Sie das Wort gelten lassen wollen, ne -Panoptikumbildung.« - -Rex lachte. »Nun, gleichviel. Also der Graf, der die ältere Komtesse -Barby heiratete, hieß Ghiberti. Seiner Ehe fehlten indes durchaus -die Himmelstüren, -- soviel läßt sich mit aller Bestimmtheit sagen. -Und deshalb kam es zur Scheidung. Ja, mehr, die scharmante Frau -(›scharmant‹ ist übrigens ein viel zu plebejes und minderwertiges Wort) -hat in ihrer Empörung den Namen Ghiberti wieder abgetan, und alle Welt -nennt sie jetzt nur noch bei ihrem Vornamen.« - -»Und der ist?« - -»Melusine.« - -»Melusine? Hören Sie, Rex, das läßt aber tief blicken.« - - * * * * * - -Unter diesem Gespräch waren sie bis an den Cremmer Damm herangekommen. -Es dunkelte schon stark, und ein Gewölk, das am Himmel hinzog, -verbarg die Mondsichel. Ein paarmal indessen trat sie hervor, und -dann sahen sie bei halber Beleuchtung das Hohenlohedenkmal, das unten -im Luche schimmerte. Hinunterzureiten, was noch einmal flüchtig in -Erwägung gezogen wurde, verbot sich, und so setzten sie sich in einen -munteren Trab und hielten erst wieder in Cremmen vor dem Gasthause zum -»Markgrafen Otto«. Es schlug eben neun von der Nikolaikirche. - -Drinnen war man bald in einem lebhaften Gespräch, in dem sich Rex -über die in der Stadt herrschende Gesinnung und Kirchlichkeit zu -unterrichten suchte. Der Wirt stellte der einen wie der andern ein -gleich gutes Zeugnis aus und hatte die Genugtuung, daß ihm Rex -freundlich zunickte. Czako aber sagte: »Sagen Sie, Herr Wirt, Sie haben -da ein so schönes Billard; ich habe mir jüngst erst sagen lassen, -wenn's wirklich flott gehe, so könne man's im Jahr bis auf dreitausend -Mark bringen. Natürlich bei zwölfstündigem Arbeitstag. Wie steht es -damit? Für möglich halt ich es.« - - - - -Nach dem Eierhäuschen - - - - -Elftes Kapitel - - -Die Barbys, der alte Graf und seine zwei Töchter, lebten seit einer -Reihe von Jahren in Berlin, und zwar am Kronprinzenufer, zwischen -Alsen- und Moltkebrücke. Das Haus, dessen erste Etage sie bewohnten, -unterschied sich, ohne sonst irgendwie hervorragend zu sein (Berlin -ist nicht reich an Privathäusern, die Schönheit und Eigenart in sich -vereinigen), immerhin vorteilhaft von seinen Nachbarhäusern, von -denen es durch zwei Terrainstreifen getrennt wurde; der eine davon -ein kleiner Baumgarten, mit allerlei Buschwerk dazwischen, der andre -ein Hofraum mit einem zierlichen, malerisch wirkenden Stallgebäude, -dessen obere Fenster, hinter denen sich die Kutscherwohnung befand, -von wildem Wein umwachsen waren. Schon diese Lage des Hauses hätte -demselben ein bestimmtes Maß von Aufmerksamkeit gesichert, aber auch -seine Fassade mit ihren zwei Loggien links und rechts ließ die des -Weges Kommenden unwillkürlich ihr Auge darauf richten. Hier, in eben -diesen Loggien, verbrachte die Familie mit Vorliebe die Früh- und -Nachmittagsstunden und bevorzugte dabei, je nach der Jahreszeit, -mal den zum Zimmer des alten Grafen gehörigen, in pompejischem Rot -gehaltenen Einbau, mal die gleichartige Loggia, die zum Zimmer der -beiden jungen Damen gehörte. Dazwischen lag ein dritter großer Raum, -der als Repräsentations- und zugleich als Eßzimmer diente. Das war, -mit Ausnahme der Schlaf- und Wirtschaftsräume, das Ganze, worüber man -Verfügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beschränkt, hing aber sehr -an dem Hause, so daß ein Wohnungswechsel, oder auch nur der Gedanke -daran, so gut wie ausgeschlossen war. Einmal hatte die liebenswürdige, -besonders mit Gräfin Melusine befreundete Baronin Berchtesgaden einen -solchen Wohnungswechsel in Vorschlag gebracht, aber nur um sofort -einem lebhaften Widerspruche zu begegnen. »Ich sehe schon, Baronin, -Sie führen den ganzen Lennéstraßenstolz gegen uns ins Gefecht. Ihre -Lennéstraße! Nun ja, wenn's sein muß. Aber was haben Sie da groß? Sie -haben den Lessing ganz und den Goethe halb. Und um beides will ich -Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewaldsammen in Rechnung stellen. -Aber die Lennéstraßenwelt ist geschlossen, ist zu, sie hat keinen -Blick ins Weite, kein Wasser, das fließt, keinen Verkehr, der flutet. -Wenn ich in unsrer Nische sitze, die lange Reihe der herankommenden -Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah und nicht zu weit, und sehe -dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem -Filigranwerk der Ausstellungsparktürmchen schimmert, was will Ihre -grüne Tiergartenwand dagegen?« Und dabei wies die Gräfin auf einen -gerade vorüberdampfenden Zug, und die Baronin gab sich zufrieden. - -Ein solcher Abend war auch heute; die Balkontür stand auf, und ein -kleines Feuer im Kamin warf seine Lichter auf den schweren Teppich, der -durch das ganze Zimmer hin lag. Es mochte die sechste Stunde sein, und -die Fenster drüben an den Häusern der andern Seite standen wie in roter -Glut. Ganz in der Nähe des Kamins saß Armgard, die jüngere Tochter, in -ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußspitze leicht auf den Ständer -gestemmt. Die Stickerei, daran sie bis dahin gearbeitet, hatte sie, -seit es zu dunkeln begann, aus der Hand gelegt und spielte statt dessen -mit einem Ballbecher, zu dem sie regelmäßig griff, wenn es galt, leere -Minuten auszufüllen. Sie spielte das Spiel sehr geschickt, und es gab -immer einen kleinen hellen Schlag, wenn der Ball in den Becher fiel. -Melusine stand draußen auf dem Balkon, die Hand an die Stirn gelegt, um -sich gegen die Blendung der untergehenden Sonne zu schützen. - -»Armgard,« rief sie in das Zimmer hinein, »komm; die Sonne geht eben -unter!« - -»Laß. Ich sehe hier lieber in den Kamin. Und ich habe auch schon -zwölfmal gefangen.« - -»Wen?« - -»Nun natürlich den Ball.« - -»Ich glaube, du fingst lieber wen anders. Und wenn ich dich so dasitzen -sehe, so kommt es mir fast vor, als dächtest du selber auch so was. Du -sitzt so märchenhaft da.« - -»Ach, du denkst immer nur an Märchen und glaubst, weil du Melusine -heißt, du hast so was wie eine Verpflichtung dazu.« - -»Kann sein. Aber vor allem glaub ich, daß ich es getroffen habe. Weißt -du, was?« - -»Nun?« - -»Ich kann es so leicht nicht sagen. Du sitzt zu weit ab.« - -»Dann komm und sag es mir ins Ohr.« - -»Das ist zuviel verlangt. Denn erstens bin ich die ältere, und zweitens -bist du's, die was von mir will. Aber ich will es so genau nicht -nehmen.« - -Und dabei ging Melusine vom Balkon her auf die Schwester zu, nahm ihr -das Fangspiel fort und sagte, während sie ihr die Hand auf die Stirn -legte: »Du bist verliebt.« - -»Aber Melusine, was das nun wieder soll! Und wenn man so klug ist wie -du ... Verliebt. Das ist ja gar nichts; etwas verliebt ist man immer.« - -»Gewiß. Aber in wen? Da beginnen die Fragen und die Finessen.« - -In diesem Augenblicke ging die Klingel draußen, und Armgard horchte. - -»Wie du dich verrätst,« lachte Melusine. »Du horchst und willst wissen, -wer kommt.« - -Melusine wollte noch weiter sprechen, aber die Tür ging bereits auf und -Lizzi, die Kammerjungfer der beiden Schwestern, trat ein, unmittelbar -hinter ihr ein Gersonscher Livreediener mit einem in einen Riemen -geschnallten Karton. »Er bringt die Hüte,« sagte die Kammerjungfer. - -»Ah, die Hüte. Ja, Armgard, da müssen wir freilich unsre Frage -vertagen. Was doch wohl auch deine Meinung ist. Bitte, stellen Sie hin. -Aber Lizzi, du, du bleibst und mußt uns helfen; du hast einen guten -Geschmack. Übrigens, ist kein Stehspiegel da?« - -»Soll ich ihn holen?« - -»Nein, nein, laß. Unsre Köpfe, worauf es doch bloß ankommt, können -wir schließlich auch in diesem Spiegel sehen ... Ich denke, Armgard, -du läßt mir die Vorhand; dieser hier mit dem Heliotrop und den -Stiefmütterchen, der ist natürlich für mich; er hat den richtigen -Frauencharakter, fast schon Witwe.« - -Unter diesen Worten setzte sie sich den Hut auf und trat an den -Spiegel. »Nun, Lizzi, sprich.« - -»Ich weiß nicht recht, Frau Gräfin, er scheint mir nicht modern genug. -Der, den Komtesse Armgard eben aufsetzt, der würde wohl auch für Frau -Gräfin besser passen -- die hohen Straußfedern, wie ein Ritterhelm, und -auch die Hutform selbst. Hier ist noch einer, fast ebenso und beinah -noch hübscher.« - -Beide Damen stellten sich jetzt vor den Spiegel; Armgard, hinter der -Schwester stehend und größer als diese, sah über deren linke Schulter -fort. Beide gefielen sich ungemein, und schließlich lachten sie, weil -jede der andern ansah, wie hübsch sie sich fand. - -»Ich möchte doch beinah glauben ...,« sagte Melusine, kam aber nicht -weiter, denn in eben diesem Augenblicke trat ein in schwarzen Frack und -Escarpins gekleideter alter Diener ein und meldete: »Rittmeister von -Stechlin.« - -Unmittelbar darauf erschien denn auch Woldemar selbst und verbeugte -sich gegen die Damen. »Ich fürchte, daß ich zu sehr ungelegener Stunde -komme.« - -»Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Um wessentwillen quälen wir uns -denn überhaupt mit solchen Sachen? Doch bloß um unsrer Gebieter willen, -die man ja (vielleicht leider) auch noch hat, wenn man sie nicht mehr -hat.« - -»Immer die liebenswürdige Frau.« - -»Keine Schmeicheleien. Und dann, diese Hüte sind wichtig. Ich nehm -es als eine Fügung, daß Sie da gerade hinzukommen; Sie sollen -entscheiden. Wir haben freilich schon Lizzis Meinung angerufen, aber -Lizzi ist zu diplomatisch; Sie sind Soldat und müssen mehr Mut haben; -Armgard, sprich auch; du bist nicht mehr jung genug, um noch ewig die -Verlegene zu spielen. Ich bin sonst gegen alle Gutachten, namentlich in -Prozeßsachen (ich weiß ein Lied davon zu singen), aber ein Gutachten -von Ihnen, da laß ich all meine Bedenken fallen. Außerdem bin ich für -Autoritäten, und wenn es überhaupt Autoritäten in Sachen von Geschmack -und Mode gibt, wo wären sie besser zu finden als im Regiment Ihrer -Kaiserlich Königlichen Majestät von Großbritannien und Indien? Irland -laß ich absichtlich fallen und nehme lieber Indien, woher aller gute -Geschmack kommt, alle alte Kultur, alle Schals und Teppiche, Buddha -und die weißen Elefanten. Also antreten, Armgard; du natürlich an den -rechten Flügel, denn du bist größer. Und nun, lieber Stechlin, wie -finden Sie uns?« - -»Aber, meine Damen ...« - -»Keine Feigheiten. Wie finden Sie uns?« - -»Unendlich nett.« - -»Nett? Verzeihen Sie, Stechlin, nett ist kein Wort. Wenigstens kein -nettes Wort. Oder wenigstens ungenügend.« - -»Also schlankweg entzückend.« - -»Das ist gut. Und zur Belohnung die Frage: wer ist entzückender?« - -»Aber Frau Gräfin, das ist ja die reine Geschichte mit dem seligen -Paris. Bloß, er hatte es viel leichter, weil es drei waren. Aber zwei. -Und noch dazu Schwestern.« - -»Wer? Wer?« - -»Nun, wenn es denn durchaus sein muß, Sie, gnädigste Frau.« - -»Schändlicher Lügner. Aber wir behalten diese zwei Hüte. Lizzi, gib all -das andre zurück. Und Jeserich soll die Lampen bringen; draußen ein -Streifen Abendrot und hier drinnen ein verglimmendes Feuer, -- das ist -denn doch zu wenig oder, wenn man will, zu gemütlich.« - -Die Lampen hatten draußen schon gebrannt, so daß sie gleich da waren. - -»Und nun schließen Sie die Balkontür, Jeserich, und sagen Sie's Papa, -daß der Herr Rittmeister gekommen. Papa ist nicht gut bei Wege, wieder -die neuralgischen Schmerzen; aber wenn er hört, daß Sie da sind, so tut -er ein übriges. Sie wissen, Sie sind sein Verzug. Man weiß immer, wenn -man Verzug ist. Ich wenigstens hab es immer gewußt.« - -»Das glaub ich.« - -»Das glaub ich! Wie wollen Sie das erklären?« - -»Einfach genug, gnädigste Gräfin. Jede Sache will gelernt sein. -Alles ist schließlich Erfahrung. Und ich glaube, daß Ihnen reichlich -Gelegenheit gegeben wurde, der Frage ›Verzug oder Nichtverzug‹ -praktisch näherzutreten.« - -»Gut herausgeredet. Aber nun, Armgard, sage dem Herrn von Stechlin (ich -persönlich getraue mich's nicht), daß wir in einer halben Stunde fort -müssen, Opernhaus, ›Tristan und Isolde‹. Was sagen Sie dazu? Nicht zu -Tristan und Isolde, nein, zu der heikleren Frage, daß wir eben gehen, -im selben Augenblick, wo Sie kommen. Denn ich seh es Ihnen an, Sie -kamen nicht so bloß um ›~five o'clock tea's~‹ willen, Sie hatten es -besser mit uns vor. Sie wollten bleiben ...« - -»Ich bekenne ...« - -»Also getroffen. Und zum Zeichen, daß Sie großmütig sind und Verzeihung -üben, versprechen Sie, daß wir Sie bald wiedersehen, recht, recht bald. -Ihr Wort darauf. Und dem Papa, der Sie vielleicht erwartet, wenn es -Jeserich für gut befunden hat, die Meldung auszurichten, -- dem Papa -werd ich sagen, Sie hätten nicht bleiben können, eine Verabredung, Klub -oder sonst was.« - - * * * * * - -Während Woldemar nach diesem abschließenden Gespräch mit Melusine die -Treppe hinabstieg und auf den nächsten Droschkenstand zuschritt, saß -der alte Graf in seinem Zimmer und sah, den rechten Fuß auf einen -Stuhl gelehnt, durch das Balkonfenster auf den Abendhimmel. Er liebte -diese Dämmerstunde, drin er sich nicht gerne stören ließ (am wenigsten -gern durch vorzeitig gebrachtes Licht), und als Jeserich, der das also -wußte, jetzt eintrat, war es nicht, um dem alten Grafen die Lampe zu -bringen, sondern nur um ein paar Kohlen aufzuschütten. - -»Wer war denn da, Jeserich?« - -»Der Herr Rittmeister.« - -»So, so. Schade, daß er nicht geblieben ist. Aber freilich, was soll -er mit mir? Und der Fuß und die Schmerzen, dadurch wird man auch nicht -interessanter. Armgard und nun gar erst Melusine, ja, da geht es, da -redet sich's schon besser, und das wird der Rittmeister wohl auch -finden. Aber soviel ist richtig, ich spreche gern mit ihm; er hat so -was Ruhiges und Gesetztes und immer schlicht und natürlich. Meinst du -nicht auch?« - -Jeserich nickte. - -»Und glaubst du nicht auch (denn warum käme er sonst so oft), daß er -was vorhat?« - -»Glaub ich auch, Herr Graf.« - -»Na, was glaubst du?« - -»Gott, Herr Graf ...« - -»Ja, Jeserich, du willst nicht raus mit der Sprache. Das hilft dir aber -nichts. Wie denkst du dir die Sache?« - -Jeserich schmunzelte, schwieg aber weiter, weshalb dem alten Grafen -nichts übrig blieb, als seinerseits fortzufahren. »Natürlich paßt -Armgard besser, weil sie jung ist; es ist so mehr das richtige -Verhältnis, und überhaupt, Armgard ist sozusagen dran. Aber, weiß der -Teufel, Melusine ...« - -»Freilich, Herr Graf.« - -»Also du hast doch auch so was gesehen. Alles dreht sich immer um die. -Wie denkst du dir nun den Rittmeister? Und wie denkst du dir die Damen? -Und wie steht es überhaupt? Ist es die oder ist es die?« - -»Ja, Herr Graf, wie soll ich darüber denken? Mit Damen weiß man ja nie --- vornehm und nicht vornehm, klein und groß, arm und reich, das is all -eins. Mit unsrer Lizzi is es gerad ebenso wie mit Gräfin Melusine. Wenn -man denkt, es is so, denn is es so, und wenn man denkt, es is so, denn -is es wieder so. Wie meine Frau noch lebte, Gott habe sie selig, die -sagte auch immer: ›Ja, Jeserich, was du dir bloß denkst; wir sind eben -ein Rätsel.‹ Ach Gott, sie war ja man einfach, aber das können Sie mir -glauben, Herr Graf, so sind sie alle.« - -»Hast ganz recht, Jeserich. Und deshalb können wir auch nicht gegen an. -Und ich freue mich, daß du das auch so scharf aufgefaßt hast. Du bist -überhaupt ein Menschenkenner. Wo du's bloß her hast? Du hast so was von -nem Philosophen. Hast du schon mal einen gesehen?« - -»Nein, Herr Graf. Wenn man so viel zu tun hat und immer Silber putzen -muß.« - -»Ja, Jeserich, das hilft doch nu nich, davon kann ich dich nicht -freimachen ...« - -»Nein, so mein ich es ja auch nich, Herr Graf, und ich bin ja auch -fürs Alte. Gute Herrschaft und immer denken, ›man gehört so halb wie -mit dazu,‹ -- dafür bin ich. Und manche sollen ja auch halb mit dazu -gehören ... Aber ein bißchen anstrengend is es doch mitunter, und man -is doch am Ende auch ein Mensch ...« - -»Na, höre, Jeserich, das hab ich dir doch noch nicht abgesprochen.« - -»Nein, nein, Herr Graf. Gott, man sagt so was bloß. Aber ein bißchen is -es doch damit ...« - - - - -Zwölftes Kapitel - - -Woldemar -- wie Rex seinem Freunde Czako, als beide über den Cremmer -Damm ritten, ganz richtig mitgeteilt hatte -- verkehrte seit Ausgang -des Winters im Barbyschen Hause, das er sehr bald vor andern Häusern -seiner Bekanntschaft bevorzugte. Vieles war es, was ihn da fesselte, -voran die beiden Damen; aber auch der alte Graf. Er fand Ähnlichkeiten, -selbst in der äußern Erscheinung, zwischen dem Grafen und seinem -Papa, und in seinem Tagebuche, das er, trotz sonstiger Modernität, in -altmodischer Weise von jung an führte, hatte er sich gleich am ersten -Abend über eine gewisse Verwandtschaft zwischen den beiden geäußert. -Es hieß da unterm achtzehnten April: »Ich kann Wedel nicht dankbar -genug sein, mich bei den Barbys eingeführt zu haben; alles, was er -von dem Hause gesagt, fand ich bestätigt. Diese Gräfin, wie charmant, -und die Schwester ebenso, trotzdem größere Gegensätze kaum denkbar -sind. An der einen alles Temperament und Anmut, an der andern alles -Charakter oder, wenn das zuviel gesagt sein sollte, Schlichtheit, -Festigkeit. Es bleibt mit den Namen doch eine eigene Sache; die Gräfin -ist ganz Melusine und die Komtesse ganz Armgard. Ich habe bis jetzt -freilich nur eine dieses Namens kennen gelernt, noch dazu bloß als -Bühnenfigur, und ich mußte beständig an diese denken, wie sie da -(ich glaube, es war Fräulein Stolberg, die ja auch das Maß hat) dem -Landvogt so mutig in den Zügel fällt. Ganz so wirkt Komtesse Armgard! -Ich möchte beinah sagen, es läßt sich an ihr wahrnehmen, daß ihre -Mutter eine richtige Schweizerin war. Und dazu der alte Graf! Wie -ein Zwillingsbruder von Papa; derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane -Wesen, dieselbe Freundlichkeit, dieselbe gute Laune. Papa ist aber -ausgiebiger und auch wohl origineller. Vielleicht hat der verschiedene -Lebensgang diese Verschiedenheiten erst geschaffen. Papa sitzt nun seit -richtigen dreißig Jahren in seinem Ruppiner Winkel fest, der Graf war -ebensolange draußen! Ein Botschaftsrat ist eben was anderes als ein -Ritterschaftsrat, und an der Themse wächst man sich anders aus als am -›Stechlin‹ -- unsern Stechlin dabei natürlich in Ehren. Trotzdem, die -Verwandtschaft bleibt. Und der alte Diener, den sie Jeserich nennen, -der ist nun schon ganz und gar unser Engelke vom Kopf bis zur Zeh. Aber -was am verwandtesten ist, das ist doch die gesamte Hausatmosphäre, das -Liberale. Papa selbst würde zwar darüber lachen -- er lacht über nichts -so sehr wie über Liberalismus --, und doch kenne ich keinen Menschen, -der innerlich so frei wäre, wie gerade mein guter Alter. Zugeben wird -er's freilich nie und wird in dem Glauben sterben: ›Morgen tragen sie -einen echten alten Junker zu Grabe.‹ Das ist er auch, aber doch auch -wieder das volle Gegenteil davon. Er hat keine Spur von Selbstsucht. -Und diesen schönen Zug (ach, so selten), den hat auch der alte Graf. -Nebenher freilich ist er Weltmann, und das gibt dann den Unterschied -und das Übergewicht. Er weiß -- was sie hierzulande nicht wissen oder -nicht wissen wollen --, daß hinterm Berge auch noch Leute wohnen. Und -mitunter noch ganz andre.« - - * * * * * - -Das waren die Worte, die Woldemar in sein Tagebuch eintrug. Von allem, -was er gesehen, war er angenehm berührt worden, auch von Haus und -Wohnung. Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach seinem ersten -Besuche wissen konnte. Das von der gräflichen Familie bewohnte Haus -mit seinen Loggien und seinem diminutiven Hof und Garten teilte sich -in zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre besondern Annexe -hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene pittoreske Hof- -und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutscher, Herr Imme, residierte, -während zu dem die zweite Hälfte des Hauses bildenden Hochparterre -ziemlich selbstverständlich noch das kleine niedrige Souterrain -gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig selbst, dessen Frau, -sein Sohn Rudolf und seine Nichte Hedwig wohnten. Letztere freilich -nur zeitweilig, und zwar immer nur dann, wenn sie, was allerdings -ziemlich häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die Wirtin des -Hauses, Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz, hätte diesen -gelegentlichen Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanstanden -müssen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und sehr -anstelliges Ding war und manches besaß, was die Schickedanz mit der -Ungehörigkeit des ewigen Dienstwechsels wieder aussöhnte. - -Die Schickedanz, eine Frau von sechzig, war schon verwitwet, als im -Herbst fünfundachtzig die Barbys einzogen, Komtesse Armgard damals -erst zehnjährig. Frau Schickedanz selbst war um jene Zeit noch in -Trauer, weil ihr Gatte, der Versicherungssekretär, erst im Dezember des -vorausgegangenen Jahres gestorben war, »drei Tage vor Weihnachten«, -ein Umstand, auf den der Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in seiner -Leichenrede beständig hingewiesen und die gewollte Wirkung auch -richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz selbst -und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die während der ganzen -Rede beständig mit dem Kopf genickt und nachträglich ihrem Manne -bemerkt hatte: »Ja. Hartwig, da liegt doch was drin.« Hartwig selber -indes, der, im Gegensatz zu den meisten seines Standes, humoristisch -angeflogen war, hatte für die merkwürdige Fügung von »drei Tage vor -Weihnachten« nicht das geringste Verständnis gezeigt, vielmehr nur die -Bemerkung dafür gehabt: »Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich -dabei denkst? Ein Tag ist wie der andre; mal muß man ran,« -- worauf -die Frau jedoch geantwortet hatte: »Ja, Hartwig, das sagst du so immer; -aber wenn du dran bist, dann redst du anders.« - -Der verstorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn ankam, ein Leben -hinter sich, das sich in zwei sehr verschiedene Hälften, in eine ganz -kleine unbedeutende und in eine ganz große, teilte. Die unbedeutende -Hälfte hatte lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein -Ziegelstreichersohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorfe Kaputt, was er, -als er aus dem diesem Dorfnamen entsprechenden Zustande heraus war, -in Gesellschaft guter Freunde gern hervorhob. Es war so ziemlich der -einzige Witz seines Lebens, an dem er aber zäh festhielt, weil er sah, -daß er immer wieder wirkte. Manche gingen so weit, ihm den Witz auch -noch moralisch gutzuschreiben und behaupteten: Schickedanz sei nicht -bloß ein Charakter, sondern auch eine bescheidene Natur. - -Ob dies zutraf, wer will es sagen! Aber das war sicher, daß er -sich von Anfang an als ein aufgeweckter Junge gezeigt hatte. Schon -mit sechzehn war er als Hilfsschreiber in die deutsch-englische -Hagelversicherungsgesellschaft Pluvius eingetreten und hatte mit -sechsundsechzig sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in eben dieser -Gesellschaft gefeiert. Das war aus bestimmten Gründen ein großer Tag -gewesen. Denn als Schickedanz ihn erlebte, hieß er nur noch so ganz -obenhin »Herr Versicherungssekretär«, war aber in Wahrheit über diesen -seinen Titel weit hinausgewachsen und besaß bereits das schöne Haus am -Kronprinzenufer. Er hatte sich das leisten können, weil er im Laufe -der letzten fünf Jahre zweimal hintereinander ein Viertel vom großen -Lose gewonnen hatte. Dies sah er sich allerseits als persönliches -Verdienst angerechnet und auch wohl mit Recht. Denn arbeiten kann -jeder, das große Los gewinnen kann nicht jeder. Und so blieb er denn -bei der Versicherungsgesellschaft lediglich nur noch als verhätscheltes -Zierstück, weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck machte, -Personen der Art im Dienst oder gar als Teilnehmer zu haben. An der -Spitze muß immer ein Fürst stehen. Und Schickedanz war jetzt Fürst. -Alles drängte sich nicht bloß an ihn, sondern seine Stammtischfreunde, -die zu seiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes Vertrauen -hatten, drangen sogar eine Zeitlang in ihn, die Lotterielose für sie -zu ziehen. Aber keiner gewann, was schließlich einen Umschlag schuf -und einzelne von »bösem Blick« und sogar ganz unsinnigerweise von -Mogelei sprechen ließ. Die meisten indessen hielten es für klug, ihr -Übelwollen zurückzuhalten; war er doch immerhin ein Mann, der jedem, -wenn er wollte, Deckung und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz' Glück -und Ansehen waren groß, am größten natürlich an seinem Jubiläumstage. -Nicht zu glauben, wer da alles kam. Nur ein Orden kam nicht, was denn -auch von einigen Schickedanzfanatikern sehr mißliebig bemerkt wurde. -Besonders schmerzlich empfand es die Frau. »Gott, er hat doch immer -so treu gewählt,« sagte sie. Sie kam aber nicht in die Lage, sich -in diesen Schmerz einzuleben, da schon die nächsten Zeiten bestimmt -waren, ihr Schwereres zu bringen. Am 21. September war das Jubiläum -gewesen, am 21. Oktober erkrankte er, am 21. Dezember starb er. Auf -dem Notizenzettel, den man damals dem Kandidaten zugestellt hatte, -hatte dieser dreimal wiederkehrende »einundzwanzigste« gefehlt, was -alles in allem wohl als ein Glück angesehen werden konnte, weil, -entgegengesetztenfalls die »drei Tage vor Weihnachten« entweder gar -nicht zustande gekommen oder aber durch eine geteilte Herrschaft in -ihrer Wirkung abgeschwächt worden wären. - -Schickedanz war bei voller Besinnung gestorben. Er rief, kurz vor -seinem Ende, seine Frau an sein Bett und sagte: »Riekchen, sei ruhig. -Jeder muß. Ein Testament hab ich nicht gemacht. Es gibt doch bloß immer -Zank und Streit. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Briefbogen, drauf -hab ich alles Nötige geschrieben. Viel wichtiger ist mir das mit dem -Haus. Du mußt es behalten, damit die Leute sagen können: ›Da wohnt -Frau Schickedanz.‹ Hausname, Straßenname, das ist überhaupt das Beste. -Straßenname dauert noch länger als Denkmal.« - -»Gott, Schickedanz, sprich nicht so viel; es strengt dich an. Ich will -es ja alles heilig halten, schon aus Liebe ...« - -»Das ist recht, Riekchen. Ja, du warst immer eine gute Frau, wenn wir -auch keine Nachfolge gehabt haben. Aber darum bitte ich dich, vergiß -nie, daß es meine Puppe war. Du darfst bloß vornehme Leute nehmen; -reiche Leute, die bloß reich sind, nimm nicht; die quängeln bloß und -schlagen große Haken in die Türfüllung und hängen eine Schaukel dran. -Überhaupt, wenn es sein kann, keine Kinder. Hartwigen unten mußt du -behalten; er ist eigentlich ein Klugschmus, aber die Frau ist gut. Und -der kleine Rudolf, mein Patenkind, wenn er ein Jahr alt wird, soll er -hundert Taler kriegen. Taler, nicht Mark. Und der Schullehrer in Kaputt -soll auch hundert Taler kriegen. Der wird sich wundern. Aber darauf -freu ich mich schon. Und auf dem Invalidenkirchhof will ich begraben -sein, wenn es irgend geht. Invalide ist ja doch eigentlich jeder. Und -anno siebzig war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den Feind, -trotzdem Luchterhand immer sagte: ›Nicht so nah ran.‹ Sei freundlich -gegen die Leute und nicht zu sparsam (du bist ein bißchen zu sparsam) -und bewahre mir einen Platz in deinem Herzen. Denn treu warst du, das -sagt mir eine innere Stimme.« - -Diesem allem hatte Riekchen seitdem gelebt. Die Beletage, die leer -stand, als Schickedanz starb, blieb noch drei Vierteljahre unbewohnt, -trotzdem sich viele Herrschaften meldeten. Aber sie deckten sich nicht -mit der Forderung, die Schickedanz vor seinem Hinscheiden gestellt -hatte. Herbst fünfundachtzig kamen dann die Barbys. Die kleine Frau -sah gleich »ja, das sind die, die mein Seliger gemeint hat«. Und sie -hatte wirklich richtig gewählt. In den fast zehn Jahren, die seitdem -verflossen waren, war es auch nicht ein einziges Mal zu Konflikten -gekommen, mit der gräflichen Familie schon gewiß nicht, aber auch kaum -mit den Dienerschaften. Ein persönlicher Verkehr zwischen Erdgeschoß -und Beletage konnte natürlich nicht stattfinden, -- Hartwig war einfach -der ~alter ego~, der mit Jeserich alles Nötige durchzusprechen hatte. -Kam es aber ausnahmsweise zwischen Wirtin und Mieter zu irgendeiner -Begegnung, so bewahrte dabei die kleine winzige Frau (die nie »viel« -war und seit ihres Mannes Tode noch immer weniger geworden war) -eine merkwürdig gemessene Haltung, die jedem mit dem Berliner Wesen -Unvertrauten eine Verwunderung abgenötigt haben würde. Riekchen -empfand sich nämlich in solchem Augenblicke durchaus als »Macht gegen -Macht«. Wie beinah jedem hierlandes Geborenen, war auch ihr die Gabe -wirklichen Vergleichenkönnens völlig versagt, weil jeder echte, mit -Spreewasser getaufte Berliner, männlich oder weiblich, seinen Zustand -nur an seiner eigenen kleinen Vergangenheit, nie aber an der Welt -draußen mißt, von der er, wenn er ganz echt ist, weder eine Vorstellung -hat noch überhaupt haben will. Der autochthone »Kellerwurm«, wenn er -fünfzig Jahre später in eine Steglitzer Villa zieht, bildet -- auch -wenn er seiner Natur nach eigentlich der bescheidenste Mensch ist -- -eine gewisse naive Krösusvorstellung in sich aus und glaubt ganz -ernsthaft, jenen Gold- und Silberkönigen zuzugehören, die die Welt -regieren. So war auch die Schickedanz. Hinter einem Dachfenster in -der Georgenkirchstraße geboren, an welchem Dachfenster sie später -für ein Weißzeuggeschäft genäht hatte, kam ihr ihr Leben, wenn sie -rückblickte, wie ein Märchen vor, drin sie die Rolle der Prinzessin -spielte. Dementsprechend durchdrang sie sich, still aber stark, mit -einem Hochgefühl, das sowohl Geld- wie Geburtsgrößen gegenüber auf -Ebenbürtigkeit lossteuerte. Sie rangierte sich ein und wies sich, -soweit ihre historische Kenntnis das zuließ, einen ganz bestimmten -Platz an: Fürst Dolgorucki, Herzog von Devonshire, Schickedanz. - -Die Treue, die der Verstorbene noch in seinen letzten Augenblicken -ihr nachgerühmt hatte, steigerte sich mehr und mehr zum Kult. Die -Vormittagsstunden jedes Tages gehörten dem hohen Palisanderschrank -an, drin die Jubiläumsgeschenke wohlgeordnet standen: ein großer -Silberpokal mit einem drachentötenden Sankt Georg auf dem Deckel, ein -Album mit photographischen Aufnahmen aller Sehenswürdigkeiten von -Kaputt, eine große Huldigungsadresse mit Aquarellarabesken, mehrere -Lieder in Prachtdruck (darunter ein Kegelklublied mit dem Refrain -»alle Neune«), Riesensträuße von Sonnenblumen, ein Oreiller mit dem -Eisernen Kreuz und einem aufgehefteten Gedicht, von einem Damenkomitee -herrührend, in dessen Auftrag er, Schickedanz, die Liebesgaben bis -vor Paris gebracht hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzsäule, -stand eine Gipsbüste, Geschenk eines dem Stammtisch angehörigen -Bildhauers, der daraufhin einen leider ausgebliebenen Auftrag in -Marmor erwartet hatte. Fauteuils und Stühle steckten in großblumigen -Überzügen, desgleichen der Kronleuchter in einem Gazemantel, und an -den Frontfenstern standen, den ganzen Winter über, Maiblumen. Riekchen -trug auch Maiblumen auf jeder ihrer Hauben, war überhaupt, seit das -Trauerjahr um war, immer hell gekleidet, wodurch ihre Gestalt noch -unkörperlicher wirkte. Jeden ersten Montag im Monat war allgemeines -Reinmachen, auch bei Wind und Kälte. Dies war immer ein Tag größter -Aufregung, weil jedesmal etwas zerbrochen oder umgestoßen wurde. Das -blieb auch so durch Jahre hin, bis das Auftreten von Hedwig, die sich -einer sehr geschickten Hand erfreute, Wandel in diesem Punkte schaffte. -Die Nippsachen zerbrachen nun nicht mehr, und Riekchen war um so -glücklicher darüber, als Hartwigs hübsche Nichte, wenn sie mal wieder -den Dienst gekündigt hatte, regelmäßig allerlei davon zu erzählen und -mit immer neuen und oft sehr intrikaten Geschichten ins Feld zu rücken -wußte. - -Die Barbys hatten alle Ursache, mit dem Schickedanzschen Hause -zufrieden zu sein. Nur eines störte, das war, daß jeden Mittwoch und -Sonnabend die Teppiche geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, -wo der alte Graf seine Nachmittagsruhe halten wollte. Das verdroß ihn -eine Weile, bis er schließlich zu dem Ergebnis kam: »Eigentlich bin -ich doch selber schuld daran. Warum setz ich mich immer wieder in die -Hinterstube, statt einfach vorn an mein Fenster? Immer hasardier ich -wieder und denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; willst es doch noch -mal versuchen.« - - * * * * * - -Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung zu haben, er hielt -auch beinah abergläubisch an ihr fest. So lange er darin wohnte, war es -ihm gut ergangen, nicht glänzender als früher, aber sorgenloser. Und -das sagte er sich jeden neuen Tag. - -Sein Leben, so bunt es gewesen, war trotzdem in gewissem Sinne -durchschnittsmäßig verlaufen, ganz so wie das Leben eines preußischen -»Magnaten« (worunter man in der Regel Schlesier versteht; aber es gibt -doch auch andre) zu verlaufen pflegt. - -Im Juli dreißig, gerade als die Franzosen Algier bomdardierten und -nebenher das Haus Bourbon endgültig beseitigten, war der Graf auf -einem der an der mittleren Elbe gelegenen Barbyschen Güter geboren -worden. Auf eben diesem Gute -- das landwirtschaftlich einer von -fremder Hand geführten Administration unterstand -- vergingen ihm die -Kinderjahre; mit zwölf kam er dann auf die Ritterakademie, mit achtzehn -in das Regiment Garde-du-Corps, drin die Barbys standen, solang es -ein Regiment Garde-du-Corps gab. Mit dreißig war er Rittmeister und -führte eine Schwadron. Aber nicht lange mehr. Auf einem in der Nähe von -Potsdam veranstalteten Kavalleriemanöver stürzte er unglücklich und -brach den Oberschenkel, unmittelbar unter der Hüfte. Leidlich genesen, -ging er nach Ragaz, um dort völlige Wiederherstellung zu suchen, und -machte hier die Bekanntschaft eines alten Freiherrn von Planta, der -ihn alsbald auf seine Besitzungen einlud. Weil diese ganz in der Nähe -lagen, nahm er die Einladung nach Schloß Schuder an. Hier blieb er -länger als erwartet, und als er das schön gelegene Bergschloß wieder -verließ, war er mit der Tochter und Erbin des Hauses verlobt. Es war -eine große Neigung, was sie zusammenführte. Die junge Freiin drang -alsbald in ihn, den Dienst zu quittieren, und er entsprach dem um so -lieber, als er seiner völligen Wiederherstellung nicht ganz sicher -war. Er nahm also den Abschied und trat aus dem militärischen in den -diplomatischen Dienst über, wozu seine Bildung, sein Vermögen, seine -gesellschaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erscheinen ließen. -Noch im selben Jahre ging er nach London, erst als Attaché, wurde dann -Botschaftsrat und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage -der Aufrichtung des Deutschen Reiches. Seine Beziehungen sowohl zu -der heimisch-englischen wie zu der außerenglischen Aristokratie waren -jederzeit die besten, und sein Freundschaftsverhältnis zu Baron und -Baronin Berchtesgaden entstammte jener Zeit. Er hing sehr an London. -Das englische Leben, an dem er manches, vor allem die geschraubte -Kirchlichkeit, beanstandete, war ihm trotzdem außerordentlich -sympathisch, und er hatte sich daran gewöhnt, sich als verwachsen -damit anzusehen. Auch seine Familie, die Frau und die zwei Töchter -- -beide, wenn auch in großem Abstande, während der Londoner Tage geboren --- teilten des Vaters Vorliebe für England und englisches Leben. Aber -ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau starb -plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm so lieb gewordenen Stätte war -ihm vergällt. Er nahm in der ersten Hälfte der achtziger Jahre seine -Demission, ging zunächst auf die Plantaschen Güter nach Graubünden und -dann weiter nach Süden, um sich in Florenz seßhaft zu machen. Die Luft, -die Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles tat ihm hier wohl, und -er fühlte, daß er genas, soweit er wieder genesen konnte. Glückliche -Tage brachen für ihn an, und sein Glück schien sich noch steigern -zu sollen, als sich die ältere Tochter mit dem italienischen Grafen -Ghiberti verlobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die -Fortdauer dieser Ehe stellte sich bald als eine Unmöglichkeit heraus, -und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgesprochen. Kurze Zeit -danach kehrte der Graf nach Deutschland zurück, das er, seit einem -Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen -hatte. Sich auf das eine oder andere seiner Elbgüter zu begeben, -widerstand ihm auch jetzt noch, und so kam es, daß er sich für Berlin -entschied. Er nahm Wohnung am Kronprinzenufer und lebte hier ganz sich, -seinem Hause, seinen Töchtern. Von dem Verkehr mit der großen Welt -hielt er sich so weit wie möglich fern, und nur ein kleiner Kreis von -Freunden, darunter auch die durch einen glücklichen Zufall ebenfalls -von London nach Berlin verschlagenen Berchtesgadens waren, versammelte -sich um ihn. Außer diesen alten Freunden waren es vorzugsweise -Hofprediger Frommel, Doktor Wrschowitz und seit letztem Frühjahr -auch Rittmeister von Stechlin, die den Barbyschen Kreis bildeten. -An Woldemar hatte man sich rasch attachiert, und die freundlichen -Gefühle, denen er bei dem alten Grafen sowohl wie bei den Töchtern -begegnete, wurden von allen Hausbewohnern geteilt. Selbst die Hartwigs -interessierten sich für den Rittmeister, und wenn er abends an der -Portierloge vorüberkam, guckte Hedwig neugierig durch das Fensterchen -und sagte: »So einen, -- ja, das lass' ich mir gefallen.« - - - - -Dreizehntes Kapitel - - -Woldemar, als er sich von den jungen Damen im Barbyschen Hause -verabschiedet hatte, hatte versprechen müssen, seinen Besuch recht bald -zu wiederholen. - -Aber was war »recht bald«? Er rechnete hin und her und fand, daß der -dritte Tag dem etwa entsprechen würde; das war »recht bald« und doch -auch wieder nicht zu früh. Und so ging er denn, als der Abend dieses -dritten Tages da war, auf die Hallesche Brücke zu, wartete hier die -Ringbahn ab und fuhr, am Potsdamer und Brandenburger Tor vorüber, -bis an jene sonderbare Reichstagsuferstelle, wo, von mächtiger -Giebelwand herab, ein wohl zwanzig Fuß hohes, riesiges Kaffeemädchen -mit einem ganz kleinen Häubchen auf dem Kopf freundlich auf die Welt -der Vorübereilenden herniederblickt, um ihnen ein Paket Kneippschen -Malzkaffee zu präsentieren. An dieser echt berlinisch-pittoresken Ecke -stieg Woldemar ab, um die von hier aus nur noch kurze Strecke bis an -das Kronprinzenufer zu Fuß zurückzulegen. - -Es war gegen acht, als er in dem Barbyschen Hause die mit Teppich -überdeckte Marmortreppe hinaufstieg und die Klingel zog. Im selben -Augenblick, wo Jeserich öffnete, sah Woldemar an des Alten verlegenem -Gesicht, daß die Damen aller Wahrscheinlichkeit nach wieder nicht zu -Hause waren. Aber eine Verstimmung darüber durfte nicht aufkommen, und -so ließ er es geschehen, daß Jeserich ihn bei dem alten Grafen meldete. - -»Der Herr Graf lassen bitten.« - -Und nun trat Woldemar in das Zimmer des wieder mal von Neuralgie -Geplagten ein, der ihm, auf einen dicken Stock gestützt, unter -freundlichem Gruß entgegenkam. - -»Aber Herr Graf,« sagte Woldemar und nahm des alten Herrn linken -Arm, um ihn bis an seinen Lehnstuhl und eine für den kranken Fuß -zurechtgemachte Stellage zurückzuführen. »Ich fürchte, daß ich störe.« - -»Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Mir hochwillkommen. Außerdem hab -ich strikten Befehl, Sie, ~coûte que coûte~, festzuhalten; Sie wissen, -Damen sind groß in Ahnungen, und bei Melusine hat es schon geradezu was -Prophetisches.« - -Woldemar lächelte. - -»Sie lächeln, lieber Stechlin, und haben recht. Denn daß sie nun -schließlich doch gegangen ist (natürlich zu den Berchtesgadens) ist ein -Beweis, daß sie sich und ihrer Prophetie doch auch wieder einigermaßen -mißtraute. Aber man ist immer nur klug und weise für andre. Die Doktors -machen es ebenso; wenn sie sich selber behandeln sollen, wälzen sie die -Verantwortung von sich ab und sterben lieber durch fremde Hand. Aber -was sprech ich nur immer von Melusine. Freilich, wer in unserm Hause so -gut Bescheid weiß wie Sie, wird nichts Überraschliches darin finden. -Und zugleich wissen Sie, wie's gemeint ist. Armgard ist übrigens in -Sicht; keine zehn Minuten mehr, so werden wir sie hier haben.« - -»Ist sie mit bei der Baronin?« - -»Nein, Sie dürfen sie nicht so weit suchen. Armgard ist in ihrem -Zimmer, und Doktor Wrschowitz ist bei ihr. Es kann aber nicht lange -mehr dauern.« - -»Aber ich bitte Sie, Herr Graf, ist die Komtesse krank?« - -»Gott sei Dank, nein. Und Wrschowitz ist auch kein Medizindoktor, -sondern ein Musikdoktor. Sie haben von ihm rein zufällig noch nicht -gehört, weil erst vorige Woche, nach einer langen, langen Pause, die -Musikstunden wieder aufgenommen wurden. Er ist aber schon seit Jahr und -Tag Armgards Lehrer.« - -»Musikdoktor? Gibt es denn die?« - -»Lieber Stechlin, es gibt alles. Also natürlich auch das. Und so sehr -ich im ganzen gegen die Doktorhascherei bin, so liegt es hier doch -so, daß ich dem armen Wrschowitz seinen Musikdoktor gönnen oder doch -mindestens verzeihen muß. Er hat den Titel auch noch nicht lange.« - -»Das klingt ja fast wie ne Geschichte.« - -»Trifft auch zu. Können Sie sich denken, daß Wrschowitz aus einer Art -Verzweiflung Doktor geworden ist?« - -»Kaum. Und wenn kein Geheimnis ...« - -»Durchaus nicht; nur ein Kuriosum. Wrschowitz hieß nämlich bis vor zwei -Jahren, wo er als Klavierlehrer, aber als ein höherer (denn er hat auch -eine Oper komponiert), in unser Haus kam, einfach Niels Wrschowitz, -und er ist bloß Doktor geworden, um den Niels auf seiner Visitenkarte -loszuwerden.« - -»Und das ist ihm auch geglückt?« - -»Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vorkommt, daß ihn einzelne -ganz wie früher Niels nennen, entweder aus Zufall oder auch wohl aus -Schändlichkeit. In letzterem Falle sind es immer Kollegen. Denn die -Musiker sind die boshaftesten Menschen. Meist denkt man, die Prediger -und die Schauspieler seien die schlimmsten. Aber weit gefehlt. Die -Musiker sind ihnen über. Und ganz besonders schlimm sind die, die die -sogenannte heilige Musik machen.« - -»Ich habe dergleichen auch schon gehört,« sagte Woldemar. »Aber was ist -das nur mit Niels? Niels ist doch an und für sich ein hübscher und ganz -harmloser Name. Nichts Anzügliches drin.« - -»Gewiß nicht. Aber Wrschowitz und Niels. Er litt, glaub ich, unter -diesem Gegensatz.« - -Woldemar lachte. »Das kenn ich. Das kenn ich von meinem Vater her, der -Dubslav heißt, was ihm auch immer höchst unbequem war. Und da reichen -wohl nicht hundertmal, daß ich ihn wegen dieses Namens seinen Vater -habe verklagen hören.« - -»Genau so hier,« fuhr der Graf in seiner Erzählung fort. »Wrschowitz' -Vater, ein kleiner Kapellmeister an der tschechisch-polnischen Grenze, -war ein Niels-Gade-Schwärmer, woraufhin er seinen Jungen einfach Niels -taufte. Das war nun wegen des Kontrastes schon gerade bedenklich genug. -Aber das eigentlich Bedenkliche kam doch erst, als der allmählich -ein scharfer Wagnerianer werdende Wrschowitz sich zum direkten -Niels-Gade-Verächter ausbildete. Niels Gade war ihm der Inbegriff alles -Trivialen und Unbedeutenden, und dazu kam noch, wie Amen in der Kirche, -daß unser junger Freund, wenn er als ›Niels Wrschowitz‹ vorgestellt -wurde, mit einer Art Sicherheit der Phrase begegnete: ›Niels? Ah, -Niels. Ein schöner Name innerhalb unsrer musikalischen Welt. Und hoch -erfreulich, ihn hier zum zweiten Male vertreten zu sehen.‹ All das -konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aushalten, und so kam er auf -den Gedanken, den Vornamen auf seiner Karte durch einen Doktortitel -wegzueskamotieren.« - -Woldemar nickte. - -»Jedenfalls, lieber Stechlin, ersehen Sie daraus zur Genüge, daß unser -Wrschowitz, als richtiger Künstler, in die Gruppe ~gens irritabilis~ -gehört, und wenn Armgard ihn vielleicht aufgefordert haben sollte, -zum Tee zu bleiben, so bitt ich Sie herzlich, dieser Reizbarkeit -eingedenk zu sein. Wenn irgend möglich, vermeiden Sie Beziehungen auf -die ganze skandinavische Welt, besonders aber auf Dänemark direkt. Er -wittert überall Verrat. Übrigens, wenn man auf seiner Hut ist, ist er -ein feiner und gebildeter Mann. Ich hab ihn eigentlich gern, weil er -anders ist wie andre.« - - * * * * * - -Der alte Graf behielt recht mit seiner Vermutung: Armgard hatte -den Doktor Wrschowitz aufgefordert zu bleiben, und als bald danach -Jeserich eintrat, um den Grafen und Woldemar zum Tee zu bitten, fanden -diese beim Eintritt in das Mittelzimmer nicht nur Armgard, sondern -auch Wrschowitz vor, der, die Finger ineinander gefaltet, mitten in -dem Salon stand und die an der Büfettwand hängenden Bilder mit jenem -eigentümlichen Mischausdruck von aufrichtigem Gelangweiltsein und -erkünsteltem Interesse musterte. Der Rittmeister hatte dem Grafen -wieder seinen Arm geboten; Armgard ging auf Woldemar zu und sprach -ihm ihre Freude aus, daß er gekommen; auch Melusine werde gewiß bald -da sein; sie habe noch zuletzt gesagt: »Du sollst sehen, heute kommt -Stechlin.« Danach wandte sich die junge Komtesse wieder Wrschowitz zu, -der sich eben in das von Hubert Herkomer gemalte Bild der verstorbenen -Gräfin vertieft zu haben schien, und sagte, gegenseitig vorstellend, -»Doktor Wrschowitz, Rittmeister von Stechlin.« Woldemar, seiner -Instruktion eingedenk, verbeugte sich sehr artig, während Wrschowitz, -ziemlich ablehnend, seinem Gesicht den stolzen Doppelausdruck von -Künstler und Hussiten gab. - -Der alte Graf hatte mittlerweile Platz genommen, entschuldigte sich, -mit der unglücklichen Stellage beschwerlich fallen zu müssen, und bat -die beiden Herren, sich neben ihm niederzulassen, während Armgard, -dem Vater gegenüber, an der andern Schmalseite des Tisches saß. Der -alte Graf nahm seine Tasse Tee, schob den Kognak, »des Tees bessren -Teil,« mit einem humoristischen Seufzer beiseit und sagte, während er -sich links zu Wrschowitz wandte: »Wenn ich recht gehört habe -- so ein -bißchen von musikalischem Ohr ist mir geblieben --, so war es Chopin, -was Armgard zu Beginn der Stunde spielte ...« - -Wrschowitz verneigte sich. - -»Chopin, für den ich eine Vorliebe habe, wie für alle Polen, -vorausgesetzt, daß sie Musikanten oder Dichter oder auch -Wissenschaftsmenschen sind. Als Politiker kann ich mich mit ihnen nicht -befreunden. Aber vielleicht nur deshalb nicht, weil ich Deutscher und -sogar Preuße bin.« - -»Sehr warr, sehr warr,« sagte Wrschowitz, mehr gesinnungstüchtig als -artig. - -»Ich darf sagen, daß ich für polnische Musiker, von meinen frühesten -Leutnantstagen an, eine schwärmerische Vorliebe gehabt habe. Da gab es -unter anderm eine Polonaise von Oginski, die damals so regelmäßig und -mit soviel Passion gespielt wurde, wie später der ›Erlkönig‹ oder die -›Glocken von Speier‹. Es war auch die Zeit vom ›Alten Feldherrn‹ und -von ›Denkst du daran, mein tapferer Lagienka‹.« - -»Jawohl, Herr Graff, eine schlechte Zeit. Und warr mir immerdarr eine -besondere Lust zu sehen, wie das Sentimentalle wieder fällt. Immer -merr, immer merr. Ich hasse das Sentimentalle ~de tout mon cœur~.« - -»Worin ich,« sagte Woldemar, »Herrn Doktor Wrschowitz durchaus -zustimme. Wir haben in der Poesie genau dasselbe. Da gab es -auch dergleichen, und ich bekenne, daß ich als Knabe für solche -Sentimentalitäten geschwärmt habe. Meine besondere Schwärmerei war -›König Renés Tochter‹ von Henrik Hertz, einem jungen Kopenhagener, wenn -ich nicht irre ...« - -Wrschowitz verfärbte sich, was Woldemar, als er es wahrnahm, zu -sofortigem raschen Einlenken bestimmte. »... ›König Renés Tochter‹, ein -lyrisches Drama. Aber schon seit lange wieder vergessen. Wir stehen -jetzt im Zeichen von Tolstoj und der Kreutzersonate.« - -»Sehr warr, sehr warr,« sagte der rasch wieder beruhigte Wrschowitz und -nahm nur noch Veranlassung, energisch gegen die Mischung von Kunst und -Sektierertum zu protestieren. - -Woldemar, großer Tolstojschwärmer, wollte für den russischen Grafen -eine Lanze brechen, aber Armgard, die, wenn derartige Themata berührt -wurden, der Salonfähigkeit ihres Freundes Wrschowitz arg mißtraute, -war sofort aufrichtig bemüht, das Gespräch auf harmlosere Gebiete -hinüberzuspielen. Als ein solches friedeverheißendes Gebiet erschien -ihr in diesem Augenblicke ganz eminent die Grafschaft Ruppin, aus deren -abgelegenster Nordostecke Woldemar eben wieder eingetroffen war, und so -sprach sie denn gegen diesen den Wunsch aus, ihn über seinen jüngsten -Ausflug einen kurzen Bericht erstatten zu sehen. »Ich weiß wohl, daß -ich meiner Schwester Melusine (die voll Neugier und Verlangen ist, auch -davon zu hören) einen schlechten Dienst damit leiste; Herr von Stechlin -wird es aber nicht verschmähen, wenn meine Schwester erst wieder da -ist, darauf zurückzukommen. Es braucht ja, wenn man plaudert, nicht -alles absolut neu zu sein. Man darf sich wiederholen. Papa hat auch -einzelnes, das er öfter erzählt.« - -»Einzelnes?« lachte der alte Graf, »meine Tochter Armgard meint -›vieles‹.« - -»Nein, Papa, ich meine einzelnes. Da gibt es denn doch ganz andre, zum -Beispiel unser guter Baron. Und die Baronin sieht auch immer weg, wenn -er anfängt. Aber lassen wir den Baron und seine Geschichten, und hören -wir lieber von Herrn von Stechlins Ausfluge. Doktor Wrschowitz teilt -gewiß meinen Geschmack.« - -»Teile vollkommen.« - -»Also, Herr von Stechlin,« fuhr Armgard fort. »Sie haben nach diesen -Erklärungen unsers Freundes Wrschowitz einen freundlichen Zuhörer mehr, -vielleicht sogar einen begeisterten. Auch für Papa möcht ich mich -verbürgen. Wir sind ja eigentlich selber märkisch oder doch beinah, -und wissen trotzdem so wenig davon, weil wir immer draußen waren. -Ich kenne wohl Saatwinkel und den Grunewald, aber das eigentliche -brandenburgische Land, das ist doch noch etwas andres. Es soll alles so -romantisch sein und so melancholisch, Sand und Sumpf und im Wasser ein -paar Binsen oder eine Birke, dran das Laub zittert. Ist Ihre Ruppiner -Gegend auch so?« - -»Nein, Komtesse, wir haben viel Wald und See, die sogenannte -Mecklenburgische Seenplatte.« - -»Nun, das ist auch gut. Mecklenburg, wie mir die Berchtesgadens erst -neulich versichert haben, hat auch seine Romantik.« - -»Sehr warr. Habe gelesen Stromtid und habe gelesen Franzosentid ...« - -»Und dann glaub ich auch zu wissen,« fuhr Armgard fort, »daß Sie -Rheinsberg ganz in der Nähe haben. Ist es richtig? Und kennen Sie's? Es -soll soviel Interessantes bieten. Ich erinnere mich seiner aus meinen -Kindertagen her, trotzdem wir damals in London lebten. Oder vielleicht -auch gerade deshalb. Denn es war die Zeit, wo das Carlylesche Buch -über Friedrich den Großen immer noch in Mode war, und wo's zum guten -Ton gehörte, sich nicht bloß um die Terrasse von Sanssouci zu kümmern, -sondern auch um Rheinsberg und den Orden ~de la générosité~. Lebt das -alles noch da? Spricht das Volk noch davon?« - -»Nein, Komtesse, das ist alles fort. Und überhaupt, von dem großen -König spricht im Rheinsbergischen niemand mehr, was auch kaum anders -sein kann. Der große König war als Kronprinz nur kurze Zeit da, sein -Bruder Heinrich aber fünfzig Jahre. Und so hat die Prinz-Heinrich-Zeit -beklagenswerterweise die Kronprinzenzeit ganz erdrückt. Aber -beklagenswert doch nicht in allem. Denn Prinz Heinrich war auch -bedeutend und vor allem sehr kritisch. Was doch immer ein Vorzug ist.« - -»Sehr warr, sehr warr,« unterbrach hier Wrschowitz. - -»Er war sehr kritisch,« wiederholte Woldemar. »Namentlich auch gegen -seinen Bruder, den König. Und die Malkontenten, deren es auch damals -schon die Hülle und Fülle gab, waren beständig um ihn herum. Und dabei -kommt immer was heraus.« - -»Sehr warr, sehr warr ...« - -»Denn zufriedene Hofleute sind allemal öd und langweilig, aber die -Frondeurs, wenn +die+ den Mund auftun, da kann man was hören, da tut -sich einem was auf.« - -»Gewiß,« sagte Armgard. »Aber trotzdem, Herr von Stechlin, ich -kann das Frondieren nicht leiden. Frondeur ist doch immer nur der -gewohnheitsmäßig Unzufriedene, und wer immer unzufrieden ist, der taugt -nichts. Immer Unzufriedene sind dünkelhaft und oft boshaft dazu, und -während sie sich über andre lustig machen, lassen sie selber viel zu -wünschen übrig.« - -»Sehr warr, sehr warr, gnädigste Komtesse,« verbeugte sich Wrschowitz. -»Aber, wollen verzeihn, Komtesse, wenn ich trotzdem bin für Frondeur. -Frondeur ist Krittikk, und wo Guttes sein will, muß sein Krittikk. -Deutsche Kunst viel Krittikk. Erst muß sein Kunst, gewiß, gewiß, aber -gleich danach muß sein Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. -Kopf ab aus Prinzipp. Kunst muß haben ein Prinzipp. Und wo Prinzipp is, -is Kopf ab.« - -Alles schwieg, so daß dem Grafen nichts übrigblieb, als etwas verspätet -seine halbe Zustimmung auszudrücken. Armgard ihrerseits beeilte -sich, auf Rheinsberg zurückzukommen, das ihr, trotz des fatalen -Zwischenfalls mit »Kopf ab,« im Vergleich zu vielleicht wiederkehrenden -Musikgesprächen immer noch als wenigstens ein Nothafen erschien. - -»Ich glaube,« sagte sie, »neben manchem andern auch mal von der -Frauenfeindschaft des Prinzen gehört zu haben. Er soll -- irre ich -mich, so werden Sie mich korrigieren -- ein sogenannter Misogyne -gewesen sein. Etwas durchaus Krankhaftes in meinen Augen oder doch -mindestens etwas sehr Sonderbares.« - -»Sehr sonderbarr,« sagte Wrschowitz, während sich, unter huldigendem -Hinblick auf Armgard, sein Gesicht wie verklärte. - -»Wie gut, lieber Wrschowitz,« fuhr Armgard fort, »daß Sie, mein Wort -bestätigend, für uns arme Frauen und Mädchen eintreten. Es gibt immer -noch Ritter, und wir sind ihrer so sehr benötigt. Denn wie mir Melusine -erzählt hat, sind die Weiberfeinde sogar stolz darauf, Weiberfeinde -zu sein, und behandeln ihr Denken und Tun als eine höhere Lebensform. -Kennen Sie solche Leute, Herr von Stechlin? Und wenn Sie solche Leute -kennen, wie denken Sie darüber?« - -»Ich betrachte sie zunächst als Unglückliche.« - -»Das ist recht.« - -»Und zum zweiten als Kranke. Der Prinz, wie Komtesse schon ganz richtig -ausgesprochen haben, war auch ein solcher Kranker.« - -»Und wie äußerte sich das? Oder ist es überhaupt nicht möglich, über -das Thema zu sprechen?« - -»Nicht ganz leicht, Komtesse. Doch in Gegenwart des Herrn Grafen und -nicht zu vergessen auch in Gegenwart von Doktor Wrschowitz, der so -schön und ritterlich gegen die Misogynität Partei genommen, unter -solchem Beistande will ich es doch wagen.« - -»Nun, das freut mich. Denn ich brenne vor Neugier.« - -»Und will auch nicht länger ängstlich um die Sache herumgehen. Unser -Rheinsberger Prinz war ein richtiger Prinz aus dem vorigen Jahrhundert. -Die jetzigen sind Menschen; die damaligen waren +nur+ Prinzen. Eine der -Passionen unsers Rheinsberger Prinzen -- wenn man will, in einer Art -Gegensatz von dem, was schon gesagt wurde -- war eine geheimnisvolle -Vorliebe für jungfräuliche Tote, besonders Bräute. Wenn eine Braut im -Rheinsbergischen, am liebsten auf dem Lande, gestorben war, so lud er -sich zu dem Begräbnis zu Gast. Und eh der Geistliche noch da sein -konnte (den vermied er), erschien er und stellte sich an das Fußende -des Sarges und starrte die Tote an. Aber sie mußte geschminkt sein und -aussehen wie das Leben.« - -»Aber das ist ja schrecklich,« brach es beinahe leidenschaftlich aus -Armgard hervor. »Ich mag diesen Prinzen nicht und seine ganze Fronde -nicht. Denn die müssen ebenso gewesen sein. Das ist ja Blasphemie, das -ist ja Gräberschändung, -- ich muß das Wort aussprechen, weil ich so -empört bin und nicht anders kann.« - -Der alte Graf sah die Tochter an, und ein Freudenstrahl umleuchtete -sein gutes altes Gesicht. Auch Wrschowitz empfand so was von -unbedingter Huldigung, bezwang sich aber und sah, statt auf Armgard, -auf das Bild der Gräfin-Mutter, das von der Wand niederblickte. - -Nur Woldemar blieb ruhig und sagte: »Komtesse, Sie gehen vielleicht zu -weit. Wissen Sie, was in der Seele des Prinzen vorgegangen ist? Es kann -etwas Infernales gewesen sein, aber auch etwas ganz andres. Wir wissen -es nicht. Und weil er nebenher unbedingt große Züge hatte, so bin ich -dafür, ihm das in Rechnung zu stellen.« - -»Bravo, Stechlin,« sagte der alte Graf. »Ich war erst Armgards Meinung. -Aber Sie haben recht, wir wissen es nicht. Und soviel weiß ich noch von -der Juristerei her, in der ich, wohl oder übel, eine Gastrolle gab, -daß man in zweifelhaften Fällen ~in favorem~ entscheiden muß. Übrigens -geht eben die Klingel. An bester Stelle wird ein Gespräch immer -unterbrochen. Es wird Melusine sein. Und so sehr ich gewünscht hätte, -sie wäre von Anfang an mit dabei gewesen, wenn sie jetzt so mit einem -Male dazwischen fährt, ist selbst Melusine eine Störung.« - -Es war wirklich Melusine. Sie trat, ohne draußen abgelegt zu haben, ins -Zimmer, warf das schottische Cape, das sie trug, in eine Sofaecke und -schritt, während sie noch den Hut aus dem Haare nestelte, bis an den -Tisch, um hier zunächst den Vater, dann aber die beiden andern Herren -zu begrüßen. »Ich seh euch so verlegen, woraus ich schließe, daß eben -etwas Gefährliches gesagt worden ist. Also etwas über mich.« - -»Aber, Melusine, wie eitel.« - -»Nun, dann also nicht über mich. Aber über wen? Das wenigstens will ich -wissen. Von wem war die Rede?« - -»Vom Prinzen Heinrich. Aber von dem ganz alten, der schon fast hundert -Jahre tot ist.« - -»Da konntet ihr auch was Besseres tun.« - -»Wenn du wüßtest, was uns Stechlin von ihm erzählt hat, und daß er --- nicht Stechlin, aber der Prinz -- ein Misogyne war, so würdest du -vielleicht anders sprechen.« - -»Misogyne. Das freilich ändert die Sache. Ja, lieber Stechlin, da kann -ich Ihnen nicht helfen, davon muß ich auch noch hören. Und wenn Sie -mir's abschlagen, so wenigstens was Gleichwertiges.« - -»Gräfin Melusine, was Gleichwertiges gibt es nicht.« - -»Das ist gut, sehr gut, weil es so wahr ist. Aber dann bitt ich um -etwas zweiten Ranges. Ich sehe, daß Sie von Ihrem Ausfluge erzählt -haben, von Ihrem Papa, von Schloß Stechlin selbst oder von Ihrem Dorf -und Ihrer Gegend. Und davon möcht ich auch hören, wenn es auch freilich -nicht an das andre heranreicht.« - -»Ach, Gräfin, Sie wissen nicht, wie bescheiden es mit unserm Stechliner -Erdenwinkel bestellt ist. Wir haben da, von einem Pastor abgesehen, -der beinah Sozialdemokrat ist, und des weiteren von einem Oberförster -abgesehen, der eine Prinzessin, eine Ippe-Büchsenstein, geheiratet -hat ...« - -»Aber das ist ja alles großartig ...« - -»Wir haben da, von diesen zwei Sehenswürdigkeiten abgesehen, eigentlich -nur noch den ›Stechlin‹. Der ginge vielleicht, über den ließe sich -vielleicht etwas sagen.« - -»Den ›Stechlin?‹ Was ist das? Ich bin so glücklich zu wissen« (und sie -machte verbindlich eine Handbewegung auf Woldemar zu), »ich bin so -glücklich, zu wissen, daß es Stechline gibt. Aber der Stechlin! Was ist -der Stechlin?« - -»Das ist ein See.« - -»Ein See. Das besagt nicht viel. Seen, wenn es nicht grade der -Vierwaldstätter ist, werden immer erst interessant durch ihre Fische, -durch Sterlet oder Felchen. Ich will nicht weiter aufzählen. Aber was -hat der Stechlin? Ich vermute, Steckerlinge.« - -»Nein, Gräfin, die hat er nun gerade nicht. Er hat genau das, was -Sie geneigt sind am wenigsten zu vermuten. Er hat Weltbeziehungen, -vornehme, geheimnisvolle Beziehungen, und nur alles Gewöhnliche, wie -beispielsweise Steckerlinge, hat er nicht. Steckerlinge fehlen ihm.« - -»Aber, Stechlin, Sie werden doch nicht den Empfindlichen spielen. -Rittmeister in der Garde!« - -»Nein, Gräfin. Und außerdem, den wollt ich sehen, der das Ihnen -gegenüber zuwege brächte.« - -»Nun dann also, was ist es? Worin bestehen seine vornehmen Beziehungen?« - -»Er steht mit den höchsten und allerhöchsten Herrschaften, deren -genealogischer Kalender noch über den Gothaischen hinauswächst, auf -du und du. Und wenn es in Java oder auf Island rumort oder der Geiser -mal in Doppelhöhe dampft und springt, dann springt auch in unserm -Stechlin ein Wasserstrahl auf, und einige (wenn es auch noch niemand -gesehen hat), einige behaupten sogar, in ganz schweren Fällen erscheine -zwischen den Strudeln ein roter Hahn und krähe hell und weckend in die -Ruppiner Grafschaft hinein. Ich nenne das vornehme Beziehungen.« - -»Ich auch,« sagte Melusine. - -Wrschowitz aber, dessen Augen immer größer geworden waren, murmelte vor -sich hin: »Sehr warr, sehr warr.« - - - - -Vierzehntes Kapitel - - -Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar seinen Besuch im Barbyschen -Hause gemacht hatte. Schon am Mittwoch früh empfing er ein Billett von -Melusine. - -»Lieber Freund. Lassen Sie mich Ihnen noch nachträglich mein Bedauern -aussprechen, daß ich vorgestern nur gerade noch die letzte Szene -des letzten Aktes (Geschichte vom Stechlin) miterleben konnte. Mich -verlangt es aber lebhaft, mehr davon zu wissen. In unsrer sogenannten -großen Welt gibt es so wenig, was sich zu sehen und zu hören verlohnt; -das meiste hat sich in die stillen Winkel der Erde zurückgezogen. Allen -vorauf, wie mir scheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette, Sie -haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann nur wiederholen, -ich möchte davon hören. Unsre gute Baronin, der ich davon erzählt -habe, denkt ebenso; sie hat den Zug aller naiven und liebenswürdigen -Frauen, neugierig zu sein. Ich, ohne die genannten Vorbedingungen zu -erfüllen, bin ihr trotzdem an Neugier gleich. Und so haben wir denn -eine Nachmittagspartie verabredet, bei der Sie der große Erzähler sein -sollen. In der Regel freilich verläuft es anders wie gedacht, und man -hört nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber in unserm -guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin hat mir etwas vorgeschwärmt -von einer Gegend, die sie ›Oberspree‹ nannte (die vielleicht auch -wirklich so heißt), und wo's so schön sein soll, daß sich die -Havelherrlichkeiten daneben verstecken müssen. Ich will es ihr glauben, -und jedenfalls werd ich es ihr nachträglich versichern, auch wenn ich -es nicht gefunden haben sollte. Das Ziel unsrer Fahrt -- ein Punkt, -den übrigens die Berchtesgadens noch nicht kennen; sie waren bisher -immer erheblich weiter flußaufwärts -- das Ziel unsrer Reise hat einen -ziemlich sonderbaren Namen und heißt das ›Eierhäuschen‹. Ich werde -seitdem die Vorstellung von etwas Ovalem nicht los und werde wohl erst -geheilt sein, wenn sich mir die so sonderbar benamste Spreeschönheit -persönlich vorgestellt haben wird. Also morgen, Donnerstag: -Eierhäuschen. Ein ›Nein‹ gibt es natürlich nicht. Abfahrt vier Uhr, -Jannowitzbrücke. Papa begleitet uns; es geht ihm seit heut um vieles -besser, so daß er sich's zutraut. Vielleicht ist vier etwas spät; aber -wir haben dabei, wie mir Lizzi sagt, den Vorteil, auf der Rückfahrt -die Lichter im Wasser sich spiegeln zu sehen. Und vielleicht ist auch -irgendwo Feuerwerk, und wir sehen dann die Raketen steigen. Armgard -ist in Aufregung, fast auch ich. ~Au revoir.~ Eines Herrn Rittmeisters -wohlaffektionierte - - Melusine.« - - * * * * * - -Nun war der andre Nachmittag da, und kurz vor vier Uhr fuhren -erst die Berchtesgadens und gleich danach auch die Barbys bei -der Jannowitzbrücke vor. Woldemar wartete schon. Alle waren in -jener heitern Stimmung, in der man geneigt ist, alles schön und -reizend zu finden. Und diese Stimmung kam denn auch gleich der -Dampfschiffahrtsstation zustatten. Unter lachender Bewunderung der sich -hier darbietenden Holzarchitektur stieg man ein Gewirr von Stiegen -und Treppen hinab und schritt, unten angekommen, an den um diese -Stunde noch leeren Tischen eines hier etablierten »Lokals« vorüber, -unmittelbar auf das Schiff zu, dessen Glocke schon zum erstenmal -geläutet hatte. Das Wetter war prachtvoll, flußaufwärts alles klar und -sonnig, während über der Stadt ein dünner Nebel lag. Zu beiden Seiten -des Hinterdecks nahm man auf Stühlen und Bänken Platz und sah von hier -aus auf das verschleierte Stadtbild zurück. - -»Da heißt es nun immer,« sagte Melusine, »Berlin sei so kirchenarm; -aber wir werden bald Köln und Mainz aus dem Felde geschlagen haben. -Ich sehe die Nikolaikirche, die Petrikirche, die Waisenkirche, -die Schloßkuppel, und das Dach da, mit einer Art von chinesischer -Deckelmütze, das ist, glaub ich, der Rathausturm. Aber freilich, ich -weiß nicht, ob ich den mitrechnen darf.« - -»Turm ist Turm,« sagte die Baronin. »Das fehlte so gerade noch, daß man -dem armen alten Berlin auch seinen Rathausturm als Turm abstritte. Man -eifersüchtelt schon genug.« - -Und nun schlug es vier. Von der Parochialkirche her klang das -Glockenspiel, die Schiffsglocke läutete dazwischen, und als diese -wieder schwieg, wurde das Brett aufgeklappt, und unter einem schrillen -Pfiff setzte sich der Dampfer auf das mittlere Brückenjoch zu in -Bewegung. - - * * * * * - -Oben, in Nähe der Jannowitzbrücke, hielten immer noch die beiden -herrschaftlichen Wagen, die's für angemessen erachten mochten, ehe sie -selber aufbrachen, zuvor den Aufbruch des Schiffes abzuwarten, und -erst als dieses unter der Brücke verschwunden war, fuhr der gräflich -Barbysche Kutscher neben den freiherrlich Berchtesgadenschen, um -mit diesem einen Gruß auszutauschen. Beide kannten sich seit lange, -schon von London her, wo sie bei denselben Herrschaften in Dienst -gestanden hatten. In diesem Punkte waren sie sich gleich, sonst -aber so verschieden wie nur möglich, auch schon in ihrer äußeren -Erscheinung. Imme, der Barbysche Kutscher, ein ebenso martialisch wie -gutmütig dreinschauender Mecklenburger, hätte mit seinem angegrauten -Sappeurbart ohne weiteres vor eine Gardetruppe treten und den Zug als -Tambourmajor eröffnen können, während der Berchtesgadensche, der seine -Jugend als Trainer und halber Sportsmann zugebracht hatte, nicht bloß -einen englischen Namen führte, sondern auch ein typischer Engländer -war, hager, sehnig, kurz geschoren und glatt rasiert. Seine Glotzaugen -hatten etwas Stupides; er war aber trotzdem klug genug und wußte, -wenn's galt, seinem Vorteil nachzugehen. Das Deutsche machte ihm noch -immer Schwierigkeiten, trotzdem er sich aufrichtige Mühe damit gab und -sogar das bequeme Zuhilfenehmen englischer Wörter vermied, am meisten -dann, wenn er sich die Berlinerinnen seiner Bekanntschaft abquälen sah, -ihm mit »~well, well, Mr. Robinson~« oder gar mit einem geheimnisvollen -»~indeed~« zu Hilfe zu kommen. Nur mit dem einen war er einverstanden, -daß man ihn »Mr. Robinson« nannte. Das ließ er sich gefallen. - -»~Now, Mr. Robinson~,« sagte Imme, als sie Bock an Bock nebeneinander -hielten, »~how are you? I hope quite well.~« - -»Danke, Mr. Imme, danke! Was macht die Frau?« - -»Ja, Robinson, da müssen Sie, denk ich, selber nachsehen, und zwar -gleich heute, wo die Herrschaften fort sind und erst spät wiederkommen. -Noch dazu mit der Stadtbahn. Wenigstens von hier aus, Jannowitzbrücke. -Sagen wir also neun; eher sind sie nicht zurück. Und bis dahin haben -wir einen guten Skat. Hartwig als dritter wird schon kommen; Portiers -können immer. Die Frau zieht ebensogut die Tür auf wie er, und weiter -ist es ja nichts. Also Klocker fünf: ein ›Nein‹ gilt nicht; ~where -there is a will, there is a way~. Ein bißchen ist doch noch hängen -geblieben von ~dear old England~.« - -»Danke, Mr. Imme,« sagte Robinson, »danke! Ja, Skat ist das Beste von -~all Germany~. Komme gern. Skat ist noch besser als Bayrisch.« - -»Hören Sie, Robinson, ich weiß doch nicht, ob das stimmt. Ich denke -mir, so beides zusammen, das ist das Wahre. ~That's it.~« - -Robinson war einverstanden, und da beide weiter nichts auf dem Herzen -hatten, so brach man hier ab und schickte sich an, die Rückfahrt in -einem mäßig raschen Trab anzutreten, wobei der Berchtesgadensche -Kutscher den Weg über Molkenmarkt und Schloßplatz, der Barbysche den -auf die Neue Friedrichstraße nahm. Jenseits der Friedrichsbrücke hielt -sich dieser dann dicht am Wasser hin und kam so am bequemsten bis an -sein Kronprinzenufer. - - * * * * * - -Der Dampfer, gleich nachdem er das Brückenjoch passiert hatte, setzte -sich in ein rascheres Tempo, dabei die linke Flußseite haltend, so daß -immer nur eine geringe Entfernung zwischen dem Schiff und den sich -dicht am Ufer hinziehenden Stadtbahnbögen war. Jeder Bogen schuf den -Rahmen für ein dahinter gelegenes Bild, das natürlich die Form einer -Lunette hatte. Mauerwerk jeglicher Art, Schuppen, Zäune zogen in buntem -Wechsel vorüber, aber in Front aller dieser der Alltäglichkeit und der -Arbeit dienenden Dinge zeigte sich immer wieder ein Stück Gartenland, -darin ein paar verspätete Malven oder Sonnenblumen blühten. Erst als -man die zweitfolgende Brücke passiert hatte, traten die Stadtbahnbögen -so weit zurück, daß von einer Ufereinfassung nicht mehr die Rede sein -konnte; statt ihrer aber wurden jetzt Wiesen und pappelbesetzte Wege -sichtbar, und wo das Ufer kaiartig abfiel, lagen mit Sand beladene -Kähne, große Zillen, aus deren Innerem eine baggerartige Vorrichtung -die Kies- und Sandmassen in die dicht am Ufer hin etablierten -Kalkgruben schüttete. Es waren dies die Berliner Mörtelwerke, die hier -die Herrschaft behaupteten und das Uferbild bestimmten. - -Unsre Reisenden sprachen wenig, weil unter dem raschen Wechsel der -Bilder eine Frage die andre zurückdrängte. Nur als der Dampfer -an Treptow vorüber zwischen den kleinen Inseln hinfuhr, die hier -mannigfach aus dem Fluß aufwachsen, wandte sich Melusine an Woldemar -und sagte: »Lizzi hat mir erzählt, hier zwischen Treptow und Stralau -sei auch die ›Liebesinsel‹; da stürben immer die Liebespaare, meist mit -einem Zettel in der Hand, drauf alles stünde. Trifft das zu?« - -»Ja, Gräfin, soviel ich weiß, trifft es zu. Solche Liebesinseln gibt -es übrigens vielfach in unsrer Gegend und kann als Beweis gelten, wie -weitverbreitet der Zustand ist, dem abgeholfen werden soll, und wenn's -auch durch Sterben wäre.« - -»Das nehm ich Ihnen übel, daß Sie darüber spotten. Und Armgard wird -es noch mehr tun, weil sie gefühlvoller ist als ich. Zudem sollten Sie -wissen, daß sich so was rächt.« - -»Ich weiß es. Aber Sie lesen auch durchaus falsch in meiner Seele. -Sicher haben Sie mal gehört, daß der, der Furcht hat, zu singen -anfängt, und wer nicht singen kann, nun, der witzelt eben. Übrigens, so -schön ›Liebesinsel‹ klingt, der Zauber davon geht wieder verloren, wenn -Sie sich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen. Die sich so mächtig -hier verbreiternde Spreefläche heißt nämlich der ›Rummelsburger‹ See.« - -»Freilich nicht hübsch; das kann ich zugeben. Aber die Stelle selbst -ist schön, und Namen bedeuten nichts.« - -»Wer Melusine heißt, sollte wissen, was Namen bedeuten.« - -»Ich weiß es leider. Denn es gibt Leute, die sich vor ›Melusine‹ -fürchten.« - -»Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr noch eine Huldigung ist.« - -Unter diesem Gespräche waren sie bis über die Breitung der Spree hinaus -gekommen und fuhren wieder in das schmaler werdende Flußbett ein. -An beiden Ufern hörten die Häuserreihen auf, sich in dünnen Zellen -hinzuziehen, Baumgruppen traten in nächster Nähe dafür ein, und weiter -landeinwärts wurden aufgeschüttete Bahndämme sichtbar, über die hinweg -die Telegraphenstangen ragten und ihre Drähte von Pfahl zu Pfahl -spannten. Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, stand ein -Schilfgürtel, aus dessen Dickicht vereinzelte Krickenten aufflogen. - -»Es ist doch weiter, als ich dachte,« sagte Melusine. »Wir sind ja -schon wie in halber Einsamkeit. Und dabei wird es frisch. Ein Glück, -daß wir Decken mitgenommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder -gibt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum denken, daß wir zu -sechs in einem Eierhäuschen Platz haben.« - -»Ach, Frau Gräfin, ich sehe, Sie rechnen auf etwas extrem Idyllisches -und erwarten, wenn wir angelangt sein werden, einen Mischling von -Kiosk und Hütte. Da harrt Ihrer aber eine grausame Enttäuschung. -Das Eierhäuschen ist ein sogenanntes ›Lokal‹, und wenn uns die Lust -anwandelt, so können wir da tanzen oder eine Volksversammlung abhalten. -Raum genug ist da. Sehen Sie, das Schiff wendet sich schon, und der -rote Bau da, der zwischen den Pappelweiden mit Turm und Erker sichtbar -wird, das ist das Eierhäuschen.« - -»O weh! Ein Palazzo,« sagte die Baronin und war auf dem Punkt, ihrer -Mißstimmung einen Ausdruck zu geben. Aber ehe sie dazu kam, schob -sich das Schiff schon an den vorgebauten Anlegesteg, über den hinweg -man, einen Uferweg einschlagend, auf das Eierhäuschen zuschritt. -Dieser Uferweg setzte sich, als man das Gartenlokal endlich erreicht -hatte, jenseits desselben noch eine gute Strecke fort, und weil -die wundervolle Frische dazu einlud, beschloß man, ehe man sich im -Eierhäuschen selber niederließ, zuvor noch einen gemeinschaftlichen -Spaziergang am Ufer hin zu machen. Immer weiter flußaufwärts. - -Der Enge des Weges halber ging man zu zweien, vorauf Woldemar mit -Melusine, dann die Baronin mit Armgard. Erheblich zurück erst -folgten die beiden älteren Herren, die schon auf dem Dampfschiff -ein politisches Gespräch angeschnitten hatten. Beide waren liberal, -aber der Umstand, daß der Baron ein Bayer und unter katholischen -Anschauungen aufgewachsen war, ließ doch beständig Unterschiede -hervortreten. - -»Ich kann Ihnen nicht zustimmen, lieber Graf. Alle Trümpfe heut, und -zwar mehr denn je, sind in des Papstes Hand. Rom ist ewig und Italien -nicht so fest aufgebaut, als es die Welt glauben machen möchte. Der -Quirinal zieht wieder aus, und der Vatikan zieht wieder ein. Und was -dann?« - -»Nichts, lieber Baron. Auch dann nicht, wenn es wirklich dazu kommen -sollte, was, glaub ich, ausgeschlossen ist.« - -»Sie sagen das so ruhig, und ruhig ist man nur, wenn man sicher ist. -Sind Sie's? Und wenn Sie's sind, dürfen Sie's sein? Ich wiederhole, die -letzten Entscheidungen liegen immer bei dieser Papst- und Rom-Frage.« - -»Lagen einmal. Aber damit ist es gründlich vorbei, auch in Italien -selbst. Die letzten Entscheidungen, von denen Sie sprechen, liegen -heutzutage ganz wo anders, und es sind bloß ein paar Ihrer Zeitungen, -die nicht müde werden, der Welt das Gegenteil zu versichern. Alles -bloße Nachklänge. Das moderne Leben räumt erbarmungslos mit all dem -Überkommenen auf. Ob es glückt, ein Nilreich aufzurichten, ob Japan -ein England im Stillen Ozean wird, ob China mit seinen vierhundert -Millionen aus dem Schlaf aufwacht und, seine Hand erhebend, uns und -der Welt zuruft: ›Hier bin ich,‹ allem vorauf aber, ob sich der vierte -Stand etabliert und stabiliert (denn darauf läuft doch in ihrem -vernünftigen Kern die ganze Sache hinaus) -- das alles fällt ganz -anders ins Gewicht als die Frage ›Quirinal oder Vatikan‹. Es hat sich -überlebt. Und anstaunenswert ist nur das eine, daß es überhaupt noch so -weiter geht. Das ist der Wunder größtes.« - -»Und das sagen Sie, der Sie zeitweilig den Dingen so nahe gestanden?« - -»+Weil+ ich ihnen so nahe gestanden.« - - * * * * * - -Auch die beiden voranschreitenden Paare waren in lebhaftem Gespräch. - -An dem schon in Dämmerung liegenden östlichen Horizont stiegen -die Fabrikschornsteine von Spindlersfelde vor ihnen auf, und die -Rauchfahnen zogen in langsamem Zuge durch die Luft. - -»Was ist das?« fragte die Baronin, sich an Woldemar wendend. - -»Das ist Spindlersfelde.« - -»Kenn ich nicht.« - -»Doch vielleicht, gnädigste Frau, wenn Sie hören, daß in eben diesem -Spindlersfelde der für die weibliche Welt so wichtige Spindler seine -geheimnisvollen Künste treibt. Besser noch seine verschwiegenen. Denn -unsre Damen bekennen sich nicht gern dazu.« - -»So, der! Ja, dieser unser Wohltäter, den wir -- Sie haben ganz recht --- in unserm Undank so gern unterschlagen. Aber dies Unterschlagen hat -doch auch wieder sein Verzeihliches. Wir tun jetzt (leider) so vieles, -was wir, nach einer alten Anschauung, eigentlich nicht tun sollten. Es -ist, mein ich, nicht passend, auf einem Pferdebahnperron zu stehen, -zwischen einem Schaffner und einer Kiepenfrau, und es ist noch weniger -passend, in einem Fünfzigpfennigbasar allerhand Einkäufe zu machen und -an der sich dabei aufdrängenden Frage: ›Wodurch ermöglichen sich diese -Preise?‹ still vorbeizugehen. Unser Freund in Spindlersfelde da drüben -degradiert uns vielleicht auch durch das, was er so hilfreich für uns -tut. Armgard, wie denken Sie darüber?« - -»Ganz wie Sie, Baronin.« - -»Und Melusine?« - -Diese gab kopfschüttelnd die Frage weiter und drang darauf, daß die -beiden älteren Herren, die mittlerweile herangekommen waren, den -Ausschlag geben sollten. Aber der alte Graf wollte davon nichts wissen. -»Das sind Doktorfragen. Auf derlei Dinge lass' ich mich nicht ein. Ich -schlage vor, wir machen lieber kehrt und suchen uns im Eierhäuschen -einen hübschen Platz, von dem aus wir das Leben auf dem Fluß beobachten -und hoffentlich auch den Sonnenuntergang gut sehen können.« - - * * * * * - -Ziemlich um dieselbe Stunde, wo die Barbyschen und Berchtesgadenschen -Herrschaften ihren Spaziergang auf Spindlersfelde zu machten, erschien -unser Freund Mr. Robinson, von seinem Stallgebäude her, in Front der -Lennéstraße, sah erst gewohnheitsmäßig nach dem Wetter und ging dann -quer durch den Tiergarten auf das Kronprinzenufer zu, wo die Immes ihn -bereits erwarteten. - -Frau Imme, die, wie die meisten kinderlosen Frauen (und Frauen -mit Sappeurbartmännern sind fast immer kinderlos), einen großen -Wirtschafts- und Sauberkeitssinn hatte, hatte zu Mr. Robinsons Empfang -alles in die schönste Ordnung gebracht, um so mehr, als sie wußte, daß -ihr Gast, als ein verwöhnter Engländer, immer der Neigung nachgab, -alles Deutsche, wenn auch nur andeutungsweise, zu bemängeln. Es lag -ihr daran, ihn fühlen zu lassen, daß man's hier auch verstehe. So war -denn von ihr nicht bloß eine wundervolle Kaffeeserviette, sondern auch -eine silberne Zuckerdose mit Streuselkuchentellern links und rechts -aufgestellt worden. Frau Imme konnte das alles und noch mehr infolge -der bevorzugten Stellung, die sie von langer Zeit her bei den Barbys -einnahm, zu denen sie schon als fünfzehnjähriges junges Ding gekommen -und in deren Dienst sie bis zu ihrer Verheiratung geblieben war. Auch -jetzt noch hingen beide Damen an ihr, und mit Hilfe Lizzis, die, so -diskret sie war, doch gerne plauderte, war Frau Imme jederzeit über -alles unterrichtet, was im Vorderhause vorging. Daß der Rittmeister -sich für die Damen interessierte, wußte sie natürlich wie jeder andre, -nur nicht -- auch darin wie jeder andre --, für welche. - -Ja, für welche? - -Das war die große Frage, selbst für Mr. Robinson, der regelmäßig, wenn -er die Immes sah, sich danach erkundigte. Dazu kam es denn auch heute -wieder, und zwar sehr bald nach seinem Eintreffen. - -Eine große Familientasse mit einem in Front eines Tempels den Bogen -spannenden Amor war vor ihn hingestellt worden, und als er dem -Streuselkuchen (für den er eine so große Vorliebe hatte, daß er -regelmäßig erklärte, so was gäb es in den vereinigten drei Königreichen -nicht) -- als er dem Streusel liebevoll und doch auch wieder maßvoll -zugesprochen hatte, betrachtete er das Bild auf der großen Tasse, -zeigte, was bei seiner Augenbeschaffenheit etwas Komisches hatte, -schelmisch lächelnd auf den bogenspannenden Amor und sagte: »Hier -hinten ein Tempel und hier vorn ein Lorbeerbusch. Und hier ~this little -fellow with his arrow~. Ich möchte mir die Frage gestatten -- Sie sind -eine so kluge Frau, Frau Imme --: wird er den Pfeil fliegen lassen oder -nicht, und wenn er den Pfeil fliegen läßt, ist es die Priesterin, die -hier neben dem Lorbeer steht, oder ist es eine andre?« - -»Ja, Mr. Robinson,« sagte Frau Imme, »darauf ist schwer zu antworten. -Denn erstens wissen wir nicht, was er überhaupt vorhat, und dann -wissen wir auch nicht: wer ist die Priesterin? Ist die Komtesse die -Priesterin, oder ist die Gräfin die Priesterin? Ich glaube, wer schon -verheiratet war, kann wohl eigentlich nicht Priesterin sein.« - -»Ach,« sagte Imme, in dem sich der naturwüchsige Mecklenburger regte, -»sein kann alles. Über so was wächst Gras. Ich glaube, es is die -Gräfin.« - -Robinson nickte. »Glaub ich auch. ~And what's the reason, dear~ Mrs. -Imme? Weil Witib vor Jungfrau geht. Ich weiß wohl, es ist immer viel -die Rede von ~virginity~, aber ~widow~ ist mehr als ~virgin~.« - -Frau Imme, die nur halb verstanden hatte, verstand doch genug, um zu -kichern, was sie übrigens sittsam mit der Bemerkung begleitete, sie -habe so was von Mr. Robinson nicht geglaubt. - -Robinson nahm es als Huldigung und trat, nachdem er sich mit Erlaubnis -der »Lady« ein kurzes Pfeifchen mit türkischem Tabak angesteckt hatte, -an ein Fensterchen, in dessen mit einer kleinen Laubsäge gemachten -Blumenkasten rote Verbenen blühten, und sagte, während er auf den -Hof mit seinen drei Akazienbäumen herunterblickte: »Wer ist denn der -hübsche Junge da, der da mit seinem ~hoop~ spielt? Hier sagen sie -Reifen.« - -»Das is ja Hartwigs Rudolf,« sagte Frau Imme. »Ja, der Junge hat viel -Chic. Und wie er da mit dem Reifen spielt und die Hedwig immer hinter -ihm her, wiewohl sie doch beinahe seine Mutter sein könnte. Na, ich -freue mich immer, wenn ich ausgelassene Menschen sehe, und wenn Hartwig -kommt -- ich wundere mich bloß, daß er noch nicht da ist --, da können -Sie ihm ja sagen, wie hübsch Sie die verwöhnte kleine Range finden. Das -wird ihn freuen; er ist furchtbar eitel. Alle Portiersleute sind eitel. -Aber das muß wahr sein, es ist ein reizender Junge.« - -Während sie noch so sprachen, erschien Hartwig, auf den Imme, -skatdurstig, schon seit einer Viertelstunde gewartet hatte, und keine -drei Minuten mehr, so war auch Hedwig da, die sich bis kurz vorher mit -ihrem kleinen Cousin Rudolf in dem Hof unten abgeäschert hatte. Beide -wurden mit gleicher Herzlichkeit empfangen, Hartwig, weil nach seinem -Erscheinen die Skatpartie beginnen konnte, Hedwig, weil Frau Imme -nun gute Gesellschaft hatte. Denn Hedwig konnte wundervoll erzählen -und brachte jedesmal Neuigkeiten mit. Sie mochte vierundzwanzig -sein, war immer sehr sauber gekleidet und von heiter-übermütigem -Gesichtsausdruck. Dazu krauses, kastanienbraunes Haar. Es traf sich, -daß sie mal wieder außer Dienst war. - -»Nun, das ist recht, Hedwig, daß du kommst,« sagte Frau Imme. »Rudolfen -hab ich eben erst gefragt, wo du geblieben wärst, denn ich habe dich ja -mit ihm spielen sehen; aber solch Junge weiß nie was; der denkt bloß -immer an sich, und ob er sein Stück Kuchen kriegt. Na, wenn er kommt, -er soll's haben; Robinson ißt immer so wenig, wiewohl er den Streusel -ungeheuer gern mag. Aber so sind die Engländer, sie sind nicht so -zugreifsch, und dann geniert sich mein Imme auch, und die Hälfte bleibt -übrig. Na, jedenfalls is es nett, daß du wieder da bist. Ich habe dich -ja seit deinem letzten Dienst noch gar nicht ordentlich gesehen. Es war -ja wohl ne Hofrätin? Na, Hofrätinnen, die kenn ich. Aber es gibt auch -gute. Wie war +er+ denn?« - -»Na, mit +ihm+ ging es.« - -»Deine krausen Haare werden wohl wieder schuld sein. Die können manche -nicht vertragen. Und wenn dann die Frau was merkt, dann is es vorbei.« - -»Nein, so war es nicht. Er war ein sehr anständiger Mann. Beinahe zu -sehr.« - -»Aber, Kind, wie kannst du nur so was sagen? Wie kann einer +zu+ -anständig sein?« - -»Ja, Frau Imme. Wenn einen einer gar nicht ansieht, das ist einem auch -nicht recht.« - -»Ach, Hedwig, was du da bloß so redst! Und wenn ich nich wüßte, daß du -gar nich so bist ... Aber was war es denn?« - -»Ja, Frau Imme, was soll ich sagen, was es war; es is ja immer wieder -dasselbe. Die Herrschaften können einen nicht richtig unterbringen. -Oder wollen auch nich. Immer wieder die Schlafstelle oder, wie manche -hier sagen, die Schlafgelegenheit.« - -»Aber, Kind, wie denn? Du mußt doch ne Gelegenheit zum Schlafen haben.« - -»Gewiß, Frau Imme. Und ne Gelegenheit, so denkt mancher, is ne -Gelegenheit. Aber gerade +die+, die hat man nich. Man ist müde zum -Umfallen und kann doch nicht schlafen.« - -»Versteh ich nich.« - -»Ja, Frau Imme, das macht, weil Sie von Kindesbeinen an immer bei so -gute Herrschaften waren, und mit Lizzi is es jetzt wieder ebenso. -Die hat es auch gut un is, wie wenn sie mit dazu gehörte. Meine -Tante Hartwig erzählt mir immer davon. Und einmal hab ich es auch so -gut getroffen. Aber bloß das eine Mal. Sonst fehlt eben immer die -Schlafgelegenheit.« - -Frau Imme lachte. - -»Sie lachen darüber, Frau Imme. Das is aber nich recht, daß Sie lachen. -Glauben Sie mir, es is eigentlich zum Weinen. Und mitunter hab ich -auch schon geweint. Als ich nach Berlin kam, da gab es ja noch die -Hängeböden.« - -»Kenn ich, kenn ich; das heißt, ich habe davon gehört.« - -»Ja, wenn man davon gehört hat, das is nich viel. Man muß sie richtig -kennen lernen. Immer sind sie in der Küche, mitunter dicht am Herd oder -auch gerade gegenüber. Und nun steigt man auf eine Leiter, und wenn man -müde is, kann man auch runterfallen. Aber meistens geht es. Und nun -macht man die Tür auf und schiebt sich in das Loch hinein, ganz so wie -in einen Backofen. Das is, was sie ne Schlafgelegenheit nennen. Und -ich kann Ihnen bloß sagen: auf einem Heuboden is es besser, auch wenn -Mäuse da sind. Und am schlimmsten is es im Sommer. Draußen sind dreißig -Grad, und auf dem Herd war den ganzen Tag Feuer; da is es denn, als ob -man auf den Rost gelegt würde. So war es, als ich nach Berlin kam. Aber -ich glaube, sie dürfen jetzt so was nich mehr bauen. Polizeiverbot. -Ach, Frau Imme, die Polizei is doch ein rechter Segen. Wenn wir die -Polizei nich hätten (und sie sind auch immer so artig gegen einen), so -hätten wir gar nichts. Mein Onkel Hartwig, wenn ich ihm so erzähle, -daß man nicht schlafen kann, der sagt auch immer: ›Kenn ich, kenn ich; -der Bourgeois tut nichts für die Menschheit. Und wer nichts für die -Menschheit tut, der muß abgeschafft werden.‹« - -»Ja, dein Onkel spricht so. Und war es denn bei deinem Hofrat, wo du nu -zuletzt warst, auch so?« - -»Nein, bei Hofrats war es +nicht+ so. Die wohnten ja auch in einem -ganz neuen Hause. Hofrats waren Trockenwohner. Und in dem, was jetzt -die neuen Häuser sind, da kommen, glaub ich, die Hängeböden gar nicht -mehr vor; da haben sie bloß noch die Badestuben.« - -»Nu, das is aber doch ein Fortschritt.« - -»Ja, das kann man sagen; Badestube als Badestube ist ein Fortschritt -oder, wie Onkel Hartwig immer sagt, ein Kulturfortschritt. Er hat -meistens solche Wörter. Aber Badestube als Schlafgelegenheit is kein -Fortschritt.« - -»Gott, Kind, sie werden dich aber doch nich in eine Badewanne gepackt -haben?« - -»I bewahre. Das tun sie schon der Badewanne wegen nich. Da werden sie -sich hüten. Aber ... Ach, Frau Imme, ich kann nur immer wieder sagen, -Sie wissen nich Bescheid; Sie hatten es gut, wie Sie noch unverheiratet -waren, und nu haben Sie's erst recht gut. Sie wohnen hier wie in einer -kleinen Sommerwohnung, un daß es ein bißchen nach Pferde riecht, das -schadet nich; das Pferd is ein feines und reinliches Tier, und all -seine Verrichtungen sind so edel. Man sagt ja auch: das edle Pferd. Und -außerdem soll es so gesund sein, fast so gut wie Kuhstall, womit sie ja -die Schwindsucht kurieren. Und dazu haben Sie hier den Blick auf die -Kugelakazien und drüben auf das Marinepanorama, wo man sehen kann, wie -alles is, und dahinter haben Sie den Blick auf die Kunstausstellung, wo -es so furchtbar zieht, bloß damit man immer frische Luft hat. Aber bei -Hofrats ... Nein, diese Badestube!« - -»Gott, Hedwig,« sagte Frau Imme, »du tust ja, wie wenn es eine -Mördergrube oder ein Verbrecherkeller gewesen wäre.« - -»Verbrecherkeller? Ach, Frau Imme, das is ja gar nichts. Ich habe -Verbrecherkeller gesehen, natürlich bloß zufällig. Da trinken sie -Weißbier und spielen Sechsundsechzig. Und in einer Ecke wird was -ausbaldowert, aber davon merkt man nichts.« - -»Und die Badestube ... warum is sie dir denn so furchtbar, daß du dich -ordentlich schudderst? Der Mensch muß doch am Ende baden können.« - -»Ach was, baden! natürlich. Aber ne Badestube is nie ne Badestube. -Wenigstens hier nicht. Eine Badestube is ne Rumpelkammer, wo man -alles unterbringt, alles, wofür man sonst keinen Platz hat. Und -dazu gehört auch ein Dienstmädchen. Meine eiserne Bettstelle, die -abends aufgeklappt wurde, stand immer neben der Badewanne, drin alle -alten Bier- und Weinflaschen lagen. Und nun drippten die Neigen aus. -Und in der Ecke stand ein Bettsack, drin die Fräuleins ihre Wäsche -hineinstopften, und in der andern Ecke war eine kleine Tür. Aber -davon will ich zu Ihnen nicht sprechen, weil ich einen Widerwillen -gegen Unanständigkeiten habe, weshalb schon meine Mutter immer sagte: -›Hedwig, du wirst noch Jesum Christum erkennen lernen.‹ Und ich muß -sagen, das hat sich bei Hofrats denn auch erfüllt. Aber fromm waren sie -weiter nich.« - -Während Hedwig noch so weiter klagte, hörte man, daß draußen die -Klingel ging, und als Frau Imme öffnete, stand Rudolf auf dem kleinen -Flur und sagte, daß er Vatern holen solle und Hedwigen auch; Mutter -müsse weg. - -»Na,« sagte Frau Imme, »dann komm nur, Rudolf, un iß erst ein Stück -Streusel und bestell es nachher bei deinem Vater.« - -Bald danach nahm sie denn auch den Jungen bei der Hand und führte ihn -in das Nebenzimmer, wo die drei Männer vergnügt an ihrem Skattisch -saßen. Ein großes Spiel war eben gemacht; alles noch in Aufregung. - -Robinson, als er Rudolfen sah, nickte ihm zu und sagte zu Imme: »Das -is ja der hübsche Junge, den ich vorhin auf dem Hof gesehen habe mit -seinem ~hoop~; -- ~nice boy~.« - -»Ja,« sagte Imme, »das ist unserm Freund Hartwig seiner.« Hartwig -selber aber rief seinen Jungen heran und sagte: »Na, Rudolf, was -gibt's? Du willst mich holen. Du sollst aber auch noch ne Freude -haben. Kuck dir mal den Herrn da an, der dich so freundlich ansieht. -Das is Robinson.« - -»Haha.« - -»Ja, Junge, warum lachst du? Glaubst du's nich, wenn ich dir sage, das -is Robinson?« - -»I bewahre, Vater. Robinson, +den+ kenn ich. Robinson hat nen -Sonnenschirm und ein Lama. Un der is auch schon lange dod.« - - - - -Fünfzehntes Kapitel - - -Unsere Landpartieler waren im Angesicht von Spindlersfelde nach dem -Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten sich hier an zwei dicht am Ufer -zusammengerückten Tischen niedergelassen, eine Laube von Baumkronen -über sich. Sperlinge hüpften umher und warteten auf ihre Zeit. Gleich -danach erschien auch ein Kellner, um die Bestellungen entgegenzunehmen. -Es entstand dabei die herkömmliche Verlegenheitspause; niemand -wußte was zu sagen, bis die Baronin auf den Stamm einer ihr -gegenüberstehenden Ulme wies, drauf »Wiener Würstel« und daneben -in noch dickeren Buchstaben das gefällige Wort »Löwenbräu« stand. -In kürzester Frist erschien denn auch der Kellner wieder, und die -Baronin hob ihr Seidel und ließ das Eierhäuschen und die Spree leben, -zugleich versichernd, »daß man ein echtes Münchener überhaupt nur noch -in Berlin tränke«. Der alte Berchtesgaden wollte jedoch nichts davon -wissen und drang in seine Frau, lieber mehr nach links zu rücken, um -den Sonnenuntergang besser beobachten zu können; »der sei freilich in -Berlin ebenso gut wie wo anders«. Die Baronin hielt aber aus und rührte -sich nicht. »Was Sonnenuntergang! den seh ich jeden Abend. Ich sitze -hier sehr gut und freue mich schon auf die Lichter.« - -Und nicht lange mehr, so waren diese Lichter auch wirklich da. -Nicht nur das ganze Lokal erhellte sich, sondern auch auf dem -drüben am andern Ufer sich hinziehenden Eisenbahndamme zeigten sich -allmählich die verschiedenfarbigen Signale, während mitten auf der -Spree, wo Schleppdampfer die Kähne zogen, ein verblaktes Rot aus den -Kajütenfenstern hervorglühte. Dabei wurde es kühl, und die Damen -wickelten sich in ihre Plaids und Mäntel. - -Auch die Herren fröstelten ein wenig, und so trat denn der ersichtlich -etwas planende Woldemar nach kurzem Aufundabschreiten an das in der -Nähe befindliche Büfett heran, um da zur Herstellung einer besseren -Innentemperatur das Nötige zu veranlassen. Und siehe da, nicht lange -mehr, so stand auch schon ein großes Tablett mit Gläsern und Flaschen -vor ihnen und dazwischen ein Deckelkrug, aus dem, als man den Deckel -aufklappte, der heiße Wrasen emporschlug. Die Baronin, in solchen -Dingen die scharfblickendste, war sofort orientiert und sagte: »Lieber -Stechlin, ich beglückwünsche Sie. Das war eine große Idee.« - -»Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geschehen müsse, sonst haben -wir morgen samt und sonders einen akuten Rheumatismus. Und zurück -müssen wir doch auch. Auf dem Schiffe, wo solche Hilfsmittel, glaub -ich, fehlen, sind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben.« - -»Und Sie konnten wirklich nicht besser wählen,« unterbrach Melusine. -»Schwedischer Punsch, für den ich ein ~liking~ habe. Wie für Schweden -überhaupt. Da Doktor Wrschowitz nicht da ist, können wir uns ungestraft -einem gewissen Maß von Skandinavismus überlassen.« - -»Am liebsten ohne alles Maß,« sagte Woldemar, »so skandinavisch bin -ich. Ich ziehe die Skandinaven den sonst ›Meistbegünstigten‹ unter -den Nationen immer noch vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre -Spezialgebiete. Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eisen, -von denen man sagen muß, daß sie gut zusammen passen. Dann kamen die -›Säkerhets Tändstickors‹, und nun haben wir den schwedischen Punsch, -den ich in diesem Augenblick unbedingt am höchsten stelle. Ihr Wohl, -meine Damen.« - -»Und das Ihre,« sagte Melusine, »denn Sie sind doch der Schöpfer dieses -glücklichen Moments. Aber wissen Sie, lieber Stechlin, daß ich in -Ihrer Aufzählung schwedischer Herrlichkeiten etwas vermißt habe. Die -Schweden haben noch eins -- oder hatten es wenigstens. Und das war die -schwedische Nachtigall.« - -»Ja, die hab ich vergessen. Es fällt vor meine Zeit.« - -»Ich müßte,« lachte die Gräfin, »vielleicht auch sagen: es fällt vor -+meine+ Zeit. Aber ich darf doch andrerseits nicht verschweigen, -die Lind noch leibhaftig gekannt zu haben. Freilich nicht mehr so -eigentlich als schwedische Nachtigall. Und überhaupt unter anderm -Namen.« - -»Ja, ich erinnere mich,« sagte Woldemar, »sie hatte sich verheiratet. -Wie hieß sie doch?« - -»Goldschmidt, -- ein Name, den man schon um ›Goldschmieds Töchterlein‹ -willen gelten lassen kann. Aber an Jenny Lind reicht er allerdings -nicht heran.« - -»Gewiß nicht. Und Sie sagten, Frau Gräfin, Sie hätten sie noch -persönlich gekannt?« - -»Ja, gekannt und auch gehört. Sie sang damals, wenn auch nicht mehr -öffentlich, so doch immer noch in ihrem häuslichen Salon. Diese -Bekanntschaft zählt zu meinen liebsten und stolzesten Erinnerungen. Ich -war noch ein halbes Kind, aber trotzdem doch mit eingeladen, was mir -allein schon etwas bedeutete. Dazu die Fahrt von Hyde-Park bis in die -Villa hinaus. Ich weiß noch deutlich, ich trug ein weißes Kleid und -einen hellblauen Kaschmirumhang und das Haar ganz aufgelöst. Die Lind -beobachtete mich, und ich sah, daß ich ihr gefiel. Wenn man Eindruck -macht, das behält man. Und nun gar mit vierzehn!« - -»Die Lind,« warf die Baronin etwas prosaisch ein, »soll ihrerseits als -Kind sehr häßlich gewesen sein.« - -»Ich hätte das Gegenteil vermutet,« bemerkte Woldemar. - -»Und auf welche Veranlassung hin, lieber Stechlin?« - -»Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es, wie bekannt, seit -einiger Zeit von einem unsrer besten Maler auf unsrer Nationalgalerie. -Aber lange bevor ich es da sah, kannt ich es schon ~en miniature~, -und zwar aus einer im Besitz meines Freundes Lorenzen befindlichen -Aquarelle. Diese Kopie hängt über seinem Sofa, dicht unter einer -Rubensschen Kreuzabnahme. Wenn man will, eine etwas sonderbare -Zusammenstellung.« - -»Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!« sagte Melusine. »Wissen -Sie, Rittmeister, daß ich die Tatsache, daß so was überhaupt in einem -kleinen Dorfe vorkommen kann, Ihrem berühmten See beinah gleichstelle? -Unsre schwedische Nachtigall in Ihrem ›Ruppiner Winkel‹, wie Sie selbst -beständig sich auszudrücken lieben. Die Lind! Und wie kam Ihr Pastor -dazu?« - -»Die Lind war, glaub ich, seine erste Liebe. Sehr wahrscheinlich auch -seine letzte. Lorenzen saß damals noch auf der Schulbank und schlug -sich mit Stundengeben durch. Aber er hörte die Diva trotzdem jeden -Abend und wußte sich auch, trotz bescheidenster Mittel, das Bildchen -zu verschaffen. Fast grenzt es ans Wunderbare. Freilich verlaufen die -Dinge meist so. Wär er reich gewesen, so hätt er sein Geld anderweitig -vertan und die Lind vielleicht nie gehört und gesehen. Nur die Armen -bringen die Mittel auf für das, was jenseits des Gewöhnlichen liegt; -aus Begeisterung und Liebe fließt alles. Und es ist etwas sehr Schönes, -daß es so ist in unserm Leben. Vielleicht das Schönste.« - -»Das will ich meinen,« sagte die Gräfin. »Und ich dank es Ihnen, lieber -Stechlin, daß Sie das gesagt haben. Das war ein gutes Wort, das ich -Ihnen nicht vergessen will. Und dieser Lorenzen war Ihr Lehrer und -Erzieher?« - -»Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein Freund und Berater. Der, -den ich über alles liebe.« - -»Gehen Sie darin nicht zu weit?« lachte Melusine. - -»Vielleicht, Gräfin, oder sag ich lieber: gewiß. Und ich hätte dessen -eingedenk sein sollen, gerade heut und gerade hier. Aber soviel bleibt: -ich liebe ihn sehr, weil ich ihm alles verdanke, was ich bin, und weil -er reinen Herzens ist.« - -»Reinen Herzens,« sagte Melusine. »Das ist viel. Und Sie sind dessen -sicher?« - -»Ganz sicher.« - -»Und von diesem Unikum erzählen Sie uns erst heute! Da waren Sie -neulich mit dem guten Wrschowitz bei uns und haben uns allerhand -Schreckliches von Ihrem misogynen Prinzen wissen lassen. Und während -Sie den in den Vordergrund stellen, halten Sie diesen Pastor Lorenzen -ganz gemütlich in Reserve. Wie kann man so grausam sein und mit -seinen Berichten und Redekünsten so launenhaft operieren! Aber holen -Sie wenigstens nach, was Sie versäumt haben. Die Fragen drängen sich -ordentlich. Wie kam Ihr Vater auf den Einfall, Ihnen einen solchen -Erzieher zu geben? Und wie kam ein Mann wie dieser Lorenzen in diese -Gegenden? Und wie kam er überhaupt in diese Welt? Es ist so selten, so -selten.« - -Armgard und die Baronin nickten. - -»Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm zu hören,« fuhr -Melusine fort. »Und er ist unverheiratet? Schon das allein ist immer -ein gutes Zeichen. Durchschnittsmenschen glauben sich so schnell wie -möglich verewigen zu müssen, damit die Herrlichkeit nicht ausstirbt. -Ihr Lorenzen ist eben in allem, wie mir scheint, ein Ausnahmemensch. -Also beginnen.« - -»Ich bin dazu besten Willens, Frau Gräfin. Aber es ist zu spät dazu, -denn das helle Licht, das Sie da sehen, das ist bereits unser Dampfer. -Wir haben keine Wahl mehr, wir müssen abbrechen, wenn wir nicht im -Eierhäuschen ein Nachtquartier nehmen wollen. Unterwegs ist übrigens -Lorenzen ein wundervolles Thema, vorausgesetzt, daß uns der Anblick der -Liebesinsel nicht wieder auf andre Dinge bringt. Aber hören Sie ... der -Dampfer läutet schon ... wir müssen eilen. Bis an die Anlegestelle sind -noch mindestens drei Minuten!« - - * * * * * - -Und nun war man glücklich auf dem Schiff, auf dem Woldemar und die -Damen ihre schon auf der Hinfahrt innegehabten Plätze sofort wieder -einnahmen. Nur die beiden in ihre Plaids gewickelten alten Herren -schritten auf Deck auf und ab und sahen, wenn sie vorn am Bugspriet -eine kurze Rast machten, auf die vielen hundert Lichter, die sich von -beiden Ufern her im Fluß spiegelten. Unten im Maschinenraum hörte man -das Klappern und Stampfen, während die Schiffsschraube das Wasser nach -hinten schleuderte, daß es in einem weißen Schaumstreifen dem Schiffe -folgte. Sonst war alles still, so still, daß die Damen ihr Gespräch -unterbrachen. »Armgard, du bist so schweigsam,« sagte Melusine, »finden -Sie nicht auch, lieber Stechlin? Meine Schwester hat noch keine zehn -Worte gesprochen.« - -»Ich glaube, Gräfin, wir lassen die Komtesse. Manchen kleidet es zu -sprechen, und manchen kleidet es zu schweigen. Jedes Beisammensein -braucht einen Schweiger.« - -»Ich werde Nutzen aus dieser Lehre ziehen.« - -»Ich glaub es nicht, Gräfin, und vor allem wünsch ich es nicht. Wer -könnt es wünschen?« - -Sie drohte ihm mit dem Finger. Dann schwieg man wieder und sah auf -die Landschaft, die da, wo der am Ufer hinlaufende Straßenzug breite -Lücken aufwies, in tiefem Dunkel lag. Urplötzlich aber stieg gerad aus -dem Dunkel heraus ein Lichtstreifen hoch in den Himmel und zerstob da, -wobei rote und blaue Leuchtkugeln langsam zur Erde niederfielen. - -»Wie schön,« sagte Melusine. »Das ist mehr, als wir erwarten durften; -Ende gut, alles gut, -- nun haben wir auch noch ein Feuerwerk. Wo mag -es sein? Welche Dörfer liegen da hinüber? Sie sind ja so gut wie ein -Generalstäbler, lieber Stechlin, Sie müssen es wissen. Ich vermute -Friedrichsfelde. Reizendes Dorf und reizendes Schloß. Ich war einmal -da; die Dame des Hauses ist eine Schwester der Frau von Hülsen. Ist es -Friedrichsfelde?« - -»Vielleicht, gnädigste Gräfin. Aber doch nicht wahrscheinlich. -Friedrichsfelde gehört nicht in die Reihe der Vororte, wo Feuerwerke -sozusagen auf dem Programm stehen. Ich denke, wir lassen es im -Ungewissen und freuen uns der Sache selbst. Sehen Sie, jetzt beginnt -es erst recht eigentlich. Die Rakete, die wir da vorhin gesehen haben, -das war nur Vorspiel. Jetzt haben wir erst das Stück. Es ist zu weit -ab, sonst würden wir das Knattern hören und die Kanonenschläge. -Wahrscheinlich ist es Sedan oder Düppel oder der Übergang nach Alsen. -Übrigens ist die Pyrotechnik eine profunde Wissenschaft geworden.« - -»Und es soll auch Personen geben, die ganz dafür leben und ihr Vermögen -hinopfern wie früher die Holländer für die Tulpen. Tulpen wäre nun -freilich nicht mein Geschmack! Aber Feuerwerk!« - -»Ja, unbedingt. Und nur schade, daß alle die, die damit zu tun haben, -über kurz oder lang in die Luft fliegen.« - -»Das ist fatal. Aber es steigert andrerseits doch auch wieder den -Reiz. Sonderbar, gefahrlose Berufe, solche, die sozusagen eine -Zipfelmütze tragen, sind mir von jeher ein Greuel gewesen. Interesse -hat doch immer nur das Vabanque: Torpedoboote, Tunnel unter dem -Meere, Luftballons. Ich denke mir, das Nächste, was wir erleben, sind -Luftschifferschlachten. Wenn dann so eine Gondel die andre entert. Ich -kann mich in solche Vorstellungen geradezu verlieben.« - -»Ja, liebe Melusine, das seh ich,« unterbrach hier die Baronin. »Sie -verlieben sich in solche Vorstellungen und vergessen darüber die -Wirklichkeiten und sogar unser Programm. Ich muß angesichts dieser doch -erst kommenden Luftschifferschlachten ganz ergebenst daran erinnern, -daß für heute noch wer anders in der Luft schwebt, und zwar Pastor -Lorenzen. Von +dem+ sollte die Rede sein. Freilich, der ist kein -Pyrotechniker.« - -»Nein,« lachte Woldemar, »+das+ ist er nicht. Aber als einen Aeronauten -kann ich ihn Ihnen beinahe vorstellen. Er ist so recht ein Excelsior-, -ein Aufsteigemensch, einer aus der wirklichen Obersphäre, genau von -daher, wo alles Hohe zu Haus ist, die Hoffnung und sogar die Liebe.« - -»Ja,« lachte die Baronin, »die Hoffnung und sogar die Liebe! Wo bleibt -aber das Dritte? Da müssens zu uns kommen. Wir haben noch das Dritte; -das heißt also, wir wissen auch, was wir +glauben+ sollen.« - -»Ja, +sollen+.« - -»Sollen, gewiß. Sollen, das ist die Hauptsache. Wenn man weiß, was man -soll, so find't sich's schon. Aber wo das Sollen fehlt, da fehlt auch -das Wollen. Es ist halt a Glück, daß wir Rom haben und den heiligen -Vater.« - -»Ach,« sagte Melusine, »wer's Ihnen glaubt, Baronin! Aber lassen wir -so heikle Fragen und hören wir lieber von +dem+, den ich -- ich bin -beschämt darüber -- in so wenig verbindlicher Weise vergessen konnte, -von unserm Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulenheiligen, -der reinen Herzens ist, und vor allem von dem Schöpfer und geistigen -Nährvater unsers Freundes Stechlin. ~Eh bien~, was ist es mit ihm? -›An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,‹ -- das könnt uns beinahe -genügen. Aber ich bin doch für ein Weiteres. Und so denn ~attention au -jeu~. Unser Freund Stechlin hat das Wort.« - -»Ja, unser Freund Stechlin hat das Wort,« wiederholte Woldemar, »so -sagen Sie gütigst, Frau Gräfin. Aber dem nachkommen ist nicht so -leicht. Vorhin, da war ich im Zuge. Jetzt wieder damit anfangen, das -hat seine Schwierigkeiten. Und dann erwarten die Damen immer eine -Liebesgeschichte, selbst wenn es sich um einen Mann handelt, den ich, -was diese Dinge betrifft, so wenig versprechend eingeführt habe. -Sie gehen also, wie heute schon mehrfach (ich erinnere nur an das -Eierhäuschen) einer grausamen Enttäuschung entgegen.« - -»Keine Ausflüchte!« - -»Nun, so sei's denn. Ich muß es aber auf einem Umwege versuchen und -Ihnen bei der Gelegenheit als Nächstes schildern, wie meine letzte -Begegnung mit Lorenzen verlief. Er war, als ich bei ihm eintrat, in -ersichtlich großer Erregung, und zwar über ein Büchelchen, das er in -Händen hielt.« - -»Und ich will raten, was es war,« unterbrach Melusine. - -»Nun?« - -»Ein Buch von Tolstoj. Etwas mit viel Opfer und Entsagung. Anpreisung -von Askese.« - -»Sie sind auf dem richtigen Wege, Gräfin, nur nicht geographisch. Es -handelt sich nämlich nicht östlich um einen Russen, sondern westlich um -einen Portugiesen.« - -»Um einen Portugiesen,« lachte die Baronin. »O, ich kenne welche. Sie -sind alle so klein und gelblich. Und einer fand einen Seeweg. Freilich -schon lange her. Ist es nicht so?« - -»Gewiß, Frau Baronin, es ist so. Nur der, um den es sich hier handelt, -das ist keiner mit einem Seeweg, sondern bloß ein Dichter.« - -»Ach, dessen erinnere ich mich auch, ja, ich habe sogar seinen Namen -auf der Zunge. Mit einem großen C fängt er an. Aber Calderon ist es -nicht.« - -»Nein, Calderon ist es nicht; es deckt sich da manches, auch schon -rein landkartlich, nicht mit +dem+, um den sich's hier handelt. Und -ist überhaupt kein alter Dichter, sondern ein neuer. Und heißt Joao de -Deus.« - -»Joao de Deus,« wiederholte die Gräfin. »Schon der Name. Sonderbar. Und -was war es mit dem?« - -»Ja, was war es mit +dem+? Dieselbe Frage tat ich auch, und ich habe -nicht vergessen, was Lorenzen mir antwortete: ›Dieser Joao de Deus,‹ -so etwa waren seine Worte, ›war genau +das+, was ich wohl sein möchte, -wonach ich suche, seit ich zu leben, +wirklich+ zu leben angefangen, -und wovon es beständig draußen in der Welt heißt, es gäbe dergleichen -nicht mehr. Aber es gibt dergleichen noch, es muß dergleichen geben -oder doch +wieder+ geben. Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar erst -das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut auf dem Ich. Das -ist ihr Fluch, und daran muß sie zugrunde gehen. Die zehn Gebote, das -war der Alte Bund, der Neue Bund aber hat ein andres, ein einziges -Gebot, und das klingt aus in: Und du hättest der Liebe nicht ...‹« - -»Ja, so sprach Lorenzen,« fuhr Woldemar nach einer Pause fort, »und -sprach auch noch andres, bis ich ihn unterbrach und ihm zurief: -›Aber, Lorenzen, das sind ja bloß Allgemeinheiten. Sie wollten mir -Persönliches von Joao de Deus erzählen. Was ist es mit dem? Wer war er? -Lebt er? Oder ist er tot?‹« - -»›Er ist tot, aber seit kurzem erst, und von seinem Tode spricht das -kleine Heft hier. Höre.‹ Und nun begann er zu lesen. Das aber, was er -las, das lautete etwa so: ›... Und als er nun tot war, der Joao de -Deus, da gab es eine Landestrauer, und alle Schulen der Hauptstadt -waren geschlossen, und die Minister und die Leute vom Hof und die -Gelehrten und die Handwerker, alles folgte dem Sarge dicht gedrängt, -und die Fabrikarbeiterinnen hoben schluchzend ihre Kinder in die Höh -und zeigten auf den Toten und sagten: ~Un Santo, un Santo.~ Und sie -taten so und sagten so, weil er für die Armen gelebt hatte und +nicht -für sich+.‹« - -»Das ist schön,« sagte Melusine. - -»Ja, das ist schön,« wiederholte Woldemar, »und ich darf hinzusetzen, -in dieser Geschichte haben Sie nicht bloß den Joao de Deus, sondern -auch meinen Freund Lorenzen. Er ist vielleicht nicht ganz wie sein -Ideal. Aber Liebe gibt Ebenbürtigkeit.« - -»Und so schlag ich denn vor,« sagte die Baronin, »daß wir den mit dem -C, dessen Namen mir übrigens noch einfallen wird, vorläufig absetzen -und statt seiner den neuen mit dem D leben lassen. Und natürlich unsern -Lorenzen dazu.« - -»Ja, leben lassen,« lachte Woldemar. »Aber womit? worin? ~Les jours de -fête~ ...« und er wies auf das Eierhäuschen zurück. - -»In dieser Notlage wollen wir uns helfen, so gut es geht, und uns statt -andrer Beschwörung einfach die Hände reichen, selbstverständlich über -Kreuz; hier, erst Stechlin und Armgard und dann Melusine und ich.« - -Und wirklich, sie reichten sich in heiterer Feierlichkeit die Hände. - -Gleich danach aber traten die beiden alten Herren an die Gruppe heran, -und der Baron sagte: »Das ist ja wie Rütli.« - -»Mehr, mehr. Bah, Freiheit! Was ist Freiheit gegen Liebe!« - -»So, hat's denn eine Verlobung gegeben?« - -»Nein ... noch nicht,« lachte Melusine. - - - - -Wahl in Rheinsberg-Wutz - - - - -Sechzehntes Kapitel - - -Der andre Morgen rief Woldemar zeitig zum Dienst. Als er um neun Uhr -auf sein Zimmer zurückkehrte, fand er auf dem Frühstückstisch Zeitungen -und Briefe. Darunter war einer mit einem ziemlich großen Siegel, der -Lack schlecht und der Brief überhaupt von sehr unmodischer Erscheinung, -ein bloß zusammengelegter Quartbogen. Woldemar, nach Poststempel und -Handschrift sehr wohl wissend, woher und von wem der Brief kam, schob -ihn, während Fritz den Tee brachte, beiseite, und erst als er eine -Tasse genommen und länger als nötig dabei verweilt hatte, griff er -wieder nach dem Brief und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. -»Ich hätte mir, nach dem gestrigen Abend, heute früh was andres -gewünscht als gerade +diesen+ Brief.« Und während er das so vor sich -hin sprach, standen ihm, er mochte wollen oder nicht, die letzten -Wutzer Augenblicke wieder vor der Seele. Die Tante hatte, kurz bevor er -das Kloster verließ, noch einmal vertraulich seine Hand genommen und -ihm bei der Gelegenheit ausgesprochen, was sie seit lange bedrückte. - -»Das Junggesellenleben, Woldemar, taugt nichts. Dein Vater war auch -schon zu alt, als er sich verheiratete. Ich will nicht in deine -Geheimnisse eindringen, aber ich möchte doch fragen dürfen: wie stehst -du dazu?« - -»Nun, ein Anfang ist gemacht. Aber doch erst obenhin.« - -»Berlinerin?« - -»Ja und nein. Die junge Dame lebt seit einer Reihe von Jahren in Berlin -und liebt unsre Stadt über Erwarten. Insoweit ist sie Berlinerin. Aber -eigentlich ist sie doch keine; sie wurde drüben in London geboren, und -ihre Mutter war eine Schweizerin.« - -»Um Gottes willen!« - -»Ich glaube, liebe Tante, du machst dir falsche Vorstellungen von einer -Schweizerin. Du denkst sie dir auf einer Alm und mit einem Milchkübel.« - -»Ich denke sie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß nur, daß es ein wildes -Land ist.« - -»Ein freies Land, liebe Tante.« - -»Ja, das kennt man. Und wenn du das Spiel noch einigermaßen in der Hand -hast, so beschwör ich dich ...« - -An dieser Stelle war, wie schon vorher durch Fix, abermals (weil eine -Störung kam) das Gespräch mit der Tante auf andre Dinge hingeleitet -worden, und nun hielt er ihren Brief in Händen und zögerte, das Siegel -zu brechen. »Ich weiß, was drin steht, und ängstige mich doch beinahe. -Wenn es nicht Kämpfe gibt, so gibt es wenigstens Verstimmungen. Und die -sind mir womöglich noch fataler ... Aber was hilft es!« - -Und nun brach er den Brief auf und las: - -»Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß Du meine letzten Worte noch -in Erinnerung hast. Sie liefen auf den Rat und die Bitte hinaus: gib -auch in dieser Frage die Heimat nicht auf, halte Dich, wenn es sein -kann, an das Nächste. Schon unsre Provinzen sind so sehr verschieden. -Ich sehe Dich über solche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. -Was ich Adel nenne, das gibt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer -alten Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch reiner als -bei uns. Ich will nicht ausführen, wie's bei schärferem Zusehen auf dem -adligen Gesamtgebiete steht, aber doch wenigstens ein paar Andeutungen -will ich machen. Ich habe sie von allen Arten gesehen. Da sind zum -Beispiel die rheinischen jungen Damen, also die von Köln und Aachen; -nun ja, die mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn -sie nicht katholisch sind, dann sind sie was anders, wo der Vater erst -geadelt wurde. Neben den rheinischen haben wir dann die westfälischen. -Über die ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen -Herrschaften, die sich mitunter auch Magnaten nennen, sind alle so gut -wie polnisch und leben vom Jeu und haben die hübschesten Erzieherinnen; -immer ganz jung, da macht es sich am leichtesten. Und dann sind da -noch weiterhin die preußischen, das heißt die ostpreußischen, wo schon -alles aufhört. Nun die kenn ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen -und schlagen aus und beknabbern alles. Und je reicher sie sind, desto -schlimmer. Und nun wirst du fragen, warum ich gegen andre so streng -und so sehr für unsre Mark bin, ja speziell für unsre Mittelmark. -Deshalb, mein lieber Woldemar, weil wir in unsrer Mittelmark nicht so -bloß äußerlich in der Mitte liegen, sondern weil wir auch in allem die -rechte Mitte haben und halten. Ich habe mal gehört, unser märkisches -Land sei +das+ Land, drin es nie Heilige gegeben, drin man aber auch -keine Ketzer verbrannt habe. Sieh, das ist das, worauf es ankommt, -Mittelzustand, -- darauf baut sich das Glück auf. Und dann haben wir -hier noch zweierlei: in unserer Bevölkerung die reine Lehre und in -unserm Adel das reine Blut. +Die+, wo das nicht zutrifft, die kennt -man. Einige meinen freilich, das, was sie das ›Geistige‹ nennen, das -litte darunter. Das ist aber alles Torheit. Und wenn es litte (es -leidet aber nicht), so schadet das gar nichts. Wenn das Herz gesund -ist, ist der Kopf nie ganz schlecht. Auf diesen Satz kannst Du Dich -verlassen. Und so bleibe denn, wenn Du suchst, in unsrer Mark und -vergiß nie, daß wir das sind, was man so ›brandenburgische Geschichte‹ -nennt. Am eindringlichsten aber laß Dir unsre Rheinsberger Gegend -empfohlen sein, von der mir selbst Koseleger -- trotzdem seine Feinde -behaupten, er betrachte sich hier bloß wie in Verbannung und sehne sich -fort nach einer Berliner Domstelle -- von der mir selbst Koseleger -sagte: ›Wenn man sich die preußische Geschichte genau ansieht, so -findet man immer, daß sich alles auf unsre alte, liebe Grafschaft -zurückführen läßt; da liegen die Wurzeln unsrer Kraft.‹ Und so schließe -ich denn mit der Bitte: heirate heimisch und heirate lutherisch. Und -nicht nach Geld (Geld erniedrigt), und halte Dich dabei versichert der -Liebe Deiner Dich herzlich liebenden Tante und Patin Adelheid von St.« - -Woldemar lachte. »Heirate heimisch und heirate lutherisch -- das hör -ich nun schon seit Jahren. Und auch das dritte höre ich immer wieder: -›Geld erniedrigt.‹ Aber das kenn ich. Wenn's nur recht viel ist, -kann es schließlich auch eine Chinesin sein. In der Mark ist alles -Geldfrage. Geld -- weil keins da ist -- spricht Person und Sache heilig -und, was noch mehr sagen will, beschwichtigt zuletzt auch den Eigensinn -einer alten Tante.« - -Während er lachend so vor sich hin sprach, überflog er noch einmal -den Brief und sah jetzt, daß eine Nachschrift an den Rand der vierten -Seite gekritzelt war. »Eben war Katzler hier, der mir von der am -Sonnabend in unserm Kreise stattfindenden Nachwahl erzählte. Dein Vater -ist aufgestellt worden und hat auch angenommen. Er bleibt doch immer -der Alte. Gewiß wird er sich einbilden, ein Opfer zu bringen, -- er -litt von Jugend auf an solchen Einbildungen. Aber was ihm ein Opfer -bedünkte, waren, bei Lichte besehen, immer bloß Eitelkeiten. Deine A. -von St.« - - - - -Siebzehntes Kapitel - - -Es war so, wie die Tante geschrieben: Dubslav hatte sich als -konservativen Kandidaten aufstellen lassen, und wenn für Woldemar -noch Zweifel darüber gewesen wären, so hätten einige am Tage darauf -von Lorenzen eintreffende Zeilen diese Zweifel beseitigt. Es hieß in -Lorenzens Brief: - -»Seit Deinem letzten Besuch hat sich hier allerlei Großes zugetragen. -Noch am selben Abend erschienen Gundermann und Koseleger und drangen -in Deinen Vater, zu kandidieren. Er lehnte zunächst natürlich ab; er -sei weltfremd und verstehe nichts davon. Aber damit kam er nicht weit. -Koseleger, der -- was ihm auch später noch von Nutzen sein wird -- -immer ein paar Anekdoten auf der Pfanne hat, erzählte ihm sofort, daß -vor Jahren schon, als ein von Bismarck zum Finanzminister Ausersehener -sich in gleicher Weise mit einem ›Ich verstehe nichts davon‹ aus der -Affäre ziehen wollte, der bismarckisch-prompten Antwort begegnet sei: -›Darum wähle ich Sie ja gerade, mein Lieber,‹ -- eine Geschichte, -der Dein Vater natürlich nicht widerstehen konnte. Kurzum, er hat -eingewilligt. Von Herumreisen ist selbstverständlich Abstand genommen -worden, ebenso vom Redenhalten. Schon nächsten Sonnabend haben wir -Wahl. In Rheinsberg, wie immer, fallen die Würfel. Ich glaube, daß er -siegt. Nur die Fortschrittler können in Betracht kommen und allenfalls -die Sozialdemokraten, wenn vom Fortschritt (was leicht möglich ist) -einiges abbröckelt. Unter allen Umständen schreibe Deinem Papa, daß Du -Dich seines Entschlusses freutest. Du kannst es mit gutem Gewissen. -Bringen wir ihn durch, so weiß ich, daß kein Besserer im Reichstag -sitzt und daß wir uns alle zu seiner Wahl gratulieren können. Er sich -persönlich allerdings auch. Denn sein Leben hier ist zu einsam, so -sehr, daß er, was doch sonst nicht seine Sache ist, mitunter darüber -klagt. Das war das, was ich Dich wissen lassen mußte. ›Sonst nichts -Neues vor Paris.‹ Krippenstapel geht in großer Aufregung einher; ich -glaube, wegen unsrer auf Donnerstag in Stechlin selbst angesetzten -Vorversammlung, wo er mutmaßlich seine herkömmliche Rede über den -Bienenstaat halten wird. Empfiehl mich Deinen zwei liebenswürdigen -Freunden, besonders Czako. Wie immer, Dein alter Freund Lorenzen.« - -Woldemar, als er gelesen, wußte nicht recht, wie er sich dazu stellen -sollte. Was Lorenzen da schrieb, »daß kein Besserer im Hause sitzen -würde«, war richtig; aber er hatte trotzdem Bedenken und Sorge. Der -Alte war durchaus kein Politiker, er konnte sich also stark in die -Nesseln setzen, ja vielleicht zur komischen Figur werden. Und dieser -Gedanke war ihm, dem Sohne, der den Vater schwärmerisch liebte, sehr -schmerzlich. Außerdem blieb doch auch immer noch die Möglichkeit, daß -er in dem Wahlkampf unterlag. - - * * * * * - -Diese Bedenken Woldemars waren nur allzu berechtigt. Es stand durchaus -nicht fest, daß der alte Dubslav, so beliebt er selbst bei den -Gegnern war, als Sieger aus der Wahlschlacht hervorgehen müsse. Die -Konservativen hatten sich freilich daran gewöhnt, Rheinsberg-Wutz -als eine »Hochburg« anzusehen, die der staatserhaltenden Partei -nicht verloren gehen könne; diese Vorstellung aber war ein Irrtum, -und die bisherige Reverenz gegen den alten Kortschädel wurzelte -lediglich in etwas Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen und -Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen persönlichen -Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, und das Anrecht, das -sich der alte Kortschädel ersessen hatte, mit diesem mußt es vorbei -sein, eben weil sich's endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, -die gegnerischen Parteien regten sich, und es lag genau so, wie -Lorenzen an Woldemar geschrieben, »daß ein Fortschrittler, aber auch -ein Sozialdemokrat gewählt werden könne«. - -Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der am besten -erfahren, der im Vorübergehen an der Kontortür des alten Baruch -Hirschfeld gehorcht hätte. - -»Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten Herrn von -Stechlin.« - -»Nein, Vater. Ich werde +nicht+ wählen den guten alten Herrn von -Stechlin.« - -»Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz.« - -»Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip.« - -»Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, als du -hast scharmiert mit dem Mariechen von nebenan und hast ihr aufgebunden -das Schürzenband, und sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt -um das christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, -um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das hab ich dir -verziehen. Aber die öffentliche Meinung verzeih ich dir nicht.« - -»Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. Und wenn ich -wähle, wähl ich für die Menschheit.« - -»Geh mir, Isidor, +die+ kenn ich. Die Menschheit, die will haben, aber -nicht geben. Und jetzt wollen sie auch noch teilen.« - -»Laß sie teilen, Vater.« - -»Gott der Gerechte, was meinst du, was du kriegst? Nicht den zehnten -Teil.« - -Und ähnlich ging es in den andern Ortschaften. In Wutz sprach Fix für -das Kloster und die Konservativen im allgemeinen, ohne dabei Dubslav -in Vorschlag zu bringen, weil er wußte, wie die Domina zu ihrem Bruder -stand. Ein Linkskandidat aus Cremmen schien denn auch in der Wutzer -Gegend die Oberhand gewinnen zu wollen. Noch gefährlicher für die ganze -Grafschaft war aber ein Wanderapostel aus Berlin, der von Dorf zu Dorf -zog und die kleinen Leute dahin belehrte, daß es ein Unsinn sei, von -Adel und Kirche was zu erwarten. Die vertrösteten immer bloß auf den -Himmel. Achtstündiger Arbeitstag und Lohnerhöhung und Sonntagspartie -nach Finkenkrug, -- +das+ sei das Wahre. - -So zersplitterte sich's allerorten. Aber wenigstens um den Stechlin -herum hoffte man der Sache noch Herr werden und alle Stimmen auf -Dubslav vereinigen zu können. Im Dorfkruge wollte man zu diesem Zwecke -beraten, und Donnerstag sieben Uhr war dazu festgesetzt. - - * * * * * - -Der Stechliner Krug lag an dem Platze, der durch die Kreuzung der von -Wutz her heranführenden Kastanienallee mit der eigentlichen Dorfstraße -gebildet wurde, und war unter den vier hier gelegenen Eckhäusern das -stattlichste. Vor seiner Front standen ein paar uralte Linden, und -drei, vier Stehkrippen waren bis dicht an die Hauswand herangeschoben, -aber alle ganz nach links hin, wo sich Eckladen und Gaststube befanden, -während nach der rechten Seite hin der große Saal lag, in dem heute -Dubslav, wenn nicht für die Welt, so doch für Rheinsberg-Wutz, und -wenn nicht für Rheinsberg-Wutz, so doch für Stechlin und Umgegend -proklamiert werden sollte. Dieser große Saal war ein fünffenstriger -Längsraum, der schon manchen Schottischen erlebt, was er in seiner -Erscheinung auch heute nicht zu verleugnen trachtete. Denn nicht nur -waren ihm alle seine blanken Wandleuchter verblieben, auch die mächtige -Baßgeige, die jedesmal wegzuschaffen viel zu mühsam gewesen wäre, -guckte, schräg gestellt, mit ihrem langen Halse von der Musikempore her -über die Brüstung fort. - -Unter dieser Empore, quer durch den Saal hin, stand ein für das Komitee -bestimmter länglicher Tisch mit Tischdecke, während auf den links -und rechts sich hinziehenden Bänken einige zwanzig Vertrauensmänner -saßen, denen es hinterher oblag, im Sinne der Komiteebeschlüsse -weiter zu wirken. Die Vertrauensmänner waren meist wohlhabende -Stechliner Bauern, untermischt mit offiziellen und halboffiziellen -Leuten aus der Nachbarschaft: Förster und Waldhüter und Vormänner -von den verschiedenen Glas- und Teeröfen. Zu diesen gesellte sich -noch ein Torfinspektor, ein Vermessungsbeamter, ein Steueroffiziant -und schließlich ein gescheiterter Kaufmann, der jetzt Agent war und -die Post besorgte. Natürlich war auch Landbriefträger Brose da samt -der gesamten Sicherheitsbehörde: Fußgensdarm Uncke und Wachtmeister -Pyterke von der reitenden Gensdarmerie. Pyterke gehörte nur halb mit -zum Revier (es war das immer ein streitiger Punkt), erschien aber -trotzdem mit Vorliebe bei Versammlungen der Art. Es gab nämlich für -ihn nichts Vergnüglicheres, als seinen Kameraden und Amtsgenossen -Uncke bei solcher Gelegenheit zu beobachten und sich dabei seiner -ungeheuren, übrigens durchaus berechtigten Überlegenheit als schöner -Mann und ehemaliger Gardekürassier bewußt zu werden. Uncke war ihm -der Inbegriff des Komischen, und wenn ihn schon das rote, verkupferte -Gesicht an und für sich amüsierte, so doch viel, viel mehr noch der -gefärbte Schuhbürstenbackenbart, vor allem aber das Augenspiel, mit -dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte. Pyterke hatte recht: Uncke -war wirklich eine komische Figur. Seine Miene sagte beständig: »An mir -hängt es.« Dabei war er ein höchst gutmütiger Mann, der nie mehr als -nötig aufschrieb und auch nur selten auflöste. - -Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Türen. An der Mitteltür -standen die beiden Gensdarmen und rückten sich zurecht, als sich -der Vorsitzende des Komitees mit dem Glockenschlag sieben von -seinem Platz erhob und die Sitzung für eröffnet erklärte. Dieser -Vorsitzende war natürlich Oberförster Katzler, der heute, statt -des bloßen schwarz-weißen Bandes, sein bei St. Marie aux Chênes -erworbenes Eisernes Kreuz in Substanz eingeknöpft hatte. Neben ihm -saßen Superintendent Koseleger und Pastor Lorenzen, an der linken -Schmalseite Krippenstapel, an der rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer -auch dekoriert, und zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei Düppel -in der Reserve gestanden. Er scherzte gern darüber und sagte, während -er seine beneidenswerten Zähne zeigte: »Ja, Kinder, so geht es. Bei -Alsen war ich, aber bei Düppel war ich nich, und dafür hab ich nu die -Düppelmedaille.« - -Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoristisch angeflogene -Persönlichkeit, Liebling des alten Dubslav, und trat immer, wenn -sich die alten Kriegerbundleute von sechsundsechzig und siebzig aufs -hohe Pferd setzen wollten, für die von vierundsechzig ein. »Ja, -vierundsechzig, Kinder, da fing es an. Und aller Anfang ist schwer. -Anfangen ist immer die Hauptsache; das andre kommt dann schon wie von -selbst.« Ein alter Globsower, der bei Spichern mitgestürmt und sich -durch besondere Tapferkeit hervorgetan hatte, war denn auch, bloß -weil er einer von Anno siebzig war, ein Gegenstand seiner besonderen -Bemängelungen. »Ich will ja nich sagen, Tübbecke, daß es bei Spichern -gar nichts war; aber gegen Düppel (wenn ich auch nicht mit dabei -gewesen), gegen Düppel war es gar nichts. Wie war es denn bei Spichern, -wovon du soviel redst, als ob sich vierundsechzig daneben verstecken -müßte? Bei Spichern, da waren Menschen oben, aber bei Düppel, da waren -Schanzen oben. Und ich sag dir, Schanzen mit'm Turm drin. Da pfeift -es ganz anders. Das heißt, von Pfeifen war schon eigentlich gar keine -Rede mehr.« Eine Folge dieser Anschauung war es denn auch, daß in den -Augen Kluckhuhns der Pionier Klinke, der bei Düppel unter Opferung -seines Lebens den Palisadenpfahl von Schanze drei weggesprengt hatte, -der eigentliche Held aller drei Kriege war und alles in allem nur -einen Rivalen hatte. Dieser +eine+ Rivale stand aber drüben auf Seite -der Dänen und war überhaupt kein Mensch, sondern ein Schiff und hieß -Rolf Krake. »Ja, Kinder, wie wir nu da so rüber gondelten, da lag das -schwarze Biest immer dicht neben uns und sah aus wie'n Sarg. Und wenn -es gewollt hätte, so wär es auch alle mit uns gewesen und bloß noch -plumps in den Alsensund. Und weil wir das wußten, schossen wir immer -drauflos, denn wenn einem so zu Mute ist, dann schießt der Mensch -immerzu.« - -Ja, Rolf Krake war eine fatale Sache für Kluckhuhn gewesen. Aber -dasselbe schwarze Schiff, das ihm damals so viel Furcht und Sorge -gemacht hatte, war doch auch wieder ein Segen für ihn geworden, und -man durfte sagen, sein Leben stand seitdem im Zeichen von Rolf Krake. -Wie Gundermann immer der Sozialdemokratie das »Wasser abstellen« -wollte, so verglich Kluckhuhn alles zur Sozialdemokratie Gehörige mit -dem schwarzen Ungetüm im Alsensund. »Ich sag euch, was sie jetzt die -soziale Revolution nennen, das liegt neben uns wie damals Rolf Krake; -Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er dazwischen.« - -Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner Gegend sehr angesehen, -und als er jetzt mit seiner Medaille so dasaß, dicht neben Koseleger, -war er sich dessen auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenstapel, den er -als Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll ansah, kam -er bei dieser Gelegenheit doch nicht an; Krippenstapel hatte heute -ganz seinen großen Tag, so sehr, daß selbst Kluckhuhn seinen Ton -herabstimmen mußte. - -Katzler, ein entschiedener Nichtredner, begann, als er sich mit seinem -Notizenzettel, auf dem verschiedene Satzanfänge standen, erhoben hatte, -mit der Versicherung, daß er den so zahlreich Anwesenden, unter denen -vielleicht auch einige Andersdenkende seien, für ihr Erscheinen danke. -Sie wüßten alle, zu welchem Zweck sie hier seien. Der alte Kortschädel -sei tot, »er ist in Ehren hingegangen«, und es handle sich heute darum, -dem alten Herrn von Kortschädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. -Die Grafschaft habe immer konservativ gewählt; es sei Ehrensache, -wieder konservativ zu wählen. »Und ob die Welt voll Teufel wär'.« Es -liege der Grafschaft ob, dieser Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch -»Stätten« gäbe. Und hier sei eine solche Stätte. »Wir haben, glaub -ich,« so schloß er, »niemand an diesem Tisch, der das Parlamentarische -voll beherrscht, weshalb ich bemüht gewesen bin, das, was uns hier -zusammengeführt hat, schriftlich niederzulegen. Es ist ein schwacher -Versuch. Jeder tut, soviel er kann, und der Brombeerstrauch hat eben -nur seine Beeren. Aber auch +sie+ können den durstigen Wanderer -erfrischen. Und so bitte ich denn unsern politischen Freund, dem wir -außerdem für die Erforschung dieser Gegenden so viel verdanken, ich -bitte Herrn Lehrer Krippenstapel, uns das von mir Aufgesetzte vorlesen -zu wollen. Ein ~pro memoria~. Man kann es vielleicht so nennen.« - -Katzler, unter Verneigung, setzte sich wieder, während sich -Krippenstapel erhob. Er blätterte wie ein Rechtsanwalt in einer Anzahl -von Papieren und sagte dann: »Ich folge der Aufforderung des Herrn -Vorsitzenden und freue mich, berufen zu sein, ein Schriftstück zur -Verlesung zu bringen, das unser +aller+ Gefühlen -- ich bin dessen -sicher und glaube von den Einschränkungen, die unser Herr Vorsitzender -gemacht hat, absehen zu dürfen -- zu kräftigstem Ausdruck verhilft.« - -Und nun setzte Krippenstapel seine Hornbrille auf und las. Es war -ein ganz kurzes Schriftstück und enthielt eigentlich dasselbe, was -Katzler schon gesagt hatte. Die Betonungen Krippenstapels sorgten aber -dafür, daß der Beifall reichlicher war, und daß die Schlußwendung »und -so vereinigen wir uns denn in dem Satze: was um den Stechlin herum -wohnt, das ist +für+ Stechlin,« einen ungeheuren Beifall fand. Pyterke -hob seinen Helm und stieß mit dem Pallasch auf, während Uncke sich -umsah, ob doch vielleicht ein einzelner Übelwollender zu notieren sei. -Nicht um ihn direkt anzuzeigen, aber doch zur Kenntnisnahme. Brose, -der (wohl eine Folge seines Berufs) unter dem ungewohnten langen -Stillstehen gelitten hatte, nahm im Vorflur, wie zur Niederkämpfung -seiner Beinnervosität, eine Art Probegeschwindschritt rasch wieder -auf, während Kluckhuhn sich von seinem Stuhl erhob, um Katzler erst -militärisch und dann unter gewöhnlicher Verbeugung zu begrüßen, wobei -seine Düppelmedaille dem Katzlerschen Eisernen Kreuz entgegenpendelte. -Nur Koseleger und Lorenzen blieben ruhig. Um des Superintendenten Mund -war ein leiser ironischer Zug. - -Dann erklärte der Vorsitzende die Sitzung für geschlossen; alles brach -auf, und nur Uncke sagte zu Brose: »Wir bleiben noch, Brose; morgen -wird es Lauferei genug geben.« - -»Denk ich auch. Aber lieber laufen als hier so stillestehen.« - - - - -Achtzehntes Kapitel - - -Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden, standen mehrere -Kaleschwagen, aber der des Superintendenten fehlte noch, weil Koseleger -eine viel längere Sitzung erwartet und daraufhin seinen Wagen erst zu -zehn Uhr bestellt hatte. Bis dahin war noch eine hübsche Zeit; der -Superintendent indessen schien nicht unzufrieden darüber, und seines -Amtsbruders Arm nehmend, sagte er: »Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie -Sie sehen, bei Ihnen zu Gaste laden. Als Unverheirateter werden Sie, -so hoffe ich, über die Störung leicht hinwegkommen. Die Ehe bedeutet -in der Regel Segen, wenigstens an Kindern, aber die Nichtehe hat auch -ihre Segnungen. Unsere guten Frauen entschlagen sich dieser Einsicht, -und dieser unbedingte Glauben an sich und ihre Wichtigkeit hat oft was -Rührendes.« - -Lorenzen, der sich -- bei voller Würdigung der Gaben seines ihm -vorgesetzten und zugleich gern einen spöttischen Ton anschlagenden -Amtsbruders -- im allgemeinen nicht viel aus ihm machte, war diesmal -mit allem einverstanden und nickte, während sie, schräg über den Platz -fort, auf die Pfarre zuschritten. - -»Ja, diese Einbildungen!« fuhr Koseleger fort, zu dessen -Lieblingsgesprächen dieses Thema gehörte. »Gewiß ist es richtig, daß -wir samt und sonders von Einbildungen leben, aber für die Frauen ist -es das tägliche Brot. Sie malträtieren ihren Mann und sprechen dabei -von Liebe, sie +werden+ malträtiert und sprechen erst recht von Liebe; -sie sehen alles so, wie sie's sehen wollen, und vor allem haben sie ein -Talent, sich mit Tugenden auszurüsten (erlassen Sie mir, diese Tugenden -aufzuzählen), die sie durchaus nicht besitzen. Unter diesen meist nur -in der Vorstellung existierenden Tugenden befindet sich auch die der -Gastlichkeit, wenigstens hierlandes. Und nun gar unsre Pfarrmütter! -Eine jede hält sich für die heilige Elisabeth mit den bekannten Broten -im Korb. Haben Sie übrigens das Bild auf der Wartburg gesehen? Unter -allen Schwindschen Sachen steht es mir so ziemlich obenan. Und in -Wahrheit, um auf unsere Pfarrmütter zurückzukommen, liegt es doch so, -daß ich mich bei pastorlichen Junggesellen immer am besten aufgehoben -gefühlt habe.« - -Lorenzen lachte: »Wenn Sie nur heute nicht widerlegt werden, Herr -Superintendent.« - -»Ganz undenkbar, lieber Lorenzen. Ich bin noch nicht lange in dieser -Gegend, in meinem guten Quaden-Hennersdorf da drüben, aber wenn -auch nicht lange, so doch lange genug, um zu wissen, wie's hier -herum aussieht. Und Ihr Renommee ... Sie sollen so was von einem -Feinschmecker an sich haben. Kann ich mir übrigens denken. Sie sind -Ästhetikus, und das ist man nicht ungestraft, am wenigsten in bezug -auf die Zunge. Ja, das Ästhetische. Für manchen ist es ein Unglück. -Ich weiß davon. Das Haus hier vor uns ist wohl Ihr Schulhaus? -Weißgestrichen und kein Fetzchen Gardine, das ist immer ne preußische -Schule. So wird bei uns die Volksseele für das, was schön ist, -großgezogen. Aber es kommt auch was dabei heraus! Mitunter wundert's -mich nur, daß sie die Bauten aus der Zeit Friedrich Wilhelms ~I.~ -nicht besser konservieren. Eigentlich war +das+ doch das Ideal. Graue -Wand, hundert Löcher drin und unten großes Hauptloch. Und natürlich -ein Schilderhaus daneben. Letzteres das Wichtigste. Schade, daß so was -verloren geht. Übrigens rettet hier der grüne Staketenzaun das Ganze -... Wie heißt doch der Lehrer?« - -»Krippenstapel.« - -»Richtig, Krippenstapel. Katzler nannte ihn ja während der Sitzung mit -einer Art Aplomb. Ich erinnere mich noch, wie mir der Name wohltat, als -ich ihn das erstemal hörte. So heißt nicht jeder. Wie kommen Sie mit -dem Manne aus?« - -»Sehr gut, Herr Superintendent.« - -»Freut mich aufrichtig. Aber es muß ein Kunststück sein. Er hat -ein Gesicht wie ne Eule. Dabei so was Steifleinenes und zugleich -Selbstbewußtes. Der richtige Lehrer. Meiner in Quaden-Hennersdorf war -ebenso. Aber er läßt nun schon ein bißchen nach.« - -Unter diesen Worten waren sie bis an die Pfarre gekommen, in der man, -ohne daß ein Bote vorausgeschickt worden wäre, doch schon wußte, daß -der Herr Superintendent mit erscheinen würde. Nun war er da. Nur -wenige Minuten waren seit dem Aufbruch vom Krug her vergangen, die -trotz Kürze für Frau Kulicke (eine Lehrerswitwe, die Lorenzen die -Wirtschaft führte) ausgereicht hatten, alles in Schick und Ordnung zu -bringen. Auf dem länglichen Hausflur, an dessen äußerstem Ende man -gleich beim Eintreten die blinkblanke Küche sah, brannten ein paar -helle Paraffinkerzen, während rechts daneben, in der offenstehenden -Studierstube, eine große Lampe mit grünem Bilderschirm ein gedämpftes -Licht gab. Lorenzen schob den Sofatisch, darauf Zeitungen hoch -aufgeschichtet lagen, ein wenig zurück und bat Koseleger, Platz zu -nehmen. Aber dieser, eben jetzt das große Bild bemerkend, das in -beinahe reicher Umrahmung über dem Sofa hing, nahm den ihm angebotenen -Platz nicht gleich ein, sondern sagte, sich über den Tisch vorbeugend: -»Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens. Das ist ja ein -wunderschöner Stich. Oder eigentlich Aquatinta. Dergleichen wird hier -wohl im siebenmeiligen Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht -einmal in dem etwas heraufgepufften Rheinsberg; in Rheinsberg war -man für Watteausche Reifrockdamen auf einer Schaukel, aber nicht für -Kreuzabnahmen und dergleichen. Und stammt auch sicher nicht aus dem -sogenannten Schloß Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Riesenkate -mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich diese Glaskugeln sehe. Und daneben -+das+ hier! Wissen Sie, Lorenzen, das Bild hier ruft mir eine schöne -Stunde meines Lebens zurück, einen Reisetag, wo ich mit Großfürstin -Wera vom Haag aus in Antwerpen war. Da sah ich das Bild in der -Kathedrale. Waren Sie da?« - -Lorenzen verneinte. - -»Das wäre was für Sie. Dieser Rubens im Original, in seiner -Farbenallgewalt. Es heißt immer, daß er nur Flamänderinnen hätte malen -können. Nun, das wäre wohl auch noch nicht das Schlimmste gewesen. -Aber er konnte mehr. Sehen Sie den Christus. Wohl jedem, der draußen -war, und zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der -Bilderbogen, Türke links, Russe rechts. Ach, Lorenzen, es ist traurig, -hier versauern zu müssen.« - -Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hinstarrend, in die -Sofaecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und sah erst wieder -auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß und schlank und blond, -und dem Pastor verlegen und errötend etwas zuflüsterte. - -»Meine gute Frau Kulicke,« sagte Lorenzen, »läßt eben fragen, ob wir -unsern Imbiß im Nebenzimmer nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, -es ist das beste, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein Eßzimmer müsse -kalt sein. Nun, das hätten wir nebenan. Ich persönlich finde jedoch -das Temperierte besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr -Superintendent.« - -»Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir bleiben, wo -wir sind ... Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende -Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie -alt ist sie denn?« - -»Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.« - -»Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. Immer solche -Menschenblüte zu sehn. Und siebzehn, sagen Sie. Ja, das ist das -Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen von der Eierschale, noch -ein bißchen den Einsegnungscharakter, und achtzehn ist schon wieder -alltäglich. Achtzehn kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer -Mittelzustand. Und wie heißt sie?« - -»Elfriede.« - -»Auch +das+ noch.« - -Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte. - -»Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie's haben -in dieser Ihrer Waldpfarre. Was ich hier sehe, heimelt mich an, das -ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise den Tisch wieder -vergegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde -gesessen haben, an der linken Seite dieser Krippenstapel (er sei wie -er sei) und an der rechten Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch -lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch seine Größen und nicht -die schlechtesten. Und dazu dieser Katzler mit seiner Ermyntrud. All -das haben Sie dicht um sich her und dazu dies Kind, diese Elfriede, -die hoffentlich nicht Kulicke heißt, -- sonst bricht freilich mein -ganzes Begeisterungsgebäude wieder zusammen. Und nun nehmen Sie +mich+, -Ihren Superintendenten, das große Kirchenlicht dieser Gegenden! Alles -nackte Prosa, widerhaarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht -verzeihen können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürstin über -Land fahren konnte. Glauben Sie mir, Großfürstinnen, selbst wenn sie -Mängel haben (und sie haben Mängel), sind mir immer noch lieber als das -Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter ist mir zumut, als -gäbe es keine Weltordnung mehr.« - -»Aber Herr Superintendent ...« - -»Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Gesicht auf und wundern -sich, daß einer, für den die hohe Klerisei so viel getan und ihn zum -Superintendenten in der gesegneten Mittelmark und der noch gesegneteren -Grafschaft Ruppin gemacht hat, -- Sie wundern sich, daß solch zehnmal -Glücklicher solchen Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glücklicher? Ich -bin ein Unglücklicher ...« - -»Aber Herr Superintendent ...« - -»... Und möchte, daß ich eine Hundertundfünfzig-Seelen-Gemeinde hätte, -sagen wir auf dem ›toten Mann‹ oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, -dann wär es vorbei, dann wüßt ich bestimmt: ›du bist in den Skat -gelegt‹. Und das kann unter Umständen ein Trost sein. Die Leute, -die Schiffbruch gelitten und nun in einer Isolierzelle sitzen und -Tüten kleben oder Wolle zupfen, das sind nicht die Unglücklichsten. -Unglücklich sind immer bloß die Halben. Und als einen solchen habe -ich die Ehre mich Ihnen vorzustellen. Ich bin ein Halber, vielleicht -sogar in +dem+, worauf es ankommt; aber lassen wir das, ich will hier -nur vom allgemein Menschlichen sprechen. Und daß ich auch in diesem -Menschlichen ein Halber bin, das quält mich. Über das andre käm ich -vielleicht weg.« - -Lorenzens Augen wurden immer größer. - -»Sehen Sie, da war ich also -- verzeihen Sie, daß ich immer wieder -darauf zurückkomme -- da war ich also mit siebenundzwanzig im Haag und -kam in die vornehme Welt, die da zu Hause ist. Und da war ich denn -heut in Amsterdam und morgen in Scheveningen und den dritten Tag in -Gent oder in Brügge. Brügge, Reliquienschrein, Hans Memling -- so was -müßten Sie sehn. Was sollen uns diese ewigen Markgrafen oder gar die -faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, ist für's härene Gewand oder -zum Eremiten geboren. Ich nicht. Ich bin von der andern Seite; meine -Seele hängt an Leben und Schönheit. Und nun spricht da draußen all -dergleichen zu einem, und man tränkt sich damit und hat einen Ehrgeiz, -nicht einen kindischen, sondern einen echten, der höher hinauf will, -weil man da wirken und schaffen kann, für sich gewiß, aber auch für -andre. Danach dürstet einen. Und nun kommt der Becher, der diesen Durst -stillen soll. Und dieser Becher heißt Quaden-Hennersdorf. Das Dorf, das -mich umgibt, ist ein großes Bauerndorf, aufgesteifte Leute, geschwollen -und hartherzig, und natürlich so trocken und trivial, wie die Leute -hier alle sind. Und noch stolz darauf. Ach, Lorenzen, immer wieder, wie -beneide ich Sie!« - -Während Koseleger noch so sprach, erschien Frau Kulicke. Sie schob die -Zeitungen zurück, um zwei Kuverts legen zu können, und nun brachte sie -den Rotwein und ein Kabarett mit Brötchen. In dünngeschliffene große -Gläser schenkte Lorenzen ein, und die beiden Amtsbrüder stießen an »auf -bessere Zeiten«. Aber sie dachten sich sehr Verschiedenes dabei, weil -sich der eine nur mit sich, der andre nur mit andern beschäftigte. - -»Wir könnten, glaub ich,« sagte Lorenzen, »neben den ›besseren -Zeiten‹ noch dies und das leben lassen. Zunächst +Ihr+ Wohl, Herr -Superintendent. Und zum zweiten auf das Wohl unsers guten alten -Stechlin, der uns doch heute zusammengeführt. Ob wir ihn durchbringen? -Katzler tat so sicher und Kluckhuhn und Krippenstapel nun schon ganz -gewiß. Aber ich habe trotzdem Zweifel. Die Konservativen -- ich kann -kaum sagen ›unsere Parteigenossen‹, oder doch nur in sehr bedingtem -Sinne -- die Konservativen sind in sich gespalten. Es gibt ihrer -viele, denen unser alter Stechlin um ein gut Teil zu flau ist. -›~Fortiter in re, suaviter in modo~,‹ hat neulich einer, der sich auf -Bildung ausspielt, von dem Alten gesagt, und von ›~suaviter~,‹ wenn -auch nur ›~in modo~‹, wollen alle diese Herren nichts wissen. Unter -diesen Ultras ist natürlich auch Gundermann auf Siebenmühlen, der Ihnen -vielleicht bekannt geworden ist ...« - -»Versteht sich. War neulich bei mir. Ein Mann von drei Redensarten, von -denen die zwei besten aus der Wassermüllersphäre genommen sind.« - -»Nun, dieser Gundermann, wie immer die Dummen, ist zugleich Intrigant, -und während er vorgibt, für unsern guten alten Stechlin zu werben, -tropft er den Leuten Gift ins Ohr und erzählt ihnen, daß der Alte senil -sei und keinen Schneid habe. Der alte Stechlin hat aber mehr Schneid -als sieben Gundermanns. Gundermann ist ein Bourgeois und ein Parvenu, -also so ziemlich das Schlechteste, was einer sein kann. Ich bin schon -zufrieden, wenn dieser Jämmerling unterliegt. Aber um den Alten bin ich -besorgt. Ich kann nur wiederholen: es liegt nicht so günstig für ihn, -wie die Gegend hier sich einbildet. Denn auf das arme Volk ist kein -Verlaß. Ein Versprechen und ein Kornus, und alles schnappt ab.« - -»Ich werde das meine tun,« sagte Koseleger mit einer Mischung von -Pathos und Wohlwollen. Aber Lorenzen hatte dabei den Eindruck, daß -sein Quaden-Hennersdorfer Superintendent bereits ganz andern Bildern -nachhing. Und so war es auch. Was war für Koseleger diese traurige -Gegenwart? Ihn beschäftigte nur die Zukunft, und wenn er in die -hineinsah, so sah er einen langen, langen Korridor mit Oberlicht und -am Ausgang ein Klingelschild mit der Aufschrift: Doktor Koseleger, -Generalsuperintendent. - - * * * * * - -So ziemlich um dieselbe Stunde, wo die beiden Amtsbrüder »auf bessere -Zeiten« anstießen, hielt Katzlers Pürschwagen -- die Sterne blinkten -schon -- vor seiner Oberförsterei. Das Blaffen der Hunde, das, -solange der Wagen noch weit ab war, unausgesetzt über die Waldwiese -hingeklungen war, verkehrte sich mit einemmal in winseliges Geheul und -wunderliche Freudentöne. Katzler sprang aus dem Wagen, hing den Hut -an einen im Flur stehenden Ständer (von den ewigen »Geweihen« wollte -er als feiner Mann nichts wissen) und trat gleich danach in das an -der linken Flurseite gelegene, matt erleuchtete Wohnzimmer seiner -Frau. Das gedämpfte Licht ließ sie noch blasser erscheinen, als sie -war. Sie hatte sich, als der Wagen hielt, von ihrem Sofaplatz erhoben -und kam ihrem Manne, wie sie regelmäßig zu tun pflegte, wenn er aus -dem Walde zurückkehrte, zu freundlicher Begrüßung entgegen. Ein als -Weihnachtsgeschenk für eine jüngere Schwester bestimmtes Batisttuch, -in das sie eben die letzte Zacke der Ippe-Büchsensteinschen Krone -hineinstickte, hatte sie, bevor sie sich vom Sofa erhob, aus der Hand -gelegt. Sie war nicht schön, dazu von einem lymphatisch-sentimentalen -Ausdruck, aber ihre stattliche Haltung und mehr noch die Art, wie sie -sich kleidete, ließen sie doch als etwas durchaus Apartes und beinahe -Fremdländisches erscheinen. Sie trug, nach Art eines Morgenrockes, -ein glatt herabhängendes, leis gelbgetöntes Wollkleid und als -Eigentümlichstes einen aus demselben gelblichen Wollstoff hergestellten -Kopfputz, von dem es unsicher blieb, ob er einen Turban oder eine Krone -darstellen sollte. Das Ganze hatte etwas Gewolltes, war aber neben dem -Auffälligen doch auch wieder kleidsam. Es sprach sich ein Talent darin -aus, etwas aus sich zu machen. - -»Wie glücklich bin ich, daß du wieder da bist,« sagte Ermyntrud. »Ich -habe mich recht gebangt, diesmal nicht um dich, sondern um mich. Ich -muß dies egoistischerweise gestehen. Es waren recht schwere Stunden für -mich, die ganze Zeit, daß du fort warst.« - -Er küßte ihr die Hand und führte sie wieder auf ihren Platz zurück. -»Du darfst nicht stehen, Ermyntrud. Und nun bist du auch wieder bei -der Stickerei. Das strengt dich an und hat, wie du weißt, auf +alles+ -Einfluß. Der gute Doktor sagte noch gestern, alles sei im Zusammenhang. -Ich seh auch, wie blaß du bist.« - -»O, das macht der Schirm.« - -»Du willst es nicht wahr haben und mir nichts sagen, was vielleicht -wie Vorwurf klingen könnte. Ich mache mir aber den Vorwurf selbst. Ich -mußte hier bleiben und nicht hin zu dieser Stechliner Wahlversammlung.« - -»Du +mußtest+ hin, Wladimir.« - -»Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du so sprichst. Aber es wäre -schließlich auch ohne mich gegangen. Koseleger war da, der konnte das -Präsidium nehmen so gut wie ich. Und wenn der nicht wollte, so konnte -Torfinspektor Etzelius einspringen. Oder vielleicht auch Krippenstapel. -Krippenstapel ist doch zuletzt der, der alles macht. Jedenfalls liegt -es so, wenn es der eine nicht ist, ist es der andre.« - -»Ich kann das zugeben, wie könnte sonst die Welt bestehen? Es gibt -nichts, was uns so Demut predigte wie die Wahrnehmung von der -Entbehrlichkeit des einzelnen. Aber darauf kommt es nicht an. Worauf es -ankommt, das ist Erfüllung unsrer Pflicht.« - -Katzler, als er dies Wort hörte, sah sich nach einem Etwas um, das -ihn in den Stand gesetzt hätte, dem Gespräch eine andere Wendung zu -geben. Aber, wie stets in solchen Momenten, das, was retten konnte, war -nicht zu finden, und so sah er denn wohl, daß er einem Vortrage der -Prinzessin über ihr Lieblingsthema »von der Pflicht« verfallen sei. -Dabei war er eigentlich hungrig. - -Ermyntrud wies auf ein Taburett, das sie mittlerweile neben ihren -Sofaplatz geschoben, und sagte: »Daß ich immer wieder davon sprechen -muß, Wladimir. Wir leben eben nicht in der Welt um unsert-, sondern um -andrer willen. Ich will nicht sagen um der Menschheit willen, was eitel -klingt, wiewohl es eigentlich wohl so sein sollte. Was uns obliegt, ist -nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, -sondern lediglich die Pflicht ...« - -»Gewiß, Ermyntrud. Wir sind einig darüber. Es ist dies außerdem auch -etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor andern Nationen -ausgezeichnet, und selbst bei denen, die uns nicht begreifen oder -übelwollen, dämmert die Vorstellung von unsrer daraus entspringenden -Überlegenheit. Aber es gibt doch Unterschiede, Grade. Wenn ich statt -zu der Stechliner Wählerversammlung lieber zu Doktor Sponholz oder zur -alten Stinten in Kloster Wutz (die ja schon früher einmal dabei war) -gefahren wäre, so wäre das doch vielleicht das Bessere gewesen. Es ist -ein Glück, daß es noch mal so vorübergegangen. Aber darauf darf man -nicht in jedem Falle rechnen.« - -»Nein, darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen. Aber man darf -darauf rechnen, daß, wenn man das Pflichtgemäße tut, man zugleich auch -das Rechte tut. Es hängt so viel an der Wahl unsers alten trefflichen -Stechlin. Er steht außerdem sittlich höher als Kortschädel, dem man, -trotz seiner siebzig, allerhand nachsagen durfte. Stechlin ist ganz -intakt. Etwas sehr Seltenes. Und einem sittlichen Prinzip zum Siege zu -verhelfen, dafür leben wir doch recht eigentlich. Dafür lebe wenigstens -+ich+.« - -»Gewiß, Ermyntrud, gewiß.« - -»In jedem Augenblicke seiner Obliegenheiten eingedenk sein, ohne erst -bei Neigung oder Stimmung anzufragen, +das+ hab ich mir in feierlicher -Stunde gelobt, du weißt, in welcher, und du wirst mir das Zeugnis -ausstellen, daß ich diesem Gelöbnis nachgekommen ...« - -»Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unser Fundament ...« - -»Und wenn es sich um eine sittliche Pflicht handelt, wie doch heute -ganz offenbar, wie hätt ich da sagen wollen: bleibe. Ich wäre mir klein -vorgekommen, klein und untreu.« - -»Nicht untreu, Ermyntrud.« - -»Doch, doch, es gibt viele Formen der Untreue. Das Persönliche hat sich -der Familie zu bequemen und unterzuordnen und die Familie wieder der -Gesellschaft. In diesem Sinne bin ich erzogen, und in diesem Sinne tat -ich den Schritt. Verlange nicht, daß ich in irgend etwas diesen Schritt -zurücktue.« - -»Nie.« - -Das kleine Dienstmädchen, eine Heideläufertochter, deren storres Haar, -von keiner Bürste gezähmt, immer weit abstand, erschien in diesem -Augenblicke, meldend, daß sie das Teezeug gebracht habe. - -Katzler nahm seiner Frau Arm, um sie bis in das zweite, nach dem Hof -hinaus gelegene Zimmer zu führen. Als er aber wahrnahm, wie schwer ihr -das Gehen wurde, sagte er: »Ich freue mich, dich so sprechen zu hören. -Immer du selbst. Ich bin aber doch in Unruhe und will morgen früh zur -Frau schicken.« - -Sie nickte zustimmend, während ein halb zärtlicher Blick den guten -Katzler streifte, der, solange das ihm nur zu wohlbekannte Gespräch -über Pflicht gedauert hatte, von Minute zu Minute verlegener geworden -war. - - - - -Neunzehntes Kapitel - - -Und nun war Wahltagmorgen. Kurz vor acht erschien Lorenzen auf dem -Schloß, um in Dubslavs schon auf der Rampe haltenden Kaleschewagen -einzusteigen und mit nach Rheinsberg zu fahren. Der Alte, bereits -gestiefelt und gespornt, empfing ihn mit gewohnter Herzlichkeit und -guter Laune. »Das ist recht, Lorenzen. Und nun wollen wir auch gleich -aufsteigen. Aber warum haben Sie mich nicht an Ihrem Pfarrgarten -erwartet? Muß ja doch dran vorüber« -- und dabei schob er ihm voll -Sorglichkeit eine Decke zu, während die Pferde schon anrückten. -»Übrigens freut es mich trotzdem (man widerspricht sich immer), daß -Sie nicht so praktisch gewesen und doch lieber gekommen sind. Es is ne -Politesse. Und die Menschen sind jetzt so schrecklich unpoliert und -geradezu unmanierlich ... Aber lassen wir's; ich kann es nicht ändern, -und es grämt mich auch nicht.« - -»Weil Sie gütig sind und jene Heiterkeit haben, die, menschlich -angesehn, so ziemlich unser Bestes ist.« - -Dubslav lachte. »Ja, soviel ist richtig; Kopfhängerei war nie meine -Sache, und wäre das verdammte Geld nicht ... Hören Sie, Lorenzen, das -mit dem Mammon und dem goldnen Kalb, das sind doch eigentlich alles -sehr feine Sachen.« - -»Gewiß, Herr von Stechlin.« - -»... Und wäre das verdammte Geld nicht, so hätt ich den Kopf noch -weniger hängen lassen, als ich getan. Aber das Geld. Da war, noch -unter Friedrich Wilhelm ~III.~, der alte General von der Marwitz auf -Friedersdorf, von dem Sie gewiß mal gehört haben, der hat in seinen -Memoiren irgendwo gesagt: ›er hätte sich aus dem Dienst gern schon -früher zurückgezogen und sei bloß geblieben um des Schlechtesten -willen, was es überhaupt gäbe, um des Geldes willen‹ -- und das hat -damals, als ich es las, einen großen Eindruck auf mich gemacht. Denn -es gehört was dazu, das so ruhig auszusprechen. Die Menschen sind in -allen Stücken so verlogen und unehrlich, auch in Geldsachen, fast noch -mehr als in Tugend. Und das will was sagen. Ja, Lorenzen, so ist es -... Na, lassen wir's, Sie wissen ja auch Bescheid. Und dann sind das -schließlich auch keine Betrachtungen für heute, wo ich gewählt werden -und den Triumphator spielen soll. Übrigens geh ich einem totalen -Kladderadatsch entgegen. Ich werde nicht gewählt.« - -Lorenzen wurde verlegen, denn was Dubslav da zuletzt sagte, das stimmte -nur zu sehr mit seiner eigenen Meinung. Aber er mußte wohl oder übel, -so schwer es ihm wurde, das Gegenteil versichern. »Ihre Wahl, Herr -von Stechlin, steht, glaub ich, fest; in unsrer Gegend wenigstens. -Die Globsower und Dagower gehen mit gutem Beispiel voran. Lauter gute -Leute.« - -»Vielleicht. Aber schlechte Musikanten. Alle Menschen sind -Wetterfahnen, ein bißchen mehr, ein bißchen weniger. Und wir selber -machen's auch so. Schwapp, sind wir auf der andern Seite.« - -»Ja, schwach ist jeder, und ich mag mich auch nicht für all und jeden -verbürgen. Aber in diesem speziellen Falle ... Selbst Koseleger schien -mir voll Zuversicht und Vertrauen, als er am Donnerstag noch mit mir -plauderte.« - -»Koseleger voll Vertrauen! Na, dann geht es gewiß in die Brüche. Wo -Koseleger Amen sagt, das ist schon so gut wie letzte Ölung. Er hat -keine glückliche Hand, dieser Ihr Amtsbruder und Vorgesetzter.« - -»Ich teile leider einigermaßen Ihre Bedenken gegen ihn. Aber was -vielleicht mit ihm versöhnen kann, er hat angenehme Formen und durchaus -etwas Verbindliches.« - -»Das hat er. Und doch, so sehr ich sonst für Formen und -Verbindlichkeiten bin, nicht für seine. Man soll einem Menschen nicht -seinen Namen vorhalten. Aber Koseleger! Ich weiß immer nicht, ob er -mehr Kose oder mehr Leger ist; vielleicht beides gleich. Er ist wie ne -Baisertorte, süß, aber ungesund. Nein, Lorenzen, da bin ich doch mehr -für Sie. Sie taugen auch nicht viel, aber Sie sind doch wenigstens -ehrlich.« - -»Vielleicht,« sagte Lorenzen. »Übrigens hat Koseleger inmitten seiner -Verbindlichkeiten und schönen Worte doch auch wieder was Freies, beinah -Gewagtes und ist mir da neulich mit Bekenntnissen gekommen, fast wie -ein Charakter.« - -Dubslav lachte hell auf. »Charakter. Aber Lorenzen. Wie können Sie -sich so hinters Licht führen lassen. Ich verwette mich, er hat Ihnen -irgendwas über Ihre ›Gaben‹ gesagt; das ist jetzt so Lieblingswort, -das die Pastoren immer gegenseitig brauchen. Es soll bescheiden und -unpersönlich klingen und sozusagen alles auf Inspiration zurückführen, -für die man ja, wie für alles, was von oben kommt, am Ende nicht kann. -Es ist aber gerade dadurch das Hochmütigste ... War es so was? Hat er -meinen klugen Lorenzen, eh er sich als ›Charakter‹ ausspielte, durch -solche Schmeicheleien eingefangen?« - -»Es war nicht so, Herr von Stechlin. Sie tun ihm hier ausnahmsweise -unrecht. Er sprach überhaupt nicht über mich, sondern über sich, und -machte mir dabei seine Konfessions. Er gestand mir beispielsweise, daß -er sich unglücklich fühle.« - -»Warum?« - -»Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaziert sei.« - -»Deplaziert. Das ist auch solch Wort; das kenn ich. Wenn man durchaus -will, ist jeder deplaziert, ich, Sie, Krippenstapel, Engelke. Ich müßte -Präses von einem Stammtisch oder vielleicht auch ein Badedirektor -sein, Sie Missionar am Kongo, Krippenstapel Kustos an einem märkischen -Museum und Engelke, nun der müßte gleich selbst hinein, Nummer -hundertdreizehn. Deplaziert! Alles bloß Eitelkeit und Größenwahn. Und -dieser Koseleger mit dem Konsistorialratskinn! Er war Galopin bei ner -Großfürstin; das kann er nicht vergessen, damit will er's nun zwingen, -und in seinem Ärger und Unmut spielt er sich auf den Charakter aus und -versteigt sich, wie Sie sagen, bis zu Konfessions und Gewagtheiten. -Und wenn er nun reüssierte (Gott verhüt es), so haben Sie den -Scheiterhaufenmann ~comme il faut~. Und der erste, der raus muß, das -sind Sie. Denn er wird sofort das Bedürfnis spüren, seine Gewagtheiten -von heute durch irgendein Brandopfer wieder wettzumachen.« - -Unter diesem Gespräche waren sie schließlich aus dem Walde heraus und -näherten sich einem beinah meilenlangen und bis an den Horizont sich -ausdehnenden Stück Bruchland, über das mehrere mit Kropfweiden und -Silberpappeln besetzte Wege strahlenförmig auf Rheinsberg zuliefen. -Alle diese Wege waren belebt, meist mit Fußgängern, aber auch mit -Fuhrwerken. Eins davon, aus gelblichem Holz, das hell in der Sonne -blinkte, war leicht zu erkennen. - -»Da fährt ja Katzler,« sagte Dubslav. »Überrascht mich beinah. Es -ist nämlich, was Sie vielleicht noch nicht wissen werden, wieder was -einpassiert; er schickte mir heute früh einen Boten mit der Nachricht -davon, und daraus schloß ich, er würde +nicht+ zur Wahl kommen. Aber -Ermyntrud mit ihrer grandiosen Pflichtvorstellung wird ihn wohl wieder -fortgeschickt haben.« - -»Ist es wieder ein Mädchen?« fragte Lorenzen. - -»Natürlich, und zwar das siebente. Bei sieben (freilich müssen es -Jungens sein) darf man, glaub ich, den Kaiser zu Gevatter laden. -Übrigens sind mehrere bereits tot, und alles in allem ist es wohl -möglich, daß sich Ermyntrud über das beständige ›bloß Mädchen‹ allerlei -Sorgen und Gedanken macht.« - -Lorenzen nickte. »Kann mir's denken, daß die Prinzessin etwas wie -eine zu leistende Sühne darin sieht, Sühne wegen des von ihr getanen -Schrittes. Alles an ihr ist ein wenig überspannt. Und doch ist es eine -sehr liebenswürdige Dame.« - -»Wovon niemand überzeugter ist als ich,« sagte Dubslav. »Freilich bin -ich bestochen, denn sie sagt mir immer das Schmeichelhafteste. Sie -plaudre so gern mit mir, was auch am Ende wohl zutrifft. Und dabei -wird sie dann jedesmal ganz ausgelassen, trotzdem sie eigentlich -hochgradig sentimental ist. Sentimental, was nicht überraschen darf; -denn aus Sentimentalität ist doch schließlich die ganze Katzlerei -hervorgegangen. Bin übrigens ernstlich in Sorge, wo Hoheit den -richtigen Taufnamen für das Jüngstgeborene hernehmen wird. In diesem -Stücke, vielleicht dem einzigen, ist sie nämlich noch ganz und gar -Prinzessin geblieben. Und Sie, lieber Lorenzen, werden dabei sicherlich -mit zu Rate gezogen werden.« - -»Was ich mir nicht schwierig denken kann.« - -»Sagen Sie das nicht. Es gibt in diesem Falle viel weniger Brauchbares, -als Sie sich vorzustellen scheinen. Prinzessinnennamen an und für -sich, ohne weitere Zutat, ja, die gibt es genug. Aber damit ist -Ermyntrud nicht zufrieden; sie verlangt ihrer Natur nach zu dem -Dynastisch-Genealogischen auch noch etwas poetisch Märchenhaftes. -Und das kompliziert die Sache ganz erheblich. Sie können das sehen, -wenn Sie die Katzlersche Kinderstube durchmustern oder sich die Namen -der bisher Getauften ins Gedächtnis zurückrufen. Die Katzlersche -Kronprinzeß heißt natürlich auch Ermyntrud. Und dann kommen ebenso -selbstverständlich Dagmar und Thyra. Und danach begegnen wir einer -Inez und einer Maud und zuletzt einer Arabella. Aber bei Arabella -können Sie schon deutlich eine gewisse Verlegenheit wahrnehmen. Ich -würde ihr, wenn sie sich wegen des Jüngstgeborenen an mich wendete, -was Altjüdisches vorschlagen; das ist schließlich immer das Beste. Was -meinen Sie zu Rebekka?« - -Lorenzen kam nicht mehr dazu, Dubslav diese Frage zu beantworten, denn -eben jetzt waren sie durch das Stück Bruchland hindurch und rasselten -bereits über einen ein weiteres Gespräch unmöglich machenden Steindamm -weg, scharf auf Rheinsberg zu. - - * * * * * - -Dubslav war in ausgezeichneter Laune. Das prachtvolle Herbstwetter, -dazu das bunte Leben, alles hatte seine Stimmung gehoben, am meisten -aber, daß er unterwegs und beim Passieren der Hauptstraße bereits -Gelegenheit gehabt hatte, verschiedene gute Freunde zu begrüßen. Von -der Kirche her schlug es zehn, als er vor dem als Wahllokal etablierten -Gasthause »Zum Prinzregenten« hielt, in dessen Front denn auch bereits -etliche mehr oder weniger verwegen aussehende Wahlmänner standen, alle -bemüht, ihre Zettel an mutmaßliche Parteigenossen aufzuteilen. - -Drinnen im Saal war der Wahlakt schon im Gange. Hinter der Urne -präsidierte der alte Herr von Zühlen, ein guter Siebziger, der die -groteskesten Feudalansichten mit ebenso grotesker Bonhomie zu verbinden -wußte, was ihm, auch bei seinen politischen Gegnern, eine große -Beliebtheit sicherte. Neben ihm, links und rechts, saßen Herr von -Storbeck und Herr van dem Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der -Gegend von Delft, der vor wenig Jahren erst ein großes Gut im Ruppiner -Kreise gekauft und sich seitdem zum Preußen und, was noch mehr sagen -wollte, zum ›Grafschaftler‹ herangebildet hatte. Man sah ihn aus allen -möglichen Gründen -- auch schon um seines ›van‹ willen -- nicht ganz -für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil er der bei den meisten -Grafschaftlern stark ins Gewicht fallenden Haupteigenschaft eines vor -so und soviel Jahren in Batavia geborenen holländisch-javanischen -Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von Storbeck -Lebensgeschichte war durchschnittsmäßiger. Unter denen, die sonst noch -am Komiteetisch saßen, befand sich auch Katzler, den Ermyntrud (wie -Dubslav ganz richtig vermutet) mit der Bemerkung, »daß im modernen -bürgerlichen Staate Wählen so gut wie Kämpfen sei,« von ihrem -Wochenbette fortgeschickt hatte. »Das Kind wird inzwischen mein Engel -sein, und das Gefühl erfüllter Pflicht soll mich bei Kraft erhalten.« -Auch Gundermann, der immer mit dabei sein mußte, saß am Komiteetisch. -Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil er -- wie Lorenzen bereits -angedeutet -- wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß -er selber unterliegen würde, war klar und beschäftigte ihn kaum noch, -aber ihn erfüllte die Sorge, daß sein voraufgegangenes doppeltes Spiel -vielleicht an den Tag kommen könne. - -Dubslav wollte die Sache gern hinter sich haben. Er trat deshalb, -nachdem er sich draußen mit einigen Bekannten begrüßt und an jeden -einzelnen ein paar Worte gerichtet hatte, vom Vorplatz her in das -Wahllokal ein, um da so rasch wie möglich seinen Zettel in die Urne -zu tun. Es traf ihn bei dieser Prozedur der Blick des alten Zühlen, -der ihm in einer Mischung von Feierlichkeit und Ulk sagen zu wollen -schien: »Ja, Stechlin, das hilft nu mal nicht; man muß die Komödie mit -durchmachen.« Dubslav kam übrigens kaum dazu, von diesem Blicke Notiz -zu nehmen, weil er Katzlers gewahr wurde, dem er sofort entgegentrat, -um ihm durch einen Händedruck zu dem siebenten Töchterchen zu -gratulieren. An Gundermann ging der Alte ohne Notiznahme vorüber. Dies -war aber nur Zufall; er wußte nichts von den Zweideutigkeiten des -Siebenmühlners, und nur dieser selbst, weil er ein schlechtes Gewissen -hatte, wurde verlegen und empfand des Alten Haltung wie eine Absage. - -Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich die große Frage: -»Ja, was jetzt tun?« Es ging erst auf elf, und vor sechs war die -Geschichte nicht vorbei, wenn sich's nicht noch länger hinzog. Er -sprach dies auch einer Anzahl von Herren aus, die sich auf einer vor -dem Gasthause stehenden Bank niedergelassen und hier dem Likörkasten -des »Prinzregenten«, der sonst immer erst nach dem Diner auftauchte, -vorgreifend zugesprochen hatten. - -Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Parteigenossen, aber nicht -eigentlich Freunde, denn der alte Dubslav war nicht sehr für -Freundschaften. Er sah zu sehr, was jedem einzelnen fehlte. Die da -saßen und aus purer Langeweile sich über die Vorzüge von Allasch -und Chartreuse stritten, waren die Herren von Molchow, von Krangen -und von Gnewkow, dazu Baron Beetz und ein Freiherr von der Nonne, -den die Natur mit besonderer Rücksicht auf seinen Namen geformt zu -haben schien. Er trug eine hohe schwarze Krawatte, darauf ein kleiner -vermickerter Kopf saß, und wenn er sprach, war es, wie wenn Mäuse -pfeifen. Er war die komische Figur des Kreises und wurde gehänselt, -nahm es aber nicht übel, weil seine Mutter eine schlesische Gräfin auf -»inski« war, was ihm in seinen Augen ein solches Übergewicht sicherte, -daß er, wie Friedrich der Große, jeden Augenblick bereit war, »die sich -etwa einstellenden Pasquille niedriger hängen zu lassen«. - -»Ich denke, meine Herren,« sagte Dubslav, »wir gehen in den Park. Da -hat man doch immer was. An der einen Stelle ruht das Herz des Prinzen, -und an der andern Stelle ruht er selbst und hat sogar eine Pyramide -zu Häupten, wie wenn er Sesostris gewesen wäre. Ich würde gern einen -andern nennen, aber ich kenne bloß den.« - -»Natürlich gehen wir in den Park,« sagte von Gnewkow. »Und es ist -schließlich immer noch ein Glück, daß man so was hat ...« - -»Und auch ein Glück,« ergänzte von Molchow, »daß man solchen Wahltag -wie heute hat, der einen ordentlich zwingt, sich mal um Historisches -und Bildungsmäßiges zu kümmern. Bismarcken is es auch mal so gegangen, -noch dazu mit ner reichen Amerikanerin, und hat auch gleich (das heißt -eigentlich lange nachher) das rechte Wort dafür gefunden.« - -»Der hat immer das rechte Wort gefunden.« - -»Immer. Aber weiter, Molchow.« - -»... Und als nun also die reiche Amerikanerin so runde vierzig Jahr -später ihn wiedersah und sich bei ihm bedanken wollte von wegen des -Bildermuseums, in das er sie halb aus Verlegenheit und halb aus -Ritterlichkeit begleitet und ihr mutmaßlich alle Bilder falsch erklärt -hatte, da hat er all diesen Dank abgewiesen und ihr -- ich seh und -hör ihn ordentlich -- in aller Fidelität gesagt, sie habe nicht ihm, -sondern er habe ihr zu danken, denn wenn jener Tag nicht gewesen wäre, -so hätt er das ganze Bildermuseum höchstwahrscheinlich nie zu sehen -gekriegt. Ja, Glück hat er immer gehabt. Im großen und im kleinen. -Es fehlt bloß noch, daß er hinterher auch noch Generaldirektor der -königlichen Museen geworden wäre, was er schließlich doch auch noch -gekonnt hätte. Denn eigentlich konnt er alles und ist auch beinah alles -gewesen.« - -»Ja,« nahm Gnewkow, der aus Langeweile viel gereist war, seinen -Urgedanken, daß solcher Park eigentlich ein Glück sei, wieder auf. -»Ich finde, was Molchow da gesagt hat, ganz richtig; es kommt drauf -an, daß man reingezwungen wird, sonst weiß man überhaupt gar nichts. -Wenn ich so bloß an Italien zurückdenke. Sehen Sie, da läuft man nu -so rum, was einen doch am Ende strapziert, und dabei dieser ewige -pralle Sonnenschein. Ein paar Stunden geht es; aber wenn man nu schon -zweimal Kaffee getrunken und Granito gegessen hat, und es ist noch -nicht mal Mittag, ja, ich bitte Sie, was hat man da? Was fängt man da -an? Gradezu schrecklich. Und da kann ich Ihnen bloß sagen, da bin ich -ein kirchlicher Mensch geworden. Und wenn man dann so von der Seite her -still eintritt und hat mit einem Male die Kühle um sich rum, ja, da -will man gar nicht wieder raus und sieht sich so seine funfzig Bilder -an, man weiß nicht wie. Is doch immer noch besser als draußen. Und die -Zeit vergeht, und die Stunde, wo man was Reguläres kriegt, läppert sich -so heran.« - -»Ich glaube doch,« sagte der für kirchliche Kunst schwärmende Baron -Beetz, »unser Freund Gnewkow unterschätzt die Wirkung, die, vielleicht -gegen seinen Willen, die Quattrozentisten auf ihn gemacht haben. Er -hat ihre Macht an sich selbst empfunden, aber er will es nicht wahr -haben, daß die Frische von ihnen ausgegangen sei. Jeder, der was davon -versteht ...« - -»Ja, Baron, das is es eben. Wer was davon versteht! Aber wer versteht -was davon? Ich jedenfalls nicht.« - -Unter diesen Worten war man, vom »Prinzregenten« aus, die Hauptstraße -hinuntergeschritten und über eine kleine Brücke fort erst in den -Schloßhof und dann in den Park eingetreten. Der See plätscherte leis. -Kähne lagen da, mehrere an einem Steg, der von dem Kiesufer her in -den See hineinlief. Ein paar der Herren, unter ihnen auch Dubslav, -schritten die ziemlich wacklige Bretterlage hinunter und blickten, als -sie bis ans Ende gekommen waren, wieder auf die beiden Schloßflügel -und ihre kurz abgestumpften Türme zurück. Der Turm rechts war der, wo -Kronprinz Fritz sein Arbeitszimmer gehabt hatte. - -»Dort hat er gewohnt,« sagte von der Nonne. »Wie begrenzt ist doch -unser Können. Mir weckt der Anblick solcher Fridericianischen Stätten -immer ein Schmerzgefühl über das Unzulängliche des Menschlichen -überhaupt, freilich auch wieder ein Hochgefühl, daß wir dieser -Unzulänglichkeit und Schwäche Herr werden können. Tod, wo ist dein -Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Dieser König. Er war ein großer -Geist, gewiß; aber doch auch ein verirrter Geist. Und je patriotischer -wir fühlen, je schmerzlicher berührt uns die Frage nach dem Heil seiner -Seele. Die Seelenmessen -- das empfind ich in solchem Augenblicke -- -sind doch eine wirklich trostspendende Seite des Katholizismus, und -daß es (selbstverständlich unter Gewähr eines höchsten Willens) in die -Macht Überlebender gelegt ist, eine Seele freizubeten, das ist und -bleibt eine große Sache.« - -»Nonne,« sagte Molchow, »machen Sie sich nicht komisch. Was haben Sie -für ne Vorstellung vom lieben Gott? Wenn Sie kommen und den alten -Fritzen freibeten wollen, werden Sie rausgeschmissen.« - -Baron Beetz -- auch ein Anzweifler des Philosophen von Sanssouci -- -wollte seinem Freunde Nonne zu Hilfe kommen und erwog einen Augenblick -ernstlich, ob er nicht seinen in der ganzen Grafschaft längst bekannten -Vortrag über die »schiefe Ebene« oder »~c'est le premier pas qui -coute~« noch einmal zum besten geben solle. Klugerweise jedoch ließ -er es wieder fallen und war einverstanden, als Dubslav sagte: »Meine -Herren, ich meinerseits schlage vor, daß wir unsern Auslug von dem -Wackelstege, drauf wir hier stehen (jeden Augenblick kann einer von uns -ins Wasser fallen), endlich aufgeben und uns lieber in einem der hier -herumliegenden Kähne über den See setzen lassen. Unterwegs, wenn noch -welche da sind, können wir Teichrosen pflücken und drüben am andern -Ufer den großen Prinz-Heinrich-Obelisken mit seinen französischen -Inschriften durchstudieren. Solche Rekapitulation stärkt einen immer -historisch und patriotisch, und unser Etappenfranzösisch kommt auch -wieder zu Kräften.« - -Alle waren einverstanden, selbst Nonne. - - * * * * * - -Gegen vier war man von dem Ausfluge zurück und hielt wieder vor -dem »Prinzregenten«, auf einem mit alten Bäumen besetzten Platz, -der wegen seiner Dreiecksform schon von alter Zeit her den Namen -Triangelplatz führte. Die Wahlresultate lagen noch keineswegs sicher -vor; es ließ sich aber schon ziemlich deutlich erkennen, daß viele -Fortschrittlerstimmen auf den sozialdemokratischen Kandidaten, -Feilenhauer Torgelow, übergehen würden, der, trotzdem er nicht -persönlich zugegen war, die kleinen Leute hinter sich hatte. Hunderte -seiner Parteigenossen standen in Gruppen auf dem Triangelplatz umher -und unterhielten sich lachend über die Wahlreden, die während der -letzten Tage teils in Rheinsberg und Wutz, teils auf dem platten -Lande von Rednern der gegnerischen Parteien gehalten worden waren. -Einer der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus Torgelows, war -der Drechslergeselle Söderkopp, der sich schon lediglich in seiner -Eigenschaft als Drechslergeselle eines großen Ansehens erfreute. Jeder -dachte: der kann auch noch mal Bebel werden. »Warum nicht? Bebel is -alt, und dann haben wir den.« Aber Söderkopp verstand es auch wirklich, -die Leute zu packen. Am schärfsten ging er gegen Gundermann vor. »Ja, -dieser Gundermann, den kenn ich. Brettschneider und Börsenfilou; jeder -Groschen is zusammengejobbert. Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei -Redensarten, und der Fortschritt ist abwechselnd die ›Vorfrucht‹ und -dann wieder der ›Vater‹ der Sozialdemokratie. Vielleicht stammen wir -auch noch von Gundermann ab. So einer bringt alles fertig.« - -Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum zu Baum immer näher -gerückt und machte seine Notizen. In weiterer Entfernung stand -Pyterke, schmunzelnd und sichtlich verwundert, was Uncke wieder alles -aufzuschreiben habe. - -Pyterkes Verwunderung über das »Aufschreiben« war nur zu berechtigt, -aber sie wär es um ein gut Teil weniger gewesen, wenn sich Unckes -aufhorchender Diensteifer statt dem Sozialdemokraten Söderkopp lieber -dem Gespräch einer nebenstehenden Gruppe zugewandt hätte. Hier -plauderten nämlich mehrere »Staatserhaltende« von dem mutmaßlichen -Ausgange der Wahl und daß es mit dem Siege des alten Stechlin von -Minute zu Minute schlechter stünde. Besonders die Rheinsberger schienen -den Ausschlag zu seinen Ungunsten geben zu sollen. - -»Hole der Teufel das ganze Rheinsberg!« verschwor sich ein alter Herr -von Kraatz, dessen roter Kopf, während er so sprach, immer röter wurde. -»Dies elende Nest! Wir bringen ihn wahr und wahrhaftig nicht durch, -unsern guten alten Stechlin. Und was das sagen will, das wissen wir. -Wer gegen +uns+ stimmt, stimmt auch gegen den König. Das ist all eins. -Das ist das, was man jetzt solidarisch nennt.« - -»Ja, Kraatz,« nahm Molchow, an den sich diese Rede vorzugsweise -gerichtet hatte, das Wort, »nennen Sie's, wie Sie wollen, solidarisch -oder nicht; das eine sagt nichts, und das andre sagt auch nichts. Aber -mit Ihrem Wort über Rheinsberg, da haben Sie's freilich getroffen. -Aufmuckung war hier immer zu Hause, von Anfang an. Erst frondierte -Fritz gegen seinen Vater, dann frondierte Heinrich gegen seinen Bruder, -und zuletzt frondierte August, unser alter forscher Prinz August, den -manche von uns ja noch gut gekannt haben, ich sage: frondierte unser -alter August gegen die Moral. Und das war natürlich das Schlimmste. -(Zustimmung und Heiterkeit.) Und bestraft sich zuletzt auch immer. Denn -wissen Sie denn, meine Herren, wie's mit Augusten schließlich ging, als -er durchaus in den Himmel wollte?« - -»Nein. Wie war es denn, Molchow?« - -»Ja, er mußte da wohl ne halbe Stunde warten, und als er nu mit nem -Anschnauzer gegen Petrus rausfahren wollte, da sagte ihm der Fels -der Kirche: ›Königliche Hoheit, halten zu Gnaden, aber es ging nicht -anders.‹ Und warum nicht? Er hatte die elftausend Jungfrauen erst in -Sicherheit bringen müssen.« - -»Stimmt, stimmt,« sagte Kraatz. »So war der Alte. Der reine -Deubelskerl. Aber schneidig. Und ein richtiger Prinz. Und dann, meine -Herren, -- ja, du mein Gott, wenn man nu mal Prinz is, irgend was muß -man doch von der Sache haben ... Und soviel weiß ich, wenn ich Prinz -wäre ...« - - - - -Zwanzigstes Kapitel - - -Um sechs stand das Wahlresultat so gut wie fest; einige Meldungen -fehlten noch, aber das war aus Ortschaften, die mit ihren paar Stimmen -nichts mehr ändern konnten. Es lag zutage, daß die Sozialdemokraten -einen beinahe glänzenden Sieg davongetragen hatten; der alte Stechlin -stand weit zurück, Fortschrittler Katzenstein aus Gransee noch weiter. -Im ganzen aber ließen beide besiegte Parteien dies ruhig über sich -ergehen; bei den Freisinnigen war wenig, bei den Konservativen gar -nichts von Verstimmung zu merken. Dubslav nahm es ganz von der heiteren -Seite, seine Parteigenossen noch mehr, von denen eigentlich ein jeder -dachte: »Siegen ist gut, aber zu Tische gehen ist noch besser.« Und in -der Tat, gegessen mußte werden. Alles sehnte sich danach, bei Forellen -und einem guten Chablis die langweilige Prozedur zu vergessen. Und war -man erst mit den Forellen fertig und dämmerte der Rehrücken am Horizont -herauf, so war auch der Sekt in Sicht. Im »Prinzregenten« hielt man auf -eine gute Marke. - -Durch den oberen Saal hin zog sich die Tafel: der Mehrzahl nach -Rittergutsbesitzer und Domänenpächter, aber auch Gerichtsräte, die so -glücklich waren, den »Hauptmann in der Reserve« mit auf ihre Karte -setzen zu können. Zu diesem ~gros d'armée~ gesellten sich Forst- und -Steuerbeamte, Rentmeister, Prediger und Gymnasiallehrer. An der Spitze -dieser stand Rektor Thormeyer aus Rheinsberg, der große, vorstehende -Augen, ein mächtiges Doppelkinn, noch mächtiger als Koseleger, und -außerdem ein Renommee wegen seiner Geschichten hatte. Daß er nebenher -auch ein in der Wolle gefärbter Konservativer war, versteht sich von -selbst. Er hatte, was aber schon Jahrzehnte zurücklag, den großartigen -Gedanken gefaßt und verwirklicht: die ostelbischen Provinzen, da, wo -sie strauchelten, durch Gustav Kühnsche Bilderbogen auf den richtigen -Pfad zurückzuführen, und war dafür dekoriert worden. Es hieß denn auch -von ihm, »er gelte was nach oben hin,« was aber nicht recht zutraf. Man -kannte ihn »oben« ganz gut. - -Um halb sieben (Lichter und Kronleuchter brannten bereits) war -man unter den Klängen des Tannhäusermarsches die hie und da schon -ausgelaufene Treppe hinaufgestiegen. Unmittelbar vorher hatte noch ein -Schwanken wegen des Präsidiums bei Tafel stattgefunden. Einige waren -für Dubslav gewesen, weil man sich von ihm etwas Anregendes versprach, -auch speziell mit Rücksicht auf die Situation. Aber die Majorität -hatte doch schließlich Dubslavs Vorsitz als ganz undenkbar abgelehnt, -da der Edle Herr von Alten-Friesack, trotz seiner hohen Jahre, mit zur -Wahl gekommen war; der Edle Herr von Alten-Friesack, so hieß es, sei -doch nun mal -- und von einem gewissen Standpunkt aus auch mit Fug und -Recht -- der Stolz der Grafschaft, überhaupt ein Unikum, und ob er nun -sprechen könne oder nicht, das sei, wo sich's um eine Prinzipienfrage -handle, durchaus gleichgültig. Überhaupt, die ganze Geschichte mit -dem »Sprechenkönnen« sei ein moderner Unsinn. Die einfache Tatsache, -daß der Alte von Alten-Friesack dasäße, sei viel, viel wichtiger -als eine Rede, und sein großes Präbendenkreuz ziere nicht bloß ihn, -sondern den ganzen Tisch. Einige sprächen freilich immer von seinem -Götzengesicht und seiner Häßlichkeit, aber auch das schade nichts. -Heutzutage, wo die meisten Menschen einen Friseurkopf hätten, sei es -eine ordentliche Erquickung, einem Gesicht zu begegnen, das in seiner -Eigenart eigentlich gar nicht unterzubringen sei. Dieser von dem alten -Zühlen, trotz seiner Vorliebe für Dubslav, eindringlich gehaltenen -Rede war allgemein zugestimmt worden, und Baron Beetz hatte den -götzenhaften Alten-Friesacker an seinen Ehrenplatz geführt. Natürlich -gab es auch Schandmäuler. An ihrer Spitze stand Molchow, der dem neben -ihm sitzenden Katzler zuflüsterte: »Wahres Glück, Katzler, daß der -Alte drüben die große Blumenvase vor sich hat; sonst, so bei ~veau en -tortue~, -- vorausgesetzt, daß so was Feines überhaupt in Sicht steht --- würd ich der Sache nicht gewachsen sein.« - -Und nun schwieg der von einem Thormeyerschen Unterlehrer gespielte -Tannhäusermarsch, und als eine bestimmte Zeit danach der Moment für -den ersten Toast da war, erhob sich Baron Beetz und sagte: »Meine -Herren. Unser Edler Herr von Alten-Friesack ist von der Pflicht und -dem Wunsch erfüllt, den Toast auf Seine Majestät den Kaiser und -König auszubringen.« Und während der Alte, das Gesagte bestätigend, -mit seinem Glase grüßte, setzte der in seiner ~alter ego~-Rolle -verbleibende Baron Beetz hinzu: »Seine Majestät der Kaiser und König -lebe hoch!« Der Alten-Friesacker gab auch hierzu durch Nicken seine -Zustimmung, und während der junge Lehrer abermals auf den auf einer -Rheinsberger Schloßauktion erstandenen alten Flügel zueilte, stimmte -man an der ganzen Tafel hin das »Heil dir im Siegerkranz« an, dessen -erster Vers stehend gesungen wurde. - -Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine gewisse Fidelitas, -an der es übrigens von Anfang an nicht gefehlt hatte, konnte jetzt -nachhaltiger in ihr Recht treten. Allerdings war noch immer ein -wichtiger und zugleich schwieriger Toast in Sicht, +der+, der sich mit -Dubslav und dem unglücklichen Wahlausgange zu beschäftigen hatte. Wer -sollte den ausbringen? Man hing dieser Frage mit einiger Sorge nach -und war eigentlich froh, als es mit einemmale hieß, Gundermann werde -sprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener nicht ernsthaft zu -nehmen sei, ja, daß Sonderbarkeiten und vielleicht sogar Scheiterungen -in Sicht stünden, aber man tröstete sich, je mehr er scheitere, desto -besser. Die meisten waren bereits in erheblicher Aufregung, also sehr -unkritisch. Eine kleine Weile verging noch. Dann bat Baron Beetz, dem -die Rolle des Festordners zugefallen war, für Herrn von Gundermann auf -Siebenmühlen ums Wort. Einige sprachen ungeniert weiter; »Ruhe, Ruhe!« -riefen andre dazwischen, und als Baron Beetz noch einmal an das Glas -geklopft und nun, auch seinerseits um Ruhe bittend, eine leidliche -Stille hergestellt hatte, trat Gundermann hinter seinen Stuhl und -begann, während er mit affektierter Nonchalance seine Linke in die -Hosentasche steckte: - -»Meine Herren. Als ich vor so und soviel Jahren in Berlin studierte« -(»na nu«), »als ich vor Jahren in Berlin studierte, war da mal ne -Hinrichtung ...« - -»Alle Wetter, +der+ setzt gut ein.« - -»... war da mal ne Hinrichtung, weil eine dicke Klempnermadam, nachdem -sie sich in ihren Lehrburschen verliebt, ihren Mann, einen würdigen -Klempnermeister, vergiftet hatte. Und der Bengel war erst siebzehn. -Ja, meine Herren, soviel muß ich sagen, es kamen damals auch schon -dolle Geschichten vor. Und ich, weil ich den Gefängnisdirektor kannte, -ich hatte Zutritt zu der Hinrichtung, und um mich rum standen lauter -Assessoren und Referendare, ganz junge Herren, die meisten mit nem -Kneifer. Kneifer gab es damals auch schon. Und nun kam die Witwe, wenn -man sie so nennen darf, und sah soweit ganz behäbig und beinahe füllig -aus, weil sie, was damals viel besprochen wurde, nen Kropf hatte, -weshalb auch der Block ganz besonders hatte hergerichtet werden müssen. -Sozusagen mit nem Ausschnitt.« - -»Mit nem Ausschnitt ...; gut, Gundermann.« - -»Und als sie nun, ich meine die Delinquentin, all die jungen -Referendare sah, wobei ihr wohl ihr Lehrling einfallen mochte ...« - -»Keine Verspottung unsrer Referendare ...« - -»... Wobei ihr vielleicht ihr Lehrling einfallen mochte, da trat sie -ganz nahe an den Schafottrand heran und nickte uns zu (ich sage ›uns,‹ -weil sie mich auch ansah) und sagte: ›Ja, ja, meine jungen Herrens, -+dat kommt davon+ ...‹ Und sehen Sie, meine Herren, +dieses+ Wort, wenn -auch von einer Delinquentin herrührend, bin ich seitdem nicht wieder -losgeworden, und wenn ich so was erlebe wie heute, dann +muß+ einem -solch Wort auch immer wieder in Erinnerung kommen, und ich sage dann -auch, ganz wie die Alte damals sagte: ›Ja, meine Herren, dat kommt -davon.‹ Und wovon kommt es? Von den Sozialdemokraten. Und wovon kommen -die Sozialdemokraten?« - -»Vom Fortschritt. Alte Geschichte, kennen wir. Was Neues!« - -»Es gibt da nichts Neues. Ich kann nur bestätigen, vom Fortschritt -kommt es. Und wovon kommt +der+? Davon, daß wir die Abstimmungsmaschine -haben und das große Haus mit den vier Ecktürmen. Und wenn es -meinetwegen ohne das große Haus nicht geht, weil das Geld für den Staat -am Ende bewilligt werden muß -- und ohne Geld, meine Herren, geht es -nicht« (Zustimmung: »ohne Geld hört die Gemütlichkeit auf«) --, »nun -denn, wenn es also sein muß, was ich zugebe, was sollen wir, auch unter -derlei gern gemachten Zugeständnissen, anfangen mit einem Wahlrecht, wo -Herr von Stechlin gewählt werden soll, und wo sein Kutscher Martin, der -ihn zur Wahl gefahren, tatsächlich gewählt wird oder wenigstens gewählt -werden kann. Und der Kutscher Martin unsers Herrn von Stechlin ist mir -immer noch lieber als dieser Torgelow. Und all das nennt sich Freiheit. -Ich nenn es Unsinn, und viele tun desgleichen. Ich denke mir aber, -gerade +diese+ Wahl, in einem Kreise, drin das alte Preußen noch lebt, -gerade diese Wahl wird dazu beitragen, die Augen oben helle zu machen. -Ich sage nicht, welche Augen.« - -»Schluß, Schluß!« - -»Ich komme zum Schluß. Es hieß anno siebzig, daß sich die Franzosen -als die ›glorreich Besiegten‹ bezeichnet hätten. Ein stolzes und -nachahmenswertes Wort. Auch für uns, meine Herren. Und wie wir, ohne -uns was zu vergeben, diesen Sekt aus Frankreich nehmen, so dürfen wir, -glaub ich, auch das eben zitierte stolze Klagewort aus Frankreich -herübernehmen. Wir sind besiegt, aber wir sind glorreich Besiegte. Wir -haben eine Revanche. +Die+ nehmen wir. Und bis dahin in alle Wege: Herr -von Stechlin auf Schloß Stechlin, er lebe hoch!« - -Alles erhob sich und stieß mit Dubslav an. Einige freilich lachten, -und von Molchow, als er einen neuen Weinkübel heranbestellte, sagte zu -dem neben ihm sitzenden Katzler: »Weiß der Himmel, dieser Gundermann -ist und bleibt ein Esel. Was sollen wir mit solchen Leuten? Erst -beschreibt er uns die Frau mit nem Kropf, und dann will er das große -Haus abschaffen. Ungeheure Dämelei. Wenn wir das große Haus nicht mehr -haben, haben wir gar nichts; das ist noch unsre Rettung und die beinah -einzige Stelle, wo wir den Mund (ich sage Mund) einigermaßen auftun -und was durchsetzen können. Wir müssen mit dem Zentrum paktieren. Dann -sind wir egal raus. Und nun kommt dieser Gundermann und will uns auch -das noch nehmen. Es ist doch ne Wahrheit, daß sich die Parteien und die -Stände jedesmal selbst ruinieren. Das heißt, von ›Ständen‹ kann hier -eigentlich nicht die Rede sein; denn dieser Gundermann gehört nicht mit -dazu. Seine Mutter war ne Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er sich auch -immer vor.« - -Bald nach Gundermanns Rede, die schon eine Art Nachspiel gewesen war, -flüsterte Baron Beetz dem Alten-Friesacker zu, daß es Zeit sei, die -Tafel aufzuheben. Der Alte wollte jedoch noch nicht recht, denn wenn -er mal saß, saß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt -wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich anzuschließen, und -unter den Klängen des »Hohenfriedbergers« -- der »Prager«, darin es -heißt: »Schwerin fällt,« wäre mit Rücksicht auf die Gesamtsituation -vielleicht paßlicher gewesen -- kehrte man in die Parterreräume -zurück, wo die Majorität dem Kaffee zusprechen wollte, während eine -kleine Gruppe von Allertapfersten in die Straße hinaustrat, um da, -unter den Bäumen des »Triangelplatzes,« sich bei Sekt und Kognak des -weiteren ~bene~ zu tun. Obenan saß von Molchow, neben ihm von Kraatz -und van Peerenboom; Molchow gegenüber Direktor Thormeyer und der bis -dahin mit der Festmusik betraute Lehrer, der bei solchen Gelegenheiten -überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonderbarerweise hatte sich auch -Katzler hier niedergelassen (er sehnte sich wohl nach Eindrücken, -die jenseits aller »Pflicht« lagen), und neben ihm, was beinahe noch -mehr überraschen konnte, saß von der Nonne. Molchow und Thormeyer -führten das Wort. Von Wahl und Politik -- nur über Gundermann fiel -gelegentlich eine spöttische Bemerkung -- war längst keine Rede mehr, -statt dessen befleißigte man sich, die neuesten Klatschgeschichten aus -der Grafschaft heranzuziehen. »Ist es denn wahr,« sagte Kraatz, »daß -die schöne Lilli nun doch ihren Vetter heiraten wird, oder richtiger, -der Vetter die schöne Lilli?« - -»Vetter?« fragte Peerenboom. - -»Ach, Peerenboom, Sie wissen auch gar nichts; Sie sitzen immer noch -zwischen Ihren Delfter Kacheln und waren doch schon ne ganze Weile -hier, als die Lilli-Geschichte spielte.« - -Peerenboom ließ sich's gesagt sein und begrub jede weitere Frage, was -er, ohne sich zu schädigen, auch ganz gut konnte, da kein Zweifel war, -daß der, der das Lilli-Thema heraufbeschworen, über kurz oder lang -ohnehin alles klarlegen würde. Das geschah denn auch. - -»Ja, diese verdammten Kerle,« fuhr von Kraatz fort, »diese Lehrer! -Entschuldigen Sie, Luckhardt, aber Sie sind ja beim Gymnasium, da liegt -alles anders, und +der+, der hier ne Rolle spielt, war ja natürlich -bloß ein Hauslehrer, Hauslehrer bei Lillis jüngstem Bruder. Und eines -Tages waren beide weg, der Kandidat und Lilli. Selbstverständlich nach -England. Es kann einer noch so dumm sein, aber von Gretna Green hat er -doch mal gehört oder gelesen. Und da wollten sie denn auch beide hin. -Und sind auch. Aber ich glaube, der Gretna Greensche darf nicht mehr -trauen. Und so nahmen sie denn Lodgings in London, ganz ohne Trauung. -Und es ging auch so, bis ihnen das kleine Geld ausging.« - -»Ja, das kennt man.« - -»Und da kamen sie denn also wieder. Das heißt, Lilli kam wieder. Und -sie war auch schon vorher mit dem Vetter so gut wie verlobt gewesen.« - -»Und der sprang nu ab?« - -»Nicht so ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn Lilli ist sehr hübsch -und nebenher auch noch sehr reich. Und da soll denn der Vetter gesagt -haben, er liebe sie so sehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch. -Und er halte auch eine Entsühnung für durchaus möglich. Ja, er soll -dabei von Purgatorium gesprochen haben.« - -»Mißfällt mir, klingt schlecht,« sagte Molchow. »Aber was er vorher -gesagt, ›Entsühnung,‹ das ist ein schönes Wort und eine schöne Sache. -Nur das ›Wie,‹ -- ach, man weiß immer so wenig von diesen Dingen, -- -will mir nicht recht einleuchten. Als Christ weiß ich natürlich (so -schlimm steht es am Ende auch nicht mit einem), als Christ weiß ich, -daß es eine Sühne gibt. Aber in solchem Falle? Thormeyer, was meinen -Sie, was sagen Sie dazu? Sie sind ein Mann von Fach und haben alle -Kirchenväter gelesen und noch ein paar mehr.« - -Thormeyer verklärte sich. Das war so recht ein Thema nach seinem -Geschmack; seine Augen wurden größer und sein glattes Gesicht noch -glatter. - -»Ja,« sagte er, während er sich über den Tisch zu Molchow vorbeugte, -»so was gibt es. Und es ist ein Glück, daß es so was gibt. Denn die -arme Menschheit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich vermeiden, -einmal, weil sich mein protestantisches Gewissen dagegen sträubt, und -dann auch wegen des Anklangs; aber es gibt eine Purifikation. Und das -ist doch eigentlich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherstellung. -Ein etwas schwerfälliges Wort. Indessen die Sache, drum sich's hier -handelt, gibt es doch gut wieder. Sie begegnen diesem Hange nach -Restitution überall, und namentlich im Orient -- aus dem doch unsre -ganze Kultur stammt -- finden Sie diese Lehre, dieses Dogma, diese -Tatsache.« - -»Ja, ist es eine Tatsache?« - -»Schwer zu sagen. Aber es wird als Tatsache genommen. Und das ist -ebensogut. +Blut sühnt.+« - -»Blut sühnt,« wiederholte Molchow. »Gewiß. Daher haben wir ja auch -unsere Duellinstitution. Aber wo wollen Sie hier die Blutsühne -hernehmen? In diesem Spezialfalle ganz undurchführbar. Der -Hauslehrer ist drüben in England geblieben, wenn er nicht gar nach -Amerika gegangen ist. Und wenn er auch wiederkäme, er ist nicht -satisfaktionsfähig. Wär er Reserveoffizier, so hätt ich das längst -erfahren ...« - -»Ja, Herr von Molchow, das ist die hiesige Anschauung. Etwas primitiv, -naturwüchsig, das sogenannte Blutracheprinzip. Aber es braucht nicht -immer das Blut des Übeltäters selbst zu sein. Bei den Orientalen ...« - -»Ach, Orientalen ... dolle Gesellschaft ...« - -»Nun denn meinetwegen, bei fast allen Völkern des Ostens sühnt Blut -überhaupt. Ja mehr, nach orientalischer Anschauung -- ich kann das -Wort nicht vermeiden, Herr von Molchow, ich muß immer wieder darauf -zurückkommen -- nach orientalischer Anschauung stellt Blut die Unschuld -als solche wieder her.« - -»Na, hören Sie, Rektor.« - -»Ja, es ist so, meine Herren. Und ich darf sagen, es zählt das zu dem -Feinsten und Tiefsinnigsten, was es gibt. Und ich habe da auch neulich -erst eine Geschichte gelesen, die das alles nicht bloß so obenhin -bestätigt, sondern beinahe +großartig+ bestätigt. Und noch dazu aus -Siam.« - -»Aus Siam?« - -»Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit behelligen, wenn die Sache -nicht ein bißchen zu lang wäre. Die Herren vom Lande werden so leicht -ungeduldig, und ich wundere mich oft, daß sie die Predigt bis zu Ende -mitanhören. Daneben ist freilich meine Geschichte aus Siam ...« - -»Erzählen, Direktorchen, erzählen.« - -»Nun denn, auf Ihre Gefahr. Freilich auch auf meine ... Da war also, -und es ist noch gar nicht lange her, ein König von Siam. Die Siamesen -haben nämlich auch Könige.« - -»Nu, natürlich. So tief stehen sie doch nicht.« - -»Also da war ein König von Siam, und dieser König hatte eine Tochter.« - -»Klingt ja wie aus'm Märchen.« - -»Ist auch, meine Herren. Eine Tochter, eine richtige Prinzessin, und -ein Nachbarfürst (aber von geringerem Stande, so daß man doch auch hier -wieder an den Kandidaten erinnert wird) -- dieser Nachbarfürst raubte -die Prinzessin und nahm sie mit in seine Heimat und seinen Harem, trotz -alles Sträubens.« - -»Na, na.« - -»So wenigstens wird berichtet. Aber der König von Siam war nicht der -Mann, so was ruhig einzustecken. Er unternahm vielmehr einen heiligen -Krieg gegen den Nachbarfürsten, schlug ihn und führte die Prinzessin -im Triumphe wieder zurück. Und alles Volk war wie von Sieg und Glück -berauscht. Aber die Prinzessin selbst war schwermütig.« - -»Kann ich mir denken. Wollte wieder weg.« - -»Nein, ihr Herren. Wollte +nicht+ zurück. Denn es war eine sehr feine -Dame, die gelitten hatte ...« - -»Ja. Aber wie ...« - -»Die gelitten hatte und fortan nur dem einen Gedanken der Entsühnung -lebte, dem Gedanken, wie das Unheilige, das Berührtsein, wieder von ihr -genommen werden könne.« - -»Geht nicht. Berührt is berührt.« - -»Mitnichten, Herr von Molchow. Die hohe Priesterschaft wurde -herangezogen und hielt, wie man hier vielleicht sagen würde, einen -Synod, in dem man sich mit der Frage der Entsühnung oder, was dasselbe -sagen will, mit der Frage der Wiederherstellung der Virginität -beschäftigte. Man kam überein (oder fand es auch vielleicht in alten -Büchern), daß sie in Blut gebadet werden müsse.« - -»Brrr.« - -»Und zu diesem Behufe wurde sie bald danach in eine Tempelhalle -geführt, drin zwei mächtige Wannen standen, eine von rotem Porphyr -und eine von weißem Marmor, und zwischen diesen Wannen, auf einer Art -Treppe, stand die Prinzessin selbst. Und nun wurden drei weiße Büffel -in die Tempelhalle gebracht, und der Hohepriester trennte mit einem -Schnitt jedem der drei das Haupt vom Rumpf und ließ das Blut in die -daneben stehende Porphyrwanne fließen. Und jetzt war das Bad bereitet, -und die Prinzessin, nachdem siamesische Jungfrauen sie entkleidet -hatten, stieg in das Büffelblut hinab, und der Hohepriester nahm ein -heiliges Gefäß und schöpfte damit und goß es aus über die Prinzessin.« - -»Eine starke Geschichte; bei Tisch hätt ich mehrere Gänge passieren -lassen. Ich find es doch entschieden zu viel.« - -»Ich nicht,« sagte der alte Zühlen, der sich inzwischen eingefunden und -seit ein paar Minuten mit zugehört hatte. »Was heißt zuviel oder zu -stark? Stark ist es, soviel geb ich zu; aber nicht +zu+ stark. Daß es -stark ist, das ist ja eben der Witz von der Sache. Wenn die Prinzessin -bloß einen Leberfleck gehabt hätte, so fänd ich es ohne weiteres -zu stark; es muß immer ein richtiges Verhältnis da sein zwischen -Mittel und Zweck. Ein Leberfleck ist gar nichts. Aber bedenken Sie, -ne richtige Prinzessin als Sklavin in einem Harem; da muß denn doch -ganz anders vorgegangen werden. Wir reden jetzt so viel von ›großen -Mitteln‹. Ja, meine Herren, auch +hier+ war nur mit großen Mitteln was -auszurichten.« - -»~Igni et ferro~,« bestätigte der Rektor. - -»Und,« fuhr der alte Zühlen fort, »soviel wird jedem einleuchten, -um den Teufel auszutreiben (als den ich diesen Nachbarfürsten und -seine Tat durchaus ansehe), dazu mußte was Besonderes geschehn, etwas -Beelzebubartiges. Und das war eben das Blut dieser drei Büffel. Ich -find es +nicht+ zu viel.« - -Thormeyer hob sein Glas, um mit dem alten Zühlen anzustoßen. »Es -ist genau so, wie Herr von Zühlen sagt. Und zuletzt geschah denn -auch glücklicherweise das, was unsre mehr auf Schönheit gerichteten -Wünsche -- denn wir leben nun mal in einer Welt der Schönheit -- -zufriedenstellen konnte. Direkt aus der Porphyrwanne stieg die -Prinzessin in die Marmorwanne, drin alle Wohlgerüche Arabiens ihre -Heimstätte hatten, und alle Priester traten mit ihren Schöpfkellen -aufs neue heran, und in Kaskaden ergoß es sich über die Prinzessin, -und man sah ordentlich, wie die Schwermut von ihr abfiel und wie all -das wieder aufblühte, was ihr der räuberische Nachbarfürst genommen. -Und zuletzt schlugen die Dienerinnen ihre Herrin in schneeweiße -Gewänder und führten sie bis an ein Lager und fächelten sie hier mit -Pfauenwedeln, bis sie den Kopf still neigte und entschlief. Und ist -nichts zurückgeblieben, und ist später die Gattin des Königs von -Annam geworden. Er soll allerdings sehr aufgeklärt gewesen sein, weil -Frankreich schon seit einiger Zeit in seinem Lande herrschte.« - -»Hoffen wir, daß Lillis Vetter auch ein Einsehen hat.« - -»Er wird, er wird.« - -Darauf stieß man an, und alles brach auf. Die Wagen waren bereits -vorgefahren und standen in langer Reihe zwischen dem »Prinzregenten« -und dem Triangelplatz. - -Auch der Stechliner Wagen hielt schon, und Martin, um sich die Zeit zu -vertreiben, knipste mit der Peitsche. Dubslav suchte nach seinem Pastor -und begann schon ungeduldig zu werden, als Lorenzen endlich an ihn -herantrat und um Entschuldigung bat, daß er habe warten lassen. Aber -der Oberförster sei schuld; der habe ihn in ein Gespräch verwickelt, -das auch noch nicht beendet sei, weshalb er vorhabe, die Rückfahrt mit -Katzler gemeinschaftlich zu machen. - -Dubslav lachte. »Na, dann mit Gott. Aber lassen Sie sich nicht zu -viel erzählen. Ermyntrud wird wohl die Hauptrolle spielen oder noch -wahrscheinlicher der neuzufindende Name. Werde wohl recht behalten ... -Und nun vorwärts, Martin.« - -Damit ging es über das holperige Pflaster fort. - - * * * * * - -In der Stadt war schon alles still; aber draußen auf der Landstraße -kam man an großen und kleinen Trupps von Häuslern, Teerschwelern und -Glashüttenleuten vorüber, die sich einen guten Tag gemacht hatten -und nun singend und johlend nach Hause zogen. Auch Frauensvolk war -dazwischen und gab allem einen Beigeschmack. - -So trabte Dubslav auf den als halber Weg geltenden Nehmitzsee zu. Nicht -weit davon befand sich ein Kohlenmeiler, Dietrichsofen, und als Martin -jetzt um die nach Süden vorgeschobene Seespitze herumbiegen wollte, -sah er, daß wer am Wege lag, den Oberkörper unter Gras und Binsen -versteckt, aber die Füße quer über das Fahrgeleise. - -Martin hielt an. »Gnädiger Herr, da liegt wer. Ich glaub, es ist der -alte Tuxen.« - -»Tuxen, der alte Süffel von Dietrichsofen?« - -»Ja, gnädiger Herr. Ich will mal sehen, was es mit ihm is.« - -Und dabei gab er die Leinen an Dubslav und stieg ab und rüttelte und -schüttelte den am Wege Liegenden. »Awer Tuxen, wat moakst du denn hier? -Wenn keen Moonschien wiehr, wiehrst du nu all kaput.« - -»Joa, joa,« sagte der Alte. Aber man sah, daß er ohne rechte Besinnung -war. - -Und nun stieg Dubslav auch ab, um den ganz Unbehilflichen mit Martin -gemeinschaftlich auf den Rücksitz zu legen. Und bei dieser Prozedur kam -der Trunkene einigermaßen wieder zu sich und sagte: »Nei, nei, Martin, -nich doa; pack mi lewer vörn upp'n Bock.« - -Und wirklich, sie hoben ihn da hinauf, und da saß er nun auch ganz -still und sagte nichts. Denn er schämte sich vor dem gnädigen Herrn. - -Endlich aber nahm dieser wieder das Wort und sagte: »Nu sage mal, -Tuxen, kannst du denn von dem Branntwein nich lassen? Legst dich da -hin; is ja schon Nachtfrost. Noch ne Stunde, dann warst du dod. Waren -sie denn alle so?« - -»Mehrschtendeels.« - -»Und da habt ihr denn für den Katzenstein gestimmt?« - -»Nei, gnädger Herr, vör Katzenstein nich.« - -Und nun schwieg er wieder, während er vorn auf dem Bock unsicher hin -und her schwankte. - -»Na, man raus mit der Sprache. Du weißt ja, ich reiß keinem den Kopp -ab. Is auch alles egal. Also für Katzenstein nich. Na, für wen denn?« - -»För Torgelow'n.« - -Dubslav lachte. »Für Torgelow, den euch die Berliner hergeschickt -haben. Hat er denn schon was für euch getan?« - -»Nei, noch nich.« - -»Na, warum denn?« - -»Joa, se seggen joa, he +will+ wat för uns duhn un is so sihr för de -armen Lüd. Un denn kriegen wi joa'n Stück Tüffelland. Un se seggen ook, -he is klöger, as de annern sinn.« - -»Wird wohl. Aber er is doch noch lange nich so klug, wie ihr dumm seid. -Habt ihr denn schon gehungert?« - -»Nei, dat grad nich.« - -»Na, das kann auch noch kommen.« - -»Ach, gnädger Herr, dat wihrd joa woll nich.« - -»Na, wer weiß, Tuxen. Aber hier is Dietrichsöfen. Nu steigt ab und -seht Euch vor, daß Ihr nicht fallt, wenn die Pferde anrucken. Und hier -habt Ihr was. Aber nich mehr für heut. Für heut habt Ihr genug. Und nu -macht, daß Ihr zu Bett kommt, und träumt von ›Tüffelland‹.« - - - - -In Mission nach England - - - - -Einundzwanzigstes Kapitel - - -Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungstelegrammen, daß der -sozialdemokratische Kandidat, Feilenhauer Torgelow, im Wahlkreise -Rheinsberg-Wutz gesiegt habe. Bald darauf traf auch ein Brief von -Lorenzen ein, der zunächst die Telegramme bestätigte und am Schlusse -hinzusetzte, daß Dubslav eigentlich herzlich froh über den Ausgang -sei. Woldemar war es auch. Er ging davon aus, daß sein Vater wohl das -Zeug habe, bei Dressel oder Borchardt mit viel gutem Menschenverstand -und noch mehr Eulenspiegelei seine Meinung über allerhand politische -Dinge zum besten zu geben; aber im Reichstage fach- und sachgemäß -sprechen, das konnt er nicht und wollt er auch nicht. Woldemar war so -durchdrungen davon, daß er über die Vorstellung einer Niederlage, dran -er als Sohn des Alten immerhin wie beteiligt war, verhältnismäßig rasch -hinwegkam, pries es aber doch, um eben diese Zeit mit einem Kommando -nach Ostpreußen hin betraut zu werden, das ihn auf ein paar Wochen -von Berlin fernhielt. Kam er dann zurück, so waren Anfragen in dieser -Wahlangelegenheit nicht mehr zu befürchten, am wenigsten innerhalb -seines Regiments, in dem man sich, von ein paar Intimsten abgesehen, -eigentlich schon jetzt über den unliebsamen Zwischenfall ausschwieg. - -Und in Schweigen hüllte man sich auch am Kronprinzenufer, als Woldemar -hier am Abend vor seiner Abreise noch einmal vorsprach, um sich bei -der gräflichen Familie zu verabschieden. Es wurde nur ganz obenhin -von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie gesprochen, ein -absichtlich flüchtiges Berühren, das nicht auffiel, weil sich das -Gespräch sehr bald um Rex und Czako zu drehen begann, die, seit -lange dazu aufgefordert, gerade den Tag vorher ihren ersten Besuch -im Barbyschen Hause gemacht und besonders bei dem alten Grafen viel -Entgegenkommen gefunden hatten. Auch Melusine hatte sich durch den -Besuch der Freunde durchaus zufriedengestellt gesehen, trotzdem ihr -nicht entgangen war, was, nach freilich entgegengesetzten Seiten hin, -die Schwäche beider ausmachte. - -»Wovon der eine zu wenig hat,« sagte sie, »davon hat der andre zu viel.« - -»Und wie zeigte sich das, gnädigste Gräfin?« - -»O, ganz unverkennbar. Es traf sich, daß im selben Augenblicke, wo -die Herren Platz nahmen, drüben die Glocken der Gnadenkirche geläutet -wurden, was denn -- man ist bei solchen ersten Besuchen immer dankbar, -an irgendwas anknüpfen zu können -- unser Gespräch sofort aufs -Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten sich dann beide. Hauptmann -Czako, weil er ahnen mochte, was sein Freund in nächster Minute sagen -würde, gab vorweg deutliche Zeichen von Ungeduld, während Herr von Rex -in der Tat nicht nur von dem ›Ernst der Zeiten‹ zu sprechen anfing, -sondern auch von dem Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, uns nahe -bevorstehenden Umschwung erwartete. Was mich natürlich erheiterte.« - - * * * * * - -Woldemars Kommando nach Ostpreußen war bis auf Anfang November -berechnet, und mehr als einmal sprachen im Verlaufe dieser Zeit Rex und -Czako bei den Barbys vor. Freilich immer nur einzeln. Verabredungen -zu gemeinschaftlichem Besuche waren zwar mehrfach eingeleitet worden, -aber jedesmal erfolglos, und erst zwei Tage vor Woldemars Rückkehr -fügte es sich, daß sich die beiden Freunde bei den Barbys trafen. -Es war ein ganz besonders gelungener Abend, da neben der Baronin -Berchtesgaden und Doktor Wrschowitz auch ein alter Malerprofessor -(eine neue Bekanntschaft des Hauses) zugegen waren, was eine sehr -belebte Konversation herbeiführte. Besonders der neben seinen andern -Apartheiten auch durch langes weißes Haar und große Leuchte-Augen -ausgezeichnete Professor hatte -- gestützt auf einen unentwegten -Peter-Cornelius-Enthusiasmus -- alles hinzureißen gewußt. »Ich -bin glücklich, noch die Tage dieses großen und einzig dastehenden -Künstlers gesehen zu haben. Sie kennen seine Kartons, die mir das -Bedeutendste scheinen, was wir überhaupt hier haben. Auf dem einen -Karton steht im Vordergrund ein Tubabläser und setzt das Horn an den -Mund, um zu Gericht zu rufen. Diese eine Gestalt balanciert fünf -Kunstausstellungen, will also sagen netto 15000 Bilder. Und eben diese -Kartons, samt dem Bläser zum Gericht, die wollen sie jetzt fortschaffen -und sagen dabei in naiver Effronterie, solch schwarzes Zeug mit -Kohlenstrichen dürfe überhaupt nicht so viel Raum einnehmen. Ich aber -sage Ihnen, meine Herrschaften, ein Kohlenstrich von Cornelius ist -mehr wert als alle modernen Paletten zusammengenommen, und die Tuba, -die dieser Tubabläser da an den Mund setzt -- verzeihen Sie mir altem -Jüngling diesen Kalauer --, diese Tuba wiegt alle Tuben auf, aus denen -sie jetzt ihre Farben herausdrücken. Beiläufig auch eine miserable -Neuerung. Zu meiner Zeit gab es noch Beutel, und diese Beutel aus -Schweinsblase waren viel besser. Ein wahres Glück, daß König Friedrich -Wilhelm ~IV.~ diese jetzt etablierte Niedergangsepoche nicht mehr -erlebt hat, diese Zeit des Abfalls, so recht eigentlich eine Zeit der -apokalyptischen Reiter. Bloß zu den dreien, die der große Meister uns -da geschaffen hat, ist heutzutage noch ein vierter Reiter gekommen, -ein Mischling von Neid und Ungeschmack. Und dieser vierte sichelt am -stärksten.« - -Alles nickte, selbst die, die nicht ganz so dachten, denn der Alte -mit seinem Apostelkopfe hatte ganz wie ein Prophet gesprochen. Nur -Melusine blieb in einer stillen Opposition und flüsterte der Baronin -zu: »Tubabläser. Mir persönlich ist die Böcklinsche Meerfrau mit dem -Fischleib lieber. Ich bin freilich Partei.« - - * * * * * - -Die Abende bei den Barbys schlossen immer zu früher Stunde. So war es -auch heute wieder. Es schlug eben erst zehn, als Rex und Czako auf die -Straße hinaustraten und drüben an dem langgestreckten Ufer Tausende -von Lichtern vor sich hatten, von denen die vordersten sich im Wasser -spiegelten. - -»Ich möchte wohl noch einen Spaziergang machen,« sagte Czako. »Was -meinen Sie, Rex? Sind Sie mit dabei? Wir gehen hier am Ufer entlang, an -den Zelten vorüber bis Bellevue, und da steigen wir in die Stadtbahn -und fahren zurück, Sie bis an die Friedrichstraße, ich bis an den -Alexanderplatz. Da ist jeder von uns in drei Minuten zu Haus.« - -Rex war einverstanden. »Ein wahres Glück,« sagte er, »daß wir uns -endlich mal getroffen haben. Seit fast drei Wochen kennen wir nun das -Haus und haben noch keine Aussprache darüber gehabt. Und das ist doch -immer die Hauptsache. Für Sie gewiß.« - -»Ja, Rex, das ›für Sie gewiß‹, das sagen Sie so spöttisch und -überheblich, weil Sie glauben, Klatschen sei was Inferiores und für -mich gerade gut genug. Aber da machen Sie meiner Meinung nach einen -doppelten Fehler. Denn erstlich ist Klatschen überhaupt nicht inferior, -und zweitens klatschen Sie gerade so gern wie ich und vielleicht noch -ein bißchen lieber. Sie bleiben nur immer etwas steifer dabei, lehnen -meine Frivolitäten zunächst ab, warten aber eigentlich darauf. Im -übrigen denk ich wir lassen all das auf sich beruhn und sprechen lieber -von der Hauptsache. Ich finde, wir können unserm Freunde Stechlin -nicht dankbar genug dafür sein, uns mit einem so liebenswürdigen Hause -bekannt gemacht zu haben. Den Wrschowitz und den alten Malerprofessor, -der von dem Engel des Gerichts nicht loskonnte, -- nun die beiden -schenk ich Ihnen (ich denke mir, der Maler wird wohl nach Ihrem -Geschmacke sein), aber die andern, die man da trifft, wie reizend alle, -wie natürlich. Obenan dieser Frommel, dieser Hofprediger, der mir am -Teetisch fast noch besser gefällt als auf der Kanzel. Und dann diese -bayrische Baronin. Es ist doch merkwürdig, daß die Süddeutschen uns -im Gesellschaftlichen immer um einen guten Schritt vorauf sind, nicht -von Bildungs-, aber von glücklicher Natur wegen. Und diese glückliche -Natur, das ist doch die wahre Bildung.« - -»Ach Czako, Sie überschätzen das. Es ist ja richtig, wenn Sie da so die -Würstel aus dem großen Kessel herausholen und irgendeine Loni oder Toni -mit dem Maßkrug kommt, so sieht das nach was aus, und wir kommen uns -wie verhungerte Schulmeister daneben vor. Aber eigentlich ist das, was -wir haben, doch das Höhere.« - -»Gott bewahre. Alles, was mit Grammatik und Examen zusammenhängt, ist -nie das Höhere. Waren die Patriarchen examiniert, oder Moses oder -Christus? Die Pharisäer waren examiniert. Und da sehen Sie, was dabei -herauskommt. Aber, um mehr in der Nähe zu bleiben, nehmen Sie den alten -Grafen. Er war freilich Botschaftsrat, und das klingt ein bißchen -nach was; aber eigentlich ist er doch auch bloß ein unexaminierter -Naturmensch, und das gerade gibt ihm seinen Charme. Beiläufig, finden -Sie nicht auch, daß er dem alten Stechlin ähnlich sieht?« - -»Ja, äußerlich.« - -»Auch innerlich. Natürlich ne andre Nummer, aber doch derselbe Zwirn, --- Pardon für den etwas abgehaspelten Berolinismus. Und wenn Sie -vielleicht an Politik gedacht haben, auch da ist wenig Unterschied. -Der alte Graf ist lange nicht so liberal, und der alte Dubslav lange -nicht so junkerlich, wie's aussieht. Dieser Barby, dessen Familie, -glaub ich, vordem zu den Reichsunmittelbaren gehörte, dem steckt noch -so was von ›Gottesgnadenschaft‹ in den Knochen, und das gibt dann die -bekannte Sorte von Vornehmheit, die sich den Liberalismus glaubt gönnen -zu können. Und der alte Dubslav, nun, der hat dafür das im Leibe, was -die richtigen Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie. Wenn sie -gereizt werden, bekennen sie sich selber dazu.« - -»Sie verkennen das, Czako. Das alles ist ja bloß Spielerei.« - -»Ja, was heißt Spielerei? Spielen. Wir haben schöne alte Fibelverse, -die vor der Gefährlichkeit des Mit-dem-Feuerspielens warnen. Aber -lassen wir Dubslav und den alten Barby. Wichtiger sind doch zuletzt -immer die Damen, die Gräfin und die Komtesse. Welche wird es? Ich -glaube, wir haben schon mal darüber gesprochen, damals, als wir von -Kloster Wutz her über den Cremmer Damm ritten. Viel Vertrauen zu Freund -Woldemars richtigem Frauenverständnis hab ich eigentlich nicht, aber -ich sage trotzdem: Melusine.« - -»Und ich sage: Armgard. Und Sie sagen es im stillen auch.« - - * * * * * - -Es war zwei Tage vor Woldemars Rückkehr aus Ostpreußen, daß Rex und -Czako dies Tiergartengespräch führten. Eine halbe Stunde später -fuhren sie, wie verabredet, vom Bellevuebahnhof aus wieder in die -Stadt zurück. Überall war noch ein reges Leben und Treiben, und -Leben war denn auch in dem aus bloß drei Zimmern verschiedener Größe -sich zusammensetzenden Kasino der Gardedragoner. In dem zunächst am -Flur gelegenen großen Speisesaale, von dessen Wänden die früheren -Kommandeure des Regiments, Prinzen und Nichtprinzen, herniederblickten, -sah man nur wenig Gäste. Daneben aber lag ein Eckzimmer, das mehr -Insassen und mehr flotte Bewegung hatte. Hier über dem schräg -gestellten Kamin, drin ein kleines Feuer flackerte, hing seit kurzem -das Bildnis des »hohen Chefs« des Regiments, der Königin von England, -und in der Nähe eben dieses Bildes ein ruhmreiches Erinnerungsstück -aus dem sechsundsechziger und siebziger Kriege: die Trompete, darauf -derselbe Mann, Stabstrompeter Wollhaupt, erst am 3. Juli auf der Höhe -von Lipa und dann am 16. August bei Mars-la-Tour das Regiment zur -Attacke gerufen hatte, bis er an der Seite seines Obersten fiel; der -Oberst mit ihm. - -Dies Eckzimmer war, wie gewöhnlich, auch heute der bevorzugte kleine -Raum, drin sich jüngere und ältere Offiziere zu Spiel und Plauderei -zusammengefunden hatten, unter ihnen die Herren von Wolfshagen, von -Herbstfelde, von Wohlgemuth, von Grumbach, von Raspe. - -»Weiß der Himmel,« sagte Raspe, »wir kommen aus den Abordnungen auch -gar nicht mehr heraus. Wir haben freilich drei Sendens im Regiment, -aber es sind der Sendbotschaften doch fast zuviel. Und diesmal nun auch -unser Stechlin dabei. Was wird er sagen, wenn er oben in Ostpreußen -von der ihm zugedachten Ehre hört. Er wird vielleicht sehr gemischte -Gefühle haben. Übermorgen ist er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich -bei dem scheußlichen Wetter schlecht ajustiert, und dann Hals über Kopf -und in großem Trara nach London. Und London ginge noch. Aber auch nach -Windsor. Alles, wenn es sich um Chic handelt, will doch seine Zeit -haben, und gerade die Vettern drüben sehen einem sehr auf die Finger.« - -»Laß sie sehn,« sagte Herbstfelde. »Wir sehen auch. Und Stechlin ist -nicht der Mann, sich über derlei Dinge graue Haare wachsen zu lassen. -Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. Es ist doch immerhin was, -daß er da mit nach England hinüber soll, und einer solchen Auszeichnung -entspricht selbstverständlich eine Nichtauszeichnung andrer. Das paßt -nicht jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unserm Stechlin -mache, gehört er zu diesen. Er ficht nicht gern unter der Devise ›nur -über Leichen‹, hat vielmehr umgekehrt den Zug, sich in die zweite Linie -zu stellen. Und nun sieht es aus, als wär er ein Streber.« - -»Stimmt nicht,« sagte Raspe. »Für so verrannt kann ich keinen von uns -halten. Stechlin sitzt da oben in Ostpreußen und kann doch unmöglich -in seinen Mußestunden hierher intrigiert und einen etwaigen Rivalen -aus dem Sattel geworfen haben. Und unser Oberst! Der ist doch auch -nicht der Mann dazu, sich irgendwen aufreden zu lassen. Der kennt seine -Pappenheimer. Und wenn er sich den Stechlin aussucht, dann weiß er, -warum. Übrigens, Dienst ist Dienst; man geht nicht, weil man will, -sondern weil man muß. Spricht er denn Englisch?« - -»Ich glaube nicht,« sagte von Grumbach. »Soviel ich weiß, hat er vor -kurzem damit angefangen, aber natürlich nicht wegen dieser Mission, -die ja wie vom blauen Himmel auf ihn niederfällt, sondern der Barbys -wegen, die beinah zwanzig Jahre in England waren und halb englisch -sind. Im übrigen hab ich mir sagen lassen, es geht drüben auch ohne die -Sprache. Herbstfelde, Sie waren ja voriges Jahr da. Mit gutem Deutsch -und schlechtem Französisch kommt man überall durch.« - -»Ja,« sagte Herbstfelde. »Bloß ein bißchen Landessprache muß doch -noch dazu kommen. Indessen, es gibt ja kleine Vademekums, und da -muß man dann eben nachschlagen, bis man's hat. Sonst sind hundert -Vokabeln genug. Als ich noch zu Hause war, hatten wir da ganz in unsrer -Nachbarschaft einen verdrehten alten Herrn, der -- eh ihn die Gicht -unterkriegte -- sich so ziemlich in der ganzen Welt herumgetrieben -hatte. Pro neues Land immer neue hundert Vokabeln. Unter anderm war er -auch mal in Südrußland gewesen, von welcher Zeit ab -- und zwar nach -vorgängiger, vor einem großen Likörkasten stattgehabten Anfreundung -mit einem uralten Popen -- er das Amendement zu stellen pflegte: -›Hundert Vokabeln; aber bei nem Popen bloß fünfzig.‹ Und das muß ich -sagen, ich habe das mit den hundert in England durchaus bestätigt -gefunden. ›~Mary, please, a jug of hot water~,‹ soviel muß man -weghaben, sonst sitzt man da. Denn der Naturengländer weiß gar nichts.« - -»Wie lange waren Sie denn eigentlich drüben, Herbstfelde?« - -»Drei Wochen. Aber die Reisetage mitgerechnet.« - -»Und sind Sie so ziemlich auf Ihre Kosten gekommen? Einblick ins -Volksleben, Parlament, Oxford, Cambridge, Gladstone?« - -Herbstfelde nickte. - -»Und wenn Sie nun so alles zusammennehmen, was hat da so den meisten -Eindruck auf Sie gemacht? Architektur, Kunst, Leben, die Schiffe, die -großen Brücken? Die Straßenjungens, wenn man in einem Cab vorüberfährt, -sollen ja immer Rad neben einem her schlagen, und die Dienstmädchen, -was noch wichtiger ist, sollen sehr hübsch sein, kleine Hauben und -Tändelschürze.« - -»Ja, Raspe, da treffen Sie's. Und ist eigentlich auch das -Interessanteste. Denn sogenannte Meisterwerke gibt es ja jetzt überall, -von Kirchen und dergleichen gar nicht zu reden. Und Schiffe haben wir -ja jetzt auch und auch ein Parlament. Und manche sagen, unsres sei noch -besser. Aber das Volk. Sehen Sie, da steckt es. Das Volk ist alles.« - -»Na, natürlich Volk. Oberschicht überall ein und dasselbe. Was da los -ist, das wissen wir.« - -»Und eigentlich hab ich die ganzen drei Wochen auf nem Omnibus gesessen -und bin abends in die Matrosenkneipen an der Themse gegangen. Ein -bißchen gefährlich; man hat da seinen Messerstich weg, man weiß nicht -wie, ganz wie in Italien. Bloß in Italien gibt es vorher doch immer -noch ein Liebesverhältnis, was in Old-Wapping -- so heißt nämlich der -Stadtteil an der Themse -- nicht mal nötig ist. Und dann, wenn ich zu -Hause war, sprach ich natürlich mit Mary. Viel war es nicht. Denn die -hundert Vokabeln, die dazu nötig sind die hatte ich damals noch nicht -voll.« - -»Na, 's ging aber doch?« - -»So leidlich. Und dabei hatt ich mal ne Szene, die war eigentlich das -Hübscheste. Meine Wohnung befand sich nämlich eine Treppe hoch in einer -kleinen stillen Querstraße von Oxford-Street. Und Mary war gerade bei -mir. Und in dem Augenblicke, wo ich mich mit dem hübschen Kinde zu -verständigen suche ...« - -»Worüber?« - -»In demselben Augenblicke sieht ein Chinese grinsend in mein Fenster -hinein, so daß er eigentlich eine Ohrfeige verdient hätte.« - -»Wie war denn das aber möglich?« - -»Ja, das ist ja eben das, was ich das Londoner Volksleben nenne. Alles -mögliche, wovon wir hier gar keine Vorstellung haben, vollzieht sich da -mitten auf dem Straßendamm. Und so waren denn auch an jenem Tage zwei -Chinesen, ihres Zeichens Akrobaten, in die Querstraße von Oxford-Street -gekommen, und der eine, ein dicker starker Kerl, hatte einen Gurt um -den Leib, und in der Öse dieses Gurtes steckte ne Stange, auf die der -zweite Chinese hinaufkletterte. Und wie er da oben war, war er gerade -in Höhe meiner Beletage und sah hinein, als ich mich eben bemühte, mich -Mary klar zu machen.« - -»Ja, Herbstfelde, das war nu freilich ein Pech, und wenn Sie wieder -drüben sind, müssen Sie nach hinten hinaus wohnen oder höher hinauf. -Aber interessant ist es doch. Und ich bezweifle nur, daß Stechlin in -eine gleiche Lage kommen wird.« - -»Gewiß nicht. Daran hindern ihn seine Moralitäten.« - -»Und noch mehr die Barbys.« - - - - -Zweiundzwanzigstes Kapitel - - -Woldemar, von der ihm bevorstehenden Auszeichnung unterrichtet, kürzte -seinen Aufenthalt in Ostpreußen um vierundzwanzig Stunden ab, hatte -trotzdem aber, nach seinem Wiedereintreffen in Berlin, nur noch zwei -Tage zur Verfügung. Das war wenig. Denn außer allerlei zu treffenden -Reisevorbereitungen lag ihm doch auch noch ob, verschiedene Besuche -zu machen, so bei den Barbys, bei denen er sich für den letzten Abend -schon brieflich angemeldet hatte. - -Dieser Abend war nun da. Die Koffer standen gepackt um ihn her, er -selber aber lehnte sich, ziemlich abgespannt, in seinen Schaukelstuhl -zurück, nochmals überschlagend, ob auch nichts vergessen sei. Zuletzt -sagte er sich: »Was nun noch fehlt, fehlt; ich kann nicht mehr.« Und -dabei sah er nach der Uhr. Bis zu seinem am Kronprinzenufer angesagten -Besuche war noch fast eine Stunde. Die wollt er ausnutzen und sich -vorher nach Möglichkeit ruhn. Aber er kam nicht dazu. Sein Bursche trat -ein und meldete: »Hauptmann von Czako.« - -»Ah, sehr willkommen.« - -Und Woldemar, so wenig gelegen ihm Czako auch kam, sprang doch auf und -reichte dem Freunde die Hand. »Sie kommen, um mir zu meiner englischen -Reise zu gratulieren. Und wiewohl es so so damit steht, +Ihnen+ glaub -ich's, daß Sie's ehrlich meinen. Sie gehören zu den paar Menschen, die -keinen Neid kennen.« - -»Na, lassen wir das Thema lieber. Ich bin dessen nicht so ganz sicher; -mancher sieht besser aus, als er ist. Aber natürlich komm ich, um Ihnen -wohl oder übel meine Glückwünsche zu bringen und meinen Reisesegen -dazu. Donnerwetter, Stechlin, wo will das noch mit Ihnen hinaus! Sie -werden natürlich Londoner Militärattaché, sagen wir in einem halben -Jahr, und in ebensoviel Zeit haben Sie sich drüben sportlich eingelebt -und etablieren sich als Sieger in einem Steeple Chase, vorausgesetzt, -daß es so was noch gibt (ich glaube nämlich, man nennt es jetzt alles -ganz anders). Und vierzehn Tage nach Ihrem ersten großen Sportsiege -verloben Sie sich mit Ruth Russel oder mit Geraldine Cavendish, haben -den Bedforder- oder den Devonshire-Herzog als Rückendeckung und gehen -als Generalgouverneur nach Mittelafrika, links die Zwerge, rechts die -Menschenfresser. Emin soll ja doch eigentlich aufgefressen sein.« - -»Czako, Sie machen sich's zunutze, daß die Mittagsstunde glücklich -vorüber ist, sonst könnten Sie's kaum verantworten. Aber rücken Sie -sich einen Sessel ran, und hier sind Zigaretten. Oder lieber Zigarre?« - -»Nein, Zigaretten ... Ja, sehen Sie, Stechlin, solche Mission oder wenn -auch nur ein Bruchteil davon ...« - -»Sagen wir Anhängsel.« - -»... Solche Mission ist gerade das, was ich mir all mein Lebtag -gewünscht habe. Bloß ›Erhörung kam nicht geschritten‹. Und doch ist -gerad in unserm Regiment immer was los. Immer ist wer auf dem Wege nach -Petersburg. Aber weiß der Teufel, trotz der vielen Schickerei, meine -Wenigkeit ist noch nicht rangekommen. Ich denke mir, es liegt an meinem -Namen. Hier hat ›Czako‹ ja auch schon einen Beigeschmack, einen Stich -ins Komische, aber das Slawische drin gibt ihm in Berlin etwas Apartes, -während es in Petersburg wahrscheinlich heißen würde: ›Czako, was soll -das? Was soll Czako? Dergleichen haben wir hier echter und besser.‹ -Ja, ich gehe noch weiter und bin nicht einmal sicher, ob man da drüben -nicht Lust bezeugen könnte, in der Wahl von ›Czako‹ einen Witz oder -versteckten Affront zu wittern. Aber wie dem auch sei, Winterpalais -und Kreml sind mir verschlossen. Und nun gehen Sie nach London und -sogar nach Windsor. Und Windsor ist doch nun mal das denkbar Feinste. -Rußland, wenn Sie mir solche Frühstücksvergleiche gestatten wollen, -hat immer was von Astrachan, England immer was von Colchester. Und ich -glaube, Colchester steht höher. In meinen Augen gewiß. Ach, Stechlin, -Sie sind ein Glückspilz, ein Wort, das Sie meiner erregten Stimmung -zugute halten müssen. Ich werde wohl an der Majorsecke scheitern, wegen -verschiedener Mankos. Aber sehn Sie, daß ich das einsehe, das könnte -das Schicksal doch auch wieder mit mir versöhnen.« - -»Czako, Sie sind der beste Kerl von der Welt. Es ist eigentlich schade, -daß wir solche Leute wie Sie nicht bei unserm Regiment haben. Oder -wenigstens nicht genug. ›Fein‹ ist ja ganz gut, aber es muß doch auch -mal ein Donnerwetter dazwischen fahren, ein Zynismus, eine Bosheit; -sie braucht ja nicht gleich einen Giftzahn zu haben. Übrigens, was die -Patentheit angeht, so fühl ich deutlich, daß ich auch nur so gerade -noch passiere. Nehmen Sie beispielsweise bloß das Sprachliche. Wer -heutzutage nicht drei Sprachen spricht, gehört in die Ecke ...« - -»Sag ich mir auch. Und ich habe deshalb auch mit dem Russischen -angefangen. Und wenn ich dann so dabei bin und über meine Fortschritte -beinah erstaune, dann berapple ich mich momentan wieder und sage mir: -›Courage gewonnen, alles gewonnen.‹ Und dabei laß ich dann zu meinem -weitern Trost all unsre preußischen Helden zu Fuß und zu Pferde an mir -vorüberziehen, immer mit dem Gefühl einer gewissen wissenschaftlichen -und mitunter auch moralischen Überlegenheit. Da ist zuerst der -Derfflinger. Nun, der soll ein Schneider gewesen sein. Dann kam -Blücher, -- der war einfach ein ›~Jeu~‹er. Und dann kam Wrangel und -trieb sein verwegenes Spiel mit ›mir und mich‹.« - -»Bravo, Czako. Das ist die Sprache, die Sie sprechen müssen. Und Sie -werden auch nicht an der Majorsecke scheitern. Eigentlich läuft doch -alles bloß darauf hinaus, wie hoch man sich selber einschätzt. Das ist -freilich eine Kunst, die nicht jeder versteht. Das Wort vom alten -Fritz: ›Denk Er nur immer, daß Er hunderttausend Mann hinter sich hat,‹ -dies Trostwort ist manchem von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz -unsrer Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege produzieren -unter Umständen auch Bescheidenheit.« - -»Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zuviel davon. Aber wenn Sie -erst Ihre Ruth haben ...« - -»Ach, Czako, kommen Sie mir nicht immer mit Ruth. Oder eigentlich, -seien Sie doch bedankt dafür. Denn dieser weibliche Name mahnt mich, -daß ich mich für heut abend am Kronprinzenufer angemeldet habe, bei den -Barbys, wo's, wie Sie wissen, freilich keine Ruth gibt, aber dafür eine -Melusine, was fast noch mehr ist.« - -»Versteht sich, Melusine is mehr. Alles, was aus dem Wasser kommt, -ist mehr. Venus kam aus dem Wasser, ebenso Hero ... Nein, nein, -entschuldigen Sie, es war Leander.« - -»Egal. Lassen Sie's, wie's ist. Solche verwechselte Schillerstelle tut -einem immer wohl. Übrigens können Sie mich in meinem Coupé begleiten; -vom Kronprinzenufer aus haben Sie knapp noch halben Weg bis in Ihre -Kaserne.« - - * * * * * - -Das Coupé tat seine Schuldigkeit, und es schlug eben erst acht, -als Woldemar vor dem Barbyschen Hause hielt und, sich von Czako -verabschiedend, die Treppe hinaufstieg. Er fand nur die Familie vor, -was ihm sehr lieb war, weil er kein allgemeines Gespräch führen, -sondern sich lediglich für seine Reise Rats erholen wollte. Der alte -Graf kannte London besser als Berlin, und auch Melusine war schon über -siebzehn, als man, bald nach dem Tode der Mutter, England verlassen und -sich auf die Graubündner Güter zurückgezogen hatte. Darüber waren nun -wieder nah an anderthalb Jahrzehnte vergangen, aber Vater und Töchter -hingen nach wie vor an Hydepark und dem schönen Hause, das sie da -bewohnt hatten, und gedachten dankbar der in London verlebten Tage. -Selbst Armgard sprach gern von dem Wenigen, dessen sie sich noch aus -ihrer frühen Kindheit her erinnerte. - -»Wie glücklich bin ich,« sagte Woldemar, »Sie allein zu finden! -Das klingt freilich sehr selbstisch, aber ich bin doch vielleicht -entschuldigt. Wenn Besuch da wäre, nehmen wir beispielsweise -Wrschowitz, und ich ließe mich hinreißen, von der Prinzessin von Wales -und in natürlicher Konsequenz von ihren zwei Schwestern Dagmar und -Thyra zu sprechen, so hätt ich vielleicht wegen Dänenfreundlichkeit -heut abend noch ein Duell auszufechten. Was mir doch unbequem wäre. -Besser ist besser.« - -Der alte Barby nickte vergnüglich. - -»Ja, Herr Graf,« fuhr Woldemar fort, »ich komme, mich von Ihnen und -den Damen zu verabschieden: aber ich komme vor allem auch, um mich -in zwölfter Stunde noch nach Möglichkeit zu informieren. In dem -Augenblick, wo der gänzlich ignorante Kandidatus in seinen Frack fährt, -guckt er -- so was soll vorkommen -- noch einmal ins Corpus juris und -liest, sagen wir zehn Zeilen, und gerad über diese wird er nachher -gefragt und sieht sich gerettet. Dergleichen könnte mir doch auch -vorbehalten sein. Sie waren lange drüben und die Damen ebenso. Auf was -muß ich achten, was vermeiden, was tun? Vor allem, was muß ich sehn und -was nicht sehn? Das letztere vielleicht das Wichtigste von allem.« - -»Gewiß, lieber Stechlin. Aber ehe wir anfangen, rücken Sie hier ein -und gönnen Sie sich eine Tasse Tee. Freilich, daß Sie den Tee würdigen -werden, ist so gut wie ausgeschlossen; dazu sind Sie viel zu aufgeregt. -Sie sind ja wie ein Wasserfall; ich erkenne Sie kaum wieder.« - -Woldemar wollte sich entschuldigen. - -»Nur keine Entschuldigungen. Und am wenigsten über das. Alles ist -heutzutage so nüchtern, daß ich immer froh bin, mal einer Aufregung zu -begegnen; Aufregung kleidet besser als Indifferenz, und jedenfalls ist -sie interessanter. Was meinst du dazu, Melusine?« - -»Papa schraubt mich. Ich werde mich aber hüten, zu antworten.« - -»Und so denn wieder zur Sache. Ja, lieber Stechlin, was tun, was sehn? -Oder wie Sie ganz richtig bemerken, was nicht sehn? Überall etwas sehr -Schwieriges. In Italien vertrödelt man die Zeit mit Bildern, in England -mit Hinrichtungsblöcken. Sie haben drüben ganze Kollektionen davon. -Also möglichst wenig Historisches. Und dann natürlich keine Kirchen, -immer mit Ausnahme von Westminster. Ich glaube, was man so mit billiger -Wendung »Land und Leute« nennt, das ist und bleibt das Beste. Die -Themse hinauf und hinunter, Richmond-Hill (auch jetzt noch, trotzdem -wir schon November haben) und Werbekneipen und Dudelsackspfeifer. -Und wenn Sie bei Passierung eines stillen Squares einem sogenannten -›Straßen-Raffael‹ begegnen, dann stehenbleiben und zusehen, was das -sonderbare Genie mit seiner linken und oft verkrüppelten Hand auf die -breiten Straßensteine hinmalt. Denn diese Straßen-Raffaels haben immer -nur eine linke Hand.« - -»Und was malt er?« - -»Was? Das wechselt. Er ist imstande und zaubert Ihnen in zehn Minuten -eine richtige Sixtina aufs Trottoir. Aber in der Regel ist er mehr -Ruysdael oder Hobbema. Landschaften sind seine Force; dazu Seestücke. -Die Klippe von Dover hab ich wohl zwanzigmal gesehn und über das Meer -hin den zitternden Mondstrahl. Da haben Sie schon was zur Auswahl. Und -nun fragen Sie Melusine. Die hat von London und Umgegend viel mehr -gesehn als ich und weiß, glaub ich, in Hampton-Court und Waltham-Abbey -besser Bescheid als an der Oberspree, natürlich das Eierhäuschen -ausgenommen. Und wenn Melusine versagen sollte, nun, so haben wir ja -noch unsere Tochter Cordelia. Cordelia war damals freilich erst sechs -oder doch nicht viel mehr. Aber Kindermund tut Wahrheit kund. Armgard, -wie wär es, wenn du dich unsers Freundes annähmest?« - -»Ich weiß nicht, Papa, ob Herr von Stechlin damit einverstanden ist -oder auch nur sein kann. Vielleicht ging es, wenn du nur nicht von -meinen sechs Jahren gesprochen hättest. Aber so. Mit sechs Jahren hat -man eben nichts erlebt, was, in den Augen andrer, des Erzählens wert -wäre.« - -»Komtesse, gestatten Sie mir ... die Dinge an sich sind gleichgültig. -Alles Erlebte wird erst was durch den, der es erlebt.« - -»Ei,« sagte Melusine. »So bin ich zum Erzählen noch mein Lebtag nicht -aufgefordert worden. Nun wirst du sprechen müssen, Armgard.« - -»Und ich will auch, selbst auf die Gefahr hin einer Niederlage.« - -»Keine Vorreden, Armgard. Am wenigsten, wenn sie wie Selbstlob klingen.« - -»Also wir hatten damals eine alte Person im Hause, die schon bei -Melusine Kindermuhme gewesen war, und hieß Susan. Ich liebte sie sehr, -denn sie hatte wie die meisten Irischen etwas ungemein Heiteres und -Gütiges. Ich ging viel mit ihr im Hydepark spazieren, wohnten wir doch -in der an seiner Nordseite sich hinziehenden großen Straße. Hydepark -erschien mir immer sehr schön. Aber weil es tagaus, tagein dasselbe -war, wollt ich doch gern einmal was andres sehen, worauf Susan auch -gleich einging, trotzdem es ihr eigentlich verboten war. ›Ei freilich, -Komtesse,‹ sagte sie, ›da wollen wir nach Martins le Grand.‹ ›Was ist -das?‹ fragte ich; aber statt aller Antwort gab sie mir nur ein kleines -Mäntelchen um, denn es war schon Spätherbst, so etwa wie jetzt, und -dunkelte auch schon. Aus dem, was dann kam, muß ich annehmen, daß es -um die fünfte Stunde war. Und so brachen wir denn auf, unsre Straße -hinunter, und weil an dem Parkgitter entlang lauter große Röhren -gelegt waren, um hier neu zu kanalisieren, so sprang ich auf die Röhren -hinauf, und Susan hielt mich an meinem linken Zeigefinger. So gingen -wir, ich immer auf den Röhren oben, bis wir an eine Stelle kamen, wo -der Park aufhörte. Hier war gerad ein Droschkenstand, und Hafer und -Häcksel lagen umher und zahllose Sperlinge dazwischen. In der Mitte von -dem allem aber stand ein eiserner Brunnen. Auf den wies Susan hin und -sagte: ›~Look at it, dear Armgard. There stood Tyburn-Gallows.~‹ Und -wer soviel gestohlen hatte, wie gerad ein Strick kostete, der wurde da -gehängt.« - -»Eine merkwürdige Kindermuhme,« sagte Stechlin. »Und erschraken Sie -nicht, Komtesse?« - -»Nein, von Erschrecken, solange Susan bei mir war, war keine Rede. Sie -hätte mich gegen eine Welt verteidigt.« - -»Das söhnt wieder aus.« - -»Und kurz und gut, wir blieben auf unserm Weg und stiegen alsbald in -ein zweirädriges Cab, aus dem heraus wir sehr gut sehen konnten, und -jagten die Oxfordstraße hinunter in die City hinein, in ein immer -dichter werdendes Straßengewirr, drin ich nie vorher gekommen war und -auch nachher nicht wieder gekommen bin. Bloß vor zwei Jahren, als wir -auf Besuch drüben waren und ich den alten Plätzen wieder nachging.« - -»Ich glaube,« sagte Melusine, »daß du bei diesem zweiten Besuch eine -gute Anleihe machst. Denn von dem mit Susan Gesehenen wirst du zurzeit -nicht mehr viel zur Verfügung haben.« - -»Doch, doch. Und nun hielt unser Hansom-Cab vor einem großen Hause, -das halb wie ein Palast und halb wie ein griechischer Tempel aussah -und unter dessen Säulengang hinweg wir in eine große, mit vielen -hundert Menschen erfüllte Halle traten. Über ihren Köpfen aber lag es -wie ein Strom von Licht, und ganz nach hinten zu, wo die Lichtmasse -sich zu verdichten schien, standen auf einem Podium zwei in rote -Röcke gekleidete Bedienstete mit ein paar großen Behältern links und -rechts neben sich, die wie Futterkisten mit weit aufgeklapptem Deckel -aussahen.« - -»Und nun laß Stechlin raten, was es war.« - -»Er braucht es nicht zu raten,« fuhr Armgard fort, »er weiß es -natürlich schon. Aber er muß trotzdem aushalten. Denn er hat es selber -so gewollt. Also Podium und Rotröcke samt aufgeklappter Kiste links -und rechts. Und die hell erleuchtete Uhr darüber zeigte, daß es nur -noch eine Minute bis sechs war. An ein Sichherandrängen war nicht zu -denken, und so flogen denn die Brief- und Zeitungspakete, die noch mit -den letzten Postzügen fort sollten, in weitem Bogen über die Köpfe der -in Front Stehenden weg; was aber dabei statt in die Behälter bloß auf -das Podium fiel, das wurde von den Rotröcken mit einer geschickten -Fußbewegung in die Futterkisten wie hineingeharkt. Und nun setzte der -Uhrzeiger ein, und das Fliegen der Pakete steigerte sich, bis genau mit -dem sechsten Schlag auch der Deckel jeder der beiden Kisten zuschlug.« - -»Reizend, Komtesse. Natürlich seh ich mir das an, und wenn ich ein -Rendezvous mit der Königin darüber versäumen müßte.« - -»Nichts Antimonarchisches,« lachte der alte Graf. »Und so kommen Susans -Untaten schließlich noch ans Licht.« - -»Und meine eignen dazu. Glücklicherweise durch mich selbst.« - -Das Gespräch setzte sich noch eine Weile fort, und allerlei -Schilderungen aus dem Klein- und Alltagsleben behielten dabei die -Oberhand. Ein paarmal, weil er wohl sah, daß Woldemar gern auch andres -zu hören wünschte, versuchte der alte Graf das Thema zu wechseln, aber -beide Damen blieben bei »~shopping~« und »~five o'clock tea~«, bis -Melusine, der Woldemars Ungeduld ebenfalls nicht entgangen war, mit -einem Male fragte: »Haben Sie denn je von Traitors-Gate gehört?« - -»Nein,« sagte Woldemar. »Ich kann es mir aber übersetzen und meine -Schlüsse daraus ziehn.« - -»Das reicht aus. Also natürlich Tower. Nun sehen Sie, Traitors-Gate, -das war meine Domäne, wenn Besuch aus Deutschland kam und ich wohl oder -übel den Führer machen mußte. Vieles im Tower langweilte mich, aber -Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb nicht, weil es ziemlich zu Anfang -liegt, so daß ich, wenn wir's erreichten, immer noch bei Frische war, -nicht abgestumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiterhin -folgen.« - -»Also Traitors-Gate muß ich sehn?« - -»Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder erwäge, daß an dieser -berühmten Stelle nichts unmittelbar Wirkungsvolles zu sehn ist, so muß -ich mich bei meinen Ratschlägen auf Ihre Phantasie verlassen können. -Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark ist, hat meist keine -Phantasie.« - -Der alte Graf und Armgard schwiegen, und auch Melusine sah wohl, -daß sie mit ihrer Bemerkung etwas zu weit gegangen war. Irgendeine -Reparierung schien also geboten. »Ich will's aber doch mit Ihnen -wagen,« nahm sie das Gespräch wieder auf und lachte. »Traitors-Gate. -Nun sehen Sie, Sie kommen da vom Eingange her einen schmalen Gang -entlang, und mit einem Male haben Sie statt der grauen Steinwand ein -eisenbeschlagenes Holztor neben sich. Hinter diesem Tor aber befindet -sich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe gelegener Wasserhof, von dem -aus eine mehrstufige Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, -an der Sie stehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre zurück. Wem -sich die Pforte damals auftat, um sich hinter ihm wieder zu schließen, -der hatte vom Leben Abschied genommen ... Es sind da, verzeihen Sie -das Wort, lauter glibbrige Stufen, und +wer+ alles stieg diese Stufen -hinauf: Essex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus und zuletzt noch jene -Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie gefochten hatten und deren -Köpfe wenige Tage später von Temple-Bar herab auf die City niedersahen.« - -»Liegt, Gott sei Dank, weit zurück.« - -»Ja, weit zurück. Aber es kann wiederkommen. Und gerade +das+ war es, -was immer, wenn ich da so stand, den größten Eindruck auf mich machte. -Diese Möglichkeit, daß es wiederkehre. Denn ich erinnere mich noch sehr -wohl -- ja, du warst es selbst, Papa, der es mir erzählte --, daß Lord -Palmerston einmal, unwirsch über die koburgische Nebenpolitik (ich -glaube während der Krimkriegtage) sich dahin geäußert hätte: ›Dieser -Prince-Consort, er täte gut, sich unser Traitors-Gate bei Gelegenheit -anzusehen. Es ist zwar schon lange, daß Könige da die glibbrige Treppe -hinaufgestiegen sind, aber es ist doch noch nicht +so+ lange, daß wir -uns dessen nicht mehr entsinnen könnten. Und ein Prince-Consort ist -noch lange nicht ein König.‹« - -Woldemar, als Melusine dies mit überlegener Miene gesagt hatte, -lächelte vor sich hin, was die Gräfin derartig verdroß, daß sie mit -einer gewissen Gereiztheit hinzusetzte: »Sie lächeln. Da seh ich doch, -wie sehr ich im Rechte war, Ihnen die Phantasie abzusprechen.« - -»Verzeihen Sie mir ...« - -»Und nun werden Sie auch noch pathetisch. Das ist die richtige -Ergänzung. Im übrigen, wie könnt ich mit Ihnen ernsthaft zürnen! Ein -berühmter deutscher Professor soll einmal irgendwo gesagt haben: -›niemand sei verpflichtet, ein großer Mann zu sein.‹ Und ebensowenig -wird er ›große Phantasie‹ als etwas Pflichtmäßiges gefordert haben.« - -Woldemar küßte ihr die Hand. »Wissen Sie, Gräfin, daß Sie doch -eigentlich recht hochmütig sind?« - -»Vielleicht. Aber mancher entwaffnet mich wieder. Und zu diesen gehören -Sie.« - -»Das ist nun auch wieder aus dem Ton.« - -»Ich weiß es nicht. Aber lassen wir's. Und versprechen Sie mir -lieber, mir von Windsor oder London aus eine Karte zu schreiben ... -nein, eine Karte, das geht nicht ... also einen Brief, darin Sie mir -ein Wort über die Engländerinnen sagen, und ob Sie jede taillenlose -Rotblondine drüben auch so schön gefunden haben werden, wie's von den -Kontinentalen, wenn sie dies Thema berühren, fast immer versichert -wird.« - -»Es wird davon abhängen, an wen ich gerade denke.« - -»Nach dieser Bemerkung ist Ihnen alles verziehn.« - - * * * * * - -Woldemar blieb bis neun. Er hatte gleich in den Zeilen, in denen er -sich anmeldete, die Damen wissen lassen, daß er seinen Besuch auf eine -kurze Stunde beschränken müsse. So war er denn bei guter Zeit wieder -daheim. Auf seinem Tische fand er ein Briefchen vor und erkannte Rex' -Handschrift. »Lieber Stechlin,« so schrieb dieser, »ich höre eben, -daß Sie nach London gehn. In der Zeitung, wo's schon gestanden haben -soll, hab ich es übersehn. Ich beglückwünsche Sie von Herzen zu dieser -Auszeichnung und lege Ihnen eine Karte bei, die Sie (wenn's Ihnen paßt) -bei meinem Freunde Ralph Waddington einführen soll. Er ist Advokat und -einer der angesehensten Führer unter den Irvingianern. Fürchten Sie -übrigens keine Bekehrungsversuche. Waddington ist ein durchaus feiner -Mann, also zurückhaltend. Er kann Ihnen aber mannigfach behilflich -sein, wenn Ihnen daran gelegen sein sollte, sich um das Wesen der -englischen Dissenter, ihre Chapels und Tabernakels zu kümmern. Er ist -ein Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Und ich kenne ja Ihre Vorliebe -für derlei Fragen.« - -Stechlin legte den Brief unter den Briefbeschwerer und sagte: »Der gute -Rex! Er überschätzt mich. Dissenterstudien. Es genügt mir, wenn ich -einen einzigen Quäker sehe.« - - - - -Dreiundzwanzigstes Kapitel - - -Was Rex da schrieb, hatte doch ein Gutes gehabt; Woldemar, erheitert -bei dem Gedanken, sich durch Ralph Waddington in ein Tabernakel -eingeführt zu sehn, sah sich mit einemmale einer gewissen Abspannung -entrissen und war froh darüber, denn er brauchte durchaus Stimmung, -um noch einige Briefe zu schreiben. Das ging ihm nun leichter von der -Hand, und als elf Uhr kaum heran war, war alles erledigt. - -Der andre Morgen sah ihn selbstverständlich früh auf. Fritz war um -ihn her und half, wo noch zu helfen war. »Und nun, Fritz,« so waren -Woldemars letzte Worte, »sieh nach dem Rechten. Schicke mir nichts -nach; Zeitungen wirf weg. Und die drei Briefe hier, wenn ich fort bin, -die tue sofort in den Kasten ... Ist die Droschke schon da?« - -»Zu Befehl, Herr Rittmeister.« - -»Na, dann mit Gott. Und jeden Tag lüften. Und paß auf die Pferde.« - -Damit verabschiedete sich Woldemar. - - * * * * * - -Von den drei Briefen war einer nach Stechlin hin adressiert. Er traf, -weil er noch mit dem ersten Zuge fort konnte, gleich nach Tische bei -dem Alten ein und lautete: - -»Mein lieber Papa. Wenn Du diese Zeilen erhältst, sind wir schon auf -dem Wege. ›Wir,‹ das will sagen, unser Oberst, unser zweitältester -Stabsoffizier, ich und zwei jüngere Offiziere. Aus Deinen eignen -Soldatentagen her kennst Du den Charakter solcher Abordnungen. Nachdem -wir ›Regiment Königin von Großbritannien und Irland‹ geworden sind, -war dies ›uns drüben vorstellen‹ nur noch eine Frage der Zeit. Dieser -Mission beigesellt zu sein ist selbstverständlich eine große Ehre für -mich, doppelt, wenn ich die Namen, über die wir in unserm Regiment -Verfügung haben, in Erwägung ziehe. Die Zeiten, wo man das Wort -›historische Familie‹ betonte, sind vorüber. Auch an Tante Adelheid hab -ich in dieser Sache geschrieben. Was mir persönlich an Glücksgefühl -vielleicht noch fehlen mag, wird sie leicht aufbringen. Und ich freue -mich dessen, weil ich ihr, alles in allem, doch so viel verdanke. -Daß ich mich von Berlin gerade jetzt nicht gerne trenne, sei nur -angedeutet; Du wirst den Grund davon unschwer erraten. Mit besten -Wünschen für Dein Wohl, unter herzlichen Grüßen an Lorenzen, wie immer -Dein Woldemar.« - -Dubslav saß am Kamin, als ihm Engelke den Brief brachte. Nun war der -Alte mit dem Lesen durch und sagte: »Woldemar geht nach England. Was -sagst du dazu, Engelke?« - -»So was hab ich mir all immer gedacht.« - -»Na, dann bist du klüger gewesen als ich. Ich habe mir gar nichts -gedacht. Und nu noch drei Tage, so stellt er sich mit seinem Oberst und -seinem Major vor die Königin von England hin und sagt: ›Hier bin ich.‹« - -»Ja, gnädger Herr, warum soll er nich?« - -»Is auch 'n Standpunkt. Und vielleicht sogar der richtige. Volksstimme, -Gottesstimme. Na, nu geh mal zu Pastor Lorenzen und sag ihm, ich ließ -ihn bitten. Aber sage nichts von dem Brief; ich will ihn überraschen. -Du bist mitunter ne alte Plappertasche.« - - * * * * * - -Schon nach einer halben Stunde war Lorenzen da. - -»Haben befohlen ...« - -»Haben befohlen. Ja, das ist gerade so das Richtige; sieht mir ähnlich -... Nun, Lorenzen, schieben Sie sich mal nen Stuhl ran, und wenn -Engelke nicht geplaudert hat (denn er hält nicht immer dicht), so hab -ich eine richtige Neuigkeit für Sie. Woldemar ist nach England ...« - -»Ah, mit der Abordnung.« - -»Also wissen Sie schon davon?« - -»Nein, ausgenommen das eine, daß eine Deputation oder Gesandtschaft -beabsichtigt sei. Das las ich, und dabei hab ich dann freilich auch an -Woldemar gedacht.« - -Dubslav lachte. »Sonderbar. Engelke hat sich so was gedacht, Lorenzen -hat sich auch so was gedacht. Nur der eigne Vater hat an gar nichts -gedacht.« - -»Ach, Herr von Stechlin, das ist immer so. Väter sind Väter und können -nie vergessen, daß die Kinder Kinder waren. Und doch hört es mal auf -damit. Napoleon war mit zwanzig ein armer Leutnant und an Ansehn noch -lange kein Stechlin. Und als er so alt war wie jetzt unser Woldemar, -ja, da stand er schon zwischen Marengo und Austerlitz.« - -»Hören Sie, Lorenzen, Sie greifen aber hoch. Meine Schwester Adelheid -wird sich Ihnen übrigens wohl anschließen und von heut ab eine neue -Zeitrechnung datieren. Ich nehm es ruhiger, trotzdem ich einsehe, -daß es nach großer Auszeichnung schmeckt. Und ist er wieder zurück, -dann wird er auch allerlei Gutes davon haben. Aber so lang er drüben -ist! Ich trau der Sache nicht. Von Behagen jedenfalls keine Rede. Die -Vettern sind nun mal nicht zufriedenzustellen; vielleicht ärgern sie -sich, daß es draußen in der Welt auch noch ein ›Regiment Königin von -Großbritannien und Irland‹ gibt. Das besorgen sie sich lieber selbst -und nehmen so was, wenn andre damit kommen, wie ne Prätension. Wie -stehen denn Sie dazu? Sie haben die Beefeaters vielleicht in Ihr Herz -geschlossen wegen der vielen Dissenter. Ein Kardinal, der freilich auch -noch Gourmand war, soll mal gesagt haben: ›Schreckliches Volk; hundert -Sekten und bloß eine Sauce.‹« - -»Ja,« lachte Lorenzen, »da bin ich freilich für die ›Beefeaters‹, wie -Sie sagen, und gegen den Kardinal. Das mit den hundert Sekten laß ich -auf sich beruhn (mein Geschmack, beiläufig, ist es nicht), aber unter -allen Umständen bin ich für höchstens eine Sauce. Das ist das einzig -Richtige, weil Gesunde. Die Dinge müssen in sich etwas sein, und wenn -das zutrifft, so ist eigentlich jede Sauce, und nun gar erst die Sauce -im Plural, von vornherein schon gerichtet. Aber lassen wir den Kardinal -und seine Gewagtheiten und nehmen wir den Gegenstand seiner Abneigung: -England. Es hat für mich eine Zeit gegeben, wo ich bedingungslos dafür -schwärmte. Nicht zu verwundern. Hieß es doch damals in dem ganzen -Kreise, drin ich lebte: ›Ja, wenn wir England nicht mehr lieben sollen, -was sollen wir dann überhaupt noch lieben?‹ Diese halbe Vergötterung -hab ich noch ehrlich mit durchgemacht. Aber das ist nun eine hübsche -Weile her. Sie sind drüben schrecklich runtergekommen, weil der Kult -vor dem goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber und die vornehme -Welt obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie sagen ›Christus‹ und meinen -Kattun.« - -»Is leider so, wenigstens nach dem bißchen, was ich davon weiß. Und -alles in allem, und neuerdings erst recht, bin ich deshalb immer für -Rußland gewesen. Wenn ich da so an unsern Kaiser Nikolaus zurückdenke -und an die Zeit, wo seine Uniform als Geschenk bei uns eintraf und dann -als Kirchenstück in die Garnisonskirche kam. Natürlich in Potsdam. -Wir haben zwar die Reliquien abgeschafft, aber wir haben sie doch auf -unsre Art, und ganz ohne so was geht es nu mal nicht. Mit dem alten -Fritzen fing es natürlich an. Wir haben seinen Krückstock und den -Dreimaster und das Taschentuch (na, das hätten sie vielleicht weglassen -können), und zu den drei Stücken haben wir nu jetzt auch noch die -Nikolaus-Uniform.« - -Lorenzen sah verlegen vor sich hin; etwas dagegen sagen ging nicht, und -zustimmen noch weniger. - -Dubslav aber fuhr fort: »Und dann sind sie da forscher in Petersburg -und geht alles mehr aus dem Vollen, auch wenn die besten Steine -mitunter schon rausgebrochen sind. So was kommt vor; is eben noch ein -Naturvolk. Ich kann das ›Schenken‹ eigentlich nicht leiden, es hat -so was von Bestechung und sieht aus wie'n Trinkgeld. Und Trinkgeld -ist noch schlimmer als Bestechung und paßt mir eigentlich ganz und -gar nicht. Aber es hat doch auch wieder was Angenehmes, solche -Tabatiere. Wenn es einem gut geht, ist es ein Familienstück, und wenn -es einem schlecht geht, ist es ne letzte Zuflucht. Natürlich, ein ganz -reinliches Gefühl hat man nicht dabei.« - - * * * * * - -Lorenzen blieb eine volle Stunde. Der Alte war immer froh, wenn sich -ihm Gelegenheit bot, sich mal ausplaudern zu können, und heute standen -ja die denkbar besten Themata zur Verfügung: Woldemar, England, Kaiser -Nikolaus und dazwischen Tante Adelheid, über die zwar immer nur kurze -Worte fielen, aber doch so, daß sie, weil spöttisch, die gute Laune des -Alten wesentlich steigerten. - -Und in dieser guten Laune war er auch noch, als er um die fünfte Stunde -seinen Eichenstock und seinen eingeknautschten Filzhut vom Riegel nahm, -um am See hin, in der Richtung auf Globsow zu, seinen gewöhnlichen -Spaziergang zu machen. Unmittelbar am Südufer, da wo die Wand steil -abfiel, befand sich eine von Buchenzweigen überdachte Steinbank. -Das war sein Lieblingsplatz. Die Sonne stand schon unterm Horizont, -und nur das Abendrot glühte noch durch die Bäume. Da saß er nun und -überdachte sein Leben, Altes und Neues, seine Kindheits- und seine -Leutnantstage, die Tage kurz vor seiner Verheiratung, wo das junge, -blasse Fräulein, das seine Frau werden sollte, noch Lieblingshofdame -bei der alten Prinzeß Karl war. All das zog jetzt wieder an ihm -vorüber, und dazwischen seine Schwester Adelheid, in jenen Tagen noch -leidlich gut bei Weg, aber auch schon hart und herbe wie heute, so daß -sie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er über ein schon -halbabgestorbenes ›Verhältnis‹ und eine freilich noch fortlebende -Spielschuld verfügte, durch ihre Tugend weggegrault hatte. Das waren -die alten Geschichten. Und dann wurde Woldemar geboren, und die junge -Frau starb, und der Junge wuchs heran und lernte bei Lorenzen all das -dumme Zeug, das Neue (dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er -nach England rüber und war vielleicht schon in Köln und in ein paar -Stunden in Ostende. - -Dabei sah er vor sich hin und malte mit seinem Stock Figuren in den -Sand. Der Wald war ganz still; auf dem See schwanden die letzten roten -Lichter, und aus einiger Entfernung klangen Schläge herüber, wie wenn -Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr hin und sah eben auf die von -Globsow her heraufführende schmale Straße, als er einer alten Frau von -wohl siebzig gewahr wurde, die, mit einer mit Reisig bepackten Kiepe, -den leis ansteigenden Weg heraufkam, etliche Schritte vor ihr ein Kind -mit ein paar Enzianstauden in der Hand. Das Kind, ein Mädchen, mochte -zehn Jahr sein, und das Licht fiel so, daß das blonde wirre Haar wie -leuchtend um des Kindes Kopf stand. Als die Kleine bis fast an die -Bank heran war, blieb sie stehn und erwartete da das Näherkommen der -alten Frau. Diese, die wohl sah, daß das Kind in Furcht oder doch in -Verlegenheit war, sagte: »Geih man vorupp, Agnes; he deiht di nix.« - -Das Kind, sich bezwingend, ging nun auch wirklich, und während es an -der Bank vorüberkam, sah es den alten Herrn mit großen, klugen Augen an. - -Inzwischen war auch die Alte herangekommen. - -»Na, Buschen,« sagte Dubslav, »habt Ihr denn auch bloß Bruchholz in -Eurer Kiepe? Sonst packt Euch der Förster.« - -Die Alte griente. »Jott, jnädiger Herr, wenn Se doabi sinn, denn wird -he joa woll nich.« - -»Na, ich denk auch; is immer nich so schlimm. Und wer is denn das Kind -da?« - -»Dat is joa Karlinens.« - -»So, so, Karlinens. Is sie denn noch in Berlin? Und wird er sie denn -heiraten? Ich meine den Rentsch in Globsow.« - -»Ne, he will joa nich.« - -»Is aber doch von ihm?« - -»Joa, se seggt so. Awers he seggt, he wihr et nich.« - -Der alte Dubslav lachte. »Na, hört, Buschen, ich kann's ihm eigentlich -nich verdenken. Der Rentsch is ja doch ein ganz schwarzer Kerl. Un nu -seht Euch mal das Kind an.« - -»Dat hebb ick ehr ook all seggt. Und Karline weet et ook nich so recht -un lacht man ümmer. Un se brukt em ook nich.« - -»Geht es ihr denn so gut?« - -»Joa; man kann et binah seggen. Se plätt't ümmer. Alle so'ne plätten -ümmer. Ick wihr oak dissen Summer mit Agnessen (se heet Agnes) in -Berlin, un doa wihr'n wi joa tosamen in'n Zirkus. Ud Karline wihr ganz -fidel.« - -»Na, das freut mich. Und Agnes, sagt Ihr, heißt sie. Is ein hübsches -Kind.« - -»Joa, det is se. Un is ook en gaudes Kind; se weent gliks un is immer -so patschlich mit ehre lütten Hänn'. Sünne sinn immer so.« - -»Ja, das is richtig. Aber Ihr müßt aufpassen, sonst habt Ihr nen -Urenkel, Ihr wißt nicht wie. Na, gu'n Abend, Buschen.« - -»'n Abend, jnädger Herr.« - - - - -Vierundzwanzigstes Kapitel - - -Der Baron Berchtesgadensche Wagen fuhr am Kronprinzenufer vor, und -die Baronin, als sie gehört hatte, daß die Herrschaften oben zu Hause -seien, stieg langsam die Treppe hinauf, denn sie war nicht gut zu Fuß -und ein wenig asthmatisch. Armgard und Melusine begrüßten sie mit -großer Freude. »Wie gut, wie hübsch, Baronin,« sagte Melusine, »daß wir -Sie sehn. Und wir erwarten auch noch Besuch. Wenigstens ich. Ich habe -solch Kribbeln in meinem kleinen Finger, und dann kommt immer wer. -Wrschowitz gewiß (denn er war drei Tage lang nicht hier) und vielleicht -auch Professor Cujacius. Und wenn nicht der, so Doktor Pusch, den Sie -noch nicht kennen, trotzdem Sie ihn eigentlich kennen müßten, -- noch -alte Bekanntschaft aus Londoner Tagen her. Möglicherweise kommt auch -Frommel. Aber vor allem, Baronin, was bringen Sie für Wetter mit? Lizzi -sagte mir eben, es neble so stark, man könne die Hand vor Augen nicht -sehn.« - -»Lizzi hat Ihnen ganz recht berichtet, der richtige ~London fog~, wobei -mir natürlich Ihr Freund Stechlin einfällt. Aber über den sprechen wir -nachher. Jetzt sind wir noch beim Nebel. Es war draußen wirklich so, -daß ich immer dachte, wir würden zusammenfahren; und am Brandenburger -Tor, mit den großen Kandelabern dazwischen, sah es beinah aus wie ein -Bild von Skarbina. Kennen Sie Skarbina?« - -»Gewiß,« sagte Melusine, »den kenn ich sehr gut. Aber allerdings -erst von der letzten Ausstellung her. Und was, außer den Gaslaternen -im Nebel, mir so eigentlich von ihm vorschwebt, das ist ein kleines -Bild: langer Hotelkorridor, Tür an Tür, und vor einer der vielen Türen -ein paar Damenstiefelchen. Reizend. Aber die Hauptsache war doch die -Beleuchtung. Von irgendwoher fiel ein Licht ein und vergoldete das -Ganze, den Flur und die Stiefelchen.« - -»Richtig,« sagte die Baronin. »Das war von ihm. Und gerade das hat -Ihnen so sehr gefallen?« - -»Ja. Was auch natürlich ist. In meinen italienischen Tagen -- wenn ich -von ›italienischen Tagen‹ spreche, so meine ich übrigens nie meine -Verheiratungstage; während meiner Verheiratungstage hab ich Gott sei -Dank so gut wie gar nichts gesehn, kaum meinen Mann, aber freilich -immer noch zu viel --, also während meiner italienischen Tage hab ich -vor so vielen Himmelfahrten gestanden, daß ich jetzt für Stiefeletten -im Sonnenschein bin.« - -»Ganz mein Fall, liebe Melusine. Freilich bin ich jetzt nebenher auch -noch fürs Japanische: Wasser und drei Binsen und ein Storch daneben. -In meinen Jahren darf ich ja von Storch sprechen. Früher hätt ich -vielleicht Kranich gesagt.« - -»Nein, Baronin, das glaub ich Ihnen nicht. Sie waren immer für das, was -sie jetzt Realismus nennen, was meistens mehr Ton und Farbe hat, und -dazu gehört auch der Storch. Deshalb lieb ich Sie ja gerade so sehr. -Ach, daß doch das Natürliche wieder obenauf käme.« - -»Kommt, liebe Melusine.« - - * * * * * - -Melusinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht. Es kam wirklich -Besuch, erst Wrschowitz, dann aber -- statt der drei, die sie noch -nebenher gemutmaßt hatte -- nur Czako. - -Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren hatte vorn im -Damenzimmer stattgefunden, ohne Gegenwart des alten Grafen. Dieser -erschien erst, als man zum Tee ging; er hieß seine Gäste herzlich -willkommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem, was -draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Dafür sorgte denn auch -jeder auf seine Weise: die Baronin durch Mitteilungen aus der oberen -Gesellschaftssphäre, Czako durch Avancements und Demissionen und -Wrschowitz durch »Krittikk.« Alles, was zur Sprache kam, hatte für den -alten Grafen so ziemlich den gleichen Wert, aber das Liebste waren ihm -doch die Hofnachrichten, die die Baronin mit glücklicher Ungeniertheit -zum besten gab. Wendungen wie »ich darf mich wohl Ihrer Diskretion -versichert halten« waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz -allgemein den Mut ihrer Meinung, sondern diesen Mut auch in betreff -ihrer jedesmaligen Spezialgeschichte, von der man in der Regel freilich -sagen durfte, daß sie desselben auch dringend bedürftig war. - -»Sagen Sie, liebe Freundin,« begann der alte Graf, »was wird das jetzt -so eigentlich mit den Briefen bei Hofe?« - -»Mit den Briefen? O, das wird immer schöner.« - -»Immer schöner?« - -»Nun, immer schöner,« lachte hier die Baronin, »ist vielleicht nicht -gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das -Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will sagen den -Charme. Schon die beliebte Wendung ›rätselhafte Frau‹ spricht dafür; -eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine, womit -ich mir persönlich freilich eine Art Todesurteil ausspreche. Denn ich -bin alles, nur kein Rätsel. Aber am Ende, man ist, wie man ist, und -so muß ich dies Manko zu verwinden suchen ... Es heißt immer, ›üble -Nachrede, drin man sich mehr oder weniger mit Vorliebe gefalle, sei -was Sündhaftes‹. Aber was heißt hier ›üble Nachrede‹? Vielleicht ist -das, was uns so bruchstückweise zu Gehör kommt, nur ein schwaches -Echo vom Eigentlichen und bedeutet eher ein Zuwenig als ein Zuviel. -Im übrigen, wie's damit auch sei, mein Sinn ist nun mal auf das -Sensationelle gerichtet. Unser Leben verläuft, offen gestanden, etwas -durchschnittsmäßig, also langweilig, und weil dem so ist, setz ich -getrost hinzu: ›Gott sei Dank, daß es Skandale gibt.‹ Freilich für -Armgard ist so was nicht gesagt. Die darf es nicht hören.« - -»Sie hört es aber doch,« lachte die Komtesse, »und denkt dabei: was es -doch für sonderbare Neigungen und Glücke gibt. Ich habe für dergleichen -kein Organ. Unsre teure Baronin findet unser Leben langweilig und -solche Chronik interessant. Ich, umgekehrt, finde solche Chronik -langweilig und unser alltägliches Leben interessant. Wenn ich den -Rudolf unsers Portier Hartwig unten mit seinem ~hoop~ und seinen dünnen -langen Berliner Beinen über die Straße laufen sehe, so find ich das -interessanter als diese sogenannte Pikanterie.« - -Melusine stand auf und gab Armgard einen Kuß. »Du bist doch deiner -Schwester Schwester, oder mein Erziehungsprodukt, und zum erstenmal in -meinem Leben muß ich meine teure Baronin ganz im Stiche lassen. Es ist -nichts mit diesem Klatsch; es kommt nichts dabei heraus.« - -»Ach, liebe Melusine, das ist durchaus nicht richtig. Es kommt -umgekehrt sehr viel dabei heraus. Ihr Barbys seid alle so schrecklich -diskret und ideal, aber ich für mein Teil, ich bin anders und nehme -die Welt, wie sie ist; ein Bier und ein Schnaderhüpfl und mal ein -Haberfeldtreiben, damit kommt man am weitesten. Was wir da jetzt hier -erleben, das ist auch solch Haberfeldtreiben, ein Stück Feme.« - -»Nur keine heilige.« - -»Nein,« sagte die Baronin, »keine heilige. Die Feme war aber auch -nicht immer heilig. Habe mir da neulich erst den Götz wieder angesehn, -bloß wegen dieser Szene. Die Poppe beiläufig vorzüglich. Und der -schwarze Mann von der Feme soll im Urtext noch viel schlimmer gewesen -sein, so daß man es (Goethe war damals noch sehr jung) eigentlich -kaum lesen kann. Ich würde mir's aber doch getrauen. Und nun wend ich -mich an unsre Herren, die dies diffizile Kampffeld, ich weiß nicht -ritterlicher- oder unritterlicherweise, mir ganz allein überlassen -haben. Doktor Wrschowitz, wie denken Sie darüber?« - -»Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was wir da lesen wie -Runenschrift ... nein, +nicht+ wie Runenschrift ... (Wrschowitz -unterbrach sich hier mißmutig über sein eignes Hineingeraten ins -Skandinavische) -- was wir da lesen in Briefen vom Hofe, das ist -Krittikk. Und weil es Krittikk ist, ist es gutt. Mag es auch sein -Mißbrauch von Krittikk. Alles hat Mißbrauch. Gerechtigkeit hat -Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, Krittikk hat Mißbrauch. Aber trotzdem. -Auf die Feme kommt es an, und das große Messer muß wieder stecken im -Baum.« - -»Brrr,« sagte Czako, was ihm einen ernsten Augenaufschlag von -Wrschowitz eintrug. -- - -Als man sich nach einer halben Stunde von Tisch erhoben hatte, -wechselte man den Raum und begab sich in das Damenzimmer zurück, weil -der alte Graf etwas Musik hören und sich von Armgards Fortschritten -überzeugen wollte. »Doktor Wrschowitz hat vielleicht die Güte, dich zu -begleiten.« - -So folgte denn ein Quatremains, und als man damit aufhörte, nahm der -alte Barby Veranlassung, seiner Vorliebe für solch vierhändiges Spiel -Ausdruck zu geben, was Wrschowitz, dessen Künstlerüberheblichkeit keine -Grenzen kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veranlaßte, -daß man dieser Auffassung bei Dilettanten sehr häufig begegne. -Der alte Graf, wenig befriedigt von dieser »Krittikk«, war doch -andrerseits viel zu vertraut mit Künstlerallüren im allgemeinen und -mit den Wrschowitzschen im besonderen, um sich ernstlich über solche -Worte zu verwundern. Er begnügte sich vielmehr mit einer gemessenen -Verbeugung gegen den Musikdoktor und zog, auf einer nebenstehenden -Causeuse Platz nehmend, die gute Frau von Berchtesgaden ins Gespräch, -von der er wußte, daß ihre Munterkeiten nie den Charakter »goldener -Rücksichtslosigkeiten« annahmen. - -Wrschowitz seinerseits war an dem aufgeklappten Flügel stehen -geblieben, ohne jede Spur von Verlegenheit, so daß ein Sichkümmern um -ihn eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Trotzdem hielt es Czako für -angezeigt, sich seiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu -tun, »ob er, der Herr Doktor Wrschowitz, sich schon in Berlin eingelebt -habe«. - -»Hab ich,« sagte Wrschowitz kurz. - -»Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns aufgeschlagen zu haben?« - -»~Au contraire.~ Berlin eine schöne Stadt, eine serr gutte Stadt. Eine -serr gutte Stadt ~pour moi en particulier et pour les étrangers en -général~. Eine serr gutte Stadt, weil es hat Musikk und weil es hat -Krittikk.« - -»Ich bin beglückt, Doktor Wrschowitz, speziell aus Ihrem Munde so viel -Gutes über unsre Stadt zu hören. Im allgemeinen ist die slawische, -besonders die tschechische Welt ...« - -»O, die tschechische Welt. ~Vanitas vanitatum.~« - -»Es ist sehr selten, in nationalen Fragen einem so freien Drüberstehn -zu begegnen ... Aber wenn es Ihnen recht ist, Doktor Wrschowitz, wir -stehen hier wie zwei Schildhalter neben diesem aufgeklappten Klavier, --- vielleicht daß wir uns setzen könnten. Gräfin Melusine lugt ohnehin -schon nach uns aus.« Und als Wrschowitz seine Zustimmung zu diesem -Vorschlage Czakos ausgedrückt hatte, schritten beide Herren vom Klavier -her auf den Kamin zu, vor dem sich die Gräfin auf einem Fauteuil -niedergelassen hatte. Neben ihr stand ein Marmortischchen, drauf sie -den linken Arm stützte. - -»Nun endlich, Herr von Czako. Vor allem aber rücken Sie Stühle heran. -Ich sah die beiden Herren in einem anscheinend intimen Gespräche. Wenn -es sich um etwas handelte, dran ich teilnehmen darf, so gönnen Sie mir -diesen Vorzug. Papa hat sich, wie Sie sehn, mit der Baronin engagiert, -ich denke mir über berechtigte bajuvarische Eigentümlichkeiten, und -Armgard denkt über ihr Spiel nach und all die falschen Griffe. Was -müssen Sie gelitten haben, Wrschowitz. Und nun noch einmal, Hauptmann -Czako, worüber plauderten Sie?« - -»Berlin.« - -»Ein unerschöpfliches Thema für die Medisance.« - -»Worauf Doktor Wrschowitz zu meinem Staunen verzichtete. Denken Sie -sich, gnädigste Gräfin, er schien alles loben zu wollen. Allerdings -waren wir erst bei Musik und Kritik. Über die Menschen noch kein Wort.« - -»O, Wrschowitz, das müssen Sie nachholen. Ein Fremder sieht mehr -als ein Einheimischer. Also frei weg und ohne Scheu. Wie sind die -Vornehmen? Wie sind die kleinen Leute?« - -Wrschowitz wiegte den Kopf hin und her, als ob er überlege, wie weit -er in seiner Antwort gehen könne. Dann mit einem Male schien er einen -Entschluß gefaßt zu haben und sagte: »Oberklasse gutt, Unterklasse serr -gutt; Mittelklasse +nicht+ serr gutt.« - -»Kann ich zustimmen,« lachte Melusine. »Fehlen nur noch ein paar -Details. Wie wär es damit?« - -»Mittelklassberliner findet gutt, was +er+ sagt, aber findet +nicht+ -gutt, was sagt ein andrer.« - -Czako, trotzdem er sich getroffen fühlte, nickte. - -»Mittelklassberliner, wenn spricht andrer, fällt in Krampf. In -versteckten Krampf oder auch in nicht versteckten Krampf. In -verstecktem Krampf ist er ein Bild des Jammers, in nicht verstecktem -Krampf ist er ein Affront.« - -»Brav, Wrschowitz. Aber mehr. Ich bitte.« - -»Berliner immer an der Tete. So wenigstens glaubt er. Berliner immer -Held. Berliner weiß alles, findet alles, entdeckt alles. Erst Borsig, -dann Stephenson, erst Rudolf Hertzog, dann Herzog Rudolf, erst -Pfefferküchler Hildebrand, dann Papst Hildebrand.« - -»Nicht geschmeichelt, aber ähnlich. Und nun, Wrschowitz, noch eins, -dann sind Sie wieder frei ... Wie sind die Damen?« - -»Ach, gnädigste Gräfin ...« - -»Nichts, nichts. Die Damen.« - -»Die Damen. O, die Damen serr gutt. Aber nicht speziffisch. Speziffisch -in Berlin bloß die Madamm.« - -»Da bin ich aber doch neugierig.« - -»Speziffisch bloß die Madamm. Ich war, gnädigste Gräfin, in Pettersburg -und ich war in Moscou. Und war in Budapest. Und war auch in Saloniki. -Ah, Saloniki! Schöne Damen von Helikon und schöne Damen von Libanon, -hoch und schlank wie die Zeder. Aber keine Madamm. Madamm nirgendwo; -Madamm bloß in Berlin.« - -»Aber Wrschowitz, es müssen doch schließlich Ähnlichkeiten da sein. -Eine Madamm ist doch immerhin auch eine Dame, wenigstens eine Art Dame. -Schon das Wort spricht es aus.« - -»Nein, gnäddigste Gräfin; ~rien du tout~ Dame! Dame denkt an Galan, -Dame denkt an Putz; oder vielleicht auch an ~Divorçons~. Aber Madamm -denkt bloß an Rieke draußen und mitunter auch an Paul. Und wenn sie zu -Paul spricht, der ihr Jüngster ist, so sagt sie: ›Jott, dein Vater.‹ -Oh, die Madamm! Einige sagen, sie stürbe aus, andre sagen, sie stürbe -nie.« - -»Wrschowitz,« sagte Melusine, »wie schade, daß die Baronin und Papa -nicht zugehört haben und daß unser Freund Stechlin, der solche Themata -liebt, nicht hier ist. Übrigens hatten wir heut ein Telegramm von ihm. -Haben Sie vielleicht auch Nachricht, Herr Hauptmann?« - -»Heute, gnädigste Gräfin. Und auch ein Telegramm. Ich hab es -mitgebracht, weil ich an die Möglichkeit dachte ...« - -»Bitte, lesen.« - -Und Czako las: »London, Charing Croß-Hotel. Alles über Erwarten groß. -Sieben unvergeßliche Tage. Richmond schön. Windsor schöner. Und die -Nelsonsäule vor mir. Ihr v. St.« - -Melusine lachte. »Das hat er uns auch telegraphiert.« - -»Ich fand es wenig,« stotterte Czako verlegen, »und als Doublette find -ich es noch weniger. Und ein Mann wie Stechlin, ein Mann in Mission! -Und jetzt sogar unter den Augen Ihrer Majestät von Großbritannien und -Indien.« - -Alles stimmte dem, »daß es wenig sei«, zu. Nur der alte Graf wollte -davon nichts wissen. - -»Was verlangt ihr? Es ist umgekehrt ein sehr gutes Telegramm, weil -ein richtiges Telegramm; Richmond, Windsor, Nelsonsäule. Soll er etwa -telegraphieren, daß er sich sehnt, uns wiederzusehn? Und das wird er -nicht einmal können, so riesig verwöhnt er jetzt ist. Ihr werdet euch -alle sehr zusammennehmen müssen. Auch du, Melusine.« - -»Natürlich, ich am meisten.« - - - - -Verlobung - -Weihnachtsreise nach Stechlin - - - - -Fünfundzwanzigstes Kapitel - - -Drei Tage später war Woldemar zurück und meldete sich für den -nächsten Abend am Kronprinzenufer an. Er traf nur die beiden Damen, -die, Melusine voran, kein Hehl aus ihrer Freude machten. »Papa läßt -Ihnen sein Bedauern aussprechen, Sie nicht gleich heute mitbegrüßen -zu können. Er ist bei den Berchtesgadens zur Spielpartie, bei der er -natürlich nicht fehlen durfte. Das ist ›Dienst‹, weit strenger als der -Ihrige. Wir haben Sie nun ganz allein, und das ist auch etwas Gutes. An -Besuch ist kaum zu denken; Rex war erst gestern auf eine kurze Visite -hier, etwas steif und formell wie gewöhnlich, und mit Ihrem Freunde -Czako haben wir letzten Sonnabend eine Stunde verplaudern können. -Wrschowitz war an demselben Abend auch da; beide treffen sich jetzt -öfter und vertragen sich besser, als ich bei Beginn der Bekanntschaft -dachte. Wer also sollte noch kommen? ... Und nun setzen Sie sich, um -Ihr Reisefüllhorn über uns auszuschütten; -- die Füllhörner, die jetzt -Mode sind, sind meist Bonbontüten, und genau so was erwart ich auch -von Ihnen. Sie sollten mir in einem Briefe von den Engländerinnen -schreiben. Aber wer darüber nicht schrieb, das waren Sie, wenn wir uns -auch entschließen wollen, Ihr Telegramm für voll anzusehn.« Und dabei -lachte Melusine. »Vielleicht haben Sie uns in unsrer Eitelkeit nicht -kränken wollen. Aber offen Spiel ist immer das beste. Wovon Sie nicht -geschrieben, davon müssen Sie jetzt sprechen. Wie war es drüben? Ich -meine mit der Schönheit.« - -»Ich habe nichts einzelnes gesehn, was mich frappiert oder gar -hingerissen hätte.« - -»Nichts einzelnes. Soll das heißen, daß Sie dafür das Ganze beinah -bewundert haben, will also sagen, die weibliche Totalität?« - -»Fast könnt ich dem zustimmen. Ich erinnere mich, daß mir vor Jahr und -Tag schon ein Freund einmal sagte, ›in der ganzen Welt fände man, Gott -sei Dank, schöne Frauen, aber nur in England seien die Frauen überhaupt -schön‹.« - -»Und das haben Sie geglaubt?« - -»Es liegt eigentlich schlimmer, gnädigste Gräfin. Ich hab es nicht -geglaubt; aber ich hab es, meinem Nichtglauben zum Trotz, nachträglich -bestätigt gefunden.« - -»Und Sie schaudern nicht vor solcher Übertreibung?« - -»Ich kann es nicht, so sehr ich gerade hier eine Verpflichtung dazu -fühle ...« - -»Keine Bestechungen.« - -»Ich soll schaudern vor einer Übertreibung,« fuhr Woldemar fort. »Aber -Sie werden mir, Frau Gräfin, dies Schaudern vielleicht erlassen, wenn -ich Erklärungen abgegeben haben werde. Der Englandschwärmer, den -ich da vorhin zitierte, war ein Freund von zugespitzten Sätzen, und -zugespitzte Sätze darf man nie wörtlich nehmen. Und am wenigsten auf -diesem diffizilen Gebiete. Nirgends in der Welt blühen Schönheiten wie -die gelben Butterblumen übers Feld hin; wirkliche Schönheiten sind -schließlich immer Seltenheiten. Wären sie nicht selten, so wären sie -nicht schön, oder wir fänden es nicht, weil wir einen andern Maßstab -hätten. All das steht fest. Aber es gibt doch Durchschnittsvorzüge, -die den Typus des Ganzen bestimmen, und diesem Maße nicht -geradezu frappierender, aber doch immerhin noch sehr gefälliger -Durchschnittsschönheit, dem bin ich drüben begegnet.« - -»Ich laß es mit dieser Einschränkung gelten, und Sie werden in Papa, -mit dem wir oft darüber streiten, einen Anwalt für Ihre Meinung finden. -Durchschnittsvorzüge. Zugegeben. Aber was sich darin ausspricht, das -beinah Unpersönliche, das Typische ...« - -Melusine schrak in diesem Augenblick leise zusammen, weil sie draußen -die Klingel gehört zu haben glaubte. Wirklich, Jeserich trat ein -und meldete: Professor Cujacius. »Um Gottes willen,« entfuhr es der -Gräfin, und die kleine Pause benutzend, die ihr noch blieb, flüsterte -sie Woldemar zu: »Cujacius ... Malerprofessor. Er wird über Kunst -sprechen; bitte, widersprechen Sie ihm nicht, er gerät dabei so leicht -in Feuer oder in mehr als das.« Und kaum, daß Melusine soweit gekommen -war, erschien auch schon Cujacius und schritt unter rascher Verbeugung -gegen Armgard auf die Gräfin zu, dieser die Hand zu küssen. Sie hatte -sich inzwischen gesammelt und stellte vor: »Professor Cujacius, ... -Rittmeister von Stechlin.« Beide verneigten sich gegeneinander, -Woldemar ruhig, Cujacius mit dem ihm eignen superioren Apostelausdruck, -der, wenn auch ungewollt, immer was Provozierendes hatte. »Bin,« so -ließ er sich mit einer gewissen Kondescenz vernehmen, »durch Gräfin -Melusine ganz auf dem Laufenden. Abordnung, England, Windsor. Ich habe -Sie beneidet, Herr Rittmeister. Eine so schöne Reise.« - -»Ja, das war sie, nur leider zu kurz, so daß ich intimeren Dingen, -beispielsweise der englischen Kunst, nicht das richtige Maß von -Aufmerksamkeit widmen konnte.« - -»Worüber Sie sich getrösten dürfen. Was ich persönlich an solcher -Reise jedem beneiden möchte, das sind ausschließlich die großen -Gesamteindrücke, der Hof und die Lords, die die Geschichte des Landes -bedeuten.« - -»All das war auch mir die Hauptsache, mußt es sein. Aber ich hätte mich -dem ohnerachtet auch gern um Künstlerisches gekümmert, speziell um -Malerisches. So zum Beispiel um die Schule der Präraffaeliten.« - -»Ein überwundener Standpunkt. Einige waren da, deren Auftreten auch von -uns (ich spreche von den Künstlern meiner Richtung) mit Aufmerksamkeit -und selbst mit Achtung verfolgt wurde. So beispielsweise Millais ...« - -»Ah, +der+. Sehr wahr. Ich erinnere mich seines bedeutendsten Bildes, -das leider nach Amerika hin verkauft wurde. Wenn ich nicht irre, zu -einem enormen Preise.« - -Cujacius nickte. »Mutmaßlich das vielgefeierte ›Angelusbild‹, was -Ihnen vorschwebt, Herr Rittmeister, eine von Händlern heraufgepuffte -Marktware, für die Sie glücklicherweise den englischen Millais, will -also sagen den ›+ais+‹-Millais, nicht verantwortlich machen dürfen. -+Der+ Millet, der für eine, wie Sie schon bemerkten, lächerlich -hohe Summe nach Amerika hin verkauft wurde, war ein ›+et+‹-Millet, -Vollblutpariser oder wenigstens Franzose.« - -Woldemar geriet über diese Verwechslung in eine kleine Verlegenheit, -die Damen mit ihm, alles sehr zur Erbauung des Professors, dessen rasch -wachsendes Überlegenheitsgefühl unter dem Eindruck dieses Fauxpas immer -neue Blüten übermütiger Laune trieb. »Im übrigen sei mir's verziehen,« -fuhr er, immer leuchtender werdend, fort, »wenn ich mein Urteil über -beide kurz dahin zusammenfasse: ›sie sind einander wert,‹ und die -zwei großen westlichen Kulturvölker mögen sich darüber streiten, wer -von ihnen am meisten genasführt wurde. Der französische Millet ist -eine Null, ein Zwerg, neben dem der englische vergleichsweise zum -Riesen anwächst, wohlverstanden vergleichsweise. Trotzdem, wie mir -gestattet sein mag zu wiederholen, war er zu Beginn seiner Laufbahn -ein Gegenstand unsrer hiesigen Aufmerksamkeit. Und mit Recht. Denn das -Präraffaelitentum, als dessen Begründer und Vertreter ich ihn ansehe, -trug damals einen Zukunftskeim in sich; eine große Revolution schien -sich anbahnen zu wollen, jene große Revolution, die Rückkehr heißt. -Oder wenn Sie wollen ›Reaktion‹. Man hat vor solchen Wörtern nicht zu -erschrecken. Wörter sind Kinderklappern.« - -»Und dieser englische Millais, -- den mit dem französischen verwechselt -zu haben ich aufrichtig bedaure, -- dieser ›+ais+‹-Millais, dieser -großer Reformer, ist, wenn ich Sie recht verstehe, sich selber untreu -geworden.« - -»Man wird dies sagen dürfen. Er und seine Schule verfielen in -Excentricitäten. Die Zucht ging verloren, und das straft sich auf -jedem Gebiet. Was da neuerdings in der Welt zusammengekleckst wird, -zumal in der schottischen und amerikanischen Schule, die sich jetzt -auch bei uns breitzumachen sucht, das ist der Überschwang einer an -sich beachtenswerten Richtung. Der Zug, der unter Mitteldampf gut und -erfreulich fuhr, unter Doppeldampf (und das reicht noch nicht einmal -aus) ist er entgleist; er liegt jetzt neben den Schienen und pustet und -keucht. Und ein Jammer nur, daß seine Heizer nicht mit auf dem Platze -geblieben sind. Das ist der Fluch der bösen Tat ... ich verzichte -darauf, in Gegenwart der Damen das Zitat zu Ende zu führen.« - -Eine kleine Pause trat ein, bis Woldemar, der einsah, daß irgendwas -gesagt werden müsse, sich zu der Bemerkung aufraffte: »Von Neueren hab -ich eigentlich nur Seestücke kennen gelernt; dazu die Phantastika des -Malers William Turner, leider nur flüchtig. Er hat die ›drei Männer im -feurigen Ofen‹ gemalt. Stupend. Etwas Großartiges schien mir aus seinen -Schöpfungen zu sprechen, wenigstens in allem, was das Kolorit angeht.« - -»Eine gewisse Großartigkeit,« nahm Cujacius mit lächelnd überlegener -Miene wieder das Wort, »ist ihm nicht abzusprechen. Aber aller Wahnsinn -wächst sich leicht ins Großartige hinein und düpiert dann regelmäßig -die Menge. ~Mundus vult decipi~. Allem vorauf in England. Es gibt -nur ein Heil: Umkehr, Rückkehr zur keuschen Linie. Die Koloristen -sind das Unglück in der Kunst. Einige wenige waren hervorragend, aber -nicht ~parceque~, sondern ~quoique~. Noch heute wird es mir obliegen, -in unserm Verein über eben dieses Thema zu sprechen. Gewiß unter -Widerspruch, vielleicht auch unter Lärm und Gepolter; denn mit den -richtigen Linien in der Kunst sind auch die richtigen Formen in der -Gesellschaft verloren gegangen. Aber viel Feind, viel Ehr, und jede -Stelle verlangt heutzutage ihren Mann von Worms, ihren Luther. ›Hier -stehe ich.‹ Am elendesten aber sind die paktierenwollenden Halben. -Zwischen schön und häßlich ist nicht zu paktieren.« - -»Und schön und häßlich,« unterbrach hier Melusine (froh, überhaupt -unterbrechen zu können), »war auch die große Frage, die wir, als wir -Sie begrüßen durften, eben unter Diskussion stellten. Herr von Stechlin -sollte beichten über die Schönheit der Engländerinnen. Und nun frag -ich +Sie+, Herr Professor, finden auch Sie sie so schön, wie einem -hierlandes immer versichert wird?« - -»Ich spreche nicht gern über Engländerinnen,« fuhr Cujacius fort. -»Etwas von Idiosynkrasie beherrscht mich da. Diese Töchter Albions, -sie singen so viel und musizieren so viel und malen so viel. Und haben -eigentlich kein Talent.« - -»Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen. Bloß das eine: -schön oder nicht schön?« - -»Schön? Nun denn ›nein‹. Alles wirkt wie tot. Und was wie tot -wirkt, wenn es nicht der Tod selbst ist, ist nicht schön. Im -übrigen, ich sehe, daß ich nur noch zehn Minuten habe. Wie gerne -wär ich an einer Stelle geblieben, wo man so vielem Verständnis und -Entgegenkommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir, Ihnen -morgen eine Radierung nach einem Bilde des richtigen englischen -Millais zu schicken. Dragonerkaserne, Hallesches Tor, -- ich weiß. -Übermorgen laß ich die Mappe wieder abholen. Name des Bildes: ›Sir -Isumbras.‹ Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des -Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu verwundern. -Nichts hält jetzt aus, und mit nächstem werden wir die Berühmtheiten -nach Tagen zählen. Tizian entzückte noch mit hundert Jahren; wer jetzt -fünf Jahre gemalt hat, ist altes Eisen. Gnädigste Gräfin, Komtesse -Armgard ... Darf ich bitten, mich meinem Gönner, Ihrem Herrn Vater, dem -Grafen, angelegentlichst empfehlen zu wollen.« - - * * * * * - -Woldemar, die Honneurs des Hauses machend, was er bei seiner intimen -Stellung durfte, hatte den Professor bis auf den Korridor geleitet -und ihm hier den Künstlermantel umgegeben, den er, in unverändertem -Schnitt, seit seinen Romtagen trug. Es war ein Radmantel. Dazu ein -Kalabreser von Seidenfilz. - -»Er ist doch auf seine Weise nicht übel,« sagte Woldemar, als er bei -den Damen wieder eintrat. »An einem starken Selbstbewußtsein, dran er -wohl leidet, darf man heutzutage nicht Anstoß nehmen, vorausgesetzt, -daß die Tatsachen es einigermaßen rechtfertigen.« - -»Ein starkes Selbstbewußtsein ist nie gerechtfertigt,« sagte Armgard, -»Bismarck vielleicht ausgenommen. Das heißt also in jedem Jahrhundert -einer.« - -»Wonach Cujacius günstigstenfalls der zweite wäre,« lachte Woldemar. -»Wie steht es eigentlich mit ihm? Ich habe nie von ihm gehört, was aber -nicht viel besagen will, namentlich nachdem ich Millais und Millet -glücklich verwechselt habe. Nun geht alles so in einem hin. Ist er ein -Mann, den ich eigentlich kennen müßte?« - -»Das hängt ganz davon ab,« sagte Melusine, »wie Sie sich einschätzen. -Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen alten Giotto von -Florenz zu kennen, sondern auch all die Giottinos, die neuerdings -in Ostelbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunst und -Christentum ein übriges zu leisten, so müssen Sie Cujacius freilich -kennen. Er hat da die große Lieferung; ist übrigens lange nicht der -Schlimmste. Selbst seine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und -geschüttelt Maß, gestehen ihm ein hübsches Talent zu; nur verdirbt er -alles durch seinen Dünkel. Und so hat er denn keine Freunde, trotzdem -er beständig von Richtungsgenossen spricht und auch heute wieder -sprach. Gerade diese Richtungsgenossen aber hat er aufs entschiedenste -gegen sich, was übrigens nicht bloß an ihm, sondern auch an den -Genossen liegt. Gerade die, die dasselbe Ziel verfolgen, bekämpfen -sich immer am heftigsten untereinander, vor allem auf christlichem -Gebiet, auch wenn es sich nicht um christliche Dogmen, sondern bloß um -christliche Kunst handelt. Zu des Professors Lieblingswendungen zählt -die, daß er ›in der Tradition stehe‹, was ihm indessen nur Spott und -Achselzucken einträgt. Einer seiner Richtungsgenossen -- als ob er mich -persönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen -- fragte mich erst -neulich voll ironischer Teilnahme: ›Steht denn Ihr Cujacius immer noch -in der Tradition?‹ Und als ich ihm antwortete: ›Sie spötteln darüber, -hat er denn aber keine?‹ bemerkte dieser Spezialkollege: ›Gewiß hat er -eine Tradition, und das ist seine eigne. Seit fünfundvierzig Jahren -malt er immer denselben Christus und bereist als Kunst-, aber fast auch -schon als Kirchenfanatiker die ihm unterstellten Provinzen, so daß man -betreffs seiner beinah sagen kann: Es predigt sein Christus allerorten, -ist aber drum nicht schöner geworden.‹« - -»Melusine, du darfst so nicht weitersprechen,« unterbrach hier Armgard. -»Sie wissen übrigens, Herr von Stechlin, wie's hier steht, und daß ich -meine ältere Schwester, die mich erzogen hat (hoffentlich gut), jetzt -nachträglich mitunter meinerseits erziehen muß.« Dabei reichte sie -Melusine die Hand. »Eben erst ist er fort, der arme Professor, und -jetzt schon so schlechte Nachrede. Welchen Trost soll sich unser Freund -Stechlin daraus schöpfen? Er wird denken, heute dir, morgen mir.« - -»Du sollst in allem recht haben, Armgard, nur nicht in diesem letzten. -Schließlich weiß doch jeder, was er gilt, ob er geliebt wird oder -nicht, vorausgesetzt, daß er ein Gentleman und nicht ein Gigerl ist. -Aber Gentleman. Da hab ich wieder die Einhakeöse für England. Das -Schönheitskapitel ist erledigt, war ohnehin nur Kaprize. Von all dem -andern aber, das schließlich doch wichtiger ist, wissen wir noch immer -so gut wie gar nichts. Wie war es im Tower? Und hab ich recht behalten -mit Traitors Gate?« - -»Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Mißtrauen gegen meine Phantasie. -Die versagte da total, wenn es nicht doch vielleicht an der Sache -selbst, also an Traitors Gate, gelegen hat. Denn an einer anderen -Stelle konnt ich mich meiner Phantasie beinah berühmen und am meisten -da, wo (wie mir übrigens nur zu begreiflich) auch Sie persönlich mit so -viel Vorliebe verweilt haben.« - -»Und welche Stelle war das?« - -»Waltham-Abbey.« - -»Waltham-Abbey. Aber davon weiß ich ja gar nichts. Waltham-Abbey kenn -ich nicht, kaum dem Namen nach.« - -»Und doch weiß ich bestimmt, daß mir Ihr Herr Papa gerade am Abend -vor meiner Abreise sagte: ›das muß Melusine wissen; die weiß ja dort -überall Bescheid und kennt, glaub ich, Waltham-Abbey besser als Treptow -oder Stralau.‹« - -»So bilden sich Renommees,« lachte Melusine. »Der Papa hat das auf gut -Glück hin gesagt, hat bloß ein beliebiges Beispiel herausgegriffen. Und -nun diese Tragweite! Lassen wir das aber und sagen Sie mir lieber: was -ist Waltham-Abbey? Und wo liegt es?« - -»Es liegt ganz in der Nähe von London und ist eine Nachmittagsfahrt, -etwa wie wenn man das Mausoleum in Charlottenburg besucht oder das in -der Potsdamer Friedenskirche.« - -»Hat es denn etwas von einem Mausoleum?« - -»Ja und nein. Der Denkstein fehlt, aber die ganze Kirche kann als ein -Denkmal gelten.« - -»Als ein Denkmal für wen?« - -»Für König Harald.« - -»Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlachtfelde von Hastings -suchte?« - -»Für denselben.« - -»Ich habe während meiner Londoner Tage das Bild von Horace Vernet -gesehn, das den Moment darstellt, wo die schöne Col de Cygne zwischen -den Toten umherirrt. Und ich erinnre mich auch, daß zwei Mönche neben -ihr herschritten. Aber weiter weiß ich nichts. Und am wenigsten weiß -ich, was daraus wurde.« - -»Was daraus wurde, -- das ist eben der Schlußakt des Dramas. Und dieser -Schlußakt heißt Waltham-Abbey. Die Mönche, deren Sie sich erinnern und -die da neben Editha herschritten, das waren Waltham-Abbeymönche, und -als sie schließlich gefunden hatten, was sie suchten, legten sie den -König auf dichtes Baumgezweig und trugen ihn den weiten Weg bis nach -Waltham-Abbey zurück. Und da begruben sie ihn.« - -»Und die Stätte, wo sie ihn begruben, die haben Sie besucht?« - -»Nein, nicht sein Grab; das existiert nicht. Man weiß nur, daß man -ihn dort überhaupt begrub. Und als ich da, die Sonne ging eben unter, -in einem uralten Lindengange stand, zwischen Grabsteinen links und -rechts, und das Abendläuten von der Kirche her begann, da war es mir, -als käme wieder der Zug mit den Mönchen den Lindengang herauf, und -ich sah Editha und sah auch den König, trotzdem ihn die Zweige halb -verdeckten. Und dabei (wenn auch eigentlich der Papa schuld ist und -nicht Sie, Gräfin) gedacht ich Ihrer in alter und neuer Dankbarkeit.« - -»Und daß Sie mich besiegt haben. Aber das sage nur ich. Sie sagen es -natürlich nicht, denn Sie sind nicht der Mann, sich eines Sieges zu -rühmen, noch dazu über eine Frau. Waltham-Abbey kenn ich nun, und an -Ihre Phantasie glaub ich von heut an, trotzdem Sie mich mit Traitors -Gate im Stich gelassen. Daß Sie nebenher noch, und zwar Armgard zu -Ehren, in Martins le Grand waren, dessen bin ich sicher und ebenso, daß -Sie Papas einzige Forderung erfüllt und der Kapelle Heinrichs ~VII.~ -Ihren Besuch gemacht haben, diesem Wunderwerk der Tudors. Welchen -Eindruck hatten Sie von der Kapelle?« - -»Den denkbar großartigsten. Ich weiß, daß man die herabhängenden -Trichter, die sie ›Tromben‹ nennen, unschön gefunden hat; aber -ästhetische Vorschriften existieren für mich nicht. Was auf mich -wirkt, wirkt. Ich konnte mich nicht satt sehen daran. Trotzdem, das -Eigentlichste war doch noch wieder ein andres und kam erst, als ich -da zwischen den Sarkophagen der beiden feindlichen Königinnen stand. -Ich wüßte nicht, daß etwas je so beweglich und eindringlich zu mir -gepredigt hätte wie gerade diese Stelle.« - -»Und was war es, was Sie da so bewegte?« - -»Das Gefühl: ›zwischen diesen beiden Gegensätzen pendelt die -Weltgeschichte.‹ Zunächst freilich scheinen wir da nur den Gegensatz -zwischen Katholizismus und Protestantismus zu haben, aber weit -darüber hinaus (weil nicht an Ort und Zeit gebunden) haben wir -bei tiefergehender Betrachtung den Gegensatz von Leidenschaft und -Berechnung, von Schönheit und Klugheit. Und das ist der Grund, warum -das Interesse daran nicht ausstirbt. Es sind große Typen, diese -feindlichen Königinnen.« - -Beide Schwestern schwiegen. Dann sagte Melusine, der daran lag, wieder -ins Heitere hinüber zu lenken: »Und nun, Armgard, sage, für welche von -den beiden Königinnen bist du?« - -»Nicht für die eine und nicht für die andre. Nicht einmal für beide. -Gewiß sind es Typen. Aber es gibt andre, die mir mehr bedeuten, und, um -es kurz zu sagen, Elisabeth von Thüringen ist mir lieber als Elisabeth -von England. Andern leben und der Armut das Brot geben -- darin allein -ruht das Glück. Ich möchte, daß ich mir +das+ erringen könnte. Aber man -erringt sich nichts. Alles ist Gnade.« - -»Du bist ein Kind,« sagte Melusine, während sie sich mühte, ihrer -Bewegung Herr zu werden. »Du wirst noch Unter den Linden für Geld -gezeigt werden. Auf der einen Seite die ›Mädchen von Dahomey‹, auf der -andern du.« - -Stechlin ging. Armgard gab ihm das Geleit bis auf den Korridor. Es war -eine Verlegenheit zwischen beiden, und Woldemar fühlte, daß er etwas -sagen müsse. »Welche liebenswürdige Schwester Sie haben.« - -Armgard errötete. »Sie werden mich eifersüchtig machen.« - -»Wirklich, Komtesse?« - -»Vielleicht ... Gute Nacht.« - - * * * * * - -Eine halbe Stunde später saß Melusine neben dem Bett der Schwester, -und beide plauderten noch. Aber Armgard war einsilbig, und Melusine -bemerkte wohl, daß die Schwester etwas auf dem Herzen habe. - -»Was hast du, Armgard? Du bist so zerstreut, so wie abwesend.« - -»Ich weiß es nicht, aber ich glaube fast ...« - -»Nun was?« - -»Ich glaube fast, ich bin verlobt.« - - - - -Sechsundzwanzigstes Kapitel - - -Und was die jüngere Schwester der älteren zugeflüstert hatte, das -wurde wahr, und schon wenige Tage nach diesem ersten Wiedersehn waren -Armgard und Woldemar Verlobte. Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, -den er seit lange gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer -Herzlichkeit, als ob sie selber die Glückliche wäre. - -»Du gönnst ihn mir doch?« - -»Ach, meine liebe Armgard,« sagte Melusine, »wenn du wüßtest! Ich habe -nur die Freude, du hast auch die Last.« - - * * * * * - -An demselben Abende noch, wo die Verlobung stattgefunden hatte, schrieb -Woldemar nach Stechlin und nach Wutz; der eine Brief war so wichtig wie -der andre, denn die Tante-Domina, deren Mißstimmung so gut wie gewiß -war, mußte nach Möglichkeit versöhnlich gestimmt werden. Freilich blieb -es fraglich, ob es glücken würde. - -Zwei Tage später waren die Antwortbriefe da, von denen diesmal der -Wutzer Brief über den Stechliner siegte, was einfach daran lag, -daß Woldemar von Wutz her nur Ausstellungen, von Stechlin her nur -Entzücken erwartet hatte. Das traf aber nun beides nicht zu. Was die -Tante schrieb, war durchaus nicht so schlimm (sie beschränkte sich auf -Wiederholung der schon mündlich von ihr ausgesprochenen Bedenken), -und was der Alte schrieb, war nicht so gut oder doch wenigstens nicht -so der Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natürlich war -es eine Beglückwünschung, aber doch mehr noch ein politischer Exkurs. -Dubslav litt als Briefschreiber daran, gern bei Nebensächlichkeiten zu -verweilen und gelegentlich über die Hauptsache wegzusehn. Er schrieb: - -»Mein lieber Woldemar. Die Würfel sind nun also gefallen (früher hieß -es ~alea jacta est~, aber so altmodisch bin ich denn doch nicht mehr), -und da zwei Sechsen obenauf liegen, kann ich nur sagen: ich gratuliere. -Nach dem Gespräch übrigens, das ich am 3. Oktober morgens mit Dir -führte, während wir um unsern Stechliner Springbrunnen herumgingen -(seit drei Tagen springt er nicht mehr; wahrscheinlich werden die -Mäuse das Röhrenwerk angeknabbert haben) -- seit jenem Oktobermorgen -hab ich so was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Du wirst -nun also Karriere machen, glücklicherweise zunächst durch Dich selbst -und dann allerdings auch durch Deine Braut und deren Familie. Graf -Barby -- mit Rübenboden im Magdeburgischen und mit Mineralquellen im -Graubündischen -- höher hinauf geht es kaum, Du müßtest Dich denn bis -ins Katzlersche verirren. Armgard ist auch schon viel, aber Ermyntrud -doch mehr und für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein -lieber Woldemar, Du kommst nun also zu Vermögen und Einfluß und kannst -die Stechlins wieder raufbringen (gestern war Baruch Hirschfeld hier -und in allem willfährig; die Juden sind nicht so schlimm, wie manche -meinen), und wenn Du dann hier einziehst und statt der alten Kate so -was in Chateaustil bauen läßt und vielleicht sogar eine Fasanenzucht -anlegst, so daß erst der Post-Stephan und dann der Kaiser selbst bei -Dir zu Besuch kommen kann, ja, da kannst Du möglicherweise selbst das -erreichen, was Dein alter Vater, weil Feilenhauer Torgelow mächtiger -war als er, nicht erreichen konnte: den Einzug ins Reichshaus mit -dem freien Blick auf Kroll. Mehr kann ich in diesem Augenblick nicht -sagen, auch meine Freude nicht höher spannen, und in diesem relativen -Ruhigbleiben empfind ich zum erstenmal eine gewisse Familienähnlichkeit -mit meiner Schwester Adelheid, deren Glaubensbekenntnis im letzten -darauf hinausläuft: Kleinadel über Hochadel, Junker über Graf. Ja, -ich fühle, Deinen Gräflichkeiten gegenüber, wie sich der Junker ein -bißchen in mir regt. Die reichen und vornehmen Herren sind doch immer -ganz eigene Leute, die wohl Fühlung mit uns haben, unter Umständen -auch suchen, aber das Fühlunghalten nach oben ist ihnen schließlich -doch viel, viel wichtiger. Es heißt wohl immer »wir Kleinen, wir -machten alles und könnten alles,« aber bei Lichte besehn, ist es bloß -das alte: ›Du glaubst zu schieben und Du wirst geschoben.‹ Glaube -mir, Woldemar, wir werden geschoben und sind bloß Sturmbock. Immer -dieselbe Geschichte, wie mit Protz und Proletarier. Die Proletarier --- wie sie noch echt waren, jetzt mag es wohl anders damit sein -- -waren auch bloß immer dazu da, die Kastanien aus dem Feuer zu holen; -aber ging es dann schief, dann wanderte Bruder Habenichts nach Spandau -und Bruder Protz legte sich zu Bett. Und mit Hochadel und Kleinadel -ist es beinah ebenso. Natürlich heiratet eine Ermyntrud mal einen -Katzler, aber eigentlich äugt sie doch mehr nach einem Stuart oder -Wasa, wenn es deren noch gibt. Wird aber wohl nich. Entschuldige diesen -Herzenserguß, dem Du nicht mehr Gewicht beilegen mußt, als ihm zukommt. -Es kam mir das alles so von ungefähr in die Feder, weil ich grade heute -wieder gelesen habe, wie man einen von uns, der durch Eintreten eines -Ippe-Büchsenstein hätte gerettet werden können, schändlich im Stich -gelassen hat. Ippe-Büchsenstein ist natürlich nur Begriff. Alles in -allem: ich habe zu Dir das Vertrauen, daß Du richtig gewählt hast, -und daß man Dich nicht im Stiche lassen wird. Außerdem, ein richtiger -Märker hat Augen im Kopf und is beinah so helle wie'n Sachse. - -Wie immer Dein alter Vater Dubslav von Stechlin.« - - * * * * * - -Es war Ende November, als Woldemar diesen Brief erhielt. Er überwand -ihn rasch, und am dritten Tag las er alles schon mit einer gewissen -Freudigkeit. Ganz der Alte; jede Zeile voll Liebe, voll Güte, voll -Schnurrigkeiten. Und eben diese Schnurren, trafen sie nicht eigentlich -auch den Nagel auf den Kopf? Sicherlich. Was aber das Beste war, so -sehr das alles im allgemeinen passen mochte, auf die Barbys paßte so -gut wie nichts davon; die waren doch anders, die suchten nicht Fühlung -nach oben und nicht nach unten, die marchandierten nicht mit links und -nicht mit rechts, die waren nur Menschen, und daß sie nur +das+ sein -wollten, das war ihr Glück und zugleich ihr Hochgefühl. Woldemar sagte -sich denn auch, daß der Alte, wenn er sie nur erst kennen gelernt haben -würde, mit fliegenden Fahnen ins Barbysche Lager übergehen würde. Der -alte Graf, Armgard und vor allem Melusine. Die war genau das, was der -Alte brauchte, wobei ihm das Herz aufging. - -Den Weihnachtsabend verbrachte Woldemar am Kronprinzenufer. Auch -Wrschowitz und Cujacius -- von denen jener natürlich unverheiratet, -dieser wegen beständiger Streiterei von seiner Frau geschieden war -- -waren zugegen. Cujacius hatte gebeten, ein Krippentransparent malen zu -dürfen, was denn auch, als es erschien, auf einen Nebentisch gestellt -und allseitig bewundert wurde. Die drei Könige waren Porträts: der alte -Graf, Cujacius selbst und Wrschowitz (als Mohrenkönig); letzterer, -trotz Wollhaar und aufgeworfener Lippe, von frappanter Ähnlichkeit. -Auch in der Maria suchte man nach Anlehnungen und fand sie zuletzt; -es war Lizzi, die, wie so viele Berliner Kammerjungfern, einen -sittig verschämten Ausdruck hatte. Nach dem Tee wurde musiziert, und -Wrschowitz spielte -- weil er dem alten Grafen eine Aufmerksamkeit -zu erweisen wünschte -- die Polonaise von Oginski, bei deren erster, -nunmehr um siebzig Jahre zurückliegenden Aufführung, einem alten ~on -dit~ zufolge, der polnisch gräfliche Komponist im Schlußmomente sich -erschossen haben sollte. Natürlich aus Liebe. »Brav, brav,« sagte der -alte Graf und war, während er sich beinah überschwenglich bedankte, so -sehr aus dem Häuschen, daß Wrschowitz schließlich schelmisch bemerkte: -»Den Piffpaffschluß muß ich mir versagen, Herr Graff, trotzdem meine -Vererrung (Blick auf Armgard) serr groß ist, fast so groß wie die -Vererrung des Grafen vor Graff Oginski.« - -So verlief der Heiligabend. - -Schon vorher war man übereingekommen, am zweiten Feiertage zu -dritt einen Ausflug nach Stechlin zu machen, um dort die künftige -Schwiegertochter dem Schwiegervater vorzustellen. Noch am Christabend -selbst, trotzdem Mitternacht schon vorüber, schrieb denn auch Woldemar -einige Zeilen nach Stechlin hin, in denen er sich samt Braut und -Schwägerin für den zweiten Feiertagabend anmeldete. - -Rechtzeitig trafen Woldemars Zeilen in Stechlin ein. »Lieber Papa. Wir -haben vor, am zweiten Feiertage mit dem Spätnachmittagszuge von hier -aufzubrechen. Wir sind dann um sieben auf dem Granseer Bahnhof und -um neun oder nicht viel später bei Dir. Armgard ist glücklich, Dich -endlich kennen zu lernen, +den+ kennen zu lernen, den sie seit lange -verehrt. Dafür, mein lieber Papa, hab ich Sorge getragen. Graf Barby, -der nicht gut bei Wege ist, was ihn hindert mitzukommen, will Dir -angelegentlich empfohlen sein. Desgleichen Gräfin Ghiberti, die uns als -Dame d'honneur begleiten wird. Armgard ist in Furcht und Aufregung wie -vor einem Examen. Sehr ohne Not. Kenn ich doch meinen Papa, der die -Güte und Liebe selbst ist. Wie immer Dein Woldemar.« - -Engelke stand neben seines Herrn Stuhl, als dieser die Zeilen halblaut, -aber doch in aller Deutlichkeit vorlas. »Nun, Engelke, was sagst du -dazu?« - -»Ja, gnädger Herr, was soll ich dazu sagen. Es is ja doch, was man sone -›gute Nachricht‹ nennt.« - -»Natürlich is es ne gute Nachricht. Aber hast du noch nicht erlebt, daß -einen gute Nachrichten auch genieren können?« - -»Jott, gnädger Herr, ich kriege keine.« - -»Na, denn sei froh; dann weißt du nicht, was ›gemischte Gefühle‹ sind. -Sieh, ich habe jetzt gemischte Gefühle. Da kommt nun mein Woldemar. -Das is gut. Und da bringt er seine Braut mit, das is wieder gut. Und -da bringt er seine Schwägerin mit, und das is wahrscheinlich auch gut. -Aber die Schwägerin ist eine Gräfin mit einem italienischen Namen, und -die Braut heißt Armgard, was doch auch schon sonderbar ist. Und beide -sind in England geboren, und ihre Mutter war aus der Schweiz, von einer -Stelle her, von der man nicht recht weiß, wozu sie gehört, weil da -alles schon durcheinander geht. Und überall haben sie Besitzungen, und -Stechlin ist doch bloß ne Kate. Sieh, Engelke, das is genierlich und -gibt das, was ich ›gemischte Gefühle‹ nenne.« - -»Nu ja, nu ja.« - -»Und dann müssen wir doch auch repräsentieren. Ich muß ihnen doch -irgendeinen Menschen vorsetzen. Ja, wen soll ich ihnen vorsetzen? Viel -is hier nich. Da hab ich Adelheiden. Natürlich, die muß ich einladen, -und sie wird auch kommen, trotzdem Schnee gefallen ist; aber sie kann -ja nen Schlitten nehmen. Vielleicht ist ihr Schlitten besser als ihr -Wagen. Gott, wenn ich an das Verdeck denke mit der großen Lederflicke, -da wird mir auch nicht besser. Und dabei denkt sie, ›sie is was‹, was -am Ende auch wieder gut is, denn wenn der Mensch erst denkt, ›es is gar -nichts mit ihm‹, dann is es auch nichts.« - -»Und dann, gnädger Herr, sie is ja doch ne Domina und hat nen Rang. Und -ich hab auch mal gelesen, sie sei eigentlich mehr als ein Major.« - -»Na, jedenfalls ist sie mehr als ihr Bruder; so'n vergessener Major -is ein Jammer. Aber Adelheid selbst, so auf'n ersten Anhieb, is auch -bloß so so. Wir müssen jedenfalls noch wen dazu haben. Schlage was vor. -Baron Beetz und der alte Zühlen, die die besten sind, die wohnen zu -weit ab, und ich weiß nicht, seit wir die Eisenbahnen haben, laufen die -Pferde schlechter. Oder es kommt einem auch bloß so vor. Also die guten -Nummern fallen aus. Und da sind wir denn wieder bei Gundermann.« - -»Ach, gnädger Herr, den nich. Un er soll ja auch so zweideutig -sein. Uncke hat es mir gesagt; Uncke hat freilich immer das Wort -›zweideutig‹. Aber es wird wohl stimmen. Un dann die Frau Gundermann. -Das is ne richtige Berlinsche. Verlaß is auf ihm nich und auf ihr nich.« - -»Ja, Engelke, du sollst mir helfen und machst es bloß noch schlimmer. -Wir könnten es mit Katzler versuchen, aber da ist das Kind krank, und -vielleicht stirbt es. Und dann haben wir natürlich noch unsern Pastor; -nu der ginge, bloß daß er immer so still dasitzt, wie wenn er auf den -heiligen Geist wartet. Und mitunter kommt er; aber noch öfter kommt er -nicht. Und solche Herrschaften, die dran gewöhnt sind, daß einer in -einem fort was Feines sagt, ja, was sollen die mit unserm Lorenzen? Er -ist ein Schweiger.« - -»Aber er schweigt doch immer noch besser, als die Gundermannsche red't.« - -»Das is richtig. Also Lorenzen, und vielleicht, wenn das Kind sich -wieder erholt, auch Katzler. Ein Schelm gibt mehr, als er hat. Und -dann, Engelke, solche Damen, die überall rum in der Welt waren, da -weiß man nie, wie der Hase läuft. Es ist möglich, daß sie sich für -Krippenstapel interessieren. Oder höre, da fällt mir noch was ein. Was -meinst du zu Koseleger?« - -»Den hatten wir ja noch nie.« - -»Nein, aber Not lehrt beten. Ich mache mir eigentlich nicht viel aus -ihm, indessen is und bleibt er doch immer ein Superintendent, und das -klingt nach was. Und dann war er ja mit ner russischen Großfürstin -auf Reisen, und solche Großfürstin is eigentlich noch mehr als ne -Prinzessin. Also sprich mal mit Kluckhuhn, der soll nen Boten schicken. -Ich schreibe gleich ne Karte.« - - * * * * * - -Katzler sagte ab oder ließ es doch unbestimmt, ob er kommen könne, -Koseleger dagegen, was ein Glück war, nahm an, und auch Schwester -Adelheid antwortete durch den Boten, den Dubslav geschickt hatte: -»daß sie den zweiten Feiertag in Stechlin eintreffen und soweit wie -dienlich und schicklich nach dem Rechten sehen würde.« Adelheid war -in ihrer Art eine gute Wirtin und stammte noch aus den alten Zeiten, -wo die Damen bis zum »Schlachten« und »Aalabziehen« herunter alles -lernten und alles konnten. Also nach dieser Seite hin entschlug sich -Dubslav jeder Befürchtung. Aber wenn er sich dann mit einem Male -vergegenwärtigte, daß es seiner Schwester vielleicht in den Sinn kommen -könne, sich auf ihren Uradel oder auf die Vorzüge sechshundertjähriger -märkischer »Eingesessenheit« zu besinnen, so fiel alles, was er sich -in dem mit Engelke geführten Gespräch an Trost zugesprochen hatte, -doch wieder von ihm ab. Ihm bangte vor der Möglichkeit einer seitens -seiner Schwester »aufgesetzten hohen Miene« wie vor einem Gespenst, und -desgleichen vor der Kostümfrage. Wohl war er sich, ob er nun seine rote -Landstandsuniform oder seinen hochkragigen schwarzen Frack anlegte, -seiner eignen altmodischen Erscheinung voll bewußt, aber nebenher, was -seine Person anging, doch auch wieder einer gewissen Patriarchalität. -Einen gleichen Trost konnt er dem äußern Menschen seiner Schwester -Adelheid nicht entnehmen. Er wußte genau, wie sie kommen würde: -schwarzes Seidenkleid, Rüsche mit kleinen Knöpfelchen oben und die -Siebenkurfürstenbrosche. Was ihn aber am meisten ängstigte, war der -Moment nach Tisch, wo sie, wenn sie sich einigermaßen behaglich zu -fühlen anfing, ihre Wutzer Gesamtchaussure auf das Kamingitter zu -stellen und die Wärme von unten her einzusaugen pflegte. - - * * * * * - -Gleich nach sieben trafen Woldemar und die Barbyschen Damen auf dem -Granseer Bahnhof ein und fanden Martin und den Stechlinschen Schlitten -vor, letzterer insoweit ein Prachtstück, als er ein richtiges Bärenfell -hatte, während andrerseits Geläut und Schneedecken und fast auch die -Pferde mehr oder weniger zu wünschen übrigließen. Aber Melusine sah -nichts davon und Armgard noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die -Luft stand, und am stahlblauen Himmel oben blinkten die Sterne. So ging -es zwischen den eingeschneiten Feldern hin, und wenn ihre Kappen und -Hüte hier und dort die herniederhängenden Zweige streiften, fielen die -Flocken in ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch Leben, und -das Anschlagen der Hunde, das vom nächsten Dorf her beantwortet wurde, -klang übers Feld. Alle drei Schlitteninsassen waren glücklich, und ohne -daß sie viel gesprochen hätten, bogen sie zuletzt, eine weite Kurve -machend, in die Kastanienallee ein, die sie nun rasch, über Dorfplatz -und Brücke fort, bis auf die Rampe von Schloß Stechlin führte. Dubslav -und Engelke standen hier schon im Portal und waren den Damen beim -Aussteigen behilflich. Beim Eintritt in den großen Flur war für diese -das erste, was sie sahen, ein mächtiger, von der Decke herabhängender -Mistelbusch; zugleich schlug die Treppenuhr, deren Hippenmann wie -verwundert und beinah verdrießlich auf die fremden Gäste herniedersah. -Viele Lichter brannten, aber es wirkte trotzdem alles wie dunkel. -Woldemar war ein wenig befangen, Dubslav auch. Und nun wollte Armgard -dem Alten die Hand küssen. Aber das gab diesem seinen Ton und seine -gute Laune wieder: »Umgekehrt wird ein Schuh draus.« - -»Und zuletzt ein Pantoffel,« lachte Melusine. - - - - -Siebenundzwanzigstes Kapitel - - -»Das ist eine Dame und ein Frauenzimmer dazu,« sagte sich Dubslav still -in seinem alten Herzen, als er jetzt Melusine den Arm bot, um sie vom -Flur her in den Salon zu führen. »So müssen Weiber sein.« - -Auch Adelheid mühte sich, Entgegenkommen zu zeigen, aber sie war wie -gelähmt. Das Leichte, das Heitre, das Sprunghafte, das die junge Gräfin -in jedem Wort zeigte, das alles war ihr eine fremde Welt, und daß ihr -eine innere Stimme dabei beständig zuraunte: »Ja, dies Leichte, das -du nicht hast, das ist das Leben, und das Schwere, das du hast, das -ist eben das Gegenteil davon,« -- das verdroß sie. Denn trotzdem sie -beständig Demut predigte, hatte sie doch nicht gelernt, sich in Demut -zu überwinden. So war denn alles, was über ihre Lippen kam, mehr oder -weniger verzerrt, ein Versuch zu Freundlichkeiten, die schließlich -in Herbigkeiten ausliefen. Lorenzen, der erschienen war, half nach -Möglichkeit aus, aber er war kein Damenmann, noch weniger ein Causeur, -und so kam es denn, daß Dubslav mit einer Art Sehnsucht nach dem -Oberförster aufblickte, trotzdem er doch seit Mittag wußte, daß er -nicht kommen würde. Das jüngste Töchterchen war nämlich gestorben und -sollte den andern Tag schon auf einem kleinen, von Weihnachtsbäumen -umstellten Privatfriedhofe, den sich Katzler zwischen Garten und Wald -angelegt hatte, begraben werden. Es war das vierte Töchterchen in der -Reihe; jede lag in einer Art Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, -dessen Aufgehen man erwartet, ein Holztäfelchen neben sich, drauf der -Name stand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen war, war Ermyntrud, wie -gewöhnlich, in Katzler gedrungen, der Einladung zu folgen. »Ich wünsche -nicht, daß du dich deinen gesellschaftlichen Pflichten entziehst, auch -heute nicht, trotz des Ernstes der Stunde. Gesellschaftlichkeiten -sind auch Pflichten. Und die Barbyschen Damen -- ich erinnere mich -der Familie -- werden gerade wegen der Trauer, in der wir stehn, in -deinem Erscheinen eine besondere Freundlichkeit sehen. Und das ist -genau das, was ich wünsche. Denn die Komtesse wird über kurz oder -lang unsre nächste Nachbarin sein.« Aber Katzler war fest geblieben -und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten und -daß er durchaus wünsche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzessin Auge -hatte während dieser Worte hoheitsvoll auf Katzler geruht, mit einem -Ausdruck, der sagen zu wollen schien: »Ich weiß, daß ich meine Hand -keinem Unwürdigen gereicht habe.« - -Katzler also fehlte. Doch auch Koseleger, trotz seiner Zusage, war -noch nicht da, so daß Dubslav in die sonderbare Lage kam, sich den -Quaden-Hennersdorfer, aus dem er sich eigentlich nichts machte, -herbeizuwünschen. Endlich aber fuhr Koseleger vor, sein etwas -verspätetes Kommen mit Dienstlichkeiten entschuldigend. Unmittelbar -danach ging man zu Tisch, und ein Gespräch leitete sich ein. Zunächst -wurde von der Nordbahn gesprochen, die, seit der neuen Kopenhagener -Linie, den ihr von früher her anhaftenden Schreckensnamen siegreich -überwunden habe. Jetzt heiße sie die »Apfelsinenbahn,« was doch kaum -noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten Grafen und -seine Besitzungen im Graubündischen über, endlich aber auf den langen -Aufenthalt der Familie drüben in England, wo beide Töchter geboren -seien. - -Dies Gespräch war noch lange nicht erledigt, als man sich von Tisch -erhob, und so kam es, daß sich das Plaudern über eben dasselbe Thema -beim Kaffee, der im Gartensalon und zwar in einem Halbzirkel um -den Kamin herum eingenommen wurde, fortsetzte. Dubslav sprach sein -Bedauern aus, daß ihn in seiner Jugend der Dienst und später die -Verhältnisse daran gehindert hätten, England kennen zu lernen; es sei -nun doch mal das vorbildliche Land, eigentlich für alle Parteien, -auch für die Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebensogut -verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte lebhaft -zu, während andrerseits die Domina ziemlich deutliche Zeichen von -Ungeduld gab. England war ihr kein erfreuliches Gesprächsthema, was -selbstverständlich ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren. - -»Ich möchte mich,« fuhr Dubslav fort, »in dieser Angelegenheit an -unsern Herrn Superintendenten wenden dürfen. Waren Sie drüben?« - -»Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, sehr zu meinem -Bedauern. Und ich hätt es so leicht haben können. Aber es ist immer -wieder die alte Geschichte: was man in ein paar Stunden und mitunter -in ein paar Minuten erreichen kann, das verschiebt man, eben weil es -so nah ist, und mit einemmal ist es zu spät. Ich war Jahr und Tag -im Haag, und von da nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach -Potsdam. Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich -den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das könnt ich mir verzeihn. -Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das viel zitierte Wort von dem -›in einem Tag mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei‹ hinpaßt, -so da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, eingewurzelt, -stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgendein andres Land ist es -ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen -kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer -verfeinerten Sitte.« - -Die Domina fühlte sich von dem allem mehr und mehr unangenehm berührt, -besonders als sie sah, daß Melusine zu dem, was Koseleger ausführte, -beständig zustimmend nickte. Schließlich wurd es ihr zu viel. »Alles, -was ich da so höre,« sagte sie, »kann mich für dieses Volk nicht -einnehmen, und weil sie rundum von Wasser umgeben sind, ist alles so -kalt und feucht und die Frauen, bis in die höchsten Stände hinauf, -sind beinah immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei Namen -nennen mag. So wenigstens hat man mir erzählt. Und wenn es dann neblig -ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nennen, und fallen zu -Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind. Denn, wie -mir unser Rentmeister Fix, der drüben war, aufs Wort versichert hat, -sie stehen in keinem Buch und haben auch nicht einmal das, was wir -Einwohnermeldeamt nennen, so daß man beinah sagen kann, sie sind so -gut wie gar nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles fast noch -blutig, besonders das, was wir hier ›englische Beefsteaks‹ nennen. Und -kann auch nicht anders sein, weil sie so viel mit Wilden umgehn und gar -keine Gelegenheit haben, sich einer feineren Gesittung anzuschließen.« - -Koseleger und Melusine wechselten verständnisvoll Blicke. Die Domina -aber sah nichts davon und fuhr unentwegt fort: »Fix ist ein guter -Beobachter, auch von Sittenzuständen, und einer ihrer Könige, worüber -ich auch schon als Mädchen einen Aufsatz machen mußte, hat fünf Frauen -gehabt, meist Hofdamen. Und eine hat er köpfen lassen, und eine hat -er wieder nach Hause geschickt. Und war noch dazu eine Deutsche. Und -sie sollen auch keinen eigentlichen Adel mehr haben, weil mal ein -Krieg war, drin sie sich umschichtig enthaupteten, und als alle weg -waren, haben sie gewöhnliche Leute rangezogen und ihnen die alten Namen -gegeben, und wenn man denkt, es ist ein Graf, so ist es ein Bäcker oder -höchstens ein Bierbrauer. Aber viel Geld sollen sie haben, und ihre -Schiffe sollen gut sein und dauerhaft und auch sehr sauber, fast schon -wie holländisch; aber in ihrem Glauben sind sie zersplittert und fangen -auch schon wieder an katholisch zu werden.« - -Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vortrag über England -einsetzte, hatte sich mit einem »Schicksal, nimm deinen Lauf« sofort -resigniert. Woldemar aber war immer wieder und wieder bemüht gewesen, -einen Themawechsel eintreten zu lassen, worin er vielleicht auch -reüssiert hätte, wenn nicht Koseleger gewesen wäre. Dieser -- entweder -weil er als ästhetischer Feinschmecker an Adelheids Auslassungen ein -aufrichtiges Gefallen fand, oder aber weil er die von ihm selbst -angeregte Frage hinsichtlich »Natur und Sitte« (die sein Steckenpferd -war) gern weiterspinnen wollte -- hielt an England fest und sagte: -»Die Frau Domina scheint mir davon auszugehn, daß gerade der mitunter -schon an den Wilden grenzende Naturmensch drüben in vollster Blüte -steht. Und ich will das auch nicht in jedem Punkte bestreiten. Aber -daneben begegnen wir einem Lebens- und Gesellschaftsraffinement, das -ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchsten Kulturausdruck -bezeichnen muß. Ich erinnere mich unter anderm eines gerade damals -geführten Prozesses, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner -kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte (High life-Prozesse -gingen ihr über alles), und der Gegenstand, um den sich's dabei -handelte, war so recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinetwegen -auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem -Naturburschentum. Es ist freilich eine ziemlich lange Geschichte ...« - -»Schade,« sagte Dubslav. »Aber trotzdem, -- wenn überhaupt -erzählbar ...« - -»O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloseste ...« - -»Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich so harmlos, so mach -ich mich ohne weiteres zum Anwalt unsrer gewiß neugierigen Damen, -meine Schwester, die Domina, mit eingeschlossen. Wie war es? Wie -verlief die Geschichte, für die sich eine kaiserliche Hoheit so lebhaft -interessieren konnte?« - -»Nun, wenn es denn sein soll,« nahm Koseleger langsam und wie bloß -einer Pression nachgebend das Wort, »es lebte da zu jener Zeit eine -schöne Herzogin in London, die's nicht ertragen konnte, daß die Jahre -nicht spurlos an ihr vorübergehen wollten; Fältchen und Krähenfüße -zeigten sich. In dieser Bedrängnis hörte sie von ungefähr von einer -›plastischen Künstlerin‹, die durch Auftrag einer Wachspaste die Jugend -wiederherzustellen wisse. Diese Künstlerin wurde gerufen, und die -Wiederherstellung gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung -ein, ›die Bill‹, wie sie da drüben sagen. Es war eine Summe, vor der -selbst eine Herzogin erschrecken durfte. Und da die Künstlerin auf -ihrer Forderung beharrte, so kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der -sich alsbald zu einer ~cause célèbre~ gestaltete.« - -»Sehr begreiflich,« versicherte Dubslav, und Melusine stimmte zu. - -»Zahlreiche Personen traten in der Verhandlung auf, und als -Sachverständige wurden zuletzt auch Konkurrentinnen auf diesem -Spezialgebiete der ›plastischen Kunst‹ vernommen. Alle fanden -die Forderung erheblich zu hoch, und der Sieg schien sich rasch -der Herzogin zuneigen zu wollen. Aber in eben diesem Augenblicke -trat die sich arg bedrängt sehende Künstlerin an den Vorsitzenden -des Gerichtshofes heran und bat ihn, an die erschienenen -Fachgenossinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch ihre Kunst -wiederhergestellten Jugend und Schönheit richten zu wollen, eine Bitte, -der der Oberrichter auch sofort nachkam. Was darauf geantwortet wurde, -lautete hinsichtlich der Dauer sehr verschieden. Als aber, trotz der -Verschiedenheit dieser Angaben, keine der Konkurrentinnen mehr als -ein Vierteljahr zu garantieren wagte, wandte sich die Verklagte ruhig -an den hohen Gerichtshof und sagte nicht ohne Würde: ›Meine Herren -Richter: meine Mitkünstlerinnen, wie Sie soeben vernommen haben, helfen -auf +Zeit+; was ich leiste, ist, ›~beautifying for ever~‹.‹ Und alles -war von diesem Worte hingerissen, der hohe Gerichtshof mit, und die -Herzogin hatte die Riesensumme zu zahlen.« - -»Und wäre dergleichen hierlandes möglich?« fragte Melusine. - -»Ganz unmöglich,« erwiderte der für alles Fremde schwärmende Koseleger. -»Es kann hier einfach deshalb nicht vorkommen, weil uns der dazu nötige -höhere Kulturzustand und die dementsprechende Anschauung fehlt. In -unserm guten Preußen, und nun gar erst in unsrer Mark, sieht man in -einem derartigen Hergange nur das Karikierte, günstigstenfalls das -Groteske, nicht aber jenes Hochmaß gesellschaftlicher Verfeinerung, aus -dem allein sich solche Dinge, die man im übrigen um ihres Raffinements -willen belächeln oder verurteilen mag, entwickeln können.« - -Die meisten waren einverstanden, allen voraus Dubslav, dem dergleichen -immer einleuchtete, während die Domina von »Horreur« sprach und -sichtlich unmutig den Kopf hin und her bewegte. Woldemar erneute -natürlich seine Versuche, die der Tante so mißfällige Konversation -auf andres überzulenken, bei welcher Gelegenheit er nach dem Berühren -verschiedenster Themata zuletzt auch auf den Coventgardenmarkt und den -englischen Gemüsebau zu sprechen kam. Das paßte der Domina. - -»Ja, Gemüsebau,« sagte sie, »das ist eine wunderbare Sache, daran -hat man eine wirkliche Freude. Kloster Wutz ist eigentlich eine -Gartengegend; unser Spargel ist denn auch weit und breit der beste, -und meine gute Schmargendorf hat Artischocken gezogen so groß wie ne -Sonnenblume. Freilich, es will sie keiner so recht, und alle sagen -immer: ›es dauert so lange, wenn man so jedes Blatt nehmen muß, und -eigentlich hat man nichts davon, auch wenn die Sauce noch so dick ist.‹ -Viel mehr Glück hat unsre alte Schimonski mit ihren großen Erdbeeren -- -ich meine natürlich nicht die Schimonski selber; sie selber kann gar -nichts, aber sie hat eine sehr geschickte Person -- und ein Berliner -Händler kauft ihr alles ab, bloß daß die Schnecken oft die Hälfte jeder -Erdbeere wegfressen. Man sollte nicht glauben, daß solche Tiere solchen -feinen Geschmack haben. Aber wenn es wegen der Schnecken auch unsicher -ist, Dubslav, du solltest solche Zucht doch auch versuchen. Wenn es -einschlägt, ist es sehr vorteilhaft. Die Schimonski wenigstens hat mehr -davon als von ihren Hühnern, trotzdem sie gut legen. Denn mal sind sie -billig, die Eier, und dann wieder verderben sie, und die schlechten -werden einem berechnet und abgezogen, und die Streiterei nimmt kein -Ende.« - -Kurz vor elf brach das Gespräch ab, und man zog sich zurück. Der alte -Dubslav ließ es sich nicht nehmen, die Damen persönlich treppauf -bis an ihre Zimmer zu führen und sich da unter Handkuß von ihnen zu -verabschieden. Es waren dieselben zwei Räume, die vor gerad einem -Vierteljahr Rex und Czako bewohnt hatten, das größere Zimmer jetzt für -Melusine, das kleinere für Armgard bestimmt. Aber als nun beide vor -ihren Reisetaschen standen und sich oberflächlich daran zu tun machten, -sagte Melusine: »Dies Himmelbett ist also für mich. Wenn es dir gleich -ist, beziehe du lieber dies Ehrenlager und lasse mir das kleine -Schlafzimmer. Zusammen sind wir ja doch; die Tür steht auf.« - -»Ja, Melusine, wenn du's durchaus wünscht, dann natürlich. Aber ich -verstehe dich nicht recht. Man will dich auszeichnen, und wenn du das -ablehnst, so kann es auffallen. Man muß doch in einem Hause, wo man -noch halb fremd ist, alles so tun, wie's gewünscht wird.« - -Melusine ging auf die Schwester zu, sah sie halb verlegen, halb -schelmisch an und sagte: »Natürlich hast du recht. Aber ich bitte dich -trotzdem darum. Und es braucht es ja auch keiner zu merken. Direkte -Kontrolle wird ja wohl ausgeschlossen sein, und ich mache keine tiefere -Kute wie du.« - -»Gut, gut,« lachte Armgard. »Aber sage, was soll das alles? Du bist -doch sonst so leichtlebig. Und wenn es dir hier in dem ersten Zimmer, -weil es so nah an der scharfen Flurecke liegt, wirklich etwas ängstlich -zumute sein sollte, nun, so können wir ja zuriegeln.« - -»Das hilft nichts, Armgard. In solchen alten Schlössern gibt es immer -Tapetentüren. Und was +das+ hier angeht,« und sie wies dabei auf das -Bett, »alle Spukgeschichten sind immer gerad in Himmelbetten passiert; -ich habe noch nie gehört, daß Gespenster an eine Birkenmaserbettstelle -herangetreten wären. Und hast du nicht unten den ~mistle-toe~ gesehn? -Mistelbusch ist auch noch so Überbleibsel aus heidnischer Zeit her, -bei den alten Deutschen gewiß und bei den Wenden wohl auch, für den -Fall, daß die Stechlins wirkliche Wenden sind. Wenn ich Tante Adelheid -ansehe, glaub ich es beinah. Und wie sie von den Hühnern sprach und den -Eiern. Alles so wendisch. Ich glaube ja nicht eigentlich an Gespenster, -wiewohl ich auch nicht ganz dagegen bin, aber wie dem auch sein möge, -wenn ich mir denke, Tante Adelheid erschiene mir hier und brächte mir -eine Erdbeere, die die Schnecken schon angeknabbert haben, so wäre das -mein Tod.« - -Armgard lachte. - -»Ja, du lachst, aber hast du denn die Augen von ihr gesehn? Und hast du -ihre Stimme gehört? Und die Stimme, wie du doch weißt, ist die Seele.« - -»Gewiß. Aber, Seele oder nicht, sie kann dir doch nichts tun mit ihrer -Stimme und dir auch nicht erscheinen. Und wenn sie trotzdem kommt, nun, -so rufst du mich.« - -»Am liebsten wär es mir, du bliebst gleich bei mir.« - -»Aber Melusine ...« - -»Nun gut, nun gut. Ich sehe wohl ein, daß das nicht gut geht. Aber -was anders! Ich habe da vorhin eine Bibel oder vielleicht auch bloß -ein Gesangbuch liegen sehn, da auf dem Brettchen, wo die kleine Puppe -steht. Beiläufig auch was Sonderbares, diese Puppe. Bitte, nimm die -Bibel von der Etagere fort und lege sie mir hier auf den Nachttisch. -Und das Licht laß brennen. Und wenn du im Bett liegst, sprich immerzu, -bis ich einschlafe.« - - - - -Achtundzwanzigstes Kapitel - - -Am andern Morgen traf man sich beim Frühstück. Es war ziemlich -spät geworden, ohne daß Dubslav, wie das sonst wohl auf dem Lande -Gewohnheit ist, ungeduldig geworden wäre. Nicht dasselbe ließ sich -von Tante Adelheid sagen. »Ich finde das lange Wartenlassen nicht -gerade passend, am wenigsten Personen gegenüber, denen man Respekt -bezeigen will. Oder geh ich vielleicht zu weit, wenn ich hier von -Respektbezeigung spreche?« So hatte sich Adelheid zu Dubslav geäußert. -Als nun aber die Barbyschen Damen wirklich erschienen, bezwang sich die -Domina und stellte all die Fragen, die man an solchem Begrüßungsmorgen -zu stellen pflegt. In aller Unbefangenheit antworteten die Schwestern, -am unbefangensten Melusine, die bei der Gelegenheit dem alten Dubslav -erzählte, daß sie nicht umhin gekonnt hätte, sich die Bibel an ihr Bett -zu legen. - -»Und mit der Absicht, drin zu lesen?« - -»Beinah. Aber es wurde nichts daraus. Armgard plauderte so viel, -freilich auf meinen Wunsch. Ich hörte von der Treppe her immer die -Uhr schlagen und las dabei beständig das Wort ›Museum‹. Aber das war -natürlich schon im Traum. Ich schlief schon ganz fest. Und heute früh -bin ich wie der Fisch im Wasser.« - -Dubslav hätte dies gern bestätigt, dabei nach einem Spezialfisch -suchend, der so recht zum Vergleich für Melusine gepaßt hätte. Die -Blicke seiner Schwester aber, die zu fragen schienen »hast du gehört?« -ließen ihn wieder davon abstehn, und nachdem noch einiges über den -großen Oberflur und seine Bilder und Schränke gesprochen worden war, -wurde, genau wie vor einem Vierteljahr, wo Rex und Czako zu Besuch -da waren, ein Programm verabredet, das dem damaligen sehr ähnlich -sah: Aussichtsturm, See, Globsow; dann auf dem Rückwege die Kirche, -vielleicht auch Krippenstapel. Und zuletzt das »Museum«. Aber manches -davon war unsicher und hing vom Wetter ab. Nur den See wollte man -unter allen Umständen sehn. Engelke wurde beauftragt, mit Plaids und -Decken vorauszugehn und ein paar Leute zum Wegschaufeln des Schnees -mitzunehmen, lediglich für den Fall, daß die Damen vielleicht Lust -bezeigen sollten, die Sprudel- und Trichterstelle genauer zu studieren. -»Und wenn wir auf unserm Hofe keine Leute haben, so geh ins Schulzenamt -und bitte Rolf Krake, daß er aushilft.« - -Melusine, die dieser Befehlserteilung zugehört hatte, war überrascht, -in einem märkischen Dorfe dem Namen »Rolf Krake« zu begegnen, und -erfuhr denn auch alsbald den Zusammenhang der Dinge. Sie war ganz -enchantiert davon und sagte: »Das ist hübsch. Aller aufgesteifter -Patriotismus ist mir ein Greuel, aber wenn er diese Formen annimmt und -sich in Humor und selbst in Ironie kleidet, dann ist er das Beste, -was man haben kann. Ein Mann, der solchen Beinamen hat, der lebt, der -ist in sich eine Geschichte.« Dubslav küßte ihr die Hand, Adelheid -aber wandte sich demonstrativ ab; sie wollte nicht Zeuge dieser ewigen -Huldigungen sein. »Wenn man ein alter Major ist, ist man eben ein alter -Major und nicht ein junger Leutnant. Dubslav ist zwanzig, aber zwanzig -Jahr a. D.« - -Es war gegen zehn, als man aufbrach, um zunächst auf den Aussichtsturm -zu steigen, und nachdem man von der obersten Etage her die -Waldlandschaft, die sich auch in ihrem Schneeschmuck wundervoll -ausnahm, gebührend bewundert und dann den Abstieg glücklich -bewerkstelligt hatte, passierte man den Schloßhof mit der Glaskugel, -um über den Dorfplatz fort in die nach dem See hinunterführende große -Straße einzubiegen. Auf dem Dorfplatze war alles winterlich still, nur -vor dem Kruge standen drei Menschen: Engelke, der die Schneeschipper -vorausgeschickt hatte, mit seinen Plaids über dem Arm, neben ihm -Schulze Kluckhuhn und neben diesem Gendarm Uncke, das Karabinergewehr -über die Schulter gehängt. - -»Da treffen wir ja die ganze hohe Obrigkeit,« sagte Dubslav. »Engelke -kann ich auch mitrechnen, der regiert mich, is also eigentlich die -Feudalitätsspitze.« - -Während dieser Worte waren die Herrschaften an die Gruppe herangetreten. - -»Freut mich, daß ich Sie treffe, Kluckhuhn. Ich denke, Sie begleiten -uns ... Frau Gräfin, darf ich Ihnen hier unsern Dorfherrscher -vorstellen? Schulze Kluckhuhn, alter Vierundsechziger.« - -Und nun ordnete sich der Zug. Dubslav und Uncke schlossen ab, Woldemar, -Armgard und Tante Adelheid hielten die Mitte; Melusine schritt voran, -Rolf Krake neben ihr. - -»Ich bin froh,« sagte Melusine, »Sie bei dieser Partie mit dabei zu -sehn. Der alte Herr von Stechlin hat mir schon von Ihnen erzählt, und -daß Sie vierundsechzig mit dabei gewesen. Und ich weiß auch Ihren -Namen; das heißt den zweiten. Und ich darf sagen, ich freue mich immer, -wenn ich so was Hübsches höre.« - -»Ach, Rolf Krake,« lachte Kluckhuhn. »Ja, Frau Gräfin, wer den Schaden -hat, darf für den Spott nicht sorgen. Das heißt, von ›Schaden‹ darf ich -eigentlich nicht reden, den hab ich nicht so recht davon gehabt; ich -bin nicht mal angeschossen worden. Und doch is so was billig, wenn's -erst losgeht.« - -»Ja, Schulze Kluckhuhn, unsereinem ist so was leider immer verschlossen -oder, wie die Leute hier sagen, verpurrt. Und doch ist das das -eigentliche Leben. So immer bloß einsitzen und ein bißchen Charpie -zupfen, das ist gar nichts. Mit dabei sein, das macht glücklich. Es war -aber trotzdem wohl ein eigenes Gefühl, als Sie da so von Düppel nach -Alsen rüberfuhren und das unheimliche Schiff, der Rolf Krake, so dicht -daneben lag.« - -»Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes Gefühl. Und mitunter -erscheint mir der Rolf Krake noch im Traum. Und is auch nicht zu -verwundern. Denn Rolf Krake war wie ein richtiges Gespenst. Und wenn -solch Gespenst einen packt, ja, da ist man weg ... Und dabei bleib ich, -Frau Gräfin, sechsundsechzig war nicht viel und siebzig war auch nicht -viel.« - -»Aber die großen Verluste ...« - -»Ja, die Verluste waren groß, das ist richtig. Aber Verluste, Frau -Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natürlich wen es trifft, für den -is es was. Aber ich meine jetzt das, was man dabei so das Moralische -nennt; und darauf kommt es an, nicht auf die Verluste, nicht auf viel -oder wenig. Wenn einer eine Böschung raufklettert und nu steht er oben -und schleicht sich ran, immer mit nem Pulversack und nem Zünder in der -Hand, und nu legt er an, und nu fliegt alles in die Luft und er mit. -Und nu ist die Festung oder die Schanze offen. Ja, Frau Gräfin, das ist -was. Und das hat unser Pionier Klinke getan. Der war moralisch. Ich -weiß nicht, ob Frau Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb -ich und sterb ich: immer bloß das Kleine, da zeigt sich's, was einer -kann. Wenn ein Bataillon ran muß un ich stecke mitten drin, ja, was -will ich da machen? Da muß ich mit. Und baff, da lieg ich. Und nu bin -ich ein Held. Aber eigentlich bin ich keiner. Es ist alles bloß ›Muß‹, -und solche Mußhelden gibt es viele. Das is, was ich die großen Kriege -nenne. Klinke mit seinem Pulversack, ja, der war bloß was Kleines, aber -er war doch groß. Und ebenso (wenn er auch unser Feind war) dieser Rolf -Krake.« - -So ging historisch-retrospektiv das Gespräch an der Tete, während -Dubslav und Uncke, die den Zug abschlossen, mit ihrem Thema mehr in der -Gegenwart standen. - -»Is mir lieb, Uncke, Sie mal wieder zu treffen. Seit Rheinsberg hab -ich Sie nicht mehr gesehn. Ich denke mir, Torgelow is nu wohl schon -im besten Gange. So wie Bebel. Ich kriege natürlich jeden Tag meine -Zeitung, aber es is mir immer zu viel und das große Format und das -dünne Papier. Da kuck ich denn nich immer ganz genau zu. Hat er denn -schon gesprochen?« - -»Ja, Herr Major, gesprochen hat er schon. Aber nich viel. Un war auch -kein rechter Beifall. Auch nich mal bei seinen eignen Leuten.« - -»Er wird wohl die Sache noch nicht recht weghaben. Ich meine das, was -sie jetzt das Parlamentarische nennen. Das schad't aber nichts und ist -eigentlich egal. Wichtiger is, wie sie hier in unserm Ruppiner Winkel, -in unserm Rheinsberg-Wutz über ihn denken. Sind sie denn da mit ihm -zufrieden?« - -»Auch nicht, Herr Major. Sie sagen, er sei zweideutig.« - -»Ja, Uncke, so heißt es überall. Das is nu mal so, das is nicht zu -ändern. In Frankreich heißt es immer gleich ›Verrat‹, und hier sagen -sie ›zweideutig‹. Da war auch einer von uns, den ich nicht nennen will, -von dem hieß es auch so ...« - -»Von dem hieß es auch so. Ja, Herr Major. Und Pyterke, der immer gut -Bescheid weiß, der sagte mir schon damals in Rheinsberg: ›Uncke, -glauben Sie mir, da hat sich der Herr Major eine Schlange an seinem -Busen großgezogen.‹« - -»Kann ich mir denken; klingt ganz nach Pyterke. Der spricht immer so -gebildet. Aber is es auch richtig?« - -»Is schon richtig, Herr Major. Herr Major denken immer das Gute von nem -Menschen, weil Sie so viel zu Hause sitzen und selber so sind. Aber -wer so rum kommt wie ich. Alle lügen sie. Was sie meinen, das sagen -sie nich, und was sie sagen, das meinen sie nich. Is kein Verlaß mehr; -alles zweideutig.« - -»Ja, so rund raus, Uncke, das war früher, aber das geht jetzt nicht -mehr. Man darf keinem so alles auf die Nase binden. Das is eben, was -sie jetzt ›politisches Leben‹ nennen.« - -»Ach, Herr Major, das mein ich ja gar nicht. Das Politische ... Jott, -wenn einer sich ins Politische zweideutig macht, na, dann muß ich ihn -anzeigen, das is Dienst. Darum gräm ich mich aber nich. Aber was nich -Dienst is, was man so bloß noch nebenbei sieht, das kann einen mitunter -leid tun. So bloß als Mensch.« - -»Aber, lieber Uncke, was is denn eigentlich los? Wenn man Sie so hört, -da sollte man ja wahrhaftig glauben, es ginge zu Ende ... Nu ja, in -der Welt draußen, da klappt nich immer alles. Aber so im Schoß der -Familie ...« - -»Jott, Herr Major, das is es ja eben. In diesem Schoß der Familie, da -is es ja gerad am schlimmsten. Und sogar in dem jüdischen Schoß, der -doch immer noch der beste war.« - -»Beispiele, Uncke, Beispiele.« - -»Da haben wir nu hier, um bloß ein Beispiel zu geben, unsern guten -alten Baruch Hirschfeld in Gransee. Frommer alter Jude ...« - -»Kenn ich. Kenn ich ganz gut, beinah zu gut. Nu, der hat nen Sohn, und -mit dem is er mitunter verschiedner Meinung. Aber dagegen is doch nicht -viel zu sagen; das is in der ganzen Welt so. Der Alte hängt noch am -Alten, und der Junge, nu, der is eben ein Jungscher und bramarbasiert -ein bißchen. Ich weiß nicht recht, zu welcher Partei er sich hält, er -wird aber wohl für Torgelow gestimmt haben. Nu, mein Gott, warum nicht? -Das tun jetzt viele. Daran muß man sich gewöhnen. Das is eben das -Politische.« - -»Nein, Herr Major. Herr Major wollen verzeihn, aber bei diesem Isidor -is es nicht das Politische. Komme ja jeden dritten Tag hin und seh den -Alten in seinem Laden und höre, was er da red't und red't. Und der -Junge red't auch und red't immer vons ›Prinzip‹. Das Prinzip is ihm -aber egal. Er will bloß mogeln und den Alten an die Wand drücken. Und -das ist das, was ich das Zweideutige nenne.« - - * * * * * - -Armgard, Woldemar und Tante Adelheid hatten die Mitte genommen. Als -sie bis in die Nähe der Seespitze gekommen waren, immer unter einem -verschneiten Buchen- und Eichengange hin, wurden sie durch ein Geräusch -wie von brechenden kleinen Ästen aufmerksam gemacht, und ihr Auge nach -oben richtend, gewahrten sie, wie zwei Eichhörnchen über ihnen spielten -und in beständigem Sichhaschen von Baum zu Baum sprangen. Die Zweige -knickten, und der Schnee stäubte hernieder. Armgard mochte sich von -dem Schauspiel nicht trennen, lachte, wenn die momentan verschwundenen -Tierchen mit einem Male wieder zum Vorschein kamen, und gab ihre -Beobachtung erst auf, als die Domina, nicht direkt unfreundlich, -aber doch ziemlich ungeduldig und jedenfalls wie gelangweilt, zu ihr -bemerkte: »Ja, Komtesse, die springen; es sind eben Eichhörnchen.« -Einige Minuten später hatten alle die Bank erreicht, von der aus -man den besten Blick auf den zugefrorenen See hatte. Das Eis zeigte -sich hoch mit Schnee bedeckt, aber in seiner Mitte war doch schon -eine gefegte Stelle, zu der vom Ufer her eine schmale, gleichfalls -freigeschaufelte Straße hinüberführte. Engelke legte die Decken über -die Bank, und die Damen, die von dem halbstündigen und zuletzt etwas -ansteigenden Wege müde geworden waren, nahmen alle drei Platz, während -sich Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu beiden Seiten der Bank -aufstellten. Dubslav dagegen plazierte sich in Front und machte, -während er einen landläufigen Führerton anschlug, den Cicerone. »Hab -die Ehr, Ihnen hier die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß -Stechlin zu präsentieren, unsern See, +meinen+ See, wenn Sie mir das -Wort gestatten wollen. Alle möglichen berühmten Naturforscher waren -hier und haben sich höchst schmeichelhaft über den See geäußert. Immer -hieß es: ›es stehe wissenschaftlich fest.‹ Und das ist jetzt das -Höchste. Früher sagte man: ›es steht in den Akten‹. Ich lasse dabei -dahingestellt sein, wovor man sich tiefer verbeugen muß.« - -»Ja,« sagte Melusine, »das ist nun also der große Moment. Orientiert -bin ich. Aber wie das mit allem Großen geht, ich empfinde doch auch -etwas von Enttäuschung.« - -»Das ist, weil wir Winter haben, gnädigste Gräfin. Wenn Sie die offene -Seefläche vor sich hätten und in der Vorstellung stünden: ›jetzt -bildet sich der Trichter und jetzt steigt es herauf‹, so würden Sie -mutmaßlich nichts von Enttäuschung empfinden. Aber jetzt! Das Eis macht -still und duckt das Revolutionäre. Da kann selbst unser Uncke nichts -notieren. Nicht wahr, Uncke?« - -Uncke schmunzelte. - -»Im übrigen seh ich zu meiner Freude -- und das verdanken wir wieder -unserm guten Kluckhuhn, der an alles denkt und alles vorsieht --, daß -die Schneeschipper auch ein paar ihrer Pickäxte mitgebracht haben. -Ich taxiere das Eis auf nicht dicker als zwei Fuß, und wenn sich die -Leute dran machen, so haben wir in zehn Minuten eine große Lune, und -der Hahn, wenn er nur sonst Lust hat, kommt aus seiner Tiefe herauf. -Befehlen Frau Gräfin?« - -»Um Gottes willen, nein. Ich bin sehr für solche Geschichten und bin -glücklich, daß die Familie Stechlin diesen See hat. Aber ich bin -zugleich auch abergläubisch und mag kein Eingreifen ins Elementare. -Die Natur hat jetzt den See überdeckt; da werd ich mich also hüten, -irgendwas ändern zu wollen. Ich würde glauben, eine Hand führe heraus -und packte mich.« - -Adelheid war bei diesen Worten immer gerader und länger geworden und -rückte mit Ostentation von Melusine weg, mehr der Banklehne zu, wo, -halb wie das gute Gewissen, halb wie die göttliche Weltordnung, Uncke -stand und durch seine bloße Gegenwart den Gemütszustand der Domina -wieder beschwichtigte. Nur von Zeit zu Zeit sah sie fragend, forschend -und vorwurfsvoll auf ihren Bruder. - -Dieser wußte genau, was in seiner Schwester Seele vorging. Es -erheiterte ihn ungemein, aber es beunruhigte ihn doch auch. Wenn -diese Gefühle wuchsen, wohin sollte das führen? Die Möglichkeit einer -schrecklichen Szene, die sein Haus mit einer nicht zu tilgenden Blame -behaftet hätte, trat dabei vor seine Seele. - -Der Himmel hatte aber ein Einsehn. Schon seit einer Viertelstunde -lag ein grauer Ton über der Landschaft, und plötzlich fielen Flocken, -erst vereinzelte, dann dicht und reichlich. Den Weg bis Globsow -fortzusetzen, daran war unter diesen Umständen gar nicht mehr zu -denken, und so brach man denn auf, um ins Schloß zurückzukehren. -Auch auf einen Besuch in der Kirche, weil es da zu kalt sei, wurde -verzichtet. - - - - -Neunundzwanzigstes Kapitel - - -Der Heimweg war gemeinschaftlich angetreten worden, aber doch nur bis -an die Dorfstraße. Hier teilte man sich in drei Gruppen, eine jede mit -verschiedenem Ziel: Dubslav, Tante Adelheid und Armgard gingen auf das -Herrenhaus, Uncke und Rolf Krake auf das Schulzenamt, Woldemar und -Melusine dagegen auf die Pfarre zu. Woldemar freilich nur bis an den -Vorgarten, wo er sich von Melusine verabschiedete. - -Lorenzen, so lang er Woldemar und Melusine sich seiner Pfarre nähern -sah, hatte verlegen am Fenster gestanden, kam aber, als das Paar sich -draußen trennte, so ziemlich wieder zu sich. Er war nun schon so lange -jeder Damenunterhaltung entwöhnt, daß ihm ein Besuch wie der der Gräfin -zunächst nur Verlegenheit schaffen konnte; wenn's denn aber durchaus -sein mußte, so war ihm ein Tete-a-Tete mit ihr immer noch lieber, -als eine Plauderei zu dritt. Er ging ihr denn auch bis in den Flur -entgegen, war ihr hier beim Ablegen behilflich und sprach ihr -- weil -er jede Scheu rasch von sich abfallen fühlte -- ganz aufrichtig seine -Freude aus, sie in seiner Pfarre begrüßen zu dürfen. »Und nun bitt ich -Sie, Frau Gräfin, sich's unter meinen Büchern hier nach Möglichkeit -bequem machen zu wollen. Ich bin zwar auch Inhaber einer Putzstube, -mit einem dezenten Teppich und einem kalten Ofen; aber ich könnte das -gesundheitlich nicht verantworten. Hier haben wir wenigstens eine gute -Temperatur.« - -»Die immer die Hauptsache bleibt. Ach, eine gute Temperatur! -Gesellschaftlich ist sie beinah alles und dabei leider doch so selten. -Ich kenne Häuser, wo, wenn Sie den Widersinn verzeihen wollen, der -kalte Ofen gar nicht ausgeht. Aber erlassen Sie mir gütigst den -Sofaplatz hier; ich fühle mich dazu noch nicht ›alte Dame‹ genug und -möcht auch gern ~en vue~ der beiden Bilder bleiben, trotzdem ich das -eine davon schon so gut wie kenne.« - -»Die Kreuzabnahme?« - -»Nein! das andre.« - -»Die Lind also?« - -»Ja.« - -»So haben Sie das schöne Bild in der Nationalgalerie gesehn?« - -»Auch das. Aber doch freilich erst seit ganz kurzem, während ich von -Ihrer Aquarellkopie schon seit ein paar Monaten weiß. Das war auf einer -Dampfschiffahrt, die wir nach dem sogenannten Eierhäuschen machten, -und der Ausplauderer über das Bild da vor mir war niemand anders als -Ihr Zögling Woldemar, auf den Sie stolz sein können. Er freilich würde -den Satz umkehren, oder sage ich lieber, er tat es. Denn er sprach mit -solcher Liebe von Ihnen, daß ich Sie von jenem Tag an auch herzlich -liebe, was Sie sich schon gefallen lassen müssen. Ein Glück nur, daß -er sich draußen verabschiedet hat und nicht hören kann, was ich hier -sage ...« - -Lorenzen lächelte. - -»Sonst hätten sich diese Bekenntnisse verboten. Aber da sie nun mal -gemacht sind und man nie weiß, wann und wie man wieder zusammenkommt, -so lassen Sie mich darin fortfahren. Woldemar erzählte mir -- Pardon -für meine Indiskretion -- von Ihrer Schwärmerei für die Lind. Und da -horchten wir denn auf und beneideten Sie fast. Nichts beneidenswerter -als eine Seele, die schwärmen kann. Schwärmen ist fliegen, eine -himmlische Bewegung nach oben.« - -Lorenzen stutzte. Das war doch mehr als eine bloß liebenswürdige Dame -aus der Gesellschaft. - -»Und um es kurz zu machen,« fuhr Melusine fort, »Woldemar sprach bei -dieser Gelegenheit wie von Ihrer ersten Liebe« (und dabei wies sie -lächelnd auf das Bildchen der Lind) »so auch von Ihrer letzten -- nein, -nein, nicht von Ihrer letzten; +Sie+ werden immer eine neue finden --, -sprach also von Ihrer Begeisterung für den herrlichen Mann da weit -unten am Tajo, von Ihrer Begeisterung für den Joao de Deus. Und als er -ausgesprochen hatte, da haben wir uns alle, die wir zugegen waren, um -den ›~Un Santo~‹ geschart und einen geheimen Bund geschlossen. Erst -um den ›~Un Santo~‹ und zum zweiten um Sie selbst. Und nun frag ich -Sie, wollen Sie mittun in diesem unserm Bunde, der ohne sie gar nicht -existierte? Mir ist manches verquer gegangen. Aber ich bin, denk ich, -dem Tage nahe, der mich ahnen läßt, daß unsre Prüfungen auch unsre -Segnungen sind und daß mir alles Leid nur kam, um den Stab, der trägt -und stützt, fester zu umklammern. Ich darf leider nicht hinzusetzen, -daß dieser Stab (möglich, daß er sich einst dazu auswächst) das Kreuz -sei. Meiner ganzen Natur nach bin ich ungläubig. Aber ich hoffe sagen -zu dürfen: ich bin wenigstens demütig.« - -»Wenigstens demütig,« wiederholte Lorenzen langsam, zugleich halb -verlegen vor sich hinblickend, und Melusine, die Zweifel, die sich -in der Wiederholung dieser Worte ziemlich deutlich aussprachen, mit -scharfem Ohre heraushörend, fuhr in plötzlich verändertem und beinah -heiterem Tone fort: »Wie grausam Sie sind. Aber Sie haben recht. -Demütig. Und daß ich mich dessen auch noch berühme. Wer ist demütig? -Wir alle sind im letzten doch eigentlich das Gegenteil davon. Aber das -darf ich sagen, ich habe den Willen dazu.« - -»Und schon +der+ gilt, Frau Gräfin. Nur freilich ist Demut nicht genug; -sie schafft nicht, sie fördert nicht nach außen, sie belebt kaum.« - -»Und ist doch mindestens der Anfang zum Bessern, weil sie mit dem -Egoismus aufräumt. Wer die Staffel hinauf will, muß eben von unten -an dienen. Und soviel bleibt, es birgt sich in ihr die Lösung jeder -Frage, die jetzt die Welt bewegt. Demütig sein heißt christlich sein, -christlich in meinem, vielleicht darf ich sagen in +unsrem+ Sinne. -Demut erschrickt vor dem zweierlei Maß. Wer demütig ist, der ist -duldsam, weil er weiß, wie sehr er selbst der Duldsamkeit bedarf; -wer demütig ist, der sieht die Scheidewände fallen und erblickt den -Menschen im Menschen.« - -»Ich kann Ihnen zustimmen,« lächelte Lorenzen. »Aber wenn ich, Frau -Gräfin, in Ihren Mienen richtig lese, so sind diese Bekenntnisse doch -nur Einleitung zu was andrem. Sie halten noch das Eigentliche zurück -und verbinden mit Ihrer Aussprache, so sonderbar es klingen mag, etwas -Spezielles und beinah Praktisches.« - -»Und ich freue mich, daß Sie das herausgefühlt haben. Es ist so. Wir -kommen da eben von Ihrem Stechlin her, von Ihrem See, dem Besten, -was Sie hier haben. Ich habe mich dagegen gewehrt, als das Eis -aufgeschlagen werden sollte, denn alles Eingreifen oder auch nur -Einblicken in das, was sich verbirgt, erschreckt mich. Ich respektiere -das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies -Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles -Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das -Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, -wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie -vergessen. Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern -ist Tod. Es kommt darauf an, daß wir gerade +das+ beständig gegenwärtig -haben. Mein Vertrauen zu meinem Schwager ist unbegrenzt. Er hat einen -edeln Charakter, aber ich weiß nicht, ob er auch einen festen Charakter -hat. Er ist feinen Sinnes, und wer fein ist, ist oft bestimmbar. Er -ist auch nicht geistig bedeutend genug, um sich gegen abweichende -Meinungen, gegen Irrtümer und Standesvorurteile wehren zu können. Er -bedarf der Stütze. Diese Stütze sind Sie meinem Schwager Woldemar von -Jugend auf gewesen. Und um was ich jetzt bitte, das heißt: ›Seien Sie's -ferner.‹« - -»Daß ich Ihnen sagen könnte, wie freudig ich in Ihren Dienst trete, -gnädigste Gräfin. Und ich kann es um so leichter, als Ihre Ideale, wie -Sie wissen, auch die meinigen sind. Ich lebe darin und empfind es als -eine Gnade, da, wo das Alte versagt, ganz in einem Neuen aufzugehn. Um -ein solches ›Neues‹ handelt es sich. Ob ein solches ›Neues‹ sein soll -(weil es sein muß), oder ob es +nicht+ sein soll, um diese Frage dreht -sich alles. Es gibt hier um uns her eine große Zahl vorzüglicher Leute, -die ganz ernsthaft glauben, das uns Überlieferte -- das Kirchliche -voran (leider nicht das Christliche) -- müsse verteidigt werden wie der -salomonische Tempel. In unserer Obersphäre herrscht außerdem eine naive -Neigung, alles ›Preußische‹ für eine höhere Kulturform zu halten.« - -»Genau wie Sie sagen. Aber ich möchte doch, um der Gerechtigkeit -willen, die Frage stellen dürfen, ob dieser naive Glaube nicht eine -gewisse Berechtigung hat?« - -»Er hatte sie mal. Aber das liegt zurück. Und kann nicht anders sein. -Der Hauptgegensatz alles Modernen gegen das Alte besteht darin, daß die -Menschen nicht mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden -Platz gestellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre Fähigkeiten -nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete zu betätigen. Früher war -man dreihundert Jahre lang ein Schloßherr oder ein Leinenweber; jetzt -kann jeder Leinenweber eines Tages ein Schloßherr sein.« - -»Und beinah auch umgekehrt,« lachte Melusine. »Doch lassen wir -dies heikle Thema. Viel, viel lieber hör ich ein Wort von Ihnen -über den Wert unsrer Lebens- und Gesellschaftsformen, über unsre -Gesamtanschauungsweise, deren besondere Zulässigkeit Sie, wie mir -scheint, so nachdrücklich anzweifeln.« - -»Nicht absolut. Wenn ich zweifle, so gelten diese Zweifel nicht so -sehr den Dingen selbst, als dem Hochmaß des Glaubens daran. Daß man -all diese Mittelmaßdinge für etwas Besonderes und Überlegenes und -deshalb, wenn's sein kann, für etwas ewig zu Konservierendes ansieht, -das ist das Schlimme. Was mal galt, soll weiter gelten, was mal gut -war, soll weiter ein Gutes oder wohl gar ein Bestes sein. Das ist -aber unmöglich, auch wenn alles, was keineswegs der Fall ist, einer -gewissen Herrlichkeitsvorstellung entspräche ... Wir haben, wenn wir -rückblicken, drei große Epochen gehabt. Dessen sollen wir eingedenk -sein. Die vielleicht größte, zugleich die erste, war die unter dem -Soldatenkönig. Das war ein nicht genug zu preisender Mann, seiner Zeit -wunderbar angepaßt und ihr zugleich voraus. Er hat nicht bloß das -Königtum stabiliert, er hat auch, was viel wichtiger, die Fundamente -für eine neue Zeit geschaffen und an die Stelle von Zerfahrenheit, -selbstischer Vielherrschaft und Willkür Ordnung und Gerechtigkeit -gesetzt, Gerechtigkeit, das war sein bester ›~rocher de bronce~‹.« - -»Und dann?« - -»Und dann kam Epoche zwei. Die ließ, nach jener ersten, nicht lange -mehr auf sich warten, und das seiner Natur und seiner Geschichte nach -gleich ungeniale Land sah sich mit einem Male von Genie durchblitzt.« - -»Muß das ein Staunen gewesen sein.« - -»Ja. Aber doch mehr draußen in der Welt als daheim. Anstaunen ist auch -eine Kunst. Es gehört etwas dazu, Großes als groß zu begreifen ... Und -dann kam die dritte Zeit. Nicht groß und doch auch wieder ganz groß. Da -war das arme, elende, halb dem Untergange verfallene Land nicht von -Genie, wohl aber von Begeisterung durchleuchtet, von dem Glauben an die -höhere Macht des Geistigen, des Wissens und der Freiheit.« - -»Gut, Lorenzen. Aber weiter.« - -»Und all das, was ich da so hergezählt, umfaßte zeitlich ein -Jahrhundert. Da waren wir den andern voraus, mitunter geistig -und moralisch gewiß. Aber der ›~Non soli cedo~-Adler‹ mit seinem -Blitzbündel in den Fängen, er blitzt nicht mehr, und die Begeisterung -ist tot. Eine rückläufige Bewegung ist da, längst Abgestorbenes, -ich muß es wiederholen, soll neu erblühn. Es tut es nicht. In -gewissem Sinne freilich kehrt alles einmal wieder, aber bei dieser -Wiederkehr werden Jahrtausende übersprungen; wir können die römischen -Kaiserzeiten, Gutes und Schlechtes, wieder haben, aber nicht das -spanische Rohr aus dem Tabakskollegium und nicht einmal den Krückstock -von Sanssouci. Damit ist es vorbei. Und gut, daß es so ist. Was einmal -Fortschritt war, ist längst Rückschritt geworden. Aus der modernen -Geschichte, der eigentlichen, der lesenswerten, verschwinden die -Bataillen und die Bataillone (trotzdem sie sich beständig vermehren) -und wenn sie nicht selbst verschwinden, so schwindet doch das -Interesse daran. Und mit dem Interesse das Prestige. An ihre Stelle -treten Erfinder und Entdecker, und James Watt und Siemens bedeuten -uns mehr als du Guesclin und Bayard. Das Heldische hat nicht direkt -abgewirtschaftet und wird noch lange nicht abgewirtschaftet haben, -aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe verloren, und anstatt -sich in diese Tatsache zu finden, versucht es unser Regime, dem -Niedersteigenden eine künstliche Hausse zu geben.« - -»Es ist, wie Sie sagen. Aber gegen wen richtet sich's? Sie sprachen von -›Regime‹. Wer ist dies Regime? Mensch oder Ding? Ist es die von alter -Zeit her übernommene Maschine, deren Räderwerk tot weiterklappert, -oder ist es der, der an der Maschine steht? Oder endlich, ist es eine -bestimmte abgegrenzte Vielheit, die die Hand des Mannes an der Maschine -zu bestimmen, zu richten trachtet? In allem, was Sie sagen, klingt eine -sich auflehnende Stimme. Sind Sie gegen den Adel? Stehen Sie gegen die -›alten Familien‹?« - -»Zunächst: nein. Ich liebe, hab auch Ursach dazu, die alten Familien -und möchte beinah glauben, jeder liebt sie. Die alten Familien sind -immer noch populär, auch heute noch. Aber sie vertun und verschütten -diese Sympathien, die doch jeder braucht, jeder Mensch und jeder -Stand. Unsre alten Familien kranken durchgängig an der Vorstellung, -›daß es ohne sie nicht gehe‹, was aber weit gefehlt ist, denn es geht -sicher auch ohne sie; -- sie sind nicht mehr die Säule, die das Ganze -trägt, sie sind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch lastet und -drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr schützen kann. Wohl möglich, -daß aristokratische Tage mal wiederkehren, vorläufig, wohin wir sehen, -stehen wir im Zeichen einer demokratischen Weltanschauung. Eine neue -Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber -wenn auch nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit -mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen -können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man. Was aber Woldemar -angeht, +meiner+ sind Sie sicher, Frau Gräfin. Bleibt freilich, als -Hauptfaktor, noch die Komtesse. Für +die+ müssen +Sie+ die Bürgschaft -übernehmen. Die Frauen bestimmen schließlich doch alles.« - -»So heißt es immer. Und wir sind eitel genug, es zu glauben. Aber das -führt uns auf ganz neue Gebiete. Vorläufig Ihre Hand zur Besieglung. -Und nun erlauben Sie mir, nach diesem unserm revolutionären Diskurse, -zu den Hütten friedlicher Menschen zurückzukehren. Ich habe mich bei -dem alten Herrn nur auf eine halbe Stunde beurlaubt und rechne darauf, -daß Sie mich, wenn nicht bis ins ›Museum‹ selbst (das dem Programm nach -besucht werden sollte), so doch wenigstens bis auf die Schloßrampe -begleiten.« - - - - -Dreißigstes Kapitel - - -Lorenzen tat, wie gewünscht, und auf dem Wege zum Schloß plauderten -beide weiter, wenn auch über sehr andere Dinge. - -»Was ist es eigentlich mit diesem ›Museum‹?« fragte Melusine; »kann ich -mir doch kaum was Rechtes darunter vorstellen. Eine alte Papptafel mit -Inschrift hängt da schräg über der Saaltür, alles dicht neben meinem -Schlafzimmer, und ich habe mich etwas davor geängstigt.« - -»Sehr mit Unrecht, gnädigste Gräfin. Die primitive Papptafel, die -freilich verwunderlich genug aussieht, sollte wohl nur andeuten, -daß es sich bei der ganzen Sache mehr um einen Scherz als um etwas -Ernsthaftes handelt. Etwa wie bei Sammlung von Meerschaumpfeifen und -Tabaksdosen. Und Sie werden auch vorwiegend solchen Seltsamkeiten -begegnen. Anderseits aber ist es auch wieder ein richtiges historisches -Museum, trotzdem es nur halb das geworden ist, worauf Herr von Stechlin -anfänglich aus war.« - -»Und das war?« - -»Das war mehr etwas Groteskes. Es mögen nun wohl schon zwanzig Jahre -sein, da las er eines Tages in der Zeitung von einem Engländer, der -historische Türen sammle und neuerdings sogar für eine enorme Summe, -ich glaube es waren tausend Pfund, die Gefängnistür erstanden habe, -durch die Ludwig ~XVI.~ und dann später Danton und Robespierre zur -Guillotinierung abgeführt worden seien. Und diese Notiz machte solchen -Eindruck auf unsern liebenswürdigen Stechliner Schloßherrn, daß er -auch solche historische Türensammlung anzulegen beschloß. Er ist aber -nicht weit damit gekommen und hat sich mit dem Küstriner Schloßfenster -begnügen müssen. an dem Kronprinz Friedrich stand, als Katte zur -Enthauptung vorübergeführt wurde. Doch auch das ist unsicher, ja, die -meisten wollen nichts davon wissen. Nur Krippenstapel hält noch daran -fest.« - -»Krippenstapel?« - -»Ja. Der Name frappiert Sie. Das ist nämlich unser Lehrer hier, -Liebling des alten Herrn und sein Berater in derlei Dingen. Der hat -ihm denn auch das gegenwärtige ›Museum‹, das man als Abschlagszahlung -auf die ›historischen Türen‹ ansehen kann, zusammengestellt. Außer dem -angezweifelten Fenster werden Frau Gräfin noch ein paar phantastische -Regentraufen finden und vor allem viele Wetterhähne, die von alten -märkischen Kirchtürmen herabgenommen wurden. Einige sollen ganz -interessant sein. Ich habe keinen Sinn dafür. Aber Krippenstapel hat -einen Katalog angefertigt.« - -Unter diesen Worten waren beide bis an die Rampe gekommen, auf der -Engelke schon stand und auf die Gräfin wartete. Lorenzen empfahl sich. -Aber auch Melusine wollte nicht gleich ins Museum hinauf, zog es -vielmehr vor, erst unten in das große Gesellschaftszimmer einzutreten -und sich da zu wärmen. - -Engelke machte sich auch sofort am Kamin zu schaffen, was der Gräfin -gut paßte, weil sie noch manches fragen wollte. - -»Das ist recht, Engelke, daß Sie Kohlen aufschütten und auch Kienäpfel. -Ich freue mich immer, wenn es so lustig brennt. Und oben im ›Museum‹ -wird es wohl noch kalt sein.« - -»Ja, kalt ist es, Frau Gräfin. Aber mit der Kälte, na, das ging am Ende -noch, und der viele Staub, der oben liegt, das ginge vielleicht auch -noch; Staub wärmt. Und die Dachtraufen und Wetterhähne tun auch keinem -Menschen was ...« - -»Aber was ist denn sonst noch?« - -»Ach, ich meine bloß die verdammten Dinger, die Spinnen ...« - -»Um Gottes willen, Spinnen?« erschrak Melusine. - -»Ja, Spinnen, Frau Gräfin. Aber so ganz schlimme sind nich dabei. -Solche mit'm Kreuz oben hab ich bei uns noch nicht gesehn. Bloß solche, -die Schneider heißen.« - -»Ach, das sind die, die die langen Beine haben.« - -»Ja, lange Beine haben sie. Aber sie tun einem nichts. Und eigentlich -sind es sehr ängstliche Tiere und verkriechen sich, wenn sie hören, daß -aufgeschlossen wird, und bloß wenn Krippenstapel kommt, dann kommen sie -alle raus un kucken sich um. Krippenstapeln, den kennen sie ganz gut, -und ich hab auch mal gesehn, daß er ihnen Fliegen mitbringt, und machen -sich dann gleich drüber her.« - -»Aber das ist ja grausam. Ist es denn ein guter Mensch?« - -»O, sehr gut, Frau Gräfin. Und als ich ihm mal so was sagte, sagte er: -›Ja, Engelke, das is nu mal so; einer frißt den andern auf.‹« - -Das Gespräch setzte sich noch eine Weile fort; dann sagte Melusine: -»Nun, Engelke, ist es aber wohl die höchste Zeit für das Museum, sonst -komm ich zu spät und seh und höre gar nichts mehr. Ich bin nun auch -wieder warm geworden.« Dabei erhob sie sich und stieg die Doppeltreppe -hinauf und klopfte. Sie wollte nicht gleich eintreten. - -Auf ihr Klopfen wurde sehr bald von innen her geöffnet, und -Krippenstapel, mit der Hornbrille, stand vor ihr. Er verbeugte sich -und trat zurück, um den Platz freizugeben. Aber Melusine, deren Angst -vor ihm wiederkehrte, zauderte, was eine momentane Verlegenheit schuf. -Inzwischen war aber auch Dubslav herangekommen. »Ich fürchtete schon, -daß Lorenzen Sie nicht herausgeben würde. Seine Gelegenheiten, hier -in Stechlin ein Gespräch zu führen, sind nicht groß, und nun gar ein -Gespräch mit Gräfin Melusine! Nun, er hat es gnädig gemacht. Jetzt -aber, Gräfin, halten Sie gefälligst Umschau; vielleicht daß Lorenzen -schon geplaudert hat oder gar Engelke.« - -»So ganz im Dunkeln bin ich nicht mehr; ein Küstriner Schloßfenster, -ein paar Kirchendachreliquien und dazu Wetterhähne -- lauter -Gegenstände (denn ich bin auch ein bißchen fürs Aparte), zu deren -Auswahl ich Ihnen gratuliere.« - -»Wofür ich der Frau Gräfin dankbar bin, ohne sonderlich überrascht zu -sein. Ich wußte, Damen wie Gräfin Ghiberti haben Sinn für derlei Dinge. -Darf ich Ihnen übrigens zunächst hier diesen Lebuser Bischof zeigen und -hier weiter einen Heiligen oder vielleicht Anachoreten? Beide, Bischof -und Anachoret, sind sehr unähnlich untereinander, schon in bezug auf -Leibesumfang, -- der richtige Gegensatz von Refektorium und Wüste. -Wenn ich den Heiligen hier so sehe, taxier ich ihn höchstens auf eine -Dattel täglich. Und nun denk ich, wir fahren in unsrer Besichtigung -fort. Krippenstapel war nämlich eben dabei, der Komtesse Armgard -unsern Derfflingerschen Dragoner mit der kleinen Standarte und der -Jahreszahl 1675 zu zeigen. Bitte, Gräfin Melusine, bemerken Sie hier -die Zahl, dicht unter dem brandenburgischen Adler. Es wirkt, wie wenn -er die Nachricht vom Siege bei Fehrbellin überbringen wolle. Daß es -ein Dragoner ist, ist klar; der Filzhut mit der breiten Krempe hebt -jeden Zweifel, und ich hab es für mein gutes Recht gehalten, ihn auch -speziell als Derfflingerschen Dragoner festzusetzen. Aber mein Freund -Krippenstapel will davon nichts wissen, und wir liegen darüber seit -Jahr und Tag in einer ernsten Fehde. Glücklicherweise unsre einzige. -Nicht wahr, Krippenstapel?« - -Dieser lächelte und verbeugte sich. - -»Die beiden Damen,« fuhr Dubslav fort, »mögen aber nicht etwa glauben, -daß ich mich für berechtigt halte, die freie Wissenschaft hier in -meinem Museum in Banden zu schlagen. Grad umgekehrt. Ich kann also -nur wiederholen: ›Krippenstapel, Sie haben das Wort.‹ Und nun bitte, -setzen Sie den Damen Ihrerseits auseinander, warum es nach ganz -bestimmten Begleiterscheinungen ein Derfflingerscher +nicht+ sein kann. -Bilderbücher aus der Zeit her hat man nicht, und die großen Gobelins -lassen einen im Stich und beweisen gar nichts.« - -Unter diesen Worten hatte Krippenstapel die den Gegenstand des Streits -bildende Wetterfahne wieder in die Hand genommen, und als er sah, daß -die Gräfin -- die, wie das in ihrer Natur lag, den vor zehn Minuten -noch so gefürchteten ›Fliegentöter‹ längst in ihr Herz geschlossen -hatte -- ihm freundlich zunickte, ließ er auf Geltendmachung seines -Standpunktes auch nicht lange mehr warten und sagte: »Ja, Frau Gräfin, -der Streit schwebt nun schon so lange, wie wir den Dragoner überhaupt -haben, und Herr von Stechlin wäre wohl schon längst in das gegnerische -Lager, in dem ich und Oberlehrer Tucheband stehn, übergegangen, wenn er -nicht an meiner wissenschaftlichen Ereiferung seine beständige Freude -hätte. Tucheband, einer unsrer Besten und ein Mann, der nicht leicht -vorbeischießt, hat auch in dieser Frage gleich das Richtige getroffen. -Er hat nämlich den Ort in Erwägung gezogen, von wo diese Wetterfahne -stammt. Sie stammt aus dem wenigstens damals noch der alten Familie -von Mörner zugehörigen Dorfe Zellin in der Neumark. Das Regiment -aber, das sich bei Fehrbellin vor allen andern auszeichnete, war das -Dragonerregiment Mörner. Es ist also kein Derfflingerscher, sondern ein -Mörnerscher Dragoner, der, in fliegender Eile, die Nachricht von dem -erfochtenen Siege nach Zellin bringt.« - -»Bravo,« sagte Melusine. »Wenn ich je eine richtige Schlußfolgerung -gehört habe (die meisten sind Blender), so haben wir sie hier. Herr von -Stechlin, ich kann Ihnen nicht helfen, Sie sind besiegt.« - -Dubslav war einverstanden und küßte Melusine die Hand, ohne sich um -die mißbilligenden Blicke seiner Schwester zu kümmern, die jetzt -ihrerseits auf endliche Vorführung der ›beiden Mühlen‹ drang, ihrer -zwei Lieblingsstücke. Diese beiden Mühlen, so versicherte sie, -seien das einzige, was hier überhaupt einen Anspruch auf ›Museum‹ -erheben dürfe. Beinah war es wirklich so, wie selbst Krippenstapel -zugab, trotzdem sich, bis wenigstens ganz vor kurzem, nichts von -historischer Kontroverse (die doch schließlich immer die Hauptsache -bleibt) daran geknüpft hatte. Neuerdings freilich hatte sich das -geändert. Zwei Berliner Herren vom Gewerbemuseum waren über die Mühlen -in Streit geraten, speziell über ihren Ursprungsort. Zwar hatte man -sich vorläufig dahin geeinigt, daß die Wassermühle holländisch, die -Windmühle dagegen (eine richtige alte Bockmühle) eine Nürnberger -Arbeit sei; Krippenstapel aber hatte bei diesem Friedensschlusse nur -gelächelt. Er war viel zu sehr ernster Wissenschaftsmensch, als daß -er nicht hätte herausfühlen sollen, wie diese sogenannte ›Beilegung‹ -nichts als eine Verkleisterung war. Der Ausbruch neuer Streitigkeiten -stand nahe bevor. - -Die waren aber zunächst wenigstens ausgeschlossen, da beide Schwestern, -Armgard wie Melusine, wie Kinder vor einem Lieblingsspielzeug, in einem -ganz ausbündigen Vergnügen aufgingen. Die Windmühle klapperte, daß es -eine Lust war, und das Rad der Wassermühle, wenn es grad in der Sonne -blitzte, gab einen solchen Silberschein, daß es aussah, als fiele das -blinkende Wasser wirklich über die Schaufelbretter. All das wurde -gesehn und bewundert, und was nicht gesehn wurde, nahm man auf Treu und -Glauben mit in den Kauf. Von den Spinnen kam keine zum Vorschein; nur -hier und da hingen lange graue Gewebe, was jedoch nur feierlich aussah, -und als Mittag heran war, verließ man das »Museum«, um sich erst eine -Stunde zu ruhn und dann bei Tische wiederzusehn. Die Gräfin aber, ehe -sie den großen, wüsten Raum verließ, trat noch einmal an Krippenstapel -heran, um ihn, unter gewinnendstem Lächeln, zu bitten, ihr, sobald -ein ernsterer Streit über die beiden Mühlen entbrennen sollte, die -betreffenden Schriftstücke nicht vorzuenthalten. - -Krippenstapel versprach alles. - - * * * * * - -Auf drei war das Mittagsmahl angesetzt. Schon eine Viertelstunde -vorher erschien Lorenzen und traf den alten Dubslav in einer gewissen -stattlichen Herrichtung an oder, wie er sich selbst zu Engelke geäußert -hatte, »ganz feudal«. - -»Ach, das ist gut, Lorenzen, daß Sie schon kommen. Ich habe noch -allerhand auf dem Herzen. Es muß doch was geschehn, eine richtige -Begrüßung (denn das gestern abend war zu wenig) oder aber ein solennes -Abschiedswort, kurzum irgendwas, das in das Gebiet der Toaste gehört. -Und da müssen Sie helfen. Sie sind ein Mann von Fach, und wer jeden -Sonntag predigen kann, kann doch schließlich auch ne Tischrede halten.« - -»Ja, das sagen Sie so, Herr von Stechlin. Mitunter ist eine Tischrede -leicht und eine Predigt schwer, aber es kann auch umgekehrt liegen. -Außerdem, wenn Sie sich nur erst mit dem Gedanken vertraut gemacht -haben, daß es so sein muß, dann geht es auch. Sie werden sehn, das -Herz, wie immer, macht den Redner. Und dazu diese Damen, beide von so -seltener Liebenswürdigkeit. Was die Gräfin angeht ...« - -»Ja,« lachte der Alte, »was die Gräfin angeht ... Sie machen sich's -bequem, Pastor. Die Gräfin, -- wenn sich's um die handelte, da könnt -ich's vielleicht auch. Aber die Komtesse, die hat so was Ernstes. Und -dann ist sie zum übrigen auch noch meine Schwiegertochter oder soll es -wenigstens werden, und da muß ich doch sprechen wie ne Respektsperson. -Und das ist schwer, vielleicht, weil sich in meiner Vorstellung die -Gräfin immer vor die Komtesse schiebt.« - -Dubslav sprach noch so weiter. Aber es half ihm nichts; Lorenzen -war in seinem Widerstande nicht zu besiegen, und so kam denn die -Tisch- und endlich auch die gefürchtete Redezeit heran. Der Alte -hatte sich schließlich drin gefunden. »Meine lieben Gäste,« hob er -an, »geliebte Braut, hochverehrte Brautschwester! Ein andres Wort, um -meine Beziehungen zu Gräfin Melusine zu bezeichnen, hat vorläufig die -deutsche Sprache nicht, was ich bedaure. Denn das Wort sagt mir lange -nicht genug. Wenige Stunden erst ist es, daß ich Sie, meine Damen, an -dieser Stelle begrüßen durfte, noch kein voller Tag, und schon ist der -Abschied da. Währenddem hab ich kein ›Du‹ beantragt, aber es liegt doch -in der Luft, mehr noch auf meiner Lippe ... Teuerste Armgard! dies -alte Haus Stechlin also soll Ihre dereinstige Heimstätte werden; Sie -werden sie zu neuem Leben erheben. Unter meinem Regime war es nicht -viel damit. Auch heute nicht. Ich habe nur das gute Gewissen, Ihnen -während dieser kurzen Spanne Zeit alles gezeigt zu haben, was gezeigt -werden konnte: mein Museum und meinen See. Die Sprudelstelle (die -Winterhand lag darauf) hat geschwiegen, aber mein Derfflingerscher -Dragoner -- in Krippenstapels Abwesenheit darf ich ihn ja wieder so -nennen -- hat dafür um so deutlicher zu Ihnen gesprochen. Er hat -die Zahl 1675 in seiner Standarte und trägt die Siegesnachricht von -Fehrbellin ins märkische Land. Erleb ich's noch und gibt Krippenstapel -seine Zustimmung, so stell ich, kurz oder lang, auch meinerseits einen -Dragoner auf meinen Dachreiter (einen Turm hab ich nicht) und zwar -einen Dragoner vom Regiment Königin von Großbritannien und Irland, und -auch er trägt eine Siegesbotschaft ins Land. Nicht die von Königgrätz -und nicht die von Mars-la-Tour, aber die von einem gleich gewichtigen -Siege. Das Haus Barby lebe hoch und meine liebe Schwiegertochter -Armgard!« - -Alle waren bewegt. Am meisten Lorenzen. Als er an den Alten herantrat, -flüsterte er ihm zu: »Sehn Sie. Ich wußt es.« Armgard küßte dem Alten -die Hand, Melusine strahlte. »Ja, die alte Garde!« sagte sie. Nur -Schwester Adelheid konnte sich in dieser allgemeinen Freude nicht gut -zurechtfinden. Alle Feierungen mußten eben das Maß halten, das sie -vorschrieb. Sie hatte den landesüblichen Zug: »Nur nicht zuviel von -irgendwas, am wenigsten aber von Huldigungen oder gar von Hingebung.« - -Als man wieder saß, sagte Melusine: »Krippenstapel wird übrigens -verstimmt sein, wenn er von Ihrem Trinkspruche hört. Es war doch -eigentlich eine erneute feierliche Proklamierung des Derfflingerschen. -Und was bei solcher Gelegenheit gesagt wird, das gilt ... Interessiert -sich übrigens irgendwer für dies Ihr Museum?« - -»Dann und wann ein Mann von Fach. Sonst niemand.« - -»Was Sie verdrießt.« - -»Nein, gnädigste Gräfin. Nicht im geringsten. Ich nehme nicht vieles -ernsthaft, und am wenigsten ernsthaft nehm ich mein Museum. Es ist -freilich von mir ausgegangen und interessierte mich auch eine Weile; -hinterher aber hat sich eigentlich alles ohne mich gemacht. Das ist -so die Regel. Ist überhaupt erst ein Anfang da, so laufen die Dinge -von selber weiter, und die Leute lassen einen nicht wieder los, halten -einen fest, man mag wollen oder nicht. Ich hätte vielleicht alles schon -längst wieder aufgegeben, man will's aber nicht. Einigen gereicht es -zur Befriedigung, mich für einen Querkopf halten zu können, und andre -sprechen wenigstens von Originalitätshascherei. Man muß eben allerhand -über sich ergehen lassen.« - - - - -Einunddreißigstes Kapitel - - -Um fünf Uhr brachen Woldemar und die Barbyschen Damen auf, um den Zug, -der um sieben Uhr Gransee passierte, nicht zu versäumen. Es dunkelte -schon, aber der Schnee sorgte für einen Lichtschimmer; so ging es -über die Bohlenbrücke fort in die Kastanienallee mit ihrem kahlen und -übereisten Gezweige hinein. - -Lorenzen war noch im Schlosse zurückgeblieben und setzte sich, um -wieder warm zu werden -- auf der Rampe war's kalt und zugig gewesen ---, in die Nähe des Kamins, dem alten Dubslav gegenüber. Dieser hatte -seinen Meerschaum angezündet und sah behaglich in die Flamme, blieb -aber ganz gegen seine Gewohnheit schweigsam, weil eben noch eine -dritte Person da war, die von den liebenswürdigen Damen, über die -sich auszulassen es ihn in seiner Seele drängte, ganz augenscheinlich -nichts hören wollte. Diese dritte Person war natürlich Tante Adelheid. -+Die+ wollte nicht sprechen. Andrerseits mußte durchaus der Versuch -einer Konversation gemacht werden, und so griff denn Dubslav zu den -Gundermanns hinüber, um in ein paar Worten sein Bedauern darüber -auszudrücken, daß er die Siebenmühlner nicht habe mit heranziehn -können. »Engelke sei so sehr dagegen gewesen.« All dies Bedauern --- wie's der ganzen Sachlage nach nicht anders sein konnte -- kam -flau genug heraus, aber die Domina war so hochgradig verstimmt, daß -ihr selbst so nüchterne, das Verbindliche nur ganz leise, nur ganz -ohnehin streifende Worte schon zuwider waren. »Ach, laß doch diese -geborne Helfrich,« sagte sie, »diese Tochter von dem alten Hauptmann, -der die Schlacht bei Leipzig gewonnen haben soll. So wenigstens -erzählt sie beständig. Eine schreckliche Frau, die gar nicht in unsre -Gesellschaft paßt. Und dabei so laut. Ich kann es nicht leiden, wenn -wir so mit Gewalt nach oben blicken sollen, aber diese Helfrich, das -muß ich sagen, ist denn doch auch nicht mein Geschmack. Ich halte das -Untersichbleiben für das einzig Richtige. Bescheidene Verhältnisse, -aber bestimmt gezogene Grenzen.« - -Lorenzen hütete sich zu widersprechen, versuchte vielmehr umgekehrt, -durch ein halbes Eingehn auf Adelheid und ihren Ton, eine bessere Laune -wieder herzustellen. Als er aber sah, daß er damit scheiterte, brach er -auf. - -Und nun waren die beiden alten Geschwister allein. - -Dubslav ging im Zimmer unruhig auf und ab und trat nur dann und wann an -den Tisch heran, auf dem noch vom Kaffee her die Likörflaschen standen. -Er wollte was sagen, traute sich's aber nicht recht, und erst als er zu -zwei Curaçaos auch noch einen Benediktiner hinzugefügt hatte, wandte -er sich an die Schwester, die, schweigsam wie er selbst, ihre kleine -goldene Kette hin und her zog. - -»Ja,« sagte er, »jetzt sind sie nun wohl schon in Woltersdorf.« - -»Ich vermute drüber raus. Woldemar wird die Pferde natürlich ausholen -lassen. Es sind, glaub ich, Damen, die nicht gerne langsam fahren.« - -»Du sagst das so, Adelheid, als ob du's tadeln wolltest, überhaupt als -ob dir die Damen nicht sonderlich gefallen hätten. Das sollte mir leid -tun. Ich bin sehr glücklich über die Partie. Gewiß, sowohl die Gräfin -wie die Komtesse sind verwöhnt; das merkt man. Aber ich möchte sagen, -je verwöhnter sie sind ...« - -»Desto besser gefallen sie dir. Das sieht dir ähnlich. Ich liebe mehr -unsre Leute. Beide sind doch beinah wie Fremde.« - -»Nun, das ist nicht schlimm.« - -»Doch. Mir widersteht das Fremde. Laß dir erzählen. Da war ich vorigen -Sommer mit der Schmargendorf in Berlin und ging zu Josty, weil die -Schmargendorf, die so was liebt, gern eine Tasse Schokolade trinken -wollte.« - -»Du hoffentlich auch.« - -»Allerdings. Ich auch. Aber ich kam nicht recht dazu, nippte bloß, weil -ich mich über die Maßen ärgern mußte. Denn an dem Tische neben mir saß -ein Herr und eine Dame, wenn es überhaupt eine Dame war. Aber Engländer -waren es. Er steckte ganz in Flanell und hatte die Beinkleider -umgekrempelt, und die Dame trug einen Rock und eine Bluse und einen -Matrosenhut. Und der Herr hatte ein Windspiel, das immer zitterte, -trotzdem fünfundzwanzig Grad Wärme waren.« - -»Ja, warum nicht?« - -»Und zwischen ihnen stand eine Tablette mit Wasser und Kognak, und die -Dame hielt außerdem noch eine Zigarette zwischen den Fingern und sah in -die Ringelwölkchen hinein, die sie blies.« - -»Charmant. Das muß ja reizend ausgesehn haben.« - -»Und ich verwette mich, diese Melusine raucht auch.« - -»Ja, warum soll sie nicht? Du schlachtest Gänse. Warum soll Melusine -nicht rauchen?« - -»Weil Rauchen männlich ist.« - -»Und Schlachten weiblich ... Ach, Adelheid, wir können uns über so was -nicht einigen. Ich gelte schon für leidlich altmodisch, aber du, du -bist ja geradezu petrefakt.« - -»Ich verstehe das Wort nicht und wünsche nur, daß es etwas ist, dessen -du dich nicht zu schämen hast. Es klingt sonderbar genug. Aber ich -weiß, du liebst dergleichen und liebst gewiß auch (und hast so deine -Vorstellungen dabei) den Namen Melusine.« - -»Kann ich beinah sagen.« - -»Ich dacht es mir.« - -»Ja, Schwester, du hast gut reden. So sicher wie du wohnt eben nicht -jeder. Adelheid! das ist ein Name, der paßt immer. Und im Kirchenbuche, -wie mir Lorenzen erst neulich gezeigt hat, steht sogar Adelheide. Das -Schluß-›e‹ ist bei der schlechten Wirtschaft in unserm Hause so mit -drauf gegangen. Die Stechline haben immer alles verurscht.« - -»Ich bitte dich, wähle doch andere Worte.« - -»Warum? Verurscht ist ein ganz gutes Wort. Und außerdem, schon der -alte Kortschädel sagte mir mal, man müsse gegen Wörter nicht so streng -sein und gegen Namen erst recht nicht, da sitze manch einer in einem -Glashause. Hältst du Rentmeister Fix für einen schönen Namen? Und als -ich noch bei den Kürassieren in Brandenburg war, in meinem letzten -Dienstjahr, da hatten wir dicht bei uns einen kleinen Mann von der -Feuerversicherung, der hieß Briefbeschwerer. Ja, Adelheid, wenn ich -+dem+ gegenüber so verfahren wäre, wie du jetzt mit Gräfin Melusine, so -hätt ich mir den Mann als eine halbe Bombe vorstellen müssen oder als -einen Kugelmann. Denn damals, es war anno vierundsechzig, waren alle -›Briefbeschwerer‹ bloß ›Kugelmänner‹: ne Flintenkugel oben und zwei -Flintenkugeln unten. Und natürlich ne Kartätschenkugel als Bauch in der -Mitte. Das Feuerversicherungsmännchen aber, das zufällig so sonderbar -hieß, das war so dünn wie'n Strich.« - -»Ja, Dubslav, was soll das nun alles wieder? Du gibst da deinem Zeisig -mal wieder ein gut Stück Zucker. Ich sage Zeisig, weil ich nicht -verletzlich werden will.« - -»Küss' die Hand ...« - -»Und was ich dir zur Sache darauf zu sagen habe, das ist das. Ich habe -nichts dagegen, daß jemand Briefbeschwerer heißt, und überlass' es ihm, -ob er ein Strich oder ein Kugelmann sein will. Aber ich habe sehr viel -gegen Melusine. Briefbeschwerer, nu, das ist bloß ein Zufall, Melusine -aber ist kein Zufall, und ich kann dir bloß sagen, diese Melusine ist -eben eine richtige Melusine. Alles an dieser Person ...« - -»Ich bitte dich, Adelheid ...« - -»Alles an dieser Dame, wenn sie durchaus so etwas sein soll, ist -verführerisch. Ich habe so was von Koketterie noch nie gesehn. Und -wenn ich mir dann unsern armen Woldemar daneben denke! Der is ja -solcher Eva gegenüber von Anfang an verloren. Eh er noch weiß, was los -ist, ist er schon umstrickt, trotzdem er doch bloß ihr Schwager ist. -Oder vielleicht auch grade deshalb. Und dazu das ewige Sichbiegen und --wiegen in den Hüften. Alles wie zum Beweise, daß es mit der Schlange -denn doch etwas auf sich hat. Und wie sie nun gar erst mit dem Lorenzen -umsprang. Aber freilich, der ist womöglich noch leichter zu fangen als -Woldemar. Er sah sie immer an wie ne Offenbarung. Und sie ist auch so -was. Darüber is kein Zweifel. Aber wovon?« - - - - -Hochzeit - - - - -Zweiunddreißigstes Kapitel - - -Zu guter Zeit waren die Reisenden wieder in Berlin zurück. Woldemar -hatte Braut und Schwägerin bis an das Kronprinzenufer begleitet, mußte -jedoch auf Verbleib im Barbyschen Hause verzichten, weil im Kasino eine -kleine Festlichkeit stattfand, der er beiwohnen wollte. - -Der alte Graf ging, als unten die Droschke hielt, mühsamlich auf seinem -Zimmerteppich auf und ab, weil ihn sein Fuß, wie stets, wenn das Wetter -umschlug, mal wieder mit einer ziemlich heftigen Neuralgie quälte. - -»Nun, da seid ihr ja wieder. Der Zug muß Verspätung gehabt haben. Und -wo ist Woldemar?« - -Man gab ihm Auskunft und daß Woldemar wegen seines Nichterscheinens um -Entschuldigung bäte. »Gut, gut. Und nun setzt euch und erzählt. Mit -dem Conte, das ließ damals allerlei zu wünschen übrig ... verzeih, -Melusine. Da möcht ich denn begreiflicherweise, daß es uns diesmal -besser ginge. Woldemar macht mir natürlich kein Kopfzerbrechen, aber -die Familie, der alte Stechlin. Armgard braucht selbstverständlich auf -eine so delikate Frage nicht zu antworten, wenn sie nicht will, wiewohl -erfahrungsmäßig ein Unterschied ist zwischen Schwiegermüttern und -Schwiegervätern. Diese sind mitunter verbindlicher als der Sohn.« - -Armgard lachte. »Mir, Papa, passiert so was Nettes nicht. Aber mit -Melusine war es wieder das Herkömmliche. Der alte Stechlin fing an, und -der Pastor folgte. Wenigstens schien es mir so.« - -»Dann bin ich beruhigt, vorausgesetzt, daß Melusine über den neuen -Schwiegervater ihren richtigen alten Vater nicht vergißt.« - -Sie ging auf ihn zu und küßte ihm die Hand. - -»Dann bin ich beruhigt,« wiederholte der Alte. »Melusine gefällt -fast immer. Aber manchem gefällt sie freilich auch nicht. Es gibt -so viele Menschen, die haben einen natürlichen Haß gegen alles, -was liebenswürdig ist, weil sie selber unliebenswürdig sind. Alle -beschränkten und aufgesteiften Individuen, alle, die eine bornierte -Vorstellung vom Christentum haben -- das richtige sieht ganz anders -aus --, alle Pharisäer und Gernegroß, alle Selbstgerechten und Eiteln -fühlen sich durch Personen wie Melusine gekränkt und verletzt, und wenn -sich der alte Stechlin in Melusine verliebt hat, dann lieb ich ihn -schon darum, denn er ist dann eben ein guter Mensch. Mehr brauch ich -von ihm gar nicht zu wissen. Übrigens konnt es kaum anders sein. Der -Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch umgekehrt: wenn ich den -Apfel kenne, kenn ich auch den Stamm ... Und wer war denn noch da? Ich -meine, von Verwandtschaft?« - -»Nur noch Tante Adelheid von Kloster Wutz,« sagte Armgard. - -»Das ist die Schwester des Alten?« - -»Ja, Papa. Ältere Schwester. Wohl um zehn Jahr älter und auch nur -Halbschwester. Und eine Domina.« - -»Sehr fromm?« - -»Das wohl eigentlich nicht.« - -»Du bist so einsilbig. Sie scheint dir nicht recht gefallen zu haben.« - -Armgard schwieg. - -»Nun, Melusine, dann sprich du. Nicht fromm also; das ist gut. Aber -vielleicht ~hautaine~?« - -»Fast könnte man's sagen,« antwortete Melusine. »Doch paßt es auch -wieder nicht recht, schon deshalb nicht, weil es ein französisches Wort -ist. Tante Adelheid ist eminent unfranzösisch.« - -»Ah, ich versteh. Also komische Figur.« - -»Auch das nicht so recht, Papa. Sagen wir einfach, zurückgeblieben, -vorweltlich.« - -Der alte Graf lachte. »Ja, das ist in allen alten Familien so, vor -allem bei reichen und vornehmen Juden. Kenne das noch von Wien her, wo -man überhaupt solche Fragen studieren kann. Ich verkehrte da viel in -einem großen Bankierhause, drin alles nicht bloß voll Glanz, sondern -auch voll Orden und Uniformen war. Fast zuviel davon. Aber mit einem -Male traf ich in einer Ecke, ganz einsam und doch beinah vergnüglich, -einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte Gobbo -- der in dem Stück -von Shakespeare vorkommt -- aussah, und als ich mich später bei einem -Tischnachbar erkundigte, wer denn das sei, da hieß es: ›Ach, das ist ja -Onkel Manasse.‹ Solche Onkel Manasses gibt es überall, und sie können -unter Umständen auch Tante Adelheid heißen.« - -Daß der alte Graf das so leicht nahm, erfreute die Töchter sichtlich, -und als Jeserich bald danach das Teezeug brachte, wurd auch Armgard -mitteilsamer und erzählte zunächst von Superintendent Koseleger und -Pastor Lorenzen, danach vom Stechlinsee (der ganz überfroren gewesen -sei, so daß sie die berühmte Stelle nicht hätten sehen können) und -zuletzt von dem Museum und den Wetterfahnen. - -Diese waren das, was den alten Grafen am meisten interessierte. -»Wetterfahnen, ja, die müssen gesammelt werden, nicht bloß alte -Dragoner in Blech geschnitten, sondern auch allermodernste Silhouetten, -sagen wir aus der Diplomatenloge. Da kommt dann schon eine ganz -hübsche Galerie zusammen. Und wißt ihr, Kinder, das mit dem Museum -gibt mir erst eine richtige Vorstellung von dem Alten und eine volle -Befriedigung, beinah mehr noch, als daß ihm Melusine gefallen hat. Ich -bin sonst nicht für Sammler. Aber wer Wetterfahnen sammelt, das will -doch was sagen, das ist nicht bloß eine gute Seele, sondern auch eine -kluge Seele, denn es is da so was drin, wie ein Fingerknips gegen die -Gesellschaft. Und wer den machen kann, das ist mein Mann, mit dem kann -ich leben.« - - * * * * * - -Man blieb nicht lange mehr beisammen; beide Schwestern, ziemlich -ermüdet von der Tagesanstrengung, zogen sich früh zurück, aber ihr -Gespräch über Schloß Stechlin und die beiden Geistlichen und vor allem -über die Domina (gegen die Melusine heftig eiferte) setzte sich noch in -ihrem Schlafzimmer fort. - -»Ich glaube,« sagte Armgard, »du legst zuviel Gewicht auf das, was -du das Ästhetische nennst. Und Woldemar tut es leider auch. Er läßt -auf seine Mark Brandenburg sonst nichts kommen, aber in diesem Punkte -spricht er beinah so wie du. Wohin er blickt, überall vermißt er das -Schönheitliche. Das Wenige, was danach aussieht, so klagt er beständig, -sei bloß Nachahmung. Aus eignem Trieb heraus würde hier nichts der Art -geboren.« - -»Und daß er so klagt, das ist das, was ich so ziemlich am meisten an -ihm schätze. Du meinst, daß ich, wenn ich von der Domina spreche, -zuviel Gewicht auf diese doch bloß äußerlichen Dinge lege. Glaube mir, -diese Dinge sind nicht bloß äußerlich. Wer kein feines Gefühl hat, -sei's in Kunst, sei's im Leben, der existiert für mich überhaupt nicht -und für meine Freundschaft und Liebe nun schon ganz gewiß nicht. Da -hast du mein Programm. Unser ganzer Gesellschaftszustand, der sich -wunder wie hoch dünkt, ist mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von -dem du doch soviel hältst, hat sich ganz in diesem Sinne gegen mich -ausgesprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die Heidenzeit, die -wir jetzt so verständnislos bemängeln! Und selbst unser ›dunkles -Mittelalter‹ -- schönheitlich stand es höher als wir, und seine -Scheiterhaufen, wenn man nicht gleich selbst an die Reihe kam, waren -gar nicht so schlimm.« - -»Ich erlebe noch,« lachte Armgard, »daß du nen neuen Kreuzzug oder -ähnliches predigst. Aber wir sind von unserm eigentlichen Thema ganz -abgekommen, von der Domina. Du sagtest, ihre Gefühle widersprächen sich -untereinander. Welche Gefühle?« - -»Darauf ist leicht Antwort geben. Erst beglückwünscht sie sich zu sich -selbst, und hinterher ärgert sie sich über sich selbst. Und daß sie das -+muß+, daran sind wir schuld, und das kann sie uns nicht verzeihn.« - -»Ich würde vielleicht zustimmen, wenn das, was du da sagst, nicht gar -so eitel klänge ... Sie hat übrigens einen guten Verstand.« - -»Den hat sie, gewiß, den haben sie alle hier oder doch die meisten. -Aber ein guter Verstand, soviel er ist, ist auch wieder recht wenig, -und schließlich -- ich muß leider zu diesem Berolinismus greifen -- ist -diese gute Domina doch nichts weiter als eine Stakete, lang und spitz. -Und nicht mal grün gestrichen.« - -»Und der Alte? +Der+ wenigstens wird doch vor deiner Kritik bestehn.« - -»O, der; der ist ~hors concours~ und geht noch über Woldemar hinaus. -Was meinst du, wenn ich den Alten heiratete?« - -»Sprich nicht so, Melusine. Ich weiß ja recht gut, wie das alles -von dir gemeint ist, Übermut und wieder Übermut. Aber er ist doch -am Ende noch nicht so steinalt. Und +du+, so lieb ich dich habe, -du bist schließlich imstande, dich in solche Kompliziertheiten von -Schwiegervater und Schwager, alles in einem, und womöglich noch -allerhand dazu, zu verlieben.« - -»Jedenfalls mehr als in +den+, der diese Kompliziertheiten darstellt -oder gar erst schaffen soll ... Also sei ruhig, freundlich Element.« - - - - -Dreiunddreißigstes Kapitel - - -Das war in den letzten Dezembertagen; auf Ende Februar hatte man die -Hochzeit des jungen Paares festgesetzt. In der Zwischenzeit war seitens -des alten Grafen erwogen worden, ob die Trauung nicht doch vielleicht -auf einem der Barbyschen Elbgüter stattfinden solle; die Braut selbst -aber war dagegen gewesen und hatte mit einer ihr sonst nicht eignen -Lebhaftigkeit versichert: sie hänge an der Armee, weshalb sie -- ganz -abgesehn von ihrem teuren Frommel -- die Berliner Garnisonkirche weit -vorziehe. Daß diese, nach Ansicht vieler, bloß ein großer Schuppen -sei, habe für sie gar keine Bedeutung; was ihr an der Garnisonkirche -soviel gelte, das seien die großen Erinnerungen, und ein Gotteshaus, -drin die Schwerins und die Zietens ständen (und wenn sie nicht drin -ständen, so doch andre, die kaum schlechter wären) -- eine historisch -so bevorzugte Stelle wäre ihr an ihrem Trautage viel lieber als ihre -Familienkirche, trotz der Särge so vieler Barbys unterm Altar. Woldemar -war sehr glücklich darüber, seine Braut so preußisch-militärisch zu -finden, die denn auch, als einmal die Zukunft und mit ihr die Frage -nach ›Verbleib oder Nichtverbleib‹ in der Armee durchgesprochen wurde, -lachend erwidert hatte: »Nein, Woldemar, nicht jetzt schon Abschied; -ich bin sehr für Freiheit, aber doch beinah mehr noch für Major.« - - * * * * * - -Auf drei Uhr war die Trauung festgesetzt. Schon eine halbe Stunde -vorher erschien der Brautwagen und hielt vor dem Schickedanzschen -Hause, dessen Flur auszuschmücken sich die Frau Versicherungssekretärin -nicht hatte nehmen lassen. Von der Treppe bis auf das Trottoir hinaus -waren zu beiden Seiten Blumenestraden aufgestellt, auf denen die -Lieblinge der Frau Schickedanz in einer Schönheit und Fülle standen, -als ob es sich um eine Maiblumenausstellung gehandelt hätte. Hinter -den verschiedenen Estraden aber hatten alle Hausbewohner Aufstellung -genommen, Lizzi, Frau Imme und sämtliche Hartwigs und natürlich auch -Hedwig, die, nach ganz kurzem Dienst im Kommerzienrat Seligmannschen -Hause, vor etwa acht Tagen ihre Stelle wieder aufgegeben hatte. - -»Gott, Hedwig, war es denn wieder so was?« - -»Nein, Frau Imme, diesmal war es mehr.« - - * * * * * - -Frommel traute. Die Kirche war dicht besetzt, auch von bloß -Neugierigen, die sich, ehe die große Orgel einsetzte, die -merkwürdigsten Dinge mitzuteilen hatten. Die Barbys seien eigentlich -Italiener aus der Gegend von Neapel, und der alte Graf, was man ihm -auch noch ansehe, sei in seinen jungen Jahren unter den Carbonaris -gewesen; aber mit einem Male hab er geschwenkt und sei zum Verräter -an seiner heiligen Sache geworden. Und weil in solchem Falle jedesmal -einer zur Vollstreckung der Gerechtigkeit ausgelost würde (was der Graf -auch recht gut gewußt habe), hab er vorsichtigerweise seine schöne -Heimat verlassen und sei nach Berlin gekommen und sogar an den Hof. -Und Friedrich Wilhelm ~IV.~, der ihn sehr gern gemocht, hab auch immer -Italienisch mit ihm gesprochen. - - * * * * * - -Das Hochzeitsmahl fand im Barbyschen Hause statt, notgedrungen ~en -petit comité~, da das große Mittelzimmer, auch bei geschicktester -Anordnung, immer nur etwa zwanzig Personen aufnehmen konnte. Der -weitaus größte Teil der Gesellschaft setzte sich aus uns schon -bekannten Personen zusammen, obenan natürlich der alte Stechlin. Er war -gern gekommen, trotzdem ihm die Weltabgewandtheit, in der er lebte, den -Entschluß anfänglich erschwert hatte. Tante Adelheid fehlte. »Trösten -wir uns,« sagte Melusine mit einer ihr kleidenden Überheblichkeit. -Selbstverständlich waren die Berchtesgadens da, desgleichen Rex und -Czako, sowie Cujacius und Wrschowitz. Außerdem ein behufs Abschluß -seiner landwirtschaftlichen Studien erst seit kurzem in Berlin -lebender junger Baron von Planta, Neffe der verstorbenen Gräfin, zu -dem sich zunächst ein Premierleutnant von Szilagy (Freund und früherer -Regimentskamerad von Woldemar) und des weiteren ein Doktor Pusch -gesellte, den die Barbys noch von ihren Londoner Tagen her gut kannten. -Dem Brautpaare gegenüber saßen die beiden Väter, beziehungsweise -Schwiegerväter. Da weder der eine noch der andre zu den Rednern zählte, -so ließ Frommel das Brautpaar in einem Toaste leben, drin Ernst und -Scherz, Christlichkeit und Humor in glücklichster Weise verteilt -waren. Alles war entzückt, der alte Stechlin, Frommels Tischnachbar, -am meisten. Beide Herren hatten sich schon vorher angefreundet, und -als nach Erledigung des offiziellen Toastes das Tischgespräch ganz -allgemein wieder in Konversation mit dem Nachbar überging, sahen -sich Frommel und der alte Stechlin in Anknüpfung einer intimeren -Privatunterhaltung nicht weiter behindert. - -»Ihr Herr Sohn,« sagte Frommel, »wovon ich mich persönlich überzeugen -konnte, wohnt sehr hübsch. Darf ich daraus schließen, daß Sie sich bei -ihm einlogiert haben?« - -»Nein, Herr Hofprediger. So bei Kindern wohnen ist immer mißlich. Und -mein Sohn weiß das auch; er kennt den Geschmack oder meinetwegen auch -bloß die Schrullenhaftigkeit seines Vaters, und so hat er mich, was -immer das Beste bleibt, in einem Hotel untergebracht.« - -»Und Sie sind da zufrieden?« - -»Im höchsten Maße, wiewohl es ein bißchen über mich hinausgeht. Ich -bin noch aus der Zeit von Hotel de Brandebourg, an dem mich immer nur -die Französierung ärgerte, -- sonst alles vorzüglich. Aber solche -Gasthäuser sind eben, seit wir Kaiser und Reich sind, mehr oder weniger -altmodisch geworden, und so bin ich denn durch meinen Sohn im Hotel -Bristol untergebracht worden. Alles ersten Ranges, kein Zweifel, wozu -noch kommt, daß mich der bloße Name schon erheitert, der neuerdings -jeden Mitbewerb so gut wie ausschließt. Als ich noch Leutnant war, -freilich lange her, mußten alle Witze von Glasbrenner oder von Beckmann -sein. Beckmann war erster Komiker, und wenn man in Gesellschaft sagte: -›da hat ja wieder der Beckmann ...‹, so war man mit seiner Geschichte -so gut wie raus. Und wie damals mit den Witzen, so heute mit den -Hotels. Alle müssen ›Bristol‹ heißen. Ich zerbreche mir den Kopf -darüber, wie gerade Bristol dazu kommt. Bristol ist doch am Ende nur -ein Ort zweiten Ranges, aber Hotel Bristol ist immer prima. Ob es hier -wohl Menschen gibt, die Bristol je gesehn haben? Viele gewiß nicht, -denn Schiffskapitäne, die zwischen Bristol und Newyork fahren, sind -in unserm guten Berlin immer noch Raritäten. Übrigens darf ich bei -allem Respekt vor meinem berühmten Hotel sagen, unberühmte sind meist -interessanter. So zum Beispiel bayrische Wirtshäuser im Gebirge, wo man -eine dicke Wirtin hat, von der es heißt, sie sei mal schön gewesen und -ein Kaiser oder König habe ihr den Hof gemacht. Und dazu dann Forellen -und ein Landjäger, der eben einen Wilderer oder Haberfeldtreiber über -den stillen See bringt. An solchen Stellen ist es am schönsten. Und -ist der See aufgeregt, so ist es noch schöner. Das alles würde mir -unser Baron Berchtesgaden, der da drüben sitzt, gewiß gern bestätigen, -und Sie, Herr Hofprediger, bestätigen es mir schließlich auch. Denn -mir fällt eben ein, Sie waren ja mit unserm guten Kaiser Wilhelm, -dem letzten Menschen, der noch ein wirklicher Mensch war, immer in -Gastein zusammen und viel an seiner Seite. Jetzt hat man statt des -wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich -gibt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, -die man durchaus zu einem ›Über‹ machen will. Ich habe von solchen -Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, nach meiner -Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man -verzweifeln. Und daneben unser alter Wilhelm! Wie war er denn so, wenn -er so still seine Sommertage verbrachte? Können Sie mir was von ihm -erzählen? So was, woran man ihn so recht eigentlich erkennt.« - -»Ich darf sagen ›ja‹, Herr von Stechlin. Habe so was mit ihm erlebt. -Eine ganz kleine Geschichte; aber das sind gerade die besten. Da -hatten wir mal einen schweren Regentag in Gastein, so daß der alte -Herr nicht ins Freie kam und, statt draußen in den Bergen, in seinem -großen Wohnzimmer seinen gewohnten Spaziergang machen mußte, so gut -es eben ging. Unter ihm aber (was er wußte) lag ein Schwerkranker. -Und nun denken Sie sich, als ich bei dem guten alten Kaiser eintrete, -seh ich ihn, wie er da lange Läufer und Teppiche zusammenschleppt und -übereinander packt, und als er mein Erstaunen sieht, sagt er mit einem -unbeschreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ›Ja, lieber Frommel, -da unter mir liegt ein Kranker; ich mag nicht, daß er die Empfindung -hat, ich trample ihm da so über den Kopf hin ...‹ Sehn Sie, Herr von -Stechlin, da haben Sie den alten Kaiser.« - -Dubslav schwieg und nickte. »Wie beneid ich Sie, so was erlebt zu -haben,« hob er nach einer Weile an. »Ich kannt ihn auch ganz gut, das -heißt in Tagen, wo er noch Prinz Wilhelm war, und dann oberflächlich -auch später noch. Aber seine eigentliche Zeit ist doch seine -Kaiserzeit.« - -»Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächst der Mensch mit seinen größern -Zwecken.« - -»Richtig, richtig,« sagte Dubslav, »das schwebte mir auch vor; ich -konnt es bloß nicht gleich finden. Ja, so war er, und so einen kriegen -wir nicht wieder. Übrigens sag ich das in aller Reverenz. Denn ich bin -kein Frondeur. Fronde ist mir gräßlich und paßt nicht für uns. Bloß -mitunter, da paßt sie doch vielleicht.« - - * * * * * - -Inzwischen war die siebente Stunde herangekommen, und um halb acht -ging der Zug, mit dem das junge Paar noch bis Dresden wollte, dieser -herkömmlich ersten Etappe für jede Hochzeitsreise nach dem Süden. Man -erhob sich von der Tafel, und während die Gäste, bunte Reihe machend, -untereinander zu plaudern begannen, zogen sich Woldemar und Armgard -unbemerkt zurück. Ihr Reisegepäck war seit einer Stunde schon voraus, -und nun hielt auch der viersitzige Wagen vor dem Barbyschen Hause. -Die Baronin und Melusine hatten sich zur Begleitung des jungen Paares -miteinander verabredet und nahmen jetzt, ohne daß Woldemar und Armgard -es hindern konnten, die beiden Rücksitze des Wagens ein. Das ergab -aber, besonders zwischen den zwei Schwestern, eine vollkommene Rang- -und Höflichkeitsstreiterei. »Ja, wenn es jetzt in die Kirche ginge,« -sagte Armgard, »so hättest du recht. Aber unser Wagen ist ja schon -wieder ein ganz einfacher Landauer geworden, und Woldemar und ich -sind, vier Stunden nach der Trauung, schon wieder wie zwei gewöhnliche -Menschen. Und sich dessen bewußt zu werden, damit kann man nicht früh -genug anfangen.« - -»Armgard, du wirst mir zu gescheit,« sagte Melusine. - -Man einigte sich zuletzt, und als der Wagen am Anhalter Bahnhof -eintraf, waren Rex und Czako bereits da -- beide mit Riesensträußen ---, zogen sich aber unmittelbar nach Überreichung ihrer Buketts wieder -zurück. Nur die Baronin und Melusine blieben noch auf dem Bahnsteig -und warteten unter lebhafter Plauderei bis zum Abgange des Zuges. -In dem von dem jungen Paare gewählten Coupé befanden sich noch zwei -Reisende; der eine, blond und artig und mit goldener Brille, konnte nur -ein Sachse sein, der andre dagegen, mit Pelz und Juchtenkoffer, war -augenscheinlich ein »Internationaler« aus dem Osten oder selbst aus dem -Südosten Europas. - -Nun aber hörte man das Signal, und der Zug setzte sich in Bewegung. - - * * * * * - -Die Baronin und Melusine grüßten noch mit ihren Tüchern. Dann bestiegen -sie wieder den draußen haltenden Wagen. Es war ein herrliches Wetter, -einer jener Vorfrühlingstage, wie sie sich gelegentlich schon im -Februar einstellen. - -»Es ist so schön,« sagte Melusine. »Benutzen wir's. Ich denke, liebe -Baronin, wir fahren hier zunächst am Kanal hin in den Tiergarten hinein -und dann an den Zelten vorbei bis in Ihre Wohnung.« - -Eine Weile schwiegen beide Damen; im Augenblick aber, wo sie von dem -holprigen Pflaster in den stillen Asphaltweg einbogen, sagte die -Baronin: »Ich begreife Stechlin nicht, daß er nicht ein Coupé apart -genommen.« - -Melusine wiegte den Kopf. - -»Den mit der goldenen Brille,« fuhr die Baronin fort, »den nehm ich -nicht schwer. Ein Sachse tut keinem was und ist auch kaum eine Störung. -Aber der andre mit dem Juchtenkoffer. Er schien ein Russe, wenn nicht -gar ein Rumäne. Die arme Armgard. Nun hat sie ihren Woldemar und hat -ihn auch wieder nicht.« - -»Wohl ihr.« - -»Aber Gräfin ...« - -»Sie sind verwundert, liebe Baronin, mich das sagen zu hören. Und doch -hat's damit nur zu sehr seine Richtigkeit: gebranntes Kind scheut das -Feuer.« - -»Aber Gräfin ...« - -»Ich verheiratete mich, wie Sie wissen, in Florenz und fuhr an -demselben Abende noch bis Venedig. Venedig ist in einem Punkte ganz -wie Dresden: nämlich erste Station bei Vermählungen. Auch Ghiberti -- -ich sage immer noch lieber ›Ghiberti‹ als ›mein Mann‹; ›mein Mann‹ ist -überhaupt ein furchtbares Wort -- auch Ghiberti also hatte sich für -Venedig entschieden. Und so hatten wir denn den großen Apennintunnel zu -passieren.« - -»Weiß, weiß. Endlos.« - -»Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da wer mit uns gewesen, ein -Sachse, ja selbst ein Rumäne. Wir waren aber allein. Und als ich aus -dem Tunnel heraus war, wußt ich, welchem Elend ich entgegenlebte.« - -»Liebste Melusine, wie beklag ich Sie; wirklich, teuerste Freundin, und -ganz aufrichtig. Aber so gleich ein Tunnel. Es ist doch auch wie ein -Schicksal.« - - * * * * * - -Rex und Czako hatten sich unmittelbar nach Überreichung ihrer Buketts -vom Bahnhof her in die Königgrätzerstraße zurückgezogen, und hier -angekommen, sagte Czako: »Wenn es Ihnen recht ist, Rex, so gehen wir -bis in das Restaurant Bellevue.« - -»Tasse Kaffee?« - -»Nein; ich möchte gern was Ordentliches essen. Drei Löffel Suppe, ne -Forelle ~en miniature~ und ein Poulardenflügel, -- das ist zu wenig für -meine Verhältnisse. Rund heraus, ich habe Hunger.« - -»Sie werden sich zu gut unterhalten haben.« - -»Nein, auch das nicht. Unterhaltung sättigt außerdem, wenigstens -Menschen, die, wie ich, wenn Sie auch drüber lachen, aufs Geistige -gestellt sind. Ein bißchen mag ich übrigens an meinem elenden Zustande -selbst schuld sein. Ich habe nämlich immer nur die Gräfin angesehn und -begreife nach wie vor unsren Stechlin nicht. Nimmt da die Schwester! -Er hatte doch am Ende die Wahl. Der kleine Finger der Gräfin (und -ihr kleiner Zeh nun schon ganz gewiß) ist mir lieber als die ganze -Komtesse.« - -»Czako, Sie werden wieder frivol.« - - - - -Vierunddreißigstes Kapitel - - -Unter den Hochzeitsgästen hatte sich, wie schon kurz erwähnt, auch -ein Doktor Pusch befunden, ein gewandter und durchaus weltmännisch -wirkender Herr mit gepflegtem, aber schon angegrautem Backenbart. Er -war vor etwa fünfundzwanzig Jahren an der Assessorecke gescheitert und -hatte damals nicht Lust gehabt, sich ein zweites Mal in die Zwickmühle -nehmen zu lassen. »Das Studium der Juristerei ist langweilig und die -Karriere hinterher miserabel« -- so war er denn als Korrespondent für -eine große rheinische Zeitung nach England gegangen und hatte sich -dort auf der deutschen Botschaft einzuführen gewußt. Das ging so durch -Jahre. Ziemlich um dieselbe Zeit aber, wo der alte Graf seine Londoner -Stellung aufgab, war auch Doktor Pusch wieder flügge geworden und hatte -sich nach Amerika hinüber begeben. Er fand indessen das Freie dort -freier, als ihm lieb war, und kehrte sehr bald, nachdem er es erst in -Newyork, dann in Chikago versucht hatte, nach Europa zurück. Und zwar -nach Deutschland. »Wo soll man am Ende leben?« Unter dieser Betrachtung -nahm er schließlich in Berlin wieder seinen Wohnsitz. Er war ungeniert -von Natur und ein klein wenig überheblich. Als wichtigstes Ereignis -seiner letzten sieben Jahre galt ihm sein Übertritt vom Pilsener -zum Weihenstephan. »Sehen Sie, meine Herren, vom Weihenstephan zum -Pilsener, das kann jeder; aber das Umgekehrte, das ist was. Chinesen -werden christlich, gut. Aber wenn ein Christ ein Chinese wird, das ist -doch immer noch eine Sache von Belang.« - -Pusch, als er sich in Berlin niederließ, hatte sich auch bei den -Barbys wieder eingeführt; Melusine entsann sich seiner noch, -und der alte Graf war froh, die zurückliegenden Zeiten wieder -durchsprechen und von Sandrigham und Hatfieldhouse, von Chatsworth -und Prembroke-Lodge plaudern zu können. Eigentlich paßte der etwas -weitgehende Ungeniertheitston, in dem der Doktor seiner Natur wie -seiner Newyorker Schulung nach zu sprechen liebte, nicht sonderlich zu -den Gepflogenheiten des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder ein -gewisser Reiz darin, ein Reiz, der sich noch verdoppelte durch das, was -Pusch aus aller Welt Enden mitzuteilen wußte. Brillanter Korrespondent, -der er war, unterhielt er Beziehungen zu den Ministerien und, was fast -noch schwerer ins Gewicht fiel, auch zu den Gesandtschaften. Er hörte -das Gras wachsen. Auf Titulaturen ließ er sich nicht ein; die vielen -Telegramme hatten einen gewissen allgemeinen Telegrammstil in ihm -gezeitigt, dessen er sich nur entschlug, wenn er ins Ausmalen kam. Es -war im Zusammenhang damit, daß er gegen Worte wie: »Wirklicher Geheimer -Oberregierungsrat« einen förmlichen Haß unterhielt. Herzog von Ujest -oder Herzog von Ratibor waren ihm, trotz ihrer Kürze, immer noch zu -lang, und so warf er denn statt ihrer einfach mit »Hohenlohes« um sich. -In der Tat, er hatte mancherlei Schwächen. Aber diese waren doch auch -wieder von eben so vielen Tugenden begleitet. So beispielsweise sah er -über alles, was sich an Liebesgeschichten ereignete, mit einer beinah -vornehmen Gleichgültigkeit hinweg, was manchem sehr zu paß kam. Ob dies -Drüberhinsehn bloß Geschäftsmaxime war, oder ob er all dergleichen -einfach alltäglich und deshalb mehr oder weniger langweilig fand, -war nicht recht festzustellen; er kultivierte dafür mit Vorliebe das -Finanzielle, vielleicht davon ausgehend, daß, wer die Finanzen hat, -auch selbstverständlich alles andere hat, besonders die Liebe. - -Das war ~Dr.~ Pusch. Er schloß sich, als man aufbrach, einer Gruppe -von Personen an, die den »angerissenen Abend« noch in einem Lokal -verbringen wollten. - -»Ja, wo?« - -»Natürlich Siechen.« - -»Ach, Siechen. Siechen ist für Philister.« - -»Nun denn also, beim ›schweren Wagner‹.« - -»Noch philiströser. Ich bin für Weihenstephan.« - -»Und ich für Pilsener.« - -Man einigte sich schließlich auf ein Lokal in der Friedrichstraße, wo -man beides haben könne. - -Die Herren, die dahin aufbrachen, waren außer Pusch noch der -junge Baron Planta, dann Cujacius und Wrschowitz und abschließend -Premierleutnant von Szilagy, der, wie schon angedeutet, früher bei den -Gardedragonern gestanden, aber wegen einer großen Generalbegeisterung -für die Künste, das Malen und Dichten obenan, schon vor etlichen -Jahren seinen Abschied genommen hatte. Mit seinen Genrebildern war -er nicht recht von der Stelle gekommen, weshalb er sich neuerdings -der Novellistik zugewandt und einen Sammelband unter dem bescheidenen -Titel »~Bellis perennis~« veröffentlicht hatte. Lauter kleine -Liebesgeschichten. - -Alle fünf Herren, mit alleiniger Ausnahme des jungen Graubündner -Barons, erwiesen sich von Anfang an als ziemlich aufgeregt, und -jeder ihnen Zuhörende hätte sofort das Gefühl haben müssen, daß hier -viel Explosionsstoff aufgehäuft sei. Trotzdem ging es zunächst gut; -Wrschowitz hielt sich in Grenzen, und selbst Cujacius, der nicht gern -andern das Wort ließ, freute sich über Puschs Schwadronage, vielleicht -weil er nur das heraushörte, was ihm gerade paßte. - -Leutnant von Szilagy -- man kam vom Hundertsten aufs Tausendste -- -wurde bei den Fragen, die hin und her gingen, von ungefähr auch nach -seinem Novellenbande gefragt und ob er Freude daran gehabt habe. - -»Nein, meine Herren,« sagte Szilagy, »das kann ich leider nicht sagen. -Ich habe ~Bellis perennis~ auf eigne Kosten herstellen lassen und -hundertzehn Rezensionsexemplare verschickt, unter Beilegung eines -Zettels; der ist denn auch von einigen Zeitungen abgedruckt worden, -aber nur von ganz wenigen. Im übrigen schweigt die Kritik.« - -»O, Krittikk« sagte Wrschowitz. »Ich liebe Krittikk. Aber gutte -Krittikk schweigt.« - -»Und doch,« fuhr Szilagy fort, der sich in dem etwas delphischen -Ausspruch des guten Wrschowitz nicht gleich zurechtfinden konnte, »doch -sind diese schmerzlichen Gefühle nichts gegen das, was voraufgegangen. -Ich unterhielt nämlich vor Erscheinen des Buches selbst die Hoffnung -in mir, einige dieser kleinen Arbeiten in einem Parteiblatt und, als -dies mißlang, in einem Familienjournal unterbringen zu können. Aber ich -scheiterte ...« - -»Ja, natürlich scheiterten Sie,« sagte Pusch, »das spricht für Sie. -Lassen Sie sich sagen und raten, denn ich weiß in diesen Dingen -einigermaßen Bescheid. War nämlich drüben, ja ich darf beinah sagen, -ich war doppelt drüben, erst drüben in England und dann drüben in -Amerika. Da versteht man's. Ja, du lieber Himmel, dies bedruckte -Löschpapier! Man lebt davon und es regiert eigentlich die Welt. Aber, -aber ... Und dabei, wenn ich recht gehört habe, sprachen Sie von -Parteiblatt, -- furchtbar. Und dann sprachen Sie von Familienjournal, --- zweimal furchtbar!« - -»Haben Sie selbst Erfahrungen gemacht auf diesem schwierigen Gebiete?« - -»Nein, Herr von Szilagy, so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. Aber -ich treibe mein Wesen über dem Strich, und wenn man so Wand an Wand -wohnt, da weiß man doch einigermaßen, wie's bei dem Nachbar aussieht. -Ach, und außerdem, wie so mancher hat mir sein Herz ausgeschüttet -und mir dabei seine liebe Not geklagt! Wer's nicht leicht nimmt, der -ist verloren. Roman, Erzählung, Kriminalgeschichte. Jeder, der der -großen Masse genügen will, muß ein Loch zurückstecken. Und wenn er das -redlich getan hat, dann immer noch eins. Es gibt eine Normalnovelle. -Etwa so: tiefverschuldeter adeliger Assessor und ›Sommerleutnant‹ -liebt Gouvernante von stupender Tugend, so stupende, daß sie, wenn -geprüft, selbst auf diesem schwierigsten Gebiete bestehen würde. -Plötzlich aber ist ein alter Onkel da, der den halb entgleisten Neffen -an eine reiche Cousine standesgemäß zu verheiraten wünscht. Höhe der -Situation! Drohendster Konflikt. Aber in diesem bedrängten Moment -entsagt die Cousine nicht nur, sondern vermacht ihrer Rivalin auch ihr -Gesamtvermögen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute -noch ... Ja, Herr von Szilagy, wollen Sie damit konkurrieren?« - -Alles stimmte zu; nur Baron Planta meinte: »Doktor Pusch, Pardon, aber -ich glaube beinah, Sie übertreiben. Und Sie wissen es auch.« - -Pusch lachte: »Wenn man etwas der Art sagt, übertreibt man immer. Wer -ängstlich abwägt, sagt gar nichts. Nur die scharfe Zeichnung, die schon -die Karikatur streift, macht eine Wirkung. Glauben Sie, daß Peter von -Amiens den ersten Kreuzzug zusammengetrommelt hätte, wenn er so etwa -beim Erdbeerpflücken einem Freunde mitgeteilt hätte, das Grab Christi -sei vernachlässigt und es müsse für ein Gitter gesorgt werden?!« - -»Serr gutt, serr gutt.« - -»Und so auch, meine Herren, wenn ich von moderner Literatur spreche. -Herr von Szilagy, den wir so glücklich sind unter uns zu sehn, soll -aufgerichtet, seine Seele soll mit neuem Vertrauen erfüllt werden. -Oder aber mit Heiterkeit, was noch besser ist. Er soll wieder lachen -können. Und wenn man solche Wirkung erzielen will, ja, dann muß man -eben deutlich und zugleich etwas phantastisch sprechen. Indessen -auch ernsthaft angesehen, wie steht es denn mit der Herstellung -(ich vermeide mit Vorbedacht das Wort ›Schöpfung‹) oder gar mit dem -Verschleiß der meisten dieser Dinge! Lassen Sie mich in einem Bilde -sprechen. Da haben wir jetzt in unsern Blumenläden allerlei Kränze, -voran den aus Eichenlaub und Lorbeer bestehenden und meist noch behufs -besserer Dauerbarkeit auf eine herzhafte Weidenrute geflochtenen -Urkranz. Und nun treten Sie, je nach der Situation, an die sich Ihnen -mit betrübter oder auch mit lächelnder Miene nähernde Kranzbinderin -heran, um zu Begräbnis oder Trauung Ihre Bestellung zu machen, zu -drei Mark oder zu fünf oder zu zehn. Und genau dieser Bestellung -entsprechend, werden in den vorgeschilderten Urkranz etliche Georginen -oder Teichrosen eingebunden und bei stattgehabter Höchstbewilligung -sogar eine Orchidee von ganz unglaublicher Form und Farbe.« - -»Kenne die Orchidee,« rief Wrschowitz in höchster Ekstase, »lila mit -gelb.« - -Pusch nickte, zugleich in steigendem Übermut fortfahrend: »Und genau -so mit der Urnovelle. Die liegt fertig da wie der Urkranz; nichts -fehlt als der Aufputz, der nunmehr freundschaftlich verabredet -wird. Bei Höchstbewilligung wird ein Verstoß gegen die Sittlichkeit -eingeflochten. Das ist dann die große Orchidee, lila mit gelb, wie -Freund Wrschowitz sehr richtig hervorgehoben hat.« - -»Unter diesen Umständen,« bemerkte hier Baron Planta, »will es mir -als ein wahres Glück erscheinen, daß Herr von Szilagy, wie ich höre, -mehrere Eisen im Feuer hat. Was ihm die Novellistik schuldig bleibt, -muß ihm die Malerei bringen.« - -»Was sie leider bisher nicht tat und mutmaßlich auch nie tun wird,« -lachte Szilagy halb wehmütig, »trotzdem ich vom Genrebild aus, mit -dem ich anfing, eine Schwenkung gemacht und mich unter Anleitung -meines Freundes Salzmann neuerdings der Marinemalerei zugewandt habe. -Mitunter auch Bataillen. Und was die blauen Töne betrifft, so darf ich -vielleicht behaupten, hinter keinem zurückgeblieben zu sein. Habe mich -außerdem in Gudin und William Turner vergafft. Aber trotzdem ...« - -»Aber trotzdem ohne rechten Erfolg,« unterbrach hier Cujacius, -»was mich nicht Wunder nimmt. Was wollen Sie mit Gudin oder gar -mit Turner? Wer das Meer malen will, muß nach Holland gehn und die -alten Niederländer studieren. Und unter den Modernen vor allem die -Skandinaven: die Norweger, die Dänen.« - -Wrschowitz zuckte zusammen. - -»Wir haben da beispielsweise den Melby, Däne ~pur sang~, der sehr gut -und beinah bedeutend ist.« - -»O nein, nein,« platzte jetzt Wrschowitz mit immer mehr erzitternder -Stimme heraus. »Nicht serr gutt, nicht bedeutend, auch nicht einmal -+beinah+ bedeutend.« - -»Der +sehr+ bedeutend ist,« wiederholte Cujacius. »Grade darin -bedeutend, daß er nicht bedeutend sein will. Er erhebt keine falschen -Prätensionen; er ist schlicht, ohne Phantastereien, aber stimmungsvoll; -und wenn ich Bilder von ihm sehe, besonders solche, wo das graublaue -Meer an einer Klippe brandet, so berührt mich das jedesmal spezifisch -skandinavisch, etwa wie der ossianische Meereszauber in den -Kompositionen unsers trefflichen Niels Gade.« - -»Niels Gade? Von Niels Gade spricht man nicht.« - -»Ich spreche von Niels Gade. Seine Kompositionen reichen bis an -Mendelssohn heran.« - -»Was ihn nicht größer macht.« - -»Doch, mein Herr Doktor. Wirkliche Kunstgrößen zu stürzen, dazu reichen -Überheblichkeiten nicht aus.« - -»Was Sie nicht abhielt, mein Herr Professor, den großen Gudin -culbütieren zu wollen.« - -»Über Malerei zu sprechen steht mir zu.« - -»Über Musik zu sprechen steht mir zu.« - -»Sonderbar. Immer Personen aus unkontrollierbaren Grenzbezirken führen -bei uns das große Wort.« - -»Ich bin Tscheche. Weiß aber, daß es ein deutsches Sprichwort gibt: -›Der Deutsche lüggt, wenn er höfflich wird.‹« - -»Weshalb ich unter Umständen darauf verzichte.« - -»~En quoi vous réussissez à merveille.~« - -»Aber, meine Herren,« warf Pusch hier ein, den die ganze Streiterei -natürlich entzückte, »könnten wir nicht das Kriegsbeil begraben? -Proponiere: Begegnung auf halbem Wege; ~shaking hands~. Nehmen Sie -zurück, hüben und drüben.« - -»Nie,« donnerte Cujacius. - -»~Jamais~,« sagte Wrschowitz. - -Und damit erhoben sich alle. Cujacius und Pusch hatten die Tete, -Wrschowitz und Baron Planta folgten in einiger Entfernung. Szilagy war -vorsichtigerweise abgeschwenkt. - -Wrschowitz, immer noch in großer Erregung, mühte sich, dem jungen -Graubündner auseinanderzusetzen, daß Cujacius ganz allgemein den Ruf -eines Krakeelers habe. »~Je vous assure, Monsieur le Baron, il est un -fou et plus que ça -- un blagueur.~« - -Baron Planta schwieg und schien seinen Begleiter im Stich lassen zu -wollen. Aber er bekehrte sich, als er einen Augenblick danach von der -Front her die mit immer steigender Heftigkeit ausgestoßenen Worte -hörte: Kaschube, Wende, Böhmake. - - - - -Fünfunddreißigstes Kapitel - - -Um dieselbe Stunde, wo sich die fünf Herren von der Barbyschen -Hochzeitstafel entfernt hatten, waren auch Baron Berchtesgaden und -Hofprediger Frommel aufgebrochen, so daß sich, außer dem Brautvater, -nur noch der alte Stechlin im Hochzeitshause befand. Dieser hatte -sich -- Melusine war vom Bahnhofe noch nicht wieder da -- vom Eßsaal -her zunächst in das verwaiste Damenzimmer und von diesem aus auf die -Loggia zurückgezogen, um da die Lichter im Strom sich spiegeln zu sehn -und einen Zug frische Luft zu tun. An dieser Stelle fand ihn denn auch -schließlich der alte Graf und sagte, nachdem er seinem Staunen über -den gesundheitlich etwas gewagten Aufenthalt Ausdruck gegeben hatte: -»Nun aber, mein lieber Stechlin, wollen wir endlich einen kleinen -Schwatz haben und uns näher miteinander bekannt machen. Ihr Zug geht -erst zehn ein halb; wir haben also noch beinah anderthalb Stunden.« - -Und dabei nahm er Dubslavs Arm, um ihn in sein Wohnzimmer, das bis -dahin als Estaminet gedient hatte, hinüberzuführen. - -»Erlauben Sie mir,« fuhr er hier fort, »daß ich zunächst mein halb -eingewickeltes und halb eingeschientes Elefantenbein auf einen Stuhl -strecke; es hat mich all die Zeit über ganz gehörig gezwickt, und -namentlich das Stehen vor dem Altar ist mir blutsauer geworden. Bitte, -rücken Sie heran. Es ging während unsers kleinen Diners alles so -rasch, und ich wette, Sie sind bei dem Kaffee ganz erheblich zu kurz -gekommen. Der Moment, wo das Bier herumgereicht wird, ist in den Augen -des modernen Menschen immer das wichtigste; da wird dann der Kaffeezeit -manches abgeknapst.« - -Und dabei drückte er auf den Knopf der Klingel. - -»Jeserich, noch eine Tasse für Herrn von Stechlin und natürlich einen -Kognak oder Curaçao oder lieber die ganze ›Benediktinerabtei‹, -- -Witz von Cujacius, für den Sie mich also nicht verantwortlich machen -dürfen ... Leider werde ich Ihnen bei diesem ›zweiten Kaffee‹ nicht -Gesellschaft leisten können; ich habe mich schon bei Tische mit einer -lügnerisch und bloß anstandshalber in einen Champagnerkübel gestellten -Apollinarisflasche begnügen müssen. Aber was hilft es, man will doch -nicht auffallen mit all seinen Gebresten.« - -Dubslav war der Aufforderung des alten Grafen nachgekommen und saß, -eine Lampe mit grünem Schirm zwischen sich und ihm, seinem Wirte gerade -gegenüber. Jeserich kam mit der Tablette. - -»Den Kognak,« fuhr der alte Barby fort, »kann ich Ihnen empfehlen; -noch Beziehungen aus Zeiten her, wo man mit einem Franzosen ungeniert -sprechen und nach einer guten Firma fragen konnte. Waren Sie siebzig -noch mit dabei?« - -»Ja, so halb. Eigentlich auch das kaum. Aus meinem Regiment war ich -lange heraus. Nur als Johanniter.« - -»Ganz wie ich selber.« - -»Eine wundervolle Zeit, dieser Winter siebzig,« fuhr Dubslav fort, -»auch rein persönlich angesehn. Ich hatte damals das, was mir -zeitlebens, wenn auch nicht absolut, so doch mehr als wünschenswert -gefehlt hatte: Fühlung mit der großen Welt. Es heißt immer, der Adel -gehöre auf seine Scholle, und je mehr er mit der verwachse, desto -besser sei es. Das ist auch richtig. Aber etwas ganz Richtiges gibt es -nicht. Und so muß ich denn sagen, es war doch was Erquickliches, den -alten Wilhelm so jeden Tag vor Augen zu haben. Hab ihn freilich immer -nur flüchtig gesehn, aber auch das war schon eine Herzensfreude. Sie -nennen ihn jetzt den ›Großen‹ und stellen ihn neben Fridericus Rex. -Nun, so einer war er sicherlich nicht, an den reicht er nicht ran. -Aber als Mensch war er ihm über, und das gibt, mein ich, in gewissem -Sinne den Ausschlag, wenn auch zur ›Größe‹ noch was anders gehört. Ja, -der alte Fritz! Man kann ihn nicht hoch genug stellen; nur in einem -Punkte find ich trotzdem, daß wir eine falsche Position ihm gegenüber -einnehmen, gerade wir vom Adel. Er war nicht so sehr für uns, wie wir -immer glauben oder wenigstens nach außen hin versichern. Er war für -sich und für das Land oder, wie er zu sagen liebte, ›für den Staat‹. -Aber daß wir als Stand und Kaste so recht was von ihm gehabt hätten, -das ist eine Einbildung.« - -»Überrascht mich, aus Ihrem Munde zu hören.« - -»Ist aber doch wohl richtig. Wie lag es denn eigentlich? Wir hatten -die Ehre, für König und Vaterland hungern und dursten und sterben -zu dürfen, sind aber nie gefragt worden, ob uns das auch passe. Nur -dann und wann erfuhren wir, daß wir ›Edelleute‹ seien und als solche -mehr ›Ehre‹ hätten. Aber damit war es auch getan. In seiner innersten -Seele rief er uns eigentlich genau dasselbe zu wie den Grenadieren -bei Torgau. Wir waren Rohmaterial und wurden von ihm mit meist sehr -kritischem Auge betrachtet. Alles in allem, lieber Graf, find ich -unser Jahr dreizehn eigentlich um ein Erhebliches größer, weil alles, -was geschah, weniger den Befehlscharakter trug und mehr Freiheit und -Selbstentschließung hatte. Ich bin nicht für die patentierte Freiheit -der Parteiliberalen, aber ich bin doch für ein bestimmtes Maß von -Freiheit überhaupt. Und wenn mich nicht alles täuscht, so wird auch -in unsern Reihen allmählich der Glaube lebendig, daß wir uns dabei -- -besonders auch rein praktisch-egoistisch -- am besten stehn.« - -Der alte Barby freute sich sichtlich dieser Worte. Dubslav aber fuhr -fort: »Übrigens, +das+ muß ich sagen dürfen, lieber Graf, Sie wohnen -hier brillant an Ihrem Kronprinzenufer; ein entzückender Blick, und -Fremde würden vielleicht kaum glauben, daß an unsrer alten Spree so -was Hübsches zu finden sei. Die Niederlassungs- und speziell die -Wohnungsfrage spielt doch, wo sich's um Glück und Behagen handelt, -immer stark mit, und gerade Sie, der Sie so lange draußen waren, -werden, ehe Sie hier dies Visavis von unsrer Jungfernheide wählten, -nicht ohne Bedenken gewesen sein. In bezug auf die Landschaft gewiß und -in bezug auf die Menschen vielleicht.« - -»Sagen wir, auch da gewiß. Ich hatte wirklich solche Bedenken. Aber sie -sind niedergekämpft. Vieles gefiel mir durchaus nicht, als ich, nach -langen, langen Jahren, aus der Fremde wieder nach hier zurückkam, und -vieles gefällt mir auch noch nicht. Überall ein zu langsames Tempo. Wir -haben in jedem Sinne zuviel Sand um uns und in uns, und wo viel Sand -ist, da will nichts recht vorwärts, immer bloß hü und hott. Aber dieser -Sandboden ist doch auch wieder tragfähig, nicht glänzend, aber sicher. -Er muß nur, und vor allem der moralische, die richtige Witterung -haben, also zu rechter Zeit Regen und Sonnenschein. Und ich glaube, -Kaiser Friedrich hätt ihm diese Witterung gebracht.« - -»Ich glaub es nicht,« sagte Dubslav. - -»Meinen Sie, daß es ihm schließlich doch nicht ein rechter Ernst mit -der Sache war?« - -»O nein, nein. Es war ihm Ernst, ganz und gar. Aber es würd ihm zu -schwer gemacht worden sein. Rund heraus, er wäre gescheitert.« - -»Woran?« - -»An seinen Freunden vielleicht, an seinen Feinden gewiß. Und das waren -die Junker. Es heißt immer, das Junkertum sei keine Macht mehr, die -Junker fräßen den Hohenzollern aus der Hand und die Dynastie züchte sie -bloß, um sie für alle Fälle parat zu haben. Und das ist eine Zeitlang -vielleicht auch richtig gewesen. Aber heut ist es nicht mehr richtig, -es ist heute grundfalsch. Das Junkertum (trotzdem es vorgibt, seine -Strohdächer zu flicken, und sie gelegentlich vielleicht auch wirklich -flickt), dies Junkertum -- und ich bin inmitten aller Loyalität und -Devotion doch stolz, dies sagen zu können -- hat in dem Kampf dieser -Jahre kolossal an Macht gewonnen, mehr als irgendeine andre Partei, -die Sozialdemokratie kaum ausgeschlossen, und mitunter ist mir's, als -stiegen die seligen Quitzows wieder aus dem Grabe herauf. Und wenn das -geschieht, wenn unsre Leute sich auf das besinnen, worauf sie sich seit -über vierhundert Jahren nicht mehr besonnen haben, so können wir was -erleben. Es heißt immer: ›unmöglich.‹ Ah bah, was ist unmöglich? Nichts -ist unmöglich. Wer hätte vor dem 18. März den 18. März für möglich -gehalten, für möglich in diesem echten und rechten Philisternest -Berlin! Es kommt eben alles mal an die Reihe; das darf nicht vergessen -werden. Und die Armee! Nun ja. Wer wird etwas gegen die Armee sagen? -Aber jeder glückliche General ist immer eine Gefahr! Und unter -Umständen auch noch andre. Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder an, -unsren Zivil-Wallenstein. Aus dem hätte schließlich doch Gott weiß was -werden können.« - -»Und Sie glauben,« warf der Graf hier ein, »an dieser scharfen -Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich gescheitert?« - -»Ich glaub es.« - -»Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wär es schließlich ein Glück, -daß es nach den neunundneunzig Tagen anders kam und wir nicht vor diese -Frage gestellt wurden.« - -»Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark liberalen Zug hat (ich -kann es nicht loben und mag's nicht tadeln) oft über diese Sache -gesprochen. Er war natürlich für Neuzeit, also für Experimente ... -Nun hat er inzwischen das bessere Teil erwählt, und während wir hier -sprechen, ist er schon über Trebbin hinaus. Sonderbar, ich bin nicht -allzuviel gereist, aber immer, wenn ich an diesem märkischen Neste -vorbeikam, hatt ich das Gefühl: ›jetzt wird es besser, jetzt bist du -frei.‹ Ich kann sagen, ich liebe die ganze Sandbüchse da herum, schon -bloß aus diesem Grunde.« - -Der alte Graf lachte behaglich. »Und Trebbin wird sich von dieser Ihrer -Schwärmerei nichts träumen lassen. Übrigens haben Sie recht. Jeder lebt -zu Hause mehr oder weniger wie in einem Gefängnis und will weg. Und -doch bin ich eigentlich gegen das Reisen überhaupt und speziell gegen -die Hochzeitsreiserei. Wenn ich so Personen in ein Coupé nach Italien -einsteigen sehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieses ›höchste Glück -auf Erden‹ nicht mehr mitmachen zu müssen. Es ist doch eigentlich eine -Qual, und die Welt wird auch wieder davon zurückkommen; über kurz oder -lang wird man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder in einen -Luftballon steigt, bloß von Berufs wegen. Aber nicht um des Vergnügens -willen. Und wozu denn auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. In alten -Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht sich das Wunder und -der Berg kommt zu uns. Das Beste vom Parthenon sieht man in London und -das Beste von Pergamum in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig -mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich -(am Kupfergraben) im Laufe des Vormittags in Mykenä und nachmittags in -Olympia ergehn.« - -»Ganz Ihrer Meinung, teuerster Graf. Aber doch zugleich auch ein wenig -betrübt, Sie so dezidiert gegen alle Reiserei zu finden. Ich stand -nämlich auf dem Punkte, Sie nach Stechlin hin einzuladen, in meine alte -Kate, die meine guten Globsower unentwegt ein ›Schloß‹ nennen.« - -»Ja, lieber Stechlin, Ihre ›Kate‹, das ist was andres. Und um Ihnen -ganz die Wahrheit zu sagen, wenn Sie mich nicht eingeladen hätten -(eigentlich ist es ja noch nicht geschehn, aber ich greife bereits -vor), so hätt ich mich bei Ihnen angemeldet. Das war schon lange mein -Plan.« - -In diesem Augenblicke ging draußen die Klingel. Es war Melusine. - -»Bringe den Vätern, respektive Schwiegervätern allerschönste Grüße. Die -Kinder sind jetzt mutmaßlich schon über Wittenberg, die große Luther- -beziehungsweise Apfelkuchenstation, hinaus, und in weniger als zwei -Stunden fahren sie in den Dresdener Bahnhof ein. O diese Glücklichen! -Und dabei verwett ich mich, Armgard hat bereits Sehnsucht nach Berlin -zurück. Vielleicht sogar nach mir.« - -»Kein Zweifel,« sagte Dubslav. Die Gräfin selbst aber fuhr fort: »Ehe -man nämlich ganz Abschied von dem alten Leben nimmt, sehnt man sich -noch einmal gründlich danach zurück. Freilich, Schwester Armgard wird -weniger davon empfinden als andere. Sie hat eben den liebenswürdigsten -und besten Mann, und ich könnt ihn ihr beinah beneiden, trotzdem ich -noch im Abschiedsmoment einen wahren Schreck kriegte, als ich ihn sagen -hörte, daß er morgen vormittag mit ihr vor die Sixtinische Madonna -treten wolle. Worte, bei denen er noch dazu wie verklärt aussah. Und -das find ich einfach unerhört. Warum, werden Sie mich vielleicht -fragen. Nun denn, weil es erstens eine Beleidigung ist, sich auf eine -Madonna so extrem zu freuen, wenn man eine Braut oder gar eine junge -Frau zur Seite hat, und zweitens, weil dieser geplante Galeriebesuch -einen Mangel an Disposition und Ökonomie bedeutet, der mich für -Woldemars ganze Zukunft besorgt machen kann. Diese Zukunft liegt doch -am Ende nach der agrarischen Seite hin, und richtige ›Dispositionen‹ -bedeuten in der Landwirtschaft so gut wie alles.« - -Der alte Graf wollte widersprechen, aber Melusine ließ es nicht -dazu kommen und fuhr ihrerseits fort: »Jedenfalls -- das ist nicht -wegzudisputieren -- fährt unser Woldemar jetzt in das Land der Madonnen -hinein und will da mutmaßlich mit leidlich frischen Kräften antreten; -wenn er sich aber schon in Deutschland etappenweise vertut, so wird -er, wenn er in Rom ist, wohl sein Programm ändern und im Café Cavour -eine Berliner Zeitung lesen müssen, statt nebenan im Palazzo Borghese -Kunst zu schwelgen. Ich sage mit Vorbedacht: eine +Berliner+ Zeitung, -denn wir werden jetzt Weltstadt und wachsen mit unserer Presse schon -über Charlottenburg hinaus ... Übrigens läßt, wie das junge Paar, so -auch die Baronin bestens grüßen. Eine reizende Frau, Herr von Stechlin, -die grad Ihnen ganz besonders gefallen würde. Glaubt eigentlich gar -nichts und geriert sich dabei streng katholisch. Das klingt widersinnig -und ist doch richtig und reizend zugleich. All die Süddeutschen -sind überhaupt viel netter als wir, und die nettesten, weil die -natürlichsten, sind die Bayern.« - - - - -Sonnenuntergang - - - - -Sechsunddreißigstes Kapitel - - -Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf seinem Granseer Bahnhof -eintraf, fand da Martin und seinen Schlitten bereits vor. Engelke -hatte zum Glück für warme Sachen gesorgt, denn es war inzwischen -recht kalt geworden. Im ersten Augenblicke tat dem Alten, in dessen -Coupé die herkömmliche Stickluft gebrütet hatte, der draußen wehende -Ostwind überaus wohl; sehr bald aber stellte sich ein Frösteln ein. -Schon tags zuvor, bei Beginn seiner Reise, war ihm nicht so recht -zumute gewesen, Kopfweh, Druck auf die Schläfe; jetzt war derselbe -Zustand wieder da. Trotzdem nahm er's leicht damit und sah in das -Sterngeflimmer über ihm. Die wie Riesenbesen aufragenden Pappeln warfen -dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er die nach links und -rechts hin liegenden toten Schneefelder mit den wechselnden Bildern -alles dessen, was ihm der zurückliegende Tag gebracht harte, belebte. -Da sah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel-Marmortreppe -mit dem Oberkellner in Gesandtschaftsattachéhaltung, und im nächsten -Augenblicke den Garnisonkirchenküster, den er anfänglich für einen -zur Feier eingeladenen Konsistorialrat gehalten hatte. Daneben aber -stand die blasse, schöne Braut und die reizende, bieg- und schmiegsame -Melusine. »Ja, der alte Barby, wenn er auf +die+ sieht, der hat's gut, -der kann es aushalten. Immer einen guten und klugen Menschen um sich -haben, immer was hören und sehen, was einen anlacht und erquickt, das -ist was. Aber ich! Ich für meinen Teil, gleichviel ob mit oder ohne -Schuld, ich war immer nur auf ein Pflichtteil gesetzt, -- als Kind, -weil ich faul war, und als Leutnant, weil ich nicht recht was hatte. -Dann kam ein Lichtblick. Aber gleich danach starb sie, die mir Stab und -Stütze hätte sein können, und durch all die dreißig Jahre, die seitdem -kamen und gingen, blieb mir nichts als Engelke (der noch das Beste war) -und meine Schwester Adelheid. Gott, verzeih mir's, aber ein Trost war -die nicht; immer bloß herbe wie'n Holzapfel.« - -Unter solchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf ein und hielt gleich -danach vor der Tür seines alten Hauses. Engelke war schon da, half ihm -und tat sein Bestes, ihn aus der schweren Wolfsschur herauszuwickeln. -Der immer noch Fröstelnde stapfte dabei mit den Füßen, warf seinen -Staatshut -- den er unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal -verwünscht hatte -- mit ersichtlicher Befriedigung beiseite und sagte -gleich danach beim Eintreten in sein Zimmer: »Ach, das is recht, -Engelke. Du hast ein Feuer gemacht; du weißt, was einem alten Menschen -gut tut. Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch heißes -Wasser ist? So'n fester Grog, der sollte mir jetzt passen; ich friere -Stein und Bein.« - -»Heiß Wasser is nicht mehr, gnädiger Herr. Aber ich kann ja ne -Kasseroll aufstellen. Oder noch besser, ich hole den Petroleumkocher.« - -»Nein, nein, Engelke, nicht soviel Umstände. Das mag ich nicht. Und -den Petroleumkocher, den erst recht nich; da kriegt man bloß Kopfweh, -und ich habe schon genug davon. Aber bringe mir den Kognak und kaltes -Wasser. Und wenn man dann so halb und halb nimmt, dann is es so gut, -als wär es ganz heiß gewesen.« - -Engelke brachte, was gefordert, und eine Viertelstunde danach ging -Dubslav zu Bett. - - * * * * * - -Er schlief auch gleich ein. Aber bald war er wieder wach und druste nur -noch so hin. So kam endlich der Morgen heran. - -Als Engelke zu gewohnter Stunde das Frühstück brachte, schleppte sich -Dubslav mühsamlich von seinem Schlafzimmer bis an den Frühstückstisch. -Aber es schmeckte ihm nicht. »Engelke, mir ist schlecht; der Fuß ist -geschwollen, und das mit dem Kognak gestern abend war auch nicht -richtig. Sage Martin, daß er nach Gransee fährt und Doktor Sponholz -mitbringt. Und wenn Sponholz nicht da ist -- der arme Kerl kutschiert -in einem fort rum; ohne Landpraxis geht es nicht --, dann soll er -warten, bis er kommt.« - -Es traf sich so, wie Dubslav vermutet hatte; Sponholz war wirklich auf -Landpraxis und kam erst nachmittags zurück. Er aß einen Bissen und -stieg dann auf den Stechliner Wagen. - -»Na, Martin, was macht denn der gnädge Herr?« - -»Joa, Herr Doktor, ick möt doch seggen, he seiht en beten verännert ut; -em wihr schon nich so recht letzten Sünndag, un doa müßt he joa nu grad -nach Berlin. Un ick weet schon, wenn ihrst een nach Berlin muß, denn -is ook ümmer wat los. Ick weet nich, wat se doa mit'n ollen Minschen -moaken.« - -»Ja, Martin, das ist die große Stadt. Da übernehmen sie sich denn. Und -dann war ja auch Hochzeit. Da werden sie wohl ein bißchen gepichelt -haben. Und vorher die kalte Kirche. Und dazu so viele feine Damen. -Daran ist der gnädge Herr nicht mehr gewöhnt, und dann will er sich -berappeln und strengt sich an, und da hat man denn gleich was weg.« - -Es dämmerte schon, als der kleine Jagdwagen auf der Rampe vorfuhr. -Sponholz stieg aus, und Engelke nahm ihm den grauen Mantel mit -Doppelkragen ab und auch die hohe Lammfellmütze, darin er -- freilich -das einzige an ihm, das diese Wirkung ausübte -- wie ein Perser aussah. - -So trat er denn bei Dubslav ein. Der alte Herr saß an seinem Kamin und -sah in die Flamme. - -»Nun, Herr von Stechlin, da bin ich. War über Land. Es geht jetzt -scharf. Jeder dritte hustet und hat Kopfweh. Natürlich Influenza. Ganz -verdeubelte Krankheit.« - -»Na, +die+ wenigstens hab ich nicht.« - -»Kann man nicht wissen. Ein bißchen fliegt jedem leicht an. Nun, wo -sitzt es?« - -Dubslav wies auf sein rechtes Bein und sagte: »Stark geschwollen. Und -das andre fängt auch an.« - -»Hm. Na, wollen mal sehen. Darf ich bitten?« - -Dubslav zog sein Beinkleid herauf, den Strumpf herunter und sagte: »Da -is die Bescherung. Gicht ist es nicht. Ich habe keine Schmerzen ... -Also was andres.« - -Sponholz tippte mit dem Finger auf dem geschwollenen Fuß herum und -sagte dann: »Nichts von Belang, Herr von Stechlin. Einhalten, Diät, -wenig trinken, auch wenig Wasser. Das verdammte Wasser drückt gleich -nach oben, und dann haben Sie Atemnot. Und von Medizin bloß ein paar -Tropfen. Bitte bleiben Sie sitzen; ich weiß ja Bescheid hier.« Und -dabei ging er an Dubslavs Schreibtisch heran, schnitt sich ein Stück -Papier ab und schrieb ein Rezept. »Ihr Kutscher, das wird das beste -sein, kann bei der Apotheke gleich mit vorfahren.« - -Im Vorflur, nach Verabschiedung von Dubslav, fuhr Sponholz alsbald -wieder in seinen Mantel. Engelke half ihm und sagte dabei: »Na, Herr -Doktor?« - -»Nichts, nichts, Engelke!« - -Martin mit seinem Jagdwagen hielt noch wartend auf der Rampe draußen, -und so ging es denn in rascher Fahrt wieder nach der Stadt zurück, von -wo der alte Kutscher die Tropfen gleich mitbringen sollte. - -Der Winterabend dämmerte schon, als Martin zurück war und die Medizin -an Engelke abgab. Der brachte sie seinem Herrn. - -»Sieh mal,« sagte dieser, als er das rundliche Fläschchen in Händen -hielt, »die Granseer werden jetzt auch fein. Alles in rosa Seidenpapier -gewickelt.« Auf einem angebundenen Zettel aber stand: »Herrn Major -von Stechlin. Dreimal täglich zehn Tropfen.« Dubslav hielt die kleine -Flasche gegen das Licht und tröpfelte die vorgeschriebene Zahl in einen -Löffel voll Wasser. Als er sie genommen hatte, bewegte er die Lippen -hin und her, etwa wie wenn ein Kenner eine neue Weinsorte probt. Dann -nickte er und sagte: »Ja, Engelke, nu geht es los. Fingerhut.« - - * * * * * - -Der alte Dubslav nahm durch mehrere Tage hin seine Tropfen ganz -gewissenhaft und fand auch, daß sich's etwas bessere. Die Geschwulst -ging um ein geringes zurück. Aber die Tropfen nahmen ihm den Appetit, -so daß er noch weniger aß, als ihm gestattet war. - -Es war ein schöner Frühmärzentag, die Mittagszeit schon vorüber. -Dubslav saß an der weit offenstehenden Glastür seines Gartensalons -und las die Zeitung. Es schien indes, daß ihm das, was er las, nicht -sonderlich gefiel. »Ach, Engelke, die Zeitung ist ja soweit ganz gut; -nur so für den ganzen Tag ist sie doch zu wenig. Du könntest mir lieber -ein Buch bringen.« - -»Was für eines?« - -»Is egal.« - -»Da liegt ja noch das kleine gelbe Buch: ›Keine Lupine mehr!‹« - -»Nein, nein; nicht so was. Lupine, davon hab ich schon so viel gelesen; -das wechselt in einem fort, und eins ist so dumm wie das andre. Die -Landwirtschaft kommt doch nicht wieder obenauf oder wenigstens nicht -durch so was. Bringe mir lieber einen Roman; früher in meiner Jugend -sagte man Schmöker. Ja, damals waren alle Wörter viel besser als jetzt. -Weißt du noch, wie ich mir in dem Jahre, wo ich Zivil wurde, den -ersten Schniepel machen ließ? Schniepel is auch solch Wort und doch -wahrhaftig besser als Frack. Schniepel hat so was Fideles: Einsegnung, -Hochzeit, Kindtaufe.« - -»Gott, gnädiger Herr, immer is es doch auch nicht so. Die meisten -Schniepel sind doch, wenn einer begraben wird.« - -»Richtig, Engelke. Wenn einer begraben wird. Das war ein guter Einfall -von dir. Früher würd ich gesagt haben ›zeitgemäß‹; jetzt sagt man -›opportun‹. Hast du schon mal davon gehört?« - -»Ja, gnädiger Herr, gehört hab ich schon mal davon.« - -»Aber nich verstanden. Na, ich eigentlich auch nich. Wenigstens nicht -so recht. Und du, du warst ja nich mal auf Schulen.« - -»Nein, gnädiger Herr.« - -»Alles in allem, sei froh drüber ... Aber, Engelke, wenn du mir nu ein -Buch gebracht hast, dann will ich mich mit meinem Stuhl doch lieber -gleich auf die Veranda rausrücken. Es ist wie Frühling heut. Solche -guten Tage muß man mitnehmen. Und bringe mir auch ne Decke. Früher war -ich nich so fürs Pimplige; jetzt aber heißt es: besser bewahrt als -beklagt.« - - * * * * * - -In dem ganzen Dreieck zwischen Rheinsberg, Kloster Wutz und Gransee -hatte sich die Nachricht von des alten Dubslav ernster Erkrankung -mehr und mehr herumgesprochen, und es war wohl im Zusammenhange -damit, daß ungefähr um dieselbe Stunde, wo Dubslav und Engelke sich -über »Schniepel« und »opportun« unterhielten, ein Einspänner auf die -Stechliner Rampe fuhr, ein etwas sonderbares Gefährt, dem der alte -Baruch Hirschfeld langsam und vorsichtig entstieg. Engelke war ihm -dabei behilflich und meldete gleich danach, daß der Alte da sei. - -»Der alte Baruch! Um Gottes willen, Engelke, was will denn der? Es ist -ja doch glücklicherweise nichts los. Und so ganz aus freien Stücken. -Na, laß ihn kommen.« - -Und Baruch Hirschfeld trat gleich darauf ein. - -Dubslav, in seine Decke gewickelt, begrüßte den Alten. »Aber, Baruch, -um alles in der Welt, was gibt es? Was bringen Sie? Gleichviel -übrigens, ich freue mich, Sie zu sehn. Machen Sie sich's so bequem, -wie's auf den drei Latten eines Gartenstuhls überhaupt möglich ist. Und -dann noch einmal: Was gibt es? Was bringen Sie?« - -»Herr Major wollen entschuldigen, es gibt nichts, und ich bringe auch -nichts. Ich kam da bloß so vorbei, Geschäfte mit Herrn von Gundermann, -und da wollt ich mir doch die Freiheit genommen haben, mal nach der -Gesundheit zu fragen. Habe gehört, der Herr Major seien nicht ganz gut -bei Wege.« - -»Nein, Baruch, nicht ganz gut bei Wege, beinahe schon schlecht genug. -Aber lassen wir das schlimme Neue; das Alte war doch eigentlich besser -(das heißt dann und wann), und manchmal denk ich so an alles zurück, -was wir so gemeinschaftlich miteinander durchgemacht haben.« - -»Und immer glatt, Herr Major, immer glatt, ohne Schwierigkeiten.« - -»Ja,« lachte Dubslav, »+gemacht+ hab ich keine Schwierigkeiten, aber -+gehabt+ hab ich genug. Und das weiß keiner besser als mein Freund -Baruch. Und nun sagen Sie mir vor allem, was macht Ihr Isidor, der -große Volksfreund? Ist er mit Torgelow noch zufrieden? Oder sieht er, -daß sie da auch mit Wasser kochen? Ich wundere mich bloß, daß ein Sohn -von Baruch Hirschfeld, Sohn und Firmateilhaber, so sehr für den Umsturz -ist.« - -»Nicht für den Umsturz, Herr Major. Isidor, wenn ich so sagen darf, ist -für die alte Valuta. Aber nebenher hat er ein Herz für die Menschheit.« - -»Hat er? Na, das ist recht.« - -»Und das Herz für die Menschheit, das haben wir alle, Herr Major. Und -kommt uns dabei was heraus, so haben wir, wenn ich so sagen darf, -die Dividende. Gott der Gerechte, wir brauchen's. Und weil ich rede -von Dividende, will ich auch reden von Hypothek. Wir haben da seit -letzten Freitag 'n Kapital, Granseer Bürger, und will's hergeben zu -dreiundeinhalb.« - -»Nu, Baruch, das ist hübsch. Aber im Augenblick bin ich's nicht -benötigt. Vielleicht später mal mein Woldemar. Der hat, wie Sie wissen, -ne reiche Partie gemacht, und wer viel erheiratet, der braucht auch -viel. Man denkt immer, ›dann hört es auf‹, aber das ist falsch, dann -fängt es erst recht an. Unter allen Umständen seien Sie bedankt, daß -Sie mal haben sehen wollen, wie's mit mir steht. Ich kann leider nur -wiederholen, schlecht genug. Aber eine Weile dauert es wohl noch. -Und wenn auch nicht, mit meinem Sohne wird sich, denk ich, gerade -so wie zwischen uns zwei beiden, alles glatt abwickeln, glatter -noch, und vielleicht können Sie gemeinschaftlich mal was Nettes -herauswirtschaften, was Ordentliches, was Großes, was sich sehen lassen -kann. Das heißt dann neue Zeit. Und nun, Baruch, müssen Sie noch ein -Glas Sherry nehmen. In unserm Alter ist das immer das beste. Das -heißt für Sie, der Sie noch gut im Gange sind. Ich darf bloß noch mit -anstoßen.« - -Eine Viertelstunde später fuhr Baruch auf seinem Wägelchen wieder in -den Stechliner Wald hinein und dachte wenig befriedigt über alles nach, -was er da drinnen gehört hatte. Die geträumten Schloß-Stechlin-Tage -schienen mit einemmale für immer vorüber. Alles, was der alte Herr da -so nebenher von »gemeinschaftlich herauswirtschaften« gesagt hatte, war -doch bloß ein Stich, eine Pike gewesen. - -Ja, Baruch fühlte was wie Verstimmung. Aber Dubslav auch. Es war ihm -zu Sinn, als hätt er seinen alten Granseer Geld- und Geschäftsfreund -(trotzdem er dessen letzte Pläne nicht einmal ahnte) zum erstenmal -auf etwas Heimlichem und Verstecktem ertappt, und als Engelke kam, um -die Sherryflasche wieder wegzuräumen, sagte er: »Engelke, mit Baruch -is es auch nichts. Ich dachte wunder, was das für ein Heiliger wär, -und nun is der Pferdefuß doch schließlich rausgekommen. Wollte mir -da Geld auf Hypothek beinah aufzwingen, als ob ich nicht schon genug -davon hätte ... Sonderbar, Uncke, mit seinem ewigen ›zweideutig‹, wird -am Ende doch recht behalten. Überhaupt solche Polizeimenschen mit nem -Karabiner über die Schulter, das sind, bei Lichte besehn, immer die -feinsten Menschenkenner. Ich ärgere mich, daß ich's nicht eher gemerkt -habe. So dumm zu sein! Aber das mit der ›Krankheit‹ heute, das war mir -doch zuviel. Wenn sich die Menschen erst nach Krankheit erkundigen, -dann ist es immer schlimm. Eigentlich is es jedem gleich, wie's einem -geht. Und ich habe sogar welche gekannt, die sahen sich, wenn sie so -fragten, immer schon die Möbel und Bilder an und dachten an nichts wie -an Auktion.« - - - - -Siebenunddreißigstes Kapitel - - -Auch die nächsten Tage waren beinahe sommerlich, taten dem Alten -wohl und erleichterten ihm das Atmen. Er begann wieder zu hoffen, -sprach mit Wirtschaftsinspektor und Förster und war nicht bloß voll -wiedererwachten Interesses, sondern überhaupt guter Dinge. - -So kam Mitte März heran. Der Himmel war blau, Dubslav saß auf seiner -Veranda, den kleinen Springbrunnen vor sich, und sah dabei das leichte -weiße Gewölk ziehen. Vom Park her vernahm er den ersten Finkenschlag. -Er mochte wohl schon eine Stunde so gesessen haben, als Engelke kam und -den Doktor meldete. - -»Das ist recht, Sponholz, daß Sie kommen. Nicht um mir zu helfen (das -ist immer schlimm, wenn einem erst geholfen werden soll), nein, um zu -sehen, daß Sie mir schon geholfen haben. Diese Tropfen. Es ist doch was -damit. Wenn sie nur nicht so schlecht schmeckten; ich muß mir immer -einen Ruck geben. Und daß sie so grün sind. Grün ist Gift, heißt es bei -den Leuten. Eigentlich eine ganz dumme Vorstellung. Wald und Wiese sind -auch grün und doch so ziemlich unser Bestes.« - -»Ja, es ist ein Spezifikum. Und ich bin froh, daß die Digitalis hier -bei Ihnen mal wieder zeigt, was sie kann. Und ich bin doppelt froh, -weil ich mich auf sechs Wochen von Ihnen verabschieden muß.« - -»Auf sechs Wochen. Aber Doktor, das is ja ne halbe Ewigkeit. Haben Sie -Schulden gemacht und sollen in Prison?« - -»Man könnte beinahe so was denken. Denn so lange Gransee historisch -beglaubigt dasteht, ist noch kein Doktor auf sechs Wochen weg gewesen, -noch dazu ein Kreisphysikus. Eine Doktorexistenz gestattet solchen -Luxus nicht. Wie lebt man denn hier? Und wie hat man gelebt? Immer -Furunkel aufgeschnitten, immer Karbolwatte, immer in den Wagen -gestiegen, immer einem alten Erdenbürger seinen Entlassungsschein -ausgestellt oder einen neuen Erdenbürger geholt. Und nun sechs Wochen -weg. Wie ich meinen Kreis wiederfinden werde ... nu, vielleicht hat -Gott ein Einsehen.« - -»Er ist doch wohl eigentlich der beste Assistenzarzt.« - -»Und vor allem der billigste. Der andre, den ich mir aus Berlin habe -verschreiben müssen (ach, und so viel Schreiberei), der ist teurer. Und -meine Reise kommt mir ohnedies schon teuer genug.« - -»Aber wohin denn, Doktor?« - -»Nach Pfäffers.« - -»Pfäffers. Kenn ich nicht. Und was wollen Sie da? Warum? Wozu?« - -»Meine Frau laboriert an einem Rheumatismus, hochgradig, schon nicht -mehr schön. Und da ist denn Pfäffers der letzte Trumpf. Schweizerbad -mit allen Schikanen und wahrscheinlich auch mit allen Kosten. Ein -Granseer, der allerdings für Geld gezeigt werden kann, war mal an -diesem merkwürdigen Ort und hat mir denn auch ne Beschreibung davon -gemacht. Habe natürlich auch noch im Bädeker nachgeschlagen und unter -anderm einen Fluß da verzeichnet gefunden, der Tamina heißt. Erinnert -ein bißchen an Zauberflöte und klingt soweit ganz gut. Aber trotzdem -eine tolle Geschichte, dies Pfäffers. Soweit es nämlich als Bad in -Betracht kommt, ist es nichts als ein Felsenloch, ein großer Backofen, -in den man hineingeschoben wird. Und da hockt man denn, wie die -Indianer hocken, und die Dämpfe steigen siedeheiß von unten herauf. Wer -da nicht wieder zustande kommt, der kann überhaupt einpacken. Übrigens -will ich für meine Person gleich mit hineinkriechen. Denn das darf -ich wohl sagen, wer so fünfunddreißig Jahre lang durch Kreis Gransee -hin und her kutschiert ist, mitunter bei Ostwind, der hat sich sein -Gliederreißen ehrlich verdient. Sonderbar, daß der Hauptteil davon auf -meine Frau gefallen ist.« - -»Ja, Sponholz, in einer christlichen Ehe ...« - -»Freilich, Herr Major, freilich. Wiewohl das mit ›christlicher Ehe‹ -auch immer bloß so so ist. Da hatten wir, als ich noch Militär war, -einen Kompaniechirurgus, richtige alte Schule, der sagte, wenn er von -so was hörte: ›Ja, christliche Ehe, ganz gut, kenn ich. Is wie Schinken -in Burgunder. Das eine is immer da, aber das andere fehlt.‹« - -»Ja,« sagte Dubslav, »diese richtigen alten Kompaniechirurgusse, die -hab ich auch noch gekannt. Blutige Zyniker, jetzt leider ausgestorben -... Und in solchem Pfäfferschen Backofen wollen Sie sechs Wochen -zubringen?« - -»Nein, Herr von Stechlin, nicht solange. Bloß vier, höchstens vier. -Denn es strengt sehr an. Aber wenn man nu doch mal da ist, ich meine -in der Schweiz und da herum, wo sie stellenweise schon Italienisch -sprechen, da will man doch schließlich auch gern in das gelobte Land -Italia hineinkucken. Und da haben wir denn also, meine Frau und ich, -vor, von diesem Pfäffers aus erst noch durch die Viamala zu fahren, den -Splügen hinauf oder auf irgendeinen andern Paß. Und wenn wir dann einen -Blick in all die Herrlichkeit drüben hinein getan haben, dann kehren -wir wieder um, und ich für meine Person ziehe mir wieder meinen grauen -Mantel an (denn für die Reise hab ich mir einen neuen Paletot bauen -lassen) und kutschiere wieder durch Kreis Gransee.« - -»Na, Sponholz, das freut mich aber wirklich, daß Sie mal rauskommen. -Und bloß wenn Sie durch die Viamala fahren, da müssen Sie sich in acht -nehmen.« - -»Waren Sie denn mal da, Herr Major?« - -»Bewahre. Meine Weltfahrten, mit ganz schwachen Ausnahmen, lagen immer -nur zwischen Berlin und Stechlin. Höchstens mal Dresden und ein bißchen -ins Bayrische. Wenn man so gar nicht mehr weiß, wo man hin soll, fährt -man natürlich nach Dresden. Also Viamala nie gesehen. Aber ein Bild -davon. Im allgemeinen ist Bilderankucken auch nicht gerade mein Fall, -und wenn die Museums von mir leben sollten, dann täten sie mir leid. -Indessen wie so der Zufall spielt, mal sieht man doch so was, und war -da auf dem Viamala-Bilde ne Felsenschlucht mit Figuren von einem sehr -berühmten Malermenschen, der, glaub ich, Böcking oder Böckling hieß.« - -»Ah so. Einer, wenn mir recht ist, heißt Böcklin.« - -»Wohl möglich, daß es der gewesen ist. Ja, sogar sehr wahrscheinlich. -Nun sehen Sie, Doktor, da war denn also auf diesem Bilde diese -Viamala, mit einem kleinen Fluß unten, und über den Fluß weg lief ein -Brückenbogen, und ein Zug von Menschen (es können aber auch Ritter -gewesen sein) kam grade die Straße lang. Und alle wollten über die -Brücke.« - -»Sehr interessant.« - -»Und nun denken Sie sich, was geschieht da? Grade neben dem -Brückenbogen, dicht an der rechten Seite, tut sich mit einem Male der -Felsen auf, etwa wie wenn morgens ein richtiger Spießbürger seine Laden -aufmacht und nachsehen will, wie's Wetter ist. Der aber, der an dieser -Brücke da von ungefähr rauskuckte, hören Sie, Sponholz, das war kein -Spießbürger, sondern ein richtiger Lindwurm oder so was Ähnliches aus -der sogenannten Zeit der Saurier, also so weit zurück, daß selbst der -älteste Adel (die Stechline mit eingeschlossen) nicht dagegen ankann, -und dies Biest, als der herankommende Zug eben den Fluß passieren -wollte, war mit seinem aufgesperrten Rachen bis dicht an die Menschen -und die Brücke heran, und ich kann Ihnen bloß sagen, Sponholz, mir -stand, als ich das sah, der Atem still, weil ich deutlich fühlte, nu -noch einen Augenblick, dann schnappt er zu, und die ganze Bescherung is -weg.« - -»Ja, Herr von Stechlin, da hat man bloß den Trost, daß die Saurier, -soviel ich weiß, seitdem ausgestorben sind. Aber meiner Frau will -ich diese Geschichte doch lieber nicht erzählen; die kriegt nämlich -mitunter Ohnmachten. In Doktorhäusern ist immer was los.« - -Dubslav nickte. - -»Und nur das eine möcht ich Ihnen noch sagen, Herr von Stechlin, -mit der Digitalis immer ruhig so weiter, und wenn der Appetit nicht -wiederkommt, lieber nur zweimal täglich. Und nie mehr als zehn Tropfen. -Und wenn Sie sich unpaß fühlen, mein Stellvertreter ist von allem -unterrichtet. Er wird Ihnen gefallen. Neue Schule, moderner Mensch; -aber doch nicht zuviel davon (so wenigstens hoff ich) und jedenfalls -sehr gescheit. An seinem Namen -- er heißt nämlich Moscheles -- dürfen -Sie nicht Anstoß nehmen. Er ist aus Brünn gebürtig, und da heißen die -meisten so.« - -Der Alte drückte mit allem seine Zustimmung aus, auch mit dem Namen, -trotzdem dieser ihm quälende Erinnerungen weckte. Schon vor etlichen -fünfzig Jahren habe er Musikstücke spielen müssen, die alle auf den -Namen Moscheles liefen. Aber das wolle er dem Insichtstehenden nicht -weiter entgelten lassen. - -Und nach diesen beruhigenden Versicherungen empfahl sich Sponholz und -fuhr zu weiteren Abschiedsbesuchen in die Grafschaft hinein. - - * * * * * - -Am zweitfolgenden Tage brachen die Sponholzschen Eheleute von Gransee -nach Pfäffers hin auf; die Frau, sehr leidend, war schweigsam, er -aber befand sich in einem hochgradigen Reisefieber, was sich, als -sie draußen auf dem Bahnhof angelangt waren, in immer wachsender -Gesprächigkeit äußerte. - -Mehrere Freunde (meist Logenbrüder) hatten ihn bis hinaus begleitet. -Sponholz kam hier sofort vom Hundertsten aufs Tausendste. »Ja, unser -guter Stechlin, mit dem steht es so so ... Baruch hat ihn auch gesehn -und ihn einigermaßen verändert gefunden ... Und Sie, Kirstein, Sie -schreiben mir natürlich, wenn der junge Burmeister eintritt; ich -weiß, er will nicht recht (bloß der Vater will) und soll sogar von -›Hokuspokus‹ gesprochen haben. Aber dergleichen muß man leicht nehmen. -Unwissenheit, Verkennungen, über so was sind wir weg; viel Feind, viel -Ehr ... Nur, es noch einmal zu sagen, der Alte drüben in Stechlin macht -mir Sorge. Man muß aber hoffen; bei Gott kein Ding unmöglich ist. Und -zu Moscheles hab ich Vertrauen; ihn auskultieren zu sehn ist ein wahres -Vergnügen für nen Fachmann.« - -So klang, was Sponholz noch in letzter Minute vom Coupéfenster aus zum -besten gab. Alles, am meisten aber das über den alten Stechlin Gesagte, -wurde weitergetragen und drang bis auf die Dörfer hinaus, so namentlich -auch bis nach Quaden-Hennersdorf zu Superintendent Koseleger, der seit -kurzem mit Ermyntrud einen lebhaften Verkehr unterhielt und, angeregt -durch die mit jedem Tage kirchlicher werdende Prinzessin, einen -energischen Vorstoß gegen den Unglauben und die in der Grafschaft -überhandnehmende Laxheit plante. Koseleger sowohl wie die Prinzessin -wollten zu diesem Zwecke beim alten Dubslav als »nächstem Objekt« -einsetzen und hielten sein Asthma für den geeignetsten Zeitpunkt. In -einem Briefe der Prinzessin an Koseleger hieß es dementsprechend: »Ich -will die gute Gesinnung des alten Herrn in nichts anzweifeln; außerdem -hat er etwas ungemein Affables. Ich bin ihm menschlich durchaus -zugetan. Aber sein Prinzip, das nichts Höheres kennt, als ›leben -und leben lassen‹, hat in unsrer Gegend alle möglichen Irrtümer und -Sonderbarkeiten ins Kraut schießen lassen. Nehmen Sie beispielsweise -diesen Krippenstapel. Und nun den Lorenzen selbst! Katzler, mit dem ich -gestern über unsern Plan sprach, hat mich gebeten, mit Rücksicht auf -die Krankheit des alten Herrn wenigstens vorläufig von allem Abstand zu -nehmen, aber ich hab ihm widersprechen müssen. Krankheit (soviel ist -richtig) macht schroff und eigensinnig, aber in bedrängten Momenten -auch wiederum ebenso gefügig, und es sind wohl auch hier wieder gerade -die Auferlegungen und Bitternisse, daraus ein Segen für den Kranken und -jedenfalls für die Gesamtheit unsres Kreises entspringen wird. Unter -allen Umständen aber muß uns das Bewußtsein trösten, unsre Pflicht -erfüllt zu haben.« - - * * * * * - -Es war eine Woche nach Sponholz' Abreise, daß Ermyntrud diese Zeilen -schrieb, und schon am andern Vormittage fuhr Koseleger, der mit der -Prinzessin im wesentlichen derselben Meinung war, auf die Stechliner -Rampe. Gleich danach trat Engelke bei Dubslav ein und meldete den Herrn -Superintendenten. - -»Superintendent? Koseleger?« - -»Ja, gnädger Herr. Superintendent Koseleger. Er sieht sehr wohl aus, -und ganz blank.« - -»Was es doch für merkwürdige Tage gibt. Heute (du sollst sehn) -ist wieder so einer. Mit Moscheles fing's an. Sage dem Herrn -Superintendenten, ich ließe bitten.« - -»Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von Stechlin.« - -»Zur allerbesten, Herr Superintendent. Eben war der neue Doktor hier. -Und eine Viertelstunde, wenn's mit dem ›~praesente medico~‹ nur ein -ganz klein wenig auf sich hat, muß solche Doktorgegenwart doch wohl -noch nachwirken.« - -»Sicher, sicher. Und dieser Moscheles soll sehr gescheit sein. Die -Wiener und Prager verstehn es; namentlich alles, was nach +der+ Seite -hin liegt.« - -»Ja,« sagte Dubslav, »nach +der+ Seite hin,« und wies auf Brust und -Herz. »Aber, offen gestanden, nach mancher andern Seite hin ist mir -dieser Moscheles nicht sehr sympathisch. Er faßt seinen Stock so -sonderbar an und schlenkert auch so.« - -»Ja, so was muß man unter Umständen mit in den Kauf nehmen. Und dann -heißt es ja auch, der Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen -philosemitischen Zug.« - -»Den hat der Major von Stechlin auch wirklich, weil er -Unchristlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipienreitereien erst -recht nicht. Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall ansehn. -Aber freilich, mancher Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beispiel -der hier mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch Hirschfeld, -den der Herr Superintendent mutmaßlich kennen werden, auch der gefällt -mir nicht mehr so recht. Ich hielt große Stücke von ihm, aber -- -vielleicht daß sein Sohn Isidor schuld ist -- mit einemmal ist der -Pferdefuß rausgekommen.« - -»Ja,« lachte Koseleger, »der kommt immer mal raus. Und nicht bloß bei -Baruch. Ich muß aber sagen, das alles hat mit der Rasse viel, viel -weniger zu schaffen als mit dem jeweiligen Beruf. Da war ich eben bei -der Frau von Gundermann ...« - -»Und da war auch so was?« - -»In gewissem Sinne, ja. Natürlich ein bißchen anders, weil es sich um -etwas Weibliches handelte. ›Stütze der Hausfrau‹. Und da bändelt sich -denn leicht was an. Eben diese ›Stütze der Hausfrau‹ war bis vor kurzem -noch Erzieherin, und mit Erzieherinnen, alten und jungen, hat's immer -einen Haken, wie mit den Lehrern überhaupt. Es liegt im Beruf. Und der -Seminarist steht obenan.« - -»Ich kann mich nicht erinnern,« sagte Dubslav, »in unserer Gegend -irgendwas gröblich Verletzliches erlebt zu haben.« - -»O, ich bin mißverstanden,« beschwichtigte Koseleger und rieb sich -mit einem gewissen Behagen seine wohlgepflegten Hände. »Nichts von -Vergehungen auf erotischem Gebiet, wiewohl es bei den Gundermanns (die -gerad in +diesem+ Punkte viel heimgesucht werden) auch diesmal wieder, -ich möchte sagen diese kleine Nebenform angenommen hatte. Nein, der -große Seminaristenpferdefuß, an den ich bei meiner ersten Bemerkung -dachte, trägt ganz andere Signaturen: Unbotmäßigkeit, Überschätzung und -infolge davon ein eigentümliches Bestreben, sich von den Heilsgütern -loszulösen und die Befriedigung des inneren Menschen in einer falschen -Wissenschaftlichkeit zu suchen.« - -»Ich will das nicht loben; aber auch solche ›falsche -Wissenschaftlichkeit‹ zählt, dächt ich, in unserer alten Grafschaft zu -den allerseltensten Ausnahmen.« - -»Nicht so sehr, als Sie vermuten, Herr Major, und aus Ihrer eigenen -Stechliner Schule sind mir Klagen kirchlich gerichteter Eltern über -solche Dinge zugegangen. Allerdings Altlutheraner aus der Globsower -Gegend. Indessen, so lästig diese Leute zuzeiten sind, so haben sie -doch andrerseits den Ernst des Glaubens und finden, wie sie sich in -einem Skriptum an mich ausgedrückt haben, in der Krippenstapelschen -Lehrmethode diesen Ernst des Glaubens arg vernachlässigt.« - -Dubslav wiegte den Kopf hin und her und hätte trotz allen Respekts -vor dem Vertreter einer kirchlichen Behörde wahrscheinlich ziemlich -scharf und spitz geantwortet, wenn ihm nicht alles, was er da hörte, -gleichzeitig in einem heiteren Licht erschienen wäre. Krippenstapel, -sein Krippenstapel, er, der den alten Fritzen so gut wie den -Katechismus, aber den Katechismus auch reichlich so gut wie den alten -Fritzen kannte, -- Krippenstapel, sein großartiger Bienenvater, -sein korrespondierendes Mitglied märkisch-historischer Vereine, die -Seele seines »Museums«, sein guter Freund, dieser Krippenstapel -sollte den »Ernst des Glaubens« verkannt haben, bei ihm sollte der -Seminaristenhochmut zu gemeingefährlichem Ausbruch gekommen sein. Wohl -entsann er sich, in eigenster Person (was ihn in diesem Augenblick ein -wenig verstimmte) gelegentlich sehr Ähnliches gesagt zu haben. Aber -doch immer nur scherzhaft. Und wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht -mehr dasselbe. Traf dieser Satz je zu, so hier. Er erhob sich also mit -einiger Anstrengung von seinem Platz, ging auf Koseleger zu, schüttelte -ihm die Hand und sagte: »Herr Superintendent, so wie Sie's da sagen, so -kann es nicht sein. Von richtigen Altlutheranern gibt es hier überhaupt -nichts, und am wenigsten in Globsow; die glauben sozusagen gar nichts. -Ich wittere da was von Intrigue. Da stecken andere dahinter. Bei -meinem alten Baruch ist der Pferdefuß rausgekommen, aber bei meinem -alten Krippenstapel ist er +nicht+ rausgekommen und wird auch nicht -rauskommen, weil er überhaupt nicht da ist. Meinen alten Krippenstapel, -den kenn ich.« - -Koseleger, Weltmann, wie er war, lenkte rasch ein, sprach von -Konventiklerbeschränktheit und gab die Möglichkeit einer Intrigue zu. - -»Natürlich wird es einem schwer, in diesem Erdenwinkel an derlei -Dinge zu glauben, denn ›Intrigue‹ zählt ganz eminent zu den höheren -Kulturformen. Intrigue hat hier in unserer alten Grafschaft, glaub ich, -noch keinen Boden. Aber andrerseits ist es doch freilich wahr, daß -heutzutage die Verwerflichkeiten, ja selbst die Verbrechen und Laster, -nicht bloß im Gefolge der Kultur auftreten, sondern umgekehrt ihr -voranschreiten, als beklagenswerte Herolde falscher Gesittung! Bedenken -Sie, was wir neuerdings in unsern Äquatorialprovinzen erlebt haben. -Die Zivilisation ist noch nicht da, und schon haben wir ihre Greuel. -Man erschauert, wenn man davon liest, und freut sich der kleinen und -alltäglichen Verhältnisse, drin der Wille Gottes uns gnädig stellte.« - -Nach diesen Worten, die was von einem guten Abgang hatten, erhob -sich Koseleger, und der Alte, seinerseits seinen Arm in den des -Superintendenten einhakend, »um sich,« wie er sagte, »auf die Kirche -zu stützen,« begleitete seinen Besuch bis wieder auf die Rampe hinaus -und grüßte noch mit der Hand, als der Wagen schon über die Bohlenbrücke -fuhr. Dann wandte er sich rasch an Engelke, der neben ihm stand, und -sagte: - -»Engelke, schade, daß ich mit dir nicht wetten kann. Lust hätt ich. -Heute kommt noch wer, du wirst es sehn. Eine Woche lang läßt sich keine -Katze blicken, aber wenn unser Schicksal erst mal nen Entschluß gefaßt -hat, dann kann es sich auch wieder nicht genug tun. Man gewinnt dreimal -das große Los, oder man stößt sich dreimal den Kopp. Und immer an -derselben Stelle.« - - * * * * * - -Es schlug zwölf, als Dubslav vom Portal her wieder den Flur passierte. -Dabei sah er nach dem Hippenmann hinauf und zählte die Schläge. -»Zwölf,« sagte er, »und um zwölf ist alles aus, und dann fängt der neue -Tag an. Es gibt freilich zwei Zwölfen, und die Zwölf, die da oben jetzt -schlägt, das is die Mittagszwölf. Aber Mittag! ... Wo bist du Sonne -geblieben!« All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter tat, kam er -an seinen Kaminplatz und nahm eine Zeitung in die Hand. Er sah jedoch -kaum drauf hin und beschäftigte sich, während er zu lesen schien, -eigentlich nur mit der Frage, »wer wohl heute noch kommen könne,« -und dabei neben andren Personen aus seiner Umgebung auch an Lorenzen -denkend, kam er zu dem Schlußresultat, daß ihm Lorenzen »mit all -seinem neuen Unsinn« doch am Ende lieber sei als Koseleger mit seinen -Heilsgütern, von denen er wohl zwei-, dreimal gesprochen hatte. »Ja, -die Heilsgüter, die sind ganz gut. Versteht sich. Ich werde mich nicht -so versündigen. Die Kirche kann was, is was, und der alte Luther, nu, -der war schon ganz gewiß was, weil er ehrlich war und für seine Sache -sterben wollte. Nahe dran war er. Eigentlich kommt's doch immer bloß -darauf an, daß einer sagt, ›dafür sterb ich‹. Und es dann aber auch -tut. Für was, is beinah gleich. Daß man überhaupt so was kann, wie sich -opfern, das ist das Große. Kirchlich mag es ja falsch sein, was ich da -so sage; aber was sie jetzt ›sittlich‹ nennen (und manche sagen auch -›schönheitlich‹, aber das is ein zu dolles Wort), also was sie jetzt -sittlich nennen, so bloß auf +das+ hin angesehn, da is das persönliche -Sicheinsetzen und Fürwassterbenkönnen und -wollen doch das Höchste. -Mehr kann der Mensch nich. Aber Koseleger. Der will leben.« - -Und während er noch so vor sich hin seinen Faden spann, war sein gutes, -altes Faktotum eingetreten, an das er denn auch ohne weiteres und bloß -zu eignem Ergötzen die Frage richtete: »Nich wahr, Engelke?« - -Der aber hörte gar nichts mehr, so sehr war er in Verwirrung, und -stotterte nur aus sich heraus: »Ach Gott, gnädger Herr, nu is es doch -so gekommen.« - -»Wie? Was?« - -»Die Frau Gemahlin von unserm Herrn Oberförster ...« - -»Was? Die Prinzessin?« - -»Ja, die Frau Katzler, Durchlaucht.« - -»Alle Wetter, Engelke ... Da haben wir's. Aber ich hab es ja gesagt, -ich wußt es. Wie so'n Tag anfängt, so bleibt er, so geht es weiter ... -Und wie das hier durcheinander liegt, alles wie Kraut und Rüben. Nimm -die Zudecke weg, ach was Zudecke, die reine Pferdedecke; wir müssen -eine andre haben. Und nimm auch die grünen Tropfen weg, daß es nicht -gleich aussieht wie ne Krankenstube ... Die Prinzessin ... Aber rasch, -Engelke, flink ... Ich lasse bitten, ich lasse die Frau Oberförsterin -bitten.« - -Dubslav rückte sich, so gut es ging, zurecht; im übrigen aber hielt -er's in seinem desolaten Zustande doch für besser, in seinem Rollstuhl -zu bleiben, als der Prinzessin entgegenzugehn oder sie durch ein -Sicherheben von seinem Sitz mehr oder weniger feierlich zu begrüßen. -Ermyntrud paßte sich seinen Intentionen denn auch an und gab durch -eine gemessene Handbewegung zu verstehen, daß sie nicht zu stören -wünsche. Gleich danach legte sie den rechten Arm auf die Lehne eines -nebenstehenden Stuhles und sagte: »Ich komme, Herr von Stechlin, -um nach Ihrem Befinden zu fragen; Katzler (sie nannte ihn, unter -geflissentlichster Vermeidung des allerdings plebejen »mein Mann«, -immer nur bei seinem Familiennamen) hat mir von Ihrem Unwohlsein -erzählt und mir Empfehlungen aufgetragen. Ich hoffe, es geht besser.« - -Dubslav dankte für so viel Freundlichkeit und bat, das um ihn her -herrschende Übermaß von Unordnung entschuldigen zu wollen. »Wo die -weibliche Hand fehlt, fehlt alles.« Er fuhr so noch eine Weile fort, in -allerlei Worten und Wendungen, wie sie ihm von alter Zeit her geläufig -waren; eigentlich aber war er wenig bei dem, was er sagte, sondern -hing ausschließlich an dem halb nonnen-, halb heiligenbildartigen -ihrer Erscheinung, das durch einen großen, aus mattweißen Kugeln -bestehenden Halsschmuck samt Elfenbeinkreuz noch gesteigert wurde. -Sie mußte jedem, auch dem Kritischsten, auffallen, und Dubslav, der --- so sehr er dagegen ankämpfte -- ganz unter der Vorstellung ihrer -Prinzessinnenschaft stand, vergaß auf Augenblicke Krankheit und Alter -und fühlte sich nur noch als Ritter seiner Dame. Daß sie stehenblieb, -war ihm im ersten Augenblicke störend, bald aber war es ihm recht, weil -ihm einleuchtete, daß ihr »Bild« erst dadurch zu voller Wirkung kam. -Ermyntrud selbst war sich dessen auch voll bewußt und Frau genug, auf -diese Vorzüge nicht ohne Not zu verzichten. - -»Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als Arzt sehr schätzen -gelernt habe, seine Kranken, während er in Pfäffers ist, einem jungen -Stellvertreter anvertraut hat. Junge Ärzte sind meist klüger als die -alten, aber doch weniger Ärzte. Man bringt außerdem dem Alter mehr -Vertrauen entgegen. Alte Doktoren sind wie Beichtiger, vor denen man -sich gern offenbart. Freilich können sie den geistlichen Zuspruch nicht -voll ersetzen, der in jeder ernstlichen Krankheit doch das eigentlich -Heilsame bleibt. Ärzte selbst -- ich hab einen Teil meiner Jugend in -einem Diakonissenhause verbracht -- Ärzte selbst, wenn sie ihren Beruf -recht verstehn, urteilen in diesem Sinne. Sogenannte Medikamente sind -und bleiben ein armer Notbehelf; alle wahre Hilfe fließt aus dem Wort. -Aber freilich, das richtige Wort wird nicht überall gesprochen.« - -Dubslav sah etwas unruhig um sich her. Es war ganz klar, daß die -Prinzessin gekommen war, seine Seele zu retten. Aber woher kam ihr die -Wissenschaft, daß seine Seele dessen bedürftig sei? Das verlohnte sich -doch in Erfahrung zu bringen, und so bezwang er sich denn und sagte: -»Gewiß, Durchlaucht, das Wort ist die Hauptsache. Das Wort ist das -Wunder; es läßt uns lachen und weinen; es erhebt uns und demütigt uns, -es macht uns krank und macht uns gesund. Ja, es gibt uns erst das wahre -Leben hier und dort. Und dies letzte höchste Wort, das haben wir in der -Bibel. Daher nehm ich's. Und wenn ich manches Wort nicht verstehe, wie -wir die Sterne nicht verstehn, so haben wir dafür die Deuter.« - -»Gewiß. Aber es gibt der Deuter so viele.« - -»Ja,« lachte Dubslav, »und wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber ich -persönlich, ich habe keine Wahl. Denn genau so wie mit dem Körper, so -steht es für mich auch mit der Seele. Man behilft sich mit dem, was -man hat. Nehm ich da zunächst meinen armen, elenden Leib. Da sitzt es -mir hier und steigt und drückt und quält mich und ängstigt mich, und -wenn die Angst groß ist, dann nehm ich die grünen Tropfen. Und wenn es -mich immer mehr quält, dann schick ich nach Gransee hinein, und dann -kommt Sponholz. Das heißt, wenn er gerade da ist. Ja, dieser Sponholz -ist auch ein Wissender und ein ›Deuter‹. Sehr wahrscheinlich, daß es -klügere und bessere gibt; aber in Ermangelung dieser besseren muß er -für mich ausreichen.« - -Ermyntrud nickte freundlich und schien ihre Zustimmung ausdrücken zu -wollen. - -»Und,« fuhr Dubslav fort, »ich muß es wiederholen, genau so wie mit -dem Leib, so auch mit der Seele. Wenn sich meine arme Seele ängstigt, -dann nehm ich mir Trost und Hilfe, so gut ich sie gerade finden kann. -Und dabei denk ich dann, der nächste Trost ist der beste. Den hat man -am schnellsten, und wer schnell gibt, der gibt doppelt. Eigentlich muß -man das lateinisch sagen. Ich rufe mir Sponholz, weil ich ihn, wenn -benötigt, in ziemlicher Nähe habe; den andern aber, den Arzt für die -Seele, den hab ich glücklicherweise noch näher und brauche nicht mal -nach Gransee hinüberzuschicken. Alle Worte, die von Herzen kommen, sind -gute Worte, und wenn sie mir helfen (und sie helfen mir), so frag ich -nicht viel danach, ob es sogenannte ›richtige‹ Worte sind oder nicht.« - -Ermyntrud richtete sich höher auf; ihr bis dahin verbindliches Lächeln -war sichtlich in raschem Hinschwinden. - -»Überdies,« so schloß Dubslav seine Bekenntnisrede, »was sind die -richtigen Worte? Wo sind sie?« - -»Sie haben sie, Herr von Stechlin, wenn Sie sie haben wollen. Und -Sie haben sie nah, wenn auch nicht in Ihrer unmittelbarsten Nähe. -Mich persönlich haben diese Worte während schwerer Tage gestützt und -aufgerichtet. Ich weiß, er hat Feinde, voran im eignen Lager. Und -diese Feinde sprechen von ›schönen Worten‹. Aber soll ich mich einem -Heilswort verschließen, weil es sich in Schönheit kleidet? Soll ich -eine mich segnende Hand zurückweisen, weil es eine weiche Hand ist? -Sie haben Sponholz genannt. Unser Superintendent liegt wohl weit über -diesen hinaus, und wenn es nicht eitel und vermessen wäre, würd ich -eine gnädge Fügung darin zu sehn glauben, daß er an diese sterile Küste -verschlagen werden mußte, gerade mir eine Hilfe zu sein. Aber was er -an mir tat, kann er auch an andern tun. Er hat eben das, was zum Siege -führt; wer die Seele hat, hat auch den Leib.« - -Unter diesen Worten war Ermyntrud von ihrem Stuhl an Dubslav -herangetreten und neigte sich über ihn, um ihm, halb wie segnend, die -Stirn zu küssen. Das Elfenbeinkreuz berührte dabei seine Brust. Sie -ließ es eine Weile da ruhen. Dann aber trat sie wieder zurück, und sich -zweimal unter hoheitsvollem Gruß verneigend, verließ sie das Zimmer. -Engelke, der draußen im Flur stand, eilte vorauf, ihr beim Einsteigen -in den kleinen Katzlerschen Jagdwagen behilflich zu sein. - -Als Dubslav wieder allein war, nahm er das Schüreisen, das grad vor ihm -auf dem Kaminstein lag, und fuhr in die halb niedergebrannten Scheite. -Die Flamme schlug auf und etliche Funken stoben. »Arme Durchlaucht. -Es ist doch nicht gut, wenn Prinzessinnen in Oberförsterhäuser -einziehn. Sie sind dann aus ihrem Fahrwasser heraus und greifen -nach allem möglichen, um in der selbstgeschaffenen Alltäglichkeit -nicht unterzugehn. Einen bessern Trostspender als Koseleger konnte -sie freilich nicht finden; er gab ihr den Trost, dessen sie selber -bedürftig ist. Im übrigen mag sie sich aufrichten lassen, von wem -sie will. Der Alte auf Sanssouci, mit seinem nach der eignen Fasson -selig werden hat's auch darin getroffen. Gewiß. Aber wenn ich euch -eure Fasson lasse, so laßt mir auch die meine. Wollt nicht alles -besser wissen, kommt mir nicht mit Anzettelungen, erst gegen meinen -guten Krippenstapel, der kein Wässerchen trübt, und nun gar gegen -meinen klugen Lorenzen, der euch alle in die Tasche steckt. An ihn -persönlich wagen sie sich nicht ran, und da kommen sie nun zu mir und -wollen mich umstimmen und denken, weil ich krank bin, muß ich auch -schwach sein. Aber da kennen sie den alten Stechlin schlecht, und -er wird nun wohl seinen märkischen Dickkopf aufsetzen. Auch sogar -gegen Ippe-Büchsenstein und die Elfenbeinkugeln, die ja schon der -reine Rosenkranz sind. Und es wird auch noch so was. Eigentlich bin -ich übrigens selber schuld. Ich habe mir durch den prinzeßlichen -Augenaufschlag und die vier Kindergräber im Garten zu sehr imponieren -lassen. Aber es fällt doch allmählich wieder ab, und ein Glück, daß ich -meinen Engelke habe.« - -Vor Erregung war er aus seinem Rollstuhl aufgestanden und drückte auf -den Klingelknopf. »Engelke, geh zu Lorenzen und sag ihm, ich ließ ihn -bitten. Der soll dann aber heut auch der letzte sein ... Denke dir, -Engelke, sie wollen mich bekehren!« - -»Aber, gnädger Herr, das is ja doch das Beste.« - -»Gott, nu fängt der auch noch an.« - - - - -Achtunddreißigstes Kapitel - - -Lorenzen kam nicht; er war nach Rheinsberg, wo die Geistlichen aus -dem östlichen Teil der Grafschaft eine Konferenz hatten. Aber statt -Lorenzen kam Doktor Moscheles und sprach von allem möglichen, erst -ganz kurz von Dubslavs Zustand, den er nicht gut und nicht schlecht -fand, dann von Koseleger, von Katzler, auch von Sponholz (von dem ein -Brief eingetroffen war), am ausführlichsten aber von Rechtsanwalt -Katzenstein und von Torgelow. »Ja, dieser Torgelow,« sagte Moscheles. -»Es war ein Mißgriff, ihn zu wählen. Und wenn es noch nötig gewesen -wäre, wenn die Partei keinen Besseren gehabt hätte! Aber da haben sie -denn doch noch ganz andre Leute.« Dubslav war davon wenig angenehm -berührt, weil er aus der persönlichen Niedrigstellung Torgelows die -Hochstellung der Torgelowschen Partei heraushörte. - -Der Besuch hatte wohl eine halbe Stunde gedauert. Als Moscheles wieder -fort war, sagte Dubslav: »Engelke, wenn er wiederkommt, so sag ihm, -ich sei nicht da. Das wird er natürlich nicht glauben; weiß er doch -am besten, daß ich an mein Zimmer und meinen Rollstuhl gebunden bin. -Aber trotzdem; ich mag ihn nicht. Es war eine Dummheit von Sponholz, -sich grade diesen auszusuchen, solchen Allerneuesten, der nach -Sozialdemokratie schmeckt und dabei seinen Stock so sonderbar anfaßt, -immer grad in der Mitte. Und dazu auch noch nen roten Schlips.« - -»Es sind aber schwarze Käfer drin.« - -»Ja, die sind drin, aber ganz kleine. Das machen sie so, damit es -nicht jeder gleich merkt, wes Geistes Kind so einer ist und wohin -er eigentlich gehört. Aber ich merk es doch, auch wenn er an Kaiser -Wilhelms Geburtstag mit ner papiernen Kornblume kommt. Also du sagst -ihm, ich sei nicht da.« - -Engelke widersprach nicht, hatte jedoch so seine Gedanken dabei. »Der -alte Doktor ist weg, und den neuen will er nicht. Un den aus Wutz -will er auch nich, weil der so viel mit der Domina zusammenhockt. Un -dabei kommt er doch immer mehr runter. Er denkt: ›Es is noch nich so -schlimm.‹ Aber es is schlimm. Is genau so wie mit Bäcker Knaack. Un -Kluckhuhn sagte mir schon vorige Woche: ›Engelke, glaube mir, es wird -nichts; ich weiß Bescheid.‹« - - * * * * * - -Das war am Montag. Am Freitag fuhr Moscheles wieder vor und verfärbte -sich, als Engelke sagte, der gnädge Herr sei nicht da. - -»So, so. Nicht da.« - -Das war doch etwas stark. Moscheles stieg also wieder auf seinen -Wagen und bestärkte sich, während er nach Gransee zurückfuhr, in -seinen durchaus ablehnenden Anschauungen über den derzeitigen -Gesellschaftszustand. »Einer ist wie der andre. Was wir brauchen, is -ein Generalkladderadatsch, Krach, ~tabula rasa~.« Zugleich war er -entschlossen, von einem erneuten Krankenbesuch abzustehen. »Der gnädge -Herr auf, von und zu Stechlin kann mich ja rufen lassen, wenn er mich -braucht. Hoffentlich unterläßt er's.« - -Dieser Wunsch erfüllte sich denn auch. Dubslav ließ ihn nicht rufen, -wiewohl guter Grund dazu gewesen wäre, denn die Beschwerden wuchsen -plötzlich wieder, und wenn sie zeitweilig nachließen, waren die -geschwollenen Füße sofort wieder da. Engelke sah das alles mit Sorge. -Was blieb ihm noch vom Leben, wenn er seinen gnädgen Herrn nicht mehr -hatte? Jeder im Haus mißbilligte des Alten Eigensinn, und Martin, als -er eines Tages vom Stall her in die nebenan gelegene niedrige Stube -trat, wo seine Frau Kartoffeln schälte, sagte zu dieser: »Ick weet -nich, Mutter, worüm he den jungschen Dokter rutgrulen däd. De Jungsche -is doch klöger, as de olle Sponholz is. Doa möt man blot de Globsower -über Sponholzen hüren. ›Joa, oll Sponholz,‹ so seggen se, ›de is joa -so wiet ganz good, awers he seggt man ümmer: Kinnings, krank is he -egentlich nich, he brukt man blot ne Supp mit en beten wat in!‹ Joa, -Sponholz, de kann so wat seggen, de hett wat da to. Awers de Globsower! -Wo salln de ne Supp herkregen mit en beten wat in?« - -So verging Tag um Tag, und Dubslav, dem herzlich schlecht war, sah -nun selber, daß er sich in jedem Punkt übereilt hatte. Moscheles war -doch immerhin ein richtiger Stellvertreter gewesen, und wenn er jetzt -einen andern nahm, so traf das Sponholzen auch mit. Und das mocht er -nicht. In dieser Notlage sann er hin und her, und eines Tages, als er -mal wieder in rechter Bedrängnis und Atemnot war, rief er Engelke und -sagte: »Engelke, mir is schlecht. Aber rede mir nicht von dem Doktor. -Ich mag unrecht haben, aber ich will ihn nicht. Sage, wie steht das -eigentlich mit der Buschen? Die soll ja doch letzten Herbst uns' Kossät -Rohrbeckens Frau wieder auf die Beine gebracht haben.« - -»Ja, die Buschen ...« - -»Na, was meinst du?« - -»Ja, die Buschen, +die+ weiß Bescheid. Versteht sich. Man bloß, daß -sie ne richtige alte Hexe is, und um Walpurgis weiß keiner, wo sie is. -Und die Mächens gehen Sonnabends auch immer hin, wenn's schummert, und -Uncke hat auch schon welche notiert und beim Landrat Anzeige gemacht. -Aber sie streiten alle Stein und Bein; und ein paar haben auch schon -geschworen, sie wüßten von gar nichts.« - -»Kann ich mir denken, und vielleicht war's auch nich so schlimm. -Und dann, Engelke, wenn du meinst, daß sie so gut Bescheid weiß, da -wär's am Ende das beste, du gingst mal hin oder schicktest wen. Denn -deine alten Beine wollen auch nich mehr so recht, und außerdem is -Schlackerwetter. Und wenn du mir auch noch krank wirst, so hab ich ja -keine Katze mehr, die sich um mich kümmert. Woldemar is weit weg. Und -wenn er auch in Berlin wäre, da hat er ja doch seinen Dienst und seine -Schwadron und kann nich den ganzen Tag bei seinem alten Vater sitzen. -Und außerdem, Krankenpflegen ist überhaupt was Schweres; darum haben -die Katholiken auch nen eignen Segen dafür. Ja, die verstehn es. So was -verstehn sie besser als wir.« - -»Nei, gnädger Herr, besser doch wohl nich.« - -»Na, lassen wir's. So was is immer schwer festzustellen, und weil -heutzutage so vieles schwer festzustellen ist, haben sich ja die -Menschen auch das angeschafft, was sie ne ›Enquete‹ nennen. Keiner kann -sich freilich so recht was dabei denken. Ich gewiß nicht. Weißt du, was -es ist?« - -»Nei, gnädger Herr.« - -»Siehst du! Du bist eben ein vernünftiger Mensch, das merkt man gleich, -und hast auch ein Einsehn davon, daß es eigentlich am besten wäre, wenn -ich zu der Buschen schicke. Was die Leute von ihr reden, geht mich -nichts an. Und dann bin ich auch kein Mächen. Und Uncke wird mich ja -wohl nicht aufschreiben.« - -Engelke lächelte: »Na, gnädger Herr, dann werd ich man unten mit unse -Mamsell Pritzbur sprechen; die kann die lütte Marie rausschicken. -Marieken is letzten Michaelis erst eingesegnet, aber sie war auch schon -da.« - - * * * * * - -Noch an demselben Nachmittag erschien die Buschen im Herrenhause. Sie -hatte sich für den Besuch etwas zurecht gemacht und trug ihre besten -Kleider, auch ein neues schwarzes Kopftuch. Aber man konnte nicht -sagen, daß sie dadurch gewonnen hätte. Fast im Gegenteil. Wenn sie so -mit nem Sack über die Schulter oder mit ner Kiepe voll Reisig aus dem -Walde kam, sah man nichts als ein altes, armes Weib; jetzt aber, wo -sie bei dem alten Herrn eintrat und nicht recht wußte, warum man sie -gerufen, sah man ihr die Verschlagenheit an, und daß sie für all und -jedes zu haben sei. - -Sie blieb an der Tür stehen. - -»Na, Buschen, kommt man ran oder stellt Euch da ans Fenster, daß ich -Euch besser sehn kann. Es ist ja schon ganz schummrig.« - -Sie nickte. - -»Ja, mit mir is nich mehr viel los, Buschen. Und nu is auch noch -Sponholz weg. Und den neuen Berlinschen, den mag ich nicht. Ihr sollt -ja Kossät Rohrbeckens Frau damals wieder auf die Beine gebracht haben. -Mit mir is es auch so was. Habt Ihr Courage, mich in die Kur zu nehmen? -Ich zeig Euch nicht an. Wenn einem einer hilft, is das andre alles -gleich. Also nichts davon. Und es soll Euer Schaden nicht sein.« - -»Ick weet joa, jnädger Herr ... Se wihren joa nich. Un denn de Lüd', de -denken ümmer, ick kann hexen un all so wat. Ick kann awer joar nix un -hebb man blot en beten Liebstöckel un Wacholder un Allermannsharnisch. -Un alles blot, wie't sinn muß. Un de Gerichten können mi nix dohn.« - -»Is mir lieb. Und geht mich übrigens auch nichts an. Mit so was komm -ich Euch nich. Kann ›Gerichte‹ selber nich gut leiden. Und nu sagt mir, -Buschen, wollt Ihr den Fuß sehn? Einer is genug. Der andre sieht ebenso -aus. Oder doch beinah.« - -»Nei, jnädger Herr. Loaten's man. Ick weet joa, wi dat is. Ihrst sitt -et hier up de Bost, nu denn sackt et sich, un denn sitt et hier unnen. -Un is all een un dat sülwige. Dat möt allens rut, un wenn et rut is, -denn drückt et nich mihr, un denn künnen Se wedder gapsen.« - -»Gut. Leuchtet mir ein. ›Et muß rut,‹ sagt Ihr. Und das sag ich auch. -Aber womit wollt Ihr's ›rut‹-bringen? Das is die Sache. Welche Mittel, -welche Wege?« - -»Joa, de Mittel hebb ick. Un hebben wi ihrst de Mittel, denn finnen -sich ook de Weg. Ick schick' hüt noch Agnessen mit twee Tüten; Agnes, -dat is Karlinen ehr lütt Deern.« - -»Ich weiß, ich weiß.« - -»Un Agnes, de soll denn unnen in den Küch goahn, to Mamsell Pritzbur, -un de Pritzburn de sall denn den Tee moaken für'n jnädgen Herrn. -Morgens ut de witte Tüt, un abens ut de blue Tüt. Un ümmer man nen -gestrichnen Eßlöffel vull un nich to veel Woater; awers bullern möt -et. Un wenn de Tüten all sinn, denn is et rut. Dat Woater nimmt dat -Woater weg.« - -»Na gut, Buschen. Wir wollen das alles so machen. Und ich bin nicht -bloß ein geduldiger Kranker, ich bin auch ein gehorsamer Kranker. Nun -will ich aber bloß noch wissen, was Ihr mir da in Euern Tüten schicken -wollt, in der weißen und in der blauen. Is doch kein Geheimnis?« - -»Nei, jnädger Herr.« - -»Na also.« - -»In de witte Tüt is Bärlapp un in de blue Tür is, wat de Lüd hier -Katzenpoot nennen.« - -»Versteh, versteh,« lächelte Dubslav, und dann sprach er wie zu -sich selbst: »Nu ja, nu ja, das kann schon helfen. Dazwischen liegt -eigentlich die ganze Weltgeschichte. Mit Bärlapp zum Einstreuen fängt -die süße Gewohnheit des Daseins an und mit Katzenpfötchen hört es auf. -So verläuft es. Katzenpfötchen ... die gelben Blumen, draus sie die -letzten Kränze machen ... Na, wir wollen sehn.« - - * * * * * - -An demselben Abend kam Agnes und brachte die beiden Tüten, und es -geschah, was beinah über alles Erwarten hinaus lag: es wurde wirklich -besser. Die Geschwulst schwand, und Dubslav atmete leichter. »Dat -Woater nimmt dat Woater,« an diesem Hexenspruch -- den er, wenn er mit -Engelke plauderte, gern zitierte -- richteten sich seine Hoffnungen und -seine Lebensgeister wieder auf. Er war auch wieder für Bewegung und -ließ, wenn es das Wetter irgendwie gestattete, seinen Rollstuhl nicht -bloß auf die Veranda hinausschieben, sondern fuhr auch um das Rundell -herum und sah dem kleinen Springbrunnen zu, der wieder sprang. Ja, es -kam ihm vor, als ob er höher spränge. »Findest du nich auch, Engelke? -Vor vier Wochen wollt er nich. Aber es geht jetzt wieder. Alles geht -wieder, und es ist eigentlich dumm, ohne Hoffnung zu leben; wozu hat -man sie denn?« - -Engelke nickte bloß und legte die Zeitungen, die gekommen waren, auf -einen neben dem Frühstückstisch stehenden Gartenstuhl, zuunterst die -»Kreuzzeitung« als Fundament, auf diese dann die »Post« und zuletzt die -Briefe. Die meisten waren offen, Anzeigen und Anpreisungen, nur einer -war geschlossen, ja sogar gesiegelt. Poststempel: Berlin. »Gib mir mal -das Papiermesser, daß ich ihn manierlich aufschneiden kann. Er sieht -nach was aus, und die Handschrift is wie von ner Dame, bloß ein bißchen -zu dicke Grundstriche.« - -»Is am Ende von der Gräfin.« - -»Engelke,« sagte Dubslav, »du wirst mir zu klug. Natürlich is er von -der Gräfin. Hier is ja die Krone.« - -Wirklich, es war ein Brief von Melusine, samt einer Einlage. Melusinens -Zeilen aber lauteten am Schluß: »Und nun bitt ich, Ihnen einen Brief -beilegen zu dürfen, den unsre liebe Baronin Berchtesgaden gestern -aus Rom erhalten hat und zwar von Armgard, deren volles Glück ich -aus diesem Brief und allerhand kleinen, ihrem Charakter eigentlich -fernliegenden Übermütigkeiten erst so recht ersehn habe.« - -Dubslav nickte. Dann nahm er die Einlage und las: - - »Rom, im März. - - Teuerste Baronin! - -An wen könnt ich von hier aus lieber schreiben als an Sie? Vatikan und -Lateran und Grabmal Pio Nonos, und wenn ich Glück habe, bin ich auch -noch mit dabei, wenn am Gründonnerstag der große Segen gespendet wird. -Man muß eben alles mitnehmen. Von Rom zu schwärmen ist geschmacklos und -überflüssig dazu, weil man an die Schwärmerei seiner Vorgänger doch -nie heranreicht. Aber von unserer Reise will ich Ihnen statt dessen -erzählen. Wir nahmen den Weg über den Brenner und waren am selben -Abend noch in Verona. ›Torre di Londra‹. Was mich andern Tags in der -Capuletti- und Montecchi-Stadt am meisten interessierte, war ein großer -Parkgarten, der ›Giardino Giusti‹, mit über zweihundert Zypressen, -alle fünfhundert Jahre alt und viele beinah so hoch wie das Berliner -Schloß. Ich ging mit Woldemar auf und ab, und dabei berechneten wir -uns, ob wohl die schöne Julia hier auch schon auf und ab gegangen sei? -Nur eins störte uns. Zu solcher Prachtavenue von Trauerbäumen gehört -als Abschluß notwendig ein Mausoleum. Das fehlt aber. Im ›Giardino -Guisti‹ trafen wir Hauptmann von Gaza vom ersten Garderegiment, der, -von Neapel kommend, bereits alle Schönheit Italiens gesehen hatte. Wir -fragten ihn, ob Verona, wie einem beständig versichert wird, wirklich -die ›italienischste der italienischen Städte‹ sei? Hauptmann von Gaza -lachte. ›Von Potsdam,‹ so meinte er, ›könne man vielleicht sagen, daß -es die preußischste Stadt sei. Aber Verona die italienischste? Nie und -nimmer.‹ - -Über das vielgefeierte Venedig an dieser Stelle nur das eine. Unser -Hotel lag in Nähe einer mit Barock überladenen Kirche: San Mose. Daß -es einen Sankt Moses gibt, war mir fremd und verwunderlich zugleich. -Aber gleich danach dacht ich an unsere Gendarmentürme und war beruhigt. -Moses geht doch immer noch vor Gendarm. - -Florenz überspring ich und erzähle Ihnen dafür lieber vom -Trasimenischen See, den wir auf unserer Eisenbahnfahrt passierten. -Woldemar, ein ganz klein wenig ›Taschen-Moltke‹, mochte nicht darauf -verzichten, den großen Hannibal auf Herz und Nieren zu prüfen, und so -stiegen wir denn in Nähe des Sees aus, an einer kleinen Station, die, -glaub ich, Borghetto-Tuoro heißt. Es war auch für einen Laien über -Erwarten interessant, und selbst ich, die ich sonst gar reinen Sinn für -derlei Dinge habe, verstand alles, und fand mich leicht in jeglichem -zurecht. Ja, ich hatte das Gefühl, daß ich in diesem hochgelegenen -Engpaß ebenfalls über die Römer gesiegt haben würde. Der See hat viele -Zu- und Abflüsse. Einer dieser Abflüsse (mehr Kanal als Fluß) nennt -sich der ›Emissarius‹, was mich sehr erheiterte. Noch interessanter -aber erschien mir ein anderer Flußlauf, der, weil er am Schlachttage -von Blut sich rötete, der ›Sanguinetto‹ heißt. Das Diminutiv steigert -hier ganz entschieden die Wirkung. Der See ist übrigens sehr groß, -zehn Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erste Napoleon ihn -auspumpen lassen wollte. Da hätte sich dann ein neues Herzogtum gründen -lassen ...« - -»Schau, schau,« sagte der alte Dubslav, »wer der blassen Komtesse das -zugetraut hätte! Ja, reisen und in den Krieg ziehen, da lernt man, da -wird man anders.« - -Und er legte den Brief beiseite. - -Zugleich aber war ein stilles Behagen über ihn gekommen, und er -überdachte, wie manche Freude das Leben doch immer noch habe. Vor ihm, -in den Parkbäumen, schlugen die Vögel, und ein Buchfink kam bis auf -den Tisch und sah ihn an, ganz ohne Scheu. Das tat ihm ungemein wohl. -»Etwas ganz besonders Schönes im Leben ist doch das Vertrauen, und -wenn's auch bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt. Einige -haben eine schwarze Milz und sagen: alles sei von Anfang an auf Mord -und Totschlag gestellt. Ich kann es aber nicht finden.« - -Engelke kam, um abzuräumen. »Is ein schöner Tag heut,« sagte Dubslav, -»und die Krokusse kommen auch schon raus. Eigentlich hab ich nich -geglaubt, daß ich so was Hübsches noch mal sehen würde. Und wenn ich -dann denke, daß ich das alles der Buschen verdanke! Merkwürdige Welt! -Sponholz hatte bloß immer seine grünen Tropfen, und Moscheles hatte -nichts als seinen ewigen Torgelow, und nu kommt die Buschen, und mit -einemmal is es besser. Ja, wirklich merkwürdig. Und nu krieg ich auch -noch, wenn auch bloß leihweise, solchen hübschen Brief von einer -hübschen jungen Frau. Noch dazu Schwiegertochter. Ja, Engelke, so -geht's; nich zu glauben. Und da hättest du vorhin den Buchfinken sehen -sollen, wie mich der ansah. Bloß als du kamst, da flog er weg; er muß -sich vor dir gegrault haben.« - -»Ach, gnädger Herr, vor mir grault sich keine Kreatur.« - -»Will dir's glauben. Und du sollst sehn, heute haben wir nen guten -Tag, und es kommt auch noch wer, an dem man sich freuen kann. Wie mir -schlecht war, da kam Koseleger und die Prinzessin. Aber heute kam ein -Buchfink. Und ich bin ganz sicher, der hat noch ein Gefolge.« - - * * * * * - -Dubslavs Ahnungen behielten recht; und als der Nachmittag da war, kam -Lorenzen, der sich, seitdem der Alte seinen Katzenpfötchentee trank, -nur selten und immer bloß flüchtig hatte sehen lassen. Aber das war -rein zufällig und sollte nicht eine Mißbilligung darüber ausdrücken, -daß sich der Alte bei der Buschen in die Kur gegeben. - -»Nun endlich,« empfing ihn Dubslav, als Lorenzen eintrat. »Wo bleiben -Sie? Da heißt es immer, wir Junker wären kleine Könige. Ja, wer's -glaubt! Alle kleinen Könige haben ein Cortege, das sich in Huldigungen -und Purzelbäumen überschlägt. Aber von solchem Gefolge habe ich noch -nicht viel gesehen. Baruch ist freilich hier gewesen und dann Koseleger -und dann die Prinzessin, aber der, der so halb ~ex officio~ kommen -sollte, der kommt nicht und schickt höchstens mal die Kulicke oder die -Elfriede mit ner Anfrage. Sterben und verderben kann man. Und das heißt -dann Seelsorge.« - -Lorenzen lächelte. »Herr von Stechlin, Ihre Seele macht mir, trotz -dieser meiner Vernachlässigung, keine Sorge, denn sie zählt zu denen, -die jeder Spezialempfehlung entbehren können. Lassen Sie mich sehr -menschlich, ja für einen Pfarrer beinah lästerlich sprechen. Aber ich -muß es. Ich lebe nämlich der Überzeugung, der liebe Gott, wenn es mal -soweit ist, freut sich, Sie wiederzusehen. Ich sage, wenn es soweit -ist. Aber es ist noch nicht soweit.« - -»Ich weiß nicht, Lorenzen, ob Sie recht haben. Jedenfalls aber befind -ich mich in meinem derzeitig erträglichen Zustande nur mit Hilfe -der Buschen, und ob mich das nach obenhin besonders empfehlen kann, -ist mir zweifelhaft. Aber lassen wir die heikle Frage. Erzählen Sie -mir lieber etwas recht Hübsches und Heiteres, auch wenn es nebenher -etwas ganz Altes ist, etwa das, was man früher Miscellen nannte. Das -ist mir immer das liebste gewesen und ist es noch. Was ich da so in -den Zeitungen lese, voran das Politische, das weiß ich schon immer -alles, und was ich von Engelke höre, das weiß ich auch. Beiläufig -- -natürlich nur vom alleregoistischsten Zeitungsleserstandpunkt aus -- -eine wahres Glück, daß es Unglücksfälle gibt, sonst hätte man von der -Zeitungslektüre so gut wie gar nichts. Aber Sie, Sie lesen auch sonst -noch allerlei, mitunter sogar Gutes (freilich nur selten), und haben -ein wundervolles Gedächtnis für Räubergeschichten und Anekdoten aus -allen fünf Weltteilen. Außerdem sind Sie Friederikus-Rex-Mann, was ich -Ihnen eigentlich am höchsten anrechne, denn die Friederikus-Rex-Leute, -die haben alle Herz und Verstand auf dem rechten Fleck. Also suchen Sie -nach irgendwas der Art, nach einer alten Zieten- oder Blücheranekdote, -kann meinetwegen auch Wrangel sein -- ich bin dankbar für alles. Je -schlechter es einem geht, je schöner kommt einem so was kavalleristisch -Frisches und Übermütiges vor. Ich spiele mich persönlich nicht auf -Heldentum aus, Renommieren ist ein elendes Handwerk; aber das darf ich -sagen: ich liebe das Heldische. Und Gott sei Dank kommt dergleichen -immer noch vor.« - -»Gewiß kommt so was immer noch vor. Aber, Herr von Stechlin, all dies -Heldische ...« - -»Nun aber, Lorenzen, Sie werden doch nicht gegen das Heldische -sein? Soweit sind Sie doch noch nicht! Und wenn es wäre, da würd ich -ernstlich böse.« - -»Das läßt Ihre Güte nicht zu.« - -»Sie wollen mich einfangen. Aber diesmal glückt es nicht. Was haben Sie -gegen das Heldische?« - -»Nichts, Herr von Stechlin, gar nichts. Im Gegenteil. Heldentum ist -gut und groß. Und unter Umständen ist es das Allergrößte. Lasse mir -also den Heroenkultus durchaus gefallen, das heißt, den echten und -rechten. Aber was Sie da von mir hören wollen, das ist, Verzeihung für -das Wort, ein Heldentum zweiter Güte. +Mein+ Heldentum -- soll heißen, -was ich für Heldentum halte -- das ist nicht auf dem Schlachtfelde -zu Hause, das hat keine Zeugen oder doch immer nur solche, die mit -zugrunde gehn. Alles vollzieht sich stumm, einsam, weltabgewandt. -Wenigstens als Regel. Aber freilich, +wenn+ die Welt dann ausnahmsweise -davon hört, dann horch ich mit auf, und mit gespitzterem Ohr, wie ein -Kavalleriepferd, das die Trompete hört.« - -»Gut. Meinetwegen. Aber Beispiele.« - -»Kann ich geben. Da sind zunächst die fanatischen Erfinder, die -nicht ablassen von ihrem Ziel, unbekümmert darum, ob ein Blitz sie -niederschlägt oder eine Explosion sie in die Luft schleudert; da sind -des weiteren die großen Kletterer und Steiger, sei's in die Höh, sei's -in die Tiefe, da sind zum dritten die, die den Meeresgrund absuchen -wie ne Wiese, und da sind endlich die Weltteildurchquerer und die -Nordpolfahrer.« - -»Ach, der ewige Nansen. Nansen, der, weil er die diesseits verlorene -Hose jenseits in Grönland wiederfand, auf den Gedanken kam: ›Was die -Hose kann, kann ich auch.‹ Und daraufhin fuhr er über den Pol. Oder -wollte wenigstens.« - -Lorenzen nickte. - -»Nun ja, das war klug gedacht. Und daß dieser Nansen sich an die Sache -ranmachte, das respektier ich, auch wenn schließlich nichts draus -wurde. Bleibt immer noch ein Bravourstück. Gewiß, da sitzt nu so wer im -Eise, sieht nichts, hört nichts, und wenn wer kommt, ist es höchstens -ein Eisbär. Indessen, er freut sich doch, weil es wenigstens was -Lebendiges ist. Ich darf sagen, ich hab einen Sinn für dergleichen. -Aber trotzdem, Lorenzen, die Garde bei St. Privat ist doch mehr.« - -»Ich weiß nicht, Herr von Stechlin. Echtes Heldentum, oder um's noch -einmal einzuschränken, ein solches, das mich persönlich hinreißen -soll, steht immer im Dienst einer Eigenidee, eines allereigensten -Entschlusses. Auch dann noch (ja mitunter dann erst recht), wenn dieser -Entschluß schon das Verbrechen streift. Oder, was fast noch schlimmer, -das Häßliche. Kennen Sie den Cooperschen ›Spy‹? Da haben Sie den Spion -als Helden. Mit andern Worten, ein Niedrigstes als Höchstes. Die -Gesinnung entscheidet. Das steht mir fest. Aber es gibt der Beispiele -noch andere, noch bessere!« - -»Da bin ich neugierig,« sagte Dubslav. »Also wenn's sein kann: Name.« - -»Name: Greeley, Leutnant Greeley; Yankee ~pur sang~. Und im übrigen -auch einer aus der Nordpolfahrergruppe.« - -»Will also sagen: Nansen der Zweite.« - -»Nein, nicht der Zweite. Was er tat, war viele Jahre vor Nansen.« - -»Und er kam höher hinauf? Weiter nach dem Pol zu? Oder waren seine -Eisbär-Rencontres von noch ernsthafterer Natur?« - -»All das würde mir nicht viel besagen. Das herkömmlich Heldische fehlt -in seiner Geschichte völlig. Was an seine Stelle tritt, ist ein ganz -andres. Aber dies andre, +das+ gerade macht es.« - -»Und das war?« - -»Nun denn, -- ich erzähle nach dem Gedächtnis und im Einzelnen und -Nebensächlichen irr ich vielleicht ... Aber in der Hauptsache stimmt -es ... Also zuletzt, nach langer Irrfahrt, waren's noch ihrer fünf: -Greeley selbst und vier seiner Leute. Das Schiff hatten sie verlassen, -und so zogen sie hin über Eis und Schnee. Sie wußten den Weg, soweit -sich da von Weg sprechen läßt, und die Sorge war nur, ob das bißchen -Proviant, das sie mit sich führten, Schiffszwieback und gesalzenes -Fleisch, bis an die nächste menschenbewohnte Stelle reichen würde. -Jedem war ein höchstes und doch zugleich auch wieder geringstes Maß -als tägliche Provision zubewilligt, und wenn man dies Maß einhielt -und kein Zwischenfall kam, so mußt es reichen. Und einer, der noch am -meisten bei Kräften war, schleppte den gesamten Proviant. Das ging so -durch Tage. Da nahm Leutnant Greeley wahr, daß der Proviant schneller -hinschmolz als berechnet, und nahm auch wahr, daß der Proviantträger -selbst, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, von den Rationen nahm. -Das war eine schreckliche Wahrnehmung. Denn ging es so fort, so waren -sie samt und sonders verloren. Da nahm Greeley die drei andern beiseit -und beriet mit ihnen. Eine Möglichkeit gewöhnlicher Bestrafung gab es -nicht, und auf einen Kampf sich einzulassen ging auch nicht. Sie hatten -dazu die Kräfte nicht mehr. Und so hieß es denn zuletzt, und es war -Greeley, der es sagte: ›Wir müssen ihn hinterrücks erschießen.‹ Und -als sie bald nach dieser Kriegsgerichtsszene wieder aufbrachen, der -heimlich Verurteilte vorn an der Tete, trat Greeley von hintenher an -ihn heran und schoß ihn nieder. Und die Tat war nicht umsonst getan; -ihre Rationen reichten aus, und an dem Tage, wo sie den letzten Bissen -verzehrten, kamen sie bis an eine Station.« - -»Und was wurde weiter?« - -»Ich weiß nicht mehr, ob Greeley selbst bei seiner Rückkehr nach -Newyork als Ankläger gegen sich auftrat; aber das weiß ich, daß es zu -einer großen Verhandlung kam.« - -»Und in dieser ...« - -»... In dieser wurd er freigesprochen und im Triumph nach Hause -getragen.« - -»Und Sie sind einverstanden damit?« - -»Mehr; ich bin voll Bewunderung. Greeley, statt zu tun, was er tat, -hätte zu den Gefährten sagen können: ›Unser Exempel wird falsch, und -wir gehen an des einen Schuld zugrunde; töten mag ich ihn nicht, -- -sterben wir also alle.‹ Für seine Person hätt er so sprechen und -handeln können. Aber es handelte sich nicht bloß um ihn; er hatte -die Führer- und die Befehlshaberrolle, zugleich die Richterpflicht, -und hatte die Majorität von drei gegen eine Minorität von einem zu -schützen. Was dieser eine getan, an und für sich ein Nichts, war unter -den Umständen, unter denen es geschah, ein fluchwürdiges Verbrechen. -Und so nahm er denn gegen die geschehene schwere Tat die schwere -Gegentat auf sich. In solchem Augenblicke richtig fühlen und in der -Überzeugung des Richtigen fest und unbeirrt ein furchtbares Etwas tun, -ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhange gerissen, allem göttlichen -Gebot, allem Gesetz und aller Ehre widerspricht, +das+ imponiert mir -ganz ungeheuer und ist in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut. -Schmach und Schimpf, oder doch der Vorwurf des Schimpflichen, haben -sich von jeher an alles Höchste geknüpft. Der Bataillonsmut, der Mut in -der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein Herdenmut.« - -Dubslav sah vor sich hin. Er war augenscheinlich in einem -Schwankezustand. Dann aber nahm er die Hand Lorenzens und sagte: »Sie -sollen recht haben.« - - - - -Neununddreißigstes Kapitel - - -Dubslav hatte nach Lorenzens Besuch eine gute Nacht. »Wenn man -mal so was andres hört, wird einem gleich besser.« Aber auch der -Katzenpfötchentee fuhr fort, seine Wirkung zu tun, und was dem Kranken -am meisten half, war, daß er die grünen Tropfen fortließ. - -»Hör, Engelke, am Ende wird es noch mal was. Wie gefallen dir meine -Beine? Wenn ich drücke, keine Kute mehr.« - -»Gewiß, gnädger Herr, es wird nu wieder, un das macht alles der Tee. -Ja, die Buschen versteht es, das hab ich immer gesagt. Und gestern -abend, als Lorenzen hier war, war auch lütt Agnes hier un hat unten in -der Küche gefragt, wie's denn eigentlich mit dem gnädigen Herrn stünn? -Und die Mamsell hat ihr gesagt, ›es stünde gut‹.« - -»Na, das is recht, daß die Alte, wie 'n richtiger Doktor, sich um einen -kümmert und von allem wissen will. Und daß sie nicht selber kommt, ist -noch besser. So'n bißchen schlecht Gewissen hat sie doch woll. Ich -glaube, daß sie viel auf'm Kerbholz hat, und daß die Karline so is, -wie sie is, daran is doch auch bloß die Alte schuld. Und das Kind wird -vielleicht auch noch so; sie dreht sich schon wie ne Puppe, und dazu -das lange, blonde Zoddelhaar. Ich muß dabei immer an Bellchen denken, --- weißt du noch, als die gnädge Frau noch lebte. Bellchen hatte auch -solche Haare. Und war auch der Liebling. Solche sind immer Liebling. -Krippenstapel, hör ich, soll sie auch in der Schule verwöhnen. Wenn -die andern ihn noch anglotzen, dann schießt sie schon los. Es ist ein -kluges Ding.« - -Engelke bestätigte, was Dubslav sagte, und ging dann nach unten, um dem -gnädgen Herrn sein zweites Frühstück zu holen: ein weiches Ei und eine -Tasse Fleischbrühe. Als er aber aus dem Gartenzimmer auf den großen -Hausflur hinaustrat, sah er, daß ein Wagen vorgefahren war, und statt -in die Küche zu gehen, ging er doch lieber gleich zu seinem Herrn -zurück, um mit verlegenem Gesicht zu melden, daß das gnädge Fräulein da -sei. - -»Wie? Meine Schwester?« - -»Ja, das gnädge Frölen.« - -»I, da soll doch gleich ne alte Wand wackeln,« sagte Dubslav, der einen -ehrlichen Schreck gekriegt hatte, weil er sicher war, daß es jetzt mit -Ruh und Frieden auf Tage, vielleicht auf Wochen, vorbei sei. Denn -Adelheid mit ihren sechsundsiebzig setzte sich nicht gern auf eine -Kleinigkeit hin in Bewegung, und wenn sie die beinahe vier Meilen von -Kloster Wutz her herüberkam, so war das kein Nachmittagsbesuch, sondern -Einquartierung. Er fühlte, daß sich sein ganzer Zustand mit einem Male -wieder verschlechterte und daß eine halbe Atemnot im Nu wieder da war. - -Er hatte aber nicht lange Zeit, sich damit zu beschäftigen, denn -Engelke öffnete bereits die Tür, und Adelheid kam auf ihn zu. »Tag, -Dubslav. Ich muß doch mal sehn. Unser Rentmeister Fix ist vorgestern -hier in Stechlin gewesen und hat dabei von deinem letzten Unwohlsein -gehört. Und daher weiß ich es. Eh du persönlich deine Schwester so was -wissen läßt oder einen Boten schickst ...« - -»Da muß ich schon tot sein,« ergänzte der alte Stechlin und lachte. -»Nun, laß es gut sein, Adelheid, mach dir's bequem und rücke den Stuhl -da heran.« - -»Den Stuhl da? Aber, Dubslav, was du dir nur denkst! Das ist ja ein -Großvaterstuhl oder doch beinah.« Und dabei nahm sie statt dessen einen -kleinen, leichten Rohrsessel und ließ sich drauf nieder. »Ich komme -doch nicht zu dir, um mich hier in einen großen Polsterstuhl mit Backen -zu setzen. Ich will meinen lieben Kranken pflegen, aber ich will nicht -selber eine Kranke sein. Wenn es so mit mir stünde, wär ich zu Hause -geblieben. Du rechnest immer, daß ich zehn Jahre älter bin als du. Nun, -ja, ich bin zehn Jahre älter. Aber was sind die Jahre? Die Wutzer Luft -ist gesund, und wenn ich die Grabsteine bei uns lese, unter achtzig ist -da beinah keine von uns abgegangen. Du wirst erst siebenundsechzig. -Aber ich glaube, du hast dein Leben nicht richtig angelegt, ich meine -deine Jugend, als du noch in Brandenburg warst. Und von Brandenburg -immer rüber nach Berlin. Na, das kennt man. Ich habe neulich was -Statistisches gelesen.« - -»Damen dürfen nie Statistisches lesen,« sagte Dubslav, »es ist entweder -zu langweilig oder zu interessant, -- und das ist dann noch schlimmer. -Aber nun klingle (verzeih, mir wird das Aufstehn so schwer), daß uns -Engelke das Frühstück bringt; du kommst ~à la fortune du pot~ und mußt -fürlieb nehmen. Mein Trost ist, daß du drei Stunden unterwegs gewesen, -Hunger ist der beste Koch.« - -Beim Frühstück, das bald danach aufgetragen wurde -- die Jahreszeit -gestattete, daß auch eine Schale mit Kiebitzeiern aufgesetzt werden -konnte -- verbesserte sich die Stimmung ein wenig; Dubslav ergab sich -in sein Schicksal, und Adelheid wurde weniger herbe. - -»Wo hast du nur die Kiebitzeier her?« sagte sie. »Das ist was Neues. -Als ich noch hier lebte, hatten wir keine.« - -»Ja, die Kiebitze haben sich seit kurzem hier eingefunden, an unserm -Stechlin, da, wo die Binsen stehn; aber bloß auf der Globsower Seite. -Nach der andern Seite hin wollen sie nicht. Ich habe mir gedacht, -es sei vielleicht ein Fingerzeig, daß ich nun auch welche nach -Friedrichsruh schicken soll. Aber das geht nicht; dann gelt ich am -Ende gleich für eingeschworen, und Uncke notiert mich. Wer dreimal -Kiebitzeier schickt, kommt ins schwarze Buch. Und das kann ich schon -Woldemars wegen nicht.« - -»Is auch recht gut so. Was zuviel ist, ist zuviel. Er soll sich ja -mit der Lucca zusammen haben photographieren lassen. Und während -sie da oben in der Regierung und mitunter auch bei Hofe so was tun, -fordern sie Tugend und Sitte. Das geht nicht. Bei sich selber muß man -anfangen. Und dann ist er doch auch schließlich bloß ein Mensch, und -alle Menschenanbetung ist Götzendienst. Menschenanbetung ist noch -schlimmer als das goldene Kalb. Aber ich weiß wohl, Götzendienst kommt -jetzt wieder auf, und Hexendienst auch, und du sollst ja auch -- so -wenigstens hat mir Fix erzählt -- nach der Buschen geschickt haben.« - -»Ja, es ging mir schlecht.« - -»Gerade, wenn's einem schlecht geht, dann soll man Gott und Jesum -Christum erkennen lernen, aber nicht die Buschen. Und sie soll dir -Katzenpfötchentee gebracht haben und soll auch gesagt haben: ›Wasser -treibt das Wasser.‹ Das mußt du doch heraushören, daß das ein -unchristlicher Spruch ist. Das ist, was sie ›besprechen‹ nennen oder -auch ›böten‹. Und wo das alles herstammt, ... Dubslav, Dubslav, ... -Warum bist du nicht bei den grünen Tropfen geblieben und bei Sponholz? -Seine Frau war eine Pfarrerstochter aus Kuhdorf.« - -»Hat ihr auch nichts geholfen. Und nu sitzt sie mit ihm in Pfäffers, -einem Schweizerbadeort, und da schmoren sie gemeinschaftlich in einem -Backofen. Er hat es mir selbst erzählt, daß es ein Backofen is.« - - * * * * * - -Der erste Tag war immerhin ganz leidlich verlaufen. Adelheid erzählte -von Fix, von der Schmargendorf und der Schimonski und zuletzt auch -von Maurermeister Lebenius in Berlin, der in Wutz eine Ferienkolonie -gründen wolle. »Gott, wir kriegen dann so viel armes Volk in unsern -Ort und noch dazu lauter Berliner Bälge mit Plieraugen. Aber die -grünen Wiesen sollen ja gut dafür sein und unser See soll Jod haben, -freilich wenig, aber doch so, daß man's noch gerade finden kann.« -Adelheid sprach in einem fort, derart, daß Dubslav kaum zu Wort kommen -konnte. Gelang es ihm aber, so fuhr sie rasch dazwischen, trotzdem -sie beständig versicherte, daß sie gekommen sei, ihn zu pflegen, und -nur, wenn er auf Woldemar das Gespräch brachte, hörte sie mit einiger -Aufmerksamkeit zu. Freilich, die italienischen Reisemitteilungen als -solche waren ihr langweilig, und nur bei Nennung bestimmter Namen, -unter denen »Tintoretto« und »Santa Maria Novella« obenan standen, -erheiterte sie sich sichtlich. Ja, sie kicherte dabei fast so vergnügt -wie die Schmargendorf. Ein wirkliches, nicht ganz flüchtiges Interesse -(wenn auch freilich kein freundliches) zeigte sie nur, wenn Dubslav von -der jungen Frau sprach und hinzusetzte: »Sie hat so was Unberührtes.« - -»Nu ja, nu ja. Das liegt aber doch zurück.« - -»Wer keusch ist, bleibt keusch.« - -»Meinst du das ernsthaft?« - -»Natürlich mein ich es ernsthaft. Über solche Dinge spaß ich überhaupt -nicht.« - -Und nun lachte Adelheid herzlich und sagte: »Dubslav, was hast du nur -wieder für Bücher gelesen? Denn aus dir selbst kannst du doch so was -nicht haben. Und von deinem Pastor Lorenzen auch nicht. Der wird ja -wohl nächstens ne ›freie Gemeinde‹ gründen.« - -So war der erste Tag dahingegangen. Alles in allem, trotz kleiner -Ärgerlichkeiten, unterhaltlich genug für den Alten, der, unter seiner -Einsamkeit leidend, meist froh war, irgendeinen Plauderer zu finden, -auch wenn dieser im übrigen nicht gerade der richtige war. Aber -das alles dauerte nicht lange. Die Schwester wurde von Tag zu Tag -rechthaberischer und herrischer und griff unter der Vorgabe, »daß ihr -Bruder anders verpflegt werden müsse«, in alles ein, auch in Dinge, -die mit der Verpflegung gar nichts zu tun hatten. Vor allem wollte sie -ihm den Katzenpfötchentee wegdisputieren, und wenn abends die kleine -Meißener Kanne kam, gab es jedesmal einen erregten Disput über die -Buschen und ihre Hexenkünste. - -So waren denn noch keine acht Tage um, als es für Dubslav feststand, -daß Adelheid wieder fort müsse. Zugleich sann er nach, wie das wohl am -besten zu machen sei. Das war aber keine ganz leichte Sache, da die -»Kündigung« notwendig von ihr ausgehen mußte. So wenig er sich aus -ihr machte, so war er doch zu sehr Mann der Form und einer feineren -Gastlichkeit, als daß er's zuwege gebracht hätte, seinerseits auf -Abreise zu dringen. - -Es war um die vierte Stunde, das Wetter schön, aber auch frisch. -Adelheid hing sich ihren Pelzkragen um, ein altes Familienerbstück, und -ging zu Krippenstapel, um sich seine Bienenstöcke zeigen zu lassen. Sie -hoffte bei der Gelegenheit auch was über den Pastor zu hören, weil sie -davon ausging, daß ein Lehrer immer über den Prediger und der Prediger -immer über den Lehrer zu klagen hat. Jedes Landfräulein denkt so. Die -Bienen nahm sie so mit in den Kauf. - -Es begann zu dunkeln, und als die Domina schließlich aus dem -Herrenhause fort war, war das eine freie Stunde für Dubslav, der nun -nicht länger säumen mochte, seine Mine zu legen. - -»Engelke,« sagte er, »du könntest in die Küche gehn und die Marie zur -Buschen schicken. Die Marie weiß ja Bescheid da. Und da kann sie denn -der alten Hexe sagen, lütt Agnes solle heute abend mit heraufkommen und -hier schlafen und immer da sein, wenn ich was brauche.« - -Engelke stand verlegen da. - -»Nu, was hast du? Bist du dagegen?« - -»Nein, gnädger Herr, dagegen bin ich wohl eigentlich nich. Aber ich -schlafe doch auch nebenan, und dann is es ja, wie wenn ich für gar -nichts mehr da wär und fast so gut wie schon abgesetzt. Und das Kind -kann doch auch nich all das, was nötig is; Agnes is ja doch noch ne -lütte Krabb.« - -»Ja, das is sie. Und du sollst auch in der andern Stube bleiben und -alles tun wie vorher. Aber trotzdem, die Agnes soll kommen. Ich brauche -das Kind. Und du wirst auch bald sehn, warum.« - -Und so kam denn auch Agnes, aber erst sehr spät, als sich Adelheid -schon zurückgezogen hatte, dabei nicht ahnend, welche Ränke -mittlerweile gegen sie gesponnen waren. Auf diese Verheimlichung kam es -aber gerade an. Dubslav hatte sich nämlich wie Franz Moor -- an den er -sonst wenig erinnerte -- herausgeklügelt, daß Überraschung und Schreck -bei seinem Plan mitwirken müßten. - -Agnes schlief in einer nebenan aufgestellten eisernen Bettstelle. -Dubslav, gerade so wie seine Schwester, hatte das etwas auffällig -herausgeputzte Kind bei seinem Erscheinen im Herrenhause gar nicht mehr -gesehen; es trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille, dazu -Knöpfstiefel und lange rote Strümpfe, -- lauter Dinge, die Karline -schon zu letzten Weihnachten geschenkt hatte. Gleich damals, am ersten -Feiertag, hatte das Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber -bloß so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe damit zu -zeigen; jetzt dagegen, wo sie bei dem gnädgen Herrn in Krankenpflege -gehen sollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da. - -Die Nacht verging still; niemand war gestört worden. Um sieben erst kam -Engelke und sagte: »Nu, lütt Deern, steih upp, is all seben.« Agnes war -auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten -Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas gekraustes langes -Blondhaar, putzte sich wie ein Kätzchen und zog dann den himmelblauen -Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfstiefel an. -Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als -sie damit fertig war, nahm sie ihr Strickzeug und ging in das große -Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf -seine Schwester wartete. Denn um acht nahmen sie das erste Frühstück -gemeinschaftlich. - -»So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast du denn schon deinen -Kaffee gehabt?« - -Agnes knickste. - -»Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei deiner Arbeit besser sehn -kannst; du hast ja schon dein Strickzeug in der Hand. Solch junges Ding -wie du muß immer was zu tun haben, sonst kommt sie auf dumme Gedanken. -Nicht wahr?« - -Agnes knickste wieder, und da sie sah, daß ihr der Alte weiter nichts -zu sagen hatte, ging sie bis an das ihr bezeichnete Fenster, dran ein -länglicher Eichentisch stand, und fing an zu stricken. Es war ein sehr -langer Strumpf, brandrot und, nach seiner Schmalheit zu schließen, für -sie selbst bestimmt. - -Sie war noch nicht lange bei der Arbeit, als Adelheid eintrat und auf -ihren im Lehnstuhl sitzenden Bruder zuschritt. Bei der geringen Helle, -die herrschte, traf sich's, daß sie von dem Gast am Fenster nicht recht -was wahrnahm. Erst als Engelke mit dem Frühstück kam und die plötzlich -geöffnete Tür mehr Licht einfallen ließ, bemerkte sie das Kind und -sagte: »Da sitzt ja wer. Wer ist denn das?« - -»Das ist Agnes, das Enkelkind von der Buschen.« - -Adelheid bewahrte mit Mühe Haltung. Als sie sich wieder -zurechtgefunden, sagte sie: »So, Agnes. Das Kind von der Karline?« - -Dubslav nickte. - -»Das ist mir ja ne Überraschung. Und wo hast du sie denn, seit ich hier -bin, versteckt gehalten? Ich habe sie ja die ganze Woche über noch -nicht gesehn.« - -»Konntest du auch nicht, Adelheid; sie ist erst seit gestern abend -hier. Mit Engelke ging das nicht mehr, wenigstens nicht auf die Dauer. -Er ist ja so alt wie ich. Und immer raus in der Nacht und rauf und -runter und mich umdrehn und heben. Das konnt ich nich mehr mit ansehn.« - -»Und da hast du dir die Agnes kommen lassen? Die soll dich nun rumdrehn -und heben? Das Kind, das Wurm. Haha. Was du dir doch alles für -Geschichten machst.« - -»Agnes,« sagte hier Dubslav, »du könntest mal zu Mamsell Pritzbur in -die Küche gehn und ihr sagen, ich möchte heute mittag ne gefüllte Taube -haben. Aber nich so mager und auch nich so wenig Füllung, und daß es -nich nach alter Semmel schmeckt. Und dann kannst du gleich bei der -Mamsell unten bleiben und dir ne Geschichte von ihr erzählen lassen, -vom ›Schäfer und der Prinzessin‹ oder vom ›Fischer un sine Fru‹; -Rotkäppchen wirst du wohl schon kennen.« - -Agnes stand auf, trat unbefangen an den Tisch, wo Bruder und Schwester -saßen, und machte wiederholt ihren Knicks. Dabei hielt sie das -Strickzeug und den langen Strumpf in der Hand. - -»Für wen strickst du denn den?« fragte die Domina. - -»Für mich.« - -Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterschied in ihrem -Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von diesem Unterschied wahr, sah -vielmehr ohne Furcht um sich und ging aus dem Zimmer, um unten in der -Küche die Bestellung auszurichten. - -Als sie hinaus war, wiederholte sich Adelheids krampfhaftes Lachen. -Dann aber sagte sie: »Dubslav, ich weiß nicht, warum du dir, so lang -ich hier bin, gerade diese Hilfskraft angenommen hast. Ich bin deine -Schwester und eine Märkische von Adel. Und bin auch die Domina von -Kloster Wutz. Und meine Mutter war eine Radegast. Und die Stechline, -die drüben in der Gruft unterm Altar stehn, die haben, soviel ich weiß, -auf ihren Namen gehalten und sich untereinander die Ehre gegeben, die -jeder beanspruchen durfte. Du nimmst hier das Kind der Karline in dein -Zimmer und setzt es ans Fenster, fast als ob's da jeder so recht sehn -sollte. Wie kommst du zu dem Kind? Da kann sich Woldemar freuen und -seine Frau auch, die so was ›Unberührtes‹ hat. Und Gräfin Melusine! Na, -die wird sich wohl auch freun. Und die darf auch. Aber ich wiederhole -meine Frage, wie kommst du zu dem Kind?« - -»Ich hab es kommen lassen.« - -»Haha. Sehr gut; ›kommen lassen‹. Der Klapperstorch hat es dir wohl von -der grünen Wiese gebracht und natürlich auch gleich für die roten Beine -gesorgt. Aber ich kenne dich besser. Die Leute hier tun immer so, wie -wenn du dem alten Kortschädel sittlich überlegen gewesen wärst. Ich -für meine Person kann's nicht finden und sagte dir gern meine Meinung -darüber. Aber ich nehme häßliche Worte nicht gern in den Mund.« - -»Adelheid, du regst dich auf. Und ich frage mich, warum? Du bist ein -bißchen gegen die Buschen, -- nun gut, gegen die Buschen kann man -sein; und du bist ein bißchen gegen die Karline, -- nun gut, gegen die -Karline kann man auch sein. Aber ich sehe dir's an, das Eigentliche, -was dich aufregt, das ist nicht die Buschen und ist auch nicht die -Karline, das sind bloß die roten Strümpfe. Warum bist du so sehr gegen -die roten Strümpfe?« - -»Weil sie ein Zeichen sind.« - -»Das sagt gar nichts, Adelheid. Ein Zeichen ist alles. Wovon sind sie -ein Zeichen? Darauf kommt es an.« - -»Sie sind ein Zeichen von Ungehörigkeit und Verkehrtheit. Und ob du nun -lachen magst oder nicht -- denn an einem Strohhalm sieht man eben am -besten, woher der Wind weht --, sie sind ein Zeichen davon, daß alle -Vernunft aus der Welt ist und alle gesellschaftliche Scheidung immer -mehr aufhört. Und das alles unterstützt du. Du denkst wunder, wie fest -du bist; aber du bist nicht fest und kannst es auch nicht sein, denn -du steckst in allerlei Schrullen und Eitelkeiten. Und wenn sie dir um -den Bart gehn oder dich bei deinen Liebhabereien fassen, dann läßt du -das, worauf es ankommt, ohne weiteres im Stich. Es soll jetzt viele -solche geben, denen ihr Humor und ihre Rechthaberei viel wichtiger -ist als Gläubigkeit und Apostolikum. Denn sie sind sich selber ihr -Glaubensbekenntnis. Aber, glaube mir, dahinter steckt der Versucher, -und wohin der am Ende führt, das weißt du, -- soviel wird dir ja wohl -noch geblieben sein.« - -»Ich hoffe,« sagte Dubslav. - -»Und weil du bist wie du bist, freust du dich, daß diese Zierpuppe -(schon ganz wie die Karline) rote Strümpfe trägt und sich neue dazu -strickt. Ich aber wiederhole dir, diese roten Strümpfe, die sind ein -Zeichen, eine hochgehaltene Fahne.« - -»Strümpfe werden nicht hochgehalten.« - -»Noch nicht, aber das kann auch noch kommen. Und das ist dann die -richtige Revolution, die Revolution in der Sitte, -- das, was sie jetzt -das ›Letzte‹ nennen. Und ich begreife dich nicht, daß du davon kein -Einsehn hast, du, ein Mann von Familie, von Zugehörigkeit zu Thron und -Reich. Oder der sich's wenigstens einbildet.« - -»Nun gut, nun gut.« - -»Und da reist du herum, wenn sie den Torgelow oder den Katzenstein -wählen wollen, und hältst deine Reden, wiewohl du eigentlich nicht -reden kannst ...« - -»Das is richtig. Aber ich hab auch keine gehalten ...« - -»Und hältst deine Reden für König und Vaterland und für die alten Güter -und sprichst gegen die Freiheit. Ich versteh dich nicht mit deinem -ewigen ›gegen die Freiheit‹. Laß sie doch mit ihrer ganzen dummen -Freiheit machen, was sie wollen. Was heißt Freiheit? Freiheit ist gar -nichts; Freiheit ist, wenn sie sich versammeln und Bier trinken und -ein Blatt gründen. Du hast bei den Kürassieren gestanden und mußt -doch wissen, daß Torgelow und Katzenstein (was keinen Unterschied -macht) uns nicht erschüttern werden, uns nicht und unsern Glauben -nicht und Stechlin nicht und Wutz nicht. Die Globsower, solange sie -bloß Globsower sind, können gar nichts erschüttern. Aber wenn erst -der Buschen ihre Enkelkinder, denn die Karline wird doch wohl schon -mehrere haben, ihre Knöpfstiefel und ihre roten Strümpfe tragen, als -müßt es nur so sein, ja, Dubslav, dann ist es vorbei. Mit der Freiheit, -laß mich das wiederholen, hat es nicht viel auf sich; aber die roten -Strümpfe, das ist was. Und dir trau ich ganz und gar nicht, und der -Karline natürlich erst recht nicht, wenn es auch vielleicht schon eine -Weile her ist.« - -»Sagen wir ›vielleicht‹.« - -»O, ich kenne das. Du willst das wegwitzeln, das ist so deine Art. Aber -unser Kloster ist nicht so aus der Welt, daß wir nicht auch Bescheid -wüßten.« - -»Wozu hättet ihr sonst euern Fix?« - -»Kein Wort gegen den.« - -Und in großer Erregung brach das Gespräch ab. Noch am selben Nachmittag -aber verabschiedete sich Adelheid von ihrem Bruder und fuhr nach Wutz -zurück. - - - - -Verweile doch. Tod. Begräbnis. Neue Tage. - - - - -Vierzigstes Kapitel - - -Agnes, während oben die gereizte Szene zwischen Bruder und Schwester -spielte, war unten in der Küche bei Mamsell Pritzbur und erzählte von -Berlin, wo sie vorigen Sommer bei ihrer Mutter auf Besuch gewesen war. -»Eins war da,« sagte sie, »das hieß das Aquarium. Da lag eine Schlange, -die war so dick wie'n Bein.« - -»Aber hast du denn schon Beine gesehn?« fragte die Pritzbur. - -»Aber, Mamsell Pritzbur, ich werde doch wohl schon Beine gesehn haben -... Und dann, an einem andern Tag, da waren wir in einem ›Tiergarten‹, -aber in einem richtigen, mit allerlei Tieren drin. Und den nennen sie -den ›Zoologischen‹.« - -»Ja, davon hab ich auch schon gehört.« - -»Und in dem ›Zoologischen‹, da war ein ganz kleiner See, noch viel -kleiner als unser Stechlin, und in dem See standen allerlei Vögel. Und -einer, ganz wie'n Storch, stand auf einem Bein.« - -Als die Mädchen das Wort »Storch« hörten, kamen sie näher heran. - -»Aber die Beine von dem Vogel, oder es waren wohl mehrere Vögel, die -waren viel größer als Storchenbeine und auch viel dicker und viel -röter.« - -»Und taten sie dir nichts?« - -»Nein, sie taten mir nichts. Bloß, wenn sie so ne Weile gestanden -hatten, dann stellten sie sich auf das andre Bein. Und ich sagte zu -Mutter: ›Mutter, komm; der eine sieht mich immer so an.‹ Und da gingen -wir an eine andere Stelle, wo der Bär war.« - -Das Kind erzählte noch allerlei. Die Mädchen und auch die Mamsell -freuten sich über Agnes, und sie trug ihnen ein paar Lieder vor, die -ihre Mutter, die Karline, immer sang, wenn sie plättete, und sie tanzte -auch, während sie sang, wobei sie das himmelblaue Kleid zierlich in die -Höhe nahm, ganz so, wie sie's in der Hasenheide gesehen hatte. - -So kam der Nachmittag heran, und als es schon dunkelte, sagte Engelke: -»Ja, gnädger Herr, wie is das nu mit Agnessen? Sie is immer noch bei -Mamsell Pritzbur unten, un die Mächens wenn sie so singt und tanzt, -kucken ihr zu. Sie wird woll auch so was wie die Karline. Soll sie -wieder nach Haus, oder soll sie hierbleiben?« - -»Natürlich soll sie hierbleiben. Ich freue mich, wenn ich das Kind -sehe. Du hast ja ein gutes Gesicht, Engelke, aber ich will doch auch -mal was andres sehn als dich. Wie das lütte Balg da so saß, so steif -wie ne Prinzeß, hab ich immer hingekuckt und ihr wohl ne Viertelstunde -zugesehn, wie da die Stricknadeln immer so hin und her gingen und -der rote Strumpf neben ihr baumelte. So was Hübsches hab ich nicht -mehr gesehn, seit zu Weihnachten die Grafschen hier waren, die blasse -Komtesse und die Gräfin. Hat sie dir auch gefallen?« - -Engelke griente. - -»Na, ich sehe schon. Also Agnes bleibt. Und sie kann ja auch nachts mal -aufstehn und mir eine Tasse von dem Tee bringen, oder was ich sonst -grade brauche, und du alte Seele kannst ausschlafen. Ach, Engelke, das -Leben is doch eigentlich schwer. Das heißt, wenn's auf die Neige geht; -vorher is es soweit ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg -nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los; aber in Berlin, -da ging es.« - -»Ja, gnädger Herr. Aber nu kommt es.« - -»Ja, nu kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran. So was gab es damals -noch gar nicht. Aber ich will nichts sagen, sonst wird die Buschen -ärgerlich, und mit alten Weibern muß man gut stehn; das is noch -wichtiger als mit jungen. Und, wie gesagt, die Agnes bleibt. Ich sehe -so gern was Zierliches. Es is ein reizendes Kind.« - -»Ja, das is sie. Aber ...« - -»Ach, laß die ›Abers‹. Du sagst, sie wird wie die Karline. Möglich is -es. Aber vielleicht wird sie auch ne Nonne. Man kann nie wissen.« - - * * * * * - -Agnes blieb also bei Dubslav. Sie saß am Fenster und strickte. Mal in -der Nacht, als ihm recht schlecht war, hatte er nach dem Kinde rufen -wollen. Aber er stand wieder davon ab. »Das arme Kind, was soll ich ihm -den Schlaf stören? Und helfen kann es mir doch nicht.« - -So verging eine Woche. Da sagte der alte Dubslav: »Engelke, das mit der -Agnes, das kann ich nich mehr mit ansehn. Sie sitzt da jeden Morgen und -strickt. Das arme Wurm muß ja hier umkommen. Und alles bloß, weil ich -alter Sünder ein freundliches Gesicht sehn will. Das geht so nich mehr -weiter. Wir müssen sehn, daß wir was für das Kind tun können. Haben wir -denn nicht ein Buch mit Bildern drin oder so was?« - -»Ja, gnädger Herr, da sind ja noch die vier Bände, die wir letzte -Weihnachten bei Buchbinder Zippel in Gransee haben einbinden lassen. -Eigentlich war es bloß ne ›Landwirtschaftliche Zeitung‹, und alle, die -mal nen Preis gewonnen haben, die waren drin. Und Bismarck war auch -drin un Kaiser Wilhelm auch.« - -»Ja, ja, das is gut; das gib ihr. Und brauchst ihr auch nich zu sagen, -daß sie keine Eselsohren machen soll; die macht keine.« - -Wirklich, die »Landwirtschaftliche Zeitung« lag am andern Morgen -da, und Agnes war sehr glücklich, mal was andres zu haben als ihr -Strickzeug, und die schönen Bilder ansehn zu können. Denn es waren -auch Schlösser drin und kleine Teiche, drauf Schwäne fuhren, und auf -einem Bilde, das eine Beilage war, waren sogar Husaren. Engelke brachte -jeden Morgen einen neuen Band, und mal erschien auch Elfriede, die -Lorenzen, um nach Dubslavs Befinden fragen zu lassen, von der Pfarre -herübergeschickt hatte. »Die kann sich ja die Bilder mit ansehen,« -sagte Dubslav; »am Ende macht es ihr selber auch Spaß, und vielleicht -kann sie dem kleinen Ding, der Agnes, alles so nebenher erklären, und -dann is es so gut wie ne Schulstunde.« - -Elfriede war gleich dazu bereit. Und nun standen die beiden Kinder -nebeneinander und blätterten in dem Buch, und die Kleine sog jedes -Wort ein, was die Große sagte. Dubslav aber hörte zu und wußte nicht, -wem von beiden er ein größeres Interesse zuwenden sollte. Zuletzt aber -war es doch wohl Elfriede, weil sie den wehmütigen Zauber all derer -hatte, die früh abberufen werden. Ihr zarter, beinahe körperloser Leib -schien zu sagen: »Ich sterbe.« Aber ihre Seele wußte nichts davon; die -leuchtete und sagte: »Ich lebe.« - - * * * * * - -Das mit den Bilderbüchern dauerte mehrere Tage. Dann sagte Dubslav: -»Engelke, das Kind fängt heute schon wieder von vorn an; es ist mit -allen vier Bänden, so dick sie sind, schon zweimal durch; ich sehe, -wir müssen uns was Neues ausbaldowern. Das is nämlich ein Wort aus der -Diebssprache; soweit sind wir nu schon. Übrigens ist mir was Gutes -eingefallen: hol ihr eine von unsern Wetterfahnen herunter. Die stehn -ja da bloß so rum, un wenn ich tot bin und alles abgeschätzt wird -- -was sie ›ordnen‹ nennen --, dann kommt Kupperschmied Reuter aus Gransee -und taxiert es auf fünfundsiebzig Pfennig.« - -»Aber, gnädger Herr, uns' Woldemar ...« - -»Nu ja, Woldemar. Woldemar ist gut, natürlich, und die Komtesse, seine -junge Frau, is auch gut. Alles is gut, und ich hab es auch nicht so -schlimm gemeint; man red't bloß so. Nur soviel is richtig: meine -Sammlung oben is für Spinnweb und weiter nichts. Alles Sammeln ist -überhaupt verrückt, und wenn Woldemar sich nich mehr drum kümmert, so -is es eigentlich bloß Wiederherstellung von Sinn und Verstand. Jeder -hat seinen Sparren, und ich habe meinen gehabt. Bring aber nich gleich -alles runter. Nur die Mühle bring und den Dragoner.« - -Engelke gehorchte. - -Den ersten Tag, wie sich denken läßt, war Agnes ganz für den Dragoner, -der, als man ihn vor Jahr und Tag von seinem Zelliner Kirchturm -heruntergeholt hatte, frisch aufgepinselt worden war: schwarzer Hut, -blauer Rock, gelbe Hosen. Aber sehr bald hatte sich das Kind an der -Buntheit des Dragoners sattgesehen, und nun kam statt seiner die -Mühle an die Reihe. Die hielt länger vor. Meistens -- wenn sie nur -überhaupt erst im Gange war -- brauchte das Kind bloß zu pusten, um die -Mühlflügel in ziemlich rascher Bewegung zu halten, und der schnarrende -Ton der etwas eingerosteten Drehvorrichtung war dann jedesmal eine Lust -und ein Entzücken. Es waren glückliche Tage für Agnes. Aber fast noch -glücklichere für den Alten. - - * * * * * - -Ja, der alte Dubslav freute sich des Kindes. Aber so wohltuend ihm -seine Gegenwart war, so war es auf die Dauer doch nicht viel was -andres, als ob ein Goldlack am Fenster gestanden oder ein Zeisig -gezwitschert hätte. Sein Auge richtete sich gerne darauf; als aber -eine Woche und dann eine zweite vorüber war, wurd ihm eine gewisse -Verarmung fühlbar, und das so stark, daß er fast mit Sehnsucht an die -Tage zurückdachte, wo Schwester Adelheid sich ihm bedrücklich gemacht -hatte. Das war sehr unbequem gewesen, aber sie besaß doch nebenher -einen guten Verstand, und in allem, was sie sagte, war etwas, worüber -sich streiten und ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und kleinen Witzen -abbrennen ließ. Etwas, was ihm immer eine Hauptsache war. Dubslav -zählte zu den Friedliebendsten von der Welt, aber er liebte doch -andrerseits auch Friktionen, und selbst ärgerliche Vorkommnisse waren -ihm immer noch lieber als gar keine. - - * * * * * - -Kein Zweifel, der alte Schloßherr auf Stechlin sehnte sich nach -Menschen, und da waren es denn wahre Festtage, wenn Besucher aus Näh -oder Ferne sich einstellten. - -Eines Tages -- es schummerte schon -- erschien Krippenstapel. Er hatte -seinen besten Rock angezogen und hielt ein übermaltes Gefäß, mit einem -Deckel darauf, in seinem linken Arm. - -»Nun, das ist recht, Krippenstapel. Ich freue mich, daß Sie mal -nachsehn, ob unser Museum oben noch seinen ›Chef‹ hat. Ich sage ›Chef‹. -Der Direktor sind Sie ja selber. Und nun kommen Sie auch gleich noch -mit ner Urne. Hat gewiß Ihr Freund Tucheband irgendwo ausgegraben. Oder -is es bloß ne Terrine? Himmelwetter, Krippenstapel, Sie werden mir doch -nich ne Krankensuppe gekocht haben?« - -»Nein, Herr Major, keine Krankensuppe. Gewiß nicht. Und doch is es -einigermaßen so was. Es ist nämlich ne Wabe. Habe da heute mittag einen -von meinen Stöcken ausgenommen und wollte mir erlaubt haben, Ihnen die -beste Wabe zu bringen. Es ist beinah so was wie der mittelalterliche -Zehnte. Der Zehnte, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, war -eigentlich was Feineres als Geld.« - -»Find ich auch. Aber die heutige Menschheit hat für so was Feines gar -keinen Sinn mehr. Immer alles bar und nochmal bar. O, das gemeine -Geld! Das heißt, wenn man keins hat; wenn man's hat, ist es soweit -ganz gut. Und daß Sie gleich an Ihren alten Patron -- ein Wort, -das übrigens vielleicht zu hoch gegriffen ist und unser Verhältnis -nicht recht ausdrückt -- gedacht haben! Lorenzen wird es hoffentlich -nicht übelnehmen, daß ich Sie, wenn ich mich Ihren ›Patron‹ nenne, -so gleichsam avancieren lasse. Ja, das mit der Wabe. Freut mich -aufrichtig. Aber ich werde mich wohl nicht drüberher machen dürfen. -Immer heißt es: ›+das+ nicht‹. Erst hat mir Sponholz alles verboten und -nu die Buschen, und so leb ich eigentlich bloß noch von Bärlapp und -Katzenpfötchen.« - -»Am Ende geht es doch,« sagte Krippenstapel. »Ich weiß wohl, in eine -richtige Kur darf der Laie nicht eingreifen. Aber der Honig macht -vielleicht ne Ausnahme. Richtiger Honig ist wie gute Medizin und hat -die ganze Heilkraft der Natur.« - -»Is denn aber nicht auch was drin, was besser fehlte?« - -»Nein, Herr Major. Ich sehe die Bienen oft schwärmen und sammeln, und -seh auch, wie sie sammeln und wo sie sammeln. Da sind voran die Linden -und Akazien und das Heidekraut. Nu, die sind die reine Unschuld; davon -red ich gar nicht erst. Aber nun sollten Sie die Biene sehn, wenn sie -sich auf eine giftige Blume, sagen wir zum Beispiel auf den Venuswagen, -niederläßt. Und in jedem Venuswagen, besonders in dem roten (aber doch -auch in dem blauen), sitzt viel Gift.« - -»Venuswagen; kann ich mir denken. Und wie sammelt da die Biene?« - -»Sie nimmt nie das Gift, sie nimmt immer bloß die Heilkraft.« - -»Na, Sie müssen es wissen, Krippenstapel. Und auf Ihre Verantwortung -hin will ich mir den Honig auch schmecken lassen, und die Buschen muß -sich drin finden und sich wohl oder übel zufrieden geben. Übrigens -fällt mir bei der Alten natürlich auch das Kind ein. Da sitzt es am -Fenster. Na, komm mal her, Agnes, und sage, daß du hier auch was -lernst. Ich hab ihr nämlich Bücher gegeben, mit allerlei Bildern drin, -und seit vorgestern auch eine Götterlehre, das heißt aber noch eine aus -guter, anständiger Zeit und jeder Gott ordentlich angezogen. Und da -lernt sie, glaub ich, ganz gut. Nicht wahr, Agnes?« - -Agnes knickste und ging wieder auf ihren Platz. - -»Und dann hab ich dem Kind auch unsern Dragoner und die Mühle gegeben. -Also unsre besten Stücke, soviel ist richtig. Ich denke mir aber, mein -Museumsdirektor wird über diesen Eingriff nicht böse sein. Eigentlich -is es doch besser, das Kind hat was davon als die Spinnen. Und was -macht denn Ihr Oberlehrer in Templin? Hat er wieder was gefunden?« - -»Ja, Herr Major. Münzenfund.« - -»Na, das is immer das beste. Vermutlich Georgstaler oder so was; -Dreißigjähriger Krieg. Es war ja ne gräßliche Zeit. Aber daß sie damals -aus Angst und Not soviel verbuddelt haben, das is doch auch wieder ein -Segen. Is es denn viel?« - -»Wie man's nehmen will, Herr Major; praktisch und profan angesehen -ist es nicht viel, aber wissenschaftlich angesehen ist es allerdings -viel. Nämlich drei römische Münzen, zwei von Diokletian und eine von -Caracalla.« - -»Na, die passen wenigstens. Diokletian war ja wohl der mit der -Christenverfolgung. Aber ich glaube, es war am Ende nicht so schlimm. -Verfolgt wird immer. Und mitunter sind die Verfolgten obenauf.« - -Dabei lachte der Alte. Dann rief er Engelke, daß er den Honig -herausnehme. Krippenstapel aber verabschiedete sich, seine leere -Terrine vorsichtig im Arm. - - - - -Einundvierzigstes Kapitel - - -Dubslav hatte sich über Krippenstapels Besuch und sein Geschenk -aufrichtig gefreut, weil es ja das Beste war, was ihm die alte treue -Seele bringen konnte. Er bestand denn auch darauf (trotzdem Engelke, -der ein Vorurteil gegen alles Süße hatte, dagegen war), daß ihm die -Wabe jeden Morgen auf den Frühstückstisch gestellt werde. - -»Siehst du, Engelke,« sagte er nach einer Woche, »daß ich mich wieder -wohler fühle, das macht die Wabe. Denn man muß jedes Fisselchen -mitessen, Wachs und alles, das hat er mir eigens gesagt. Das is grad -so wie beim Apfel die Schale; die hat die Natur so gewollt und is ein -Fingerzeig und muß respektiert werden.« - -»Ich bin aber doch für abschälen,« sagte Engelke. »Wenn man so sieht, -was mitunter alles dran ist ...« - -»Ja, Engelke, ich weiß nicht, du bist jetzt so fein geworden. Aber ich -bin noch ganz altmodisch. Und dann glaub ich nebenher wirklich, daß -in dem Wachs die richtige ›gesamte Heilkraft der Natur‹ steckt, fast -noch mehr als in dem Honig. Krippenstapel übrigens is jetzt auch so -furchtbar gebildet und hat so viele feine Wendungen, wie zum Beispiel -die mit der ›gesamten Heilkraft‹. Aber so fein wie du is er doch noch -lange nicht, darauf will ich mich verschwören. Und auch darauf, daß er -sich keine Birne schält.« - -In dieser guten Laune verblieb Dubslav eine ganze Weile, sich mehr und -mehr zurechtlegend, daß er sich die Quälerei mit all dem andern Zeug -eigentlich hätte sparen können; »denn wenn +alles+ drin ist, so ist -doch auch Bärlapp und Katzenpfötchen drin und natürlich auch Fingerhut -oder wie Sponholz sagt: ›Die Digitalis.‹« Engelke freilich wollte von -diesen Sophistereien nichts wissen; sein Herr aber ließ sich durch -solche Zweifel nicht stören und fuhr vielmehr fort: »Und dann, Engelke, -macht es doch auch einen Unterschied, von wem eine Sache kommt. -Die Katzenpfötchen kommen von der Buschen, und die Wabe kommt von -Krippenstapel. Das heißt also, hinter der Wabe steht ein guter Geist, -und hinter den Katzenpfötchen steht ein böser Geist. Und das kannst du -mir glauben, an solchen Rätselhaftigkeiten liegt sehr viel im Leben, -und wenn mir Lorenzen seine Patsche gibt, so ist das ganz was anders, -wie wenn mir Koseleger seine Hand gibt. Koseleger hat solche weichen -Finger und auf dem vierten einen großen Ring.« - -»Aber er is doch ein Superintendent.« - -»Ja, Superintendent is er. Und er kommt auch noch höher. Und wenn es -nach der Prinzessin geht, wird er Papst. Und dann wollen wir uns Ablaß -bei ihm holen; aber viel geb ich nicht.« - - * * * * * - -Als Dubslav und Engelke dies Gespräch führten, saß Agnes wie gewöhnlich -am Fenster, mit halbem Ohre hinhörend, und so wenig sie davon verstand, -so verstand sie doch gerade genug. Krippenstapel war ein guter Geist -und ihre Großmutter war ein böser Geist. Aber das alles war ihr nicht -mehr, als ob ihr ein Märchen erzählt würde. Sie hatte schon so vieles -in ihrem Leben gehört und war wohl dazu bestimmt, noch viel, viel -andres zu hören. Ihr Gesichtsausdruck blieb denn auch derselbe. Sie -träumte bloß so hin, und daß sie dies Wesen hatte, das war es recht -eigentlich, was den alten Herrn so an sie fesselte. Das Auge, womit sie -die Menschen ansah, war anders als das der andern. - - * * * * * - -Engelke hatte sich in die nebenan gelegene Dienststube zurückgezogen; -ein heller Schein fiel von der Veranda her durch die Balkontür und gab -dem etwas dunklen Zimmer mehr Licht, als es für gewöhnlich zu haben -pflegte. Dubslav hielt die Kreuzzeitung in Händen und schlug nach einem -Brummer, der ihn immer und immer wieder umsummte. »Verdammte Bestie,« -und er holte von neuem aus. Aber ehe er zuschlagen konnte, kam Engelke -und fragte, ob Uncke den gnädigen Herrn sprechen dürfe. - -»Uncke, unser alter Uncke?« - -»Ja, gnädger Herr.« - -»Na, natürlich. Kriegt man doch mal wieder nen vernünftigen Menschen -zu sehn. Was er nur bringen mag? Vielleicht Verhaftung irgendwo: -Demokratennest ausgenommen.« - -Agnes horchte. Verhaftung! Demokratennest ausgenommen! Das war doch -noch besser als ein Märchen »vom guten und bösen Geist«. - - * * * * * - -Inzwischen war Uncke eingetreten, Backenbart und Schnurrbart, wie -gewöhnlich, fest angeklebt. In der Nähe der Tür blieb er stehen und -grüßte militärisch. Dubslav aber rief ihm zu: »Nein, Uncke, nicht da. -So weit reicht mein Ohr nicht und meine Stimme erst recht nicht. Und -ich denke doch, Sie bringen was. Was Reguläres. Also ran hier. Und wenn -es nicht was ganz Dienstliches is, so nehmen Sie den Stuhl da.« - -Uncke trat auch näher, nahm aber keinen Stuhl und sagte: »Herr Major -wollen entschuldigen. Ich komme so bloß ... Der alte Baruch Hirschfeld -hat mir erzählt, und die alte Buschen hat mir erzählt ...« - -»Ach so, von wegen meiner Füße.« - -»Zu Befehl, Herr Major.« - -»Ja, Uncke, wollte Gott, es stünde besser. Immer denk ich, wenn wieder -ein Neuer kommt, ›nu wird es‹. Aber es will nicht mehr; es hilft immer -bloß drei Tage. Die Buschen hilft nicht mehr, und Krippenstapel hilft -nicht mehr, und Sponholz hilft schon lange nicht mehr; der kutschiert -so in der Welt rum. Bleibt also bloß noch der liebe Gott.« - -Uncke begleitete dies Wort mit einer Kopfbewegung, die seine -respektvolle Stellung (aber doch auch nicht mehr) zum lieben Gott -ausdrücken sollte. Dubslav sah es und erheiterte sich. Dann fuhr er in -rasch wachsender guter Laune fort: »Ja, Uncke, wir haben so manchen Tag -miteinander gelebt. Denke gern daran zurück -- sind noch einer von den -Alten. Und der Pyterke auch. Was macht er denn?« - -»Ah, Herr Major, immer noch tüchtig da; schneidig,« und dabei rückte er -sich selbst zurecht, wie wenn er die überlegene Stattlichkeit seines -Kollegen wenigstens andeuten wolle. - -Dubslav verstand es auch so und sagte: »Ja, der Pyterke; natürlich -immer hoch zu Roß. Und Sie, Uncke, ja, Sie müssen laufen wie 'n -Landbriefträger. Es hat aber auch sein Gutes; zu Fuß macht geschmeidig, -zu Pferde macht steif. Und macht auch faul. Und überhaupt, Gebrüder -Beeneke is schon immer das Beste. Da kann man nicht zu Fall kommen. -Aber jeder will heutzutage hoch raus. Das is, was sie jetzt die -›Signatur der Zeit‹ nennen. Haben Sie den Ausdruck schon gehört, Uncke?« - -»Zu Befehl, Herr Major.« - -»Und die Sozialdemokratie will auch hoch raus und so zu Pferde sitzen -wie Pyterke, bloß noch viel höher. Aber das geht nicht gleich so. Gut -Ding will Weile haben. Und Torgelow, wenn er auch vielleicht reden -kann, reiten kann er noch lange nicht. Sagen Sie, was macht er denn -eigentlich? Ich meine Torgelow. Sind denn unsre kleinen Leute jetzt -mehr zufrieden mit ihm?« - -»Nein, Herr Major, sie sind immer noch nicht zufrieden mit ihm. Er -wollte da neulich in Berlin reden und hat auch wirklich was zu Graf -Posadowsky gesagt. Und das is so dumm gewesen, daß es die andern -geniert hat. Und da haben sie ihn bedeutet: ›Torgelow, nu bist du -still; so geht das hier nich.‹« - -»Ja,« lachte Dubslav, »und wo +der+ nu steht, da sollte ich eigentlich -stehen. Aber es is doch besser so. Nu kann Torgelow zeigen, daß er -nichts kann. Und die andern auch. Und wenn sie's alle gezeigt haben, -na, dann sind wir vielleicht wieder dran und kommen noch mal oben auf, -und jeder kriegt Zulage. Sie auch, Uncke, und Pyterke natürlich auch.« - -Uncke schmunzelte und legte seine zwei Dienstfinger an die Schläfe. - -»... Vorläufig aber müssen wir abwarten und den sogenannten ›Ausbruch‹ -verhüten und dafür sorgen, daß unsere Globsower zufrieden sind. Und -wenn wir klug sind, glückt es vielleicht auch. Glauben Sie nicht auch, -Uncke, daß es kleine Mittel gibt?« - -»Zu Befehl, Herr Major, kleine Mittel gibt es. Es hat's schon.« - -»Und welche meinen Sie?« - -»Musik, Herr Major, und verlängerte Polizeistunde.« - -»Ja,« lachte Dubslav, »so was hilft. Musik und nen Schottschen, dann -sind die Mädchen zufrieden.« - -»Und,« bestätigte Uncke, »wenn die Mädchens zufrieden sind, Herr Major, -dann sind alle zufrieden.« - - * * * * * - -Uncke hatte zusagen müssen, mal wieder vorzusprechen, aber es kam nicht -dazu, weil Dubslavs Zustand sich rasch verschlimmerte. Von Besuchern -wurde keiner mehr angenommen, und nur Lorenzen hatte Zutritt. Aber er -kam meist nur, wenn er gerufen wurde. - -»Sonderbar,« sagte der Alte, während er in den Frühlingstag -hinausblickte, »dieser Lorenzen is eigentlich gar kein richtiger -Pastor. Er spricht nicht von Erlösung und auch nicht von -Unsterblichkeit, und is beinah, als ob ihm so was für alltags wie zu -schade sei. Vielleicht is es aber auch noch was andres, und er weiß am -Ende selber nicht viel davon. Anfangs hab ich mich darüber gewundert, -weil ich mir immer sagte: Ja, solch Talar- und Beffchenmann, der muß -es doch schließlich wissen; er hat so seine drei Jahre studiert und -eine Probepredigt gehalten, und ein Konsistorialrat oder wohl gar ein -Generalsuperintendent hat ihn eingesegnet und ihm und noch ein paar -andern gesagt: ›Nun gehet hin und lehret alle Heiden.‹ Und wenn man -das so hört, ja, da verlangt man denn auch, daß einer weiß, wie's -mit einem steht. Is gerade wie mit den Doktors. Aber zuletzt begibt -man sich und hat die Doktors am liebsten, die einem ehrlich sagen: -›Hören Sie, wir wissen es auch nicht, wir müssen es abwarten.‹ Der -gute Sponholz, der nun wohl schon an der Brücke mit dem Ichthyosaurus -vorbei ist, war beinah so einer, und Lorenzen is nu schon ganz gewiß -so. Seit beinah zwanzig Jahren kenn ich ihn, und noch hat er mich nicht -ein einziges Mal bemogelt. Und daß man +das+ von einem sagen kann, das -ist eigentlich die Hauptsache. Das andre ... ja, du lieber Himmel, wo -soll es am Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun schon lange keiner -mehr gestanden, und wenn auch, was der liebe Gott da oben gesagt hat, -das schließt eigentlich auch keine großen Rätsel auf. Es ist alles -sehr diesseitig geblieben; du sollst, du sollst, und noch öfter ›du -sollst +nicht+‹. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürnberger -Schultheiß gesprochen hätte.« - -Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittagspost. »Engelke, du -könntest mal wieder die Marie zu Lorenzen rüberschicken -- ich ließ' -ihn bitten.« - -Lorenzen kam denn auch und rückte seinen Stuhl an des Alten Seite. - -»Das ist recht, Pastor, daß Sie gleich gekommen sind, und ich sehe -wieder, wie sich alles Gute schon gleich hier unten belohnt. Sie müssen -nämlich wissen, daß ich mich heute schon ganz eingehend mit Ihnen -beschäftigt und Ihr Charakterbild, das ja auch schwankt wie so manch -andres, nach Möglichkeit festgestellt habe. Würde mir das Sprechen -wegen meines Asthmas nicht einigermaßen schwer, ich wär imstande, -gegen mich selber in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen -auszuplaudern, was ich über Sie gedacht habe. Habe ja, wie Sie wissen, -ne natürliche Neigung zum Ausplaudern, zum Plaudern überhaupt, und -Kortschädel, der sich im übrigen durch französische Vokabeln nicht -auszeichnete, hat mich sogar einmal einen ›Causeur‹ genannt. Aber -freilich schon lange her, und jetzt ist es damit total vorbei. Zuletzt -stirbt selbst die alte Kindermuhme in einem aus.« - -»Glaub ich nicht. Wenigstens Sie, Herr von Stechlin, sorgen für den -Ausnahmefall.« - -»Ich will es gelten lassen und mich auch gleich legitimieren. Haben -Sie denn in Ihrer Zeitung gelesen, wie sie da neulich wieder dem armen -Bennigsen zugesetzt haben? Mir mißfällt es, wiewohl Bennigsen nicht -gerade mein Mann ist.« - -»Auch meiner nicht. Aber, er sei, wie er sei, er ist doch ein -Excelsior-Mann. Und wer hierlandes für ein freudiges ›~excelsior~‹ ist, -der ist bei den Ostelbiern (Pardon, Sie gehören ja selbst mit dazu) von -vornherein verdächtig und ein Gegenstand tiefen Mißtrauens. Jedes höher -gesteckte Ziel, jedes Wollen, das über den Kartoffelsack hinausgeht, -findet kein Verständnis, sicherlich keinen Glauben. Und bringt einer -irgendein Opfer, so heißt es bloß, daß er die Wurst nach der Speckseite -werfe.« - -Dubslav lachte. »Lorenzen, Sie sitzen wieder auf Ihrem Steckenpferd. -Aber ich selber bin freilich schuld. Warum kam ich auf Bennigsen! Da -war das Thema gegeben, und Ihr Ritt ins Bebelsche (denn weitab davon -sind Sie nicht) konnte beginnen. Aber daß Sie's wissen, ich hab auch -mein Steckenpferd, und das heißt: König und Kronprinz oder alte Zeit -und neue Zeit. Und darüber hab ich seit lange mit Ihnen sprechen -wollen, nicht akademisch, sondern märkisch-praktisch, so recht mit -Rücksicht auf meine nächste Zukunft. Denn es heißt nachgrade bei mir: -›Was du tun willst, tue bald.‹« - -Lorenzen nahm des Alten Hand und sagte: »Gewiß kommen andre Zeiten. -Aber man muß mit der Frage, was kommt und was wird, nicht zu früh -anfangen. Ich seh nicht ein, warum unser alter König von Thule hier -nicht noch lange regieren sollte. Seinen letzten Trunk zu tun und den -Becher dann in den Stechlin zu werfen, damit hat es noch gute Wege.« - -»Nein, Lorenzen, es dauert nicht mehr lange; die Zeichen sind da, -mehr als zuviel. Und damit alles klappt und paßt, geh ich nun auch -gerad ins Siebenundsechzigste, und wenn ein richtiger Stechlin ins -Siebenundsechzigste geht, dann geht er auch in Tod und Grab. Das is so -Familientradition. Ich wollte, wir hätten eine andre. Denn der Mensch -is nun mal feige und will dies schändliche Leben gern weiterleben.« - -»Schändliches Leben! Herr von Stechlin, Sie haben ein sehr gutes Leben -gehabt.« - -»Na, wenn es nur wahr ist! Ich weiß nicht, ob alle Globsower ebenso -denken. Und +die+ bringen mich wieder auf mein Hauptthema.« - -»Und das lautet?« - -»Das lautet: ›Teuerster Pastor, sorgen Sie dafür, daß die Globsower -nicht zu sehr obenauf kommen.‹« - -»Aber, Herr von Stechlin, die armen Leute ...« - -»Sagen Sie das nicht. Die armen Leute! Das war mal richtig; heutzutage -aber paßt es nicht mehr. Und solch unsichere Passagiere wie mein -Woldemar und wie mein lieber Lorenzen (von dem der Junge, Pardon, -all den Unsinn hat), solche unsichere Passagiere, statt den Riegel -vorzuschieben, kommen den Torgelowschen auf halbem Wege entgegen und -sagen: ›Ja, ja, Töffel, du hast auch eigentlich ganz recht,‹ oder, was -noch schlimmer ist: ›Ja, ja, Jochem, wir wollen mal nachschlagen.‹« - -»Aber, Herr von Stechlin.« - -»Ja, Lorenzen, wenn Sie auch noch solch gutes Gesicht machen, es ist -doch so. Die ganze Geschichte wird auf einen andern Leisten gebracht, -und wenn dann wieder eine Wahl ist, dann fährt der Woldemar rum und -erzählt überall, Katzenstein sei der rechte Mann. Oder irgendein -andrer. Aber das ist Mus wie Mine; -- verzeihen Sie den etwas -fortgeschrittenen Ausdruck. Und wenn dann die junge gnädige Frau -Besuch kriegt oder wohl gar einen Ball gibt, da will ich Ihnen ganz -genau sagen, wer dann hier in diesem alten Kasten, der dann aber -renoviert sein wird, antritt. Da ist in erster Reihe der Minister -von Ritzenberg geladen, der, wegen Kaltstellung unter Bismarck, von -langer Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachsenwalder hat, und -eröffnet die Polonaise mit Armgard. Und dann ist da ein Professor, -Kathedersozialist, von dem kein Mensch weiß, ob er die Gesellschaft -einrenken oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige, mit -kurzgeschnittenem Haar (die natürlich schriftstellert), zur Quadrille. -Und dann bewegen sich da noch ein Afrikareisender, ein Architekt und -ein Porträtmaler, und wenn sie nach den ersten Tänzen eine Pause -machen, dann stellen sie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von einem -Edelmann erschossen wird, oder sie führen ein französisches Stück -auf, das die Dame mit dem kurzgeschnittenen Haar übersetzt hat, ein -sogenanntes Ehebruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil -sie ihren Mann mit einem Taschenrevolver über den Haufen geschossen -hat. Und dann gibt es Musikstücke, bei denen der Klavierspieler mit -seiner langen Mähne über die Tasten hinfegt, und in einer Nebenstube -sitzen andere und blättern in einem Album mit lauter Berühmtheiten, -obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiser Friedrich und Bismarck -und Moltke, und ganz gemütlich dazwischen Mazzini und Garibaldi, und -Marx und Lassalle, die aber wenigstens tot sind, und daneben Bebel -und Liebknecht. Und dann sagt Woldemar: ›Sehen Sie da den Bebel. Mein -politischer Gegner, aber ein Mann von Gesinnung und Intelligenz.‹ Und -wenn dann ein Adeliger aus der Residenz an ihn herantritt und ihm sagt: -›Ich bin überrascht, Herr von Stechlin, -- ich glaubte den Grafen -Schwerin hier zu finden,‹ dann sagt Woldemar: ›Ich habe die Fühlung mit -diesem Herrn verloren.‹« - -Der Pastor lachte. »Und +Sie+ wollen sterben. Wer so lange sprechen -kann, der lebt noch zehn Jahr.« - -»Nichts, nichts. Ich halte Sie fest. Kommt es so oder kommt es nicht -so?« - -»Nun, es kommt sicherlich +nicht+ so.« - -»Sind Sie dessen sicher?« - -»Ganz sicher.« - -»Dann sagen Sie mir, +wie+ es kommt, aber ehrlich.« - -»Nun, das kann ich leicht, und Sie haben mir selber den Weg gewiesen, -als Sie gleich anfangs von ›König und Kronprinz‹ sprachen. Dieser -Gegensatz existiert natürlich überall und in allen Lebensverhältnissen. -Es kommen eben immer Tage, wo die Leute nach irgendeinem ›Kronprinzen‹ -aussehn. Aber so gewiß das richtig ist, noch richtiger ist das andre: -der Kronprinz, nach dem ausgeschaut wurde, hält nie das, was man von -ihm erwartete. Manchmal kippt er gleich um und erklärt in plötzlich -erwachter Pietät, im Sinne des Hochseligen weiterregieren zu wollen; -in der Regel aber macht er einen leidlich ehrlichen Versuch, als -Neugestalter aufzutreten, und holt ein Volksbeglückungsprogramm auch -wirklich aus der Tasche. Nur nicht auf lange. ›Leicht beieinander -wohnen die Gedanken, doch eng im Raume stoßen sich die Sachen.‹ Und -nach einem halben Jahre lenkt der Neuerer wieder in alte Bahnen und -Geleise ein.« - -»Und so wird es Woldemar auch machen?« - -»So wird es Woldemar auch machen. Wenigstens wird ihn die Lust sehr -bald anwandeln, so halb und halb ins Alte wieder einzulenken.« - -»Und diese Lust werden Sie natürlich bekämpfen. Sie haben ihm in den -Kopf gesetzt, daß etwas durchaus Neues kommen müsse. Sogar ein neues -Christentum.« - -»Ich weiß nicht, ob ich so gesprochen habe; aber wenn ich so sprach, -dies neue Christentum ist gerade das alte.« - -»Glauben Sie das?« - -»Ich glaub es. Und was besser ist: ich fühl es.« - -»Nun gut, das mit dem neuen Christentum ist +Ihre+ Sache; da will -ich Ihnen nicht hineinreden. Aber das andre, da müssen Sie mir was -versprechen. Besinnt er sich, und kommt er zu der Ansicht, daß das -alte Preußen mit König und Armee, trotz all seiner Gebresten und -altmodischen Geschichten, doch immer noch besser ist als das vom -neuesten Datum, und daß wir Alten vom Cremmer Damm und von Fehrbellin -her, auch wenn es uns selber schlecht geht, immer noch mehr Herz für -die Torgelowschen im Leibe haben als alle Torgelows zusammengenommen, -kommt es zu solcher Rückbekehrung, +dann+, Lorenzen, stören Sie diesen -Prozeß nicht. Sonst erschein ich Ihnen. Pastoren glauben zwar nicht an -Gespenster, aber wenn welche kommen, graulen sie sich auch.« - -Lorenzen legte seine Hand auf die Hand Dubslavs und streichelte sie, -wie wenn er des Alten Sohn gewesen wäre. »Das alles, Herr von Stechlin, -kann ich Ihnen gern versprechen. Ich habe Woldemar erzogen, als es -mir oblag, und Sie haben in Ihrer Klugheit und Güte mich gewähren -lassen. Jetzt ist Ihr Sohn ein vornehmer Herr und hat die Jahre. -Sprechen hat seine Zeit, und Schweigen hat seine Zeit. Aber wenn Sie -ihn und mich von oben her unter Kontrolle nehmen und eventuell mir -erscheinen wollen, so schieben Sie mir dabei nicht zu, was mir nicht -zukommt. Nicht +ich+ werde ihn führen. Dafür ist gesorgt. Die Zeit wird -sprechen, und neben der Zeit das neue Haus, die blasse junge Frau und -vielleicht auch die schöne Melusine.« - -Der Alte lächelte. »Ja, ja.« - - - - -Zweiundvierzigstes Kapitel - - -So ging das Gespräch. Und als Lorenzen aufbrach, fühlte sich der Alte -wie belebt und versprach sich eine gute Nacht mit viel Schlaf und wenig -Beängstigung. - -Aber es kam anders; die Nacht verlief schlecht, und als der Morgen da -war und Engelke das Frühstück brachte, sagte Dubslav: »Engelke, schaff -die Wabe weg; ich kann das süße Zeug nicht mehr sehn. Krippenstapel hat -es gut gemeint. Aber es is nichts damit und überhaupt nichts mit der -ganzen Heilkraft der Natur.« - -»Ich glaube doch, gnädger Herr. Bloß gegen die Gegenkraft kann die Wabe -nich an.« - -»Du meinst also: ›für'n Tod kein Kraut gewachsen ist‹. Ja, das wird es -wohl sein; das mein ich auch.« - -Engelke schwieg. - - * * * * * - -Eine Stunde später kam ein Brief, der, trotzdem er aus nächster -Nähe stammte, doch durch die Post befördert worden war. Er war von -Ermyntrud, behandelte die durch Koseleger und sie selbst geplante -Gründung eines Rettungshauses für verwahrloste Kinder und äußerte sich -am Schlusse dahin, daß, »wenn sich -- hoffentlich binnen kurzem -- ihre -Wünsche für Dubslavs fortschreitende Gesundheit erfüllt haben würden«, -Agnes, das Enkelkind der alten Buschen, als erste, wie sie vertraue, -sittlich zu Heilende in das Asyl aufgenommen werden möchte. - -Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch einmal und sagte dann: -»O, diese Komödie ... ›wenn sich meine Wünsche für Ihre fortschreitende -Gesundheit erfüllt haben werden‹ ... das heißt doch einfach, ›wenn -Sie sich demnächst den Rasen von unten ansehn‹. Alle Menschen sind -Egoisten, Prinzessinnen auch, und sind sie fromm, so haben sie noch -einen ganz besonderen Jargon. Es mag so bleiben, es war immer so. Wenn -sie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem gesunden Menschenverstand -andrer hätten.« - -Er steckte, während er so sprach, den Brief wieder in das Kuvert und -rief Agnes. - -Das Kind kam auch. - -»Agnes, gefällt es dir hier?« - -»Ja, gnädger Herr, es gefällt mir hier.« - -»Und ist dir auch nicht zu still?« - -»Nein, gnädger Herr, es ist mir auch nicht zu still. Ich möchte immer -hier sein.« - -»Na, du sollst auch bleiben, Agnes, solang es geht. Und nachher. Ja, -nachher ...« - -Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die Hände. - - * * * * * - -Dubslavs Zustand verschlechterte sich schnell. Engelke trat an ihn -heran und sagte: »Gnädger Herr, soll ich nicht in die Stadt schicken?« - -»Nein.« - -»Oder zu der Buschen?« - -»Ja, das tu. So ne alte Hexe kann es immer noch am besten.« - -In Engelkens Augen traten Tränen. - -Dubslav, als er es sah, schlug rasch einen andern Ton an. »Nein, -Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich habe es bloß so -hingesagt. Die Buschen soll nich kommen. Es würde mir wohl auch nicht -viel schaden, aber wenn man schon so in sein Grab sieht, dann muß man -doch anders sprechen, sonst hat man schlechte Nachrede bei den Leuten. -Und das möcht ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen nich -... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein ... Die käme mir am Ende -gleich nach, um mich zu retten. Nein, Engelke, nich die Buschen. Aber -gib mir noch mal von den Tropfen. Ein bißchen besser als der Tee sind -sie doch.« - - * * * * * - -Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende -gehe. »Das ›Ich‹ ist nichts -- damit muß man sich durchdringen. Ein -ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug, -auch wenn er ›Tod‹ heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche -sich ruhig schicken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn.« - -Er hing dem noch so nach und freute sich, alle Furcht überwunden zu -haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angst, und er seufzte: -»Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist lang.« - - * * * * * - -Es war eine schlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke lief hin und -her, und Agnes saß in ihrem Bett und sah mit großen Augen durch die -halbgeöffnete Tür in das Zimmer des Kranken. Erst als schon der Tag -graute, wurde durch das ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte -matt vor sich hin, und auch Agnes schlief ein. - -Es war wohl schon sieben -- die Parkbäume hinter dem Vorgarten lagen -bereits in einem hellen Schein --, als Engelke zu dem Kinde herantrat -und es weckte. »Steih upp, Agnes.« - -»Is he dod?« - -»Nei. He slöppt en beten. Un ick glöw, et sitt em nich mihr so upp de -Bost.« - -»Ick grul mi so.« - -»Dat brukst du nich. Un kann ook sinn, he slöppt sich wedder gesunn ... -Und nu, steih upp un bind di ook en Doog um'n Kopp. Et is noch en beten -küll drut. Un denn geih in'n Goaren nu plück em (wenn du wat finnst) en -beten Krokus oder wat et sünsten is.« - -Die Kleine trat auch leise durch die Balkontür auf die Veranda hinaus -und ging auf das Rundell zu, um nach ein paar Blumen zu suchen. Sie -fand auch allerlei; das Beste waren Schneeglöckchen. Und nun ging sie, -mit den Blumen in der Hand, noch ein paarmal auf und ab und sah, wie -die Sonne drüben aufstieg. Sie fröstelte. Zugleich aber kam ihr ein -Gefühl des Lebens. Dann trat sie wieder in das Zimmer und ging auf -den Stuhl zu, wo Dubslav saß. Engelke, die Hände gefaltet, stand neben -seinem Herrn. - -Das Kind trat heran und legte die Blumen dem Alten auf den Schoß. - -»Dat sinn de ihrsten,« sagte Engelke, »un wihren ook woll de besten -sinn.« - - - - -Dreiundvierzigstes Kapitel - - -Es war Mittwoch früh, daß Dubslav, still und schmerzlos, das Zeitliche -gesegnet hatte. Lorenzen wurde gerufen; auch Kluckhuhn kam, und eine -Stunde später war ein Gemeindediener unterwegs, der die Nachricht von -des Alten Tode den im Kreise Zunächstwohnenden überbringen sollte, -voran der Domina, dann Koseleger, dann Katzlers und zuletzt den beiden -Gundermanns. - - * * * * * - -Den Tag drauf trafen zwei Briefe bei den Barbys ein, der eine von -Adelheid, der andre von Armgard. Adelheid machte dem gräflichen Hause -kurz und förmlich die Anzeige von dem Ableben ihres Bruders, unter -gleichzeitiger Mitteilung, »daß das Begräbnis am Sonnabend mittag -stattfinden werde.« Der Brief Armgards aber lautete: »Liebe Melusine! -Wir bleiben noch bis morgen hier, -- noch einmal das Forum, noch einmal -den Palatin. Ich werde heute noch aus der Fontana Trevi trinken, dann -kommt man wieder, und das ist für jeden, der Rom verläßt, bekanntlich -der größte Trost. Wir gehen nun nach Capri, aber in Etappen, und -bleiben unter anderm einen halben Tag in Monte Cassino, wo (verzeih -meine Weisheit) das ganze Ordenswesen entstanden sein soll. Ich liebe -Klöster, wenn auch nicht für mich persönlich. Neapel berühren wir nur -kurz und gehen gleich bis Amalfi, wenn wir nicht das höher gelegene -Ravello bevorzugen. Dann erst über Sorrent nach Capri, dem eigentlichen -Ziel unsrer Reise. Wir werden nicht bei Pagano wohnen, wo, bei allem -Respekt vor der Kunst, zu viel Künstler sind, sondern weiter abwärts, -etwa auf halber Höhe. Wir haben von hier aus eine Empfehlung. In acht -Tagen sind wir sicher da. Sorge, daß wir dann einen Brief von Dir -vorfinden. Vorher sind wir so gut wie unerreichbar, ein Zustand, den -ich mir als Kind immer gewünscht und mir als etwas ganz besonders -Poetisches vorgestellt habe. Küsse meinen alten Papa. Nach Stechlin -hin tausend Grüße, vor allem aber bleibe, was Du jederzeit warst: die -Schwester, die Mutter (nur nicht die Tante) Deiner glücklichen, Dich -immer und immer wieder zärtlich liebenden Armgard.« - -Armgards Brief kam kaum zu seinem Recht, weil sowohl der alte Graf -wie Melusine ganz der Erwägung lebten, ob es nicht, trotz Armgards -gegenteiliger Vorwegversicherung, vielleicht doch noch möglich sein -würde, das junge Paar irgendwo telegraphisch zu erreichen; aber es -ging nicht, man mußte es aufgeben und sich begnügen, allerpersönlichst -Vorbereitungen für die Fahrt nach Stechlin hin zu treffen. Des alten -Grafen Befinden war nicht das beste, so daß seitens des Hausarztes sein -Fernbleiben von dem Begräbnis dringend gewünscht wurde. Daran aber war -gar nicht zu denken. Und so brachen denn Vater und Tochter am Sonnabend -früh nach Stechlin hin auf. Jeserich wurde mitgenommen, um für alle -Fälle zur Hand zu sein. Es war Prachtwetter, aber scharfe Luft, so daß -man trotz Sonnenschein fröstelte. - - * * * * * - -In dem alten Herrenhause zu Stechlin sah es am Begräbnistage sehr -verändert aus; sonst so still und abgeschieden, war heute alles -Andrang und Bewegung. Zahllose Kutschen erschienen und stellten -sich auf dem Dorfplatz auf, die meisten ganz in Nähe der Kirche. -Diese lag in prallem Sonnenschein da, so daß man deutlich die -hohen, in die Feldsteinwand eingemauerten Grabsteine sah, die -früher, vor der Restaurierung, im Kirchenschiff gelegen hatten. Efeu -fehlte; nur Holunderbüsche, die zu grünen anfingen, und dazwischen -Ebereschensträucher wuchsen um den Chor herum. - -Der Tote war auf dem durch Palmen und Lorbeer in eine grüne Halle -umgewandelten Hausflur aufgebahrt. Adelheid machte die Honneurs, und -ihre hohen Jahre, noch mehr aber ihr Selbstbewußtsein, ließen sie -die ihr zuständige Rolle mit einer gewissen Würde durchführen. Außer -den Barbys, Vater und Tochter, waren, von Berlin her, noch Baron und -Baronin Berchtesgaden gekommen, ebenso Rex und Hauptmann von Czako. Rex -sah aus, als ob er am Grabe sprechen wolle, während sich Czako darauf -beschränkte, das gesellschaftliche Durchschnittstrauermaß zu zeigen. - -Aber diese Berliner Gäste verschwanden natürlich in dem Kontingent, -das die Grafschaft gestellt hatte. Dieselben Herren, die sich -- kaum -ein halbes Jahr zurück -- am Rheinsberger Wahltage zusammengefunden -und sich damals, von ein paar Ausnahmen abgesehen, über Torgelows -Sieg eigentlich mehr erheitert als geärgert hatten, waren auch heute -wieder da: Baron Beetz, Herr von Krangen, Jongherr van dem Peerenbom, -von Gnewkow, von Blechernhahn, von Storbeck, von Molchow, von der -Nonne, die meisten, wie herkömmlich, mit sehr kritischen Gesichtern. -Auch Direktor Thormeyer war gekommen, ~in pontificalibus~, angetan mit -so vielen Orden und Medaillen, daß er damit weit über den Landadel -hinauswuchs. Einige stießen sich denn auch an, und Molchow sagte mit -halblauter Stimme zu von der Nonne: »Sehn Sie, Nonne, das ist die -›Schmetterlingsschlacht‹, von der man jetzt jeden Tag in den Zeitungen -liest.« Aber trotz dieser spöttischen Bemerkung wäre Thormeyer doch -Hauptgegenstand aller Aufmerksamkeit geblieben, wenn nicht der jeden -Ordensschmuck verschmähende, nur mit einem hochkragigen und uralten -Frack angetane Edle Herr von Alten-Friesack ihm siegreiche Konkurrenz -gemacht hätte. Das wendisch Götzenbildartige, das sein Kopf zeigte, -gab auch heute wieder den Ausschlag zu seinen Gunsten. Er nickte nur -pagodenhaft hin und her und schien selbst an die vom ältesten Adel die -Frage zu richten: »Was wollt ihr hier?« Er hielt sich nämlich (worin er -einer ererbten Geschlechtsanschauung folgte) für den einzig wirklich -berechtigten Bewohner und Vertreter der ganzen Grafschaft. - -Das waren so die Hauptanwesenden. Alles stand dichtgedrängt, und -von Blechernhahn, der in bezug auf »Schneid« beinah an von Molchow -heranreichte, sagte: »Bin neugierig, was der Lorenzen heute loslassen -wird. Er gehört ja zur Richtung Göhre.« - -»Ja, Göhre,« sagte von Molchow. »Merkwürdig, wie der Zufall spielt. Das -Leben macht doch immer die besten Witze.« - -Weiter kam es mit dieser ziemlich ungeniert geführten Unterhaltung -nicht, weil sich, als Molchow eben seinen Pfeil abgeschossen hatte, die -Gesamtaufmerksamkeit auf jene Flurstelle richtete, wo der aufgebahrte -Sarg stand. Hier war nämlich, und zwar in einem brillant sitzenden und -mit Atlasaufschlägen ausstaffierten Frack, in eben diesem Augenblicke -der Rechtsanwalt Katzenstein erschienen und schritt, nachdem er einen -Granseeschen Riesenkranz am Fußende des Sarges niedergelegt hatte, -mit jener Ruhe, wie sie nur das gute Gewissen gibt, auf Adelheid zu, -vor der er sich respektvollst verneigte. Diese bewahrte gute Haltung -und dankte. Von verschiedenen Seiten her aber hörte man leise das -Wort »Affront«, während ein in unmittelbarer Nähe des Edlen Herrn -von Alten-Friesack stehender, erst seit kurzem zu Christentum und -Konservatismus übergetretener Katzensteinscher Kollege lächelnd vor -sich hin murmelte: »Schlauberger!« - -Und nun war es Zeit. - -Der Zug ordnete sich; Militärmusik aus der nächsten Garnison schritt -vorauf; dann traten die Stechliner Bauern heran, die darum gebeten -hatten, den Sarg tragen zu dürfen. Diener und Mädchen aus dem Hause -nahmen die Kränze. Dann kam Adelheid mit Pastor Lorenzen, an die -sich die Trauerversammlung (viele von ihnen in Landstandsuniform) -unmittelbar anschloß. Draußen sah man, daß eine große Zahl kleiner -Leute Spalier gebildet hatte. Das waren die von Globsow. Sie hatten -bei der Rheinsberger Wahl alle für Torgelow oder doch wenigstens für -Katzenstein gestimmt; jetzt aber, wo der Alte tot war, waren sie doch -vorwiegend der Meinung: »He wihr so wiet janz good.« - -Die Musik klang wundervoll; kleine Mädchen streuten Blumen, und so -ging es den etwas ansteigenden Kirchhof hinauf, zwischen den Gräbern -hindurch und zuletzt auf das uralte, niedrige Kirchenportal zu. Vor dem -Altar stellten sie den Sarg auf einen mit einer Versenkungsvorrichtung -versehenen Stein, unter dem sich die Gruft der Stechline befand. Schiff -und Emporen waren überfüllt; bis auf den Kirchhof hinaus stand alles -Kopf an Kopf. Und nun trat Lorenzen an den Sarg heran, um über den, -den er trotz aller Verschiedenheit der Meinungen so sehr geliebt und -verehrt, ein paar Worte zu sagen. - -»›Wer seinen Weg richtig wandelt, kommt zu seiner Ruhe in der Kammer.‹ -Diesen Weg zu wandeln war das Bestreben dessen, an dessen Sarge wir -hier stehn. Ich gebe kein Bild seines Lebens, denn wie dies Leben -war, es wissen's alle, die hier erschienen sind. Sein Leben lag -aufgeschlagen da, nichts verbarg sich, weil sich nichts zu verbergen -brauchte. Sah man ihn, so schien er ein Alter, auch in dem, wie er -Zeit und Leben ansah; aber für die, die sein wahres Wesen kannten, war -er kein Alter, freilich auch kein Neuer. Er hatte vielmehr das, was -über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten -wird: ein Herz. Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach der -Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem alles Beste umschließenden -Etwas, das Gesinnung heißt. Er war recht eigentlich frei. Wußt es -auch, wenn er's auch oft bestritt. Das goldene Kalb anbeten war -nicht seine Sache. Daher kam es auch, daß er vor dem, was das Leben -so vieler andrer verdirbt und unglücklich macht, bewahrt blieb, vor -Neid und bösem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er selber keines -Menschen Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung des alten -Weisheitssatzes: ›Was du nicht willst, daß man dir tu.‹ - -Und das leitet mich denn auch hinüber auf die Frage nach seinem -Bekenntnis. Er hatte davon weniger das Wort als das Tun. Er hielt es -mit den guten Werken und war recht eigentlich das, was wir überhaupt -einen Christen nennen sollten. Denn er hatte die Liebe. Nichts -Menschliches war ihm fremd, weil er sich selbst als Mensch empfand und -sich eigner menschlicher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was -einst unser Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und an das er die -Segensverheißung geknüpft hat, -- all das war sein: Friedfertigkeit, -Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens. Er war das Beste, was -wir sein können, ein Mann und ein Kind. Er ist nun eingegangen in -seines Vaters Wohnungen und wird da die Himmelsruhe haben, die der -Segen aller Segen ist.« - -Einige der Anwesenden sahen sich bei dieser Schlußwendung an. Am -meisten bemerkt wurde Gundermann, dessen der Rede halb zustimmende, -halb ablehnende Haltung bei den versammelten »Alten und Echten« (die -wohl +sich+, aber nicht +ihm+ ein Recht der Kritik zuschrieben) auch -hier wieder ein Lächeln hervorrief. Dann folgte mit erhobener Stimme -Gebet und Einsegnung, und als die Orgel intonierte, senkte sich der -auf dem Versenkungsstein stehende Sarg langsam in die Gruft. Einen -Augenblick später, als der wiederaufsteigende Stein die Gruftöffnung -mit einem eigentümlichen Klappton schloß, hörte man von der Kirchentür -her erst ein krampfhaftes Schluchzen und dann die Worte: »Nu is -allens ut; nu möt ick ook weg.« Es war Agnes. Man nahm das Kind von -dem Schemel herunter, auf dem es stand, um es unter Zuspruch der -Nächststehenden auf den Kirchhof hinauszuführen. Da schlich es noch -eine Weile weinend zwischen den Gräbern hin und her und ging dann die -Straße hinunter auf den Wald zu. - -Die alte Buschen selbst hatte nicht gewagt, mit dabei zu sein. - - * * * * * - -Unter denen, die draußen auf dem Kirchhof standen, waren auch von -Molchow und von der Nonne. Jeder von ihnen wartete auf seine Kutsche, -die, weil der Andrang so groß war, nicht gleich vorfahren konnte. Beide -froren bitterlich bei der scharfen Luft, die vom See her wehte. - -»Ich weiß nicht,« sagte von der Nonne, »warum sie die Feier nicht im -Hause, wo sie doch heizen konnten, abgehalten haben; es war ja da drin -gar keine menschliche Temperatur mehr. Und nun erst hier draußen.« - -»Is leider so,« sagte Molchow, »und ich werde wohl auch mit ner -Kopfkolik abschließen. Und mitunter stirbt man dran. Aber wenn man in -Berlin is (und ich habe da neulich auch so was mitgemacht,) is es doch -noch schlimmer. Da haben sie was, was sie ne Leichenhalle nennen, ne -Art Kapelle mit Bibelspruch und Lorbeerbäumen, und dahinter verstecken -sich ein paar Gesangsmenschen. Wenn man sie nachher aber sieht, sehen -sie sehr gefrühstückt aus.« - -»Kenn ich, kenn ich,« sagte Nonne. - -»Nu, der Gesang,« fuhr Molchow fort, »das ginge noch, den kann man -schließlich aushalten. Aber der Fußboden und der Zug durch die -offenstehende Tür. Und wenn man noch bloß +den+ kriegte. Wer aber -Pech hat, der kommt, wenn's Winter is, dicht neben einen Kanonenofen -zu stehn, und wenn ich sage, ›der pustet‹, so sag ich noch wenig. -Und der Geistliche kann einem auch leid tun. Er spricht sozusagen -für niemanden. Wer kann denn bei solchem Zug und solchem Ofenpusten -ordentlich zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich immer an die -drei Männer im feurigen Ofen gedacht habe. So halb Eisklumpen, halb -Bratapfel is nich mein Fall.« - -»Ja, die Berliner,« sagte Nonne ... »Nich zu glauben.« - -»Nich zu glauben. Und dabei bilden sie sich ein, sie hätten eigentlich -alles am besten. Und mancher von ihnen glaubt es auch wirklich. Aber -die Hölle lacht.« - -»Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie sich! Das über Berlin, na, das -ginge vielleicht noch. Aber so gleich hier von Hölle, hier mitten auf -nem christlichen Kirchhof ...« - - * * * * * - -Bald danach hatte sich der Kirchhof geleert, und alles, was in der -Grafschaft wohnte, war auf dem Heimwege. Nur die von Berlin her -erschienenen Gäste, die den nächsten, an Gransee vorüberkommenden -Rostocker Zug abzuwarten hatten, waren in das Herrenhaus zurückgekehrt, -wo mittlerweile für einen Imbiß Sorge getragen war. Rex und Czako, -desgleichen auch die Berchtesgadens, nahmen erst ein Glas Wein und -dann eine Tasse Kaffee. Zwischen dem alten Grafen und Adelheid knüpfte -sich ein mäßig belebtes Gespräch an, wobei der Graf der Vorzüge des -Verstorbenen gedachte. Da Schwester Adelheid jedoch, wie so viele -Schwestern, allerlei Zweifel und Bedenken hinsichtlich des Tuns und -Treibens ihres Bruders hegte, so ging man bald zu den Kindern über -und beklagte, daß sie bei einer so schönen Feier nicht hätten zugegen -sein können. Dazwischen wurde dann freilich das fast entgegengesetzt -klingende Bedauern laut, daß das junge Paar seinen Aufenthalt im Süden -wohl werde abbrechen müssen. Der alte Graf in seiner Güte fand alles, -was Adelheid sagte, sehr verständig, während sich Adelheids Gefühle mit -der Anerkennung begnügten, daß sie sich den Alten eigentlich schlimmer -gedacht habe. - - - - -Vierundvierzigstes Kapitel - - -Melusine war aus der Kirche mit in das Herrenhaus zurückgekehrt und -widmete sich hier auf eine kurze Weile zunächst ihren Freunden, den -Berchtesgadens, dann Rex und Czako. Danach ging sie in die Pfarre -hinüber, um Lorenzen zu danken und noch ein kurzes Gespräch mit ihm -über Woldemar und Armgard zu haben, im wesentlichen eine Wiederholung -alles dessen, was sie schon während ihres Weihnachtsbesuches mit ihm -durchgesprochen hatte. Sie verplauderte sich dabei wider Wunsch und -Willen, und als sie schließlich nach dem Herrenhause zurückkehrte, -begegnete sie bereits jener Aufbruchsunruhe, die kein ernstes Eingehen -auf irgendein Thema mehr zuläßt. Sie beschränkte sich deshalb auf ein -paar Worte mit Tante Adelheid. Daß man sich gegenseitig nicht mochte, -war der einen so gewiß wie der andern. Sie waren eben Antipoden: -Stiftsdame und Weltdame, Wutz und Windsor, vor allem enge und weite -Seele. - -»Welch ein Mann, Ihr Pastor Lorenzen,« sagte Melusine. »Und zum Glück -auch noch unverheiratet.« - -»Ich möchte das nicht so betonen und noch weniger es beloben. Es -widerspricht dem Beispiele, das unser Gottesmann gegeben, und -widerspricht auch wohl der Natur.« - -»Ja, der Durchschnittsnatur. Es gibt aber, Gott sei Dank, Ausnahmen. -Und das sind die eigentlich Berufenen. Eine Frau nehmen ist -alltäglich ...« - -»Und keine Frau nehmen ist ein Wagnis. Und die Nachrede der Leute hat -man noch obenein.« - -»Diese Nachrede hat man immer. Es ist das erste, wogegen man -gleichgültig werden muß. Nicht in Stolz, aber in Liebe.« - -»Das will ich gelten lassen. Aber die Liebe des natürlichen Menschen -bezeigt sich am besten in der Familie.« - -»Ja, die des natürlichen Menschen ...« - -»Was ja so klingt, Frau Gräfin, als ob Sie dem Unnatürlichen das Wort -reden wollten.« - -»In gewissem Sinne ›ja‹, Frau Domina. Was entscheidet, ist, ob man -dabei nach oben oder nach unten rechnet.« - -»Das Leben rechnet nach unten.« - -»Oder nach oben; je nachdem.« - -Es klang alles ziemlich gereizt. Denn so leichtlebig und heiter -Melusine war, +einen+ Ton konnte sie nicht ertragen, den sittlicher -Überheblichkeit. Und so war eine Gefahr da, sich die Schraubereien -fortsetzen zu sehen. Aber die Meldung, daß die Wagen vorgefahren seien, -machte dieser Gefahr ein Ende. Melusine brach ab und teilte nur noch -in Kürze mit, daß sie vorhabe, morgen mit dem frühesten von Berlin aus -einen Brief zu schreiben, der mutmaßlich gleichzeitig mit dem jungen -Paar in Capri eintreffen werde. Adelheid war damit einverstanden, und -Melusine nahm Baron Berchtesgadens Arm, während der alte Graf die -Baronin führte. - -Das Verdeck des vor dem Portal haltenden Wagens war zurückgeschlagen, -und alsbald hatten die Baronin und Melusine im Fond, die beiden -Herren aber auf dem Rücksitz Platz genommen. So ging es eine schon in -Kätzchen stehende Weidenallee hinunter, die beinahe geradlinig auf -Gransee zuführte. Das Wetter war wunderschön; von der Kälte, die noch -am Vormittag geherrscht hatte, zeigte sich nichts mehr; der Himmel war -gleichmäßig grau, nur hier und da eine blaue Stelle. Der Rauch stand in -der stillen Luft, die Spatzen quirilierten auf den Telegraphendrähten, -und aus dem Saatengrün stiegen die Lerchen auf. »Wie schön,« sagte -Baron Berchtesgaden, »und dabei spricht man immer von der Dürftigkeit -und Prosa dieser Gegenden.« Alles stimmte zu, zumeist der alte Graf, -der die Frühlingsluft einsog und immer wieder aussprach, wie glücklich -ihn diese Stunde mache. Sein Bewegtsein fiel auf. - -»Ich dachte, lieber Barby,« sagte der Baron, »in meinen Huldigungen -gegen Ihre märkische Frühlingslandschaft ein Äußerstes getan zu haben. -Aber ich sehe, ich bleibe doch weit zurück; Sie schlagen mich aus dem -Felde.« - -»Ja,« sagte der alte Graf, »und mir kommt es wohl auch zu. Denn ich bin -der erste dran, davon Abschied nehmen zu müssen.« - - * * * * * - -Rex und Czako folgten in einem leichten Jagdwagen. Die beiden Schecken, -kleine Shetländer, warfen ihre Mähnen. Daß man von einem Begräbnis kam, -war dem Gefährt nicht recht anzusehen. - -»Rex,« sagte Czako, »Sie könnten nun wieder ein ander Gesicht -aufsetzen. Oder wollen Sie mich glauben machen, daß Sie wirklich -betrübten Herzens sind?« - -»Nein, Czako, so gröblich inszenier ich mich nicht. Und käme mir so was -in den Sinn, so jedenfalls nicht vor einem Publikum, das Czako heißt. -Übrigens wollen Sie bloß etwas von sich auf mich abwälzen. +Sie+ sind -betrübt, und wenn ich mir alles überlege, so steht es so, daß Sie bei -dem Chateau Lafitte nicht auf Ihre Rechnung gekommen sind. Er wirkte --- denn des Alten ›Bocksbeutel‹ hab ich von unserem Oktoberbesuch her -noch in dankbarer Erinnerung --, wie wenn ihn Tante Adelheid aus ihrem -Kloster mitgebracht hätte.« - -»Rex, Sie sind ja wie vertauscht und reden beinah in meinem Stil. Es -ist doch merkwürdig, sowie die Menschen dies Nest, dies Berlin, erst -hinter sich haben, fängt Vernunft wieder an zu sprechen.« - -»Sehr verbunden. Aber eskamotieren Sie nicht die Hauptsache. Meine -Frage bleibt, ›warum so belegt, Czako?‹ Denn daß Sie das sind, ist -außer Zweifel. Wenn's also nicht von dem Lafitte stammt, so kann es nur -Melusine sein.« - -Czako seufzte. - -»Da haben wir's. Tatsache festgestellt, obwohl ich Ihren Seufzer nicht -recht verstehe. Sie haben nämlich nicht den geringsten Grund dazu. -Gesamtsituation umgekehrt überaus günstig.« - -»Sie vergessen, Rex, die Gräfin ist sehr reich.« - -»Das erschwert nicht, das erleichtert bloß.« - -»Und außerdem ist sie grundgescheit.« - -»Das sind Sie beinah auch, wenigstens mitunter.« - -»Und dann ist die Gräfin eine Gräfin, ja, sogar eine Doppelgräfin, erst -durch Geburt und dann durch Heirat noch mal. Und dazu diese verteufelt -vornehmen Namen: Barby, Ghiberti. Was soll da Czako? Teuerster Rex, -man muß den Mut haben, den Tatsachen ins Auge zu sehn. Ich mache mir -kein Hehl draus, Czako hat was merkwürdig Kommißmäßiges, etwa wie -Landwehrmann Schultze. Kennen Sie das reizende Ballett ›Uckermärker und -Picarde?‹ Da haben Sie die ganze Geschichte. Melusine ist die reine -Picarde.« - -»Zugegeben. Aber was schadet das? Italienisieren Sie sich und schreiben -Sie sich von morgen ab Ciacco. Dann sind Sie dem Ghiberti trotz seiner -Grafenschaft dicht auf den Hacken.« - -»Sapristi, Rex, ~c'est une idée~.« - - - - -Fünfundvierzigstes Kapitel - - -Das junge Paar war, nach geplantem kurzen Aufenthalt erst in Amalfi und -dann in Sorrent, in Capri angekommen. Woldemar fragte nach Briefen, -erfuhr aber, daß nichts eingegangen. - -Armgard schien verstimmt. »Melusine läßt sonst nie warten.« - -»Das hat dich verwöhnt. Sie verwöhnt dich überhaupt.« - -»Vielleicht. Aber, so dir's recht ist, darüber erst später einmal, -nicht heute; für solche Geständnisse sind wir doch eigentlich noch -nicht lange genug verheiratet. Wir sind ja noch in den Flitterwochen.« - -Woldemar beschwichtigte. »Morgen wird ein Brief da sein. Schließen wir -also Frieden, und steigen wir, wenn dir's paßt, nach Anacapri hinauf. -Oder wenn du nicht steigen magst, bleiben wir, wo wir sind, und suchen -uns hier eine gute Aussichtsstelle.« - -Es war auf dem Frontbalkon ihres am mittleren Abhang gelegenen Albergo, -daß sie dies Gespräch führten, und weil die Mühen und Anstrengungen -der letzten Tage ziemlich groß gewesen waren, war Armgard willens, -für heute wenigstens auf Anacapri zu verzichten. Sie begnügte sich -also, mit Woldemar auf das Flachdach hinaufzusteigen, und verlebte da, -angesichts der vor ihnen ausgebreiteten Schönheit, eine glückliche -Stunde. Von Sorrent kamen Fischerboote herüber, die Fischer sangen, und -der Himmel war klar und blau; nur drüben aus dem Kegel des Vesuv stieg -ein dünner Rauch auf, und von Zeit zu Zeit war es, als vernähme man ein -dumpfes Rollen und Grollen. - -»Hörst du's?« fragte Armgard. - -»Gewiß. Und ich weiß auch, daß man einen Ausbruch erwartet. Vielleicht -erleben wir's noch.« - -»Das wäre herrlich.« - -»Und dabei,« fuhr Woldemar fort, »komm ich von der eiteln Vorstellung -nicht los, daß, wenn's da drüben ernstlich anfängt, unser -Stechlin mittut, wenn auch bescheiden. Es ist doch eine vornehme -Verwandtschaft.« - -Armgard nickte, und von der Uferstelle her, wo die Sorrentiner Fischer -eben anlegten, klang es herauf: - - ~Tre giorni son che Nina, che Nina. - In letto ne se sta ...~ - - * * * * * - -Am andern Tage, wie vorausgesagt, kam ein Brief von Melusine, diesmal -aber nicht an die Schwester, sondern an Woldemar adressiert. - -»Was ist?« fragte Armgard, der die Bewegung nicht entging, die -Woldemar, während er las, zu bekämpfen suchte. - -»Lies selbst.« - -Und dabei gab er ihr den Brief mit der Todesanzeige des Alten. - -An ein Eintreffen in Stechlin, um noch der Beisetzung beiwohnen zu -können, war längst nicht mehr zu denken; der Begräbnistag lag zurück. -So kam man denn überein, die Rückreise langsam, in Etappen über Rom, -Mailand und München machen, aber an jedem Orte (denn beide sehnten sich -heim) nicht länger als einen Tag verweilen zu wollen. Von Capri nahm -Woldemar ein einziges Andenken mit, einen Kranz von Lorbeer und Oliven. -»Den hat er sich verdient.« -- - -Die letzte Station war Dresden, und von hier aus war es denn auch, daß -Woldemar ein paar kurze Zeilen an Lorenzen richtete. - - Lieber Lorenzen. - - Seit einer halben Stunde sind wir in Dresden, und ich schreibe - diese Zeilen angesichts des immer wieder schönen Bildes von - der Terrasse aus, das auch auf den Verwöhntesten noch wirkt. - Wir wollen morgen in aller Frühe von hier fort, sind um zehn - in Berlin und um zwölf in Gransee. Denn ich will zunächst - unser altes Stechlin wiedersehen und einen Kranz am Sarge - niederlegen. Bitte, sorgen Sie, daß mich ein Wagen auf der - Station erwartet. Wenn ich auch Sie persönlich träfe, so - wäre mir das das Erwünschteste. Es plaudert sich unterwegs so - gut. Und von wem könnt ich mehr und zugleich Zuverlässigeres - erfahren als von Ihnen, der Sie die letzten Tage mit durchlebt - haben werden. Meine Frau grüßt herzlichst. Wie immer Ihr alter - treu und dankbar ergebenster - - Woldemar v. St. - - * * * * * - -Um zwölf hielt der Zug auf Bahnhof Gransee. Woldemar sah schon vom -Coupé aus den Wagen; aber statt Lorenzen war Krippenstapel da. Das -war ihm zunächst nicht angenehm, aber er nahm es bald von der guten -Seite. »Krippenstapel ist am Ende noch besser, weil er unbefangener ist -und mit manchem weniger zurückhält. Lorenzen, wenn er dies Wort auch -belächeln würde, hat einen diplomatischen Zug.« - -In diesem Augenblick erfolgte die Begrüßung mit dem inzwischen -herangetretenen »Bienenvater«, und alle drei bestiegen den Wagen, -dessen Verdeck zurückgeschlagen war. Krippenstapel entschuldigte -Lorenzen, »der wegen einer Trauung behindert sei«, und so wäre -denn alles in bester Ordnung gewesen, wenn unser trefflicher alter -Museumsdirektor nur vor Antritt seiner Fahrt nach Gransee von einer -Herausbesserung seines äußeren Menschen Abstand genommen hätte. Das -war ihm aber unzulässig erschienen, und so saß er denn jetzt dem -jungen Paare gegenüber, angetan mit einem Schlipsstreifen und einem -großen Chemisettevorbau. Der Schlips war so schmal, daß nicht bloß -der zur Befestigung der Vatermörder dienende Hemdkragenrand in halber -Höhe sichtbar wurde, sondern leider auch der aus einem keilartigen -Ausschnitt hervorlugende Adamsapfel, der sich nun, wie ein Ding für -sich, beständig hin und her bewegte. Die Verlegenheit Armgards, deren -Auge sich -- natürlich ganz gegen ihren Willen -- unausgesetzt auf -dies Naturspiel richten mußte, wäre denn auch von Moment zu Moment -immer größer geworden, wenn nicht Krippenstapels unbefangene Haltung -schließlich über alles wieder hinweggeholfen hätte. - -Dazu kam noch, daß seiner Unbefangenheit seine Mitteilsamkeit -entsprach. Er erzählte von dem Begräbnis und wer vom Grafschaftsadel -alles dagewesen sei. Dann kam Thormeyer an die Reihe, dann Katzenstein -und die Domina und zuletzt auch »lütt Agnes«. - -»Des Kindes müssen wir uns annehmen,« sagte Armgard. - -»Wenn du darauf dringst, gewiß. Aber es liegt schwieriger damit, als -du denkst. Solche Kinder, ganz im Gegensatz zur Pädagogenschablone, -muß man sich selbst überlassen. Der gefährlichere Weg, wenn überhaupt -was Gutes in ihnen steckt, ist jedesmal der bessere. Dann bekehren -sie sich aus sich selbst heraus. Wenn aber irgendein Zwang diese -Bekehrung schaffen will, so wird meist nichts draus. Da werden nur -Heuchelei und Ziererei geboren. Eigner freier Entschluß wiegt hundert -Erziehungsmaximen auf.« - -Armgard stimmte zu. Krippenstapel aber fuhr in seinem Berichte fort und -erzählte von Kluckhuhn, von Uncke, von Elfriede; Sponholz werde in der -nächsten Woche zurückerwartet, und Koseleger und die Prinzessin seien -ein Herz und eine Seele, ganz besonders -- und das sei das Allerneueste --- seit man für ein Rettungshaus sammle. Seitens des Adels werde -fleißig dazu beigesteuert; nur Molchow habe sich geweigert: »so was -schaffe bloß Konfusion.« - -Um zwei traf man in Schloß Stechlin ein. Woldemar durchschritt die -verödeten Räume, verweilte kurze Zeit in dem Sterbezimmer und ging dann -in die Kirchengruft, um da den Kranz an des Vaters Sarge niederzulegen. - -Am späten Nachmittag erschien auch Lorenzen und sprach zunächst sein -Bedauern aus, daß er einer Amtshandlung halber (Kossäth Zschocke habe -sich wieder verheiratet) nicht habe kommen können. Er blieb dann noch -den Abend über und erzählte vielerlei, zuletzt auch von dem, was er dem -Alten feierlich habe versprechen müssen. - -Woldemar lächelte dabei. »Die Zukunft liegt also bei +dir+.« - -Unter diesen Worten reichte er Armgard die Hand. - - - - -Sechsundvierzigstes Kapitel - - -Armgard hatte sich von der im Stechliner Hause herrschenden -Weltabgewandtheit angeheimelt gefühlt. Aber der Gedanke, hier ihre Tage -zu verbringen, lag ihr doch vorderhand noch fern, und so kehrte sie -denn kurz nach Ablauf einer Woche nach Berlin zurück, wo mittlerweile -Melusine für alles gesorgt und eine ganz in der Nähe von Woldemars -Kaserne gelegene Wohnung gemietet und eingerichtet hatte. - -Das war am Belle-Allianceplatz. Als das junge Paar diese Wohnung bezog, -ging die Saison bereits auf die Neige. Die Frühjahrsparaden nahmen -ihren Anfang und gleich danach auch die Wettrennen, an denen Armgard -voller Interesse teilnahm. Aber ihre Freude daran war doch geringer, -als sie geglaubt hatte. Weder das Großstädtische noch das Militärische, -weder Sport noch Kunst behaupteten dauernd den Reiz, den sie sich -anfänglich davon versprochen, und ehe der Hochsommer heran war, sagte -sie: »Laß mich's dir gestehn, Woldemar, ich sehne mich einigermaßen -nach Schloß Stechlin.« - -Er hätte nichts Lieberes hören können. Was Armgard da sagte, war ihm -aus der eignen Seele gesprochen. Liebenswürdig und bescheiden wie er -war, stand ihm längst fest, daß er nicht berufen sei, jemals eine -Generalstabsgröße zu werden, während das alte märkische Junkertum, von -dem frei zu sein er sich eingebildet hatte, sich allmählich in ihm zu -regen begann. Jeder neue Tag rief ihm zu: »Die Scholle daheim, die dir -Freiheit gibt, ist doch das Beste.« So reichte er denn seine Demission -ein. Man sah ihn ungern scheiden, denn er war nicht bloß wohlgelitten -an der Stelle, wo er stand, sondern überhaupt beliebt. Man gab ihm, -als sein Scheiden unmittelbar bevorstand, ein Abschiedsfest, und der -ihm besonders wohlwollende Kommandeur des Regiments sprach in seiner -Rede von den »schönen, gemeinschaftlich durchlebten Tagen in London und -Windsor«. -- - -All die Zeit über waren natürlich auch die von einer Übersiedlung -aufs Land unzertrennlichen kleinen Mühen und Sorgen an das junge Paar -herangetreten. Unter diesen Sorgen -- Lizzi hatte abgelehnt, weil sie -die große Stadt und die »Bildung« nicht missen mochte -- war in erster -Reihe das Ausfindigmachen einer geeigneten Kammerjungfer gewesen. Es -traf sich aber so glücklich, daß Portier Hartwigs hübsche Nichte mal -wieder außer Stellung war, und so wurde diese denn engagiert. Melusine -leitete die Verhandlungen mit ihr. »Ich weiß freilich nicht, Hedwig, -ob es Ihnen da draußen gefallen wird, Ich hoff es aber. Und Sie werden -jedenfalls zweierlei +nicht+ haben: keinen Hängeboden und keinen -›Ankratz‹, wie die Leute hier sagen. Oder wenigstens nicht mehr davon, -als Ihnen schließlich doch vielleicht lieb ist.« - -»Ach, das ist nicht viel,« versicherte Hedwig halb scham- halb -schalkhaft. -- - -Am 21. September wollte das junge Paar in Stechlin einziehen, und -alle Vorbereitungen dazu waren getroffen: Schulze Kluckhuhn trommelte -sämtliche Kriegervereine zusammen (die Düppelstürmer natürlich am -rechten Flügel), während Krippenstapel sich mit Tucheband über ein -Begrüßungsgedicht einigte, das von Rolf Krakes ältester Tochter -gesprochen werden sollte. Die Globsower gingen noch einen Schritt -weiter und bereiteten eine Rede vor, darin der neue junge Herr als -einer der »Ihrigen« begrüßt werden sollte. - -Das alles galt dem 21. - -Am Tage vorher aber traf ein Brief Melusinens bei Lorenzen ein, an -dessen Schluß es hieß: - -»Und nun, lieber Pastor, noch einmal das eine. Morgen früh zieht -das junge Paar in das alte Herrenhaus ein, meine Schwester und -mein Schwager. Erinnern Sie sich bei der Gelegenheit unsres in den -Weihnachtstagen geschlossenen Paktes: es ist nicht nötig, daß die -Stechline weiterleben, aber es lebe - - +der Stechlin+.« - - - - -Werke von Theodor Fontane - - - Gesammelte Werke - - Erste Reihe in fünf Bänden - - Erzählende Werke - - - 1. Band: - - Gedichte / Grete Minde / Schach von Wuthenow / - Unterm Birnbaum - - - 2. Band: - - L'Adultera / Cecile / Unwiederbringlich - - - 3. Band: - - Stine / Irrungen Wirrungen / - Frau Jenny Treibel - - - 4. Band: - - Die Poggenpuhls / Effi Briest - - - 5. Band: - - Der Stechlin - - - Zweite Reihe in fünf Bänden - - Autobiographische Werke, Briefe - - - 1. Band: - - Einleitung / Meine Kinderjahre - - - 2. Band: - - Von Zwanzig bis Dreißig - - - 3. Band: - - Kriegsgefangen / Aus den Tagen der Okkupation - / Vor und nach der Reise - - - 4. und 5. Band: - - Briefe - - - Einzelausgaben - - - Effi Briest - - Roman. 58. Auflage - - - Cecile - - Roman. 3. Auflage - - - Stine - - Roman. 53. Tausend - - - Meine Kinderjahre - - Autobiographischer Roman. 12. Auflage - - - Von Zwanzig bis Dreißig - - Autobiographisches. 7. Tausend - - - Kriegsgefangen - - 26. Tausend - - - Die Poggenpuhls - - Roman. 47. Auflage - - - Mathilde Möhring - - Roman. 60. Tausend - - - L'Adultera - - Roman. 80. Auflage - - - Frau Jenny Treibel - - Roman. 92. Auflage - - - Irrungen Wirrungen - - Roman. 148. Auflage - - - Aus dem Nachlaß - - 6. Auflage - - - Das Fontanebuch - - 9. Auflage - - -Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig - - - - - * * * * * * - - - - -Weitere Anmerkungen zur Transkription - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die - Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. - - Korrekturen: - - S. 216: verwogen → verwegen - etliche mehr oder weniger {verwegen} aussehende Wahlmänner - - S. 279: ofen → Ofen - drei Männer im feurigen {Ofen} - - S. 343: Fronde → Fronde ist - {Fronde ist} mir gräßlich und paßt nicht für uns - - - -***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER STECHLIN*** - - -******* This file should be named 53628-0.txt or 53628-0.zip ******* - - -This and all associated files of various formats will be found in: -http://www.gutenberg.org/dirs/5/3/6/2/53628 - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/old/53628-0.zip b/old/53628-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index cadfbaf..0000000 --- a/old/53628-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/53628-h.zip b/old/53628-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index c5a5c6e..0000000 --- a/old/53628-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/53628-h/53628-h.htm b/old/53628-h/53628-h.htm deleted file mode 100644 index 0fb329a..0000000 --- a/old/53628-h/53628-h.htm +++ /dev/null @@ -1,18076 +0,0 @@ -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" - "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> -<head> -<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=UTF-8" /> -<title>The Project Gutenberg eBook of Der Stechlin, by Theodor Fontane</title> - <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> - <style type="text/css"> - -body { - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; -} - -.chapter { - page-break-before: always; -} - -h1, h2, h3 { - text-align: center; /* all headings centered */ - clear: both; -} - -.h2 { - text-indent: 0; - text-align: center; - font-size: x-large; -} - -p { - margin-top: 1ex; - margin-bottom: 1ex; - text-align: justify; - text-indent: 1em; -} - -.p2 {margin-top: 2em;} - -hr { - width: 33%; - margin-top: 2em; - margin-bottom: 2em; - margin-left: 33.5%; - margin-right: 33.5%; - clear: both; -} - -hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%; } -hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%; } - -.pagenum { - position: absolute; - left: 90%; - width: 8%; - font-family: sans-serif; - font-style: normal; - font-weight: normal; - font-size: small; - text-align: right; -} /* page numbers */ - -.pagenum a { - color: gray; -} - -.blockquot { - margin-left: 5%; - margin-right: 10%; -} - -.center { - text-align: center; - text-indent: 0; -} - -.right { - text-align: right; - margin-right: 5%; -} - -.large { - font-size: large; -} - -.small { - font-size: small; -} - -.antiqua { - font-family: sans-serif; - font-style: normal; - font-size: 95%; -} - -.gesperrt { - font-style: italic; -} - -/* Images */ -img { - max-width: 100%; - height: auto; -} - -.figcenter { - margin: auto; - text-align: center; -} - -/* Poetry */ -.poem { - margin-left:10%; - margin-right:10%; - text-align: left; -} - -.poem br {display: none;} - -.poem .stanza {margin: 1em 0em 1em 0em;} - -.poem span.i0 {display: block; margin-left: 0em; padding-left: 3em; text-indent: -3em;} - -/* Transcriber's notes */ -.transnote {background-color: #E6E6FA; - color: black; - font-size:smaller; - padding:0.5em; - margin-bottom:5em; -} - -.corr p { - margin-left: 2em; - text-indent: -1em; -} - -p.drop:first-letter { - margin: 0.3ex 0.1em 0 0; - font-size: 200%; - line-height: 1.7ex; -} - -@media handheld { - p.drop:first-letter { - margin: 0; - font-size: 100%; - } -} - - hr.full { width: 100%; - margin-top: 3em; - margin-bottom: 0em; - margin-left: auto; - margin-right: auto; - height: 4px; - border-width: 4px 0 0 0; /* remove all borders except the top one */ - border-style: solid; - border-color: #000000; - clear: both; } - </style> -</head> -<body> -<h1>The Project Gutenberg eBook, Der Stechlin, by Theodor Fontane</h1> -<p>This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States -and most other parts of the world at no cost and with almost no -restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it -under the terms of the Project Gutenberg License included with this -eBook or online at <a -href="http://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you are not -located in the United States, you'll have to check the laws of the -country where you are located before using this ebook.</p> -<p>Title: Der Stechlin</p> -<p>Author: Theodor Fontane</p> -<p>Release Date: November 28, 2016 [eBook #53628]</p> -<p>Language: German</p> -<p>Character set encoding: UTF-8</p> -<p>***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER STECHLIN***</p> -<p> </p> -<h3>E-text prepared by Peter Becker<br /> - and the Online Distributed Proofreading Team<br /> - (http://www.pgdp.net)</h3> -<p> </p> -<div class="transnote"> -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p> - -<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>, -in Antiqua gesetzte Passagen sind <em class="antiqua">so markiert</em>.</p> - -<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am -<a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p></div> -<hr class="full" /> -<p> </p> -<p> </p> -<p> </p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/logo.png" alt="Signet" /> -</div> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p class="h2">Theodor Fontane</p> - -<h1>Der Stechlin</h1> - -<p class="center">Roman</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="center p2">S. Fischer, Verlag, Berlin<br /> -1922</p> - -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center gesperrt">43. bis 46. Auflage</p> - -<p class="center">Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten</p> - -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h2">Der Stechlin</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span></p> - -<h2 id="Schloss_Stechlin">Schloß Stechlin</h2> - -<h3 id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen -Grenze, zieht sich von dem Städtchen Gransee -bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber hinaus) eine -mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, -nur hie und da mit ein paar alten Dörfern, sonst aber ausschließlich -mit Förstereien, Glas- und Teeröfen besetzte Waldung. -Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der -<em class="gesperrt">Stechlin</em>«. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle -steil und kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum -von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eigenen -Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. -Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, -aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur -selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten -auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. Und doch, von -Zeit zu Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig. Das ist, -wenn es weit draußen in der Welt, sei's auf Island, sei's auf -Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen -der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben -wird. Dann regt sich's auch <em class="gesperrt">hier</em>, und ein Wasserstrahl -springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das wissen -alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, -so setzen sie wohl auch hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span> -ist nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber draußen -was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann -brodelts hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt -statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in -die Lande hinein.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das ist der Stechlin, der <em class="gesperrt">See</em> Stechlin.</p> - -<p>Aber nicht nur der See führt diesen Namen, auch der -Wald, der ihn umschließt. Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte -Dorf, das sich, den Windungen des Sees folgend, um -seine Südspitze herumzieht. Etwa hundert Häuser und Hütten -bilden hier eine lange, schmale Gasse, die sich nur da, wo eine -von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee die Gasse -durchschneidet, platzartig erweitert. An eben dieser Stelle -findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf Stechlin -zusammen: das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der -Krug, dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem -kleinen Mohren und einer Girlande von Schwefelfäden in -seinem Schaufenster. Dieser Ecke schräg gegenüber, unmittelbar -hinter dem Pfarrhause, steigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, -so ziemlich in seiner Mitte, die frühmittelalterliche Feldsteinkirche -mit einem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden -Dachreiter und einem zur Seite des alten Rundbogenportals -angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Neben diesem -Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her -heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter -fort, bis sie vor einer über einen sumpfigen Graben sich hinziehenden -und von zwei riesigen Findlingsblöcken flankierten -Bohlenbrücke haltmacht. Diese Brücke ist sehr primitiv. -Jenseits derselben aber steigt das Herrenhaus auf, ein gelbgetünchter -Bau mit hohem Dach und zwei Blitzableitern.</p> - -<p>Auch dieses Herrenhaus heißt Stechlin, <em class="gesperrt">Schloß</em> Stechlin.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span></p> - -<p class="drop">Etliche hundert Jahre zurück stand hier ein wirkliches -Schloß, ein Backsteinbau mit dicken Rundtürmen, aus welcher -Zeit her auch noch der Graben stammt, der die von ihm durchschnittene, -sich in den See hinein erstreckende Landzunge zu einer -kleinen Insel machte. Das ging so bis in die Tage der Reformation. -Während der Schwedenzeit aber wurde das alte Schloß -niedergelegt, und man schien es seinem gänzlichen Verfall überlassen, -auch nichts an seine Stelle setzen zu wollen, bis kurz -nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms <em class="antiqua">I.</em> die ganze -Trümmermasse beiseite geschafft und ein Neubau beliebt wurde. -Dieser Neubau war das Haus, das jetzt noch stand. Es hatte -denselben nüchternen Charakter wie fast alles, was unter dem -Soldatenkönig entstand, und war nichts weiter als ein einfaches -<em class="antiqua">Corps de logis</em>, dessen zwei vorspringende, bis dicht an -den Graben reichende Seitenflügel ein Hufeisen und innerhalb -desselben einen kahlen Vorhof bildeten, auf dem, als einziges -Schmuckstück, eine große blanke Glaskugel sich präsentierte. -Sonst sah man nichts als eine vor dem Hause sich hinziehende -Rampe, von deren dem Hofe zugekehrter Vorderwand der Kalk -schon wieder abfiel. Gleichzeitig war aber doch ein Bestreben -unverkennbar, gerade diese Rampe zu was Besonderem zu -machen, und zwar mit Hilfe mehrerer Kübel mit exotischen -Blattpflanzen, darunter zwei Aloes, von denen die eine noch -gut imstande, die andre dagegen krank war. Aber gerade -diese kranke war der Liebling des Schloßherrn, weil sie jeden -Sommer in einer ihr freilich nicht zukommenden Blüte stand. -Und das hing so zusammen. Aus dem sumpfigen Schloßgraben -hatte der Wind vor langer Zeit ein fremdes Samenkorn -in den Kübel der kranken Aloe geweht, und alljährlich schossen -infolge davon aus der Mitte der schon angegelbten Aloeblätter -die weiß und roten Dolden des Wasserliesch oder des <em class="antiqua">Butomus -umbellatus</em> auf. Jeder Fremde, der kam, wenn er nicht zufällig -ein Kenner war, nahm diese Dolden für richtige Aloeblüten,<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span> -und der Schloßherr hütete sich wohl, diesen Glauben, -der eine Quelle der Erheiterung für ihn war, zu zerstören.</p> - -<p>Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin -führte, so natürlich auch der Schloßherr selbst. Auch er war ein -Stechlin.</p> - -<p>Dubslav von Stechlin, Major a. D. und schon ein gut -Stück über Sechzig hinaus, war der Typus eines Märkischen -von Adel, aber von der milderen Observanz, eines jener erquicklichen -Originale, bei denen sich selbst die Schwächen in -Vorzüge verwandeln. Er hatte noch ganz das eigentümlich -sympathisch berührende Selbstgefühl all derer, die »schon vor -den Hohenzollern da waren,« aber er hegte dieses Selbstgefühl -nur ganz im stillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck kam, -so kleidete sich's in Humor, auch wohl in Selbstironie, weil er -seinem ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen -machte. Sein schönster Zug war eine tiefe, so recht aus -dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel und Überheblichkeit -(während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade -sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn -empörten. Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und -extremer, desto besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen -deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah das Gegenteil. -Paradoxen waren seine Passion. »Ich bin nicht klug genug, -selber welche zu machen, aber ich freue mich, wenn's andere -tun; es ist doch immer was drin. Unanfechtbare Wahrheiten -gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie -langweilig.« Er ließ sich gern was vorplaudern und plauderte -selber gern.</p> - -<p>Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkisch-herkömmlich -gewesen. Von jung an lieber im Sattel als bei den -Büchern, war er erst nach zweimaliger Scheiterung siegreich -durch das Fähnrichsexamen gesteuert und gleich danach bei -den brandenburgischen Kürassieren eingetreten, bei denen selbstverständlich<span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span> -auch schon sein Vater gestanden hatte. Dieser sein -Eintritt ins Regiment fiel so ziemlich mit dem Regierungsantritt -Friedrich Wilhelms <em class="antiqua">IV.</em> zusammen, und wenn er dessen -erwähnte, so hob er, sich selbst persiflierend, gerne hervor, -»daß alles Große seine Begleiterscheinungen habe.« Seine -Jahre bei den Kürassieren waren im wesentlichen Friedensjahre -gewesen; nur Anno vierundsechzig war er mit in Schleswig, -aber auch hier, ohne »zur Aktion« zu kommen. »Es kommt für -einen Märkischen nur darauf an, überhaupt mit dabei gewesen -zu sein; das andre steht in Gottes Hand.« Und er schmunzelte, -wenn er dergleichen sagte, seine Hörer jedesmal in Zweifel -darüber lassend, ob er's ernsthaft oder scherzhaft gemeint habe. -Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger -Kriegs war ihm ein Sohn geboren worden, und kaum wieder -in seine Garnison Brandenburg eingerückt, nahm er den Abschied, -um sich auf sein seit dem Tode des Vaters halb verödetes -Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier warteten seiner -glückliche Tage, seine glücklichsten, aber sie waren von kurzer -Dauer – schon das Jahr darauf starb ihm die Frau. Sich -eine neue zu nehmen, widerstand ihm, halb aus Ordnungssinn -und halb aus ästhetischer Rücksicht. »Wir glauben doch alle -mehr oder weniger an eine Auferstehung« (das heißt, er persönlich -glaubte eigentlich nicht daran), »und wenn ich dann oben -ankomme mit einer rechts und einer links, so is das doch -immer eine genierliche Sache.« Diese Worte – wie denn der -Eltern Tun nur allzu häufig der Mißbilligung der Kinder -begegnet – richteten sich in Wirklichkeit gegen seinen dreimal -verheiratet gewesenen Vater, an dem er überhaupt allerlei Großes -und Kleines auszusetzen hatte, so beispielsweise auch, daß man -ihm, dem Sohne, den pommerschen Namen »Dubslav« -beigelegt hatte. »Gewiß, meine Mutter war eine Pommersche, -noch dazu von der Insel Usedom, und ihr Bruder, nun ja, -der hieß Dubslav. Und so war denn gegen den Namen schon<span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span> -um des Onkels willen nicht viel einzuwenden, und um so weniger, -als er ein Erbonkel war. (Daß er mich schließlich schändlich im -Stich gelassen, ist eine Sache für sich.) Aber trotzdem bleib ich -dabei, solche Namensmanscherei verwirrt bloß. Was ein Märkischer -ist, der muß Joachim heißen oder Woldemar. Bleib im -Lande und taufe dich redlich. Wer aus Friesack is, darf nicht -Raoul heißen.«</p> - -<p>Dubslav von Stechlin blieb also Witwer. Das ging nun -schon an die dreißig Jahre. Anfangs war's ihm schwer geworden, -aber jetzt lag alles hinter ihm, und er lebte »<em class="antiqua">comme -philosophe</em>« nach dem Wort und Vorbild des großen Königs, -zu dem er jederzeit bewundernd aufblickte. Das war sein Mann, -mehr als irgendwer, der sich seitdem einen Namen gemacht -hatte. Das zeigte sich jedesmal, wenn ihm gesagt wurde, daß -er einen Bismarckkopf habe. »Nun ja, ja, den hab ich; ich soll -ihm sogar ähnlich sehen. Aber die Leute sagen es immer so, -als ob ich mich dafür bedanken müßte. Wenn ich nur wüßte, -bei wem; vielleicht beim lieben Gott, oder am Ende gar bei -Bismarck selbst. Die Stechline sind aber auch nicht von schlechten -Eltern. Außerdem, ich für meine Person, ich habe bei den -sechsten Kürassieren gestanden, und Bismarck bloß bei den -siebenten, und die kleinere Zahl ist in Preußen bekanntlich -immer die größere; – ich bin ihm also einen über. Und -Friedrichsruh, wo alles jetzt hinpilgert, soll auch bloß ne Kate -sein. Darin sind wir uns also gleich. Und solchen See, wie den -›Stechlin‹, nu, den hat er schon ganz gewiß nicht. So was -kommt überhaupt bloß selten vor.«</p> - -<p>Ja, auf seinen See war Dubslav stolz, aber destoweniger -stolz war er auf sein Schloß, weshalb es ihn auch verdroß, wenn -es überhaupt so genannt wurde. Von den armen Leuten ließ -er sich's gefallen: »Für die ist es ein ›Schloß‹, aber sonst ist es -ein alter Kasten und weiter nichts.« Und so sprach er denn -lieber von seinem »Haus«, und wenn er einen Brief schrieb,<span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span> -so stand darüber »Haus Stechlin«. Er war sich auch bewußt, -daß es kein Schloßleben war, das er führte. Vordem, als -der alte Backsteinbau noch stand, mit seinen dicken Türmen und -seinem Luginsland, von dem aus man, über die Kronen der -Bäume weg, weit ins Land hinaussah, ja, damals war hier -ein Schloßleben gewesen, und die derzeitigen alten Stechline -hatten teilgenommen an allen Festlichkeiten, wie sie die Ruppiner -Grafen und die mecklenburgischen Herzöge gaben, und -waren mit den Boitzenburgern und den Bassewitzens verschwägert -gewesen. Aber heute waren die Stechliner Leute -von schwachen Mitteln, die sich nur eben noch hielten und beständig -bemüht waren, durch eine »gute Partie« sich wieder -leidlich in die Höhe zu bringen. Auch Dubslavs Vater war -auf diese Weise zu seinen drei Frauen gekommen, unter denen -freilich nur die erste das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt -hatte. Für den jetzigen Schloßherrn, der von der zweiten Frau -stammte, hatte sich daraus leider kein unmittelbarer Vorteil -ergeben, und Dubslav von Stechlin wäre kleiner und großer -Sorgen und Verlegenheiten nie los und ledig geworden, wenn -er nicht in dem benachbarten Gransee seinen alten Freund -Baruch Hirschfeld gehabt hätte. Dieser Alte, der den großen -Tuchladen am Markt und außerdem die Modesachen und -Damenhüte hatte, hinsichtlich deren es immer hieß, »Gerson -schicke ihm alles zuerst« – dieser alte Baruch, ohne das »Geschäftliche« -darüber zu vergessen, hing in der Tat mit einer -Art Zärtlichkeit an dem Stechliner Schloßherrn, was, wenn es -sich mal wieder um eine neue Schuldverschreibung handelte, -regelmäßig zu heikeln Auseinandersetzungen zwischen Hirschfeld -Vater und Hirschfeld Sohn führte.</p> - -<p>»Gott, Isidor, ich weiß, du bist fürs Neue. Aber was ist -das Neue? Das Neue versammelt sich immer auf unserm -Markt, und mal stürmt es uns den Laden und nimmt uns die -Hüte, Stück für Stück, und die Reiherfedern und die Straußenfedern.<span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span> -Ich bin fürs Alte und für den guten, alten Herrn von -Stechlin. Is doch der Vater von seinem Großvater gefallen -in der großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit seinem -Leben.«</p> - -<p>»Ja, der hat gezahlt; wenigstens hat er gezahlt mit seinem -Leben. Aber der von heute …«</p> - -<p>»Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat. Und -wenn er nicht hat, und ich sage: ›Herr von Stechlin, ich werde -schreiben siebeneinhalb‹, dann feilscht er nicht und dann zwackt -er nicht. Und wenn er kippt, nu, da haben wir das Objekt: -Mittelboden und Wald und Jagd und viel Fischfang. Ich seh -es immer so ganz klein in der Perspektiv, und ich seh auch schon -den Kirchturm.«</p> - -<p>»Aber Vaterleben, was sollen wir mit'm Kirchturm?«</p> - -<p>In dieser Richtung gingen öfters die Gespräche zwischen -Vater und Sohn, und was der Alte vorläufig noch in der -»Perspektive« sah, das wäre vielleicht schon Wirklichkeit geworden, -wenn nicht des alten Dubslav um zehn Jahre ältere -Schwester mit ihrem von der Mutter her ererbten Vermögen -gewesen wäre: Schwester Adelheid, Domina zu Kloster Wutz. -Die half und sagte gut, wenn es schlecht stand oder gar zum -Äußersten zu kommen schien. Aber sie half nicht aus Liebe zu -dem Bruder – gegen den sie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden -hatte –, sondern lediglich aus einem allgemeinen -Stechlinschen Familiengefühl. Preußen war was und die -Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren doch die -Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Besitz -und nun gar in einen solchen übergehen zu sehen, war ihr unerträglich. -Und über all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind -da, ihr Neffe Woldemar, für den sie all die Liebe hegte, die sie -dem Bruder versagte.</p> - -<p>Ja, die Domina half, aber solcher Hilfen unerachtet wuchs -das Gefühl der Entfremdung zwischen den Geschwistern, und<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span> -so kam es denn, daß der alte Dubslav, der die Schwester in -Kloster Wutz weder gern besuchte noch auch ihren Besuch gern -empfing, nichts von Umgang besaß als seinen Pastor Lorenzen -(den früheren Erzieher Woldemars) und seinen Küster und -Dorfschullehrer Krippenstapel, zu denen sich allenfalls noch -Oberförster Katzler gesellte, Katzler, der Feldjäger gewesen war -und ein gut Stück Welt gesehen hatte. Doch auch diese drei -kamen nur, wenn sie gerufen wurden, und so war eigentlich -nur einer da, der in jedem Augenblick Red und Antwort stand. -Das war Engelke, sein alter Diener, der seit beinahe fünfzig -Jahren alles mit seinem Herrn durchlebt hatte, seine glücklichen -Leutnantstage, seine kurze Ehe und seine lange Einsamkeit. -Engelke, noch um ein Jahr älter als sein Herr, war dessen Vertrauter -geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav verstand -es, die Scheidewand zu ziehen. Übrigens wär es auch -ohne diese Kunst gegangen. Denn Engelke war einer von den -guten Menschen, die nicht aus Berechnung oder Klugheit, -sondern von Natur hingebend und demütig sind und in einem -treuen Dienen ihr Genüge finden. Alltags war er, so Winter -wie Sommer, in ein Leinwandhabit gekleidet, und nur wenn es -zu Tisch ging, trug er eine richtige Livree von sandfarbenem -Tuch mit großen Knöpfen dran. Es waren Knöpfe, die noch die -Zeiten des Rheinsberger Prinzen Heinrich gesehen hatten, -weshalb Dubslav, als er mal wieder in Verlegenheit war, -zu dem jüngst verstorbenen alten Herrn von Kortschädel gesagt -hatte: »Ja, Kortschädel, wenn ich so meinen Engelke, wie er -da geht und steht, ins märkische Provinzialmuseum abliefern -könnte, so kriegt ich ein Jahrgehalt und wäre raus.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das war im Mai, daß der alte Stechlin diese Worte zu -seinem Freunde Kortschädel gesprochen hatte. Heute aber -war dritter Oktober und ein wundervoller Herbsttag dazu. -Dubslav, sonst empfindlich gegen Zug, hatte die Türen aufmachen<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span> -lassen, und von dem großen Portal her zog ein erquicklicher -Luftstrom bis auf die mit weiß und schwarzen Fliesen -gedeckte Veranda hinaus. Eine große, etwas schadhafte Marquise -war hier herabgelassen und gab Schutz gegen die Sonne, -deren Lichter durch die schadhaften Stellen hindurchschienen -und auf den Fliesen ein Schattenspiel aufführten. Gartenstühle -standen umher, vor einer Bank aber, die sich an die -Hauswand lehnte, waren doppelte Strohmatten gelegt. Auf -eben dieser Bank, ein Bild des Behagens, saß der alte Stechlin -in Joppe und breitkrempigem Filzhut und sah, während er -aus seinem Meerschaum allerlei Ringe blies, auf ein Rundell, -in dessen Mitte, von Blumen eingefaßt, eine kleine Fontäne -plätscherte. Rechts daneben lief ein sogenannter Poetensteig, -an dessen Ausgang ein ziemlich hoher, aus allerlei Gebälk -zusammengezimmerter Aussichtsturm aufragte. Ganz oben -eine Plattform mit Fahnenstange, daran die preußische Flagge -wehte, schwarz und weiß, alles schon ziemlich verschlissen.</p> - -<p>Engelke hatte vor kurzem einen roten Streifen annähen -wollen, war aber mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen. -»Laß. Ich bin nicht dafür. Das alte Schwarz und Weiß hält -gerade noch; aber wenn du was Rotes dran nähst, dann reißt -es gewiß.«</p> - -<p>Die Pfeife war ausgegangen, und Dubslav wollte sich eben -von seinem Platz erheben und nach Engelke rufen, als dieser -vom Gartensaal her auf die Veranda heraustrat.</p> - -<p>»Das ist recht, Engelke, daß du kommst … Aber du hast -da ja was wie'n Telegramm in der Hand. Ich kann Telegramms -nicht leiden. Immer is einer dod, oder es kommt wer, -der besser zu Hause geblieben wäre.«</p> - -<p>Engelke griente. »Der junge Herr kommt.«</p> - -<p>»Und das weißt du schon?«</p> - -<p>»Ja, Brose hat es mir gesagt.«</p> - -<p>»So, so. Dienstgeheimnis. Na, gib her.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span></p> - -<p>Und unter diesen Worten brach er das Telegramm auf und -las: »Lieber Papa. Bin sechs Uhr bei dir. Rex und von Czako -begleiten mich. Dein Woldemar.«</p> - -<p>Engelke stand und wartete.</p> - -<p>»Ja, was da tun, Engelke?« sagte Dubslav und drehte -das Telegramm hin und her. »Und aus Cremmen und von -heute früh,« fuhr er fort. »Da müssen sie also die Nacht über -schon in Cremmen gewesen sein. Auch kein Spaß.«</p> - -<p>»Aber Cremmen is doch soweit ganz gut.«</p> - -<p>»Nu, gewiß, gewiß. Bloß sie haben da so kurze Betten … -Und, wenn man, wie Woldemar, Kavallerist ist, kann man ja -doch auch die acht Meilen von Berlin bis Stechlin in einer Pace -machen. Warum also Nachtquartier? Und Rex und von -Czako begleiten mich. Ich kenne Rex nicht und kenne von Czako -nicht. Wahrscheinlich Regimentskameraden. Haben wir denn -was?«</p> - -<p>»Ich denk doch, gnäd'ger Herr. Und wovor haben wir -denn unsre Mamsell? Die wird schon was finden.«</p> - -<p>»Nu gut. Also wir haben was. Aber wen laden wir dazu -ein? So bloß ich, das geht nicht. Ich mag mich keinem Menschen -mehr vorsetzen. Czako, das ginge vielleicht noch. Aber -Rex, wenn ich ihn auch nicht kenne, zu so was Feinem wie -Rex pass' ich nicht mehr; ich bin zu altmodisch geworden. Was -meinst du, ob die Gundermanns wohl können?«</p> - -<p>»Ach, die können schon. Er gewiß, und sie kluckt auch bloß -immer so rum.«</p> - -<p>»Also Gundermanns. Gut. Und dann vielleicht Oberförsters. -Das älteste Kind hat freilich die Masern, und die -Frau, das heißt die Gemahlin (und Gemahlin is eigentlich -auch noch nicht das rechte Wort), die erwartet wieder. Man -weiß nie recht, wie man mit ihr dran ist und wie man sie nennen -soll, Oberförsterin Katzler oder Durchlaucht. Aber man kann's -am Ende versuchen. Und dann unser Pastor. Der hat doch<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span> -wenigstens die Bildung. Gundermann allein ist zu wenig -und eigentlich bloß ein Klutentreter. Und seitdem er die Siebenmühlen -hat, ist er noch weniger geworden.«</p> - -<p>Engelke nickte.</p> - -<p>»Na, dann schick also Martin. Aber er soll sich proper -machen. Oder vielleicht ist Brose noch da; der kann ja auf seinem -Retourgang bei Gundermanns mit rangehen. Und soll ihnen -sagen sieben Uhr, aber nicht früher; sie sitzen sonst so lange -rum, und man weiß nicht, wovon man reden soll. Das heißt -mit ihm; sie red't immerzu … Und gib Brosen auch nen -Kornus und funfzig Pfennig.«</p> - -<p>»Ich werd ihm dreißig geben.«</p> - -<p>»Nein, nein, funfzig. Erst hat er ja doch was gebracht -und nu nimmt er wieder was mit. Das is ja so gut wie -doppelt. Also funfzig. Knaps ihm nichts ab.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Ziemlich um dieselbe Zeit, wo der Telegraphenbote bei -Gundermanns vorsprach, um die Bestellung des alten Herrn -von Stechlin auszurichten, ritten Woldemar, Rex und Czako, -die sich für sechs Uhr angemeldet hatten, in breiter Front von -Cremmen ab; Fritz, Woldemars Reitknecht, folgte den dreien. -Der Weg ging über Wutz. Als sie bis in die Nähe von Dorf -und Kloster dieses Namens gekommen waren, bog Woldemar -vorsichtig nach links hin aus, weil er der Möglichkeit entgehen -wollte, seiner Tante Adelheid, der Domina des Klosters, zu -begegnen. Er stand zwar gut mit dieser und hatte sogar vor, -ihr, wie herkömmlich, auf dem Rückwege nach Berlin seinen -Besuch zu machen; aber in diesem Augenblick paßte ihm solche -Begegnung, die sein pünktliches Eintreffen in Stechlin gehindert -haben würde, herzlich schlecht. So beschrieb er denn einen weiten<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span> -Halbkreis und hatte das Kloster schon um eine Viertelstunde -hinter sich, als er sich wieder der Hauptstraße zuwandte. Diese, -durch Moor- und Wiesengründe führend, war ein vorzüglicher -Reitweg, der an vielen Stellen noch eine Grasnarbe trug, -weshalb es anderthalb Meilen lang in einem scharfen Trabe -vorwärts ging, bis an eine Avenue heran, die geradlinig auf -Schloß Stechlin zuführte. Hier ließen alle drei die Zügel -fallen und ritten im Schritt weiter. Über ihnen wölbten sich -die schönen, alten Kastanienbäume, was ihrem Anritt etwas -Anheimelndes und zugleich etwas beinah Feierliches gab.</p> - -<p>»Das ist ja wie ein Kirchenschiff,« sagte Rex, der am linken -Flügel ritt. »Finden Sie nicht auch, Czako?«</p> - -<p>»Wenn Sie wollen, ja. Aber Pardon, Rex, ich finde die -Wendung etwas trivial für einen Ministerialassessor.«</p> - -<p>»Nun gut, dann sagen Sie was Besseres.«</p> - -<p>»Ich werde mich hüten. Wer unter solchen Umständen -was Besseres sagen will, sagt immer was Schlechteres.«</p> - -<p>Unter diesem sich noch eine Weile fortsetzenden Gespräche -waren sie bis an einen Punkt gekommen, von dem aus man -das am Ende der Avenue sich aufbauende Bild in aller Klarheit -überblicken konnte. Dabei war das Bild nicht bloß klar, sondern -auch so frappierend, daß Rex und Czako unwillkürlich anhielten.</p> - -<p>»Alle Wetter, Stechlin, das ist ja reizend,« wandte sich -Czako zu dem am andern Flügel reitenden Woldemar. »Ich -find es geradezu märchenhaft, Fata Morgana – das heißt, -ich habe noch keine gesehn. Die gelbe Wand, die da noch das -letzte Tageslicht auffängt, das ist wohl Ihr Zauberschloß? -Und das Stückchen Grau da links, das taxier ich auf eine -Kirchenecke. Bleibt nur noch der Staketzaun an der andern -Seite; – da wohnt natürlich der Schulmeister. Ich verbürge -mich, daß ich's damit getroffen. Aber die zwei schwarzen Riesen, -die da grad in der Mitte stehn und sich von der gelben Wand<span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span> -abheben (›abheben‹ ist übrigens auch trivial; entschuldigen -Sie, Rex), die stehen ja da wie die Cherubim. Allerdings etwas -zu schwarz. Was sind das für Leute?«</p> - -<p>»Das sind Findlinge?«</p> - -<p>»Findlinge.«</p> - -<p>»Ja, Findlinge,« wiederholte Woldemar. »Aber wenn -Ihnen das Wort anstößig ist, so können Sie sie auch Monolithe -nennen. Es ist merkwürdig, Czako, wie hochgradig verwöhnt -im Ausdruck Sie sind, wenn Sie nicht gerade selber das Wort -haben … Aber nun, meine Herren, müssen wir uns wieder -in Trab setzen. Ich bin überzeugt, mein Papa steht schon ungeduldig -auf seiner Rampe, und wenn er uns so in Schritt -ankommen sieht, denkt er, wir bringen eine Trauernachricht -oder einen Verwundeten.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Wenige Minuten später, und alle drei trabten denn auch -wirklich, von Fritz gefolgt, über die Bohlenbrücke fort, erst in -den Vorhof hinein und dann an der blanken Glaskugel vorüber. -Der Alte stand bereits auf der Rampe, Engelke hinter -ihm und hinter diesem Martin, der alte Kutscher. Im Nu -waren alle drei Reiter aus dem Sattel, und Martin und Fritz -nahmen die Pferde. So trat man in den Flur. »Erlaube, -lieber Papa, dir zwei liebe Freunde von mir vorzustellen: -Assessor von Rex, Hauptmann von Czako.«</p> - -<p>Der alte Stechlin schüttelte jedem die Hand und sprach -ihnen aus, wie glücklich er über ihren Besuch sei. »Seien Sie -mir herzlich willkommen, meine Herren. Sie haben keine -Ahnung, welche Freude Sie mir machen, mir, einem vergrätzten, -alten Einsiedler. Man sieht nichts mehr, man hört nichts -mehr. Ich hoffe auf einen ganzen Sack voll Neuigkeiten.«</p> - -<p>»Ach, Herr Major,« sagte Czako, »wir sind ja schon vierundzwanzig -Stunden fort. Und, ganz abgesehen davon, -wer kann heutzutage noch mit den Zeitungen konkurrieren!<span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span> -Ein Glück, daß manche prinzipiell einen Posttag zu spät kommen. -Ich meine mit den neuesten Nachrichten. Vielleicht auch sonst -noch.«</p> - -<p>»Sehr wahr,« lachte Dubslav. »Der Konservatismus soll -übrigens, seinem Wesen nach, eine Bremse sein; damit muß -man vieles entschuldigen. Aber da kommen Ihre Mantelsäcke, -meine Herren. Engelke, führe die Herren auf ihr Zimmer. -Wir haben jetzt sechseinviertel. Um sieben, wenn ich bitten darf.«</p> - -<p>Engelke hatte mittlerweile die beiden von Dubslav etwas -altmodisch als »Mantelsäcke« bezeichneten Plaidrollen in die -Hand genommen und ging damit, den beiden Herren voran, -auf die doppelarmige Treppe zu, die gerade da, wo die beiden -Arme derselben sich kreuzten, einen ziemlich geräumigen Podest -mit Säulchengalerie bildete. Zwischen den Säulchen aber, -und zwar mit Blick auf den Flur, war eine Rokokouhr angebracht, -mit einem Zeitgott darüber, der eine Hippe führte. -Czako wies darauf hin und sagte leise zu Rex: »Ein bißchen -graulich,« – ein Gefühl, drin er sich bestärkt sah, als man bis -auf den mit ungeheurer Raumverschwendung angelegten Oberflur -gekommen war. Über einer nach hinten zu gelegenen Saaltür -hing eine Holztafel mit der Inschrift: »Museum«, während -hüben und drüben, an den Flurwänden links und rechts, -mächtige Birkenmaser- und Ebenholzschränke standen, wahre -Prachtstücke, mit zwei großen Bildern dazwischen, eines eine -Burg mit dicken Backsteintürmen, das andre ein überlebensgroßer -Ritter, augenscheinlich aus der Frundsbergzeit, wo das -bunt Landsknechtliche schon die Rüstung zu drapieren begann.</p> - -<p>»Is wohl ein Ahn?« fragte Czako.</p> - -<p>»Ja, Herr Hauptmann. Und er ist auch unten in der Kirche.«</p> - -<p>»Auch so wie hier?«</p> - -<p>»Nein, bloß Grabstein und schon etwas abgetreten. Aber -man sieht doch noch, daß es derselbe ist.«</p> - -<p>Czako nickte. Dabei waren sie bis an ein Eckzimmer gekommen,<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span> -das mit der einen Seite nach dem Flur, mit der -andern Seite nach einem schmalen Gang hin lag. Hier war -auch die Tür. Engelke, vorangehend, öffnete und hing die -beiden Plaidrollen an die Haken eines hier gleich an der Tür -stehenden Kleiderständers. Unmittelbar daneben war ein -Klingelzug mit einer grünen, etwas ausgefransten Puschel -daran. Engelke wies darauf hin und sagte: »Wenn die Herren -noch was wünschen … Und um sieben … Zweimal wird -angeschlagen.«</p> - -<p>Und damit ging er, die beiden ihrer Bequemlichkeit überlassend.</p> - -<p>Es waren zwei nebeneinander gelegene Zimmer, in denen -man Rex und Czako untergebracht hatte, das vordere größer -und mit etwas mehr Aufwand eingerichtet, mit Stehspiegel -und Toilette, der Spiegel sogar zum Kippen. Das Bett in -diesem vorderen Zimmer hatte einen kleinen Himmel und -daneben eine Etagere, auf deren oberem Brettchen eine Meißner -Figur stand, ihr ohnehin kurzes Röckchen lüpfend, während -auf dem unteren Brett ein Neues Testament lag, mit Kelch -und Kreuz und einem Palmenzweig auf dem Deckel.</p> - -<p>Czako nahm das Meißner Püppchen und sagte: »Wenn -nicht unser Freund Woldemar bei diesem Arrangement seine -Hand mit im Spiele gehabt hat, so haben wir hier in bezug -auf Requisiten ein Ahnungsvermögen, wie's nicht größer gedacht -werden kann. Das Püppchen <em class="antiqua">pour moi</em>, das Testament -<em class="antiqua">pour vous</em>.«</p> - -<p>»Czako, wenn Sie doch bloß das Necken lassen könnten!«</p> - -<p>»Ach, sagen Sie doch so was nicht, Rex; Sie lieben mich -ja bloß um meiner Neckereien willen.«</p> - -<p>Und nun traten sie, von dem Vorderzimmer her, in den -etwas kleineren Wohnraum, in dem Spiegel und Toilette -fehlten. Dafür aber war ein Rokokosofa da, mit hellblauem -Atlas und weißen Blumen darauf.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span></p> - -<p>»Ja, Rex,« sagte Czako, »wie teilen wir nun? Ich denke, -Sie nehmen nebenan den Himmel, und ich nehme das Rokokosofa, -noch dazu mit weißen Blumen, vielleicht Lilien. Ich wette, -das kleine Ding von Sofa hat eine Geschichte.«</p> - -<p>»Rokoko hat immer eine Geschichte,« bestätigte Rex. »Aber -hundert Jahr zurück. Was jetzt hier haust, sieht mir, Gott sei -Dank, nicht danach aus. Ein bißchen Spuk trau ich diesem -alten Kasten allerdings schon zu; aber keine Rokokogeschichte. -Rokoko ist doch immer unsittlich. Wie gefällt Ihnen übrigens -der Alte?«</p> - -<p>»Vorzüglich. Ich hätte nicht gedacht, daß unser Freund -Woldemar solchen famosen Alten haben könnte.«</p> - -<p>»Das klingt ja beinah,« sagte Rex, »wie wenn Sie gegen -unsern Stechlin etwas hätten.«</p> - -<p>»Was durchaus nicht der Fall ist. Unser Stechlin ist der -beste Kerl von der Welt, und wenn ich das verdammte Wort -nicht haßte, würd ich ihn sogar einen ›perfekten Gentleman‹ -nennen müssen. Aber …«</p> - -<p>»Nun …«</p> - -<p>»Aber er paßt doch nicht recht an seine Stelle.«</p> - -<p>»An welche?«</p> - -<p>»In sein Regiment.«</p> - -<p>»Aber, Czako, ich verstehe Sie nicht. Er ist ja brillant -angeschrieben. Liebling bei jedem. Der Oberst hält große -Stücke von ihm, und die Prinzen machen ihm beinah den -Hof …«</p> - -<p>»Ja, das ist es ja eben. Die Prinzen, die Prinzen.«</p> - -<p>»Was denn, wie denn?«</p> - -<p>»Ach, das ist eine lange Geschichte, viel zu lang, um sie hier -vor Tisch noch auszukramen. Denn es ist bereits halb, und wir -müssen uns eilen. Übrigens trifft es viele, nicht bloß unsern -Stechlin.«</p> - -<p>»Immer dunkler, immer rätselvoller,« sagte Rex.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span></p> - -<p>»Nun, vielleicht daß ich Ihnen das Rätsel löse. Schließlich -kann man ja Toilette machen und noch seinen Diskurs daneben -haben. ›Die Prinzen machen ihm den Hof,‹ so geruhten Sie -zu bemerken, und ich antwortete: ›Ja, das ist es eben.‹ Und -diese Worte kann ich Ihnen nur wiederholen. Die Prinzen – -ja, damit hängt es zusammen und noch mehr damit, daß die -feinen Regimenter immer feiner werden. Kucken Sie sich mal -die alten Ranglisten an, das heißt wirklich alte, voriges Jahrhundert -und dann so bis anno sechs. Da finden Sie bei Regiment -Garde du Corps oder bei Regiment Gensdarmes unsere -guten alten Namen: Marwitz, Wakenitz, Kracht, Löschebrand, -Bredow, Rochow, höchstens daß sich mal ein höher betitelter -Schlesischer mit hinein verirrt. Natürlich gab es auch Prinzen -damals, aber der Adel gab den Ton an, und die paar Prinzen -mußten noch froh sein, wenn sie nicht störten. Damit ist es -nun aber, seit wir Kaiser und Reich sind, total vorbei. Natürlich -sprech ich nicht von der Provinz, nicht von Litauen und -Masuren, sondern von der Garde, von den Regimentern unter -den Augen Seiner Majestät. Und nun gar erst diese Gardedragoner! -Die waren immer pik, aber seit sie, <em class="antiqua">pour combler -le bonheur</em>, auch noch ›Königin von Großbritannien und -Irland‹ sind, wird es immer mehr davon, und je piker sie -werden, desto mehr Prinzen kommen hinein, von denen übrigens -auch jetzt schon mehr da sind, als es so obenhin aussieht, -denn manche sind eigentlich welche und dürfen es bloß nicht -sagen. Und wenn man dann gar noch die alten mitrechnet, -die bloß <em class="antiqua">à la suite</em> stehen, aber doch immer noch mit dabei sind, -wenn irgendwas los ist, so haben wir, wenn der Kreis geschlossen -wird, zwar kein Parkett von Königen, aber doch einen -Zirkus von Prinzen. Und da hinein ist nun unser guter Stechlin -gestellt. Natürlich tut er, was er kann, und macht so gewisse -Luxusse mit, Gefühlsluxusse, Gesinnungsluxusse und, wenn es -sein muß, auch Freiheitsluxusse. So nen Schimmer von<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span> -Sozialdemokratie. Das ist aber auf die Dauer schwierig. -Richtige Prinzen können sich das leisten, die verbebeln nicht -leicht. Aber Stechlin! Stechlin ist ein reizender Kerl, aber er ist -doch bloß ein Mensch.«</p> - -<p>»Und das sagen Sie, Czako, gerade Sie, der Sie das Menschliche -stets betonen?«</p> - -<p>»Ja, Rex, das tu ich. Heut wie immer. Aber eines schickt -sich nicht für alle. Der eine darf's, der andre nicht. Wenn -unser Freund Stechlin sich in diese seine alte Schloßkate zurückzieht, -so darf er Mensch sein, soviel er will, aber als Gardedragoner -kommt er damit nicht aus. Vom alten Adam will -ich nicht sprechen, das hat immer noch so ne Nebenbedeutung.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Während Rex und Czako Toilette machten und abwechselnd -über den alten und den jungen Stechlin verhandelten, schritten -die, die den Gegenstand dieser Unterhaltung bildeten, Vater -und Sohn, im Garten auf und ab und hatten auch ihrerseits -ihr Gespräch.</p> - -<p>»Ich bin dir dankbar, daß du mir deine Freunde mitgebracht -hast. Hoffentlich kommen sie auf ihre Kosten. Mein -Leben verläuft ein bißchen zu einsam, und es wird ohnehin gut -sein, wenn ich mich wieder an Menschen gewöhne. Du wirst -gelesen haben, daß unser guter alter Kortschädel gestorben ist, -und in etwa vierzehn Tagen haben wir hier ne Neuwahl. -Da muß ich dann ran und mich populär machen. Die Konservativen -wollen mich haben und keinen andern. Eigentlich mag -ich nicht, aber ich soll, und da paßt es mir denn, daß du mir -Leute bringst, an denen ich mich für die Welt sozusagen wieder -wie einüben kann. Sind sie denn ausgiebig und plauderhaft?«</p> - -<p>»O sehr, Papa, vielleicht zu sehr. Wenigstens der eine.«</p> - -<p>»Das is gewiß der Czako. Sonderbar, die von Alexander -reden alle gern. Aber ich bin sehr dafür; Schweigen kleid't -nicht jeden. Und dann sollen wir uns ja auch durch die Sprache<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span> -vom Tier unterscheiden. Also wer am meisten red't, ist der -reinste Mensch. Und diesem Czako, den hab ich es gleich angesehn. -Aber der Rex. Du sagst Ministerialassessor. Ist er denn -von der frommen Familie?«</p> - -<p>»Nein, Papa, du machst dieselbe Verwechslung, die beinah -alle machen. Die fromme Familie, das sind die Reckes, gräflich -und sehr vornehm. Die Rex natürlich auch, aber doch nicht -so hoch hinaus und auch nicht so fromm. Allerdings nimmt -mein Freund, der Ministerialassessor, einen Anlauf dazu, die -Reckes womöglich einzuholen.«</p> - -<p>»Dann hab ich also doch recht gesehn. Er hat so die Figur, -die so was vermuten läßt, ein bißchen wenig Fleisch und so -glatt rasiert. Habt ihr denn beim Rasieren in Cremmen gleich -einen gefunden?«</p> - -<p>»Er hat alles immer bei sich; lauter englische. Von Solingen -oder Suhl will er nichts wissen.«</p> - -<p>»Und muß man ihn denn vorsichtig anfassen, wenn das -Gespräch auf kirchliche Dinge kommt? Ich bin ja, wie du weißt, -eigentlich kirchlich, wenigstens kirchlicher als mein guter Pastor -(es wird immer schlimmer mit ihm), aber ich bin so im Ausdruck -mitunter ungenierter, als man vielleicht sein soll, und bei -›niedergefahren zur Hölle‹ kann mir's passieren, daß ich nolens -volens ein bißchen tolles Zeug rede. Wie steht es denn da mit -ihm? Muß ich mich in acht nehmen? Oder macht er bloß so mit?«</p> - -<p>»Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke mir, -er steht so wie die meisten stehn; das heißt, er weiß es nicht -recht.«</p> - -<p>»Ja, ja, den Zustand kenn ich.«</p> - -<p>»Und weil er es nicht recht weiß, hat er sozusagen die -Auswahl und wählt das, was gerade gilt und nach oben hin -empfiehlt. Ich kann das auch so schlimm nicht finden. Einige -nennen ihn einen ›Streber‹. Aber wenn er es ist, ist er jedenfalls -keiner von den schlimmsten. Er hat eigentlich einen guten<span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span> -Charakter, und im <em class="antiqua">cercle intime</em> kann er reizend sein. Er verändert -sich dann nicht in dem, was er sagt, oder doch nur ganz -wenig, aber ich möchte sagen, er verändert sich in der Art, wie -er zuhört. Czako meint, unser Freund Rex halte sich mit dem -Ohr für das schadlos, was er mit dem Munde versäumt. -Czako wird überhaupt am besten mit ihm fertig; er schraubt -ihn beständig, und Rex, was ich reizend finde, läßt sich diese -Schraubereien gefallen. Daran siehst du schon, daß sich mit -ihm leben läßt. Seine Frömmigkeit ist keine Lüge, bloß Erziehung, -Angewohnheit, und so schließlich seine zweite Natur -geworden.«</p> - -<p>»Ich werde ihn bei Tisch neben Lorenzen setzen; die mögen -dann beide sehn, wie sie miteinander fertig werden. Vielleicht -erleben wir ne Bekehrung. Das heißt Rex den Pastor. Aber -da höre ich eine Kutsche die Dorfstraße raufkommen. Das -sind natürlich Gundermanns; die kommen immer zu früh. Der -arme Kerl hat mal was von der Höflichkeit der Könige gehört -und macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon. Autodidakten -übertreiben immer. Ich bin selber einer und kann -also mitreden. Nun, wir sprechen morgen früh weiter; heute -wird es nichts mehr. Du wirst dich auch noch ein bißchen -striegeln müssen, und ich will mir nen schwarzen Rock anziehn. -Das bin ich der guten Frau von Gundermann doch schuldig; -sie putzt sich übrigens nach wie vor wie'n Schlittenpferd und -hat immer noch den merkwürdigen Federbusch in ihrem Zopf – -das heißt, wenn's ihrer ist.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Engelke schlug unten im Flur zweimal an einen alten, -als Tamtam fungierenden Schild, der an einem der zwei -vorspringenden und zugleich die ganze Treppe tragenden<span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span> -Pfeiler hing. Eben diese zwei Pfeiler bildeten denn auch mit -dem Podest und der in Front desselben angebrachten Rokokouhr -einen zum Gartensalon, diesem Hauptzimmer des Erdgeschosses, -führenden, ziemlich pittoresken Portikus, von dem -ein auf Besuch anwesender hauptstädtischer Architekt mal -gesagt hatte: sämtliche Bausünden von Schloß Stechlin -würden durch diesen verdrehten, aber malerischen Einfall -wieder gutgemacht.</p> - -<p>Die Uhr mit dem Hippenmann schlug gerade sieben, als Rex -und Czako die Treppe herunter kamen und, eine Biegung -machend, auf den von berufener Seite so glimpflich beurteilten -sonderbaren Vorbau zusteuerten. Als die Freunde diesen -passierten, sahen sie – die Türflügel waren schon geöffnet – -in aller Bequemlichkeit in den Salon hinein und nahmen hier -wahr, daß etliche, ihnen zu Ehren geladene Gäste bereits erschienen -waren. Dubslav, in dunklem Überrock und die Bändchenrosette -sowohl des preußischen wie des wendischen Kronenordens -im Knopfloch, ging den Eintretenden entgegen, begrüßte -sie nochmals mit der ihm eigenen Herzlichkeit, und beide Herren -gleich danach in den Kreis der schon Versammelten einführend, -sagte er: »Bitte die Herrschaften miteinander bekannt machen -zu dürfen: Herr und Frau von Gundermann auf Siebenmühlen, -Pastor Lorenzen, Oberförster Katzler,« und dann, -nach links sich wendend, »Ministerialassessor von Rex, Hauptmann -von Czako vom Regiment Alexander.« Man verneigte -sich gegenseitig, worauf Dubslav zwischen Rex und Pastor -Lorenzen, Woldemar aber, als Adlatus seines Vaters, zwischen -Czako und Katzler eine Verbindung herzustellen suchte, was -auch ohne weiteres gelang, weil es hüben und drüben weder -an gesellschaftlicher Gewandtheit, noch an gutem Willen gebrach. -Nur konnte Rex nicht umhin, die Siebenmühlener -etwas eindringlich zu mustern, trotzdem Herr von Gundermann -in Frack und weißer Binde, Frau von Gundermann<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span> -aber in geblümtem Atlas mit Marabufächer erschienen war, – -er augenscheinlich Parvenu, sie Berlinerin aus einem nordöstlichen -Vorstadtgebiet.</p> - -<p>Rex sah das alles. Er kam aber nicht in die Lage, sich -lange damit zu beschäftigen, weil Dubslav eben jetzt den Arm -der Frau von Gundermann nahm und dadurch das Zeichen -zum Aufbruch zu der im Nebenzimmer gedeckten Tafel gab. -Alle folgten paarweise, wie sie sich vorher zusammengefunden, -kamen aber durch die von seiten Dubslavs schon vorher festgesetzte -Tafelordnung wieder auseinander. Die beiden Stechlins, -Vater und Sohn, plazierten sich an den beiden Schmalseiten -einander gegenüber, während zur Rechten und Linken -von Dubslav Herr und Frau von Gundermann, rechts und -links von Woldemar aber Rex und Lorenzen saßen. Die -Mittelplätze hatten Katzler und Czako inne. Neben einem -großen alten Eichenbüfett, ganz in Nähe der Tür, standen -Engelke und Martin, Engelke in seiner sandfarbenen Livree -mit den großen Knöpfen, Martin, dem nur oblag, mit der -Küche Verbindung zu halten, einfach in schwarzem Rock und -Stulpstiefeln.</p> - -<p>Der alte Dubslav war in bester Laune, stieß gleich nach -den ersten Löffeln Suppe mit Frau von Gundermann vertraulich -an, dankte für ihr Erscheinen und entschuldigte sich -wegen der späten Einladung: »Aber erst um zwölf kam Woldemars -Telegramm. Es ist das mit dem Telegraphieren solche -Sache, manches wird besser, aber manches wird auch schlechter, -und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gewiß. Schon die -Form, die Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich -kurz fassen, heißt meistens auch, sich grob fassen. Jede Spur -von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort ›Herr‹ ist beispielsweise -gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen -Freund, der ganz ernsthaft versicherte: ›Der häßlichste Mops -sei der schönste;‹ so läßt sich jetzt beinahe sagen, ›das gröbste<span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span> -Telegramm ist das feinste‹. Wenigstens das in seiner Art -vollendetste. Jeder, der wieder eine neue Fünfpfennigersparnis -herausdoktert, ist ein Genie.«</p> - -<p>Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an die Frau -von Gundermann, sehr bald aber mehr an Gundermann -selbst gerichtet, weshalb dieser letztere denn auch antwortete: -»Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen der Zeit. Und ganz -bezeichnend, daß gerade das Wort ›Herr‹, wie Sie schon hervorzuheben -die Güte hatten, so gut wie abgeschafft ist. ›Herr‹ ist -Unsinn geworden, ›Herr‹ paßt den Herren nicht mehr, – -ich meine natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. -Aber es ist auch danach. Alle diese Neuerungen, an denen sich -leider auch der Staat beteiligt, was sind sie? Begünstigungen -der Unbotmäßigkeit, also Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. -Weiter nichts. Und niemand da, der Lust und -Kraft hätte, dies Wasser abzustellen. Aber trotzdem, Herr -von Stechlin – ich würde nicht widersprechen, wenn mich -das Tatsächliche nicht dazu zwänge –, trotzdem geht es nicht -ohne Telegraphie, gerade hier in unsrer Einsamkeit. Und dabei -das beständige Schwanken der Kurse. Namentlich auch in der -Mühlen- und Brettschneidebranche …«</p> - -<p>»Versteht sich, lieber Gundermann. Was ich da gesagt -habe … Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte, wäre es ebenso -richtig. Der Teufel is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und -die Telegraphie auch nicht, und wir auch nicht. Schließlich ist -es doch was Großes, diese Naturwissenschaften, dieser elektrische -Strom, tipp, tipp, tipp, und wenn uns daran läge -(aber uns liegt nichts daran), so könnten wir den Kaiser von -China wissen lassen, daß wir hier versammelt sind und seiner -gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen -in Zeit und Stunde. Beinahe komisch. Als Anno siebzig die -Pariser Septemberrevolution ausbrach, wußte man's in Amerika -drüben um ein paar Stunden früher, als die Revolution<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span> -überhaupt da war. Ich sagte: Septemberrevolution. Es kann -aber auch ne andre gewesen sein; sie haben da so viele, daß -man sie leicht verwechselt. Eine war im Juni, ne andre war im -Juli, – wer nich ein Bombengedächtnis hat, muß da notwendig -reinfallen … Engelke, präsentiere der gnädgen Frau -den Fisch noch mal. Und vielleicht nimmt auch Herr von -Czako …«</p> - -<p>»Gewiß, Herr von Stechlin,« sagte Czako. »Erstlich aus -reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder -Fortschrittsbedürfnis. Man will doch an dem, was gerade -gilt oder überhaupt Menschheitsentwicklung bedeutet, auch -seinerseits nach Möglichkeit teilnehmen, und da steht denn -Fischnahrung jetzt obenan. Fische sollen außerdem viel Phosphor -enthalten, und Phosphor, so heißt es, macht ›helle‹.«</p> - -<p>»Gewiß,« kicherte Frau von Gundermann, die sich bei -dem Wort »helle« wie persönlich getroffen fühlte. »Phosphor -war ja auch schon, eh die Schwedischen aufkamen.«</p> - -<p>»O, lange vorher,« bestätigte Czako. »Was mich aber,« -fuhr er, sich an Dubslav wendend, fort, »an diesen Karpfen -noch ganz besonders fesselt – beiläufig ein Prachtexemplar –, -das ist das, daß er doch höchstwahrscheinlich aus Ihrem berühmten -See stammt, über den ich durch Woldemar, Ihren -Herrn Sohn, bereits unterrichtet bin. Dieser merkwürdige -See, dieser Stechlin! Und da frag ich mich denn unwillkürlich -(denn Karpfen werden alt; daher beispielsweise die Mooskarpfen), -welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden -Exemplar seiner Gattung wohl schon vorübergegangen? Ich -weiß nicht, ob ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf; -wenn aber, so würde er als Jüngling die Lissaboner Aktion und -als Urgreis den neuerlichen Ausbruch des Krakatowa mitgemacht -haben. Und all das erwogen, drängt sich mir die Frage -auf …«</p> - -<p>Dubslav lächelte zustimmend.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span></p> - -<p>»… Und all das erwogen, drängt sich mir die Frage auf, -wenn's nun in Ihrem Stechlinsee zu brodeln beginnt oder gar -die große Trichterbildung anhebt, aus der dann und wann, -wenn ich recht gehört habe, der krähende Hahn aufsteigt, wie -verhält sich da der Stechlinkarpfen, dieser doch offenbar Nächstbeteiligte, -bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse? Beneidet -er den Hahn, dem es vergönnt ist, in die Ruppiner -Lande hineinzukrähen, oder ist er umgekehrt ein Feigling, der -sich in seinem Moorgrund verkriecht, also ein Bourgeois, der -am andern Morgen fragt: ›Schießen sie noch?‹«</p> - -<p>»Mein lieber Herr von Czako, die Beantwortung Ihrer -Frage hat selbst für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten. -Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist. -Und zu dem innerlichsten und verschlossensten zählt der Karpfen; -er ist nämlich sehr dumm. Aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung -wird er sich beim Eintreten der großen Eruption wohl -verkrochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Heldentum -ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. -Sie brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen, denn Sie -sind noch im Dienst.«</p> - -<p>»Bitte, bitte,« sagte Czako.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten -Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder -außerdienstlich aufs Land kam, immer eine Neigung spürte, -sozialen Fragen nachzuhängen, und beispielsweise jedesmal -mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in -und außer der Ehe geborenen Kinder alle möglichen, teils dem -Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zugute kommende Betrachtungen -zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem -mit Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema -zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine -Zwischenfrage den Faden abschnitt, in die Lage gekommen,<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span> -sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler beschäftigen -zu müssen, von dem er zufällig in Erfahrung gebracht hatte, -daß er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm einen guten -Gesprächsstoff und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförster -nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit -und seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde, – sein -früherer Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite -Welt hinausgeführt, während er jetzt »stabiliert« sei. »Stabilierung« -zählte zu Rex' Lieblingswendungen und entstammte -jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz, den er sich – -er hatte diese Dinge dienstlich zu bearbeiten gehabt – aus den -Erlassen König Friedrich Wilhelms <em class="antiqua">I.</em> angeeignet und mit in -sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher -Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch -nur von einer oft unausreichenden Orientierungsfähigkeit, -fand sich in des Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange -nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der -hellhörige, mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in der -durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. »Ich glaube -herauszuhören,« sagte Lorenzen, »daß Herr von Rex geneigt -ist, dem Leben draußen in der Welt vor dem in unsrer stillen -Grafschaft den Vorzug zu geben. Ich weiß aber nicht, ob wir -ihm darin folgen können, ich nun schon gewiß nicht; aber auch -unser Herr Oberförster wird mutmaßlich froh sein, seine vordem -im Eisenbahncoupé verbrachten Feldjägertage hinter -sich zu haben. Es heißt freilich, ›im engen Kreis verengert -sich der Sinn‹, und in den meisten Fällen mag es zutreffen. -Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde -bestimmte große Vorzüge.«</p> - -<p>»Sie sprechen mir durchaus aus der Seele, Herr Pastor -Lorenzen,« sagte Rex. »Wenn es einen Augenblick vielleicht so -klang, als ob der ›Globetrotter‹ mein Ideal sei, so bin ich sehr -geneigt, mit mir handeln zu lassen. Aber etwas hat es doch<span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span> -mit dem ›Auch-draußen-zu-Hause-sein‹ auf sich, und wenn Sie -trotzdem für Einsamkeit und Stille plädieren, so plädieren Sie -wohl in eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster -aus der Welt zurückgezogen hat, so wohl auch Sie. Sie sind -beide darin, ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt, -und vielleicht, daß meine persönliche Neigung dieselben Wege -ginge. Dennoch wird es andre geben, die von einem solchen -Sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen wollen, die vielleicht -umgekehrt, statt in einem Sichhingeben an den einzelnen, in -der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden. -Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen -Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen -zu dürfen. Sie stehen in der christlich-sozialen Bewegung. -Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht -nahesteht, er und sein Tun sprechen doch recht eigentlich -für mich; sein Feld ist nicht einzelne Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, -sondern eine Weltstadt. Stöckers Auftreten und -seine Mission sind eine Widerlegung davon, daß das Schaffen -im Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere -sein müsse.«</p> - -<p>Lorenzen war daran gewöhnt, sei's zu Lob, sei's zu Tadel, -sich mit dem ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in -Parallele gestellt zu sehen, und empfand dies jedesmal als eine -Huldigung. Aber nicht minder empfand er dabei regelmäßig -den tiefen Unterschied, der zwischen dem großen Agitator und -seiner stillen Weise lag. »Ich glaube, Herr von Rex,« nahm er -wieder das Wort, »daß Sie den ›Vater der Berliner Bewegung‹ -sehr richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur Zufriedenheit -des Geschilderten selbst, was, wie man sagt, nicht -eben leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht anscheinend -in einem Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel -geschlagen und sieht sich geliebt und gehuldigt, nicht nur seitens -derer, denen er mildtätig die Schuhe schneidet, sondern beinah<span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span> -mehr noch im Lager derer, denen er das Leder zu den Schuhen -nimmt. Er hat schon so viele Beinamen, und der des heiligen -Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben, die -sein Tun im guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag -ist nahe, wo der so Rührige und zugleich so Mutige, der seine -Ziele so weit steckte, sich in die Enge des Daseins zurücksehnen -wird. Er besitzt, wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut -irgendwo in Franken, und wohl möglich, ja, mir persönlich -geradezu wahrscheinlich, daß ihm an jener stillen Stelle früher -oder später ein echteres Glück erblüht, als er es jetzt hat. Es -heißt wohl, ›Gehet hin und lehret alle Heiden‹, aber schöner ist -es doch, wenn die Welt, uns suchend, an uns herankommt. -Und die Welt kommt schon, wenn die richtige Persönlichkeit -sich ihr auftut. Da ist dieser Wörishofener Pfarrer – er sucht -nicht die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie -kommen, so heilt er sie, heilt sie mit dem Einfachsten und -Natürlichsten. Übertragen Sie das vom Äußern aufs Innere, -so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen graben just an der -Stelle, wo man gerade steht. Innere Mission in nächster -Nähe, sei's mit dem Alten, sei's mit etwas Neuem.«</p> - -<p>»Also mit dem Neuen,« sagte Woldemar und reichte seinem -alten Lehrer die Hand.</p> - -<p>Aber dieser antwortete: »Nicht so ganz unbedingt mit dem -Neuen. Lieber mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit -dem Neuen nur, soweit es muß.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem -Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloß Stechlin war -und jedesmal die Bewunderung seiner Gäste bildete: losgelöste -Krammetsvögelbrüste, mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichtet, -die, wenn die Herbst- und Ebereschentage da waren, -als eine höhere Form von Schwarzsauer auf den Tisch zu -kommen pflegten. Engelke präsentierte Burgunder dazu,<span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span> -der schon lange lag, noch aus alten, besseren Tagen her, und -als jeder davon genommen, erhob sich Dubslav, um erst kurz -seine lieben Gäste zu begrüßen, dann aber die Damen leben zu -lassen. Er müsse bei diesem Plural bleiben, trotzdem die Damenwelt -nur in einer Einheit vertreten sei; doch er gedenke dabei -neben seiner lieben Freundin und Tischnachbarin (er küßte dieser -huldigend die Hand) zugleich auch der »Gemahlin« seines -Freundes Katzler, die leider – wenn auch vom Familienstandpunkt -aus in hocherfreulichster Veranlassung – am Erscheinen -in ihrer Mitte verhindert sei: »Meine Herren, Frau Oberförster -Katzler« – er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er -eine höhere Titulatur ganz ernsthaft in Erwägung gezogen -hätte – »Frau Oberförster Katzler und Frau von Gundermann, -sie leben hoch!« Rex, Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau -von Gundermann anzustoßen; als aber jeder von ihnen auf -seinen Platz zurückgekehrt war, nahmen sie die durch den Toast -unterbrochenen Privatgespräche wieder auf, wobei Dubslav -als guter Wirt sich darauf beschränkte, kurze Bemerkungen -nach links und rechts hin einzustreuen. Dies war indessen nicht -immer leicht, am wenigsten leicht bei dem Geplauder, das der -Hauptmann und Frau von Gundermann führten, und das -so pausenlos verlief, daß ein Einhaken sich kaum ermöglichte. -Czako war ein guter Sprecher, aber er verschwand neben seiner -Partnerin. Ihres Vaters Laufbahn, der es (ursprünglich -Schreib- und Zeichenlehrer) in einer langen, schon mit anno 13 -beginnenden Dienstzeit bis zum Hauptmann in der »Plankammer« -gebracht hatte, gab ihr in ihren Augen eine gewisse -militärische Zugehörigkeit, und als sie, nach mehrmaligem Auslugen, -endlich den ihr wohlbekannten Namenszug des Regiments -Alexander auf Czakos Achselklappe erkannt hatte, sagte -sie: »Gott …, Alexander. Nein, ich sage. Mir war aber doch -auch gleich so; Münzstraße. Wir wohnten ja Linienstraße, -Ecke der Weinmeister – das heißt, als ich meinen Mann kennen<span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span> -lernte. Vorher draußen, Schönhauser Allee. Wenn man so -wen aus seiner Gegend wieder sieht! Ich bin ganz glücklich, -Herr Hauptmann. Ach, es ist zu traurig hier. Und wenn wir -nicht den Herrn von Stechlin hätten, so hätten wir so gut wie gar -nichts. Mit Katzlers,« aber dies flüsterte sie nur leise, »mit -Katzlers ist es nichts, die sind zu hoch raus. Da muß man -sich denn klein machen. Und so toll ist es am Ende doch auch -noch nicht. Jetzt passen sie ja noch leidlich. Aber abwarten.«</p> - -<p>»Sehr wahr, sehr wahr,« sagte Czako, der, ohne was -Sicheres zu verstehen, nur ein während des Dubslavschen -Toastes schon gehabtes Gefühl bestätigt sah, daß es mit den -Katzlers was Besonderes auf sich haben müsse. Frau von -Gundermann aber, den ihr unbequemen Flüsterton aufgebend, -fuhr mit wieder lauter werdender Stimme fort: »Wir haben -den Herrn von Stechlin, und das ist ein Glück, und es ist auch -bloß eine gute halbe Meile. Die meisten andern wohnen viel -zu weit, und wenn sie auch näher wohnten, sie wollen alle nicht -recht; die Leute hier, mit denen wir eigentlich Umgang haben -müßten, sind so difficil und legen alles auf die Goldwage. -Das heißt, vieles legen sie nicht auf die Goldwage, dazu reicht -es bei den meisten nicht aus; nur immer die Ahnen. Und -sechzehn ist das wenigste. Ja, wer hat gleich sechzehn? Gundermann -ist erst geadelt, und wenn er nicht Glück gehabt hätte, so -wär es gar nichts. Er hat nämlich klein angefangen, bloß mit -einer Mühle; jetzt haben wir nun freilich sieben, immer den Rhin -entlang, lauter Schneidemühlen, Bohlen und Bretter, einzöllig, -zweizöllig und noch mehr. Und die Berliner Dielen, die sind -fast alle von uns.«</p> - -<p>»Aber, meine gnädigste Frau, das muß Ihnen doch ein -Hochgefühl geben. Alle Berliner Dielen! Und dieser Rhinfluß, -von dem Sie sprechen, der vielleicht eine ganze Seenkette -verbindet, und woran mutmaßlich eine reizende Villa liegt! -Und darin hören Sie Tag und Nacht, wie nebenan in der<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span> -Mühle die Säge geht, und die dicht herumstehenden Bäume -bewegen sich leise. Mitunter natürlich ist auch Sturm. Und -Sie haben eine Pony-Equipage für Ihre Kinder. Ich darf -doch annehmen, daß Sie Kinder haben? Wenn man so abgeschieden -lebt und so beständig aufeinander angewiesen ist …«</p> - -<p>»Es ist, wie Sie sagen, Herr Hauptmann; ich habe Kinder, -aber schon erwachsen, beinah alle, denn ich habe mich jung verheiratet. -Ja, Herr von Czako, man ist auch einmal jung -gewesen. Und es ist ein Glück, daß ich die Kinder habe. Sonst -ist kein Mensch da, mit dem man ein gebildetes Gespräch führen -kann. Mein Mann hat seine Politik und möchte sich wählen -lassen, aber es wird nichts, und wenn ich die Journale bringe, -nicht mal die Bilder sieht er sich an. Und die Geschichten, sagt -er, seien bloß dummes Zeug und bloß Wasser auf die Mühlen -der Sozialdemokratie. Seine Mühlen, was ich übrigens recht -und billig finde, sind ihm lieber.«</p> - -<p>»Aber Sie müssen doch viele Menschen um sich herum haben, -schon in Ihrer Wirtschaft.«</p> - -<p>»Ja, die hab ich, und die Mamsells, die man so kriegt, -ja, ein paar Wochen geht es; aber dann bändeln sie gleich an, -am liebsten mit nem Volontär; wir haben nämlich auch -Volontärs in der Mühlenbranche. Und die meisten sind aus -ganz gutem Hause. Die jungen Menschen passen aber nicht -auf, und da hat man's denn, und immer gleich Knall und Fall. -All das ist doch traurig, und mitunter ist es auch so, daß man -sich geradezu genieren muß.«</p> - -<p>Czako seufzte. »Mir ein Greuel, all dergleichen. Aber ich -weiß vom Manöver her, was alles vorkommt. Und mit einer -Schläue … nichts schlauer, als verliebte Menschen. Ach, das -ist ein Kapitel, womit man nicht fertig wird. Aber Sie sagten -Linienstraße, meine Gnädigste. Welche Nummer denn? Ich -kenne da beinah jedes Haus, kleine, nette Häuser, immer bloß -Bel-Etage, höchstens mal ein <em class="antiqua">Oeil de Boeuf</em>.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span></p> - -<p>»Wie? was?«</p> - -<p>»Großes rundes Fenster ohne Glas. Aber ich liebe diese -Häuser.«</p> - -<p>»Ja, das kann ich auch von mir sagen, und in gerade -solchen Häusern hab ich meine beste Zeit verbracht, als ich noch -ein Quack war, höchstens vierzehn. Und so grausam wild. -Damals waren nämlich noch die Rinnsteine, und wenn es -dann regnete und alles überschwemmt war und die Bretter -anfingen, sich zu heben, und schon so halb herumschwammen, -und die Ratten, die da drunter steckten, nicht mehr wußten, -wo sie hin sollten, dann sprangen wir auf die Bohlen rauf, -und nun die Biester raus, links und rechts, und die Jungens -hinterher, immer aufgekrempelt und ganz nackigt. Und einmal, -weil der eine Junge nicht abließ und mit seinen Holzpantinen -immer drauflos schlug, da wurde das Untier falsch und -biß den Jungen so, daß er schrie! Nein, so hab ich noch keinen -Menschen wieder schreien hören. Und es war auch fürchterlich.«</p> - -<p>»Ja, das ist es. Und da helfen bloß Rattenfänger.«</p> - -<p>»Ja, Rattenfänger, davon hab ich auch gehört – Rattenfänger -von Hameln. Aber die gibt es doch nicht mehr.«</p> - -<p>»Nein, gnädige Frau, die gibt es nicht mehr, wenigstens -nicht mehr solche Hexenmeister mit Zauberspruch und einer -Pfeife zum Pfeifen. Aber die meine ich auch gar nicht. Ich -meine überhaupt nicht Menschen, die dergleichen als Metier -betreiben und sich in den Zeitungen anzeigen, unheimliche Gesichter -mit einer Pelzkappe. Was ich meine, sind bloß Pinscher, -die nebenher auch noch ›Rattenfänger‹ heißen und es auch -wirklich sind. Und mit einem solchen Rattenfänger auf die -Jagd gehen, das ist eigentlich das Schönste, was es gibt.«</p> - -<p>»Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die -Jagd gehen!«</p> - -<p>»Doch, doch, meine gnädigste Frau. Als ich in Paris war -(ich war da nämlich mal hinkommandiert), da bin ich mit<span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span> -runtergestiegen in die sogenannten Katakomben, hochgewölbte -Kanäle, die sich unter der Erde hinziehen. Und diese Kanäle -sind das wahre Ratteneldorado; da sind sie zu Millionen. -Oben drei Millionen Franzosen, unten drei Millionen Ratten. -Und einmal, wie gesagt, bin ich da mit runtergeklettert und in -einem Boote durch diese Unterwelt hingefahren, immer mitten -in die Ratten hinein.«</p> - -<p>»Gräßlich, gräßlich. Und sind Sie heil wieder raus gekommen?«</p> - -<p>»Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigste Frau, eigentlich -war es doch ein Vergnügen. In unserm Kahn hatten wir -nämlich zwei solche Rattenfänger, einen vorn und einen hinten. -Und nun hätten Sie sehen sollen, wie das losging. ›Schnapp,‹ -und das Tier um die Ohren geschlagen, und tot war es. Und -so weiter, so schnell wie Sie nur zählen können, und mitunter -noch schneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver, -dem bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal gelesen -haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln wegschoß. -Und so immerzu, viele Hundert. Ja, so was wie diese Rattenjagd -da unten, das vergißt man nicht wieder. Es war aber -auch das Beste da. Denn was sonst noch von Paris geredet -wird, das ist alles übertrieben; meist dummes Zeug. Was -haben sie denn Großes? Opern und Zirkus und Museum, -und in einem Saal ne Venus, die man sich nicht recht ansieht, -weil sie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen -da ist. Und das alles haben wir schließlich auch, und manches -haben wir noch besser. So zum Beispiel Niemann und die dell' -Era. Aber solche Rattenschlacht, das muß wahr sein, die haben -wir nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben.«</p> - -<p>Der alte Dubslav, der das Wort »Katakomben« gehört -hatte, wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte: -»Pardon, Herr von Czako, aber Sie müssen meiner lieben Frau -von Gundermann nicht mit so furchtbar ernsten Sachen kommen<span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span> -und noch dazu hier bei Tisch, gleich nach Karpfen und -Meerrettich. Katakomben! Ich bitte Sie. Die waren ja doch -eigentlich in Rom und erinnern einen immer an die traurigsten -Zeiten, an den grausamen Kaiser Nero und seine Verfolgungen -und seine Fackeln. Und da war dann noch einer mit einem -etwas längeren Namen, der noch viel grausamer war, und da -verkrochen sich diese armen Christen gerade in eben diese Katakomben, -und manche wurden verraten und gemordet. Nein, -Herr von Czako, da lieber was Heiteres. Nicht wahr, meine -liebe Frau von Gundermann?«</p> - -<p>»Ach nein, Herr von Stechlin; es ist doch alles so sehr gelehrig. -Und wenn man so selten Gelegenheit hat …«</p> - -<p>»Na, wie Sie wollen. Ich hab es gut gemeint. Stoßen -wir an! Ihr Rudolf soll leben; das ist doch der Liebling, trotzdem -er der älteste ist. Wie alt ist er denn jetzt?«</p> - -<p>»Vierundzwanzig.«</p> - -<p>»Ein schönes Alter. Und wie ich höre, ein guter Mensch. -Er müßte nur mehr raus. Er versauert hier ein bißchen.«</p> - -<p>»Sag ich ihm auch. Aber er will nicht fort. Er sagt, zu -Hause sei es am besten.«</p> - -<p>»Bravo. Da nehm ich alles zurück. Lassen Sie ihn. Zu -Hause ist es am Ende wirklich am besten. Und gerade wir -hier, die wir den Vorzug haben, in der Rheinsberger Gegend -zu leben. Ja, wo ist so was? Erst der große König, und dann -Prinz Heinrich, der nie ne Schlacht verloren. Und einige sagen, -er wäre noch klüger gewesen als sein Bruder. Aber ich will so -was nicht gesagt haben.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Frau von Gundermann schien auf das ihr als einziger, -also auch ältester Dame zustehende Tafelaufhebungsrecht verzichten<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span> -zu wollen und wartete, bis statt ihrer der schon seit einer -Viertelstunde sich nach seiner Meerschaumpfeife sehnende -Dubslav das Zeichen zum Aufbruch gab. Alles erhob sich jetzt -rasch, um vom Eßzimmer aus in den nach dem Garten hinaussehenden -Salon zurückzukehren, dem es – war es Zufall oder -Absicht? – in diesem Augenblick noch an aller Beleuchtung -fehlte; nur im Kamin glühten ein paar Scheite, die während -der Essenszeit halb niedergebrannt waren, und durch die offenstehende -hohe Glastür fiel von der Veranda her das Licht der -über den Parkbäumen stehenden Mondsichel. Alles gruppierte -sich alsbald um Frau von Gundermann, um dieser die pflichtschuldigen -Honneurs zu machen, während Martin die Lampen, -Engelke den Kaffee brachte. Das ein paar Minuten lang geführte -gemeinschaftliche Gespräch kam, all die Zeit über, über -ein unruhiges Hin und Her nicht hinaus, bis der Knäuel, in -dem man stand, sich wieder in Gruppen auflöste.</p> - -<p>Das erste sich abtrennende Paar waren Rex und Katzler, -beide passionierte Billardspieler, die sich – Katzler übernahm -die Führung – erst in den Eßsaal zurück und von diesem aus -in das daneben gelegene Spielzimmer begaben. Das hier -stehende, ziemlich vernachlässigte Billard war schon an die -fünfzig Jahre alt und stammte noch aus des Vaters Zeiten her. -Dubslav selbst machte sich nicht viel aus dem Spiel, aus Spiel -überhaupt nicht und interessierte sich, soweit sein Billard in Betracht -kam, nur für eine sehr nachgedunkelte Karoline, von der -ein Berliner Besucher mal gesagt hatte: »Alle Wetter, Stechlin, -wo haben Sie <em class="gesperrt">die</em> her? Das ist ja die gelbste Karoline, die ich -all mein Lebtag gesehen habe,« – Worte, die damals solchen -Eindruck auf Dubslav gemacht hatten, daß er seitdem ein etwas -freundlicheres Verhältnis zu seinem Billard unterhielt und -nicht ungern von »seiner Karoline« sprach.</p> - -<p>Das zweite Paar, das sich aus der Gemeinschaft abtrennte, -waren Woldemar und Gundermann. Gundermann, wie alle<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span> -an Kongestionen Leidende, fand es überall zu heiß und wies, -als er ein paar Worte mit Woldemar gewechselt, auf die offenstehende -Tür. »Es ist ein so schöner Abend, Herr von Stechlin; -könnten wir nicht auf die Veranda hinaustreten?«</p> - -<p>»Aber gewiß, Herr von Gundermann. Und wenn wir uns -absentieren, wollen wir auch alles Gute gleich mitnehmen. -Engelke, bring uns die kleine Kiste, du weißt schon.«</p> - -<p>»Ah, kapital. So ein paar Züge, das schlägt nieder, besser -als Sodawasser. Und dann ist es auch wohl schicklicher im -Freien. Meine Frau, wenn wir zuhause sind, hat sich zwar -daran gewöhnen müssen und spricht höchstens mal von ›paffen‹ -(na, das is nicht anders, dafür is man eben verheiratet), aber -in einem fremden Hause, da fangen denn doch die Rücksichten -an. Unser guter alter Kortschädel sprach auch immer von -›Dehors‹.«</p> - -<p>Unter diesen Worten waren Woldemar und Gundermann -vom Salon her auf die Veranda hinausgetreten, bis dicht an -die Treppenstufen heran, und sahen auf den kleinen Wasserstrahl, -der auf dem Rundell aufsprang.</p> - -<p>»Immer, wenn ich den Wasserstrahl sehe,« fuhr Gundermann -fort, »muß ich wieder an unsern guten alten Kortschädel -denken. Is nu auch hinüber. Na, jeder muß mal, und -wenn irgendeiner seinen Platz da oben sicher hat, <em class="gesperrt">der</em> hat ihn. -Ehrenmann durch und durch, und loyal bis auf die Knochen. -Redner war er nicht, was eigentlich immer ein Vorzug, und -hat mit seiner Schwätzerei dem Staate kein Geld gekostet; -aber er wußte ganz gut Bescheid, und, unter vier Augen, ich -habe Sachen von ihm gehört, großartig. Und ich sage mir, -solchen kriegen wir nicht wieder …«</p> - -<p>»Ach, das ist Schwarzseherei, Herr von Gundermann. Ich -glaube, wir haben viele von ähnlicher Gesinnung. Und ich -sehe nicht ein, warum nicht ein Mann wie Sie …«</p> - -<p>»Geht nicht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span></p> - -<p>»Warum nicht?«</p> - -<p>»Weil Ihr Herr Papa kandidieren will. Und da muß ich -zurückstehen. Ich bin hier ein Neuling. Und die Stechlins -waren hier schon …«</p> - -<p>»Nun gut, ich will dies letztere gelten lassen, und nur was -das Kandidieren meines Vaters angeht – ich denke mir, es -ist noch nicht so weit, vieles kann noch dazwischen kommen, -und jedenfalls wird er schwanken. Aber nehmen wir mal an, -es sei, wie Sie vermuten. In diesem Falle träfe doch gerade das -zu, was ich mir soeben zu sagen erlaubt habe. Mein Vater ist -in jedem Anbetracht ein treuer Gesinnungsgenosse Kortschädels, -und wenn er an seine Stelle tritt, was ist da verloren? Die -Lage bleibt dieselbe.«</p> - -<p>»Nein, Herr von Stechlin.«</p> - -<p>»Nun, was ändert sich?«</p> - -<p>»Vieles, alles. Kortschädel war in den großen Fragen -unerbittlich, und Ihr Herr Vater läßt mit sich reden …«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, ob Sie da recht haben. Aber wenn es so -wäre, so wäre das doch ein Glück …«</p> - -<p>»Ein Unglück, Herr von Stechlin. Wer mit sich reden läßt, -ist nicht stramm, und wer nicht stramm ist, ist schwach. Und -Schwäche (die destruktiven Elemente haben dafür eine feine -Fühlung), Schwäche ist immer Wasser auf die Mühlen der -Sozialdemokratie.«</p> - -<p>Die vier andern der kleinen Tafelrunde waren im Gartensalon -zurückgeblieben, hatten sich aber auch zu zwei und zwei -zusammengetan. In der einen Fensternische, so daß sie den -Blick auf den mondbeschienenen Vorplatz und die draußen auf -der Veranda auf und ab schreitenden beiden Herren hatten, -saßen Lorenzen und Frau von Gundermann. Die Gundermann -war glücklich über das Tete-a-tete, denn sie hatte wegen -ihres jüngsten Sohnes allerhand Fragen auf dem Herzen oder -bildete sich wenigstens ein, sie zu haben. Denn eigentlich hatte<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span> -sie für gar nichts Interesse, sie mußte bloß, richtige Berlinerin, -die sie war, reden können.</p> - -<p>»Ich bin so froh, Herr Pastor, daß ich nun doch einmal -Gelegenheit finde. Gott, wer Kinder hat, der hat auch immer -Sorgen. Ich möchte wegen meines Jüngsten so gerne mal -mit Ihnen sprechen, wegen meines Arthur. Rudolf hat mir -keine Sorgen gemacht, aber Arthur. Er ist nun jetzt eingesegnet, -und Sie haben ihm, Herr Prediger, den schönen Spruch mitgegeben, -und der Junge hat auch gleich den Spruch auf einen -großen weißen Bogen geschrieben, alle Buchstaben erst mit zwei -Linien nebeneinander und dann dick ausgetuscht. Es sieht aus -wie'n Plakat. Und diesen großen Bogen hat er sich in die -Waschtoilette geklebt, und da mahnt es ihn immer.«</p> - -<p>»Nun, Frau von Gundermann, dagegen ist doch nichts -zu sagen.«</p> - -<p>»Nein, das will ich auch nicht. Eher das Gegenteil. Es hat -ja doch was Rührendes, daß es einer so ernst nimmt. Denn -er hat zwei Tage dran gesessen. Aber wenn solch junger Mensch -es so immer liest, so gewöhnt er sich dran. Und dann ist ja -auch gleich wieder die Verführung da. Gott, daß man gerade -immer über solche Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß -ich mit dem Herrn Hauptmann über unsern Volontär Vehmeyer -gesprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder -mit Ihnen, Herr Pastor, auch über so was. Aber es geht nicht -anders. Und dann sind Sie ja doch auch wie verantwortlich für -seine Seele.«</p> - -<p>Lorenzen lächelte. »Gewiß, liebe Frau von Gundermann. -Aber was ist es denn? Um was handelt es sich denn eigentlich?«</p> - -<p>»Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder -eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngste -von unserm Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein -hübsches Balg, rotbraun und ganz kraus, und Brandt wollte, -sie solle bei uns angelernt werden. Nun, wir sind kein großes<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span> -Haus, gewiß nicht, aber Mäntel abnehmen und rumpräsentieren, -und daß sie weiß, ob links oder rechts, so viel lernt sie -am Ende doch.«</p> - -<p>»Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn ich ganz gut; -die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingesegnet. Und es ist, wie -Sie sagen, ein allerliebstes Geschöpf und klug und aufgekratzt, -ein bißchen zu sehr. Sie will zu Ostern nach Berlin.«</p> - -<p>»Wenn sie nur erst da wäre. Mir tut es beinahe schon leid, -daß ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber so geht es einem immer.«</p> - -<p>»Ist denn was vorgefallen?«</p> - -<p>»Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja doch erst -sechzehn und eine Dusche dazu, gerade wie sein Vater; <em class="gesperrt">der</em> -hat sich auch erst rausgemausert, seit er grau geworden. Was -beiläufig auch nicht gut ist. Und da komme ich nun gestern -vormittag die Treppe rauf und will dem Jungen sagen, daß -er in den Dohnenstrich geht und nachsieht, ob Krammetsvögel -da sind, und die Tür steht halb auf, was noch das beste war, -und da seh ich, wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze -raussteckt; so was von spitzer Zunge hab ich mein Lebtag noch -nicht gesehen. Die reine Eva. Für die Potiphar ist sie mir noch -zu jung. Und als ich nu dazwischen trete, da kriegt ja nu der -arme Junge das Zittern, und weil ich nicht recht wußte, was -ich sagen sollte, ging ich bloß hin und klappte den Waschtischdeckel -auf, wo der Spruch stand, und sah ihn scharf an. Und da -wurde er ganz blaß. Aber das Balg lachte.«</p> - -<p>»Ja, liebe Frau von Gundermann, das ist so; Jugend hat -keine Tugend.«</p> - -<p>»Ich weiß doch nicht; ich bin auch einmal jung gewesen …«</p> - -<p>»Ja, Damen …«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in -der Fensternische mit derartigen Intimitäten kam und den -guten Pastor Lorenzen abwechselnd in Verlegenheit und dann<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span> -auch wieder in stille Heiterkeit versetzte, hatte sich Dubslav mit -Hauptmann von Czako in eine schräg gegenüber gelegene Ecke -zurückgezogen, wo eine altmodische Causeuse stand, mit einem -Marmortischchen davor. Auf dem Tische zwei Kaffeetassen -samt aufgeklapptem Likörkasten, aus dem Dubslav eine Flasche -nach der andern herausnahm. »Jetzt, wenn man von Tisch -kommt, muß es immer ein Cognac sein. Aber ich bekenne -Ihnen, lieber Hauptmann, ich mache die Mode nicht mit; -wir aus der alten Zeit, wir waren immer ein bißchen fürs Süße. -Creme de Cacao, na, natürlich, das is Damenschnaps, davon -kann keine Rede sein; aber Pomeranzen oder, wie sie jetzt sagen, -Curaçao, das ist mein Fall. Darf ich Ihnen einschenken? Oder -vielleicht lieber Danziger Goldwasser? Kann ich übrigens auch -empfehlen.«</p> - -<p>»Dann bitte ich um Goldwasser. Es ist doch schärfer, -und dann bekenne ich Ihnen offen, Herr Major … Sie kennen -ja unsre Verhältnisse, so'n bißchen Gold heimelt einen immer -an. Man hat keins und dabei doch zugleich die Vorstellung, -daß man es trinken kann – es hat eigentlich was Großartiges.«</p> - -<p>Dubslav nickte, schenkte von dem Goldwasser ein, erst für -Czako, dann für sich selbst, und sagte: »Bei Tische hab ich die -Damen leben lassen und Frau von Gundermann im speziellen. -Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehen's. Diese Rattengeschichte …«</p> - -<p>»Vielleicht war es ein bißchen zu viel.«</p> - -<p>»I, keineswegs. Und dann, Sie waren ja ganz unschuldig, -die Gnädge fing ja davon an; erinnern Sie sich, sie verliebte -sich ordentlich in die Geschichte von den Rinnsteinbohlen, und -wie sie drauf rumgetrampelt, bis die Ratten rauskamen. -Ich glaube sogar, sie sagte ›Biester‹. Aber das schadet nicht. -Das ist so Berliner Stil. Und unsre Gnädge hier (beiläufig -eine geborene Helfrich) is eine Vollblutberlinerin.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span></p> - -<p>»Ein Wort, das mich doch einigermaßen überrascht.«</p> - -<p>»Ah,« drohte Dubslav schelmisch mit dem Finger, »ich -verstehe. Sie sind einer gewissen Unausreichendheit begegnet -und verlangen mindestens mehr Quadrat (von Kubik will ich -nicht sprechen). Aber wir von Adel müssen in diesem Punkte -doch ziemlich milde sein und ein Auge zudrücken, wenn das das -richtige Wort ist. Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch -in Extremen und hat einen linken und einen rechten Flügel; -der linke nähert sich unsrer geborenen Helfrich. Übrigens unterhaltliche -Madam. Und wie beseligt sie war, als sie den Namenszug -auf Ihrer Achselklappe glücklich entdeckt und damit den -Anmarsch auf die Münzstraße gewonnen hatte. Was es doch -alles für Lokalpatriotismen gibt!«</p> - -<p>»An dem unser Regiment teilnimmt oder ihn mitmacht. -Die Welt um den Alexanderplatz herum hat übrigens so ihren -eigenen Zauber, schon um einer gewissen Unresidenzlichkeit -willen. Ich sehe nichts lieber als die große Markthalle, -wenn beispielsweise die Fischtonnen mit fünfhundert Aalen -in die Netze gegossen werden. Etwas Unglaubliches von -Gezappel.«</p> - -<p>»Finde mich ganz darin zurecht und bin auch für Alexanderplatz -und Alexanderkaserne samt allem, was dazu gehört. -Und so brech ich denn auch die Gelegenheit vom Zaun, um nach -einem Ihrer früheren Regimentskommandeure zu fragen, -dem liebenswürdigen Obersten von Zeuner, den ich noch persönlich -gekannt habe. Hier unsere Stechliner Gegend ist nämlich -Zeunergegend. Keine Stunde von hier liegt Köpernitz, eine -reizende Besitzung, drauf die Zeunersche Familie schon in fridericianischen -Tagen ansässig war. Bin oft drüben gewesen (nun -freilich schon zwanzig Jahre zurück) und komme noch einmal -mit der Frage: Haben Sie den Obersten noch gekannt?«</p> - -<p>»Nein, Herr Major. Er war schon fort, als ich zum Regimente -kam. Aber ich habe viel von ihm gehört und auch von<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span> -Köpernitz, weiß aber freilich nicht mehr, in welchem Zusammenhange.«</p> - -<p>»Schade, daß Sie nur einen Tag für Stechlin festgesetzt -haben, sonst müßten Sie das Gut sehen. Alles ganz eigentümlich -und besonders auch ein Grabstein, unter dem eine -uralte Dame von beinah neunzig Jahren begraben liegt, eine -geborne von Zeuner, die sich in früher Jugend schon mit einem -Emigranten am Rheinsberger Hof, mit dem Grafen La -Roche-Aymon, vermählt hatte. Merkwürdige Frau, von der -ich Ihnen erzähle, wenn ich Sie mal wiedersehe. Nur eins -müssen Sie heute schon mit anhören, denn ich glaube, Sie haben -den Gustus dafür.«</p> - -<p>»Für alles, was Sie erzählen.«</p> - -<p>»Keine Schmeicheleien! Aber die Geschichte will ich Ihnen -doch als Andenken mitgeben. Andre schenken sich Photographien, -was ich, selbst wenn es hübsche Menschen sind (ein -Fall, der übrigens selten zutrifft), immer greulich finde.«</p> - -<p>»Schenke nie welche.«</p> - -<p>»Was meine Gefühle für Sie steigert. Aber die Geschichte: -Da war also drüben in Köpernitz diese La Roche-Aymon, und -weil sie noch die Prinz-Heinrich-Tage gesehen und während -derselben eine Rolle gespielt hatte, so zählte sie zu den besonderen -Lieblingen Friedrich Wilhelms <em class="antiqua">IV.</em> Und als nun – sagen -wir ums Jahr fünfzig – der Zufall es fügte, daß dem zur -Jagd hier erschienenen König das Köpernitzer Frühstück, ganz -besonders aber eine Blut- und Zungenwurst, über die Maßen -gut geschmeckt hatte, so wurde dies Veranlassung für die Gräfin, -am nächsten Heiligabend eine ganze Kiste voll Würste nach -Potsdam hin in die königliche Küche zu liefern. Und das ging -so durch Jahre. Da beschloß zuletzt der gute König, sich für all -die gute Gabe zu revanchieren, und als wieder Weihnachten -war, traf in Köpernitz ein Postpaket ein, Inhalt: eine zierliche, -kleine Blutwurst! Und zwar war es ein wunderschöner, rundlicher<span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span> -Blutkarneol mit Goldspeilerchen an beiden Seiten und -die Speilerchen selbst mit Diamanten besetzt. Und neben diesem -Geschenk lag ein Zettelchen: ›Wurst wider Wurst.‹«</p> - -<p>»Allerliebst.«</p> - -<p>»Mehr als das. Ich persönlich ziehe solchen guten Einfall -einer guten Verfassung vor. Der König, glaub ich, tat es auch. -Und es denken auch heute noch viele so.«</p> - -<p>»Gewiß, Herr Major. Es denken auch heute noch viele so, -und bei dem Schwankezustand, in dem ich mich leider befinde, -sind meine persönlichen Sympathien gelegentlich nicht weitab -davon. Aber ich fürchte doch, daß wir mit dieser unsrer Anschauung -sehr in der Minorität bleiben.«</p> - -<p>»Werden wir. Aber Vernunft ist immer nur bei wenigen. -Es wäre das beste, wenn ein einziger Alter-Fritzen-Verstand -die ganze Geschichte regulieren könnte. Freilich braucht ein -solcher oberster Wille auch seine Werkzeuge. Die haben wir -aber noch in unserm Adel, in unsrer Armee und speziell auch in -Ihrem Regiment.«</p> - -<p>Während der Alte diesen Trumpf ausspielte, kam Engelke, -um ein paar neue Tassen zu präsentieren.</p> - -<p>»Nein, nein, Engelke, wir sind schon weiter. Aber stell -nur hin … In Ihrem Regiment, sag ich, Herr von Czako; -schon sein Name bedeutet ein Programm, und dieses Programm -heißt: Rußland. Heutzutage darf man freilich kaum noch -davon reden. Aber das ist Unsinn. Ich sage Ihnen, Hauptmann, -das waren Preußens beste Tage, als da bei Potsdam -herum die ›russische Kirche‹ und das ›russische Haus‹ gebaut -wurden, und als es immer hin und her ging zwischen Berlin -und Petersburg. Ihr Regiment, Gott sei Dank, unterhält -noch was von den alten Beziehungen, und ich freue mich -immer, wenn ich davon lese, vor allem, wenn ein russischer -Kaiser kommt und ein Doppelposten vom Regiment Alexander -vor seinem Palais steht. Und noch mehr freu ich mich, wenn<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span> -das Regiment Deputationen schickt: Georgsfest, Namenstag -des hohen Chefs, oder wenn sich's auch bloß um Uniformabänderungen -handelt, beispielsweise Klappkragen statt Stehkragen -(diese verdammten Stehkragen) – und wie dann der -Kaiser alle begrüßt und zur Tafel zieht und so bei sich denkt: -›Ja, ja, das sind brave Leute; da hab ich meinen Halt.‹«</p> - -<p>Czako nickte, war aber doch in sichtlicher Verlegenheit, weil -er, trotz seiner vorher versicherten »Sympathien«, ein ganz -moderner, politisch stark angekränkelter Mensch war, der, bei -strammster Dienstlichkeit, zu all dergleichen Überspanntheiten -ziemlich kritisch stand. Der alte Dubslav nahm indessen von -alledem nichts wahr und fuhr fort: »Und sehen Sie, lieber -Hauptmann, so hab ich's persönlich in meinen jungen Jahren -auch noch erlebt und vielleicht noch ein bißchen besser; denn, -Pardon, jeder hält seine Zeit für die beste. Vielleicht sogar, -daß Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen mein Sprüchel erst -ganz hergesagt haben werde. Da haben wir ja nun ›jenseits des -Njemen‹, wie manche Gebildete jetzt sagen, die ›drei Alexander‹ -gehabt, den ersten, den zweiten und den dritten, alle drei große -Herren und alle drei richtige Kaiser und fromme Leute, oder -doch beinah fromm, die's gut mit ihrem Volk und mit der -Menschheit meinten, und dabei selber richtige Menschen; aber -in dies Alexandertum, das so beinah das ganze Jahrhundert -ausfüllt, da schiebt sich doch noch einer ein, ein Nicht-Alexander, -und ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, <em class="gesperrt">der</em> war doch der -Häupter. Und das war unser Nikolaus. Manche dummen -Kerle haben Spottlieder auf ihn gemacht und vom schwarzen -Niklas gesungen, wie man Kinder mit dem schwarzen Mann -graulich macht, aber war das ein Mann! Und dieser selbige -Nikolaus, nun, der hatte hier, ganz wie die drei Alexander, -auch ein Regiment, und das waren die Nikolaus-Kürassiere, -oder sag ich lieber: das sind die Nikolaus-Kürassiere, denn wir -haben sie, Gott sei Dank, noch. Und sehen Sie, lieber Czako,<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span> -das war mein Regiment, dabei hab ich gestanden, als ich noch -ein junger Dachs war, und habe dann den Abschied genommen; -viel zu früh; Dummheit, hätte lieber dabei bleiben sollen.«</p> - -<p>Czako nickte, Dubslav nahm ein neues Glas von dem -Goldwasser. »Unsere Nikolaus-Kürassiere, Gott erhalte sie, -wie sie sind. Ich möchte sagen, in dem Regimente lebt noch -die heilige Alliance fort, die Waffenbrüderschaft von Anno -dreizehn, und dies Anno dreizehn, das wir mit den Russen -zusammen durchgemacht haben, immer nebeneinander im Biwak, -in Glück und Unglück, das war doch unsre größte Zeit. Größer -als die jetzt große. Große Zeit ist es immer nur, wenn's beinah -schief geht, wenn man jeden Augenblick fürchten muß: ›Jetzt ist -alles vorbei.‹ Da zeigt sich's. Courage ist gut, aber Ausdauer -ist besser. Ausdauer, das ist die Hauptsache. Nichts im Leibe, -nichts auf dem Leibe, Hundekälte, Regen und Schnee, so daß man -so in der nassen Patsche liegt, und höchstens nen Kornus (Kognak, -ja hast du was, den gab es damals kaum) und so die Nacht -durch, da konnte man Jesum Christum erkennen lernen. Ich -sage das, wenn ich auch nicht mit dabei gewesen. Anno dreizehn, -bei Großgörschen, das war für uns die richtige Waffenbrüderschaft: -jetzt haben wir die Waffenbrüderschaft der Orgeldreher -und der Mausefallenhändler. Ich bin für Rußland, -für Nikolaus und Alexander. Preobraschensk, Semenow, -Kaluga, – da hat man die richtige Anlehnung; alles andre -ist revolutionär, und was revolutionär ist, das wackelt.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Kurz vor elf, der Mond war inzwischen unter, brach man -auf, und die Wagen fuhren vor, erst der Katzlersche Kaleschwagen, -dann die Gundermannsche Chaise; Martin aber, mit -einer Stallaterne, leuchtete dem Pastor über Vorhof und -Bohlenbrücke fort, bis an seine ganz im Dunkel liegende Pfarre. -Gleich darauf zogen sich auch die drei Freunde zurück und -stiegen, unter Vorantritt Engelkes, die große Treppe hinauf,<span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span> -bis auf den Podest. Hier trennten sich Rex und Czako von -Woldemar, dessen Zimmer auf der andern Flurseite gelegen -war.</p> - -<p>Czako, sehr müde, war im Nu bettfertig. »Es bleibt -also dabei, Rex, Sie logieren sich in dem Rokokozimmer -ein – wir wollen es ohne weiteres so nennen – und -ich nehme das Himmelbett hier in Zimmer Nummer eins. -Vielleicht wäre das Umgekehrte richtiger, aber Sie haben es -so gewollt.«</p> - -<p>Und während er noch so sprach, schob er seine Stiefel auf -den Flur hinaus, schloß ab und legte sich nieder.</p> - -<p>Rex war derweilen mit seiner Plaidrolle beschäftigt, aus -der er allerlei Toilettengegenstände hervorholte. »Sie müssen -mich entschuldigen, Czako, wenn ich mich noch eine Viertelstunde -hier bei Ihnen aufhalte. Habe nämlich die Angewohnheit, -mich abends zu rasieren, und der Toilettentisch mit Spiegel, -ohne den es doch nicht gut geht, der steht nun mal hier an -Ihrem, statt an meinem Fenster. Ich muß also stören.«</p> - -<p>»Mir sehr recht, trotz aller Müdigkeit. Nichts besser, als -noch ein bißchen aus dem Bett heraus plaudern können. Und -dabei so warm eingemummelt. Die Betten auf dem Lande sind -überhaupt das beste.«</p> - -<p>»Nun, Czako, das freut mich, daß Sie so bereit sind, mir -Quartier zu gönnen. Aber wenn Sie noch eine Plauderei -haben wollen, so müssen Sie sich die Hauptsache selber leisten. -Ich schneide mich sonst, was dann hinterher immer ganz schändlich -aussieht. Übrigens muß ich erst Schaum schlagen, und so -lange wenigstens kann ich Ihnen Red und Antwort stehen. -Ein Glück nebenher, daß hier, außer der kleinen Lampe, noch -diese zwei Leuchter sind. Wenn ich nicht Licht von rechts und -links habe, komme ich nicht von der Stelle; das eine wackelt -zwar (alle diese dünnen Silberleuchter wackeln), aber ›wenn -gute Reden sie begleiten …‹ Also strengen Sie sich an. Wie<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span> -fanden Sie die Gundermanns? Sonderbare Leute – haben -Sie schon mal den Namen Gundermann gehört?«</p> - -<p>»Ja. Aber das war in ›Waldmeisters Brautfahrt‹.«</p> - -<p>»Richtig; so wirkt er auch. Und nun gar erst die Frau. -Der einzige, der sich sehen lassen konnte, war dieser Katzler. Ein -Karambolespieler ersten Ranges. Übrigens Eisernes Kreuz.«</p> - -<p>»Und dann der Pastor.«</p> - -<p>»Nun ja, auch der. Eine ganz gescheite Nummer. Aber -doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe, zu der er -gehört. Er hält zu Stöcker, sprach es auch aus, was neuerdings -nicht jeder tut; aber der ›neue Luther‹, der doch schon gerade -bedenklich genug ist – Majestät hat ganz recht mit seiner Verurteilung, -der geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieser -Lorenzen erscheint mir, im Gegensatz zu seinen Jahren, als -einer der allerjüngsten. Und zu verwundern bleibt nur, daß -der Alte so gut mit ihm steht. Freund Woldemar hat mir -davon erzählt. Der Alte liebt ihn und sieht nicht, daß ihm sein -geliebter Pastor den Ast absägt, auf dem er sitzt. Ja, diese von -der neuesten Schule, das sind die allerschlimmsten. Immer -Volk und wieder Volk, und mal auch etwas Christus dazwischen. -Aber ich lasse mich so leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft -alles darauf hinaus, daß sie mit uns aufräumen wollen, und -mit dem alten Christentum auch. Sie haben ein neues, und das -überlieferte behandeln sie despektierlich.«</p> - -<p>»Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken. Seien -Sie gut, Rex, und lassen Sie Konventikel und Partei mal beiseite. -Das Überlieferte, was einem da so vor die Klinge kommt, -namentlich wenn Sie sich die Menschen ansehen, wie sie nun -mal sind, ist doch sehr reparaturbedürftig, und auf solche -Reparatur ist ein Mann wie dieser Lorenzen eben aus. Machen -Sie die Probe. Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren -guten Glauben in Ehren, aber Sie werden diesen Gundermann -doch nicht über den Lorenzen stellen und ihn überhaupt<span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span> -nur ernsthaft nehmen wollen. Und wie dieser Wassermüller -aus der Brettschneidebranche, so sind die meisten. Phrase, -Phrase. Mitunter auch Geschäft oder noch Schlimmeres.«</p> - -<p>»Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie da sagen, -berührt eine große Frage, bei der man doch aufpassen muß. -Und so mit dem Messer in der Hand, da verbietet sich's. Und -das eine wacklige Licht hat ohnehin schon einen Dieb. Erzählen -Sie mir lieber was von der Frau von Gundermann. -Debattieren kann ich nicht mehr, aber wenn Sie plaudern, -brauch ich bloß zuzuhören. Sie haben ihr ja bei Tisch nen -langen Vortrag gehalten.«</p> - -<p>»Ja. Und noch dazu über Ratten.«</p> - -<p>»Nein, Czako, davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen; dann -doch lieber über alten und neuen Glauben. Und gerade hier. -In solchem alten Kasten ist man nie sicher vor Spuk und -Ratten. Wenn Sie nichts andres wissen, dann bitt ich um die -Geschichte, bei der wir heute früh in Cremmen unterbrochen -wurden. Es schien mir was Pikantes.«</p> - -<p>»Ach, die Geschichte von der kleinen Stubbe. Ja, hören -Sie, Rex, das regt Sie aber auch auf. Und wenn man nicht -schlafen kann, ist es am Ende gleich, ob wegen der Ratten oder -wegen der Stubbe.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Fuenftes_Kapitel">Fünftes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Rex und Czako waren so müde, daß sie sich, wenn nötig, -über Spuk und Ratten weggeschlafen hätten. Aber es war -nicht nötig, nichts war da, was sie hätte stören können. Kurz -vor acht erschien das alte Faktotum mit einem silbernen Deckelkrug, -aus dem der Wrasen heißen Wassers aufstieg, einem der -wenigen Renommierstücke, über die Schloß Stechlin verfügte. -Dazu bot Engelke den Herren einen guten Morgen und stattete<span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span> -seinen Wetterbericht ab: Es gebe gewiß einen schönen Tag, -und der junge Herr sei auch schon auf und gehe mit dem alten -um das Rundell herum.</p> - -<p>So war es denn auch. Woldemar war schon gleich nach -sieben unten im Salon erschienen, um mit seinem Vater, von -dem er wußte, daß er ein Frühauf war, ein Familiengespräch -über allerhand difficile Dinge zu führen. Aber er war entschlossen, -seinerseits damit nicht anzufangen, sondern alles -von der Neugier und dem guten Herzen des Vaters zu erwarten. -Und darin sah er sich auch nicht getäuscht.</p> - -<p>»Ah, Woldemar, das ist recht, daß du schon da bist. Nur -nicht zu lang im Bett. Die meisten Langschläfer haben einen -Knacks. Es können aber sonst ganz gute Leute sein. Ich wette, -dein Freund Rex schläft bis neun.«</p> - -<p>»Nein, Papa, der gerade nicht. Wer wie Rex ist, kann sich -das nicht gönnen. Er hat nämlich einen Verein gegründet für -Frühgottesdienste, abwechselnd in Schönhausen und Finkenkrug. -Aber es ist noch nicht perfekt geworden.«</p> - -<p>»Freut mich, daß es noch hapert. Ich mag so was nicht. -Der alte Wilhelm hat zwar seinem Volke die Religion wiedergeben -wollen, was ein schönes Wort von ihm war – alles, -was er tat und sagte, war gut – aber Religion und Landpartie, -dagegen bin ich doch. Ich bin überhaupt gegen alle -falschen Mischungen. Auch bei den Menschen. Die reine Rasse, -das ist das eigentlich Legitime. Das andre, was sie nebenher -noch Legitimität nennen, das ist schon alles mehr künstlich. -Sage, wie steht es denn eigentlich damit? Du weißt schon, -was ich meine.«</p> - -<p>»Ja, Papa …«</p> - -<p>»Nein, nicht so; nicht immer bloß ›ja, Papa‹. So fängst du -jedesmal an, wenn ich auf dies Thema komme. Da liegt schon -ein halber Refus drin, oder ein Hinausschieben, ein Abwartenwollen. -Und damit kann ich mich nicht befreunden. Du bist<span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span> -jetzt zweiunddreißig, oder doch beinah, da muß der mit der -Fackel kommen; aber du fackelst (verzeih den Kalauer, ich bin -eigentlich gegen Kalauer, die sind so mehr für Handlungsreisende), -also du fackelst, sag ich, und ist kein Ernst dahinter. Und soviel -kann ich dir außerdem sagen, deine Tante Sanctissima drüben -in Kloster Wutz, die wird auch schon ungeduldig. Und das sollte -dir zu denken geben. Mich hat sie zeitlebens schlecht behandelt; -wir stimmten eben nie zusammen und konnten auch nicht, denn -so halb Königin Elisabeth, halb Kaffeeschwester, das is ne Melange, -mit der ich mich nie habe befreunden können. Ihr drittes -Wort ist immer ihr Rentmeister Fix, und wäre sie nicht sechsundsiebzig, -so erfänd ich mir eine Geschichte dazu.«</p> - -<p>»Mach es gnädig, Papa. Sie meint es ja doch gut. Und -mit mir nun schon ganz gewiß.«</p> - -<p>»Gnädig machen? Ja, Woldemar, ich will es versuchen. -Nur fürcht ich, es wird nicht viel dabei herauskommen. Da -heißt es immer, man solle Familiengefühl haben, aber es -wird einem doch auch zu blutsauer gemacht, und ich kann umgekehrt -der Versuchung nicht widerstehen, eine richtige Familienkritik -zu üben. Adelheid fordert sie geradezu heraus. Andrerseits -freilich, in dich ist sie wie vernarrt, für dich hat sie Geld -und Liebe. Was davon wichtiger ist, stehe dahin; aber soviel -ist gewiß, ohne sie wär es überhaupt gar nicht gegangen, ich -meine dein Leben in deinem Regiment. Also wir haben ihr -zu danken, und weil sie das gerade so gut weiß wie wir, oder -vielleicht noch ein bißchen besser, gerade deshalb wird sie ungeduldig; -sie will Taten sehen, was vom Weiberstandpunkt aus -allemal so viel heißt wie Verheiratung. Und wenn man will, -kann man es auch so nennen, ich meine Taten. Es ist und -bleibt ein Heroismus. Wer Tante Adelheid geheiratet hätte, -hätte sich die Tapferkeitsmedaille verdient, und wenn ich -schändlich sein wollte, so sagte ich das Eiserne Kreuz.«</p> - -<p>»Ja, Papa …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span></p> - -<p>»Schon wieder ›ja, Papa‹. Nun, meinetwegen, ich will -dich schließlich in deiner Lieblingswendung nicht stören. Aber -bekenne mir nebenher – denn das ist doch schließlich das, um -was sich's handelt –, liegst du mit was im Anschlag, hast du -was auf dem Korn?«</p> - -<p>»Papa, diese Wendungen erschrecken mich beinah. Aber -wenn denn schon so jägermäßig gesprochen werden soll, ja; -meine Wünsche haben ein bestimmtes Ziel, und ich darf sagen, -mich beschäftigen diese Dinge.«</p> - -<p>»Mich beschäftigen diese Dinge … Nimm mir's nicht -übel, Woldemar, das ist ja gar nichts. Beschäftigen! Ich bin -nicht fürs Poetische, das ist für Gouvernanten und arme Lehrer, -die nach Görbersdorf müssen (bloß, daß sie meistens kein Geld -dazu haben), aber diese Wendung ›sich beschäftigen‹, das ist mir -denn doch zu prosaisch. Wenn es sich um solche Dinge wie -Liebe handelt (wiewohl ich über Liebe nicht viel günstiger denke -wie über Poesie, bloß daß Liebe doch noch mehr Unheil anrichtet, -weil sie noch allgemeiner auftritt) – wenn es sich um Dinge -wie Liebe handelt, so darf man nicht sagen, ›ich habe mich damit -beschäftigt‹. Liebe ist doch schließlich immer was Forsches, -sonst kann sie sich ganz und gar begraben lassen, und da möcht -ich denn doch etwas von dir hören, was ein bißchen wie Leidenschaft -aussieht. Es braucht ja nicht gleich was Schreckliches zu -sein. Aber so ganz ohne Stimulus, wie man, glaub ich, jetzt -sagt, so ganz ohne so was geht es nicht; alle Menschheit ist darauf -gestellt, und wo's einschläft, ist so gut wie alles vorbei. -Nun weiß ich zwar recht gut, es geht auch ohne uns, aber das -ist doch alles bloß etwas, was einem von Verstandes wegen -aufgezwungen wird; das egoistische Gefühl, das immer unrecht, -aber auch immer recht hat, will von dem allem nichts wissen -und besteht darauf, daß die Stechline weiterleben, wenn es -sein kann, <em class="antiqua">in aeternum</em>. Ewig weiterleben; – ich räume ein, -es hat ein bißchen was Komisches, aber es gibt wenig ernste<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span> -Sachen, die nicht auch eine komische Seite hätten … Also -dich ›beschäftigen‹ diese Dinge. Kannst du Namen nennen? -Auf wem haben Eurer Hoheit Augen zu ruhen geruht?«</p> - -<p>»Papa, Namen darf ich noch nicht nennen. Ich bin meiner -Sache noch nicht sicher genug, und das ist auch der Grund, -warum ich Wendungen gebraucht habe, die dir nüchtern und -prosaisch erschienen sind. Ich kann dir aber sagen, ich hätte -mich lieber anders ausgedrückt; nur darf ich es noch nicht. Und -dann weiß ich ja auch, daß du selber einen abergläubischen Zug -hast und ganz aufrichtig davon ausgehst, daß man sich sein Glück -verreden kann, wenn man zu früh oder zu viel davon spricht.«</p> - -<p>»Brav, brav. Das gefällt mir. So ist es. Wir sind immer -von neidischen und boshaften Wesen mit Fuchsschwänzen und -Fledermausflügeln umstellt, und wenn wir renommieren oder -sicher tun, dann lachen sie. Und wenn sie erst lachen, dann sind -wir schon so gut wie verloren. Mit unsrer eignen Kraft ist nichts -getan, ich habe nicht den Grashalm sicher, den ich hier ausreiße. -Demut, Demut … Aber trotzdem komm ich dir mit -der naiven Frage (denn man widerspricht sich in einem fort), -ist es was Vornehmes, was Pikfeines?«</p> - -<p>»Pikfein, Papa, will ich nicht sagen. Aber vornehm gewiß.«</p> - -<p>»Na, das freut mich. Falsche Vornehmheit ist mir ein -Greuel; aber richtige Vornehmheit, – <em class="antiqua">à la bonne heure</em>. -Sage mal, vielleicht was vom Hofe?«</p> - -<p>»Nein, Papa.«</p> - -<p>»Na, desto besser. Aber da kommen ja die Herren. Der -Rex sieht wirklich verdeubelt gut aus, ganz das, was wir früher -einen Garde-Assessor nannten. Und fromm, sagst du, – -wird also wohl Karriere machen; ›fromm‹ is wie ne untergelegte -Hand.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Während dieser Worte stiegen Rex und Czako die Stufen -zum Garten hinunter und begrüßten den Alten. Er erkundigte<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span> -sich nach ihren nächtlichen Schicksalen, freute sich, daß sie »durchgeschlafen« -hätten, und nahm dann Czakos Arm, um vom -Garten her auf die Veranda, wo Engelke mittlerweile unter -der großen Marquise den Frühstückstisch hergerichtet hatte, -zurückzukehren. »Darf ich bitten, Herr von Rex.« Und er wies -auf einen Gartenstuhl, ihm gerade gegenüber, während Woldemar -und Czako links und rechts neben ihm Platz nahmen. -»Ich habe neuerdings den Tee eingeführt, das heißt nicht obligatorisch; -im Gegenteil, ich persönlich bleibe lieber bei Kaffee, -›schwarz wie der Teufel, süß wie die Sünde, heiß wie die Hölle‹, -wie bereits Talleyrand gesagt haben soll. Aber, Pardon, -daß ich Sie mit so was überhaupt noch belästige. Schon mein -Vater sagte mal: ›Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer -noch die alten Wiener Kongreßwitze.‹ Und das ist nun schon -wieder ein Menschenalter her.«</p> - -<p>»Ach, diese alten Kongreßwitze,« sagte Rex verbindlich, »ich -möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, daß diese -alten Witze besser sind als die neuen. Und kann auch kaum -anders sein. Denn wer waren denn die Verfasser von damals? -Talleyrand, den Sie schon genannt haben, und Wilhelm von -Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, -daß das Metier seitdem sehr herabgestiegen ist.«</p> - -<p>»Ja, herabgestiegen ist alles, und es steigt immer weiter -nach unten. Das ist, was man neue Zeit nennt, immer weiter -runter. Und mein Pastor, den Sie ja gestern abend kennen -gelernt haben, der behauptet sogar, das sei das Wahre, das sei -das, was man Kultur nenne, daß immer weiter nach unten -gestiegen würde. Die aristokratische Welt habe abgewirtschaftet, -und nun komme die demokratische …«</p> - -<p>»Sonderbare Worte für einen Geistlichen,« sagte Rex, -»für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen -kennen sollte.«</p> - -<p>Dubslav lachte. »Ja, das bestreitet er Ihnen. Und ich<span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span> -muß bekennen, es hat manches für sich, trotzdem es mir nicht -recht paßt. Im übrigen, wir werden ihn, ich meine den Pastor, -ja wohl noch beim zweiten Frühstück sehen, wo Sie dann Gelegenheit -nehmen können, sich mit ihm persönlich darüber auseinanderzusetzen; -er liebt solche Gespräche, wie Sie wohl schon -gemerkt haben, und hat eine kleine Lutherneigung, sich immer -auf das jetzt übliche: ›Hier steh ich, ich kann nicht anders‹ auszuspielen. -Mitunter sieht es wirklich so aus, als ob wieder eine -gewisse Märtyrerlust in die Menschen gefahren wäre, bloß ich -trau dem Frieden noch nicht so recht.«</p> - -<p>»Ich auch nicht,« bemerkte Rex, »meistens Renommisterei.«</p> - -<p>»Na, na,« sagte Czako. »Da hab ich doch noch diese letzten -Tage von einem armen russischen Lehrer gelesen, der unter die -Soldaten gesteckt wurde (sie haben da jetzt auch so was wie -allgemeine Dienstpflicht), und dieser Mensch, der Lehrer, hat -sich geweigert, eine Flinte loszuschießen, weil das bloß Vorschule -sei zu Mord und Totschlag, also ganz und gar gegen das -fünfte Gebot. Und dieser Mensch ist sehr gequält worden, -und zuletzt ist er gestorben. Wollen Sie das auch Renommisterei -nennen?«</p> - -<p>»Gewiß will ich das.«</p> - -<p>»Herr von Rex,« sagte Dubslav, »sollten Sie dabei nicht -zu weit gehen? Wenn sich's ums Sterben handelt, da hört -das Renommieren auf. Aber diese Sache, von der ich übrigens -auch gehört habe, hat einen ganz andern Schlüssel. Das liegt -nicht an der allgemein gewordenen Renommisterei, das liegt -am Lehrertum. Alle Lehrer sind nämlich verrückt. Ich habe -hier auch einen, an dem ich meine Studien gemacht habe; -heißt Krippenstapel, was allein schon was sagen will. Er ist -grad um ein Jahr älter als ich, also runde siebenundsechzig, -und eigentlich ein Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher -Lehrer. Aber verrückt ist er doch.«</p> - -<p>»Das sind alle,« sagte Rex. »Alle Lehrer sind ein Schrecknis.<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span> -Wir im Kultusministerium können ein Lied davon singen. -Diese Abc-Pauker wissen alles, und seitdem Anno sechsundsechzig -der unsinnige Satz in die Mode kam, ›der preußische -Schulmeister habe die Österreicher geschlagen‹ – ich meinerseits -würde lieber dem Zündnadelgewehr oder dem alten Steinmetz, -der alles, nur kein Schulmeister war, den Preis zuerkennen -–, seitdem ist es vollends mit diesen Leuten nicht mehr -auszuhalten. Herr von Stechlin hat eben von einem der -Humboldts gesprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt -trauen sie sich noch nicht recht heran, aber was Alexander von -Humboldt konnte, das können sie nun schon lange.«</p> - -<p>»Da treffen Sie's, Herr von Rex,« sagte Dubslav. »Genau -so ist meiner auch. Ich kann nur wiederholen, ein vorzüglicher -Mann; aber er hat den Prioritätswahnsinn. Wenn Koch das -Heilserum erfindet oder Edison Ihnen auf fünfzig Meilen eine -Oper vorspielt, mit Getrampel und Händeklatschen dazwischen, -so weist Ihnen mein Krippenstapel nach, daß er das vor dreißig -Jahren auch schon mit sich rumgetragen habe.«</p> - -<p>»Ja, ja, so sind sie alle.«</p> - -<p>»Übrigens … Aber darf ich Ihnen nicht noch von diesem -gebackenen Schinken vorlegen? … Übrigens mahnt mich -Krippenstapel daran, daß die Feststellung eines Vormittagsprogramms -wohl an der Zeit sein dürfte; Krippenstapel ist -nämlich der geborene Cicerone dieser Gegenden, und durch -Woldemar weiß ich bereits, daß Sie uns die Freude machen -wollen, sich um Stechlin und Umgegend ein klein wenig zu -kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See – um den See natürlich -am meisten, denn der ist unsre <em class="antiqua">pièce de résistance</em>. Das andere -gibt es wo anders auch, aber der See … Lorenzen erklärt -ihn außerdem noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich -mitrumort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch wirklich -so. Mein Pastor aber sollte, beiläufig bemerkt, so was -lieber nicht sagen. Das sind so Geistreichigkeiten, die leicht übel<span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span> -vermerkt werden. Ich persönlich lass' es laufen. Es gibt nichts, -was mir so verhaßt wäre wie Polizeimaßregeln, oder einem -Menschen, der gern ein freies Wort spricht, die Kehle zuzuschnüren. -Ich rede selber gern, wie mir der Schnabel gewachsen -ist.«</p> - -<p>»Und verplauderst dich dabei,« sagte Woldemar, »und -vergißt zunächst unser Programm. Um spätestens zwei müssen -wir fort; wir haben also nur noch vier Stunden. Und Globsow, -ohne das es nicht gehen wird, ist weit und kostet uns -wenigstens die Hälfte davon.«</p> - -<p>»Alles richtig. Also das Menü, meine Herren. Ich denke -mir die Sache so. Erst (da gleich hinter dem Buxbaumgange) -Besteigung des Aussichtsturms, – noch eine Anlage von -meinem Vater her, die sich, nach Ansicht der Leute hier, -vordem um vieles schöner ausnahm als jetzt. Damals waren -nämlich noch lauter bunte Scheiben da oben, und alles, was -man sah, sah rot oder blau oder orangefarben aus. Und alle -Welt hier war unglücklich, als ich diese bunten Gläser wegnehmen -ließ. Ich empfand es aber wie ne Naturbeleidigung. -Grün ist grün, und Wald ist Wald … Also Nummer eins der -Aussichtsturm; Nummer zwei Krippenstapel und die Schule; -Nummer drei die Kirche samt Kirchhof. Pfarre schenken wir -uns. Dann Wald und See. Und dann Globsow, wo sich eine -Glasindustrie befindet. Und dann wieder zurück, und zum -Abschluß ein zweites Frühstück, eine altmodische Bezeichnung, -die mir aber trotzdem immer besser klingt als Lunch. ›Zweites -Frühstück‹ hat etwas ausgesprochen Behagliches und gibt zu -verstehen, daß man ein erstes schon hinter sich hat … Woldemar, -dies ist mein Programm, das ich dir, als einem Eingeweihten, -hiermit unterbreite. Ja oder nein?«</p> - -<p>»Natürlich ja, Papa. Du triffst dergleichen immer am -besten. Ich meinerseits mache aber nur die erste Hälfte mit. -Wenn wir in der Kirche fertig sind, muß ich zu Lorenzen.<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span> -Krippenstapel kann mich ja mehr als ersetzen, und in Globsow -weiß er all und jedes. Er spricht, als ob er Glasbläser gewesen -wäre.«</p> - -<p>»Darf dich nicht wundern. Dafür ist er Lehrer im allgemeinen -und Krippenstapel im besonderen.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">So war denn also das Programm festgestellt, und nachdem -Dubslav mit Engelkes Hilfe seinen noch ziemlich neuen -weißen Filzhut, den er sehr schonte, mit einem wotanartigen -schwarzen Filzhut vertauscht und einen schweren Eichenstock -in die Hand genommen hatte, brach man auf, um zunächst auf -den als erste Sehenswürdigkeit festgesetzten Aussichtsturm -hinaufzusteigen. Der Weg dahin, keine hundert Schritte, -führte durch einen sogenannten »Poetensteig«. »Ich weiß -nicht,« sagte Dubslav, »warum meine Mutter diesen etwas -anspruchsvollen Namen hier einführte. Soviel mir bekannt, -hat sich hier niemals etwas betreffen lassen, was zu dieser -Rangerhöhung einer ehemaligen Taxushecke hätte Veranlassung -geben können. Und ist auch recht gut so.«</p> - -<p>»Warum gut, Papa?«</p> - -<p>»Nun, nimm es nicht übel,« lachte Dubslav. »Du sprichst -ja, wie wenn du selber einer wärst. Im übrigen räum ich dir -ein, daß ich kein rechtes Urteil über derlei Dinge habe. Bei -den Kürassieren war keiner, und ich habe überhaupt nur einmal -einen gesehen, mit einem kleinen Verdruß und einer Goldbrille, -die er beständig abnahm und putzte. Natürlich bloß ein Männchen, -klein und eitel. Aber sehr elegant.«</p> - -<p>»Elegant?« fragte Czako. »Dann stimmt es nicht; dann -haben Sie so gut wie keinen gesehen.«</p> - -<p>Unter diesem Gespräche waren sie bis an den Turm gekommen, -der in mehreren Etagen und zuletzt auf bloßen Leitern -anstieg. Man mußte schwindelfrei sein, um gut hinaufzukommen. -Oben aber war es wieder gefahrlos, weil eine feste<span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span> -Wandung das Podium umgab. Rex und Czako hielten Umschau. -Nach Süden hin lag das Land frei, nach den drei andern -Seiten hin aber war alles mit Waldmassen besetzt, zwischen -denen gelegentlich die sich hier auf weite Meilen hinziehende -Seenkette sichtbar wurde. Der nächste See war der Stechlin.</p> - -<p>»Wo ist nun die Stelle?« fragte Czako. »Natürlich die, -wo's sprudelt und strudelt.«</p> - -<p>»Sehen Sie die kleine Buchtung da, mit der weißen Steinbank?«</p> - -<p>»Jawohl; ganz deutlich.«</p> - -<p>»Nun, von der Steinbank aus keine zwei Bootslängen in -den See hinein, da haben Sie die Stelle, die, wenn's sein muß, -mit Java telephoniert.«</p> - -<p>»Ich gäbe was drum,« sagte Czako, »wenn jetzt der Hahn zu -krähen anfinge.«</p> - -<p>»Diese kleine Aufmerksamkeit muß ich Ihnen leider schuldig -bleiben und hab überhaupt da nach rechts hin nichts anderes -mehr für Sie als die roten Ziegeldächer, die sich zwischen dem -Waldrand und dem See wie auf einem Bollwerk hinziehen. -Das ist Kolonie Globsow. Da wohnen die Glasbläser. Und -dahinter liegt die Glashütte. Sie ist noch unter dem alten -Fritzen entstanden und heißt die ›grüne Glashütte‹«.</p> - -<p>»Die grüne? Das klingt ja beinah wie aus nem Märchen.«</p> - -<p>»Ist aber eher das Gegenteil davon. Sie heißt nämlich -so, weil man da grünes Glas macht, allergewöhnlichstes -Flaschenglas. An Rubinglas mit Goldrand dürfen Sie hier -nicht denken. Das ist nichts für unsre Gegend.«</p> - -<p>Und damit kletterten sie wieder hinunter und traten, nach -Passierung des Schloßvorhofs, auf den quadratischen Dorfplatz -hinaus, an dessen einer Ecke die Schule gelegen war. Es -mußte die Schule sein, das sah man an den offenstehenden -Fenstern und den Malven davor, und als die Herren bis an -den grünen Staketenzaun heran waren, hörten sie auch schon<span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span> -den prompten Schulgang da drinnen, erst die scharfe, kurze -Frage des Lehrers und dann die sofortige Massenantwort. -Im nächsten Augenblick, unter Vorantritt Dubslavs, betraten -alle den Flur, und weil ein kleiner weißer Kläffer sofort furchtbar -zu bellen anfing, erschien Krippenstapel, um zu sehen, was -los sei.</p> - -<p>»Guten Morgen, Krippenstapel,« sagte Dubslav. »Ich -bring Ihnen Besuch.«</p> - -<p>»Sehr schmeichelhaft, Herr Baron.«</p> - -<p>»Ja, das sagen Sie; wenn's nur wahr ist. Aber unter -allen Umständen lassen Sie den Baron aus dem Spiel … -Sehen Sie, meine Herren, mein Freund Krippenstapel is ein -ganz eignes Haus. Alltags nennt er mich ›Herr von Stechlin‹ -(den Major unterschlägt er), und wenn er ärgerlich ist, nennt er -mich ›gnädger Herr‹. Aber sowie ich mit Fremden komme, -betitelt er mich ›Herr Baron‹. Er will was für mich tun.«</p> - -<p>Krippenstapel, still vor sich hinschmunzelnd, hatte mittlerweile -die Tür zu der seiner Schulklasse gegenüber gelegenen -Wohnstube geöffnet und bat die Herren, eintreten zu wollen. -Sie nahmen auch jeder einen Stuhl in die Hand, aber stützten -sich nur auf die Lehne, während das Gespräch zwischen Dubslav -und dem Lehrer seinen Fortgang nahm. »Sagen Sie, -Krippenstapel, wird es denn überhaupt gehen? Sie sollen uns -natürlich alles zeigen, und die Schule ist noch nicht aus.«</p> - -<p>»O, gewiß geht es, Herr von Stechlin.«</p> - -<p>»Ja, hören Sie, wenn der Hirt fehlt, rebelliert die Herde …«</p> - -<p>»Nicht zu befürchten, Herr von Stechlin. Da war mal -ein Burgemeister, achtundvierziger Zeit, Namen will ich lieber -nicht nennen, der sagte: ›Wenn ich meinen Stiefel ans Fenster -stelle, regier ich die ganze Stadt.‹ Das war mein Mann.«</p> - -<p>»Richtig; den hab ich auch noch gekannt. Ja, der verstand -es. Überhaupt immer in der Furcht des Herrn. Dann geht -alles am besten. Der Hauptregente bleibt doch der Krückstock.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span></p> - -<p>»Der Krückstock,« bestätigte Krippenstapel. »Und dann -freilich die Belohnungen.«</p> - -<p>»Belohnungen?« lachte Dubslav. »Aber Krippenstapel, -wo nehmen Sie denn die her?«</p> - -<p>»O, die hat's schon, Herr von Stechlin. Aber immer mit -Verschiedenheiten. Ist es was Kleines, so kriegt der Junge -bloß nen Katzenkopp weniger, ist es aber was Großes, dann -kriegt er ne Wabe.«</p> - -<p>»Ne Wabe? Richtig. Davon haben wir schon heute früh -beim Frühstück gesprochen, als Ihr Honig auf den Tisch kam. -Ich habe den Herren dabei gesagt, Sie wären der beste Imker -in der ganzen Grafschaft.«</p> - -<p>»Zuviel Ehre, Herr von Stechlin. Aber das darf ich sagen, -ich versteh es. Und wenn die Herren mir folgen wollen, um das -Volk bei der Arbeit zu sehen – es ist jetzt gerade beste Zeit.«</p> - -<p>Alle waren einverstanden, und so gingen sie denn durch den -Flur bis in Hof und Garten hinaus und nahmen hier Stellung -vor einem offenen Etageschuppen, drin die Stöcke standen, nicht -altmodische Bienenkörbe, sondern richtige Bienenhäuser, nach -der Dzierzonschen Methode, wo man alles herausnehmen und -jeden Augenblick in das Innere bequem hineingucken kann. -Krippenstapel zeigte denn auch alles, und Rex und Czako -waren ganz aufrichtig interessiert.</p> - -<p>»Nun aber, Herr Lehrer Krippenstapel,« sagte Czako, »nun -bitte, geben Sie uns auch einen Kommentar. Wie is das -eigentlich mit den Bienen? Es soll ja was ganz Besondres -damit sein.«</p> - -<p>»Ist es auch, Herr Hauptmann. Das Bienenleben ist -eigentlich feiner und vornehmer als das Menschenleben.«</p> - -<p>»Feiner, das kann ich mir schon denken; aber auch vornehmer? -Was Vornehmeres als den Menschen gibt es nicht. -Indessen, wie's damit auch sei, ›ja‹ oder ›nein‹, Sie machen -einen nur immer neugieriger. Ich habe mal gehört, die Bienen<span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span> -sollen sich auf das Staatliche so gut verstehen; beinah vorbildlich.«</p> - -<p>»So ist es auch, Herr Hauptmann. Und eines ist ja da, -worüber sich als Thema vielleicht reden läßt. Da sind nämlich -in jedem Stock drei Gruppen oder Klassen. In Klasse eins -haben wir die Königin, in Klasse zwei haben wir die Arbeitsbienen -(die, was für alles Arbeitsvolk wohl eigentlich immer -das beste ist, geschlechtslos sind), und in Klasse drei haben wir -die Drohnen; die sind männlich, worin zugleich ihr eigentlicher -Beruf besteht. Denn im übrigen tun sie gar nichts.«</p> - -<p>»Interessanter Staat. Gefällt mir. Aber immer noch nicht -vorbildlich genug.«</p> - -<p>»Und nun bedenken Sie, Herr Hauptmann. Winterlang -haben sie so dagesessen und gearbeitet oder auch geschlafen. -Und nun kommt der Frühling, und das erwachende neue Leben -ergreift auch die Bienen, am mächtigsten aber die Klasse eins, -die Königin. Und sie beschließt nun, mit ihrem ganzen Volk -einen Frühlingsausflug zu machen, der sich für sie persönlich -sogar zu einer Art Hochzeitsreise gestaltet. So muß ich es -nennen. Unter den vielen Drohnen nämlich, die ihr auf der -Ferse sind, wählt sie sich einen Begleiter, man könnte sagen -einen Tänzer, der denn auch berufen ist, alsbald in eine noch -intimere Stellung zu ihr einzurücken. Etwa nach einer Stunde -kehrt die Königin und ihr Hochzeitszug in die beengenden -Schranken ihres Staates zurück. Ihr Dasein hat sich inzwischen -erfüllt. Ein ganzes Geschlecht von Bienen wird geboren, aber -weitere Beziehungen zu dem bewußten Tänzer sind ein für -allemal ausgeschlossen. Es ist das gerade das, was ich vorhin -als fein und vornehm bezeichnet habe. Bienenköniginnen -lieben nur einmal. Die Bienenkönigin liebt und stirbt.«</p> - -<p>»Und was wird aus der bevorzugten Drohne, aus dem -Prinzessinnen-Tänzer, dem Prince-Consort, wenn dieser Titel -ausreicht?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span></p> - -<p>»Dieser Tänzer wird ermordet.«</p> - -<p>»Nein, Herr Lehrer Krippenstapel, das geht nicht. Unter -dieser letzten Mitteilung bricht meine Begeisterung wieder -zusammen. Das ist ja schlimmer als der Heinesche Asra. Der -stirbt doch bloß. Aber hier haben wir Ermordung. Sagen Sie, -Rex, wie stehen Sie dazu?«</p> - -<p>»Das monogamische Prinzip, woran doch schließlich unsre -ganze Kultur hängt, kann nicht strenger und überzeugender -demonstriert werden. Ich finde es großartig.«</p> - -<p>Czako hätte gern geantwortet; aber er kam nicht dazu, -weil in diesem Augenblicke Dubslav darauf aufmerksam -machte, daß man noch viel vor sich habe. Zunächst die Kirche. -»Seine Hochwürden, der wohl eigentlich dabei sein müßte, -wird es nicht übelnehmen, wenn wir auf ihn verzichten. Aber -Sie, Krippenstapel, können Sie?«</p> - -<p>Krippenstapel wiederholte, daß er Zeit vollauf habe. Zudem -schlug die Schuluhr, und gleich beim ersten Schlage hörte -man, wie's drinnen in der Klasse lebendig wurde und die Jungens -in ihren Holzpantinen über den Flur weg auf die Straße -stürzten. Draußen aber stellten sie sich militärisch auf, weil -sie mittlerweile gehört hatten, daß der gnädige Herr gekommen -sei.</p> - -<p>»Morgen, Jungens,« sagte Dubslav, an einen kleinen -Schwarzhaarigen herantretend. »Bist von Globsow?«</p> - -<p>»Nein, gnädger Herr, von Dagow.«</p> - -<p>»Na, lernst auch gut?«</p> - -<p>Der Junge griente.</p> - -<p>»Wann war denn Fehrbellin?«</p> - -<p>»Achtzehnter Juni.«</p> - -<p>»Und Leipzig?«</p> - -<p>»Achtzehnter Oktober. Immer achtzehnter bei uns.«</p> - -<p>»Das ist recht, Junge … Da.«</p> - -<p>Und dabei griff er in seinen Rock und suchte nach einem<span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span> -Nickel. »Sehen Sie, Hauptmann, Sie sind ein bißchen ein -Spötter, soviel hab ich schon gemerkt; aber so muß es gemacht -werden. Der Junge weiß von Fehrbellin und von Leipzig -und hat ein kluges Gesicht und steht Red und Antwort. Und -rote Backen hat er auch. Sieht er aus, als ob er einen Kummer -hätte oder einen Gram ums Vaterland? Unsinn. Ordnung -und immer feste. Na, so lange ich hier sitze, so lange hält es -noch. Aber freilich, es kommen andre Tage.«</p> - -<p>Woldemar lächelte.</p> - -<p>»Na,« fuhr der Alte fort, »will mich trösten. Als der alte -Fritz zu sterben kam, dacht er auch, nu ginge die Welt unter. -Und sie steht immer noch, und wir Deutsche sind wieder obenauf, -ein bißchen zu sehr. Aber immer besser als zu wenig.«</p> - -<p>Inzwischen hatte sich Krippenstapel in seiner Stube proper -gemacht: schwarzer Rock mit dem Inhaberband des Adlers -von Hohenzollern, den ihm sein gütiger Gutsherr verschafft -hatte. Statt des Hutes, den er in der Eile nicht hatte finden -können, trug er eine Mütze von sonderbarer Form. In der -Rechten aber hielt er einen ausgehöhlten Kirchenschlüssel, der -wie ne rostige Pistole aussah.</p> - -<p>Der Weg bis zur Kirche war ganz nah. Und nun standen -sie dem Portal gegenüber.</p> - -<p>Rex, zu dessen Ressort auch Kirchenbauliches gehörte, setzte -sein Pincenez auf und musterte. »Sehr interessant. Ich setze -das Portal in die Zeit von Bischof Luger. Prämonstratenserbau. -Wenn mich nicht alles täuscht, Anlehnung an die Brandenburger -Krypte. Also sagen wir zwölfhundert. Wenn ich -fragen darf, Herr von Stechlin, existieren Urkunden? Und -war vielleicht Herr von Quast schon hier oder Geheimrat Adler, -unser bester Kenner?«</p> - -<p>Dubslav geriet in eine kleine Verlegenheit, weil er sich -einer solchen Gründlichkeit nicht gewärtigt hatte. »Herr von -Quast war einmal hier, aber in Wahlangelegenheiten. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span> -mit den Urkunden ist es gründlich vorbei, seit Wrangel hier -alles niederbrannte. Wenn ich von Wrangel spreche, mein ich -natürlich nicht unsern ›Vater Wrangel‹, der übrigens auch keinen -Spaß verstand, sondern den Schillerschen Wrangel … Und -außerdem, Herr von Rex, ist es so schwer für einen Laien. Aber -Sie, Krippenstapel, was meinen Sie?«</p> - -<p>Rex, über den plötzlich etwas von Dienstlichkeit gekommen -war, zuckte zusammen. Er hatte sich an Herrn von Stechlin -gewandt, wenn nicht als an einen Wissenden, so doch als an -einen Ebenbürtigen, und daß jetzt Krippenstapel aufgefordert -wurde, das entscheidende Wort in dieser Angelegenheit zu -sprechen, wollte ihm nicht recht passend erscheinen. Überhaupt, -was wollte diese Figur, die doch schon stark die Karikatur -streifte. Schon der Bericht über die Bienen und namentlich -was er über die Haltung der Königin und den Prince-Consort -gesagt hatte, hatte so merkwürdig anzüglich geklungen, und -nun wurde dies Schulmeister-Original auch noch aufgefordert, -über bauliche Fragen und aus welchem Jahrhundert die Kirche -stamme, sein Urteil abzugeben. Er hatte wohlweislich nach -Quast und Adler gefragt, und nun kam Krippenstapel! Wenn -man durchaus wollte, konnte man das alles patriarchalisch -finden; aber es mißfiel ihm doch. Und leider war Krippenstapel -– der zu seinen sonstigen Sonderbarkeiten auch noch den ganzen -Trotz des Autodidakten gesellte – keineswegs angetan, die -kleinen Unebenheiten, in die das Gespräch hineingeraten war, -wieder glatt zu machen. Er nahm vielmehr die Frage: ›Krippenstapel, -was meinen Sie,‹ ganz ernsthaft auf und sagte:</p> - -<p>»Wollen verzeihen, Herr von Rex, wenn ich unter Anlehnung -an eine neuerdings erschienene Broschüre des Oberlehrers -Tucheband in Templin zu widersprechen wage. Dieser -Grafschaftswinkel hier ist von mehr mecklenburgischem und -uckermärkischem als brandenburgischem Charakter, und wenn -wir für unsre Stechliner Kirche nach Vorbildern forschen wollen,<span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span> -so werden wir sie wahrscheinlich in Kloster Himmelpfort oder -Gransee zu suchen haben, aber nicht in Dom Brandenburg. -Ich möchte hinzusetzen dürfen, daß Oberlehrer Tuchebands -Aufstellungen, soviel ich weiß, unwidersprochen geblieben sind.«</p> - -<p>Czako, der diesem aufflackernden Kampfe zwischen einem -Ministerialassessor und einem Dorfschulmeister mit größtem -Vergnügen folgte, hätte gern noch weitere Scheite herzugetragen; -Woldemar aber empfand, daß es höchste Zeit sei, zu -intervenieren, und bemerkte: nichts sei schwerer, als auf diesem -Gebiete Bestimmungen zu treffen – ein Satz, den übrigens -sowohl Rex wie Krippenstapel ablehnen zu wollen schienen –, -und daß er vorschlagen möchte, lieber in die Kirche selbst einzutreten, -als hier draußen über die Säulen und Kapitelle -weiter zu debattieren.</p> - -<p>Man fand sich in diesen Vorschlag; Krippenstapel öffnete -die Kirche mit seinem Riesenschlüssel, und alle traten ein.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Gleich nach zwölf – Woldemar hatte sich, wie geplant, -schon lange vorher, um bei Lorenzen vorzusprechen, von den -andern Herrn getrennt – waren Dubslav, Rex und Czako -von dem Globsower Ausfluge zurück, und Rex, feiner Mann, -der er war, war bei Passierung des Vorhofs verbindlich an die -mit Zinn ausgelegte blanke Glaskugel herangetreten, um ihr, -als einem mutmaßlichen Produkte der eben besichtigten »grünen -Glashütte,« seine Ministerialaufmerksamkeit zu schenken. Er -ging dabei so weit, von »Industriestaat« zu sprechen. Czako, -der gemeinschaftlich mit Rex in die Glaskugel hineinguckte, -war mit allem einverstanden, nur nicht mit seinem Spiegelbilde. -»Wenn man nur bloß etwas besser aussähe …« Rex -versuchte zu widersprechen, aber Czako gab nicht nach und versicherte:<span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span> -»Ja, Rex, Sie sind ein schöner Mann, Sie haben -eben mehr zuzusetzen. Und da bleibt denn immer noch was -übrig.«</p> - -<p>Oben auf der Rampe stand Engelke.</p> - -<p>»Nun, Engelke, wie steht's? Woldemar und der Pastor -schon da?«</p> - -<p>»Nein, gnädger Herr. Aber ich kann ja die Christel schicken.«</p> - -<p>»Nein, nein, schicke nicht. Das stört bloß. Aber warten -wollen wir auch nicht. Es war doch weiter nach Globsow, als -ich dachte; das heißt, eigentlich war es nicht weiter, bloß die -Beine wollen nicht mehr recht. Und hat solche Anstrengung -bloß das eine Gute, daß man hungrig und durstig wird. Aber -da kommen ja die Herren.«</p> - -<p>Und er grüßte von der Rampe her nach der Bohlenbrücke -hinüber, über die Woldemar und Lorenzen eben in den Schloßhof -eintraten. Rex ging ihnen entgegen. Dubslav dagegen -nahm Czakos Arm und sagte: »Nun kommen Sie, Hauptmann, -wir wollen derweilen ein bißchen recherchieren und uns -einen guten Platz aussuchen. Mit der ewigen Veranda, das is -nichts; unter der Marquise steht die Luft wie ne Mauer, und ich -muß frische Luft haben. Vielleicht erstes Zeichen von Hydropsie. -Kann eigentlich Fremdwörter nicht leiden. Aber mitunter sind -sie doch ein Segen. Wenn ich so zwischen Hydropsie und Wassersucht -die Wahl habe, bin ich immer für Hydropsie. Wassersucht -hat so was kolossal Anschauliches.«</p> - -<p>Unter diesen Worten waren sie bis in den Garten gekommen, -an eine Stelle, wo viel Buchsbaum stand, dem -Poetensteige gerad gegenüber. »Sehen Sie hier, Hauptmann, -das wäre so was. Niedrige Buchsbaumwand. Da haben wir -Luft und doch keinen Zug. Denn vor Zug muß ich mich auch -hüten wegen Rheumatismus, oder vielleicht ist es auch Gicht. -Und dabei hören wir das Plätschern von meiner Sanssouci-Fontäne. -Was meinen Sie?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span></p> - -<p>»Kapital, Herr Major.«</p> - -<p>»Ach, lassen Sie den Major. Major klingt immer so dienstlich -… Also hier, Engelke, hier decke den Tisch und stell auch -ein paar Fuchsien oder was gerade blüht in die Mitte. Nur -nicht Astern. Astern sind ganz gut, aber doch sozusagen unterm -Stand und sehen immer aus wie'n Bauerngarten. Und dann -mache dich in den Keller und hol uns was Ordentliches herauf. -Du weißt ja, was ich zum Frühstück am liebsten habe. Vielleicht -hat Hauptmann Czako denselben Geschmack.«</p> - -<p>»Ich weiß noch nicht, um was es sich handelt, Herr von -Stechlin; aber ich möchte mich für Übereinstimmung schon jetzt -verbürgen.«</p> - -<p>Inzwischen waren auch Woldemar, Rex und der Pastor -vom Gartensalon her auf die Veranda hinausgetreten, und -Dubslav ging ihnen entgegen. »Guten Tag, Pastor. Nun, -das ist recht. Ich dachte schon, Woldemar würde von Ihnen -annektiert werden.«</p> - -<p>»Aber, Herr von Stechlin … Ihre Gäste … Und Woldemars -Freunde.«</p> - -<p>»Betonen Sie das nicht so, Lorenzen. Es gibt Umgangsformen -und Artigkeitsgesetze. Gewiß. Aber das alles reicht -nicht weit. Was der Mensch am ehesten durchbricht, das sind -gerade solche Formen. Und wer sie nicht durchbricht, der -kann einem auch leid tun. Wie geht es denn in der Ehe? -Haben Sie schon einen Mann gesehen, der die Formen wahrt, -wenn seine Frau ihn ärgert? Ich nicht. Leidenschaft ist immer -siegreich.«</p> - -<p>»Ja, Leidenschaft. Aber Woldemar und ich …«</p> - -<p>»Sind auch in Leidenschaft. Sie haben die Freundschaftsleidenschaft, -Orest und Pylades – so was hat es immer gegeben. -Und dann, was noch viel mehr sagen will, Sie haben -nebenher die Konspirationsleidenschaft …«</p> - -<p>»Aber, Herr von Stechlin.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span></p> - -<p>»Nein, nicht die Konspirationsleidenschaft, ich nehm es -zurück; aber Sie haben dafür was anderes, nämlich die Weltverbesserungsleidenschaft. -Und das ist eine der größten, die -es gibt. Und wenn solche zwei Weltverbesserer zusammen sind, -da können Rex und Czako warten, und da kann selbst ein -warmes Frühstück warten. Sagt man noch <em class="antiqua">Déjeuner à la -fourchette</em>?«</p> - -<p>»Kaum, Papa. Wie du weißt, es ist jetzt alles englisch.«</p> - -<p>»Natürlich. Die Franzosen sind abgesetzt. Und ist auch -recht gut so, wiewohl unsre Vettern drüben erst recht nichts -taugen. Selbst ist der Mann. Aber ich glaube, das Frühstück -wartet.«</p> - -<p>Wirklich, es war so. Während die Herren zu zwei und -zwei an der Buchsbaumwandung auf und ab schritten, hatte -Engelke den Tisch arrangiert, an den jetzt Wirt und Gäste -herantraten.</p> - -<p>Es war eine längliche Tafel, deren dem Rundell zugekehrte -Längsseite man frei gelassen hatte, was allen einen Überblick -über das hübsche Gartenbild gestattete. Dubslav, das Arrangement -musternd, nickte Engelke zu, zum Zeichen, daß er's getroffen -habe. Dann aber nahm er die Mittelschüssel und sagte, -während er sie Rex reichte: »<em class="antiqua">Toujours perdrix.</em> Das heißt, -es sind eigentlich Krammetsvögel, wie schon gestern abend. -Aber wer weiß, wie Krammetsvögel auf französisch heißen? -Ich wenigstens weiß es nicht. Und ich glaube, nicht einmal -Tucheband wird uns helfen können.«</p> - -<p>Ein allgemeines verlegenes Schweigen bestätigte Dubslavs -Vermutung über französische Vokabelkenntnis.</p> - -<p>»Wir kamen übrigens,« fuhr dieser fort, »dicht vor Globsow -durch einen Dohnenstrich, überall hingen noch viele Krammetsvögel -in den Schleifen, was mir auffiel und was ich doch, -wie so vieles Gute, meinem alten Krippenstapel zuschreiben -muß. Es wäre doch ne Kleinigkeit für die Jungens, den<span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span> -Dohnenstrich auszuplündern. Aber so was kommt nicht vor. -Was meinen Sie, Lorenzen?«</p> - -<p>»Ich freue mich, daß es ist, wie es ist, und daß die Dohnenstriche -nicht ausgeplündert werden. Aber ich glaube, Herr von -Stechlin, Sie dürfen es Krippenstapel nicht anrechnen.«</p> - -<p>Dubslav lachte herzlich. »Da haben wir wieder die alte -Geschichte. Jeder Schulmeister schulmeistert an seinem Pastor -herum, und jeder Pastor pastort über seinen Schulmeister. -Ewige Rivalität. Der natürliche Zug ist doch, daß die Jungens -nehmen, was sie kriegen können. Der Mensch stiehlt wie'n -Rabe. Und wenn er's mit einmal unterläßt, so muß das doch -nen Grund haben.«</p> - -<p>»Den hat es auch, Herr von Stechlin. Bloß einen andern. -Was sollen sie mit nem Krammetsvogel machen? Für uns -ist es eine Delikatesse, für einen armen Menschen ist es gar nichts, -knapp soviel wie'n Sperling.«</p> - -<p>»Ach, Lorenzen, ich sehe schon, Sie liegen da wieder mit -dem ›Patrimonium der Enterbten‹ im Anschlag; Sperling, -das klingt ganz so. Aber soviel ist doch richtig, daß Krippenstapel -die Jungens brillant in Ordnung hält; wie ging das -heute Schlag auf Schlag, als ich den kurzgeschorenen Schwarzkopp -ins Examen nahm, und wie stramm waren die Jungens -und wie manierlich, als wir sie nach ner Stunde in Globsow -wiedersahen. Wie sie da so fidel spielten und doch voll Respekt -in allem. ›Frei, aber nicht frech‹, das ist so mein Satz.«</p> - -<p>Woldemar und Lorenzen, die nicht mit dabei gewesen waren, -waren neugierig, auf welchen Vorgang sich all dies Lob des -Alten bezöge.</p> - -<p>»Was hat denn,« fragte Woldemar, »die Globsower -Jungens mit einemmal zu so guter Reputation gebracht?«</p> - -<p>»O, es war wirklich scharmant,« sagte Czako, »wir steckten -noch unter den Waldbäumen, als wir auch schon Stimmen -wie Kommandorufe hörten, und kaum daß wir auf einen<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span> -freien, von Kastanien umstellten Platz hinausgetreten waren -(eigentlich war es wohl schon ein großer Fabrikhof), so sahen -wir uns wie mitten in einer Bataille.«</p> - -<p>Rex nickte zustimmend, während Czako fortfuhr: »Auf -unserer Seite stand die bis dahin augenscheinlich siegreiche -Partei, deren weiterer Angriff aber wegen der guten gegnerischen -Deckung mit einem Male stoppte. Kaum zu verwundern. -Denn eben diese Deckung bestand aus wohl tausend, ein großes -Karree bildenden Glasballons, hinter die sich die geschlagene -Truppe wie hinter eine Barrikade zurückgezogen hatte. Da -standen sie nun und nahmen ein mit den massenhaft umherliegenden -Kastanien geführtes Feuergefecht auf. Die meisten -ihrer Schüsse gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel -auf die Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht -wie lange, zusehn können. Als man unserer aber ansichtig -wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken auseinander. -Überall sind Photographen. Nur wo sie hingehören, -da fehlen sie. Genau so wie bei der Polizei.«</p> - -<p>Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört.</p> - -<p>»Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehen es aber; Sie -können mit nem Dukaten den Großen Kurfürsten vergolden.«</p> - -<p>»Ja,« sagte Rex, seinen Partner plötzlich im Stiche lassend, -»das tut unser Freund Czako nicht anders; dreiviertel ist immer -Dichtung.«</p> - -<p>»Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus und am -wenigsten für einen korrekten Aktenmenschen.«</p> - -<p>»Und dabei, lieber Czako,« nahm jetzt Dubslav das Wort, -»dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In so wichtiger -Sache müssen Sie mir aber in meiner Lieblingssorte Bescheid -tun, nicht in Rotwein, den mein berühmter Miteinsiedler das -›natürliche Getränk des norddeutschen Menschen‹ genannt -hatte. Einer seiner mannigfachen Irrtümer; vielleicht der -größte. Das natürliche Getränk des norddeutschen Menschen<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span> -ist am Rhein und Main zu finden. Und am vorzüglichsten da, -wo sich, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen. -Ungefähr von dieser Vermählungsstelle kommt auch -der hier.« Und dabei wies er auf eine vor ihm stehende Bocksbeutelflasche. -»Sehen Sie, meine Herren, verhaßt sind mir alle -langen Hälse; das hier aber, das nenn ich eine gefällige Form. -Heißt es nicht irgendwo: ›Laßt mich dicke Leute sehn,‹ oder so -ähnlich. Da stimm ich zu; dicke Flaschen, die sind mein Fall.« -Und dabei stieß er wiederholt mit Czako an. »Noch einmal, -auf Ihr Wohl. Und auf Ihres, Herr von Rex. Und dann auf -das Wohl meiner Globsower, oder wenigstens meiner Globsower -Jungens, die sich nicht bloß um Fehrbellin kümmern -und um Leipzig, sondern, wie wir gesehen haben, auch selber -ihre Schlachten schlagen. Ich ärgere mich nur immer, wenn -ich diese riesigen Ballons da zwischen meinen Globsowern sehe. -Und hinter dem ersten Fabrikhof (ich wollte Sie nur nicht weiter -damit behelligen), da ist noch ein zweiter Hof, der sieht noch -schlimmer aus. Da stehen nämlich wahre Glasungeheuer, auch -Ballons, aber mit langem Hals dran, und die heißen dann -Retorten.«</p> - -<p>»Aber Papa,« sagte Woldemar, »daß du dich über die -paar Retorten und Ballons nie beruhigen kannst. So lang ich -nur denken kann, eiferst du dagegen. Es ist doch ein wahres -Glück, daß so viel davon in die Welt geht und den armen Fabrikleuten -einen guten Lohn sichert. So was wie Streik kommt -hier ja gar nicht vor, und in diesem Punkt ist unsre Stechliner -Gegend doch wirklich noch wie ein Paradies.«</p> - -<p>Lorenzen lachte.</p> - -<p>»Ja, Lorenzen, Sie lachen,« warf Dubslav hier ein. »Aber -bei Lichte besehen hat Woldemar doch recht, was (und Sie -wissen auch warum) eigentlich nicht oft vorkommt. Es ist -genau so, wie er sagt. Natürlich bleibt uns Eva und die Schlange; -das ist uralte Erbschaft. Aber so viel noch von guter alter<span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span> -Zeit in dieser Welt zu finden ist, so viel findet sich hier, hier in -unsrer lieben alten Grafschaft. Und in dies Bild richtiger Gliederung, -oder meinetwegen auch richtiger Unterordnung (denn -ich erschrecke vor solchem Worte nicht), in dieses Bild des Friedens -paßt mir diese ganze Globsower Retortenbläserei nicht -hinein. Und wenn ich nicht fürchten müßte, für einen Querkopf -gehalten zu werden, so hätt ich bei hoher Behörde schon -lange meine Vorschläge wegen dieser Retorten und Ballons -eingereicht. Und natürlich <em class="gesperrt">gegen</em> beide. Warum müssen es -immer Ballons sein? Und wenn schon, na, dann lieber solche -wie diese. Die lass' ich mir gefallen.« Und dabei hob er die -Bocksbeutelflasche.</p> - -<p>»Wie diese,« bestätigte Czako.</p> - -<p>»Ja, Czako, Sie sind ganz der Mann, meinen Papa in seiner -Idiosynkrasie zu bestärken.«</p> - -<p>»Idiosynkrasie,« wiederholte der Alte. »Wenn ich so was -höre. Ja, Woldemar, da glaubst du nun wieder wunder was -Feines gesagt zu haben. Aber es ist doch bloß ein Wort. Und -was bloß ein Wort ist, ist nie was Feines, auch wenn es so -aussieht. Dunkle Gefühle, die sind fein. Und so gewiß die -Vorstellung, die ich mit dieser lieben Flasche hier verbinde, -für mich persönlich was Celestes hat … kann man Celestes -sagen? …« Lorenzen nickte zustimmend, »so gewiß hat die Vorstellung, -die sich für mich an diese Globsower Riesenbocksbeutelflaschen -knüpft, etwas Infernalisches.«</p> - -<p>»Aber Papa.«</p> - -<p>»Still, unterbrich mich nicht, Woldemar. Denn ich komme -jetzt eben an eine Berechnung, und bei Berechnungen darf -man nicht gestört werden. Über hundert Jahre besteht nun -schon diese Glashütte, und wenn ich nun so das jedesmalige -Jahresprodukt mit hundert multipliziere, so rechne ich mir -alles in allem wenigstens eine Million heraus. Die schicken sie -zunächst in andre Fabriken, und da destillieren sie flott drauflos,<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span> -und zwar allerhand schreckliches Zeug in diese grünen -Ballons hinein: Salzsäure, Schwefelsäure, rauchende Salpetersäure. -Das ist die schlimmste, die hat immer einen rotgelben -Rauch, der einem gleich die Lunge anfrißt. Aber wenn -einen der Rauch auch zufrieden läßt, jeder Tropfen brennt ein -Loch, in Leinwand oder in Tuch, oder in Leder, überhaupt in -alles; alles wird angebrannt und angeätzt. Das ist das Zeichen -unsrer Zeit jetzt, ›angebrannt und angeätzt‹. Und wenn ich -dann bedenke, daß meine Globsower da mittun und ganz gemütlich -die Werkzeuge liefern für die große Generalweltanbrennung, -ja, hören Sie, meine Herren, das gibt mir einen -Stich. Und ich muß Ihnen sagen, ich wollte, jeder kriegte lieber -einen halben Morgen Land von Staats wegen und kaufte sich -zu Ostern ein Ferkelchen, und zu Martini schlachteten sie ein -Schwein und hätten den Winter über zwei Speckseiten, jeden -Sonntag eine ordentliche Scheibe, und alltags Kartoffeln und -Grieben.«</p> - -<p>»Aber Herr von Stechlin,« lachte Lorenzen, »das ist ja die -reine Neulandtheorie. Das wollen ja die Sozialdemokraten -auch.«</p> - -<p>»Ach was, Lorenzen, mit Ihnen ist nicht zu reden … -Übrigens Prosit … wenn Sie's auch eigentlich nicht verdienen.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das Frühstück zog sich lange hin, und das dabei geführte -Gespräch nahm noch ein paarmal einen Anlauf ins Politische -hinein; Lorenzen aber, der kleine Schraubereien gern vermeiden -wollte, wich jedesmal geschickt aus und kam lieber auf -die Stechliner Kirche zu sprechen. Er war aber auch hier vorsichtig -und beschränkte sich, unter Anlehnung an Tucheband, -auf Architektonisches und Historisches, bis Dubslav, ziemlich -abrupt, ihn fragte: »Wissen Sie denn, Lorenzen, auf unserm -Kirchenboden Bescheid? Krippenstapel hat mich erst heute<span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span> -wissen lassen, daß wir da zwei vergoldete Bischöfe mit Krummstab -haben. Oder vielleicht sind es auch bloß Äbte.« Lorenzen -wußte nichts davon, weshalb ihm Dubslav gutmütig mit dem -Finger drohte.</p> - -<p>So ging das Gespräch. Aber kurz vor zwei mußte dem -allen ein Ende gemacht werden. Engelke kam und meldete, -daß die Pferde da und die Mantelsäcke bereits aufgeschnallt -seien. Dubslav ergriff sein Glas, um auf ein frohes Wiedersehn -anzustoßen. Dann erhob man sich.</p> - -<p>Rex, bei Passierung der Rampe, trat noch einmal an die -kranke Aloe heran und versicherte, daß solche Blüte doch etwas -eigentümlich Geheimnisvolles habe. Dubslav hütete sich, zu -widersprechen, und freute sich, daß der Besuch mit etwas für -ihn so Erheiterndem abschloß.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Gleich danach ritt man ab. Als sie bei der Glaskugel -vorbeikamen, wandten sich alle drei noch einmal zurück, und -jeder lüpfte seine Mütze. Dann ging es, zwischen den Findlingen -hin, auf die Dorfstraße hinaus, auf der eben eine ziemlich -ramponiert aussehende Halbchaise, das lederne Verdeck -zurückgeschlagen, an ihnen vorüberfuhr; die Sitze leer, alles -an dem Fuhrwerk ließ Ordnung und Sauberkeit vermissen; -das eine Pferd war leidlich gut, das andre schlecht, und zu dem -neuen Livreerock des Kutschers wollte der alte Hut, der wie -ein fuchsiges Torfstück aussah, nicht recht passen.</p> - -<p>»Das war ja Gundermanns Wagen.«</p> - -<p>»So, so,« sagte Czako. »Auf den hätt ich beinah geraten.«</p> - -<p>»Ja, dieser Gundermann,« lachte Woldemar. »Mein -Vater wollt Ihnen gestern gern etwas Grafschaftliches vorsetzen, -aber er vergriff sich. Gundermann auf Siebenmühlen -ist so ziemlich unsere schlechteste Nummer. Ich sehe, er hat Ihnen -nicht recht gefallen.«</p> - -<p>»Gott, gefallen, Stechlin, – was heißt gefallen? Eigentlich<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span> -gefällt mir jeder oder auch keiner. Eine Dame hat mir mal -gesagt, die langweiligen Leute wären schließlich gerade so gut -wie die interessanten, und es hat was für sich. Aber dieser -Gundermann! Zu welchem Zwecke läßt er denn eigentlich -seinen leeren Wagen in der Welt herumkutschieren?«</p> - -<p>»Ich bin dessen auch nicht sicher. Wahrscheinlich in Wahlangelegenheiten. -Er persönlich wird irgendwo hängen geblieben -sein, um Stimmen einzufangen. Unser alter braver -Kortschädel nämlich, der allgemein beliebt war, ist diesen Sommer -gestorben, und da will nun Gundermann, der sich auf den -Konservativen hin ausspielt, aber keiner ist, im trüben fischen. -Er intrigiert. Ich habe das in einem Gespräch, das ich mit -ihm hatte, ziemlich deutlich herausgehört, und Lorenzen hat es -mir bestätigt.«</p> - -<p>»Ich kann mir denken,« sagte Rex, »daß gerade Lorenzen -gegen ihn ist. Aber dieser Gundermann, für den ich weiter nichts -übrig habe, hat doch wenigstens die richtigen Prinzipien.«</p> - -<p>»Ach, Rex, ich bitte Sie,« sagte Czako, »richtige Prinzipien! -Geschmacklosigkeiten hat er und öde Redensarten. Dreimal -hab ich ihn sagen hören: ›Das wäre wieder Wasser auf -die Mühlen der Sozialdemokratie.‹ So was sagt kein anständiger -Mensch mehr, und jedenfalls setzt er nicht hinzu: ›daß -er das Wasser abstellen wolle‹. Das ist ja eine schreckliche -Wendung.«</p> - -<p>Unter diesen Worten waren sie bis an den hochüberwölbten -Teil der Kastanienallee gekommen.</p> - -<p>Engelke, der gleich frühmorgens ein allerschönstes Wetter -in Aussicht gestellt hatte, hatte recht behalten; es war ein -richtiger Oktobertag, klar und frisch und milde zugleich. Die Sonne -fiel hie und da durch das noch ziemlich dichte Laub, und die -Reiter freuten sich des Spielens der Schatten und Lichter. -Aber noch anmutiger gestaltete sich das Bild, als sie bald danach -in einen Seitenweg einmündeten, der sich durch eine flache,<span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span> -nur hie und da von Wasserlachen durchzogene Wiesenlandschaft -hinschlängelte. Die großen Heiden und Forsten, die das eigentlich -Charakteristische dieses nordöstlichen Grafschaftswinkels -bilden, traten an dieser Stelle weit zurück, und nur ein paar -einzelne, wie vorgeschobene Kulissen wirkende Waldstreifen -wurden sichtbar.</p> - -<p>Alle drei hielten an, um das Bild auf sich wirken zu lassen; -aber sie kamen nicht recht dazu, weil sie, während sie sich umschauten, -eines alten Mannes ansichtig wurden, der, nur durch -einen flachen Graben von ihnen getrennt, auf einem Stück -Wiese stand und das hochstehende Gras mähte. Jetzt erst sah -auch er von seiner Arbeit auf und zog seine Mütze. Die Herren -taten ein Gleiches und schwankten, ob sie näher heranreiten -und eine Ansprache mit ihm haben sollten. Aber er schien das -weder zu wünschen noch zu erwarten, und so ritten sie denn -weiter.</p> - -<p>»Mein Gott,« sagte Rex, »das war ja Krippenstapel. Und -hier draußen, so weit ab von seiner Schule. Wenn er nicht die -Seehundsfellmütze gehabt hätte, die wie aus einer konfiszierten -Schulmappe geschnitten aussah, hätt ich ihn nicht wieder -erkannt.«</p> - -<p>»Ja, er war es, und das mit der Schulmappe wird wohl -auch zutreffen,« sagte Woldemar. »Krippenstapel kann eben -alles – der reine Robinson.«</p> - -<p>»Ja, Stechlin,« warf Czako hier ein, »Sie sagen das so -hin, als ob Sie's bespötteln wollten. Eigentlich ist es doch aber -was Großes, sich immer selber helfen zu können. Er wird wohl -nen Sparren haben, zugegeben, aber Ihrem gepriesenen -Lorenzen ist er denn doch um ein gut Stück überlegen. Schon -weil er ein Original ist und ein Eulengesicht hat. Eulengesichtsmenschen -sind anderen Menschen fast immer überlegen.«</p> - -<p>»Aber Czako, ich bitte Sie, das ist ja doch alles Unsinn. -Und Sie wissen es auch. Sie möchten nur, ganz wie Rex,<span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span> -wenn auch aus einem andern Motiv, dem armen Lorenzen -was am Zeug flicken, bloß weil Sie herausfühlen: ›das ist eine -lautere Persönlichkeit‹.«</p> - -<p>»Da tun Sie mir unrecht, Stechlin. Ganz und gar. Ich -bin auch fürs Lautere, wenn ich nur persönlich nicht in Anspruch -genommen werde.«</p> - -<p>»Nun, davor sind Sie sicher, – vom Brombeerstrauch keine -Trauben. Im übrigen muß ich hier abbrechen und Sie bitten, -mich auf ein Weilchen entschuldigen zu wollen. Ich muß da nämlich -nach dem Forsthause hinüber, da drüben neben der Waldecke.«</p> - -<p>»Aber Stechlin, was wollen Sie denn bei nem Förster?«</p> - -<p>»Kein Förster. Es ist ein Oberförster, zu dem ich will, und -zwar derselbe, den Sie gestern abend bei meinem Papa gesehen -haben. Oberförster Katzler, bürgerlich, aber doch beinah schon -historischer Name.«</p> - -<p>»So, so; jedenfalls nach dem, was mir Rex erzählt, ein -brillanter Billardspieler. Und doch, wenn Sie nicht ganz -intim mit ihm sind, find ich diesen Abstecher übertrieben artig.«</p> - -<p>»Sie hätten recht, Czako, wenn es sich lediglich um Katzler -handelte. Das ist aber nicht der Fall. Es handelt sich nicht um -ihn, sondern um seine junge Frau.«</p> - -<p>»<em class="antiqua">A la bonne heure.</em>«</p> - -<p>»Ja, da sind Sie nun auch wieder auf einer falschen Fährte. -So was kann nicht vorkommen, ganz abgesehen davon, daß -mit Oberförstern immer schlecht Kirschen pflücken ist; die blasen -einen weg, man weiß nicht wie … Es handelt sich hier einfach -um einen Teilnahmebesuch, um etwas, wenn Sie wollen, schön -Menschliches. Frau Katzler erwartet nämlich.«</p> - -<p>»Aber mein Gott, Stechlin, Ihre Worte werden immer -rätselhafter. Sie können doch nicht bei jeder Oberförstersfrau, -die ›erwartet‹, eine Visite machen wollen. Das wäre denn doch -eine Riesenaufgabe, selbst wenn Sie sich auf Ihre Grafschaft -hier beschränken wollten.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span></p> - -<p>»Es liegt alles ganz exceptionell. Übrigens mach ich es -kurz mit meinem Besuch, und wenn Sie Schritt reiten, worum -ich bitte, so hol ich Sie bei Genshagen noch wieder ein. Von -da bis Wutz haben wir kaum noch eine Stunde, und wenn wir's -forcieren wollen, keine halbe.«</p> - -<p>Und während er noch so sprach, bog er rechts ein und ritt -auf das Forsthaus zu.</p> - -<p>Woldemar hatte die Mitte zwischen Rex und Czako gehabt; -jetzt ritten diese beiden nebeneinander. Czako war neugierig -und hätte gern Fritz herangerufen, um dies und das über -Katzler und Frau zu hören. Aber er sah ein, daß das nicht -ginge. So blieb ihm nichts als ein Meinungsaustausch -mit Rex.</p> - -<p>»Sehen Sie,« hob er an, »unser Freund Woldemar, trabt -er da nicht hin, wie wenn er dem Glücke nachjagte? Glauben -Sie mir, da steckt ne Geschichte dahinter. Er hat die Frau geliebt -oder liebt sie noch. Und dies merkwürdige Interesse für -den in Sicht stehenden Erdenbürger. Übrigens vielleicht ein -Mädchen. Was meinen Sie dazu, Rex?«</p> - -<p>»Ach Czako, Sie wollen ja doch nur hören, was Ihrer -eignen frivolen Natur entspricht. Sie haben keinen Glauben -an reine Verhältnisse. Sehr mit Unrecht. Ich kann Ihnen versichern, -es gibt dergleichen.«</p> - -<p>»Nun ja, Sie, Rex. Sie, der sich Frühgottesdienste leistet. -Aber Stechlin …«</p> - -<p>»Stechlin ist auch eine sittliche Natur. Sittlichkeit ist ihm -angeboren, und was er von Natur mitbrachte, das hat sein -Regiment weiter in ihm ausgebildet.«</p> - -<p>Czako lachte. »Nun hören Sie, Rex, Regimenter kenn ich -doch auch. Es gibt ihrer von allen Arten, aber Sittlichkeitsregimenter -kenn ich noch nicht.«</p> - -<p>»Es gibt's ihrer aber. Zum mindesten hat's ihrer immer -gegeben, sogar solche mit Askese.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span></p> - -<p>»Nun ja, Cromwell und die Puritaner. Aber, <em class="antiqua">long, long -ago</em>. Verzeihen Sie die abgedudelte Phrase. Aber wenn sich's -um so feine Dinge wie Askese handelt, muß man notwendig -einen englischen Brocken einschalten. In Wirklichkeit bleibt -alles beim alten. Sie sind ein schlechter Menschenkenner, Rex, -wie alle Konventikler. Die glauben immer, was sie wünschen. -Und auch an unserm Stechlin werden Sie mutmaßlich erfahren, -wie falsch Sie gerechnet haben. Im übrigen kommt da gerade -zu rechter Zeit ein Wegweiser. Lassen Sie uns nachsehen, wo -wir eigentlich sind. Wir reiten so immer drauflos und wissen -nicht mehr, ob links oder rechts.«</p> - -<p>Rex, der von dem Wegweiser nichts wissen wollte, war -einfach für Weiterreiten, und das war auch das Richtige. -Denn keine halbe Stunde mehr, so holte Stechlin sie wieder ein. -»Ich wußte, daß ich Sie noch vor Genshagen treffen würde. -Die Frau Oberförsterin läßt sich übrigens den Herren empfehlen. -Er war nicht da, was recht gut war.«</p> - -<p>»Kann ich mir denken,« sagte Czako.</p> - -<p>»Und was noch besser war, sie sah brillant aus. Eigentlich -ist sie nicht hübsch, Blondine mit großen Vergißmeinnichtaugen -und etwas lymphatisch; auch wohl nicht ganz gesund. Aber -sonderbar, solche Damen, wenn was in Sicht steht, sehen immer -besser aus als in natürlicher Verfassung, ein Zustand, der -allerdings bei der Katzler kaum vorkommt. Sie ist noch nicht -volle sechs Jahre verheiratet und erwartet mit nächstem das -Siebente.«</p> - -<p>»Das ist aber doch unerhört. Ich glaube, so was ist Scheidungsgrund.«</p> - -<p>»Mir nicht bekannt und auch, offen gestanden, nicht sehr -wahrscheinlich. Jedenfalls wird es die Prinzessin nicht als -Scheidungsgrund nehmen.«</p> - -<p>»Die Prinzessin?« fuhren Rex und Czako a tempo heraus.</p> - -<p>»Ja, die Prinzessin,« wiederholte Woldemar. »Ich war<span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span> -all die Zeit über gespannt, was das wohl für einen Eindruck -auf Sie machen würde, weshalb ich mich auch gehütet habe, -vorher mit Andeutungen zu kommen. Und es traf sich gut, -daß mein Vater gestern abend nur so ganz leicht drüber hinging, -ich möchte beinah sagen diskret, was sonst nicht seine Sache ist.«</p> - -<p>»Prinzessin,« wiederholte Rex, dem die Sache beinah den -Atem nahm. »Und aus einem regierenden Hause?«</p> - -<p>»Ja, was heißt aus einem regierenden Hause? Regiert -haben sie alle mal. Und soviel ich weiß, wird ihnen dies ›mal -regiert haben‹ auch immer noch angerechnet, wenigstens sowie -sich's um Eheschließungen handelt. Um so großartiger, wenn -einzelne der hier in Betracht kommenden Damen auf alle diese -Vorrechte verzichten und ohne Rücksicht auf Ebenbürtigkeit sich -aus reiner Liebe vermählen. Ich sage ›vermählen‹, weil ›sich -verheiraten‹ etwas plebeje klingt. Frau Katzler ist eine Ippe-Büchsenstein.«</p> - -<p>»Eine Ippe!« sagte Rex. »Nicht zu glauben. Und erwartet -wieder. Ich bekenne, daß mich das am meisten chokiert. Diese -Ausgiebigkeit, ich finde kein anderes Wort, oder richtiger, ich -<em class="gesperrt">will</em> kein andres finden, ist doch eigentlich das Bürgerlichste, -was es gibt.«</p> - -<p>»Zugegeben. Und so hat es die Prinzessin auch wohl selber -aufgefaßt. Aber das ist gerade das Große an der Sache; ja, -so sonderbar es klingt, das Ideale.«</p> - -<p>»Stechlin, Sie können nicht verlangen, daß man das so -ohne weiteres versteht. Ein halb Dutzend Bälge, wo steckt da -das Ideale?«</p> - -<p>»Doch, Rex, doch. Die Prinzessin selbst, und das ist das -Rührendste, hat sich darüber ganz unumwunden ausgesprochen. -Und zwar zu meinem Alten. Sie sieht ihn öfter und möcht -ihn, glaub ich, bekehren, – sie ist nämlich von der strengen -Richtung und hält sich auch zu Superintendent Koseleger, unserm -Papst hier. Und kurz und gut, sie macht meinem Papa beinah<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span> -den Hof und erklärt ihn für einen perfekten Kavalier, wobei -Katzler immer ein etwas süßsaures Gesicht macht, aber natürlich -nicht widerspricht.«</p> - -<p>»Und wie kam sie nur dazu, Ihrem Papa gerade Konfessions -in einer so delikaten Sache zu machen?«</p> - -<p>»Das war voriges Jahr, genau um diese Zeit, als sie auch -mal wieder erwartete. Da war mein Vater drüben und sprach, -als das durch die Situation gegebene Thema berührt wurde, -halb diplomatisch, halb humoristisch von der Königin Luise, -hinsichtlich deren der alte Doktor Heim, als der Königin das -›Sechste oder Siebente‹ geboren werden sollte, ziemlich freiweg -von der Notwendigkeit der ›Brache‹ gesprochen hatte.«</p> - -<p>»Bißchen stark,« sagte Rex. »Ganz im alten Heimstil. -Aber freilich, Königinnen lassen sich viel gefallen. Und wie -nahm es die Prinzessin auf?«</p> - -<p>»O, sie war reizend, lachte, war weder verlegen noch verstimmt, -sondern nahm meines Vaters Hand so zutraulich, -wie wenn sie seine Tochter gewesen wäre. ›Ja, lieber Herr von -Stechlin,‹ sagte sie, ›wer A sagt, der muß auch B sagen. Wenn -ich diesen Segen durchaus nicht wollte, dann mußt ich einen -Durchschnittsprinzen heiraten, – da hätt ich vielleicht das gehabt, -was der alte Heim empfehlen zu müssen glaubte. Statt -dessen nahm ich aber meinen guten Katzler. Herrlicher Mann. -Sie kennen ihn und wissen, er hat die schöne Einfachheit aller -stattlichen Männer, und seine Fähigkeiten, soweit sich überhaupt -davon sprechen läßt, haben etwas Einseitiges. Als ich -ihn heiratete, war ich deshalb ganz von dem einen Gedanken -erfüllt, alles Prinzeßliche von mir abzustreifen und nichts bestehen -zu lassen, woraus Übelwollende hätten herleiten können: -›Ah, sie will immer noch eine Prinzessin sein.‹ Ich entschloß -mich also für das Bürgerliche, und zwar ›voll und ganz‹, -wie man jetzt, glaub ich, sagt. Und was dann kam, nun, das -war einfach die natürliche Konsequenz.‹«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span></p> - -<p>»Großartig,« sagte Rex. »Ich entschlage mich nach solchen -Mitteilungen jeder weiteren Opposition. Welch ein Maß von -Entsagung! Denn auch im Nichtentsagen kann ein Entsagen -liegen. Andauernde Opferung eines Innersten und Höchsten.«</p> - -<p>»Unglaublich!« lachte Czako. »Rex, Rex. Ich hab Ihnen -da schon vorhin alle Menschenkenntnis abgesprochen. Aber -hier übertrumpfen Sie sich selbst. Wer Konventikel leitet, der -sollte doch wenigstens die Weiber kennen. Erinnern Sie sich, -Stechlin sagte, sie sei lymphatisch und habe Vergißmeinnichtaugen. -Und nun sehen Sie sich den Katzler an. Beinah sechs -Fuß und rotblond und das Eiserne Kreuz.«</p> - -<p>»Czako, Sie sind mal wieder frivol. Aber man darf es mit -Ihnen nicht so genau nehmen. Das ist das Slawische, was in -Ihnen nachspukt; latente Sinnlichkeit.«</p> - -<p>»Ja, sehr latent; durchaus vergrabner Schatz. Und ich -wollte wohl, daß ich in die Lage käme, besser damit wuchern zu -können. Aber …«</p> - -<p>So ging das Gespräch noch eine gute Weile.</p> - -<p>Die große Chaussee, darauf ihr Weg inzwischen wieder eingemündet, -stieg allmählich an, und als man den Höhepunkt -dieser Steigung erreicht hatte, lag das Kloster samt seinem -gleichnamigen Städtchen in verhältnismäßiger Nähe vor -ihnen. Auf ihrem Hinritte hatten Rex und Czako so wenig -davon zu Gesicht bekommen, daß ein gewisses Betroffensein -über die Schönheit des sich ihnen jetzt darbietenden Landschafts- -und Architekturbildes kaum ausbleiben konnte. Czako besonders -war ganz aus dem Häuschen, aber auch Rex stimmte mit ein. -»Die große Feldsteingiebelwand,« sagte er, »so gewagt im allgemeinen -bestimmte Zeitangaben auf diesem Gebiete sind, möcht ich -in das Jahr 1375, also Landbuch Kaiser Karls <em class="antiqua">IV.</em>, setzen dürfen.«</p> - -<p>»Wohl möglich,« lachte Woldemar. »Es gibt nämlich -Zahlen, die nicht gut widerlegt werden können, und ›Landbuch -Kaiser Karls <em class="antiqua">IV.</em>‹ paßt beinah immer.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span></p> - -<p>Rex hörte drüber hin, weil er in seinem Geiste mal wieder -einer allgemeineren und zugleich höheren Auffassung der Dinge -zustrebte. »Ja, meine Herren,« hob er an, »das geschmähte -Mittelalter. Da verstand man's. Ich wage den Ausspruch, -den ich übrigens nicht einem Kunsthandbuch entnehme, sondern -der langsam in mir herangereift ist: ›Die Platzfrage geht über -die Stilfrage.‹ Jetzt wählt man immer die häßlichste Stelle. -Das Mittelalter hatte noch keine Brillen, aber man sah besser.«</p> - -<p>»Gewiß,« sagte Czako. »Aber dieser Angriff auf die Brillen, -Rex, ist nichts für Sie. Wer mit seinem Pincenez oder Monocle -so viel operiert …«</p> - -<p>Das Gespräch kam nicht weiter, weil in eben diesem Augenblick -mächtige Turmuhrschläge vom Städtchen Wutz her herüberklangen. -Man hielt an, und jeder zählte »Vier«. Kaum -aber hatte die Uhr ausgeschlagen, so begann eine zweite und tat -auch ihre vier Schläge.</p> - -<p>»Das ist die Klosteruhr,« sagte Czako.</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Weil sie nachschlägt; alle Klosteruhren gehen nach. Natürlich. -Aber wie dem auch sei, Freund Woldemar hat uns, -glaub ich, für vier Uhr angemeldet, und so werden wir uns -eilen müssen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span></p> - -<h2><a id="Kloster_Wutz">Kloster Wutz</a></h2> - -<h3 id="Siebentes_Kapitel">Siebentes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Alle setzten sich denn auch wieder in Trab, mit ihnen -Fritz, der dabei näher an die voraufreitenden Herren herankam. -Das Gespräch schwieg ganz, weil jeder in Erwartung der -kommenden Dinge war.</p> - -<p>Die Chaussee lief hier, auf eine gute Strecke, zwischen -Pappeln hin; als man aber bis in unmittelbare Nähe von -Kloster Wutz gekommen war, hörten diese Pappeln auf, und -der sich mehr und mehr verschmälernde Weg wurde zu beiden -Seiten von Feldsteinmauern eingefaßt, über die man alsbald -in die verschiedensten Gartenanlagen mit allerhand Küchen- -und Blumenbeeten und mit vielen Obstbäumen dazwischen -hineinsah. Alle drei ließen jetzt die Pferde wieder in Schritt -fallen.</p> - -<p>»Der Garten hier links,« sagte Woldemar, »ist der Garten -der Domina, meiner Tante Adelheid; etwas primitiv, aber -wundervolles Obst. Und hier gleich rechts, da bauen die Stiftsdamen -ihren Dill und ihren Meiran. Es sind aber nur ihrer -vier, und wenn welche gestorben sind – aber sie sterben selten –, -so sind es noch weniger.«</p> - -<p>Unter diesen orientierenden Mitteilungen des hier aus -seinen Knabenjahren her Weg und Steg kennenden Woldemar -waren alle durch eine Maueröffnung in einen großen Wirtschaftshof -eingeritten, der baulich so ziemlich jegliches enthielt,<span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span> -was hier, bis in die Tage des Dreißigjährigen Krieges hinein, -der dann freilich alles zerstörte, mal Kloster Wutz gewesen war. -Vom Sattel aus ließ sich alles bequem überblicken. Das meiste, -was sie sahen, waren wirr durcheinander geworfene, von Baum -und Strauch überwachsene Trümmermassen.</p> - -<p>»Es erinnert mich an den Palatin,« sagte Rex, »nur ins -christlich Gotische transponiert.«</p> - -<p>»Gewiß,« bestätigte Czako lachend. »Soweit ich urteilen -kann, sehr ähnlich. Schade, daß Krippenstapel nicht da ist. Oder -Tucheband.«</p> - -<p>Damit brach das Gespräch wieder ab.</p> - -<p>In der Tat, wohin man sah, lagen Mauerreste, in die, -seltsamlich genug, die Wohnungen der Klosterfrauen eingebaut -waren, zunächst die größere der Domina, daneben die kleineren -der vier Stiftsdamen, alles an der vorderen Langseite hin. -Dieser gegenüber aber zog sich eine zweite, parallel laufende -Trümmerlinie, darin die Stallgebäude, die Remisen und die -Rollkammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die -zwei Schmalseiten, von denen die eine nichts als eine von -Holunderbüschen übergrünte Mauer, die andere dagegen eine -hochaufragende mächtige Giebelwand war, dieselbe, die man -schon beim Anritt aus einiger Entfernung gesehen hatte. Sie -stand da, wie bereit, alles unter ihrem beständig drohenden -Niedersturz zu begraben, und nur das eine konnte wieder beruhigen, -daß sich auf höchster Spitze der Wand ein Storchenpaar -eingenistet hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer -weiß, ob etwas hält oder fällt.</p> - -<p>Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten, bis -an die in die Feldsteintrümmer eingebauten Wohngebäude -waren nur wenige Schritte, und als man davor hielt, erschien -alsbald die Domina selbst, um ihren Neffen und seine beiden -Freunde zu begrüßen. Fritz, der, wie überall, so auch hier Bescheid -wußte, nahm die Pferde, um sie nach einem an der andern<span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span> -Seite gelegenen Stallgebäude hinüberzuführen, während Rex -und Czako nach kurzer Vorstellung in den von Schränken umstellten -Flur eintraten.</p> - -<p>»Ich habe dein Telegramm,« sagte die Domina, »erst um -ein Uhr erhalten. Es geht über Gransee, und der Bote muß -weit laufen. Aber sie wollen ihm ein Rad anschaffen, solches, -wie jetzt überall Mode ist. Ich sage Rad, weil ich das fremde -Wort, das so verschieden ausgesprochen wird, nicht leiden kann. -Manche sagen ›ci,‹ und manche sagen ›schi‹. Bildungsprätensionen -sind mir fremd, aber man will sich doch auch nicht -bloßstellen.«</p> - -<p>Eine Treppe führte bis in den ersten Stock hinauf, eigentlich -war es nur eine Stiege. Die Domina, nachdem sie die Herren -bis an die unterste Stufe begleitet hatte, verabschiedete sich hier -auf eine Weile. »Du wirst so gut sein, Woldemar, alles in deine -Hand zu nehmen. Führe die Herren hinauf. Ich habe unser -bescheidenes Klostermahl auf fünf Uhr angeordnet; also noch -eine gute halbe Stunde. Bis dahin, meine Herren.«</p> - -<p>Oben war eine große Plättkammer zur Fremdenstube hergerichtet -worden. Ein Waschtisch mit Finkennäpfchen und -Krügen in Kleinformat war aufgestellt worden, was in Erwägung -der beinah liliputanischen Raumverhältnisse durchaus -passend gewesen wäre, wenn nicht sechs an ebenso vielen Türhaken -hängende Riesenhandtücher das Ensemble wieder gestört -hätten. Rex, der sich – ihn drückten die Stiefel – auf kurze -zehn Minuten nach einer kleinen Erleichterung sehnte, bediente -sich eines eisernen Stiefelknechts, während Czako sein -Gesicht in einer der kleinen Waschschüsseln begrub und beim -Abreiben das feste Gewebe der Handtücher lobte.</p> - -<p>»Sicherlich Eigengespinst. Überhaupt, Stechlin, das muß -wahr sein, Ihre Tante hat so was; man merkt doch, daß sie -das Regiment führt. Und wohl schon seit lange. Wenn ich -recht gehört, ist sie älter als Ihr Papa.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span></p> - -<p>»O, viel; beinahe um zehn Jahre. Sie wird sechsundsiebzig.«</p> - -<p>»Ein respektables Alter. Und ich muß sagen, wohl konserviert.«</p> - -<p>»Ja, man kann es beinahe sagen. Das ist eben der Vorzug -solcher, die man ›schlank‹ nennt. Beiläufig ein Euphemismus. -Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren und die Zeit -natürlich auch; sie kann nichts nehmen, wo sie nichts mehr -findet. Aber ich denke – Rex tut mir übrigens leid, weil er -wieder in seine Stiefel muß – wir begeben uns jetzt nach unten -und machen uns möglichst liebenswürdig bei der Tante. Sie -wird uns wohl schon erwarten, um uns ihren Liebling vorzustellen.«</p> - -<p>»Wer ist das?«</p> - -<p>»Nun, das wechselt. Aber da es bloß vier sein können, so -kommt jeder bald wieder an die Reihe. Während ich das -letztemal hier war, war es ein Fräulein von Schmargendorf. -Und es ist leicht möglich, daß sie jetzt gerade wieder dran ist.«</p> - -<p>»Eine nette Dame?«</p> - -<p>»O ja. Ein Pummel.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Und wie vorgeschlagen, nach kurzem »Sichadjustieren« in -der improvisierten Fremdenstube, kehrten alle drei Herren in -Tante Adelheids Salon zurück, der niedrig und verblakt -und etwas altmodisch war. Die Möbel, lauter Erbschaftsstücke, -wirkten in dem niedrigen Raume beinah grotesk, und -die schwere Tischdecke, mit einer mächtigen, ziemlich modernen -Astrallampe darauf, paßte schlecht zu dem Zeisigbauer am -Fenster und noch schlechter zu dem über einem kleinen Klavier -hängenden Schlachtenbilde: »König Wilhelm auf der Höhe -von Lipa«. Trotzdem hatte dies stillose Durcheinander etwas -Anheimelndes. In dem primitiven Kamin – nur eine Steinplatte -mit Rauchfang – war ein Holzfeuer angezündet; beide<span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span> -Fenster standen auf, waren aber durch schwere Gardinen so -gut wie wieder geschlossen, und aus dem etwas schief über -dem Sofa hängenden Quadratspiegel wuchsen drei Pfauenfedern -heraus.</p> - -<p>Tante Adelheid hatte sich in Staat geworfen und ihre -Karlsbader Granatbrosche vorgesteckt, die der alte Dubslav -wegen der sieben mittelgroßen Steine, die einen größeren -und buckelartig vorspringenden umstanden, die »Sieben-Kurfürsten-Brosche« -nannte. Der hohe hagere Hals ließ die -Domina noch größer und herrischer erscheinen, als sie war, -und rechtfertigte durchaus die brüderliche Malice: »Wickelkinder, -wenn sie sie sehen, werden unruhig, und wenn sie zärtlich -wird, fangen sie an zu schreien.« Man sah ihr an, daß sie -nur immer vorübergehend in einer höheren Gesellschaftssphäre -gelebt hatte, sich trotzdem aber zeitlebens der angeborenen -Zugehörigkeit zu eben diesen Kreisen bewußt gewesen war. -Daß man sie zur Domina gemacht hatte, war nur zu billigen. -Sie wußte zu rechnen und anzuordnen und war nicht bloß von -sehr gutem natürlichen Verstand, sondern unter Umständen -auch voller Interesse für ganz bestimmte Personen und Dinge. -Was aber, trotz solcher Vorzüge, den Verkehr mit ihr so schwer -machte, das war die tiefe Prosa ihrer Natur, das märkisch Enge, -das Mißtrauen gegen alles, was die Welt der Schönheit oder -gar der Freiheit auch nur streifte.</p> - -<p>Sie erhob sich, als die drei Herren eintraten, und war -gegen Rex und Czako aufs neue von verbindlichstem Entgegenkommen. -»Ich muß Ihnen noch einmal aussprechen, meine -Herren, wie sehr ich bedaure, Sie nur so kurze Zeit unter meinem -Dache sehen zu dürfen.«</p> - -<p>»Du vergißt mich, liebe Tante,« sagte Woldemar. »Ich -bleibe dir noch eine gute Weile. Mein Zug geht, glaub ich, erst -um neun. Und bis dahin erzähl ich dir eine Welt und – -beichte.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span></p> - -<p>»Nein, nein, Woldemar, nicht das, nicht das. Erzählen -sollst du mir recht, recht viel. Und ich habe sogar Fragen auf -dem Herzen. Du weißt wohl schon, welche. Aber nur nicht -beichten. Schon das Wort macht mir jedesmal ein Unbehagen. -Es hat solch ausgesprochen katholischen Beigeschmack. -Unser Rentmeister Fix hat recht, wenn er sagt: ›Beichte sei nichts, -weil immer unaufrichtig, und es habe in Berlin – aber das -sei nun freilich schon sehr, sehr lange her – einen Geistlichen -gegeben, der habe den Beichtstuhl einen Satansstuhl genannt.‹ -Das find ich nun offenbar übertrieben und habe mich auch -in diesem Sinne zu Fix geäußert. Aber andrerseits freue ich -mich doch immer aufrichtig, einem so mutig protestantischen -Worte zu begegnen. Mut ist, was uns not tut. Ein fester -Protestant, selbst wenn er schroff auftritt, ist mir jedesmal -eine Herzstärkung, und ich darf ein gleiches Empfinden auch -wohl bei Ihnen, Herr von Rex, voraussetzen?«</p> - -<p>Rex verbeugte sich. Woldemar aber sagte zu Czako: »Ja, -Czako, da sehen Sie's. Sie sind nicht einmal genannt worden. -Eine Domina – verzeih, Tante – bildet eben ein feines Unterscheidungsvermögen -aus.«</p> - -<p>Die Tante lächelte gnädig und sagte: »Herr von Czako ist -Offizier. Es gibt viele Wohnungen in meines Vaters Hause. -Das aber muß ich aussprechen, der Unglaube wächst, und das -Katholische wächst auch. Und das Katholische, das ist das -Schlimmere. Götzendienst ist schlimmer als Unglaube.«</p> - -<p>»Gehst du darin nicht zu weit, liebe Tante?«</p> - -<p>»Nein, Woldemar. Sieh, der Unglaube, der ein Nichts ist, -kann den lieben Gott nicht beleidigen; aber Götzendienst beleidigt -ihn. Du sollst keine andern Götter haben neben mir. Da steht -es. Und nun gar der Papst in Rom, der ein Obergott sein will -und unfehlbar.«</p> - -<p>Czako, während Rex schwieg und nur seine Verbeugung -wiederholte, kam auf die verwegene Idee, für Papst und<span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span> -Papsttum eine Lanze brechen zu wollen, entschlug sich dieses -Vorhabens aber, als er wahrnahm, daß die alte Dame ihr -Dominagesicht aufsetzte. Das war indessen nur eine rasch -vorüberziehende Wolke. Dann fuhr Tante Adelheid, das -Thema wechselnd, in schnell wiedergewonnener guter Laune -fort: »Ich habe die Fenster öffnen lassen. Aber auch jetzt noch, -meine Herren, ist es ein wenig stickig. Das macht die niedrige -Decke. Darf ich Sie vielleicht auffordern, noch eine Promenade -durch unsern Garten zu machen? Unser Klostergarten ist eigentlich -das Beste, was wir hier haben. Nur der unsers Rentmeisters -ist noch gepflegter und größer und liegt auch am See. Rentmeister -Fix, der hier alles zusammenhält, ist uns, wie in -wirtschaftlichen Dingen, so auch namentlich in seinen Gartenanlagen, -ein Vorbild; überhaupt ein charaktervoller Mann, und -dabei treu wie Gold, trotzdem sein Gehalt unbedeutend ist und -seine Nebeneinnahmen ganz unsicher in der Luft schweben. -Ich hatte Fix denn auch bitten lassen, mit uns bei Tisch zu sein; -er versteht so gut zu plaudern, gut und leicht, ja beinahe freimütig -und doch immer durchaus diskret. Aber er ist dienstlich -verhindert. Die Herren müssen sich also mit mir begnügen -und mit einer unsrer Konventualinnen, einem mir lieben -Fräulein, das immer munter und ausgelassen, aber doch zugleich -bekenntnisstreng ist, ganz von jener schönen Heiterkeit, -die man bloß bei denen findet, deren Glaube feste Wurzeln -getrieben hat. Ein gut Gewissen ist das beste Ruhekissen. -Damit hängt es wohl zusammen.«</p> - -<p>Rex, an den sich diese Worte vorzugsweise gerichtet hatten, -drückte wiederholt seine Zustimmung aus, während Czako -beklagte, daß Fix verhindert sei. »Solche Männer sprechen zu -hören, die mit dem Volke Fühlung haben und genau wissen, -wie's einerseits in den Schlössern, andrerseits in den Hütten -der Armut aussieht, das ist immer in hohem Maße fördernd und -lehrreich und ein Etwas, auf das ich jederzeit ungern verzichte.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span></p> - -<p>Gleich danach erhob man sich und ging ins Freie.</p> - -<p>Der Garten war von sehr ländlicher Art. Durch seine -ganze Länge hin zog sich ein von Buchsbaumrabatten eingefaßter -Gang, neben dem links und rechts, in wohlgepflegten -Beeten, Rittersporn und Studentenblumen blühten. Gerade -in seiner Mitte weitete sich der sonst schmale Gang zu einem -runden Platz aus, darauf eine große Glaskugel stand, ganz an -die Stechliner erinnernd, nur mit dem Unterschied, daß hier -das eingelegte blanke Zinn fehlte. Beide Kugeln stammten -natürlich aus der Globsower »grünen Hütte«. Weiterhin, -ganz am Ausgange des Gartens, wurde man eines etwas -schiefen Bretterzaunes ansichtig, mit einem Pflaumenbaum -dahinter, dessen einer Hauptzweig aus dem Nachbargarten -her in den der Domina herüberreichte.</p> - -<p>Rex führte die Tante. Dann folgte Woldemar mit Hauptmann -Czako, weit genug ab von dem vorausgehenden Paar, -um ungeniert miteinander sprechen zu können.</p> - -<p>»Nun, Czako,« sagte Woldemar, »bleiben wir, wenn's -sein kann, noch ein bißchen weiter zurück. Ich kann Ihnen -gar nicht sagen, wie gern ich in diesem Garten bin. Allen Ernstes. -Ich habe hier nämlich als Junge hundertmal gespielt und in -den Birnbäumen gesessen; damals standen hier noch etliche, -hier links, wo jetzt die Mohrrübenbeete stehen. Ich mache mir -nichts aus Mohrrüben, woraus ich übrigens schließe, daß wir -heute welche zu Tisch kriegen. Wie gefällt Ihnen der Garten?«</p> - -<p>»Ausgezeichnet. Es ist ja eigentlich ein Bauerngarten, -aber doch mit viel Rittersporn drin. Und zu jedem Rittersporn -gehört eine Stiftsdame.«</p> - -<p>»Nein, Czako, nicht so. Sagen Sie mir ganz ernsthaft, -ob Sie solche Gärten leiden können.«</p> - -<p>»Ich kann solche Gärten eigentlich nur leiden, wenn sie -eine Kegelbahn haben. Und dieser hier ist wie geschaffen dazu, -lang und schmal. Alle unsre modernen Kegelbahnen sind zu<span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span> -kurz, wie früher alle Betten zu kurz waren. Wenn die Kugel -aufsetzt, ist sie auch schon da, und der Bengel unten schreit einen -an mit seinem ›acht um den König‹. Für mich fängt das Vergnügen -erst an, wenn das Brett lang ist und man der Kugel -anmerkt, sie möchte links oder rechts abirren, aber die eingeborene -Gewalt zwingt sie zum Ausharren, zum Bleiben auf -der rechten Bahn. Es hat was Symbolisches oder Pädagogisches, -oder meinetwegen auch Politisches.«</p> - -<p>Unter diesem Gespräche waren sie, ganz nach unten hin, -bis an die Stelle gekommen, wo der nachbarliche Pflaumenbaum -seinen Zweig über den Zaun wegstreckte. Neben dem -Zaun aber, in gleicher Linie mit ihm, stand eine grüngestrichene -Bank, auf der, von dem Gezweig überdacht, eine -Dame saß, mit einem kleinen runden Hut und einer Adlerfeder. -Als sich die Herrschaften ihr näherten, erhob sie sich und schritt -auf die Domina zu, dieser die Hand zu küssen; zugleich verneigte -sie sich gegen die drei Herren.</p> - -<p>»Erlauben Sie mir,« sagte Adelheid, »Sie mit meiner -lieben Freundin, Fräulein von Schmargendorf, bekannt zu -machen. Hauptmann von Czako, Ministerialassessor von -Rex … Meinen Neffen, liebe Schmargendorf, kennen Sie ja.«</p> - -<p>Adelheid, als sie so vorgestellt hatte, zog ihre kleine Uhr -aus dem Gürtel hervor und sagte: »Wir haben noch zehn -Minuten. Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir noch in Gottes -freier Natur. Woldemar, führe meine liebe Freundin, oder -lieber Sie, Herr Hauptmann, – Fräulein von Schmargendorf -wird ohnehin Ihre Tischdame sein.«</p> - -<p>Das Fräulein von Schmargendorf war klein und rundlich, -einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals und wenig Taille. -Von den sieben Schönheiten, über die jede Evastochter Verfügung -haben soll, hatte sie, soweit sich ihr »Kredit« feststellen -ließ, nur die Büste. Sie war sich dessen denn auch bewußt und -trug immer dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbesatz oberhalb<span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span> -der Taille. Dieser Besatz bestand aus drei Dreiecken, -deren Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächst -aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil sie mal -gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag daran, jung -zu sein, obwohl sie keinen rechten Nutzen mehr daraus -ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es nicht, der Pastor war -natürlich verheiratet und Fix auch. Und weiter nach unten -ging es nicht.</p> - -<p>Adelheid und Rex waren meist weit voraus, so daß man sich -immer erst an der Glaskugel traf, wenn das voranschreitende -Paar schon wieder auf dem Rückwege war. Czako grüßte dann -jedesmal militärisch zur Domina hinüber.</p> - -<p>Diese selbst war in einem Gespräch mit Rex fest engagiert -und verhandelte mit ihm über ein bedrohliches Wachsen des -Sektiererwesens. Rex fühlte sich davon getroffen, da er selbst -auf dem Punkte stand, Irvingianer zu werden; er war aber -Lebemann genug, um sich schnell zurechtzufinden und vor -allem auf jede nachhaltige Bekämpfung der von Adelheid geäußerten -Ansichten zu verzichten. Er lenkte geschickt in das -Gebiet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei sofort einer -vollen Zustimmung begegnend. Ja, die Domina ging weiter, -und sich abwechselnd auf die Apokalypse und dann wieder auf -Fix berufend, betonte sie, daß wir am Anfang vom Ende -stünden. Fix gehe freilich wohl etwas zu weit, wenn er eigentlich -keinem Tage mehr so recht traue. Das seien nutzlose Beunruhigungen, -weshalb sie denn auch in ihn gedrungen sei, von -solchen Berechnungen Abstand zu nehmen oder wenigstens -alles nochmals zu prüfen. »Kein Zweifel,« so schloß sie, »Fix -ist für Rechnungssachen entschieden talentiert, aber ich habe -ihm trotzdem sagen müssen, daß zwischen Rechnungen und -Rechnungen doch immer noch ein Unterschied sei.«</p> - -<p>Czako hatte dem Fräulein von Schmargendorf den Arm -gereicht; Woldemar, weil der Mittelgang zu schmal war, folgte<span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span> -wenige Schritte hinter den beiden und trat nur immer da, -wo der Weg sich erweiterte, vorübergehend an ihre Seite.</p> - -<p>»Wie glücklich ich bin, Herr Hauptmann,« sagte die Schmargendorf, -»Ihre Partnerin zu sein, jetzt schon hier und dann -später bei Tisch.«</p> - -<p>Czako verneigte sich.</p> - -<p>»Und merkwürdig,« fuhr sie fort, »daß gerade das Regiment -Alexander immer so vergnügte Herren hat; einen Namensvetter -von Ihnen, oder vielleicht war es auch Ihr älterer Herr -Bruder, den hab ich noch von einer Einquartierung in der -Priegnitz her ganz deutlich in Erinnerung, trotzdem es schon an -die zwanzig Jahre ist oder mehr. Denn ich war damals noch -blutjung und tanzte mit Ihrem Herrn Vetter einen richtigen -Radowa, der um jene Zeit noch in Mode war, aber schon nicht -mehr so recht. Und ich hab auch noch den Namenszug und -einen kleinen Vers von ihm in meinem Album. ›Jegor von -Baczko, Secondelieutenant im Regiment Alexander.‹ Ja, -Herr von Baczko, so kommt man wieder zusammen. Oder -wenigstens mit einem Herrn gleichen Namens.«</p> - -<p>Czako schwieg und nickte nur, weil er Richtigstellungen -überhaupt nicht liebte; Woldemar aber, der jedes Wort gehört -und in bezug auf solche Dinge kleinlicher als sein Freund, der -Hauptmann, dachte, wollte durchaus Remedur schaffen und -bat, das Fräulein darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß -der Herr, der den Vorzug habe, sie zu führen, nicht ein Herr von -Baczko, sondern ein Herr von Czako sei.</p> - -<p>Die kleine Rundliche geriet in eine momentane Verlegenheit, -Czako selbst aber kam ihr mit großer Courtoisie zu Hilfe.</p> - -<p>»Lieber Stechlin,« begann er, »ich beschwöre Sie um -sechsundsechzig Schock sächsische Schuhzwecken, kommen Sie -doch nicht mit solchen Kleinigkeiten, die man jetzt, glaub ich, -Velleitäten nennt. Wenigstens hab ich das Wort immer so -übersetzt. Czako, Baczko, Baczko, Czako – wie kann man davon<span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span> -so viel Aufhebens machen. Name, wie Sie wissen, ist Schall -und Rauch, siehe Goethe, und Sie werden sich doch nicht in -Widerspruch mit dem bringen wollen. Dazu reicht es denn doch -am Ende nicht aus.«</p> - -<p>»Hihi.«</p> - -<p>»Außerdem, ein Mann wie Sie, der es trotz seines Liberalismus -fertig bringt, immer seinen Adel bis wenigstens dritten -Kreuzzug zurückzuführen, ein Mann wie Sie sollte mir doch -diese kleine Verwechslung ehrlich gönnen. Denn dieser mir in -den Schoß gefallene ›Baczko‹ … Gott sei Dank, daß auch -unsereinem noch was in den Schoß fallen kann …«</p> - -<p>»Hihi.«</p> - -<p>»Denn dieser mir in den Schoß gefallene Baczko ist doch -einfach eine Rang- und Standeserhöhung, ein richtiges Avancement. -Die Baczkos reichen mindestens bis Huß oder Ziska, -und wenn es vielleicht Ungarn sind, bis auf die Hunyadis -zurück, während der erste wirkliche Czako noch keine zweihundert -Jahre alt ist. Und von diesem ersten wirklichen Czako stammen -wir doch natürlich ab. Erwägen Sie, bevor es nicht einen wirklichen -Czako gab, also einen steifen grauen Filzhut mit Leder -oder Blech beschlagen, eher kann es auch keinen ›<em class="gesperrt">von</em> Czako‹ -gegeben haben; der Adel schreibt sich immer von solchen Dingen -seiner Umgebung oder seines Metiers oder seiner Beschäftigung -her. Wenn ich wirklich noch mal Lust verspüren sollte, mich -standesgemäß zu verheiraten, so scheitre ich vielleicht an der -Jugendlichkeit meines Adels und werde mich dann dieser Stunde -wehmütig freundlich erinnern, die mich, wenn auch nur durch -eine Namensverwechslung, auf einen kurzen Augenblick zu erhöhen -trachtete.«</p> - -<p>Woldemar, seiner Philisterei sich bewußt werdend, zog sich -wieder zurück, während die Schmargendorf treuherzig sagte: »Sie -glauben also wirklich, Herr von … Herr Hauptmann … -daß Sie von einem Czako herstammen?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span></p> - -<p>»Soweit solch merkwürdiges Spiel der Natur überhaupt -möglich ist, bin ich fest davon durchdrungen.«</p> - -<p>In diesem Moment, nach abermaliger Passierung des -Platzes mit der Glaskugel, erreichte das Paar die Bank unter -dem Pflaumenbaumzweige. Die Schmargendorf hatte schon -lange vorher nach zwei großen, dicht zusammensitzenden Pflaumen -hinübergeblickt und sagte, während sie jetzt ihre Hand danach -ausstreckte: »Nun wollen wir aber ein Vielliebchen essen, -Herr Hauptmann; wo, wie hier, zwei zusammensitzen, da ist -immer ein Vielliebchen.«</p> - -<p>»Eine Definition, der ich mich durchaus anschließe. Aber -mein gnädigstes Fräulein, wenn ich vorschlagen dürfte, mit -dieser herrlichen Gabe Gottes doch lieber bis zum Dessert zu -warten. Das ist ja doch auch die eigentliche Zeit für Vielliebchen.«</p> - -<p>»Nun, wie Sie wollen, Herr Hauptmann. Und ich werde -diese zwei bis dahin für uns aufheben. Aber diese dritte hier, -die nicht mehr so ganz dazu gehört, die werd ich essen. Ich -esse so gern Pflaumen. Und Sie werden sie mir auch gönnen.«</p> - -<p>»Alles, alles. Eine Welt.«</p> - -<p>Es schien fast, als ob sich Czako noch weiter über dies -Pflaumenthema, namentlich auch über die sich darin bergenden -Wagnisse verbreiten wollte, kam aber nicht dazu, weil eben -jetzt ein Diener in weißen Baumwollhandschuhen, augenscheinlich -eine Gelegenheitsschöpfung, in der Hoftür sichtbar wurde. -Dies war das mit der Domina verabredete Zeichen, daß der -Tisch gedeckt sei. Die Schmargendorf, ebenfalls eingeweiht -in diese zu raschen Entschlüssen drängende Zeichensprache, bückte -sich deshalb, um von einem der Gemüsebeete rasch noch ein -großes Kohlblatt abzubrechen, auf das sie sorglich die beiden -rotgetüpfelten Pflaumen legte. Gleich danach aber aufs neue -des Hauptmanns Arm nehmend, schritt sie, unter Vorantritt -der Domina, auf Hof und Flur und ganz zuletzt auf den Salon -zu, der sich inzwischen in manchem Stücke verändert hatte,<span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span> -vor allem darin, daß neben dem Kamin eine zweite Konventualin -stand, in dunkler Seide, mit Kopfschleifen und tiefliegenden, -starren Kakadu-Augen, die in das Wesen aller Dinge einzudringen -schienen.</p> - -<p>»Ah, meine Liebste,« sagte die Domina, auf diese zweite -Konventualin zuschreitend, »es freut mich herzlich, daß Sie sich, -trotz Migräne, noch herausgemacht haben; wir wären sonst -ohne dritte Tischdame geblieben. Erlauben Sie mir vorzustellen: -Herr von Rex, Herr von Czako … Fräulein von Triglaff -aus dem Hause Triglaff.«</p> - -<p>Rex und Czako verbeugten sich, während Woldemar, dem -sie keine Fremde war, an die Konventualin herantrat, um ein -Wort der Begrüßung an sie zu richten. Czako, die Triglaff -unwillkürlich musternd, war sofort von einer ihn frappierenden -Ähnlichkeit betroffen und flüsterte gleich danach dem sein Monocle -wiederholentlich in Angriff nehmenden Rex leise zu: -»Krippenstapel, weibliche Linie.«</p> - -<p>Rex nickte.</p> - -<p>Während dieser Vorstellung hatte der im Hintergrunde -stehende Diener den oberen und unteren Türriegel mit einer -gewissen Ostentation zurückgezogen; einen Augenblick noch, -und beide Flügel zu dem neben dem Salon gelegenen Eßzimmer -taten sich mit einer stillen Feierlichkeit auf.</p> - -<p>»Herr von Rex,« sagte die Domina, »darf ich um Ihren -Arm bitten?«</p> - -<p>Im Nu war Rex an ihrer Seite, und gleich danach traten -alle drei Paare in den Nebenraum ein, auf dessen gastlicher -und nicht ohne Geschick hergerichteter Tafel zwei Blumenvasen -und zwei silberne Doppelleuchter standen. Auch der Diener -war schon in Aktion; er hatte sich inzwischen am Büfett in Front -einer Meißner Suppenterrine aufgestellt, und indem er den -Deckel (mit einem abgestoßenen Engel obenauf) abnahm, stieg -der Wrasen wie Opferrauch in die Höhe.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span></p> - -<h3 id="Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Tante Adelheid, wenn sich nichts geradezu Verstimmliches -ereignete, war, von alten Zeiten her, eine gute Wirtin und besaß -neben anderm auch jene Direktoralaugen, die bei Tische so viel -bedeuten; aber <em class="gesperrt">eine</em> Gabe besaß sie nicht, die, das Gespräch, -wie's in einem engsten Zirkel doch sein sollte, zusammenzufassen. -So zerfiel denn die kleine Tafelrunde von Anfang an in drei -Gruppen, von denen eine, wiewohl nicht absolut schweigsam, -doch vorwiegend als Tafelornament wirkte. Dies war die -Gruppe Woldemar-Triglaff. Und das konnte nicht wohl anders -sein. Die Triglaff, wie sich das bei Kakadugesichtern so -häufig findet, verband in sich den Ausdruck höchster Tiefsinnigkeit -mit ganz ungewöhnlicher Umnachtung, und ein letzter Rest -von Helle, der ihr vielleicht geblieben sein mochte, war ihr durch -eine stupende Triglaffvorstellung schließlich doch auch noch abhanden -gekommen. Eine direkte Deszendenz von dem gleichnamigen -Wendengotte, etwa wie Czako von Czako, war freilich -nicht nachzuweisen, aber doch auch nicht ausgeschlossen, -und wenn dergleichen überhaupt vorkommen oder nach stiller -Übereinkunft auch nur allgemein angenommen werden konnte, -so war nicht abzusehen, warum gerade <em class="gesperrt">sie</em> leer ausgehen oder -auf solche Möglichkeit verzichten sollte. Dieser hochgespannten, -ganz im Speziellen sich bewegenden Adelsvorstellung entsprach -denn auch das gereizte Gefühl, das sie gegen <em class="gesperrt">den</em> Zweig des -Hauses Thadden unterhielt, der sich, nach seinem pommerschen -Gute Triglaff, Thadden-Triglaff nannte, – eine Zubenennung, -die <em class="gesperrt">ihr</em>, der einzig wirklichen Triglaff, einfach als ein Übergriff -oder doch mindestens als eine Beeinträchtigung erschien. -Woldemar, der dies alles kannte, war dagegen gefeit und wußte -seinerseits seit lange, wie zu verfahren sei, wenn ihm die Triglaff -als Tischnachbarin zufiel. Er hatte sich für diesen Fall, der -übrigens öfter eintrat als ihm lieb war, die Namen aller Konventualinnen<span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span> -auswendig gelernt, die während seiner Kinderzeit -in Kloster Wutz gelebt hatten und von denen er recht gut -wußte, daß sie seit lange tot waren. Er begann aber trotzdem -regelmäßig seine Fragen so zu stellen, als ob das Dasein dieser -längst Abgeschiedenen immer noch einer Möglichkeit unterläge.</p> - -<p>»Da war ja hier früher, mein gnädigstes Fräulein, eine -Drachenhausen, Aurelie von Drachenhausen, und übersiedelte -dann, wenn ich nicht irre, nach Kloster Zehdenick. Es würde -mich lebhaft interessieren, in Erfahrung zu bringen, ob sie noch -lebt oder ob sie vielleicht schon tot ist.«</p> - -<p>Die Triglaff nickte.</p> - -<p>Czako, dieses Nicken beobachtend, sprach sich später gegen -Rex dahin aus, daß das alles mit der Abstammung der Triglaff -ganz natürlich zusammenhänge. »Götzen nicken bloß.«</p> - -<p>Um vieles lebendiger waren Rede und Gegenrede zwischen -Tante Adelheid und dem Ministerialassessor, und das Gespräch -beider, das nur sittliche Hebungsfragen berührte, hätte durchaus -den Charakter einer gemütlichen, aber doch durch Ernst -geweihten Synodalplauderei gehabt, wenn sich nicht die Gestalt -des Rentmeisters Fix beständig eingedrängt hätte, dieses -Dominaprotegés, von dem Rex, unter Zurückhaltung seiner -wahren Meinung, immer aufs neue versicherte, »daß in diesem -klösterlichen Beamten eine seltene Verquickung von Prinzipienstrenge -mit Geschäftsgenie vorzuliegen scheine«.</p> - -<p>Das waren die zwei Paare, die den linken Flügel beziehungsweise -die Mitte des Tisches bildeten. Die beiden Hauptfiguren -waren aber doch Czako und die Schmargendorf, die -ganz nach rechts hin saßen, in Nähe der dicken Fenstergardinen -aus Wollstoff, in deren Falten denn auch vieles glücklicherweise -verklang. An die Suppe hatte sich ein Fisch und an diesen ein -Linsenpüree mit gebackenem Schinken gereiht, und nun wurden -gespickte Rebhuhnflügel in einer pikanten Sauce, die zugleich -Küchengeheimnis der Domina war, herumgereicht. Czako,<span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span> -trotzdem er schon dem gebackenen Schinken erheblich zugesprochen -hatte, nahm ein zweites Mal auch noch von dem Rebhuhngericht -und fühlte das Bedürfnis, dies zu motivieren.</p> - -<p>»Eine gesegnete Gegend, Ihre Grafschaft hier,« begann -er. »Aber freilich heuer auch eine gesegnete Jahreszeit. Gestern -abend bei Dubslav von Stechlin Krammetsvögelbrüste, heute -bei Adelheid von Stechlin Rebhuhnflügel.«</p> - -<p>»Und was ziehen Sie vor?« fragte die Schmargendorf.</p> - -<p>»Im allgemeinen, mein gnädigstes Fräulein, ist die Frage -wohl zugunsten ersterer entschieden. Aber hier und speziell -für mich ist doch wohl der Ausnahmefall gegeben.«</p> - -<p>»Warum ein Ausnahmefall?«</p> - -<p>»Sie haben recht, eine solche Frage zu stellen. Und ich antworte, -so gut ich kann. Nun denn, in Brust und Flügel …«</p> - -<p>»Hihi.«</p> - -<p>»In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, -ein großartiger Gegensatz von hüben und drüben; es gibt nichts -Diesseitigeres als Brust, und es gibt nichts Jenseitigeres als -Flügel. Der Flügel trägt uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz -aller nach der andern Seite hin liegenden Verlockung, möchte -ich alles, was Flügel heißt, doch höher stellen.«</p> - -<p>Er hatte dies in einem möglichst gedämpften Tone gesprochen. -Aber es war nicht nötig, weil einerseits die links ihm -zunächst sitzende Triglaff aus purem Hochgefühl ihr Ohr gegen -alles, was gesprochen wurde, verschloß, während andrerseits -die Domina, nachdem der Diener allerlei kleine Spitzgläser -herumgereicht hatte, ganz ersichtlich mit einer Ansprache beschäftigt -war.</p> - -<p>»Lassen Sie mich Ihnen noch einmal aussprechen,« sagte -sie, während sie sich halb erhob, »wie glücklich es mich macht, -Sie in meinem Kloster begrüßen zu können. Herr von Rex, -Herr von Czako, Ihr Wohl.«</p> - -<p>Man stieß an. Rex dankte unmittelbar und sprach, als<span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span> -man sich wieder gesetzt hatte, seine Bewunderung über den -schönen Wein aus. »Ich vermute Montefiascone.«</p> - -<p>»Vornehmer, Herr von Rex,« sagte Adelheid in guter Stimmung, -»eine Rangstufe höher. Nicht Montefiascone, den wir -allerdings unter meiner Amtsvorgängerin auch hier im Keller -hatten, sondern <em class="antiqua">Lacrimae Christi</em>. Mein Bruder, der alles bemängelt, -meinte freilich, als ich ihm vor einiger Zeit davon -vorsetzte, das passe nicht, das sei Begräbniswein, höchstens -Wein für Einsegnungen, aber nicht für heitere Zusammenkünfte.«</p> - -<p>»Ein Wort von eigenartiger Bedeutung, darin ich Ihren -Herrn Bruder durchaus wiedererkenne.«</p> - -<p>»Gewiß, Herr von Rex. Und ich bin mir bewußt, daß uns -der Name gerade dieses Weines allerlei Rücksichten auferlegt. -Aber wenn Sie sich vergegenwärtigen wollen, daß wir in einem -Stift, einem Kloster sind … und so meine ich denn, der Ort, -an dem wir leben, gibt uns doch auch ein Recht und eine -Weihe.«</p> - -<p>»Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Bedenken -Ihres Herrn Bruders als irrtümlich anerkennen. Aber wenn -ich mich so ausdrücken darf, ein kleidsamer Irrtum … Auf -das Wohl Ihres Herrn Bruders.«</p> - -<p>Damit schloß das etwas difficile Zwiegespräch, dem alle -mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht die Schmargendorf. -»Ach,« sagte diese, während sie sich halb in den Vorhängen -versteckte, »wenn wir von dem Wein trinken, dann -hören wir auch immer dieselbe Geschichte. Die Domina muß -sich damals sehr über den alten Herrn von Stechlin geärgert -haben. Und doch hat er eigentlich recht; schon der bloße Name -stimmt ernst und feierlich, und es liegt was drin, das einem -Christenmenschen denn doch zu denken gibt. Und gerade wenn -man so recht vergnügt ist.«</p> - -<p>»Darauf wollen wir anstoßen,« sagte Czako, völlig im<span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span> -Dunkeln lassend, ob er mehr den Christenmenschen oder den -Ernst oder das Vergnügtsein meinte.</p> - -<p>»Und überhaupt,« fuhr die Schmargendorf fort, »die -Weine müßten eigentlich alle anders heißen, oder wenigstens -sehr, sehr viele.«</p> - -<p>»Ganz meine Meinung, meine Gnädigste,« sagte Czako. -»Da sind wirklich so manche … Man darf aber andrerseits -das Zartgefühl nicht überspannen. Will man das, so bringen -wir uns einfach um die reichsten Quellen wahrer Poesie. Da -haben wir beispielsweise, so ganz allgemein und bloß als Gattungsbegriff, -die ›Milch der Greise‹ – zunächst ein durchaus -unbeanstandenswertes Wort. Aber alsbald (denn unsre Sprache -liebt solche Spiele) treten mannigfache Fort- und Weiterbildungen, -selbst Geschlechtsüberspringungen an uns heran, und -ehe wir's uns versehen, hat sich die ›Milch der Greise‹ in eine -›Liebfrauenmilch‹ verwandelt.«</p> - -<p>»Hihi … Ja, Liebfrauenmilch, die trinken wir auch. Aber -nur selten. Und es ist auch nicht <em class="gesperrt">der</em> Name, woran ich eigentlich -dachte.«</p> - -<p>»Sicherlich nicht, meine Gnädigste. Denn wir haben eben -noch andre, decidiertere, denen gegenüber uns dann nur noch -das Refugium der französischen Aussprache bleibt.«</p> - -<p>»Hihi … Ja, französisch, da geht es. Aber doch auch nicht -immer, und jedesmal, wenn Rentmeister Fix unser Gast ist -und die Triglaff die Flasche hin und her dreht (und ich habe -gesehen, daß sie sie dreimal herumdrehte), dann lacht Fix … -Übrigens sieht es so aus, als ob die Domina noch was auf -dem Herzen hätte; sie macht ein so feierliches Gesicht. Oder -vielleicht will sie auch bloß die Tafel aufheben.«</p> - -<p>Und wirklich, es war so, wie die Schmargendorf vermutete. -»Meine Herren,« sagte die Domina, »da Sie zu meinem Leidwesen -so früh fort wollen (wir haben nur noch wenig über eine -Viertelstunde), so geb ich anheim, ob wir den Kaffee lieber in<span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span> -meinem Zimmer nehmen wollen oder draußen unter dem -Holunderbaum.«</p> - -<p>Eine Gesamtantwort wurde nicht laut, aber während man -sich unmittelbar danach erhob, küßte Czako der Schmargendorf -die Hand und sagte mit einem gewissen Empressement: »Unter -dem Holunderbaum also.«</p> - -<p>Die Schmargendorf verstand nicht im entferntesten, auf -was es sich bezog. Aber das war Czako gleich. Ihm lag lediglich -daran, sich ganz privatim, ganz für sich selbst, die Schmargendorf -auf einen kurzen, aber großen Augenblick als »Käthchen« -vorstellen zu können.</p> - -<p>Im übrigen zeigte sich's, daß nicht bloß Czako, sondern -auch Rex und Woldemar für den Holunderbaum waren, -und so näherte man sich denn diesem.</p> - -<p>Es war derselbe Baum, den die Herren schon beim Einreiten -in den Klosterhof gesehen, aber in jenem Augenblick -wenig beachtet hatten. Jetzt erst bemerkten sie, was es mit -ihm auf sich habe. Der Baum, der uralt sein mochte, stand -außerhalb des Gehöftes, war aber, ähnlich wie der Pflaumenbaum -im Garten, mit seinem Gezweig über das zerbröckelte -Gemäuer fortgewachsen. Er war an und für sich schon eine -Pracht. Was ihm aber noch eine besondere Schönheit lieh, -das war, daß sein Laubendach von ein paar dahinter stehenden -Ebereschenbäumen wie durchwachsen war, so daß man überall -neben den schwarzen Fruchtdolden des Holunders die leuchtenden -roten Ebereschenbüschel sah. Auch das verschiedene Laub -schattierte sich. Rex und Czako waren aufrichtig entzückt, beinahe -mehr als zulässig. Denn so reizend die Laube selbst war, -so zweifelhaft war das unmittelbar vor ihnen in großer Unordnung -und durchaus ermangelnder Sauberkeit ausgebreitete -Hofbild. Aber pittoresk blieb es doch. Zusammengemörtelte -Feldsteinklumpen lagen in hohem Grase, dazwischen Karren -und Düngerwagen, Enten- und Hühnerkörbe, während ein<span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span> -kollernder Truthahn von Zeit zu Zeit bis dicht an die Laube -herankam, sei's aus Neugier oder um sich mit der Triglaff -zu messen.</p> - -<p>Als sechs Uhr heran war, erschien Fritz und führte die -Pferde vor. Czako wies darauf hin. Bevor er aber noch an -die Domina herantreten und ihr einige Dankesworte sagen -konnte, kam die Schmargendorf, die kurz vorher ihren Platz -verlassen, mit dem großen Kohlblatt zurück, auf dem die beiden -zusammengewachsenen Pflaumen lagen. »Sie wollten mir -entgehen, Herr von Czako. Das hilft Ihnen aber nichts. Ich -will mein Vielliebchen gewinnen. Und Sie sollen sehen, ich siege.«</p> - -<p>»Sie siegen immer, meine Gnädigste.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Neuntes_Kapitel">Neuntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Rex und Czako ritten ab; Fritz führte Woldemars Pferd -am Zügel. Aber weder die Schmargendorf noch die Triglaff -erwiesen sich, als die beiden Herren fort und die drei Damen -samt Woldemar in die Wohnräume zurückgekehrt waren, -irgendwie beflissen, das Feld zu räumen, was die Domina, -die wegen zu verhandelnder difficiler Dinge mit ihrem Neffen -allein sein wollte, stark verstimmte. Sie zeigte das auch, war -steif und schweigsam und belebte sich erst wieder, als die Schmargendorf -mit einem Male glückstrahlend versicherte: jetzt wisse -sie's; sie habe noch eine Photographie, die wolle sie gleich an -Herrn von Czako schicken, und wenn er dann morgen mittag -von Cremmen her in Berlin einträfe, dann werd er Brief und -Bild schon vorfinden und auf der Rückseite des Bildes ein -»Guten Morgen, Vielliebchen«. Die Domina fand alles so -lächerlich und unpassend wie nur möglich; weil ihr aber daran -lag, die Schmargendorf loszuwerden, so hielt sie mit ihrer -wahren Meinung zurück und sagte: »Ja, liebe Schmargendorf,<span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span> -wenn Sie so was vorhaben, dann ist es allerdings die höchste -Zeit. Der Postbote kann gleich kommen.« Und wirklich, die -Schmargendorf ging, nur die Triglaff zurücklassend, deren -Auge sich jetzt von der Domina zu Woldemar hinüber und dann -wieder von Woldemar zur Domina zurückbewegte. Sie war -bei dem allem ganz unbefangen. Ein Verlangen, etwas zu belauschen -oder von ungefähr in Familienangelegenheiten eingeweiht -zu werden, lag ihr völlig fern, und alles, was sie trotzdem -zum Ausharren bestimmte, war lediglich der Wunsch, -solchem historischen Beisammensein eine durch ihre Triglaffgegenwart -gesteigerte Weihe zu geben. Indessen schließlich -ging auch sie. Man hatte sich wenig um sie gekümmert, und -Tante und Neffe ließen sich, als sie jetzt allein waren, in zwei -braune Plüschfauteuils (Erbstücke noch vom Schloß Stechlin -her) nieder, Woldemar allerdings mit äußerster Vorsicht, -weil die Sprungfedern bereits jenen Altersgrad erreicht hatten, -wo sie nicht nur einen dumpfen Ton von sich zu geben, sondern -auch zu stechen anfangen.</p> - -<p>Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr froh, ihren -Neffen endlich allein zu haben, und sagte mit rasch wiedergewonnenem -Behagen: »Ich hätte dir schon bei Tische gern -was Bessres an die Seite gegeben; aber wir haben hier, wie -du weißt, nur unsre vier Konventualinnen, und von diesen -vieren sind die Schmargendorf und die Triglaff immer noch -die besten. Unsre gute Schimonski, die morgen einundachtzig -wird, ist eigentlich ein Schatz, aber leider stocktaub, und die -Teschendorf, die mal Gouvernante bei den Esterhazys war -und auch noch den Fürsten Schwarzenberg, dessen Frau in -Paris verbrannte, gekannt hat, ja, die hätt ich natürlich solchem -feinen Herrn wie dem Herrn von Rex gerne vorgesetzt, aber es -ist ein Unglück, die arme Person, die Teschendorf, ist so zittrig -und kann den Löffel nicht recht mehr halten. Da hab ich denn -doch lieber die Triglaff genommen; sie ist sehr dumm, aber<span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span> -doch wenigstens manierlich, soviel muß man ihr lassen. Und -die Schmargendorf …«</p> - -<p>Woldemar lachte.</p> - -<p>»Ja, du lachst, Woldemar, und ich will dir auch nicht bestreiten, -daß man über die gute Seele lachen kann. Aber sie -hat doch auch was Gehaltvolles in ihrer Natur, was sich erst -neulich wieder in einem intimen Gespräch mit unserm Fix -zeigte, der trotz aller Bekenntnisstrenge (die selbst Koseleger ihm -zugesteht) an unserm letzten Whistabend Äußerungen tat, die -wir alle tief bedauern mußten, wir, die wir die Whistpartie -machten, nun schon ganz gewiß, aber auch die gute, taube -Schimonski, der wir, weil sie uns so aufgeregt sah, alles auf -einen Zettel schreiben mußten.«</p> - -<p>»Und was war es denn?«</p> - -<p>»Ach, es handelte sich um das, was uns allen, wie du dir -denken kannst, jetzt das Teuerste bedeutet, um den ›Wortlaut‹. -Und denke dir, unser Fix war dagegen. Er mußte wohl denselben -Tag was gelesen haben, was ihn abtrünnig gemacht -hatte. Personen wie Fix sind sehr bestimmbar. Und kurz und -gut, er sagte: das mit dem ›Wortlaut‹, das ginge nicht länger -mehr, die ›Werte‹ wären jetzt anders, und weil die Werte nicht -mehr dieselben wären, müßten auch die Worte sich danach richten -und müßten gemodelt werden. Er sagte ›gemodelt‹. Aber was -er am meisten immer wieder betonte, das waren die ›Werte‹ -und die Notwendigkeit der ›Umwertung‹.«</p> - -<p>»Und was sagte die Schmargendorf dazu?«</p> - -<p>»Du hast ganz recht, mich dabei wieder auf die Schmargendorf -zu bringen. Nun, die war außer sich und hat die darauffolgende -Nacht nicht schlafen können. Erst gegen Morgen kam -ihr ein tiefer Schlaf, und da sah sie, so wenigstens hat sie's mir -und dem Superintendenten versichert, einen Engel, der mit -seinem Flammenfinger immer auf ein Buch wies und in dem -Buch auf eine und dieselbe Stelle.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span></p> - -<p>»Welche Stelle?«</p> - -<p>»Ja, darüber war ein Streit; die Schmargendorf hatte -sie genau gelesen und wollte sie hersagen. Aber sie sagte sie -falsch, weil sie Sonntags in der Kirche nie recht aufpaßt. Und -wir sagten ihr das auch. Und denke dir, sie widersprach nicht -und blieb überhaupt ganz ruhig dabei. ›Ja,‹ sagte sie, ›sie wisse -recht gut, daß sie die Stelle falsch hergesagt hätte, sie habe nie -was richtig hersagen können; aber das wisse sie ganz genau, die -Stelle mit dem Flammenfinger, das sei der ›Wortlaut‹ gewesen.‹«</p> - -<p>»Und das hast du wirklich alles geglaubt, liebe Tante? -Diese gute Schmargendorf! Ich will ihr ja gerne folgen; -aber was ihren Traum angeht, da kann ich beim besten Willen -nicht mit. Es wird ihr ein Amtmann erschienen sein oder ein -Pastor. Dreißig Jahre früher wär es ein Student gewesen.«</p> - -<p>»Ach, Woldemar, sprich doch nicht so. Das ist ja die neue -Façon, in der die Berliner sprechen, und in dem Punkt ist einer -wie der andre. Dein Freund Czako spricht auch so. Du mokierst -dich jetzt über die gute Schmargendorf, und dein Freund, -der Hauptmann, soviel hab ich ganz deutlich gesehen, tat es -auch und hat sie bei Tische geuzt.«</p> - -<p>»Geuzt?«</p> - -<p>»Du wunderst dich über das Wort, und ich wundre mich -selber darüber. Aber daran ist auch unser guter Fix schuld. -Der ist alle Monat mal nach Berlin rüber, und wenn er dann -wiederkommt, dann bringt er so was mit, und wiewohl ich's -unpassend finde, nehm ich's doch an und die Schmargendorf -auch. Bloß die Triglaff nicht und natürlich die gute Schimonski -auch nicht, wegen der Taubheit. Ja, Woldemar, ich sage ›geuzt‹, -und dein Freund Czako hätt es lieber unterlassen sollen. Aber -das muß wahr sein, er ist amüsant, wenn auch ein bißchen auf -der Wippe. Siehst du ihn oft?«</p> - -<p>»Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten Entfernungen. -Von unsrer Kaserne bis zu seiner, oder auch umgekehrt,<span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span> -das ist eine kleine Reise. Dazu kommt noch, daß wir -vor unserm Halleschen Tor eigentlich gar nichts haben, bloß -die Kirchhöfe, das Tempelhofer Feld und das Rotherstift.«</p> - -<p>»Aber ihr habt doch die Pferdebahn, wenn ihr irgendwo hin -wollt. Beinah muß ich sagen leider. Denn es gibt mir immer -einen Stich, wenn ich mal in Berlin bin, so die Offiziere zu -sehen, wie sie da hinten stehen und Platz machen, wenn eine -Madamm aufsteigt, manchmal mit nem Korb und manchmal -auch mit ner Spreewaldsamme. Mir immer ein Horreur.«</p> - -<p>»Ja, die Pferdebahn, liebe Tante, die haben wir freilich, -und man kann mit ihr in einer halben Stunde bis in Czakos -Kaserne. Der weite Weg ist es auch eigentlich nicht, wenigstens -nicht allein, weshalb ich Czako so selten sehe. Der Hauptgrund -ist doch wohl der, er paßt nicht so ganz zu uns und eigentlich -auch kaum zu seinem Regiment. Er ist ein guter Kerl, aber ein -Äquivokenmensch und erzählt immer Nachmitternachtsgeschichten. -Wenn man ihn allein hat, geht es. Aber hat er ein Publikum, -dann kribbelt es ihn ordentlich, und je feiner das Publikum ist, -desto mehr. Er hat mich schon oft in Verlegenheit gebracht. -Ich muß sagen, ich hab ihn sehr gern, aber gesellschaftlich ist ihm -Rex doch sehr überlegen.«</p> - -<p>»Ja, Rex; natürlich. Das hab ich auch gleich bemerkt, -ohne mir weiter Rechenschaft darüber zu geben. Du wirst es -aber wissen, wodurch er ihm überlegen ist.«</p> - -<p>»Durch vieles. Erstens, wenn man die Familien abwägt. -Rex ist mehr als Czako. Und dann ist Rex Kavallerist.«</p> - -<p>»Aber ich denke, er ist Ministerialassessor.«</p> - -<p>»Ja, das ist er auch. Aber nebenher, oder vielleicht noch -darüber hinaus, ist er Offizier, und sogar in unsrer Dragonerbrigade.«</p> - -<p>»Das freut mich; da ist er ja so gut wie ein Spezialkamerad -von dir.«</p> - -<p>»Ich kann das zugeben und doch auch wieder nicht. Denn<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span> -erstens ist er in der Reserve, und zweitens steht er bei den -zweiten Dragonern.«</p> - -<p>»Macht das nen Unterschied?«</p> - -<p>»Gott, Tante, wie man's nehmen will. Ja und nein. -Bei Mars la Tour haben wir dieselbe Attacke geritten.«</p> - -<p>»Und doch …«</p> - -<p>»Und doch ist da ein gewisses <em class="antiqua">je ne sais quoi</em>.«</p> - -<p>»Sage nichts Französisches. Das verdrießt mich immer. -Manche sagen jetzt auch Englisches, was mir noch weniger gefällt. -Aber lassen wir das; ich finde nur, es wäre doch schrecklich, -wenn es so bloß nach der Zahl ginge. Was sollte denn da -das Regiment anfangen, bei dem ein Bruder unsrer guten -Schmargendorf steht? Es ist, glaube ich, das hundertfünfundvierzigste.«</p> - -<p>»Ja, wenn es so hoch kommt, dann vertut es sich wieder. -Aber so bei der Garde …«</p> - -<p>Die Domina schüttelte den Kopf. »Darin, mein lieber -Woldemar, kann ich dir doch kaum folgen. Unser Fix sagt -mitunter, ich sei zu exklusiv, aber so exklusiv bin ich doch noch -lange nicht. Und solch Verstandesmensch, wie du bist, so ruhig -und dabei so ›abgeklärt‹, wie manche jetzt sagen, und, Gott -verzeih mir die Sünde, auch so liberal, worüber selbst dein Vater -klagt. Und nun kommst du mir mit solchem Vorurteil, ja, -verzeih mir das Wort, mit solchen Überheblichkeiten. Ich erkenne -dich darin gar nicht wieder. Und wenn ich nun das erste -Garderegiment nehme, das ist ja doch auch ein erstes. Ist es -denn mehr als das zweite? Man kann ja sagen, soviel will -ich zugeben, sie haben die Blechmützen und sehen aus, als ob -sie lauter Holländerinnen heiraten wollten … Was ihnen -schon gefallen sollte.«</p> - -<p>»Den Holländerinnen?«</p> - -<p>»Nun, denen auch,« lachte die Tante. »Aber ich meinte -jetzt unsre Leute. Mißversteh mich übrigens nicht. Ich weiß<span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span> -recht gut, was es mit den großen Grenadieren auf sich hat; -aber die andern sind doch ebensogut, und Potsdam ist doch -schließlich bloß Potsdam.«</p> - -<p>»Ja, Tante, das ist es ja eben. Daß sie noch immer in Potsdam -sind, das macht es. Deshalb ist es nach wie vor die ›Potsdamer -Wachtparade‹. Und dann das Wort ›erstes‹ spielt allerdings -auch mit. Ein alter Römer, mit dessen Namen ich dich -nicht behelligen will, der wollte in seinem Potsdam lieber der -Erste, als in seinem Berlin der Zweite sein. Wer der Erste ist, -nun, der ist eben der Erste, und als die andern aufstanden, -da hatte dieser ›Erste‹ schon seinen Morgenspaziergang gemacht -und mitunter was für einen! Sieh, als das zweite Garderegiment -geboren wurde, da hatten die mit den Blechmützen -schon den ganzen Siebenjährigen Krieg hinter sich. Es ist damit -wie mit dem ältesten Sohn. Der älteste Sohn kann unter -Umständen dümmer und schlechter sein als sein Bruder, aber -er ist der älteste, das kann ihm keiner nehmen, und das gibt -ihm einen gewissen Vorrang, auch wenn er sonst gar keinen -Vorzug hat. Alles ist göttliches Geschenk. Warum ist der eine -hübsch und der andere häßlich? Und nun gar erst die Damen. -In das eine Fräulein verliebt sich alles, und das andre spielt -bloß Mauerblümchen. Es wird jedem seine Stelle gegeben. -Und so ist es auch mit unserm Regiment. Wir mögen nicht -besser sein als die andern, aber wir sind die ersten, wir haben -die Nummer eins.«</p> - -<p>»Ich kann da beim besten Willen nicht recht mit, Woldemar. -Was in unsrer Armee den Ausschlag gibt, ist doch immer -die Schneidigkeit.«</p> - -<p>»Liebe Tante, sprich, wovon du willst, nur nicht davon. -Das ist ein Wort für kleine Garnisonen. Wir wissen, was -wir zu tun haben. Dienst ist alles, und Schneidigkeit ist bloß -Renommisterei. Und das ist das, was bei uns am niedrigsten -steht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span></p> - -<p>»Gut, Woldemar; was du da zuletzt gesagt hast, das gefällt -mir. Und in diesem Punkte muß ich auch deinen Vater -loben. Er hat vieles, was mir nicht zusagt, aber darin ist er -doch ein echter Stechlin. Und du bist auch so. Und das hab ich -immer gefunden, alle, die so sind, die schießen zuletzt doch den -Vogel ab, ganz besonders auch bei den Damen.«</p> - -<p>Dies »bei den Damen« war nicht ohne Absicht gesprochen -und schien auf das bis dahin vorsichtig vermiedene Hauptthema -hinüberführen zu sollen. Aber ehe die Tante noch eine -direkte Frage stellen konnte, wurde der Rentmeister gemeldet, -der ihr in diesem Augenblicke sehr ungelegen kam. Die Domina -wandte sich denn auch in sichtlicher Verstimmung an Woldemar -und sagte: »Soll ich ihn fortschicken?«</p> - -<p>»Es wird kaum gehen, liebe Tante.«</p> - -<p>»Nun denn.«</p> - -<p>Und gleich danach trat Fix ein.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Zehntes_Kapitel">Zehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Während Woldemar und die Domina miteinander plauderten, -erst im Tete-a-Tete, dann in Gegenwart von Rentmeister -Fix, ritten Rex und Czako (Fritz mit dem Leinpferd -folgend) auf Cremmen zu. Das war noch eine tüchtige Strecke, -gute drei Meilen. Aber trotzdem waren beide Reiter übereingekommen, -nichts zu übereilen und sich's nach Möglichkeit -bequem zu machen. »Es ist am Ende gleichgültig, ob wir um -acht oder um neun über den Cremmer Damm reiten. Das -bißchen Abendrot, das da drüben noch hinter dem Kirchturm -steht … Fritz, wie heißt er? Welcher Kirchturm ist es? …« -– »Das ist der Wulkowsche, Herr Hauptmann!« – »… Also, -das bißchen Abendrot, das da noch hinter dem Wulkowschen -steht, wird ohnehin nicht lange mehr vorhalten. Dunkel wird's<span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span> -also doch, und von dem Hohenlohedenkmal, das ich mir übrigens -gern einmal näher angesehen hätte (man muß so was immer -auf dem Hinwege mitnehmen), kommt uns bei Tageslicht -nichts mehr vor die Klinge. Das Denkmal liegt etwas ab vom -Wege.«</p> - -<p>»Schade,« sagte Rex.</p> - -<p>»Ja, man kann es beinah sagen. Ich für meine Person -komme schließlich drüber hin, aber ein Mann wie Sie, Rex, -sollte dergleichen mehr wallfahrtartig auffassen.«</p> - -<p>»Ach Czako, Sie reden wieder tolles Zeug, diesmal mit einem -kleinen Abstecher ins Lästerliche. Was soll ›Wallfahrt‹ hier -überhaupt? Und dann, was haben Sie gegen Wallfahrten? -Und was haben Sie gegen die Hohenlohes?«</p> - -<p>»Gott, Rex, wie Sie sich wieder irren. Ich habe nichts gegen -die einen, und ich habe nichts gegen die andern. Alles, was -ich von Wallfahrten gelesen habe, hat mich immer nur wünschen -lassen, mal mit dabei zu sein. Und <em class="antiqua">ad vocem</em> der Hohenlohes, -so kann ich Ihnen nur sagen, für die hab ich sogar was übrig -in meinem Herzen, viel, viel mehr als für unser eigentliches -Landesgewächs. Oder, wenn Sie wollen, für unsre Autochthonen.«</p> - -<p>»Und das meinen Sie ganz ernsthaft?«</p> - -<p>»Ganz ernsthaft. Und wir wollen mal fünf Minuten wie -vernünftige Leute darüber reden. Wenn ich sage ›wir‹, so meine -ich natürlich mich. Denn Sie sprechen immer vernünftig. Vielleicht -ein bißchen zu sehr.«</p> - -<p>Rex lächelte. »Nun gut; ich will's Ihnen glauben.«</p> - -<p>»Also die Hohenlohes,« fuhr Czako fort. »Ja, wie steht es -damit? Wie liegt da die Sache? Da kommt hier so Anno -Domini ein Burggraf ins Land, und das Land will ihn nicht, -und er muß sich alles erst erobern, die Städte beinah und die -Schlösser gewiß. Und die Herzen natürlich erst recht. Und der -Kaiser sitzt mal wieder weitab und kann ihm nicht helfen.<span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span> -Und da hat nun dieser Nürnberger Burggraf, wenn's hoch -kommt, ein halbes Dutzend Menschen um sich, schwäbische -Leute, die mit ihm in diese Mördergrube hinabsteigen. Denn -ein bißchen so was war es. Und geht auch gleich los, und die -Quitzows und die, die's sein wollen, rufen die Pommern ins -Land, und hier auf diesem alten Cremmer Damm stoßen sie -zusammen, und die paar, die da fallen, das sind eben die -Schwaben, die's gewagt hatten und mit in den Kahn gestiegen -waren. Allen vorauf aber ein Graf, so ein Herr in mittleren -Jahren. Der fiel zuerst und versank in den Sumpf, und da -liegt er. Das heißt, sie haben ihn rausgeholt, und nun liegt -er in der Klosterkirche. Und dieser eine, der da voran fiel, der -hieß Hohenlohe.«</p> - -<p>»Ja, Czako, das weiß ich ja alles. Das steht ja schon im -Brandenburgischen Kinderfreund. Sie denken aber immer, -Sie haben so was allein gepachtet.«</p> - -<p>»Immer vorsichtig, Rex; im Kinderfreund steht es. Gewiß. -Aber was steht nicht alles – von Kinderfreund gar nicht -zu reden – in Bibel und Katechismus, und die Leute wissen -es doch nicht. Ich zum Beispiel. Und ob es nun drin steht -oder nicht drin steht, ich sage nur: so hat es angefangen, und so -läuft der Hase noch. Oder glauben Sie, daß der alte Fürst, der -jetzt dran ist, daß der zu seinem Spezialvergnügen in unser sogenanntes -Reichskanzlerpalais gezogen ist, drin die Bismarckschen -Nachfolger, die sich wahrhaftig nicht danach drängten, ihre -Tage vertrauern? Ein Opfer ist es, nicht mehr und nicht weniger, -und ein Opfer bringt auch der alte Fürst, gerade wie der, der -damals am Cremmer Damm als erster fiel. Und ich sage Ihnen, -Rex, das ist das, was mir imponiert; immer da sein, wenn Not -an Mann ist. Die Kleinen von hier, trotz der ›Loyalität bis auf -die Knochen‹, die mucken immer bloß auf, aber die wirklich -Vornehmen, die gehorchen, nicht einem Machthaber, sondern -dem Gefühl ihrer Pflicht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span></p> - -<p>Rex war einverstanden und wiederholte nur: »Schade, -daß wir so spät an dem Denkmal vorbeikommen.«</p> - -<p>»Ja, schade,« sagte Czako. »Wir müssen es uns aber schenken. -Im übrigen, denk ich, lassen wir in dem, was wir uns -noch weiter zu sagen haben, die Hohenlohes aus dem Spiel. -Andres liegt uns heute näher. Wie hat Ihnen denn eigentlich -die Schmargendorf gefallen?«</p> - -<p>»Ich werde mich hüten, Czako, Ihnen darauf zu antworten. -Außerdem haben Sie sie durch den Garten geführt, nicht ich, -und mir war immer, als ob ich Faust und Gretchen sähe.«</p> - -<p>Czako lachte. »Natürlich schwebt Ihnen das andre Paar -vor, und ich bin nicht böse darüber. Die Rolle, die mir dabei -zufällt – der mit der Hahnenfeder ist doch am Ende ne andre -Nummer wie der sentimentale ›Habe-nun-ach-Mann‹ – diese -Mephistorolle, sag ich, gefällt mir besser, und was die Schmargendorf -angeht, so kann ich nur sagen: Von meiner Martha lass' -ich nicht.«</p> - -<p>»Czako, Sie münden wieder ins Frivole.«</p> - -<p>»Gut, gut, Rex, Sie werden unwirsch, und Sie sollen recht -haben. Lassen wir also die Schmargendorf so gut wie die Hohenlohes. -Aber über die Domina ließe sich vielleicht sprechen, und -sind wir erst bei der Tante, so sind wir auch bald bei dem Neffen. -Ich fürchte, unser Freund Woldemar befindet sich in diesem -Augenblick in einer scharfen Zwickmühle. Die Domina liegt -ihm seit Jahr und Tag (er hat mir selber Andeutungen darüber -gemacht) mit Heiratsplänen in den Ohren, mutmaßlich weil ihr -die Vorstellung einer Stechlinlosen Welt einfach ein Schrecknis -ist. Solche alten Jungfern mit einer Granatbrosche haben -immer eine merkwürdig hohe Meinung von ihrer Familie. -Freilich auch andre, die klüger sein sollten. Unsre Leute gefallen -sich nun mal in der Idee, sie hingen mit dem Fortbestande -der göttlichen Weltordnung aufs engste zusammen. In Wahrheit -liegt es so, daß wir sämtlich abkommen können. Ohne die<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span> -Czakos geht es nun schon gewiß, wofür sozusagen historisch-symbolisch -der Beweis erbracht ist.«</p> - -<p>»Und die Rex?«</p> - -<p>»Vor diesem Namen mach ich halt.«</p> - -<p>»Wer's Ihnen glaubt. Aber lassen wir die Rex und lassen -wir die Czakos, und bleiben wir bei den Stechlins, will sagen -bei unserm Freunde Woldemar. Die Tante will ihn verheiraten, -darin haben Sie recht.«</p> - -<p>»Und ich habe wohl auch recht, wenn ich das eine heikle -Lage nenne. Denn ich glaube, daß er sich seine Freiheit wahren -will und mit Bewußtsein auf den Célibataire lossteuert.«</p> - -<p>»Ein Glauben, in dem Sie sich, lieber Czako, wie jedesmal, -wenn Sie zu glauben anfangen, in einem großen Irrtum -befinden.«</p> - -<p>»Das kann nicht sein.«</p> - -<p>»Es kann nicht bloß sein, es ist. Und ich wundre mich nur, -daß gerade Sie, der Sie doch sonst das Gras wachsen hören -und allen Gesellschaftsklatsch kennen wie kaum ein zweiter, -daß gerade Sie von dem allen kein Sterbenswörtchen vernommen -haben sollen. Sie verkehren doch auch bei den Xylanders, -ja, ich glaube, Sie da, letzten Winter, mal kämpfend am Büfett -gesehen zu haben.«</p> - -<p>»Gewiß.«</p> - -<p>»Und da waren an jenem Abend auch die Berchtesgadens, -Baron und Frau, und in lebhaftestem Gespräche mit diesem -bayerischen Baron ein distinguierter alter Herr und zwei Damen. -Und diese drei, das waren die Barbys.«</p> - -<p>»Die Barbys,« wiederholte Czako, »Botschaftsrat oder -dergleichen. Ja, gewiß, ich habe davon gehört; aber ich kann -mich jedenfalls nicht erinnern, ihn und die Damen gesehen zu -haben. Und sicherlich nicht an jenem Abend, wo ja von Vorstellen -keine Rede war, die reine Völkerschlacht. Aber Sie wollten -mir, glaube ich, von eben diesen Barbys erzählen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span></p> - -<p>»Ja, das wollt ich. Ich wollte Sie nämlich wissen lassen, -daß Ihr Célibataire seit Ausgang vorigen Winters in eben -diesem Hause regelmäßig verkehrt.«</p> - -<p>»Er wird wohl in vielen Häusern verkehren.«</p> - -<p>»Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, da das eine Haus -ihn ganz in Anspruch nimmt.«</p> - -<p>»Nun gut, so lassen wir ihn bei den Barbys. Aber was -bedeutet das?«</p> - -<p>»Das bedeutet, daß in einem solchen Hause verkehren und -sich mit einer Tochter verloben so ziemlich ein und dasselbe ist. -Bloß eine Frage der Zeit. Und die Tante wird sich damit aussöhnen -müssen, auch wenn sie, wie beinah gewiß, über ihr Herzblatt -bereits anders verfügt haben sollte. Solche Dinge begleichen -sich indessen fast immer. Unser Woldemar wird sich aber -mittlerweile vor ganz andre Schwierigkeiten gestellt sehen.«</p> - -<p>»Und die wären? Ist er nicht vornehm genug? Oder mankiert -vielleicht Gegenliebe?«</p> - -<p>»Nein, Czako, von ›mankierender Gegenliebe‹, wie Sie sich -auszudrücken belieben, kann keine Rede sein. Die Schwierigkeiten -liegen in was anderm. Es sind da nämlich, wie ich mir -schon anzudeuten erlaubte, zwei Komtessen im Hause. Nun, -die jüngere wird es wohl werden, schon weil sie eben die jüngere -ist. Aber so ganz sicher ist es doch keineswegs. Denn auch die -ältere, wiewohl schon über dreißig, ist sehr reizend und zum Überfluß -auch noch Witwe – das heißt eigentlich nicht Witwe, sondern -richtiger eine gleich nach der Ehe geschiedene Frau. Sie war nur -ein halbes Jahr verheiratet, oder vielleicht auch nicht verheiratet.«</p> - -<p>»Verheiratet, oder vielleicht auch nicht verheiratet,« wiederholte -Czako, während er unwillkürlich sein Pferd anhielt. »Aber -Rex, das ist ja hoch pikant. Und daß ich erst heute davon höre -und noch dazu durch Sie, der Sie sich von solchen Dingen doch -zunächst entsetzt abwenden müßten. Aber so seid ihr Konventikler. -Schließlich ist all dergleichen doch eigentlich euer Lieblingsfeld.<span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span> -Und nun erzählen Sie weiter, ich bin neugierig -wie ein Backfisch. Wer war denn der unglücklich Glückliche?«</p> - -<p>»Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, wer es war, -der diese ältere Komtesse heiratete. Nun dieser glücklich Unglückliche -– oder vielleicht auch umgekehrt – war auch Graf, -sogar ein italienischer (vorausgesetzt, daß Sie dies als eine -Steigerung ansehn), und hatte natürlich einen echt italienischen -Namen: Conte Ghiberti, derselbe Name wie der des florentinischen -Bildhauers, von dem die berühmten Türen herrühren.«</p> - -<p>»Welche Türen?«</p> - -<p>»Nun, die berühmten Baptisteriumtüren in Florenz, von -denen Michelangelo gesagt haben soll, ›sie wären wert, den Eingang -zum Paradiese zu bilden‹. Und diese Türen heißen denn auch, -ihrem großen Künstler zu Ehren, die Ghibertischen Türen. Übrigens -eine Sache, von der ein Mann wie Sie was wissen müßte.«</p> - -<p>»Ja, Rex, Sie haben gut reden von ›wissen müssen‹. Sie -sind aus einem großen Hause, haben mutmaßlich einen frommen -Kandidaten als Lehrer gehabt und sind dann auf Reisen gegangen, -wo man so feine Dinge wegkriegt. Aber ich! Ich bin -aus Ostrowo.«</p> - -<p>»Das ändert nichts.«</p> - -<p>»Doch, doch, Rex. Italienische Kunst! Ich bitte Sie, -wo soll dergleichen bei mir herkommen? Was Hänschen nicht -lernt, – dabei bleibt es nun mal. Ich erinnere mich noch ganz -deutlich einer Auktion in Ostrowo, bei der (es war in einem -kommerzienrätlichen Hause) schließlich ein roter Kasten zur -Versteigerung kam, ein Kasten mit Doppelbildern und einem -Opernkucker dazu, der aber keiner war. Und all das kaufte sich -meine Mutter. Und an diesem Stereoskopenkasten, ein Wort, -das ich damals noch nicht kannte, habe ich meine italienische Kunst -gelernt. Die ›Türen‹ waren aber nicht dabei. Was können Sie -da groß verlangen? Ich habe, wenn Sie das Wort gelten lassen -wollen, ne Panoptikumbildung.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span></p> - -<p>Rex lachte. »Nun, gleichviel. Also der Graf, der die ältere -Komtesse Barby heiratete, hieß Ghiberti. Seiner Ehe fehlten -indes durchaus die Himmelstüren, – soviel läßt sich mit aller -Bestimmtheit sagen. Und deshalb kam es zur Scheidung. Ja, -mehr, die scharmante Frau (›scharmant‹ ist übrigens ein viel -zu plebejes und minderwertiges Wort) hat in ihrer Empörung -den Namen Ghiberti wieder abgetan, und alle Welt nennt sie -jetzt nur noch bei ihrem Vornamen.«</p> - -<p>»Und der ist?«</p> - -<p>»Melusine.«</p> - -<p>»Melusine? Hören Sie, Rex, das läßt aber tief blicken.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Unter diesem Gespräch waren sie bis an den Cremmer -Damm herangekommen. Es dunkelte schon stark, und ein Gewölk, -das am Himmel hinzog, verbarg die Mondsichel. Ein -paarmal indessen trat sie hervor, und dann sahen sie bei halber -Beleuchtung das Hohenlohedenkmal, das unten im Luche -schimmerte. Hinunterzureiten, was noch einmal flüchtig in -Erwägung gezogen wurde, verbot sich, und so setzten sie sich -in einen munteren Trab und hielten erst wieder in Cremmen -vor dem Gasthause zum »Markgrafen Otto«. Es schlug eben -neun von der Nikolaikirche.</p> - -<p>Drinnen war man bald in einem lebhaften Gespräch, in -dem sich Rex über die in der Stadt herrschende Gesinnung -und Kirchlichkeit zu unterrichten suchte. Der Wirt stellte der -einen wie der andern ein gleich gutes Zeugnis aus und hatte -die Genugtuung, daß ihm Rex freundlich zunickte. Czako aber -sagte: »Sagen Sie, Herr Wirt, Sie haben da ein so schönes -Billard; ich habe mir jüngst erst sagen lassen, wenn's wirklich -flott gehe, so könne man's im Jahr bis auf dreitausend Mark -bringen. Natürlich bei zwölfstündigem Arbeitstag. Wie steht -es damit? Für möglich halt ich es.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span></p> - -<h2 id="Nach_dem_Eierhaeuschen">Nach dem Eierhäuschen</h2> - -<h3 id="Elftes_Kapitel">Elftes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Die Barbys, der alte Graf und seine zwei Töchter, lebten -seit einer Reihe von Jahren in Berlin, und zwar am Kronprinzenufer, -zwischen Alsen- und Moltkebrücke. Das Haus, -dessen erste Etage sie bewohnten, unterschied sich, ohne sonst -irgendwie hervorragend zu sein (Berlin ist nicht reich an Privathäusern, -die Schönheit und Eigenart in sich vereinigen), immerhin -vorteilhaft von seinen Nachbarhäusern, von denen es durch -zwei Terrainstreifen getrennt wurde; der eine davon ein kleiner -Baumgarten, mit allerlei Buschwerk dazwischen, der andre ein -Hofraum mit einem zierlichen, malerisch wirkenden Stallgebäude, -dessen obere Fenster, hinter denen sich die Kutscherwohnung -befand, von wildem Wein umwachsen waren. Schon -diese Lage des Hauses hätte demselben ein bestimmtes Maß -von Aufmerksamkeit gesichert, aber auch seine Fassade mit ihren -zwei Loggien links und rechts ließ die des Weges Kommenden -unwillkürlich ihr Auge darauf richten. Hier, in eben diesen -Loggien, verbrachte die Familie mit Vorliebe die Früh- und -Nachmittagsstunden und bevorzugte dabei, je nach der Jahreszeit, -mal den zum Zimmer des alten Grafen gehörigen, in -pompejischem Rot gehaltenen Einbau, mal die gleichartige -Loggia, die zum Zimmer der beiden jungen Damen gehörte. -Dazwischen lag ein dritter großer Raum, der als Repräsentations- -und zugleich als Eßzimmer diente. Das war, mit Ausnahme<span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span> -der Schlaf- und Wirtschaftsräume, das Ganze, worüber -man Verfügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beschränkt, -hing aber sehr an dem Hause, so daß ein Wohnungswechsel, -oder auch nur der Gedanke daran, so gut wie ausgeschlossen -war. Einmal hatte die liebenswürdige, besonders mit -Gräfin Melusine befreundete Baronin Berchtesgaden einen -solchen Wohnungswechsel in Vorschlag gebracht, aber nur um -sofort einem lebhaften Widerspruche zu begegnen. »Ich sehe -schon, Baronin, Sie führen den ganzen Lennéstraßenstolz -gegen uns ins Gefecht. Ihre Lennéstraße! Nun ja, wenn's -sein muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den Lessing -ganz und den Goethe halb. Und um beides will ich Sie -beneiden und Ihnen auch die Spreewaldsammen in Rechnung -stellen. Aber die Lennéstraßenwelt ist geschlossen, ist zu, sie hat -keinen Blick ins Weite, kein Wasser, das fließt, keinen Verkehr, -der flutet. Wenn ich in unsrer Nische sitze, die lange Reihe der -herankommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah -und nicht zu weit, und sehe dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch -durchglüht und in dem Filigranwerk der Ausstellungsparktürmchen -schimmert, was will Ihre grüne Tiergartenwand -dagegen?« Und dabei wies die Gräfin auf einen -gerade vorüberdampfenden Zug, und die Baronin gab sich zufrieden.</p> - -<p>Ein solcher Abend war auch heute; die Balkontür stand -auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf seine Lichter auf den -schweren Teppich, der durch das ganze Zimmer hin lag. Es -mochte die sechste Stunde sein, und die Fenster drüben an den -Häusern der andern Seite standen wie in roter Glut. Ganz in -der Nähe des Kamins saß Armgard, die jüngere Tochter, in -ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußspitze leicht auf den -Ständer gestemmt. Die Stickerei, daran sie bis dahin gearbeitet, -hatte sie, seit es zu dunkeln begann, aus der Hand gelegt und -spielte statt dessen mit einem Ballbecher, zu dem sie regelmäßig<span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span> -griff, wenn es galt, leere Minuten auszufüllen. Sie spielte das -Spiel sehr geschickt, und es gab immer einen kleinen hellen -Schlag, wenn der Ball in den Becher fiel. Melusine stand -draußen auf dem Balkon, die Hand an die Stirn gelegt, um -sich gegen die Blendung der untergehenden Sonne zu schützen.</p> - -<p>»Armgard,« rief sie in das Zimmer hinein, »komm; die -Sonne geht eben unter!«</p> - -<p>»Laß. Ich sehe hier lieber in den Kamin. Und ich habe -auch schon zwölfmal gefangen.«</p> - -<p>»Wen?«</p> - -<p>»Nun natürlich den Ball.«</p> - -<p>»Ich glaube, du fingst lieber wen anders. Und wenn ich -dich so dasitzen sehe, so kommt es mir fast vor, als dächtest du -selber auch so was. Du sitzt so märchenhaft da.«</p> - -<p>»Ach, du denkst immer nur an Märchen und glaubst, weil -du Melusine heißt, du hast so was wie eine Verpflichtung -dazu.«</p> - -<p>»Kann sein. Aber vor allem glaub ich, daß ich es getroffen -habe. Weißt du, was?«</p> - -<p>»Nun?«</p> - -<p>»Ich kann es so leicht nicht sagen. Du sitzt zu weit ab.«</p> - -<p>»Dann komm und sag es mir ins Ohr.«</p> - -<p>»Das ist zuviel verlangt. Denn erstens bin ich die ältere, -und zweitens bist du's, die was von mir will. Aber ich will es -so genau nicht nehmen.«</p> - -<p>Und dabei ging Melusine vom Balkon her auf die Schwester -zu, nahm ihr das Fangspiel fort und sagte, während sie ihr die -Hand auf die Stirn legte: »Du bist verliebt.«</p> - -<p>»Aber Melusine, was das nun wieder soll! Und wenn man -so klug ist wie du … Verliebt. Das ist ja gar nichts; etwas -verliebt ist man immer.«</p> - -<p>»Gewiß. Aber in wen? Da beginnen die Fragen und die -Finessen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span></p> - -<p>In diesem Augenblicke ging die Klingel draußen, und Armgard -horchte.</p> - -<p>»Wie du dich verrätst,« lachte Melusine. »Du horchst und -willst wissen, wer kommt.«</p> - -<p>Melusine wollte noch weiter sprechen, aber die Tür ging -bereits auf und Lizzi, die Kammerjungfer der beiden Schwestern, -trat ein, unmittelbar hinter ihr ein Gersonscher Livreediener -mit einem in einen Riemen geschnallten Karton. »Er -bringt die Hüte,« sagte die Kammerjungfer.</p> - -<p>»Ah, die Hüte. Ja, Armgard, da müssen wir freilich unsre -Frage vertagen. Was doch wohl auch deine Meinung ist. Bitte, -stellen Sie hin. Aber Lizzi, du, du bleibst und mußt uns -helfen; du hast einen guten Geschmack. Übrigens, ist kein Stehspiegel -da?«</p> - -<p>»Soll ich ihn holen?«</p> - -<p>»Nein, nein, laß. Unsre Köpfe, worauf es doch bloß ankommt, -können wir schließlich auch in diesem Spiegel sehen … -Ich denke, Armgard, du läßt mir die Vorhand; dieser hier -mit dem Heliotrop und den Stiefmütterchen, der ist natürlich -für mich; er hat den richtigen Frauencharakter, fast schon -Witwe.«</p> - -<p>Unter diesen Worten setzte sie sich den Hut auf und trat an -den Spiegel. »Nun, Lizzi, sprich.«</p> - -<p>»Ich weiß nicht recht, Frau Gräfin, er scheint mir nicht modern -genug. Der, den Komtesse Armgard eben aufsetzt, der -würde wohl auch für Frau Gräfin besser passen – die hohen -Straußfedern, wie ein Ritterhelm, und auch die Hutform selbst. -Hier ist noch einer, fast ebenso und beinah noch hübscher.«</p> - -<p>Beide Damen stellten sich jetzt vor den Spiegel; Armgard, -hinter der Schwester stehend und größer als diese, sah über -deren linke Schulter fort. Beide gefielen sich ungemein, und -schließlich lachten sie, weil jede der andern ansah, wie hübsch -sie sich fand.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span></p> - -<p>»Ich möchte doch beinah glauben …,« sagte Melusine, -kam aber nicht weiter, denn in eben diesem Augenblicke trat -ein in schwarzen Frack und Escarpins gekleideter alter Diener -ein und meldete: »Rittmeister von Stechlin.«</p> - -<p>Unmittelbar darauf erschien denn auch Woldemar selbst -und verbeugte sich gegen die Damen. »Ich fürchte, daß ich zu -sehr ungelegener Stunde komme.«</p> - -<p>»Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Um wessentwillen -quälen wir uns denn überhaupt mit solchen Sachen? Doch -bloß um unsrer Gebieter willen, die man ja (vielleicht leider) -auch noch hat, wenn man sie nicht mehr hat.«</p> - -<p>»Immer die liebenswürdige Frau.«</p> - -<p>»Keine Schmeicheleien. Und dann, diese Hüte sind wichtig. -Ich nehm es als eine Fügung, daß Sie da gerade hinzukommen; -Sie sollen entscheiden. Wir haben freilich schon Lizzis -Meinung angerufen, aber Lizzi ist zu diplomatisch; Sie sind -Soldat und müssen mehr Mut haben; Armgard, sprich auch; -du bist nicht mehr jung genug, um noch ewig die Verlegene zu -spielen. Ich bin sonst gegen alle Gutachten, namentlich in -Prozeßsachen (ich weiß ein Lied davon zu singen), aber ein Gutachten -von Ihnen, da laß ich all meine Bedenken fallen. Außerdem -bin ich für Autoritäten, und wenn es überhaupt Autoritäten -in Sachen von Geschmack und Mode gibt, wo wären sie besser -zu finden als im Regiment Ihrer Kaiserlich Königlichen Majestät -von Großbritannien und Indien? Irland laß ich absichtlich -fallen und nehme lieber Indien, woher aller gute Geschmack -kommt, alle alte Kultur, alle Schals und Teppiche, -Buddha und die weißen Elefanten. Also antreten, Armgard; -du natürlich an den rechten Flügel, denn du bist größer. Und -nun, lieber Stechlin, wie finden Sie uns?«</p> - -<p>»Aber, meine Damen …«</p> - -<p>»Keine Feigheiten. Wie finden Sie uns?«</p> - -<p>»Unendlich nett.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span></p> - -<p>»Nett? Verzeihen Sie, Stechlin, nett ist kein Wort. Wenigstens -kein nettes Wort. Oder wenigstens ungenügend.«</p> - -<p>»Also schlankweg entzückend.«</p> - -<p>»Das ist gut. Und zur Belohnung die Frage: wer ist entzückender?«</p> - -<p>»Aber Frau Gräfin, das ist ja die reine Geschichte mit dem -seligen Paris. Bloß, er hatte es viel leichter, weil es drei -waren. Aber zwei. Und noch dazu Schwestern.«</p> - -<p>»Wer? Wer?«</p> - -<p>»Nun, wenn es denn durchaus sein muß, Sie, gnädigste -Frau.«</p> - -<p>»Schändlicher Lügner. Aber wir behalten diese zwei Hüte. -Lizzi, gib all das andre zurück. Und Jeserich soll die Lampen -bringen; draußen ein Streifen Abendrot und hier drinnen ein -verglimmendes Feuer, – das ist denn doch zu wenig oder, -wenn man will, zu gemütlich.«</p> - -<p>Die Lampen hatten draußen schon gebrannt, so daß sie -gleich da waren.</p> - -<p>»Und nun schließen Sie die Balkontür, Jeserich, und sagen -Sie's Papa, daß der Herr Rittmeister gekommen. Papa ist -nicht gut bei Wege, wieder die neuralgischen Schmerzen; aber -wenn er hört, daß Sie da sind, so tut er ein übriges. Sie wissen, -Sie sind sein Verzug. Man weiß immer, wenn man Verzug ist. -Ich wenigstens hab es immer gewußt.«</p> - -<p>»Das glaub ich.«</p> - -<p>»Das glaub ich! Wie wollen Sie das erklären?«</p> - -<p>»Einfach genug, gnädigste Gräfin. Jede Sache will gelernt -sein. Alles ist schließlich Erfahrung. Und ich glaube, daß -Ihnen reichlich Gelegenheit gegeben wurde, der Frage ›Verzug -oder Nichtverzug‹ praktisch näherzutreten.«</p> - -<p>»Gut herausgeredet. Aber nun, Armgard, sage dem Herrn -von Stechlin (ich persönlich getraue mich's nicht), daß wir in -einer halben Stunde fort müssen, Opernhaus, ›Tristan und<span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span> -Isolde‹. Was sagen Sie dazu? Nicht zu Tristan und Isolde, -nein, zu der heikleren Frage, daß wir eben gehen, im selben -Augenblick, wo Sie kommen. Denn ich seh es Ihnen an, Sie -kamen nicht so bloß um ›<em class="antiqua">five o'clock tea's</em>‹ willen, Sie hatten -es besser mit uns vor. Sie wollten bleiben …«</p> - -<p>»Ich bekenne …«</p> - -<p>»Also getroffen. Und zum Zeichen, daß Sie großmütig -sind und Verzeihung üben, versprechen Sie, daß wir Sie bald -wiedersehen, recht, recht bald. Ihr Wort darauf. Und dem -Papa, der Sie vielleicht erwartet, wenn es Jeserich für gut befunden -hat, die Meldung auszurichten, – dem Papa werd ich -sagen, Sie hätten nicht bleiben können, eine Verabredung, -Klub oder sonst was.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Während Woldemar nach diesem abschließenden Gespräch -mit Melusine die Treppe hinabstieg und auf den nächsten -Droschkenstand zuschritt, saß der alte Graf in seinem Zimmer -und sah, den rechten Fuß auf einen Stuhl gelehnt, durch das -Balkonfenster auf den Abendhimmel. Er liebte diese Dämmerstunde, -drin er sich nicht gerne stören ließ (am wenigsten gern -durch vorzeitig gebrachtes Licht), und als Jeserich, der das also -wußte, jetzt eintrat, war es nicht, um dem alten Grafen die Lampe -zu bringen, sondern nur um ein paar Kohlen aufzuschütten.</p> - -<p>»Wer war denn da, Jeserich?«</p> - -<p>»Der Herr Rittmeister.«</p> - -<p>»So, so. Schade, daß er nicht geblieben ist. Aber freilich, -was soll er mit mir? Und der Fuß und die Schmerzen, dadurch -wird man auch nicht interessanter. Armgard und nun gar erst -Melusine, ja, da geht es, da redet sich's schon besser, und das -wird der Rittmeister wohl auch finden. Aber soviel ist richtig, -ich spreche gern mit ihm; er hat so was Ruhiges und Gesetztes -und immer schlicht und natürlich. Meinst du nicht auch?«</p> - -<p>Jeserich nickte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span></p> - -<p>»Und glaubst du nicht auch (denn warum käme er sonst so -oft), daß er was vorhat?«</p> - -<p>»Glaub ich auch, Herr Graf.«</p> - -<p>»Na, was glaubst du?«</p> - -<p>»Gott, Herr Graf …«</p> - -<p>»Ja, Jeserich, du willst nicht raus mit der Sprache. Das -hilft dir aber nichts. Wie denkst du dir die Sache?«</p> - -<p>Jeserich schmunzelte, schwieg aber weiter, weshalb dem alten -Grafen nichts übrig blieb, als seinerseits fortzufahren. »Natürlich -paßt Armgard besser, weil sie jung ist; es ist so mehr -das richtige Verhältnis, und überhaupt, Armgard ist sozusagen -dran. Aber, weiß der Teufel, Melusine …«</p> - -<p>»Freilich, Herr Graf.«</p> - -<p>»Also du hast doch auch so was gesehen. Alles dreht sich -immer um die. Wie denkst du dir nun den Rittmeister? Und -wie denkst du dir die Damen? Und wie steht es überhaupt? -Ist es die oder ist es die?«</p> - -<p>»Ja, Herr Graf, wie soll ich darüber denken? Mit Damen -weiß man ja nie – vornehm und nicht vornehm, klein und -groß, arm und reich, das is all eins. Mit unsrer Lizzi is es -gerad ebenso wie mit Gräfin Melusine. Wenn man denkt, -es is so, denn is es so, und wenn man denkt, es is so, denn is -es wieder so. Wie meine Frau noch lebte, Gott habe sie selig, -die sagte auch immer: ›Ja, Jeserich, was du dir bloß denkst; -wir sind eben ein Rätsel.‹ Ach Gott, sie war ja man einfach, -aber das können Sie mir glauben, Herr Graf, so sind sie alle.«</p> - -<p>»Hast ganz recht, Jeserich. Und deshalb können wir auch -nicht gegen an. Und ich freue mich, daß du das auch so scharf -aufgefaßt hast. Du bist überhaupt ein Menschenkenner. Wo -du's bloß her hast? Du hast so was von nem Philosophen. -Hast du schon mal einen gesehen?«</p> - -<p>»Nein, Herr Graf. Wenn man so viel zu tun hat und immer -Silber putzen muß.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span></p> - -<p>»Ja, Jeserich, das hilft doch nu nich, davon kann ich dich -nicht freimachen …«</p> - -<p>»Nein, so mein ich es ja auch nich, Herr Graf, und ich bin -ja auch fürs Alte. Gute Herrschaft und immer denken, ›man -gehört so halb wie mit dazu,‹ – dafür bin ich. Und manche -sollen ja auch halb mit dazu gehören … Aber ein bißchen anstrengend -is es doch mitunter, und man is doch am Ende auch -ein Mensch …«</p> - -<p>»Na, höre, Jeserich, das hab ich dir doch noch nicht abgesprochen.«</p> - -<p>»Nein, nein, Herr Graf. Gott, man sagt so was bloß. -Aber ein bißchen is es doch damit …«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Zwoelftes_Kapitel">Zwölftes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Woldemar – wie Rex seinem Freunde Czako, als beide -über den Cremmer Damm ritten, ganz richtig mitgeteilt -hatte – verkehrte seit Ausgang des Winters im Barbyschen -Hause, das er sehr bald vor andern Häusern seiner Bekanntschaft -bevorzugte. Vieles war es, was ihn da fesselte, voran die beiden -Damen; aber auch der alte Graf. Er fand Ähnlichkeiten, selbst -in der äußern Erscheinung, zwischen dem Grafen und seinem -Papa, und in seinem Tagebuche, das er, trotz sonstiger Modernität, -in altmodischer Weise von jung an führte, hatte er sich gleich -am ersten Abend über eine gewisse Verwandtschaft zwischen den -beiden geäußert. Es hieß da unterm achtzehnten April: »Ich -kann Wedel nicht dankbar genug sein, mich bei den Barbys eingeführt -zu haben; alles, was er von dem Hause gesagt, fand -ich bestätigt. Diese Gräfin, wie charmant, und die Schwester -ebenso, trotzdem größere Gegensätze kaum denkbar sind. An -der einen alles Temperament und Anmut, an der andern alles -Charakter oder, wenn das zuviel gesagt sein sollte, Schlichtheit,<span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span> -Festigkeit. Es bleibt mit den Namen doch eine eigene Sache; -die Gräfin ist ganz Melusine und die Komtesse ganz Armgard. -Ich habe bis jetzt freilich nur eine dieses Namens kennen gelernt, -noch dazu bloß als Bühnenfigur, und ich mußte beständig -an diese denken, wie sie da (ich glaube, es war Fräulein -Stolberg, die ja auch das Maß hat) dem Landvogt so -mutig in den Zügel fällt. Ganz so wirkt Komtesse Armgard! -Ich möchte beinah sagen, es läßt sich an ihr wahrnehmen, -daß ihre Mutter eine richtige Schweizerin war. -Und dazu der alte Graf! Wie ein Zwillingsbruder von Papa; -derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen, dieselbe Freundlichkeit, -dieselbe gute Laune. Papa ist aber ausgiebiger und auch -wohl origineller. Vielleicht hat der verschiedene Lebensgang -diese Verschiedenheiten erst geschaffen. Papa sitzt nun seit -richtigen dreißig Jahren in seinem Ruppiner Winkel fest, der -Graf war ebensolange draußen! Ein Botschaftsrat ist eben was -anderes als ein Ritterschaftsrat, und an der Themse wächst -man sich anders aus als am ›Stechlin‹ – unsern Stechlin dabei -natürlich in Ehren. Trotzdem, die Verwandtschaft bleibt. -Und der alte Diener, den sie Jeserich nennen, der ist nun schon -ganz und gar unser Engelke vom Kopf bis zur Zeh. Aber was -am verwandtesten ist, das ist doch die gesamte Hausatmosphäre, -das Liberale. Papa selbst würde zwar darüber lachen – -er lacht über nichts so sehr wie über Liberalismus –, und doch -kenne ich keinen Menschen, der innerlich so frei wäre, wie gerade -mein guter Alter. Zugeben wird er's freilich nie und wird in -dem Glauben sterben: ›Morgen tragen sie einen echten alten -Junker zu Grabe.‹ Das ist er auch, aber doch auch wieder das -volle Gegenteil davon. Er hat keine Spur von Selbstsucht. -Und diesen schönen Zug (ach, so selten), den hat auch der alte -Graf. Nebenher freilich ist er Weltmann, und das gibt dann -den Unterschied und das Übergewicht. Er weiß – was sie hierzulande -nicht wissen oder nicht wissen wollen –, daß hinterm<span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span> -Berge auch noch Leute wohnen. Und mitunter noch ganz -andre.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das waren die Worte, die Woldemar in sein Tagebuch eintrug. -Von allem, was er gesehen, war er angenehm berührt -worden, auch von Haus und Wohnung. Und dazu war guter -Grund da, mehr als er nach seinem ersten Besuche wissen konnte. -Das von der gräflichen Familie bewohnte Haus mit seinen -Loggien und seinem diminutiven Hof und Garten teilte sich in -zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre besondern Annexe -hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene -pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutscher, -Herr Imme, residierte, während zu dem die zweite Hälfte des -Hauses bildenden Hochparterre ziemlich selbstverständlich noch -das kleine niedrige Souterrain gerechnet wurde, drin, außer -Portier Hartwig selbst, dessen Frau, sein Sohn Rudolf und seine -Nichte Hedwig wohnten. Letztere freilich nur zeitweilig, und zwar -immer nur dann, wenn sie, was allerdings ziemlich häufig -vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die Wirtin des Hauses, -Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz, hätte diesen gelegentlichen -Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanstanden -müssen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres, -quickes und sehr anstelliges Ding war und manches besaß, -was die Schickedanz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienstwechsels -wieder aussöhnte.</p> - -<p>Die Schickedanz, eine Frau von sechzig, war schon verwitwet, -als im Herbst fünfundachtzig die Barbys einzogen, Komtesse -Armgard damals erst zehnjährig. Frau Schickedanz selbst war -um jene Zeit noch in Trauer, weil ihr Gatte, der Versicherungssekretär, -erst im Dezember des vorausgegangenen Jahres gestorben -war, »drei Tage vor Weihnachten«, ein Umstand, -auf den der Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in seiner Leichenrede -beständig hingewiesen und die gewollte Wirkung auch<span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span> -richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz selbst -und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die während der -ganzen Rede beständig mit dem Kopf genickt und nachträglich -ihrem Manne bemerkt hatte: »Ja. Hartwig, da liegt doch was -drin.« Hartwig selber indes, der, im Gegensatz zu den meisten -seines Standes, humoristisch angeflogen war, hatte für die -merkwürdige Fügung von »drei Tage vor Weihnachten« nicht -das geringste Verständnis gezeigt, vielmehr nur die Bemerkung -dafür gehabt: »Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich -dabei denkst? Ein Tag ist wie der andre; mal muß man -ran,« – worauf die Frau jedoch geantwortet hatte: »Ja, Hartwig, -das sagst du so immer; aber wenn du dran bist, dann redst -du anders.«</p> - -<p>Der verstorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn ankam, -ein Leben hinter sich, das sich in zwei sehr verschiedene -Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und in eine ganz -große, teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte lange gedauert, -die große nur ganz kurz. Er war ein Ziegelstreichersohn aus dem -bei Potsdam gelegenen Dorfe Kaputt, was er, als er aus dem -diesem Dorfnamen entsprechenden Zustande heraus war, in -Gesellschaft guter Freunde gern hervorhob. Es war so ziemlich -der einzige Witz seines Lebens, an dem er aber zäh festhielt, weil -er sah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen so weit, -ihm den Witz auch noch moralisch gutzuschreiben und behaupteten: -Schickedanz sei nicht bloß ein Charakter, sondern auch -eine bescheidene Natur.</p> - -<p>Ob dies zutraf, wer will es sagen! Aber das war sicher, -daß er sich von Anfang an als ein aufgeweckter Junge gezeigt -hatte. Schon mit sechzehn war er als Hilfsschreiber in die deutsch-englische -Hagelversicherungsgesellschaft Pluvius eingetreten und -hatte mit sechsundsechzig sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum -in eben dieser Gesellschaft gefeiert. Das war aus bestimmten -Gründen ein großer Tag gewesen. Denn als Schickedanz ihn<span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span> -erlebte, hieß er nur noch so ganz obenhin »Herr Versicherungssekretär«, -war aber in Wahrheit über diesen seinen Titel weit -hinausgewachsen und besaß bereits das schöne Haus am Kronprinzenufer. -Er hatte sich das leisten können, weil er im Laufe -der letzten fünf Jahre zweimal hintereinander ein Viertel vom -großen Lose gewonnen hatte. Dies sah er sich allerseits als -persönliches Verdienst angerechnet und auch wohl mit Recht. -Denn arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann nicht -jeder. Und so blieb er denn bei der Versicherungsgesellschaft -lediglich nur noch als verhätscheltes Zierstück, weil es damals -wie jetzt einen guten Eindruck machte, Personen der Art -im Dienst oder gar als Teilnehmer zu haben. An der Spitze muß -immer ein Fürst stehen. Und Schickedanz war jetzt Fürst. Alles -drängte sich nicht bloß an ihn, sondern seine Stammtischfreunde, -die zu seiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes -Vertrauen hatten, drangen sogar eine Zeitlang in ihn, die -Lotterielose für sie zu ziehen. Aber keiner gewann, was schließlich -einen Umschlag schuf und einzelne von »bösem Blick« und -sogar ganz unsinnigerweise von Mogelei sprechen ließ. Die -meisten indessen hielten es für klug, ihr Übelwollen zurückzuhalten; -war er doch immerhin ein Mann, der jedem, wenn er -wollte, Deckung und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz' -Glück und Ansehen waren groß, am größten natürlich an seinem -Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer da alles kam. Nur ein -Orden kam nicht, was denn auch von einigen Schickedanzfanatikern -sehr mißliebig bemerkt wurde. Besonders schmerzlich -empfand es die Frau. »Gott, er hat doch immer so treu -gewählt,« sagte sie. Sie kam aber nicht in die Lage, sich in diesen -Schmerz einzuleben, da schon die nächsten Zeiten bestimmt -waren, ihr Schwereres zu bringen. Am 21. September war -das Jubiläum gewesen, am 21. Oktober erkrankte er, am 21. Dezember -starb er. Auf dem Notizenzettel, den man damals dem -Kandidaten zugestellt hatte, hatte dieser dreimal wiederkehrende<span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span> -»einundzwanzigste« gefehlt, was alles in allem wohl als ein -Glück angesehen werden konnte, weil, entgegengesetztenfalls -die »drei Tage vor Weihnachten« entweder gar nicht zustande -gekommen oder aber durch eine geteilte Herrschaft in ihrer -Wirkung abgeschwächt worden wären.</p> - -<p>Schickedanz war bei voller Besinnung gestorben. Er rief, -kurz vor seinem Ende, seine Frau an sein Bett und sagte: -»Riekchen, sei ruhig. Jeder muß. Ein Testament hab ich nicht -gemacht. Es gibt doch bloß immer Zank und Streit. Auf -meinem Schreibtisch liegt ein Briefbogen, drauf hab ich alles -Nötige geschrieben. Viel wichtiger ist mir das mit dem Haus. -Du mußt es behalten, damit die Leute sagen können: ›Da wohnt -Frau Schickedanz.‹ Hausname, Straßenname, das ist überhaupt -das Beste. Straßenname dauert noch länger als Denkmal.«</p> - -<p>»Gott, Schickedanz, sprich nicht so viel; es strengt dich an. -Ich will es ja alles heilig halten, schon aus Liebe …«</p> - -<p>»Das ist recht, Riekchen. Ja, du warst immer eine gute -Frau, wenn wir auch keine Nachfolge gehabt haben. Aber darum -bitte ich dich, vergiß nie, daß es meine Puppe war. Du darfst -bloß vornehme Leute nehmen; reiche Leute, die bloß reich sind, -nimm nicht; die quängeln bloß und schlagen große Haken in -die Türfüllung und hängen eine Schaukel dran. Überhaupt, -wenn es sein kann, keine Kinder. Hartwigen unten mußt du -behalten; er ist eigentlich ein Klugschmus, aber die Frau ist gut. -Und der kleine Rudolf, mein Patenkind, wenn er ein Jahr alt -wird, soll er hundert Taler kriegen. Taler, nicht Mark. Und -der Schullehrer in Kaputt soll auch hundert Taler kriegen. -Der wird sich wundern. Aber darauf freu ich mich schon. Und -auf dem Invalidenkirchhof will ich begraben sein, wenn es -irgend geht. Invalide ist ja doch eigentlich jeder. Und anno -siebzig war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den -Feind, trotzdem Luchterhand immer sagte: ›Nicht so nah ran.<span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span>‹ -Sei freundlich gegen die Leute und nicht zu sparsam (du bist -ein bißchen zu sparsam) und bewahre mir einen Platz in deinem -Herzen. Denn treu warst du, das sagt mir eine innere Stimme.«</p> - -<p>Diesem allem hatte Riekchen seitdem gelebt. Die Beletage, -die leer stand, als Schickedanz starb, blieb noch drei Vierteljahre -unbewohnt, trotzdem sich viele Herrschaften meldeten. -Aber sie deckten sich nicht mit der Forderung, die Schickedanz -vor seinem Hinscheiden gestellt hatte. Herbst fünfundachtzig -kamen dann die Barbys. Die kleine Frau sah gleich »ja, das -sind die, die mein Seliger gemeint hat«. Und sie hatte wirklich -richtig gewählt. In den fast zehn Jahren, die seitdem verflossen -waren, war es auch nicht ein einziges Mal zu Konflikten gekommen, -mit der gräflichen Familie schon gewiß nicht, aber -auch kaum mit den Dienerschaften. Ein persönlicher Verkehr -zwischen Erdgeschoß und Beletage konnte natürlich nicht stattfinden, -– Hartwig war einfach der <em class="antiqua">alter ego</em>, der mit Jeserich -alles Nötige durchzusprechen hatte. Kam es aber ausnahmsweise -zwischen Wirtin und Mieter zu irgendeiner Begegnung, -so bewahrte dabei die kleine winzige Frau (die nie »viel« war -und seit ihres Mannes Tode noch immer weniger geworden -war) eine merkwürdig gemessene Haltung, die jedem mit dem -Berliner Wesen Unvertrauten eine Verwunderung abgenötigt -haben würde. Riekchen empfand sich nämlich in solchem Augenblicke -durchaus als »Macht gegen Macht«. Wie beinah jedem -hierlandes Geborenen, war auch ihr die Gabe wirklichen Vergleichenkönnens -völlig versagt, weil jeder echte, mit Spreewasser -getaufte Berliner, männlich oder weiblich, seinen Zustand -nur an seiner eigenen kleinen Vergangenheit, nie aber an -der Welt draußen mißt, von der er, wenn er ganz echt ist, weder -eine Vorstellung hat noch überhaupt haben will. Der autochthone -»Kellerwurm«, wenn er fünfzig Jahre später in eine -Steglitzer Villa zieht, bildet – auch wenn er seiner Natur nach -eigentlich der bescheidenste Mensch ist – eine gewisse naive<span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span> -Krösusvorstellung in sich aus und glaubt ganz ernsthaft, jenen -Gold- und Silberkönigen zuzugehören, die die Welt regieren. -So war auch die Schickedanz. Hinter einem Dachfenster in der -Georgenkirchstraße geboren, an welchem Dachfenster sie später -für ein Weißzeuggeschäft genäht hatte, kam ihr ihr Leben, wenn -sie rückblickte, wie ein Märchen vor, drin sie die Rolle der Prinzessin -spielte. Dementsprechend durchdrang sie sich, still aber -stark, mit einem Hochgefühl, das sowohl Geld- wie Geburtsgrößen -gegenüber auf Ebenbürtigkeit lossteuerte. Sie rangierte -sich ein und wies sich, soweit ihre historische Kenntnis das -zuließ, einen ganz bestimmten Platz an: Fürst Dolgorucki, Herzog -von Devonshire, Schickedanz.</p> - -<p>Die Treue, die der Verstorbene noch in seinen letzten Augenblicken -ihr nachgerühmt hatte, steigerte sich mehr und mehr -zum Kult. Die Vormittagsstunden jedes Tages gehörten -dem hohen Palisanderschrank an, drin die Jubiläumsgeschenke -wohlgeordnet standen: ein großer Silberpokal mit einem -drachentötenden Sankt Georg auf dem Deckel, ein Album -mit photographischen Aufnahmen aller Sehenswürdigkeiten -von Kaputt, eine große Huldigungsadresse mit Aquarellarabesken, -mehrere Lieder in Prachtdruck (darunter ein Kegelklublied -mit dem Refrain »alle Neune«), Riesensträuße von -Sonnenblumen, ein Oreiller mit dem Eisernen Kreuz und einem -aufgehefteten Gedicht, von einem Damenkomitee herrührend, -in dessen Auftrag er, Schickedanz, die Liebesgaben bis vor -Paris gebracht hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzsäule, -stand eine Gipsbüste, Geschenk eines dem Stammtisch -angehörigen Bildhauers, der daraufhin einen leider ausgebliebenen -Auftrag in Marmor erwartet hatte. Fauteuils -und Stühle steckten in großblumigen Überzügen, desgleichen -der Kronleuchter in einem Gazemantel, und an den Frontfenstern -standen, den ganzen Winter über, Maiblumen. Riekchen -trug auch Maiblumen auf jeder ihrer Hauben, war überhaupt,<span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span> -seit das Trauerjahr um war, immer hell gekleidet, wodurch -ihre Gestalt noch unkörperlicher wirkte. Jeden ersten Montag -im Monat war allgemeines Reinmachen, auch bei Wind -und Kälte. Dies war immer ein Tag größter Aufregung, weil -jedesmal etwas zerbrochen oder umgestoßen wurde. Das -blieb auch so durch Jahre hin, bis das Auftreten von Hedwig, -die sich einer sehr geschickten Hand erfreute, Wandel in diesem -Punkte schaffte. Die Nippsachen zerbrachen nun nicht mehr, -und Riekchen war um so glücklicher darüber, als Hartwigs -hübsche Nichte, wenn sie mal wieder den Dienst gekündigt -hatte, regelmäßig allerlei davon zu erzählen und mit immer -neuen und oft sehr intrikaten Geschichten ins Feld zu rücken -wußte.</p> - -<p>Die Barbys hatten alle Ursache, mit dem Schickedanzschen -Hause zufrieden zu sein. Nur eines störte, das war, daß -jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche geklopft wurden, -immer gerade zu der Stunde, wo der alte Graf seine Nachmittagsruhe -halten wollte. Das verdroß ihn eine Weile, bis -er schließlich zu dem Ergebnis kam: »Eigentlich bin ich doch -selber schuld daran. Warum setz ich mich immer wieder in die -Hinterstube, statt einfach vorn an mein Fenster? Immer hasardier -ich wieder und denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; -willst es doch noch mal versuchen.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung zu -haben, er hielt auch beinah abergläubisch an ihr fest. So lange -er darin wohnte, war es ihm gut ergangen, nicht glänzender als -früher, aber sorgenloser. Und das sagte er sich jeden neuen Tag.</p> - -<p>Sein Leben, so bunt es gewesen, war trotzdem in gewissem -Sinne durchschnittsmäßig verlaufen, ganz so wie das Leben -eines preußischen »Magnaten« (worunter man in der Regel -Schlesier versteht; aber es gibt doch auch andre) zu verlaufen -pflegt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span></p> - -<p>Im Juli dreißig, gerade als die Franzosen Algier bomdardierten -und nebenher das Haus Bourbon endgültig beseitigten, -war der Graf auf einem der an der mittleren Elbe -gelegenen Barbyschen Güter geboren worden. Auf eben diesem -Gute – das landwirtschaftlich einer von fremder Hand geführten -Administration unterstand – vergingen ihm die -Kinderjahre; mit zwölf kam er dann auf die Ritterakademie, -mit achtzehn in das Regiment Garde-du-Corps, drin die Barbys -standen, solang es ein Regiment Garde-du-Corps gab. Mit -dreißig war er Rittmeister und führte eine Schwadron. Aber -nicht lange mehr. Auf einem in der Nähe von Potsdam veranstalteten -Kavalleriemanöver stürzte er unglücklich und brach -den Oberschenkel, unmittelbar unter der Hüfte. Leidlich genesen, -ging er nach Ragaz, um dort völlige Wiederherstellung -zu suchen, und machte hier die Bekanntschaft eines alten Freiherrn -von Planta, der ihn alsbald auf seine Besitzungen einlud. -Weil diese ganz in der Nähe lagen, nahm er die Einladung -nach Schloß Schuder an. Hier blieb er länger als erwartet, -und als er das schön gelegene Bergschloß wieder verließ, war -er mit der Tochter und Erbin des Hauses verlobt. Es war eine -große Neigung, was sie zusammenführte. Die junge Freiin -drang alsbald in ihn, den Dienst zu quittieren, und er entsprach -dem um so lieber, als er seiner völligen Wiederherstellung nicht -ganz sicher war. Er nahm also den Abschied und trat aus dem -militärischen in den diplomatischen Dienst über, wozu seine -Bildung, sein Vermögen, seine gesellschaftliche Stellung ihn -gleichmäßig geeignet erscheinen ließen. Noch im selben Jahre -ging er nach London, erst als Attaché, wurde dann Botschaftsrat -und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage der -Aufrichtung des Deutschen Reiches. Seine Beziehungen sowohl -zu der heimisch-englischen wie zu der außerenglischen -Aristokratie waren jederzeit die besten, und sein Freundschaftsverhältnis -zu Baron und Baronin Berchtesgaden entstammte<span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span> -jener Zeit. Er hing sehr an London. Das englische Leben, an -dem er manches, vor allem die geschraubte Kirchlichkeit, beanstandete, -war ihm trotzdem außerordentlich sympathisch, und -er hatte sich daran gewöhnt, sich als verwachsen damit anzusehen. -Auch seine Familie, die Frau und die zwei Töchter – -beide, wenn auch in großem Abstande, während der Londoner -Tage geboren – teilten des Vaters Vorliebe für England und -englisches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was -der Graf geplant: die Frau starb plötzlich, und der Aufenthalt -an der ihm so lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er -nahm in der ersten Hälfte der achtziger Jahre seine Demission, -ging zunächst auf die Plantaschen Güter nach Graubünden -und dann weiter nach Süden, um sich in Florenz seßhaft zu -machen. Die Luft, die Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles -tat ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genas, soweit er wieder -genesen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und sein -Glück schien sich noch steigern zu sollen, als sich die ältere Tochter -mit dem italienischen Grafen Ghiberti verlobte. Die Hochzeit -folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieser Ehe stellte -sich bald als eine Unmöglichkeit heraus, und ehe ein Jahr um -war, war die Scheidung ausgesprochen. Kurze Zeit danach -kehrte der Graf nach Deutschland zurück, das er, seit einem -Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen -hatte. Sich auf das eine oder andere seiner Elbgüter zu -begeben, widerstand ihm auch jetzt noch, und so kam es, daß er -sich für Berlin entschied. Er nahm Wohnung am Kronprinzenufer -und lebte hier ganz sich, seinem Hause, seinen Töchtern. -Von dem Verkehr mit der großen Welt hielt er sich so weit -wie möglich fern, und nur ein kleiner Kreis von Freunden, -darunter auch die durch einen glücklichen Zufall ebenfalls von -London nach Berlin verschlagenen Berchtesgadens waren, -versammelte sich um ihn. Außer diesen alten Freunden waren -es vorzugsweise Hofprediger Frommel, Doktor Wrschowitz und<span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span> -seit letztem Frühjahr auch Rittmeister von Stechlin, die den -Barbyschen Kreis bildeten. An Woldemar hatte man sich rasch -attachiert, und die freundlichen Gefühle, denen er bei dem alten -Grafen sowohl wie bei den Töchtern begegnete, wurden von -allen Hausbewohnern geteilt. Selbst die Hartwigs interessierten -sich für den Rittmeister, und wenn er abends an der Portierloge -vorüberkam, guckte Hedwig neugierig durch das Fensterchen -und sagte: »So einen, – ja, das lass' ich mir gefallen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Dreizehntes_Kapitel">Dreizehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Woldemar, als er sich von den jungen Damen im Barbyschen -Hause verabschiedet hatte, hatte versprechen müssen, -seinen Besuch recht bald zu wiederholen.</p> - -<p>Aber was war »recht bald«? Er rechnete hin und her und -fand, daß der dritte Tag dem etwa entsprechen würde; das war -»recht bald« und doch auch wieder nicht zu früh. Und so ging -er denn, als der Abend dieses dritten Tages da war, auf die -Hallesche Brücke zu, wartete hier die Ringbahn ab und fuhr, -am Potsdamer und Brandenburger Tor vorüber, bis an jene -sonderbare Reichstagsuferstelle, wo, von mächtiger Giebelwand -herab, ein wohl zwanzig Fuß hohes, riesiges Kaffeemädchen -mit einem ganz kleinen Häubchen auf dem Kopf freundlich -auf die Welt der Vorübereilenden herniederblickt, um -ihnen ein Paket Kneippschen Malzkaffee zu präsentieren. An -dieser echt berlinisch-pittoresken Ecke stieg Woldemar ab, um -die von hier aus nur noch kurze Strecke bis an das Kronprinzenufer -zu Fuß zurückzulegen.</p> - -<p>Es war gegen acht, als er in dem Barbyschen Hause die mit -Teppich überdeckte Marmortreppe hinaufstieg und die Klingel -zog. Im selben Augenblick, wo Jeserich öffnete, sah Woldemar -an des Alten verlegenem Gesicht, daß die Damen aller Wahrscheinlichkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span> -nach wieder nicht zu Hause waren. Aber eine Verstimmung -darüber durfte nicht aufkommen, und so ließ er es -geschehen, daß Jeserich ihn bei dem alten Grafen meldete.</p> - -<p>»Der Herr Graf lassen bitten.«</p> - -<p>Und nun trat Woldemar in das Zimmer des wieder mal -von Neuralgie Geplagten ein, der ihm, auf einen dicken Stock -gestützt, unter freundlichem Gruß entgegenkam.</p> - -<p>»Aber Herr Graf,« sagte Woldemar und nahm des alten -Herrn linken Arm, um ihn bis an seinen Lehnstuhl und eine -für den kranken Fuß zurechtgemachte Stellage zurückzuführen. -»Ich fürchte, daß ich störe.«</p> - -<p>»Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Mir hochwillkommen. -Außerdem hab ich strikten Befehl, Sie, <em class="antiqua">coûte que coûte</em>, festzuhalten; -Sie wissen, Damen sind groß in Ahnungen, und bei -Melusine hat es schon geradezu was Prophetisches.«</p> - -<p>Woldemar lächelte.</p> - -<p>»Sie lächeln, lieber Stechlin, und haben recht. Denn daß -sie nun schließlich doch gegangen ist (natürlich zu den Berchtesgadens) -ist ein Beweis, daß sie sich und ihrer Prophetie doch -auch wieder einigermaßen mißtraute. Aber man ist immer nur -klug und weise für andre. Die Doktors machen es ebenso; -wenn sie sich selber behandeln sollen, wälzen sie die Verantwortung -von sich ab und sterben lieber durch fremde Hand. -Aber was sprech ich nur immer von Melusine. Freilich, wer in -unserm Hause so gut Bescheid weiß wie Sie, wird nichts Überraschliches -darin finden. Und zugleich wissen Sie, wie's gemeint -ist. Armgard ist übrigens in Sicht; keine zehn Minuten -mehr, so werden wir sie hier haben.«</p> - -<p>»Ist sie mit bei der Baronin?«</p> - -<p>»Nein, Sie dürfen sie nicht so weit suchen. Armgard ist in -ihrem Zimmer, und Doktor Wrschowitz ist bei ihr. Es kann -aber nicht lange mehr dauern.«</p> - -<p>»Aber ich bitte Sie, Herr Graf, ist die Komtesse krank?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span></p> - -<p>»Gott sei Dank, nein. Und Wrschowitz ist auch kein Medizindoktor, -sondern ein Musikdoktor. Sie haben von ihm rein zufällig -noch nicht gehört, weil erst vorige Woche, nach einer -langen, langen Pause, die Musikstunden wieder aufgenommen -wurden. Er ist aber schon seit Jahr und Tag Armgards -Lehrer.«</p> - -<p>»Musikdoktor? Gibt es denn die?«</p> - -<p>»Lieber Stechlin, es gibt alles. Also natürlich auch das. -Und so sehr ich im ganzen gegen die Doktorhascherei bin, so -liegt es hier doch so, daß ich dem armen Wrschowitz seinen -Musikdoktor gönnen oder doch mindestens verzeihen muß. Er -hat den Titel auch noch nicht lange.«</p> - -<p>»Das klingt ja fast wie ne Geschichte.«</p> - -<p>»Trifft auch zu. Können Sie sich denken, daß Wrschowitz -aus einer Art Verzweiflung Doktor geworden ist?«</p> - -<p>»Kaum. Und wenn kein Geheimnis …«</p> - -<p>»Durchaus nicht; nur ein Kuriosum. Wrschowitz hieß -nämlich bis vor zwei Jahren, wo er als Klavierlehrer, aber als -ein höherer (denn er hat auch eine Oper komponiert), in unser -Haus kam, einfach Niels Wrschowitz, und er ist bloß Doktor -geworden, um den Niels auf seiner Visitenkarte loszuwerden.«</p> - -<p>»Und das ist ihm auch geglückt?«</p> - -<p>»Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vorkommt, daß -ihn einzelne ganz wie früher Niels nennen, entweder aus Zufall -oder auch wohl aus Schändlichkeit. In letzterem Falle -sind es immer Kollegen. Denn die Musiker sind die boshaftesten -Menschen. Meist denkt man, die Prediger und die Schauspieler -seien die schlimmsten. Aber weit gefehlt. Die Musiker sind -ihnen über. Und ganz besonders schlimm sind die, die die sogenannte -heilige Musik machen.«</p> - -<p>»Ich habe dergleichen auch schon gehört,« sagte Woldemar. -»Aber was ist das nur mit Niels? Niels ist doch an und für sich -ein hübscher und ganz harmloser Name. Nichts Anzügliches drin.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span></p> - -<p>»Gewiß nicht. Aber Wrschowitz und Niels. Er litt, glaub -ich, unter diesem Gegensatz.«</p> - -<p>Woldemar lachte. »Das kenn ich. Das kenn ich von meinem -Vater her, der Dubslav heißt, was ihm auch immer höchst -unbequem war. Und da reichen wohl nicht hundertmal, daß -ich ihn wegen dieses Namens seinen Vater habe verklagen -hören.«</p> - -<p>»Genau so hier,« fuhr der Graf in seiner Erzählung fort. -»Wrschowitz' Vater, ein kleiner Kapellmeister an der tschechisch-polnischen -Grenze, war ein Niels-Gade-Schwärmer, woraufhin -er seinen Jungen einfach Niels taufte. Das war nun wegen -des Kontrastes schon gerade bedenklich genug. Aber das eigentlich -Bedenkliche kam doch erst, als der allmählich ein scharfer -Wagnerianer werdende Wrschowitz sich zum direkten Niels-Gade-Verächter -ausbildete. Niels Gade war ihm der Inbegriff -alles Trivialen und Unbedeutenden, und dazu kam noch, -wie Amen in der Kirche, daß unser junger Freund, wenn er -als ›Niels Wrschowitz‹ vorgestellt wurde, mit einer Art Sicherheit -der Phrase begegnete: ›Niels? Ah, Niels. Ein schöner -Name innerhalb unsrer musikalischen Welt. Und hoch erfreulich, -ihn hier zum zweiten Male vertreten zu sehen.‹ All das -konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aushalten, und so -kam er auf den Gedanken, den Vornamen auf seiner Karte -durch einen Doktortitel wegzueskamotieren.«</p> - -<p>Woldemar nickte.</p> - -<p>»Jedenfalls, lieber Stechlin, ersehen Sie daraus zur Genüge, -daß unser Wrschowitz, als richtiger Künstler, in die Gruppe -<em class="antiqua">gens irritabilis</em> gehört, und wenn Armgard ihn vielleicht aufgefordert -haben sollte, zum Tee zu bleiben, so bitt ich Sie herzlich, -dieser Reizbarkeit eingedenk zu sein. Wenn irgend möglich, -vermeiden Sie Beziehungen auf die ganze skandinavische Welt, -besonders aber auf Dänemark direkt. Er wittert überall Verrat. -Übrigens, wenn man auf seiner Hut ist, ist er ein feiner<span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span> -und gebildeter Mann. Ich hab ihn eigentlich gern, weil er anders -ist wie andre.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Der alte Graf behielt recht mit seiner Vermutung: Armgard -hatte den Doktor Wrschowitz aufgefordert zu bleiben, und -als bald danach Jeserich eintrat, um den Grafen und Woldemar -zum Tee zu bitten, fanden diese beim Eintritt in das -Mittelzimmer nicht nur Armgard, sondern auch Wrschowitz vor, -der, die Finger ineinander gefaltet, mitten in dem Salon stand -und die an der Büfettwand hängenden Bilder mit jenem eigentümlichen -Mischausdruck von aufrichtigem Gelangweiltsein -und erkünsteltem Interesse musterte. Der Rittmeister hatte -dem Grafen wieder seinen Arm geboten; Armgard ging auf -Woldemar zu und sprach ihm ihre Freude aus, daß er gekommen; -auch Melusine werde gewiß bald da sein; sie habe noch zuletzt -gesagt: »Du sollst sehen, heute kommt Stechlin.« Danach -wandte sich die junge Komtesse wieder Wrschowitz zu, der sich -eben in das von Hubert Herkomer gemalte Bild der verstorbenen -Gräfin vertieft zu haben schien, und sagte, gegenseitig vorstellend, -»Doktor Wrschowitz, Rittmeister von Stechlin.« Woldemar, -seiner Instruktion eingedenk, verbeugte sich sehr artig, während -Wrschowitz, ziemlich ablehnend, seinem Gesicht den stolzen -Doppelausdruck von Künstler und Hussiten gab.</p> - -<p>Der alte Graf hatte mittlerweile Platz genommen, entschuldigte -sich, mit der unglücklichen Stellage beschwerlich fallen -zu müssen, und bat die beiden Herren, sich neben ihm niederzulassen, -während Armgard, dem Vater gegenüber, an der -andern Schmalseite des Tisches saß. Der alte Graf nahm seine -Tasse Tee, schob den Kognak, »des Tees bessren Teil,« mit einem -humoristischen Seufzer beiseit und sagte, während er sich links -zu Wrschowitz wandte: »Wenn ich recht gehört habe – so ein -bißchen von musikalischem Ohr ist mir geblieben –, so war es -Chopin, was Armgard zu Beginn der Stunde spielte …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span></p> - -<p>Wrschowitz verneigte sich.</p> - -<p>»Chopin, für den ich eine Vorliebe habe, wie für alle Polen, -vorausgesetzt, daß sie Musikanten oder Dichter oder auch -Wissenschaftsmenschen sind. Als Politiker kann ich mich mit -ihnen nicht befreunden. Aber vielleicht nur deshalb nicht, -weil ich Deutscher und sogar Preuße bin.«</p> - -<p>»Sehr warr, sehr warr,« sagte Wrschowitz, mehr gesinnungstüchtig -als artig.</p> - -<p>»Ich darf sagen, daß ich für polnische Musiker, von meinen -frühesten Leutnantstagen an, eine schwärmerische Vorliebe -gehabt habe. Da gab es unter anderm eine Polonaise von -Oginski, die damals so regelmäßig und mit soviel Passion gespielt -wurde, wie später der ›Erlkönig‹ oder die ›Glocken von -Speier‹. Es war auch die Zeit vom ›Alten Feldherrn‹ und von -›Denkst du daran, mein tapferer Lagienka‹.«</p> - -<p>»Jawohl, Herr Graff, eine schlechte Zeit. Und warr mir -immerdarr eine besondere Lust zu sehen, wie das Sentimentalle -wieder fällt. Immer merr, immer merr. Ich hasse das Sentimentalle -<em class="antiqua">de tout mon cœur</em>.«</p> - -<p>»Worin ich,« sagte Woldemar, »Herrn Doktor Wrschowitz -durchaus zustimme. Wir haben in der Poesie genau dasselbe. -Da gab es auch dergleichen, und ich bekenne, daß ich als Knabe -für solche Sentimentalitäten geschwärmt habe. Meine besondere -Schwärmerei war ›König Renés Tochter‹ von Henrik -Hertz, einem jungen Kopenhagener, wenn ich nicht irre …«</p> - -<p>Wrschowitz verfärbte sich, was Woldemar, als er es wahrnahm, -zu sofortigem raschen Einlenken bestimmte. »… ›König -Renés Tochter‹, ein lyrisches Drama. Aber schon seit lange wieder -vergessen. Wir stehen jetzt im Zeichen von Tolstoj und der -Kreutzersonate.«</p> - -<p>»Sehr warr, sehr warr,« sagte der rasch wieder beruhigte -Wrschowitz und nahm nur noch Veranlassung, energisch gegen -die Mischung von Kunst und Sektierertum zu protestieren.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span></p> - -<p>Woldemar, großer Tolstojschwärmer, wollte für den russischen -Grafen eine Lanze brechen, aber Armgard, die, wenn -derartige Themata berührt wurden, der Salonfähigkeit ihres -Freundes Wrschowitz arg mißtraute, war sofort aufrichtig -bemüht, das Gespräch auf harmlosere Gebiete hinüberzuspielen. -Als ein solches friedeverheißendes Gebiet erschien ihr in diesem -Augenblicke ganz eminent die Grafschaft Ruppin, aus deren -abgelegenster Nordostecke Woldemar eben wieder eingetroffen -war, und so sprach sie denn gegen diesen den Wunsch aus, ihn -über seinen jüngsten Ausflug einen kurzen Bericht erstatten zu -sehen. »Ich weiß wohl, daß ich meiner Schwester Melusine -(die voll Neugier und Verlangen ist, auch davon zu hören) -einen schlechten Dienst damit leiste; Herr von Stechlin wird es -aber nicht verschmähen, wenn meine Schwester erst wieder da -ist, darauf zurückzukommen. Es braucht ja, wenn man plaudert, -nicht alles absolut neu zu sein. Man darf sich wiederholen. -Papa hat auch einzelnes, das er öfter erzählt.«</p> - -<p>»Einzelnes?« lachte der alte Graf, »meine Tochter Armgard -meint ›vieles‹.«</p> - -<p>»Nein, Papa, ich meine einzelnes. Da gibt es denn doch -ganz andre, zum Beispiel unser guter Baron. Und die Baronin -sieht auch immer weg, wenn er anfängt. Aber lassen wir -den Baron und seine Geschichten, und hören wir lieber von -Herrn von Stechlins Ausfluge. Doktor Wrschowitz teilt gewiß -meinen Geschmack.«</p> - -<p>»Teile vollkommen.«</p> - -<p>»Also, Herr von Stechlin,« fuhr Armgard fort. »Sie -haben nach diesen Erklärungen unsers Freundes Wrschowitz -einen freundlichen Zuhörer mehr, vielleicht sogar einen begeisterten. -Auch für Papa möcht ich mich verbürgen. Wir sind -ja eigentlich selber märkisch oder doch beinah, und wissen trotzdem -so wenig davon, weil wir immer draußen waren. Ich kenne -wohl Saatwinkel und den Grunewald, aber das eigentliche<span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span> -brandenburgische Land, das ist doch noch etwas andres. Es -soll alles so romantisch sein und so melancholisch, Sand und -Sumpf und im Wasser ein paar Binsen oder eine Birke, dran -das Laub zittert. Ist Ihre Ruppiner Gegend auch so?«</p> - -<p>»Nein, Komtesse, wir haben viel Wald und See, die sogenannte -Mecklenburgische Seenplatte.«</p> - -<p>»Nun, das ist auch gut. Mecklenburg, wie mir die Berchtesgadens -erst neulich versichert haben, hat auch seine Romantik.«</p> - -<p>»Sehr warr. Habe gelesen Stromtid und habe gelesen -Franzosentid …«</p> - -<p>»Und dann glaub ich auch zu wissen,« fuhr Armgard fort, -»daß Sie Rheinsberg ganz in der Nähe haben. Ist es richtig? -Und kennen Sie's? Es soll soviel Interessantes bieten. Ich erinnere -mich seiner aus meinen Kindertagen her, trotzdem wir -damals in London lebten. Oder vielleicht auch gerade deshalb. -Denn es war die Zeit, wo das Carlylesche Buch über Friedrich -den Großen immer noch in Mode war, und wo's zum guten -Ton gehörte, sich nicht bloß um die Terrasse von Sanssouci -zu kümmern, sondern auch um Rheinsberg und den Orden <em class="antiqua">de -la générosité</em>. Lebt das alles noch da? Spricht das Volk noch -davon?«</p> - -<p>»Nein, Komtesse, das ist alles fort. Und überhaupt, von -dem großen König spricht im Rheinsbergischen niemand mehr, -was auch kaum anders sein kann. Der große König war als -Kronprinz nur kurze Zeit da, sein Bruder Heinrich aber fünfzig -Jahre. Und so hat die Prinz-Heinrich-Zeit beklagenswerterweise -die Kronprinzenzeit ganz erdrückt. Aber beklagenswert -doch nicht in allem. Denn Prinz Heinrich war auch bedeutend -und vor allem sehr kritisch. Was doch immer ein Vorzug ist.«</p> - -<p>»Sehr warr, sehr warr,« unterbrach hier Wrschowitz.</p> - -<p>»Er war sehr kritisch,« wiederholte Woldemar. »Namentlich -auch gegen seinen Bruder, den König. Und die Malkontenten, -deren es auch damals schon die Hülle und Fülle gab,<span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span> -waren beständig um ihn herum. Und dabei kommt immer -was heraus.«</p> - -<p>»Sehr warr, sehr warr …«</p> - -<p>»Denn zufriedene Hofleute sind allemal öd und langweilig, -aber die Frondeurs, wenn <em class="gesperrt">die</em> den Mund auftun, da -kann man was hören, da tut sich einem was auf.«</p> - -<p>»Gewiß,« sagte Armgard. »Aber trotzdem, Herr von Stechlin, -ich kann das Frondieren nicht leiden. Frondeur ist doch -immer nur der gewohnheitsmäßig Unzufriedene, und wer immer -unzufrieden ist, der taugt nichts. Immer Unzufriedene -sind dünkelhaft und oft boshaft dazu, und während sie sich -über andre lustig machen, lassen sie selber viel zu wünschen -übrig.«</p> - -<p>»Sehr warr, sehr warr, gnädigste Komtesse,« verbeugte -sich Wrschowitz. »Aber, wollen verzeihn, Komtesse, wenn -ich trotzdem bin für Frondeur. Frondeur ist Krittikk, und wo -Guttes sein will, muß sein Krittikk. Deutsche Kunst viel Krittikk. -Erst muß sein Kunst, gewiß, gewiß, aber gleich danach muß -sein Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. Kopf ab aus -Prinzipp. Kunst muß haben ein Prinzipp. Und wo Prinzipp -is, is Kopf ab.«</p> - -<p>Alles schwieg, so daß dem Grafen nichts übrigblieb, als -etwas verspätet seine halbe Zustimmung auszudrücken. Armgard -ihrerseits beeilte sich, auf Rheinsberg zurückzukommen, -das ihr, trotz des fatalen Zwischenfalls mit »Kopf ab,« im Vergleich -zu vielleicht wiederkehrenden Musikgesprächen immer -noch als wenigstens ein Nothafen erschien.</p> - -<p>»Ich glaube,« sagte sie, »neben manchem andern auch mal -von der Frauenfeindschaft des Prinzen gehört zu haben. Er soll -– irre ich mich, so werden Sie mich korrigieren – ein sogenannter -Misogyne gewesen sein. Etwas durchaus Krankhaftes -in meinen Augen oder doch mindestens etwas sehr Sonderbares.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span></p> - -<p>»Sehr sonderbarr,« sagte Wrschowitz, während sich, unter -huldigendem Hinblick auf Armgard, sein Gesicht wie verklärte.</p> - -<p>»Wie gut, lieber Wrschowitz,« fuhr Armgard fort, »daß -Sie, mein Wort bestätigend, für uns arme Frauen und Mädchen -eintreten. Es gibt immer noch Ritter, und wir sind ihrer -so sehr benötigt. Denn wie mir Melusine erzählt hat, sind die -Weiberfeinde sogar stolz darauf, Weiberfeinde zu sein, und behandeln -ihr Denken und Tun als eine höhere Lebensform. -Kennen Sie solche Leute, Herr von Stechlin? Und wenn Sie solche -Leute kennen, wie denken Sie darüber?«</p> - -<p>»Ich betrachte sie zunächst als Unglückliche.«</p> - -<p>»Das ist recht.«</p> - -<p>»Und zum zweiten als Kranke. Der Prinz, wie Komtesse -schon ganz richtig ausgesprochen haben, war auch ein solcher -Kranker.«</p> - -<p>»Und wie äußerte sich das? Oder ist es überhaupt nicht -möglich, über das Thema zu sprechen?«</p> - -<p>»Nicht ganz leicht, Komtesse. Doch in Gegenwart des Herrn -Grafen und nicht zu vergessen auch in Gegenwart von Doktor -Wrschowitz, der so schön und ritterlich gegen die Misogynität -Partei genommen, unter solchem Beistande will ich es doch -wagen.«</p> - -<p>»Nun, das freut mich. Denn ich brenne vor Neugier.«</p> - -<p>»Und will auch nicht länger ängstlich um die Sache herumgehen. -Unser Rheinsberger Prinz war ein richtiger Prinz aus -dem vorigen Jahrhundert. Die jetzigen sind Menschen; die -damaligen waren <em class="gesperrt">nur</em> Prinzen. Eine der Passionen unsers -Rheinsberger Prinzen – wenn man will, in einer Art Gegensatz -von dem, was schon gesagt wurde – war eine geheimnisvolle -Vorliebe für jungfräuliche Tote, besonders Bräute. Wenn -eine Braut im Rheinsbergischen, am liebsten auf dem Lande, -gestorben war, so lud er sich zu dem Begräbnis zu Gast. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span> -eh der Geistliche noch da sein konnte (den vermied er), erschien -er und stellte sich an das Fußende des Sarges und starrte die -Tote an. Aber sie mußte geschminkt sein und aussehen wie das -Leben.«</p> - -<p>»Aber das ist ja schrecklich,« brach es beinahe leidenschaftlich -aus Armgard hervor. »Ich mag diesen Prinzen nicht und -seine ganze Fronde nicht. Denn die müssen ebenso gewesen -sein. Das ist ja Blasphemie, das ist ja Gräberschändung, -– ich muß das Wort aussprechen, weil ich so empört bin und -nicht anders kann.«</p> - -<p>Der alte Graf sah die Tochter an, und ein Freudenstrahl -umleuchtete sein gutes altes Gesicht. Auch Wrschowitz empfand -so was von unbedingter Huldigung, bezwang sich aber und -sah, statt auf Armgard, auf das Bild der Gräfin-Mutter, das -von der Wand niederblickte.</p> - -<p>Nur Woldemar blieb ruhig und sagte: »Komtesse, Sie -gehen vielleicht zu weit. Wissen Sie, was in der Seele des -Prinzen vorgegangen ist? Es kann etwas Infernales gewesen -sein, aber auch etwas ganz andres. Wir wissen es nicht. Und -weil er nebenher unbedingt große Züge hatte, so bin ich dafür, -ihm das in Rechnung zu stellen.«</p> - -<p>»Bravo, Stechlin,« sagte der alte Graf. »Ich war erst -Armgards Meinung. Aber Sie haben recht, wir wissen es nicht. -Und soviel weiß ich noch von der Juristerei her, in der ich, wohl -oder übel, eine Gastrolle gab, daß man in zweifelhaften Fällen -<em class="antiqua">in favorem</em> entscheiden muß. Übrigens geht eben die Klingel. -An bester Stelle wird ein Gespräch immer unterbrochen. Es -wird Melusine sein. Und so sehr ich gewünscht hätte, sie wäre -von Anfang an mit dabei gewesen, wenn sie jetzt so mit einem -Male dazwischen fährt, ist selbst Melusine eine Störung.«</p> - -<p>Es war wirklich Melusine. Sie trat, ohne draußen abgelegt -zu haben, ins Zimmer, warf das schottische Cape, das -sie trug, in eine Sofaecke und schritt, während sie noch den Hut<span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span> -aus dem Haare nestelte, bis an den Tisch, um hier zunächst den -Vater, dann aber die beiden andern Herren zu begrüßen. »Ich -seh euch so verlegen, woraus ich schließe, daß eben etwas Gefährliches -gesagt worden ist. Also etwas über mich.«</p> - -<p>»Aber, Melusine, wie eitel.«</p> - -<p>»Nun, dann also nicht über mich. Aber über wen? Das -wenigstens will ich wissen. Von wem war die Rede?«</p> - -<p>»Vom Prinzen Heinrich. Aber von dem ganz alten, der -schon fast hundert Jahre tot ist.«</p> - -<p>»Da konntet ihr auch was Besseres tun.«</p> - -<p>»Wenn du wüßtest, was uns Stechlin von ihm erzählt -hat, und daß er – nicht Stechlin, aber der Prinz – ein Misogyne -war, so würdest du vielleicht anders sprechen.«</p> - -<p>»Misogyne. Das freilich ändert die Sache. Ja, lieber -Stechlin, da kann ich Ihnen nicht helfen, davon muß ich auch -noch hören. Und wenn Sie mir's abschlagen, so wenigstens -was Gleichwertiges.«</p> - -<p>»Gräfin Melusine, was Gleichwertiges gibt es nicht.«</p> - -<p>»Das ist gut, sehr gut, weil es so wahr ist. Aber dann bitt -ich um etwas zweiten Ranges. Ich sehe, daß Sie von Ihrem -Ausfluge erzählt haben, von Ihrem Papa, von Schloß Stechlin -selbst oder von Ihrem Dorf und Ihrer Gegend. Und davon -möcht ich auch hören, wenn es auch freilich nicht an das andre -heranreicht.«</p> - -<p>»Ach, Gräfin, Sie wissen nicht, wie bescheiden es mit unserm -Stechliner Erdenwinkel bestellt ist. Wir haben da, von einem -Pastor abgesehen, der beinah Sozialdemokrat ist, und des weiteren -von einem Oberförster abgesehen, der eine Prinzessin, eine -Ippe-Büchsenstein, geheiratet hat …«</p> - -<p>»Aber das ist ja alles großartig …«</p> - -<p>»Wir haben da, von diesen zwei Sehenswürdigkeiten -abgesehen, eigentlich nur noch den ›Stechlin‹. Der ginge vielleicht, -über den ließe sich vielleicht etwas sagen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span></p> - -<p>»Den ›Stechlin?‹ Was ist das? Ich bin so glücklich zu -wissen« (und sie machte verbindlich eine Handbewegung auf -Woldemar zu), »ich bin so glücklich, zu wissen, daß es Stechline -gibt. Aber der Stechlin! Was ist der Stechlin?«</p> - -<p>»Das ist ein See.«</p> - -<p>»Ein See. Das besagt nicht viel. Seen, wenn es nicht -grade der Vierwaldstätter ist, werden immer erst interessant -durch ihre Fische, durch Sterlet oder Felchen. Ich will nicht -weiter aufzählen. Aber was hat der Stechlin? Ich vermute, -Steckerlinge.«</p> - -<p>»Nein, Gräfin, die hat er nun gerade nicht. Er hat genau -das, was Sie geneigt sind am wenigsten zu vermuten. Er hat -Weltbeziehungen, vornehme, geheimnisvolle Beziehungen, -und nur alles Gewöhnliche, wie beispielsweise Steckerlinge, -hat er nicht. Steckerlinge fehlen ihm.«</p> - -<p>»Aber, Stechlin, Sie werden doch nicht den Empfindlichen -spielen. Rittmeister in der Garde!«</p> - -<p>»Nein, Gräfin. Und außerdem, den wollt ich sehen, der -das Ihnen gegenüber zuwege brächte.«</p> - -<p>»Nun dann also, was ist es? Worin bestehen seine vornehmen -Beziehungen?«</p> - -<p>»Er steht mit den höchsten und allerhöchsten Herrschaften, -deren genealogischer Kalender noch über den Gothaischen hinauswächst, -auf du und du. Und wenn es in Java oder auf -Island rumort oder der Geiser mal in Doppelhöhe dampft und -springt, dann springt auch in unserm Stechlin ein Wasserstrahl -auf, und einige (wenn es auch noch niemand gesehen hat), einige -behaupten sogar, in ganz schweren Fällen erscheine zwischen den -Strudeln ein roter Hahn und krähe hell und weckend in die Ruppiner -Grafschaft hinein. Ich nenne das vornehme Beziehungen.«</p> - -<p>»Ich auch,« sagte Melusine.</p> - -<p>Wrschowitz aber, dessen Augen immer größer geworden -waren, murmelte vor sich hin: »Sehr warr, sehr warr.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span></p> - -<h3 id="Vierzehntes_Kapitel">Vierzehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar seinen Besuch -im Barbyschen Hause gemacht hatte. Schon am Mittwoch -früh empfing er ein Billett von Melusine.</p> - -<p>»Lieber Freund. Lassen Sie mich Ihnen noch nachträglich -mein Bedauern aussprechen, daß ich vorgestern nur gerade -noch die letzte Szene des letzten Aktes (Geschichte vom Stechlin) -miterleben konnte. Mich verlangt es aber lebhaft, mehr davon -zu wissen. In unsrer sogenannten großen Welt gibt es so -wenig, was sich zu sehen und zu hören verlohnt; das meiste hat -sich in die stillen Winkel der Erde zurückgezogen. Allen vorauf, -wie mir scheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette, Sie -haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann nur wiederholen, -ich möchte davon hören. Unsre gute Baronin, der ich -davon erzählt habe, denkt ebenso; sie hat den Zug aller naiven -und liebenswürdigen Frauen, neugierig zu sein. Ich, ohne die -genannten Vorbedingungen zu erfüllen, bin ihr trotzdem an -Neugier gleich. Und so haben wir denn eine Nachmittagspartie -verabredet, bei der Sie der große Erzähler sein sollen. -In der Regel freilich verläuft es anders wie gedacht, und man -hört nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber in -unserm guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin hat mir -etwas vorgeschwärmt von einer Gegend, die sie ›Oberspree‹ -nannte (die vielleicht auch wirklich so heißt), und wo's so schön -sein soll, daß sich die Havelherrlichkeiten daneben verstecken -müssen. Ich will es ihr glauben, und jedenfalls werd ich es -ihr nachträglich versichern, auch wenn ich es nicht gefunden -haben sollte. Das Ziel unsrer Fahrt – ein Punkt, den übrigens -die Berchtesgadens noch nicht kennen; sie waren bisher immer -erheblich weiter flußaufwärts – das Ziel unsrer Reise hat einen -ziemlich sonderbaren Namen und heißt das ›Eierhäuschen‹. -Ich werde seitdem die Vorstellung von etwas Ovalem nicht los<span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span> -und werde wohl erst geheilt sein, wenn sich mir die so sonderbar -benamste Spreeschönheit persönlich vorgestellt haben wird. -Also morgen, Donnerstag: Eierhäuschen. Ein ›Nein‹ gibt es -natürlich nicht. Abfahrt vier Uhr, Jannowitzbrücke. Papa -begleitet uns; es geht ihm seit heut um vieles besser, so daß er -sich's zutraut. Vielleicht ist vier etwas spät; aber wir haben -dabei, wie mir Lizzi sagt, den Vorteil, auf der Rückfahrt die -Lichter im Wasser sich spiegeln zu sehen. Und vielleicht ist auch -irgendwo Feuerwerk, und wir sehen dann die Raketen steigen. -Armgard ist in Aufregung, fast auch ich. <em class="antiqua">Au revoir.</em> Eines -Herrn Rittmeisters wohlaffektionierte</p> - -<p class="right"> -Melusine.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Nun war der andre Nachmittag da, und kurz vor vier -Uhr fuhren erst die Berchtesgadens und gleich danach auch -die Barbys bei der Jannowitzbrücke vor. Woldemar wartete -schon. Alle waren in jener heitern Stimmung, in der man geneigt -ist, alles schön und reizend zu finden. Und diese Stimmung -kam denn auch gleich der Dampfschiffahrtsstation zustatten. -Unter lachender Bewunderung der sich hier darbietenden -Holzarchitektur stieg man ein Gewirr von Stiegen und -Treppen hinab und schritt, unten angekommen, an den um diese -Stunde noch leeren Tischen eines hier etablierten »Lokals« -vorüber, unmittelbar auf das Schiff zu, dessen Glocke schon -zum erstenmal geläutet hatte. Das Wetter war prachtvoll, -flußaufwärts alles klar und sonnig, während über der Stadt -ein dünner Nebel lag. Zu beiden Seiten des Hinterdecks nahm -man auf Stühlen und Bänken Platz und sah von hier aus auf -das verschleierte Stadtbild zurück.</p> - -<p>»Da heißt es nun immer,« sagte Melusine, »Berlin sei -so kirchenarm; aber wir werden bald Köln und Mainz aus dem -Felde geschlagen haben. Ich sehe die Nikolaikirche, die Petrikirche, -die Waisenkirche, die Schloßkuppel, und das Dach da, -mit einer Art von chinesischer Deckelmütze, das ist, glaub ich,<span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span> -der Rathausturm. Aber freilich, ich weiß nicht, ob ich den mitrechnen -darf.«</p> - -<p>»Turm ist Turm,« sagte die Baronin. »Das fehlte so gerade -noch, daß man dem armen alten Berlin auch seinen Rathausturm -als Turm abstritte. Man eifersüchtelt schon genug.«</p> - -<p>Und nun schlug es vier. Von der Parochialkirche her klang -das Glockenspiel, die Schiffsglocke läutete dazwischen, und als -diese wieder schwieg, wurde das Brett aufgeklappt, und unter -einem schrillen Pfiff setzte sich der Dampfer auf das mittlere -Brückenjoch zu in Bewegung.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Oben, in Nähe der Jannowitzbrücke, hielten immer noch -die beiden herrschaftlichen Wagen, die's für angemessen erachten -mochten, ehe sie selber aufbrachen, zuvor den Aufbruch -des Schiffes abzuwarten, und erst als dieses unter der Brücke -verschwunden war, fuhr der gräflich Barbysche Kutscher neben -den freiherrlich Berchtesgadenschen, um mit diesem einen Gruß -auszutauschen. Beide kannten sich seit lange, schon von London -her, wo sie bei denselben Herrschaften in Dienst gestanden -hatten. In diesem Punkte waren sie sich gleich, sonst aber so -verschieden wie nur möglich, auch schon in ihrer äußeren Erscheinung. -Imme, der Barbysche Kutscher, ein ebenso martialisch -wie gutmütig dreinschauender Mecklenburger, hätte mit -seinem angegrauten Sappeurbart ohne weiteres vor eine -Gardetruppe treten und den Zug als Tambourmajor eröffnen -können, während der Berchtesgadensche, der seine Jugend als -Trainer und halber Sportsmann zugebracht hatte, nicht bloß -einen englischen Namen führte, sondern auch ein typischer Engländer -war, hager, sehnig, kurz geschoren und glatt rasiert. -Seine Glotzaugen hatten etwas Stupides; er war aber trotzdem -klug genug und wußte, wenn's galt, seinem Vorteil nachzugehen. -Das Deutsche machte ihm noch immer Schwierigkeiten, -trotzdem er sich aufrichtige Mühe damit gab und sogar das<span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span> -bequeme Zuhilfenehmen englischer Wörter vermied, am meisten -dann, wenn er sich die Berlinerinnen seiner Bekanntschaft abquälen -sah, ihm mit »<em class="antiqua">well, well, Mr. Robinson</em>« oder gar mit -einem geheimnisvollen »<em class="antiqua">indeed</em>« zu Hilfe zu kommen. Nur mit -dem einen war er einverstanden, daß man ihn »Mr. Robinson« -nannte. Das ließ er sich gefallen.</p> - -<p>»<em class="antiqua">Now, Mr. Robinson</em>,« sagte Imme, als sie Bock an Bock -nebeneinander hielten, »<em class="antiqua">how are you? I hope quite well.</em>«</p> - -<p>»Danke, Mr. Imme, danke! Was macht die Frau?«</p> - -<p>»Ja, Robinson, da müssen Sie, denk ich, selber nachsehen, -und zwar gleich heute, wo die Herrschaften fort sind und erst spät -wiederkommen. Noch dazu mit der Stadtbahn. Wenigstens -von hier aus, Jannowitzbrücke. Sagen wir also neun; eher -sind sie nicht zurück. Und bis dahin haben wir einen guten -Skat. Hartwig als dritter wird schon kommen; Portiers -können immer. Die Frau zieht ebensogut die Tür auf wie er, -und weiter ist es ja nichts. Also Klocker fünf: ein ›Nein‹ gilt -nicht; <em class="antiqua">where there is a will, there is a way</em>. Ein bißchen ist doch -noch hängen geblieben von <em class="antiqua">dear old England</em>.«</p> - -<p>»Danke, Mr. Imme,« sagte Robinson, »danke! Ja, Skat -ist das Beste von <em class="antiqua">all Germany</em>. Komme gern. Skat ist noch -besser als Bayrisch.«</p> - -<p>»Hören Sie, Robinson, ich weiß doch nicht, ob das stimmt. -Ich denke mir, so beides zusammen, das ist das Wahre. -<em class="antiqua">That's it.</em>«</p> - -<p>Robinson war einverstanden, und da beide weiter nichts -auf dem Herzen hatten, so brach man hier ab und schickte sich -an, die Rückfahrt in einem mäßig raschen Trab anzutreten, -wobei der Berchtesgadensche Kutscher den Weg über Molkenmarkt -und Schloßplatz, der Barbysche den auf die Neue Friedrichstraße -nahm. Jenseits der Friedrichsbrücke hielt sich dieser -dann dicht am Wasser hin und kam so am bequemsten bis an -sein Kronprinzenufer.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span></p> - -<p class="drop">Der Dampfer, gleich nachdem er das Brückenjoch passiert -hatte, setzte sich in ein rascheres Tempo, dabei die linke Flußseite -haltend, so daß immer nur eine geringe Entfernung zwischen -dem Schiff und den sich dicht am Ufer hinziehenden Stadtbahnbögen -war. Jeder Bogen schuf den Rahmen für ein dahinter -gelegenes Bild, das natürlich die Form einer Lunette -hatte. Mauerwerk jeglicher Art, Schuppen, Zäune zogen in -buntem Wechsel vorüber, aber in Front aller dieser der Alltäglichkeit -und der Arbeit dienenden Dinge zeigte sich immer -wieder ein Stück Gartenland, darin ein paar verspätete Malven -oder Sonnenblumen blühten. Erst als man die zweitfolgende -Brücke passiert hatte, traten die Stadtbahnbögen so weit zurück, -daß von einer Ufereinfassung nicht mehr die Rede sein konnte; -statt ihrer aber wurden jetzt Wiesen und pappelbesetzte Wege -sichtbar, und wo das Ufer kaiartig abfiel, lagen mit Sand -beladene Kähne, große Zillen, aus deren Innerem eine baggerartige -Vorrichtung die Kies- und Sandmassen in die dicht am -Ufer hin etablierten Kalkgruben schüttete. Es waren dies die -Berliner Mörtelwerke, die hier die Herrschaft behaupteten und -das Uferbild bestimmten.</p> - -<p>Unsre Reisenden sprachen wenig, weil unter dem raschen -Wechsel der Bilder eine Frage die andre zurückdrängte. Nur -als der Dampfer an Treptow vorüber zwischen den kleinen -Inseln hinfuhr, die hier mannigfach aus dem Fluß aufwachsen, -wandte sich Melusine an Woldemar und sagte: »Lizzi hat mir -erzählt, hier zwischen Treptow und Stralau sei auch die ›Liebesinsel‹; -da stürben immer die Liebespaare, meist mit einem Zettel -in der Hand, drauf alles stünde. Trifft das zu?«</p> - -<p>»Ja, Gräfin, soviel ich weiß, trifft es zu. Solche Liebesinseln -gibt es übrigens vielfach in unsrer Gegend und kann -als Beweis gelten, wie weitverbreitet der Zustand ist, dem abgeholfen -werden soll, und wenn's auch durch Sterben wäre.«</p> - -<p>»Das nehm ich Ihnen übel, daß Sie darüber spotten. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span> -Armgard wird es noch mehr tun, weil sie gefühlvoller ist als -ich. Zudem sollten Sie wissen, daß sich so was rächt.«</p> - -<p>»Ich weiß es. Aber Sie lesen auch durchaus falsch in meiner -Seele. Sicher haben Sie mal gehört, daß der, der Furcht hat, -zu singen anfängt, und wer nicht singen kann, nun, der witzelt -eben. Übrigens, so schön ›Liebesinsel‹ klingt, der Zauber davon -geht wieder verloren, wenn Sie sich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen. -Die sich so mächtig hier verbreiternde Spreefläche -heißt nämlich der ›Rummelsburger‹ See.«</p> - -<p>»Freilich nicht hübsch; das kann ich zugeben. Aber die -Stelle selbst ist schön, und Namen bedeuten nichts.«</p> - -<p>»Wer Melusine heißt, sollte wissen, was Namen bedeuten.«</p> - -<p>»Ich weiß es leider. Denn es gibt Leute, die sich vor ›Melusine‹ -fürchten.«</p> - -<p>»Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr noch eine -Huldigung ist.«</p> - -<p>Unter diesem Gespräche waren sie bis über die Breitung -der Spree hinaus gekommen und fuhren wieder in das schmaler -werdende Flußbett ein. An beiden Ufern hörten die Häuserreihen -auf, sich in dünnen Zellen hinzuziehen, Baumgruppen -traten in nächster Nähe dafür ein, und weiter landeinwärts -wurden aufgeschüttete Bahndämme sichtbar, über die hinweg -die Telegraphenstangen ragten und ihre Drähte von Pfahl zu -Pfahl spannten. Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, -stand ein Schilfgürtel, aus dessen Dickicht vereinzelte Krickenten -aufflogen.</p> - -<p>»Es ist doch weiter, als ich dachte,« sagte Melusine. »Wir -sind ja schon wie in halber Einsamkeit. Und dabei wird es -frisch. Ein Glück, daß wir Decken mitgenommen. Denn wir -bleiben doch wohl im Freien? Oder gibt es auch Zimmer da? -Freilich kann ich mir kaum denken, daß wir zu sechs in einem -Eierhäuschen Platz haben.«</p> - -<p>»Ach, Frau Gräfin, ich sehe, Sie rechnen auf etwas extrem<span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span> -Idyllisches und erwarten, wenn wir angelangt sein werden, -einen Mischling von Kiosk und Hütte. Da harrt Ihrer aber -eine grausame Enttäuschung. Das Eierhäuschen ist ein sogenanntes -›Lokal‹, und wenn uns die Lust anwandelt, so können -wir da tanzen oder eine Volksversammlung abhalten. Raum -genug ist da. Sehen Sie, das Schiff wendet sich schon, und der -rote Bau da, der zwischen den Pappelweiden mit Turm und -Erker sichtbar wird, das ist das Eierhäuschen.«</p> - -<p>»O weh! Ein Palazzo,« sagte die Baronin und war auf -dem Punkt, ihrer Mißstimmung einen Ausdruck zu geben. -Aber ehe sie dazu kam, schob sich das Schiff schon an den vorgebauten -Anlegesteg, über den hinweg man, einen Uferweg -einschlagend, auf das Eierhäuschen zuschritt. Dieser Uferweg -setzte sich, als man das Gartenlokal endlich erreicht hatte, -jenseits desselben noch eine gute Strecke fort, und weil die -wundervolle Frische dazu einlud, beschloß man, ehe man sich -im Eierhäuschen selber niederließ, zuvor noch einen gemeinschaftlichen -Spaziergang am Ufer hin zu machen. Immer -weiter flußaufwärts.</p> - -<p>Der Enge des Weges halber ging man zu zweien, vorauf -Woldemar mit Melusine, dann die Baronin mit Armgard. -Erheblich zurück erst folgten die beiden älteren Herren, die schon -auf dem Dampfschiff ein politisches Gespräch angeschnitten -hatten. Beide waren liberal, aber der Umstand, daß der Baron -ein Bayer und unter katholischen Anschauungen aufgewachsen -war, ließ doch beständig Unterschiede hervortreten.</p> - -<p>»Ich kann Ihnen nicht zustimmen, lieber Graf. Alle -Trümpfe heut, und zwar mehr denn je, sind in des Papstes -Hand. Rom ist ewig und Italien nicht so fest aufgebaut, als -es die Welt glauben machen möchte. Der Quirinal zieht wieder -aus, und der Vatikan zieht wieder ein. Und was dann?«</p> - -<p>»Nichts, lieber Baron. Auch dann nicht, wenn es wirklich -dazu kommen sollte, was, glaub ich, ausgeschlossen ist.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span></p> - -<p>»Sie sagen das so ruhig, und ruhig ist man nur, wenn -man sicher ist. Sind Sie's? Und wenn Sie's sind, dürfen -Sie's sein? Ich wiederhole, die letzten Entscheidungen liegen -immer bei dieser Papst- und Rom-Frage.«</p> - -<p>»Lagen einmal. Aber damit ist es gründlich vorbei, auch -in Italien selbst. Die letzten Entscheidungen, von denen Sie -sprechen, liegen heutzutage ganz wo anders, und es sind bloß -ein paar Ihrer Zeitungen, die nicht müde werden, der Welt -das Gegenteil zu versichern. Alles bloße Nachklänge. Das -moderne Leben räumt erbarmungslos mit all dem Überkommenen -auf. Ob es glückt, ein Nilreich aufzurichten, ob Japan -ein England im Stillen Ozean wird, ob China mit seinen -vierhundert Millionen aus dem Schlaf aufwacht und, seine -Hand erhebend, uns und der Welt zuruft: ›Hier bin ich,‹ allem -vorauf aber, ob sich der vierte Stand etabliert und stabiliert -(denn darauf läuft doch in ihrem vernünftigen Kern die ganze -Sache hinaus) – das alles fällt ganz anders ins Gewicht als -die Frage ›Quirinal oder Vatikan‹. Es hat sich überlebt. Und -anstaunenswert ist nur das eine, daß es überhaupt noch so weiter -geht. Das ist der Wunder größtes.«</p> - -<p>»Und das sagen Sie, der Sie zeitweilig den Dingen so -nahe gestanden?«</p> - -<p>»<em class="gesperrt">Weil</em> ich ihnen so nahe gestanden.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Auch die beiden voranschreitenden Paare waren in lebhaftem -Gespräch.</p> - -<p>An dem schon in Dämmerung liegenden östlichen Horizont -stiegen die Fabrikschornsteine von Spindlersfelde vor ihnen auf, -und die Rauchfahnen zogen in langsamem Zuge durch die -Luft.</p> - -<p>»Was ist das?« fragte die Baronin, sich an Woldemar -wendend.</p> - -<p>»Das ist Spindlersfelde.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span></p> - -<p>»Kenn ich nicht.«</p> - -<p>»Doch vielleicht, gnädigste Frau, wenn Sie hören, daß -in eben diesem Spindlersfelde der für die weibliche Welt so -wichtige Spindler seine geheimnisvollen Künste treibt. Besser -noch seine verschwiegenen. Denn unsre Damen bekennen sich -nicht gern dazu.«</p> - -<p>»So, der! Ja, dieser unser Wohltäter, den wir – Sie -haben ganz recht – in unserm Undank so gern unterschlagen. -Aber dies Unterschlagen hat doch auch wieder sein Verzeihliches. -Wir tun jetzt (leider) so vieles, was wir, nach einer alten -Anschauung, eigentlich nicht tun sollten. Es ist, mein ich, nicht -passend, auf einem Pferdebahnperron zu stehen, zwischen einem -Schaffner und einer Kiepenfrau, und es ist noch weniger passend, -in einem Fünfzigpfennigbasar allerhand Einkäufe zu -machen und an der sich dabei aufdrängenden Frage: ›Wodurch -ermöglichen sich diese Preise?‹ still vorbeizugehen. Unser Freund -in Spindlersfelde da drüben degradiert uns vielleicht auch -durch das, was er so hilfreich für uns tut. Armgard, wie denken -Sie darüber?«</p> - -<p>»Ganz wie Sie, Baronin.«</p> - -<p>»Und Melusine?«</p> - -<p>Diese gab kopfschüttelnd die Frage weiter und drang darauf, -daß die beiden älteren Herren, die mittlerweile herangekommen -waren, den Ausschlag geben sollten. Aber der alte -Graf wollte davon nichts wissen. »Das sind Doktorfragen. -Auf derlei Dinge lass' ich mich nicht ein. Ich schlage vor, wir -machen lieber kehrt und suchen uns im Eierhäuschen einen -hübschen Platz, von dem aus wir das Leben auf dem Fluß beobachten -und hoffentlich auch den Sonnenuntergang gut -sehen können.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Ziemlich um dieselbe Stunde, wo die Barbyschen und -Berchtesgadenschen Herrschaften ihren Spaziergang auf Spindlersfelde<span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span> -zu machten, erschien unser Freund Mr. Robinson, von -seinem Stallgebäude her, in Front der Lennéstraße, sah erst -gewohnheitsmäßig nach dem Wetter und ging dann quer -durch den Tiergarten auf das Kronprinzenufer zu, wo die -Immes ihn bereits erwarteten.</p> - -<p>Frau Imme, die, wie die meisten kinderlosen Frauen (und -Frauen mit Sappeurbartmännern sind fast immer kinderlos), -einen großen Wirtschafts- und Sauberkeitssinn hatte, hatte -zu Mr. Robinsons Empfang alles in die schönste Ordnung gebracht, -um so mehr, als sie wußte, daß ihr Gast, als ein verwöhnter -Engländer, immer der Neigung nachgab, alles Deutsche, -wenn auch nur andeutungsweise, zu bemängeln. Es lag ihr -daran, ihn fühlen zu lassen, daß man's hier auch verstehe. -So war denn von ihr nicht bloß eine wundervolle Kaffeeserviette, -sondern auch eine silberne Zuckerdose mit Streuselkuchentellern -links und rechts aufgestellt worden. Frau Imme -konnte das alles und noch mehr infolge der bevorzugten Stellung, -die sie von langer Zeit her bei den Barbys einnahm, -zu denen sie schon als fünfzehnjähriges junges Ding gekommen -und in deren Dienst sie bis zu ihrer Verheiratung geblieben -war. Auch jetzt noch hingen beide Damen an ihr, und mit -Hilfe Lizzis, die, so diskret sie war, doch gerne plauderte, war -Frau Imme jederzeit über alles unterrichtet, was im Vorderhause -vorging. Daß der Rittmeister sich für die Damen interessierte, -wußte sie natürlich wie jeder andre, nur nicht – auch -darin wie jeder andre –, für welche.</p> - -<p>Ja, für welche?</p> - -<p>Das war die große Frage, selbst für Mr. Robinson, der -regelmäßig, wenn er die Immes sah, sich danach erkundigte. -Dazu kam es denn auch heute wieder, und zwar sehr bald nach -seinem Eintreffen.</p> - -<p>Eine große Familientasse mit einem in Front eines Tempels -den Bogen spannenden Amor war vor ihn hingestellt<span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span> -worden, und als er dem Streuselkuchen (für den er eine so -große Vorliebe hatte, daß er regelmäßig erklärte, so was gäb -es in den vereinigten drei Königreichen nicht) – als er dem -Streusel liebevoll und doch auch wieder maßvoll zugesprochen -hatte, betrachtete er das Bild auf der großen Tasse, zeigte, was -bei seiner Augenbeschaffenheit etwas Komisches hatte, schelmisch -lächelnd auf den bogenspannenden Amor und sagte: »Hier -hinten ein Tempel und hier vorn ein Lorbeerbusch. Und hier -<em class="antiqua">this little fellow with his arrow</em>. Ich möchte mir die Frage gestatten -– Sie sind eine so kluge Frau, Frau Imme –: wird -er den Pfeil fliegen lassen oder nicht, und wenn er den Pfeil -fliegen läßt, ist es die Priesterin, die hier neben dem Lorbeer -steht, oder ist es eine andre?«</p> - -<p>»Ja, Mr. Robinson,« sagte Frau Imme, »darauf ist schwer -zu antworten. Denn erstens wissen wir nicht, was er überhaupt -vorhat, und dann wissen wir auch nicht: wer ist die -Priesterin? Ist die Komtesse die Priesterin, oder ist die Gräfin -die Priesterin? Ich glaube, wer schon verheiratet war, kann -wohl eigentlich nicht Priesterin sein.«</p> - -<p>»Ach,« sagte Imme, in dem sich der naturwüchsige Mecklenburger -regte, »sein kann alles. Über so was wächst Gras. Ich -glaube, es is die Gräfin.«</p> - -<p>Robinson nickte. »Glaub ich auch. <em class="antiqua">And what's the reason, -dear</em> Mrs. Imme? Weil Witib vor Jungfrau geht. Ich weiß -wohl, es ist immer viel die Rede von <em class="antiqua">virginity</em>, aber <em class="antiqua">widow</em> ist -mehr als <em class="antiqua">virgin</em>.«</p> - -<p>Frau Imme, die nur halb verstanden hatte, verstand doch -genug, um zu kichern, was sie übrigens sittsam mit der Bemerkung -begleitete, sie habe so was von Mr. Robinson nicht -geglaubt.</p> - -<p>Robinson nahm es als Huldigung und trat, nachdem er -sich mit Erlaubnis der »Lady« ein kurzes Pfeifchen mit türkischem -Tabak angesteckt hatte, an ein Fensterchen, in dessen<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span> -mit einer kleinen Laubsäge gemachten Blumenkasten rote Verbenen -blühten, und sagte, während er auf den Hof mit seinen -drei Akazienbäumen herunterblickte: »Wer ist denn der hübsche -Junge da, der da mit seinem <em class="antiqua">hoop</em> spielt? Hier sagen sie -Reifen.«</p> - -<p>»Das is ja Hartwigs Rudolf,« sagte Frau Imme. »Ja, -der Junge hat viel Chic. Und wie er da mit dem Reifen spielt -und die Hedwig immer hinter ihm her, wiewohl sie doch beinahe -seine Mutter sein könnte. Na, ich freue mich immer, wenn -ich ausgelassene Menschen sehe, und wenn Hartwig kommt – -ich wundere mich bloß, daß er noch nicht da ist –, da können Sie -ihm ja sagen, wie hübsch Sie die verwöhnte kleine Range -finden. Das wird ihn freuen; er ist furchtbar eitel. Alle Portiersleute -sind eitel. Aber das muß wahr sein, es ist ein reizender -Junge.«</p> - -<p>Während sie noch so sprachen, erschien Hartwig, auf den -Imme, skatdurstig, schon seit einer Viertelstunde gewartet -hatte, und keine drei Minuten mehr, so war auch Hedwig da, -die sich bis kurz vorher mit ihrem kleinen Cousin Rudolf in -dem Hof unten abgeäschert hatte. Beide wurden mit gleicher -Herzlichkeit empfangen, Hartwig, weil nach seinem Erscheinen -die Skatpartie beginnen konnte, Hedwig, weil Frau Imme -nun gute Gesellschaft hatte. Denn Hedwig konnte wundervoll -erzählen und brachte jedesmal Neuigkeiten mit. Sie mochte -vierundzwanzig sein, war immer sehr sauber gekleidet und von -heiter-übermütigem Gesichtsausdruck. Dazu krauses, kastanienbraunes -Haar. Es traf sich, daß sie mal wieder außer Dienst war.</p> - -<p>»Nun, das ist recht, Hedwig, daß du kommst,« sagte Frau -Imme. »Rudolfen hab ich eben erst gefragt, wo du geblieben -wärst, denn ich habe dich ja mit ihm spielen sehen; aber solch -Junge weiß nie was; der denkt bloß immer an sich, und ob er -sein Stück Kuchen kriegt. Na, wenn er kommt, er soll's haben; -Robinson ißt immer so wenig, wiewohl er den Streusel ungeheuer<span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span> -gern mag. Aber so sind die Engländer, sie sind nicht -so zugreifsch, und dann geniert sich mein Imme auch, und die -Hälfte bleibt übrig. Na, jedenfalls is es nett, daß du wieder -da bist. Ich habe dich ja seit deinem letzten Dienst noch gar nicht -ordentlich gesehen. Es war ja wohl ne Hofrätin? Na, Hofrätinnen, -die kenn ich. Aber es gibt auch gute. Wie war <em class="gesperrt">er</em> -denn?«</p> - -<p>»Na, mit <em class="gesperrt">ihm</em> ging es.«</p> - -<p>»Deine krausen Haare werden wohl wieder schuld sein. Die -können manche nicht vertragen. Und wenn dann die Frau -was merkt, dann is es vorbei.«</p> - -<p>»Nein, so war es nicht. Er war ein sehr anständiger Mann. -Beinahe zu sehr.«</p> - -<p>»Aber, Kind, wie kannst du nur so was sagen? Wie kann -einer <em class="gesperrt">zu</em> anständig sein?«</p> - -<p>»Ja, Frau Imme. Wenn einen einer gar nicht ansieht, -das ist einem auch nicht recht.«</p> - -<p>»Ach, Hedwig, was du da bloß so redst! Und wenn ich -nich wüßte, daß du gar nich so bist … Aber was war es -denn?«</p> - -<p>»Ja, Frau Imme, was soll ich sagen, was es war; es is -ja immer wieder dasselbe. Die Herrschaften können einen -nicht richtig unterbringen. Oder wollen auch nich. Immer -wieder die Schlafstelle oder, wie manche hier sagen, die Schlafgelegenheit.«</p> - -<p>»Aber, Kind, wie denn? Du mußt doch ne Gelegenheit -zum Schlafen haben.«</p> - -<p>»Gewiß, Frau Imme. Und ne Gelegenheit, so denkt mancher, -is ne Gelegenheit. Aber gerade <em class="gesperrt">die</em>, die hat man nich. -Man ist müde zum Umfallen und kann doch nicht schlafen.«</p> - -<p>»Versteh ich nich.«</p> - -<p>»Ja, Frau Imme, das macht, weil Sie von Kindesbeinen -an immer bei so gute Herrschaften waren, und mit Lizzi is es<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span> -jetzt wieder ebenso. Die hat es auch gut un is, wie wenn sie -mit dazu gehörte. Meine Tante Hartwig erzählt mir immer -davon. Und einmal hab ich es auch so gut getroffen. Aber bloß -das eine Mal. Sonst fehlt eben immer die Schlafgelegenheit.«</p> - -<p>Frau Imme lachte.</p> - -<p>»Sie lachen darüber, Frau Imme. Das is aber nich recht, -daß Sie lachen. Glauben Sie mir, es is eigentlich zum Weinen. -Und mitunter hab ich auch schon geweint. Als ich nach Berlin -kam, da gab es ja noch die Hängeböden.«</p> - -<p>»Kenn ich, kenn ich; das heißt, ich habe davon gehört.«</p> - -<p>»Ja, wenn man davon gehört hat, das is nich viel. Man -muß sie richtig kennen lernen. Immer sind sie in der Küche, -mitunter dicht am Herd oder auch gerade gegenüber. Und nun -steigt man auf eine Leiter, und wenn man müde is, kann man -auch runterfallen. Aber meistens geht es. Und nun macht -man die Tür auf und schiebt sich in das Loch hinein, ganz so -wie in einen Backofen. Das is, was sie ne Schlafgelegenheit -nennen. Und ich kann Ihnen bloß sagen: auf einem Heuboden -is es besser, auch wenn Mäuse da sind. Und am schlimmsten -is es im Sommer. Draußen sind dreißig Grad, und auf dem -Herd war den ganzen Tag Feuer; da is es denn, als ob man -auf den Rost gelegt würde. So war es, als ich nach Berlin -kam. Aber ich glaube, sie dürfen jetzt so was nich mehr bauen. -Polizeiverbot. Ach, Frau Imme, die Polizei is doch ein rechter -Segen. Wenn wir die Polizei nich hätten (und sie sind auch -immer so artig gegen einen), so hätten wir gar nichts. Mein -Onkel Hartwig, wenn ich ihm so erzähle, daß man nicht schlafen -kann, der sagt auch immer: ›Kenn ich, kenn ich; der Bourgeois -tut nichts für die Menschheit. Und wer nichts für die Menschheit -tut, der muß abgeschafft werden.‹«</p> - -<p>»Ja, dein Onkel spricht so. Und war es denn bei deinem -Hofrat, wo du nu zuletzt warst, auch so?«</p> - -<p>»Nein, bei Hofrats war es <em class="gesperrt">nicht</em> so. Die wohnten ja auch<span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span> -in einem ganz neuen Hause. Hofrats waren Trockenwohner. -Und in dem, was jetzt die neuen Häuser sind, da kommen, -glaub ich, die Hängeböden gar nicht mehr vor; da haben sie -bloß noch die Badestuben.«</p> - -<p>»Nu, das is aber doch ein Fortschritt.«</p> - -<p>»Ja, das kann man sagen; Badestube als Badestube ist -ein Fortschritt oder, wie Onkel Hartwig immer sagt, ein Kulturfortschritt. -Er hat meistens solche Wörter. Aber Badestube -als Schlafgelegenheit is kein Fortschritt.«</p> - -<p>»Gott, Kind, sie werden dich aber doch nich in eine Badewanne -gepackt haben?«</p> - -<p>»I bewahre. Das tun sie schon der Badewanne wegen nich. -Da werden sie sich hüten. Aber … Ach, Frau Imme, ich -kann nur immer wieder sagen, Sie wissen nich Bescheid; Sie -hatten es gut, wie Sie noch unverheiratet waren, und nu haben -Sie's erst recht gut. Sie wohnen hier wie in einer kleinen Sommerwohnung, -un daß es ein bißchen nach Pferde riecht, das -schadet nich; das Pferd is ein feines und reinliches Tier, und -all seine Verrichtungen sind so edel. Man sagt ja auch: das -edle Pferd. Und außerdem soll es so gesund sein, fast so gut -wie Kuhstall, womit sie ja die Schwindsucht kurieren. Und dazu -haben Sie hier den Blick auf die Kugelakazien und drüben -auf das Marinepanorama, wo man sehen kann, wie alles is, -und dahinter haben Sie den Blick auf die Kunstausstellung, -wo es so furchtbar zieht, bloß damit man immer frische Luft -hat. Aber bei Hofrats … Nein, diese Badestube!«</p> - -<p>»Gott, Hedwig,« sagte Frau Imme, »du tust ja, wie wenn -es eine Mördergrube oder ein Verbrecherkeller gewesen wäre.«</p> - -<p>»Verbrecherkeller? Ach, Frau Imme, das is ja gar nichts. -Ich habe Verbrecherkeller gesehen, natürlich bloß zufällig. Da -trinken sie Weißbier und spielen Sechsundsechzig. Und in einer -Ecke wird was ausbaldowert, aber davon merkt man nichts.«</p> - -<p>»Und die Badestube … warum is sie dir denn so furchtbar,<span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span> -daß du dich ordentlich schudderst? Der Mensch muß doch -am Ende baden können.«</p> - -<p>»Ach was, baden! natürlich. Aber ne Badestube is nie -ne Badestube. Wenigstens hier nicht. Eine Badestube is -ne Rumpelkammer, wo man alles unterbringt, alles, wofür -man sonst keinen Platz hat. Und dazu gehört auch ein Dienstmädchen. -Meine eiserne Bettstelle, die abends aufgeklappt -wurde, stand immer neben der Badewanne, drin alle alten -Bier- und Weinflaschen lagen. Und nun drippten die Neigen -aus. Und in der Ecke stand ein Bettsack, drin die Fräuleins -ihre Wäsche hineinstopften, und in der andern Ecke war eine -kleine Tür. Aber davon will ich zu Ihnen nicht sprechen, weil -ich einen Widerwillen gegen Unanständigkeiten habe, weshalb -schon meine Mutter immer sagte: ›Hedwig, du wirst noch Jesum -Christum erkennen lernen.‹ Und ich muß sagen, das hat sich bei -Hofrats denn auch erfüllt. Aber fromm waren sie weiter nich.«</p> - -<p>Während Hedwig noch so weiter klagte, hörte man, daß -draußen die Klingel ging, und als Frau Imme öffnete, stand -Rudolf auf dem kleinen Flur und sagte, daß er Vatern holen -solle und Hedwigen auch; Mutter müsse weg.</p> - -<p>»Na,« sagte Frau Imme, »dann komm nur, Rudolf, un -iß erst ein Stück Streusel und bestell es nachher bei deinem -Vater.«</p> - -<p>Bald danach nahm sie denn auch den Jungen bei der Hand -und führte ihn in das Nebenzimmer, wo die drei Männer -vergnügt an ihrem Skattisch saßen. Ein großes Spiel war -eben gemacht; alles noch in Aufregung.</p> - -<p>Robinson, als er Rudolfen sah, nickte ihm zu und sagte -zu Imme: »Das is ja der hübsche Junge, den ich vorhin auf -dem Hof gesehen habe mit seinem <em class="antiqua">hoop</em>; – <em class="antiqua">nice boy</em>.«</p> - -<p>»Ja,« sagte Imme, »das ist unserm Freund Hartwig seiner.« -Hartwig selber aber rief seinen Jungen heran und sagte: »Na, -Rudolf, was gibt's? Du willst mich holen. Du sollst aber auch<span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span> -noch ne Freude haben. Kuck dir mal den Herrn da an, der dich -so freundlich ansieht. Das is Robinson.«</p> - -<p>»Haha.«</p> - -<p>»Ja, Junge, warum lachst du? Glaubst du's nich, wenn -ich dir sage, das is Robinson?«</p> - -<p>»I bewahre, Vater. Robinson, <em class="gesperrt">den</em> kenn ich. Robinson -hat nen Sonnenschirm und ein Lama. Un der is auch schon -lange dod.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Fuenfzehntes_Kapitel">Fünfzehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Unsere Landpartieler waren im Angesicht von Spindlersfelde -nach dem Eierhäuschen zurückgekehrt und hatten sich -hier an zwei dicht am Ufer zusammengerückten Tischen niedergelassen, -eine Laube von Baumkronen über sich. Sperlinge hüpften -umher und warteten auf ihre Zeit. Gleich danach erschien -auch ein Kellner, um die Bestellungen entgegenzunehmen. -Es entstand dabei die herkömmliche Verlegenheitspause; niemand -wußte was zu sagen, bis die Baronin auf den Stamm -einer ihr gegenüberstehenden Ulme wies, drauf »Wiener Würstel« -und daneben in noch dickeren Buchstaben das gefällige Wort -»Löwenbräu« stand. In kürzester Frist erschien denn auch -der Kellner wieder, und die Baronin hob ihr Seidel und ließ -das Eierhäuschen und die Spree leben, zugleich versichernd, -»daß man ein echtes Münchener überhaupt nur noch in Berlin -tränke«. Der alte Berchtesgaden wollte jedoch nichts davon -wissen und drang in seine Frau, lieber mehr nach links zu rücken, -um den Sonnenuntergang besser beobachten zu können; »der -sei freilich in Berlin ebenso gut wie wo anders«. Die Baronin -hielt aber aus und rührte sich nicht. »Was Sonnenuntergang! -den seh ich jeden Abend. Ich sitze hier sehr gut und freue mich -schon auf die Lichter.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span></p> - -<p>Und nicht lange mehr, so waren diese Lichter auch wirklich -da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte sich, sondern auch auf -dem drüben am andern Ufer sich hinziehenden Eisenbahndamme -zeigten sich allmählich die verschiedenfarbigen Signale, während -mitten auf der Spree, wo Schleppdampfer die Kähne zogen, -ein verblaktes Rot aus den Kajütenfenstern hervorglühte. Dabei -wurde es kühl, und die Damen wickelten sich in ihre Plaids -und Mäntel.</p> - -<p>Auch die Herren fröstelten ein wenig, und so trat denn der -ersichtlich etwas planende Woldemar nach kurzem Aufundabschreiten -an das in der Nähe befindliche Büfett heran, um da -zur Herstellung einer besseren Innentemperatur das Nötige -zu veranlassen. Und siehe da, nicht lange mehr, so stand auch -schon ein großes Tablett mit Gläsern und Flaschen vor ihnen -und dazwischen ein Deckelkrug, aus dem, als man den Deckel -aufklappte, der heiße Wrasen emporschlug. Die Baronin, in -solchen Dingen die scharfblickendste, war sofort orientiert und -sagte: »Lieber Stechlin, ich beglückwünsche Sie. Das war eine -große Idee.«</p> - -<p>»Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geschehen müsse, -sonst haben wir morgen samt und sonders einen akuten Rheumatismus. -Und zurück müssen wir doch auch. Auf dem Schiffe, -wo solche Hilfsmittel, glaub ich, fehlen, sind wir allen Unbilden -der Elemente preisgegeben.«</p> - -<p>»Und Sie konnten wirklich nicht besser wählen,« unterbrach -Melusine. »Schwedischer Punsch, für den ich ein <em class="antiqua">liking</em> habe. -Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor Wrschowitz nicht -da ist, können wir uns ungestraft einem gewissen Maß von -Skandinavismus überlassen.«</p> - -<p>»Am liebsten ohne alles Maß,« sagte Woldemar, »so skandinavisch -bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den sonst ›Meistbegünstigten‹ -unter den Nationen immer noch vor. Alle Länder -erweitern übrigens ihre Spezialgebiete. Früher hatte Schweden<span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span> -nur zweierlei: Mut und Eisen, von denen man sagen muß, -daß sie gut zusammen passen. Dann kamen die ›Säkerhets -Tändstickors‹, und nun haben wir den schwedischen Punsch, -den ich in diesem Augenblick unbedingt am höchsten stelle. Ihr -Wohl, meine Damen.«</p> - -<p>»Und das Ihre,« sagte Melusine, »denn Sie sind doch der -Schöpfer dieses glücklichen Moments. Aber wissen Sie, lieber -Stechlin, daß ich in Ihrer Aufzählung schwedischer Herrlichkeiten -etwas vermißt habe. Die Schweden haben noch eins – -oder hatten es wenigstens. Und das war die schwedische Nachtigall.«</p> - -<p>»Ja, die hab ich vergessen. Es fällt vor meine Zeit.«</p> - -<p>»Ich müßte,« lachte die Gräfin, »vielleicht auch sagen: -es fällt vor <em class="gesperrt">meine</em> Zeit. Aber ich darf doch andrerseits nicht -verschweigen, die Lind noch leibhaftig gekannt zu haben. Freilich -nicht mehr so eigentlich als schwedische Nachtigall. Und -überhaupt unter anderm Namen.«</p> - -<p>»Ja, ich erinnere mich,« sagte Woldemar, »sie hatte sich -verheiratet. Wie hieß sie doch?«</p> - -<p>»Goldschmidt, – ein Name, den man schon um ›Goldschmieds -Töchterlein‹ willen gelten lassen kann. Aber an Jenny -Lind reicht er allerdings nicht heran.«</p> - -<p>»Gewiß nicht. Und Sie sagten, Frau Gräfin, Sie hätten -sie noch persönlich gekannt?«</p> - -<p>»Ja, gekannt und auch gehört. Sie sang damals, wenn -auch nicht mehr öffentlich, so doch immer noch in ihrem häuslichen -Salon. Diese Bekanntschaft zählt zu meinen liebsten -und stolzesten Erinnerungen. Ich war noch ein halbes Kind, -aber trotzdem doch mit eingeladen, was mir allein schon etwas -bedeutete. Dazu die Fahrt von Hyde-Park bis in die Villa -hinaus. Ich weiß noch deutlich, ich trug ein weißes Kleid und -einen hellblauen Kaschmirumhang und das Haar ganz aufgelöst. -Die Lind beobachtete mich, und ich sah, daß ich ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span> -gefiel. Wenn man Eindruck macht, das behält man. Und nun -gar mit vierzehn!«</p> - -<p>»Die Lind,« warf die Baronin etwas prosaisch ein, »soll -ihrerseits als Kind sehr häßlich gewesen sein.«</p> - -<p>»Ich hätte das Gegenteil vermutet,« bemerkte Woldemar.</p> - -<p>»Und auf welche Veranlassung hin, lieber Stechlin?«</p> - -<p>»Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es, wie bekannt, -seit einiger Zeit von einem unsrer besten Maler auf -unsrer Nationalgalerie. Aber lange bevor ich es da sah, kannt -ich es schon <em class="antiqua">en miniature</em>, und zwar aus einer im Besitz meines -Freundes Lorenzen befindlichen Aquarelle. Diese Kopie hängt -über seinem Sofa, dicht unter einer Rubensschen Kreuzabnahme. -Wenn man will, eine etwas sonderbare Zusammenstellung.«</p> - -<p>»Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!« sagte Melusine. -»Wissen Sie, Rittmeister, daß ich die Tatsache, daß so was -überhaupt in einem kleinen Dorfe vorkommen kann, Ihrem -berühmten See beinah gleichstelle? Unsre schwedische Nachtigall -in Ihrem ›Ruppiner Winkel‹, wie Sie selbst beständig sich -auszudrücken lieben. Die Lind! Und wie kam Ihr Pastor dazu?«</p> - -<p>»Die Lind war, glaub ich, seine erste Liebe. Sehr wahrscheinlich -auch seine letzte. Lorenzen saß damals noch auf der Schulbank -und schlug sich mit Stundengeben durch. Aber er hörte -die Diva trotzdem jeden Abend und wußte sich auch, trotz bescheidenster -Mittel, das Bildchen zu verschaffen. Fast grenzt -es ans Wunderbare. Freilich verlaufen die Dinge meist so. -Wär er reich gewesen, so hätt er sein Geld anderweitig vertan -und die Lind vielleicht nie gehört und gesehen. Nur die Armen -bringen die Mittel auf für das, was jenseits des Gewöhnlichen -liegt; aus Begeisterung und Liebe fließt alles. Und es ist etwas -sehr Schönes, daß es so ist in unserm Leben. Vielleicht das -Schönste.«</p> - -<p>»Das will ich meinen,« sagte die Gräfin. »Und ich dank -es Ihnen, lieber Stechlin, daß Sie das gesagt haben. Das<span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span> -war ein gutes Wort, das ich Ihnen nicht vergessen will. Und -dieser Lorenzen war Ihr Lehrer und Erzieher?«</p> - -<p>»Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein Freund -und Berater. Der, den ich über alles liebe.«</p> - -<p>»Gehen Sie darin nicht zu weit?« lachte Melusine.</p> - -<p>»Vielleicht, Gräfin, oder sag ich lieber: gewiß. Und ich -hätte dessen eingedenk sein sollen, gerade heut und gerade hier. -Aber soviel bleibt: ich liebe ihn sehr, weil ich ihm alles verdanke, -was ich bin, und weil er reinen Herzens ist.«</p> - -<p>»Reinen Herzens,« sagte Melusine. »Das ist viel. Und Sie -sind dessen sicher?«</p> - -<p>»Ganz sicher.«</p> - -<p>»Und von diesem Unikum erzählen Sie uns erst heute! -Da waren Sie neulich mit dem guten Wrschowitz bei uns und -haben uns allerhand Schreckliches von Ihrem misogynen -Prinzen wissen lassen. Und während Sie den in den Vordergrund -stellen, halten Sie diesen Pastor Lorenzen ganz gemütlich -in Reserve. Wie kann man so grausam sein und mit seinen Berichten -und Redekünsten so launenhaft operieren! Aber holen -Sie wenigstens nach, was Sie versäumt haben. Die Fragen -drängen sich ordentlich. Wie kam Ihr Vater auf den Einfall, -Ihnen einen solchen Erzieher zu geben? Und wie kam -ein Mann wie dieser Lorenzen in diese Gegenden? Und wie -kam er überhaupt in diese Welt? Es ist so selten, so selten.«</p> - -<p>Armgard und die Baronin nickten.</p> - -<p>»Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm zu -hören,« fuhr Melusine fort. »Und er ist unverheiratet? Schon -das allein ist immer ein gutes Zeichen. Durchschnittsmenschen -glauben sich so schnell wie möglich verewigen zu müssen, damit -die Herrlichkeit nicht ausstirbt. Ihr Lorenzen ist eben in -allem, wie mir scheint, ein Ausnahmemensch. Also beginnen.«</p> - -<p>»Ich bin dazu besten Willens, Frau Gräfin. Aber es ist -zu spät dazu, denn das helle Licht, das Sie da sehen, das ist<span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span> -bereits unser Dampfer. Wir haben keine Wahl mehr, wir -müssen abbrechen, wenn wir nicht im Eierhäuschen ein Nachtquartier -nehmen wollen. Unterwegs ist übrigens Lorenzen -ein wundervolles Thema, vorausgesetzt, daß uns der Anblick -der Liebesinsel nicht wieder auf andre Dinge bringt. Aber -hören Sie … der Dampfer läutet schon … wir müssen eilen. -Bis an die Anlegestelle sind noch mindestens drei Minuten!«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Und nun war man glücklich auf dem Schiff, auf dem -Woldemar und die Damen ihre schon auf der Hinfahrt innegehabten -Plätze sofort wieder einnahmen. Nur die beiden in -ihre Plaids gewickelten alten Herren schritten auf Deck auf und -ab und sahen, wenn sie vorn am Bugspriet eine kurze Rast -machten, auf die vielen hundert Lichter, die sich von beiden -Ufern her im Fluß spiegelten. Unten im Maschinenraum hörte -man das Klappern und Stampfen, während die Schiffsschraube -das Wasser nach hinten schleuderte, daß es in einem weißen -Schaumstreifen dem Schiffe folgte. Sonst war alles still, so still, -daß die Damen ihr Gespräch unterbrachen. »Armgard, du bist so -schweigsam,« sagte Melusine, »finden Sie nicht auch, lieber Stechlin? -Meine Schwester hat noch keine zehn Worte gesprochen.«</p> - -<p>»Ich glaube, Gräfin, wir lassen die Komtesse. Manchen -kleidet es zu sprechen, und manchen kleidet es zu schweigen. -Jedes Beisammensein braucht einen Schweiger.«</p> - -<p>»Ich werde Nutzen aus dieser Lehre ziehen.«</p> - -<p>»Ich glaub es nicht, Gräfin, und vor allem wünsch ich es -nicht. Wer könnt es wünschen?«</p> - -<p>Sie drohte ihm mit dem Finger. Dann schwieg man wieder -und sah auf die Landschaft, die da, wo der am Ufer hinlaufende -Straßenzug breite Lücken aufwies, in tiefem Dunkel -lag. Urplötzlich aber stieg gerad aus dem Dunkel heraus ein -Lichtstreifen hoch in den Himmel und zerstob da, wobei rote und -blaue Leuchtkugeln langsam zur Erde niederfielen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span></p> - -<p>»Wie schön,« sagte Melusine. »Das ist mehr, als wir erwarten -durften; Ende gut, alles gut, – nun haben wir auch -noch ein Feuerwerk. Wo mag es sein? Welche Dörfer liegen -da hinüber? Sie sind ja so gut wie ein Generalstäbler, lieber -Stechlin, Sie müssen es wissen. Ich vermute Friedrichsfelde. -Reizendes Dorf und reizendes Schloß. Ich war einmal da; -die Dame des Hauses ist eine Schwester der Frau von Hülsen. -Ist es Friedrichsfelde?«</p> - -<p>»Vielleicht, gnädigste Gräfin. Aber doch nicht wahrscheinlich. -Friedrichsfelde gehört nicht in die Reihe der Vororte, -wo Feuerwerke sozusagen auf dem Programm stehen. Ich -denke, wir lassen es im Ungewissen und freuen uns der Sache -selbst. Sehen Sie, jetzt beginnt es erst recht eigentlich. Die -Rakete, die wir da vorhin gesehen haben, das war nur Vorspiel. -Jetzt haben wir erst das Stück. Es ist zu weit ab, sonst würden -wir das Knattern hören und die Kanonenschläge. Wahrscheinlich -ist es Sedan oder Düppel oder der Übergang nach Alsen. -Übrigens ist die Pyrotechnik eine profunde Wissenschaft geworden.«</p> - -<p>»Und es soll auch Personen geben, die ganz dafür leben -und ihr Vermögen hinopfern wie früher die Holländer für die -Tulpen. Tulpen wäre nun freilich nicht mein Geschmack! -Aber Feuerwerk!«</p> - -<p>»Ja, unbedingt. Und nur schade, daß alle die, die damit -zu tun haben, über kurz oder lang in die Luft fliegen.«</p> - -<p>»Das ist fatal. Aber es steigert andrerseits doch auch wieder -den Reiz. Sonderbar, gefahrlose Berufe, solche, die sozusagen -eine Zipfelmütze tragen, sind mir von jeher ein Greuel gewesen. -Interesse hat doch immer nur das Vabanque: Torpedoboote, -Tunnel unter dem Meere, Luftballons. Ich denke mir, das -Nächste, was wir erleben, sind Luftschifferschlachten. Wenn -dann so eine Gondel die andre entert. Ich kann mich in solche -Vorstellungen geradezu verlieben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span></p> - -<p>»Ja, liebe Melusine, das seh ich,« unterbrach hier die Baronin. -»Sie verlieben sich in solche Vorstellungen und vergessen -darüber die Wirklichkeiten und sogar unser Programm. Ich -muß angesichts dieser doch erst kommenden Luftschifferschlachten -ganz ergebenst daran erinnern, daß für heute noch wer anders -in der Luft schwebt, und zwar Pastor Lorenzen. Von <em class="gesperrt">dem</em> sollte -die Rede sein. Freilich, der ist kein Pyrotechniker.«</p> - -<p>»Nein,« lachte Woldemar, »<em class="gesperrt">das</em> ist er nicht. Aber als -einen Aeronauten kann ich ihn Ihnen beinahe vorstellen. Er -ist so recht ein Excelsior-, ein Aufsteigemensch, einer aus der -wirklichen Obersphäre, genau von daher, wo alles Hohe zu -Haus ist, die Hoffnung und sogar die Liebe.«</p> - -<p>»Ja,« lachte die Baronin, »die Hoffnung und sogar die -Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Da müssens zu uns kommen. -Wir haben noch das Dritte; das heißt also, wir wissen -auch, was wir <em class="gesperrt">glauben</em> sollen.«</p> - -<p>»Ja, <em class="gesperrt">sollen</em>.«</p> - -<p>»Sollen, gewiß. Sollen, das ist die Hauptsache. Wenn -man weiß, was man soll, so find't sich's schon. Aber wo das -Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es ist halt a Glück, -daß wir Rom haben und den heiligen Vater.«</p> - -<p>»Ach,« sagte Melusine, »wer's Ihnen glaubt, Baronin! -Aber lassen wir so heikle Fragen und hören wir lieber von -<em class="gesperrt">dem</em>, den ich – ich bin beschämt darüber – in so wenig verbindlicher -Weise vergessen konnte, von unserm Wundermann -mit der Studentenliebe, von dem Säulenheiligen, der reinen -Herzens ist, und vor allem von dem Schöpfer und geistigen -Nährvater unsers Freundes Stechlin. <em class="antiqua">Eh bien</em>, was ist es mit -ihm? ›An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,‹ – das könnt -uns beinahe genügen. Aber ich bin doch für ein Weiteres. Und so -denn <em class="antiqua">attention au jeu</em>. Unser Freund Stechlin hat das Wort.«</p> - -<p>»Ja, unser Freund Stechlin hat das Wort,« wiederholte -Woldemar, »so sagen Sie gütigst, Frau Gräfin. Aber dem<span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span> -nachkommen ist nicht so leicht. Vorhin, da war ich im Zuge. -Jetzt wieder damit anfangen, das hat seine Schwierigkeiten. -Und dann erwarten die Damen immer eine Liebesgeschichte, -selbst wenn es sich um einen Mann handelt, den ich, was diese -Dinge betrifft, so wenig versprechend eingeführt habe. Sie -gehen also, wie heute schon mehrfach (ich erinnere nur an das -Eierhäuschen) einer grausamen Enttäuschung entgegen.«</p> - -<p>»Keine Ausflüchte!«</p> - -<p>»Nun, so sei's denn. Ich muß es aber auf einem Umwege -versuchen und Ihnen bei der Gelegenheit als Nächstes schildern, -wie meine letzte Begegnung mit Lorenzen verlief. Er war, -als ich bei ihm eintrat, in ersichtlich großer Erregung, und zwar -über ein Büchelchen, das er in Händen hielt.«</p> - -<p>»Und ich will raten, was es war,« unterbrach Melusine.</p> - -<p>»Nun?«</p> - -<p>»Ein Buch von Tolstoj. Etwas mit viel Opfer und Entsagung. -Anpreisung von Askese.«</p> - -<p>»Sie sind auf dem richtigen Wege, Gräfin, nur nicht -geographisch. Es handelt sich nämlich nicht östlich um einen -Russen, sondern westlich um einen Portugiesen.«</p> - -<p>»Um einen Portugiesen,« lachte die Baronin. »O, ich -kenne welche. Sie sind alle so klein und gelblich. Und einer fand -einen Seeweg. Freilich schon lange her. Ist es nicht so?«</p> - -<p>»Gewiß, Frau Baronin, es ist so. Nur der, um den es sich -hier handelt, das ist keiner mit einem Seeweg, sondern bloß -ein Dichter.«</p> - -<p>»Ach, dessen erinnere ich mich auch, ja, ich habe sogar seinen -Namen auf der Zunge. Mit einem großen C fängt er an. Aber -Calderon ist es nicht.«</p> - -<p>»Nein, Calderon ist es nicht; es deckt sich da manches, -auch schon rein landkartlich, nicht mit <em class="gesperrt">dem</em>, um den sich's -hier handelt. Und ist überhaupt kein alter Dichter, sondern ein -neuer. Und heißt Joao de Deus.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span></p> - -<p>»Joao de Deus,« wiederholte die Gräfin. »Schon der -Name. Sonderbar. Und was war es mit dem?«</p> - -<p>»Ja, was war es mit <em class="gesperrt">dem</em>? Dieselbe Frage tat ich auch, -und ich habe nicht vergessen, was Lorenzen mir antwortete: -›Dieser Joao de Deus,‹ so etwa waren seine Worte, ›war genau -<em class="gesperrt">das</em>, was ich wohl sein möchte, wonach ich suche, seit ich zu -leben, <em class="gesperrt">wirklich</em> zu leben angefangen, und wovon es beständig -draußen in der Welt heißt, es gäbe dergleichen nicht mehr. -Aber es gibt dergleichen noch, es muß dergleichen geben oder -doch <em class="gesperrt">wieder</em> geben. Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar -erst das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut auf -dem Ich. Das ist ihr Fluch, und daran muß sie zugrunde -gehen. Die zehn Gebote, das war der Alte Bund, der Neue -Bund aber hat ein andres, ein einziges Gebot, und das klingt -aus in: Und du hättest der Liebe nicht …‹«</p> - -<p>»Ja, so sprach Lorenzen,« fuhr Woldemar nach einer Pause -fort, »und sprach auch noch andres, bis ich ihn unterbrach und -ihm zurief: ›Aber, Lorenzen, das sind ja bloß Allgemeinheiten. -Sie wollten mir Persönliches von Joao de Deus erzählen. -Was ist es mit dem? Wer war er? Lebt er? Oder ist er tot?‹«</p> - -<p>»›Er ist tot, aber seit kurzem erst, und von seinem Tode -spricht das kleine Heft hier. Höre.‹ Und nun begann er zu lesen. -Das aber, was er las, das lautete etwa so: ›… Und als er -nun tot war, der Joao de Deus, da gab es eine Landestrauer, -und alle Schulen der Hauptstadt waren geschlossen, und die -Minister und die Leute vom Hof und die Gelehrten und die -Handwerker, alles folgte dem Sarge dicht gedrängt, und die -Fabrikarbeiterinnen hoben schluchzend ihre Kinder in die Höh -und zeigten auf den Toten und sagten: <em class="antiqua">Un Santo, un Santo.</em> -Und sie taten so und sagten so, weil er für die Armen gelebt -hatte und <em class="gesperrt">nicht für sich</em>.‹«</p> - -<p>»Das ist schön,« sagte Melusine.</p> - -<p>»Ja, das ist schön,« wiederholte Woldemar, »und ich darf<span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span> -hinzusetzen, in dieser Geschichte haben Sie nicht bloß den Joao -de Deus, sondern auch meinen Freund Lorenzen. Er ist vielleicht -nicht ganz wie sein Ideal. Aber Liebe gibt Ebenbürtigkeit.«</p> - -<p>»Und so schlag ich denn vor,« sagte die Baronin, »daß -wir den mit dem C, dessen Namen mir übrigens noch einfallen -wird, vorläufig absetzen und statt seiner den neuen mit dem D -leben lassen. Und natürlich unsern Lorenzen dazu.«</p> - -<p>»Ja, leben lassen,« lachte Woldemar. »Aber womit? worin? -<em class="antiqua">Les jours de fête</em> …« und er wies auf das Eierhäuschen -zurück.</p> - -<p>»In dieser Notlage wollen wir uns helfen, so gut es geht, -und uns statt andrer Beschwörung einfach die Hände reichen, -selbstverständlich über Kreuz; hier, erst Stechlin und Armgard -und dann Melusine und ich.«</p> - -<p>Und wirklich, sie reichten sich in heiterer Feierlichkeit die -Hände.</p> - -<p>Gleich danach aber traten die beiden alten Herren an die -Gruppe heran, und der Baron sagte: »Das ist ja wie Rütli.«</p> - -<p>»Mehr, mehr. Bah, Freiheit! Was ist Freiheit gegen -Liebe!«</p> - -<p>»So, hat's denn eine Verlobung gegeben?«</p> - -<p>»Nein … noch nicht,« lachte Melusine.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_187">[187]</a></span></p> - -<h2 id="Wahl_in_Rheinsberg_Wutz">Wahl in Rheinsberg-Wutz</h2> - -<h3 id="Sechzehntes_Kapitel">Sechzehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Der andre Morgen rief Woldemar zeitig zum Dienst. -Als er um neun Uhr auf sein Zimmer zurückkehrte, fand er -auf dem Frühstückstisch Zeitungen und Briefe. Darunter war -einer mit einem ziemlich großen Siegel, der Lack schlecht und -der Brief überhaupt von sehr unmodischer Erscheinung, ein -bloß zusammengelegter Quartbogen. Woldemar, nach Poststempel -und Handschrift sehr wohl wissend, woher und von -wem der Brief kam, schob ihn, während Fritz den Tee brachte, -beiseite, und erst als er eine Tasse genommen und länger als -nötig dabei verweilt hatte, griff er wieder nach dem Brief -und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich hätte -mir, nach dem gestrigen Abend, heute früh was andres gewünscht -als gerade <em class="gesperrt">diesen</em> Brief.« Und während er das so vor sich hin -sprach, standen ihm, er mochte wollen oder nicht, die letzten -Wutzer Augenblicke wieder vor der Seele. Die Tante hatte, -kurz bevor er das Kloster verließ, noch einmal vertraulich seine -Hand genommen und ihm bei der Gelegenheit ausgesprochen, -was sie seit lange bedrückte.</p> - -<p>»Das Junggesellenleben, Woldemar, taugt nichts. Dein -Vater war auch schon zu alt, als er sich verheiratete. Ich will -nicht in deine Geheimnisse eindringen, aber ich möchte doch -fragen dürfen: wie stehst du dazu?«</p> - -<p>»Nun, ein Anfang ist gemacht. Aber doch erst obenhin.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188">[188]</a></span></p> - -<p>»Berlinerin?«</p> - -<p>»Ja und nein. Die junge Dame lebt seit einer Reihe von -Jahren in Berlin und liebt unsre Stadt über Erwarten. Insoweit -ist sie Berlinerin. Aber eigentlich ist sie doch keine; sie -wurde drüben in London geboren, und ihre Mutter war eine -Schweizerin.«</p> - -<p>»Um Gottes willen!«</p> - -<p>»Ich glaube, liebe Tante, du machst dir falsche Vorstellungen -von einer Schweizerin. Du denkst sie dir auf einer Alm -und mit einem Milchkübel.«</p> - -<p>»Ich denke sie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß nur, -daß es ein wildes Land ist.«</p> - -<p>»Ein freies Land, liebe Tante.«</p> - -<p>»Ja, das kennt man. Und wenn du das Spiel noch einigermaßen -in der Hand hast, so beschwör ich dich …«</p> - -<p>An dieser Stelle war, wie schon vorher durch Fix, abermals -(weil eine Störung kam) das Gespräch mit der Tante auf andre -Dinge hingeleitet worden, und nun hielt er ihren Brief in Händen -und zögerte, das Siegel zu brechen. »Ich weiß, was drin -steht, und ängstige mich doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe -gibt, so gibt es wenigstens Verstimmungen. Und die sind -mir womöglich noch fataler … Aber was hilft es!«</p> - -<p>Und nun brach er den Brief auf und las:</p> - -<p>»Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß Du meine -letzten Worte noch in Erinnerung hast. Sie liefen auf den Rat -und die Bitte hinaus: gib auch in dieser Frage die Heimat -nicht auf, halte Dich, wenn es sein kann, an das Nächste. Schon -unsre Provinzen sind so sehr verschieden. Ich sehe Dich über -solche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel -nenne, das gibt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer alten -Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch reiner -als bei uns. Ich will nicht ausführen, wie's bei schärferem -Zusehen auf dem adligen Gesamtgebiete steht, aber doch wenigstens<span class="pagenum"><a id="Seite_189">[189]</a></span> -ein paar Andeutungen will ich machen. Ich habe sie von -allen Arten gesehen. Da sind zum Beispiel die rheinischen -jungen Damen, also die von Köln und Aachen; nun ja, die -mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn sie nicht -katholisch sind, dann sind sie was anders, wo der Vater erst -geadelt wurde. Neben den rheinischen haben wir dann die westfälischen. -Über die ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen -Herrschaften, die sich mitunter auch Magnaten nennen, -sind alle so gut wie polnisch und leben vom Jeu und haben die -hübschesten Erzieherinnen; immer ganz jung, da macht es sich -am leichtesten. Und dann sind da noch weiterhin die preußischen, -das heißt die ostpreußischen, wo schon alles aufhört. Nun -die kenn ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen und schlagen -aus und beknabbern alles. Und je reicher sie sind, desto schlimmer. -Und nun wirst du fragen, warum ich gegen andre so -streng und so sehr für unsre Mark bin, ja speziell für unsre -Mittelmark. Deshalb, mein lieber Woldemar, weil wir in unsrer -Mittelmark nicht so bloß äußerlich in der Mitte liegen, sondern -weil wir auch in allem die rechte Mitte haben und halten. -Ich habe mal gehört, unser märkisches Land sei <em class="gesperrt">das</em> Land, -drin es nie Heilige gegeben, drin man aber auch keine Ketzer -verbrannt habe. Sieh, das ist das, worauf es ankommt, -Mittelzustand, – darauf baut sich das Glück auf. Und dann -haben wir hier noch zweierlei: in unserer Bevölkerung die -reine Lehre und in unserm Adel das reine Blut. <em class="gesperrt">Die</em>, wo das -nicht zutrifft, die kennt man. Einige meinen freilich, das, was -sie das ›Geistige‹ nennen, das litte darunter. Das ist aber -alles Torheit. Und wenn es litte (es leidet aber nicht), so -schadet das gar nichts. Wenn das Herz gesund ist, ist der Kopf -nie ganz schlecht. Auf diesen Satz kannst Du Dich verlassen. -Und so bleibe denn, wenn Du suchst, in unsrer Mark und vergiß -nie, daß wir das sind, was man so ›brandenburgische Geschichte‹ -nennt. Am eindringlichsten aber laß Dir unsre Rheinsberger<span class="pagenum"><a id="Seite_190">[190]</a></span> -Gegend empfohlen sein, von der mir selbst Koseleger – trotzdem -seine Feinde behaupten, er betrachte sich hier bloß wie in Verbannung -und sehne sich fort nach einer Berliner Domstelle – -von der mir selbst Koseleger sagte: ›Wenn man sich die preußische -Geschichte genau ansieht, so findet man immer, daß sich -alles auf unsre alte, liebe Grafschaft zurückführen läßt; da liegen -die Wurzeln unsrer Kraft.‹ Und so schließe ich denn mit der -Bitte: heirate heimisch und heirate lutherisch. Und nicht nach -Geld (Geld erniedrigt), und halte Dich dabei versichert der Liebe -Deiner Dich herzlich liebenden Tante und Patin Adelheid von St.«</p> - -<p>Woldemar lachte. »Heirate heimisch und heirate lutherisch -– das hör ich nun schon seit Jahren. Und auch das dritte höre -ich immer wieder: ›Geld erniedrigt.‹ Aber das kenn ich. Wenn's -nur recht viel ist, kann es schließlich auch eine Chinesin sein. -In der Mark ist alles Geldfrage. Geld – weil keins da ist – -spricht Person und Sache heilig und, was noch mehr sagen will, -beschwichtigt zuletzt auch den Eigensinn einer alten Tante.«</p> - -<p>Während er lachend so vor sich hin sprach, überflog er noch -einmal den Brief und sah jetzt, daß eine Nachschrift an den -Rand der vierten Seite gekritzelt war. »Eben war Katzler hier, -der mir von der am Sonnabend in unserm Kreise stattfindenden -Nachwahl erzählte. Dein Vater ist aufgestellt worden und -hat auch angenommen. Er bleibt doch immer der Alte. Gewiß -wird er sich einbilden, ein Opfer zu bringen, – er litt von -Jugend auf an solchen Einbildungen. Aber was ihm ein Opfer -bedünkte, waren, bei Lichte besehen, immer bloß Eitelkeiten. -Deine A. von St.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Siebzehntes_Kapitel">Siebzehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Es war so, wie die Tante geschrieben: Dubslav hatte sich -als konservativen Kandidaten aufstellen lassen, und wenn für<span class="pagenum"><a id="Seite_191">[191]</a></span> -Woldemar noch Zweifel darüber gewesen wären, so hätten -einige am Tage darauf von Lorenzen eintreffende Zeilen diese -Zweifel beseitigt. Es hieß in Lorenzens Brief:</p> - -<p>»Seit Deinem letzten Besuch hat sich hier allerlei Großes -zugetragen. Noch am selben Abend erschienen Gundermann -und Koseleger und drangen in Deinen Vater, zu kandidieren. -Er lehnte zunächst natürlich ab; er sei weltfremd und verstehe -nichts davon. Aber damit kam er nicht weit. Koseleger, der – -was ihm auch später noch von Nutzen sein wird – immer ein -paar Anekdoten auf der Pfanne hat, erzählte ihm sofort, daß -vor Jahren schon, als ein von Bismarck zum Finanzminister -Ausersehener sich in gleicher Weise mit einem ›Ich verstehe -nichts davon‹ aus der Affäre ziehen wollte, der bismarckisch-prompten -Antwort begegnet sei: ›Darum wähle ich Sie ja -gerade, mein Lieber,‹ – eine Geschichte, der Dein Vater natürlich -nicht widerstehen konnte. Kurzum, er hat eingewilligt. Von -Herumreisen ist selbstverständlich Abstand genommen worden, -ebenso vom Redenhalten. Schon nächsten Sonnabend haben -wir Wahl. In Rheinsberg, wie immer, fallen die Würfel. Ich -glaube, daß er siegt. Nur die Fortschrittler können in Betracht -kommen und allenfalls die Sozialdemokraten, wenn vom -Fortschritt (was leicht möglich ist) einiges abbröckelt. Unter -allen Umständen schreibe Deinem Papa, daß Du Dich seines -Entschlusses freutest. Du kannst es mit gutem Gewissen. -Bringen wir ihn durch, so weiß ich, daß kein Besserer im Reichstag -sitzt und daß wir uns alle zu seiner Wahl gratulieren -können. Er sich persönlich allerdings auch. Denn sein Leben -hier ist zu einsam, so sehr, daß er, was doch sonst nicht seine -Sache ist, mitunter darüber klagt. Das war das, was ich Dich -wissen lassen mußte. ›Sonst nichts Neues vor Paris.‹ Krippenstapel -geht in großer Aufregung einher; ich glaube, wegen -unsrer auf Donnerstag in Stechlin selbst angesetzten Vorversammlung, -wo er mutmaßlich seine herkömmliche Rede<span class="pagenum"><a id="Seite_192">[192]</a></span> -über den Bienenstaat halten wird. Empfiehl mich Deinen zwei -liebenswürdigen Freunden, besonders Czako. Wie immer, -Dein alter Freund Lorenzen.«</p> - -<p>Woldemar, als er gelesen, wußte nicht recht, wie er sich -dazu stellen sollte. Was Lorenzen da schrieb, »daß kein Besserer -im Hause sitzen würde«, war richtig; aber er hatte trotzdem Bedenken -und Sorge. Der Alte war durchaus kein Politiker, er -konnte sich also stark in die Nesseln setzen, ja vielleicht zur komischen -Figur werden. Und dieser Gedanke war ihm, dem -Sohne, der den Vater schwärmerisch liebte, sehr schmerzlich. -Außerdem blieb doch auch immer noch die Möglichkeit, daß er -in dem Wahlkampf unterlag.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Diese Bedenken Woldemars waren nur allzu berechtigt. -Es stand durchaus nicht fest, daß der alte Dubslav, so beliebt -er selbst bei den Gegnern war, als Sieger aus der Wahlschlacht -hervorgehen müsse. Die Konservativen hatten sich freilich -daran gewöhnt, Rheinsberg-Wutz als eine »Hochburg« anzusehen, -die der staatserhaltenden Partei nicht verloren gehen -könne; diese Vorstellung aber war ein Irrtum, und die bisherige -Reverenz gegen den alten Kortschädel wurzelte lediglich -in etwas Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen -und Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen -persönlichen Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, -und das Anrecht, das sich der alte Kortschädel ersessen hatte, mit -diesem mußt es vorbei sein, eben weil sich's endlich um einen -Neuen handelte. Kein Zweifel, die gegnerischen Parteien regten -sich, und es lag genau so, wie Lorenzen an Woldemar geschrieben, -»daß ein Fortschrittler, aber auch ein Sozialdemokrat -gewählt werden könne«.</p> - -<p>Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der -am besten erfahren, der im Vorübergehen an der Kontortür -des alten Baruch Hirschfeld gehorcht hätte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_193">[193]</a></span></p> - -<p>»Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten -Herrn von Stechlin.«</p> - -<p>»Nein, Vater. Ich werde <em class="gesperrt">nicht</em> wählen den guten alten -Herrn von Stechlin.«</p> - -<p>»Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das -richtige Herz.«</p> - -<p>»Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip.«</p> - -<p>»Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, -als du hast scharmiert mit dem Mariechen von nebenan und -hast ihr aufgebunden das Schürzenband, und sie hat dir gegeben -einen Klaps. Du hast gebuhlt um das christliche Mädchen. -Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. -Und das mit dem Mädchen, das hab ich dir verziehen. -Aber die öffentliche Meinung verzeih ich dir nicht.«</p> - -<p>»Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. -Und wenn ich wähle, wähl ich für die Menschheit.«</p> - -<p>»Geh mir, Isidor, <em class="gesperrt">die</em> kenn ich. Die Menschheit, die will -haben, aber nicht geben. Und jetzt wollen sie auch noch teilen.«</p> - -<p>»Laß sie teilen, Vater.«</p> - -<p>»Gott der Gerechte, was meinst du, was du kriegst? Nicht -den zehnten Teil.«</p> - -<p>Und ähnlich ging es in den andern Ortschaften. In Wutz -sprach Fix für das Kloster und die Konservativen im allgemeinen, -ohne dabei Dubslav in Vorschlag zu bringen, weil er -wußte, wie die Domina zu ihrem Bruder stand. Ein Linkskandidat -aus Cremmen schien denn auch in der Wutzer Gegend -die Oberhand gewinnen zu wollen. Noch gefährlicher für die -ganze Grafschaft war aber ein Wanderapostel aus Berlin, -der von Dorf zu Dorf zog und die kleinen Leute dahin belehrte, -daß es ein Unsinn sei, von Adel und Kirche was zu erwarten. -Die vertrösteten immer bloß auf den Himmel. Achtstündiger -Arbeitstag und Lohnerhöhung und Sonntagspartie nach -Finkenkrug, – <em class="gesperrt">das</em> sei das Wahre.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_194">[194]</a></span></p> - -<p>So zersplitterte sich's allerorten. Aber wenigstens um -den Stechlin herum hoffte man der Sache noch Herr werden -und alle Stimmen auf Dubslav vereinigen zu können. Im -Dorfkruge wollte man zu diesem Zwecke beraten, und Donnerstag -sieben Uhr war dazu festgesetzt.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Der Stechliner Krug lag an dem Platze, der durch die Kreuzung -der von Wutz her heranführenden Kastanienallee mit der -eigentlichen Dorfstraße gebildet wurde, und war unter den -vier hier gelegenen Eckhäusern das stattlichste. Vor seiner Front -standen ein paar uralte Linden, und drei, vier Stehkrippen -waren bis dicht an die Hauswand herangeschoben, aber alle -ganz nach links hin, wo sich Eckladen und Gaststube befanden, -während nach der rechten Seite hin der große Saal lag, in dem -heute Dubslav, wenn nicht für die Welt, so doch für Rheinsberg-Wutz, -und wenn nicht für Rheinsberg-Wutz, so doch für -Stechlin und Umgegend proklamiert werden sollte. Dieser -große Saal war ein fünffenstriger Längsraum, der schon manchen -Schottischen erlebt, was er in seiner Erscheinung auch -heute nicht zu verleugnen trachtete. Denn nicht nur waren -ihm alle seine blanken Wandleuchter verblieben, auch die mächtige -Baßgeige, die jedesmal wegzuschaffen viel zu mühsam -gewesen wäre, guckte, schräg gestellt, mit ihrem langen Halse -von der Musikempore her über die Brüstung fort.</p> - -<p>Unter dieser Empore, quer durch den Saal hin, stand ein -für das Komitee bestimmter länglicher Tisch mit Tischdecke, -während auf den links und rechts sich hinziehenden Bänken -einige zwanzig Vertrauensmänner saßen, denen es hinterher -oblag, im Sinne der Komiteebeschlüsse weiter zu wirken. Die -Vertrauensmänner waren meist wohlhabende Stechliner -Bauern, untermischt mit offiziellen und halboffiziellen Leuten -aus der Nachbarschaft: Förster und Waldhüter und Vormänner -von den verschiedenen Glas- und Teeröfen. Zu diesen<span class="pagenum"><a id="Seite_195">[195]</a></span> -gesellte sich noch ein Torfinspektor, ein Vermessungsbeamter, -ein Steueroffiziant und schließlich ein gescheiterter Kaufmann, der -jetzt Agent war und die Post besorgte. Natürlich war auch -Landbriefträger Brose da samt der gesamten Sicherheitsbehörde: -Fußgensdarm Uncke und Wachtmeister Pyterke von -der reitenden Gensdarmerie. Pyterke gehörte nur halb mit zum -Revier (es war das immer ein streitiger Punkt), erschien aber -trotzdem mit Vorliebe bei Versammlungen der Art. Es gab -nämlich für ihn nichts Vergnüglicheres, als seinen Kameraden -und Amtsgenossen Uncke bei solcher Gelegenheit zu beobachten -und sich dabei seiner ungeheuren, übrigens durchaus berechtigten -Überlegenheit als schöner Mann und ehemaliger Gardekürassier -bewußt zu werden. Uncke war ihm der Inbegriff des -Komischen, und wenn ihn schon das rote, verkupferte Gesicht -an und für sich amüsierte, so doch viel, viel mehr noch der gefärbte -Schuhbürstenbackenbart, vor allem aber das Augenspiel, -mit dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte. Pyterke -hatte recht: Uncke war wirklich eine komische Figur. Seine -Miene sagte beständig: »An mir hängt es.« Dabei war er ein -höchst gutmütiger Mann, der nie mehr als nötig aufschrieb -und auch nur selten auflöste.</p> - -<p>Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Türen. An der -Mitteltür standen die beiden Gensdarmen und rückten sich zurecht, -als sich der Vorsitzende des Komitees mit dem Glockenschlag -sieben von seinem Platz erhob und die Sitzung für eröffnet -erklärte. Dieser Vorsitzende war natürlich Oberförster -Katzler, der heute, statt des bloßen schwarz-weißen Bandes, -sein bei St. Marie aux Chênes erworbenes Eisernes Kreuz in -Substanz eingeknöpft hatte. Neben ihm saßen Superintendent -Koseleger und Pastor Lorenzen, an der linken Schmalseite -Krippenstapel, an der rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer auch -dekoriert, und zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei -Düppel in der Reserve gestanden. Er scherzte gern darüber und<span class="pagenum"><a id="Seite_196">[196]</a></span> -sagte, während er seine beneidenswerten Zähne zeigte: »Ja, -Kinder, so geht es. Bei Alsen war ich, aber bei Düppel war ich -nich, und dafür hab ich nu die Düppelmedaille.«</p> - -<p>Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoristisch angeflogene -Persönlichkeit, Liebling des alten Dubslav, und trat -immer, wenn sich die alten Kriegerbundleute von sechsundsechzig -und siebzig aufs hohe Pferd setzen wollten, für die von -vierundsechzig ein. »Ja, vierundsechzig, Kinder, da fing es an. -Und aller Anfang ist schwer. Anfangen ist immer die Hauptsache; -das andre kommt dann schon wie von selbst.« Ein alter -Globsower, der bei Spichern mitgestürmt und sich durch besondere -Tapferkeit hervorgetan hatte, war denn auch, bloß -weil er einer von Anno siebzig war, ein Gegenstand seiner besonderen -Bemängelungen. »Ich will ja nich sagen, Tübbecke, -daß es bei Spichern gar nichts war; aber gegen Düppel (wenn -ich auch nicht mit dabei gewesen), gegen Düppel war es gar -nichts. Wie war es denn bei Spichern, wovon du soviel redst, -als ob sich vierundsechzig daneben verstecken müßte? Bei -Spichern, da waren Menschen oben, aber bei Düppel, da waren -Schanzen oben. Und ich sag dir, Schanzen mit'm Turm drin. -Da pfeift es ganz anders. Das heißt, von Pfeifen war schon -eigentlich gar keine Rede mehr.« Eine Folge dieser Anschauung -war es denn auch, daß in den Augen Kluckhuhns der Pionier -Klinke, der bei Düppel unter Opferung seines Lebens den Palisadenpfahl -von Schanze drei weggesprengt hatte, der eigentliche -Held aller drei Kriege war und alles in allem nur einen -Rivalen hatte. Dieser <em class="gesperrt">eine</em> Rivale stand aber drüben auf Seite -der Dänen und war überhaupt kein Mensch, sondern ein Schiff -und hieß Rolf Krake. »Ja, Kinder, wie wir nu da so rüber -gondelten, da lag das schwarze Biest immer dicht neben uns -und sah aus wie'n Sarg. Und wenn es gewollt hätte, so wär -es auch alle mit uns gewesen und bloß noch plumps in den -Alsensund. Und weil wir das wußten, schossen wir immer drauflos,<span class="pagenum"><a id="Seite_197">[197]</a></span> -denn wenn einem so zu Mute ist, dann schießt der Mensch -immerzu.«</p> - -<p>Ja, Rolf Krake war eine fatale Sache für Kluckhuhn gewesen. -Aber dasselbe schwarze Schiff, das ihm damals so viel -Furcht und Sorge gemacht hatte, war doch auch wieder ein -Segen für ihn geworden, und man durfte sagen, sein Leben -stand seitdem im Zeichen von Rolf Krake. Wie Gundermann -immer der Sozialdemokratie das »Wasser abstellen« wollte, -so verglich Kluckhuhn alles zur Sozialdemokratie Gehörige mit -dem schwarzen Ungetüm im Alsensund. »Ich sag euch, was -sie jetzt die soziale Revolution nennen, das liegt neben uns wie -damals Rolf Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er -dazwischen.«</p> - -<p>Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner Gegend -sehr angesehen, und als er jetzt mit seiner Medaille so dasaß, -dicht neben Koseleger, war er sich dessen auch wohl bewußt. -Aber gegen Krippenstapel, den er als Schulpauker und Bienenvater -eigentlich nicht für voll ansah, kam er bei dieser Gelegenheit -doch nicht an; Krippenstapel hatte heute ganz seinen großen -Tag, so sehr, daß selbst Kluckhuhn seinen Ton herabstimmen -mußte.</p> - -<p>Katzler, ein entschiedener Nichtredner, begann, als er sich -mit seinem Notizenzettel, auf dem verschiedene Satzanfänge -standen, erhoben hatte, mit der Versicherung, daß er den so -zahlreich Anwesenden, unter denen vielleicht auch einige Andersdenkende -seien, für ihr Erscheinen danke. Sie wüßten alle, -zu welchem Zweck sie hier seien. Der alte Kortschädel sei tot, -»er ist in Ehren hingegangen«, und es handle sich heute darum, -dem alten Herrn von Kortschädel im Reichstag einen Nachfolger -zu geben. Die Grafschaft habe immer konservativ gewählt; -es sei Ehrensache, wieder konservativ zu wählen. »Und -ob die Welt voll Teufel wär'.« Es liege der Grafschaft ob, -dieser Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch »Stätten« gäbe.<span class="pagenum"><a id="Seite_198">[198]</a></span> -Und hier sei eine solche Stätte. »Wir haben, glaub ich,« so -schloß er, »niemand an diesem Tisch, der das Parlamentarische -voll beherrscht, weshalb ich bemüht gewesen bin, das, was uns -hier zusammengeführt hat, schriftlich niederzulegen. Es ist -ein schwacher Versuch. Jeder tut, soviel er kann, und der Brombeerstrauch -hat eben nur seine Beeren. Aber auch <em class="gesperrt">sie</em> können -den durstigen Wanderer erfrischen. Und so bitte ich denn unsern -politischen Freund, dem wir außerdem für die Erforschung -dieser Gegenden so viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippenstapel, -uns das von mir Aufgesetzte vorlesen zu wollen. Ein -<em class="antiqua">pro memoria</em>. Man kann es vielleicht so nennen.«</p> - -<p>Katzler, unter Verneigung, setzte sich wieder, während sich -Krippenstapel erhob. Er blätterte wie ein Rechtsanwalt in einer -Anzahl von Papieren und sagte dann: »Ich folge der Aufforderung -des Herrn Vorsitzenden und freue mich, berufen zu -sein, ein Schriftstück zur Verlesung zu bringen, das unser <em class="gesperrt">aller</em> -Gefühlen – ich bin dessen sicher und glaube von den Einschränkungen, -die unser Herr Vorsitzender gemacht hat, absehen -zu dürfen – zu kräftigstem Ausdruck verhilft.«</p> - -<p>Und nun setzte Krippenstapel seine Hornbrille auf und las. -Es war ein ganz kurzes Schriftstück und enthielt eigentlich -dasselbe, was Katzler schon gesagt hatte. Die Betonungen -Krippenstapels sorgten aber dafür, daß der Beifall reichlicher -war, und daß die Schlußwendung »und so vereinigen wir uns -denn in dem Satze: was um den Stechlin herum wohnt, das -ist <em class="gesperrt">für</em> Stechlin,« einen ungeheuren Beifall fand. Pyterke hob -seinen Helm und stieß mit dem Pallasch auf, während Uncke -sich umsah, ob doch vielleicht ein einzelner Übelwollender zu -notieren sei. Nicht um ihn direkt anzuzeigen, aber doch zur -Kenntnisnahme. Brose, der (wohl eine Folge seines Berufs) -unter dem ungewohnten langen Stillstehen gelitten hatte, -nahm im Vorflur, wie zur Niederkämpfung seiner Beinnervosität, -eine Art Probegeschwindschritt rasch wieder auf, während<span class="pagenum"><a id="Seite_199">[199]</a></span> -Kluckhuhn sich von seinem Stuhl erhob, um Katzler erst militärisch -und dann unter gewöhnlicher Verbeugung zu begrüßen, -wobei seine Düppelmedaille dem Katzlerschen Eisernen Kreuz -entgegenpendelte. Nur Koseleger und Lorenzen blieben ruhig. -Um des Superintendenten Mund war ein leiser ironischer -Zug.</p> - -<p>Dann erklärte der Vorsitzende die Sitzung für geschlossen; -alles brach auf, und nur Uncke sagte zu Brose: »Wir bleiben -noch, Brose; morgen wird es Lauferei genug geben.«</p> - -<p>»Denk ich auch. Aber lieber laufen als hier so stillestehen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Achtzehntes_Kapitel">Achtzehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden, standen -mehrere Kaleschwagen, aber der des Superintendenten fehlte noch, -weil Koseleger eine viel längere Sitzung erwartet und daraufhin -seinen Wagen erst zu zehn Uhr bestellt hatte. Bis dahin war -noch eine hübsche Zeit; der Superintendent indessen schien nicht -unzufrieden darüber, und seines Amtsbruders Arm nehmend, -sagte er: »Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie Sie sehen, bei -Ihnen zu Gaste laden. Als Unverheirateter werden Sie, so -hoffe ich, über die Störung leicht hinwegkommen. Die Ehe bedeutet -in der Regel Segen, wenigstens an Kindern, aber die -Nichtehe hat auch ihre Segnungen. Unsere guten Frauen entschlagen -sich dieser Einsicht, und dieser unbedingte Glauben an -sich und ihre Wichtigkeit hat oft was Rührendes.«</p> - -<p>Lorenzen, der sich – bei voller Würdigung der Gaben seines -ihm vorgesetzten und zugleich gern einen spöttischen Ton anschlagenden -Amtsbruders – im allgemeinen nicht viel aus -ihm machte, war diesmal mit allem einverstanden und nickte, -während sie, schräg über den Platz fort, auf die Pfarre zuschritten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_200">[200]</a></span></p> - -<p>»Ja, diese Einbildungen!« fuhr Koseleger fort, zu dessen -Lieblingsgesprächen dieses Thema gehörte. »Gewiß ist es -richtig, daß wir samt und sonders von Einbildungen leben, -aber für die Frauen ist es das tägliche Brot. Sie malträtieren -ihren Mann und sprechen dabei von Liebe, sie <em class="gesperrt">werden</em> malträtiert -und sprechen erst recht von Liebe; sie sehen alles so, wie -sie's sehen wollen, und vor allem haben sie ein Talent, sich mit -Tugenden auszurüsten (erlassen Sie mir, diese Tugenden aufzuzählen), -die sie durchaus nicht besitzen. Unter diesen meist -nur in der Vorstellung existierenden Tugenden befindet sich -auch die der Gastlichkeit, wenigstens hierlandes. Und nun gar -unsre Pfarrmütter! Eine jede hält sich für die heilige Elisabeth -mit den bekannten Broten im Korb. Haben Sie übrigens das -Bild auf der Wartburg gesehen? Unter allen Schwindschen -Sachen steht es mir so ziemlich obenan. Und in Wahrheit, -um auf unsere Pfarrmütter zurückzukommen, liegt es doch so, -daß ich mich bei pastorlichen Junggesellen immer am besten -aufgehoben gefühlt habe.«</p> - -<p>Lorenzen lachte: »Wenn Sie nur heute nicht widerlegt werden, -Herr Superintendent.«</p> - -<p>»Ganz undenkbar, lieber Lorenzen. Ich bin noch nicht lange -in dieser Gegend, in meinem guten Quaden-Hennersdorf da -drüben, aber wenn auch nicht lange, so doch lange genug, um -zu wissen, wie's hier herum aussieht. Und Ihr Renommee … -Sie sollen so was von einem Feinschmecker an sich haben. -Kann ich mir übrigens denken. Sie sind Ästhetikus, und das -ist man nicht ungestraft, am wenigsten in bezug auf die Zunge. -Ja, das Ästhetische. Für manchen ist es ein Unglück. Ich weiß -davon. Das Haus hier vor uns ist wohl Ihr Schulhaus? -Weißgestrichen und kein Fetzchen Gardine, das ist immer ne -preußische Schule. So wird bei uns die Volksseele für das, -was schön ist, großgezogen. Aber es kommt auch was dabei -heraus! Mitunter wundert's mich nur, daß sie die Bauten<span class="pagenum"><a id="Seite_201">[201]</a></span> -aus der Zeit Friedrich Wilhelms <em class="antiqua">I.</em> nicht besser konservieren. -Eigentlich war <em class="gesperrt">das</em> doch das Ideal. Graue Wand, hundert -Löcher drin und unten großes Hauptloch. Und natürlich ein -Schilderhaus daneben. Letzteres das Wichtigste. Schade, daß -so was verloren geht. Übrigens rettet hier der grüne Staketenzaun -das Ganze … Wie heißt doch der Lehrer?«</p> - -<p>»Krippenstapel.«</p> - -<p>»Richtig, Krippenstapel. Katzler nannte ihn ja während -der Sitzung mit einer Art Aplomb. Ich erinnere mich noch, -wie mir der Name wohltat, als ich ihn das erstemal hörte. -So heißt nicht jeder. Wie kommen Sie mit dem Manne aus?«</p> - -<p>»Sehr gut, Herr Superintendent.«</p> - -<p>»Freut mich aufrichtig. Aber es muß ein Kunststück sein. -Er hat ein Gesicht wie ne Eule. Dabei so was Steifleinenes -und zugleich Selbstbewußtes. Der richtige Lehrer. Meiner in -Quaden-Hennersdorf war ebenso. Aber er läßt nun schon -ein bißchen nach.«</p> - -<p>Unter diesen Worten waren sie bis an die Pfarre gekommen, -in der man, ohne daß ein Bote vorausgeschickt worden wäre, -doch schon wußte, daß der Herr Superintendent mit erscheinen -würde. Nun war er da. Nur wenige Minuten waren seit dem -Aufbruch vom Krug her vergangen, die trotz Kürze für Frau -Kulicke (eine Lehrerswitwe, die Lorenzen die Wirtschaft führte) -ausgereicht hatten, alles in Schick und Ordnung zu bringen. -Auf dem länglichen Hausflur, an dessen äußerstem Ende man -gleich beim Eintreten die blinkblanke Küche sah, brannten ein -paar helle Paraffinkerzen, während rechts daneben, in der offenstehenden -Studierstube, eine große Lampe mit grünem Bilderschirm -ein gedämpftes Licht gab. Lorenzen schob den Sofatisch, -darauf Zeitungen hoch aufgeschichtet lagen, ein wenig -zurück und bat Koseleger, Platz zu nehmen. Aber dieser, eben -jetzt das große Bild bemerkend, das in beinahe reicher Umrahmung -über dem Sofa hing, nahm den ihm angebotenen<span class="pagenum"><a id="Seite_202">[202]</a></span> -Platz nicht gleich ein, sondern sagte, sich über den Tisch vorbeugend: -»Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens. -Das ist ja ein wunderschöner Stich. Oder eigentlich Aquatinta. -Dergleichen wird hier wohl im siebenmeiligen Umkreis nicht -oft betroffen werden, nicht einmal in dem etwas heraufgepufften -Rheinsberg; in Rheinsberg war man für Watteausche -Reifrockdamen auf einer Schaukel, aber nicht für Kreuzabnahmen -und dergleichen. Und stammt auch sicher nicht aus -dem sogenannten Schloß Ihres liebenswürdigen alten Herrn -drüben, Riesenkate mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich diese -Glaskugeln sehe. Und daneben <em class="gesperrt">das</em> hier! Wissen Sie, Lorenzen, -das Bild hier ruft mir eine schöne Stunde meines -Lebens zurück, einen Reisetag, wo ich mit Großfürstin Wera -vom Haag aus in Antwerpen war. Da sah ich das Bild in -der Kathedrale. Waren Sie da?«</p> - -<p>Lorenzen verneinte.</p> - -<p>»Das wäre was für Sie. Dieser Rubens im Original, in -seiner Farbenallgewalt. Es heißt immer, daß er nur Flamänderinnen -hätte malen können. Nun, das wäre wohl auch -noch nicht das Schlimmste gewesen. Aber er konnte mehr. -Sehen Sie den Christus. Wohl jedem, der draußen war, und -zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der -Bilderbogen, Türke links, Russe rechts. Ach, Lorenzen, es -ist traurig, hier versauern zu müssen.«</p> - -<p>Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hinstarrend, in -die Sofaecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und sah -erst wieder auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß -und schlank und blond, und dem Pastor verlegen und errötend -etwas zuflüsterte.</p> - -<p>»Meine gute Frau Kulicke,« sagte Lorenzen, »läßt eben -fragen, ob wir unsern Imbiß im Nebenzimmer nehmen wollen? -Ich möchte beinahe glauben, es ist das beste, wir bleiben hier. -Es heißt zwar, ein Eßzimmer müsse kalt sein. Nun, das hätten<span class="pagenum"><a id="Seite_203">[203]</a></span> -wir nebenan. Ich persönlich finde jedoch das Temperierte -besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr Superintendent.«</p> - -<p>»Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir -bleiben, wo wir sind … Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer -war das entzückende Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. -Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt ist sie denn?«</p> - -<p>»Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.«</p> - -<p>»Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. -Immer solche Menschenblüte zu sehn. Und siebzehn, sagen -Sie. Ja, das ist das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen -von der Eierschale, noch ein bißchen den Einsegnungscharakter, -und achtzehn ist schon wieder alltäglich. Achtzehn -kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer Mittelzustand. -Und wie heißt sie?«</p> - -<p>»Elfriede.«</p> - -<p>»Auch <em class="gesperrt">das</em> noch.«</p> - -<p>Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.</p> - -<p>»Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie's -haben in dieser Ihrer Waldpfarre. Was ich hier sehe, heimelt -mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise -den Tisch wieder vergegenwärtige, dran wir, drüben im -Krug, vor einer halben Stunde gesessen haben, an der linken -Seite dieser Krippenstapel (er sei wie er sei) und an der rechten -Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch lauter Größen. -Denn das Groteske hat eben auch seine Größen und nicht die -schlechtesten. Und dazu dieser Katzler mit seiner Ermyntrud. -All das haben Sie dicht um sich her und dazu dies Kind, diese -Elfriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt, – sonst bricht freilich -mein ganzes Begeisterungsgebäude wieder zusammen. -Und nun nehmen Sie <em class="gesperrt">mich</em>, Ihren Superintendenten, das -große Kirchenlicht dieser Gegenden! Alles nackte Prosa, widerhaarige -Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht verzeihen<span class="pagenum"><a id="Seite_204">[204]</a></span> -können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürstin über -Land fahren konnte. Glauben Sie mir, Großfürstinnen, -selbst wenn sie Mängel haben (und sie haben Mängel), sind -mir immer noch lieber als das Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, -und mitunter ist mir zumut, als gäbe es keine -Weltordnung mehr.«</p> - -<p>»Aber Herr Superintendent …«</p> - -<p>»Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Gesicht auf -und wundern sich, daß einer, für den die hohe Klerisei so viel -getan und ihn zum Superintendenten in der gesegneten Mittelmark -und der noch gesegneteren Grafschaft Ruppin gemacht -hat, – Sie wundern sich, daß solch zehnmal Glücklicher solchen -Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein -Unglücklicher …«</p> - -<p>»Aber Herr Superintendent …«</p> - -<p>»… Und möchte, daß ich eine Hundertundfünfzig-Seelen-Gemeinde -hätte, sagen wir auf dem ›toten Mann‹ oder in der -Tuchler Heide. Sehen Sie, dann wär es vorbei, dann wüßt -ich bestimmt: ›du bist in den Skat gelegt‹. Und das kann unter -Umständen ein Trost sein. Die Leute, die Schiffbruch gelitten -und nun in einer Isolierzelle sitzen und Tüten kleben oder Wolle -zupfen, das sind nicht die Unglücklichsten. Unglücklich sind immer -bloß die Halben. Und als einen solchen habe ich die Ehre mich -Ihnen vorzustellen. Ich bin ein Halber, vielleicht sogar in <em class="gesperrt">dem</em>, -worauf es ankommt; aber lassen wir das, ich will hier nur vom -allgemein Menschlichen sprechen. Und daß ich auch in diesem -Menschlichen ein Halber bin, das quält mich. Über das andre -käm ich vielleicht weg.«</p> - -<p>Lorenzens Augen wurden immer größer.</p> - -<p>»Sehen Sie, da war ich also – verzeihen Sie, daß ich -immer wieder darauf zurückkomme – da war ich also mit -siebenundzwanzig im Haag und kam in die vornehme Welt, -die da zu Hause ist. Und da war ich denn heut in Amsterdam<span class="pagenum"><a id="Seite_205">[205]</a></span> -und morgen in Scheveningen und den dritten Tag in Gent -oder in Brügge. Brügge, Reliquienschrein, Hans Memling -– so was müßten Sie sehn. Was sollen uns diese ewigen Markgrafen -oder gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, -ist für's härene Gewand oder zum Eremiten geboren. Ich -nicht. Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an -Leben und Schönheit. Und nun spricht da draußen all dergleichen -zu einem, und man tränkt sich damit und hat einen Ehrgeiz, -nicht einen kindischen, sondern einen echten, der höher -hinauf will, weil man da wirken und schaffen kann, für sich -gewiß, aber auch für andre. Danach dürstet einen. Und nun -kommt der Becher, der diesen Durst stillen soll. Und dieser -Becher heißt Quaden-Hennersdorf. Das Dorf, das mich umgibt, -ist ein großes Bauerndorf, aufgesteifte Leute, geschwollen -und hartherzig, und natürlich so trocken und trivial, wie die -Leute hier alle sind. Und noch stolz darauf. Ach, Lorenzen, -immer wieder, wie beneide ich Sie!«</p> - -<p>Während Koseleger noch so sprach, erschien Frau Kulicke. -Sie schob die Zeitungen zurück, um zwei Kuverts legen zu -können, und nun brachte sie den Rotwein und ein Kabarett mit -Brötchen. In dünngeschliffene große Gläser schenkte Lorenzen -ein, und die beiden Amtsbrüder stießen an »auf bessere Zeiten«. -Aber sie dachten sich sehr Verschiedenes dabei, weil sich der eine -nur mit sich, der andre nur mit andern beschäftigte.</p> - -<p>»Wir könnten, glaub ich,« sagte Lorenzen, »neben den -›besseren Zeiten‹ noch dies und das leben lassen. Zunächst -<em class="gesperrt">Ihr</em> Wohl, Herr Superintendent. Und zum zweiten auf das -Wohl unsers guten alten Stechlin, der uns doch heute zusammengeführt. -Ob wir ihn durchbringen? Katzler tat so sicher und -Kluckhuhn und Krippenstapel nun schon ganz gewiß. Aber ich -habe trotzdem Zweifel. Die Konservativen – ich kann kaum -sagen ›unsere Parteigenossen‹, oder doch nur in sehr bedingtem -Sinne – die Konservativen sind in sich gespalten. Es gibt ihrer<span class="pagenum"><a id="Seite_206">[206]</a></span> -viele, denen unser alter Stechlin um ein gut Teil zu flau ist. -›<em class="antiqua">Fortiter in re, suaviter in modo</em>,‹ hat neulich einer, der sich auf -Bildung ausspielt, von dem Alten gesagt, und von ›<em class="antiqua">suaviter</em>,‹ -wenn auch nur ›<em class="antiqua">in modo</em>‹, wollen alle diese Herren nichts wissen. -Unter diesen Ultras ist natürlich auch Gundermann auf Siebenmühlen, -der Ihnen vielleicht bekannt geworden ist …«</p> - -<p>»Versteht sich. War neulich bei mir. Ein Mann von drei -Redensarten, von denen die zwei besten aus der Wassermüllersphäre -genommen sind.«</p> - -<p>»Nun, dieser Gundermann, wie immer die Dummen, -ist zugleich Intrigant, und während er vorgibt, für unsern -guten alten Stechlin zu werben, tropft er den Leuten Gift ins -Ohr und erzählt ihnen, daß der Alte senil sei und keinen Schneid -habe. Der alte Stechlin hat aber mehr Schneid als sieben -Gundermanns. Gundermann ist ein Bourgeois und ein -Parvenu, also so ziemlich das Schlechteste, was einer sein kann. -Ich bin schon zufrieden, wenn dieser Jämmerling unterliegt. -Aber um den Alten bin ich besorgt. Ich kann nur wiederholen: -es liegt nicht so günstig für ihn, wie die Gegend hier sich einbildet. -Denn auf das arme Volk ist kein Verlaß. Ein Versprechen -und ein Kornus, und alles schnappt ab.«</p> - -<p>»Ich werde das meine tun,« sagte Koseleger mit einer -Mischung von Pathos und Wohlwollen. Aber Lorenzen hatte -dabei den Eindruck, daß sein Quaden-Hennersdorfer Superintendent -bereits ganz andern Bildern nachhing. Und so war -es auch. Was war für Koseleger diese traurige Gegenwart? -Ihn beschäftigte nur die Zukunft, und wenn er in die hineinsah, -so sah er einen langen, langen Korridor mit Oberlicht und am -Ausgang ein Klingelschild mit der Aufschrift: Doktor Koseleger, -Generalsuperintendent.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">So ziemlich um dieselbe Stunde, wo die beiden Amtsbrüder -»auf bessere Zeiten« anstießen, hielt Katzlers Pürschwagen<span class="pagenum"><a id="Seite_207">[207]</a></span> -– die Sterne blinkten schon – vor seiner Oberförsterei. -Das Blaffen der Hunde, das, solange der Wagen noch weit -ab war, unausgesetzt über die Waldwiese hingeklungen war, -verkehrte sich mit einemmal in winseliges Geheul und wunderliche -Freudentöne. Katzler sprang aus dem Wagen, hing den -Hut an einen im Flur stehenden Ständer (von den ewigen -»Geweihen« wollte er als feiner Mann nichts wissen) und trat -gleich danach in das an der linken Flurseite gelegene, matt -erleuchtete Wohnzimmer seiner Frau. Das gedämpfte Licht -ließ sie noch blasser erscheinen, als sie war. Sie hatte sich, als -der Wagen hielt, von ihrem Sofaplatz erhoben und kam ihrem -Manne, wie sie regelmäßig zu tun pflegte, wenn er aus dem -Walde zurückkehrte, zu freundlicher Begrüßung entgegen. Ein -als Weihnachtsgeschenk für eine jüngere Schwester bestimmtes -Batisttuch, in das sie eben die letzte Zacke der Ippe-Büchsensteinschen -Krone hineinstickte, hatte sie, bevor sie sich vom Sofa -erhob, aus der Hand gelegt. Sie war nicht schön, dazu von -einem lymphatisch-sentimentalen Ausdruck, aber ihre stattliche -Haltung und mehr noch die Art, wie sie sich kleidete, ließen -sie doch als etwas durchaus Apartes und beinahe Fremdländisches -erscheinen. Sie trug, nach Art eines Morgenrockes, -ein glatt herabhängendes, leis gelbgetöntes Wollkleid und -als Eigentümlichstes einen aus demselben gelblichen Wollstoff -hergestellten Kopfputz, von dem es unsicher blieb, ob er einen -Turban oder eine Krone darstellen sollte. Das Ganze hatte etwas -Gewolltes, war aber neben dem Auffälligen doch auch wieder -kleidsam. Es sprach sich ein Talent darin aus, etwas aus sich -zu machen.</p> - -<p>»Wie glücklich bin ich, daß du wieder da bist,« sagte Ermyntrud. -»Ich habe mich recht gebangt, diesmal nicht um dich, -sondern um mich. Ich muß dies egoistischerweise gestehen. -Es waren recht schwere Stunden für mich, die ganze Zeit, daß -du fort warst.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_208">[208]</a></span></p> - -<p>Er küßte ihr die Hand und führte sie wieder auf ihren Platz -zurück. »Du darfst nicht stehen, Ermyntrud. Und nun bist -du auch wieder bei der Stickerei. Das strengt dich an und hat, -wie du weißt, auf <em class="gesperrt">alles</em> Einfluß. Der gute Doktor sagte noch -gestern, alles sei im Zusammenhang. Ich seh auch, wie blaß -du bist.«</p> - -<p>»O, das macht der Schirm.«</p> - -<p>»Du willst es nicht wahr haben und mir nichts sagen, was -vielleicht wie Vorwurf klingen könnte. Ich mache mir aber -den Vorwurf selbst. Ich mußte hier bleiben und nicht hin zu -dieser Stechliner Wahlversammlung.«</p> - -<p>»Du <em class="gesperrt">mußtest</em> hin, Wladimir.«</p> - -<p>»Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du so sprichst. -Aber es wäre schließlich auch ohne mich gegangen. Koseleger -war da, der konnte das Präsidium nehmen so gut wie ich. -Und wenn der nicht wollte, so konnte Torfinspektor Etzelius -einspringen. Oder vielleicht auch Krippenstapel. Krippenstapel -ist doch zuletzt der, der alles macht. Jedenfalls liegt es so, wenn -es der eine nicht ist, ist es der andre.«</p> - -<p>»Ich kann das zugeben, wie könnte sonst die Welt bestehen? -Es gibt nichts, was uns so Demut predigte wie die Wahrnehmung -von der Entbehrlichkeit des einzelnen. Aber darauf -kommt es nicht an. Worauf es ankommt, das ist Erfüllung -unsrer Pflicht.«</p> - -<p>Katzler, als er dies Wort hörte, sah sich nach einem Etwas -um, das ihn in den Stand gesetzt hätte, dem Gespräch eine -andere Wendung zu geben. Aber, wie stets in solchen Momenten, -das, was retten konnte, war nicht zu finden, und so sah -er denn wohl, daß er einem Vortrage der Prinzessin über ihr -Lieblingsthema »von der Pflicht« verfallen sei. Dabei war er -eigentlich hungrig.</p> - -<p>Ermyntrud wies auf ein Taburett, das sie mittlerweile -neben ihren Sofaplatz geschoben, und sagte: »Daß ich immer<span class="pagenum"><a id="Seite_209">[209]</a></span> -wieder davon sprechen muß, Wladimir. Wir leben eben nicht -in der Welt um unsert-, sondern um andrer willen. Ich will -nicht sagen um der Menschheit willen, was eitel klingt, wiewohl -es eigentlich wohl so sein sollte. Was uns obliegt, ist nicht die -Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern -lediglich die Pflicht …«</p> - -<p>»Gewiß, Ermyntrud. Wir sind einig darüber. Es ist dies -außerdem auch etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch -vor andern Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die -uns nicht begreifen oder übelwollen, dämmert die Vorstellung -von unsrer daraus entspringenden Überlegenheit. Aber es -gibt doch Unterschiede, Grade. Wenn ich statt zu der Stechliner -Wählerversammlung lieber zu Doktor Sponholz oder zur alten -Stinten in Kloster Wutz (die ja schon früher einmal dabei war) -gefahren wäre, so wäre das doch vielleicht das Bessere gewesen. -Es ist ein Glück, daß es noch mal so vorübergegangen. Aber -darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen.«</p> - -<p>»Nein, darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen. -Aber man darf darauf rechnen, daß, wenn man das Pflichtgemäße -tut, man zugleich auch das Rechte tut. Es hängt so viel -an der Wahl unsers alten trefflichen Stechlin. Er steht außerdem -sittlich höher als Kortschädel, dem man, trotz seiner siebzig, -allerhand nachsagen durfte. Stechlin ist ganz intakt. Etwas -sehr Seltenes. Und einem sittlichen Prinzip zum Siege zu -verhelfen, dafür leben wir doch recht eigentlich. Dafür lebe -wenigstens <em class="gesperrt">ich</em>.«</p> - -<p>»Gewiß, Ermyntrud, gewiß.«</p> - -<p>»In jedem Augenblicke seiner Obliegenheiten eingedenk -sein, ohne erst bei Neigung oder Stimmung anzufragen, -<em class="gesperrt">das</em> hab ich mir in feierlicher Stunde gelobt, du weißt, in -welcher, und du wirst mir das Zeugnis ausstellen, daß ich diesem -Gelöbnis nachgekommen …«</p> - -<p>»Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unser Fundament …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_210">[210]</a></span></p> - -<p>»Und wenn es sich um eine sittliche Pflicht handelt, wie doch -heute ganz offenbar, wie hätt ich da sagen wollen: bleibe. Ich -wäre mir klein vorgekommen, klein und untreu.«</p> - -<p>»Nicht untreu, Ermyntrud.«</p> - -<p>»Doch, doch, es gibt viele Formen der Untreue. Das Persönliche -hat sich der Familie zu bequemen und unterzuordnen -und die Familie wieder der Gesellschaft. In diesem Sinne -bin ich erzogen, und in diesem Sinne tat ich den Schritt. Verlange -nicht, daß ich in irgend etwas diesen Schritt zurücktue.«</p> - -<p>»Nie.«</p> - -<p>Das kleine Dienstmädchen, eine Heideläufertochter, deren -storres Haar, von keiner Bürste gezähmt, immer weit abstand, -erschien in diesem Augenblicke, meldend, daß sie das Teezeug -gebracht habe.</p> - -<p>Katzler nahm seiner Frau Arm, um sie bis in das zweite, -nach dem Hof hinaus gelegene Zimmer zu führen. Als er aber -wahrnahm, wie schwer ihr das Gehen wurde, sagte er: »Ich -freue mich, dich so sprechen zu hören. Immer du selbst. Ich -bin aber doch in Unruhe und will morgen früh zur Frau schicken.«</p> - -<p>Sie nickte zustimmend, während ein halb zärtlicher Blick -den guten Katzler streifte, der, solange das ihm nur zu wohlbekannte -Gespräch über Pflicht gedauert hatte, von Minute -zu Minute verlegener geworden war.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Neunzehntes_Kapitel">Neunzehntes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Und nun war Wahltagmorgen. Kurz vor acht erschien -Lorenzen auf dem Schloß, um in Dubslavs schon auf der Rampe -haltenden Kaleschewagen einzusteigen und mit nach Rheinsberg -zu fahren. Der Alte, bereits gestiefelt und gespornt, -empfing ihn mit gewohnter Herzlichkeit und guter Laune. -»Das ist recht, Lorenzen. Und nun wollen wir auch gleich<span class="pagenum"><a id="Seite_211">[211]</a></span> -aufsteigen. Aber warum haben Sie mich nicht an Ihrem -Pfarrgarten erwartet? Muß ja doch dran vorüber« – und dabei -schob er ihm voll Sorglichkeit eine Decke zu, während die -Pferde schon anrückten. »Übrigens freut es mich trotzdem -(man widerspricht sich immer), daß Sie nicht so praktisch gewesen -und doch lieber gekommen sind. Es is ne Politesse. -Und die Menschen sind jetzt so schrecklich unpoliert und geradezu -unmanierlich … Aber lassen wir's; ich kann es nicht ändern, -und es grämt mich auch nicht.«</p> - -<p>»Weil Sie gütig sind und jene Heiterkeit haben, die, menschlich -angesehn, so ziemlich unser Bestes ist.«</p> - -<p>Dubslav lachte. »Ja, soviel ist richtig; Kopfhängerei war -nie meine Sache, und wäre das verdammte Geld nicht … -Hören Sie, Lorenzen, das mit dem Mammon und dem goldnen -Kalb, das sind doch eigentlich alles sehr feine Sachen.«</p> - -<p>»Gewiß, Herr von Stechlin.«</p> - -<p>»… Und wäre das verdammte Geld nicht, so hätt ich den -Kopf noch weniger hängen lassen, als ich getan. Aber das -Geld. Da war, noch unter Friedrich Wilhelm <em class="antiqua">III.</em>, der alte -General von der Marwitz auf Friedersdorf, von dem Sie -gewiß mal gehört haben, der hat in seinen Memoiren irgendwo -gesagt: ›er hätte sich aus dem Dienst gern schon früher zurückgezogen -und sei bloß geblieben um des Schlechtesten willen, -was es überhaupt gäbe, um des Geldes willen‹ – und das -hat damals, als ich es las, einen großen Eindruck auf mich -gemacht. Denn es gehört was dazu, das so ruhig auszusprechen. -Die Menschen sind in allen Stücken so verlogen und unehrlich, -auch in Geldsachen, fast noch mehr als in Tugend. Und das -will was sagen. Ja, Lorenzen, so ist es … Na, lassen wir's, -Sie wissen ja auch Bescheid. Und dann sind das schließlich auch -keine Betrachtungen für heute, wo ich gewählt werden und -den Triumphator spielen soll. Übrigens geh ich einem totalen -Kladderadatsch entgegen. Ich werde nicht gewählt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212">[212]</a></span></p> - -<p>Lorenzen wurde verlegen, denn was Dubslav da zuletzt -sagte, das stimmte nur zu sehr mit seiner eigenen Meinung. -Aber er mußte wohl oder übel, so schwer es ihm wurde, das -Gegenteil versichern. »Ihre Wahl, Herr von Stechlin, steht, -glaub ich, fest; in unsrer Gegend wenigstens. Die Globsower -und Dagower gehen mit gutem Beispiel voran. Lauter gute -Leute.«</p> - -<p>»Vielleicht. Aber schlechte Musikanten. Alle Menschen sind -Wetterfahnen, ein bißchen mehr, ein bißchen weniger. Und -wir selber machen's auch so. Schwapp, sind wir auf der andern -Seite.«</p> - -<p>»Ja, schwach ist jeder, und ich mag mich auch nicht für all -und jeden verbürgen. Aber in diesem speziellen Falle … -Selbst Koseleger schien mir voll Zuversicht und Vertrauen, als -er am Donnerstag noch mit mir plauderte.«</p> - -<p>»Koseleger voll Vertrauen! Na, dann geht es gewiß in die -Brüche. Wo Koseleger Amen sagt, das ist schon so gut wie letzte -Ölung. Er hat keine glückliche Hand, dieser Ihr Amtsbruder -und Vorgesetzter.«</p> - -<p>»Ich teile leider einigermaßen Ihre Bedenken gegen ihn. -Aber was vielleicht mit ihm versöhnen kann, er hat angenehme -Formen und durchaus etwas Verbindliches.«</p> - -<p>»Das hat er. Und doch, so sehr ich sonst für Formen und -Verbindlichkeiten bin, nicht für seine. Man soll einem Menschen -nicht seinen Namen vorhalten. Aber Koseleger! Ich -weiß immer nicht, ob er mehr Kose oder mehr Leger ist; vielleicht -beides gleich. Er ist wie ne Baisertorte, süß, aber ungesund. -Nein, Lorenzen, da bin ich doch mehr für Sie. Sie taugen auch -nicht viel, aber Sie sind doch wenigstens ehrlich.«</p> - -<p>»Vielleicht,« sagte Lorenzen. »Übrigens hat Koseleger inmitten -seiner Verbindlichkeiten und schönen Worte doch auch -wieder was Freies, beinah Gewagtes und ist mir da neulich -mit Bekenntnissen gekommen, fast wie ein Charakter.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213">[213]</a></span></p> - -<p>Dubslav lachte hell auf. »Charakter. Aber Lorenzen. -Wie können Sie sich so hinters Licht führen lassen. Ich verwette -mich, er hat Ihnen irgendwas über Ihre ›Gaben‹ gesagt; -das ist jetzt so Lieblingswort, das die Pastoren immer -gegenseitig brauchen. Es soll bescheiden und unpersönlich klingen -und sozusagen alles auf Inspiration zurückführen, für die man -ja, wie für alles, was von oben kommt, am Ende nicht kann. -Es ist aber gerade dadurch das Hochmütigste … War es so -was? Hat er meinen klugen Lorenzen, eh er sich als ›Charakter‹ -ausspielte, durch solche Schmeicheleien eingefangen?«</p> - -<p>»Es war nicht so, Herr von Stechlin. Sie tun ihm hier -ausnahmsweise unrecht. Er sprach überhaupt nicht über mich, -sondern über sich, und machte mir dabei seine Konfessions. -Er gestand mir beispielsweise, daß er sich unglücklich fühle.«</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaziert sei.«</p> - -<p>»Deplaziert. Das ist auch solch Wort; das kenn ich. Wenn -man durchaus will, ist jeder deplaziert, ich, Sie, Krippenstapel, -Engelke. Ich müßte Präses von einem Stammtisch oder vielleicht -auch ein Badedirektor sein, Sie Missionar am Kongo, -Krippenstapel Kustos an einem märkischen Museum und Engelke, -nun der müßte gleich selbst hinein, Nummer hundertdreizehn. -Deplaziert! Alles bloß Eitelkeit und Größenwahn. -Und dieser Koseleger mit dem Konsistorialratskinn! Er war -Galopin bei ner Großfürstin; das kann er nicht vergessen, damit -will er's nun zwingen, und in seinem Ärger und Unmut -spielt er sich auf den Charakter aus und versteigt sich, wie Sie -sagen, bis zu Konfessions und Gewagtheiten. Und wenn er -nun reüssierte (Gott verhüt es), so haben Sie den Scheiterhaufenmann -<em class="antiqua">comme il faut</em>. Und der erste, der raus muß, -das sind Sie. Denn er wird sofort das Bedürfnis spüren, -seine Gewagtheiten von heute durch irgendein Brandopfer -wieder wettzumachen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_214">[214]</a></span></p> - -<p>Unter diesem Gespräche waren sie schließlich aus dem Walde -heraus und näherten sich einem beinah meilenlangen und bis -an den Horizont sich ausdehnenden Stück Bruchland, über das -mehrere mit Kropfweiden und Silberpappeln besetzte Wege -strahlenförmig auf Rheinsberg zuliefen. Alle diese Wege waren -belebt, meist mit Fußgängern, aber auch mit Fuhrwerken. -Eins davon, aus gelblichem Holz, das hell in der Sonne blinkte, -war leicht zu erkennen.</p> - -<p>»Da fährt ja Katzler,« sagte Dubslav. »Überrascht mich beinah. -Es ist nämlich, was Sie vielleicht noch nicht wissen werden, -wieder was einpassiert; er schickte mir heute früh einen -Boten mit der Nachricht davon, und daraus schloß ich, er würde -<em class="gesperrt">nicht</em> zur Wahl kommen. Aber Ermyntrud mit ihrer grandiosen -Pflichtvorstellung wird ihn wohl wieder fortgeschickt -haben.«</p> - -<p>»Ist es wieder ein Mädchen?« fragte Lorenzen.</p> - -<p>»Natürlich, und zwar das siebente. Bei sieben (freilich -müssen es Jungens sein) darf man, glaub ich, den Kaiser zu -Gevatter laden. Übrigens sind mehrere bereits tot, und alles -in allem ist es wohl möglich, daß sich Ermyntrud über das -beständige ›bloß Mädchen‹ allerlei Sorgen und Gedanken -macht.«</p> - -<p>Lorenzen nickte. »Kann mir's denken, daß die Prinzessin -etwas wie eine zu leistende Sühne darin sieht, Sühne wegen -des von ihr getanen Schrittes. Alles an ihr ist ein wenig -überspannt. Und doch ist es eine sehr liebenswürdige Dame.«</p> - -<p>»Wovon niemand überzeugter ist als ich,« sagte Dubslav. -»Freilich bin ich bestochen, denn sie sagt mir immer das -Schmeichelhafteste. Sie plaudre so gern mit mir, was auch am -Ende wohl zutrifft. Und dabei wird sie dann jedesmal ganz -ausgelassen, trotzdem sie eigentlich hochgradig sentimental ist. -Sentimental, was nicht überraschen darf; denn aus Sentimentalität -ist doch schließlich die ganze Katzlerei hervorgegangen.<span class="pagenum"><a id="Seite_215">[215]</a></span> -Bin übrigens ernstlich in Sorge, wo Hoheit den richtigen Taufnamen -für das Jüngstgeborene hernehmen wird. In diesem -Stücke, vielleicht dem einzigen, ist sie nämlich noch ganz und gar -Prinzessin geblieben. Und Sie, lieber Lorenzen, werden dabei -sicherlich mit zu Rate gezogen werden.«</p> - -<p>»Was ich mir nicht schwierig denken kann.«</p> - -<p>»Sagen Sie das nicht. Es gibt in diesem Falle viel weniger -Brauchbares, als Sie sich vorzustellen scheinen. Prinzessinnennamen -an und für sich, ohne weitere Zutat, ja, die gibt es genug. -Aber damit ist Ermyntrud nicht zufrieden; sie verlangt -ihrer Natur nach zu dem Dynastisch-Genealogischen auch noch -etwas poetisch Märchenhaftes. Und das kompliziert die Sache -ganz erheblich. Sie können das sehen, wenn Sie die Katzlersche -Kinderstube durchmustern oder sich die Namen der bisher Getauften -ins Gedächtnis zurückrufen. Die Katzlersche Kronprinzeß -heißt natürlich auch Ermyntrud. Und dann kommen ebenso -selbstverständlich Dagmar und Thyra. Und danach begegnen -wir einer Inez und einer Maud und zuletzt einer Arabella. Aber -bei Arabella können Sie schon deutlich eine gewisse Verlegenheit -wahrnehmen. Ich würde ihr, wenn sie sich wegen des -Jüngstgeborenen an mich wendete, was Altjüdisches vorschlagen; -das ist schließlich immer das Beste. Was meinen Sie zu Rebekka?«</p> - -<p>Lorenzen kam nicht mehr dazu, Dubslav diese Frage zu -beantworten, denn eben jetzt waren sie durch das Stück Bruchland -hindurch und rasselten bereits über einen ein weiteres -Gespräch unmöglich machenden Steindamm weg, scharf auf -Rheinsberg zu.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Dubslav war in ausgezeichneter Laune. Das prachtvolle -Herbstwetter, dazu das bunte Leben, alles hatte seine Stimmung -gehoben, am meisten aber, daß er unterwegs und beim -Passieren der Hauptstraße bereits Gelegenheit gehabt hatte,<span class="pagenum"><a id="Seite_216">[216]</a></span> -verschiedene gute Freunde zu begrüßen. Von der Kirche her -schlug es zehn, als er vor dem als Wahllokal etablierten Gasthause -»Zum Prinzregenten« hielt, in dessen Front denn auch -bereits etliche mehr oder weniger <span id="corr216">verwegen</span> aussehende Wahlmänner -standen, alle bemüht, ihre Zettel an mutmaßliche -Parteigenossen aufzuteilen.</p> - -<p>Drinnen im Saal war der Wahlakt schon im Gange. Hinter -der Urne präsidierte der alte Herr von Zühlen, ein guter Siebziger, -der die groteskesten Feudalansichten mit ebenso grotesker -Bonhomie zu verbinden wußte, was ihm, auch bei seinen -politischen Gegnern, eine große Beliebtheit sicherte. Neben ihm, -links und rechts, saßen Herr von Storbeck und Herr van dem -Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von Delft, -der vor wenig Jahren erst ein großes Gut im Ruppiner Kreise -gekauft und sich seitdem zum Preußen und, was noch mehr -sagen wollte, zum ›Grafschaftler‹ herangebildet hatte. Man -sah ihn aus allen möglichen Gründen – auch schon um seines -›van‹ willen – nicht ganz für voll an, ließ aber nichts davon -merken, weil er der bei den meisten Grafschaftlern stark ins -Gewicht fallenden Haupteigenschaft eines vor so und soviel -Jahren in Batavia geborenen holländisch-javanischen Kaffeehändlers -nicht entbehrte. Seines Nachbarn von Storbeck -Lebensgeschichte war durchschnittsmäßiger. Unter denen, die sonst -noch am Komiteetisch saßen, befand sich auch Katzler, den Ermyntrud -(wie Dubslav ganz richtig vermutet) mit der Bemerkung, -»daß im modernen bürgerlichen Staate Wählen so gut wie -Kämpfen sei,« von ihrem Wochenbette fortgeschickt hatte. »Das -Kind wird inzwischen mein Engel sein, und das Gefühl erfüllter -Pflicht soll mich bei Kraft erhalten.« Auch Gundermann, der -immer mit dabei sein mußte, saß am Komiteetisch. Sein Benehmen -hatte was Aufgeregtes, weil er – wie Lorenzen bereits -angedeutet – wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert -hatte. Daß er selber unterliegen würde, war klar und beschäftigte<span class="pagenum"><a id="Seite_217">[217]</a></span> -ihn kaum noch, aber ihn erfüllte die Sorge, daß sein voraufgegangenes -doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen -könne.</p> - -<p>Dubslav wollte die Sache gern hinter sich haben. Er trat -deshalb, nachdem er sich draußen mit einigen Bekannten begrüßt -und an jeden einzelnen ein paar Worte gerichtet hatte, vom -Vorplatz her in das Wahllokal ein, um da so rasch wie möglich -seinen Zettel in die Urne zu tun. Es traf ihn bei dieser Prozedur -der Blick des alten Zühlen, der ihm in einer Mischung von Feierlichkeit -und Ulk sagen zu wollen schien: »Ja, Stechlin, das -hilft nu mal nicht; man muß die Komödie mit durchmachen.« -Dubslav kam übrigens kaum dazu, von diesem Blicke Notiz -zu nehmen, weil er Katzlers gewahr wurde, dem er sofort entgegentrat, -um ihm durch einen Händedruck zu dem siebenten -Töchterchen zu gratulieren. An Gundermann ging der Alte -ohne Notiznahme vorüber. Dies war aber nur Zufall; er -wußte nichts von den Zweideutigkeiten des Siebenmühlners, -und nur dieser selbst, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, wurde -verlegen und empfand des Alten Haltung wie eine Absage.</p> - -<p>Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich die große -Frage: »Ja, was jetzt tun?« Es ging erst auf elf, und vor -sechs war die Geschichte nicht vorbei, wenn sich's nicht noch -länger hinzog. Er sprach dies auch einer Anzahl von Herren -aus, die sich auf einer vor dem Gasthause stehenden Bank niedergelassen -und hier dem Likörkasten des »Prinzregenten«, -der sonst immer erst nach dem Diner auftauchte, vorgreifend -zugesprochen hatten.</p> - -<p>Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Parteigenossen, -aber nicht eigentlich Freunde, denn der alte Dubslav war -nicht sehr für Freundschaften. Er sah zu sehr, was jedem einzelnen -fehlte. Die da saßen und aus purer Langeweile sich -über die Vorzüge von Allasch und Chartreuse stritten, waren -die Herren von Molchow, von Krangen und von Gnewkow,<span class="pagenum"><a id="Seite_218">[218]</a></span> -dazu Baron Beetz und ein Freiherr von der Nonne, den die -Natur mit besonderer Rücksicht auf seinen Namen geformt -zu haben schien. Er trug eine hohe schwarze Krawatte, darauf -ein kleiner vermickerter Kopf saß, und wenn er sprach, war es, -wie wenn Mäuse pfeifen. Er war die komische Figur des Kreises -und wurde gehänselt, nahm es aber nicht übel, weil seine Mutter -eine schlesische Gräfin auf »inski« war, was ihm in seinen Augen -ein solches Übergewicht sicherte, daß er, wie Friedrich der Große, -jeden Augenblick bereit war, »die sich etwa einstellenden Pasquille -niedriger hängen zu lassen«.</p> - -<p>»Ich denke, meine Herren,« sagte Dubslav, »wir gehen -in den Park. Da hat man doch immer was. An der einen -Stelle ruht das Herz des Prinzen, und an der andern Stelle -ruht er selbst und hat sogar eine Pyramide zu Häupten, wie -wenn er Sesostris gewesen wäre. Ich würde gern einen andern -nennen, aber ich kenne bloß den.«</p> - -<p>»Natürlich gehen wir in den Park,« sagte von Gnewkow. »Und -es ist schließlich immer noch ein Glück, daß man so was hat …«</p> - -<p>»Und auch ein Glück,« ergänzte von Molchow, »daß man -solchen Wahltag wie heute hat, der einen ordentlich zwingt, -sich mal um Historisches und Bildungsmäßiges zu kümmern. -Bismarcken is es auch mal so gegangen, noch dazu mit ner -reichen Amerikanerin, und hat auch gleich (das heißt eigentlich -lange nachher) das rechte Wort dafür gefunden.«</p> - -<p>»Der hat immer das rechte Wort gefunden.«</p> - -<p>»Immer. Aber weiter, Molchow.«</p> - -<p>»… Und als nun also die reiche Amerikanerin so runde -vierzig Jahr später ihn wiedersah und sich bei ihm bedanken -wollte von wegen des Bildermuseums, in das er sie halb aus -Verlegenheit und halb aus Ritterlichkeit begleitet und ihr -mutmaßlich alle Bilder falsch erklärt hatte, da hat er all diesen -Dank abgewiesen und ihr – ich seh und hör ihn ordentlich – -in aller Fidelität gesagt, sie habe nicht ihm, sondern er habe ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_219">[219]</a></span> -zu danken, denn wenn jener Tag nicht gewesen wäre, so hätt -er das ganze Bildermuseum höchstwahrscheinlich nie zu sehen -gekriegt. Ja, Glück hat er immer gehabt. Im großen und im -kleinen. Es fehlt bloß noch, daß er hinterher auch noch Generaldirektor -der königlichen Museen geworden wäre, was er schließlich -doch auch noch gekonnt hätte. Denn eigentlich konnt er -alles und ist auch beinah alles gewesen.«</p> - -<p>»Ja,« nahm Gnewkow, der aus Langeweile viel gereist -war, seinen Urgedanken, daß solcher Park eigentlich ein Glück -sei, wieder auf. »Ich finde, was Molchow da gesagt hat, ganz -richtig; es kommt drauf an, daß man reingezwungen wird, sonst -weiß man überhaupt gar nichts. Wenn ich so bloß an Italien -zurückdenke. Sehen Sie, da läuft man nu so rum, was einen -doch am Ende strapziert, und dabei dieser ewige pralle Sonnenschein. -Ein paar Stunden geht es; aber wenn man nu schon -zweimal Kaffee getrunken und Granito gegessen hat, und es -ist noch nicht mal Mittag, ja, ich bitte Sie, was hat man da? -Was fängt man da an? Gradezu schrecklich. Und da kann ich -Ihnen bloß sagen, da bin ich ein kirchlicher Mensch geworden. -Und wenn man dann so von der Seite her still eintritt und hat -mit einem Male die Kühle um sich rum, ja, da will man gar -nicht wieder raus und sieht sich so seine funfzig Bilder an, man -weiß nicht wie. Is doch immer noch besser als draußen. Und -die Zeit vergeht, und die Stunde, wo man was Reguläres kriegt, -läppert sich so heran.«</p> - -<p>»Ich glaube doch,« sagte der für kirchliche Kunst schwärmende -Baron Beetz, »unser Freund Gnewkow unterschätzt die Wirkung, -die, vielleicht gegen seinen Willen, die Quattrozentisten auf -ihn gemacht haben. Er hat ihre Macht an sich selbst empfunden, -aber er will es nicht wahr haben, daß die Frische von ihnen -ausgegangen sei. Jeder, der was davon versteht …«</p> - -<p>»Ja, Baron, das is es eben. Wer was davon versteht! -Aber wer versteht was davon? Ich jedenfalls nicht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_220">[220]</a></span></p> - -<p>Unter diesen Worten war man, vom »Prinzregenten« -aus, die Hauptstraße hinuntergeschritten und über eine kleine -Brücke fort erst in den Schloßhof und dann in den Park eingetreten. -Der See plätscherte leis. Kähne lagen da, mehrere -an einem Steg, der von dem Kiesufer her in den See hineinlief. -Ein paar der Herren, unter ihnen auch Dubslav, schritten die -ziemlich wacklige Bretterlage hinunter und blickten, als sie -bis ans Ende gekommen waren, wieder auf die beiden Schloßflügel -und ihre kurz abgestumpften Türme zurück. Der Turm -rechts war der, wo Kronprinz Fritz sein Arbeitszimmer gehabt -hatte.</p> - -<p>»Dort hat er gewohnt,« sagte von der Nonne. »Wie begrenzt -ist doch unser Können. Mir weckt der Anblick solcher -Fridericianischen Stätten immer ein Schmerzgefühl über das -Unzulängliche des Menschlichen überhaupt, freilich auch wieder -ein Hochgefühl, daß wir dieser Unzulänglichkeit und Schwäche -Herr werden können. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist -dein Sieg? Dieser König. Er war ein großer Geist, gewiß; -aber doch auch ein verirrter Geist. Und je patriotischer wir -fühlen, je schmerzlicher berührt uns die Frage nach dem Heil -seiner Seele. Die Seelenmessen – das empfind ich in solchem -Augenblicke – sind doch eine wirklich trostspendende Seite des -Katholizismus, und daß es (selbstverständlich unter Gewähr -eines höchsten Willens) in die Macht Überlebender gelegt ist, eine -Seele freizubeten, das ist und bleibt eine große Sache.«</p> - -<p>»Nonne,« sagte Molchow, »machen Sie sich nicht komisch. -Was haben Sie für ne Vorstellung vom lieben Gott? Wenn -Sie kommen und den alten Fritzen freibeten wollen, werden -Sie rausgeschmissen.«</p> - -<p>Baron Beetz – auch ein Anzweifler des Philosophen von -Sanssouci – wollte seinem Freunde Nonne zu Hilfe kommen -und erwog einen Augenblick ernstlich, ob er nicht seinen in der -ganzen Grafschaft längst bekannten Vortrag über die »schiefe<span class="pagenum"><a id="Seite_221">[221]</a></span> -Ebene« oder »<em class="antiqua">c'est le premier pas qui coute</em>« noch einmal zum -besten geben solle. Klugerweise jedoch ließ er es wieder fallen -und war einverstanden, als Dubslav sagte: »Meine Herren, -ich meinerseits schlage vor, daß wir unsern Auslug von dem -Wackelstege, drauf wir hier stehen (jeden Augenblick kann einer -von uns ins Wasser fallen), endlich aufgeben und uns lieber in -einem der hier herumliegenden Kähne über den See setzen -lassen. Unterwegs, wenn noch welche da sind, können wir -Teichrosen pflücken und drüben am andern Ufer den großen -Prinz-Heinrich-Obelisken mit seinen französischen Inschriften -durchstudieren. Solche Rekapitulation stärkt einen immer -historisch und patriotisch, und unser Etappenfranzösisch kommt -auch wieder zu Kräften.«</p> - -<p>Alle waren einverstanden, selbst Nonne.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Gegen vier war man von dem Ausfluge zurück und hielt -wieder vor dem »Prinzregenten«, auf einem mit alten Bäumen -besetzten Platz, der wegen seiner Dreiecksform schon von alter -Zeit her den Namen Triangelplatz führte. Die Wahlresultate -lagen noch keineswegs sicher vor; es ließ sich aber schon -ziemlich deutlich erkennen, daß viele Fortschrittlerstimmen -auf den sozialdemokratischen Kandidaten, Feilenhauer Torgelow, -übergehen würden, der, trotzdem er nicht persönlich zugegen -war, die kleinen Leute hinter sich hatte. Hunderte seiner -Parteigenossen standen in Gruppen auf dem Triangelplatz umher -und unterhielten sich lachend über die Wahlreden, die während -der letzten Tage teils in Rheinsberg und Wutz, teils auf -dem platten Lande von Rednern der gegnerischen Parteien gehalten -worden waren. Einer der mit unter den Bäumen -Stehenden, ein Intimus Torgelows, war der Drechslergeselle -Söderkopp, der sich schon lediglich in seiner Eigenschaft als -Drechslergeselle eines großen Ansehens erfreute. Jeder dachte: -der kann auch noch mal Bebel werden. »Warum nicht? Bebel<span class="pagenum"><a id="Seite_222">[222]</a></span> -is alt, und dann haben wir den.« Aber Söderkopp verstand -es auch wirklich, die Leute zu packen. Am schärfsten ging er -gegen Gundermann vor. »Ja, dieser Gundermann, den kenn -ich. Brettschneider und Börsenfilou; jeder Groschen is zusammengejobbert. -Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei -Redensarten, und der Fortschritt ist abwechselnd die ›Vorfrucht‹ -und dann wieder der ›Vater‹ der Sozialdemokratie. Vielleicht -stammen wir auch noch von Gundermann ab. So einer bringt -alles fertig.«</p> - -<p>Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum zu -Baum immer näher gerückt und machte seine Notizen. In -weiterer Entfernung stand Pyterke, schmunzelnd und sichtlich -verwundert, was Uncke wieder alles aufzuschreiben habe.</p> - -<p>Pyterkes Verwunderung über das »Aufschreiben« war -nur zu berechtigt, aber sie wär es um ein gut Teil weniger gewesen, -wenn sich Unckes aufhorchender Diensteifer statt dem -Sozialdemokraten Söderkopp lieber dem Gespräch einer nebenstehenden -Gruppe zugewandt hätte. Hier plauderten nämlich -mehrere »Staatserhaltende« von dem mutmaßlichen Ausgange -der Wahl und daß es mit dem Siege des alten Stechlin -von Minute zu Minute schlechter stünde. Besonders die Rheinsberger -schienen den Ausschlag zu seinen Ungunsten geben zu -sollen.</p> - -<p>»Hole der Teufel das ganze Rheinsberg!« verschwor sich -ein alter Herr von Kraatz, dessen roter Kopf, während er so -sprach, immer röter wurde. »Dies elende Nest! Wir bringen -ihn wahr und wahrhaftig nicht durch, unsern guten alten Stechlin. -Und was das sagen will, das wissen wir. Wer gegen -<em class="gesperrt">uns</em> stimmt, stimmt auch gegen den König. Das ist all eins. -Das ist das, was man jetzt solidarisch nennt.«</p> - -<p>»Ja, Kraatz,« nahm Molchow, an den sich diese Rede vorzugsweise -gerichtet hatte, das Wort, »nennen Sie's, wie Sie wollen, -solidarisch oder nicht; das eine sagt nichts, und das andre sagt auch<span class="pagenum"><a id="Seite_223">[223]</a></span> -nichts. Aber mit Ihrem Wort über Rheinsberg, da haben Sie's -freilich getroffen. Aufmuckung war hier immer zu Hause, von -Anfang an. Erst frondierte Fritz gegen seinen Vater, dann -frondierte Heinrich gegen seinen Bruder, und zuletzt frondierte -August, unser alter forscher Prinz August, den manche von uns -ja noch gut gekannt haben, ich sage: frondierte unser alter -August gegen die Moral. Und das war natürlich das Schlimmste. -(Zustimmung und Heiterkeit.) Und bestraft sich zuletzt auch -immer. Denn wissen Sie denn, meine Herren, wie's mit -Augusten schließlich ging, als er durchaus in den Himmel wollte?«</p> - -<p>»Nein. Wie war es denn, Molchow?«</p> - -<p>»Ja, er mußte da wohl ne halbe Stunde warten, und als -er nu mit nem Anschnauzer gegen Petrus rausfahren wollte, -da sagte ihm der Fels der Kirche: ›Königliche Hoheit, halten zu -Gnaden, aber es ging nicht anders.‹ Und warum nicht? Er -hatte die elftausend Jungfrauen erst in Sicherheit bringen -müssen.«</p> - -<p>»Stimmt, stimmt,« sagte Kraatz. »So war der Alte. -Der reine Deubelskerl. Aber schneidig. Und ein richtiger Prinz. -Und dann, meine Herren, – ja, du mein Gott, wenn man nu -mal Prinz is, irgend was muß man doch von der Sache haben … -Und soviel weiß ich, wenn ich Prinz wäre …«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Zwanzigstes_Kapitel">Zwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Um sechs stand das Wahlresultat so gut wie fest; einige -Meldungen fehlten noch, aber das war aus Ortschaften, die -mit ihren paar Stimmen nichts mehr ändern konnten. Es lag -zutage, daß die Sozialdemokraten einen beinahe glänzenden -Sieg davongetragen hatten; der alte Stechlin stand weit -zurück, Fortschrittler Katzenstein aus Gransee noch weiter. -Im ganzen aber ließen beide besiegte Parteien dies ruhig über<span class="pagenum"><a id="Seite_224">[224]</a></span> -sich ergehen; bei den Freisinnigen war wenig, bei den Konservativen -gar nichts von Verstimmung zu merken. Dubslav -nahm es ganz von der heiteren Seite, seine Parteigenossen -noch mehr, von denen eigentlich ein jeder dachte: »Siegen ist -gut, aber zu Tische gehen ist noch besser.« Und in der Tat, gegessen -mußte werden. Alles sehnte sich danach, bei Forellen -und einem guten Chablis die langweilige Prozedur zu vergessen. -Und war man erst mit den Forellen fertig und dämmerte der -Rehrücken am Horizont herauf, so war auch der Sekt in Sicht. -Im »Prinzregenten« hielt man auf eine gute Marke.</p> - -<p>Durch den oberen Saal hin zog sich die Tafel: der Mehrzahl -nach Rittergutsbesitzer und Domänenpächter, aber auch -Gerichtsräte, die so glücklich waren, den »Hauptmann in der -Reserve« mit auf ihre Karte setzen zu können. Zu diesem -<em class="antiqua">gros d'armée</em> gesellten sich Forst- und Steuerbeamte, Rentmeister, -Prediger und Gymnasiallehrer. An der Spitze dieser -stand Rektor Thormeyer aus Rheinsberg, der große, vorstehende -Augen, ein mächtiges Doppelkinn, noch mächtiger als Koseleger, -und außerdem ein Renommee wegen seiner Geschichten hatte. -Daß er nebenher auch ein in der Wolle gefärbter Konservativer -war, versteht sich von selbst. Er hatte, was aber schon Jahrzehnte -zurücklag, den großartigen Gedanken gefaßt und verwirklicht: -die ostelbischen Provinzen, da, wo sie strauchelten, -durch Gustav Kühnsche Bilderbogen auf den richtigen Pfad -zurückzuführen, und war dafür dekoriert worden. Es hieß -denn auch von ihm, »er gelte was nach oben hin,« was aber -nicht recht zutraf. Man kannte ihn »oben« ganz gut.</p> - -<p>Um halb sieben (Lichter und Kronleuchter brannten bereits) -war man unter den Klängen des Tannhäusermarsches die hie -und da schon ausgelaufene Treppe hinaufgestiegen. Unmittelbar -vorher hatte noch ein Schwanken wegen des Präsidiums -bei Tafel stattgefunden. Einige waren für Dubslav gewesen, -weil man sich von ihm etwas Anregendes versprach, auch speziell<span class="pagenum"><a id="Seite_225">[225]</a></span> -mit Rücksicht auf die Situation. Aber die Majorität hatte doch -schließlich Dubslavs Vorsitz als ganz undenkbar abgelehnt, da der -Edle Herr von Alten-Friesack, trotz seiner hohen Jahre, mit zur -Wahl gekommen war; der Edle Herr von Alten-Friesack, so hieß -es, sei doch nun mal – und von einem gewissen Standpunkt aus -auch mit Fug und Recht – der Stolz der Grafschaft, überhaupt -ein Unikum, und ob er nun sprechen könne oder nicht, das -sei, wo sich's um eine Prinzipienfrage handle, durchaus gleichgültig. -Überhaupt, die ganze Geschichte mit dem »Sprechenkönnen« -sei ein moderner Unsinn. Die einfache Tatsache, daß -der Alte von Alten-Friesack dasäße, sei viel, viel wichtiger -als eine Rede, und sein großes Präbendenkreuz ziere nicht -bloß ihn, sondern den ganzen Tisch. Einige sprächen freilich -immer von seinem Götzengesicht und seiner Häßlichkeit, aber auch -das schade nichts. Heutzutage, wo die meisten Menschen einen -Friseurkopf hätten, sei es eine ordentliche Erquickung, einem -Gesicht zu begegnen, das in seiner Eigenart eigentlich gar nicht -unterzubringen sei. Dieser von dem alten Zühlen, trotz seiner -Vorliebe für Dubslav, eindringlich gehaltenen Rede war allgemein -zugestimmt worden, und Baron Beetz hatte den götzenhaften -Alten-Friesacker an seinen Ehrenplatz geführt. Natürlich -gab es auch Schandmäuler. An ihrer Spitze stand Molchow, -der dem neben ihm sitzenden Katzler zuflüsterte: »Wahres -Glück, Katzler, daß der Alte drüben die große Blumenvase vor -sich hat; sonst, so bei <em class="antiqua">veau en tortue</em>, – vorausgesetzt, daß so -was Feines überhaupt in Sicht steht – würd ich der Sache nicht -gewachsen sein.«</p> - -<p>Und nun schwieg der von einem Thormeyerschen Unterlehrer -gespielte Tannhäusermarsch, und als eine bestimmte -Zeit danach der Moment für den ersten Toast da war, erhob -sich Baron Beetz und sagte: »Meine Herren. Unser Edler Herr -von Alten-Friesack ist von der Pflicht und dem Wunsch erfüllt, -den Toast auf Seine Majestät den Kaiser und König auszubringen.«<span class="pagenum"><a id="Seite_226">[226]</a></span> -Und während der Alte, das Gesagte bestätigend, -mit seinem Glase grüßte, setzte der in seiner <em class="antiqua">alter ego</em>-Rolle -verbleibende Baron Beetz hinzu: »Seine Majestät der Kaiser -und König lebe hoch!« Der Alten-Friesacker gab auch hierzu -durch Nicken seine Zustimmung, und während der junge Lehrer -abermals auf den auf einer Rheinsberger Schloßauktion erstandenen -alten Flügel zueilte, stimmte man an der ganzen -Tafel hin das »Heil dir im Siegerkranz« an, dessen erster Vers -stehend gesungen wurde.</p> - -<p>Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine gewisse -Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an nicht gefehlt -hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht treten. Allerdings -war noch immer ein wichtiger und zugleich schwieriger Toast -in Sicht, <em class="gesperrt">der</em>, der sich mit Dubslav und dem unglücklichen -Wahlausgange zu beschäftigen hatte. Wer sollte den ausbringen? -Man hing dieser Frage mit einiger Sorge nach und -war eigentlich froh, als es mit einemmale hieß, Gundermann -werde sprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener -nicht ernsthaft zu nehmen sei, ja, daß Sonderbarkeiten und vielleicht -sogar Scheiterungen in Sicht stünden, aber man tröstete -sich, je mehr er scheitere, desto besser. Die meisten waren bereits -in erheblicher Aufregung, also sehr unkritisch. Eine kleine Weile -verging noch. Dann bat Baron Beetz, dem die Rolle des -Festordners zugefallen war, für Herrn von Gundermann auf -Siebenmühlen ums Wort. Einige sprachen ungeniert weiter; -»Ruhe, Ruhe!« riefen andre dazwischen, und als Baron Beetz -noch einmal an das Glas geklopft und nun, auch seinerseits -um Ruhe bittend, eine leidliche Stille hergestellt hatte, trat -Gundermann hinter seinen Stuhl und begann, während er mit -affektierter Nonchalance seine Linke in die Hosentasche steckte:</p> - -<p>»Meine Herren. Als ich vor so und soviel Jahren in Berlin -studierte« (»na nu«), »als ich vor Jahren in Berlin studierte, -war da mal ne Hinrichtung …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_227">[227]</a></span></p> - -<p>»Alle Wetter, <em class="gesperrt">der</em> setzt gut ein.«</p> - -<p>»… war da mal ne Hinrichtung, weil eine dicke Klempnermadam, -nachdem sie sich in ihren Lehrburschen verliebt, ihren -Mann, einen würdigen Klempnermeister, vergiftet hatte. Und -der Bengel war erst siebzehn. Ja, meine Herren, soviel muß ich -sagen, es kamen damals auch schon dolle Geschichten vor. Und -ich, weil ich den Gefängnisdirektor kannte, ich hatte Zutritt -zu der Hinrichtung, und um mich rum standen lauter Assessoren -und Referendare, ganz junge Herren, die meisten mit nem -Kneifer. Kneifer gab es damals auch schon. Und nun kam -die Witwe, wenn man sie so nennen darf, und sah soweit ganz -behäbig und beinahe füllig aus, weil sie, was damals viel besprochen -wurde, nen Kropf hatte, weshalb auch der Block -ganz besonders hatte hergerichtet werden müssen. Sozusagen -mit nem Ausschnitt.«</p> - -<p>»Mit nem Ausschnitt …; gut, Gundermann.«</p> - -<p>»Und als sie nun, ich meine die Delinquentin, all die jungen -Referendare sah, wobei ihr wohl ihr Lehrling einfallen mochte …«</p> - -<p>»Keine Verspottung unsrer Referendare …«</p> - -<p>»… Wobei ihr vielleicht ihr Lehrling einfallen mochte, -da trat sie ganz nahe an den Schafottrand heran und nickte -uns zu (ich sage ›uns,‹ weil sie mich auch ansah) und sagte: -›Ja, ja, meine jungen Herrens, <em class="gesperrt">dat kommt davon</em> …‹ -Und sehen Sie, meine Herren, <em class="gesperrt">dieses</em> Wort, wenn auch von -einer Delinquentin herrührend, bin ich seitdem nicht wieder -losgeworden, und wenn ich so was erlebe wie heute, dann -<em class="gesperrt">muß</em> einem solch Wort auch immer wieder in Erinnerung -kommen, und ich sage dann auch, ganz wie die Alte damals -sagte: ›Ja, meine Herren, dat kommt davon.‹ Und wovon -kommt es? Von den Sozialdemokraten. Und wovon kommen -die Sozialdemokraten?«</p> - -<p>»Vom Fortschritt. Alte Geschichte, kennen wir. Was -Neues!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_228">[228]</a></span></p> - -<p>»Es gibt da nichts Neues. Ich kann nur bestätigen, vom -Fortschritt kommt es. Und wovon kommt <em class="gesperrt">der</em>? Davon, daß -wir die Abstimmungsmaschine haben und das große Haus -mit den vier Ecktürmen. Und wenn es meinetwegen ohne das -große Haus nicht geht, weil das Geld für den Staat am Ende -bewilligt werden muß – und ohne Geld, meine Herren, geht -es nicht« (Zustimmung: »ohne Geld hört die Gemütlichkeit -auf«) –, »nun denn, wenn es also sein muß, was ich zugebe, -was sollen wir, auch unter derlei gern gemachten Zugeständnissen, -anfangen mit einem Wahlrecht, wo Herr von Stechlin -gewählt werden soll, und wo sein Kutscher Martin, der ihn zur -Wahl gefahren, tatsächlich gewählt wird oder wenigstens gewählt -werden kann. Und der Kutscher Martin unsers Herrn -von Stechlin ist mir immer noch lieber als dieser Torgelow. -Und all das nennt sich Freiheit. Ich nenn es Unsinn, und viele -tun desgleichen. Ich denke mir aber, gerade <em class="gesperrt">diese</em> Wahl, in -einem Kreise, drin das alte Preußen noch lebt, gerade diese Wahl -wird dazu beitragen, die Augen oben helle zu machen. Ich sage -nicht, welche Augen.«</p> - -<p>»Schluß, Schluß!«</p> - -<p>»Ich komme zum Schluß. Es hieß anno siebzig, daß sich -die Franzosen als die ›glorreich Besiegten‹ bezeichnet hätten. -Ein stolzes und nachahmenswertes Wort. Auch für uns, -meine Herren. Und wie wir, ohne uns was zu vergeben, diesen -Sekt aus Frankreich nehmen, so dürfen wir, glaub ich, auch -das eben zitierte stolze Klagewort aus Frankreich herübernehmen. -Wir sind besiegt, aber wir sind glorreich Besiegte. Wir haben -eine Revanche. <em class="gesperrt">Die</em> nehmen wir. Und bis dahin in alle Wege: -Herr von Stechlin auf Schloß Stechlin, er lebe hoch!«</p> - -<p>Alles erhob sich und stieß mit Dubslav an. Einige freilich -lachten, und von Molchow, als er einen neuen Weinkübel heranbestellte, -sagte zu dem neben ihm sitzenden Katzler: »Weiß der -Himmel, dieser Gundermann ist und bleibt ein Esel. Was<span class="pagenum"><a id="Seite_229">[229]</a></span> -sollen wir mit solchen Leuten? Erst beschreibt er uns die Frau -mit nem Kropf, und dann will er das große Haus abschaffen. -Ungeheure Dämelei. Wenn wir das große Haus nicht mehr -haben, haben wir gar nichts; das ist noch unsre Rettung und -die beinah einzige Stelle, wo wir den Mund (ich sage Mund) -einigermaßen auftun und was durchsetzen können. Wir müssen -mit dem Zentrum paktieren. Dann sind wir egal raus. Und -nun kommt dieser Gundermann und will uns auch das noch -nehmen. Es ist doch ne Wahrheit, daß sich die Parteien und -die Stände jedesmal selbst ruinieren. Das heißt, von ›Ständen‹ -kann hier eigentlich nicht die Rede sein; denn dieser Gundermann -gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war ne Hebamme -in Wrietzen. Drum drängt er sich auch immer vor.«</p> - -<p>Bald nach Gundermanns Rede, die schon eine Art Nachspiel -gewesen war, flüsterte Baron Beetz dem Alten-Friesacker -zu, daß es Zeit sei, die Tafel aufzuheben. Der Alte wollte jedoch -noch nicht recht, denn wenn er mal saß, saß er; aber als -gleich danach mehrere Stühle gerückt wurden, blieb ihm nichts -anderes übrig, als sich anzuschließen, und unter den Klängen -des »Hohenfriedbergers« – der »Prager«, darin es heißt: -»Schwerin fällt,« wäre mit Rücksicht auf die Gesamtsituation -vielleicht paßlicher gewesen – kehrte man in die Parterreräume -zurück, wo die Majorität dem Kaffee zusprechen wollte, -während eine kleine Gruppe von Allertapfersten in die Straße -hinaustrat, um da, unter den Bäumen des »Triangelplatzes,« -sich bei Sekt und Kognak des weiteren <em class="antiqua">bene</em> zu tun. Obenan -saß von Molchow, neben ihm von Kraatz und van Peerenboom; -Molchow gegenüber Direktor Thormeyer und der bis dahin -mit der Festmusik betraute Lehrer, der bei solchen Gelegenheiten -überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonderbarerweise -hatte sich auch Katzler hier niedergelassen (er sehnte sich -wohl nach Eindrücken, die jenseits aller »Pflicht« lagen), und -neben ihm, was beinahe noch mehr überraschen konnte, saß<span class="pagenum"><a id="Seite_230">[230]</a></span> -von der Nonne. Molchow und Thormeyer führten das Wort. -Von Wahl und Politik – nur über Gundermann fiel gelegentlich -eine spöttische Bemerkung – war längst keine Rede mehr, -statt dessen befleißigte man sich, die neuesten Klatschgeschichten -aus der Grafschaft heranzuziehen. »Ist es denn wahr,« sagte -Kraatz, »daß die schöne Lilli nun doch ihren Vetter heiraten -wird, oder richtiger, der Vetter die schöne Lilli?«</p> - -<p>»Vetter?« fragte Peerenboom.</p> - -<p>»Ach, Peerenboom, Sie wissen auch gar nichts; Sie sitzen -immer noch zwischen Ihren Delfter Kacheln und waren doch -schon ne ganze Weile hier, als die Lilli-Geschichte spielte.«</p> - -<p>Peerenboom ließ sich's gesagt sein und begrub jede weitere -Frage, was er, ohne sich zu schädigen, auch ganz gut konnte, da -kein Zweifel war, daß der, der das Lilli-Thema heraufbeschworen, -über kurz oder lang ohnehin alles klarlegen würde. Das geschah -denn auch.</p> - -<p>»Ja, diese verdammten Kerle,« fuhr von Kraatz fort, »diese -Lehrer! Entschuldigen Sie, Luckhardt, aber Sie sind ja beim -Gymnasium, da liegt alles anders, und <em class="gesperrt">der</em>, der hier ne Rolle -spielt, war ja natürlich bloß ein Hauslehrer, Hauslehrer bei -Lillis jüngstem Bruder. Und eines Tages waren beide weg, -der Kandidat und Lilli. Selbstverständlich nach England. Es -kann einer noch so dumm sein, aber von Gretna Green hat er -doch mal gehört oder gelesen. Und da wollten sie denn auch -beide hin. Und sind auch. Aber ich glaube, der Gretna Greensche -darf nicht mehr trauen. Und so nahmen sie denn Lodgings -in London, ganz ohne Trauung. Und es ging auch so, -bis ihnen das kleine Geld ausging.«</p> - -<p>»Ja, das kennt man.«</p> - -<p>»Und da kamen sie denn also wieder. Das heißt, Lilli -kam wieder. Und sie war auch schon vorher mit dem Vetter -so gut wie verlobt gewesen.«</p> - -<p>»Und der sprang nu ab?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_231">[231]</a></span></p> - -<p>»Nicht so ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn Lilli ist -sehr hübsch und nebenher auch noch sehr reich. Und da soll denn -der Vetter gesagt haben, er liebe sie so sehr, und wo man liebe, -da verzeihe man auch. Und er halte auch eine Entsühnung für -durchaus möglich. Ja, er soll dabei von Purgatorium gesprochen -haben.«</p> - -<p>»Mißfällt mir, klingt schlecht,« sagte Molchow. »Aber was -er vorher gesagt, ›Entsühnung,‹ das ist ein schönes Wort und -eine schöne Sache. Nur das ›Wie,‹ – ach, man weiß immer -so wenig von diesen Dingen, – will mir nicht recht einleuchten. -Als Christ weiß ich natürlich (so schlimm steht es am Ende auch -nicht mit einem), als Christ weiß ich, daß es eine Sühne gibt. -Aber in solchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie, was -sagen Sie dazu? Sie sind ein Mann von Fach und haben -alle Kirchenväter gelesen und noch ein paar mehr.«</p> - -<p>Thormeyer verklärte sich. Das war so recht ein Thema -nach seinem Geschmack; seine Augen wurden größer und sein -glattes Gesicht noch glatter.</p> - -<p>»Ja,« sagte er, während er sich über den Tisch zu Molchow -vorbeugte, »so was gibt es. Und es ist ein Glück, daß es so -was gibt. Denn die arme Menschheit braucht es. Das Wort -Purgatorium will ich vermeiden, einmal, weil sich mein protestantisches -Gewissen dagegen sträubt, und dann auch wegen -des Anklangs; aber es gibt eine Purifikation. Und das ist doch -eigentlich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherstellung. -Ein etwas schwerfälliges Wort. Indessen die Sache, drum sich's -hier handelt, gibt es doch gut wieder. Sie begegnen diesem -Hange nach Restitution überall, und namentlich im Orient – -aus dem doch unsre ganze Kultur stammt – finden Sie diese -Lehre, dieses Dogma, diese Tatsache.«</p> - -<p>»Ja, ist es eine Tatsache?«</p> - -<p>»Schwer zu sagen. Aber es wird als Tatsache genommen. -Und das ist ebensogut. <em class="gesperrt">Blut sühnt.</em>«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_232">[232]</a></span></p> - -<p>»Blut sühnt,« wiederholte Molchow. »Gewiß. Daher -haben wir ja auch unsere Duellinstitution. Aber wo wollen -Sie hier die Blutsühne hernehmen? In diesem Spezialfalle -ganz undurchführbar. Der Hauslehrer ist drüben in England -geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika gegangen ist. Und -wenn er auch wiederkäme, er ist nicht satisfaktionsfähig. Wär -er Reserveoffizier, so hätt ich das längst erfahren …«</p> - -<p>»Ja, Herr von Molchow, das ist die hiesige Anschauung. -Etwas primitiv, naturwüchsig, das sogenannte Blutracheprinzip. -Aber es braucht nicht immer das Blut des Übeltäters -selbst zu sein. Bei den Orientalen …«</p> - -<p>»Ach, Orientalen … dolle Gesellschaft …«</p> - -<p>»Nun denn meinetwegen, bei fast allen Völkern des Ostens -sühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach orientalischer Anschauung -– ich kann das Wort nicht vermeiden, Herr von Molchow, -ich muß immer wieder darauf zurückkommen – nach orientalischer -Anschauung stellt Blut die Unschuld als solche wieder her.«</p> - -<p>»Na, hören Sie, Rektor.«</p> - -<p>»Ja, es ist so, meine Herren. Und ich darf sagen, es zählt -das zu dem Feinsten und Tiefsinnigsten, was es gibt. Und -ich habe da auch neulich erst eine Geschichte gelesen, die das -alles nicht bloß so obenhin bestätigt, sondern beinahe <em class="gesperrt">großartig</em> -bestätigt. Und noch dazu aus Siam.«</p> - -<p>»Aus Siam?«</p> - -<p>»Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit behelligen, -wenn die Sache nicht ein bißchen zu lang wäre. Die Herren -vom Lande werden so leicht ungeduldig, und ich wundere mich -oft, daß sie die Predigt bis zu Ende mitanhören. Daneben ist -freilich meine Geschichte aus Siam …«</p> - -<p>»Erzählen, Direktorchen, erzählen.«</p> - -<p>»Nun denn, auf Ihre Gefahr. Freilich auch auf meine … -Da war also, und es ist noch gar nicht lange her, ein König von -Siam. Die Siamesen haben nämlich auch Könige.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_233">[233]</a></span></p> - -<p>»Nu, natürlich. So tief stehen sie doch nicht.«</p> - -<p>»Also da war ein König von Siam, und dieser König hatte -eine Tochter.«</p> - -<p>»Klingt ja wie aus'm Märchen.«</p> - -<p>»Ist auch, meine Herren. Eine Tochter, eine richtige Prinzessin, -und ein Nachbarfürst (aber von geringerem Stande, so -daß man doch auch hier wieder an den Kandidaten erinnert -wird) – dieser Nachbarfürst raubte die Prinzessin und nahm -sie mit in seine Heimat und seinen Harem, trotz alles Sträubens.«</p> - -<p>»Na, na.«</p> - -<p>»So wenigstens wird berichtet. Aber der König von Siam -war nicht der Mann, so was ruhig einzustecken. Er unternahm -vielmehr einen heiligen Krieg gegen den Nachbarfürsten, -schlug ihn und führte die Prinzessin im Triumphe wieder zurück. -Und alles Volk war wie von Sieg und Glück berauscht. -Aber die Prinzessin selbst war schwermütig.«</p> - -<p>»Kann ich mir denken. Wollte wieder weg.«</p> - -<p>»Nein, ihr Herren. Wollte <em class="gesperrt">nicht</em> zurück. Denn es war eine -sehr feine Dame, die gelitten hatte …«</p> - -<p>»Ja. Aber wie …«</p> - -<p>»Die gelitten hatte und fortan nur dem einen Gedanken -der Entsühnung lebte, dem Gedanken, wie das Unheilige, das -Berührtsein, wieder von ihr genommen werden könne.«</p> - -<p>»Geht nicht. Berührt is berührt.«</p> - -<p>»Mitnichten, Herr von Molchow. Die hohe Priesterschaft -wurde herangezogen und hielt, wie man hier vielleicht sagen -würde, einen Synod, in dem man sich mit der Frage der Entsühnung -oder, was dasselbe sagen will, mit der Frage der -Wiederherstellung der Virginität beschäftigte. Man kam -überein (oder fand es auch vielleicht in alten Büchern), daß -sie in Blut gebadet werden müsse.«</p> - -<p>»Brrr.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_234">[234]</a></span></p> - -<p>»Und zu diesem Behufe wurde sie bald danach in eine Tempelhalle -geführt, drin zwei mächtige Wannen standen, eine -von rotem Porphyr und eine von weißem Marmor, und zwischen -diesen Wannen, auf einer Art Treppe, stand die Prinzessin -selbst. Und nun wurden drei weiße Büffel in die Tempelhalle -gebracht, und der Hohepriester trennte mit einem Schnitt -jedem der drei das Haupt vom Rumpf und ließ das Blut in -die daneben stehende Porphyrwanne fließen. Und jetzt war das -Bad bereitet, und die Prinzessin, nachdem siamesische Jungfrauen -sie entkleidet hatten, stieg in das Büffelblut hinab, -und der Hohepriester nahm ein heiliges Gefäß und schöpfte -damit und goß es aus über die Prinzessin.«</p> - -<p>»Eine starke Geschichte; bei Tisch hätt ich mehrere Gänge -passieren lassen. Ich find es doch entschieden zu viel.«</p> - -<p>»Ich nicht,« sagte der alte Zühlen, der sich inzwischen eingefunden -und seit ein paar Minuten mit zugehört hatte. »Was -heißt zuviel oder zu stark? Stark ist es, soviel geb ich zu; aber -nicht <em class="gesperrt">zu</em> stark. Daß es stark ist, das ist ja eben der Witz von der -Sache. Wenn die Prinzessin bloß einen Leberfleck gehabt hätte, -so fänd ich es ohne weiteres zu stark; es muß immer ein richtiges -Verhältnis da sein zwischen Mittel und Zweck. Ein Leberfleck -ist gar nichts. Aber bedenken Sie, ne richtige Prinzessin als -Sklavin in einem Harem; da muß denn doch ganz anders vorgegangen -werden. Wir reden jetzt so viel von ›großen Mitteln‹. -Ja, meine Herren, auch <em class="gesperrt">hier</em> war nur mit großen Mitteln was -auszurichten.«</p> - -<p>»<em class="antiqua">Igni et ferro</em>,« bestätigte der Rektor.</p> - -<p>»Und,« fuhr der alte Zühlen fort, »soviel wird jedem einleuchten, -um den Teufel auszutreiben (als den ich diesen -Nachbarfürsten und seine Tat durchaus ansehe), dazu mußte -was Besonderes geschehn, etwas Beelzebubartiges. Und -das war eben das Blut dieser drei Büffel. Ich find es <em class="gesperrt">nicht</em> -zu viel.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_235">[235]</a></span></p> - -<p>Thormeyer hob sein Glas, um mit dem alten Zühlen anzustoßen. -»Es ist genau so, wie Herr von Zühlen sagt. Und -zuletzt geschah denn auch glücklicherweise das, was unsre mehr -auf Schönheit gerichteten Wünsche – denn wir leben nun -mal in einer Welt der Schönheit – zufriedenstellen konnte. -Direkt aus der Porphyrwanne stieg die Prinzessin in die Marmorwanne, -drin alle Wohlgerüche Arabiens ihre Heimstätte -hatten, und alle Priester traten mit ihren Schöpfkellen aufs -neue heran, und in Kaskaden ergoß es sich über die Prinzessin, -und man sah ordentlich, wie die Schwermut von ihr abfiel und -wie all das wieder aufblühte, was ihr der räuberische Nachbarfürst -genommen. Und zuletzt schlugen die Dienerinnen -ihre Herrin in schneeweiße Gewänder und führten sie bis an -ein Lager und fächelten sie hier mit Pfauenwedeln, bis sie den -Kopf still neigte und entschlief. Und ist nichts zurückgeblieben, -und ist später die Gattin des Königs von Annam geworden. -Er soll allerdings sehr aufgeklärt gewesen sein, weil Frankreich -schon seit einiger Zeit in seinem Lande herrschte.«</p> - -<p>»Hoffen wir, daß Lillis Vetter auch ein Einsehen hat.«</p> - -<p>»Er wird, er wird.«</p> - -<p>Darauf stieß man an, und alles brach auf. Die Wagen -waren bereits vorgefahren und standen in langer Reihe zwischen -dem »Prinzregenten« und dem Triangelplatz.</p> - -<p>Auch der Stechliner Wagen hielt schon, und Martin, um -sich die Zeit zu vertreiben, knipste mit der Peitsche. Dubslav -suchte nach seinem Pastor und begann schon ungeduldig zu -werden, als Lorenzen endlich an ihn herantrat und um Entschuldigung -bat, daß er habe warten lassen. Aber der Oberförster -sei schuld; der habe ihn in ein Gespräch verwickelt, das -auch noch nicht beendet sei, weshalb er vorhabe, die Rückfahrt -mit Katzler gemeinschaftlich zu machen.</p> - -<p>Dubslav lachte. »Na, dann mit Gott. Aber lassen Sie -sich nicht zu viel erzählen. Ermyntrud wird wohl die Hauptrolle<span class="pagenum"><a id="Seite_236">[236]</a></span> -spielen oder noch wahrscheinlicher der neuzufindende Name. -Werde wohl recht behalten … Und nun vorwärts, Martin.«</p> - -<p>Damit ging es über das holperige Pflaster fort.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">In der Stadt war schon alles still; aber draußen auf der -Landstraße kam man an großen und kleinen Trupps von -Häuslern, Teerschwelern und Glashüttenleuten vorüber, die -sich einen guten Tag gemacht hatten und nun singend und johlend -nach Hause zogen. Auch Frauensvolk war dazwischen -und gab allem einen Beigeschmack.</p> - -<p>So trabte Dubslav auf den als halber Weg geltenden -Nehmitzsee zu. Nicht weit davon befand sich ein Kohlenmeiler, -Dietrichsofen, und als Martin jetzt um die nach Süden vorgeschobene -Seespitze herumbiegen wollte, sah er, daß wer am -Wege lag, den Oberkörper unter Gras und Binsen versteckt, -aber die Füße quer über das Fahrgeleise.</p> - -<p>Martin hielt an. »Gnädiger Herr, da liegt wer. Ich glaub, -es ist der alte Tuxen.«</p> - -<p>»Tuxen, der alte Süffel von Dietrichsofen?«</p> - -<p>»Ja, gnädiger Herr. Ich will mal sehen, was es mit -ihm is.«</p> - -<p>Und dabei gab er die Leinen an Dubslav und stieg ab und -rüttelte und schüttelte den am Wege Liegenden. »Awer Tuxen, -wat moakst du denn hier? Wenn keen Moonschien wiehr, -wiehrst du nu all kaput.«</p> - -<p>»Joa, joa,« sagte der Alte. Aber man sah, daß er ohne -rechte Besinnung war.</p> - -<p>Und nun stieg Dubslav auch ab, um den ganz Unbehilflichen -mit Martin gemeinschaftlich auf den Rücksitz zu legen. Und -bei dieser Prozedur kam der Trunkene einigermaßen wieder -zu sich und sagte: »Nei, nei, Martin, nich doa; pack mi lewer -vörn upp'n Bock.«</p> - -<p>Und wirklich, sie hoben ihn da hinauf, und da saß er nun<span class="pagenum"><a id="Seite_237">[237]</a></span> -auch ganz still und sagte nichts. Denn er schämte sich vor dem -gnädigen Herrn.</p> - -<p>Endlich aber nahm dieser wieder das Wort und sagte: -»Nu sage mal, Tuxen, kannst du denn von dem Branntwein -nich lassen? Legst dich da hin; is ja schon Nachtfrost. Noch -ne Stunde, dann warst du dod. Waren sie denn alle so?«</p> - -<p>»Mehrschtendeels.«</p> - -<p>»Und da habt ihr denn für den Katzenstein gestimmt?«</p> - -<p>»Nei, gnädger Herr, vör Katzenstein nich.«</p> - -<p>Und nun schwieg er wieder, während er vorn auf dem Bock -unsicher hin und her schwankte.</p> - -<p>»Na, man raus mit der Sprache. Du weißt ja, ich reiß -keinem den Kopp ab. Is auch alles egal. Also für Katzenstein -nich. Na, für wen denn?«</p> - -<p>»För Torgelow'n.«</p> - -<p>Dubslav lachte. »Für Torgelow, den euch die Berliner -hergeschickt haben. Hat er denn schon was für euch getan?«</p> - -<p>»Nei, noch nich.«</p> - -<p>»Na, warum denn?«</p> - -<p>»Joa, se seggen joa, he <em class="gesperrt">will</em> wat för uns duhn un is so -sihr för de armen Lüd. Un denn kriegen wi joa'n Stück Tüffelland. -Un se seggen ook, he is klöger, as de annern sinn.«</p> - -<p>»Wird wohl. Aber er is doch noch lange nich so klug, wie ihr -dumm seid. Habt ihr denn schon gehungert?«</p> - -<p>»Nei, dat grad nich.«</p> - -<p>»Na, das kann auch noch kommen.«</p> - -<p>»Ach, gnädger Herr, dat wihrd joa woll nich.«</p> - -<p>»Na, wer weiß, Tuxen. Aber hier is Dietrichsöfen. -Nu steigt ab und seht Euch vor, daß Ihr nicht fallt, wenn die -Pferde anrucken. Und hier habt Ihr was. Aber nich mehr für -heut. Für heut habt Ihr genug. Und nu macht, daß Ihr zu -Bett kommt, und träumt von ›Tüffelland‹.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_238">[238]</a></span></p> - -<h2 id="In_Mission_nach_England">In Mission nach England</h2> - -<h3 id="Einundzwanzigstes_Kapitel">Einundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungstelegrammen, -daß der sozialdemokratische Kandidat, Feilenhauer -Torgelow, im Wahlkreise Rheinsberg-Wutz gesiegt habe. -Bald darauf traf auch ein Brief von Lorenzen ein, der zunächst -die Telegramme bestätigte und am Schlusse hinzusetzte, daß -Dubslav eigentlich herzlich froh über den Ausgang sei. Woldemar -war es auch. Er ging davon aus, daß sein Vater wohl -das Zeug habe, bei Dressel oder Borchardt mit viel gutem Menschenverstand -und noch mehr Eulenspiegelei seine Meinung -über allerhand politische Dinge zum besten zu geben; aber im -Reichstage fach- und sachgemäß sprechen, das konnt er nicht -und wollt er auch nicht. Woldemar war so durchdrungen davon, -daß er über die Vorstellung einer Niederlage, dran er als -Sohn des Alten immerhin wie beteiligt war, verhältnismäßig -rasch hinwegkam, pries es aber doch, um eben diese Zeit mit -einem Kommando nach Ostpreußen hin betraut zu werden, das -ihn auf ein paar Wochen von Berlin fernhielt. Kam er dann -zurück, so waren Anfragen in dieser Wahlangelegenheit nicht -mehr zu befürchten, am wenigsten innerhalb seines Regiments, -in dem man sich, von ein paar Intimsten abgesehen, eigentlich -schon jetzt über den unliebsamen Zwischenfall ausschwieg.</p> - -<p>Und in Schweigen hüllte man sich auch am Kronprinzenufer, -als Woldemar hier am Abend vor seiner Abreise noch<span class="pagenum"><a id="Seite_239">[239]</a></span> -einmal vorsprach, um sich bei der gräflichen Familie zu verabschieden. -Es wurde nur ganz obenhin von einem abermaligen -Siege der Sozialdemokratie gesprochen, ein absichtlich flüchtiges -Berühren, das nicht auffiel, weil sich das Gespräch sehr -bald um Rex und Czako zu drehen begann, die, seit lange dazu -aufgefordert, gerade den Tag vorher ihren ersten Besuch im -Barbyschen Hause gemacht und besonders bei dem alten -Grafen viel Entgegenkommen gefunden hatten. Auch Melusine -hatte sich durch den Besuch der Freunde durchaus zufriedengestellt -gesehen, trotzdem ihr nicht entgangen war, was, nach freilich -entgegengesetzten Seiten hin, die Schwäche beider ausmachte.</p> - -<p>»Wovon der eine zu wenig hat,« sagte sie, »davon hat der -andre zu viel.«</p> - -<p>»Und wie zeigte sich das, gnädigste Gräfin?«</p> - -<p>»O, ganz unverkennbar. Es traf sich, daß im selben Augenblicke, -wo die Herren Platz nahmen, drüben die Glocken der -Gnadenkirche geläutet wurden, was denn – man ist bei solchen -ersten Besuchen immer dankbar, an irgendwas anknüpfen zu -können – unser Gespräch sofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. -Da legitimierten sich dann beide. Hauptmann Czako, weil er -ahnen mochte, was sein Freund in nächster Minute sagen würde, -gab vorweg deutliche Zeichen von Ungeduld, während Herr von -Rex in der Tat nicht nur von dem ›Ernst der Zeiten‹ zu sprechen -anfing, sondern auch von dem Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, -uns nahe bevorstehenden Umschwung erwartete. -Was mich natürlich erheiterte.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Woldemars Kommando nach Ostpreußen war bis auf -Anfang November berechnet, und mehr als einmal sprachen -im Verlaufe dieser Zeit Rex und Czako bei den Barbys vor. -Freilich immer nur einzeln. Verabredungen zu gemeinschaftlichem -Besuche waren zwar mehrfach eingeleitet worden, aber -jedesmal erfolglos, und erst zwei Tage vor Woldemars Rückkehr<span class="pagenum"><a id="Seite_240">[240]</a></span> -fügte es sich, daß sich die beiden Freunde bei den Barbys -trafen. Es war ein ganz besonders gelungener Abend, da neben -der Baronin Berchtesgaden und Doktor Wrschowitz auch ein -alter Malerprofessor (eine neue Bekanntschaft des Hauses) -zugegen waren, was eine sehr belebte Konversation herbeiführte. -Besonders der neben seinen andern Apartheiten auch -durch langes weißes Haar und große Leuchte-Augen ausgezeichnete -Professor hatte – gestützt auf einen unentwegten -Peter-Cornelius-Enthusiasmus – alles hinzureißen gewußt. -»Ich bin glücklich, noch die Tage dieses großen und einzig dastehenden -Künstlers gesehen zu haben. Sie kennen seine Kartons, -die mir das Bedeutendste scheinen, was wir überhaupt -hier haben. Auf dem einen Karton steht im Vordergrund ein -Tubabläser und setzt das Horn an den Mund, um zu Gericht -zu rufen. Diese eine Gestalt balanciert fünf Kunstausstellungen, -will also sagen netto 15 000 Bilder. Und eben diese Kartons, -samt dem Bläser zum Gericht, die wollen sie jetzt fortschaffen und -sagen dabei in naiver Effronterie, solch schwarzes Zeug mit -Kohlenstrichen dürfe überhaupt nicht so viel Raum einnehmen. -Ich aber sage Ihnen, meine Herrschaften, ein Kohlenstrich von -Cornelius ist mehr wert als alle modernen Paletten zusammengenommen, -und die Tuba, die dieser Tubabläser da an den -Mund setzt – verzeihen Sie mir altem Jüngling diesen Kalauer -–, diese Tuba wiegt alle Tuben auf, aus denen sie jetzt -ihre Farben herausdrücken. Beiläufig auch eine miserable -Neuerung. Zu meiner Zeit gab es noch Beutel, und diese Beutel -aus Schweinsblase waren viel besser. Ein wahres Glück, daß -König Friedrich Wilhelm <em class="antiqua">IV.</em> diese jetzt etablierte Niedergangsepoche -nicht mehr erlebt hat, diese Zeit des Abfalls, so recht -eigentlich eine Zeit der apokalyptischen Reiter. Bloß zu den -dreien, die der große Meister uns da geschaffen hat, ist heutzutage -noch ein vierter Reiter gekommen, ein Mischling von -Neid und Ungeschmack. Und dieser vierte sichelt am stärksten.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_241">[241]</a></span></p> - -<p>Alles nickte, selbst die, die nicht ganz so dachten, denn der -Alte mit seinem Apostelkopfe hatte ganz wie ein Prophet gesprochen. -Nur Melusine blieb in einer stillen Opposition und -flüsterte der Baronin zu: »Tubabläser. Mir persönlich ist die -Böcklinsche Meerfrau mit dem Fischleib lieber. Ich bin freilich -Partei.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Die Abende bei den Barbys schlossen immer zu früher -Stunde. So war es auch heute wieder. Es schlug eben erst -zehn, als Rex und Czako auf die Straße hinaustraten und -drüben an dem langgestreckten Ufer Tausende von Lichtern vor -sich hatten, von denen die vordersten sich im Wasser spiegelten.</p> - -<p>»Ich möchte wohl noch einen Spaziergang machen,« sagte -Czako. »Was meinen Sie, Rex? Sind Sie mit dabei? Wir -gehen hier am Ufer entlang, an den Zelten vorüber bis Bellevue, -und da steigen wir in die Stadtbahn und fahren zurück, -Sie bis an die Friedrichstraße, ich bis an den Alexanderplatz. -Da ist jeder von uns in drei Minuten zu Haus.«</p> - -<p>Rex war einverstanden. »Ein wahres Glück,« sagte er, -»daß wir uns endlich mal getroffen haben. Seit fast drei Wochen -kennen wir nun das Haus und haben noch keine Aussprache -darüber gehabt. Und das ist doch immer die Hauptsache. -Für Sie gewiß.«</p> - -<p>»Ja, Rex, das ›für Sie gewiß‹, das sagen Sie so spöttisch -und überheblich, weil Sie glauben, Klatschen sei was Inferiores -und für mich gerade gut genug. Aber da machen Sie meiner -Meinung nach einen doppelten Fehler. Denn erstlich ist Klatschen -überhaupt nicht inferior, und zweitens klatschen Sie gerade so -gern wie ich und vielleicht noch ein bißchen lieber. Sie bleiben -nur immer etwas steifer dabei, lehnen meine Frivolitäten zunächst -ab, warten aber eigentlich darauf. Im übrigen denk ich -wir lassen all das auf sich beruhn und sprechen lieber von der -Hauptsache. Ich finde, wir können unserm Freunde Stechlin<span class="pagenum"><a id="Seite_242">[242]</a></span> -nicht dankbar genug dafür sein, uns mit einem so liebenswürdigen -Hause bekannt gemacht zu haben. Den Wrschowitz -und den alten Malerprofessor, der von dem Engel des Gerichts -nicht loskonnte, – nun die beiden schenk ich Ihnen (ich denke -mir, der Maler wird wohl nach Ihrem Geschmacke sein), aber -die andern, die man da trifft, wie reizend alle, wie natürlich. -Obenan dieser Frommel, dieser Hofprediger, der mir am Teetisch -fast noch besser gefällt als auf der Kanzel. Und dann diese -bayrische Baronin. Es ist doch merkwürdig, daß die Süddeutschen -uns im Gesellschaftlichen immer um einen guten -Schritt vorauf sind, nicht von Bildungs-, aber von glücklicher -Natur wegen. Und diese glückliche Natur, das ist doch die wahre -Bildung.«</p> - -<p>»Ach Czako, Sie überschätzen das. Es ist ja richtig, wenn -Sie da so die Würstel aus dem großen Kessel herausholen -und irgendeine Loni oder Toni mit dem Maßkrug kommt, -so sieht das nach was aus, und wir kommen uns wie verhungerte -Schulmeister daneben vor. Aber eigentlich ist das, was wir -haben, doch das Höhere.«</p> - -<p>»Gott bewahre. Alles, was mit Grammatik und Examen -zusammenhängt, ist nie das Höhere. Waren die Patriarchen -examiniert, oder Moses oder Christus? Die Pharisäer waren -examiniert. Und da sehen Sie, was dabei herauskommt. Aber, -um mehr in der Nähe zu bleiben, nehmen Sie den alten Grafen. -Er war freilich Botschaftsrat, und das klingt ein bißchen nach -was; aber eigentlich ist er doch auch bloß ein unexaminierter Naturmensch, -und das gerade gibt ihm seinen Charme. Beiläufig, -finden Sie nicht auch, daß er dem alten Stechlin ähnlich sieht?«</p> - -<p>»Ja, äußerlich.«</p> - -<p>»Auch innerlich. Natürlich ne andre Nummer, aber doch -derselbe Zwirn, – Pardon für den etwas abgehaspelten Berolinismus. -Und wenn Sie vielleicht an Politik gedacht haben, -auch da ist wenig Unterschied. Der alte Graf ist lange nicht so<span class="pagenum"><a id="Seite_243">[243]</a></span> -liberal, und der alte Dubslav lange nicht so junkerlich, wie's -aussieht. Dieser Barby, dessen Familie, glaub ich, vordem zu -den Reichsunmittelbaren gehörte, dem steckt noch so was von -›Gottesgnadenschaft‹ in den Knochen, und das gibt dann die -bekannte Sorte von Vornehmheit, die sich den Liberalismus -glaubt gönnen zu können. Und der alte Dubslav, nun, der -hat dafür das im Leibe, was die richtigen Junker alle haben: -ein Stück Sozialdemokratie. Wenn sie gereizt werden, bekennen -sie sich selber dazu.«</p> - -<p>»Sie verkennen das, Czako. Das alles ist ja bloß Spielerei.«</p> - -<p>»Ja, was heißt Spielerei? Spielen. Wir haben schöne -alte Fibelverse, die vor der Gefährlichkeit des Mit-dem-Feuerspielens -warnen. Aber lassen wir Dubslav und den alten Barby. -Wichtiger sind doch zuletzt immer die Damen, die Gräfin und -die Komtesse. Welche wird es? Ich glaube, wir haben schon mal -darüber gesprochen, damals, als wir von Kloster Wutz her über -den Cremmer Damm ritten. Viel Vertrauen zu Freund Woldemars -richtigem Frauenverständnis hab ich eigentlich nicht, aber -ich sage trotzdem: Melusine.«</p> - -<p>»Und ich sage: Armgard. Und Sie sagen es im stillen -auch.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Es war zwei Tage vor Woldemars Rückkehr aus Ostpreußen, -daß Rex und Czako dies Tiergartengespräch führten. -Eine halbe Stunde später fuhren sie, wie verabredet, vom -Bellevuebahnhof aus wieder in die Stadt zurück. Überall -war noch ein reges Leben und Treiben, und Leben war denn auch -in dem aus bloß drei Zimmern verschiedener Größe sich zusammensetzenden -Kasino der Gardedragoner. In dem zunächst -am Flur gelegenen großen Speisesaale, von dessen Wänden -die früheren Kommandeure des Regiments, Prinzen und Nichtprinzen, -herniederblickten, sah man nur wenig Gäste. Daneben -aber lag ein Eckzimmer, das mehr Insassen und mehr flotte<span class="pagenum"><a id="Seite_244">[244]</a></span> -Bewegung hatte. Hier über dem schräg gestellten Kamin, drin -ein kleines Feuer flackerte, hing seit kurzem das Bildnis des -»hohen Chefs« des Regiments, der Königin von England, -und in der Nähe eben dieses Bildes ein ruhmreiches Erinnerungsstück -aus dem sechsundsechziger und siebziger Kriege: -die Trompete, darauf derselbe Mann, Stabstrompeter Wollhaupt, -erst am 3. Juli auf der Höhe von Lipa und dann am -16. August bei Mars-la-Tour das Regiment zur Attacke gerufen -hatte, bis er an der Seite seines Obersten fiel; der Oberst -mit ihm.</p> - -<p>Dies Eckzimmer war, wie gewöhnlich, auch heute der bevorzugte -kleine Raum, drin sich jüngere und ältere Offiziere -zu Spiel und Plauderei zusammengefunden hatten, unter -ihnen die Herren von Wolfshagen, von Herbstfelde, von -Wohlgemuth, von Grumbach, von Raspe.</p> - -<p>»Weiß der Himmel,« sagte Raspe, »wir kommen aus den -Abordnungen auch gar nicht mehr heraus. Wir haben freilich -drei Sendens im Regiment, aber es sind der Sendbotschaften -doch fast zuviel. Und diesmal nun auch unser Stechlin dabei. -Was wird er sagen, wenn er oben in Ostpreußen von der ihm -zugedachten Ehre hört. Er wird vielleicht sehr gemischte Gefühle -haben. Übermorgen ist er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich -bei dem scheußlichen Wetter schlecht ajustiert, und dann -Hals über Kopf und in großem Trara nach London. Und London -ginge noch. Aber auch nach Windsor. Alles, wenn es sich -um Chic handelt, will doch seine Zeit haben, und gerade die -Vettern drüben sehen einem sehr auf die Finger.«</p> - -<p>»Laß sie sehn,« sagte Herbstfelde. »Wir sehen auch. Und -Stechlin ist nicht der Mann, sich über derlei Dinge graue Haare -wachsen zu lassen. Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. -Es ist doch immerhin was, daß er da mit nach England -hinüber soll, und einer solchen Auszeichnung entspricht selbstverständlich -eine Nichtauszeichnung andrer. Das paßt nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_245">[245]</a></span> -jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unserm Stechlin -mache, gehört er zu diesen. Er ficht nicht gern unter der Devise -›nur über Leichen‹, hat vielmehr umgekehrt den Zug, sich in die -zweite Linie zu stellen. Und nun sieht es aus, als wär er ein -Streber.«</p> - -<p>»Stimmt nicht,« sagte Raspe. »Für so verrannt kann ich -keinen von uns halten. Stechlin sitzt da oben in Ostpreußen -und kann doch unmöglich in seinen Mußestunden hierher intrigiert -und einen etwaigen Rivalen aus dem Sattel geworfen -haben. Und unser Oberst! Der ist doch auch nicht -der Mann dazu, sich irgendwen aufreden zu lassen. Der kennt -seine Pappenheimer. Und wenn er sich den Stechlin aussucht, -dann weiß er, warum. Übrigens, Dienst ist Dienst; man geht -nicht, weil man will, sondern weil man muß. Spricht er denn -Englisch?«</p> - -<p>»Ich glaube nicht,« sagte von Grumbach. »Soviel ich weiß, -hat er vor kurzem damit angefangen, aber natürlich nicht wegen -dieser Mission, die ja wie vom blauen Himmel auf ihn niederfällt, -sondern der Barbys wegen, die beinah zwanzig Jahre in -England waren und halb englisch sind. Im übrigen hab ich mir -sagen lassen, es geht drüben auch ohne die Sprache. Herbstfelde, -Sie waren ja voriges Jahr da. Mit gutem Deutsch und -schlechtem Französisch kommt man überall durch.«</p> - -<p>»Ja,« sagte Herbstfelde. »Bloß ein bißchen Landessprache -muß doch noch dazu kommen. Indessen, es gibt ja kleine Vademekums, -und da muß man dann eben nachschlagen, bis man's -hat. Sonst sind hundert Vokabeln genug. Als ich noch zu -Hause war, hatten wir da ganz in unsrer Nachbarschaft einen -verdrehten alten Herrn, der – eh ihn die Gicht unterkriegte – -sich so ziemlich in der ganzen Welt herumgetrieben hatte. -Pro neues Land immer neue hundert Vokabeln. Unter anderm -war er auch mal in Südrußland gewesen, von welcher Zeit -ab – und zwar nach vorgängiger, vor einem großen Likörkasten<span class="pagenum"><a id="Seite_246">[246]</a></span> -stattgehabten Anfreundung mit einem uralten Popen – -er das Amendement zu stellen pflegte: ›Hundert Vokabeln; -aber bei nem Popen bloß fünfzig.‹ Und das muß ich sagen, -ich habe das mit den hundert in England durchaus bestätigt -gefunden. ›<em class="antiqua">Mary, please, a jug of hot water</em>,‹ soviel muß -man weghaben, sonst sitzt man da. Denn der Naturengländer -weiß gar nichts.«</p> - -<p>»Wie lange waren Sie denn eigentlich drüben, Herbstfelde?«</p> - -<p>»Drei Wochen. Aber die Reisetage mitgerechnet.«</p> - -<p>»Und sind Sie so ziemlich auf Ihre Kosten gekommen? -Einblick ins Volksleben, Parlament, Oxford, Cambridge, -Gladstone?«</p> - -<p>Herbstfelde nickte.</p> - -<p>»Und wenn Sie nun so alles zusammennehmen, was hat -da so den meisten Eindruck auf Sie gemacht? Architektur, -Kunst, Leben, die Schiffe, die großen Brücken? Die Straßenjungens, -wenn man in einem Cab vorüberfährt, sollen ja -immer Rad neben einem her schlagen, und die Dienstmädchen, -was noch wichtiger ist, sollen sehr hübsch sein, kleine Hauben -und Tändelschürze.«</p> - -<p>»Ja, Raspe, da treffen Sie's. Und ist eigentlich auch das -Interessanteste. Denn sogenannte Meisterwerke gibt es ja -jetzt überall, von Kirchen und dergleichen gar nicht zu reden. -Und Schiffe haben wir ja jetzt auch und auch ein Parlament. -Und manche sagen, unsres sei noch besser. Aber das Volk. -Sehen Sie, da steckt es. Das Volk ist alles.«</p> - -<p>»Na, natürlich Volk. Oberschicht überall ein und dasselbe. -Was da los ist, das wissen wir.«</p> - -<p>»Und eigentlich hab ich die ganzen drei Wochen auf nem -Omnibus gesessen und bin abends in die Matrosenkneipen -an der Themse gegangen. Ein bißchen gefährlich; man hat -da seinen Messerstich weg, man weiß nicht wie, ganz wie in<span class="pagenum"><a id="Seite_247">[247]</a></span> -Italien. Bloß in Italien gibt es vorher doch immer noch ein -Liebesverhältnis, was in Old-Wapping – so heißt nämlich der -Stadtteil an der Themse – nicht mal nötig ist. Und dann, -wenn ich zu Hause war, sprach ich natürlich mit Mary. Viel -war es nicht. Denn die hundert Vokabeln, die dazu nötig sind -die hatte ich damals noch nicht voll.«</p> - -<p>»Na, 's ging aber doch?«</p> - -<p>»So leidlich. Und dabei hatt ich mal ne Szene, die war -eigentlich das Hübscheste. Meine Wohnung befand sich nämlich -eine Treppe hoch in einer kleinen stillen Querstraße von Oxford-Street. -Und Mary war gerade bei mir. Und in dem Augenblicke, -wo ich mich mit dem hübschen Kinde zu verständigen -suche …«</p> - -<p>»Worüber?«</p> - -<p>»In demselben Augenblicke sieht ein Chinese grinsend in mein -Fenster hinein, so daß er eigentlich eine Ohrfeige verdient hätte.«</p> - -<p>»Wie war denn das aber möglich?«</p> - -<p>»Ja, das ist ja eben das, was ich das Londoner Volksleben -nenne. Alles mögliche, wovon wir hier gar keine Vorstellung -haben, vollzieht sich da mitten auf dem Straßendamm. -Und so waren denn auch an jenem Tage zwei Chinesen, ihres -Zeichens Akrobaten, in die Querstraße von Oxford-Street -gekommen, und der eine, ein dicker starker Kerl, hatte einen -Gurt um den Leib, und in der Öse dieses Gurtes steckte ne -Stange, auf die der zweite Chinese hinaufkletterte. Und wie er -da oben war, war er gerade in Höhe meiner Beletage und sah -hinein, als ich mich eben bemühte, mich Mary klar zu machen.«</p> - -<p>»Ja, Herbstfelde, das war nu freilich ein Pech, und wenn -Sie wieder drüben sind, müssen Sie nach hinten hinaus wohnen -oder höher hinauf. Aber interessant ist es doch. Und ich bezweifle -nur, daß Stechlin in eine gleiche Lage kommen wird.«</p> - -<p>»Gewiß nicht. Daran hindern ihn seine Moralitäten.«</p> - -<p>»Und noch mehr die Barbys.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_248">[248]</a></span></p> - -<h3 id="Zweiundzwanzigstes_Kapitel">Zweiundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Woldemar, von der ihm bevorstehenden Auszeichnung -unterrichtet, kürzte seinen Aufenthalt in Ostpreußen um vierundzwanzig -Stunden ab, hatte trotzdem aber, nach seinem -Wiedereintreffen in Berlin, nur noch zwei Tage zur Verfügung. -Das war wenig. Denn außer allerlei zu treffenden Reisevorbereitungen -lag ihm doch auch noch ob, verschiedene Besuche -zu machen, so bei den Barbys, bei denen er sich für den letzten -Abend schon brieflich angemeldet hatte.</p> - -<p>Dieser Abend war nun da. Die Koffer standen gepackt -um ihn her, er selber aber lehnte sich, ziemlich abgespannt, in -seinen Schaukelstuhl zurück, nochmals überschlagend, ob auch -nichts vergessen sei. Zuletzt sagte er sich: »Was nun noch fehlt, -fehlt; ich kann nicht mehr.« Und dabei sah er nach der Uhr. -Bis zu seinem am Kronprinzenufer angesagten Besuche war -noch fast eine Stunde. Die wollt er ausnutzen und sich vorher -nach Möglichkeit ruhn. Aber er kam nicht dazu. Sein Bursche -trat ein und meldete: »Hauptmann von Czako.«</p> - -<p>»Ah, sehr willkommen.«</p> - -<p>Und Woldemar, so wenig gelegen ihm Czako auch kam, -sprang doch auf und reichte dem Freunde die Hand. »Sie -kommen, um mir zu meiner englischen Reise zu gratulieren. -Und wiewohl es so so damit steht, <em class="gesperrt">Ihnen</em> glaub ich's, daß -Sie's ehrlich meinen. Sie gehören zu den paar Menschen, die -keinen Neid kennen.«</p> - -<p>»Na, lassen wir das Thema lieber. Ich bin dessen nicht so -ganz sicher; mancher sieht besser aus, als er ist. Aber natürlich -komm ich, um Ihnen wohl oder übel meine Glückwünsche zu -bringen und meinen Reisesegen dazu. Donnerwetter, Stechlin, -wo will das noch mit Ihnen hinaus! Sie werden natürlich -Londoner Militärattaché, sagen wir in einem halben Jahr, und -in ebensoviel Zeit haben Sie sich drüben sportlich eingelebt und<span class="pagenum"><a id="Seite_249">[249]</a></span> -etablieren sich als Sieger in einem Steeple Chase, vorausgesetzt, -daß es so was noch gibt (ich glaube nämlich, man nennt -es jetzt alles ganz anders). Und vierzehn Tage nach Ihrem -ersten großen Sportsiege verloben Sie sich mit Ruth Russel -oder mit Geraldine Cavendish, haben den Bedforder- oder den -Devonshire-Herzog als Rückendeckung und gehen als Generalgouverneur -nach Mittelafrika, links die Zwerge, rechts die -Menschenfresser. Emin soll ja doch eigentlich aufgefressen -sein.«</p> - -<p>»Czako, Sie machen sich's zunutze, daß die Mittagsstunde -glücklich vorüber ist, sonst könnten Sie's kaum verantworten. -Aber rücken Sie sich einen Sessel ran, und hier sind Zigaretten. -Oder lieber Zigarre?«</p> - -<p>»Nein, Zigaretten … Ja, sehen Sie, Stechlin, solche -Mission oder wenn auch nur ein Bruchteil davon …«</p> - -<p>»Sagen wir Anhängsel.«</p> - -<p>»… Solche Mission ist gerade das, was ich mir all mein -Lebtag gewünscht habe. Bloß ›Erhörung kam nicht geschritten‹. -Und doch ist gerad in unserm Regiment immer was los. Immer -ist wer auf dem Wege nach Petersburg. Aber weiß der Teufel, -trotz der vielen Schickerei, meine Wenigkeit ist noch nicht rangekommen. -Ich denke mir, es liegt an meinem Namen. Hier -hat ›Czako‹ ja auch schon einen Beigeschmack, einen Stich ins -Komische, aber das Slawische drin gibt ihm in Berlin etwas -Apartes, während es in Petersburg wahrscheinlich heißen -würde: ›Czako, was soll das? Was soll Czako? Dergleichen -haben wir hier echter und besser.‹ Ja, ich gehe noch weiter -und bin nicht einmal sicher, ob man da drüben nicht Lust bezeugen -könnte, in der Wahl von ›Czako‹ einen Witz oder versteckten -Affront zu wittern. Aber wie dem auch sei, Winterpalais -und Kreml sind mir verschlossen. Und nun gehen Sie -nach London und sogar nach Windsor. Und Windsor ist doch -nun mal das denkbar Feinste. Rußland, wenn Sie mir solche<span class="pagenum"><a id="Seite_250">[250]</a></span> -Frühstücksvergleiche gestatten wollen, hat immer was von -Astrachan, England immer was von Colchester. Und ich glaube, -Colchester steht höher. In meinen Augen gewiß. Ach, Stechlin, -Sie sind ein Glückspilz, ein Wort, das Sie meiner erregten -Stimmung zugute halten müssen. Ich werde wohl an der -Majorsecke scheitern, wegen verschiedener Mankos. Aber sehn -Sie, daß ich das einsehe, das könnte das Schicksal doch auch -wieder mit mir versöhnen.«</p> - -<p>»Czako, Sie sind der beste Kerl von der Welt. Es ist eigentlich -schade, daß wir solche Leute wie Sie nicht bei unserm Regiment -haben. Oder wenigstens nicht genug. ›Fein‹ ist ja ganz -gut, aber es muß doch auch mal ein Donnerwetter dazwischen -fahren, ein Zynismus, eine Bosheit; sie braucht ja nicht gleich -einen Giftzahn zu haben. Übrigens, was die Patentheit angeht, -so fühl ich deutlich, daß ich auch nur so gerade noch passiere. -Nehmen Sie beispielsweise bloß das Sprachliche. Wer -heutzutage nicht drei Sprachen spricht, gehört in die Ecke …«</p> - -<p>»Sag ich mir auch. Und ich habe deshalb auch mit dem -Russischen angefangen. Und wenn ich dann so dabei bin und -über meine Fortschritte beinah erstaune, dann berapple ich -mich momentan wieder und sage mir: ›Courage gewonnen, -alles gewonnen.‹ Und dabei laß ich dann zu meinem weitern -Trost all unsre preußischen Helden zu Fuß und zu Pferde an mir -vorüberziehen, immer mit dem Gefühl einer gewissen wissenschaftlichen -und mitunter auch moralischen Überlegenheit. -Da ist zuerst der Derfflinger. Nun, der soll ein Schneider gewesen -sein. Dann kam Blücher, – der war einfach ein ›<em class="antiqua">Jeu</em>‹er. -Und dann kam Wrangel und trieb sein verwegenes Spiel mit -›mir und mich‹.«</p> - -<p>»Bravo, Czako. Das ist die Sprache, die Sie sprechen -müssen. Und Sie werden auch nicht an der Majorsecke scheitern. -Eigentlich läuft doch alles bloß darauf hinaus, wie hoch man -sich selber einschätzt. Das ist freilich eine Kunst, die nicht jeder<span class="pagenum"><a id="Seite_251">[251]</a></span> -versteht. Das Wort vom alten Fritz: ›Denk Er nur immer, -daß Er hunderttausend Mann hinter sich hat,‹ dies Trostwort -ist manchem von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz -unsrer Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege produzieren -unter Umständen auch Bescheidenheit.«</p> - -<p>»Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zuviel davon. -Aber wenn Sie erst Ihre Ruth haben …«</p> - -<p>»Ach, Czako, kommen Sie mir nicht immer mit Ruth. -Oder eigentlich, seien Sie doch bedankt dafür. Denn dieser -weibliche Name mahnt mich, daß ich mich für heut abend am -Kronprinzenufer angemeldet habe, bei den Barbys, wo's, wie -Sie wissen, freilich keine Ruth gibt, aber dafür eine Melusine, -was fast noch mehr ist.«</p> - -<p>»Versteht sich, Melusine is mehr. Alles, was aus dem -Wasser kommt, ist mehr. Venus kam aus dem Wasser, ebenso -Hero … Nein, nein, entschuldigen Sie, es war Leander.«</p> - -<p>»Egal. Lassen Sie's, wie's ist. Solche verwechselte Schillerstelle -tut einem immer wohl. Übrigens können Sie mich in -meinem Coupé begleiten; vom Kronprinzenufer aus haben -Sie knapp noch halben Weg bis in Ihre Kaserne.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das Coupé tat seine Schuldigkeit, und es schlug eben erst -acht, als Woldemar vor dem Barbyschen Hause hielt und, -sich von Czako verabschiedend, die Treppe hinaufstieg. Er fand -nur die Familie vor, was ihm sehr lieb war, weil er kein allgemeines -Gespräch führen, sondern sich lediglich für seine Reise -Rats erholen wollte. Der alte Graf kannte London besser als -Berlin, und auch Melusine war schon über siebzehn, als man, -bald nach dem Tode der Mutter, England verlassen und sich -auf die Graubündner Güter zurückgezogen hatte. Darüber -waren nun wieder nah an anderthalb Jahrzehnte vergangen, -aber Vater und Töchter hingen nach wie vor an Hydepark und -dem schönen Hause, das sie da bewohnt hatten, und gedachten<span class="pagenum"><a id="Seite_252">[252]</a></span> -dankbar der in London verlebten Tage. Selbst Armgard sprach -gern von dem Wenigen, dessen sie sich noch aus ihrer frühen -Kindheit her erinnerte.</p> - -<p>»Wie glücklich bin ich,« sagte Woldemar, »Sie allein zu -finden! Das klingt freilich sehr selbstisch, aber ich bin doch vielleicht -entschuldigt. Wenn Besuch da wäre, nehmen wir beispielsweise -Wrschowitz, und ich ließe mich hinreißen, von der Prinzessin -von Wales und in natürlicher Konsequenz von ihren -zwei Schwestern Dagmar und Thyra zu sprechen, so hätt ich -vielleicht wegen Dänenfreundlichkeit heut abend noch ein Duell -auszufechten. Was mir doch unbequem wäre. Besser ist -besser.«</p> - -<p>Der alte Barby nickte vergnüglich.</p> - -<p>»Ja, Herr Graf,« fuhr Woldemar fort, »ich komme, mich -von Ihnen und den Damen zu verabschieden: aber ich komme -vor allem auch, um mich in zwölfter Stunde noch nach Möglichkeit -zu informieren. In dem Augenblick, wo der gänzlich -ignorante Kandidatus in seinen Frack fährt, guckt er – so was -soll vorkommen – noch einmal ins Corpus juris und liest, -sagen wir zehn Zeilen, und gerad über diese wird er nachher gefragt -und sieht sich gerettet. Dergleichen könnte mir doch auch vorbehalten -sein. Sie waren lange drüben und die Damen ebenso. -Auf was muß ich achten, was vermeiden, was tun? Vor allem, -was muß ich sehn und was nicht sehn? Das letztere vielleicht -das Wichtigste von allem.«</p> - -<p>»Gewiß, lieber Stechlin. Aber ehe wir anfangen, rücken -Sie hier ein und gönnen Sie sich eine Tasse Tee. Freilich, daß -Sie den Tee würdigen werden, ist so gut wie ausgeschlossen; -dazu sind Sie viel zu aufgeregt. Sie sind ja wie ein Wasserfall; -ich erkenne Sie kaum wieder.«</p> - -<p>Woldemar wollte sich entschuldigen.</p> - -<p>»Nur keine Entschuldigungen. Und am wenigsten über -das. Alles ist heutzutage so nüchtern, daß ich immer froh bin,<span class="pagenum"><a id="Seite_253">[253]</a></span> -mal einer Aufregung zu begegnen; Aufregung kleidet besser als -Indifferenz, und jedenfalls ist sie interessanter. Was meinst -du dazu, Melusine?«</p> - -<p>»Papa schraubt mich. Ich werde mich aber hüten, zu antworten.«</p> - -<p>»Und so denn wieder zur Sache. Ja, lieber Stechlin, was -tun, was sehn? Oder wie Sie ganz richtig bemerken, was -nicht sehn? Überall etwas sehr Schwieriges. In Italien vertrödelt -man die Zeit mit Bildern, in England mit Hinrichtungsblöcken. -Sie haben drüben ganze Kollektionen davon. Also -möglichst wenig Historisches. Und dann natürlich keine Kirchen, -immer mit Ausnahme von Westminster. Ich glaube, was -man so mit billiger Wendung »Land und Leute« nennt, das -ist und bleibt das Beste. Die Themse hinauf und hinunter, -Richmond-Hill (auch jetzt noch, trotzdem wir schon November -haben) und Werbekneipen und Dudelsackspfeifer. Und wenn -Sie bei Passierung eines stillen Squares einem sogenannten -›Straßen-Raffael‹ begegnen, dann stehenbleiben und zusehen, -was das sonderbare Genie mit seiner linken und oft verkrüppelten -Hand auf die breiten Straßensteine hinmalt. Denn diese -Straßen-Raffaels haben immer nur eine linke Hand.«</p> - -<p>»Und was malt er?«</p> - -<p>»Was? Das wechselt. Er ist imstande und zaubert Ihnen -in zehn Minuten eine richtige Sixtina aufs Trottoir. Aber in -der Regel ist er mehr Ruysdael oder Hobbema. Landschaften -sind seine Force; dazu Seestücke. Die Klippe von Dover hab -ich wohl zwanzigmal gesehn und über das Meer hin den zitternden -Mondstrahl. Da haben Sie schon was zur Auswahl. -Und nun fragen Sie Melusine. Die hat von London und Umgegend -viel mehr gesehn als ich und weiß, glaub ich, in Hampton-Court -und Waltham-Abbey besser Bescheid als an der -Oberspree, natürlich das Eierhäuschen ausgenommen. Und -wenn Melusine versagen sollte, nun, so haben wir ja noch unsere<span class="pagenum"><a id="Seite_254">[254]</a></span> -Tochter Cordelia. Cordelia war damals freilich erst sechs oder -doch nicht viel mehr. Aber Kindermund tut Wahrheit kund. Armgard, -wie wär es, wenn du dich unsers Freundes annähmest?«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, Papa, ob Herr von Stechlin damit einverstanden -ist oder auch nur sein kann. Vielleicht ging es, wenn -du nur nicht von meinen sechs Jahren gesprochen hättest. Aber -so. Mit sechs Jahren hat man eben nichts erlebt, was, in den -Augen andrer, des Erzählens wert wäre.«</p> - -<p>»Komtesse, gestatten Sie mir … die Dinge an sich sind -gleichgültig. Alles Erlebte wird erst was durch den, der es erlebt.«</p> - -<p>»Ei,« sagte Melusine. »So bin ich zum Erzählen noch mein -Lebtag nicht aufgefordert worden. Nun wirst du sprechen -müssen, Armgard.«</p> - -<p>»Und ich will auch, selbst auf die Gefahr hin einer Niederlage.«</p> - -<p>»Keine Vorreden, Armgard. Am wenigsten, wenn sie -wie Selbstlob klingen.«</p> - -<p>»Also wir hatten damals eine alte Person im Hause, die -schon bei Melusine Kindermuhme gewesen war, und hieß Susan. -Ich liebte sie sehr, denn sie hatte wie die meisten Irischen etwas -ungemein Heiteres und Gütiges. Ich ging viel mit ihr im -Hydepark spazieren, wohnten wir doch in der an seiner Nordseite -sich hinziehenden großen Straße. Hydepark erschien mir -immer sehr schön. Aber weil es tagaus, tagein dasselbe war, -wollt ich doch gern einmal was andres sehen, worauf Susan -auch gleich einging, trotzdem es ihr eigentlich verboten war. -›Ei freilich, Komtesse,‹ sagte sie, ›da wollen wir nach Martins -le Grand.‹ ›Was ist das?‹ fragte ich; aber statt aller Antwort -gab sie mir nur ein kleines Mäntelchen um, denn es war schon -Spätherbst, so etwa wie jetzt, und dunkelte auch schon. Aus -dem, was dann kam, muß ich annehmen, daß es um die fünfte -Stunde war. Und so brachen wir denn auf, unsre Straße hinunter,<span class="pagenum"><a id="Seite_255">[255]</a></span> -und weil an dem Parkgitter entlang lauter große Röhren -gelegt waren, um hier neu zu kanalisieren, so sprang ich auf -die Röhren hinauf, und Susan hielt mich an meinem linken -Zeigefinger. So gingen wir, ich immer auf den Röhren oben, -bis wir an eine Stelle kamen, wo der Park aufhörte. Hier war -gerad ein Droschkenstand, und Hafer und Häcksel lagen umher -und zahllose Sperlinge dazwischen. In der Mitte von dem -allem aber stand ein eiserner Brunnen. Auf den wies Susan -hin und sagte: ›<em class="antiqua">Look at it, dear Armgard. There stood Tyburn-Gallows.</em>‹ -Und wer soviel gestohlen hatte, wie gerad ein Strick -kostete, der wurde da gehängt.«</p> - -<p>»Eine merkwürdige Kindermuhme,« sagte Stechlin. »Und -erschraken Sie nicht, Komtesse?«</p> - -<p>»Nein, von Erschrecken, solange Susan bei mir war, war -keine Rede. Sie hätte mich gegen eine Welt verteidigt.«</p> - -<p>»Das söhnt wieder aus.«</p> - -<p>»Und kurz und gut, wir blieben auf unserm Weg und stiegen -alsbald in ein zweirädriges Cab, aus dem heraus wir sehr gut -sehen konnten, und jagten die Oxfordstraße hinunter in die -City hinein, in ein immer dichter werdendes Straßengewirr, -drin ich nie vorher gekommen war und auch nachher nicht -wieder gekommen bin. Bloß vor zwei Jahren, als wir auf Besuch -drüben waren und ich den alten Plätzen wieder nachging.«</p> - -<p>»Ich glaube,« sagte Melusine, »daß du bei diesem zweiten -Besuch eine gute Anleihe machst. Denn von dem mit Susan -Gesehenen wirst du zurzeit nicht mehr viel zur Verfügung -haben.«</p> - -<p>»Doch, doch. Und nun hielt unser Hansom-Cab vor einem -großen Hause, das halb wie ein Palast und halb wie ein griechischer -Tempel aussah und unter dessen Säulengang hinweg wir -in eine große, mit vielen hundert Menschen erfüllte Halle traten. -Über ihren Köpfen aber lag es wie ein Strom von Licht, und -ganz nach hinten zu, wo die Lichtmasse sich zu verdichten schien,<span class="pagenum"><a id="Seite_256">[256]</a></span> -standen auf einem Podium zwei in rote Röcke gekleidete Bedienstete -mit ein paar großen Behältern links und rechts neben -sich, die wie Futterkisten mit weit aufgeklapptem Deckel aussahen.«</p> - -<p>»Und nun laß Stechlin raten, was es war.«</p> - -<p>»Er braucht es nicht zu raten,« fuhr Armgard fort, »er -weiß es natürlich schon. Aber er muß trotzdem aushalten. -Denn er hat es selber so gewollt. Also Podium und Rotröcke -samt aufgeklappter Kiste links und rechts. Und die hell erleuchtete -Uhr darüber zeigte, daß es nur noch eine Minute bis -sechs war. An ein Sichherandrängen war nicht zu denken, und -so flogen denn die Brief- und Zeitungspakete, die noch mit den -letzten Postzügen fort sollten, in weitem Bogen über die Köpfe -der in Front Stehenden weg; was aber dabei statt in die Behälter -bloß auf das Podium fiel, das wurde von den Rotröcken -mit einer geschickten Fußbewegung in die Futterkisten wie -hineingeharkt. Und nun setzte der Uhrzeiger ein, und das Fliegen -der Pakete steigerte sich, bis genau mit dem sechsten Schlag -auch der Deckel jeder der beiden Kisten zuschlug.«</p> - -<p>»Reizend, Komtesse. Natürlich seh ich mir das an, und -wenn ich ein Rendezvous mit der Königin darüber versäumen -müßte.«</p> - -<p>»Nichts Antimonarchisches,« lachte der alte Graf. »Und -so kommen Susans Untaten schließlich noch ans Licht.«</p> - -<p>»Und meine eignen dazu. Glücklicherweise durch mich selbst.«</p> - -<p>Das Gespräch setzte sich noch eine Weile fort, und allerlei -Schilderungen aus dem Klein- und Alltagsleben behielten dabei -die Oberhand. Ein paarmal, weil er wohl sah, daß Woldemar -gern auch andres zu hören wünschte, versuchte der alte -Graf das Thema zu wechseln, aber beide Damen blieben bei -»<em class="antiqua">shopping</em>« und »<em class="antiqua">five o'clock tea</em>«, bis Melusine, der Woldemars -Ungeduld ebenfalls nicht entgangen war, mit einem -Male fragte: »Haben Sie denn je von Traitors-Gate gehört?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_257">[257]</a></span></p> - -<p>»Nein,« sagte Woldemar. »Ich kann es mir aber übersetzen -und meine Schlüsse daraus ziehn.«</p> - -<p>»Das reicht aus. Also natürlich Tower. Nun sehen Sie, -Traitors-Gate, das war meine Domäne, wenn Besuch aus -Deutschland kam und ich wohl oder übel den Führer machen -mußte. Vieles im Tower langweilte mich, aber Traitors-Gate -nie, vielleicht deshalb nicht, weil es ziemlich zu Anfang -liegt, so daß ich, wenn wir's erreichten, immer noch bei Frische -war, nicht abgestumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann -weiterhin folgen.«</p> - -<p>»Also Traitors-Gate muß ich sehn?«</p> - -<p>»Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder erwäge, daß -an dieser berühmten Stelle nichts unmittelbar Wirkungsvolles -zu sehn ist, so muß ich mich bei meinen Ratschlägen auf -Ihre Phantasie verlassen können. Und ob das geht, weiß ich -nicht. Wer aus der Mark ist, hat meist keine Phantasie.«</p> - -<p>Der alte Graf und Armgard schwiegen, und auch Melusine -sah wohl, daß sie mit ihrer Bemerkung etwas zu weit gegangen -war. Irgendeine Reparierung schien also geboten. -»Ich will's aber doch mit Ihnen wagen,« nahm sie das Gespräch -wieder auf und lachte. »Traitors-Gate. Nun sehen Sie, -Sie kommen da vom Eingange her einen schmalen Gang entlang, -und mit einem Male haben Sie statt der grauen Steinwand -ein eisenbeschlagenes Holztor neben sich. Hinter diesem -Tor aber befindet sich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe gelegener -Wasserhof, von dem aus eine mehrstufige Treppe heraufführt -und an eben der Stelle mündet, an der Sie stehn. Und -nun rechnen Sie dreihundert Jahre zurück. Wem sich die -Pforte damals auftat, um sich hinter ihm wieder zu schließen, -der hatte vom Leben Abschied genommen … Es sind da, -verzeihen Sie das Wort, lauter glibbrige Stufen, und <em class="gesperrt">wer</em> -alles stieg diese Stufen hinauf: Essex, Sir Walter Raleigh, -Thomas Morus und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für<span class="pagenum"><a id="Seite_258">[258]</a></span> -Prince Charlie gefochten hatten und deren Köpfe wenige Tage -später von Temple-Bar herab auf die City niedersahen.«</p> - -<p>»Liegt, Gott sei Dank, weit zurück.«</p> - -<p>»Ja, weit zurück. Aber es kann wiederkommen. Und gerade -<em class="gesperrt">das</em> war es, was immer, wenn ich da so stand, den größten -Eindruck auf mich machte. Diese Möglichkeit, daß es wiederkehre. -Denn ich erinnere mich noch sehr wohl – ja, du warst -es selbst, Papa, der es mir erzählte –, daß Lord Palmerston -einmal, unwirsch über die koburgische Nebenpolitik (ich glaube -während der Krimkriegtage) sich dahin geäußert hätte: ›Dieser -Prince-Consort, er täte gut, sich unser Traitors-Gate bei Gelegenheit -anzusehen. Es ist zwar schon lange, daß Könige da -die glibbrige Treppe hinaufgestiegen sind, aber es ist doch -noch nicht <em class="gesperrt">so</em> lange, daß wir uns dessen nicht mehr entsinnen -könnten. Und ein Prince-Consort ist noch lange nicht ein -König.‹«</p> - -<p>Woldemar, als Melusine dies mit überlegener Miene gesagt -hatte, lächelte vor sich hin, was die Gräfin derartig verdroß, -daß sie mit einer gewissen Gereiztheit hinzusetzte: »Sie lächeln. -Da seh ich doch, wie sehr ich im Rechte war, Ihnen die Phantasie -abzusprechen.«</p> - -<p>»Verzeihen Sie mir …«</p> - -<p>»Und nun werden Sie auch noch pathetisch. Das ist die -richtige Ergänzung. Im übrigen, wie könnt ich mit Ihnen ernsthaft -zürnen! Ein berühmter deutscher Professor soll einmal -irgendwo gesagt haben: ›niemand sei verpflichtet, ein großer -Mann zu sein.‹ Und ebensowenig wird er ›große Phantasie‹ -als etwas Pflichtmäßiges gefordert haben.«</p> - -<p>Woldemar küßte ihr die Hand. »Wissen Sie, Gräfin, daß -Sie doch eigentlich recht hochmütig sind?«</p> - -<p>»Vielleicht. Aber mancher entwaffnet mich wieder. Und -zu diesen gehören Sie.«</p> - -<p>»Das ist nun auch wieder aus dem Ton.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_259">[259]</a></span></p> - -<p>»Ich weiß es nicht. Aber lassen wir's. Und versprechen -Sie mir lieber, mir von Windsor oder London aus eine Karte -zu schreiben … nein, eine Karte, das geht nicht … also einen -Brief, darin Sie mir ein Wort über die Engländerinnen sagen, -und ob Sie jede taillenlose Rotblondine drüben auch so schön -gefunden haben werden, wie's von den Kontinentalen, wenn -sie dies Thema berühren, fast immer versichert wird.«</p> - -<p>»Es wird davon abhängen, an wen ich gerade denke.«</p> - -<p>»Nach dieser Bemerkung ist Ihnen alles verziehn.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Woldemar blieb bis neun. Er hatte gleich in den Zeilen, -in denen er sich anmeldete, die Damen wissen lassen, daß er -seinen Besuch auf eine kurze Stunde beschränken müsse. So -war er denn bei guter Zeit wieder daheim. Auf seinem Tische -fand er ein Briefchen vor und erkannte Rex' Handschrift. »Lieber -Stechlin,« so schrieb dieser, »ich höre eben, daß Sie nach London -gehn. In der Zeitung, wo's schon gestanden haben soll, hab -ich es übersehn. Ich beglückwünsche Sie von Herzen zu dieser -Auszeichnung und lege Ihnen eine Karte bei, die Sie (wenn's -Ihnen paßt) bei meinem Freunde Ralph Waddington einführen -soll. Er ist Advokat und einer der angesehensten Führer unter -den Irvingianern. Fürchten Sie übrigens keine Bekehrungsversuche. -Waddington ist ein durchaus feiner Mann, also -zurückhaltend. Er kann Ihnen aber mannigfach behilflich sein, -wenn Ihnen daran gelegen sein sollte, sich um das Wesen der -englischen Dissenter, ihre Chapels und Tabernakels zu kümmern. -Er ist ein Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Und ich kenne ja -Ihre Vorliebe für derlei Fragen.«</p> - -<p>Stechlin legte den Brief unter den Briefbeschwerer und -sagte: »Der gute Rex! Er überschätzt mich. Dissenterstudien. -Es genügt mir, wenn ich einen einzigen Quäker sehe.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_260">[260]</a></span></p> - -<h3 id="Dreiundzwanzigstes_Kapitel">Dreiundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Was Rex da schrieb, hatte doch ein Gutes gehabt; Woldemar, -erheitert bei dem Gedanken, sich durch Ralph Waddington -in ein Tabernakel eingeführt zu sehn, sah sich mit einemmale -einer gewissen Abspannung entrissen und war froh darüber, -denn er brauchte durchaus Stimmung, um noch einige Briefe -zu schreiben. Das ging ihm nun leichter von der Hand, und als -elf Uhr kaum heran war, war alles erledigt.</p> - -<p>Der andre Morgen sah ihn selbstverständlich früh auf. -Fritz war um ihn her und half, wo noch zu helfen war. »Und -nun, Fritz,« so waren Woldemars letzte Worte, »sieh nach dem -Rechten. Schicke mir nichts nach; Zeitungen wirf weg. Und -die drei Briefe hier, wenn ich fort bin, die tue sofort in den -Kasten … Ist die Droschke schon da?«</p> - -<p>»Zu Befehl, Herr Rittmeister.«</p> - -<p>»Na, dann mit Gott. Und jeden Tag lüften. Und paß auf -die Pferde.«</p> - -<p>Damit verabschiedete sich Woldemar.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Von den drei Briefen war einer nach Stechlin hin adressiert. -Er traf, weil er noch mit dem ersten Zuge fort konnte, gleich -nach Tische bei dem Alten ein und lautete:</p> - -<p>»Mein lieber Papa. Wenn Du diese Zeilen erhältst, sind -wir schon auf dem Wege. ›Wir,‹ das will sagen, unser Oberst, -unser zweitältester Stabsoffizier, ich und zwei jüngere Offiziere. -Aus Deinen eignen Soldatentagen her kennst Du den Charakter -solcher Abordnungen. Nachdem wir ›Regiment Königin von -Großbritannien und Irland‹ geworden sind, war dies ›uns -drüben vorstellen‹ nur noch eine Frage der Zeit. Dieser Mission -beigesellt zu sein ist selbstverständlich eine große Ehre für mich, -doppelt, wenn ich die Namen, über die wir in unserm Regiment -Verfügung haben, in Erwägung ziehe. Die Zeiten, wo man das<span class="pagenum"><a id="Seite_261">[261]</a></span> -Wort ›historische Familie‹ betonte, sind vorüber. Auch an -Tante Adelheid hab ich in dieser Sache geschrieben. Was mir -persönlich an Glücksgefühl vielleicht noch fehlen mag, wird sie -leicht aufbringen. Und ich freue mich dessen, weil ich ihr, alles -in allem, doch so viel verdanke. Daß ich mich von Berlin gerade -jetzt nicht gerne trenne, sei nur angedeutet; Du wirst den Grund -davon unschwer erraten. Mit besten Wünschen für Dein Wohl, -unter herzlichen Grüßen an Lorenzen, wie immer Dein Woldemar.«</p> - -<p>Dubslav saß am Kamin, als ihm Engelke den Brief brachte. -Nun war der Alte mit dem Lesen durch und sagte: »Woldemar -geht nach England. Was sagst du dazu, Engelke?«</p> - -<p>»So was hab ich mir all immer gedacht.«</p> - -<p>»Na, dann bist du klüger gewesen als ich. Ich habe mir -gar nichts gedacht. Und nu noch drei Tage, so stellt er sich mit -seinem Oberst und seinem Major vor die Königin von England -hin und sagt: ›Hier bin ich.‹«</p> - -<p>»Ja, gnädger Herr, warum soll er nich?«</p> - -<p>»Is auch 'n Standpunkt. Und vielleicht sogar der richtige. -Volksstimme, Gottesstimme. Na, nu geh mal zu Pastor -Lorenzen und sag ihm, ich ließ ihn bitten. Aber sage nichts -von dem Brief; ich will ihn überraschen. Du bist mitunter ne -alte Plappertasche.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Schon nach einer halben Stunde war Lorenzen da.</p> - -<p>»Haben befohlen …«</p> - -<p>»Haben befohlen. Ja, das ist gerade so das Richtige; -sieht mir ähnlich … Nun, Lorenzen, schieben Sie sich mal -nen Stuhl ran, und wenn Engelke nicht geplaudert hat -(denn er hält nicht immer dicht), so hab ich eine richtige Neuigkeit -für Sie. Woldemar ist nach England …«</p> - -<p>»Ah, mit der Abordnung.«</p> - -<p>»Also wissen Sie schon davon?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_262">[262]</a></span></p> - -<p>»Nein, ausgenommen das eine, daß eine Deputation oder -Gesandtschaft beabsichtigt sei. Das las ich, und dabei hab ich -dann freilich auch an Woldemar gedacht.«</p> - -<p>Dubslav lachte. »Sonderbar. Engelke hat sich so was -gedacht, Lorenzen hat sich auch so was gedacht. Nur der eigne -Vater hat an gar nichts gedacht.«</p> - -<p>»Ach, Herr von Stechlin, das ist immer so. Väter sind -Väter und können nie vergessen, daß die Kinder Kinder waren. -Und doch hört es mal auf damit. Napoleon war mit zwanzig -ein armer Leutnant und an Ansehn noch lange kein Stechlin. -Und als er so alt war wie jetzt unser Woldemar, ja, da stand -er schon zwischen Marengo und Austerlitz.«</p> - -<p>»Hören Sie, Lorenzen, Sie greifen aber hoch. Meine -Schwester Adelheid wird sich Ihnen übrigens wohl anschließen -und von heut ab eine neue Zeitrechnung datieren. Ich nehm -es ruhiger, trotzdem ich einsehe, daß es nach großer Auszeichnung -schmeckt. Und ist er wieder zurück, dann wird er auch -allerlei Gutes davon haben. Aber so lang er drüben ist! Ich -trau der Sache nicht. Von Behagen jedenfalls keine Rede. Die -Vettern sind nun mal nicht zufriedenzustellen; vielleicht ärgern -sie sich, daß es draußen in der Welt auch noch ein ›Regiment -Königin von Großbritannien und Irland‹ gibt. Das besorgen -sie sich lieber selbst und nehmen so was, wenn andre damit -kommen, wie ne Prätension. Wie stehen denn Sie dazu? -Sie haben die Beefeaters vielleicht in Ihr Herz geschlossen -wegen der vielen Dissenter. Ein Kardinal, der freilich auch noch -Gourmand war, soll mal gesagt haben: ›Schreckliches Volk; -hundert Sekten und bloß eine Sauce.‹«</p> - -<p>»Ja,« lachte Lorenzen, »da bin ich freilich für die ›Beefeaters‹, -wie Sie sagen, und gegen den Kardinal. Das mit den -hundert Sekten laß ich auf sich beruhn (mein Geschmack, beiläufig, -ist es nicht), aber unter allen Umständen bin ich für -höchstens eine Sauce. Das ist das einzig Richtige, weil Gesunde.<span class="pagenum"><a id="Seite_263">[263]</a></span> -Die Dinge müssen in sich etwas sein, und wenn das zutrifft, -so ist eigentlich jede Sauce, und nun gar erst die Sauce im -Plural, von vornherein schon gerichtet. Aber lassen wir den -Kardinal und seine Gewagtheiten und nehmen wir den Gegenstand -seiner Abneigung: England. Es hat für mich eine Zeit -gegeben, wo ich bedingungslos dafür schwärmte. Nicht zu -verwundern. Hieß es doch damals in dem ganzen Kreise, -drin ich lebte: ›Ja, wenn wir England nicht mehr lieben sollen, -was sollen wir dann überhaupt noch lieben?‹ Diese halbe -Vergötterung hab ich noch ehrlich mit durchgemacht. Aber das -ist nun eine hübsche Weile her. Sie sind drüben schrecklich runtergekommen, -weil der Kult vor dem goldenen Kalbe beständig -wächst; lauter Jobber und die vornehme Welt obenan. Und -dabei so heuchlerisch; sie sagen ›Christus‹ und meinen Kattun.«</p> - -<p>»Is leider so, wenigstens nach dem bißchen, was ich davon -weiß. Und alles in allem, und neuerdings erst recht, bin ich -deshalb immer für Rußland gewesen. Wenn ich da so an unsern -Kaiser Nikolaus zurückdenke und an die Zeit, wo seine Uniform -als Geschenk bei uns eintraf und dann als Kirchenstück in die -Garnisonskirche kam. Natürlich in Potsdam. Wir haben -zwar die Reliquien abgeschafft, aber wir haben sie doch auf -unsre Art, und ganz ohne so was geht es nu mal nicht. Mit -dem alten Fritzen fing es natürlich an. Wir haben seinen -Krückstock und den Dreimaster und das Taschentuch (na, das -hätten sie vielleicht weglassen können), und zu den drei Stücken -haben wir nu jetzt auch noch die Nikolaus-Uniform.«</p> - -<p>Lorenzen sah verlegen vor sich hin; etwas dagegen sagen -ging nicht, und zustimmen noch weniger.</p> - -<p>Dubslav aber fuhr fort: »Und dann sind sie da forscher -in Petersburg und geht alles mehr aus dem Vollen, auch wenn -die besten Steine mitunter schon rausgebrochen sind. So was -kommt vor; is eben noch ein Naturvolk. Ich kann das ›Schenken‹ -eigentlich nicht leiden, es hat so was von Bestechung und<span class="pagenum"><a id="Seite_264">[264]</a></span> -sieht aus wie'n Trinkgeld. Und Trinkgeld ist noch schlimmer -als Bestechung und paßt mir eigentlich ganz und gar nicht. -Aber es hat doch auch wieder was Angenehmes, solche Tabatiere. -Wenn es einem gut geht, ist es ein Familienstück, und -wenn es einem schlecht geht, ist es ne letzte Zuflucht. Natürlich, -ein ganz reinliches Gefühl hat man nicht dabei.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Lorenzen blieb eine volle Stunde. Der Alte war immer -froh, wenn sich ihm Gelegenheit bot, sich mal ausplaudern zu -können, und heute standen ja die denkbar besten Themata zur -Verfügung: Woldemar, England, Kaiser Nikolaus und dazwischen -Tante Adelheid, über die zwar immer nur kurze Worte -fielen, aber doch so, daß sie, weil spöttisch, die gute Laune des -Alten wesentlich steigerten.</p> - -<p>Und in dieser guten Laune war er auch noch, als er um -die fünfte Stunde seinen Eichenstock und seinen eingeknautschten -Filzhut vom Riegel nahm, um am See hin, in der Richtung auf -Globsow zu, seinen gewöhnlichen Spaziergang zu machen. -Unmittelbar am Südufer, da wo die Wand steil abfiel, befand -sich eine von Buchenzweigen überdachte Steinbank. Das war -sein Lieblingsplatz. Die Sonne stand schon unterm Horizont, -und nur das Abendrot glühte noch durch die Bäume. Da saß -er nun und überdachte sein Leben, Altes und Neues, seine -Kindheits- und seine Leutnantstage, die Tage kurz vor seiner -Verheiratung, wo das junge, blasse Fräulein, das seine Frau -werden sollte, noch Lieblingshofdame bei der alten Prinzeß -Karl war. All das zog jetzt wieder an ihm vorüber, und dazwischen -seine Schwester Adelheid, in jenen Tagen noch leidlich -gut bei Weg, aber auch schon hart und herbe wie heute, so daß -sie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er über ein -schon halbabgestorbenes ›Verhältnis‹ und eine freilich noch -fortlebende Spielschuld verfügte, durch ihre Tugend weggegrault -hatte. Das waren die alten Geschichten. Und dann wurde<span class="pagenum"><a id="Seite_265">[265]</a></span> -Woldemar geboren, und die junge Frau starb, und der Junge -wuchs heran und lernte bei Lorenzen all das dumme Zeug, -das Neue (dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er nach -England rüber und war vielleicht schon in Köln und in ein -paar Stunden in Ostende.</p> - -<p>Dabei sah er vor sich hin und malte mit seinem Stock -Figuren in den Sand. Der Wald war ganz still; auf dem See -schwanden die letzten roten Lichter, und aus einiger Entfernung -klangen Schläge herüber, wie wenn Leute Holz fällen. Er hörte -mit halbem Ohr hin und sah eben auf die von Globsow her -heraufführende schmale Straße, als er einer alten Frau von -wohl siebzig gewahr wurde, die, mit einer mit Reisig bepackten -Kiepe, den leis ansteigenden Weg heraufkam, etliche Schritte -vor ihr ein Kind mit ein paar Enzianstauden in der Hand. -Das Kind, ein Mädchen, mochte zehn Jahr sein, und das Licht -fiel so, daß das blonde wirre Haar wie leuchtend um des Kindes -Kopf stand. Als die Kleine bis fast an die Bank heran war, blieb -sie stehn und erwartete da das Näherkommen der alten Frau. -Diese, die wohl sah, daß das Kind in Furcht oder doch in Verlegenheit -war, sagte: »Geih man vorupp, Agnes; he deiht di nix.«</p> - -<p>Das Kind, sich bezwingend, ging nun auch wirklich, und -während es an der Bank vorüberkam, sah es den alten Herrn -mit großen, klugen Augen an.</p> - -<p>Inzwischen war auch die Alte herangekommen.</p> - -<p>»Na, Buschen,« sagte Dubslav, »habt Ihr denn auch bloß -Bruchholz in Eurer Kiepe? Sonst packt Euch der Förster.«</p> - -<p>Die Alte griente. »Jott, jnädiger Herr, wenn Se doabi -sinn, denn wird he joa woll nich.«</p> - -<p>»Na, ich denk auch; is immer nich so schlimm. Und wer is -denn das Kind da?«</p> - -<p>»Dat is joa Karlinens.«</p> - -<p>»So, so, Karlinens. Is sie denn noch in Berlin? Und wird -er sie denn heiraten? Ich meine den Rentsch in Globsow.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_266">[266]</a></span></p> - -<p>»Ne, he will joa nich.«</p> - -<p>»Is aber doch von ihm?«</p> - -<p>»Joa, se seggt so. Awers he seggt, he wihr et nich.«</p> - -<p>Der alte Dubslav lachte. »Na, hört, Buschen, ich kann's -ihm eigentlich nich verdenken. Der Rentsch is ja doch ein -ganz schwarzer Kerl. Un nu seht Euch mal das Kind an.«</p> - -<p>»Dat hebb ick ehr ook all seggt. Und Karline weet et ook -nich so recht un lacht man ümmer. Un se brukt em ook nich.«</p> - -<p>»Geht es ihr denn so gut?«</p> - -<p>»Joa; man kann et binah seggen. Se plätt't ümmer. Alle -so'ne plätten ümmer. Ick wihr oak dissen Summer mit Agnessen -(se heet Agnes) in Berlin, un doa wihr'n wi joa tosamen in'n -Zirkus. Ud Karline wihr ganz fidel.«</p> - -<p>»Na, das freut mich. Und Agnes, sagt Ihr, heißt sie. Is -ein hübsches Kind.«</p> - -<p>»Joa, det is se. Un is ook en gaudes Kind; se weent gliks -un is immer so patschlich mit ehre lütten Hänn'. Sünne sinn -immer so.«</p> - -<p>»Ja, das is richtig. Aber Ihr müßt aufpassen, sonst habt -Ihr nen Urenkel, Ihr wißt nicht wie. Na, gu'n Abend, Buschen.«</p> - -<p>»'n Abend, jnädger Herr.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Vierundzwanzigstes_Kapitel">Vierundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Der Baron Berchtesgadensche Wagen fuhr am Kronprinzenufer -vor, und die Baronin, als sie gehört hatte, daß -die Herrschaften oben zu Hause seien, stieg langsam die Treppe -hinauf, denn sie war nicht gut zu Fuß und ein wenig asthmatisch. -Armgard und Melusine begrüßten sie mit großer Freude. -»Wie gut, wie hübsch, Baronin,« sagte Melusine, »daß wir Sie -sehn. Und wir erwarten auch noch Besuch. Wenigstens ich. -Ich habe solch Kribbeln in meinem kleinen Finger, und dann<span class="pagenum"><a id="Seite_267">[267]</a></span> -kommt immer wer. Wrschowitz gewiß (denn er war drei Tage -lang nicht hier) und vielleicht auch Professor Cujacius. Und -wenn nicht der, so Doktor Pusch, den Sie noch nicht kennen, -trotzdem Sie ihn eigentlich kennen müßten, – noch alte Bekanntschaft -aus Londoner Tagen her. Möglicherweise kommt -auch Frommel. Aber vor allem, Baronin, was bringen Sie -für Wetter mit? Lizzi sagte mir eben, es neble so stark, man -könne die Hand vor Augen nicht sehn.«</p> - -<p>»Lizzi hat Ihnen ganz recht berichtet, der richtige <em class="antiqua">London -fog</em>, wobei mir natürlich Ihr Freund Stechlin einfällt. Aber -über den sprechen wir nachher. Jetzt sind wir noch beim Nebel. -Es war draußen wirklich so, daß ich immer dachte, wir würden -zusammenfahren; und am Brandenburger Tor, mit den großen -Kandelabern dazwischen, sah es beinah aus wie ein Bild von -Skarbina. Kennen Sie Skarbina?«</p> - -<p>»Gewiß,« sagte Melusine, »den kenn ich sehr gut. Aber -allerdings erst von der letzten Ausstellung her. Und was, -außer den Gaslaternen im Nebel, mir so eigentlich von ihm -vorschwebt, das ist ein kleines Bild: langer Hotelkorridor, -Tür an Tür, und vor einer der vielen Türen ein paar Damenstiefelchen. -Reizend. Aber die Hauptsache war doch die Beleuchtung. -Von irgendwoher fiel ein Licht ein und vergoldete -das Ganze, den Flur und die Stiefelchen.«</p> - -<p>»Richtig,« sagte die Baronin. »Das war von ihm. Und -gerade das hat Ihnen so sehr gefallen?«</p> - -<p>»Ja. Was auch natürlich ist. In meinen italienischen -Tagen – wenn ich von ›italienischen Tagen‹ spreche, so meine -ich übrigens nie meine Verheiratungstage; während meiner -Verheiratungstage hab ich Gott sei Dank so gut wie gar nichts -gesehn, kaum meinen Mann, aber freilich immer noch zu viel –, -also während meiner italienischen Tage hab ich vor so vielen -Himmelfahrten gestanden, daß ich jetzt für Stiefeletten im -Sonnenschein bin.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_268">[268]</a></span></p> - -<p>»Ganz mein Fall, liebe Melusine. Freilich bin ich jetzt -nebenher auch noch fürs Japanische: Wasser und drei Binsen -und ein Storch daneben. In meinen Jahren darf ich ja von -Storch sprechen. Früher hätt ich vielleicht Kranich gesagt.«</p> - -<p>»Nein, Baronin, das glaub ich Ihnen nicht. Sie waren -immer für das, was sie jetzt Realismus nennen, was meistens -mehr Ton und Farbe hat, und dazu gehört auch der Storch. -Deshalb lieb ich Sie ja gerade so sehr. Ach, daß doch das Natürliche -wieder obenauf käme.«</p> - -<p>»Kommt, liebe Melusine.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Melusinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht. Es -kam wirklich Besuch, erst Wrschowitz, dann aber – statt der -drei, die sie noch nebenher gemutmaßt hatte – nur Czako.</p> - -<p>Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren -hatte vorn im Damenzimmer stattgefunden, ohne Gegenwart -des alten Grafen. Dieser erschien erst, als man zum Tee ging; -er hieß seine Gäste herzlich willkommen, weil er jederzeit das -Bedürfnis hatte, von dem, was draußen in der Welt vorging, -etwas zu hören. Dafür sorgte denn auch jeder auf seine Weise: -die Baronin durch Mitteilungen aus der oberen Gesellschaftssphäre, -Czako durch Avancements und Demissionen und -Wrschowitz durch »Krittikk.« Alles, was zur Sprache kam, hatte -für den alten Grafen so ziemlich den gleichen Wert, aber das -Liebste waren ihm doch die Hofnachrichten, die die Baronin mit -glücklicher Ungeniertheit zum besten gab. Wendungen wie -»ich darf mich wohl Ihrer Diskretion versichert halten« waren -ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz allgemein den -Mut ihrer Meinung, sondern diesen Mut auch in betreff ihrer -jedesmaligen Spezialgeschichte, von der man in der Regel freilich -sagen durfte, daß sie desselben auch dringend bedürftig war.</p> - -<p>»Sagen Sie, liebe Freundin,« begann der alte Graf, »was -wird das jetzt so eigentlich mit den Briefen bei Hofe?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_269">[269]</a></span></p> - -<p>»Mit den Briefen? O, das wird immer schöner.«</p> - -<p>»Immer schöner?«</p> - -<p>»Nun, immer schöner,« lachte hier die Baronin, »ist vielleicht -nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. -Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, -worauf es ankommt, will sagen den Charme. Schon die beliebte -Wendung ›rätselhafte Frau‹ spricht dafür; eine Frau, -die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine, womit ich mir -persönlich freilich eine Art Todesurteil ausspreche. Denn ich -bin alles, nur kein Rätsel. Aber am Ende, man ist, wie man -ist, und so muß ich dies Manko zu verwinden suchen … Es -heißt immer, ›üble Nachrede, drin man sich mehr oder weniger -mit Vorliebe gefalle, sei was Sündhaftes‹. Aber was heißt -hier ›üble Nachrede‹? Vielleicht ist das, was uns so bruchstückweise -zu Gehör kommt, nur ein schwaches Echo vom Eigentlichen -und bedeutet eher ein Zuwenig als ein Zuviel. Im -übrigen, wie's damit auch sei, mein Sinn ist nun mal auf das -Sensationelle gerichtet. Unser Leben verläuft, offen gestanden, -etwas durchschnittsmäßig, also langweilig, und weil dem so ist, -setz ich getrost hinzu: ›Gott sei Dank, daß es Skandale gibt.‹ -Freilich für Armgard ist so was nicht gesagt. Die darf es nicht -hören.«</p> - -<p>»Sie hört es aber doch,« lachte die Komtesse, »und denkt -dabei: was es doch für sonderbare Neigungen und Glücke -gibt. Ich habe für dergleichen kein Organ. Unsre teure Baronin -findet unser Leben langweilig und solche Chronik interessant. -Ich, umgekehrt, finde solche Chronik langweilig und unser -alltägliches Leben interessant. Wenn ich den Rudolf unsers -Portier Hartwig unten mit seinem <em class="antiqua">hoop</em> und seinen dünnen -langen Berliner Beinen über die Straße laufen sehe, so find -ich das interessanter als diese sogenannte Pikanterie.«</p> - -<p>Melusine stand auf und gab Armgard einen Kuß. »Du -bist doch deiner Schwester Schwester, oder mein Erziehungsprodukt,<span class="pagenum"><a id="Seite_270">[270]</a></span> -und zum erstenmal in meinem Leben muß ich meine -teure Baronin ganz im Stiche lassen. Es ist nichts mit diesem -Klatsch; es kommt nichts dabei heraus.«</p> - -<p>»Ach, liebe Melusine, das ist durchaus nicht richtig. Es -kommt umgekehrt sehr viel dabei heraus. Ihr Barbys seid -alle so schrecklich diskret und ideal, aber ich für mein Teil, ich -bin anders und nehme die Welt, wie sie ist; ein Bier und ein -Schnaderhüpfl und mal ein Haberfeldtreiben, damit kommt -man am weitesten. Was wir da jetzt hier erleben, das ist auch -solch Haberfeldtreiben, ein Stück Feme.«</p> - -<p>»Nur keine heilige.«</p> - -<p>»Nein,« sagte die Baronin, »keine heilige. Die Feme -war aber auch nicht immer heilig. Habe mir da neulich erst -den Götz wieder angesehn, bloß wegen dieser Szene. Die -Poppe beiläufig vorzüglich. Und der schwarze Mann von der -Feme soll im Urtext noch viel schlimmer gewesen sein, so daß -man es (Goethe war damals noch sehr jung) eigentlich kaum -lesen kann. Ich würde mir's aber doch getrauen. Und nun -wend ich mich an unsre Herren, die dies diffizile Kampffeld, -ich weiß nicht ritterlicher- oder unritterlicherweise, mir ganz allein -überlassen haben. Doktor Wrschowitz, wie denken Sie darüber?«</p> - -<p>»Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was wir da -lesen wie Runenschrift … nein, <em class="gesperrt">nicht</em> wie Runenschrift … -(Wrschowitz unterbrach sich hier mißmutig über sein eignes -Hineingeraten ins Skandinavische) – was wir da lesen in -Briefen vom Hofe, das ist Krittikk. Und weil es Krittikk ist, -ist es gutt. Mag es auch sein Mißbrauch von Krittikk. Alles -hat Mißbrauch. Gerechtigkeit hat Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, -Krittikk hat Mißbrauch. Aber trotzdem. Auf die Feme -kommt es an, und das große Messer muß wieder stecken im -Baum.«</p> - -<p>»Brrr,« sagte Czako, was ihm einen ernsten Augenaufschlag -von Wrschowitz eintrug. –</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_271">[271]</a></span></p> - -<p>Als man sich nach einer halben Stunde von Tisch erhoben -hatte, wechselte man den Raum und begab sich in das Damenzimmer -zurück, weil der alte Graf etwas Musik hören und sich -von Armgards Fortschritten überzeugen wollte. »Doktor -Wrschowitz hat vielleicht die Güte, dich zu begleiten.«</p> - -<p>So folgte denn ein Quatremains, und als man damit -aufhörte, nahm der alte Barby Veranlassung, seiner Vorliebe -für solch vierhändiges Spiel Ausdruck zu geben, was -Wrschowitz, dessen Künstlerüberheblichkeit keine Grenzen kannte, -zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veranlaßte, daß man -dieser Auffassung bei Dilettanten sehr häufig begegne. Der -alte Graf, wenig befriedigt von dieser »Krittikk«, war doch -andrerseits viel zu vertraut mit Künstlerallüren im allgemeinen -und mit den Wrschowitzschen im besonderen, um sich ernstlich -über solche Worte zu verwundern. Er begnügte sich vielmehr -mit einer gemessenen Verbeugung gegen den Musikdoktor und -zog, auf einer nebenstehenden Causeuse Platz nehmend, die gute -Frau von Berchtesgaden ins Gespräch, von der er wußte, daß -ihre Munterkeiten nie den Charakter »goldener Rücksichtslosigkeiten« -annahmen.</p> - -<p>Wrschowitz seinerseits war an dem aufgeklappten Flügel -stehen geblieben, ohne jede Spur von Verlegenheit, so daß ein -Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig gewesen wäre. -Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, sich seiner anzunehmen -und dabei die herkömmliche Frage zu tun, »ob er, der Herr -Doktor Wrschowitz, sich schon in Berlin eingelebt habe«.</p> - -<p>»Hab ich,« sagte Wrschowitz kurz.</p> - -<p>»Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns aufgeschlagen -zu haben?«</p> - -<p>»<em class="antiqua">Au contraire.</em> Berlin eine schöne Stadt, eine serr gutte -Stadt. Eine serr gutte Stadt <em class="antiqua">pour moi en particulier et pour -les étrangers en général</em>. Eine serr gutte Stadt, weil es hat -Musikk und weil es hat Krittikk.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_272">[272]</a></span></p> - -<p>»Ich bin beglückt, Doktor Wrschowitz, speziell aus Ihrem -Munde so viel Gutes über unsre Stadt zu hören. Im allgemeinen -ist die slawische, besonders die tschechische Welt …«</p> - -<p>»O, die tschechische Welt. <em class="antiqua">Vanitas vanitatum.</em>«</p> - -<p>»Es ist sehr selten, in nationalen Fragen einem so freien -Drüberstehn zu begegnen … Aber wenn es Ihnen recht ist, -Doktor Wrschowitz, wir stehen hier wie zwei Schildhalter neben -diesem aufgeklappten Klavier, – vielleicht daß wir uns setzen -könnten. Gräfin Melusine lugt ohnehin schon nach uns aus.« -Und als Wrschowitz seine Zustimmung zu diesem Vorschlage -Czakos ausgedrückt hatte, schritten beide Herren vom Klavier -her auf den Kamin zu, vor dem sich die Gräfin auf einem -Fauteuil niedergelassen hatte. Neben ihr stand ein Marmortischchen, -drauf sie den linken Arm stützte.</p> - -<p>»Nun endlich, Herr von Czako. Vor allem aber rücken Sie -Stühle heran. Ich sah die beiden Herren in einem anscheinend -intimen Gespräche. Wenn es sich um etwas handelte, dran ich -teilnehmen darf, so gönnen Sie mir diesen Vorzug. Papa -hat sich, wie Sie sehn, mit der Baronin engagiert, ich denke mir -über berechtigte bajuvarische Eigentümlichkeiten, und Armgard -denkt über ihr Spiel nach und all die falschen Griffe. Was -müssen Sie gelitten haben, Wrschowitz. Und nun noch einmal, -Hauptmann Czako, worüber plauderten Sie?«</p> - -<p>»Berlin.«</p> - -<p>»Ein unerschöpfliches Thema für die Medisance.«</p> - -<p>»Worauf Doktor Wrschowitz zu meinem Staunen verzichtete. -Denken Sie sich, gnädigste Gräfin, er schien alles loben -zu wollen. Allerdings waren wir erst bei Musik und Kritik. -Über die Menschen noch kein Wort.«</p> - -<p>»O, Wrschowitz, das müssen Sie nachholen. Ein Fremder -sieht mehr als ein Einheimischer. Also frei weg und ohne Scheu. -Wie sind die Vornehmen? Wie sind die kleinen Leute?«</p> - -<p>Wrschowitz wiegte den Kopf hin und her, als ob er überlege,<span class="pagenum"><a id="Seite_273">[273]</a></span> -wie weit er in seiner Antwort gehen könne. Dann mit einem -Male schien er einen Entschluß gefaßt zu haben und sagte: -»Oberklasse gutt, Unterklasse serr gutt; Mittelklasse <em class="gesperrt">nicht</em> -serr gutt.«</p> - -<p>»Kann ich zustimmen,« lachte Melusine. »Fehlen nur noch -ein paar Details. Wie wär es damit?«</p> - -<p>»Mittelklassberliner findet gutt, was <em class="gesperrt">er</em> sagt, aber findet -<em class="gesperrt">nicht</em> gutt, was sagt ein andrer.«</p> - -<p>Czako, trotzdem er sich getroffen fühlte, nickte.</p> - -<p>»Mittelklassberliner, wenn spricht andrer, fällt in Krampf. -In versteckten Krampf oder auch in nicht versteckten Krampf. -In verstecktem Krampf ist er ein Bild des Jammers, in nicht -verstecktem Krampf ist er ein Affront.«</p> - -<p>»Brav, Wrschowitz. Aber mehr. Ich bitte.«</p> - -<p>»Berliner immer an der Tete. So wenigstens glaubt er. -Berliner immer Held. Berliner weiß alles, findet alles, entdeckt -alles. Erst Borsig, dann Stephenson, erst Rudolf Hertzog, -dann Herzog Rudolf, erst Pfefferküchler Hildebrand, dann Papst -Hildebrand.«</p> - -<p>»Nicht geschmeichelt, aber ähnlich. Und nun, Wrschowitz, -noch eins, dann sind Sie wieder frei … Wie sind die Damen?«</p> - -<p>»Ach, gnädigste Gräfin …«</p> - -<p>»Nichts, nichts. Die Damen.«</p> - -<p>»Die Damen. O, die Damen serr gutt. Aber nicht speziffisch. -Speziffisch in Berlin bloß die Madamm.«</p> - -<p>»Da bin ich aber doch neugierig.«</p> - -<p>»Speziffisch bloß die Madamm. Ich war, gnädigste Gräfin, -in Pettersburg und ich war in Moscou. Und war in Budapest. -Und war auch in Saloniki. Ah, Saloniki! Schöne Damen von -Helikon und schöne Damen von Libanon, hoch und schlank wie -die Zeder. Aber keine Madamm. Madamm nirgendwo; -Madamm bloß in Berlin.«</p> - -<p>»Aber Wrschowitz, es müssen doch schließlich Ähnlichkeiten<span class="pagenum"><a id="Seite_274">[274]</a></span> -da sein. Eine Madamm ist doch immerhin auch eine Dame, -wenigstens eine Art Dame. Schon das Wort spricht es aus.«</p> - -<p>»Nein, gnäddigste Gräfin; <em class="antiqua">rien du tout</em> Dame! Dame -denkt an Galan, Dame denkt an Putz; oder vielleicht auch an -<em class="antiqua">Divorçons</em>. Aber Madamm denkt bloß an Rieke draußen -und mitunter auch an Paul. Und wenn sie zu Paul spricht, der -ihr Jüngster ist, so sagt sie: ›Jott, dein Vater.‹ Oh, die Madamm! -Einige sagen, sie stürbe aus, andre sagen, sie stürbe nie.«</p> - -<p>»Wrschowitz,« sagte Melusine, »wie schade, daß die Baronin -und Papa nicht zugehört haben und daß unser Freund Stechlin, -der solche Themata liebt, nicht hier ist. Übrigens hatten wir -heut ein Telegramm von ihm. Haben Sie vielleicht auch Nachricht, -Herr Hauptmann?«</p> - -<p>»Heute, gnädigste Gräfin. Und auch ein Telegramm. Ich -hab es mitgebracht, weil ich an die Möglichkeit dachte …«</p> - -<p>»Bitte, lesen.«</p> - -<p>Und Czako las: »London, Charing Croß-Hotel. Alles über -Erwarten groß. Sieben unvergeßliche Tage. Richmond schön. -Windsor schöner. Und die Nelsonsäule vor mir. Ihr v. St.«</p> - -<p>Melusine lachte. »Das hat er uns auch telegraphiert.«</p> - -<p>»Ich fand es wenig,« stotterte Czako verlegen, »und als -Doublette find ich es noch weniger. Und ein Mann wie Stechlin, -ein Mann in Mission! Und jetzt sogar unter den Augen Ihrer -Majestät von Großbritannien und Indien.«</p> - -<p>Alles stimmte dem, »daß es wenig sei«, zu. Nur der alte -Graf wollte davon nichts wissen.</p> - -<p>»Was verlangt ihr? Es ist umgekehrt ein sehr gutes Telegramm, -weil ein richtiges Telegramm; Richmond, Windsor, -Nelsonsäule. Soll er etwa telegraphieren, daß er sich sehnt, uns -wiederzusehn? Und das wird er nicht einmal können, so -riesig verwöhnt er jetzt ist. Ihr werdet euch alle sehr zusammennehmen -müssen. Auch du, Melusine.«</p> - -<p>»Natürlich, ich am meisten.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_275">[275]</a></span></p> - -<h2 id="Verlobung">Verlobung<br /> -Weihnachtsreise nach Stechlin</h2> - -<h3 id="Fuenfundzwanzigstes_Kapitel">Fünfundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Drei Tage später war Woldemar zurück und meldete sich -für den nächsten Abend am Kronprinzenufer an. Er traf nur -die beiden Damen, die, Melusine voran, kein Hehl aus ihrer -Freude machten. »Papa läßt Ihnen sein Bedauern aussprechen, -Sie nicht gleich heute mitbegrüßen zu können. Er -ist bei den Berchtesgadens zur Spielpartie, bei der er natürlich -nicht fehlen durfte. Das ist ›Dienst‹, weit strenger als der Ihrige. -Wir haben Sie nun ganz allein, und das ist auch etwas Gutes. -An Besuch ist kaum zu denken; Rex war erst gestern auf eine -kurze Visite hier, etwas steif und formell wie gewöhnlich, und -mit Ihrem Freunde Czako haben wir letzten Sonnabend eine -Stunde verplaudern können. Wrschowitz war an demselben -Abend auch da; beide treffen sich jetzt öfter und vertragen sich -besser, als ich bei Beginn der Bekanntschaft dachte. Wer also -sollte noch kommen? … Und nun setzen Sie sich, um Ihr -Reisefüllhorn über uns auszuschütten; – die Füllhörner, die -jetzt Mode sind, sind meist Bonbontüten, und genau so was -erwart ich auch von Ihnen. Sie sollten mir in einem Briefe -von den Engländerinnen schreiben. Aber wer darüber nicht -schrieb, das waren Sie, wenn wir uns auch entschließen wollen, -Ihr Telegramm für voll anzusehn.« Und dabei lachte Melusine. -»Vielleicht haben Sie uns in unsrer Eitelkeit nicht kränken -wollen. Aber offen Spiel ist immer das beste. Wovon Sie<span class="pagenum"><a id="Seite_276">[276]</a></span> -nicht geschrieben, davon müssen Sie jetzt sprechen. Wie war es -drüben? Ich meine mit der Schönheit.«</p> - -<p>»Ich habe nichts einzelnes gesehn, was mich frappiert oder -gar hingerissen hätte.«</p> - -<p>»Nichts einzelnes. Soll das heißen, daß Sie dafür das Ganze -beinah bewundert haben, will also sagen, die weibliche Totalität?«</p> - -<p>»Fast könnt ich dem zustimmen. Ich erinnere mich, daß -mir vor Jahr und Tag schon ein Freund einmal sagte, ›in der -ganzen Welt fände man, Gott sei Dank, schöne Frauen, aber -nur in England seien die Frauen überhaupt schön‹.«</p> - -<p>»Und das haben Sie geglaubt?«</p> - -<p>»Es liegt eigentlich schlimmer, gnädigste Gräfin. Ich hab -es nicht geglaubt; aber ich hab es, meinem Nichtglauben zum -Trotz, nachträglich bestätigt gefunden.«</p> - -<p>»Und Sie schaudern nicht vor solcher Übertreibung?«</p> - -<p>»Ich kann es nicht, so sehr ich gerade hier eine Verpflichtung -dazu fühle …«</p> - -<p>»Keine Bestechungen.«</p> - -<p>»Ich soll schaudern vor einer Übertreibung,« fuhr Woldemar -fort. »Aber Sie werden mir, Frau Gräfin, dies Schaudern -vielleicht erlassen, wenn ich Erklärungen abgegeben haben -werde. Der Englandschwärmer, den ich da vorhin zitierte, -war ein Freund von zugespitzten Sätzen, und zugespitzte Sätze -darf man nie wörtlich nehmen. Und am wenigsten auf diesem -diffizilen Gebiete. Nirgends in der Welt blühen Schönheiten -wie die gelben Butterblumen übers Feld hin; wirkliche Schönheiten -sind schließlich immer Seltenheiten. Wären sie nicht -selten, so wären sie nicht schön, oder wir fänden es nicht, weil -wir einen andern Maßstab hätten. All das steht fest. Aber es -gibt doch Durchschnittsvorzüge, die den Typus des Ganzen -bestimmen, und diesem Maße nicht geradezu frappierender, -aber doch immerhin noch sehr gefälliger Durchschnittsschönheit, -dem bin ich drüben begegnet.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_277">[277]</a></span></p> - -<p>»Ich laß es mit dieser Einschränkung gelten, und Sie -werden in Papa, mit dem wir oft darüber streiten, einen Anwalt -für Ihre Meinung finden. Durchschnittsvorzüge. Zugegeben. -Aber was sich darin ausspricht, das beinah Unpersönliche, -das Typische …«</p> - -<p>Melusine schrak in diesem Augenblick leise zusammen, weil -sie draußen die Klingel gehört zu haben glaubte. Wirklich, -Jeserich trat ein und meldete: Professor Cujacius. »Um Gottes -willen,« entfuhr es der Gräfin, und die kleine Pause benutzend, -die ihr noch blieb, flüsterte sie Woldemar zu: »Cujacius … -Malerprofessor. Er wird über Kunst sprechen; bitte, widersprechen -Sie ihm nicht, er gerät dabei so leicht in Feuer oder -in mehr als das.« Und kaum, daß Melusine soweit gekommen -war, erschien auch schon Cujacius und schritt unter rascher Verbeugung -gegen Armgard auf die Gräfin zu, dieser die Hand zu -küssen. Sie hatte sich inzwischen gesammelt und stellte vor: -»Professor Cujacius, … Rittmeister von Stechlin.« Beide -verneigten sich gegeneinander, Woldemar ruhig, Cujacius mit -dem ihm eignen superioren Apostelausdruck, der, wenn auch -ungewollt, immer was Provozierendes hatte. »Bin,« so ließ -er sich mit einer gewissen Kondescenz vernehmen, »durch Gräfin -Melusine ganz auf dem Laufenden. Abordnung, England, -Windsor. Ich habe Sie beneidet, Herr Rittmeister. Eine so -schöne Reise.«</p> - -<p>»Ja, das war sie, nur leider zu kurz, so daß ich intimeren -Dingen, beispielsweise der englischen Kunst, nicht das richtige -Maß von Aufmerksamkeit widmen konnte.«</p> - -<p>»Worüber Sie sich getrösten dürfen. Was ich persönlich -an solcher Reise jedem beneiden möchte, das sind ausschließlich -die großen Gesamteindrücke, der Hof und die Lords, die die -Geschichte des Landes bedeuten.«</p> - -<p>»All das war auch mir die Hauptsache, mußt es sein. Aber -ich hätte mich dem ohnerachtet auch gern um Künstlerisches<span class="pagenum"><a id="Seite_278">[278]</a></span> -gekümmert, speziell um Malerisches. So zum Beispiel um die -Schule der Präraffaeliten.«</p> - -<p>»Ein überwundener Standpunkt. Einige waren da, deren -Auftreten auch von uns (ich spreche von den Künstlern meiner -Richtung) mit Aufmerksamkeit und selbst mit Achtung verfolgt -wurde. So beispielsweise Millais …«</p> - -<p>»Ah, <em class="gesperrt">der</em>. Sehr wahr. Ich erinnere mich seines bedeutendsten -Bildes, das leider nach Amerika hin verkauft wurde. -Wenn ich nicht irre, zu einem enormen Preise.«</p> - -<p>Cujacius nickte. »Mutmaßlich das vielgefeierte ›Angelusbild‹, -was Ihnen vorschwebt, Herr Rittmeister, eine von Händlern -heraufgepuffte Marktware, für die Sie glücklicherweise den -englischen Millais, will also sagen den ›<em class="gesperrt">ais</em>‹-Millais, nicht -verantwortlich machen dürfen. <em class="gesperrt">Der</em> Millet, der für eine, wie -Sie schon bemerkten, lächerlich hohe Summe nach Amerika -hin verkauft wurde, war ein ›<em class="gesperrt">et</em>‹-Millet, Vollblutpariser -oder wenigstens Franzose.«</p> - -<p>Woldemar geriet über diese Verwechslung in eine kleine -Verlegenheit, die Damen mit ihm, alles sehr zur Erbauung -des Professors, dessen rasch wachsendes Überlegenheitsgefühl -unter dem Eindruck dieses Fauxpas immer neue Blüten übermütiger -Laune trieb. »Im übrigen sei mir's verziehen,« fuhr -er, immer leuchtender werdend, fort, »wenn ich mein Urteil -über beide kurz dahin zusammenfasse: ›sie sind einander wert,‹ -und die zwei großen westlichen Kulturvölker mögen sich darüber -streiten, wer von ihnen am meisten genasführt wurde. Der -französische Millet ist eine Null, ein Zwerg, neben dem der englische -vergleichsweise zum Riesen anwächst, wohlverstanden vergleichsweise. -Trotzdem, wie mir gestattet sein mag zu wiederholen, -war er zu Beginn seiner Laufbahn ein Gegenstand -unsrer hiesigen Aufmerksamkeit. Und mit Recht. Denn das -Präraffaelitentum, als dessen Begründer und Vertreter ich -ihn ansehe, trug damals einen Zukunftskeim in sich; eine große<span class="pagenum"><a id="Seite_279">[279]</a></span> -Revolution schien sich anbahnen zu wollen, jene große Revolution, -die Rückkehr heißt. Oder wenn Sie wollen ›Reaktion‹. -Man hat vor solchen Wörtern nicht zu erschrecken. Wörter sind -Kinderklappern.«</p> - -<p>»Und dieser englische Millais, – den mit dem französischen -verwechselt zu haben ich aufrichtig bedaure, – dieser ›<em class="gesperrt">ais</em>‹-Millais, -dieser großer Reformer, ist, wenn ich Sie recht verstehe, -sich selber untreu geworden.«</p> - -<p>»Man wird dies sagen dürfen. Er und seine Schule verfielen -in Excentricitäten. Die Zucht ging verloren, und das -straft sich auf jedem Gebiet. Was da neuerdings in der Welt -zusammengekleckst wird, zumal in der schottischen und amerikanischen -Schule, die sich jetzt auch bei uns breitzumachen sucht, -das ist der Überschwang einer an sich beachtenswerten Richtung. -Der Zug, der unter Mitteldampf gut und erfreulich fuhr, -unter Doppeldampf (und das reicht noch nicht einmal aus) -ist er entgleist; er liegt jetzt neben den Schienen und pustet und -keucht. Und ein Jammer nur, daß seine Heizer nicht mit auf -dem Platze geblieben sind. Das ist der Fluch der bösen Tat … -ich verzichte darauf, in Gegenwart der Damen das Zitat zu -Ende zu führen.«</p> - -<p>Eine kleine Pause trat ein, bis Woldemar, der einsah, daß -irgendwas gesagt werden müsse, sich zu der Bemerkung aufraffte: -»Von Neueren hab ich eigentlich nur Seestücke kennen -gelernt; dazu die Phantastika des Malers William Turner, -leider nur flüchtig. Er hat die ›drei Männer im feurigen <span id="corr279">Ofen</span>‹ -gemalt. Stupend. Etwas Großartiges schien mir aus seinen -Schöpfungen zu sprechen, wenigstens in allem, was das Kolorit -angeht.«</p> - -<p>»Eine gewisse Großartigkeit,« nahm Cujacius mit lächelnd -überlegener Miene wieder das Wort, »ist ihm nicht abzusprechen. -Aber aller Wahnsinn wächst sich leicht ins Großartige -hinein und düpiert dann regelmäßig die Menge. <em class="antiqua">Mundus vult<span class="pagenum"><a id="Seite_280">[280]</a></span> -decipi</em>. Allem vorauf in England. Es gibt nur ein Heil: Umkehr, -Rückkehr zur keuschen Linie. Die Koloristen sind das -Unglück in der Kunst. Einige wenige waren hervorragend, aber -nicht <em class="antiqua">parceque</em>, sondern <em class="antiqua">quoique</em>. Noch heute wird es mir obliegen, -in unserm Verein über eben dieses Thema zu sprechen. -Gewiß unter Widerspruch, vielleicht auch unter Lärm und Gepolter; -denn mit den richtigen Linien in der Kunst sind auch die -richtigen Formen in der Gesellschaft verloren gegangen. Aber -viel Feind, viel Ehr, und jede Stelle verlangt heutzutage ihren -Mann von Worms, ihren Luther. ›Hier stehe ich.‹ Am elendesten -aber sind die paktierenwollenden Halben. Zwischen schön -und häßlich ist nicht zu paktieren.«</p> - -<p>»Und schön und häßlich,« unterbrach hier Melusine (froh, -überhaupt unterbrechen zu können), »war auch die große Frage, -die wir, als wir Sie begrüßen durften, eben unter Diskussion -stellten. Herr von Stechlin sollte beichten über die Schönheit -der Engländerinnen. Und nun frag ich <em class="gesperrt">Sie</em>, Herr Professor, -finden auch Sie sie so schön, wie einem hierlandes immer versichert -wird?«</p> - -<p>»Ich spreche nicht gern über Engländerinnen,« fuhr Cujacius -fort. »Etwas von Idiosynkrasie beherrscht mich da. Diese -Töchter Albions, sie singen so viel und musizieren so viel und -malen so viel. Und haben eigentlich kein Talent.«</p> - -<p>»Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen. -Bloß das eine: schön oder nicht schön?«</p> - -<p>»Schön? Nun denn ›nein‹. Alles wirkt wie tot. Und -was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod selbst ist, ist nicht schön. -Im übrigen, ich sehe, daß ich nur noch zehn Minuten habe. Wie -gerne wär ich an einer Stelle geblieben, wo man so vielem Verständnis -und Entgegenkommen begegnet. Herr von Stechlin, -ich erlaube mir, Ihnen morgen eine Radierung nach einem -Bilde des richtigen englischen Millais zu schicken. Dragonerkaserne, -Hallesches Tor, – ich weiß. Übermorgen laß ich die<span class="pagenum"><a id="Seite_281">[281]</a></span> -Mappe wieder abholen. Name des Bildes: ›Sir Isumbras.‹ -Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des -Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu verwundern. -Nichts hält jetzt aus, und mit nächstem werden wir -die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian entzückte noch -mit hundert Jahren; wer jetzt fünf Jahre gemalt hat, ist altes -Eisen. Gnädigste Gräfin, Komtesse Armgard … Darf ich -bitten, mich meinem Gönner, Ihrem Herrn Vater, dem -Grafen, angelegentlichst empfehlen zu wollen.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Woldemar, die Honneurs des Hauses machend, was er -bei seiner intimen Stellung durfte, hatte den Professor bis -auf den Korridor geleitet und ihm hier den Künstlermantel -umgegeben, den er, in unverändertem Schnitt, seit seinen Romtagen -trug. Es war ein Radmantel. Dazu ein Kalabreser von -Seidenfilz.</p> - -<p>»Er ist doch auf seine Weise nicht übel,« sagte Woldemar, -als er bei den Damen wieder eintrat. »An einem starken Selbstbewußtsein, -dran er wohl leidet, darf man heutzutage nicht -Anstoß nehmen, vorausgesetzt, daß die Tatsachen es einigermaßen -rechtfertigen.«</p> - -<p>»Ein starkes Selbstbewußtsein ist nie gerechtfertigt,« sagte -Armgard, »Bismarck vielleicht ausgenommen. Das heißt also -in jedem Jahrhundert einer.«</p> - -<p>»Wonach Cujacius günstigstenfalls der zweite wäre,« -lachte Woldemar. »Wie steht es eigentlich mit ihm? Ich -habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel besagen will, -namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich verwechselt -habe. Nun geht alles so in einem hin. Ist er ein Mann, -den ich eigentlich kennen müßte?«</p> - -<p>»Das hängt ganz davon ab,« sagte Melusine, »wie Sie sich -einschätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen -alten Giotto von Florenz zu kennen, sondern auch all die<span class="pagenum"><a id="Seite_282">[282]</a></span> -Giottinos, die neuerdings in Ostelbien von Rittergut zu -Rittergut ziehn, um für Kunst und Christentum ein übriges -zu leisten, so müssen Sie Cujacius freilich kennen. Er hat da -die große Lieferung; ist übrigens lange nicht der Schlimmste. -Selbst seine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und geschüttelt -Maß, gestehen ihm ein hübsches Talent zu; nur verdirbt -er alles durch seinen Dünkel. Und so hat er denn keine -Freunde, trotzdem er beständig von Richtungsgenossen spricht -und auch heute wieder sprach. Gerade diese Richtungsgenossen -aber hat er aufs entschiedenste gegen sich, was übrigens nicht -bloß an ihm, sondern auch an den Genossen liegt. Gerade die, -die dasselbe Ziel verfolgen, bekämpfen sich immer am heftigsten -untereinander, vor allem auf christlichem Gebiet, auch wenn es -sich nicht um christliche Dogmen, sondern bloß um christliche -Kunst handelt. Zu des Professors Lieblingswendungen zählt -die, daß er ›in der Tradition stehe‹, was ihm indessen nur -Spott und Achselzucken einträgt. Einer seiner Richtungsgenossen -– als ob er mich persönlich dafür hätte verantwortlich -machen wollen – fragte mich erst neulich voll ironischer Teilnahme: -›Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?‹ -Und als ich ihm antwortete: ›Sie spötteln darüber, -hat er denn aber keine?‹ bemerkte dieser Spezialkollege: ›Gewiß -hat er eine Tradition, und das ist seine eigne. Seit fünfundvierzig -Jahren malt er immer denselben Christus und -bereist als Kunst-, aber fast auch schon als Kirchenfanatiker die -ihm unterstellten Provinzen, so daß man betreffs seiner beinah -sagen kann: Es predigt sein Christus allerorten, ist aber drum -nicht schöner geworden.‹«</p> - -<p>»Melusine, du darfst so nicht weitersprechen,« unterbrach -hier Armgard. »Sie wissen übrigens, Herr von Stechlin, wie's -hier steht, und daß ich meine ältere Schwester, die mich erzogen -hat (hoffentlich gut), jetzt nachträglich mitunter meinerseits erziehen -muß.« Dabei reichte sie Melusine die Hand. »Eben erst<span class="pagenum"><a id="Seite_283">[283]</a></span> -ist er fort, der arme Professor, und jetzt schon so schlechte Nachrede. -Welchen Trost soll sich unser Freund Stechlin daraus -schöpfen? Er wird denken, heute dir, morgen mir.«</p> - -<p>»Du sollst in allem recht haben, Armgard, nur nicht in -diesem letzten. Schließlich weiß doch jeder, was er gilt, ob er -geliebt wird oder nicht, vorausgesetzt, daß er ein Gentleman -und nicht ein Gigerl ist. Aber Gentleman. Da hab ich wieder -die Einhakeöse für England. Das Schönheitskapitel ist erledigt, -war ohnehin nur Kaprize. Von all dem andern aber, -das schließlich doch wichtiger ist, wissen wir noch immer so gut -wie gar nichts. Wie war es im Tower? Und hab ich recht behalten -mit Traitors Gate?«</p> - -<p>»Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Mißtrauen gegen -meine Phantasie. Die versagte da total, wenn es nicht doch -vielleicht an der Sache selbst, also an Traitors Gate, gelegen -hat. Denn an einer anderen Stelle konnt ich mich meiner Phantasie -beinah berühmen und am meisten da, wo (wie mir übrigens -nur zu begreiflich) auch Sie persönlich mit so viel Vorliebe verweilt -haben.«</p> - -<p>»Und welche Stelle war das?«</p> - -<p>»Waltham-Abbey.«</p> - -<p>»Waltham-Abbey. Aber davon weiß ich ja gar nichts. -Waltham-Abbey kenn ich nicht, kaum dem Namen nach.«</p> - -<p>»Und doch weiß ich bestimmt, daß mir Ihr Herr Papa -gerade am Abend vor meiner Abreise sagte: ›das muß Melusine -wissen; die weiß ja dort überall Bescheid und kennt, glaub ich, -Waltham-Abbey besser als Treptow oder Stralau.‹«</p> - -<p>»So bilden sich Renommees,« lachte Melusine. »Der Papa -hat das auf gut Glück hin gesagt, hat bloß ein beliebiges Beispiel -herausgegriffen. Und nun diese Tragweite! Lassen wir -das aber und sagen Sie mir lieber: was ist Waltham-Abbey? -Und wo liegt es?«</p> - -<p>»Es liegt ganz in der Nähe von London und ist eine Nachmittagsfahrt,<span class="pagenum"><a id="Seite_284">[284]</a></span> -etwa wie wenn man das Mausoleum in Charlottenburg -besucht oder das in der Potsdamer Friedenskirche.«</p> - -<p>»Hat es denn etwas von einem Mausoleum?«</p> - -<p>»Ja und nein. Der Denkstein fehlt, aber die ganze Kirche -kann als ein Denkmal gelten.«</p> - -<p>»Als ein Denkmal für wen?«</p> - -<p>»Für König Harald.«</p> - -<p>»Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlachtfelde -von Hastings suchte?«</p> - -<p>»Für denselben.«</p> - -<p>»Ich habe während meiner Londoner Tage das Bild von -Horace Vernet gesehn, das den Moment darstellt, wo die schöne -Col de Cygne zwischen den Toten umherirrt. Und ich erinnre -mich auch, daß zwei Mönche neben ihr herschritten. Aber weiter -weiß ich nichts. Und am wenigsten weiß ich, was daraus -wurde.«</p> - -<p>»Was daraus wurde, – das ist eben der Schlußakt des -Dramas. Und dieser Schlußakt heißt Waltham-Abbey. Die -Mönche, deren Sie sich erinnern und die da neben Editha herschritten, -das waren Waltham-Abbeymönche, und als sie -schließlich gefunden hatten, was sie suchten, legten sie den König -auf dichtes Baumgezweig und trugen ihn den weiten Weg -bis nach Waltham-Abbey zurück. Und da begruben sie ihn.«</p> - -<p>»Und die Stätte, wo sie ihn begruben, die haben Sie -besucht?«</p> - -<p>»Nein, nicht sein Grab; das existiert nicht. Man weiß nur, -daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als ich da, die -Sonne ging eben unter, in einem uralten Lindengange stand, -zwischen Grabsteinen links und rechts, und das Abendläuten -von der Kirche her begann, da war es mir, als käme wieder -der Zug mit den Mönchen den Lindengang herauf, und ich sah -Editha und sah auch den König, trotzdem ihn die Zweige halb<span class="pagenum"><a id="Seite_285">[285]</a></span> -verdeckten. Und dabei (wenn auch eigentlich der Papa schuld -ist und nicht Sie, Gräfin) gedacht ich Ihrer in alter und neuer -Dankbarkeit.«</p> - -<p>»Und daß Sie mich besiegt haben. Aber das sage nur ich. -Sie sagen es natürlich nicht, denn Sie sind nicht der Mann, -sich eines Sieges zu rühmen, noch dazu über eine Frau. Waltham-Abbey -kenn ich nun, und an Ihre Phantasie glaub ich -von heut an, trotzdem Sie mich mit Traitors Gate im Stich -gelassen. Daß Sie nebenher noch, und zwar Armgard zu -Ehren, in Martins le Grand waren, dessen bin ich sicher und -ebenso, daß Sie Papas einzige Forderung erfüllt und der -Kapelle Heinrichs <em class="antiqua">VII.</em> Ihren Besuch gemacht haben, diesem -Wunderwerk der Tudors. Welchen Eindruck hatten Sie von der -Kapelle?«</p> - -<p>»Den denkbar großartigsten. Ich weiß, daß man die herabhängenden -Trichter, die sie ›Tromben‹ nennen, unschön gefunden -hat; aber ästhetische Vorschriften existieren für mich nicht. -Was auf mich wirkt, wirkt. Ich konnte mich nicht satt sehen daran. -Trotzdem, das Eigentlichste war doch noch wieder ein andres -und kam erst, als ich da zwischen den Sarkophagen der beiden -feindlichen Königinnen stand. Ich wüßte nicht, daß etwas je -so beweglich und eindringlich zu mir gepredigt hätte wie gerade -diese Stelle.«</p> - -<p>»Und was war es, was Sie da so bewegte?«</p> - -<p>»Das Gefühl: ›zwischen diesen beiden Gegensätzen pendelt -die Weltgeschichte.‹ Zunächst freilich scheinen wir da nur den -Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus zu -haben, aber weit darüber hinaus (weil nicht an Ort und Zeit -gebunden) haben wir bei tiefergehender Betrachtung den Gegensatz -von Leidenschaft und Berechnung, von Schönheit und -Klugheit. Und das ist der Grund, warum das Interesse daran -nicht ausstirbt. Es sind große Typen, diese feindlichen Königinnen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_286">[286]</a></span></p> - -<p>Beide Schwestern schwiegen. Dann sagte Melusine, der -daran lag, wieder ins Heitere hinüber zu lenken: »Und nun, -Armgard, sage, für welche von den beiden Königinnen bist du?«</p> - -<p>»Nicht für die eine und nicht für die andre. Nicht einmal -für beide. Gewiß sind es Typen. Aber es gibt andre, die mir -mehr bedeuten, und, um es kurz zu sagen, Elisabeth von -Thüringen ist mir lieber als Elisabeth von England. Andern -leben und der Armut das Brot geben – darin allein ruht das -Glück. Ich möchte, daß ich mir <em class="gesperrt">das</em> erringen könnte. Aber -man erringt sich nichts. Alles ist Gnade.«</p> - -<p>»Du bist ein Kind,« sagte Melusine, während sie sich mühte, -ihrer Bewegung Herr zu werden. »Du wirst noch Unter den -Linden für Geld gezeigt werden. Auf der einen Seite die ›Mädchen -von Dahomey‹, auf der andern du.«</p> - -<p>Stechlin ging. Armgard gab ihm das Geleit bis auf den -Korridor. Es war eine Verlegenheit zwischen beiden, und Woldemar -fühlte, daß er etwas sagen müsse. »Welche liebenswürdige -Schwester Sie haben.«</p> - -<p>Armgard errötete. »Sie werden mich eifersüchtig machen.«</p> - -<p>»Wirklich, Komtesse?«</p> - -<p>»Vielleicht … Gute Nacht.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Eine halbe Stunde später saß Melusine neben dem Bett -der Schwester, und beide plauderten noch. Aber Armgard war -einsilbig, und Melusine bemerkte wohl, daß die Schwester etwas -auf dem Herzen habe.</p> - -<p>»Was hast du, Armgard? Du bist so zerstreut, so wie abwesend.«</p> - -<p>»Ich weiß es nicht, aber ich glaube fast …«</p> - -<p>»Nun was?«</p> - -<p>»Ich glaube fast, ich bin verlobt.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_287">[287]</a></span></p> - -<h3 id="Sechsundzwanzigstes_Kapitel">Sechsundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Und was die jüngere Schwester der älteren zugeflüstert -hatte, das wurde wahr, und schon wenige Tage nach diesem -ersten Wiedersehn waren Armgard und Woldemar Verlobte. -Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, den er seit lange -gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer Herzlichkeit, -als ob sie selber die Glückliche wäre.</p> - -<p>»Du gönnst ihn mir doch?«</p> - -<p>»Ach, meine liebe Armgard,« sagte Melusine, »wenn du -wüßtest! Ich habe nur die Freude, du hast auch die Last.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">An demselben Abende noch, wo die Verlobung stattgefunden -hatte, schrieb Woldemar nach Stechlin und nach Wutz; -der eine Brief war so wichtig wie der andre, denn die Tante-Domina, -deren Mißstimmung so gut wie gewiß war, mußte -nach Möglichkeit versöhnlich gestimmt werden. Freilich blieb -es fraglich, ob es glücken würde.</p> - -<p>Zwei Tage später waren die Antwortbriefe da, von denen -diesmal der Wutzer Brief über den Stechliner siegte, was einfach -daran lag, daß Woldemar von Wutz her nur Ausstellungen, -von Stechlin her nur Entzücken erwartet hatte. Das traf aber -nun beides nicht zu. Was die Tante schrieb, war durchaus nicht -so schlimm (sie beschränkte sich auf Wiederholung der schon -mündlich von ihr ausgesprochenen Bedenken), und was der -Alte schrieb, war nicht so gut oder doch wenigstens nicht so der -Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natürlich -war es eine Beglückwünschung, aber doch mehr noch ein politischer -Exkurs. Dubslav litt als Briefschreiber daran, gern bei -Nebensächlichkeiten zu verweilen und gelegentlich über die -Hauptsache wegzusehn. Er schrieb:</p> - -<p>»Mein lieber Woldemar. Die Würfel sind nun also gefallen -(früher hieß es <em class="antiqua">alea jacta est</em>, aber so altmodisch bin ich<span class="pagenum"><a id="Seite_288">[288]</a></span> -denn doch nicht mehr), und da zwei Sechsen obenauf liegen, -kann ich nur sagen: ich gratuliere. Nach dem Gespräch übrigens, -das ich am 3. Oktober morgens mit Dir führte, während -wir um unsern Stechliner Springbrunnen herumgingen (seit -drei Tagen springt er nicht mehr; wahrscheinlich werden die -Mäuse das Röhrenwerk angeknabbert haben) – seit jenem -Oktobermorgen hab ich so was erwartet, nicht mehr, aber auch -nicht weniger. Du wirst nun also Karriere machen, glücklicherweise -zunächst durch Dich selbst und dann allerdings auch durch -Deine Braut und deren Familie. Graf Barby – mit Rübenboden -im Magdeburgischen und mit Mineralquellen im Graubündischen -– höher hinauf geht es kaum, Du müßtest Dich -denn bis ins Katzlersche verirren. Armgard ist auch schon viel, -aber Ermyntrud doch mehr und für den armen Katzler jedenfalls -zu viel. Ja, mein lieber Woldemar, Du kommst nun also zu -Vermögen und Einfluß und kannst die Stechlins wieder raufbringen -(gestern war Baruch Hirschfeld hier und in allem willfährig; -die Juden sind nicht so schlimm, wie manche meinen), -und wenn Du dann hier einziehst und statt der alten Kate so -was in Chateaustil bauen läßt und vielleicht sogar eine Fasanenzucht -anlegst, so daß erst der Post-Stephan und dann der Kaiser -selbst bei Dir zu Besuch kommen kann, ja, da kannst Du möglicherweise -selbst das erreichen, was Dein alter Vater, weil -Feilenhauer Torgelow mächtiger war als er, nicht erreichen -konnte: den Einzug ins Reichshaus mit dem freien Blick auf -Kroll. Mehr kann ich in diesem Augenblick nicht sagen, auch -meine Freude nicht höher spannen, und in diesem relativen -Ruhigbleiben empfind ich zum erstenmal eine gewisse Familienähnlichkeit -mit meiner Schwester Adelheid, deren Glaubensbekenntnis -im letzten darauf hinausläuft: Kleinadel über Hochadel, -Junker über Graf. Ja, ich fühle, Deinen Gräflichkeiten -gegenüber, wie sich der Junker ein bißchen in mir regt. Die -reichen und vornehmen Herren sind doch immer ganz eigene<span class="pagenum"><a id="Seite_289">[289]</a></span> -Leute, die wohl Fühlung mit uns haben, unter Umständen auch -suchen, aber das Fühlunghalten nach oben ist ihnen schließlich -doch viel, viel wichtiger. Es heißt wohl immer »wir Kleinen, -wir machten alles und könnten alles,« aber bei Lichte besehn, ist -es bloß das alte: ›Du glaubst zu schieben und Du wirst geschoben.‹ -Glaube mir, Woldemar, wir werden geschoben und sind -bloß Sturmbock. Immer dieselbe Geschichte, wie mit Protz -und Proletarier. Die Proletarier – wie sie noch echt waren, -jetzt mag es wohl anders damit sein – waren auch bloß immer -dazu da, die Kastanien aus dem Feuer zu holen; aber ging es -dann schief, dann wanderte Bruder Habenichts nach Spandau -und Bruder Protz legte sich zu Bett. Und mit Hochadel und -Kleinadel ist es beinah ebenso. Natürlich heiratet eine Ermyntrud -mal einen Katzler, aber eigentlich äugt sie doch mehr nach -einem Stuart oder Wasa, wenn es deren noch gibt. Wird aber -wohl nich. Entschuldige diesen Herzenserguß, dem Du nicht -mehr Gewicht beilegen mußt, als ihm zukommt. Es kam mir -das alles so von ungefähr in die Feder, weil ich grade heute -wieder gelesen habe, wie man einen von uns, der durch Eintreten -eines Ippe-Büchsenstein hätte gerettet werden können, -schändlich im Stich gelassen hat. Ippe-Büchsenstein ist natürlich -nur Begriff. Alles in allem: ich habe zu Dir das Vertrauen, -daß Du richtig gewählt hast, und daß man Dich nicht im Stiche -lassen wird. Außerdem, ein richtiger Märker hat Augen im -Kopf und is beinah so helle wie'n Sachse.</p> - -<p>Wie immer Dein alter Vater Dubslav von Stechlin.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Es war Ende November, als Woldemar diesen Brief erhielt. -Er überwand ihn rasch, und am dritten Tag las er -alles schon mit einer gewissen Freudigkeit. Ganz der Alte; -jede Zeile voll Liebe, voll Güte, voll Schnurrigkeiten. Und -eben diese Schnurren, trafen sie nicht eigentlich auch den Nagel -auf den Kopf? Sicherlich. Was aber das Beste war, so sehr<span class="pagenum"><a id="Seite_290">[290]</a></span> -das alles im allgemeinen passen mochte, auf die Barbys paßte -so gut wie nichts davon; die waren doch anders, die suchten -nicht Fühlung nach oben und nicht nach unten, die marchandierten -nicht mit links und nicht mit rechts, die waren nur -Menschen, und daß sie nur <em class="gesperrt">das</em> sein wollten, das war ihr -Glück und zugleich ihr Hochgefühl. Woldemar sagte sich denn -auch, daß der Alte, wenn er sie nur erst kennen gelernt haben -würde, mit fliegenden Fahnen ins Barbysche Lager übergehen -würde. Der alte Graf, Armgard und vor allem Melusine. -Die war genau das, was der Alte brauchte, wobei ihm das -Herz aufging.</p> - -<p>Den Weihnachtsabend verbrachte Woldemar am Kronprinzenufer. -Auch Wrschowitz und Cujacius – von denen -jener natürlich unverheiratet, dieser wegen beständiger Streiterei -von seiner Frau geschieden war – waren zugegen. Cujacius -hatte gebeten, ein Krippentransparent malen zu dürfen, was -denn auch, als es erschien, auf einen Nebentisch gestellt und allseitig -bewundert wurde. Die drei Könige waren Porträts: -der alte Graf, Cujacius selbst und Wrschowitz (als Mohrenkönig); -letzterer, trotz Wollhaar und aufgeworfener Lippe, -von frappanter Ähnlichkeit. Auch in der Maria suchte man nach -Anlehnungen und fand sie zuletzt; es war Lizzi, die, wie so viele -Berliner Kammerjungfern, einen sittig verschämten Ausdruck -hatte. Nach dem Tee wurde musiziert, und Wrschowitz spielte -– weil er dem alten Grafen eine Aufmerksamkeit zu erweisen -wünschte – die Polonaise von Oginski, bei deren erster, nunmehr -um siebzig Jahre zurückliegenden Aufführung, einem -alten <em class="antiqua">on dit</em> zufolge, der polnisch gräfliche Komponist im Schlußmomente -sich erschossen haben sollte. Natürlich aus Liebe. -»Brav, brav,« sagte der alte Graf und war, während er sich -beinah überschwenglich bedankte, so sehr aus dem Häuschen, -daß Wrschowitz schließlich schelmisch bemerkte: »Den Piffpaffschluß -muß ich mir versagen, Herr Graff, trotzdem meine Vererrung<span class="pagenum"><a id="Seite_291">[291]</a></span> -(Blick auf Armgard) serr groß ist, fast so groß wie die -Vererrung des Grafen vor Graff Oginski.«</p> - -<p>So verlief der Heiligabend.</p> - -<p>Schon vorher war man übereingekommen, am zweiten -Feiertage zu dritt einen Ausflug nach Stechlin zu machen, -um dort die künftige Schwiegertochter dem Schwiegervater -vorzustellen. Noch am Christabend selbst, trotzdem Mitternacht -schon vorüber, schrieb denn auch Woldemar einige Zeilen nach -Stechlin hin, in denen er sich samt Braut und Schwägerin für -den zweiten Feiertagabend anmeldete.</p> - -<p>Rechtzeitig trafen Woldemars Zeilen in Stechlin ein. -»Lieber Papa. Wir haben vor, am zweiten Feiertage mit dem -Spätnachmittagszuge von hier aufzubrechen. Wir sind dann -um sieben auf dem Granseer Bahnhof und um neun oder nicht -viel später bei Dir. Armgard ist glücklich, Dich endlich -kennen zu lernen, <em class="gesperrt">den</em> kennen zu lernen, den sie seit lange verehrt. -Dafür, mein lieber Papa, hab ich Sorge getragen. Graf -Barby, der nicht gut bei Wege ist, was ihn hindert mitzukommen, -will Dir angelegentlich empfohlen sein. Desgleichen -Gräfin Ghiberti, die uns als Dame d'honneur begleiten wird. -Armgard ist in Furcht und Aufregung wie vor einem Examen. -Sehr ohne Not. Kenn ich doch meinen Papa, der die Güte und -Liebe selbst ist. Wie immer Dein Woldemar.«</p> - -<p>Engelke stand neben seines Herrn Stuhl, als dieser die -Zeilen halblaut, aber doch in aller Deutlichkeit vorlas. »Nun, -Engelke, was sagst du dazu?«</p> - -<p>»Ja, gnädger Herr, was soll ich dazu sagen. Es is ja doch, -was man sone ›gute Nachricht‹ nennt.«</p> - -<p>»Natürlich is es ne gute Nachricht. Aber hast du noch nicht -erlebt, daß einen gute Nachrichten auch genieren können?«</p> - -<p>»Jott, gnädger Herr, ich kriege keine.«</p> - -<p>»Na, denn sei froh; dann weißt du nicht, was ›gemischte -Gefühle‹ sind. Sieh, ich habe jetzt gemischte Gefühle. Da<span class="pagenum"><a id="Seite_292">[292]</a></span> -kommt nun mein Woldemar. Das is gut. Und da bringt er -seine Braut mit, das is wieder gut. Und da bringt er seine -Schwägerin mit, und das is wahrscheinlich auch gut. Aber die -Schwägerin ist eine Gräfin mit einem italienischen Namen, -und die Braut heißt Armgard, was doch auch schon sonderbar -ist. Und beide sind in England geboren, und ihre Mutter war -aus der Schweiz, von einer Stelle her, von der man nicht recht -weiß, wozu sie gehört, weil da alles schon durcheinander geht. -Und überall haben sie Besitzungen, und Stechlin ist doch bloß -ne Kate. Sieh, Engelke, das is genierlich und gibt das, was -ich ›gemischte Gefühle‹ nenne.«</p> - -<p>»Nu ja, nu ja.«</p> - -<p>»Und dann müssen wir doch auch repräsentieren. Ich muß -ihnen doch irgendeinen Menschen vorsetzen. Ja, wen soll ich -ihnen vorsetzen? Viel is hier nich. Da hab ich Adelheiden. -Natürlich, die muß ich einladen, und sie wird auch kommen, -trotzdem Schnee gefallen ist; aber sie kann ja nen Schlitten -nehmen. Vielleicht ist ihr Schlitten besser als ihr Wagen. Gott, -wenn ich an das Verdeck denke mit der großen Lederflicke, da -wird mir auch nicht besser. Und dabei denkt sie, ›sie is was‹, -was am Ende auch wieder gut is, denn wenn der Mensch erst -denkt, ›es is gar nichts mit ihm‹, dann is es auch nichts.«</p> - -<p>»Und dann, gnädger Herr, sie is ja doch ne Domina und -hat nen Rang. Und ich hab auch mal gelesen, sie sei eigentlich -mehr als ein Major.«</p> - -<p>»Na, jedenfalls ist sie mehr als ihr Bruder; so'n vergessener -Major is ein Jammer. Aber Adelheid selbst, so auf'n -ersten Anhieb, is auch bloß so so. Wir müssen jedenfalls noch wen -dazu haben. Schlage was vor. Baron Beetz und der alte Zühlen, -die die besten sind, die wohnen zu weit ab, und ich weiß nicht, seit -wir die Eisenbahnen haben, laufen die Pferde schlechter. Oder es -kommt einem auch bloß so vor. Also die guten Nummern fallen -aus. Und da sind wir denn wieder bei Gundermann.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_293">[293]</a></span></p> - -<p>»Ach, gnädger Herr, den nich. Un er soll ja auch so zweideutig -sein. Uncke hat es mir gesagt; Uncke hat freilich immer -das Wort ›zweideutig‹. Aber es wird wohl stimmen. Un -dann die Frau Gundermann. Das is ne richtige Berlinsche. -Verlaß is auf ihm nich und auf ihr nich.«</p> - -<p>»Ja, Engelke, du sollst mir helfen und machst es bloß noch -schlimmer. Wir könnten es mit Katzler versuchen, aber da ist -das Kind krank, und vielleicht stirbt es. Und dann haben wir -natürlich noch unsern Pastor; nu der ginge, bloß daß er immer -so still dasitzt, wie wenn er auf den heiligen Geist wartet. Und -mitunter kommt er; aber noch öfter kommt er nicht. Und solche -Herrschaften, die dran gewöhnt sind, daß einer in einem fort -was Feines sagt, ja, was sollen die mit unserm Lorenzen? Er -ist ein Schweiger.«</p> - -<p>»Aber er schweigt doch immer noch besser, als die Gundermannsche -red't.«</p> - -<p>»Das is richtig. Also Lorenzen, und vielleicht, wenn das -Kind sich wieder erholt, auch Katzler. Ein Schelm gibt mehr, -als er hat. Und dann, Engelke, solche Damen, die überall -rum in der Welt waren, da weiß man nie, wie der Hase läuft. -Es ist möglich, daß sie sich für Krippenstapel interessieren. Oder -höre, da fällt mir noch was ein. Was meinst du zu Koseleger?«</p> - -<p>»Den hatten wir ja noch nie.«</p> - -<p>»Nein, aber Not lehrt beten. Ich mache mir eigentlich nicht -viel aus ihm, indessen is und bleibt er doch immer ein Superintendent, -und das klingt nach was. Und dann war er ja -mit ner russischen Großfürstin auf Reisen, und solche Großfürstin -is eigentlich noch mehr als ne Prinzessin. Also sprich -mal mit Kluckhuhn, der soll nen Boten schicken. Ich schreibe -gleich ne Karte.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Katzler sagte ab oder ließ es doch unbestimmt, ob er kommen -könne, Koseleger dagegen, was ein Glück war, nahm an, und<span class="pagenum"><a id="Seite_294">[294]</a></span> -auch Schwester Adelheid antwortete durch den Boten, den -Dubslav geschickt hatte: »daß sie den zweiten Feiertag in Stechlin -eintreffen und soweit wie dienlich und schicklich nach dem -Rechten sehen würde.« Adelheid war in ihrer Art eine gute -Wirtin und stammte noch aus den alten Zeiten, wo die Damen -bis zum »Schlachten« und »Aalabziehen« herunter alles lernten -und alles konnten. Also nach dieser Seite hin entschlug sich -Dubslav jeder Befürchtung. Aber wenn er sich dann mit einem -Male vergegenwärtigte, daß es seiner Schwester vielleicht in -den Sinn kommen könne, sich auf ihren Uradel oder auf die -Vorzüge sechshundertjähriger märkischer »Eingesessenheit« zu -besinnen, so fiel alles, was er sich in dem mit Engelke geführten -Gespräch an Trost zugesprochen hatte, doch wieder von ihm ab. -Ihm bangte vor der Möglichkeit einer seitens seiner Schwester -»aufgesetzten hohen Miene« wie vor einem Gespenst, und desgleichen -vor der Kostümfrage. Wohl war er sich, ob er nun seine -rote Landstandsuniform oder seinen hochkragigen schwarzen -Frack anlegte, seiner eignen altmodischen Erscheinung voll bewußt, -aber nebenher, was seine Person anging, doch auch wieder -einer gewissen Patriarchalität. Einen gleichen Trost konnt er -dem äußern Menschen seiner Schwester Adelheid nicht entnehmen. -Er wußte genau, wie sie kommen würde: schwarzes -Seidenkleid, Rüsche mit kleinen Knöpfelchen oben und die Siebenkurfürstenbrosche. -Was ihn aber am meisten ängstigte, war der -Moment nach Tisch, wo sie, wenn sie sich einigermaßen behaglich -zu fühlen anfing, ihre Wutzer Gesamtchaussure auf das Kamingitter -zu stellen und die Wärme von unten her einzusaugen -pflegte.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Gleich nach sieben trafen Woldemar und die Barbyschen -Damen auf dem Granseer Bahnhof ein und fanden Martin -und den Stechlinschen Schlitten vor, letzterer insoweit ein Prachtstück, -als er ein richtiges Bärenfell hatte, während andrerseits<span class="pagenum"><a id="Seite_295">[295]</a></span> -Geläut und Schneedecken und fast auch die Pferde mehr oder -weniger zu wünschen übrigließen. Aber Melusine sah nichts -davon und Armgard noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; -die Luft stand, und am stahlblauen Himmel oben blinkten die -Sterne. So ging es zwischen den eingeschneiten Feldern hin, -und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die herniederhängenden -Zweige streiften, fielen die Flocken in ihren Schlitten. -In den Dörfern war überall noch Leben, und das Anschlagen -der Hunde, das vom nächsten Dorf her beantwortet wurde, -klang übers Feld. Alle drei Schlitteninsassen waren glücklich, -und ohne daß sie viel gesprochen hätten, bogen sie zuletzt, eine -weite Kurve machend, in die Kastanienallee ein, die sie nun rasch, -über Dorfplatz und Brücke fort, bis auf die Rampe von Schloß -Stechlin führte. Dubslav und Engelke standen hier schon im -Portal und waren den Damen beim Aussteigen behilflich. Beim -Eintritt in den großen Flur war für diese das erste, was sie -sahen, ein mächtiger, von der Decke herabhängender Mistelbusch; -zugleich schlug die Treppenuhr, deren Hippenmann wie -verwundert und beinah verdrießlich auf die fremden Gäste -herniedersah. Viele Lichter brannten, aber es wirkte trotzdem -alles wie dunkel. Woldemar war ein wenig befangen, Dubslav -auch. Und nun wollte Armgard dem Alten die Hand küssen. Aber -das gab diesem seinen Ton und seine gute Laune wieder: »Umgekehrt -wird ein Schuh draus.«</p> - -<p>»Und zuletzt ein Pantoffel,« lachte Melusine.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Siebenundzwanzigstes_Kapitel">Siebenundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">»Das ist eine Dame und ein Frauenzimmer dazu,« sagte -sich Dubslav still in seinem alten Herzen, als er jetzt Melusine -den Arm bot, um sie vom Flur her in den Salon zu führen. -»So müssen Weiber sein.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_296">[296]</a></span></p> - -<p>Auch Adelheid mühte sich, Entgegenkommen zu zeigen, aber -sie war wie gelähmt. Das Leichte, das Heitre, das Sprunghafte, -das die junge Gräfin in jedem Wort zeigte, das alles -war ihr eine fremde Welt, und daß ihr eine innere Stimme -dabei beständig zuraunte: »Ja, dies Leichte, das du nicht hast, -das ist das Leben, und das Schwere, das du hast, das ist eben -das Gegenteil davon,« – das verdroß sie. Denn trotzdem sie -beständig Demut predigte, hatte sie doch nicht gelernt, sich in -Demut zu überwinden. So war denn alles, was über ihre -Lippen kam, mehr oder weniger verzerrt, ein Versuch zu Freundlichkeiten, -die schließlich in Herbigkeiten ausliefen. Lorenzen, -der erschienen war, half nach Möglichkeit aus, aber er war kein -Damenmann, noch weniger ein Causeur, und so kam es denn, -daß Dubslav mit einer Art Sehnsucht nach dem Oberförster -aufblickte, trotzdem er doch seit Mittag wußte, daß er nicht -kommen würde. Das jüngste Töchterchen war nämlich gestorben -und sollte den andern Tag schon auf einem kleinen, von Weihnachtsbäumen -umstellten Privatfriedhofe, den sich Katzler -zwischen Garten und Wald angelegt hatte, begraben werden. -Es war das vierte Töchterchen in der Reihe; jede lag in einer -Art Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, dessen Aufgehen -man erwartet, ein Holztäfelchen neben sich, drauf der -Name stand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen war, war -Ermyntrud, wie gewöhnlich, in Katzler gedrungen, der Einladung -zu folgen. »Ich wünsche nicht, daß du dich deinen gesellschaftlichen -Pflichten entziehst, auch heute nicht, trotz des -Ernstes der Stunde. Gesellschaftlichkeiten sind auch Pflichten. -Und die Barbyschen Damen – ich erinnere mich der Familie – -werden gerade wegen der Trauer, in der wir stehn, in deinem -Erscheinen eine besondere Freundlichkeit sehen. Und das ist -genau das, was ich wünsche. Denn die Komtesse wird über -kurz oder lang unsre nächste Nachbarin sein.« Aber Katzler war -fest geblieben und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten<span class="pagenum"><a id="Seite_297">[297]</a></span> -und daß er durchaus wünsche, daß dies gezeigt -werde. Der Prinzessin Auge hatte während dieser Worte -hoheitsvoll auf Katzler geruht, mit einem Ausdruck, der sagen -zu wollen schien: »Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen -gereicht habe.«</p> - -<p>Katzler also fehlte. Doch auch Koseleger, trotz seiner Zusage, -war noch nicht da, so daß Dubslav in die sonderbare Lage kam, -sich den Quaden-Hennersdorfer, aus dem er sich eigentlich nichts -machte, herbeizuwünschen. Endlich aber fuhr Koseleger vor, -sein etwas verspätetes Kommen mit Dienstlichkeiten entschuldigend. -Unmittelbar danach ging man zu Tisch, und ein Gespräch -leitete sich ein. Zunächst wurde von der Nordbahn gesprochen, -die, seit der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von -früher her anhaftenden Schreckensnamen siegreich überwunden -habe. Jetzt heiße sie die »Apfelsinenbahn,« was doch kaum -noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten -Grafen und seine Besitzungen im Graubündischen über, endlich -aber auf den langen Aufenthalt der Familie drüben in England, -wo beide Töchter geboren seien.</p> - -<p>Dies Gespräch war noch lange nicht erledigt, als man sich -von Tisch erhob, und so kam es, daß sich das Plaudern über -eben dasselbe Thema beim Kaffee, der im Gartensalon und zwar -in einem Halbzirkel um den Kamin herum eingenommen -wurde, fortsetzte. Dubslav sprach sein Bedauern aus, daß ihn -in seiner Jugend der Dienst und später die Verhältnisse daran -gehindert hätten, England kennen zu lernen; es sei nun doch -mal das vorbildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für -die Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebensogut -verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte lebhaft -zu, während andrerseits die Domina ziemlich deutliche Zeichen -von Ungeduld gab. England war ihr kein erfreuliches Gesprächsthema, -was selbstverständlich ihren Bruder nicht hinderte, -dabei zu verharren.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_298">[298]</a></span></p> - -<p>»Ich möchte mich,« fuhr Dubslav fort, »in dieser Angelegenheit -an unsern Herrn Superintendenten wenden dürfen. -Waren Sie drüben?«</p> - -<p>»Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, sehr -zu meinem Bedauern. Und ich hätt es so leicht haben können. -Aber es ist immer wieder die alte Geschichte: was man in ein -paar Stunden und mitunter in ein paar Minuten erreichen kann, -das verschiebt man, eben weil es so nah ist, und mit einemmal -ist es zu spät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da -nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam. -Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich -den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das könnt ich mir -verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das -viel zitierte Wort von dem ›in einem Tag mehr gewinnen, als -in des Jahres Einerlei‹ hinpaßt, so da drüben. Alles modern -und zugleich alles alt, eingewurzelt, stabilisiert. Es steht einzig -da; mehr als irgendein andres Land ist es ein Produkt der -Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch -dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten -Sitte.«</p> - -<p>Die Domina fühlte sich von dem allem mehr und mehr -unangenehm berührt, besonders als sie sah, daß Melusine zu -dem, was Koseleger ausführte, beständig zustimmend nickte. -Schließlich wurd es ihr zu viel. »Alles, was ich da so höre,« -sagte sie, »kann mich für dieses Volk nicht einnehmen, und weil -sie rundum von Wasser umgeben sind, ist alles so kalt und feucht -und die Frauen, bis in die höchsten Stände hinauf, sind beinah -immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei Namen nennen -mag. So wenigstens hat man mir erzählt. Und wenn es dann -neblig ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nennen, -und fallen zu Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie -geblieben sind. Denn, wie mir unser Rentmeister Fix, der -drüben war, aufs Wort versichert hat, sie stehen in keinem Buch<span class="pagenum"><a id="Seite_299">[299]</a></span> -und haben auch nicht einmal das, was wir Einwohnermeldeamt -nennen, so daß man beinah sagen kann, sie sind so gut wie gar -nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles fast noch blutig, -besonders das, was wir hier ›englische Beefsteaks‹ nennen. -Und kann auch nicht anders sein, weil sie so viel mit Wilden umgehn -und gar keine Gelegenheit haben, sich einer feineren Gesittung -anzuschließen.«</p> - -<p>Koseleger und Melusine wechselten verständnisvoll Blicke. -Die Domina aber sah nichts davon und fuhr unentwegt fort: -»Fix ist ein guter Beobachter, auch von Sittenzuständen, und -einer ihrer Könige, worüber ich auch schon als Mädchen einen -Aufsatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt, meist Hofdamen. -Und eine hat er köpfen lassen, und eine hat er wieder -nach Hause geschickt. Und war noch dazu eine Deutsche. Und -sie sollen auch keinen eigentlichen Adel mehr haben, weil mal -ein Krieg war, drin sie sich umschichtig enthaupteten, und als -alle weg waren, haben sie gewöhnliche Leute rangezogen und -ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es ist -ein Graf, so ist es ein Bäcker oder höchstens ein Bierbrauer. -Aber viel Geld sollen sie haben, und ihre Schiffe sollen gut sein -und dauerhaft und auch sehr sauber, fast schon wie holländisch; -aber in ihrem Glauben sind sie zersplittert und fangen auch schon -wieder an katholisch zu werden.«</p> - -<p>Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vortrag -über England einsetzte, hatte sich mit einem »Schicksal, nimm -deinen Lauf« sofort resigniert. Woldemar aber war immer -wieder und wieder bemüht gewesen, einen Themawechsel eintreten -zu lassen, worin er vielleicht auch reüssiert hätte, wenn -nicht Koseleger gewesen wäre. Dieser – entweder weil er als -ästhetischer Feinschmecker an Adelheids Auslassungen ein aufrichtiges -Gefallen fand, oder aber weil er die von ihm selbst -angeregte Frage hinsichtlich »Natur und Sitte« (die sein -Steckenpferd war) gern weiterspinnen wollte – hielt an England<span class="pagenum"><a id="Seite_300">[300]</a></span> -fest und sagte: »Die Frau Domina scheint mir davon auszugehn, -daß gerade der mitunter schon an den Wilden grenzende -Naturmensch drüben in vollster Blüte steht. Und ich will das -auch nicht in jedem Punkte bestreiten. Aber daneben begegnen -wir einem Lebens- und Gesellschaftsraffinement, das ich, trotz -manchem Anfechtbaren, als einen höchsten Kulturausdruck bezeichnen -muß. Ich erinnere mich unter anderm eines gerade -damals geführten Prozesses, über den ich, als ich im Haag -lebte, meiner kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte -(High life-Prozesse gingen ihr über alles), und der Gegenstand, -um den sich's dabei handelte, war so recht der Ausdruck eines -verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten Kulturlebens. -So recht das Gegenteil von bloßem Naturburschentum. Es ist -freilich eine ziemlich lange Geschichte …«</p> - -<p>»Schade,« sagte Dubslav. »Aber trotzdem, – wenn überhaupt -erzählbar …«</p> - -<p>»O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloseste …«</p> - -<p>»Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich so harmlos, -so mach ich mich ohne weiteres zum Anwalt unsrer gewiß -neugierigen Damen, meine Schwester, die Domina, mit eingeschlossen. -Wie war es? Wie verlief die Geschichte, für die sich -eine kaiserliche Hoheit so lebhaft interessieren konnte?«</p> - -<p>»Nun, wenn es denn sein soll,« nahm Koseleger langsam -und wie bloß einer Pression nachgebend das Wort, »es lebte -da zu jener Zeit eine schöne Herzogin in London, die's nicht -ertragen konnte, daß die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergehen -wollten; Fältchen und Krähenfüße zeigten sich. In dieser -Bedrängnis hörte sie von ungefähr von einer ›plastischen Künstlerin‹, -die durch Auftrag einer Wachspaste die Jugend wiederherzustellen -wisse. Diese Künstlerin wurde gerufen, und die -Wiederherstellung gelang auch. Aber nun traf eines Tages die -Rechnung ein, ›die Bill‹, wie sie da drüben sagen. Es war eine -Summe, vor der selbst eine Herzogin erschrecken durfte. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_301">[301]</a></span> -da die Künstlerin auf ihrer Forderung beharrte, so kam es zu -dem angedeuteten Prozeß, der sich alsbald zu einer <em class="antiqua">cause célèbre</em> -gestaltete.«</p> - -<p>»Sehr begreiflich,« versicherte Dubslav, und Melusine -stimmte zu.</p> - -<p>»Zahlreiche Personen traten in der Verhandlung auf, und -als Sachverständige wurden zuletzt auch Konkurrentinnen auf -diesem Spezialgebiete der ›plastischen Kunst‹ vernommen. Alle -fanden die Forderung erheblich zu hoch, und der Sieg schien sich -rasch der Herzogin zuneigen zu wollen. Aber in eben diesem -Augenblicke trat die sich arg bedrängt sehende Künstlerin an -den Vorsitzenden des Gerichtshofes heran und bat ihn, an die -erschienenen Fachgenossinnen einfach die Frage nach der Dauer -der durch ihre Kunst wiederhergestellten Jugend und Schönheit -richten zu wollen, eine Bitte, der der Oberrichter auch sofort -nachkam. Was darauf geantwortet wurde, lautete hinsichtlich -der Dauer sehr verschieden. Als aber, trotz der Verschiedenheit -dieser Angaben, keine der Konkurrentinnen mehr als ein Vierteljahr -zu garantieren wagte, wandte sich die Verklagte ruhig an -den hohen Gerichtshof und sagte nicht ohne Würde: ›Meine -Herren Richter: meine Mitkünstlerinnen, wie Sie soeben vernommen -haben, helfen auf <em class="gesperrt">Zeit</em>; was ich leiste, ist, ›<em class="antiqua">beautifying -for ever</em>‹.‹ Und alles war von diesem Worte hingerissen, der -hohe Gerichtshof mit, und die Herzogin hatte die Riesensumme -zu zahlen.«</p> - -<p>»Und wäre dergleichen hierlandes möglich?« fragte Melusine.</p> - -<p>»Ganz unmöglich,« erwiderte der für alles Fremde schwärmende -Koseleger. »Es kann hier einfach deshalb nicht vorkommen, -weil uns der dazu nötige höhere Kulturzustand und -die dementsprechende Anschauung fehlt. In unserm guten -Preußen, und nun gar erst in unsrer Mark, sieht man in einem -derartigen Hergange nur das Karikierte, günstigstenfalls das<span class="pagenum"><a id="Seite_302">[302]</a></span> -Groteske, nicht aber jenes Hochmaß gesellschaftlicher Verfeinerung, -aus dem allein sich solche Dinge, die man im übrigen -um ihres Raffinements willen belächeln oder verurteilen mag, -entwickeln können.«</p> - -<p>Die meisten waren einverstanden, allen voraus Dubslav, -dem dergleichen immer einleuchtete, während die Domina von -»Horreur« sprach und sichtlich unmutig den Kopf hin und her -bewegte. Woldemar erneute natürlich seine Versuche, die -der Tante so mißfällige Konversation auf andres überzulenken, -bei welcher Gelegenheit er nach dem Berühren verschiedenster -Themata zuletzt auch auf den Coventgardenmarkt und den -englischen Gemüsebau zu sprechen kam. Das paßte der Domina.</p> - -<p>»Ja, Gemüsebau,« sagte sie, »das ist eine wunderbare -Sache, daran hat man eine wirkliche Freude. Kloster Wutz ist -eigentlich eine Gartengegend; unser Spargel ist denn auch weit -und breit der beste, und meine gute Schmargendorf hat Artischocken -gezogen so groß wie ne Sonnenblume. Freilich, es -will sie keiner so recht, und alle sagen immer: ›es dauert so -lange, wenn man so jedes Blatt nehmen muß, und eigentlich -hat man nichts davon, auch wenn die Sauce noch so dick ist.‹ -Viel mehr Glück hat unsre alte Schimonski mit ihren großen -Erdbeeren – ich meine natürlich nicht die Schimonski selber; -sie selber kann gar nichts, aber sie hat eine sehr geschickte Person -– und ein Berliner Händler kauft ihr alles ab, bloß daß die -Schnecken oft die Hälfte jeder Erdbeere wegfressen. Man sollte -nicht glauben, daß solche Tiere solchen feinen Geschmack haben. -Aber wenn es wegen der Schnecken auch unsicher ist, Dubslav, -du solltest solche Zucht doch auch versuchen. Wenn es einschlägt, -ist es sehr vorteilhaft. Die Schimonski wenigstens hat mehr -davon als von ihren Hühnern, trotzdem sie gut legen. Denn -mal sind sie billig, die Eier, und dann wieder verderben sie, -und die schlechten werden einem berechnet und abgezogen, und -die Streiterei nimmt kein Ende.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_303">[303]</a></span></p> - -<p>Kurz vor elf brach das Gespräch ab, und man zog sich zurück. -Der alte Dubslav ließ es sich nicht nehmen, die Damen persönlich -treppauf bis an ihre Zimmer zu führen und sich da unter -Handkuß von ihnen zu verabschieden. Es waren dieselben zwei -Räume, die vor gerad einem Vierteljahr Rex und Czako bewohnt -hatten, das größere Zimmer jetzt für Melusine, das -kleinere für Armgard bestimmt. Aber als nun beide vor ihren -Reisetaschen standen und sich oberflächlich daran zu tun machten, -sagte Melusine: »Dies Himmelbett ist also für mich. Wenn es -dir gleich ist, beziehe du lieber dies Ehrenlager und lasse mir das -kleine Schlafzimmer. Zusammen sind wir ja doch; die Tür -steht auf.«</p> - -<p>»Ja, Melusine, wenn du's durchaus wünscht, dann natürlich. -Aber ich verstehe dich nicht recht. Man will dich auszeichnen, -und wenn du das ablehnst, so kann es auffallen. Man -muß doch in einem Hause, wo man noch halb fremd ist, alles so -tun, wie's gewünscht wird.«</p> - -<p>Melusine ging auf die Schwester zu, sah sie halb verlegen, -halb schelmisch an und sagte: »Natürlich hast du recht. Aber ich -bitte dich trotzdem darum. Und es braucht es ja auch keiner zu -merken. Direkte Kontrolle wird ja wohl ausgeschlossen sein, -und ich mache keine tiefere Kute wie du.«</p> - -<p>»Gut, gut,« lachte Armgard. »Aber sage, was soll das -alles? Du bist doch sonst so leichtlebig. Und wenn es dir hier -in dem ersten Zimmer, weil es so nah an der scharfen Flurecke -liegt, wirklich etwas ängstlich zumute sein sollte, nun, so können -wir ja zuriegeln.«</p> - -<p>»Das hilft nichts, Armgard. In solchen alten Schlössern -gibt es immer Tapetentüren. Und was <em class="gesperrt">das</em> hier angeht,« -und sie wies dabei auf das Bett, »alle Spukgeschichten sind -immer gerad in Himmelbetten passiert; ich habe noch nie gehört, -daß Gespenster an eine Birkenmaserbettstelle herangetreten -wären. Und hast du nicht unten den <em class="antiqua">mistle-toe</em> gesehn? Mistelbusch<span class="pagenum"><a id="Seite_304">[304]</a></span> -ist auch noch so Überbleibsel aus heidnischer Zeit her, bei -den alten Deutschen gewiß und bei den Wenden wohl auch, -für den Fall, daß die Stechlins wirkliche Wenden sind. Wenn ich -Tante Adelheid ansehe, glaub ich es beinah. Und wie sie von -den Hühnern sprach und den Eiern. Alles so wendisch. Ich -glaube ja nicht eigentlich an Gespenster, wiewohl ich auch nicht -ganz dagegen bin, aber wie dem auch sein möge, wenn ich mir -denke, Tante Adelheid erschiene mir hier und brächte mir eine -Erdbeere, die die Schnecken schon angeknabbert haben, so wäre -das mein Tod.«</p> - -<p>Armgard lachte.</p> - -<p>»Ja, du lachst, aber hast du denn die Augen von ihr gesehn? -Und hast du ihre Stimme gehört? Und die Stimme, -wie du doch weißt, ist die Seele.«</p> - -<p>»Gewiß. Aber, Seele oder nicht, sie kann dir doch nichts -tun mit ihrer Stimme und dir auch nicht erscheinen. Und wenn -sie trotzdem kommt, nun, so rufst du mich.«</p> - -<p>»Am liebsten wär es mir, du bliebst gleich bei mir.«</p> - -<p>»Aber Melusine …«</p> - -<p>»Nun gut, nun gut. Ich sehe wohl ein, daß das nicht gut -geht. Aber was anders! Ich habe da vorhin eine Bibel oder -vielleicht auch bloß ein Gesangbuch liegen sehn, da auf dem -Brettchen, wo die kleine Puppe steht. Beiläufig auch was -Sonderbares, diese Puppe. Bitte, nimm die Bibel von der -Etagere fort und lege sie mir hier auf den Nachttisch. Und das -Licht laß brennen. Und wenn du im Bett liegst, sprich immerzu, -bis ich einschlafe.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Achtundzwanzigstes_Kapitel">Achtundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Am andern Morgen traf man sich beim Frühstück. Es -war ziemlich spät geworden, ohne daß Dubslav, wie das sonst<span class="pagenum"><a id="Seite_305">[305]</a></span> -wohl auf dem Lande Gewohnheit ist, ungeduldig geworden -wäre. Nicht dasselbe ließ sich von Tante Adelheid sagen. »Ich -finde das lange Wartenlassen nicht gerade passend, am wenigsten -Personen gegenüber, denen man Respekt bezeigen will. Oder -geh ich vielleicht zu weit, wenn ich hier von Respektbezeigung -spreche?« So hatte sich Adelheid zu Dubslav geäußert. Als -nun aber die Barbyschen Damen wirklich erschienen, bezwang -sich die Domina und stellte all die Fragen, die man an solchem -Begrüßungsmorgen zu stellen pflegt. In aller Unbefangenheit -antworteten die Schwestern, am unbefangensten Melusine, die -bei der Gelegenheit dem alten Dubslav erzählte, daß sie nicht -umhin gekonnt hätte, sich die Bibel an ihr Bett zu legen.</p> - -<p>»Und mit der Absicht, drin zu lesen?«</p> - -<p>»Beinah. Aber es wurde nichts daraus. Armgard plauderte -so viel, freilich auf meinen Wunsch. Ich hörte von der -Treppe her immer die Uhr schlagen und las dabei beständig das -Wort ›Museum‹. Aber das war natürlich schon im Traum. -Ich schlief schon ganz fest. Und heute früh bin ich wie der Fisch -im Wasser.«</p> - -<p>Dubslav hätte dies gern bestätigt, dabei nach einem Spezialfisch -suchend, der so recht zum Vergleich für Melusine gepaßt -hätte. Die Blicke seiner Schwester aber, die zu fragen schienen -»hast du gehört?« ließen ihn wieder davon abstehn, und nachdem -noch einiges über den großen Oberflur und seine Bilder -und Schränke gesprochen worden war, wurde, genau wie vor -einem Vierteljahr, wo Rex und Czako zu Besuch da waren, -ein Programm verabredet, das dem damaligen sehr ähnlich -sah: Aussichtsturm, See, Globsow; dann auf dem Rückwege -die Kirche, vielleicht auch Krippenstapel. Und zuletzt das -»Museum«. Aber manches davon war unsicher und hing vom -Wetter ab. Nur den See wollte man unter allen Umständen -sehn. Engelke wurde beauftragt, mit Plaids und Decken vorauszugehn -und ein paar Leute zum Wegschaufeln des Schnees<span class="pagenum"><a id="Seite_306">[306]</a></span> -mitzunehmen, lediglich für den Fall, daß die Damen vielleicht -Lust bezeigen sollten, die Sprudel- und Trichterstelle genauer -zu studieren. »Und wenn wir auf unserm Hofe keine Leute -haben, so geh ins Schulzenamt und bitte Rolf Krake, daß er -aushilft.«</p> - -<p>Melusine, die dieser Befehlserteilung zugehört hatte, war -überrascht, in einem märkischen Dorfe dem Namen »Rolf Krake« -zu begegnen, und erfuhr denn auch alsbald den Zusammenhang -der Dinge. Sie war ganz enchantiert davon und sagte: -»Das ist hübsch. Aller aufgesteifter Patriotismus ist mir ein -Greuel, aber wenn er diese Formen annimmt und sich in Humor -und selbst in Ironie kleidet, dann ist er das Beste, was man -haben kann. Ein Mann, der solchen Beinamen hat, der lebt, der -ist in sich eine Geschichte.« Dubslav küßte ihr die Hand, Adelheid -aber wandte sich demonstrativ ab; sie wollte nicht Zeuge -dieser ewigen Huldigungen sein. »Wenn man ein alter Major -ist, ist man eben ein alter Major und nicht ein junger Leutnant. -Dubslav ist zwanzig, aber zwanzig Jahr a. D.«</p> - -<p>Es war gegen zehn, als man aufbrach, um zunächst auf den -Aussichtsturm zu steigen, und nachdem man von der obersten -Etage her die Waldlandschaft, die sich auch in ihrem -Schneeschmuck wundervoll ausnahm, gebührend bewundert und -dann den Abstieg glücklich bewerkstelligt hatte, passierte man den -Schloßhof mit der Glaskugel, um über den Dorfplatz fort in -die nach dem See hinunterführende große Straße einzubiegen. -Auf dem Dorfplatze war alles winterlich still, nur vor dem -Kruge standen drei Menschen: Engelke, der die Schneeschipper -vorausgeschickt hatte, mit seinen Plaids über dem Arm, neben -ihm Schulze Kluckhuhn und neben diesem Gendarm Uncke, -das Karabinergewehr über die Schulter gehängt.</p> - -<p>»Da treffen wir ja die ganze hohe Obrigkeit,« sagte Dubslav. -»Engelke kann ich auch mitrechnen, der regiert mich, is -also eigentlich die Feudalitätsspitze.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_307">[307]</a></span></p> - -<p>Während dieser Worte waren die Herrschaften an die Gruppe -herangetreten.</p> - -<p>»Freut mich, daß ich Sie treffe, Kluckhuhn. Ich denke, -Sie begleiten uns … Frau Gräfin, darf ich Ihnen hier unsern -Dorfherrscher vorstellen? Schulze Kluckhuhn, alter Vierundsechziger.«</p> - -<p>Und nun ordnete sich der Zug. Dubslav und Uncke schlossen -ab, Woldemar, Armgard und Tante Adelheid hielten die Mitte; -Melusine schritt voran, Rolf Krake neben ihr.</p> - -<p>»Ich bin froh,« sagte Melusine, »Sie bei dieser Partie mit -dabei zu sehn. Der alte Herr von Stechlin hat mir schon von -Ihnen erzählt, und daß Sie vierundsechzig mit dabei gewesen. -Und ich weiß auch Ihren Namen; das heißt den zweiten. Und -ich darf sagen, ich freue mich immer, wenn ich so was Hübsches -höre.«</p> - -<p>»Ach, Rolf Krake,« lachte Kluckhuhn. »Ja, Frau Gräfin, -wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Das -heißt, von ›Schaden‹ darf ich eigentlich nicht reden, den hab ich -nicht so recht davon gehabt; ich bin nicht mal angeschossen -worden. Und doch is so was billig, wenn's erst losgeht.«</p> - -<p>»Ja, Schulze Kluckhuhn, unsereinem ist so was leider immer -verschlossen oder, wie die Leute hier sagen, verpurrt. Und doch -ist das das eigentliche Leben. So immer bloß einsitzen und ein -bißchen Charpie zupfen, das ist gar nichts. Mit dabei sein, -das macht glücklich. Es war aber trotzdem wohl ein eigenes -Gefühl, als Sie da so von Düppel nach Alsen rüberfuhren -und das unheimliche Schiff, der Rolf Krake, so dicht daneben lag.«</p> - -<p>»Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes Gefühl. -Und mitunter erscheint mir der Rolf Krake noch im Traum. -Und is auch nicht zu verwundern. Denn Rolf Krake war wie -ein richtiges Gespenst. Und wenn solch Gespenst einen packt, -ja, da ist man weg … Und dabei bleib ich, Frau Gräfin, -sechsundsechzig war nicht viel und siebzig war auch nicht viel.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_308">[308]</a></span></p> - -<p>»Aber die großen Verluste …«</p> - -<p>»Ja, die Verluste waren groß, das ist richtig. Aber Verluste, -Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natürlich wen es -trifft, für den is es was. Aber ich meine jetzt das, was man -dabei so das Moralische nennt; und darauf kommt es an, nicht -auf die Verluste, nicht auf viel oder wenig. Wenn einer eine -Böschung raufklettert und nu steht er oben und schleicht sich -ran, immer mit nem Pulversack und nem Zünder in der -Hand, und nu legt er an, und nu fliegt alles in die Luft und er -mit. Und nu ist die Festung oder die Schanze offen. Ja, Frau -Gräfin, das ist was. Und das hat unser Pionier Klinke getan. -Der war moralisch. Ich weiß nicht, ob Frau Gräfin mal von -ihm gehört haben, aber dafür leb ich und sterb ich: immer bloß -das Kleine, da zeigt sich's, was einer kann. Wenn ein Bataillon -ran muß un ich stecke mitten drin, ja, was will ich da machen? -Da muß ich mit. Und baff, da lieg ich. Und nu bin ich ein -Held. Aber eigentlich bin ich keiner. Es ist alles bloß ›Muß‹, -und solche Mußhelden gibt es viele. Das is, was ich die großen -Kriege nenne. Klinke mit seinem Pulversack, ja, der war bloß -was Kleines, aber er war doch groß. Und ebenso (wenn er auch -unser Feind war) dieser Rolf Krake.«</p> - -<p>So ging historisch-retrospektiv das Gespräch an der Tete, -während Dubslav und Uncke, die den Zug abschlossen, mit ihrem -Thema mehr in der Gegenwart standen.</p> - -<p>»Is mir lieb, Uncke, Sie mal wieder zu treffen. Seit Rheinsberg -hab ich Sie nicht mehr gesehn. Ich denke mir, Torgelow -is nu wohl schon im besten Gange. So wie Bebel. Ich kriege -natürlich jeden Tag meine Zeitung, aber es is mir immer zu -viel und das große Format und das dünne Papier. Da kuck ich -denn nich immer ganz genau zu. Hat er denn schon gesprochen?«</p> - -<p>»Ja, Herr Major, gesprochen hat er schon. Aber nich viel. -Un war auch kein rechter Beifall. Auch nich mal bei seinen -eignen Leuten.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_309">[309]</a></span></p> - -<p>»Er wird wohl die Sache noch nicht recht weghaben. Ich -meine das, was sie jetzt das Parlamentarische nennen. Das -schad't aber nichts und ist eigentlich egal. Wichtiger is, wie sie -hier in unserm Ruppiner Winkel, in unserm Rheinsberg-Wutz -über ihn denken. Sind sie denn da mit ihm zufrieden?«</p> - -<p>»Auch nicht, Herr Major. Sie sagen, er sei zweideutig.«</p> - -<p>»Ja, Uncke, so heißt es überall. Das is nu mal so, das is -nicht zu ändern. In Frankreich heißt es immer gleich ›Verrat‹, -und hier sagen sie ›zweideutig‹. Da war auch einer von uns, -den ich nicht nennen will, von dem hieß es auch so …«</p> - -<p>»Von dem hieß es auch so. Ja, Herr Major. Und Pyterke, -der immer gut Bescheid weiß, der sagte mir schon damals in -Rheinsberg: ›Uncke, glauben Sie mir, da hat sich der Herr -Major eine Schlange an seinem Busen großgezogen.‹«</p> - -<p>»Kann ich mir denken; klingt ganz nach Pyterke. Der spricht -immer so gebildet. Aber is es auch richtig?«</p> - -<p>»Is schon richtig, Herr Major. Herr Major denken immer -das Gute von nem Menschen, weil Sie so viel zu Hause -sitzen und selber so sind. Aber wer so rum kommt wie ich. -Alle lügen sie. Was sie meinen, das sagen sie nich, und was -sie sagen, das meinen sie nich. Is kein Verlaß mehr; alles -zweideutig.«</p> - -<p>»Ja, so rund raus, Uncke, das war früher, aber das geht -jetzt nicht mehr. Man darf keinem so alles auf die Nase binden. -Das is eben, was sie jetzt ›politisches Leben‹ nennen.«</p> - -<p>»Ach, Herr Major, das mein ich ja gar nicht. Das Politische -… Jott, wenn einer sich ins Politische zweideutig macht, -na, dann muß ich ihn anzeigen, das is Dienst. Darum gräm -ich mich aber nich. Aber was nich Dienst is, was man so bloß -noch nebenbei sieht, das kann einen mitunter leid tun. So bloß -als Mensch.«</p> - -<p>»Aber, lieber Uncke, was is denn eigentlich los? Wenn -man Sie so hört, da sollte man ja wahrhaftig glauben, es ginge<span class="pagenum"><a id="Seite_310">[310]</a></span> -zu Ende … Nu ja, in der Welt draußen, da klappt nich immer -alles. Aber so im Schoß der Familie …«</p> - -<p>»Jott, Herr Major, das is es ja eben. In diesem Schoß -der Familie, da is es ja gerad am schlimmsten. Und sogar in -dem jüdischen Schoß, der doch immer noch der beste war.«</p> - -<p>»Beispiele, Uncke, Beispiele.«</p> - -<p>»Da haben wir nu hier, um bloß ein Beispiel zu geben, -unsern guten alten Baruch Hirschfeld in Gransee. Frommer -alter Jude …«</p> - -<p>»Kenn ich. Kenn ich ganz gut, beinah zu gut. Nu, der hat -nen Sohn, und mit dem is er mitunter verschiedner Meinung. -Aber dagegen is doch nicht viel zu sagen; das is in der ganzen -Welt so. Der Alte hängt noch am Alten, und der Junge, nu, -der is eben ein Jungscher und bramarbasiert ein bißchen. Ich -weiß nicht recht, zu welcher Partei er sich hält, er wird aber wohl -für Torgelow gestimmt haben. Nu, mein Gott, warum nicht? -Das tun jetzt viele. Daran muß man sich gewöhnen. Das is -eben das Politische.«</p> - -<p>»Nein, Herr Major. Herr Major wollen verzeihn, aber bei -diesem Isidor is es nicht das Politische. Komme ja jeden dritten -Tag hin und seh den Alten in seinem Laden und höre, was er -da red't und red't. Und der Junge red't auch und red't immer -vons ›Prinzip‹. Das Prinzip is ihm aber egal. Er will bloß -mogeln und den Alten an die Wand drücken. Und das ist das, -was ich das Zweideutige nenne.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Armgard, Woldemar und Tante Adelheid hatten die Mitte -genommen. Als sie bis in die Nähe der Seespitze gekommen -waren, immer unter einem verschneiten Buchen- und Eichengange -hin, wurden sie durch ein Geräusch wie von brechenden -kleinen Ästen aufmerksam gemacht, und ihr Auge nach oben -richtend, gewahrten sie, wie zwei Eichhörnchen über ihnen -spielten und in beständigem Sichhaschen von Baum zu Baum<span class="pagenum"><a id="Seite_311">[311]</a></span> -sprangen. Die Zweige knickten, und der Schnee stäubte hernieder. -Armgard mochte sich von dem Schauspiel nicht trennen, -lachte, wenn die momentan verschwundenen Tierchen mit einem -Male wieder zum Vorschein kamen, und gab ihre Beobachtung -erst auf, als die Domina, nicht direkt unfreundlich, aber doch -ziemlich ungeduldig und jedenfalls wie gelangweilt, zu ihr -bemerkte: »Ja, Komtesse, die springen; es sind eben Eichhörnchen.« -Einige Minuten später hatten alle die Bank erreicht, -von der aus man den besten Blick auf den zugefrorenen -See hatte. Das Eis zeigte sich hoch mit Schnee bedeckt, aber -in seiner Mitte war doch schon eine gefegte Stelle, zu der vom -Ufer her eine schmale, gleichfalls freigeschaufelte Straße hinüberführte. -Engelke legte die Decken über die Bank, und die -Damen, die von dem halbstündigen und zuletzt etwas ansteigenden -Wege müde geworden waren, nahmen alle drei -Platz, während sich Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu -beiden Seiten der Bank aufstellten. Dubslav dagegen plazierte -sich in Front und machte, während er einen landläufigen -Führerton anschlug, den Cicerone. »Hab die Ehr, Ihnen hier -die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß Stechlin zu -präsentieren, unsern See, <em class="gesperrt">meinen</em> See, wenn Sie mir das -Wort gestatten wollen. Alle möglichen berühmten Naturforscher -waren hier und haben sich höchst schmeichelhaft über -den See geäußert. Immer hieß es: ›es stehe wissenschaftlich -fest.‹ Und das ist jetzt das Höchste. Früher sagte man: ›es -steht in den Akten‹. Ich lasse dabei dahingestellt sein, wovor -man sich tiefer verbeugen muß.«</p> - -<p>»Ja,« sagte Melusine, »das ist nun also der große Moment. -Orientiert bin ich. Aber wie das mit allem Großen geht, ich -empfinde doch auch etwas von Enttäuschung.«</p> - -<p>»Das ist, weil wir Winter haben, gnädigste Gräfin. Wenn -Sie die offene Seefläche vor sich hätten und in der Vorstellung -stünden: ›jetzt bildet sich der Trichter und jetzt steigt es herauf‹,<span class="pagenum"><a id="Seite_312">[312]</a></span> -so würden Sie mutmaßlich nichts von Enttäuschung empfinden. -Aber jetzt! Das Eis macht still und duckt das Revolutionäre. -Da kann selbst unser Uncke nichts notieren. Nicht wahr, Uncke?«</p> - -<p>Uncke schmunzelte.</p> - -<p>»Im übrigen seh ich zu meiner Freude – und das verdanken -wir wieder unserm guten Kluckhuhn, der an alles denkt -und alles vorsieht –, daß die Schneeschipper auch ein paar -ihrer Pickäxte mitgebracht haben. Ich taxiere das Eis auf nicht -dicker als zwei Fuß, und wenn sich die Leute dran machen, so -haben wir in zehn Minuten eine große Lune, und der Hahn, -wenn er nur sonst Lust hat, kommt aus seiner Tiefe herauf. -Befehlen Frau Gräfin?«</p> - -<p>»Um Gottes willen, nein. Ich bin sehr für solche Geschichten -und bin glücklich, daß die Familie Stechlin diesen See hat. -Aber ich bin zugleich auch abergläubisch und mag kein Eingreifen -ins Elementare. Die Natur hat jetzt den See überdeckt; -da werd ich mich also hüten, irgendwas ändern zu -wollen. Ich würde glauben, eine Hand führe heraus und -packte mich.«</p> - -<p>Adelheid war bei diesen Worten immer gerader und länger -geworden und rückte mit Ostentation von Melusine weg, mehr -der Banklehne zu, wo, halb wie das gute Gewissen, halb wie die -göttliche Weltordnung, Uncke stand und durch seine bloße -Gegenwart den Gemütszustand der Domina wieder beschwichtigte. -Nur von Zeit zu Zeit sah sie fragend, forschend und -vorwurfsvoll auf ihren Bruder.</p> - -<p>Dieser wußte genau, was in seiner Schwester Seele vorging. -Es erheiterte ihn ungemein, aber es beunruhigte ihn -doch auch. Wenn diese Gefühle wuchsen, wohin sollte das -führen? Die Möglichkeit einer schrecklichen Szene, die sein -Haus mit einer nicht zu tilgenden Blame behaftet hätte, -trat dabei vor seine Seele.</p> - -<p>Der Himmel hatte aber ein Einsehn. Schon seit einer<span class="pagenum"><a id="Seite_313">[313]</a></span> -Viertelstunde lag ein grauer Ton über der Landschaft, und -plötzlich fielen Flocken, erst vereinzelte, dann dicht und reichlich. -Den Weg bis Globsow fortzusetzen, daran war unter diesen -Umständen gar nicht mehr zu denken, und so brach man denn -auf, um ins Schloß zurückzukehren. Auch auf einen Besuch in -der Kirche, weil es da zu kalt sei, wurde verzichtet.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Neunundzwanzigstes_Kapitel">Neunundzwanzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Der Heimweg war gemeinschaftlich angetreten worden, -aber doch nur bis an die Dorfstraße. Hier teilte man sich in -drei Gruppen, eine jede mit verschiedenem Ziel: Dubslav, -Tante Adelheid und Armgard gingen auf das Herrenhaus, -Uncke und Rolf Krake auf das Schulzenamt, Woldemar -und Melusine dagegen auf die Pfarre zu. Woldemar -freilich nur bis an den Vorgarten, wo er sich von Melusine -verabschiedete.</p> - -<p>Lorenzen, so lang er Woldemar und Melusine sich seiner -Pfarre nähern sah, hatte verlegen am Fenster gestanden, kam -aber, als das Paar sich draußen trennte, so ziemlich wieder zu -sich. Er war nun schon so lange jeder Damenunterhaltung -entwöhnt, daß ihm ein Besuch wie der der Gräfin zunächst nur -Verlegenheit schaffen konnte; wenn's denn aber durchaus sein -mußte, so war ihm ein Tete-a-Tete mit ihr immer noch lieber, -als eine Plauderei zu dritt. Er ging ihr denn auch bis in den -Flur entgegen, war ihr hier beim Ablegen behilflich und sprach -ihr – weil er jede Scheu rasch von sich abfallen fühlte – ganz -aufrichtig seine Freude aus, sie in seiner Pfarre begrüßen zu -dürfen. »Und nun bitt ich Sie, Frau Gräfin, sich's unter -meinen Büchern hier nach Möglichkeit bequem machen zu -wollen. Ich bin zwar auch Inhaber einer Putzstube, mit einem -dezenten Teppich und einem kalten Ofen; aber ich könnte das<span class="pagenum"><a id="Seite_314">[314]</a></span> -gesundheitlich nicht verantworten. Hier haben wir wenigstens -eine gute Temperatur.«</p> - -<p>»Die immer die Hauptsache bleibt. Ach, eine gute Temperatur! -Gesellschaftlich ist sie beinah alles und dabei leider doch -so selten. Ich kenne Häuser, wo, wenn Sie den Widersinn -verzeihen wollen, der kalte Ofen gar nicht ausgeht. Aber erlassen -Sie mir gütigst den Sofaplatz hier; ich fühle mich dazu -noch nicht ›alte Dame‹ genug und möcht auch gern <em class="antiqua">en vue</em> -der beiden Bilder bleiben, trotzdem ich das eine davon schon so -gut wie kenne.«</p> - -<p>»Die Kreuzabnahme?«</p> - -<p>»Nein! das andre.«</p> - -<p>»Die Lind also?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»So haben Sie das schöne Bild in der Nationalgalerie -gesehn?«</p> - -<p>»Auch das. Aber doch freilich erst seit ganz kurzem, während -ich von Ihrer Aquarellkopie schon seit ein paar Monaten weiß. -Das war auf einer Dampfschiffahrt, die wir nach dem sogenannten -Eierhäuschen machten, und der Ausplauderer über -das Bild da vor mir war niemand anders als Ihr Zögling -Woldemar, auf den Sie stolz sein können. Er freilich würde -den Satz umkehren, oder sage ich lieber, er tat es. Denn er -sprach mit solcher Liebe von Ihnen, daß ich Sie von jenem Tag -an auch herzlich liebe, was Sie sich schon gefallen lassen müssen. -Ein Glück nur, daß er sich draußen verabschiedet hat und nicht -hören kann, was ich hier sage …«</p> - -<p>Lorenzen lächelte.</p> - -<p>»Sonst hätten sich diese Bekenntnisse verboten. Aber da -sie nun mal gemacht sind und man nie weiß, wann und wie -man wieder zusammenkommt, so lassen Sie mich darin fortfahren. -Woldemar erzählte mir – Pardon für meine Indiskretion -– von Ihrer Schwärmerei für die Lind. Und da<span class="pagenum"><a id="Seite_315">[315]</a></span> -horchten wir denn auf und beneideten Sie fast. Nichts beneidenswerter -als eine Seele, die schwärmen kann. Schwärmen -ist fliegen, eine himmlische Bewegung nach oben.«</p> - -<p>Lorenzen stutzte. Das war doch mehr als eine bloß liebenswürdige -Dame aus der Gesellschaft.</p> - -<p>»Und um es kurz zu machen,« fuhr Melusine fort, »Woldemar -sprach bei dieser Gelegenheit wie von Ihrer ersten Liebe« -(und dabei wies sie lächelnd auf das Bildchen der Lind) »so auch -von Ihrer letzten – nein, nein, nicht von Ihrer letzten; <em class="gesperrt">Sie</em> -werden immer eine neue finden –, sprach also von Ihrer Begeisterung -für den herrlichen Mann da weit unten am Tajo, von -Ihrer Begeisterung für den Joao de Deus. Und als er ausgesprochen -hatte, da haben wir uns alle, die wir zugegen waren, um -den ›<em class="antiqua">Un Santo</em>‹ geschart und einen geheimen Bund geschlossen. Erst -um den ›<em class="antiqua">Un Santo</em>‹ und zum zweiten um Sie selbst. Und nun frag -ich Sie, wollen Sie mittun in diesem unserm Bunde, der ohne sie -gar nicht existierte? Mir ist manches verquer gegangen. Aber ich -bin, denk ich, dem Tage nahe, der mich ahnen läßt, daß unsre -Prüfungen auch unsre Segnungen sind und daß mir alles Leid nur -kam, um den Stab, der trägt und stützt, fester zu umklammern. Ich -darf leider nicht hinzusetzen, daß dieser Stab (möglich, daß er sich -einst dazu auswächst) das Kreuz sei. Meiner ganzen Natur nach -bin ich ungläubig. Aber ich hoffe sagen zu dürfen: ich bin -wenigstens demütig.«</p> - -<p>»Wenigstens demütig,« wiederholte Lorenzen langsam, zugleich -halb verlegen vor sich hinblickend, und Melusine, die -Zweifel, die sich in der Wiederholung dieser Worte ziemlich -deutlich aussprachen, mit scharfem Ohre heraushörend, fuhr in -plötzlich verändertem und beinah heiterem Tone fort: »Wie -grausam Sie sind. Aber Sie haben recht. Demütig. Und daß -ich mich dessen auch noch berühme. Wer ist demütig? Wir -alle sind im letzten doch eigentlich das Gegenteil davon. Aber -das darf ich sagen, ich habe den Willen dazu.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_316">[316]</a></span></p> - -<p>»Und schon <em class="gesperrt">der</em> gilt, Frau Gräfin. Nur freilich ist Demut -nicht genug; sie schafft nicht, sie fördert nicht nach außen, sie -belebt kaum.«</p> - -<p>»Und ist doch mindestens der Anfang zum Bessern, weil sie -mit dem Egoismus aufräumt. Wer die Staffel hinauf will, -muß eben von unten an dienen. Und soviel bleibt, es birgt -sich in ihr die Lösung jeder Frage, die jetzt die Welt bewegt. -Demütig sein heißt christlich sein, christlich in meinem, vielleicht -darf ich sagen in <em class="gesperrt">unsrem</em> Sinne. Demut erschrickt vor dem -zweierlei Maß. Wer demütig ist, der ist duldsam, weil er weiß, -wie sehr er selbst der Duldsamkeit bedarf; wer demütig ist, der -sieht die Scheidewände fallen und erblickt den Menschen im -Menschen.«</p> - -<p>»Ich kann Ihnen zustimmen,« lächelte Lorenzen. »Aber -wenn ich, Frau Gräfin, in Ihren Mienen richtig lese, so sind -diese Bekenntnisse doch nur Einleitung zu was andrem. Sie -halten noch das Eigentliche zurück und verbinden mit Ihrer -Aussprache, so sonderbar es klingen mag, etwas Spezielles und -beinah Praktisches.«</p> - -<p>»Und ich freue mich, daß Sie das herausgefühlt haben. -Es ist so. Wir kommen da eben von Ihrem Stechlin her, -von Ihrem See, dem Besten, was Sie hier haben. Ich habe -mich dagegen gewehrt, als das Eis aufgeschlagen werden sollte, -denn alles Eingreifen oder auch nur Einblicken in das, was sich -verbirgt, erschreckt mich. Ich respektiere das Gegebene. Daneben -aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende -wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. -Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, -aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor -allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang -der Dinge nie vergessen. Sich abschließen heißt -sich einmauern, und sich einmauern ist Tod. Es kommt darauf -an, daß wir gerade <em class="gesperrt">das</em> beständig gegenwärtig haben. Mein<span class="pagenum"><a id="Seite_317">[317]</a></span> -Vertrauen zu meinem Schwager ist unbegrenzt. Er hat einen -edeln Charakter, aber ich weiß nicht, ob er auch einen festen -Charakter hat. Er ist feinen Sinnes, und wer fein ist, ist oft -bestimmbar. Er ist auch nicht geistig bedeutend genug, um sich -gegen abweichende Meinungen, gegen Irrtümer und Standesvorurteile -wehren zu können. Er bedarf der Stütze. Diese Stütze -sind Sie meinem Schwager Woldemar von Jugend auf gewesen. -Und um was ich jetzt bitte, das heißt: ›Seien Sie's ferner.‹«</p> - -<p>»Daß ich Ihnen sagen könnte, wie freudig ich in Ihren -Dienst trete, gnädigste Gräfin. Und ich kann es um so leichter, -als Ihre Ideale, wie Sie wissen, auch die meinigen sind. Ich -lebe darin und empfind es als eine Gnade, da, wo das Alte -versagt, ganz in einem Neuen aufzugehn. Um ein solches -›Neues‹ handelt es sich. Ob ein solches ›Neues‹ sein soll (weil -es sein muß), oder ob es <em class="gesperrt">nicht</em> sein soll, um diese Frage dreht -sich alles. Es gibt hier um uns her eine große Zahl vorzüglicher -Leute, die ganz ernsthaft glauben, das uns Überlieferte – das -Kirchliche voran (leider nicht das Christliche) – müsse verteidigt -werden wie der salomonische Tempel. In unserer Obersphäre -herrscht außerdem eine naive Neigung, alles ›Preußische‹ -für eine höhere Kulturform zu halten.«</p> - -<p>»Genau wie Sie sagen. Aber ich möchte doch, um der Gerechtigkeit -willen, die Frage stellen dürfen, ob dieser naive -Glaube nicht eine gewisse Berechtigung hat?«</p> - -<p>»Er hatte sie mal. Aber das liegt zurück. Und kann nicht -anders sein. Der Hauptgegensatz alles Modernen gegen das -Alte besteht darin, daß die Menschen nicht mehr durch ihre -Geburt auf den von ihnen einzunehmenden Platz gestellt werden. -Sie haben jetzt die Freiheit, ihre Fähigkeiten nach allen -Seiten hin und auf jedem Gebiete zu betätigen. Früher war -man dreihundert Jahre lang ein Schloßherr oder ein Leinenweber; -jetzt kann jeder Leinenweber eines Tages ein Schloßherr -sein.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_318">[318]</a></span></p> - -<p>»Und beinah auch umgekehrt,« lachte Melusine. »Doch -lassen wir dies heikle Thema. Viel, viel lieber hör ich ein Wort -von Ihnen über den Wert unsrer Lebens- und Gesellschaftsformen, -über unsre Gesamtanschauungsweise, deren besondere -Zulässigkeit Sie, wie mir scheint, so nachdrücklich anzweifeln.«</p> - -<p>»Nicht absolut. Wenn ich zweifle, so gelten diese Zweifel -nicht so sehr den Dingen selbst, als dem Hochmaß des Glaubens -daran. Daß man all diese Mittelmaßdinge für etwas Besonderes -und Überlegenes und deshalb, wenn's sein kann, für etwas -ewig zu Konservierendes ansieht, das ist das Schlimme. Was -mal galt, soll weiter gelten, was mal gut war, soll weiter ein -Gutes oder wohl gar ein Bestes sein. Das ist aber unmöglich, -auch wenn alles, was keineswegs der Fall ist, einer gewissen -Herrlichkeitsvorstellung entspräche … Wir haben, wenn wir -rückblicken, drei große Epochen gehabt. Dessen sollen wir eingedenk -sein. Die vielleicht größte, zugleich die erste, war die -unter dem Soldatenkönig. Das war ein nicht genug zu preisender -Mann, seiner Zeit wunderbar angepaßt und ihr zugleich -voraus. Er hat nicht bloß das Königtum stabiliert, er hat auch, -was viel wichtiger, die Fundamente für eine neue Zeit geschaffen -und an die Stelle von Zerfahrenheit, selbstischer Vielherrschaft -und Willkür Ordnung und Gerechtigkeit gesetzt, -Gerechtigkeit, das war sein bester ›<em class="antiqua">rocher de bronce</em>‹.«</p> - -<p>»Und dann?«</p> - -<p>»Und dann kam Epoche zwei. Die ließ, nach jener ersten, nicht -lange mehr auf sich warten, und das seiner Natur und seiner -Geschichte nach gleich ungeniale Land sah sich mit einem Male -von Genie durchblitzt.«</p> - -<p>»Muß das ein Staunen gewesen sein.«</p> - -<p>»Ja. Aber doch mehr draußen in der Welt als daheim. -Anstaunen ist auch eine Kunst. Es gehört etwas dazu, Großes -als groß zu begreifen … Und dann kam die dritte Zeit. Nicht -groß und doch auch wieder ganz groß. Da war das arme,<span class="pagenum"><a id="Seite_319">[319]</a></span> -elende, halb dem Untergange verfallene Land nicht von Genie, -wohl aber von Begeisterung durchleuchtet, von dem Glauben -an die höhere Macht des Geistigen, des Wissens und der -Freiheit.«</p> - -<p>»Gut, Lorenzen. Aber weiter.«</p> - -<p>»Und all das, was ich da so hergezählt, umfaßte zeitlich ein -Jahrhundert. Da waren wir den andern voraus, mitunter -geistig und moralisch gewiß. Aber der ›<em class="antiqua">Non soli cedo</em>-Adler‹ -mit seinem Blitzbündel in den Fängen, er blitzt nicht mehr, und -die Begeisterung ist tot. Eine rückläufige Bewegung ist da, -längst Abgestorbenes, ich muß es wiederholen, soll neu erblühn. -Es tut es nicht. In gewissem Sinne freilich kehrt alles einmal -wieder, aber bei dieser Wiederkehr werden Jahrtausende übersprungen; -wir können die römischen Kaiserzeiten, Gutes und -Schlechtes, wieder haben, aber nicht das spanische Rohr aus -dem Tabakskollegium und nicht einmal den Krückstock von -Sanssouci. Damit ist es vorbei. Und gut, daß es so ist. Was -einmal Fortschritt war, ist längst Rückschritt geworden. Aus -der modernen Geschichte, der eigentlichen, der lesenswerten, -verschwinden die Bataillen und die Bataillone (trotzdem sie sich -beständig vermehren) und wenn sie nicht selbst verschwinden, -so schwindet doch das Interesse daran. Und mit dem Interesse -das Prestige. An ihre Stelle treten Erfinder und Entdecker, -und James Watt und Siemens bedeuten uns mehr als -du Guesclin und Bayard. Das Heldische hat nicht direkt abgewirtschaftet -und wird noch lange nicht abgewirtschaftet haben, -aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe verloren, -und anstatt sich in diese Tatsache zu finden, versucht es unser -Regime, dem Niedersteigenden eine künstliche Hausse zu -geben.«</p> - -<p>»Es ist, wie Sie sagen. Aber gegen wen richtet sich's? -Sie sprachen von ›Regime‹. Wer ist dies Regime? Mensch -oder Ding? Ist es die von alter Zeit her übernommene Maschine,<span class="pagenum"><a id="Seite_320">[320]</a></span> -deren Räderwerk tot weiterklappert, oder ist es der, -der an der Maschine steht? Oder endlich, ist es eine bestimmte -abgegrenzte Vielheit, die die Hand des Mannes an der Maschine -zu bestimmen, zu richten trachtet? In allem, was Sie sagen, -klingt eine sich auflehnende Stimme. Sind Sie gegen den -Adel? Stehen Sie gegen die ›alten Familien‹?«</p> - -<p>»Zunächst: nein. Ich liebe, hab auch Ursach dazu, die -alten Familien und möchte beinah glauben, jeder liebt sie. -Die alten Familien sind immer noch populär, auch heute noch. -Aber sie vertun und verschütten diese Sympathien, die doch -jeder braucht, jeder Mensch und jeder Stand. Unsre alten -Familien kranken durchgängig an der Vorstellung, ›daß es -ohne sie nicht gehe‹, was aber weit gefehlt ist, denn es geht -sicher auch ohne sie; – sie sind nicht mehr die Säule, die das -Ganze trägt, sie sind das alte Stein- und Moosdach, das wohl -noch lastet und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr schützen -kann. Wohl möglich, daß aristokratische Tage mal wiederkehren, -vorläufig, wohin wir sehen, stehen wir im Zeichen einer -demokratischen Weltanschauung. Eine neue Zeit bricht an. -Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber wenn auch -nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit mehr -Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. -Und je freier man atmet, je mehr lebt man. Was aber Woldemar -angeht, <em class="gesperrt">meiner</em> sind Sie sicher, Frau Gräfin. Bleibt -freilich, als Hauptfaktor, noch die Komtesse. Für <em class="gesperrt">die</em> müssen -<em class="gesperrt">Sie</em> die Bürgschaft übernehmen. Die Frauen bestimmen -schließlich doch alles.«</p> - -<p>»So heißt es immer. Und wir sind eitel genug, es zu -glauben. Aber das führt uns auf ganz neue Gebiete. Vorläufig -Ihre Hand zur Besieglung. Und nun erlauben Sie mir, -nach diesem unserm revolutionären Diskurse, zu den Hütten -friedlicher Menschen zurückzukehren. Ich habe mich bei dem -alten Herrn nur auf eine halbe Stunde beurlaubt und rechne<span class="pagenum"><a id="Seite_321">[321]</a></span> -darauf, daß Sie mich, wenn nicht bis ins ›Museum‹ selbst -(das dem Programm nach besucht werden sollte), so doch -wenigstens bis auf die Schloßrampe begleiten.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Dreissigstes_Kapitel">Dreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Lorenzen tat, wie gewünscht, und auf dem Wege zum -Schloß plauderten beide weiter, wenn auch über sehr andere -Dinge.</p> - -<p>»Was ist es eigentlich mit diesem ›Museum‹?« fragte -Melusine; »kann ich mir doch kaum was Rechtes darunter -vorstellen. Eine alte Papptafel mit Inschrift hängt da schräg -über der Saaltür, alles dicht neben meinem Schlafzimmer, -und ich habe mich etwas davor geängstigt.«</p> - -<p>»Sehr mit Unrecht, gnädigste Gräfin. Die primitive Papptafel, -die freilich verwunderlich genug aussieht, sollte wohl nur -andeuten, daß es sich bei der ganzen Sache mehr um einen -Scherz als um etwas Ernsthaftes handelt. Etwa wie bei -Sammlung von Meerschaumpfeifen und Tabaksdosen. Und -Sie werden auch vorwiegend solchen Seltsamkeiten begegnen. -Anderseits aber ist es auch wieder ein richtiges historisches -Museum, trotzdem es nur halb das geworden ist, worauf Herr -von Stechlin anfänglich aus war.«</p> - -<p>»Und das war?«</p> - -<p>»Das war mehr etwas Groteskes. Es mögen nun wohl -schon zwanzig Jahre sein, da las er eines Tages in der Zeitung -von einem Engländer, der historische Türen sammle und neuerdings -sogar für eine enorme Summe, ich glaube es waren -tausend Pfund, die Gefängnistür erstanden habe, durch die -Ludwig <em class="antiqua">XVI.</em> und dann später Danton und Robespierre zur -Guillotinierung abgeführt worden seien. Und diese Notiz -machte solchen Eindruck auf unsern liebenswürdigen Stechliner<span class="pagenum"><a id="Seite_322">[322]</a></span> -Schloßherrn, daß er auch solche historische Türensammlung anzulegen -beschloß. Er ist aber nicht weit damit gekommen und -hat sich mit dem Küstriner Schloßfenster begnügen müssen. -an dem Kronprinz Friedrich stand, als Katte zur Enthauptung -vorübergeführt wurde. Doch auch das ist unsicher, ja, die -meisten wollen nichts davon wissen. Nur Krippenstapel hält -noch daran fest.«</p> - -<p>»Krippenstapel?«</p> - -<p>»Ja. Der Name frappiert Sie. Das ist nämlich unser -Lehrer hier, Liebling des alten Herrn und sein Berater in derlei -Dingen. Der hat ihm denn auch das gegenwärtige ›Museum‹, -das man als Abschlagszahlung auf die ›historischen Türen‹ -ansehen kann, zusammengestellt. Außer dem angezweifelten -Fenster werden Frau Gräfin noch ein paar phantastische Regentraufen -finden und vor allem viele Wetterhähne, die von alten -märkischen Kirchtürmen herabgenommen wurden. Einige -sollen ganz interessant sein. Ich habe keinen Sinn dafür. -Aber Krippenstapel hat einen Katalog angefertigt.«</p> - -<p>Unter diesen Worten waren beide bis an die Rampe gekommen, -auf der Engelke schon stand und auf die Gräfin wartete. -Lorenzen empfahl sich. Aber auch Melusine wollte nicht -gleich ins Museum hinauf, zog es vielmehr vor, erst unten in -das große Gesellschaftszimmer einzutreten und sich da zu wärmen.</p> - -<p>Engelke machte sich auch sofort am Kamin zu schaffen, -was der Gräfin gut paßte, weil sie noch manches fragen wollte.</p> - -<p>»Das ist recht, Engelke, daß Sie Kohlen aufschütten und -auch Kienäpfel. Ich freue mich immer, wenn es so lustig brennt. -Und oben im ›Museum‹ wird es wohl noch kalt sein.«</p> - -<p>»Ja, kalt ist es, Frau Gräfin. Aber mit der Kälte, na, -das ging am Ende noch, und der viele Staub, der oben liegt, -das ginge vielleicht auch noch; Staub wärmt. Und die Dachtraufen -und Wetterhähne tun auch keinem Menschen was …«</p> - -<p>»Aber was ist denn sonst noch?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_323">[323]</a></span></p> - -<p>»Ach, ich meine bloß die verdammten Dinger, die Spinnen …«</p> - -<p>»Um Gottes willen, Spinnen?« erschrak Melusine.</p> - -<p>»Ja, Spinnen, Frau Gräfin. Aber so ganz schlimme sind -nich dabei. Solche mit'm Kreuz oben hab ich bei uns noch -nicht gesehn. Bloß solche, die Schneider heißen.«</p> - -<p>»Ach, das sind die, die die langen Beine haben.«</p> - -<p>»Ja, lange Beine haben sie. Aber sie tun einem nichts. -Und eigentlich sind es sehr ängstliche Tiere und verkriechen sich, -wenn sie hören, daß aufgeschlossen wird, und bloß wenn -Krippenstapel kommt, dann kommen sie alle raus un kucken sich -um. Krippenstapeln, den kennen sie ganz gut, und ich hab auch -mal gesehn, daß er ihnen Fliegen mitbringt, und machen sich -dann gleich drüber her.«</p> - -<p>»Aber das ist ja grausam. Ist es denn ein guter Mensch?«</p> - -<p>»O, sehr gut, Frau Gräfin. Und als ich ihm mal so was -sagte, sagte er: ›Ja, Engelke, das is nu mal so; einer frißt den -andern auf.‹«</p> - -<p>Das Gespräch setzte sich noch eine Weile fort; dann sagte -Melusine: »Nun, Engelke, ist es aber wohl die höchste Zeit -für das Museum, sonst komm ich zu spät und seh und höre gar -nichts mehr. Ich bin nun auch wieder warm geworden.« -Dabei erhob sie sich und stieg die Doppeltreppe hinauf und klopfte. -Sie wollte nicht gleich eintreten.</p> - -<p>Auf ihr Klopfen wurde sehr bald von innen her geöffnet, -und Krippenstapel, mit der Hornbrille, stand vor ihr. Er verbeugte -sich und trat zurück, um den Platz freizugeben. Aber -Melusine, deren Angst vor ihm wiederkehrte, zauderte, was -eine momentane Verlegenheit schuf. Inzwischen war aber -auch Dubslav herangekommen. »Ich fürchtete schon, daß -Lorenzen Sie nicht herausgeben würde. Seine Gelegenheiten, -hier in Stechlin ein Gespräch zu führen, sind nicht groß, und nun -gar ein Gespräch mit Gräfin Melusine! Nun, er hat es gnädig<span class="pagenum"><a id="Seite_324">[324]</a></span> -gemacht. Jetzt aber, Gräfin, halten Sie gefälligst Umschau; -vielleicht daß Lorenzen schon geplaudert hat oder gar Engelke.«</p> - -<p>»So ganz im Dunkeln bin ich nicht mehr; ein Küstriner -Schloßfenster, ein paar Kirchendachreliquien und dazu Wetterhähne -– lauter Gegenstände (denn ich bin auch ein bißchen -fürs Aparte), zu deren Auswahl ich Ihnen gratuliere.«</p> - -<p>»Wofür ich der Frau Gräfin dankbar bin, ohne sonderlich -überrascht zu sein. Ich wußte, Damen wie Gräfin Ghiberti -haben Sinn für derlei Dinge. Darf ich Ihnen übrigens zunächst -hier diesen Lebuser Bischof zeigen und hier weiter einen -Heiligen oder vielleicht Anachoreten? Beide, Bischof und -Anachoret, sind sehr unähnlich untereinander, schon in bezug -auf Leibesumfang, – der richtige Gegensatz von Refektorium -und Wüste. Wenn ich den Heiligen hier so sehe, taxier ich ihn -höchstens auf eine Dattel täglich. Und nun denk ich, wir fahren -in unsrer Besichtigung fort. Krippenstapel war nämlich eben -dabei, der Komtesse Armgard unsern Derfflingerschen Dragoner -mit der kleinen Standarte und der Jahreszahl 1675 zu -zeigen. Bitte, Gräfin Melusine, bemerken Sie hier die Zahl, -dicht unter dem brandenburgischen Adler. Es wirkt, wie wenn -er die Nachricht vom Siege bei Fehrbellin überbringen wolle. -Daß es ein Dragoner ist, ist klar; der Filzhut mit der breiten -Krempe hebt jeden Zweifel, und ich hab es für mein gutes Recht -gehalten, ihn auch speziell als Derfflingerschen Dragoner festzusetzen. -Aber mein Freund Krippenstapel will davon nichts -wissen, und wir liegen darüber seit Jahr und Tag in einer -ernsten Fehde. Glücklicherweise unsre einzige. Nicht wahr, -Krippenstapel?«</p> - -<p>Dieser lächelte und verbeugte sich.</p> - -<p>»Die beiden Damen,« fuhr Dubslav fort, »mögen aber -nicht etwa glauben, daß ich mich für berechtigt halte, die freie -Wissenschaft hier in meinem Museum in Banden zu schlagen. -Grad umgekehrt. Ich kann also nur wiederholen: ›Krippenstapel,<span class="pagenum"><a id="Seite_325">[325]</a></span> -Sie haben das Wort.‹ Und nun bitte, setzen Sie den -Damen Ihrerseits auseinander, warum es nach ganz bestimmten -Begleiterscheinungen ein Derfflingerscher <em class="gesperrt">nicht</em> sein kann. -Bilderbücher aus der Zeit her hat man nicht, und die großen -Gobelins lassen einen im Stich und beweisen gar nichts.«</p> - -<p>Unter diesen Worten hatte Krippenstapel die den Gegenstand -des Streits bildende Wetterfahne wieder in die Hand -genommen, und als er sah, daß die Gräfin – die, wie das in -ihrer Natur lag, den vor zehn Minuten noch so gefürchteten -›Fliegentöter‹ längst in ihr Herz geschlossen hatte – ihm freundlich -zunickte, ließ er auf Geltendmachung seines Standpunktes -auch nicht lange mehr warten und sagte: »Ja, Frau Gräfin, -der Streit schwebt nun schon so lange, wie wir den Dragoner -überhaupt haben, und Herr von Stechlin wäre wohl schon längst -in das gegnerische Lager, in dem ich und Oberlehrer Tucheband -stehn, übergegangen, wenn er nicht an meiner wissenschaftlichen -Ereiferung seine beständige Freude hätte. Tucheband, -einer unsrer Besten und ein Mann, der nicht leicht vorbeischießt, -hat auch in dieser Frage gleich das Richtige getroffen. -Er hat nämlich den Ort in Erwägung gezogen, von wo diese -Wetterfahne stammt. Sie stammt aus dem wenigstens damals -noch der alten Familie von Mörner zugehörigen Dorfe -Zellin in der Neumark. Das Regiment aber, das sich bei Fehrbellin -vor allen andern auszeichnete, war das Dragonerregiment -Mörner. Es ist also kein Derfflingerscher, sondern -ein Mörnerscher Dragoner, der, in fliegender Eile, die Nachricht -von dem erfochtenen Siege nach Zellin bringt.«</p> - -<p>»Bravo,« sagte Melusine. »Wenn ich je eine richtige Schlußfolgerung -gehört habe (die meisten sind Blender), so haben wir -sie hier. Herr von Stechlin, ich kann Ihnen nicht helfen, Sie -sind besiegt.«</p> - -<p>Dubslav war einverstanden und küßte Melusine die Hand, -ohne sich um die mißbilligenden Blicke seiner Schwester zu<span class="pagenum"><a id="Seite_326">[326]</a></span> -kümmern, die jetzt ihrerseits auf endliche Vorführung der ›beiden -Mühlen‹ drang, ihrer zwei Lieblingsstücke. Diese beiden -Mühlen, so versicherte sie, seien das einzige, was hier überhaupt -einen Anspruch auf ›Museum‹ erheben dürfe. Beinah -war es wirklich so, wie selbst Krippenstapel zugab, trotzdem sich, -bis wenigstens ganz vor kurzem, nichts von historischer Kontroverse -(die doch schließlich immer die Hauptsache bleibt) daran -geknüpft hatte. Neuerdings freilich hatte sich das geändert. -Zwei Berliner Herren vom Gewerbemuseum waren über die -Mühlen in Streit geraten, speziell über ihren Ursprungsort. -Zwar hatte man sich vorläufig dahin geeinigt, daß die Wassermühle -holländisch, die Windmühle dagegen (eine richtige alte -Bockmühle) eine Nürnberger Arbeit sei; Krippenstapel aber hatte -bei diesem Friedensschlusse nur gelächelt. Er war viel zu sehr -ernster Wissenschaftsmensch, als daß er nicht hätte herausfühlen -sollen, wie diese sogenannte ›Beilegung‹ nichts als eine Verkleisterung -war. Der Ausbruch neuer Streitigkeiten stand nahe -bevor.</p> - -<p>Die waren aber zunächst wenigstens ausgeschlossen, da beide -Schwestern, Armgard wie Melusine, wie Kinder vor einem -Lieblingsspielzeug, in einem ganz ausbündigen Vergnügen -aufgingen. Die Windmühle klapperte, daß es eine Lust war, -und das Rad der Wassermühle, wenn es grad in der Sonne -blitzte, gab einen solchen Silberschein, daß es aussah, als fiele -das blinkende Wasser wirklich über die Schaufelbretter. All -das wurde gesehn und bewundert, und was nicht gesehn wurde, -nahm man auf Treu und Glauben mit in den Kauf. Von -den Spinnen kam keine zum Vorschein; nur hier und da hingen -lange graue Gewebe, was jedoch nur feierlich aussah, und als -Mittag heran war, verließ man das »Museum«, um sich erst -eine Stunde zu ruhn und dann bei Tische wiederzusehn. Die -Gräfin aber, ehe sie den großen, wüsten Raum verließ, trat -noch einmal an Krippenstapel heran, um ihn, unter gewinnendstem<span class="pagenum"><a id="Seite_327">[327]</a></span> -Lächeln, zu bitten, ihr, sobald ein ernsterer Streit über die -beiden Mühlen entbrennen sollte, die betreffenden Schriftstücke -nicht vorzuenthalten.</p> - -<p>Krippenstapel versprach alles.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Auf drei war das Mittagsmahl angesetzt. Schon eine -Viertelstunde vorher erschien Lorenzen und traf den alten -Dubslav in einer gewissen stattlichen Herrichtung an oder, wie -er sich selbst zu Engelke geäußert hatte, »ganz feudal«.</p> - -<p>»Ach, das ist gut, Lorenzen, daß Sie schon kommen. Ich -habe noch allerhand auf dem Herzen. Es muß doch was geschehn, -eine richtige Begrüßung (denn das gestern abend war -zu wenig) oder aber ein solennes Abschiedswort, kurzum irgendwas, -das in das Gebiet der Toaste gehört. Und da müssen Sie -helfen. Sie sind ein Mann von Fach, und wer jeden Sonntag -predigen kann, kann doch schließlich auch ne Tischrede halten.«</p> - -<p>»Ja, das sagen Sie so, Herr von Stechlin. Mitunter -ist eine Tischrede leicht und eine Predigt schwer, aber es kann -auch umgekehrt liegen. Außerdem, wenn Sie sich nur erst mit -dem Gedanken vertraut gemacht haben, daß es so sein muß, -dann geht es auch. Sie werden sehn, das Herz, wie immer, -macht den Redner. Und dazu diese Damen, beide von so seltener -Liebenswürdigkeit. Was die Gräfin angeht …«</p> - -<p>»Ja,« lachte der Alte, »was die Gräfin angeht … Sie -machen sich's bequem, Pastor. Die Gräfin, – wenn sich's -um die handelte, da könnt ich's vielleicht auch. Aber die Komtesse, -die hat so was Ernstes. Und dann ist sie zum übrigen -auch noch meine Schwiegertochter oder soll es wenigstens -werden, und da muß ich doch sprechen wie ne Respektsperson. -Und das ist schwer, vielleicht, weil sich in meiner Vorstellung -die Gräfin immer vor die Komtesse schiebt.«</p> - -<p>Dubslav sprach noch so weiter. Aber es half ihm nichts; -Lorenzen war in seinem Widerstande nicht zu besiegen, und so<span class="pagenum"><a id="Seite_328">[328]</a></span> -kam denn die Tisch- und endlich auch die gefürchtete Redezeit -heran. Der Alte hatte sich schließlich drin gefunden. »Meine -lieben Gäste,« hob er an, »geliebte Braut, hochverehrte Brautschwester! -Ein andres Wort, um meine Beziehungen zu Gräfin -Melusine zu bezeichnen, hat vorläufig die deutsche Sprache nicht, -was ich bedaure. Denn das Wort sagt mir lange nicht genug. -Wenige Stunden erst ist es, daß ich Sie, meine Damen, an -dieser Stelle begrüßen durfte, noch kein voller Tag, und schon -ist der Abschied da. Währenddem hab ich kein ›Du‹ beantragt, -aber es liegt doch in der Luft, mehr noch auf meiner Lippe … -Teuerste Armgard! dies alte Haus Stechlin also soll Ihre dereinstige -Heimstätte werden; Sie werden sie zu neuem Leben erheben. -Unter meinem Regime war es nicht viel damit. Auch -heute nicht. Ich habe nur das gute Gewissen, Ihnen während -dieser kurzen Spanne Zeit alles gezeigt zu haben, was gezeigt -werden konnte: mein Museum und meinen See. Die Sprudelstelle -(die Winterhand lag darauf) hat geschwiegen, aber mein -Derfflingerscher Dragoner – in Krippenstapels Abwesenheit -darf ich ihn ja wieder so nennen – hat dafür um so deutlicher -zu Ihnen gesprochen. Er hat die Zahl 1675 in seiner Standarte -und trägt die Siegesnachricht von Fehrbellin ins märkische Land. -Erleb ich's noch und gibt Krippenstapel seine Zustimmung, so -stell ich, kurz oder lang, auch meinerseits einen Dragoner auf -meinen Dachreiter (einen Turm hab ich nicht) und zwar einen -Dragoner vom Regiment Königin von Großbritannien und -Irland, und auch er trägt eine Siegesbotschaft ins Land. Nicht -die von Königgrätz und nicht die von Mars-la-Tour, aber die -von einem gleich gewichtigen Siege. Das Haus Barby lebe hoch -und meine liebe Schwiegertochter Armgard!«</p> - -<p>Alle waren bewegt. Am meisten Lorenzen. Als er an den -Alten herantrat, flüsterte er ihm zu: »Sehn Sie. Ich wußt -es.« Armgard küßte dem Alten die Hand, Melusine strahlte. -»Ja, die alte Garde!« sagte sie. Nur Schwester Adelheid konnte<span class="pagenum"><a id="Seite_329">[329]</a></span> -sich in dieser allgemeinen Freude nicht gut zurechtfinden. Alle -Feierungen mußten eben das Maß halten, das sie vorschrieb. Sie -hatte den landesüblichen Zug: »Nur nicht zuviel von irgendwas, -am wenigsten aber von Huldigungen oder gar von Hingebung.«</p> - -<p>Als man wieder saß, sagte Melusine: »Krippenstapel wird -übrigens verstimmt sein, wenn er von Ihrem Trinkspruche hört. -Es war doch eigentlich eine erneute feierliche Proklamierung des -Derfflingerschen. Und was bei solcher Gelegenheit gesagt -wird, das gilt … Interessiert sich übrigens irgendwer für dies -Ihr Museum?«</p> - -<p>»Dann und wann ein Mann von Fach. Sonst niemand.«</p> - -<p>»Was Sie verdrießt.«</p> - -<p>»Nein, gnädigste Gräfin. Nicht im geringsten. Ich nehme -nicht vieles ernsthaft, und am wenigsten ernsthaft nehm ich -mein Museum. Es ist freilich von mir ausgegangen und interessierte -mich auch eine Weile; hinterher aber hat sich eigentlich -alles ohne mich gemacht. Das ist so die Regel. Ist überhaupt -erst ein Anfang da, so laufen die Dinge von selber weiter, und -die Leute lassen einen nicht wieder los, halten einen fest, man -mag wollen oder nicht. Ich hätte vielleicht alles schon längst -wieder aufgegeben, man will's aber nicht. Einigen gereicht -es zur Befriedigung, mich für einen Querkopf halten zu können, -und andre sprechen wenigstens von Originalitätshascherei. -Man muß eben allerhand über sich ergehen lassen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Einunddreissigstes_Kapitel">Einunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Um fünf Uhr brachen Woldemar und die Barbyschen -Damen auf, um den Zug, der um sieben Uhr Gransee passierte, -nicht zu versäumen. Es dunkelte schon, aber der Schnee sorgte für -einen Lichtschimmer; so ging es über die Bohlenbrücke fort in die -Kastanienallee mit ihrem kahlen und übereisten Gezweige hinein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_330">[330]</a></span></p> - -<p>Lorenzen war noch im Schlosse zurückgeblieben und setzte -sich, um wieder warm zu werden – auf der Rampe war's -kalt und zugig gewesen –, in die Nähe des Kamins, dem alten -Dubslav gegenüber. Dieser hatte seinen Meerschaum angezündet -und sah behaglich in die Flamme, blieb aber ganz gegen -seine Gewohnheit schweigsam, weil eben noch eine dritte Person -da war, die von den liebenswürdigen Damen, über die sich -auszulassen es ihn in seiner Seele drängte, ganz augenscheinlich -nichts hören wollte. Diese dritte Person war natürlich Tante -Adelheid. <em class="gesperrt">Die</em> wollte nicht sprechen. Andrerseits mußte durchaus -der Versuch einer Konversation gemacht werden, und so griff -denn Dubslav zu den Gundermanns hinüber, um in ein paar -Worten sein Bedauern darüber auszudrücken, daß er die Siebenmühlner -nicht habe mit heranziehn können. »Engelke sei so -sehr dagegen gewesen.« All dies Bedauern – wie's der ganzen -Sachlage nach nicht anders sein konnte – kam flau genug -heraus, aber die Domina war so hochgradig verstimmt, daß -ihr selbst so nüchterne, das Verbindliche nur ganz leise, nur -ganz ohnehin streifende Worte schon zuwider waren. »Ach, -laß doch diese geborne Helfrich,« sagte sie, »diese Tochter von -dem alten Hauptmann, der die Schlacht bei Leipzig gewonnen -haben soll. So wenigstens erzählt sie beständig. Eine schreckliche -Frau, die gar nicht in unsre Gesellschaft paßt. Und dabei -so laut. Ich kann es nicht leiden, wenn wir so mit Gewalt nach -oben blicken sollen, aber diese Helfrich, das muß ich sagen, ist denn -doch auch nicht mein Geschmack. Ich halte das Untersichbleiben -für das einzig Richtige. Bescheidene Verhältnisse, -aber bestimmt gezogene Grenzen.«</p> - -<p>Lorenzen hütete sich zu widersprechen, versuchte vielmehr -umgekehrt, durch ein halbes Eingehn auf Adelheid und ihren -Ton, eine bessere Laune wieder herzustellen. Als er aber sah, -daß er damit scheiterte, brach er auf.</p> - -<p>Und nun waren die beiden alten Geschwister allein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_331">[331]</a></span></p> - -<p>Dubslav ging im Zimmer unruhig auf und ab und trat nur -dann und wann an den Tisch heran, auf dem noch vom Kaffee -her die Likörflaschen standen. Er wollte was sagen, traute -sich's aber nicht recht, und erst als er zu zwei Curaçaos auch -noch einen Benediktiner hinzugefügt hatte, wandte er sich an -die Schwester, die, schweigsam wie er selbst, ihre kleine goldene -Kette hin und her zog.</p> - -<p>»Ja,« sagte er, »jetzt sind sie nun wohl schon in Woltersdorf.«</p> - -<p>»Ich vermute drüber raus. Woldemar wird die Pferde -natürlich ausholen lassen. Es sind, glaub ich, Damen, die nicht -gerne langsam fahren.«</p> - -<p>»Du sagst das so, Adelheid, als ob du's tadeln wolltest, -überhaupt als ob dir die Damen nicht sonderlich gefallen hätten. -Das sollte mir leid tun. Ich bin sehr glücklich über die Partie. -Gewiß, sowohl die Gräfin wie die Komtesse sind verwöhnt; das -merkt man. Aber ich möchte sagen, je verwöhnter sie sind …«</p> - -<p>»Desto besser gefallen sie dir. Das sieht dir ähnlich. Ich -liebe mehr unsre Leute. Beide sind doch beinah wie Fremde.«</p> - -<p>»Nun, das ist nicht schlimm.«</p> - -<p>»Doch. Mir widersteht das Fremde. Laß dir erzählen. -Da war ich vorigen Sommer mit der Schmargendorf in Berlin -und ging zu Josty, weil die Schmargendorf, die so was liebt, -gern eine Tasse Schokolade trinken wollte.«</p> - -<p>»Du hoffentlich auch.«</p> - -<p>»Allerdings. Ich auch. Aber ich kam nicht recht dazu, -nippte bloß, weil ich mich über die Maßen ärgern mußte. Denn -an dem Tische neben mir saß ein Herr und eine Dame, wenn es -überhaupt eine Dame war. Aber Engländer waren es. Er -steckte ganz in Flanell und hatte die Beinkleider umgekrempelt, -und die Dame trug einen Rock und eine Bluse und einen Matrosenhut. -Und der Herr hatte ein Windspiel, das immer -zitterte, trotzdem fünfundzwanzig Grad Wärme waren.«</p> - -<p>»Ja, warum nicht?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_332">[332]</a></span></p> - -<p>»Und zwischen ihnen stand eine Tablette mit Wasser und -Kognak, und die Dame hielt außerdem noch eine Zigarette -zwischen den Fingern und sah in die Ringelwölkchen hinein, -die sie blies.«</p> - -<p>»Charmant. Das muß ja reizend ausgesehn haben.«</p> - -<p>»Und ich verwette mich, diese Melusine raucht auch.«</p> - -<p>»Ja, warum soll sie nicht? Du schlachtest Gänse. Warum -soll Melusine nicht rauchen?«</p> - -<p>»Weil Rauchen männlich ist.«</p> - -<p>»Und Schlachten weiblich … Ach, Adelheid, wir können -uns über so was nicht einigen. Ich gelte schon für leidlich altmodisch, -aber du, du bist ja geradezu petrefakt.«</p> - -<p>»Ich verstehe das Wort nicht und wünsche nur, daß es -etwas ist, dessen du dich nicht zu schämen hast. Es klingt sonderbar -genug. Aber ich weiß, du liebst dergleichen und liebst gewiß auch -(und hast so deine Vorstellungen dabei) den Namen Melusine.«</p> - -<p>»Kann ich beinah sagen.«</p> - -<p>»Ich dacht es mir.«</p> - -<p>»Ja, Schwester, du hast gut reden. So sicher wie du wohnt -eben nicht jeder. Adelheid! das ist ein Name, der paßt immer. -Und im Kirchenbuche, wie mir Lorenzen erst neulich gezeigt hat, -steht sogar Adelheide. Das Schluß-›e‹ ist bei der schlechten Wirtschaft -in unserm Hause so mit drauf gegangen. Die Stechline -haben immer alles verurscht.«</p> - -<p>»Ich bitte dich, wähle doch andere Worte.«</p> - -<p>»Warum? Verurscht ist ein ganz gutes Wort. Und außerdem, -schon der alte Kortschädel sagte mir mal, man müsse gegen -Wörter nicht so streng sein und gegen Namen erst recht nicht, -da sitze manch einer in einem Glashause. Hältst du Rentmeister -Fix für einen schönen Namen? Und als ich noch bei den Kürassieren -in Brandenburg war, in meinem letzten Dienstjahr, -da hatten wir dicht bei uns einen kleinen Mann von der Feuerversicherung, -der hieß Briefbeschwerer. Ja, Adelheid, wenn<span class="pagenum"><a id="Seite_333">[333]</a></span> -ich <em class="gesperrt">dem</em> gegenüber so verfahren wäre, wie du jetzt mit Gräfin -Melusine, so hätt ich mir den Mann als eine halbe Bombe -vorstellen müssen oder als einen Kugelmann. Denn damals, -es war anno vierundsechzig, waren alle ›Briefbeschwerer‹ -bloß ›Kugelmänner‹: ne Flintenkugel oben und zwei Flintenkugeln -unten. Und natürlich ne Kartätschenkugel als Bauch -in der Mitte. Das Feuerversicherungsmännchen aber, das -zufällig so sonderbar hieß, das war so dünn wie'n Strich.«</p> - -<p>»Ja, Dubslav, was soll das nun alles wieder? Du gibst -da deinem Zeisig mal wieder ein gut Stück Zucker. Ich sage -Zeisig, weil ich nicht verletzlich werden will.«</p> - -<p>»Küss' die Hand …«</p> - -<p>»Und was ich dir zur Sache darauf zu sagen habe, das ist -das. Ich habe nichts dagegen, daß jemand Briefbeschwerer -heißt, und überlass' es ihm, ob er ein Strich oder ein Kugelmann -sein will. Aber ich habe sehr viel gegen Melusine. Briefbeschwerer, -nu, das ist bloß ein Zufall, Melusine aber ist kein Zufall, -und ich kann dir bloß sagen, diese Melusine ist eben eine -richtige Melusine. Alles an dieser Person …«</p> - -<p>»Ich bitte dich, Adelheid …«</p> - -<p>»Alles an dieser Dame, wenn sie durchaus so etwas sein -soll, ist verführerisch. Ich habe so was von Koketterie noch nie -gesehn. Und wenn ich mir dann unsern armen Woldemar -daneben denke! Der is ja solcher Eva gegenüber von Anfang -an verloren. Eh er noch weiß, was los ist, ist er schon umstrickt, -trotzdem er doch bloß ihr Schwager ist. Oder vielleicht auch -grade deshalb. Und dazu das ewige Sichbiegen und -wiegen -in den Hüften. Alles wie zum Beweise, daß es mit der Schlange -denn doch etwas auf sich hat. Und wie sie nun gar erst mit dem -Lorenzen umsprang. Aber freilich, der ist womöglich noch -leichter zu fangen als Woldemar. Er sah sie immer an wie ne -Offenbarung. Und sie ist auch so was. Darüber is kein Zweifel. -Aber wovon?«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_334">[334]</a></span></p> - -<h2 id="Hochzeit">Hochzeit</h2> - -<h3 id="Zweiunddreissigstes_Kapitel">Zweiunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Zu guter Zeit waren die Reisenden wieder in Berlin zurück. -Woldemar hatte Braut und Schwägerin bis an das Kronprinzenufer -begleitet, mußte jedoch auf Verbleib im Barbyschen -Hause verzichten, weil im Kasino eine kleine Festlichkeit -stattfand, der er beiwohnen wollte.</p> - -<p>Der alte Graf ging, als unten die Droschke hielt, mühsamlich -auf seinem Zimmerteppich auf und ab, weil ihn sein -Fuß, wie stets, wenn das Wetter umschlug, mal wieder mit einer -ziemlich heftigen Neuralgie quälte.</p> - -<p>»Nun, da seid ihr ja wieder. Der Zug muß Verspätung -gehabt haben. Und wo ist Woldemar?«</p> - -<p>Man gab ihm Auskunft und daß Woldemar wegen seines -Nichterscheinens um Entschuldigung bäte. »Gut, gut. Und -nun setzt euch und erzählt. Mit dem Conte, das ließ damals -allerlei zu wünschen übrig … verzeih, Melusine. Da möcht -ich denn begreiflicherweise, daß es uns diesmal besser ginge. -Woldemar macht mir natürlich kein Kopfzerbrechen, aber die -Familie, der alte Stechlin. Armgard braucht selbstverständlich -auf eine so delikate Frage nicht zu antworten, wenn sie nicht -will, wiewohl erfahrungsmäßig ein Unterschied ist zwischen -Schwiegermüttern und Schwiegervätern. Diese sind mitunter -verbindlicher als der Sohn.«</p> - -<p>Armgard lachte. »Mir, Papa, passiert so was Nettes nicht.<span class="pagenum"><a id="Seite_335">[335]</a></span> -Aber mit Melusine war es wieder das Herkömmliche. Der -alte Stechlin fing an, und der Pastor folgte. Wenigstens -schien es mir so.«</p> - -<p>»Dann bin ich beruhigt, vorausgesetzt, daß Melusine über -den neuen Schwiegervater ihren richtigen alten Vater nicht -vergißt.«</p> - -<p>Sie ging auf ihn zu und küßte ihm die Hand.</p> - -<p>»Dann bin ich beruhigt,« wiederholte der Alte. »Melusine -gefällt fast immer. Aber manchem gefällt sie freilich auch nicht. -Es gibt so viele Menschen, die haben einen natürlichen Haß -gegen alles, was liebenswürdig ist, weil sie selber unliebenswürdig -sind. Alle beschränkten und aufgesteiften Individuen, -alle, die eine bornierte Vorstellung vom Christentum haben – -das richtige sieht ganz anders aus –, alle Pharisäer und Gernegroß, -alle Selbstgerechten und Eiteln fühlen sich durch Personen -wie Melusine gekränkt und verletzt, und wenn sich der alte Stechlin -in Melusine verliebt hat, dann lieb ich ihn schon darum, denn -er ist dann eben ein guter Mensch. Mehr brauch ich von ihm -gar nicht zu wissen. Übrigens konnt es kaum anders sein. Der -Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch umgekehrt: -wenn ich den Apfel kenne, kenn ich auch den Stamm … Und -wer war denn noch da? Ich meine, von Verwandtschaft?«</p> - -<p>»Nur noch Tante Adelheid von Kloster Wutz,« sagte Armgard.</p> - -<p>»Das ist die Schwester des Alten?«</p> - -<p>»Ja, Papa. Ältere Schwester. Wohl um zehn Jahr älter -und auch nur Halbschwester. Und eine Domina.«</p> - -<p>»Sehr fromm?«</p> - -<p>»Das wohl eigentlich nicht.«</p> - -<p>»Du bist so einsilbig. Sie scheint dir nicht recht gefallen -zu haben.«</p> - -<p>Armgard schwieg.</p> - -<p>»Nun, Melusine, dann sprich du. Nicht fromm also; das -ist gut. Aber vielleicht <em class="antiqua">hautaine</em>?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_336">[336]</a></span></p> - -<p>»Fast könnte man's sagen,« antwortete Melusine. »Doch -paßt es auch wieder nicht recht, schon deshalb nicht, weil es ein -französisches Wort ist. Tante Adelheid ist eminent unfranzösisch.«</p> - -<p>»Ah, ich versteh. Also komische Figur.«</p> - -<p>»Auch das nicht so recht, Papa. Sagen wir einfach, zurückgeblieben, -vorweltlich.«</p> - -<p>Der alte Graf lachte. »Ja, das ist in allen alten Familien -so, vor allem bei reichen und vornehmen Juden. Kenne das -noch von Wien her, wo man überhaupt solche Fragen studieren -kann. Ich verkehrte da viel in einem großen Bankierhause, -drin alles nicht bloß voll Glanz, sondern auch voll Orden -und Uniformen war. Fast zuviel davon. Aber mit einem -Male traf ich in einer Ecke, ganz einsam und doch beinah vergnüglich, -einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte Gobbo -– der in dem Stück von Shakespeare vorkommt – aussah, -und als ich mich später bei einem Tischnachbar erkundigte, wer -denn das sei, da hieß es: ›Ach, das ist ja Onkel Manasse.‹ Solche -Onkel Manasses gibt es überall, und sie können unter Umständen -auch Tante Adelheid heißen.«</p> - -<p>Daß der alte Graf das so leicht nahm, erfreute die Töchter -sichtlich, und als Jeserich bald danach das Teezeug brachte, -wurd auch Armgard mitteilsamer und erzählte zunächst von -Superintendent Koseleger und Pastor Lorenzen, danach vom -Stechlinsee (der ganz überfroren gewesen sei, so daß sie die berühmte -Stelle nicht hätten sehen können) und zuletzt von dem -Museum und den Wetterfahnen.</p> - -<p>Diese waren das, was den alten Grafen am meisten interessierte. -»Wetterfahnen, ja, die müssen gesammelt werden, -nicht bloß alte Dragoner in Blech geschnitten, sondern auch -allermodernste Silhouetten, sagen wir aus der Diplomatenloge. -Da kommt dann schon eine ganz hübsche Galerie zusammen. -Und wißt ihr, Kinder, das mit dem Museum gibt mir<span class="pagenum"><a id="Seite_337">[337]</a></span> -erst eine richtige Vorstellung von dem Alten und eine volle Befriedigung, -beinah mehr noch, als daß ihm Melusine gefallen -hat. Ich bin sonst nicht für Sammler. Aber wer Wetterfahnen -sammelt, das will doch was sagen, das ist nicht bloß eine gute -Seele, sondern auch eine kluge Seele, denn es is da so was drin, -wie ein Fingerknips gegen die Gesellschaft. Und wer den -machen kann, das ist mein Mann, mit dem kann ich leben.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Man blieb nicht lange mehr beisammen; beide Schwestern, -ziemlich ermüdet von der Tagesanstrengung, zogen sich früh -zurück, aber ihr Gespräch über Schloß Stechlin und die beiden -Geistlichen und vor allem über die Domina (gegen die Melusine -heftig eiferte) setzte sich noch in ihrem Schlafzimmer fort.</p> - -<p>»Ich glaube,« sagte Armgard, »du legst zuviel Gewicht -auf das, was du das Ästhetische nennst. Und Woldemar tut -es leider auch. Er läßt auf seine Mark Brandenburg sonst nichts -kommen, aber in diesem Punkte spricht er beinah so wie du. -Wohin er blickt, überall vermißt er das Schönheitliche. Das -Wenige, was danach aussieht, so klagt er beständig, sei bloß -Nachahmung. Aus eignem Trieb heraus würde hier nichts -der Art geboren.«</p> - -<p>»Und daß er so klagt, das ist das, was ich so ziemlich am -meisten an ihm schätze. Du meinst, daß ich, wenn ich von der -Domina spreche, zuviel Gewicht auf diese doch bloß äußerlichen -Dinge lege. Glaube mir, diese Dinge sind nicht bloß äußerlich. -Wer kein feines Gefühl hat, sei's in Kunst, sei's im Leben, der -existiert für mich überhaupt nicht und für meine Freundschaft -und Liebe nun schon ganz gewiß nicht. Da hast du mein Programm. -Unser ganzer Gesellschaftszustand, der sich wunder -wie hoch dünkt, ist mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von -dem du doch soviel hältst, hat sich ganz in diesem Sinne gegen -mich ausgesprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die -Heidenzeit, die wir jetzt so verständnislos bemängeln! Und<span class="pagenum"><a id="Seite_338">[338]</a></span> -selbst unser ›dunkles Mittelalter‹ – schönheitlich stand es höher -als wir, und seine Scheiterhaufen, wenn man nicht gleich selbst -an die Reihe kam, waren gar nicht so schlimm.«</p> - -<p>»Ich erlebe noch,« lachte Armgard, »daß du nen neuen -Kreuzzug oder ähnliches predigst. Aber wir sind von unserm -eigentlichen Thema ganz abgekommen, von der Domina. Du -sagtest, ihre Gefühle widersprächen sich untereinander. Welche -Gefühle?«</p> - -<p>»Darauf ist leicht Antwort geben. Erst beglückwünscht sie -sich zu sich selbst, und hinterher ärgert sie sich über sich selbst. -Und daß sie das <em class="gesperrt">muß</em>, daran sind wir schuld, und das kann sie -uns nicht verzeihn.«</p> - -<p>»Ich würde vielleicht zustimmen, wenn das, was du da -sagst, nicht gar so eitel klänge … Sie hat übrigens einen guten -Verstand.«</p> - -<p>»Den hat sie, gewiß, den haben sie alle hier oder doch die -meisten. Aber ein guter Verstand, soviel er ist, ist auch wieder -recht wenig, und schließlich – ich muß leider zu diesem Berolinismus -greifen – ist diese gute Domina doch nichts weiter -als eine Stakete, lang und spitz. Und nicht mal grün gestrichen.«</p> - -<p>»Und der Alte? <em class="gesperrt">Der</em> wenigstens wird doch vor deiner Kritik -bestehn.«</p> - -<p>»O, der; der ist <em class="antiqua">hors concours</em> und geht noch über Woldemar -hinaus. Was meinst du, wenn ich den Alten heiratete?«</p> - -<p>»Sprich nicht so, Melusine. Ich weiß ja recht gut, wie das -alles von dir gemeint ist, Übermut und wieder Übermut. Aber -er ist doch am Ende noch nicht so steinalt. Und <em class="gesperrt">du</em>, so lieb ich -dich habe, du bist schließlich imstande, dich in solche Kompliziertheiten -von Schwiegervater und Schwager, alles in einem, -und womöglich noch allerhand dazu, zu verlieben.«</p> - -<p>»Jedenfalls mehr als in <em class="gesperrt">den</em>, der diese Kompliziertheiten -darstellt oder gar erst schaffen soll … Also sei ruhig, freundlich -Element.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_339">[339]</a></span></p> - -<h3 id="Dreiunddreissigstes_Kapitel">Dreiunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Das war in den letzten Dezembertagen; auf Ende Februar -hatte man die Hochzeit des jungen Paares festgesetzt. In der -Zwischenzeit war seitens des alten Grafen erwogen worden, -ob die Trauung nicht doch vielleicht auf einem der Barbyschen -Elbgüter stattfinden solle; die Braut selbst aber war dagegen gewesen -und hatte mit einer ihr sonst nicht eignen Lebhaftigkeit -versichert: sie hänge an der Armee, weshalb sie – ganz abgesehn -von ihrem teuren Frommel – die Berliner Garnisonkirche weit -vorziehe. Daß diese, nach Ansicht vieler, bloß ein großer Schuppen -sei, habe für sie gar keine Bedeutung; was ihr an der Garnisonkirche -soviel gelte, das seien die großen Erinnerungen, und -ein Gotteshaus, drin die Schwerins und die Zietens ständen -(und wenn sie nicht drin ständen, so doch andre, die kaum schlechter -wären) – eine historisch so bevorzugte Stelle wäre ihr an -ihrem Trautage viel lieber als ihre Familienkirche, trotz der -Särge so vieler Barbys unterm Altar. Woldemar war sehr -glücklich darüber, seine Braut so preußisch-militärisch zu finden, -die denn auch, als einmal die Zukunft und mit ihr die Frage -nach ›Verbleib oder Nichtverbleib‹ in der Armee durchgesprochen -wurde, lachend erwidert hatte: »Nein, Woldemar, nicht jetzt -schon Abschied; ich bin sehr für Freiheit, aber doch beinah mehr -noch für Major.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Auf drei Uhr war die Trauung festgesetzt. Schon eine halbe -Stunde vorher erschien der Brautwagen und hielt vor dem -Schickedanzschen Hause, dessen Flur auszuschmücken sich die -Frau Versicherungssekretärin nicht hatte nehmen lassen. Von -der Treppe bis auf das Trottoir hinaus waren zu beiden Seiten -Blumenestraden aufgestellt, auf denen die Lieblinge der Frau -Schickedanz in einer Schönheit und Fülle standen, als ob es -sich um eine Maiblumenausstellung gehandelt hätte. Hinter<span class="pagenum"><a id="Seite_340">[340]</a></span> -den verschiedenen Estraden aber hatten alle Hausbewohner Aufstellung -genommen, Lizzi, Frau Imme und sämtliche Hartwigs -und natürlich auch Hedwig, die, nach ganz kurzem Dienst -im Kommerzienrat Seligmannschen Hause, vor etwa acht Tagen -ihre Stelle wieder aufgegeben hatte.</p> - -<p>»Gott, Hedwig, war es denn wieder so was?«</p> - -<p>»Nein, Frau Imme, diesmal war es mehr.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Frommel traute. Die Kirche war dicht besetzt, auch von -bloß Neugierigen, die sich, ehe die große Orgel einsetzte, die -merkwürdigsten Dinge mitzuteilen hatten. Die Barbys seien -eigentlich Italiener aus der Gegend von Neapel, und der alte -Graf, was man ihm auch noch ansehe, sei in seinen jungen -Jahren unter den Carbonaris gewesen; aber mit einem Male -hab er geschwenkt und sei zum Verräter an seiner heiligen Sache -geworden. Und weil in solchem Falle jedesmal einer zur Vollstreckung -der Gerechtigkeit ausgelost würde (was der Graf -auch recht gut gewußt habe), hab er vorsichtigerweise seine schöne -Heimat verlassen und sei nach Berlin gekommen und sogar -an den Hof. Und Friedrich Wilhelm <em class="antiqua">IV.</em>, der ihn sehr gern gemocht, -hab auch immer Italienisch mit ihm gesprochen.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das Hochzeitsmahl fand im Barbyschen Hause statt, notgedrungen -<em class="antiqua">en petit comité</em>, da das große Mittelzimmer, auch -bei geschicktester Anordnung, immer nur etwa zwanzig Personen -aufnehmen konnte. Der weitaus größte Teil der Gesellschaft -setzte sich aus uns schon bekannten Personen zusammen, obenan -natürlich der alte Stechlin. Er war gern gekommen, trotzdem -ihm die Weltabgewandtheit, in der er lebte, den Entschluß -anfänglich erschwert hatte. Tante Adelheid fehlte. »Trösten -wir uns,« sagte Melusine mit einer ihr kleidenden Überheblichkeit. -Selbstverständlich waren die Berchtesgadens da, desgleichen -Rex und Czako, sowie Cujacius und Wrschowitz.<span class="pagenum"><a id="Seite_341">[341]</a></span> -Außerdem ein behufs Abschluß seiner landwirtschaftlichen -Studien erst seit kurzem in Berlin lebender junger Baron von -Planta, Neffe der verstorbenen Gräfin, zu dem sich zunächst -ein Premierleutnant von Szilagy (Freund und früherer Regimentskamerad -von Woldemar) und des weiteren ein Doktor -Pusch gesellte, den die Barbys noch von ihren Londoner Tagen -her gut kannten. Dem Brautpaare gegenüber saßen die beiden -Väter, beziehungsweise Schwiegerväter. Da weder der eine -noch der andre zu den Rednern zählte, so ließ Frommel das -Brautpaar in einem Toaste leben, drin Ernst und Scherz, -Christlichkeit und Humor in glücklichster Weise verteilt waren. -Alles war entzückt, der alte Stechlin, Frommels Tischnachbar, -am meisten. Beide Herren hatten sich schon vorher angefreundet, -und als nach Erledigung des offiziellen Toastes das Tischgespräch -ganz allgemein wieder in Konversation mit dem Nachbar überging, -sahen sich Frommel und der alte Stechlin in Anknüpfung -einer intimeren Privatunterhaltung nicht weiter behindert.</p> - -<p>»Ihr Herr Sohn,« sagte Frommel, »wovon ich mich persönlich -überzeugen konnte, wohnt sehr hübsch. Darf ich daraus -schließen, daß Sie sich bei ihm einlogiert haben?«</p> - -<p>»Nein, Herr Hofprediger. So bei Kindern wohnen ist immer -mißlich. Und mein Sohn weiß das auch; er kennt den Geschmack -oder meinetwegen auch bloß die Schrullenhaftigkeit seines -Vaters, und so hat er mich, was immer das Beste bleibt, in -einem Hotel untergebracht.«</p> - -<p>»Und Sie sind da zufrieden?«</p> - -<p>»Im höchsten Maße, wiewohl es ein bißchen über mich -hinausgeht. Ich bin noch aus der Zeit von Hotel de Brandebourg, -an dem mich immer nur die Französierung ärgerte, -– sonst alles vorzüglich. Aber solche Gasthäuser sind eben, -seit wir Kaiser und Reich sind, mehr oder weniger altmodisch -geworden, und so bin ich denn durch meinen Sohn im Hotel -Bristol untergebracht worden. Alles ersten Ranges, kein Zweifel,<span class="pagenum"><a id="Seite_342">[342]</a></span> -wozu noch kommt, daß mich der bloße Name schon erheitert, -der neuerdings jeden Mitbewerb so gut wie ausschließt. Als ich -noch Leutnant war, freilich lange her, mußten alle Witze von -Glasbrenner oder von Beckmann sein. Beckmann war erster -Komiker, und wenn man in Gesellschaft sagte: ›da hat ja wieder -der Beckmann …‹, so war man mit seiner Geschichte so gut wie -raus. Und wie damals mit den Witzen, so heute mit den Hotels. -Alle müssen ›Bristol‹ heißen. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, -wie gerade Bristol dazu kommt. Bristol ist doch am Ende -nur ein Ort zweiten Ranges, aber Hotel Bristol ist immer -prima. Ob es hier wohl Menschen gibt, die Bristol je gesehn -haben? Viele gewiß nicht, denn Schiffskapitäne, die zwischen -Bristol und Newyork fahren, sind in unserm guten Berlin -immer noch Raritäten. Übrigens darf ich bei allem Respekt -vor meinem berühmten Hotel sagen, unberühmte sind meist -interessanter. So zum Beispiel bayrische Wirtshäuser im Gebirge, -wo man eine dicke Wirtin hat, von der es heißt, sie sei -mal schön gewesen und ein Kaiser oder König habe ihr den Hof -gemacht. Und dazu dann Forellen und ein Landjäger, der -eben einen Wilderer oder Haberfeldtreiber über den stillen See -bringt. An solchen Stellen ist es am schönsten. Und ist der See -aufgeregt, so ist es noch schöner. Das alles würde mir unser -Baron Berchtesgaden, der da drüben sitzt, gewiß gern bestätigen, -und Sie, Herr Hofprediger, bestätigen es mir schließlich -auch. Denn mir fällt eben ein, Sie waren ja mit unserm guten -Kaiser Wilhelm, dem letzten Menschen, der noch ein wirklicher -Mensch war, immer in Gastein zusammen und viel an seiner -Seite. Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten -Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß -noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man -durchaus zu einem ›Über‹ machen will. Ich habe von solchen -Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, -nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren<span class="pagenum"><a id="Seite_343">[343]</a></span> -sind, sonst könnte man verzweifeln. Und daneben unser -alter Wilhelm! Wie war er denn so, wenn er so still seine -Sommertage verbrachte? Können Sie mir was von ihm erzählen? -So was, woran man ihn so recht eigentlich erkennt.«</p> - -<p>»Ich darf sagen ›ja‹, Herr von Stechlin. Habe so was mit -ihm erlebt. Eine ganz kleine Geschichte; aber das sind gerade -die besten. Da hatten wir mal einen schweren Regentag in -Gastein, so daß der alte Herr nicht ins Freie kam und, statt -draußen in den Bergen, in seinem großen Wohnzimmer -seinen gewohnten Spaziergang machen mußte, so gut es eben -ging. Unter ihm aber (was er wußte) lag ein Schwerkranker. -Und nun denken Sie sich, als ich bei dem guten alten Kaiser eintrete, -seh ich ihn, wie er da lange Läufer und Teppiche zusammenschleppt -und übereinander packt, und als er mein Erstaunen -sieht, sagt er mit einem unbeschreiblichen und mir unvergeßlichen -Lächeln: ›Ja, lieber Frommel, da unter mir liegt -ein Kranker; ich mag nicht, daß er die Empfindung hat, ich -trample ihm da so über den Kopf hin …‹ Sehn Sie, Herr -von Stechlin, da haben Sie den alten Kaiser.«</p> - -<p>Dubslav schwieg und nickte. »Wie beneid ich Sie, so was -erlebt zu haben,« hob er nach einer Weile an. »Ich kannt ihn -auch ganz gut, das heißt in Tagen, wo er noch Prinz Wilhelm -war, und dann oberflächlich auch später noch. Aber seine eigentliche -Zeit ist doch seine Kaiserzeit.«</p> - -<p>»Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächst der Mensch mit -seinen größern Zwecken.«</p> - -<p>»Richtig, richtig,« sagte Dubslav, »das schwebte mir auch -vor; ich konnt es bloß nicht gleich finden. Ja, so war er, und -so einen kriegen wir nicht wieder. Übrigens sag ich das in aller -Reverenz. Denn ich bin kein Frondeur. <span id="corr343">Fronde ist</span> mir gräßlich -und paßt nicht für uns. Bloß mitunter, da paßt sie doch vielleicht.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_344">[344]</a></span></p> - -<p class="drop">Inzwischen war die siebente Stunde herangekommen, -und um halb acht ging der Zug, mit dem das junge Paar noch -bis Dresden wollte, dieser herkömmlich ersten Etappe für jede -Hochzeitsreise nach dem Süden. Man erhob sich von der Tafel, -und während die Gäste, bunte Reihe machend, untereinander -zu plaudern begannen, zogen sich Woldemar und Armgard -unbemerkt zurück. Ihr Reisegepäck war seit einer Stunde schon -voraus, und nun hielt auch der viersitzige Wagen vor dem -Barbyschen Hause. Die Baronin und Melusine hatten sich -zur Begleitung des jungen Paares miteinander verabredet -und nahmen jetzt, ohne daß Woldemar und Armgard es -hindern konnten, die beiden Rücksitze des Wagens ein. Das ergab -aber, besonders zwischen den zwei Schwestern, eine vollkommene -Rang- und Höflichkeitsstreiterei. »Ja, wenn es jetzt in die -Kirche ginge,« sagte Armgard, »so hättest du recht. Aber unser -Wagen ist ja schon wieder ein ganz einfacher Landauer geworden, -und Woldemar und ich sind, vier Stunden nach der Trauung, -schon wieder wie zwei gewöhnliche Menschen. Und sich dessen -bewußt zu werden, damit kann man nicht früh genug anfangen.«</p> - -<p>»Armgard, du wirst mir zu gescheit,« sagte Melusine.</p> - -<p>Man einigte sich zuletzt, und als der Wagen am Anhalter -Bahnhof eintraf, waren Rex und Czako bereits da – beide -mit Riesensträußen –, zogen sich aber unmittelbar nach Überreichung -ihrer Buketts wieder zurück. Nur die Baronin und -Melusine blieben noch auf dem Bahnsteig und warteten unter -lebhafter Plauderei bis zum Abgange des Zuges. In dem -von dem jungen Paare gewählten Coupé befanden sich noch -zwei Reisende; der eine, blond und artig und mit goldener Brille, -konnte nur ein Sachse sein, der andre dagegen, mit Pelz und -Juchtenkoffer, war augenscheinlich ein »Internationaler« aus -dem Osten oder selbst aus dem Südosten Europas.</p> - -<p>Nun aber hörte man das Signal, und der Zug setzte sich in -Bewegung.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_345">[345]</a></span></p> - -<p class="drop">Die Baronin und Melusine grüßten noch mit ihren Tüchern. -Dann bestiegen sie wieder den draußen haltenden Wagen. -Es war ein herrliches Wetter, einer jener Vorfrühlingstage, -wie sie sich gelegentlich schon im Februar einstellen.</p> - -<p>»Es ist so schön,« sagte Melusine. »Benutzen wir's. Ich -denke, liebe Baronin, wir fahren hier zunächst am Kanal hin -in den Tiergarten hinein und dann an den Zelten vorbei bis -in Ihre Wohnung.«</p> - -<p>Eine Weile schwiegen beide Damen; im Augenblick aber, -wo sie von dem holprigen Pflaster in den stillen Asphaltweg -einbogen, sagte die Baronin: »Ich begreife Stechlin nicht, -daß er nicht ein Coupé apart genommen.«</p> - -<p>Melusine wiegte den Kopf.</p> - -<p>»Den mit der goldenen Brille,« fuhr die Baronin fort, -»den nehm ich nicht schwer. Ein Sachse tut keinem was und ist -auch kaum eine Störung. Aber der andre mit dem Juchtenkoffer. -Er schien ein Russe, wenn nicht gar ein Rumäne. Die -arme Armgard. Nun hat sie ihren Woldemar und hat ihn auch -wieder nicht.«</p> - -<p>»Wohl ihr.«</p> - -<p>»Aber Gräfin …«</p> - -<p>»Sie sind verwundert, liebe Baronin, mich das sagen zu -hören. Und doch hat's damit nur zu sehr seine Richtigkeit: -gebranntes Kind scheut das Feuer.«</p> - -<p>»Aber Gräfin …«</p> - -<p>»Ich verheiratete mich, wie Sie wissen, in Florenz und -fuhr an demselben Abende noch bis Venedig. Venedig ist in -einem Punkte ganz wie Dresden: nämlich erste Station bei -Vermählungen. Auch Ghiberti – ich sage immer noch lieber -›Ghiberti‹ als ›mein Mann‹; ›mein Mann‹ ist überhaupt ein -furchtbares Wort – auch Ghiberti also hatte sich für Venedig -entschieden. Und so hatten wir denn den großen Apennintunnel -zu passieren.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_346">[346]</a></span></p> - -<p>»Weiß, weiß. Endlos.«</p> - -<p>»Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da wer mit -uns gewesen, ein Sachse, ja selbst ein Rumäne. Wir waren -aber allein. Und als ich aus dem Tunnel heraus war, wußt -ich, welchem Elend ich entgegenlebte.«</p> - -<p>»Liebste Melusine, wie beklag ich Sie; wirklich, teuerste -Freundin, und ganz aufrichtig. Aber so gleich ein Tunnel. -Es ist doch auch wie ein Schicksal.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Rex und Czako hatten sich unmittelbar nach Überreichung -ihrer Buketts vom Bahnhof her in die Königgrätzerstraße -zurückgezogen, und hier angekommen, sagte Czako: »Wenn -es Ihnen recht ist, Rex, so gehen wir bis in das Restaurant -Bellevue.«</p> - -<p>»Tasse Kaffee?«</p> - -<p>»Nein; ich möchte gern was Ordentliches essen. Drei Löffel -Suppe, ne Forelle <em class="antiqua">en miniature</em> und ein Poulardenflügel, – -das ist zu wenig für meine Verhältnisse. Rund heraus, ich -habe Hunger.«</p> - -<p>»Sie werden sich zu gut unterhalten haben.«</p> - -<p>»Nein, auch das nicht. Unterhaltung sättigt außerdem, -wenigstens Menschen, die, wie ich, wenn Sie auch drüber lachen, -aufs Geistige gestellt sind. Ein bißchen mag ich übrigens an -meinem elenden Zustande selbst schuld sein. Ich habe nämlich -immer nur die Gräfin angesehn und begreife nach wie vor unsren -Stechlin nicht. Nimmt da die Schwester! Er hatte doch am -Ende die Wahl. Der kleine Finger der Gräfin (und ihr kleiner -Zeh nun schon ganz gewiß) ist mir lieber als die ganze Komtesse.«</p> - -<p>»Czako, Sie werden wieder frivol.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_347">[347]</a></span></p> - -<h3 id="Vierunddreissigstes_Kapitel">Vierunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Unter den Hochzeitsgästen hatte sich, wie schon kurz erwähnt, -auch ein Doktor Pusch befunden, ein gewandter und durchaus -weltmännisch wirkender Herr mit gepflegtem, aber schon -angegrautem Backenbart. Er war vor etwa fünfundzwanzig -Jahren an der Assessorecke gescheitert und hatte damals nicht -Lust gehabt, sich ein zweites Mal in die Zwickmühle nehmen zu -lassen. »Das Studium der Juristerei ist langweilig und die -Karriere hinterher miserabel« – so war er denn als Korrespondent -für eine große rheinische Zeitung nach England gegangen -und hatte sich dort auf der deutschen Botschaft einzuführen -gewußt. Das ging so durch Jahre. Ziemlich um dieselbe -Zeit aber, wo der alte Graf seine Londoner Stellung aufgab, -war auch Doktor Pusch wieder flügge geworden und hatte sich nach -Amerika hinüber begeben. Er fand indessen das Freie dort -freier, als ihm lieb war, und kehrte sehr bald, nachdem er es erst -in Newyork, dann in Chikago versucht hatte, nach Europa zurück. -Und zwar nach Deutschland. »Wo soll man am Ende -leben?« Unter dieser Betrachtung nahm er schließlich in Berlin -wieder seinen Wohnsitz. Er war ungeniert von Natur und ein -klein wenig überheblich. Als wichtigstes Ereignis seiner letzten -sieben Jahre galt ihm sein Übertritt vom Pilsener zum Weihenstephan. -»Sehen Sie, meine Herren, vom Weihenstephan zum -Pilsener, das kann jeder; aber das Umgekehrte, das ist was. -Chinesen werden christlich, gut. Aber wenn ein Christ ein -Chinese wird, das ist doch immer noch eine Sache von Belang.«</p> - -<p>Pusch, als er sich in Berlin niederließ, hatte sich auch bei -den Barbys wieder eingeführt; Melusine entsann sich seiner -noch, und der alte Graf war froh, die zurückliegenden Zeiten -wieder durchsprechen und von Sandrigham und Hatfieldhouse, -von Chatsworth und Prembroke-Lodge plaudern zu können. -Eigentlich paßte der etwas weitgehende Ungeniertheitston,<span class="pagenum"><a id="Seite_348">[348]</a></span> -in dem der Doktor seiner Natur wie seiner Newyorker Schulung -nach zu sprechen liebte, nicht sonderlich zu den Gepflogenheiten -des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder ein gewisser -Reiz darin, ein Reiz, der sich noch verdoppelte durch das, -was Pusch aus aller Welt Enden mitzuteilen wußte. Brillanter -Korrespondent, der er war, unterhielt er Beziehungen zu den -Ministerien und, was fast noch schwerer ins Gewicht fiel, auch -zu den Gesandtschaften. Er hörte das Gras wachsen. Auf -Titulaturen ließ er sich nicht ein; die vielen Telegramme hatten -einen gewissen allgemeinen Telegrammstil in ihm gezeitigt, -dessen er sich nur entschlug, wenn er ins Ausmalen kam. Es -war im Zusammenhang damit, daß er gegen Worte wie: »Wirklicher -Geheimer Oberregierungsrat« einen förmlichen Haß -unterhielt. Herzog von Ujest oder Herzog von Ratibor waren -ihm, trotz ihrer Kürze, immer noch zu lang, und so warf er denn -statt ihrer einfach mit »Hohenlohes« um sich. In der Tat, er -hatte mancherlei Schwächen. Aber diese waren doch auch wieder -von eben so vielen Tugenden begleitet. So beispielsweise sah -er über alles, was sich an Liebesgeschichten ereignete, mit einer -beinah vornehmen Gleichgültigkeit hinweg, was manchem sehr -zu paß kam. Ob dies Drüberhinsehn bloß Geschäftsmaxime -war, oder ob er all dergleichen einfach alltäglich und deshalb -mehr oder weniger langweilig fand, war nicht recht festzustellen; -er kultivierte dafür mit Vorliebe das Finanzielle, vielleicht davon -ausgehend, daß, wer die Finanzen hat, auch selbstverständlich -alles andere hat, besonders die Liebe.</p> - -<p>Das war <em class="antiqua">Dr.</em> Pusch. Er schloß sich, als man aufbrach, -einer Gruppe von Personen an, die den »angerissenen Abend« -noch in einem Lokal verbringen wollten.</p> - -<p>»Ja, wo?«</p> - -<p>»Natürlich Siechen.«</p> - -<p>»Ach, Siechen. Siechen ist für Philister.«</p> - -<p>»Nun denn also, beim ›schweren Wagner‹.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_349">[349]</a></span></p> - -<p>»Noch philiströser. Ich bin für Weihenstephan.«</p> - -<p>»Und ich für Pilsener.«</p> - -<p>Man einigte sich schließlich auf ein Lokal in der Friedrichstraße, -wo man beides haben könne.</p> - -<p>Die Herren, die dahin aufbrachen, waren außer Pusch noch -der junge Baron Planta, dann Cujacius und Wrschowitz und -abschließend Premierleutnant von Szilagy, der, wie schon -angedeutet, früher bei den Gardedragonern gestanden, aber -wegen einer großen Generalbegeisterung für die Künste, das -Malen und Dichten obenan, schon vor etlichen Jahren seinen -Abschied genommen hatte. Mit seinen Genrebildern war er -nicht recht von der Stelle gekommen, weshalb er sich neuerdings -der Novellistik zugewandt und einen Sammelband unter -dem bescheidenen Titel »<em class="antiqua">Bellis perennis</em>« veröffentlicht hatte. -Lauter kleine Liebesgeschichten.</p> - -<p>Alle fünf Herren, mit alleiniger Ausnahme des jungen -Graubündner Barons, erwiesen sich von Anfang an als ziemlich -aufgeregt, und jeder ihnen Zuhörende hätte sofort das -Gefühl haben müssen, daß hier viel Explosionsstoff aufgehäuft -sei. Trotzdem ging es zunächst gut; Wrschowitz hielt sich in -Grenzen, und selbst Cujacius, der nicht gern andern das Wort -ließ, freute sich über Puschs Schwadronage, vielleicht weil er -nur das heraushörte, was ihm gerade paßte.</p> - -<p>Leutnant von Szilagy – man kam vom Hundertsten aufs -Tausendste – wurde bei den Fragen, die hin und her gingen, -von ungefähr auch nach seinem Novellenbande gefragt und -ob er Freude daran gehabt habe.</p> - -<p>»Nein, meine Herren,« sagte Szilagy, »das kann ich leider -nicht sagen. Ich habe <em class="antiqua">Bellis perennis</em> auf eigne Kosten herstellen -lassen und hundertzehn Rezensionsexemplare verschickt, -unter Beilegung eines Zettels; der ist denn auch von einigen -Zeitungen abgedruckt worden, aber nur von ganz wenigen. -Im übrigen schweigt die Kritik.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_350">[350]</a></span></p> - -<p>»O, Krittikk« sagte Wrschowitz. »Ich liebe Krittikk. Aber -gutte Krittikk schweigt.«</p> - -<p>»Und doch,« fuhr Szilagy fort, der sich in dem etwas delphischen -Ausspruch des guten Wrschowitz nicht gleich zurechtfinden -konnte, »doch sind diese schmerzlichen Gefühle nichts -gegen das, was voraufgegangen. Ich unterhielt nämlich vor -Erscheinen des Buches selbst die Hoffnung in mir, einige dieser -kleinen Arbeiten in einem Parteiblatt und, als dies mißlang, in -einem Familienjournal unterbringen zu können. Aber ich -scheiterte …«</p> - -<p>»Ja, natürlich scheiterten Sie,« sagte Pusch, »das spricht -für Sie. Lassen Sie sich sagen und raten, denn ich weiß in -diesen Dingen einigermaßen Bescheid. War nämlich drüben, -ja ich darf beinah sagen, ich war doppelt drüben, erst drüben -in England und dann drüben in Amerika. Da versteht man's. -Ja, du lieber Himmel, dies bedruckte Löschpapier! Man lebt -davon und es regiert eigentlich die Welt. Aber, aber … Und -dabei, wenn ich recht gehört habe, sprachen Sie von Parteiblatt, -– furchtbar. Und dann sprachen Sie von Familienjournal, -– zweimal furchtbar!«</p> - -<p>»Haben Sie selbst Erfahrungen gemacht auf diesem schwierigen -Gebiete?«</p> - -<p>»Nein, Herr von Szilagy, so tief ließ mich die Gnade nicht -sinken. Aber ich treibe mein Wesen über dem Strich, und wenn -man so Wand an Wand wohnt, da weiß man doch einigermaßen, -wie's bei dem Nachbar aussieht. Ach, und außerdem, -wie so mancher hat mir sein Herz ausgeschüttet und mir dabei -seine liebe Not geklagt! Wer's nicht leicht nimmt, der ist verloren. -Roman, Erzählung, Kriminalgeschichte. Jeder, der der -großen Masse genügen will, muß ein Loch zurückstecken. Und -wenn er das redlich getan hat, dann immer noch eins. Es gibt -eine Normalnovelle. Etwa so: tiefverschuldeter adeliger Assessor -und ›Sommerleutnant‹ liebt Gouvernante von stupender<span class="pagenum"><a id="Seite_351">[351]</a></span> -Tugend, so stupende, daß sie, wenn geprüft, selbst auf diesem -schwierigsten Gebiete bestehen würde. Plötzlich aber ist ein alter -Onkel da, der den halb entgleisten Neffen an eine reiche Cousine -standesgemäß zu verheiraten wünscht. Höhe der Situation! -Drohendster Konflikt. Aber in diesem bedrängten Moment -entsagt die Cousine nicht nur, sondern vermacht ihrer Rivalin -auch ihr Gesamtvermögen. Und wenn sie nicht gestorben sind, -so leben sie heute noch … Ja, Herr von Szilagy, wollen Sie -damit konkurrieren?«</p> - -<p>Alles stimmte zu; nur Baron Planta meinte: »Doktor Pusch, -Pardon, aber ich glaube beinah, Sie übertreiben. Und Sie -wissen es auch.«</p> - -<p>Pusch lachte: »Wenn man etwas der Art sagt, übertreibt man -immer. Wer ängstlich abwägt, sagt gar nichts. Nur die scharfe -Zeichnung, die schon die Karikatur streift, macht eine Wirkung. -Glauben Sie, daß Peter von Amiens den ersten Kreuzzug zusammengetrommelt -hätte, wenn er so etwa beim Erdbeerpflücken -einem Freunde mitgeteilt hätte, das Grab Christi sei -vernachlässigt und es müsse für ein Gitter gesorgt werden?!«</p> - -<p>»Serr gutt, serr gutt.«</p> - -<p>»Und so auch, meine Herren, wenn ich von moderner Literatur -spreche. Herr von Szilagy, den wir so glücklich sind unter -uns zu sehn, soll aufgerichtet, seine Seele soll mit neuem Vertrauen -erfüllt werden. Oder aber mit Heiterkeit, was noch besser -ist. Er soll wieder lachen können. Und wenn man solche Wirkung -erzielen will, ja, dann muß man eben deutlich und zugleich -etwas phantastisch sprechen. Indessen auch ernsthaft -angesehen, wie steht es denn mit der Herstellung (ich vermeide -mit Vorbedacht das Wort ›Schöpfung‹) oder gar mit dem Verschleiß -der meisten dieser Dinge! Lassen Sie mich in einem -Bilde sprechen. Da haben wir jetzt in unsern Blumenläden -allerlei Kränze, voran den aus Eichenlaub und Lorbeer bestehenden -und meist noch behufs besserer Dauerbarkeit auf eine herzhafte<span class="pagenum"><a id="Seite_352">[352]</a></span> -Weidenrute geflochtenen Urkranz. Und nun treten Sie, -je nach der Situation, an die sich Ihnen mit betrübter oder auch -mit lächelnder Miene nähernde Kranzbinderin heran, um zu -Begräbnis oder Trauung Ihre Bestellung zu machen, zu drei -Mark oder zu fünf oder zu zehn. Und genau dieser Bestellung -entsprechend, werden in den vorgeschilderten Urkranz etliche -Georginen oder Teichrosen eingebunden und bei stattgehabter -Höchstbewilligung sogar eine Orchidee von ganz unglaublicher -Form und Farbe.«</p> - -<p>»Kenne die Orchidee,« rief Wrschowitz in höchster Ekstase, -»lila mit gelb.«</p> - -<p>Pusch nickte, zugleich in steigendem Übermut fortfahrend: -»Und genau so mit der Urnovelle. Die liegt fertig da wie der -Urkranz; nichts fehlt als der Aufputz, der nunmehr freundschaftlich -verabredet wird. Bei Höchstbewilligung wird ein Verstoß -gegen die Sittlichkeit eingeflochten. Das ist dann die große -Orchidee, lila mit gelb, wie Freund Wrschowitz sehr richtig -hervorgehoben hat.«</p> - -<p>»Unter diesen Umständen,« bemerkte hier Baron Planta, -»will es mir als ein wahres Glück erscheinen, daß Herr von -Szilagy, wie ich höre, mehrere Eisen im Feuer hat. Was ihm -die Novellistik schuldig bleibt, muß ihm die Malerei bringen.«</p> - -<p>»Was sie leider bisher nicht tat und mutmaßlich auch nie -tun wird,« lachte Szilagy halb wehmütig, »trotzdem ich vom -Genrebild aus, mit dem ich anfing, eine Schwenkung gemacht -und mich unter Anleitung meines Freundes Salzmann neuerdings -der Marinemalerei zugewandt habe. Mitunter auch -Bataillen. Und was die blauen Töne betrifft, so darf ich vielleicht -behaupten, hinter keinem zurückgeblieben zu sein. Habe -mich außerdem in Gudin und William Turner vergafft. Aber -trotzdem …«</p> - -<p>»Aber trotzdem ohne rechten Erfolg,« unterbrach hier Cujacius, -»was mich nicht Wunder nimmt. Was wollen Sie mit<span class="pagenum"><a id="Seite_353">[353]</a></span> -Gudin oder gar mit Turner? Wer das Meer malen will, muß -nach Holland gehn und die alten Niederländer studieren. Und -unter den Modernen vor allem die Skandinaven: die Norweger, -die Dänen.«</p> - -<p>Wrschowitz zuckte zusammen.</p> - -<p>»Wir haben da beispielsweise den Melby, Däne <em class="antiqua">pur sang</em>, -der sehr gut und beinah bedeutend ist.«</p> - -<p>»O nein, nein,« platzte jetzt Wrschowitz mit immer mehr -erzitternder Stimme heraus. »Nicht serr gutt, nicht bedeutend, -auch nicht einmal <em class="gesperrt">beinah</em> bedeutend.«</p> - -<p>»Der <em class="gesperrt">sehr</em> bedeutend ist,« wiederholte Cujacius. »Grade -darin bedeutend, daß er nicht bedeutend sein will. Er erhebt -keine falschen Prätensionen; er ist schlicht, ohne Phantastereien, -aber stimmungsvoll; und wenn ich Bilder von -ihm sehe, besonders solche, wo das graublaue Meer an einer -Klippe brandet, so berührt mich das jedesmal spezifisch skandinavisch, -etwa wie der ossianische Meereszauber in den Kompositionen -unsers trefflichen Niels Gade.«</p> - -<p>»Niels Gade? Von Niels Gade spricht man nicht.«</p> - -<p>»Ich spreche von Niels Gade. Seine Kompositionen reichen -bis an Mendelssohn heran.«</p> - -<p>»Was ihn nicht größer macht.«</p> - -<p>»Doch, mein Herr Doktor. Wirkliche Kunstgrößen zu stürzen, -dazu reichen Überheblichkeiten nicht aus.«</p> - -<p>»Was Sie nicht abhielt, mein Herr Professor, den großen -Gudin culbütieren zu wollen.«</p> - -<p>»Über Malerei zu sprechen steht mir zu.«</p> - -<p>»Über Musik zu sprechen steht mir zu.«</p> - -<p>»Sonderbar. Immer Personen aus unkontrollierbaren -Grenzbezirken führen bei uns das große Wort.«</p> - -<p>»Ich bin Tscheche. Weiß aber, daß es ein deutsches Sprichwort -gibt: ›Der Deutsche lüggt, wenn er höfflich wird.‹«</p> - -<p>»Weshalb ich unter Umständen darauf verzichte.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_354">[354]</a></span></p> - -<p>»<em class="antiqua">En quoi vous réussissez à merveille.</em>«</p> - -<p>»Aber, meine Herren,« warf Pusch hier ein, den die ganze -Streiterei natürlich entzückte, »könnten wir nicht das Kriegsbeil -begraben? Proponiere: Begegnung auf halbem Wege; -<em class="antiqua">shaking hands</em>. Nehmen Sie zurück, hüben und drüben.«</p> - -<p>»Nie,« donnerte Cujacius.</p> - -<p>»<em class="antiqua">Jamais</em>,« sagte Wrschowitz.</p> - -<p>Und damit erhoben sich alle. Cujacius und Pusch hatten -die Tete, Wrschowitz und Baron Planta folgten in einiger -Entfernung. Szilagy war vorsichtigerweise abgeschwenkt.</p> - -<p>Wrschowitz, immer noch in großer Erregung, mühte sich, -dem jungen Graubündner auseinanderzusetzen, daß Cujacius -ganz allgemein den Ruf eines Krakeelers habe. »<em class="antiqua">Je vous -assure, Monsieur le Baron, il est un fou et plus que ça – un -blagueur.</em>«</p> - -<p>Baron Planta schwieg und schien seinen Begleiter im Stich -lassen zu wollen. Aber er bekehrte sich, als er einen Augenblick -danach von der Front her die mit immer steigender Heftigkeit -ausgestoßenen Worte hörte: Kaschube, Wende, Böhmake.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Fuenfunddreissigstes_Kapitel">Fünfunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Um dieselbe Stunde, wo sich die fünf Herren von der Barbyschen -Hochzeitstafel entfernt hatten, waren auch Baron Berchtesgaden -und Hofprediger Frommel aufgebrochen, so daß sich, -außer dem Brautvater, nur noch der alte Stechlin im Hochzeitshause -befand. Dieser hatte sich – Melusine war vom Bahnhofe -noch nicht wieder da – vom Eßsaal her zunächst in das -verwaiste Damenzimmer und von diesem aus auf die Loggia -zurückgezogen, um da die Lichter im Strom sich spiegeln zu sehn -und einen Zug frische Luft zu tun. An dieser Stelle fand ihn -denn auch schließlich der alte Graf und sagte, nachdem er seinem<span class="pagenum"><a id="Seite_355">[355]</a></span> -Staunen über den gesundheitlich etwas gewagten Aufenthalt -Ausdruck gegeben hatte: »Nun aber, mein lieber Stechlin, -wollen wir endlich einen kleinen Schwatz haben und uns näher -miteinander bekannt machen. Ihr Zug geht erst zehn ein halb; -wir haben also noch beinah anderthalb Stunden.«</p> - -<p>Und dabei nahm er Dubslavs Arm, um ihn in sein Wohnzimmer, -das bis dahin als Estaminet gedient hatte, hinüberzuführen.</p> - -<p>»Erlauben Sie mir,« fuhr er hier fort, »daß ich zunächst -mein halb eingewickeltes und halb eingeschientes Elefantenbein -auf einen Stuhl strecke; es hat mich all die Zeit über ganz -gehörig gezwickt, und namentlich das Stehen vor dem Altar -ist mir blutsauer geworden. Bitte, rücken Sie heran. Es ging -während unsers kleinen Diners alles so rasch, und ich wette, -Sie sind bei dem Kaffee ganz erheblich zu kurz gekommen. Der -Moment, wo das Bier herumgereicht wird, ist in den Augen des -modernen Menschen immer das wichtigste; da wird dann -der Kaffeezeit manches abgeknapst.«</p> - -<p>Und dabei drückte er auf den Knopf der Klingel.</p> - -<p>»Jeserich, noch eine Tasse für Herrn von Stechlin und -natürlich einen Kognak oder Curaçao oder lieber die ganze -›Benediktinerabtei‹, – Witz von Cujacius, für den Sie mich -also nicht verantwortlich machen dürfen … Leider werde ich -Ihnen bei diesem ›zweiten Kaffee‹ nicht Gesellschaft leisten können; -ich habe mich schon bei Tische mit einer lügnerisch und bloß anstandshalber -in einen Champagnerkübel gestellten Apollinarisflasche -begnügen müssen. Aber was hilft es, man will doch -nicht auffallen mit all seinen Gebresten.«</p> - -<p>Dubslav war der Aufforderung des alten Grafen nachgekommen -und saß, eine Lampe mit grünem Schirm zwischen -sich und ihm, seinem Wirte gerade gegenüber. Jeserich kam -mit der Tablette.</p> - -<p>»Den Kognak,« fuhr der alte Barby fort, »kann ich Ihnen<span class="pagenum"><a id="Seite_356">[356]</a></span> -empfehlen; noch Beziehungen aus Zeiten her, wo man mit -einem Franzosen ungeniert sprechen und nach einer guten Firma -fragen konnte. Waren Sie siebzig noch mit dabei?«</p> - -<p>»Ja, so halb. Eigentlich auch das kaum. Aus meinem -Regiment war ich lange heraus. Nur als Johanniter.«</p> - -<p>»Ganz wie ich selber.«</p> - -<p>»Eine wundervolle Zeit, dieser Winter siebzig,« fuhr Dubslav -fort, »auch rein persönlich angesehn. Ich hatte damals das, -was mir zeitlebens, wenn auch nicht absolut, so doch mehr als -wünschenswert gefehlt hatte: Fühlung mit der großen Welt. -Es heißt immer, der Adel gehöre auf seine Scholle, und je mehr -er mit der verwachse, desto besser sei es. Das ist auch richtig. -Aber etwas ganz Richtiges gibt es nicht. Und so muß ich denn -sagen, es war doch was Erquickliches, den alten Wilhelm so -jeden Tag vor Augen zu haben. Hab ihn freilich immer nur -flüchtig gesehn, aber auch das war schon eine Herzensfreude. -Sie nennen ihn jetzt den ›Großen‹ und stellen ihn neben Fridericus -Rex. Nun, so einer war er sicherlich nicht, an den reicht -er nicht ran. Aber als Mensch war er ihm über, und das gibt, -mein ich, in gewissem Sinne den Ausschlag, wenn auch zur -›Größe‹ noch was anders gehört. Ja, der alte Fritz! Man -kann ihn nicht hoch genug stellen; nur in einem Punkte find -ich trotzdem, daß wir eine falsche Position ihm gegenüber einnehmen, -gerade wir vom Adel. Er war nicht so sehr für uns, -wie wir immer glauben oder wenigstens nach außen hin versichern. -Er war für sich und für das Land oder, wie er zu sagen -liebte, ›für den Staat‹. Aber daß wir als Stand und Kaste -so recht was von ihm gehabt hätten, das ist eine Einbildung.«</p> - -<p>»Überrascht mich, aus Ihrem Munde zu hören.«</p> - -<p>»Ist aber doch wohl richtig. Wie lag es denn eigentlich? -Wir hatten die Ehre, für König und Vaterland hungern und -dursten und sterben zu dürfen, sind aber nie gefragt worden, -ob uns das auch passe. Nur dann und wann erfuhren wir,<span class="pagenum"><a id="Seite_357">[357]</a></span> -daß wir ›Edelleute‹ seien und als solche mehr ›Ehre‹ hätten. -Aber damit war es auch getan. In seiner innersten Seele rief -er uns eigentlich genau dasselbe zu wie den Grenadieren bei -Torgau. Wir waren Rohmaterial und wurden von ihm mit -meist sehr kritischem Auge betrachtet. Alles in allem, lieber -Graf, find ich unser Jahr dreizehn eigentlich um ein Erhebliches -größer, weil alles, was geschah, weniger den Befehlscharakter -trug und mehr Freiheit und Selbstentschließung hatte. Ich -bin nicht für die patentierte Freiheit der Parteiliberalen, aber -ich bin doch für ein bestimmtes Maß von Freiheit überhaupt. -Und wenn mich nicht alles täuscht, so wird auch in unsern Reihen -allmählich der Glaube lebendig, daß wir uns dabei – besonders -auch rein praktisch-egoistisch – am besten stehn.«</p> - -<p>Der alte Barby freute sich sichtlich dieser Worte. Dubslav -aber fuhr fort: »Übrigens, <em class="gesperrt">das</em> muß ich sagen dürfen, lieber -Graf, Sie wohnen hier brillant an Ihrem Kronprinzenufer; -ein entzückender Blick, und Fremde würden vielleicht kaum -glauben, daß an unsrer alten Spree so was Hübsches zu finden -sei. Die Niederlassungs- und speziell die Wohnungsfrage spielt -doch, wo sich's um Glück und Behagen handelt, immer stark -mit, und gerade Sie, der Sie so lange draußen waren, werden, -ehe Sie hier dies Visavis von unsrer Jungfernheide wählten, -nicht ohne Bedenken gewesen sein. In bezug auf die Landschaft -gewiß und in bezug auf die Menschen vielleicht.«</p> - -<p>»Sagen wir, auch da gewiß. Ich hatte wirklich solche Bedenken. -Aber sie sind niedergekämpft. Vieles gefiel mir durchaus -nicht, als ich, nach langen, langen Jahren, aus der Fremde -wieder nach hier zurückkam, und vieles gefällt mir auch noch -nicht. Überall ein zu langsames Tempo. Wir haben in jedem -Sinne zuviel Sand um uns und in uns, und wo viel Sand ist, -da will nichts recht vorwärts, immer bloß hü und hott. Aber -dieser Sandboden ist doch auch wieder tragfähig, nicht glänzend, -aber sicher. Er muß nur, und vor allem der moralische, die richtige<span class="pagenum"><a id="Seite_358">[358]</a></span> -Witterung haben, also zu rechter Zeit Regen und Sonnenschein. -Und ich glaube, Kaiser Friedrich hätt ihm diese Witterung -gebracht.«</p> - -<p>»Ich glaub es nicht,« sagte Dubslav.</p> - -<p>»Meinen Sie, daß es ihm schließlich doch nicht ein rechter -Ernst mit der Sache war?«</p> - -<p>»O nein, nein. Es war ihm Ernst, ganz und gar. Aber -es würd ihm zu schwer gemacht worden sein. Rund heraus, -er wäre gescheitert.«</p> - -<p>»Woran?«</p> - -<p>»An seinen Freunden vielleicht, an seinen Feinden gewiß. -Und das waren die Junker. Es heißt immer, das Junkertum -sei keine Macht mehr, die Junker fräßen den Hohenzollern aus -der Hand und die Dynastie züchte sie bloß, um sie für alle Fälle -parat zu haben. Und das ist eine Zeitlang vielleicht auch richtig -gewesen. Aber heut ist es nicht mehr richtig, es ist heute grundfalsch. -Das Junkertum (trotzdem es vorgibt, seine Strohdächer -zu flicken, und sie gelegentlich vielleicht auch wirklich flickt), dies -Junkertum – und ich bin inmitten aller Loyalität und Devotion -doch stolz, dies sagen zu können – hat in dem Kampf -dieser Jahre kolossal an Macht gewonnen, mehr als irgendeine -andre Partei, die Sozialdemokratie kaum ausgeschlossen, und -mitunter ist mir's, als stiegen die seligen Quitzows wieder aus -dem Grabe herauf. Und wenn das geschieht, wenn unsre Leute -sich auf das besinnen, worauf sie sich seit über vierhundert -Jahren nicht mehr besonnen haben, so können wir was erleben. -Es heißt immer: ›unmöglich.‹ Ah bah, was ist unmöglich? -Nichts ist unmöglich. Wer hätte vor dem 18. März den -18. März für möglich gehalten, für möglich in diesem echten -und rechten Philisternest Berlin! Es kommt eben alles mal -an die Reihe; das darf nicht vergessen werden. Und die Armee! -Nun ja. Wer wird etwas gegen die Armee sagen? Aber jeder -glückliche General ist immer eine Gefahr! Und unter Umständen<span class="pagenum"><a id="Seite_359">[359]</a></span> -auch noch andre. Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder -an, unsren Zivil-Wallenstein. Aus dem hätte schließlich doch -Gott weiß was werden können.«</p> - -<p>»Und Sie glauben,« warf der Graf hier ein, »an dieser -scharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich gescheitert?«</p> - -<p>»Ich glaub es.«</p> - -<p>»Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wär es schließlich -ein Glück, daß es nach den neunundneunzig Tagen anders kam -und wir nicht vor diese Frage gestellt wurden.«</p> - -<p>»Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark liberalen -Zug hat (ich kann es nicht loben und mag's nicht tadeln) oft -über diese Sache gesprochen. Er war natürlich für Neuzeit, also -für Experimente … Nun hat er inzwischen das bessere Teil -erwählt, und während wir hier sprechen, ist er schon über Trebbin -hinaus. Sonderbar, ich bin nicht allzuviel gereist, aber immer, -wenn ich an diesem märkischen Neste vorbeikam, hatt ich das -Gefühl: ›jetzt wird es besser, jetzt bist du frei.‹ Ich kann sagen, -ich liebe die ganze Sandbüchse da herum, schon bloß aus diesem -Grunde.«</p> - -<p>Der alte Graf lachte behaglich. »Und Trebbin wird sich -von dieser Ihrer Schwärmerei nichts träumen lassen. Übrigens -haben Sie recht. Jeder lebt zu Hause mehr oder weniger wie in -einem Gefängnis und will weg. Und doch bin ich eigentlich -gegen das Reisen überhaupt und speziell gegen die Hochzeitsreiserei. -Wenn ich so Personen in ein Coupé nach Italien einsteigen -sehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieses ›höchste -Glück auf Erden‹ nicht mehr mitmachen zu müssen. Es ist doch -eigentlich eine Qual, und die Welt wird auch wieder davon -zurückkommen; über kurz oder lang wird man nur noch reisen, -wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon steigt, -bloß von Berufs wegen. Aber nicht um des Vergnügens willen. -Und wozu denn auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. -In alten Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht<span class="pagenum"><a id="Seite_360">[360]</a></span> -sich das Wunder und der Berg kommt zu uns. Das Beste vom -Parthenon sieht man in London und das Beste von Pergamum -in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, -nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich (am Kupfergraben) -im Laufe des Vormittags in Mykenä und nachmittags -in Olympia ergehn.«</p> - -<p>»Ganz Ihrer Meinung, teuerster Graf. Aber doch zugleich -auch ein wenig betrübt, Sie so dezidiert gegen alle Reiserei zu -finden. Ich stand nämlich auf dem Punkte, Sie nach Stechlin -hin einzuladen, in meine alte Kate, die meine guten Globsower -unentwegt ein ›Schloß‹ nennen.«</p> - -<p>»Ja, lieber Stechlin, Ihre ›Kate‹, das ist was andres. -Und um Ihnen ganz die Wahrheit zu sagen, wenn Sie mich -nicht eingeladen hätten (eigentlich ist es ja noch nicht geschehn, -aber ich greife bereits vor), so hätt ich mich bei Ihnen angemeldet. -Das war schon lange mein Plan.«</p> - -<p>In diesem Augenblicke ging draußen die Klingel. Es war -Melusine.</p> - -<p>»Bringe den Vätern, respektive Schwiegervätern allerschönste -Grüße. Die Kinder sind jetzt mutmaßlich schon über Wittenberg, -die große Luther- beziehungsweise Apfelkuchenstation, -hinaus, und in weniger als zwei Stunden fahren sie in den -Dresdener Bahnhof ein. O diese Glücklichen! Und dabei verwett -ich mich, Armgard hat bereits Sehnsucht nach Berlin -zurück. Vielleicht sogar nach mir.«</p> - -<p>»Kein Zweifel,« sagte Dubslav. Die Gräfin selbst aber fuhr -fort: »Ehe man nämlich ganz Abschied von dem alten Leben -nimmt, sehnt man sich noch einmal gründlich danach zurück. -Freilich, Schwester Armgard wird weniger davon empfinden -als andere. Sie hat eben den liebenswürdigsten und besten -Mann, und ich könnt ihn ihr beinah beneiden, trotzdem ich noch -im Abschiedsmoment einen wahren Schreck kriegte, als ich ihn -sagen hörte, daß er morgen vormittag mit ihr vor die Sixtinische<span class="pagenum"><a id="Seite_361">[361]</a></span> -Madonna treten wolle. Worte, bei denen er noch dazu -wie verklärt aussah. Und das find ich einfach unerhört. Warum, -werden Sie mich vielleicht fragen. Nun denn, weil es erstens eine -Beleidigung ist, sich auf eine Madonna so extrem zu freuen, wenn -man eine Braut oder gar eine junge Frau zur Seite hat, und -zweitens, weil dieser geplante Galeriebesuch einen Mangel -an Disposition und Ökonomie bedeutet, der mich für Woldemars -ganze Zukunft besorgt machen kann. Diese Zukunft liegt -doch am Ende nach der agrarischen Seite hin, und richtige ›Dispositionen‹ -bedeuten in der Landwirtschaft so gut wie alles.«</p> - -<p>Der alte Graf wollte widersprechen, aber Melusine ließ -es nicht dazu kommen und fuhr ihrerseits fort: »Jedenfalls -– das ist nicht wegzudisputieren – fährt unser Woldemar -jetzt in das Land der Madonnen hinein und will da mutmaßlich -mit leidlich frischen Kräften antreten; wenn er sich aber -schon in Deutschland etappenweise vertut, so wird er, wenn er -in Rom ist, wohl sein Programm ändern und im Café Cavour -eine Berliner Zeitung lesen müssen, statt nebenan im Palazzo -Borghese Kunst zu schwelgen. Ich sage mit Vorbedacht: -eine <em class="gesperrt">Berliner</em> Zeitung, denn wir werden jetzt Weltstadt und -wachsen mit unserer Presse schon über Charlottenburg hinaus … -Übrigens läßt, wie das junge Paar, so auch die Baronin bestens -grüßen. Eine reizende Frau, Herr von Stechlin, die grad Ihnen -ganz besonders gefallen würde. Glaubt eigentlich gar nichts -und geriert sich dabei streng katholisch. Das klingt widersinnig -und ist doch richtig und reizend zugleich. All die Süddeutschen -sind überhaupt viel netter als wir, und die nettesten, weil die -natürlichsten, sind die Bayern.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_362">[362]</a></span></p> - -<h2 id="Sonnenuntergang">Sonnenuntergang</h2> - -<h3 id="Sechsunddreissigstes_Kapitel">Sechsunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf seinem Granseer -Bahnhof eintraf, fand da Martin und seinen Schlitten bereits -vor. Engelke hatte zum Glück für warme Sachen gesorgt, -denn es war inzwischen recht kalt geworden. Im ersten Augenblicke -tat dem Alten, in dessen Coupé die herkömmliche Stickluft -gebrütet hatte, der draußen wehende Ostwind überaus -wohl; sehr bald aber stellte sich ein Frösteln ein. Schon tags -zuvor, bei Beginn seiner Reise, war ihm nicht so recht zumute -gewesen, Kopfweh, Druck auf die Schläfe; jetzt war derselbe -Zustand wieder da. Trotzdem nahm er's leicht damit und sah in -das Sterngeflimmer über ihm. Die wie Riesenbesen aufragenden -Pappeln warfen dunkle, groteske Schatten über den Weg, -während er die nach links und rechts hin liegenden toten Schneefelder -mit den wechselnden Bildern alles dessen, was ihm der -zurückliegende Tag gebracht harte, belebte. Da sah er wieder -die mit rotem Teppich belegte Hotel-Marmortreppe mit dem -Oberkellner in Gesandtschaftsattachéhaltung, und im nächsten -Augenblicke den Garnisonkirchenküster, den er anfänglich für -einen zur Feier eingeladenen Konsistorialrat gehalten hatte. -Daneben aber stand die blasse, schöne Braut und die reizende, -bieg- und schmiegsame Melusine. »Ja, der alte Barby, wenn -er auf <em class="gesperrt">die</em> sieht, der hat's gut, der kann es aushalten. Immer -einen guten und klugen Menschen um sich haben, immer was<span class="pagenum"><a id="Seite_363">[363]</a></span> -hören und sehen, was einen anlacht und erquickt, das ist was. -Aber ich! Ich für meinen Teil, gleichviel ob mit oder ohne -Schuld, ich war immer nur auf ein Pflichtteil gesetzt, – als -Kind, weil ich faul war, und als Leutnant, weil ich nicht recht was -hatte. Dann kam ein Lichtblick. Aber gleich danach starb sie, -die mir Stab und Stütze hätte sein können, und durch all die -dreißig Jahre, die seitdem kamen und gingen, blieb mir nichts -als Engelke (der noch das Beste war) und meine Schwester -Adelheid. Gott, verzeih mir's, aber ein Trost war die nicht; -immer bloß herbe wie'n Holzapfel.«</p> - -<p>Unter solchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf ein und -hielt gleich danach vor der Tür seines alten Hauses. Engelke -war schon da, half ihm und tat sein Bestes, ihn aus der schweren -Wolfsschur herauszuwickeln. Der immer noch Fröstelnde -stapfte dabei mit den Füßen, warf seinen Staatshut – den er -unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal verwünscht -hatte – mit ersichtlicher Befriedigung beiseite und sagte gleich -danach beim Eintreten in sein Zimmer: »Ach, das is recht, Engelke. -Du hast ein Feuer gemacht; du weißt, was einem alten -Menschen gut tut. Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl -unten noch heißes Wasser ist? So'n fester Grog, der sollte mir -jetzt passen; ich friere Stein und Bein.«</p> - -<p>»Heiß Wasser is nicht mehr, gnädiger Herr. Aber ich kann -ja ne Kasseroll aufstellen. Oder noch besser, ich hole den Petroleumkocher.«</p> - -<p>»Nein, nein, Engelke, nicht soviel Umstände. Das mag -ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erst recht nich; da -kriegt man bloß Kopfweh, und ich habe schon genug davon. -Aber bringe mir den Kognak und kaltes Wasser. Und wenn -man dann so halb und halb nimmt, dann is es so gut, als wär -es ganz heiß gewesen.«</p> - -<p>Engelke brachte, was gefordert, und eine Viertelstunde danach -ging Dubslav zu Bett.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_364">[364]</a></span></p> - -<p class="drop">Er schlief auch gleich ein. Aber bald war er wieder wach -und druste nur noch so hin. So kam endlich der Morgen heran.</p> - -<p>Als Engelke zu gewohnter Stunde das Frühstück brachte, -schleppte sich Dubslav mühsamlich von seinem Schlafzimmer bis -an den Frühstückstisch. Aber es schmeckte ihm nicht. »Engelke, -mir ist schlecht; der Fuß ist geschwollen, und das mit dem Kognak -gestern abend war auch nicht richtig. Sage Martin, daß er -nach Gransee fährt und Doktor Sponholz mitbringt. Und wenn -Sponholz nicht da ist – der arme Kerl kutschiert in einem fort -rum; ohne Landpraxis geht es nicht –, dann soll er warten, -bis er kommt.«</p> - -<p>Es traf sich so, wie Dubslav vermutet hatte; Sponholz -war wirklich auf Landpraxis und kam erst nachmittags zurück. -Er aß einen Bissen und stieg dann auf den Stechliner Wagen.</p> - -<p>»Na, Martin, was macht denn der gnädge Herr?«</p> - -<p>»Joa, Herr Doktor, ick möt doch seggen, he seiht en beten -verännert ut; em wihr schon nich so recht letzten Sünndag, -un doa müßt he joa nu grad nach Berlin. Un ick weet schon, -wenn ihrst een nach Berlin muß, denn is ook ümmer wat los. -Ick weet nich, wat se doa mit'n ollen Minschen moaken.«</p> - -<p>»Ja, Martin, das ist die große Stadt. Da übernehmen sie -sich denn. Und dann war ja auch Hochzeit. Da werden sie -wohl ein bißchen gepichelt haben. Und vorher die kalte Kirche. -Und dazu so viele feine Damen. Daran ist der gnädge Herr nicht -mehr gewöhnt, und dann will er sich berappeln und strengt sich -an, und da hat man denn gleich was weg.«</p> - -<p>Es dämmerte schon, als der kleine Jagdwagen auf der -Rampe vorfuhr. Sponholz stieg aus, und Engelke nahm ihm -den grauen Mantel mit Doppelkragen ab und auch die hohe -Lammfellmütze, darin er – freilich das einzige an ihm, das -diese Wirkung ausübte – wie ein Perser aussah.</p> - -<p>So trat er denn bei Dubslav ein. Der alte Herr saß an -seinem Kamin und sah in die Flamme.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_365">[365]</a></span></p> - -<p>»Nun, Herr von Stechlin, da bin ich. War über Land. -Es geht jetzt scharf. Jeder dritte hustet und hat Kopfweh. -Natürlich Influenza. Ganz verdeubelte Krankheit.«</p> - -<p>»Na, <em class="gesperrt">die</em> wenigstens hab ich nicht.«</p> - -<p>»Kann man nicht wissen. Ein bißchen fliegt jedem leicht -an. Nun, wo sitzt es?«</p> - -<p>Dubslav wies auf sein rechtes Bein und sagte: »Stark geschwollen. -Und das andre fängt auch an.«</p> - -<p>»Hm. Na, wollen mal sehen. Darf ich bitten?«</p> - -<p>Dubslav zog sein Beinkleid herauf, den Strumpf herunter -und sagte: »Da is die Bescherung. Gicht ist es nicht. Ich habe -keine Schmerzen … Also was andres.«</p> - -<p>Sponholz tippte mit dem Finger auf dem geschwollenen -Fuß herum und sagte dann: »Nichts von Belang, Herr von -Stechlin. Einhalten, Diät, wenig trinken, auch wenig Wasser. -Das verdammte Wasser drückt gleich nach oben, und dann haben -Sie Atemnot. Und von Medizin bloß ein paar Tropfen. Bitte -bleiben Sie sitzen; ich weiß ja Bescheid hier.« Und dabei ging er -an Dubslavs Schreibtisch heran, schnitt sich ein Stück Papier -ab und schrieb ein Rezept. »Ihr Kutscher, das wird das beste -sein, kann bei der Apotheke gleich mit vorfahren.«</p> - -<p>Im Vorflur, nach Verabschiedung von Dubslav, fuhr -Sponholz alsbald wieder in seinen Mantel. Engelke half ihm -und sagte dabei: »Na, Herr Doktor?«</p> - -<p>»Nichts, nichts, Engelke!«</p> - -<p>Martin mit seinem Jagdwagen hielt noch wartend auf -der Rampe draußen, und so ging es denn in rascher Fahrt -wieder nach der Stadt zurück, von wo der alte Kutscher die -Tropfen gleich mitbringen sollte.</p> - -<p>Der Winterabend dämmerte schon, als Martin zurück war -und die Medizin an Engelke abgab. Der brachte sie seinem -Herrn.</p> - -<p>»Sieh mal,« sagte dieser, als er das rundliche Fläschchen<span class="pagenum"><a id="Seite_366">[366]</a></span> -in Händen hielt, »die Granseer werden jetzt auch fein. Alles -in rosa Seidenpapier gewickelt.« Auf einem angebundenen -Zettel aber stand: »Herrn Major von Stechlin. Dreimal täglich -zehn Tropfen.« Dubslav hielt die kleine Flasche gegen das -Licht und tröpfelte die vorgeschriebene Zahl in einen Löffel voll -Wasser. Als er sie genommen hatte, bewegte er die Lippen -hin und her, etwa wie wenn ein Kenner eine neue Weinsorte -probt. Dann nickte er und sagte: »Ja, Engelke, nu geht es los. -Fingerhut.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Der alte Dubslav nahm durch mehrere Tage hin seine -Tropfen ganz gewissenhaft und fand auch, daß sich's etwas -bessere. Die Geschwulst ging um ein geringes zurück. Aber die -Tropfen nahmen ihm den Appetit, so daß er noch weniger aß, -als ihm gestattet war.</p> - -<p>Es war ein schöner Frühmärzentag, die Mittagszeit schon -vorüber. Dubslav saß an der weit offenstehenden Glastür -seines Gartensalons und las die Zeitung. Es schien indes, -daß ihm das, was er las, nicht sonderlich gefiel. »Ach, Engelke, -die Zeitung ist ja soweit ganz gut; nur so für den ganzen Tag -ist sie doch zu wenig. Du könntest mir lieber ein Buch bringen.«</p> - -<p>»Was für eines?«</p> - -<p>»Is egal.«</p> - -<p>»Da liegt ja noch das kleine gelbe Buch: ›Keine Lupine -mehr!‹«</p> - -<p>»Nein, nein; nicht so was. Lupine, davon hab ich schon -so viel gelesen; das wechselt in einem fort, und eins ist so dumm -wie das andre. Die Landwirtschaft kommt doch nicht wieder -obenauf oder wenigstens nicht durch so was. Bringe mir -lieber einen Roman; früher in meiner Jugend sagte man -Schmöker. Ja, damals waren alle Wörter viel besser als jetzt. -Weißt du noch, wie ich mir in dem Jahre, wo ich Zivil wurde, -den ersten Schniepel machen ließ? Schniepel is auch solch Wort<span class="pagenum"><a id="Seite_367">[367]</a></span> -und doch wahrhaftig besser als Frack. Schniepel hat so was -Fideles: Einsegnung, Hochzeit, Kindtaufe.«</p> - -<p>»Gott, gnädiger Herr, immer is es doch auch nicht so. -Die meisten Schniepel sind doch, wenn einer begraben wird.«</p> - -<p>»Richtig, Engelke. Wenn einer begraben wird. Das war -ein guter Einfall von dir. Früher würd ich gesagt haben ›zeitgemäß‹; -jetzt sagt man ›opportun‹. Hast du schon mal davon -gehört?«</p> - -<p>»Ja, gnädiger Herr, gehört hab ich schon mal davon.«</p> - -<p>»Aber nich verstanden. Na, ich eigentlich auch nich. Wenigstens -nicht so recht. Und du, du warst ja nich mal auf Schulen.«</p> - -<p>»Nein, gnädiger Herr.«</p> - -<p>»Alles in allem, sei froh drüber … Aber, Engelke, wenn -du mir nu ein Buch gebracht hast, dann will ich mich mit meinem -Stuhl doch lieber gleich auf die Veranda rausrücken. Es ist -wie Frühling heut. Solche guten Tage muß man mitnehmen. -Und bringe mir auch ne Decke. Früher war ich nich so fürs -Pimplige; jetzt aber heißt es: besser bewahrt als beklagt.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">In dem ganzen Dreieck zwischen Rheinsberg, Kloster Wutz -und Gransee hatte sich die Nachricht von des alten Dubslav -ernster Erkrankung mehr und mehr herumgesprochen, und es -war wohl im Zusammenhange damit, daß ungefähr um dieselbe -Stunde, wo Dubslav und Engelke sich über »Schniepel« -und »opportun« unterhielten, ein Einspänner auf die Stechliner -Rampe fuhr, ein etwas sonderbares Gefährt, dem der alte -Baruch Hirschfeld langsam und vorsichtig entstieg. Engelke -war ihm dabei behilflich und meldete gleich danach, daß der -Alte da sei.</p> - -<p>»Der alte Baruch! Um Gottes willen, Engelke, was will -denn der? Es ist ja doch glücklicherweise nichts los. Und so -ganz aus freien Stücken. Na, laß ihn kommen.«</p> - -<p>Und Baruch Hirschfeld trat gleich darauf ein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_368">[368]</a></span></p> - -<p>Dubslav, in seine Decke gewickelt, begrüßte den Alten. -»Aber, Baruch, um alles in der Welt, was gibt es? Was -bringen Sie? Gleichviel übrigens, ich freue mich, Sie zu sehn. -Machen Sie sich's so bequem, wie's auf den drei Latten eines -Gartenstuhls überhaupt möglich ist. Und dann noch einmal: -Was gibt es? Was bringen Sie?«</p> - -<p>»Herr Major wollen entschuldigen, es gibt nichts, und ich -bringe auch nichts. Ich kam da bloß so vorbei, Geschäfte mit -Herrn von Gundermann, und da wollt ich mir doch die Freiheit -genommen haben, mal nach der Gesundheit zu fragen. Habe -gehört, der Herr Major seien nicht ganz gut bei Wege.«</p> - -<p>»Nein, Baruch, nicht ganz gut bei Wege, beinahe schon -schlecht genug. Aber lassen wir das schlimme Neue; das Alte -war doch eigentlich besser (das heißt dann und wann), und manchmal -denk ich so an alles zurück, was wir so gemeinschaftlich -miteinander durchgemacht haben.«</p> - -<p>»Und immer glatt, Herr Major, immer glatt, ohne Schwierigkeiten.«</p> - -<p>»Ja,« lachte Dubslav, »<em class="gesperrt">gemacht</em> hab ich keine Schwierigkeiten, -aber <em class="gesperrt">gehabt</em> hab ich genug. Und das weiß keiner besser -als mein Freund Baruch. Und nun sagen Sie mir vor allem, -was macht Ihr Isidor, der große Volksfreund? Ist er mit -Torgelow noch zufrieden? Oder sieht er, daß sie da auch mit -Wasser kochen? Ich wundere mich bloß, daß ein Sohn von -Baruch Hirschfeld, Sohn und Firmateilhaber, so sehr für den -Umsturz ist.«</p> - -<p>»Nicht für den Umsturz, Herr Major. Isidor, wenn ich so -sagen darf, ist für die alte Valuta. Aber nebenher hat er ein -Herz für die Menschheit.«</p> - -<p>»Hat er? Na, das ist recht.«</p> - -<p>»Und das Herz für die Menschheit, das haben wir alle, Herr -Major. Und kommt uns dabei was heraus, so haben wir, -wenn ich so sagen darf, die Dividende. Gott der Gerechte,<span class="pagenum"><a id="Seite_369">[369]</a></span> -wir brauchen's. Und weil ich rede von Dividende, will ich -auch reden von Hypothek. Wir haben da seit letzten Freitag -'n Kapital, Granseer Bürger, und will's hergeben zu dreiundeinhalb.«</p> - -<p>»Nu, Baruch, das ist hübsch. Aber im Augenblick bin ich's -nicht benötigt. Vielleicht später mal mein Woldemar. Der hat, -wie Sie wissen, ne reiche Partie gemacht, und wer viel erheiratet, -der braucht auch viel. Man denkt immer, ›dann hört -es auf‹, aber das ist falsch, dann fängt es erst recht an. Unter -allen Umständen seien Sie bedankt, daß Sie mal haben sehen -wollen, wie's mit mir steht. Ich kann leider nur wiederholen, -schlecht genug. Aber eine Weile dauert es wohl noch. Und wenn -auch nicht, mit meinem Sohne wird sich, denk ich, gerade so wie -zwischen uns zwei beiden, alles glatt abwickeln, glatter noch, -und vielleicht können Sie gemeinschaftlich mal was Nettes -herauswirtschaften, was Ordentliches, was Großes, was sich -sehen lassen kann. Das heißt dann neue Zeit. Und nun, -Baruch, müssen Sie noch ein Glas Sherry nehmen. In unserm -Alter ist das immer das beste. Das heißt für Sie, der Sie noch -gut im Gange sind. Ich darf bloß noch mit anstoßen.«</p> - -<p>Eine Viertelstunde später fuhr Baruch auf seinem Wägelchen -wieder in den Stechliner Wald hinein und dachte wenig -befriedigt über alles nach, was er da drinnen gehört hatte. -Die geträumten Schloß-Stechlin-Tage schienen mit einemmale -für immer vorüber. Alles, was der alte Herr da so nebenher -von »gemeinschaftlich herauswirtschaften« gesagt hatte, war -doch bloß ein Stich, eine Pike gewesen.</p> - -<p>Ja, Baruch fühlte was wie Verstimmung. Aber Dubslav -auch. Es war ihm zu Sinn, als hätt er seinen alten Granseer -Geld- und Geschäftsfreund (trotzdem er dessen letzte Pläne nicht -einmal ahnte) zum erstenmal auf etwas Heimlichem und Verstecktem -ertappt, und als Engelke kam, um die Sherryflasche -wieder wegzuräumen, sagte er: »Engelke, mit Baruch is es auch<span class="pagenum"><a id="Seite_370">[370]</a></span> -nichts. Ich dachte wunder, was das für ein Heiliger wär, und -nun is der Pferdefuß doch schließlich rausgekommen. Wollte -mir da Geld auf Hypothek beinah aufzwingen, als ob ich nicht -schon genug davon hätte … Sonderbar, Uncke, mit seinem -ewigen ›zweideutig‹, wird am Ende doch recht behalten. Überhaupt -solche Polizeimenschen mit nem Karabiner über die Schulter, -das sind, bei Lichte besehn, immer die feinsten Menschenkenner. -Ich ärgere mich, daß ich's nicht eher gemerkt habe. So -dumm zu sein! Aber das mit der ›Krankheit‹ heute, das war -mir doch zuviel. Wenn sich die Menschen erst nach Krankheit erkundigen, -dann ist es immer schlimm. Eigentlich is es jedem -gleich, wie's einem geht. Und ich habe sogar welche gekannt, -die sahen sich, wenn sie so fragten, immer schon die Möbel und -Bilder an und dachten an nichts wie an Auktion.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Siebenunddreissigstes_Kapitel">Siebenunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Auch die nächsten Tage waren beinahe sommerlich, taten -dem Alten wohl und erleichterten ihm das Atmen. Er begann -wieder zu hoffen, sprach mit Wirtschaftsinspektor und Förster -und war nicht bloß voll wiedererwachten Interesses, sondern -überhaupt guter Dinge.</p> - -<p>So kam Mitte März heran. Der Himmel war blau, Dubslav -saß auf seiner Veranda, den kleinen Springbrunnen vor sich, -und sah dabei das leichte weiße Gewölk ziehen. Vom Park -her vernahm er den ersten Finkenschlag. Er mochte wohl schon -eine Stunde so gesessen haben, als Engelke kam und den Doktor -meldete.</p> - -<p>»Das ist recht, Sponholz, daß Sie kommen. Nicht um -mir zu helfen (das ist immer schlimm, wenn einem erst geholfen -werden soll), nein, um zu sehen, daß Sie mir schon geholfen haben. -Diese Tropfen. Es ist doch was damit. Wenn sie nur nicht so<span class="pagenum"><a id="Seite_371">[371]</a></span> -schlecht schmeckten; ich muß mir immer einen Ruck geben. -Und daß sie so grün sind. Grün ist Gift, heißt es bei den Leuten. -Eigentlich eine ganz dumme Vorstellung. Wald und Wiese -sind auch grün und doch so ziemlich unser Bestes.«</p> - -<p>»Ja, es ist ein Spezifikum. Und ich bin froh, daß die -Digitalis hier bei Ihnen mal wieder zeigt, was sie kann. Und -ich bin doppelt froh, weil ich mich auf sechs Wochen von Ihnen -verabschieden muß.«</p> - -<p>»Auf sechs Wochen. Aber Doktor, das is ja ne halbe Ewigkeit. -Haben Sie Schulden gemacht und sollen in Prison?«</p> - -<p>»Man könnte beinahe so was denken. Denn so lange Gransee -historisch beglaubigt dasteht, ist noch kein Doktor auf sechs -Wochen weg gewesen, noch dazu ein Kreisphysikus. Eine -Doktorexistenz gestattet solchen Luxus nicht. Wie lebt man -denn hier? Und wie hat man gelebt? Immer Furunkel aufgeschnitten, -immer Karbolwatte, immer in den Wagen gestiegen, -immer einem alten Erdenbürger seinen Entlassungsschein -ausgestellt oder einen neuen Erdenbürger geholt. Und -nun sechs Wochen weg. Wie ich meinen Kreis wiederfinden -werde … nu, vielleicht hat Gott ein Einsehen.«</p> - -<p>»Er ist doch wohl eigentlich der beste Assistenzarzt.«</p> - -<p>»Und vor allem der billigste. Der andre, den ich mir aus -Berlin habe verschreiben müssen (ach, und so viel Schreiberei), -der ist teurer. Und meine Reise kommt mir ohnedies schon -teuer genug.«</p> - -<p>»Aber wohin denn, Doktor?«</p> - -<p>»Nach Pfäffers.«</p> - -<p>»Pfäffers. Kenn ich nicht. Und was wollen Sie da? -Warum? Wozu?«</p> - -<p>»Meine Frau laboriert an einem Rheumatismus, hochgradig, -schon nicht mehr schön. Und da ist denn Pfäffers der -letzte Trumpf. Schweizerbad mit allen Schikanen und wahrscheinlich -auch mit allen Kosten. Ein Granseer, der allerdings<span class="pagenum"><a id="Seite_372">[372]</a></span> -für Geld gezeigt werden kann, war mal an diesem merkwürdigen -Ort und hat mir denn auch ne Beschreibung davon -gemacht. Habe natürlich auch noch im Bädeker nachgeschlagen -und unter anderm einen Fluß da verzeichnet gefunden, der -Tamina heißt. Erinnert ein bißchen an Zauberflöte und klingt -soweit ganz gut. Aber trotzdem eine tolle Geschichte, dies Pfäffers. -Soweit es nämlich als Bad in Betracht kommt, ist es -nichts als ein Felsenloch, ein großer Backofen, in den man -hineingeschoben wird. Und da hockt man denn, wie die Indianer -hocken, und die Dämpfe steigen siedeheiß von unten -herauf. Wer da nicht wieder zustande kommt, der kann überhaupt -einpacken. Übrigens will ich für meine Person gleich mit -hineinkriechen. Denn das darf ich wohl sagen, wer so fünfunddreißig -Jahre lang durch Kreis Gransee hin und her kutschiert -ist, mitunter bei Ostwind, der hat sich sein Gliederreißen ehrlich -verdient. Sonderbar, daß der Hauptteil davon auf meine -Frau gefallen ist.«</p> - -<p>»Ja, Sponholz, in einer christlichen Ehe …«</p> - -<p>»Freilich, Herr Major, freilich. Wiewohl das mit ›christlicher -Ehe‹ auch immer bloß so so ist. Da hatten wir, als ich -noch Militär war, einen Kompaniechirurgus, richtige alte -Schule, der sagte, wenn er von so was hörte: ›Ja, christliche -Ehe, ganz gut, kenn ich. Is wie Schinken in Burgunder. -Das eine is immer da, aber das andere fehlt.‹«</p> - -<p>»Ja,« sagte Dubslav, »diese richtigen alten Kompaniechirurgusse, -die hab ich auch noch gekannt. Blutige Zyniker, -jetzt leider ausgestorben … Und in solchem Pfäfferschen Backofen -wollen Sie sechs Wochen zubringen?«</p> - -<p>»Nein, Herr von Stechlin, nicht solange. Bloß vier, höchstens -vier. Denn es strengt sehr an. Aber wenn man nu doch -mal da ist, ich meine in der Schweiz und da herum, wo sie stellenweise -schon Italienisch sprechen, da will man doch schließlich auch -gern in das gelobte Land Italia hineinkucken. Und da haben<span class="pagenum"><a id="Seite_373">[373]</a></span> -wir denn also, meine Frau und ich, vor, von diesem Pfäffers -aus erst noch durch die Viamala zu fahren, den Splügen hinauf -oder auf irgendeinen andern Paß. Und wenn wir dann einen -Blick in all die Herrlichkeit drüben hinein getan haben, dann -kehren wir wieder um, und ich für meine Person ziehe mir -wieder meinen grauen Mantel an (denn für die Reise hab ich mir -einen neuen Paletot bauen lassen) und kutschiere wieder durch -Kreis Gransee.«</p> - -<p>»Na, Sponholz, das freut mich aber wirklich, daß Sie mal -rauskommen. Und bloß wenn Sie durch die Viamala fahren, -da müssen Sie sich in acht nehmen.«</p> - -<p>»Waren Sie denn mal da, Herr Major?«</p> - -<p>»Bewahre. Meine Weltfahrten, mit ganz schwachen Ausnahmen, -lagen immer nur zwischen Berlin und Stechlin. -Höchstens mal Dresden und ein bißchen ins Bayrische. Wenn -man so gar nicht mehr weiß, wo man hin soll, fährt man natürlich -nach Dresden. Also Viamala nie gesehen. Aber ein Bild davon. -Im allgemeinen ist Bilderankucken auch nicht gerade mein -Fall, und wenn die Museums von mir leben sollten, dann täten -sie mir leid. Indessen wie so der Zufall spielt, mal sieht man -doch so was, und war da auf dem Viamala-Bilde ne Felsenschlucht -mit Figuren von einem sehr berühmten Malermenschen, -der, glaub ich, Böcking oder Böckling hieß.«</p> - -<p>»Ah so. Einer, wenn mir recht ist, heißt Böcklin.«</p> - -<p>»Wohl möglich, daß es der gewesen ist. Ja, sogar sehr -wahrscheinlich. Nun sehen Sie, Doktor, da war denn also -auf diesem Bilde diese Viamala, mit einem kleinen Fluß unten, -und über den Fluß weg lief ein Brückenbogen, und ein Zug -von Menschen (es können aber auch Ritter gewesen sein) kam -grade die Straße lang. Und alle wollten über die Brücke.«</p> - -<p>»Sehr interessant.«</p> - -<p>»Und nun denken Sie sich, was geschieht da? Grade neben -dem Brückenbogen, dicht an der rechten Seite, tut sich mit<span class="pagenum"><a id="Seite_374">[374]</a></span> -einem Male der Felsen auf, etwa wie wenn morgens ein richtiger -Spießbürger seine Laden aufmacht und nachsehen will, -wie's Wetter ist. Der aber, der an dieser Brücke da von ungefähr -rauskuckte, hören Sie, Sponholz, das war kein Spießbürger, -sondern ein richtiger Lindwurm oder so was Ähnliches -aus der sogenannten Zeit der Saurier, also so weit zurück, daß -selbst der älteste Adel (die Stechline mit eingeschlossen) nicht -dagegen ankann, und dies Biest, als der herankommende Zug -eben den Fluß passieren wollte, war mit seinem aufgesperrten -Rachen bis dicht an die Menschen und die Brücke heran, und ich -kann Ihnen bloß sagen, Sponholz, mir stand, als ich das sah, -der Atem still, weil ich deutlich fühlte, nu noch einen Augenblick, -dann schnappt er zu, und die ganze Bescherung is weg.«</p> - -<p>»Ja, Herr von Stechlin, da hat man bloß den Trost, daß die -Saurier, soviel ich weiß, seitdem ausgestorben sind. Aber meiner -Frau will ich diese Geschichte doch lieber nicht erzählen; die -kriegt nämlich mitunter Ohnmachten. In Doktorhäusern ist -immer was los.«</p> - -<p>Dubslav nickte.</p> - -<p>»Und nur das eine möcht ich Ihnen noch sagen, Herr von -Stechlin, mit der Digitalis immer ruhig so weiter, und wenn -der Appetit nicht wiederkommt, lieber nur zweimal täglich. -Und nie mehr als zehn Tropfen. Und wenn Sie sich unpaß -fühlen, mein Stellvertreter ist von allem unterrichtet. Er wird -Ihnen gefallen. Neue Schule, moderner Mensch; aber doch -nicht zuviel davon (so wenigstens hoff ich) und jedenfalls sehr -gescheit. An seinem Namen – er heißt nämlich Moscheles – -dürfen Sie nicht Anstoß nehmen. Er ist aus Brünn gebürtig, -und da heißen die meisten so.«</p> - -<p>Der Alte drückte mit allem seine Zustimmung aus, auch -mit dem Namen, trotzdem dieser ihm quälende Erinnerungen -weckte. Schon vor etlichen fünfzig Jahren habe er Musikstücke -spielen müssen, die alle auf den Namen Moscheles liefen.<span class="pagenum"><a id="Seite_375">[375]</a></span> -Aber das wolle er dem Insichtstehenden nicht weiter entgelten -lassen.</p> - -<p>Und nach diesen beruhigenden Versicherungen empfahl sich -Sponholz und fuhr zu weiteren Abschiedsbesuchen in die Grafschaft -hinein.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Am zweitfolgenden Tage brachen die Sponholzschen Eheleute -von Gransee nach Pfäffers hin auf; die Frau, sehr leidend, -war schweigsam, er aber befand sich in einem hochgradigen -Reisefieber, was sich, als sie draußen auf dem Bahnhof angelangt -waren, in immer wachsender Gesprächigkeit äußerte.</p> - -<p>Mehrere Freunde (meist Logenbrüder) hatten ihn bis hinaus -begleitet. Sponholz kam hier sofort vom Hundertsten aufs -Tausendste. »Ja, unser guter Stechlin, mit dem steht es so -so … Baruch hat ihn auch gesehn und ihn einigermaßen verändert -gefunden … Und Sie, Kirstein, Sie schreiben mir natürlich, -wenn der junge Burmeister eintritt; ich weiß, er will -nicht recht (bloß der Vater will) und soll sogar von ›Hokuspokus‹ -gesprochen haben. Aber dergleichen muß man leicht -nehmen. Unwissenheit, Verkennungen, über so was sind wir -weg; viel Feind, viel Ehr … Nur, es noch einmal zu sagen, -der Alte drüben in Stechlin macht mir Sorge. Man muß aber -hoffen; bei Gott kein Ding unmöglich ist. Und zu Moscheles hab -ich Vertrauen; ihn auskultieren zu sehn ist ein wahres Vergnügen -für nen Fachmann.«</p> - -<p>So klang, was Sponholz noch in letzter Minute vom Coupéfenster -aus zum besten gab. Alles, am meisten aber das über -den alten Stechlin Gesagte, wurde weitergetragen und drang -bis auf die Dörfer hinaus, so namentlich auch bis nach -Quaden-Hennersdorf zu Superintendent Koseleger, der seit -kurzem mit Ermyntrud einen lebhaften Verkehr unterhielt -und, angeregt durch die mit jedem Tage kirchlicher werdende -Prinzessin, einen energischen Vorstoß gegen den Unglauben<span class="pagenum"><a id="Seite_376">[376]</a></span> -und die in der Grafschaft überhandnehmende Laxheit plante. -Koseleger sowohl wie die Prinzessin wollten zu diesem Zwecke -beim alten Dubslav als »nächstem Objekt« einsetzen und hielten -sein Asthma für den geeignetsten Zeitpunkt. In einem Briefe -der Prinzessin an Koseleger hieß es dementsprechend: »Ich will -die gute Gesinnung des alten Herrn in nichts anzweifeln; außerdem -hat er etwas ungemein Affables. Ich bin ihm menschlich -durchaus zugetan. Aber sein Prinzip, das nichts Höheres kennt, -als ›leben und leben lassen‹, hat in unsrer Gegend alle möglichen -Irrtümer und Sonderbarkeiten ins Kraut schießen -lassen. Nehmen Sie beispielsweise diesen Krippenstapel. Und -nun den Lorenzen selbst! Katzler, mit dem ich gestern über unsern -Plan sprach, hat mich gebeten, mit Rücksicht auf die Krankheit -des alten Herrn wenigstens vorläufig von allem Abstand zu -nehmen, aber ich hab ihm widersprechen müssen. Krankheit -(soviel ist richtig) macht schroff und eigensinnig, aber in bedrängten -Momenten auch wiederum ebenso gefügig, und es sind -wohl auch hier wieder gerade die Auferlegungen und Bitternisse, -daraus ein Segen für den Kranken und jedenfalls für -die Gesamtheit unsres Kreises entspringen wird. Unter allen -Umständen aber muß uns das Bewußtsein trösten, unsre Pflicht -erfüllt zu haben.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Es war eine Woche nach Sponholz' Abreise, daß Ermyntrud -diese Zeilen schrieb, und schon am andern Vormittage fuhr -Koseleger, der mit der Prinzessin im wesentlichen derselben -Meinung war, auf die Stechliner Rampe. Gleich danach -trat Engelke bei Dubslav ein und meldete den Herrn Superintendenten.</p> - -<p>»Superintendent? Koseleger?«</p> - -<p>»Ja, gnädger Herr. Superintendent Koseleger. Er sieht -sehr wohl aus, und ganz blank.«</p> - -<p>»Was es doch für merkwürdige Tage gibt. Heute (du sollst<span class="pagenum"><a id="Seite_377">[377]</a></span> -sehn) ist wieder so einer. Mit Moscheles fing's an. Sage dem -Herrn Superintendenten, ich ließe bitten.«</p> - -<p>»Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von Stechlin.«</p> - -<p>»Zur allerbesten, Herr Superintendent. Eben war der neue -Doktor hier. Und eine Viertelstunde, wenn's mit dem ›<em class="antiqua">praesente -medico</em>‹ nur ein ganz klein wenig auf sich hat, muß solche -Doktorgegenwart doch wohl noch nachwirken.«</p> - -<p>»Sicher, sicher. Und dieser Moscheles soll sehr gescheit sein. -Die Wiener und Prager verstehn es; namentlich alles, was -nach <em class="gesperrt">der</em> Seite hin liegt.«</p> - -<p>»Ja,« sagte Dubslav, »nach <em class="gesperrt">der</em> Seite hin,« und wies -auf Brust und Herz. »Aber, offen gestanden, nach mancher -andern Seite hin ist mir dieser Moscheles nicht sehr sympathisch. -Er faßt seinen Stock so sonderbar an und schlenkert auch so.«</p> - -<p>»Ja, so was muß man unter Umständen mit in den Kauf -nehmen. Und dann heißt es ja auch, der Major von Stechlin -habe mehr oder weniger einen philosemitischen Zug.«</p> - -<p>»Den hat der Major von Stechlin auch wirklich, weil er -Unchristlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipienreitereien -erst recht nicht. Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall -ansehn. Aber freilich, mancher Einzelfall gefällt mir nicht. -So zum Beispiel der hier mit dem neuen Doktor. Und auch -mein alter Baruch Hirschfeld, den der Herr Superintendent -mutmaßlich kennen werden, auch der gefällt mir nicht mehr -so recht. Ich hielt große Stücke von ihm, aber – vielleicht daß -sein Sohn Isidor schuld ist – mit einemmal ist der Pferdefuß -rausgekommen.«</p> - -<p>»Ja,« lachte Koseleger, »der kommt immer mal raus. -Und nicht bloß bei Baruch. Ich muß aber sagen, das alles hat -mit der Rasse viel, viel weniger zu schaffen als mit dem jeweiligen -Beruf. Da war ich eben bei der Frau von Gundermann …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_378">[378]</a></span></p> - -<p>»Und da war auch so was?«</p> - -<p>»In gewissem Sinne, ja. Natürlich ein bißchen anders, -weil es sich um etwas Weibliches handelte. ›Stütze der Hausfrau‹. -Und da bändelt sich denn leicht was an. Eben diese -›Stütze der Hausfrau‹ war bis vor kurzem noch Erzieherin, -und mit Erzieherinnen, alten und jungen, hat's immer einen -Haken, wie mit den Lehrern überhaupt. Es liegt im Beruf. -Und der Seminarist steht obenan.«</p> - -<p>»Ich kann mich nicht erinnern,« sagte Dubslav, »in unserer -Gegend irgendwas gröblich Verletzliches erlebt zu haben.«</p> - -<p>»O, ich bin mißverstanden,« beschwichtigte Koseleger und -rieb sich mit einem gewissen Behagen seine wohlgepflegten -Hände. »Nichts von Vergehungen auf erotischem Gebiet, -wiewohl es bei den Gundermanns (die gerad in <em class="gesperrt">diesem</em> Punkte -viel heimgesucht werden) auch diesmal wieder, ich möchte sagen -diese kleine Nebenform angenommen hatte. Nein, der große -Seminaristenpferdefuß, an den ich bei meiner ersten Bemerkung -dachte, trägt ganz andere Signaturen: Unbotmäßigkeit, -Überschätzung und infolge davon ein eigentümliches Bestreben, -sich von den Heilsgütern loszulösen und die Befriedigung des -inneren Menschen in einer falschen Wissenschaftlichkeit zu suchen.«</p> - -<p>»Ich will das nicht loben; aber auch solche ›falsche Wissenschaftlichkeit‹ -zählt, dächt ich, in unserer alten Grafschaft zu den -allerseltensten Ausnahmen.«</p> - -<p>»Nicht so sehr, als Sie vermuten, Herr Major, und aus -Ihrer eigenen Stechliner Schule sind mir Klagen kirchlich -gerichteter Eltern über solche Dinge zugegangen. Allerdings -Altlutheraner aus der Globsower Gegend. Indessen, so lästig -diese Leute zuzeiten sind, so haben sie doch andrerseits den Ernst -des Glaubens und finden, wie sie sich in einem Skriptum an -mich ausgedrückt haben, in der Krippenstapelschen Lehrmethode -diesen Ernst des Glaubens arg vernachlässigt.«</p> - -<p>Dubslav wiegte den Kopf hin und her und hätte trotz<span class="pagenum"><a id="Seite_379">[379]</a></span> -allen Respekts vor dem Vertreter einer kirchlichen Behörde -wahrscheinlich ziemlich scharf und spitz geantwortet, wenn ihm -nicht alles, was er da hörte, gleichzeitig in einem heiteren Licht -erschienen wäre. Krippenstapel, sein Krippenstapel, er, der den -alten Fritzen so gut wie den Katechismus, aber den Katechismus -auch reichlich so gut wie den alten Fritzen kannte, – Krippenstapel, -sein großartiger Bienenvater, sein korrespondierendes -Mitglied märkisch-historischer Vereine, die Seele seines »Museums«, -sein guter Freund, dieser Krippenstapel sollte den »Ernst -des Glaubens« verkannt haben, bei ihm sollte der Seminaristenhochmut -zu gemeingefährlichem Ausbruch gekommen sein. Wohl -entsann er sich, in eigenster Person (was ihn in diesem Augenblick -ein wenig verstimmte) gelegentlich sehr Ähnliches gesagt -zu haben. Aber doch immer nur scherzhaft. Und wenn zwei -dasselbe tun, so ist es nicht mehr dasselbe. Traf dieser Satz je -zu, so hier. Er erhob sich also mit einiger Anstrengung von -seinem Platz, ging auf Koseleger zu, schüttelte ihm die Hand -und sagte: »Herr Superintendent, so wie Sie's da sagen, so -kann es nicht sein. Von richtigen Altlutheranern gibt es hier -überhaupt nichts, und am wenigsten in Globsow; die glauben -sozusagen gar nichts. Ich wittere da was von Intrigue. Da -stecken andere dahinter. Bei meinem alten Baruch ist der -Pferdefuß rausgekommen, aber bei meinem alten Krippenstapel -ist er <em class="gesperrt">nicht</em> rausgekommen und wird auch nicht rauskommen, -weil er überhaupt nicht da ist. Meinen alten Krippenstapel, -den kenn ich.«</p> - -<p>Koseleger, Weltmann, wie er war, lenkte rasch ein, sprach -von Konventiklerbeschränktheit und gab die Möglichkeit einer -Intrigue zu.</p> - -<p>»Natürlich wird es einem schwer, in diesem Erdenwinkel -an derlei Dinge zu glauben, denn ›Intrigue‹ zählt ganz eminent -zu den höheren Kulturformen. Intrigue hat hier in unserer -alten Grafschaft, glaub ich, noch keinen Boden. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_380">[380]</a></span> -andrerseits ist es doch freilich wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, -ja selbst die Verbrechen und Laster, nicht bloß im -Gefolge der Kultur auftreten, sondern umgekehrt ihr voranschreiten, -als beklagenswerte Herolde falscher Gesittung! Bedenken -Sie, was wir neuerdings in unsern Äquatorialprovinzen -erlebt haben. Die Zivilisation ist noch nicht da, und schon haben -wir ihre Greuel. Man erschauert, wenn man davon liest, und -freut sich der kleinen und alltäglichen Verhältnisse, drin der Wille -Gottes uns gnädig stellte.«</p> - -<p>Nach diesen Worten, die was von einem guten Abgang -hatten, erhob sich Koseleger, und der Alte, seinerseits seinen -Arm in den des Superintendenten einhakend, »um sich,« wie -er sagte, »auf die Kirche zu stützen,« begleitete seinen Besuch -bis wieder auf die Rampe hinaus und grüßte noch mit der -Hand, als der Wagen schon über die Bohlenbrücke fuhr. Dann -wandte er sich rasch an Engelke, der neben ihm stand, und sagte:</p> - -<p>»Engelke, schade, daß ich mit dir nicht wetten kann. Lust -hätt ich. Heute kommt noch wer, du wirst es sehn. Eine Woche -lang läßt sich keine Katze blicken, aber wenn unser Schicksal erst -mal nen Entschluß gefaßt hat, dann kann es sich auch wieder -nicht genug tun. Man gewinnt dreimal das große Los, oder -man stößt sich dreimal den Kopp. Und immer an derselben -Stelle.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Es schlug zwölf, als Dubslav vom Portal her wieder den -Flur passierte. Dabei sah er nach dem Hippenmann hinauf -und zählte die Schläge. »Zwölf,« sagte er, »und um zwölf ist -alles aus, und dann fängt der neue Tag an. Es gibt freilich -zwei Zwölfen, und die Zwölf, die da oben jetzt schlägt, das is -die Mittagszwölf. Aber Mittag! … Wo bist du Sonne geblieben!« -All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter tat, -kam er an seinen Kaminplatz und nahm eine Zeitung in die -Hand. Er sah jedoch kaum drauf hin und beschäftigte sich,<span class="pagenum"><a id="Seite_381">[381]</a></span> -während er zu lesen schien, eigentlich nur mit der Frage, »wer -wohl heute noch kommen könne,« und dabei neben andren -Personen aus seiner Umgebung auch an Lorenzen denkend, kam -er zu dem Schlußresultat, daß ihm Lorenzen »mit all seinem -neuen Unsinn« doch am Ende lieber sei als Koseleger mit seinen -Heilsgütern, von denen er wohl zwei-, dreimal gesprochen -hatte. »Ja, die Heilsgüter, die sind ganz gut. Versteht sich. Ich -werde mich nicht so versündigen. Die Kirche kann was, is was, -und der alte Luther, nu, der war schon ganz gewiß was, weil er -ehrlich war und für seine Sache sterben wollte. Nahe dran war -er. Eigentlich kommt's doch immer bloß darauf an, daß einer -sagt, ›dafür sterb ich‹. Und es dann aber auch tut. Für was, is -beinah gleich. Daß man überhaupt so was kann, wie sich opfern, -das ist das Große. Kirchlich mag es ja falsch sein, was ich da -so sage; aber was sie jetzt ›sittlich‹ nennen (und manche sagen -auch ›schönheitlich‹, aber das is ein zu dolles Wort), also was -sie jetzt sittlich nennen, so bloß auf <em class="gesperrt">das</em> hin angesehn, da is -das persönliche Sicheinsetzen und Fürwassterbenkönnen und --wollen doch das Höchste. Mehr kann der Mensch nich. Aber -Koseleger. Der will leben.«</p> - -<p>Und während er noch so vor sich hin seinen Faden spann, -war sein gutes, altes Faktotum eingetreten, an das er denn -auch ohne weiteres und bloß zu eignem Ergötzen die Frage -richtete: »Nich wahr, Engelke?«</p> - -<p>Der aber hörte gar nichts mehr, so sehr war er in Verwirrung, -und stotterte nur aus sich heraus: »Ach Gott, gnädger -Herr, nu is es doch so gekommen.«</p> - -<p>»Wie? Was?«</p> - -<p>»Die Frau Gemahlin von unserm Herrn Oberförster …«</p> - -<p>»Was? Die Prinzessin?«</p> - -<p>»Ja, die Frau Katzler, Durchlaucht.«</p> - -<p>»Alle Wetter, Engelke … Da haben wir's. Aber ich hab -es ja gesagt, ich wußt es. Wie so'n Tag anfängt, so bleibt er,<span class="pagenum"><a id="Seite_382">[382]</a></span> -so geht es weiter … Und wie das hier durcheinander liegt, -alles wie Kraut und Rüben. Nimm die Zudecke weg, ach was -Zudecke, die reine Pferdedecke; wir müssen eine andre haben. -Und nimm auch die grünen Tropfen weg, daß es nicht gleich -aussieht wie ne Krankenstube … Die Prinzessin … Aber -rasch, Engelke, flink … Ich lasse bitten, ich lasse die Frau Oberförsterin -bitten.«</p> - -<p>Dubslav rückte sich, so gut es ging, zurecht; im übrigen -aber hielt er's in seinem desolaten Zustande doch für besser, in -seinem Rollstuhl zu bleiben, als der Prinzessin entgegenzugehn -oder sie durch ein Sicherheben von seinem Sitz mehr oder weniger -feierlich zu begrüßen. Ermyntrud paßte sich seinen Intentionen -denn auch an und gab durch eine gemessene Handbewegung zu -verstehen, daß sie nicht zu stören wünsche. Gleich danach legte sie -den rechten Arm auf die Lehne eines nebenstehenden Stuhles -und sagte: »Ich komme, Herr von Stechlin, um nach Ihrem -Befinden zu fragen; Katzler (sie nannte ihn, unter geflissentlichster -Vermeidung des allerdings plebejen »mein Mann«, -immer nur bei seinem Familiennamen) hat mir von Ihrem -Unwohlsein erzählt und mir Empfehlungen aufgetragen. Ich -hoffe, es geht besser.«</p> - -<p>Dubslav dankte für so viel Freundlichkeit und bat, das -um ihn her herrschende Übermaß von Unordnung entschuldigen -zu wollen. »Wo die weibliche Hand fehlt, fehlt alles.« Er fuhr -so noch eine Weile fort, in allerlei Worten und Wendungen, wie -sie ihm von alter Zeit her geläufig waren; eigentlich aber war -er wenig bei dem, was er sagte, sondern hing ausschließlich an -dem halb nonnen-, halb heiligenbildartigen ihrer Erscheinung, -das durch einen großen, aus mattweißen Kugeln bestehenden -Halsschmuck samt Elfenbeinkreuz noch gesteigert wurde. Sie -mußte jedem, auch dem Kritischsten, auffallen, und Dubslav, -der – so sehr er dagegen ankämpfte – ganz unter der Vorstellung -ihrer Prinzessinnenschaft stand, vergaß auf Augenblicke<span class="pagenum"><a id="Seite_383">[383]</a></span> -Krankheit und Alter und fühlte sich nur noch als Ritter -seiner Dame. Daß sie stehenblieb, war ihm im ersten Augenblicke -störend, bald aber war es ihm recht, weil ihm einleuchtete, -daß ihr »Bild« erst dadurch zu voller Wirkung kam. Ermyntrud -selbst war sich dessen auch voll bewußt und Frau genug, -auf diese Vorzüge nicht ohne Not zu verzichten.</p> - -<p>»Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als Arzt sehr -schätzen gelernt habe, seine Kranken, während er in Pfäffers -ist, einem jungen Stellvertreter anvertraut hat. Junge Ärzte -sind meist klüger als die alten, aber doch weniger Ärzte. Man -bringt außerdem dem Alter mehr Vertrauen entgegen. Alte -Doktoren sind wie Beichtiger, vor denen man sich gern offenbart. -Freilich können sie den geistlichen Zuspruch nicht voll ersetzen, -der in jeder ernstlichen Krankheit doch das eigentlich -Heilsame bleibt. Ärzte selbst – ich hab einen Teil meiner Jugend -in einem Diakonissenhause verbracht – Ärzte selbst, wenn -sie ihren Beruf recht verstehn, urteilen in diesem Sinne. Sogenannte -Medikamente sind und bleiben ein armer Notbehelf; -alle wahre Hilfe fließt aus dem Wort. Aber freilich, das richtige -Wort wird nicht überall gesprochen.«</p> - -<p>Dubslav sah etwas unruhig um sich her. Es war ganz -klar, daß die Prinzessin gekommen war, seine Seele zu retten. -Aber woher kam ihr die Wissenschaft, daß seine Seele dessen -bedürftig sei? Das verlohnte sich doch in Erfahrung zu bringen, -und so bezwang er sich denn und sagte: »Gewiß, Durchlaucht, -das Wort ist die Hauptsache. Das Wort ist das Wunder; es -läßt uns lachen und weinen; es erhebt uns und demütigt uns, -es macht uns krank und macht uns gesund. Ja, es gibt uns erst -das wahre Leben hier und dort. Und dies letzte höchste Wort, -das haben wir in der Bibel. Daher nehm ich's. Und wenn -ich manches Wort nicht verstehe, wie wir die Sterne nicht verstehn, -so haben wir dafür die Deuter.«</p> - -<p>»Gewiß. Aber es gibt der Deuter so viele.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_384">[384]</a></span></p> - -<p>»Ja,« lachte Dubslav, »und wer die Wahl hat, hat die -Qual. Aber ich persönlich, ich habe keine Wahl. Denn genau -so wie mit dem Körper, so steht es für mich auch mit der Seele. -Man behilft sich mit dem, was man hat. Nehm ich da zunächst -meinen armen, elenden Leib. Da sitzt es mir hier und steigt -und drückt und quält mich und ängstigt mich, und wenn die -Angst groß ist, dann nehm ich die grünen Tropfen. Und wenn -es mich immer mehr quält, dann schick ich nach Gransee hinein, -und dann kommt Sponholz. Das heißt, wenn er gerade da ist. -Ja, dieser Sponholz ist auch ein Wissender und ein ›Deuter‹. -Sehr wahrscheinlich, daß es klügere und bessere gibt; aber in -Ermangelung dieser besseren muß er für mich ausreichen.«</p> - -<p>Ermyntrud nickte freundlich und schien ihre Zustimmung -ausdrücken zu wollen.</p> - -<p>»Und,« fuhr Dubslav fort, »ich muß es wiederholen, genau -so wie mit dem Leib, so auch mit der Seele. Wenn sich -meine arme Seele ängstigt, dann nehm ich mir Trost und -Hilfe, so gut ich sie gerade finden kann. Und dabei denk ich -dann, der nächste Trost ist der beste. Den hat man am schnellsten, -und wer schnell gibt, der gibt doppelt. Eigentlich muß -man das lateinisch sagen. Ich rufe mir Sponholz, weil ich ihn, -wenn benötigt, in ziemlicher Nähe habe; den andern aber, -den Arzt für die Seele, den hab ich glücklicherweise noch näher -und brauche nicht mal nach Gransee hinüberzuschicken. Alle -Worte, die von Herzen kommen, sind gute Worte, und wenn -sie mir helfen (und sie helfen mir), so frag ich nicht viel danach, -ob es sogenannte ›richtige‹ Worte sind oder nicht.«</p> - -<p>Ermyntrud richtete sich höher auf; ihr bis dahin verbindliches -Lächeln war sichtlich in raschem Hinschwinden.</p> - -<p>»Überdies,« so schloß Dubslav seine Bekenntnisrede, »was -sind die richtigen Worte? Wo sind sie?«</p> - -<p>»Sie haben sie, Herr von Stechlin, wenn Sie sie haben -wollen. Und Sie haben sie nah, wenn auch nicht in Ihrer unmittelbarsten<span class="pagenum"><a id="Seite_385">[385]</a></span> -Nähe. Mich persönlich haben diese Worte während -schwerer Tage gestützt und aufgerichtet. Ich weiß, er hat Feinde, -voran im eignen Lager. Und diese Feinde sprechen von ›schönen -Worten‹. Aber soll ich mich einem Heilswort verschließen, -weil es sich in Schönheit kleidet? Soll ich eine mich segnende -Hand zurückweisen, weil es eine weiche Hand ist? Sie haben -Sponholz genannt. Unser Superintendent liegt wohl weit -über diesen hinaus, und wenn es nicht eitel und vermessen -wäre, würd ich eine gnädge Fügung darin zu sehn glauben, -daß er an diese sterile Küste verschlagen werden mußte, gerade -mir eine Hilfe zu sein. Aber was er an mir tat, kann er auch -an andern tun. Er hat eben das, was zum Siege führt; wer -die Seele hat, hat auch den Leib.«</p> - -<p>Unter diesen Worten war Ermyntrud von ihrem Stuhl -an Dubslav herangetreten und neigte sich über ihn, um ihm, -halb wie segnend, die Stirn zu küssen. Das Elfenbeinkreuz berührte -dabei seine Brust. Sie ließ es eine Weile da ruhen. Dann -aber trat sie wieder zurück, und sich zweimal unter hoheitsvollem -Gruß verneigend, verließ sie das Zimmer. Engelke, der -draußen im Flur stand, eilte vorauf, ihr beim Einsteigen in den -kleinen Katzlerschen Jagdwagen behilflich zu sein.</p> - -<p>Als Dubslav wieder allein war, nahm er das Schüreisen, -das grad vor ihm auf dem Kaminstein lag, und fuhr in die halb -niedergebrannten Scheite. Die Flamme schlug auf und etliche -Funken stoben. »Arme Durchlaucht. Es ist doch nicht gut, wenn -Prinzessinnen in Oberförsterhäuser einziehn. Sie sind dann -aus ihrem Fahrwasser heraus und greifen nach allem möglichen, -um in der selbstgeschaffenen Alltäglichkeit nicht unterzugehn. -Einen bessern Trostspender als Koseleger konnte sie -freilich nicht finden; er gab ihr den Trost, dessen sie selber bedürftig -ist. Im übrigen mag sie sich aufrichten lassen, von -wem sie will. Der Alte auf Sanssouci, mit seinem nach der -eignen Fasson selig werden hat's auch darin getroffen. Gewiß.<span class="pagenum"><a id="Seite_386">[386]</a></span> -Aber wenn ich euch eure Fasson lasse, so laßt mir auch die -meine. Wollt nicht alles besser wissen, kommt mir nicht mit -Anzettelungen, erst gegen meinen guten Krippenstapel, der -kein Wässerchen trübt, und nun gar gegen meinen klugen -Lorenzen, der euch alle in die Tasche steckt. An ihn persönlich -wagen sie sich nicht ran, und da kommen sie nun zu mir und -wollen mich umstimmen und denken, weil ich krank bin, muß -ich auch schwach sein. Aber da kennen sie den alten Stechlin -schlecht, und er wird nun wohl seinen märkischen Dickkopf aufsetzen. -Auch sogar gegen Ippe-Büchsenstein und die Elfenbeinkugeln, -die ja schon der reine Rosenkranz sind. Und es wird -auch noch so was. Eigentlich bin ich übrigens selber schuld. -Ich habe mir durch den prinzeßlichen Augenaufschlag und die -vier Kindergräber im Garten zu sehr imponieren lassen. Aber -es fällt doch allmählich wieder ab, und ein Glück, daß ich meinen -Engelke habe.«</p> - -<p>Vor Erregung war er aus seinem Rollstuhl aufgestanden -und drückte auf den Klingelknopf. »Engelke, geh zu Lorenzen -und sag ihm, ich ließ ihn bitten. Der soll dann aber heut -auch der letzte sein … Denke dir, Engelke, sie wollen mich -bekehren!«</p> - -<p>»Aber, gnädger Herr, das is ja doch das Beste.«</p> - -<p>»Gott, nu fängt der auch noch an.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Achtunddreissigstes_Kapitel">Achtunddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Lorenzen kam nicht; er war nach Rheinsberg, wo die Geistlichen -aus dem östlichen Teil der Grafschaft eine Konferenz -hatten. Aber statt Lorenzen kam Doktor Moscheles und sprach -von allem möglichen, erst ganz kurz von Dubslavs Zustand, -den er nicht gut und nicht schlecht fand, dann von Koseleger, -von Katzler, auch von Sponholz (von dem ein Brief eingetroffen<span class="pagenum"><a id="Seite_387">[387]</a></span> -war), am ausführlichsten aber von Rechtsanwalt Katzenstein -und von Torgelow. »Ja, dieser Torgelow,« sagte Moscheles. -»Es war ein Mißgriff, ihn zu wählen. Und wenn es noch nötig -gewesen wäre, wenn die Partei keinen Besseren gehabt hätte! -Aber da haben sie denn doch noch ganz andre Leute.« Dubslav -war davon wenig angenehm berührt, weil er aus der persönlichen -Niedrigstellung Torgelows die Hochstellung der Torgelowschen -Partei heraushörte.</p> - -<p>Der Besuch hatte wohl eine halbe Stunde gedauert. Als -Moscheles wieder fort war, sagte Dubslav: »Engelke, wenn er -wiederkommt, so sag ihm, ich sei nicht da. Das wird er natürlich -nicht glauben; weiß er doch am besten, daß ich an mein Zimmer -und meinen Rollstuhl gebunden bin. Aber trotzdem; ich mag -ihn nicht. Es war eine Dummheit von Sponholz, sich grade -diesen auszusuchen, solchen Allerneuesten, der nach Sozialdemokratie -schmeckt und dabei seinen Stock so sonderbar anfaßt, -immer grad in der Mitte. Und dazu auch noch nen roten -Schlips.«</p> - -<p>»Es sind aber schwarze Käfer drin.«</p> - -<p>»Ja, die sind drin, aber ganz kleine. Das machen sie so, -damit es nicht jeder gleich merkt, wes Geistes Kind so einer -ist und wohin er eigentlich gehört. Aber ich merk es doch, -auch wenn er an Kaiser Wilhelms Geburtstag mit ner -papiernen Kornblume kommt. Also du sagst ihm, ich sei -nicht da.«</p> - -<p>Engelke widersprach nicht, hatte jedoch so seine Gedanken -dabei. »Der alte Doktor ist weg, und den neuen will er nicht. -Un den aus Wutz will er auch nich, weil der so viel mit der -Domina zusammenhockt. Un dabei kommt er doch immer mehr -runter. Er denkt: ›Es is noch nich so schlimm.‹ Aber es is -schlimm. Is genau so wie mit Bäcker Knaack. Un Kluckhuhn -sagte mir schon vorige Woche: ›Engelke, glaube mir, es wird -nichts; ich weiß Bescheid.‹«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_388">[388]</a></span></p> - -<p class="drop">Das war am Montag. Am Freitag fuhr Moscheles wieder -vor und verfärbte sich, als Engelke sagte, der gnädge Herr -sei nicht da.</p> - -<p>»So, so. Nicht da.«</p> - -<p>Das war doch etwas stark. Moscheles stieg also wieder auf -seinen Wagen und bestärkte sich, während er nach Gransee -zurückfuhr, in seinen durchaus ablehnenden Anschauungen -über den derzeitigen Gesellschaftszustand. »Einer ist wie der -andre. Was wir brauchen, is ein Generalkladderadatsch, -Krach, <em class="antiqua">tabula rasa</em>.« Zugleich war er entschlossen, von einem -erneuten Krankenbesuch abzustehen. »Der gnädge Herr auf, -von und zu Stechlin kann mich ja rufen lassen, wenn er mich -braucht. Hoffentlich unterläßt er's.«</p> - -<p>Dieser Wunsch erfüllte sich denn auch. Dubslav ließ ihn -nicht rufen, wiewohl guter Grund dazu gewesen wäre, denn -die Beschwerden wuchsen plötzlich wieder, und wenn sie zeitweilig -nachließen, waren die geschwollenen Füße sofort wieder -da. Engelke sah das alles mit Sorge. Was blieb ihm noch -vom Leben, wenn er seinen gnädgen Herrn nicht mehr hatte? -Jeder im Haus mißbilligte des Alten Eigensinn, und Martin, -als er eines Tages vom Stall her in die nebenan gelegene niedrige -Stube trat, wo seine Frau Kartoffeln schälte, sagte zu -dieser: »Ick weet nich, Mutter, worüm he den jungschen Dokter -rutgrulen däd. De Jungsche is doch klöger, as de olle Sponholz -is. Doa möt man blot de Globsower über Sponholzen -hüren. ›Joa, oll Sponholz,‹ so seggen se, ›de is joa so wiet ganz -good, awers he seggt man ümmer: Kinnings, krank is he egentlich -nich, he brukt man blot ne Supp mit en beten wat in!‹ -Joa, Sponholz, de kann so wat seggen, de hett wat da to. Awers -de Globsower! Wo salln de ne Supp herkregen mit en beten -wat in?«</p> - -<p>So verging Tag um Tag, und Dubslav, dem herzlich schlecht -war, sah nun selber, daß er sich in jedem Punkt übereilt hatte.<span class="pagenum"><a id="Seite_389">[389]</a></span> -Moscheles war doch immerhin ein richtiger Stellvertreter gewesen, -und wenn er jetzt einen andern nahm, so traf das Sponholzen -auch mit. Und das mocht er nicht. In dieser Notlage -sann er hin und her, und eines Tages, als er mal wieder in -rechter Bedrängnis und Atemnot war, rief er Engelke und -sagte: »Engelke, mir is schlecht. Aber rede mir nicht von dem -Doktor. Ich mag unrecht haben, aber ich will ihn nicht. Sage, -wie steht das eigentlich mit der Buschen? Die soll ja doch letzten -Herbst uns' Kossät Rohrbeckens Frau wieder auf die Beine gebracht -haben.«</p> - -<p>»Ja, die Buschen …«</p> - -<p>»Na, was meinst du?«</p> - -<p>»Ja, die Buschen, <em class="gesperrt">die</em> weiß Bescheid. Versteht sich. Man -bloß, daß sie ne richtige alte Hexe is, und um Walpurgis weiß -keiner, wo sie is. Und die Mächens gehen Sonnabends auch -immer hin, wenn's schummert, und Uncke hat auch schon welche -notiert und beim Landrat Anzeige gemacht. Aber sie streiten -alle Stein und Bein; und ein paar haben auch schon geschworen, -sie wüßten von gar nichts.«</p> - -<p>»Kann ich mir denken, und vielleicht war's auch nich so -schlimm. Und dann, Engelke, wenn du meinst, daß sie so gut -Bescheid weiß, da wär's am Ende das beste, du gingst mal hin -oder schicktest wen. Denn deine alten Beine wollen auch nich -mehr so recht, und außerdem is Schlackerwetter. Und wenn du -mir auch noch krank wirst, so hab ich ja keine Katze mehr, die sich -um mich kümmert. Woldemar is weit weg. Und wenn er auch -in Berlin wäre, da hat er ja doch seinen Dienst und seine Schwadron -und kann nich den ganzen Tag bei seinem alten Vater -sitzen. Und außerdem, Krankenpflegen ist überhaupt was -Schweres; darum haben die Katholiken auch nen eignen Segen -dafür. Ja, die verstehn es. So was verstehn sie besser als -wir.«</p> - -<p>»Nei, gnädger Herr, besser doch wohl nich.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_390">[390]</a></span></p> - -<p>»Na, lassen wir's. So was is immer schwer festzustellen, -und weil heutzutage so vieles schwer festzustellen ist, haben -sich ja die Menschen auch das angeschafft, was sie ne ›Enquete‹ -nennen. Keiner kann sich freilich so recht was dabei denken. -Ich gewiß nicht. Weißt du, was es ist?«</p> - -<p>»Nei, gnädger Herr.«</p> - -<p>»Siehst du! Du bist eben ein vernünftiger Mensch, das -merkt man gleich, und hast auch ein Einsehn davon, daß es -eigentlich am besten wäre, wenn ich zu der Buschen schicke. -Was die Leute von ihr reden, geht mich nichts an. Und dann -bin ich auch kein Mächen. Und Uncke wird mich ja wohl nicht -aufschreiben.«</p> - -<p>Engelke lächelte: »Na, gnädger Herr, dann werd ich man -unten mit unse Mamsell Pritzbur sprechen; die kann die lütte -Marie rausschicken. Marieken is letzten Michaelis erst eingesegnet, -aber sie war auch schon da.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Noch an demselben Nachmittag erschien die Buschen im -Herrenhause. Sie hatte sich für den Besuch etwas zurecht gemacht -und trug ihre besten Kleider, auch ein neues schwarzes -Kopftuch. Aber man konnte nicht sagen, daß sie dadurch gewonnen -hätte. Fast im Gegenteil. Wenn sie so mit nem -Sack über die Schulter oder mit ner Kiepe voll Reisig aus -dem Walde kam, sah man nichts als ein altes, armes Weib; -jetzt aber, wo sie bei dem alten Herrn eintrat und nicht recht -wußte, warum man sie gerufen, sah man ihr die Verschlagenheit -an, und daß sie für all und jedes zu haben sei.</p> - -<p>Sie blieb an der Tür stehen.</p> - -<p>»Na, Buschen, kommt man ran oder stellt Euch da ans -Fenster, daß ich Euch besser sehn kann. Es ist ja schon ganz -schummrig.«</p> - -<p>Sie nickte.</p> - -<p>»Ja, mit mir is nich mehr viel los, Buschen. Und nu is<span class="pagenum"><a id="Seite_391">[391]</a></span> -auch noch Sponholz weg. Und den neuen Berlinschen, den -mag ich nicht. Ihr sollt ja Kossät Rohrbeckens Frau damals -wieder auf die Beine gebracht haben. Mit mir is es auch so -was. Habt Ihr Courage, mich in die Kur zu nehmen? Ich -zeig Euch nicht an. Wenn einem einer hilft, is das andre alles -gleich. Also nichts davon. Und es soll Euer Schaden nicht -sein.«</p> - -<p>»Ick weet joa, jnädger Herr … Se wihren joa nich. -Un denn de Lüd', de denken ümmer, ick kann hexen un all so -wat. Ick kann awer joar nix un hebb man blot en beten Liebstöckel -un Wacholder un Allermannsharnisch. Un alles blot, -wie't sinn muß. Un de Gerichten können mi nix dohn.«</p> - -<p>»Is mir lieb. Und geht mich übrigens auch nichts an. -Mit so was komm ich Euch nich. Kann ›Gerichte‹ selber nich -gut leiden. Und nu sagt mir, Buschen, wollt Ihr den Fuß -sehn? Einer is genug. Der andre sieht ebenso aus. Oder doch -beinah.«</p> - -<p>»Nei, jnädger Herr. Loaten's man. Ick weet joa, wi dat -is. Ihrst sitt et hier up de Bost, nu denn sackt et sich, un denn -sitt et hier unnen. Un is all een un dat sülwige. Dat möt -allens rut, un wenn et rut is, denn drückt et nich mihr, un -denn künnen Se wedder gapsen.«</p> - -<p>»Gut. Leuchtet mir ein. ›Et muß rut,‹ sagt Ihr. Und -das sag ich auch. Aber womit wollt Ihr's ›rut‹-bringen? Das -is die Sache. Welche Mittel, welche Wege?«</p> - -<p>»Joa, de Mittel hebb ick. Un hebben wi ihrst de Mittel, -denn finnen sich ook de Weg. Ick schick' hüt noch Agnessen mit -twee Tüten; Agnes, dat is Karlinen ehr lütt Deern.«</p> - -<p>»Ich weiß, ich weiß.«</p> - -<p>»Un Agnes, de soll denn unnen in den Küch goahn, to Mamsell -Pritzbur, un de Pritzburn de sall denn den Tee moaken -für'n jnädgen Herrn. Morgens ut de witte Tüt, un abens -ut de blue Tüt. Un ümmer man nen gestrichnen Eßlöffel vull<span class="pagenum"><a id="Seite_392">[392]</a></span> -un nich to veel Woater; awers bullern möt et. Un wenn de -Tüten all sinn, denn is et rut. Dat Woater nimmt dat Woater -weg.«</p> - -<p>»Na gut, Buschen. Wir wollen das alles so machen. Und -ich bin nicht bloß ein geduldiger Kranker, ich bin auch ein gehorsamer -Kranker. Nun will ich aber bloß noch wissen, was -Ihr mir da in Euern Tüten schicken wollt, in der weißen und in -der blauen. Is doch kein Geheimnis?«</p> - -<p>»Nei, jnädger Herr.«</p> - -<p>»Na also.«</p> - -<p>»In de witte Tüt is Bärlapp un in de blue Tür is, wat -de Lüd hier Katzenpoot nennen.«</p> - -<p>»Versteh, versteh,« lächelte Dubslav, und dann sprach er -wie zu sich selbst: »Nu ja, nu ja, das kann schon helfen. Dazwischen -liegt eigentlich die ganze Weltgeschichte. Mit Bärlapp -zum Einstreuen fängt die süße Gewohnheit des Daseins an -und mit Katzenpfötchen hört es auf. So verläuft es. Katzenpfötchen -… die gelben Blumen, draus sie die letzten Kränze -machen … Na, wir wollen sehn.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">An demselben Abend kam Agnes und brachte die beiden -Tüten, und es geschah, was beinah über alles Erwarten hinaus -lag: es wurde wirklich besser. Die Geschwulst schwand, und -Dubslav atmete leichter. »Dat Woater nimmt dat Woater,« -an diesem Hexenspruch – den er, wenn er mit Engelke plauderte, -gern zitierte – richteten sich seine Hoffnungen und seine -Lebensgeister wieder auf. Er war auch wieder für Bewegung -und ließ, wenn es das Wetter irgendwie gestattete, seinen -Rollstuhl nicht bloß auf die Veranda hinausschieben, sondern -fuhr auch um das Rundell herum und sah dem kleinen Springbrunnen -zu, der wieder sprang. Ja, es kam ihm vor, als ob er -höher spränge. »Findest du nich auch, Engelke? Vor vier -Wochen wollt er nich. Aber es geht jetzt wieder. Alles geht<span class="pagenum"><a id="Seite_393">[393]</a></span> -wieder, und es ist eigentlich dumm, ohne Hoffnung zu leben; -wozu hat man sie denn?«</p> - -<p>Engelke nickte bloß und legte die Zeitungen, die gekommen -waren, auf einen neben dem Frühstückstisch stehenden Gartenstuhl, -zuunterst die »Kreuzzeitung« als Fundament, auf diese -dann die »Post« und zuletzt die Briefe. Die meisten waren offen, -Anzeigen und Anpreisungen, nur einer war geschlossen, ja sogar -gesiegelt. Poststempel: Berlin. »Gib mir mal das Papiermesser, -daß ich ihn manierlich aufschneiden kann. Er sieht -nach was aus, und die Handschrift is wie von ner Dame, bloß -ein bißchen zu dicke Grundstriche.«</p> - -<p>»Is am Ende von der Gräfin.«</p> - -<p>»Engelke,« sagte Dubslav, »du wirst mir zu klug. Natürlich -is er von der Gräfin. Hier is ja die Krone.«</p> - -<p>Wirklich, es war ein Brief von Melusine, samt einer Einlage. -Melusinens Zeilen aber lauteten am Schluß: »Und nun -bitt ich, Ihnen einen Brief beilegen zu dürfen, den unsre liebe -Baronin Berchtesgaden gestern aus Rom erhalten hat und -zwar von Armgard, deren volles Glück ich aus diesem Brief und -allerhand kleinen, ihrem Charakter eigentlich fernliegenden -Übermütigkeiten erst so recht ersehn habe.«</p> - -<p>Dubslav nickte. Dann nahm er die Einlage und las:</p> - -<p class="right"> -»Rom, im März.</p> -<p class="center"> -Teuerste Baronin!</p> - -<p>An wen könnt ich von hier aus lieber schreiben als an Sie? -Vatikan und Lateran und Grabmal Pio Nonos, und wenn -ich Glück habe, bin ich auch noch mit dabei, wenn am Gründonnerstag -der große Segen gespendet wird. Man muß eben -alles mitnehmen. Von Rom zu schwärmen ist geschmacklos -und überflüssig dazu, weil man an die Schwärmerei seiner -Vorgänger doch nie heranreicht. Aber von unserer Reise will -ich Ihnen statt dessen erzählen. Wir nahmen den Weg über den<span class="pagenum"><a id="Seite_394">[394]</a></span> -Brenner und waren am selben Abend noch in Verona. ›Torre -di Londra‹. Was mich andern Tags in der Capuletti- und -Montecchi-Stadt am meisten interessierte, war ein großer Parkgarten, -der ›Giardino Giusti‹, mit über zweihundert Zypressen, -alle fünfhundert Jahre alt und viele beinah so hoch wie das -Berliner Schloß. Ich ging mit Woldemar auf und ab, und -dabei berechneten wir uns, ob wohl die schöne Julia hier auch -schon auf und ab gegangen sei? Nur eins störte uns. Zu -solcher Prachtavenue von Trauerbäumen gehört als Abschluß -notwendig ein Mausoleum. Das fehlt aber. Im ›Giardino -Guisti‹ trafen wir Hauptmann von Gaza vom ersten Garderegiment, -der, von Neapel kommend, bereits alle Schönheit -Italiens gesehen hatte. Wir fragten ihn, ob Verona, wie -einem beständig versichert wird, wirklich die ›italienischste der -italienischen Städte‹ sei? Hauptmann von Gaza lachte. ›Von -Potsdam,‹ so meinte er, ›könne man vielleicht sagen, daß es -die preußischste Stadt sei. Aber Verona die italienischste? -Nie und nimmer.‹</p> - -<p>Über das vielgefeierte Venedig an dieser Stelle nur das -eine. Unser Hotel lag in Nähe einer mit Barock überladenen -Kirche: San Mose. Daß es einen Sankt Moses gibt, war mir -fremd und verwunderlich zugleich. Aber gleich danach dacht -ich an unsere Gendarmentürme und war beruhigt. Moses -geht doch immer noch vor Gendarm.</p> - -<p>Florenz überspring ich und erzähle Ihnen dafür lieber vom -Trasimenischen See, den wir auf unserer Eisenbahnfahrt passierten. -Woldemar, ein ganz klein wenig ›Taschen-Moltke‹, -mochte nicht darauf verzichten, den großen Hannibal auf Herz -und Nieren zu prüfen, und so stiegen wir denn in Nähe des -Sees aus, an einer kleinen Station, die, glaub ich, Borghetto-Tuoro -heißt. Es war auch für einen Laien über Erwarten -interessant, und selbst ich, die ich sonst gar reinen Sinn für derlei -Dinge habe, verstand alles, und fand mich leicht in jeglichem<span class="pagenum"><a id="Seite_395">[395]</a></span> -zurecht. Ja, ich hatte das Gefühl, daß ich in diesem hochgelegenen -Engpaß ebenfalls über die Römer gesiegt haben würde. -Der See hat viele Zu- und Abflüsse. Einer dieser Abflüsse -(mehr Kanal als Fluß) nennt sich der ›Emissarius‹, was mich -sehr erheiterte. Noch interessanter aber erschien mir ein anderer -Flußlauf, der, weil er am Schlachttage von Blut sich rötete, -der ›Sanguinetto‹ heißt. Das Diminutiv steigert hier ganz -entschieden die Wirkung. Der See ist übrigens sehr groß, zehn -Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erste Napoleon -ihn auspumpen lassen wollte. Da hätte sich dann ein neues -Herzogtum gründen lassen …«</p> - -<p>»Schau, schau,« sagte der alte Dubslav, »wer der blassen -Komtesse das zugetraut hätte! Ja, reisen und in den Krieg -ziehen, da lernt man, da wird man anders.«</p> - -<p>Und er legte den Brief beiseite.</p> - -<p>Zugleich aber war ein stilles Behagen über ihn gekommen, -und er überdachte, wie manche Freude das Leben doch immer -noch habe. Vor ihm, in den Parkbäumen, schlugen die Vögel, -und ein Buchfink kam bis auf den Tisch und sah ihn an, ganz -ohne Scheu. Das tat ihm ungemein wohl. »Etwas ganz -besonders Schönes im Leben ist doch das Vertrauen, und wenn's -auch bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt. Einige -haben eine schwarze Milz und sagen: alles sei von Anfang an -auf Mord und Totschlag gestellt. Ich kann es aber nicht finden.«</p> - -<p>Engelke kam, um abzuräumen. »Is ein schöner Tag heut,« -sagte Dubslav, »und die Krokusse kommen auch schon raus. -Eigentlich hab ich nich geglaubt, daß ich so was Hübsches noch -mal sehen würde. Und wenn ich dann denke, daß ich das alles -der Buschen verdanke! Merkwürdige Welt! Sponholz hatte -bloß immer seine grünen Tropfen, und Moscheles hatte nichts -als seinen ewigen Torgelow, und nu kommt die Buschen, und -mit einemmal is es besser. Ja, wirklich merkwürdig. Und nu -krieg ich auch noch, wenn auch bloß leihweise, solchen hübschen<span class="pagenum"><a id="Seite_396">[396]</a></span> -Brief von einer hübschen jungen Frau. Noch dazu Schwiegertochter. -Ja, Engelke, so geht's; nich zu glauben. Und da hättest -du vorhin den Buchfinken sehen sollen, wie mich der ansah. -Bloß als du kamst, da flog er weg; er muß sich vor dir gegrault -haben.«</p> - -<p>»Ach, gnädger Herr, vor mir grault sich keine Kreatur.«</p> - -<p>»Will dir's glauben. Und du sollst sehn, heute haben wir -nen guten Tag, und es kommt auch noch wer, an dem man -sich freuen kann. Wie mir schlecht war, da kam Koseleger und -die Prinzessin. Aber heute kam ein Buchfink. Und ich bin ganz -sicher, der hat noch ein Gefolge.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Dubslavs Ahnungen behielten recht; und als der Nachmittag -da war, kam Lorenzen, der sich, seitdem der Alte seinen -Katzenpfötchentee trank, nur selten und immer bloß flüchtig -hatte sehen lassen. Aber das war rein zufällig und sollte nicht -eine Mißbilligung darüber ausdrücken, daß sich der Alte bei der -Buschen in die Kur gegeben.</p> - -<p>»Nun endlich,« empfing ihn Dubslav, als Lorenzen eintrat. -»Wo bleiben Sie? Da heißt es immer, wir Junker wären -kleine Könige. Ja, wer's glaubt! Alle kleinen Könige haben -ein Cortege, das sich in Huldigungen und Purzelbäumen -überschlägt. Aber von solchem Gefolge habe ich noch nicht viel -gesehen. Baruch ist freilich hier gewesen und dann Koseleger -und dann die Prinzessin, aber der, der so halb <em class="antiqua">ex officio</em> kommen -sollte, der kommt nicht und schickt höchstens mal die Kulicke oder -die Elfriede mit ner Anfrage. Sterben und verderben kann -man. Und das heißt dann Seelsorge.«</p> - -<p>Lorenzen lächelte. »Herr von Stechlin, Ihre Seele macht -mir, trotz dieser meiner Vernachlässigung, keine Sorge, denn -sie zählt zu denen, die jeder Spezialempfehlung entbehren -können. Lassen Sie mich sehr menschlich, ja für einen Pfarrer -beinah lästerlich sprechen. Aber ich muß es. Ich lebe nämlich<span class="pagenum"><a id="Seite_397">[397]</a></span> -der Überzeugung, der liebe Gott, wenn es mal soweit ist, -freut sich, Sie wiederzusehen. Ich sage, wenn es soweit ist. Aber -es ist noch nicht soweit.«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, Lorenzen, ob Sie recht haben. Jedenfalls -aber befind ich mich in meinem derzeitig erträglichen Zustande -nur mit Hilfe der Buschen, und ob mich das nach obenhin besonders -empfehlen kann, ist mir zweifelhaft. Aber lassen wir -die heikle Frage. Erzählen Sie mir lieber etwas recht Hübsches -und Heiteres, auch wenn es nebenher etwas ganz Altes ist, -etwa das, was man früher Miscellen nannte. Das ist mir immer -das liebste gewesen und ist es noch. Was ich da so in den -Zeitungen lese, voran das Politische, das weiß ich schon immer -alles, und was ich von Engelke höre, das weiß ich auch. Beiläufig -– natürlich nur vom alleregoistischsten Zeitungsleserstandpunkt -aus – eine wahres Glück, daß es Unglücksfälle -gibt, sonst hätte man von der Zeitungslektüre so gut wie gar -nichts. Aber Sie, Sie lesen auch sonst noch allerlei, mitunter -sogar Gutes (freilich nur selten), und haben ein wundervolles -Gedächtnis für Räubergeschichten und Anekdoten aus allen -fünf Weltteilen. Außerdem sind Sie Friederikus-Rex-Mann, -was ich Ihnen eigentlich am höchsten anrechne, denn die Friederikus-Rex-Leute, -die haben alle Herz und Verstand auf dem -rechten Fleck. Also suchen Sie nach irgendwas der Art, nach -einer alten Zieten- oder Blücheranekdote, kann meinetwegen -auch Wrangel sein – ich bin dankbar für alles. Je schlechter es -einem geht, je schöner kommt einem so was kavalleristisch Frisches -und Übermütiges vor. Ich spiele mich persönlich nicht auf -Heldentum aus, Renommieren ist ein elendes Handwerk; aber -das darf ich sagen: ich liebe das Heldische. Und Gott sei Dank -kommt dergleichen immer noch vor.«</p> - -<p>»Gewiß kommt so was immer noch vor. Aber, Herr von -Stechlin, all dies Heldische …«</p> - -<p>»Nun aber, Lorenzen, Sie werden doch nicht gegen das<span class="pagenum"><a id="Seite_398">[398]</a></span> -Heldische sein? Soweit sind Sie doch noch nicht! Und wenn -es wäre, da würd ich ernstlich böse.«</p> - -<p>»Das läßt Ihre Güte nicht zu.«</p> - -<p>»Sie wollen mich einfangen. Aber diesmal glückt es nicht. -Was haben Sie gegen das Heldische?«</p> - -<p>»Nichts, Herr von Stechlin, gar nichts. Im Gegenteil. -Heldentum ist gut und groß. Und unter Umständen ist es das -Allergrößte. Lasse mir also den Heroenkultus durchaus gefallen, -das heißt, den echten und rechten. Aber was Sie da -von mir hören wollen, das ist, Verzeihung für das Wort, ein -Heldentum zweiter Güte. <em class="gesperrt">Mein</em> Heldentum – soll heißen, -was ich für Heldentum halte – das ist nicht auf dem Schlachtfelde -zu Hause, das hat keine Zeugen oder doch immer nur solche, -die mit zugrunde gehn. Alles vollzieht sich stumm, einsam, -weltabgewandt. Wenigstens als Regel. Aber freilich, <em class="gesperrt">wenn</em> -die Welt dann ausnahmsweise davon hört, dann horch ich -mit auf, und mit gespitzterem Ohr, wie ein Kavalleriepferd, das -die Trompete hört.«</p> - -<p>»Gut. Meinetwegen. Aber Beispiele.«</p> - -<p>»Kann ich geben. Da sind zunächst die fanatischen Erfinder, -die nicht ablassen von ihrem Ziel, unbekümmert darum, ob ein -Blitz sie niederschlägt oder eine Explosion sie in die Luft schleudert; -da sind des weiteren die großen Kletterer und Steiger, sei's -in die Höh, sei's in die Tiefe, da sind zum dritten die, die den -Meeresgrund absuchen wie ne Wiese, und da sind endlich die -Weltteildurchquerer und die Nordpolfahrer.«</p> - -<p>»Ach, der ewige Nansen. Nansen, der, weil er die diesseits -verlorene Hose jenseits in Grönland wiederfand, auf den Gedanken -kam: ›Was die Hose kann, kann ich auch.‹ Und daraufhin -fuhr er über den Pol. Oder wollte wenigstens.«</p> - -<p>Lorenzen nickte.</p> - -<p>»Nun ja, das war klug gedacht. Und daß dieser Nansen -sich an die Sache ranmachte, das respektier ich, auch wenn schließlich<span class="pagenum"><a id="Seite_399">[399]</a></span> -nichts draus wurde. Bleibt immer noch ein Bravourstück. -Gewiß, da sitzt nu so wer im Eise, sieht nichts, hört nichts, und -wenn wer kommt, ist es höchstens ein Eisbär. Indessen, er -freut sich doch, weil es wenigstens was Lebendiges ist. Ich darf -sagen, ich hab einen Sinn für dergleichen. Aber trotzdem, -Lorenzen, die Garde bei St. Privat ist doch mehr.«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, Herr von Stechlin. Echtes Heldentum, -oder um's noch einmal einzuschränken, ein solches, das mich -persönlich hinreißen soll, steht immer im Dienst einer Eigenidee, -eines allereigensten Entschlusses. Auch dann noch (ja mitunter -dann erst recht), wenn dieser Entschluß schon das Verbrechen -streift. Oder, was fast noch schlimmer, das Häßliche. -Kennen Sie den Cooperschen ›Spy‹? Da haben Sie den Spion -als Helden. Mit andern Worten, ein Niedrigstes als Höchstes. -Die Gesinnung entscheidet. Das steht mir fest. Aber es gibt -der Beispiele noch andere, noch bessere!«</p> - -<p>»Da bin ich neugierig,« sagte Dubslav. »Also wenn's -sein kann: Name.«</p> - -<p>»Name: Greeley, Leutnant Greeley; Yankee <em class="antiqua">pur sang</em>. -Und im übrigen auch einer aus der Nordpolfahrergruppe.«</p> - -<p>»Will also sagen: Nansen der Zweite.«</p> - -<p>»Nein, nicht der Zweite. Was er tat, war viele Jahre vor -Nansen.«</p> - -<p>»Und er kam höher hinauf? Weiter nach dem Pol zu? Oder -waren seine Eisbär-Rencontres von noch ernsthafterer Natur?«</p> - -<p>»All das würde mir nicht viel besagen. Das herkömmlich -Heldische fehlt in seiner Geschichte völlig. Was an seine Stelle -tritt, ist ein ganz andres. Aber dies andre, <em class="gesperrt">das</em> gerade macht es.«</p> - -<p>»Und das war?«</p> - -<p>»Nun denn, – ich erzähle nach dem Gedächtnis und im -Einzelnen und Nebensächlichen irr ich vielleicht … Aber in -der Hauptsache stimmt es … Also zuletzt, nach langer Irrfahrt, -waren's noch ihrer fünf: Greeley selbst und vier seiner<span class="pagenum"><a id="Seite_400">[400]</a></span> -Leute. Das Schiff hatten sie verlassen, und so zogen sie hin -über Eis und Schnee. Sie wußten den Weg, soweit sich da -von Weg sprechen läßt, und die Sorge war nur, ob das bißchen -Proviant, das sie mit sich führten, Schiffszwieback und gesalzenes -Fleisch, bis an die nächste menschenbewohnte Stelle -reichen würde. Jedem war ein höchstes und doch zugleich auch -wieder geringstes Maß als tägliche Provision zubewilligt, und -wenn man dies Maß einhielt und kein Zwischenfall kam, so -mußt es reichen. Und einer, der noch am meisten bei Kräften -war, schleppte den gesamten Proviant. Das ging so durch Tage. -Da nahm Leutnant Greeley wahr, daß der Proviant schneller -hinschmolz als berechnet, und nahm auch wahr, daß der Proviantträger -selbst, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, von den -Rationen nahm. Das war eine schreckliche Wahrnehmung. -Denn ging es so fort, so waren sie samt und sonders verloren. -Da nahm Greeley die drei andern beiseit und beriet mit ihnen. -Eine Möglichkeit gewöhnlicher Bestrafung gab es nicht, und auf -einen Kampf sich einzulassen ging auch nicht. Sie hatten dazu -die Kräfte nicht mehr. Und so hieß es denn zuletzt, und es -war Greeley, der es sagte: ›Wir müssen ihn hinterrücks erschießen.‹ -Und als sie bald nach dieser Kriegsgerichtsszene wieder -aufbrachen, der heimlich Verurteilte vorn an der Tete, trat -Greeley von hintenher an ihn heran und schoß ihn nieder. Und -die Tat war nicht umsonst getan; ihre Rationen reichten aus, -und an dem Tage, wo sie den letzten Bissen verzehrten, kamen -sie bis an eine Station.«</p> - -<p>»Und was wurde weiter?«</p> - -<p>»Ich weiß nicht mehr, ob Greeley selbst bei seiner Rückkehr -nach Newyork als Ankläger gegen sich auftrat; aber -das weiß ich, daß es zu einer großen Verhandlung kam.«</p> - -<p>»Und in dieser …«</p> - -<p>»… In dieser wurd er freigesprochen und im Triumph -nach Hause getragen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_401">[401]</a></span></p> - -<p>»Und Sie sind einverstanden damit?«</p> - -<p>»Mehr; ich bin voll Bewunderung. Greeley, statt zu tun, -was er tat, hätte zu den Gefährten sagen können: ›Unser Exempel -wird falsch, und wir gehen an des einen Schuld zugrunde; -töten mag ich ihn nicht, – sterben wir also alle.‹ Für seine -Person hätt er so sprechen und handeln können. Aber es handelte -sich nicht bloß um ihn; er hatte die Führer- und die Befehlshaberrolle, -zugleich die Richterpflicht, und hatte die Majorität -von drei gegen eine Minorität von einem zu schützen. -Was dieser eine getan, an und für sich ein Nichts, war unter -den Umständen, unter denen es geschah, ein fluchwürdiges -Verbrechen. Und so nahm er denn gegen die geschehene schwere -Tat die schwere Gegentat auf sich. In solchem Augenblicke -richtig fühlen und in der Überzeugung des Richtigen fest und unbeirrt -ein furchtbares Etwas tun, ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhange -gerissen, allem göttlichen Gebot, allem Gesetz und -aller Ehre widerspricht, <em class="gesperrt">das</em> imponiert mir ganz ungeheuer und ist -in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut. Schmach und -Schimpf, oder doch der Vorwurf des Schimpflichen, haben sich -von jeher an alles Höchste geknüpft. Der Bataillonsmut, der Mut -in der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein Herdenmut.«</p> - -<p>Dubslav sah vor sich hin. Er war augenscheinlich in einem -Schwankezustand. Dann aber nahm er die Hand Lorenzens -und sagte: »Sie sollen recht haben.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Neununddreissigstes_Kapitel">Neununddreißigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Dubslav hatte nach Lorenzens Besuch eine gute Nacht. -»Wenn man mal so was andres hört, wird einem gleich besser.« -Aber auch der Katzenpfötchentee fuhr fort, seine Wirkung zu -tun, und was dem Kranken am meisten half, war, daß er die -grünen Tropfen fortließ.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_402">[402]</a></span></p> - -<p>»Hör, Engelke, am Ende wird es noch mal was. Wie gefallen -dir meine Beine? Wenn ich drücke, keine Kute mehr.«</p> - -<p>»Gewiß, gnädger Herr, es wird nu wieder, un das macht -alles der Tee. Ja, die Buschen versteht es, das hab ich immer -gesagt. Und gestern abend, als Lorenzen hier war, war auch -lütt Agnes hier un hat unten in der Küche gefragt, wie's -denn eigentlich mit dem gnädigen Herrn stünn? Und die -Mamsell hat ihr gesagt, ›es stünde gut‹.«</p> - -<p>»Na, das is recht, daß die Alte, wie 'n richtiger Doktor, -sich um einen kümmert und von allem wissen will. Und daß -sie nicht selber kommt, ist noch besser. So'n bißchen schlecht -Gewissen hat sie doch woll. Ich glaube, daß sie viel auf'm -Kerbholz hat, und daß die Karline so is, wie sie is, daran is -doch auch bloß die Alte schuld. Und das Kind wird vielleicht -auch noch so; sie dreht sich schon wie ne Puppe, und dazu das -lange, blonde Zoddelhaar. Ich muß dabei immer an Bellchen -denken, – weißt du noch, als die gnädge Frau noch -lebte. Bellchen hatte auch solche Haare. Und war auch der -Liebling. Solche sind immer Liebling. Krippenstapel, hör ich, -soll sie auch in der Schule verwöhnen. Wenn die andern ihn -noch anglotzen, dann schießt sie schon los. Es ist ein kluges Ding.«</p> - -<p>Engelke bestätigte, was Dubslav sagte, und ging dann nach -unten, um dem gnädgen Herrn sein zweites Frühstück zu holen: -ein weiches Ei und eine Tasse Fleischbrühe. Als er aber aus dem -Gartenzimmer auf den großen Hausflur hinaustrat, sah er, -daß ein Wagen vorgefahren war, und statt in die Küche zu -gehen, ging er doch lieber gleich zu seinem Herrn zurück, um mit -verlegenem Gesicht zu melden, daß das gnädge Fräulein da sei.</p> - -<p>»Wie? Meine Schwester?«</p> - -<p>»Ja, das gnädge Frölen.«</p> - -<p>»I, da soll doch gleich ne alte Wand wackeln,« sagte Dubslav, -der einen ehrlichen Schreck gekriegt hatte, weil er sicher -war, daß es jetzt mit Ruh und Frieden auf Tage, vielleicht<span class="pagenum"><a id="Seite_403">[403]</a></span> -auf Wochen, vorbei sei. Denn Adelheid mit ihren sechsundsiebzig -setzte sich nicht gern auf eine Kleinigkeit hin in Bewegung, -und wenn sie die beinahe vier Meilen von Kloster Wutz her -herüberkam, so war das kein Nachmittagsbesuch, sondern Einquartierung. -Er fühlte, daß sich sein ganzer Zustand mit einem -Male wieder verschlechterte und daß eine halbe Atemnot im -Nu wieder da war.</p> - -<p>Er hatte aber nicht lange Zeit, sich damit zu beschäftigen, -denn Engelke öffnete bereits die Tür, und Adelheid kam auf -ihn zu. »Tag, Dubslav. Ich muß doch mal sehn. Unser Rentmeister -Fix ist vorgestern hier in Stechlin gewesen und hat dabei -von deinem letzten Unwohlsein gehört. Und daher weiß -ich es. Eh du persönlich deine Schwester so was wissen läßt -oder einen Boten schickst …«</p> - -<p>»Da muß ich schon tot sein,« ergänzte der alte Stechlin -und lachte. »Nun, laß es gut sein, Adelheid, mach dir's bequem -und rücke den Stuhl da heran.«</p> - -<p>»Den Stuhl da? Aber, Dubslav, was du dir nur denkst! -Das ist ja ein Großvaterstuhl oder doch beinah.« Und dabei -nahm sie statt dessen einen kleinen, leichten Rohrsessel und ließ -sich drauf nieder. »Ich komme doch nicht zu dir, um mich hier -in einen großen Polsterstuhl mit Backen zu setzen. Ich will -meinen lieben Kranken pflegen, aber ich will nicht selber eine -Kranke sein. Wenn es so mit mir stünde, wär ich zu Hause geblieben. -Du rechnest immer, daß ich zehn Jahre älter bin als -du. Nun, ja, ich bin zehn Jahre älter. Aber was sind die Jahre? -Die Wutzer Luft ist gesund, und wenn ich die Grabsteine bei -uns lese, unter achtzig ist da beinah keine von uns abgegangen. -Du wirst erst siebenundsechzig. Aber ich glaube, du hast dein -Leben nicht richtig angelegt, ich meine deine Jugend, als du noch -in Brandenburg warst. Und von Brandenburg immer rüber -nach Berlin. Na, das kennt man. Ich habe neulich was Statistisches -gelesen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_404">[404]</a></span></p> - -<p>»Damen dürfen nie Statistisches lesen,« sagte Dubslav, -»es ist entweder zu langweilig oder zu interessant, – und das -ist dann noch schlimmer. Aber nun klingle (verzeih, mir wird -das Aufstehn so schwer), daß uns Engelke das Frühstück bringt; -du kommst <em class="antiqua">à la fortune du pot</em> und mußt fürlieb nehmen. -Mein Trost ist, daß du drei Stunden unterwegs gewesen, -Hunger ist der beste Koch.«</p> - -<p>Beim Frühstück, das bald danach aufgetragen wurde – -die Jahreszeit gestattete, daß auch eine Schale mit Kiebitzeiern -aufgesetzt werden konnte – verbesserte sich die Stimmung -ein wenig; Dubslav ergab sich in sein Schicksal, und Adelheid -wurde weniger herbe.</p> - -<p>»Wo hast du nur die Kiebitzeier her?« sagte sie. »Das ist -was Neues. Als ich noch hier lebte, hatten wir keine.«</p> - -<p>»Ja, die Kiebitze haben sich seit kurzem hier eingefunden, -an unserm Stechlin, da, wo die Binsen stehn; aber bloß auf -der Globsower Seite. Nach der andern Seite hin wollen sie -nicht. Ich habe mir gedacht, es sei vielleicht ein Fingerzeig, -daß ich nun auch welche nach Friedrichsruh schicken soll. Aber -das geht nicht; dann gelt ich am Ende gleich für eingeschworen, -und Uncke notiert mich. Wer dreimal Kiebitzeier schickt, kommt -ins schwarze Buch. Und das kann ich schon Woldemars wegen -nicht.«</p> - -<p>»Is auch recht gut so. Was zuviel ist, ist zuviel. Er soll -sich ja mit der Lucca zusammen haben photographieren lassen. -Und während sie da oben in der Regierung und mitunter auch -bei Hofe so was tun, fordern sie Tugend und Sitte. Das -geht nicht. Bei sich selber muß man anfangen. Und dann ist -er doch auch schließlich bloß ein Mensch, und alle Menschenanbetung -ist Götzendienst. Menschenanbetung ist noch schlimmer -als das goldene Kalb. Aber ich weiß wohl, Götzendienst kommt -jetzt wieder auf, und Hexendienst auch, und du sollst ja auch – so -wenigstens hat mir Fix erzählt – nach der Buschen geschickt haben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_405">[405]</a></span></p> - -<p>»Ja, es ging mir schlecht.«</p> - -<p>»Gerade, wenn's einem schlecht geht, dann soll man Gott -und Jesum Christum erkennen lernen, aber nicht die Buschen. -Und sie soll dir Katzenpfötchentee gebracht haben und soll auch -gesagt haben: ›Wasser treibt das Wasser.‹ Das mußt du doch -heraushören, daß das ein unchristlicher Spruch ist. Das ist, -was sie ›besprechen‹ nennen oder auch ›böten‹. Und wo das alles -herstammt, … Dubslav, Dubslav, … Warum bist du nicht -bei den grünen Tropfen geblieben und bei Sponholz? Seine -Frau war eine Pfarrerstochter aus Kuhdorf.«</p> - -<p>»Hat ihr auch nichts geholfen. Und nu sitzt sie mit ihm in -Pfäffers, einem Schweizerbadeort, und da schmoren sie gemeinschaftlich -in einem Backofen. Er hat es mir selbst erzählt, -daß es ein Backofen is.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Der erste Tag war immerhin ganz leidlich verlaufen. Adelheid -erzählte von Fix, von der Schmargendorf und der Schimonski -und zuletzt auch von Maurermeister Lebenius in Berlin, -der in Wutz eine Ferienkolonie gründen wolle. »Gott, wir -kriegen dann so viel armes Volk in unsern Ort und noch dazu -lauter Berliner Bälge mit Plieraugen. Aber die grünen Wiesen -sollen ja gut dafür sein und unser See soll Jod haben, freilich -wenig, aber doch so, daß man's noch gerade finden kann.« -Adelheid sprach in einem fort, derart, daß Dubslav kaum zu -Wort kommen konnte. Gelang es ihm aber, so fuhr sie rasch -dazwischen, trotzdem sie beständig versicherte, daß sie gekommen -sei, ihn zu pflegen, und nur, wenn er auf Woldemar das Gespräch -brachte, hörte sie mit einiger Aufmerksamkeit zu. Freilich, -die italienischen Reisemitteilungen als solche waren ihr -langweilig, und nur bei Nennung bestimmter Namen, unter -denen »Tintoretto« und »Santa Maria Novella« obenan -standen, erheiterte sie sich sichtlich. Ja, sie kicherte dabei fast -so vergnügt wie die Schmargendorf. Ein wirkliches, nicht ganz<span class="pagenum"><a id="Seite_406">[406]</a></span> -flüchtiges Interesse (wenn auch freilich kein freundliches) zeigte -sie nur, wenn Dubslav von der jungen Frau sprach und hinzusetzte: -»Sie hat so was Unberührtes.«</p> - -<p>»Nu ja, nu ja. Das liegt aber doch zurück.«</p> - -<p>»Wer keusch ist, bleibt keusch.«</p> - -<p>»Meinst du das ernsthaft?«</p> - -<p>»Natürlich mein ich es ernsthaft. Über solche Dinge spaß -ich überhaupt nicht.«</p> - -<p>Und nun lachte Adelheid herzlich und sagte: »Dubslav, -was hast du nur wieder für Bücher gelesen? Denn aus dir selbst -kannst du doch so was nicht haben. Und von deinem Pastor -Lorenzen auch nicht. Der wird ja wohl nächstens ne ›freie Gemeinde‹ -gründen.«</p> - -<p>So war der erste Tag dahingegangen. Alles in allem, -trotz kleiner Ärgerlichkeiten, unterhaltlich genug für den Alten, -der, unter seiner Einsamkeit leidend, meist froh war, irgendeinen -Plauderer zu finden, auch wenn dieser im übrigen nicht gerade -der richtige war. Aber das alles dauerte nicht lange. Die -Schwester wurde von Tag zu Tag rechthaberischer und herrischer -und griff unter der Vorgabe, »daß ihr Bruder anders verpflegt -werden müsse«, in alles ein, auch in Dinge, die mit der -Verpflegung gar nichts zu tun hatten. Vor allem wollte sie ihm -den Katzenpfötchentee wegdisputieren, und wenn abends die -kleine Meißener Kanne kam, gab es jedesmal einen erregten -Disput über die Buschen und ihre Hexenkünste.</p> - -<p>So waren denn noch keine acht Tage um, als es für Dubslav -feststand, daß Adelheid wieder fort müsse. Zugleich sann -er nach, wie das wohl am besten zu machen sei. Das war aber -keine ganz leichte Sache, da die »Kündigung« notwendig von -ihr ausgehen mußte. So wenig er sich aus ihr machte, so war er -doch zu sehr Mann der Form und einer feineren Gastlichkeit, als -daß er's zuwege gebracht hätte, seinerseits auf Abreise zu dringen.</p> - -<p>Es war um die vierte Stunde, das Wetter schön, aber<span class="pagenum"><a id="Seite_407">[407]</a></span> -auch frisch. Adelheid hing sich ihren Pelzkragen um, ein altes -Familienerbstück, und ging zu Krippenstapel, um sich seine -Bienenstöcke zeigen zu lassen. Sie hoffte bei der Gelegenheit -auch was über den Pastor zu hören, weil sie davon ausging, -daß ein Lehrer immer über den Prediger und der Prediger -immer über den Lehrer zu klagen hat. Jedes Landfräulein -denkt so. Die Bienen nahm sie so mit in den Kauf.</p> - -<p>Es begann zu dunkeln, und als die Domina schließlich aus -dem Herrenhause fort war, war das eine freie Stunde für Dubslav, -der nun nicht länger säumen mochte, seine Mine zu legen.</p> - -<p>»Engelke,« sagte er, »du könntest in die Küche gehn und -die Marie zur Buschen schicken. Die Marie weiß ja Bescheid -da. Und da kann sie denn der alten Hexe sagen, lütt Agnes -solle heute abend mit heraufkommen und hier schlafen und immer -da sein, wenn ich was brauche.«</p> - -<p>Engelke stand verlegen da.</p> - -<p>»Nu, was hast du? Bist du dagegen?«</p> - -<p>»Nein, gnädger Herr, dagegen bin ich wohl eigentlich nich. -Aber ich schlafe doch auch nebenan, und dann is es ja, wie wenn -ich für gar nichts mehr da wär und fast so gut wie schon abgesetzt. -Und das Kind kann doch auch nich all das, was nötig -is; Agnes is ja doch noch ne lütte Krabb.«</p> - -<p>»Ja, das is sie. Und du sollst auch in der andern Stube -bleiben und alles tun wie vorher. Aber trotzdem, die Agnes -soll kommen. Ich brauche das Kind. Und du wirst auch bald -sehn, warum.«</p> - -<p>Und so kam denn auch Agnes, aber erst sehr spät, als sich -Adelheid schon zurückgezogen hatte, dabei nicht ahnend, welche -Ränke mittlerweile gegen sie gesponnen waren. Auf diese Verheimlichung -kam es aber gerade an. Dubslav hatte sich nämlich -wie Franz Moor – an den er sonst wenig erinnerte – herausgeklügelt, -daß Überraschung und Schreck bei seinem Plan -mitwirken müßten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_408">[408]</a></span></p> - -<p>Agnes schlief in einer nebenan aufgestellten eisernen Bettstelle. -Dubslav, gerade so wie seine Schwester, hatte das -etwas auffällig herausgeputzte Kind bei seinem Erscheinen im -Herrenhause gar nicht mehr gesehen; es trug ein langes, himmelblaues -Wollkleid ohne Taille, dazu Knöpfstiefel und lange -rote Strümpfe, – lauter Dinge, die Karline schon zu letzten -Weihnachten geschenkt hatte. Gleich damals, am ersten Feiertag, -hatte das Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, -aber bloß so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe -damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo sie bei dem gnädgen -Herrn in Krankenpflege gehen sollte, jetzt war die richtige -Zeit dafür da.</p> - -<p>Die Nacht verging still; niemand war gestört worden. Um -sieben erst kam Engelke und sagte: »Nu, lütt Deern, steih upp, -is all seben.« Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem -Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamm, dem ein paar -Zähne fehlten, durch ihr etwas gekraustes langes Blondhaar, -putzte sich wie ein Kätzchen und zog dann den himmelblauen -Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfstiefel -an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit -Milchkaffee, und als sie damit fertig war, nahm sie ihr -Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo -Dubslav bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf seine -Schwester wartete. Denn um acht nahmen sie das erste -Frühstück gemeinschaftlich.</p> - -<p>»So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast du denn -schon deinen Kaffee gehabt?«</p> - -<p>Agnes knickste.</p> - -<p>»Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei deiner Arbeit -besser sehn kannst; du hast ja schon dein Strickzeug in der Hand. -Solch junges Ding wie du muß immer was zu tun haben, -sonst kommt sie auf dumme Gedanken. Nicht wahr?«</p> - -<p>Agnes knickste wieder, und da sie sah, daß ihr der Alte<span class="pagenum"><a id="Seite_409">[409]</a></span> -weiter nichts zu sagen hatte, ging sie bis an das ihr bezeichnete -Fenster, dran ein länglicher Eichentisch stand, und fing an zu -stricken. Es war ein sehr langer Strumpf, brandrot und, -nach seiner Schmalheit zu schließen, für sie selbst bestimmt.</p> - -<p>Sie war noch nicht lange bei der Arbeit, als Adelheid eintrat -und auf ihren im Lehnstuhl sitzenden Bruder zuschritt. Bei -der geringen Helle, die herrschte, traf sich's, daß sie von dem -Gast am Fenster nicht recht was wahrnahm. Erst als Engelke -mit dem Frühstück kam und die plötzlich geöffnete Tür mehr -Licht einfallen ließ, bemerkte sie das Kind und sagte: »Da sitzt -ja wer. Wer ist denn das?«</p> - -<p>»Das ist Agnes, das Enkelkind von der Buschen.«</p> - -<p>Adelheid bewahrte mit Mühe Haltung. Als sie sich wieder -zurechtgefunden, sagte sie: »So, Agnes. Das Kind von der -Karline?«</p> - -<p>Dubslav nickte.</p> - -<p>»Das ist mir ja ne Überraschung. Und wo hast du sie denn, -seit ich hier bin, versteckt gehalten? Ich habe sie ja die ganze -Woche über noch nicht gesehn.«</p> - -<p>»Konntest du auch nicht, Adelheid; sie ist erst seit gestern -abend hier. Mit Engelke ging das nicht mehr, wenigstens -nicht auf die Dauer. Er ist ja so alt wie ich. Und immer raus in -der Nacht und rauf und runter und mich umdrehn und heben. -Das konnt ich nich mehr mit ansehn.«</p> - -<p>»Und da hast du dir die Agnes kommen lassen? Die soll -dich nun rumdrehn und heben? Das Kind, das Wurm. Haha. -Was du dir doch alles für Geschichten machst.«</p> - -<p>»Agnes,« sagte hier Dubslav, »du könntest mal zu Mamsell -Pritzbur in die Küche gehn und ihr sagen, ich möchte heute mittag -ne gefüllte Taube haben. Aber nich so mager und auch -nich so wenig Füllung, und daß es nich nach alter Semmel -schmeckt. Und dann kannst du gleich bei der Mamsell unten -bleiben und dir ne Geschichte von ihr erzählen lassen, vom<span class="pagenum"><a id="Seite_410">[410]</a></span> -›Schäfer und der Prinzessin‹ oder vom ›Fischer un sine Fru‹; -Rotkäppchen wirst du wohl schon kennen.«</p> - -<p>Agnes stand auf, trat unbefangen an den Tisch, wo Bruder -und Schwester saßen, und machte wiederholt ihren Knicks. -Dabei hielt sie das Strickzeug und den langen Strumpf in -der Hand.</p> - -<p>»Für wen strickst du denn den?« fragte die Domina.</p> - -<p>»Für mich.«</p> - -<p>Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterschied -in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von diesem -Unterschied wahr, sah vielmehr ohne Furcht um sich und ging -aus dem Zimmer, um unten in der Küche die Bestellung auszurichten.</p> - -<p>Als sie hinaus war, wiederholte sich Adelheids krampfhaftes -Lachen. Dann aber sagte sie: »Dubslav, ich weiß nicht, -warum du dir, so lang ich hier bin, gerade diese Hilfskraft angenommen -hast. Ich bin deine Schwester und eine Märkische -von Adel. Und bin auch die Domina von Kloster Wutz. Und -meine Mutter war eine Radegast. Und die Stechline, die drüben -in der Gruft unterm Altar stehn, die haben, soviel ich weiß, auf -ihren Namen gehalten und sich untereinander die Ehre gegeben, -die jeder beanspruchen durfte. Du nimmst hier das -Kind der Karline in dein Zimmer und setzt es ans Fenster, fast -als ob's da jeder so recht sehn sollte. Wie kommst du zu dem -Kind? Da kann sich Woldemar freuen und seine Frau auch, -die so was ›Unberührtes‹ hat. Und Gräfin Melusine! Na, -die wird sich wohl auch freun. Und die darf auch. Aber ich -wiederhole meine Frage, wie kommst du zu dem Kind?«</p> - -<p>»Ich hab es kommen lassen.«</p> - -<p>»Haha. Sehr gut; ›kommen lassen‹. Der Klapperstorch -hat es dir wohl von der grünen Wiese gebracht und natürlich -auch gleich für die roten Beine gesorgt. Aber ich kenne dich besser. -Die Leute hier tun immer so, wie wenn du dem alten Kortschädel<span class="pagenum"><a id="Seite_411">[411]</a></span> -sittlich überlegen gewesen wärst. Ich für meine Person -kann's nicht finden und sagte dir gern meine Meinung darüber. -Aber ich nehme häßliche Worte nicht gern in den Mund.«</p> - -<p>»Adelheid, du regst dich auf. Und ich frage mich, warum? -Du bist ein bißchen gegen die Buschen, – nun gut, gegen die -Buschen kann man sein; und du bist ein bißchen gegen die -Karline, – nun gut, gegen die Karline kann man auch sein. -Aber ich sehe dir's an, das Eigentliche, was dich aufregt, das -ist nicht die Buschen und ist auch nicht die Karline, das sind bloß -die roten Strümpfe. Warum bist du so sehr gegen die roten -Strümpfe?«</p> - -<p>»Weil sie ein Zeichen sind.«</p> - -<p>»Das sagt gar nichts, Adelheid. Ein Zeichen ist alles. Wovon -sind sie ein Zeichen? Darauf kommt es an.«</p> - -<p>»Sie sind ein Zeichen von Ungehörigkeit und Verkehrtheit. -Und ob du nun lachen magst oder nicht – denn an einem -Strohhalm sieht man eben am besten, woher der Wind weht –, -sie sind ein Zeichen davon, daß alle Vernunft aus der Welt -ist und alle gesellschaftliche Scheidung immer mehr aufhört. -Und das alles unterstützt du. Du denkst wunder, wie fest du bist; -aber du bist nicht fest und kannst es auch nicht sein, denn du -steckst in allerlei Schrullen und Eitelkeiten. Und wenn sie dir -um den Bart gehn oder dich bei deinen Liebhabereien fassen, -dann läßt du das, worauf es ankommt, ohne weiteres im -Stich. Es soll jetzt viele solche geben, denen ihr Humor und -ihre Rechthaberei viel wichtiger ist als Gläubigkeit und Apostolikum. -Denn sie sind sich selber ihr Glaubensbekenntnis. Aber, -glaube mir, dahinter steckt der Versucher, und wohin der am -Ende führt, das weißt du, – soviel wird dir ja wohl noch -geblieben sein.«</p> - -<p>»Ich hoffe,« sagte Dubslav.</p> - -<p>»Und weil du bist wie du bist, freust du dich, daß diese Zierpuppe -(schon ganz wie die Karline) rote Strümpfe trägt und sich<span class="pagenum"><a id="Seite_412">[412]</a></span> -neue dazu strickt. Ich aber wiederhole dir, diese roten Strümpfe, -die sind ein Zeichen, eine hochgehaltene Fahne.«</p> - -<p>»Strümpfe werden nicht hochgehalten.«</p> - -<p>»Noch nicht, aber das kann auch noch kommen. Und das -ist dann die richtige Revolution, die Revolution in der Sitte, -– das, was sie jetzt das ›Letzte‹ nennen. Und ich begreife dich -nicht, daß du davon kein Einsehn hast, du, ein Mann von Familie, -von Zugehörigkeit zu Thron und Reich. Oder der sich's -wenigstens einbildet.«</p> - -<p>»Nun gut, nun gut.«</p> - -<p>»Und da reist du herum, wenn sie den Torgelow oder den -Katzenstein wählen wollen, und hältst deine Reden, wiewohl -du eigentlich nicht reden kannst …«</p> - -<p>»Das is richtig. Aber ich hab auch keine gehalten …«</p> - -<p>»Und hältst deine Reden für König und Vaterland und für -die alten Güter und sprichst gegen die Freiheit. Ich versteh -dich nicht mit deinem ewigen ›gegen die Freiheit‹. Laß sie doch -mit ihrer ganzen dummen Freiheit machen, was sie wollen. -Was heißt Freiheit? Freiheit ist gar nichts; Freiheit ist, wenn -sie sich versammeln und Bier trinken und ein Blatt gründen. -Du hast bei den Kürassieren gestanden und mußt doch wissen, -daß Torgelow und Katzenstein (was keinen Unterschied macht) -uns nicht erschüttern werden, uns nicht und unsern Glauben -nicht und Stechlin nicht und Wutz nicht. Die Globsower, solange -sie bloß Globsower sind, können gar nichts erschüttern. Aber -wenn erst der Buschen ihre Enkelkinder, denn die Karline wird -doch wohl schon mehrere haben, ihre Knöpfstiefel und ihre roten -Strümpfe tragen, als müßt es nur so sein, ja, Dubslav, dann -ist es vorbei. Mit der Freiheit, laß mich das wiederholen, hat es -nicht viel auf sich; aber die roten Strümpfe, das ist was. Und -dir trau ich ganz und gar nicht, und der Karline natürlich erst -recht nicht, wenn es auch vielleicht schon eine Weile her ist.«</p> - -<p>»Sagen wir ›vielleicht‹.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_413">[413]</a></span></p> - -<p>»O, ich kenne das. Du willst das wegwitzeln, das ist so -deine Art. Aber unser Kloster ist nicht so aus der Welt, daß -wir nicht auch Bescheid wüßten.«</p> - -<p>»Wozu hättet ihr sonst euern Fix?«</p> - -<p>»Kein Wort gegen den.«</p> - -<p>Und in großer Erregung brach das Gespräch ab. Noch am -selben Nachmittag aber verabschiedete sich Adelheid von ihrem -Bruder und fuhr nach Wutz zurück.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_414">[414]</a></span></p> - -<h2 id="Verweile_doch_Tod_Begraebnis">Verweile doch. Tod. Begräbnis.<br /> -Neue Tage.</h2> - -<h3 id="Vierzigstes_Kapitel">Vierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Agnes, während oben die gereizte Szene zwischen Bruder -und Schwester spielte, war unten in der Küche bei Mamsell -Pritzbur und erzählte von Berlin, wo sie vorigen Sommer -bei ihrer Mutter auf Besuch gewesen war. »Eins war da,« -sagte sie, »das hieß das Aquarium. Da lag eine Schlange, die -war so dick wie'n Bein.«</p> - -<p>»Aber hast du denn schon Beine gesehn?« fragte die Pritzbur.</p> - -<p>»Aber, Mamsell Pritzbur, ich werde doch wohl schon Beine -gesehn haben … Und dann, an einem andern Tag, da waren -wir in einem ›Tiergarten‹, aber in einem richtigen, mit allerlei -Tieren drin. Und den nennen sie den ›Zoologischen‹.«</p> - -<p>»Ja, davon hab ich auch schon gehört.«</p> - -<p>»Und in dem ›Zoologischen‹, da war ein ganz kleiner See, -noch viel kleiner als unser Stechlin, und in dem See standen allerlei -Vögel. Und einer, ganz wie'n Storch, stand auf einem Bein.«</p> - -<p>Als die Mädchen das Wort »Storch« hörten, kamen sie -näher heran.</p> - -<p>»Aber die Beine von dem Vogel, oder es waren wohl -mehrere Vögel, die waren viel größer als Storchenbeine und -auch viel dicker und viel röter.«</p> - -<p>»Und taten sie dir nichts?«</p> - -<p>»Nein, sie taten mir nichts. Bloß, wenn sie so ne Weile -gestanden hatten, dann stellten sie sich auf das andre Bein.<span class="pagenum"><a id="Seite_415">[415]</a></span> -Und ich sagte zu Mutter: ›Mutter, komm; der eine sieht mich -immer so an.‹ Und da gingen wir an eine andere Stelle, wo -der Bär war.«</p> - -<p>Das Kind erzählte noch allerlei. Die Mädchen und auch -die Mamsell freuten sich über Agnes, und sie trug ihnen ein -paar Lieder vor, die ihre Mutter, die Karline, immer sang, -wenn sie plättete, und sie tanzte auch, während sie sang, wobei -sie das himmelblaue Kleid zierlich in die Höhe nahm, ganz -so, wie sie's in der Hasenheide gesehen hatte.</p> - -<p>So kam der Nachmittag heran, und als es schon dunkelte, -sagte Engelke: »Ja, gnädger Herr, wie is das nu mit Agnessen? -Sie is immer noch bei Mamsell Pritzbur unten, un die Mächens -wenn sie so singt und tanzt, kucken ihr zu. Sie wird woll auch -so was wie die Karline. Soll sie wieder nach Haus, oder soll -sie hierbleiben?«</p> - -<p>»Natürlich soll sie hierbleiben. Ich freue mich, wenn ich -das Kind sehe. Du hast ja ein gutes Gesicht, Engelke, aber ich -will doch auch mal was andres sehn als dich. Wie das lütte -Balg da so saß, so steif wie ne Prinzeß, hab ich immer hingekuckt -und ihr wohl ne Viertelstunde zugesehn, wie da die Stricknadeln -immer so hin und her gingen und der rote Strumpf -neben ihr baumelte. So was Hübsches hab ich nicht mehr gesehn, -seit zu Weihnachten die Grafschen hier waren, die blasse -Komtesse und die Gräfin. Hat sie dir auch gefallen?«</p> - -<p>Engelke griente.</p> - -<p>»Na, ich sehe schon. Also Agnes bleibt. Und sie kann ja -auch nachts mal aufstehn und mir eine Tasse von dem Tee -bringen, oder was ich sonst grade brauche, und du alte Seele -kannst ausschlafen. Ach, Engelke, das Leben is doch eigentlich -schwer. Das heißt, wenn's auf die Neige geht; vorher is es -soweit ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg -nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los; -aber in Berlin, da ging es.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_416">[416]</a></span></p> - -<p>»Ja, gnädger Herr. Aber nu kommt es.«</p> - -<p>»Ja, nu kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran. So was -gab es damals noch gar nicht. Aber ich will nichts sagen, sonst -wird die Buschen ärgerlich, und mit alten Weibern muß man -gut stehn; das is noch wichtiger als mit jungen. Und, wie gesagt, -die Agnes bleibt. Ich sehe so gern was Zierliches. Es is -ein reizendes Kind.«</p> - -<p>»Ja, das is sie. Aber …«</p> - -<p>»Ach, laß die ›Abers‹. Du sagst, sie wird wie die Karline. -Möglich is es. Aber vielleicht wird sie auch ne Nonne. Man -kann nie wissen.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Agnes blieb also bei Dubslav. Sie saß am Fenster und -strickte. Mal in der Nacht, als ihm recht schlecht war, hatte er -nach dem Kinde rufen wollen. Aber er stand wieder davon ab. -»Das arme Kind, was soll ich ihm den Schlaf stören? Und -helfen kann es mir doch nicht.«</p> - -<p>So verging eine Woche. Da sagte der alte Dubslav: »Engelke, -das mit der Agnes, das kann ich nich mehr mit ansehn. -Sie sitzt da jeden Morgen und strickt. Das arme Wurm muß -ja hier umkommen. Und alles bloß, weil ich alter Sünder ein -freundliches Gesicht sehn will. Das geht so nich mehr weiter. -Wir müssen sehn, daß wir was für das Kind tun können. -Haben wir denn nicht ein Buch mit Bildern drin oder so was?«</p> - -<p>»Ja, gnädger Herr, da sind ja noch die vier Bände, die -wir letzte Weihnachten bei Buchbinder Zippel in Gransee haben -einbinden lassen. Eigentlich war es bloß ne ›Landwirtschaftliche -Zeitung‹, und alle, die mal nen Preis gewonnen haben, -die waren drin. Und Bismarck war auch drin un Kaiser Wilhelm -auch.«</p> - -<p>»Ja, ja, das is gut; das gib ihr. Und brauchst ihr auch -nich zu sagen, daß sie keine Eselsohren machen soll; die macht -keine.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_417">[417]</a></span></p> - -<p>Wirklich, die »Landwirtschaftliche Zeitung« lag am andern -Morgen da, und Agnes war sehr glücklich, mal was andres -zu haben als ihr Strickzeug, und die schönen Bilder ansehn zu -können. Denn es waren auch Schlösser drin und kleine Teiche, -drauf Schwäne fuhren, und auf einem Bilde, das eine Beilage -war, waren sogar Husaren. Engelke brachte jeden Morgen -einen neuen Band, und mal erschien auch Elfriede, die Lorenzen, -um nach Dubslavs Befinden fragen zu lassen, von der Pfarre -herübergeschickt hatte. »Die kann sich ja die Bilder mit ansehen,« -sagte Dubslav; »am Ende macht es ihr selber auch Spaß, und -vielleicht kann sie dem kleinen Ding, der Agnes, alles so nebenher -erklären, und dann is es so gut wie ne Schulstunde.«</p> - -<p>Elfriede war gleich dazu bereit. Und nun standen die beiden -Kinder nebeneinander und blätterten in dem Buch, und die -Kleine sog jedes Wort ein, was die Große sagte. Dubslav aber -hörte zu und wußte nicht, wem von beiden er ein größeres -Interesse zuwenden sollte. Zuletzt aber war es doch wohl Elfriede, -weil sie den wehmütigen Zauber all derer hatte, die früh -abberufen werden. Ihr zarter, beinahe körperloser Leib schien -zu sagen: »Ich sterbe.« Aber ihre Seele wußte nichts davon; -die leuchtete und sagte: »Ich lebe.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Das mit den Bilderbüchern dauerte mehrere Tage. Dann -sagte Dubslav: »Engelke, das Kind fängt heute schon wieder -von vorn an; es ist mit allen vier Bänden, so dick sie sind, -schon zweimal durch; ich sehe, wir müssen uns was Neues ausbaldowern. -Das is nämlich ein Wort aus der Diebssprache; -soweit sind wir nu schon. Übrigens ist mir was Gutes eingefallen: -hol ihr eine von unsern Wetterfahnen herunter. Die -stehn ja da bloß so rum, un wenn ich tot bin und alles abgeschätzt -wird – was sie ›ordnen‹ nennen –, dann kommt -Kupperschmied Reuter aus Gransee und taxiert es auf fünfundsiebzig -Pfennig.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_418">[418]</a></span></p> - -<p>»Aber, gnädger Herr, uns' Woldemar …«</p> - -<p>»Nu ja, Woldemar. Woldemar ist gut, natürlich, und die -Komtesse, seine junge Frau, is auch gut. Alles is gut, und -ich hab es auch nicht so schlimm gemeint; man red't bloß so. -Nur soviel is richtig: meine Sammlung oben is für Spinnweb -und weiter nichts. Alles Sammeln ist überhaupt verrückt, -und wenn Woldemar sich nich mehr drum kümmert, so is es -eigentlich bloß Wiederherstellung von Sinn und Verstand. -Jeder hat seinen Sparren, und ich habe meinen gehabt. Bring -aber nich gleich alles runter. Nur die Mühle bring und den -Dragoner.«</p> - -<p>Engelke gehorchte.</p> - -<p>Den ersten Tag, wie sich denken läßt, war Agnes ganz für -den Dragoner, der, als man ihn vor Jahr und Tag von seinem -Zelliner Kirchturm heruntergeholt hatte, frisch aufgepinselt -worden war: schwarzer Hut, blauer Rock, gelbe Hosen. Aber -sehr bald hatte sich das Kind an der Buntheit des Dragoners -sattgesehen, und nun kam statt seiner die Mühle an die Reihe. -Die hielt länger vor. Meistens – wenn sie nur überhaupt erst -im Gange war – brauchte das Kind bloß zu pusten, um die -Mühlflügel in ziemlich rascher Bewegung zu halten, und der -schnarrende Ton der etwas eingerosteten Drehvorrichtung war -dann jedesmal eine Lust und ein Entzücken. Es waren glückliche -Tage für Agnes. Aber fast noch glücklichere für den Alten.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Ja, der alte Dubslav freute sich des Kindes. Aber so wohltuend -ihm seine Gegenwart war, so war es auf die Dauer -doch nicht viel was andres, als ob ein Goldlack am Fenster -gestanden oder ein Zeisig gezwitschert hätte. Sein Auge richtete -sich gerne darauf; als aber eine Woche und dann eine zweite vorüber -war, wurd ihm eine gewisse Verarmung fühlbar, und das -so stark, daß er fast mit Sehnsucht an die Tage zurückdachte, -wo Schwester Adelheid sich ihm bedrücklich gemacht hatte. Das<span class="pagenum"><a id="Seite_419">[419]</a></span> -war sehr unbequem gewesen, aber sie besaß doch nebenher einen -guten Verstand, und in allem, was sie sagte, war etwas, worüber -sich streiten und ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und -kleinen Witzen abbrennen ließ. Etwas, was ihm immer eine -Hauptsache war. Dubslav zählte zu den Friedliebendsten von -der Welt, aber er liebte doch andrerseits auch Friktionen, und -selbst ärgerliche Vorkommnisse waren ihm immer noch lieber -als gar keine.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Kein Zweifel, der alte Schloßherr auf Stechlin sehnte sich -nach Menschen, und da waren es denn wahre Festtage, wenn -Besucher aus Näh oder Ferne sich einstellten.</p> - -<p>Eines Tages – es schummerte schon – erschien Krippenstapel. -Er hatte seinen besten Rock angezogen und hielt ein -übermaltes Gefäß, mit einem Deckel darauf, in seinem linken -Arm.</p> - -<p>»Nun, das ist recht, Krippenstapel. Ich freue mich, daß -Sie mal nachsehn, ob unser Museum oben noch seinen ›Chef‹ -hat. Ich sage ›Chef‹. Der Direktor sind Sie ja selber. Und -nun kommen Sie auch gleich noch mit ner Urne. Hat gewiß -Ihr Freund Tucheband irgendwo ausgegraben. Oder is es -bloß ne Terrine? Himmelwetter, Krippenstapel, Sie werden -mir doch nich ne Krankensuppe gekocht haben?«</p> - -<p>»Nein, Herr Major, keine Krankensuppe. Gewiß nicht. -Und doch is es einigermaßen so was. Es ist nämlich ne Wabe. -Habe da heute mittag einen von meinen Stöcken ausgenommen -und wollte mir erlaubt haben, Ihnen die beste Wabe zu bringen. -Es ist beinah so was wie der mittelalterliche Zehnte. Der Zehnte, -wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, war eigentlich was -Feineres als Geld.«</p> - -<p>»Find ich auch. Aber die heutige Menschheit hat für so -was Feines gar keinen Sinn mehr. Immer alles bar und -nochmal bar. O, das gemeine Geld! Das heißt, wenn man<span class="pagenum"><a id="Seite_420">[420]</a></span> -keins hat; wenn man's hat, ist es soweit ganz gut. Und daß -Sie gleich an Ihren alten Patron – ein Wort, das übrigens -vielleicht zu hoch gegriffen ist und unser Verhältnis nicht recht -ausdrückt – gedacht haben! Lorenzen wird es hoffentlich nicht -übelnehmen, daß ich Sie, wenn ich mich Ihren ›Patron‹ nenne, -so gleichsam avancieren lasse. Ja, das mit der Wabe. Freut -mich aufrichtig. Aber ich werde mich wohl nicht drüberher -machen dürfen. Immer heißt es: ›<em class="gesperrt">das</em> nicht‹. Erst hat mir -Sponholz alles verboten und nu die Buschen, und so leb ich -eigentlich bloß noch von Bärlapp und Katzenpfötchen.«</p> - -<p>»Am Ende geht es doch,« sagte Krippenstapel. »Ich weiß -wohl, in eine richtige Kur darf der Laie nicht eingreifen. Aber -der Honig macht vielleicht ne Ausnahme. Richtiger Honig ist -wie gute Medizin und hat die ganze Heilkraft der Natur.«</p> - -<p>»Is denn aber nicht auch was drin, was besser fehlte?«</p> - -<p>»Nein, Herr Major. Ich sehe die Bienen oft schwärmen und -sammeln, und seh auch, wie sie sammeln und wo sie sammeln. -Da sind voran die Linden und Akazien und das Heidekraut. -Nu, die sind die reine Unschuld; davon red ich gar nicht erst. -Aber nun sollten Sie die Biene sehn, wenn sie sich auf eine giftige -Blume, sagen wir zum Beispiel auf den Venuswagen, niederläßt. -Und in jedem Venuswagen, besonders in dem roten -(aber doch auch in dem blauen), sitzt viel Gift.«</p> - -<p>»Venuswagen; kann ich mir denken. Und wie sammelt -da die Biene?«</p> - -<p>»Sie nimmt nie das Gift, sie nimmt immer bloß die Heilkraft.«</p> - -<p>»Na, Sie müssen es wissen, Krippenstapel. Und auf Ihre -Verantwortung hin will ich mir den Honig auch schmecken -lassen, und die Buschen muß sich drin finden und sich wohl oder -übel zufrieden geben. Übrigens fällt mir bei der Alten natürlich -auch das Kind ein. Da sitzt es am Fenster. Na, komm mal -her, Agnes, und sage, daß du hier auch was lernst. Ich hab<span class="pagenum"><a id="Seite_421">[421]</a></span> -ihr nämlich Bücher gegeben, mit allerlei Bildern drin, und seit -vorgestern auch eine Götterlehre, das heißt aber noch eine aus -guter, anständiger Zeit und jeder Gott ordentlich angezogen. -Und da lernt sie, glaub ich, ganz gut. Nicht wahr, Agnes?«</p> - -<p>Agnes knickste und ging wieder auf ihren Platz.</p> - -<p>»Und dann hab ich dem Kind auch unsern Dragoner und -die Mühle gegeben. Also unsre besten Stücke, soviel ist richtig. -Ich denke mir aber, mein Museumsdirektor wird über diesen -Eingriff nicht böse sein. Eigentlich is es doch besser, das Kind -hat was davon als die Spinnen. Und was macht denn Ihr -Oberlehrer in Templin? Hat er wieder was gefunden?«</p> - -<p>»Ja, Herr Major. Münzenfund.«</p> - -<p>»Na, das is immer das beste. Vermutlich Georgstaler -oder so was; Dreißigjähriger Krieg. Es war ja ne gräßliche -Zeit. Aber daß sie damals aus Angst und Not soviel verbuddelt -haben, das is doch auch wieder ein Segen. Is es denn viel?«</p> - -<p>»Wie man's nehmen will, Herr Major; praktisch und profan -angesehen ist es nicht viel, aber wissenschaftlich angesehen -ist es allerdings viel. Nämlich drei römische Münzen, zwei von -Diokletian und eine von Caracalla.«</p> - -<p>»Na, die passen wenigstens. Diokletian war ja wohl der -mit der Christenverfolgung. Aber ich glaube, es war am Ende -nicht so schlimm. Verfolgt wird immer. Und mitunter sind -die Verfolgten obenauf.«</p> - -<p>Dabei lachte der Alte. Dann rief er Engelke, daß er den -Honig herausnehme. Krippenstapel aber verabschiedete sich, -seine leere Terrine vorsichtig im Arm.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Einundvierzigstes_Kapitel">Einundvierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Dubslav hatte sich über Krippenstapels Besuch und sein -Geschenk aufrichtig gefreut, weil es ja das Beste war, was ihm<span class="pagenum"><a id="Seite_422">[422]</a></span> -die alte treue Seele bringen konnte. Er bestand denn auch darauf -(trotzdem Engelke, der ein Vorurteil gegen alles Süße hatte, -dagegen war), daß ihm die Wabe jeden Morgen auf den Frühstückstisch -gestellt werde.</p> - -<p>»Siehst du, Engelke,« sagte er nach einer Woche, »daß ich -mich wieder wohler fühle, das macht die Wabe. Denn man -muß jedes Fisselchen mitessen, Wachs und alles, das hat er -mir eigens gesagt. Das is grad so wie beim Apfel die Schale; -die hat die Natur so gewollt und is ein Fingerzeig und muß -respektiert werden.«</p> - -<p>»Ich bin aber doch für abschälen,« sagte Engelke. »Wenn -man so sieht, was mitunter alles dran ist …«</p> - -<p>»Ja, Engelke, ich weiß nicht, du bist jetzt so fein geworden. -Aber ich bin noch ganz altmodisch. Und dann glaub ich nebenher -wirklich, daß in dem Wachs die richtige ›gesamte Heilkraft der -Natur‹ steckt, fast noch mehr als in dem Honig. Krippenstapel -übrigens is jetzt auch so furchtbar gebildet und hat so viele feine -Wendungen, wie zum Beispiel die mit der ›gesamten Heilkraft‹. -Aber so fein wie du is er doch noch lange nicht, darauf will ich -mich verschwören. Und auch darauf, daß er sich keine Birne -schält.«</p> - -<p>In dieser guten Laune verblieb Dubslav eine ganze Weile, -sich mehr und mehr zurechtlegend, daß er sich die Quälerei -mit all dem andern Zeug eigentlich hätte sparen können; »denn -wenn <em class="gesperrt">alles</em> drin ist, so ist doch auch Bärlapp und Katzenpfötchen -drin und natürlich auch Fingerhut oder wie Sponholz -sagt: ›Die Digitalis.‹« Engelke freilich wollte von diesen -Sophistereien nichts wissen; sein Herr aber ließ sich durch solche -Zweifel nicht stören und fuhr vielmehr fort: »Und dann, Engelke, -macht es doch auch einen Unterschied, von wem eine -Sache kommt. Die Katzenpfötchen kommen von der Buschen, -und die Wabe kommt von Krippenstapel. Das heißt also, hinter -der Wabe steht ein guter Geist, und hinter den Katzenpfötchen<span class="pagenum"><a id="Seite_423">[423]</a></span> -steht ein böser Geist. Und das kannst du mir glauben, an -solchen Rätselhaftigkeiten liegt sehr viel im Leben, und wenn -mir Lorenzen seine Patsche gibt, so ist das ganz was anders, -wie wenn mir Koseleger seine Hand gibt. Koseleger hat solche -weichen Finger und auf dem vierten einen großen Ring.«</p> - -<p>»Aber er is doch ein Superintendent.«</p> - -<p>»Ja, Superintendent is er. Und er kommt auch noch höher. -Und wenn es nach der Prinzessin geht, wird er Papst. Und -dann wollen wir uns Ablaß bei ihm holen; aber viel geb ich -nicht.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Als Dubslav und Engelke dies Gespräch führten, saß -Agnes wie gewöhnlich am Fenster, mit halbem Ohre hinhörend, -und so wenig sie davon verstand, so verstand sie doch -gerade genug. Krippenstapel war ein guter Geist und ihre -Großmutter war ein böser Geist. Aber das alles war ihr nicht -mehr, als ob ihr ein Märchen erzählt würde. Sie hatte schon -so vieles in ihrem Leben gehört und war wohl dazu bestimmt, -noch viel, viel andres zu hören. Ihr Gesichtsausdruck blieb -denn auch derselbe. Sie träumte bloß so hin, und daß sie dies -Wesen hatte, das war es recht eigentlich, was den alten Herrn -so an sie fesselte. Das Auge, womit sie die Menschen ansah, -war anders als das der andern.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Engelke hatte sich in die nebenan gelegene Dienststube zurückgezogen; -ein heller Schein fiel von der Veranda her durch die -Balkontür und gab dem etwas dunklen Zimmer mehr Licht, -als es für gewöhnlich zu haben pflegte. Dubslav hielt die Kreuzzeitung -in Händen und schlug nach einem Brummer, der ihn -immer und immer wieder umsummte. »Verdammte Bestie,« -und er holte von neuem aus. Aber ehe er zuschlagen konnte, -kam Engelke und fragte, ob Uncke den gnädigen Herrn sprechen -dürfe.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_424">[424]</a></span></p> - -<p>»Uncke, unser alter Uncke?«</p> - -<p>»Ja, gnädger Herr.«</p> - -<p>»Na, natürlich. Kriegt man doch mal wieder nen vernünftigen -Menschen zu sehn. Was er nur bringen mag? Vielleicht -Verhaftung irgendwo: Demokratennest ausgenommen.«</p> - -<p>Agnes horchte. Verhaftung! Demokratennest ausgenommen! -Das war doch noch besser als ein Märchen »vom -guten und bösen Geist«.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Inzwischen war Uncke eingetreten, Backenbart und Schnurrbart, -wie gewöhnlich, fest angeklebt. In der Nähe der Tür -blieb er stehen und grüßte militärisch. Dubslav aber rief ihm -zu: »Nein, Uncke, nicht da. So weit reicht mein Ohr nicht -und meine Stimme erst recht nicht. Und ich denke doch, Sie -bringen was. Was Reguläres. Also ran hier. Und wenn -es nicht was ganz Dienstliches is, so nehmen Sie den Stuhl da.«</p> - -<p>Uncke trat auch näher, nahm aber keinen Stuhl und sagte: -»Herr Major wollen entschuldigen. Ich komme so bloß … -Der alte Baruch Hirschfeld hat mir erzählt, und die alte Buschen -hat mir erzählt …«</p> - -<p>»Ach so, von wegen meiner Füße.«</p> - -<p>»Zu Befehl, Herr Major.«</p> - -<p>»Ja, Uncke, wollte Gott, es stünde besser. Immer denk ich, -wenn wieder ein Neuer kommt, ›nu wird es‹. Aber es will -nicht mehr; es hilft immer bloß drei Tage. Die Buschen hilft -nicht mehr, und Krippenstapel hilft nicht mehr, und Sponholz -hilft schon lange nicht mehr; der kutschiert so in der Welt rum. -Bleibt also bloß noch der liebe Gott.«</p> - -<p>Uncke begleitete dies Wort mit einer Kopfbewegung, die -seine respektvolle Stellung (aber doch auch nicht mehr) zum -lieben Gott ausdrücken sollte. Dubslav sah es und erheiterte -sich. Dann fuhr er in rasch wachsender guter Laune fort: -»Ja, Uncke, wir haben so manchen Tag miteinander gelebt.<span class="pagenum"><a id="Seite_425">[425]</a></span> -Denke gern daran zurück – sind noch einer von den Alten. -Und der Pyterke auch. Was macht er denn?«</p> - -<p>»Ah, Herr Major, immer noch tüchtig da; schneidig,« und -dabei rückte er sich selbst zurecht, wie wenn er die überlegene -Stattlichkeit seines Kollegen wenigstens andeuten wolle.</p> - -<p>Dubslav verstand es auch so und sagte: »Ja, der Pyterke; -natürlich immer hoch zu Roß. Und Sie, Uncke, ja, Sie müssen -laufen wie 'n Landbriefträger. Es hat aber auch sein Gutes; -zu Fuß macht geschmeidig, zu Pferde macht steif. Und macht -auch faul. Und überhaupt, Gebrüder Beeneke is schon immer -das Beste. Da kann man nicht zu Fall kommen. Aber jeder -will heutzutage hoch raus. Das is, was sie jetzt die ›Signatur -der Zeit‹ nennen. Haben Sie den Ausdruck schon gehört, -Uncke?«</p> - -<p>»Zu Befehl, Herr Major.«</p> - -<p>»Und die Sozialdemokratie will auch hoch raus und so -zu Pferde sitzen wie Pyterke, bloß noch viel höher. Aber das -geht nicht gleich so. Gut Ding will Weile haben. Und Torgelow, -wenn er auch vielleicht reden kann, reiten kann er noch -lange nicht. Sagen Sie, was macht er denn eigentlich? Ich -meine Torgelow. Sind denn unsre kleinen Leute jetzt mehr -zufrieden mit ihm?«</p> - -<p>»Nein, Herr Major, sie sind immer noch nicht zufrieden -mit ihm. Er wollte da neulich in Berlin reden und hat auch -wirklich was zu Graf Posadowsky gesagt. Und das is so dumm -gewesen, daß es die andern geniert hat. Und da haben sie ihn bedeutet: -›Torgelow, nu bist du still; so geht das hier nich.‹«</p> - -<p>»Ja,« lachte Dubslav, »und wo <em class="gesperrt">der</em> nu steht, da sollte -ich eigentlich stehen. Aber es is doch besser so. Nu kann Torgelow -zeigen, daß er nichts kann. Und die andern auch. Und -wenn sie's alle gezeigt haben, na, dann sind wir vielleicht -wieder dran und kommen noch mal oben auf, und jeder kriegt -Zulage. Sie auch, Uncke, und Pyterke natürlich auch.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_426">[426]</a></span></p> - -<p>Uncke schmunzelte und legte seine zwei Dienstfinger an die -Schläfe.</p> - -<p>»… Vorläufig aber müssen wir abwarten und den sogenannten -›Ausbruch‹ verhüten und dafür sorgen, daß unsere -Globsower zufrieden sind. Und wenn wir klug sind, glückt es -vielleicht auch. Glauben Sie nicht auch, Uncke, daß es kleine -Mittel gibt?«</p> - -<p>»Zu Befehl, Herr Major, kleine Mittel gibt es. Es hat's -schon.«</p> - -<p>»Und welche meinen Sie?«</p> - -<p>»Musik, Herr Major, und verlängerte Polizeistunde.«</p> - -<p>»Ja,« lachte Dubslav, »so was hilft. Musik und nen -Schottschen, dann sind die Mädchen zufrieden.«</p> - -<p>»Und,« bestätigte Uncke, »wenn die Mädchens zufrieden -sind, Herr Major, dann sind alle zufrieden.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Uncke hatte zusagen müssen, mal wieder vorzusprechen, -aber es kam nicht dazu, weil Dubslavs Zustand sich rasch verschlimmerte. -Von Besuchern wurde keiner mehr angenommen, -und nur Lorenzen hatte Zutritt. Aber er kam meist nur, wenn -er gerufen wurde.</p> - -<p>»Sonderbar,« sagte der Alte, während er in den Frühlingstag -hinausblickte, »dieser Lorenzen is eigentlich gar kein -richtiger Pastor. Er spricht nicht von Erlösung und auch nicht -von Unsterblichkeit, und is beinah, als ob ihm so was für alltags -wie zu schade sei. Vielleicht is es aber auch noch was -andres, und er weiß am Ende selber nicht viel davon. Anfangs -hab ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer sagte: -Ja, solch Talar- und Beffchenmann, der muß es doch schließlich -wissen; er hat so seine drei Jahre studiert und eine Probepredigt -gehalten, und ein Konsistorialrat oder wohl gar ein -Generalsuperintendent hat ihn eingesegnet und ihm und noch -ein paar andern gesagt: ›Nun gehet hin und lehret alle Heiden.<span class="pagenum"><a id="Seite_427">[427]</a></span>‹ -Und wenn man das so hört, ja, da verlangt man denn auch, -daß einer weiß, wie's mit einem steht. Is gerade wie mit den -Doktors. Aber zuletzt begibt man sich und hat die Doktors am -liebsten, die einem ehrlich sagen: ›Hören Sie, wir wissen es auch -nicht, wir müssen es abwarten.‹ Der gute Sponholz, der nun -wohl schon an der Brücke mit dem Ichthyosaurus vorbei ist, -war beinah so einer, und Lorenzen is nu schon ganz gewiß -so. Seit beinah zwanzig Jahren kenn ich ihn, und noch hat er -mich nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man <em class="gesperrt">das</em> von -einem sagen kann, das ist eigentlich die Hauptsache. Das andre -… ja, du lieber Himmel, wo soll es am Ende herkommen? -Auf dem Sinai hat nun schon lange keiner mehr gestanden, -und wenn auch, was der liebe Gott da oben gesagt hat, das -schließt eigentlich auch keine großen Rätsel auf. Es ist alles -sehr diesseitig geblieben; du sollst, du sollst, und noch öfter ›du -sollst <em class="gesperrt">nicht</em>‹. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürnberger -Schultheiß gesprochen hätte.«</p> - -<p>Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittagspost. -»Engelke, du könntest mal wieder die Marie zu Lorenzen rüberschicken -– ich ließ' ihn bitten.«</p> - -<p>Lorenzen kam denn auch und rückte seinen Stuhl an des -Alten Seite.</p> - -<p>»Das ist recht, Pastor, daß Sie gleich gekommen sind, und -ich sehe wieder, wie sich alles Gute schon gleich hier unten belohnt. -Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich heute schon -ganz eingehend mit Ihnen beschäftigt und Ihr Charakterbild, -das ja auch schwankt wie so manch andres, nach Möglichkeit -festgestellt habe. Würde mir das Sprechen wegen meines Asthmas -nicht einigermaßen schwer, ich wär imstande, gegen mich -selber in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen auszuplaudern, -was ich über Sie gedacht habe. Habe ja, wie Sie -wissen, ne natürliche Neigung zum Ausplaudern, zum Plaudern -überhaupt, und Kortschädel, der sich im übrigen durch französische<span class="pagenum"><a id="Seite_428">[428]</a></span> -Vokabeln nicht auszeichnete, hat mich sogar einmal -einen ›Causeur‹ genannt. Aber freilich schon lange her, und jetzt -ist es damit total vorbei. Zuletzt stirbt selbst die alte Kindermuhme -in einem aus.«</p> - -<p>»Glaub ich nicht. Wenigstens Sie, Herr von Stechlin, -sorgen für den Ausnahmefall.«</p> - -<p>»Ich will es gelten lassen und mich auch gleich legitimieren. -Haben Sie denn in Ihrer Zeitung gelesen, wie sie da neulich -wieder dem armen Bennigsen zugesetzt haben? Mir mißfällt -es, wiewohl Bennigsen nicht gerade mein Mann ist.«</p> - -<p>»Auch meiner nicht. Aber, er sei, wie er sei, er ist doch -ein Excelsior-Mann. Und wer hierlandes für ein freudiges -›<em class="antiqua">excelsior</em>‹ ist, der ist bei den Ostelbiern (Pardon, Sie gehören -ja selbst mit dazu) von vornherein verdächtig und ein Gegenstand -tiefen Mißtrauens. Jedes höher gesteckte Ziel, jedes -Wollen, das über den Kartoffelsack hinausgeht, findet kein -Verständnis, sicherlich keinen Glauben. Und bringt einer irgendein -Opfer, so heißt es bloß, daß er die Wurst nach der Speckseite -werfe.«</p> - -<p>Dubslav lachte. »Lorenzen, Sie sitzen wieder auf Ihrem -Steckenpferd. Aber ich selber bin freilich schuld. Warum kam -ich auf Bennigsen! Da war das Thema gegeben, und Ihr Ritt -ins Bebelsche (denn weitab davon sind Sie nicht) konnte beginnen. -Aber daß Sie's wissen, ich hab auch mein Steckenpferd, -und das heißt: König und Kronprinz oder alte Zeit und -neue Zeit. Und darüber hab ich seit lange mit Ihnen sprechen -wollen, nicht akademisch, sondern märkisch-praktisch, so recht -mit Rücksicht auf meine nächste Zukunft. Denn es heißt nachgrade -bei mir: ›Was du tun willst, tue bald.‹«</p> - -<p>Lorenzen nahm des Alten Hand und sagte: »Gewiß kommen -andre Zeiten. Aber man muß mit der Frage, was kommt -und was wird, nicht zu früh anfangen. Ich seh nicht ein, warum -unser alter König von Thule hier nicht noch lange regieren<span class="pagenum"><a id="Seite_429">[429]</a></span> -sollte. Seinen letzten Trunk zu tun und den Becher dann in -den Stechlin zu werfen, damit hat es noch gute Wege.«</p> - -<p>»Nein, Lorenzen, es dauert nicht mehr lange; die Zeichen -sind da, mehr als zuviel. Und damit alles klappt und paßt, -geh ich nun auch gerad ins Siebenundsechzigste, und wenn ein -richtiger Stechlin ins Siebenundsechzigste geht, dann geht -er auch in Tod und Grab. Das is so Familientradition. Ich -wollte, wir hätten eine andre. Denn der Mensch is nun mal -feige und will dies schändliche Leben gern weiterleben.«</p> - -<p>»Schändliches Leben! Herr von Stechlin, Sie haben ein -sehr gutes Leben gehabt.«</p> - -<p>»Na, wenn es nur wahr ist! Ich weiß nicht, ob alle Globsower -ebenso denken. Und <em class="gesperrt">die</em> bringen mich wieder auf mein Hauptthema.«</p> - -<p>»Und das lautet?«</p> - -<p>»Das lautet: ›Teuerster Pastor, sorgen Sie dafür, daß -die Globsower nicht zu sehr obenauf kommen.‹«</p> - -<p>»Aber, Herr von Stechlin, die armen Leute …«</p> - -<p>»Sagen Sie das nicht. Die armen Leute! Das war mal -richtig; heutzutage aber paßt es nicht mehr. Und solch unsichere -Passagiere wie mein Woldemar und wie mein lieber -Lorenzen (von dem der Junge, Pardon, all den Unsinn hat), -solche unsichere Passagiere, statt den Riegel vorzuschieben, -kommen den Torgelowschen auf halbem Wege entgegen und -sagen: ›Ja, ja, Töffel, du hast auch eigentlich ganz recht,‹ oder, -was noch schlimmer ist: ›Ja, ja, Jochem, wir wollen mal nachschlagen.‹«</p> - -<p>»Aber, Herr von Stechlin.«</p> - -<p>»Ja, Lorenzen, wenn Sie auch noch solch gutes Gesicht -machen, es ist doch so. Die ganze Geschichte wird auf einen -andern Leisten gebracht, und wenn dann wieder eine Wahl ist, -dann fährt der Woldemar rum und erzählt überall, Katzenstein -sei der rechte Mann. Oder irgendein andrer. Aber das<span class="pagenum"><a id="Seite_430">[430]</a></span> -ist Mus wie Mine; – verzeihen Sie den etwas fortgeschrittenen -Ausdruck. Und wenn dann die junge gnädige Frau Besuch -kriegt oder wohl gar einen Ball gibt, da will ich Ihnen ganz -genau sagen, wer dann hier in diesem alten Kasten, der dann -aber renoviert sein wird, antritt. Da ist in erster Reihe der -Minister von Ritzenberg geladen, der, wegen Kaltstellung unter -Bismarck, von langer Hand her eine wahre Wut auf den alten -Sachsenwalder hat, und eröffnet die Polonaise mit Armgard. -Und dann ist da ein Professor, Kathedersozialist, von dem kein -Mensch weiß, ob er die Gesellschaft einrenken oder aus den Fugen -bringen will, und führt eine Adelige, mit kurzgeschnittenem -Haar (die natürlich schriftstellert), zur Quadrille. Und dann -bewegen sich da noch ein Afrikareisender, ein Architekt und ein -Porträtmaler, und wenn sie nach den ersten Tänzen eine Pause -machen, dann stellen sie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von -einem Edelmann erschossen wird, oder sie führen ein französisches -Stück auf, das die Dame mit dem kurzgeschnittenen -Haar übersetzt hat, ein sogenanntes Ehebruchsdrama, drin -eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil sie ihren Mann mit einem -Taschenrevolver über den Haufen geschossen hat. Und dann -gibt es Musikstücke, bei denen der Klavierspieler mit seiner langen -Mähne über die Tasten hinfegt, und in einer Nebenstube sitzen -andere und blättern in einem Album mit lauter Berühmtheiten, -obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiser Friedrich -und Bismarck und Moltke, und ganz gemütlich dazwischen -Mazzini und Garibaldi, und Marx und Lassalle, die aber -wenigstens tot sind, und daneben Bebel und Liebknecht. Und -dann sagt Woldemar: ›Sehen Sie da den Bebel. Mein politischer -Gegner, aber ein Mann von Gesinnung und Intelligenz.‹ -Und wenn dann ein Adeliger aus der Residenz an ihn -herantritt und ihm sagt: ›Ich bin überrascht, Herr von Stechlin, -– ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu finden,‹ dann sagt -Woldemar: ›Ich habe die Fühlung mit diesem Herrn verloren.‹«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_431">[431]</a></span></p> - -<p>Der Pastor lachte. »Und <em class="gesperrt">Sie</em> wollen sterben. Wer so lange -sprechen kann, der lebt noch zehn Jahr.«</p> - -<p>»Nichts, nichts. Ich halte Sie fest. Kommt es so oder kommt -es nicht so?«</p> - -<p>»Nun, es kommt sicherlich <em class="gesperrt">nicht</em> so.«</p> - -<p>»Sind Sie dessen sicher?«</p> - -<p>»Ganz sicher.«</p> - -<p>»Dann sagen Sie mir, <em class="gesperrt">wie</em> es kommt, aber ehrlich.«</p> - -<p>»Nun, das kann ich leicht, und Sie haben mir selber den -Weg gewiesen, als Sie gleich anfangs von ›König und Kronprinz‹ -sprachen. Dieser Gegensatz existiert natürlich überall -und in allen Lebensverhältnissen. Es kommen eben immer Tage, -wo die Leute nach irgendeinem ›Kronprinzen‹ aussehn. Aber -so gewiß das richtig ist, noch richtiger ist das andre: der Kronprinz, -nach dem ausgeschaut wurde, hält nie das, was man von -ihm erwartete. Manchmal kippt er gleich um und erklärt in -plötzlich erwachter Pietät, im Sinne des Hochseligen weiterregieren -zu wollen; in der Regel aber macht er einen leidlich -ehrlichen Versuch, als Neugestalter aufzutreten, und holt ein -Volksbeglückungsprogramm auch wirklich aus der Tasche. Nur -nicht auf lange. ›Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch -eng im Raume stoßen sich die Sachen.‹ Und nach einem halben -Jahre lenkt der Neuerer wieder in alte Bahnen und Geleise ein.«</p> - -<p>»Und so wird es Woldemar auch machen?«</p> - -<p>»So wird es Woldemar auch machen. Wenigstens wird ihn -die Lust sehr bald anwandeln, so halb und halb ins Alte wieder -einzulenken.«</p> - -<p>»Und diese Lust werden Sie natürlich bekämpfen. Sie -haben ihm in den Kopf gesetzt, daß etwas durchaus Neues -kommen müsse. Sogar ein neues Christentum.«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, ob ich so gesprochen habe; aber wenn ich -so sprach, dies neue Christentum ist gerade das alte.«</p> - -<p>»Glauben Sie das?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_432">[432]</a></span></p> - -<p>»Ich glaub es. Und was besser ist: ich fühl es.«</p> - -<p>»Nun gut, das mit dem neuen Christentum ist <em class="gesperrt">Ihre</em> Sache; -da will ich Ihnen nicht hineinreden. Aber das andre, da müssen Sie -mir was versprechen. Besinnt er sich, und kommt er zu der Ansicht, -daß das alte Preußen mit König und Armee, trotz all seiner -Gebresten und altmodischen Geschichten, doch immer noch besser ist -als das vom neuesten Datum, und daß wir Alten vom Cremmer -Damm und von Fehrbellin her, auch wenn es uns selber schlecht -geht, immer noch mehr Herz für die Torgelowschen im Leibe -haben als alle Torgelows zusammengenommen, kommt es zu -solcher Rückbekehrung, <em class="gesperrt">dann</em>, Lorenzen, stören Sie diesen Prozeß -nicht. Sonst erschein ich Ihnen. Pastoren glauben zwar nicht -an Gespenster, aber wenn welche kommen, graulen sie sich auch.«</p> - -<p>Lorenzen legte seine Hand auf die Hand Dubslavs und -streichelte sie, wie wenn er des Alten Sohn gewesen wäre. »Das -alles, Herr von Stechlin, kann ich Ihnen gern versprechen. -Ich habe Woldemar erzogen, als es mir oblag, und Sie haben -in Ihrer Klugheit und Güte mich gewähren lassen. Jetzt ist Ihr -Sohn ein vornehmer Herr und hat die Jahre. Sprechen hat -seine Zeit, und Schweigen hat seine Zeit. Aber wenn Sie ihn -und mich von oben her unter Kontrolle nehmen und eventuell -mir erscheinen wollen, so schieben Sie mir dabei nicht zu, was -mir nicht zukommt. Nicht <em class="gesperrt">ich</em> werde ihn führen. Dafür ist gesorgt. -Die Zeit wird sprechen, und neben der Zeit das neue Haus, -die blasse junge Frau und vielleicht auch die schöne Melusine.«</p> - -<p>Der Alte lächelte. »Ja, ja.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Zweiundvierzigstes_Kapitel">Zweiundvierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">So ging das Gespräch. Und als Lorenzen aufbrach, fühlte -sich der Alte wie belebt und versprach sich eine gute Nacht mit -viel Schlaf und wenig Beängstigung.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_433">[433]</a></span></p> - -<p>Aber es kam anders; die Nacht verlief schlecht, und als -der Morgen da war und Engelke das Frühstück brachte, sagte -Dubslav: »Engelke, schaff die Wabe weg; ich kann das süße -Zeug nicht mehr sehn. Krippenstapel hat es gut gemeint. Aber -es is nichts damit und überhaupt nichts mit der ganzen Heilkraft -der Natur.«</p> - -<p>»Ich glaube doch, gnädger Herr. Bloß gegen die Gegenkraft -kann die Wabe nich an.«</p> - -<p>»Du meinst also: ›für'n Tod kein Kraut gewachsen ist‹. -Ja, das wird es wohl sein; das mein ich auch.«</p> - -<p>Engelke schwieg.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Eine Stunde später kam ein Brief, der, trotzdem er aus -nächster Nähe stammte, doch durch die Post befördert worden -war. Er war von Ermyntrud, behandelte die durch Koseleger -und sie selbst geplante Gründung eines Rettungshauses für -verwahrloste Kinder und äußerte sich am Schlusse dahin, daß, -»wenn sich – hoffentlich binnen kurzem – ihre Wünsche für -Dubslavs fortschreitende Gesundheit erfüllt haben würden«, -Agnes, das Enkelkind der alten Buschen, als erste, wie sie vertraue, -sittlich zu Heilende in das Asyl aufgenommen werden -möchte.</p> - -<p>Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch einmal -und sagte dann: »O, diese Komödie … ›wenn sich meine -Wünsche für Ihre fortschreitende Gesundheit erfüllt haben -werden‹ … das heißt doch einfach, ›wenn Sie sich demnächst -den Rasen von unten ansehn‹. Alle Menschen sind Egoisten, -Prinzessinnen auch, und sind sie fromm, so haben sie noch einen -ganz besonderen Jargon. Es mag so bleiben, es war immer -so. Wenn sie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem gesunden -Menschenverstand andrer hätten.«</p> - -<p>Er steckte, während er so sprach, den Brief wieder in das -Kuvert und rief Agnes.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_434">[434]</a></span></p> - -<p>Das Kind kam auch.</p> - -<p>»Agnes, gefällt es dir hier?«</p> - -<p>»Ja, gnädger Herr, es gefällt mir hier.«</p> - -<p>»Und ist dir auch nicht zu still?«</p> - -<p>»Nein, gnädger Herr, es ist mir auch nicht zu still. Ich -möchte immer hier sein.«</p> - -<p>»Na, du sollst auch bleiben, Agnes, solang es geht. Und -nachher. Ja, nachher …«</p> - -<p>Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die Hände.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Dubslavs Zustand verschlechterte sich schnell. Engelke trat -an ihn heran und sagte: »Gnädger Herr, soll ich nicht in die -Stadt schicken?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Oder zu der Buschen?«</p> - -<p>»Ja, das tu. So ne alte Hexe kann es immer noch am -besten.«</p> - -<p>In Engelkens Augen traten Tränen.</p> - -<p>Dubslav, als er es sah, schlug rasch einen andern Ton an. -»Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich -habe es bloß so hingesagt. Die Buschen soll nich kommen. -Es würde mir wohl auch nicht viel schaden, aber wenn man -schon so in sein Grab sieht, dann muß man doch anders sprechen, -sonst hat man schlechte Nachrede bei den Leuten. Und das -möcht ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars -wegen nich … Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein … -Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten. Nein, -Engelke, nich die Buschen. Aber gib mir noch mal von den -Tropfen. Ein bißchen besser als der Tee sind sie doch.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, -daß es zu Ende gehe. »Das ›Ich‹ ist nichts – damit muß man -sich durchdringen. Ein ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter<span class="pagenum"><a id="Seite_435">[435]</a></span> -nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er ›Tod‹ heißt, darf uns -nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht -den sittlichen Menschen und hebt ihn.«</p> - -<p>Er hing dem noch so nach und freute sich, alle Furcht überwunden -zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von -Angst, und er seufzte: »Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist -lang.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Es war eine schlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke -lief hin und her, und Agnes saß in ihrem Bett und sah mit -großen Augen durch die halbgeöffnete Tür in das Zimmer -des Kranken. Erst als schon der Tag graute, wurde durch das -ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte matt vor sich -hin, und auch Agnes schlief ein.</p> - -<p>Es war wohl schon sieben – die Parkbäume hinter dem -Vorgarten lagen bereits in einem hellen Schein –, als Engelke -zu dem Kinde herantrat und es weckte. »Steih upp, -Agnes.«</p> - -<p>»Is he dod?«</p> - -<p>»Nei. He slöppt en beten. Un ick glöw, et sitt em nich mihr -so upp de Bost.«</p> - -<p>»Ick grul mi so.«</p> - -<p>»Dat brukst du nich. Un kann ook sinn, he slöppt sich wedder -gesunn … Und nu, steih upp un bind di ook en Doog um'n -Kopp. Et is noch en beten küll drut. Un denn geih in'n Goaren -nu plück em (wenn du wat finnst) en beten Krokus oder wat et -sünsten is.«</p> - -<p>Die Kleine trat auch leise durch die Balkontür auf die Veranda -hinaus und ging auf das Rundell zu, um nach ein paar -Blumen zu suchen. Sie fand auch allerlei; das Beste waren -Schneeglöckchen. Und nun ging sie, mit den Blumen in der -Hand, noch ein paarmal auf und ab und sah, wie die Sonne -drüben aufstieg. Sie fröstelte. Zugleich aber kam ihr ein Gefühl<span class="pagenum"><a id="Seite_436">[436]</a></span> -des Lebens. Dann trat sie wieder in das Zimmer und ging -auf den Stuhl zu, wo Dubslav saß. Engelke, die Hände gefaltet, -stand neben seinem Herrn.</p> - -<p>Das Kind trat heran und legte die Blumen dem Alten auf -den Schoß.</p> - -<p>»Dat sinn de ihrsten,« sagte Engelke, »un wihren ook woll -de besten sinn.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Dreiundvierzigstes_Kapitel">Dreiundvierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Es war Mittwoch früh, daß Dubslav, still und schmerzlos, -das Zeitliche gesegnet hatte. Lorenzen wurde gerufen; -auch Kluckhuhn kam, und eine Stunde später war ein Gemeindediener -unterwegs, der die Nachricht von des Alten Tode den -im Kreise Zunächstwohnenden überbringen sollte, voran der -Domina, dann Koseleger, dann Katzlers und zuletzt den beiden -Gundermanns.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Den Tag drauf trafen zwei Briefe bei den Barbys ein, -der eine von Adelheid, der andre von Armgard. Adelheid machte -dem gräflichen Hause kurz und förmlich die Anzeige von dem -Ableben ihres Bruders, unter gleichzeitiger Mitteilung, »daß -das Begräbnis am Sonnabend mittag stattfinden werde.« -Der Brief Armgards aber lautete: »Liebe Melusine! Wir -bleiben noch bis morgen hier, – noch einmal das Forum, -noch einmal den Palatin. Ich werde heute noch aus der Fontana -Trevi trinken, dann kommt man wieder, und das ist für -jeden, der Rom verläßt, bekanntlich der größte Trost. Wir -gehen nun nach Capri, aber in Etappen, und bleiben unter anderm -einen halben Tag in Monte Cassino, wo (verzeih meine -Weisheit) das ganze Ordenswesen entstanden sein soll. Ich -liebe Klöster, wenn auch nicht für mich persönlich. Neapel berühren<span class="pagenum"><a id="Seite_437">[437]</a></span> -wir nur kurz und gehen gleich bis Amalfi, wenn wir -nicht das höher gelegene Ravello bevorzugen. Dann erst über -Sorrent nach Capri, dem eigentlichen Ziel unsrer Reise. Wir -werden nicht bei Pagano wohnen, wo, bei allem Respekt vor der -Kunst, zu viel Künstler sind, sondern weiter abwärts, etwa -auf halber Höhe. Wir haben von hier aus eine Empfehlung. -In acht Tagen sind wir sicher da. Sorge, daß wir dann einen -Brief von Dir vorfinden. Vorher sind wir so gut wie unerreichbar, -ein Zustand, den ich mir als Kind immer gewünscht und mir -als etwas ganz besonders Poetisches vorgestellt habe. Küsse -meinen alten Papa. Nach Stechlin hin tausend Grüße, vor -allem aber bleibe, was Du jederzeit warst: die Schwester, die -Mutter (nur nicht die Tante) Deiner glücklichen, Dich immer -und immer wieder zärtlich liebenden Armgard.«</p> - -<p>Armgards Brief kam kaum zu seinem Recht, weil sowohl -der alte Graf wie Melusine ganz der Erwägung lebten, ob es -nicht, trotz Armgards gegenteiliger Vorwegversicherung, vielleicht -doch noch möglich sein würde, das junge Paar irgendwo -telegraphisch zu erreichen; aber es ging nicht, man mußte es -aufgeben und sich begnügen, allerpersönlichst Vorbereitungen -für die Fahrt nach Stechlin hin zu treffen. Des alten Grafen -Befinden war nicht das beste, so daß seitens des Hausarztes -sein Fernbleiben von dem Begräbnis dringend gewünscht -wurde. Daran aber war gar nicht zu denken. Und so brachen -denn Vater und Tochter am Sonnabend früh nach Stechlin -hin auf. Jeserich wurde mitgenommen, um für alle Fälle zur -Hand zu sein. Es war Prachtwetter, aber scharfe Luft, so daß -man trotz Sonnenschein fröstelte.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">In dem alten Herrenhause zu Stechlin sah es am Begräbnistage -sehr verändert aus; sonst so still und abgeschieden, -war heute alles Andrang und Bewegung. Zahllose Kutschen -erschienen und stellten sich auf dem Dorfplatz auf, die meisten<span class="pagenum"><a id="Seite_438">[438]</a></span> -ganz in Nähe der Kirche. Diese lag in prallem Sonnenschein -da, so daß man deutlich die hohen, in die Feldsteinwand -eingemauerten Grabsteine sah, die früher, vor der Restaurierung, -im Kirchenschiff gelegen hatten. Efeu fehlte; nur Holunderbüsche, -die zu grünen anfingen, und dazwischen Ebereschensträucher -wuchsen um den Chor herum.</p> - -<p>Der Tote war auf dem durch Palmen und Lorbeer in eine -grüne Halle umgewandelten Hausflur aufgebahrt. Adelheid -machte die Honneurs, und ihre hohen Jahre, noch mehr aber -ihr Selbstbewußtsein, ließen sie die ihr zuständige Rolle mit -einer gewissen Würde durchführen. Außer den Barbys, Vater -und Tochter, waren, von Berlin her, noch Baron und Baronin -Berchtesgaden gekommen, ebenso Rex und Hauptmann von -Czako. Rex sah aus, als ob er am Grabe sprechen wolle, -während sich Czako darauf beschränkte, das gesellschaftliche -Durchschnittstrauermaß zu zeigen.</p> - -<p>Aber diese Berliner Gäste verschwanden natürlich in dem -Kontingent, das die Grafschaft gestellt hatte. Dieselben Herren, -die sich – kaum ein halbes Jahr zurück – am Rheinsberger -Wahltage zusammengefunden und sich damals, von ein paar -Ausnahmen abgesehen, über Torgelows Sieg eigentlich mehr -erheitert als geärgert hatten, waren auch heute wieder da: -Baron Beetz, Herr von Krangen, Jongherr van dem Peerenbom, -von Gnewkow, von Blechernhahn, von Storbeck, von -Molchow, von der Nonne, die meisten, wie herkömmlich, mit -sehr kritischen Gesichtern. Auch Direktor Thormeyer war gekommen, -<em class="antiqua">in pontificalibus</em>, angetan mit so vielen Orden und -Medaillen, daß er damit weit über den Landadel hinauswuchs. -Einige stießen sich denn auch an, und Molchow sagte -mit halblauter Stimme zu von der Nonne: »Sehn Sie, Nonne, -das ist die ›Schmetterlingsschlacht‹, von der man jetzt jeden Tag -in den Zeitungen liest.« Aber trotz dieser spöttischen Bemerkung -wäre Thormeyer doch Hauptgegenstand aller Aufmerksamkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_439">[439]</a></span> -geblieben, wenn nicht der jeden Ordensschmuck verschmähende, -nur mit einem hochkragigen und uralten Frack -angetane Edle Herr von Alten-Friesack ihm siegreiche Konkurrenz -gemacht hätte. Das wendisch Götzenbildartige, das -sein Kopf zeigte, gab auch heute wieder den Ausschlag zu seinen -Gunsten. Er nickte nur pagodenhaft hin und her und schien -selbst an die vom ältesten Adel die Frage zu richten: »Was -wollt ihr hier?« Er hielt sich nämlich (worin er einer ererbten -Geschlechtsanschauung folgte) für den einzig wirklich berechtigten -Bewohner und Vertreter der ganzen Grafschaft.</p> - -<p>Das waren so die Hauptanwesenden. Alles stand dichtgedrängt, -und von Blechernhahn, der in bezug auf »Schneid« -beinah an von Molchow heranreichte, sagte: »Bin neugierig, was -der Lorenzen heute loslassen wird. Er gehört ja zur Richtung -Göhre.«</p> - -<p>»Ja, Göhre,« sagte von Molchow. »Merkwürdig, wie der -Zufall spielt. Das Leben macht doch immer die besten Witze.«</p> - -<p>Weiter kam es mit dieser ziemlich ungeniert geführten Unterhaltung -nicht, weil sich, als Molchow eben seinen Pfeil abgeschossen -hatte, die Gesamtaufmerksamkeit auf jene Flurstelle -richtete, wo der aufgebahrte Sarg stand. Hier war nämlich, -und zwar in einem brillant sitzenden und mit Atlasaufschlägen -ausstaffierten Frack, in eben diesem Augenblicke der Rechtsanwalt -Katzenstein erschienen und schritt, nachdem er einen -Granseeschen Riesenkranz am Fußende des Sarges niedergelegt -hatte, mit jener Ruhe, wie sie nur das gute Gewissen -gibt, auf Adelheid zu, vor der er sich respektvollst verneigte. -Diese bewahrte gute Haltung und dankte. Von verschiedenen -Seiten her aber hörte man leise das Wort »Affront«, während -ein in unmittelbarer Nähe des Edlen Herrn von Alten-Friesack -stehender, erst seit kurzem zu Christentum und Konservatismus -übergetretener Katzensteinscher Kollege lächelnd vor sich hin murmelte: -»Schlauberger!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_440">[440]</a></span></p> - -<p>Und nun war es Zeit.</p> - -<p>Der Zug ordnete sich; Militärmusik aus der nächsten Garnison -schritt vorauf; dann traten die Stechliner Bauern heran, -die darum gebeten hatten, den Sarg tragen zu dürfen. Diener -und Mädchen aus dem Hause nahmen die Kränze. Dann kam -Adelheid mit Pastor Lorenzen, an die sich die Trauerversammlung -(viele von ihnen in Landstandsuniform) unmittelbar -anschloß. Draußen sah man, daß eine große Zahl kleiner Leute -Spalier gebildet hatte. Das waren die von Globsow. Sie -hatten bei der Rheinsberger Wahl alle für Torgelow oder doch -wenigstens für Katzenstein gestimmt; jetzt aber, wo der Alte -tot war, waren sie doch vorwiegend der Meinung: »He wihr -so wiet janz good.«</p> - -<p>Die Musik klang wundervoll; kleine Mädchen streuten -Blumen, und so ging es den etwas ansteigenden Kirchhof -hinauf, zwischen den Gräbern hindurch und zuletzt auf das -uralte, niedrige Kirchenportal zu. Vor dem Altar stellten sie -den Sarg auf einen mit einer Versenkungsvorrichtung versehenen -Stein, unter dem sich die Gruft der Stechline befand. -Schiff und Emporen waren überfüllt; bis auf den Kirchhof -hinaus stand alles Kopf an Kopf. Und nun trat Lorenzen an -den Sarg heran, um über den, den er trotz aller Verschiedenheit -der Meinungen so sehr geliebt und verehrt, ein paar Worte -zu sagen.</p> - -<p>»›Wer seinen Weg richtig wandelt, kommt zu seiner Ruhe -in der Kammer.‹ Diesen Weg zu wandeln war das Bestreben -dessen, an dessen Sarge wir hier stehn. Ich gebe kein Bild seines -Lebens, denn wie dies Leben war, es wissen's alle, die hier erschienen -sind. Sein Leben lag aufgeschlagen da, nichts verbarg -sich, weil sich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, so -schien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben ansah; -aber für die, die sein wahres Wesen kannten, war er kein Alter, -freilich auch kein Neuer. Er hatte vielmehr das, was über alles<span class="pagenum"><a id="Seite_441">[441]</a></span> -Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: -ein Herz. Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann -nach der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem -alles Beste umschließenden Etwas, das Gesinnung heißt. Er -war recht eigentlich frei. Wußt es auch, wenn er's auch oft bestritt. -Das goldene Kalb anbeten war nicht seine Sache. Daher -kam es auch, daß er vor dem, was das Leben so vieler -andrer verdirbt und unglücklich macht, bewahrt blieb, vor Neid -und bösem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er selber -keines Menschen Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung -des alten Weisheitssatzes: ›Was du nicht willst, daß -man dir tu.‹</p> - -<p>Und das leitet mich denn auch hinüber auf die Frage nach -seinem Bekenntnis. Er hatte davon weniger das Wort als -das Tun. Er hielt es mit den guten Werken und war recht -eigentlich das, was wir überhaupt einen Christen nennen sollten. -Denn er hatte die Liebe. Nichts Menschliches war ihm fremd, -weil er sich selbst als Mensch empfand und sich eigner menschlicher -Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was einst unser -Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und an das er die -Segensverheißung geknüpft hat, – all das war sein: Friedfertigkeit, -Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens. -Er war das Beste, was wir sein können, ein Mann und ein -Kind. Er ist nun eingegangen in seines Vaters Wohnungen -und wird da die Himmelsruhe haben, die der Segen aller -Segen ist.«</p> - -<p>Einige der Anwesenden sahen sich bei dieser Schlußwendung -an. Am meisten bemerkt wurde Gundermann, dessen -der Rede halb zustimmende, halb ablehnende Haltung bei den -versammelten »Alten und Echten« (die wohl <em class="gesperrt">sich</em>, aber nicht -<em class="gesperrt">ihm</em> ein Recht der Kritik zuschrieben) auch hier wieder ein -Lächeln hervorrief. Dann folgte mit erhobener Stimme Gebet -und Einsegnung, und als die Orgel intonierte, senkte sich der<span class="pagenum"><a id="Seite_442">[442]</a></span> -auf dem Versenkungsstein stehende Sarg langsam in die Gruft. -Einen Augenblick später, als der wiederaufsteigende Stein die -Gruftöffnung mit einem eigentümlichen Klappton schloß, hörte -man von der Kirchentür her erst ein krampfhaftes Schluchzen und -dann die Worte: »Nu is allens ut; nu möt ick ook weg.« Es -war Agnes. Man nahm das Kind von dem Schemel herunter, -auf dem es stand, um es unter Zuspruch der Nächststehenden -auf den Kirchhof hinauszuführen. Da schlich es noch eine -Weile weinend zwischen den Gräbern hin und her und ging -dann die Straße hinunter auf den Wald zu.</p> - -<p>Die alte Buschen selbst hatte nicht gewagt, mit dabei zu -sein.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Unter denen, die draußen auf dem Kirchhof standen, waren -auch von Molchow und von der Nonne. Jeder von ihnen -wartete auf seine Kutsche, die, weil der Andrang so groß war, -nicht gleich vorfahren konnte. Beide froren bitterlich bei der -scharfen Luft, die vom See her wehte.</p> - -<p>»Ich weiß nicht,« sagte von der Nonne, »warum sie die Feier -nicht im Hause, wo sie doch heizen konnten, abgehalten haben; -es war ja da drin gar keine menschliche Temperatur mehr. -Und nun erst hier draußen.«</p> - -<p>»Is leider so,« sagte Molchow, »und ich werde wohl auch -mit ner Kopfkolik abschließen. Und mitunter stirbt man dran. -Aber wenn man in Berlin is (und ich habe da neulich auch so -was mitgemacht,) is es doch noch schlimmer. Da haben sie -was, was sie ne Leichenhalle nennen, ne Art Kapelle mit -Bibelspruch und Lorbeerbäumen, und dahinter verstecken sich -ein paar Gesangsmenschen. Wenn man sie nachher aber sieht, -sehen sie sehr gefrühstückt aus.«</p> - -<p>»Kenn ich, kenn ich,« sagte Nonne.</p> - -<p>»Nu, der Gesang,« fuhr Molchow fort, »das ginge noch, -den kann man schließlich aushalten. Aber der Fußboden und der<span class="pagenum"><a id="Seite_443">[443]</a></span> -Zug durch die offenstehende Tür. Und wenn man noch bloß -<em class="gesperrt">den</em> kriegte. Wer aber Pech hat, der kommt, wenn's Winter -is, dicht neben einen Kanonenofen zu stehn, und wenn ich sage, -›der pustet‹, so sag ich noch wenig. Und der Geistliche kann -einem auch leid tun. Er spricht sozusagen für niemanden. Wer -kann denn bei solchem Zug und solchem Ofenpusten ordentlich -zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich immer an die drei -Männer im feurigen Ofen gedacht habe. So halb Eisklumpen, -halb Bratapfel is nich mein Fall.«</p> - -<p>»Ja, die Berliner,« sagte Nonne … »Nich zu glauben.«</p> - -<p>»Nich zu glauben. Und dabei bilden sie sich ein, sie hätten -eigentlich alles am besten. Und mancher von ihnen glaubt -es auch wirklich. Aber die Hölle lacht.«</p> - -<p>»Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie sich! Das über -Berlin, na, das ginge vielleicht noch. Aber so gleich hier von -Hölle, hier mitten auf nem christlichen Kirchhof …«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Bald danach hatte sich der Kirchhof geleert, und alles, -was in der Grafschaft wohnte, war auf dem Heimwege. Nur -die von Berlin her erschienenen Gäste, die den nächsten, an -Gransee vorüberkommenden Rostocker Zug abzuwarten hatten, -waren in das Herrenhaus zurückgekehrt, wo mittlerweile für -einen Imbiß Sorge getragen war. Rex und Czako, desgleichen -auch die Berchtesgadens, nahmen erst ein Glas Wein und dann -eine Tasse Kaffee. Zwischen dem alten Grafen und Adelheid -knüpfte sich ein mäßig belebtes Gespräch an, wobei der Graf -der Vorzüge des Verstorbenen gedachte. Da Schwester Adelheid -jedoch, wie so viele Schwestern, allerlei Zweifel und Bedenken -hinsichtlich des Tuns und Treibens ihres Bruders -hegte, so ging man bald zu den Kindern über und beklagte, -daß sie bei einer so schönen Feier nicht hätten zugegen sein -können. Dazwischen wurde dann freilich das fast entgegengesetzt -klingende Bedauern laut, daß das junge Paar seinen<span class="pagenum"><a id="Seite_444">[444]</a></span> -Aufenthalt im Süden wohl werde abbrechen müssen. Der -alte Graf in seiner Güte fand alles, was Adelheid sagte, sehr -verständig, während sich Adelheids Gefühle mit der Anerkennung -begnügten, daß sie sich den Alten eigentlich schlimmer -gedacht habe.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Vierundvierzigstes_Kapitel">Vierundvierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Melusine war aus der Kirche mit in das Herrenhaus zurückgekehrt -und widmete sich hier auf eine kurze Weile zunächst -ihren Freunden, den Berchtesgadens, dann Rex und Czako. -Danach ging sie in die Pfarre hinüber, um Lorenzen zu danken -und noch ein kurzes Gespräch mit ihm über Woldemar und -Armgard zu haben, im wesentlichen eine Wiederholung alles -dessen, was sie schon während ihres Weihnachtsbesuches mit -ihm durchgesprochen hatte. Sie verplauderte sich dabei wider -Wunsch und Willen, und als sie schließlich nach dem Herrenhause -zurückkehrte, begegnete sie bereits jener Aufbruchsunruhe, -die kein ernstes Eingehen auf irgendein Thema mehr -zuläßt. Sie beschränkte sich deshalb auf ein paar Worte mit -Tante Adelheid. Daß man sich gegenseitig nicht mochte, war -der einen so gewiß wie der andern. Sie waren eben Antipoden: -Stiftsdame und Weltdame, Wutz und Windsor, vor allem -enge und weite Seele.</p> - -<p>»Welch ein Mann, Ihr Pastor Lorenzen,« sagte Melusine. -»Und zum Glück auch noch unverheiratet.«</p> - -<p>»Ich möchte das nicht so betonen und noch weniger es beloben. -Es widerspricht dem Beispiele, das unser Gottesmann -gegeben, und widerspricht auch wohl der Natur.«</p> - -<p>»Ja, der Durchschnittsnatur. Es gibt aber, Gott sei Dank, -Ausnahmen. Und das sind die eigentlich Berufenen. Eine -Frau nehmen ist alltäglich …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_445">[445]</a></span></p> - -<p>»Und keine Frau nehmen ist ein Wagnis. Und die Nachrede -der Leute hat man noch obenein.«</p> - -<p>»Diese Nachrede hat man immer. Es ist das erste, wogegen -man gleichgültig werden muß. Nicht in Stolz, aber in Liebe.«</p> - -<p>»Das will ich gelten lassen. Aber die Liebe des natürlichen -Menschen bezeigt sich am besten in der Familie.«</p> - -<p>»Ja, die des natürlichen Menschen …«</p> - -<p>»Was ja so klingt, Frau Gräfin, als ob Sie dem Unnatürlichen -das Wort reden wollten.«</p> - -<p>»In gewissem Sinne ›ja‹, Frau Domina. Was entscheidet, -ist, ob man dabei nach oben oder nach unten rechnet.«</p> - -<p>»Das Leben rechnet nach unten.«</p> - -<p>»Oder nach oben; je nachdem.«</p> - -<p>Es klang alles ziemlich gereizt. Denn so leichtlebig und -heiter Melusine war, <em class="gesperrt">einen</em> Ton konnte sie nicht ertragen, den -sittlicher Überheblichkeit. Und so war eine Gefahr da, sich die -Schraubereien fortsetzen zu sehen. Aber die Meldung, daß -die Wagen vorgefahren seien, machte dieser Gefahr ein Ende. -Melusine brach ab und teilte nur noch in Kürze mit, daß sie vorhabe, -morgen mit dem frühesten von Berlin aus einen Brief -zu schreiben, der mutmaßlich gleichzeitig mit dem jungen Paar -in Capri eintreffen werde. Adelheid war damit einverstanden, -und Melusine nahm Baron Berchtesgadens Arm, während -der alte Graf die Baronin führte.</p> - -<p>Das Verdeck des vor dem Portal haltenden Wagens war -zurückgeschlagen, und alsbald hatten die Baronin und Melusine -im Fond, die beiden Herren aber auf dem Rücksitz Platz genommen. -So ging es eine schon in Kätzchen stehende Weidenallee -hinunter, die beinahe geradlinig auf Gransee zuführte. Das -Wetter war wunderschön; von der Kälte, die noch am Vormittag -geherrscht hatte, zeigte sich nichts mehr; der Himmel -war gleichmäßig grau, nur hier und da eine blaue Stelle. Der -Rauch stand in der stillen Luft, die Spatzen quirilierten auf<span class="pagenum"><a id="Seite_446">[446]</a></span> -den Telegraphendrähten, und aus dem Saatengrün stiegen -die Lerchen auf. »Wie schön,« sagte Baron Berchtesgaden, -»und dabei spricht man immer von der Dürftigkeit und Prosa -dieser Gegenden.« Alles stimmte zu, zumeist der alte Graf, -der die Frühlingsluft einsog und immer wieder aussprach, -wie glücklich ihn diese Stunde mache. Sein Bewegtsein fiel auf.</p> - -<p>»Ich dachte, lieber Barby,« sagte der Baron, »in meinen -Huldigungen gegen Ihre märkische Frühlingslandschaft ein -Äußerstes getan zu haben. Aber ich sehe, ich bleibe doch weit -zurück; Sie schlagen mich aus dem Felde.«</p> - -<p>»Ja,« sagte der alte Graf, »und mir kommt es wohl auch zu. -Denn ich bin der erste dran, davon Abschied nehmen zu müssen.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Rex und Czako folgten in einem leichten Jagdwagen. Die -beiden Schecken, kleine Shetländer, warfen ihre Mähnen. Daß -man von einem Begräbnis kam, war dem Gefährt nicht recht -anzusehen.</p> - -<p>»Rex,« sagte Czako, »Sie könnten nun wieder ein ander -Gesicht aufsetzen. Oder wollen Sie mich glauben machen, daß -Sie wirklich betrübten Herzens sind?«</p> - -<p>»Nein, Czako, so gröblich inszenier ich mich nicht. Und -käme mir so was in den Sinn, so jedenfalls nicht vor einem -Publikum, das Czako heißt. Übrigens wollen Sie bloß etwas -von sich auf mich abwälzen. <em class="gesperrt">Sie</em> sind betrübt, und wenn ich -mir alles überlege, so steht es so, daß Sie bei dem Chateau Lafitte -nicht auf Ihre Rechnung gekommen sind. Er wirkte – -denn des Alten ›Bocksbeutel‹ hab ich von unserem Oktoberbesuch -her noch in dankbarer Erinnerung –, wie wenn ihn -Tante Adelheid aus ihrem Kloster mitgebracht hätte.«</p> - -<p>»Rex, Sie sind ja wie vertauscht und reden beinah in meinem -Stil. Es ist doch merkwürdig, sowie die Menschen dies Nest, -dies Berlin, erst hinter sich haben, fängt Vernunft wieder an -zu sprechen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_447">[447]</a></span></p> - -<p>»Sehr verbunden. Aber eskamotieren Sie nicht die Hauptsache. -Meine Frage bleibt, ›warum so belegt, Czako?‹ Denn -daß Sie das sind, ist außer Zweifel. Wenn's also nicht von -dem Lafitte stammt, so kann es nur Melusine sein.«</p> - -<p>Czako seufzte.</p> - -<p>»Da haben wir's. Tatsache festgestellt, obwohl ich Ihren -Seufzer nicht recht verstehe. Sie haben nämlich nicht den geringsten -Grund dazu. Gesamtsituation umgekehrt überaus -günstig.«</p> - -<p>»Sie vergessen, Rex, die Gräfin ist sehr reich.«</p> - -<p>»Das erschwert nicht, das erleichtert bloß.«</p> - -<p>»Und außerdem ist sie grundgescheit.«</p> - -<p>»Das sind Sie beinah auch, wenigstens mitunter.«</p> - -<p>»Und dann ist die Gräfin eine Gräfin, ja, sogar eine Doppelgräfin, -erst durch Geburt und dann durch Heirat noch mal. -Und dazu diese verteufelt vornehmen Namen: Barby, Ghiberti. -Was soll da Czako? Teuerster Rex, man muß den Mut haben, -den Tatsachen ins Auge zu sehn. Ich mache mir kein Hehl draus, -Czako hat was merkwürdig Kommißmäßiges, etwa wie Landwehrmann -Schultze. Kennen Sie das reizende Ballett ›Uckermärker -und Picarde?‹ Da haben Sie die ganze Geschichte. -Melusine ist die reine Picarde.«</p> - -<p>»Zugegeben. Aber was schadet das? Italienisieren Sie -sich und schreiben Sie sich von morgen ab Ciacco. Dann sind -Sie dem Ghiberti trotz seiner Grafenschaft dicht auf den -Hacken.«</p> - -<p>»Sapristi, Rex, <em class="antiqua">c'est une idée</em>.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Fuenfundvierzigstes_Kapitel">Fünfundvierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Das junge Paar war, nach geplantem kurzen Aufenthalt -erst in Amalfi und dann in Sorrent, in Capri angekommen.<span class="pagenum"><a id="Seite_448">[448]</a></span> -Woldemar fragte nach Briefen, erfuhr aber, daß nichts eingegangen.</p> - -<p>Armgard schien verstimmt. »Melusine läßt sonst nie -warten.«</p> - -<p>»Das hat dich verwöhnt. Sie verwöhnt dich überhaupt.«</p> - -<p>»Vielleicht. Aber, so dir's recht ist, darüber erst später -einmal, nicht heute; für solche Geständnisse sind wir doch eigentlich -noch nicht lange genug verheiratet. Wir sind ja noch in den -Flitterwochen.«</p> - -<p>Woldemar beschwichtigte. »Morgen wird ein Brief da -sein. Schließen wir also Frieden, und steigen wir, wenn dir's -paßt, nach Anacapri hinauf. Oder wenn du nicht steigen magst, -bleiben wir, wo wir sind, und suchen uns hier eine gute Aussichtsstelle.«</p> - -<p>Es war auf dem Frontbalkon ihres am mittleren Abhang -gelegenen Albergo, daß sie dies Gespräch führten, und weil -die Mühen und Anstrengungen der letzten Tage ziemlich groß -gewesen waren, war Armgard willens, für heute wenigstens -auf Anacapri zu verzichten. Sie begnügte sich also, mit Woldemar -auf das Flachdach hinaufzusteigen, und verlebte da, angesichts -der vor ihnen ausgebreiteten Schönheit, eine glückliche -Stunde. Von Sorrent kamen Fischerboote herüber, die Fischer -sangen, und der Himmel war klar und blau; nur drüben aus dem -Kegel des Vesuv stieg ein dünner Rauch auf, und von Zeit zu -Zeit war es, als vernähme man ein dumpfes Rollen und Grollen.</p> - -<p>»Hörst du's?« fragte Armgard.</p> - -<p>»Gewiß. Und ich weiß auch, daß man einen Ausbruch erwartet. -Vielleicht erleben wir's noch.«</p> - -<p>»Das wäre herrlich.«</p> - -<p>»Und dabei,« fuhr Woldemar fort, »komm ich von der -eiteln Vorstellung nicht los, daß, wenn's da drüben ernstlich -anfängt, unser Stechlin mittut, wenn auch bescheiden. Es ist -doch eine vornehme Verwandtschaft.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_449">[449]</a></span></p> - -<p>Armgard nickte, und von der Uferstelle her, wo die Sorrentiner -Fischer eben anlegten, klang es herauf:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0"><em class="antiqua">Tre giorni son che Nina, che Nina.</em><br /></span> -<span class="i0"><em class="antiqua">In letto ne se sta …</em><br /></span> -</div></div> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Am andern Tage, wie vorausgesagt, kam ein Brief von -Melusine, diesmal aber nicht an die Schwester, sondern an -Woldemar adressiert.</p> - -<p>»Was ist?« fragte Armgard, der die Bewegung nicht entging, -die Woldemar, während er las, zu bekämpfen suchte.</p> - -<p>»Lies selbst.«</p> - -<p>Und dabei gab er ihr den Brief mit der Todesanzeige des -Alten.</p> - -<p>An ein Eintreffen in Stechlin, um noch der Beisetzung beiwohnen -zu können, war längst nicht mehr zu denken; der Begräbnistag -lag zurück. So kam man denn überein, die Rückreise -langsam, in Etappen über Rom, Mailand und München -machen, aber an jedem Orte (denn beide sehnten sich heim) nicht -länger als einen Tag verweilen zu wollen. Von Capri nahm -Woldemar ein einziges Andenken mit, einen Kranz von Lorbeer -und Oliven. »Den hat er sich verdient.« –</p> - -<p>Die letzte Station war Dresden, und von hier aus war es -denn auch, daß Woldemar ein paar kurze Zeilen an Lorenzen -richtete.</p> - -<div class="blockquot"> -<p class="center"> -Lieber Lorenzen.</p> - -<p>Seit einer halben Stunde sind wir in Dresden, und ich -schreibe diese Zeilen angesichts des immer wieder schönen -Bildes von der Terrasse aus, das auch auf den Verwöhntesten -noch wirkt. Wir wollen morgen in aller Frühe -von hier fort, sind um zehn in Berlin und um zwölf in -Gransee. Denn ich will zunächst unser altes Stechlin wiedersehen -und einen Kranz am Sarge niederlegen. Bitte, sorgen -Sie, daß mich ein Wagen auf der Station erwartet. Wenn<span class="pagenum"><a id="Seite_450">[450]</a></span> -ich auch Sie persönlich träfe, so wäre mir das das Erwünschteste. -Es plaudert sich unterwegs so gut. Und von -wem könnt ich mehr und zugleich Zuverlässigeres erfahren -als von Ihnen, der Sie die letzten Tage mit durchlebt haben -werden. Meine Frau grüßt herzlichst. Wie immer Ihr -alter treu und dankbar ergebenster</p> - -<p class="right"> -Woldemar v. St.</p></div> - -<hr class="tb" /> - -<p class="drop">Um zwölf hielt der Zug auf Bahnhof Gransee. Woldemar -sah schon vom Coupé aus den Wagen; aber statt Lorenzen -war Krippenstapel da. Das war ihm zunächst nicht angenehm, -aber er nahm es bald von der guten Seite. »Krippenstapel ist -am Ende noch besser, weil er unbefangener ist und mit manchem -weniger zurückhält. Lorenzen, wenn er dies Wort auch belächeln -würde, hat einen diplomatischen Zug.«</p> - -<p>In diesem Augenblick erfolgte die Begrüßung mit dem inzwischen -herangetretenen »Bienenvater«, und alle drei bestiegen -den Wagen, dessen Verdeck zurückgeschlagen war. Krippenstapel -entschuldigte Lorenzen, »der wegen einer Trauung behindert -sei«, und so wäre denn alles in bester Ordnung gewesen, -wenn unser trefflicher alter Museumsdirektor nur vor -Antritt seiner Fahrt nach Gransee von einer Herausbesserung -seines äußeren Menschen Abstand genommen hätte. Das -war ihm aber unzulässig erschienen, und so saß er denn jetzt -dem jungen Paare gegenüber, angetan mit einem Schlipsstreifen -und einem großen Chemisettevorbau. Der Schlips war -so schmal, daß nicht bloß der zur Befestigung der Vatermörder -dienende Hemdkragenrand in halber Höhe sichtbar wurde, -sondern leider auch der aus einem keilartigen Ausschnitt hervorlugende -Adamsapfel, der sich nun, wie ein Ding für sich, beständig -hin und her bewegte. Die Verlegenheit Armgards, -deren Auge sich – natürlich ganz gegen ihren Willen – unausgesetzt -auf dies Naturspiel richten mußte, wäre denn auch<span class="pagenum"><a id="Seite_451">[451]</a></span> -von Moment zu Moment immer größer geworden, wenn nicht -Krippenstapels unbefangene Haltung schließlich über alles -wieder hinweggeholfen hätte.</p> - -<p>Dazu kam noch, daß seiner Unbefangenheit seine Mitteilsamkeit -entsprach. Er erzählte von dem Begräbnis und wer -vom Grafschaftsadel alles dagewesen sei. Dann kam Thormeyer -an die Reihe, dann Katzenstein und die Domina und zuletzt -auch »lütt Agnes«.</p> - -<p>»Des Kindes müssen wir uns annehmen,« sagte Armgard.</p> - -<p>»Wenn du darauf dringst, gewiß. Aber es liegt schwieriger -damit, als du denkst. Solche Kinder, ganz im Gegensatz zur -Pädagogenschablone, muß man sich selbst überlassen. Der gefährlichere -Weg, wenn überhaupt was Gutes in ihnen steckt, -ist jedesmal der bessere. Dann bekehren sie sich aus sich selbst -heraus. Wenn aber irgendein Zwang diese Bekehrung schaffen -will, so wird meist nichts draus. Da werden nur Heuchelei -und Ziererei geboren. Eigner freier Entschluß wiegt hundert -Erziehungsmaximen auf.«</p> - -<p>Armgard stimmte zu. Krippenstapel aber fuhr in seinem -Berichte fort und erzählte von Kluckhuhn, von Uncke, von -Elfriede; Sponholz werde in der nächsten Woche zurückerwartet, -und Koseleger und die Prinzessin seien ein Herz und eine Seele, -ganz besonders – und das sei das Allerneueste – seit man -für ein Rettungshaus sammle. Seitens des Adels werde fleißig -dazu beigesteuert; nur Molchow habe sich geweigert: »so was -schaffe bloß Konfusion.«</p> - -<p>Um zwei traf man in Schloß Stechlin ein. Woldemar -durchschritt die verödeten Räume, verweilte kurze Zeit in dem -Sterbezimmer und ging dann in die Kirchengruft, um da den -Kranz an des Vaters Sarge niederzulegen.</p> - -<p>Am späten Nachmittag erschien auch Lorenzen und sprach -zunächst sein Bedauern aus, daß er einer Amtshandlung halber -(Kossäth Zschocke habe sich wieder verheiratet) nicht habe kommen<span class="pagenum"><a id="Seite_452">[452]</a></span> -können. Er blieb dann noch den Abend über und erzählte vielerlei, -zuletzt auch von dem, was er dem Alten feierlich habe versprechen -müssen.</p> - -<p>Woldemar lächelte dabei. »Die Zukunft liegt also bei <em class="gesperrt">dir</em>.«</p> - -<p>Unter diesen Worten reichte er Armgard die Hand.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 id="Sechsundvierzigstes_Kapitel">Sechsundvierzigstes Kapitel</h3> -</div> - -<p class="drop">Armgard hatte sich von der im Stechliner Hause herrschenden -Weltabgewandtheit angeheimelt gefühlt. Aber der Gedanke, -hier ihre Tage zu verbringen, lag ihr doch vorderhand -noch fern, und so kehrte sie denn kurz nach Ablauf einer Woche -nach Berlin zurück, wo mittlerweile Melusine für alles gesorgt -und eine ganz in der Nähe von Woldemars Kaserne gelegene -Wohnung gemietet und eingerichtet hatte.</p> - -<p>Das war am Belle-Allianceplatz. Als das junge Paar diese -Wohnung bezog, ging die Saison bereits auf die Neige. Die -Frühjahrsparaden nahmen ihren Anfang und gleich danach -auch die Wettrennen, an denen Armgard voller Interesse teilnahm. -Aber ihre Freude daran war doch geringer, als sie geglaubt -hatte. Weder das Großstädtische noch das Militärische, -weder Sport noch Kunst behaupteten dauernd den Reiz, -den sie sich anfänglich davon versprochen, und ehe der Hochsommer -heran war, sagte sie: »Laß mich's dir gestehn, Woldemar, -ich sehne mich einigermaßen nach Schloß Stechlin.«</p> - -<p>Er hätte nichts Lieberes hören können. Was Armgard da -sagte, war ihm aus der eignen Seele gesprochen. Liebenswürdig -und bescheiden wie er war, stand ihm längst fest, daß er -nicht berufen sei, jemals eine Generalstabsgröße zu werden, -während das alte märkische Junkertum, von dem frei zu sein -er sich eingebildet hatte, sich allmählich in ihm zu regen begann. -Jeder neue Tag rief ihm zu: »Die Scholle daheim, die dir Freiheit<span class="pagenum"><a id="Seite_453">[453]</a></span> -gibt, ist doch das Beste.« So reichte er denn seine Demission -ein. Man sah ihn ungern scheiden, denn er war nicht bloß wohlgelitten -an der Stelle, wo er stand, sondern überhaupt beliebt. -Man gab ihm, als sein Scheiden unmittelbar bevorstand, ein -Abschiedsfest, und der ihm besonders wohlwollende Kommandeur -des Regiments sprach in seiner Rede von den »schönen, -gemeinschaftlich durchlebten Tagen in London und Windsor«. –</p> - -<p>All die Zeit über waren natürlich auch die von einer Übersiedlung -aufs Land unzertrennlichen kleinen Mühen und Sorgen -an das junge Paar herangetreten. Unter diesen Sorgen – -Lizzi hatte abgelehnt, weil sie die große Stadt und die »Bildung« -nicht missen mochte – war in erster Reihe das Ausfindigmachen -einer geeigneten Kammerjungfer gewesen. Es traf sich -aber so glücklich, daß Portier Hartwigs hübsche Nichte mal wieder -außer Stellung war, und so wurde diese denn engagiert. -Melusine leitete die Verhandlungen mit ihr. »Ich weiß freilich -nicht, Hedwig, ob es Ihnen da draußen gefallen wird, -Ich hoff es aber. Und Sie werden jedenfalls zweierlei <em class="gesperrt">nicht</em> -haben: keinen Hängeboden und keinen ›Ankratz‹, wie die Leute -hier sagen. Oder wenigstens nicht mehr davon, als Ihnen -schließlich doch vielleicht lieb ist.«</p> - -<p>»Ach, das ist nicht viel,« versicherte Hedwig halb scham- halb -schalkhaft. –</p> - -<p>Am 21. September wollte das junge Paar in Stechlin -einziehen, und alle Vorbereitungen dazu waren getroffen: -Schulze Kluckhuhn trommelte sämtliche Kriegervereine zusammen -(die Düppelstürmer natürlich am rechten Flügel), -während Krippenstapel sich mit Tucheband über ein Begrüßungsgedicht -einigte, das von Rolf Krakes ältester Tochter gesprochen -werden sollte. Die Globsower gingen noch einen Schritt weiter -und bereiteten eine Rede vor, darin der neue junge Herr als -einer der »Ihrigen« begrüßt werden sollte.</p> - -<p>Das alles galt dem 21.</p> - -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_454">[454]</a></span></p> - -<p>Am Tage vorher aber traf ein Brief Melusinens bei Lorenzen -ein, an dessen Schluß es hieß:</p> - -<p>»Und nun, lieber Pastor, noch einmal das eine. Morgen -früh zieht das junge Paar in das alte Herrenhaus ein, meine -Schwester und mein Schwager. Erinnern Sie sich bei der Gelegenheit -unsres in den Weihnachtstagen geschlossenen Paktes: -es ist nicht nötig, daß die Stechline weiterleben, aber es lebe</p> - -<p class="center"><em class="gesperrt">der Stechlin</em>.« -</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p class="h2">Werke von Theodor Fontane</p> - -<p class="center large">Gesammelte Werke</p> - -<p class="center large">Erste Reihe in fünf Bänden</p> - -<p class="center">Erzählende Werke</p> -</div> - -<p class="center small p2">1. Band:</p> - -<p class="center">Gedichte / Grete Minde / Schach von Wuthenow -/ Unterm Birnbaum</p> - -<p class="center small p2">2. Band:</p> - -<p class="center">L'Adultera / Cecile / Unwiederbringlich</p> - -<p class="center small p2">3. Band:</p> - -<p class="center">Stine / Irrungen Wirrungen / -Frau Jenny Treibel</p> - -<p class="center small p2">4. Band:</p> - -<p class="center">Die Poggenpuhls / Effi Briest</p> - -<p class="center small p2">5. Band:</p> - -<p class="center">Der Stechlin</p> - -<p class="center large p2">Zweite Reihe in fünf Bänden</p> - -<p class="center">Autobiographische Werke, Briefe</p> - -<p class="center small p2">1. Band:</p> - -<p class="center">Einleitung / Meine Kinderjahre</p> - -<p class="center small p2">2. Band:</p> - -<p class="center">Von Zwanzig bis Dreißig</p> - -<p class="center small p2">3. Band:</p> - -<p class="center">Kriegsgefangen / Aus den Tagen der Okkupation -/ Vor und nach der Reise</p> - -<p class="center small p2">4. und 5. Band:</p> - -<p class="center">Briefe</p> - -<p class="center large p2">Einzelausgaben</p> - -<p class="center p2">Effi Briest</p> - -<p class="center small">Roman. 58. Auflage</p> - -<p class="center p2">Cecile</p> - -<p class="center small">Roman. 3. Auflage</p> - -<p class="center p2">Stine</p> - -<p class="center small">Roman. 53. Tausend</p> - -<p class="center p2">Meine Kinderjahre</p> - -<p class="center small">Autobiographischer Roman. 12. Auflage</p> - -<p class="center p2">Von Zwanzig bis Dreißig</p> - -<p class="center small">Autobiographisches. 7. Tausend</p> - -<p class="center p2">Kriegsgefangen</p> - -<p class="center small">26. Tausend</p> - -<p class="center p2">Die Poggenpuhls</p> - -<p class="center small">Roman. 47. Auflage</p> - -<p class="center p2">Mathilde Möhring</p> - -<p class="center small">Roman. 60. Tausend</p> - -<p class="center p2">L'Adultera</p> - -<p class="center small">Roman. 80. Auflage</p> - -<p class="center p2">Frau Jenny Treibel</p> - -<p class="center small">Roman. 92. Auflage</p> - -<p class="center p2">Irrungen Wirrungen</p> - -<p class="center small">Roman. 148. Auflage</p> - -<p class="center p2">Aus dem Nachlaß</p> - -<p class="center small">6. Auflage</p> - -<p class="center p2">Das Fontanebuch</p> - -<p class="center small">9. Auflage</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="center">Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig</p> - -<hr class="chap" /> -<p> </p> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung -der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p> - -<p>Korrekturen:</p> -<div class="corr"> -<p> -S. 216: verwogen → verwegen<br /> -etliche mehr oder weniger <a href="#corr216">verwegen</a> aussehende Wahlmänner</p> -<p> -S. 279: ofen → Ofen<br /> -drei Männer im feurigen <a href="#corr279">Ofen</a></p> -<p> -S. 343: Fronde → Fronde ist<br /> -<a href="#corr343">Fronde ist</a> mir gräßlich und paßt nicht für uns</p> -</div></div> - -<p> </p> -<hr class="full" /> -<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER STECHLIN***</p> -<p>******* This file should be named 53628-h.htm or 53628-h.zip *******</p> -<p>This and all associated files of various formats will be found in:<br /> -<a href="http://www.gutenberg.org/dirs/5/3/6/2/53628">http://www.gutenberg.org/5/3/6/2/53628</a></p> -<p> -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed.</p> - -<p>Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Information about the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation</h3> - -<p>The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws.</p> - -<p>The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact</p> - -<p>For additional contact information:</p> - -<p> Dr. Gregory B. Newby<br /> - Chief Executive and Director<br /> - gbnewby@pglaf.org</p> - -<h3>Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation</h3> - -<p>Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS.</p> - -<p>The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit <a href="http://www.gutenberg.org/donate">www.gutenberg.org/donate</a>.</p> - -<p>While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate.</p> - -<p>International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.</p> - -<p>Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. 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