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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-06 18:50:21 -0800 |
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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - -Title: Der persische Orden - und andere Grotesken - -Author: Anton Tschechow - -Illustrator: W. N. Massjutin - -Translator: Alexander Eliasberg - -Release Date: December 14, 2016 [EBook #53731] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PERSISCHE ORDEN *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - - - - - - - - -[Illustration] - - - - - ANTON TSCHECHOW - - Der Persische Orden - - und andere Grotesken - - Mit - - acht Holzschnitten - - von - - W. N. MASSJUTIN - - 1922 - - Welt-Verlag / Berlin - - - - -Deutsch von Alexander Eliasberg - - - Alle Rechte vorbehalten - Copyright by the Welt-Verlag 1922 - Gedruckt bei Otto v. Holten, Berlin C. - - - - -Inhaltsverzeichnis - - - Seite - - Der Persische Orden 9 - - Die Simulanten 14 - - Aus dem Tagebuch des zweiten Buchhalters 20 - - Ein böser Junge 25 - - Es war sie! 30 - - Ein jähzorniger Mensch 37 - - Eine problematische Natur 50 - - Intrigen 55 - - - - -Der Persische Orden - - -In einer der diesseits des Urals gelegenen Städte verbreitete sich das -Gerücht, daß dieser Tage im Hotel »Japan« der persische Würdenträger -Rachat-Chelam abgestiegen sei. Dieses Gerücht machte auf die Bürger -nicht den geringsten Eindruck: ein Perser ist angekommen, was ist -denn dabei? Nur das Stadthaupt Stepan Iwanowitsch Kuzyn wurde, als er -vom Sekretär des Magistrats über die Ankunft des Orientalen erfuhr, -nachdenklich und fragte: - -»Wohin reist er denn?« - -»Ich glaube, nach Paris oder nach London.« - -»Hm! ... Ist also ein großes Tier?« - -»Das weiß der Teufel.« - -[Illustration] - -Als das Stadthaupt aus dem Magistrat heimgekommen war und zu Mittag -gegessen hatte, wurde es wieder nachdenklich und dachte diesmal bis -zum Abend durch. Die Ankunft des vornehmen Persers intrigierte ihn -außerordentlich. Er glaubte, das Schicksal selbst habe ihm diesen -Rachat-Chelam gesandt und endlich sei der günstige Augenblick -zur Verwirklichung seines sehnlichsten und leidenschaftlichsten -Wunsches gekommen. Kuzyn besaß nämlich schon zwei Medaillen, den -Stanislaus-Orden III. Klasse, die Denkmünze des Roten Kreuzes und das -Abzeichen des »Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger«; außerdem hatte -er sich ein Anhängsel für die Uhrkette machen lassen, das ein mit -einer Gitarre gekreuztes goldenes Gewehr darstellte und das, aus dem -Knopfloch seines Uniformrocks heraushängend, aus der Ferne wie etwas -Besonderes aussah und als ein Ehrenzeichen angesehen werden konnte. Es -ist bekannt, daß je mehr Orden und Medaillen einer hat, er um so mehr -weitere haben möchte, -- das Stadthaupt wollte aber schon längst den -Persischen Sonnen- und Löwenorden haben, er wollte es leidenschaftlich, -wahnsinnig. Er wußte sehr gut, daß man zur Erlangung dieses Ordens -weder kämpfen, noch Gelder für Waisenanstalten spenden, noch ein -Ehrenamt bekleiden muß, sondern bloß einer günstigen Gelegenheit -bedarf. Nun schien es ihm, daß diese Gelegenheit eingetreten sei. - -Am anderen Tag, um die Mittagsstunde, legte er alle seine Ehrenzeichen -und die Uhrkette an und begab sich ins Hotel »Japan«. Das Schicksal war -ihm günstig. Als er das Zimmer des vornehmen Persers betrat, war jener -allein und unbeschäftigt. Rachat-Chelam, ein riesengroßer Asiate mit -einer langen Schnepfennase und hervorstehenden Glotzaugen, saß, einen -Fez auf dem Kopfe, auf dem Fußboden und wühlte in seinem Koffer. - -»Entschuldigen Sie gütigst die Belästigung«, begann Kuzyn mit einem -Lächeln. »Habe die Ehre, mich vorzustellen: erblicher Ehrenbürger und -Ritter verschiedener Orden, Stepan Iwanowitsch Kuzyn, der Bürgermeister -dieser Stadt. Ich halte es für meine Pflicht, in Ihrer Person den -Vertreter einer uns sozusagen freundnachbarlichen Großmacht zu -begrüßen.« - -Der Perser wandte sich um und murmelte etwas in einem sehr schlechten -Französisch, das wie Klopfen von Holz gegen Holz klang. - -»Die Grenzen Persiens«, fuhr Kuzyn in seiner vorher zurechtgelegten -Ansprache fort, »berühren eng die Grenzen unseres ausgedehnten -Vaterlandes, und die gegenseitigen Sympathien bewegen mich daher, Ihnen -unsere Solidarität auszusprechen.« - -Der vornehme Perser erhob sich und murmelte wieder etwas, in seiner -hölzernen Sprache. Kuzyn, der keine fremden Sprachen beherrschte, -schüttelte den Kopf, um ihm zu bedeuten, daß er nichts verstehe. - --- Wie soll ich mit ihm reden? -- dachte er sich. -- Es wäre gut, einen -Dolmetscher kommen zu lassen, aber es ist eine heikle Angelegenheit, -und vor Zeugen kann ich darüber nicht gut sprechen. Der Dolmetscher -wird es in der ganzen Stadt ausposaunen. -- - -Und Kuzyn fing an, alle Fremdworte zusammenzukramen, die er aus den -Zeitungen wußte. - -»Ich bin Stadthaupt ...« stammelte er. »Das heißt, Lord-Maire ... -Municipalé ... Wui? Komprené?« - -Er wollte durch Worte und Mienenspiel seine gesellschaftliche Stellung -erklären und wußte nicht, wie es zu machen. Zur Hilfe kam ihm das Bild -mit der Unterschrift »Stadt Venedig«, das an der Wand hing. Er zeigte -mit dem Finger auf die Stadt und dann auf seinen Kopf und glaubte auf -diese Weise den Satz »Ich bin das Stadthaupt« ausgedrückt zu haben. Der -Perser verstand absolut nichts, lächelte aber und sagte: - -»Bon, monsieur ... bon ...« - -Eine halbe Stunde später klopfte das Stadthaupt den Perser bald aufs -Knie, bald auf die Schulter und sprach: - -»Komprené? Wui? Als Lord-Maire und Municipalé ... schlage ich Ihnen -vor, eine kleine Promenade zu machen ... Komprené? Promenade ...« - -Kuzyn wandte sich wieder der Ansicht Venedigs zu und stellte mittelst -zweier Finger ein Paar schreitende Beine dar. Rachat-Chelam, der keinen -Blick von seinen Medaillen wandte und offenbar ahnte, daß er die -wichtigste Person der Stadt vor sich habe, begriff das Wort »Promenade« -und grinste höflich. Dann zogen die beiden ihre Mäntel an und verließen -das Zimmer. Unten vor der Tür zum Restaurant »Japan« sagte sich Kuzyn, -daß es gar nicht schaden würde, den Perser zu bewirten. Er blieb -stehen, zeigte auf die Tische und sagte: - -»Nach russischer Sitte, es wäre nicht schlecht ... Ich meine: Purée, -entre-côte ... Champagne usw. ... Komprené?« - -Der vornehme Gast kapierte es, und eine Weile später saßen die beiden -im besten Extrazimmer des Restaurants, tranken Sekt und aßen. - -»Wollen wir auf das Gedeihen Persiens trinken!« sagte Kuzyn. »Wir -Russen lieben die Perser. Wir sind zwar verschiedenen Glaubens, aber -die gemeinsamen Interessen, sozusagen die gegenseitigen Sympathien -... der Fortschritt ... die asiatischen Märkte ... sozusagen die -friedlichen Eroberungen ...« - -Der vornehme Perser aß mit großem Appetit. Er bohrte seine Gabel in -einen Störrücken, nickte mit dem Kopf und sagte: - -»Gut! Bien!« - -»Gefällt das Ihnen?« fragte das Stadthaupt erfreut. »Bien? -Wunderschön!« Dann wandte er sich an den Kellner und sagte: »Luka, laß -seiner Exzellenz zwei Störrücken aufs Zimmer bringen, von den besten!« - -Das Stadthaupt und der persische Würdenträger fuhren darauf die -Menagerie besichtigen. Die Bürger sahen, wie ihr Stepan Iwanowitsch, -rot vom getrunkenen Sekt, lustig und sehr zufrieden den Perser durch -die Hauptstraßen der Stadt und auf den Markt führte und ihm die -Sehenswürdigkeiten zeigte; er bestieg mit ihm auch den Feuerwachtturm. - -Die Bürger sahen u. a., wie er vor einem löwenflankierten steinernen -Tore stehen blieb und dem Perser erst einen der Löwen und dann die -Sonne am Himmel zeigte, sich dann auf die Brust tippte, dann wieder auf -den Löwen und auf die Sonne wies, worauf der Perser bejahend mit dem -Kopfe nickte und lächelnd seine weißen Zähne zeigte. Am Abend saßen die -beiden im Hotel »London« und hörten einem Damenchor zu; wo sie aber in -der Nacht waren, ist unbekannt. - -Am nächsten Morgen kam das Stadthaupt in den Magistrat; die -Angestellten schienen schon etwas zu ahnen: der Sekretär ging auf ihn -zu und sagte ihm mit einem spöttischen Lächeln: - -»Die Perser haben folgende Sitte: wenn zu Ihnen ein vornehmer Gast -kommt, sind Sie verpflichtet, für ihn eigenhändig einen Hammel zu -schlachten.« - -Etwas später reichte man ihm aber einen Brief, der mit der Post -gekommen war. Kuzyn öffnete den Umschlag und fand darin eine Karikatur. -Sie stellte Rachat-Chelam dar und das Stadthaupt, das vor ihm auf den -Knien lag und, die Hände zu ihm emporstreckend, sagte: - - Um Rußlands und des Perserreichs - Freundschaftsbeziehungen zu achten, - Würd' ich, Herr Botschafter, respektvoll grenzenlos - Mich selber gern als einen Hammel schlachten, - Doch Sie verzeih'n: ein Esel bin ich bloß! - -Das Stadthaupt empfand ein unangenehmes Gefühl in der Herzgrube, es -hielt aber nicht lange an. Um die Mittagsstunde war er schon wieder -beim vornehmen Perser, bewirtete ihn wieder im Restaurant, zeigte ihm -die Sehenswürdigkeiten der Stadt, führte ihn wieder vor das Löwentor -und wies wieder bald auf den Löwen, bald auf die Sonne und bald auf -seine Brust. Sie speisten im Hotel »Japan« und bestiegen nach dem -Essen, mit Zigarren im Munde und geröteten strahlenden Gesichtern, -wieder den Feuerwachtturm. Das Stadthaupt wollte wohl dem Gast ein -seltenes Schauspiel bieten und rief von oben dem unten auf und ab -gehenden Wächter zu: - -»Leute, Alarm!« - -Aber aus dem Alarm wurde nichts, da alle Feuerwehrleute sich um diese -Stunde im Dampfbade befanden. - -Sie soupierten im Hotel »London«, und gleich darauf reiste der Perser -ab. Stepan Iwanowitsch küßte ihn beim Abschied nach russischer Sitte -dreimal und vergoß sogar einige Tränen. Als der Zug sich in Bewegung -setzte, rief er ihm nach: - -»Grüßen Sie von uns Persien. Sagen Sie ihm, daß wir es lieben!« - -Ein Jahr und vier Monate waren vergangen. Es herrschten ein strenger -Frost von etwa fünfunddreißig Grad, begleitet von einem durchdringenden -Wind. Stepan Iwanowitsch ging durch die Straße, den Pelzmantel an der -Brust geöffnet, und ärgerte sich furchtbar darüber, daß niemand ihm -begegnete und seinen Sonnen- und Löwenorden sah. So ging er im offenen -Pelz bis zum Abend und war ganz erfroren; in der Nacht aber wälzte er -sich von der einen Seite auf die andere und konnte keinen Schlaf finden. - -Es war ihm schwer zumute, in seinem Innern brannte es, und sein -Herz klopfte unruhig: jetzt gelüstete es ihn nach dem Serbischen -Takowo-Orden. Es gelüstete ihn qualvoll und leidenschaftlich. - - - - -Die Simulanten - - -Die Generalin Marfa Petrowna Petschonkina oder, wie die Bauern -sie nennen, die Petschonkin'sche, die schon seit zehn Jahren die -homöopathische Praxis ausübt, empfängt an einem Maidienstag in ihrem -Kabinett Kranke. Sie hat vor sich auf dem Tisch einen homöopathischen -Arzneikasten, ein Handbuch der Homöopathie und Rechnungen von der -homöopathischen Apotheke. An der Wand hängen in goldenen Rahmen die -Briefe irgendeines Petersburger Homöopathen, eines nach Ansicht Marfa -Petrownas sehr berühmten und sogar großen Mannes und das Bildnis des -Priesters P. Aristarch, dem die Generalin ihre Rettung zu verdanken -hat: die Lossagung von der schädlichen Allopathie und die Erkenntnis -der Wahrheit. Im Vorzimmer warten die Patienten, zum größten Teil -Bauern. Sie alle sind mit Ausnahme von zwei oder drei barfuß, da die -Generalin befohlen hat, die stinkenden Stiefel draußen zu lassen. - -Marfa Petrowna hat schon zehn Patienten abgefertigt und ruft den elften: - -»Gawrila Grusdj!« - -Die Tür geht auf, und statt des Gawrila Grusdj tritt ins Zimmer der -Nachbar der Generalin, der verarmte Gutsbesitzer Samuchrischin, ein -kleines altes Männchen mit trüben Augen und einer Mütze mit rotem Rand. -Er stellt seinen Stock in die Ecke, geht auf die Generalin zu und sinkt -vor ihr stumm auf ein Knie. - -»Was fällt Ihnen ein! Was fällt Ihnen ein, Kusjma Kusjmitsch!« entsetzt -sich die Generalin, über und über rot. »Um Gottes Willen!« - -[Illustration] - -»Solange ich lebe, stehe ich nicht auf!« sagt Samuchrischin, die -Lippen an ihre Hand drückend. »Soll das ganze Volk sehen, wie ich -vor Ihnen niederknie, Sie unser Schutzengel, Sie Wohltäterin des -Menschengeschlechts! Sollen sie nur! Vor der wohltätigen Fee, die -mir das Leben geschenkt, den wahren Weg gewiesen und mein skeptisches -Klügeln erleuchtet hat, will ich nicht nur auf den Knien, sondern auch -in Flammen liegen, Sie unsere wunderbare Ärztin, Mutter der Armen und -Verwitweten! Ich bin gesund geworden! Ich bin auferstanden, Zauberin!« - -»Es ... es freut mich ...!« murmelt die Generalin, vor Vergnügen -errötend. »Es ist angenehm, so etwas zu hören ... Setzen Sie sich -bitte! Am vorigen Dienstag waren Sie aber so schwer krank!« - -»Ja, so schwer! Es wird mir bange, wenn ich daran zurückdenke!« sagt -Samuchrischin, Platz nehmend. »In allen Körperteilen und Organen saß -mir der Rheumatismus. Acht Jahre habe ich mich gequält und keine -Ruhe gehabt ... Weder bei Tag, noch bei Nacht, meine Wohltäterin! -Ich habe mich von Ärzten behandeln lassen, habe Professoren in -Kasan konsultiert, Moorbäder genommen und Brunnen getrunken, alles, -alles habe ich ausprobiert! Mein ganzes Vermögen ist draufgegangen, -Mütterchen. Die Ärzte haben mir aber nur geschadet, sie haben mir -meine Krankheit ins Innere getrieben. Hineintreiben können sie wohl, -aber wieder heraustreiben -- das können sie nicht, so weit ist ihre -Wissenschaft noch nicht ... Sie lieben nur Geld zu nehmen, diese -Räuber, was aber das Wohl der Menschheit betrifft, so kümmern sie -sich darum nicht viel. Er verschreibt mir irgendeine Chiromantie, und -ich muß sie trinken. Mit einem Worte, es sind Mörder. Wenn Sie nicht -wären, mein Engel, so läge ich schon im Grabe! Wie ich am vorigen -Dienstag von Ihnen heimkomme und mir diese Streukügelchen ansehe, die -Sie mir gegeben haben, denke ich mir: ›Was können die nützen? Können -denn diese kaum sichtbaren Sandkörnchen meine schwere, alte Krankheit -heilen?‹ So denke ich mir, Kleingläubiger, und lächele; kaum habe -ich aber so ein Kügelchen eingenommen, als meine ganze Krankheit im -Nu verschwunden ist. Meine Frau glotzt mich an und traut ihren Augen -nicht. ›Bist du es, Kolja?‹ -- ›Ja, ich bin es.‹ Wir knieten beide vor -dem Heiligenbilde nieder und beteten für unseren Engel: Herr, gib ihr -alles, was wir ihr wünschen!« - -Samuchrischin wischt sich mit dem Ärmel die Augen ab, erhebt sich von -seinem Stuhl und zeigt die Absicht, wieder niederzuknien, aber die -Generalin hindert ihn daran und läßt ihn wieder Platz nehmen. - -»Danken Sie nicht mir,« sagt sie, vor Erregung errötend, mit einem -Blick auf das Bildnis des P. Aristarch. »Nein, nicht mir! Ich bin -hier nur ein gefügiges Werkzeug ... Es ist wirklich ein Wunder! Ein -vernachlässigter achtjähriger Rheumatismus ist nach einer einzigen -Pille Skrophuloso vergangen!« - -»Sie waren so gütig, mir drei Kügelchen zu geben. Das eine nahm ich -zu Mittag, und es wirkte sofort! Das andere nahm ich am Abend und das -dritte am nächsten Tag, und seitdem spüre ich nichts mehr! Wenn es mich -auch nur irgendwo zwicken wollte! Ich dachte aber schon an den Tod und -hatte sogar meinem Sohne nach Moskau geschrieben, daß er kommen solle! -Eine solche Weisheit hat Ihnen der Herr beschieden, Sie Wundertäterin! -Jetzt fühle ich mich wie im Paradies ... Am vorigen Dienstag, als ich -bei Ihnen war, hinkte ich noch, jetzt könnte ich aber wie ein Hase -hüpfen ... Ich kann auch noch hundert Jahre leben. Nur eines bedrückt -mich noch -- meine große Armut. Ich bin zwar gesund, aber was taugt mir -meine Gesundheit, wenn ich nicht habe, wovon zu leben? Die Not bedrückt -mich noch schwerer als die Krankheit ... Zum Beispiel eine solche Sache -... Jetzt ist Zeit, Hafer zu säen, wie soll ich ihn aber säen, wenn ich -keine Saat habe? Ich müßte welche kaufen, aber das Geld dazu ... woher -soll ich welches haben?« - -»Ich will Ihnen Hafer geben, Kusjma Kusjmitsch ... Bleiben Sie nur -sitzen! Sie haben mich so sehr erfreut, Sie haben mir solches Vergnügen -bereitet, daß ich Ihnen danken muß, und nicht Sie mir!« - -»Sie, unsere Freude! Was für eine Herzensgüte der liebe Gott manchmal -in die Welt setzt! Freuen Sie sich, Mütterchen, Ihrer guten Werke! -Wir Sünder haben aber nichts, dessen wir uns freuen könnten ... Wir -sind kleine, kleinmütige, unnütze Menschen ... Ameisen ... Wir nennen -uns nur Gutsbesitzer, in materieller Beziehung sind wir aber wie die -Bauern, sogar noch schlimmer ... Wir wohnen zwar in steinernen Häusern, -aber es ist nur eine Fata Morgana, denn das Dach ist undicht, so daß es -hineinregnet ... Ich habe kein Geld, um Schindeln zu kaufen.« - -»Ich will Ihnen Schindeln geben, Kusjma Kusjmitsch.« - -Samuchrischin erbittet sich noch eine Kuh, einen Empfehlungsbrief -für seine Tochter, die er ins Institut geben will, und ist von der -Freigebigkeit der Generalin so gerührt, daß er vor Überfluß an -Gefühlen aufschluchzt, den Mund verzieht und sein Tuch aus der Tasche -holt ... Die Generalin sieht, wie zugleich mit dem Tuch aus seiner -Tasche ein rotes Papierchen zum Vorschein kommt und lautlos auf den -Boden fällt. - -»Mein Lebtag vergesse ich es nicht ...« stammelt er. »Ich werde es -auch meinen Kindern befehlen, auch meinen Enkeln ... von Geschlecht zu -Geschlecht ... Kinder, das ist sie, die mich vom Tode errettet hat, -sie, die ...« - -Nachdem die Generalin den Patienten hinausbegleitet hat, sieht sie eine -Minute lang mit tränenfeuchten Augen auf das Bild des P. Aristarch, -läßt dann ihren freundlichen, andächtigen Blick über den Arzneikasten, -die Handbücher, die Rechnungen und den Sessel schweifen, in dem eben -der von ihr vom Tode errettete Mensch gesessen hat, und bemerkt -schließlich das vom Patienten fallengelassene Papier. Die Generalin -hebt das Papier auf und findet darin drei Streukügelchen, die gleichen -Kügelchen, die sie am letzten Dienstag Samuchrischin gegeben hat. - -»Es sind dieselben ...« sagt sie sich erstaunt. »Es ist sogar dasselbe -Papier ... Er hat es nicht mal entfaltet! Was hat er dann eingenommen? -Sonderbar ... Er wird mich doch nicht betrügen.« - -In die Seele der Generalin schleicht sich zum ersten Male in ihrer -zehnjährigen Praxis ein Zweifel ein ... Sie nimmt die folgenden Kranken -vor und merkt, während sie mit ihnen über ihre Leiden spricht, manches, -was sie bisher seltsamerweise überhört hat. Alle Kranken ohne Ausnahme -preisen erst wie auf Verabredung ihre wunderbare Heilkunst, entzücken -sich über ihre medizinische Weisheit, schimpfen auf die allopathischen -Ärzte und beginnen dann, wenn sie vor Erregung rot geworden ist, mit -der Schilderung ihrer Nöte. Der eine bittet um ein Stück Ackerland, -der andere um Brennholz, der dritte um Erlaubnis, in ihren Waldungen -zu jagen usw. Sie schaut auf das breite, gutmütige Antlitz des P. -Aristarch, der ihr die Wahrheit offenbart hat, und eine neue Wahrheit -beginnt ihr am Herzen zu nagen. Es ist eine unangenehme, schwere -Wahrheit. - -Listig ist der Mensch! - - - - -Aus dem Tagebuch des zweiten Buchhalters - - -1863, d. 11. Mai. Unser sechzigjähriger Buchhalter Glotkin hat -anläßlich seines Hustens Milch mit Kognak getrunken und ist -infolgedessen an Delirium tremens erkrankt. Die Ärzte behaupten mit der -ihnen eigenen Sicherheit, daß er morgen sterben wird. Endlich werde ich -erster Buchhalter werden! Diese Stelle ist mir schon längst versprochen. - -Der Sekretär Kleschtschow kommt vors Gericht, weil er einen Bittsteller -verprügelt hat, der ihn einen Bürokraten nannte. Das scheint -beschlossene Sache zu sein. - -Ich nahm eine Kräuterabkochung gegen Magenkatarrh ein. - -1865, d. 3. August. Der Buchhalter Glotkin ist wieder brustkrank. Er -hustet und trinkt Milch mit Kognak. Wenn er stirbt, kriege ich seine -Stelle. Ich hoffe darauf, aber meine Hoffnung ist schwach, denn das -Delirium tremens scheint nicht immer tödlich zu sein! - -Kleschtschow hat einem Armenier einen Wechsel aus der Hand gerissen und -vernichtet. Vielleicht kommt er deswegen vors Gericht. - -Eine Alte (Gurjewna) sagte mir gestern, ich hätte keinen Magenkatarrh, -sondern versteckte Hämorrhoiden. Es ist sehr möglich! - -1867, d. 30. Juni. In Arabien herrscht, wie man berichtet, die Cholera. -Vielleicht kommt sie auch nach Rußland, und dann wird es viel Vakanzen -geben. Vielleicht wird der alte Glotkin sterben, und dann werde ich -erster Buchhalter. Zäh ist der Mensch! So lange zu leben, ist, meiner -Ansicht nach, sogar sträflich! - -Was soll ich noch gegen meinen Magenkatarrh einnehmen? Vielleicht -Zitwersamen? - -[Illustration] - -1870, d. 2. Januar. Im Hofe bei Glotkin hat die ganze Nacht ein Hund -geheult. Meine Köchin Pelageja sagt, dies sei ein sicheres Zeichen, und -ich sprach mit ihr bis zwei Uhr nachts darüber, daß ich mir, wenn ich -erster Buchhalter geworden bin, einen Waschbärpelz und einen Schlafrock -anschaffen werde. Vielleicht werde ich auch heiraten. Natürlich kein -Mädchen, denn das steht mir bei meinem Alter nicht an, sondern eine -Witwe. - -Gestern wurde Kleschtschow aus dem Klub hinausgeworfen, weil er einen -unanständigen Witz erzählt und sich über den Patriotismus des Mitglieds -der Handelsdeputation Ponjuchow lustig gemacht hat. Der letztere will -ihn, wie man sagt, verklagen. - -Ich will mit meinem Magenkatarrh zu Doktor Botkin gehen. Man sagt, er -behandele seine Patienten mit Erfolg ... - -1878, d. 4. Juni. In Wetljanka herrscht, wie man schreibt, die Pest. -Die Leute sterben wie die Fliegen. Glotkin trinkt aus diesem Grunde -Pfefferschnaps. Aber einem solchen Greis wird der Pfefferschnaps kaum -helfen. Wenn die Pest herkommt, werde ich sicher erster Buchhalter -werden. - -1883, d. 4. Juni. Glotkin liegt im Sterben. Ich habe ihn besucht -und ihn unter Tränen um Verzeihung gebeten, weil ich seinen Tod mit -Ungeduld erwartet hatte. Er vergab es mir mit Tränen in den Augen und -riet mir, gegen den Magenkatarrh Eichelkaffee zu trinken. - -Kleschtschow ist aber wieder beinahe vors Gericht gekommen: er hat -ein entliehenes Klavier bei einem Juden versetzt. Trotzalledem hat er -schon den Stanislausorden und den Rang eines Kollegienassessors. Es ist -merkwürdig, was in dieser Welt nicht alles möglich ist! - -Ingwer 2 Solotnik, Galgant 1½ Solotnik, Königswasser 1 Solotnik, -Drachenblut 5 Solotnik; mischen, mit einer Flasche Schnaps ansetzen und -jeden Morgen ein Weinglas nüchtern gegen den Magenkatarrh einnehmen. - -1883, d. 7. Juni. Gestern wurde Glotkin beerdigt. Der Tod dieses -Greises gereichte mir nicht zum Segen! Er erscheint mir jede Nacht -in einem weißen Gewand und winkt mit dem Finger. Wehe, wehe mir -Verruchtem: erster Buchhalter bin nicht ich, sondern Tschalikow. Die -Stelle bekam nicht ich, sondern ein junger Mann, der von der Tante der -Geheimrätin protegiert wird. Alle meine Hoffnungen sind dahin! - -1886, d. 10. Juni. Tschalikow ist seine Frau durchgebrannt. Der Ärmste -ist außer sich. Vielleicht wird er vor Kummer Hand an sich legen. Wenn -er es tut, bin ich erster Buchhalter. Man spricht schon darüber. Also -ist die Hoffnung noch nicht verloren, man kann noch leben, vielleicht -erlebe ich auch noch den Waschbärpelz. - -Was die Verheiratung betrifft, so bin ich nicht abgeneigt. Warum soll -ich nicht heiraten, wenn sich eine gute Partie bietet, nur müßte ich -mich mit jemand beraten; denn der Schritt ist ernst. - -Kleschtschow hat gestern mit dem Geheimrat Lirmans die Gummischuhe -vertauscht. Ein Skandal! - -Der Portier Pajissij rät mir gegen den Magenkatarrh Sublimat -einzunehmen. Ich will es versuchen. - - - - -Ein böser Junge - - -Iwan Iwanowitsch Lapkin, ein junger Mann von angenehmem Äußeren, -und Anna Ssemjonowna Samblizkaja, ein junges Mädchen mit einer -Stupsnase, gingen das steile Ufer hinunter und setzten sich auf die -Bank. Die Bank stand am Wasser, im dichten jungen Weidengebüsch. Ein -herrliches Plätzchen! Wenn man sich hersetzt, ist man von der ganzen -Welt verborgen, nur die Fische und die Spinnen, die blitzschnell über -das Wasser laufen, sehen einen. Die jungen Leute waren mit Angeln, -Handnetzen, Regenwürmerbehältern und sonstigen Fischereigeräten -ausgerüstet. Sie setzten sich und machten sich sofort an den Fischfang. - -»Ich bin so froh, daß wir endlich allein sind,« begann Lapkin, sich -umsehend. »Ich habe Ihnen viel zu sagen, Anna Ssemjonowna ... Sehr viel -... Als ich Sie zum ersten Male sah ... Eben beißt es bei Ihnen an ... -Ich begriff damals, wozu ich lebe, ich begriff, wo das Idol ist, dem -ich mein ehrliches Arbeitsleben weihen muß ... Ist wohl ein großer -Fisch ... er beißt an ... Als ich Sie erblickte, lernte ich zum ersten -Male die Liebe kennen, ich gewann Sie leidenschaftlich lieb! Ziehen Sie -noch nicht ... lassen Sie ihn noch einmal anbeißen ... Sagen Sie mir, -meine Teure, ich beschwöre Sie: darf ich auf Gegenliebe hoffen -- nein, -nicht auf Gegenliebe, das verdiene ich gar nicht, ich wage daran nicht -mal zu denken, -- sondern auf ... Ziehen Sie!« - -Anna Ssemjonowna hob die Hand mit der Angelrute, zog sie mit einem -Ruck heraus und schrie auf. In der Luft blitzte ein silberig-grünes -Fischchen. - -»Mein Gott, ein Barsch! Ach, ach ... Schneller! Er hat sich -losgerissen!« - -Der Barsch riß sich vom Haken los, hüpfte über den Rasen zu seinem -heimatlichen Element ... und patsch -- da war er schon im Wasser! - -Auf der Jagd nach dem Fisch ergriff Lapkin, statt des Fisches, aus -Versehen die Hand Anna Ssemjonownas und drückte sie, gleichfalls aus -Versehen, an seine Lippen ... Sie versuchte, die Hand zurückzuziehen, -aber es war schon zu spät: ihre Lippen trafen sich aus Versehen in -einem Kuß. Das kam irgendwie ganz von selbst. Auf den ersten Kuß folgte -ein zweiter, dann kamen Liebesschwüre und Versicherungen ... Glückliche -Augenblicke! In diesem Erdenleben gibt es übrigens kein absolutes -Glück. Das Glück trägt gewöhnlich das Gift in sich selbst oder wird -durch irgend etwas von außen vergiftet. So war es auch diesmal. Als die -jungen Leute sich küßten, ertönte plötzlich ein Lachen. Sie blickten -auf den Fluß und erstarrten: Im Flusse stand bis an die Hüften im -Wasser ein nackter Junge. Es war der Gymnasiast Kolja, der Bruder Anna -Ssemjonownas. Er stand im Wasser, sah die jungen Leute an und lächelte -giftig. - -»Aha ... ihr küßt euch?« sagte er. »Schön! Ich will es der Mama sagen.« - -»Ich hoffe, daß Sie als anständiger Mensch ...« stammelte Lapkin -errötend. - -»Spionieren ist gemein, denunzieren ist aber niederträchtig, häßlich -und abscheulich ... Ich nehme an, daß Sie als edler und anständiger -Mensch ...« - -»Geben Sie mir einen Rubel, dann sage ich es nicht!« antwortete der -anständige Mensch. »Sonst sage ich es.« - -Lapkin holte aus der Tasche einen Rubel und gab ihn Kolja. Jener -drückte den Rubel in der nassen Faust zusammen, stieß einen Pfiff aus -und schwamm davon. Aber die jungen Leute küßten sich diesmal nicht mehr. - -Am anderen Tage brachte Lapkin Kolja aus der Stadt einen Tuschkasten -und einen Ball, die Schwester schenkte ihm aber alle ihre leeren -Pillenschachteln. Dann mußte man ihm auch noch die Manschettenknöpfe -mit den Hundeköpfen schenken. Dem bösen Jungen gefiel es wohl sehr gut, -und er fing an, um noch mehr zu kriegen, zu beobachten. Wohin sich -auch Lapkin und Anna Ssemjonowna wandten, er folgte ihnen überall. Für -keinen Augenblick ließ er sie allein. - -»Schuft«, sagte Lapkin zähneknirschend. »So klein und ein so großer -Schuft! Was wird noch aus ihm werden?!« - -[Illustration] - -Kolja ließ den ganzen Juni den armen Verliebten keine Ruhe. Er drohte -mit einer Anzeige, beobachtete sie und forderte Geschenke; alles war -ihm zu wenig, und zuletzt brachte er die Rede auf eine Taschenuhr. -Nun, man mußte ihm die Taschenuhr versprechen. - -Einmal beim Mittagessen, als eben Waffeln gereicht wurden, lachte er -plötzlich auf, blinzelte mit einem Auge und fragte Lapkin: - -»Soll ich es sagen? Was?« - -Lapkin errötete furchtbar und begann statt an der Waffel an der -Serviette zu kauen. - -Anna Ssemjonowna sprang auf und lief ins andere Zimmer. - -In dieser Lage blieben die jungen Leute bis Ende August, bis zu dem -Tag, als Lapkin Anna Ssemjonowna endlich den Antrag machte. Was war -das für ein glücklicher Tag! Nachdem er mit den Eltern der Braut alles -besprochen und ihre Einwilligung erhalten hatte, lief Lapkin sofort -in den Garten und begann Kolja zu suchen. Als er ihn fand, brach er -vor Freude schier in Tränen aus und packte den bösen Jungen am Ohr. -Auch Anna Ssemjonowna, die gleichfalls Kolja suchte, kam herbei und -packte ihn am anderen Ohr. Man muß das Entzücken gesehen haben, das die -Gesichter der Verliebten ausdrückten, als Kolja weinte und flehte: - -»Meine Lieben, meine Guten, ich tue es nicht mehr! Au, au, verzeiht -mir!« - -Die beiden gestanden später, daß sie, solange sie heimlich verliebt -gewesen waren, kein einziges Mal solches Glück, solche atembeklemmende -Seligkeit empfunden hätten, wie in den Augenblicken, als sie den bösen -Jungen an den Ohren rissen. - - - - -Es war sie! - - -»Erzählen Sie uns etwas, Pjotr Iwanowitsch!« sagten die jungen Mädchen. - -Der Oberst drehte seinen ergrauten Schnurrbart, räusperte sich und -begann: - -»Es war im Jahre 1843, als unser Regiment bei Czenstochowa lag. Ich -muß Ihnen sagen, meine Damen, der Winter war in jenem Jahre so streng, -daß kein Tag verging, wo sich die Wachtposten nicht die Nasen abfroren -oder der Sturm die Straßen nicht mit Schnee verschüttete. Der Frost -hatte Ende Oktober eingesetzt und hielt bis zum April an. Damals, -müssen Sie wissen, war ich nicht der alte verrauchte Pfeifenkopf -wie jetzt, sondern ein junger Bursche wie Blut und Milch, mit einem -Worte, ein schöner Mann. Ich zierte mich wie ein Pfau, gab das Geld -mit beiden Händen aus und drehte meinen Schnurrbart wie kein anderer -Fähnrich auf der Welt. Ich brauchte oft nur mit einem Auge zu blinzeln, -mit der Spore zu klirren und einmal den Schnurrbart zu streichen, -damit die stolzeste Schöne sich sofort in ein sanftes Lamm verwandle. -Ich war scharf auf die Weiber, wie eine Spinne auf die Fliegen, und -wenn ich jetzt Ihnen, meine Damen, alle die Polinnen und Jüdinnen -aufzählen wollte, die mir seinerzeit an den Hals flogen, so würden, -ich versichere Sie, alle Zahlen der Mathematik nicht reichen ... Fügen -Sie dem noch hinzu, daß ich Regimentsadjutant war, vorzüglich die -Mazurka tanzte und mit einer allerliebsten Frau verheiratet war, Gott -hab sie selig. Was ich für ein Taugenichts und ausgelassener Kerl war, --- davon können Sie sich keinen Begriff machen! Wenn im Landkreise -irgendeine tolle Liebesgeschichte passierte, wenn jemand einem Juden -die Schläfenlocken ausriß oder einem polnischen Edelmann in die Fresse -haute, so wußten alle sofort, daß Leutnant Wywertow es angestellt -hatte. - -»Als Regimentsadjutant mußte ich mich viel im ganzen Landkreise -herumtreiben. Bald kaufte ich Hafer oder Heu ein, bald verkaufte ich -den Juden und Gutsbesitzern unsere ausgemusterten Pferde, meistens -aber fuhr ich, meine Damen, eine Dienstreise vortäuschend, zu einem -Stelldichein mit irgendeinem polnischen Edelfräulein oder zu einem -reichen Gutsbesitzer, bei dem man Karten spielte ... In der Nacht -vor Weihnachten fuhr ich einmal, ich erinnere mich, als wäre es eben -gewesen, aus Czenstochowa ins Dorf Schewelki, wohin man mich in einer -dienstlichen Angelegenheit geschickt hatte ... Der Frost war so -grimmig, daß sogar die Pferde husteten und ich und mein Fuhrmann in -einer halben Stunde zu zwei Eiszapfen geworden waren ... Mit dem Frost -konnte man sich noch befreunden, aber denken Sie sich nur, auf dem -halben Wege erhebt sich plötzlich ein Schneesturm. Der Schnee wirbelte -und kreiste wie der Teufel vor der Ostermesse, der Wind heulte, als -hätte man ihm seine Frau genommen, die Straße war verschwunden ... In -kaum zehn Minuten waren wir alle -- ich, der Fuhrmann und die Pferde -- -über und über mit Schnee bedeckt. - -›Euer Wohlgeboren, wir haben den Weg verloren!‹ sagte der Fuhrmann. - -›Hol dich der Teufel! Wie hast du aufgepaßt, du Tölpel? Nun, fahre -jetzt geradeaus, vielleicht stoßen wir auf eine Menschenwohnung!‹ - -»Wir fuhren und fuhren, immer im Kreise herum, und so gegen Mitternacht -stießen unsere Pferde an das Tor eines Gutshofes, der, ich erinnere -mich noch, einem Grafen Bojadlowski, einem reichen Polen gehörte. Die -Polen und die Juden sind für mich dasselbe wie Meerrettich nach dem -Essen, aber ich muß die Wahrheit sagen: die polnischen Edelleute sind -gastfreundlich, und es gibt keine heißeren Weiber als junge Polinnen ... - -»Man ließ uns ein ... Der Graf Bojadlowski lebte damals in Paris, und -uns empfing sein Verwalter, der Pole Kasimir Chapzinski. Ich erinnere -mich, es war keine Stunde vergangen, als ich schon in der Wohnung des -Verwalters saß, seiner Frau den Hof machte, trank und Karten spielte. -Als ich fünf Dukaten gewonnen und genug getrunken hatte, bat ich um ein -Nachtlager. Da es im Verwalterflügel keinen Platz gab, wies man mir ein -Zimmer im gräflichen Herrenhause an. - -›Fürchten Sie Gespenster?‹ fragte mich der Verwalter, mich in ein -kleines Zimmer geleitend, das neben einem riesengroßen Saal voller -Kälte und Finsternis lag. - -›Gibt es denn hier Gespenster?‹ fragte ich, während ein dumpfes Echo -meine Worte und Schritte wiederholte. - -›Ich weiß es nicht,‹ antwortete der Pole lachend, ›aber mir scheint, -daß es ein für Gespenster und unsaubere Geister außerordentlich -geeigneter Ort ist.‹ - -»Ich hatte ordentlich getrunken und war besoffen wie vierzigtausend -Schuster, aber diese Worte machten mich, offen gestanden, erschauern. -Hol mich der Teufel, lieber sind mir hundert Tscherkessen als ein -einziges Gespenst! Es war aber nichts zu machen, ich zog mich aus und -legte mich hin ... Meine Kerze erleuchtete die Wände mit schwachem -Lichte, an den Wänden hingen aber, stellen Sie es sich nur vor, -Ahnenbilder, eines schrecklicher als das andere, altertümliche Waffen, -Jagdhörner und ähnliche phantastische Dinge ... Es herrschte eine -Grabesstille, nur im Nebensaale piepsten die Mäuse und knisterten die -trockenen Möbel. Draußen war aber die Hölle los ... Der Wind sang -jemand die Totenmesse, die Bäume bogen sich heulend und weinend; -irgendein Teufelsding, wahrscheinlich ein Laden, quietschte jämmerlich -und klopfte gegen den Fensterrahmen. Denken Sie sich hinzu, daß mir -der Kopf schwindelte und sich zugleich mit meinem Kopf die ganze Welt -drehte ... Wenn ich die Augen schloß, war es mir, als flöge mein Bett -durch das ganze leere Haus und tanze mit den Gespenstern einen Reigen. -Um meine Angst zu vermindern, blies ich vor allen Dingen die Kerze aus, -da die leeren Zimmer bei Licht viel schrecklicher erscheinen als im -Finsteren ...« - -Die drei jungen Mädchen, die dem Oberst zuhörten, rückten zu ihm näher -heran und bohrten in ihn ihre unbeweglichen Blicke. - -[Illustration] - -»Nun«, fuhr der Oberst fort, »wie sehr ich mich auch bemühte, -einzuschlafen, der Schlaf floh meine Lider. Bald schien es mir, daß -Diebe durchs Fenster eindringen, bald hörte ich ein Flüstern, bald -berührte jemand meine Schulter, -- kurz, mir schwebte der ganze -Teufelsspuk vor, den jedermann kennt, der einmal nervös erregt war. Nun -stellen Sie sich vor, daß ich plötzlich mitten in diesem Teufelsspuk -und Chaos von Tönen deutlich ein Geräusch erkenne, das wie Schlürfen -von Pantoffeln klingt. Ich spitze die Ohren und, -- was glauben Sie -wohl? -- ich höre, wie jemand vor meine Türe tritt, hustet, die Türe -aufmacht ... - -›Wer ist da?‹ frage ich, mich aufrichtend. - -›Ich bin es ... fürchte dich nicht!‹ antwortet eine weibliche Stimme. - -»Ich ging zur Tür ... Es vergingen einige Sekunden, und plötzlich -fühlte ich, wie sich mir zwei Frauenarme, so weich wie Eiderdaunen, auf -die Schultern legten. - -›Ich liebe dich ... Du bist mir teurer als das Leben,‹ sagte eine -melodische Frauenstimme. - -»Heißer Atem berührte meine Wange ... Ich vergaß den Schneesturm, die -Gespenster und alles in der Welt und umschlang mit meiner Hand eine -Taille ... was für eine Taille! Eine solche Taille kann die Natur nur -auf besondere Bestellung, einmal in zehn Jahren anfertigen ... Schlank, -wie gedrechselt, heiß und leicht wie der Atem eines Säuglings! Ich -konnte mich nicht beherrschen und drückte sie fest in meinen Armen -zusammen ... Unsere Lippen vereinigten sich in einem festen, langen -Kusse, und ... ich schwöre Ihnen bei allen Frauen der Welt, ich werde -jenen Kuß bis an mein Ende nicht vergessen.« - -Der Oberst verstummte, trank ein halbes Glas Wasser aus und fuhr mit -gedämpfter Stimme fort: - -»Als ich am nächsten Morgen zum Fenster hinausblickte, sah ich, -daß der Schneesturm noch stärker geworden war ... Weiterfahren war -ganz unmöglich. So mußte ich den ganzen Tag beim Verwalter sitzen, -Karten spielen und trinken. Abends war ich wieder im leeren Hause und -umschlang Schlag Mitternacht wieder die mir bekannte Taille ... Ja, -meine Damen, wenn nicht die Liebe, so wäre ich wohl vor Langeweile -verreckt. Oder hätte mich zu Tode gesoffen.« - -Der Oberst seufzte, stand auf und ging schweigend durchs Zimmer. - -»Nun ... und weiter?« fragte eines der jungen Mädchen, ganz atemlos vor -Erwartung. - -»Gar nichts. Am anderen Tage war ich schon unterwegs.« - -»Aber ... wer war denn die Dame?« fragten die jungen Mädchen zögernd. - -»Es versteht sich doch von selbst, wer es war!« - -»Nein, nichts versteht sich von selbst!« - -»Es war meine Frau!« - -Alle drei junge Mädchen sprangen wie von einer Schlange gebissen auf. - -»Das heißt ... wieso denn?« fragten sie. - -»Ach, mein Gott, was ist denn daran so unverständlich?« fragte der -Oberst ärgerlich und zuckte die Achseln. »Ich glaube, ich habe mich -klar genug ausgedrückt! Ich war doch mit meiner Frau nach Schewelki -gefahren ... Sie übernachtete im leeren Hause im Nebenzimmer ... Es ist -doch vollkommen klar!« - -»Hm ...« versetzten die jungen Mädchen und ließen enttäuscht die Arme -sinken. - -»Die Geschichte hat so schön angefangen, aber das Ende ist Gott -weiß wie ... Ihre Frau ... Entschuldigen Sie, es ist so gar nicht -interessant und ... auch gar nicht geistreich.« - -»Sonderbar! Sie wollen also, daß es nicht meine rechtmäßige Frau -gewesen sei, sondern irgendeine Fremde! Ach, meine Damen! Wenn -Sie jetzt so urteilen, was werden Sie erst sagen, wenn Sie einmal -verheiratet sind?« - -Die jungen Mädchen wurden verlegen und verstummten. Sie machten -unzufriedene Mienen, zogen die Stirnen kraus und fingen an, gänzlich -enttäuscht, laut zu gähnen ... Beim Abendbrot aßen sie nichts, kneteten -Kügelchen aus Brot und schwiegen. - -»Nein, es ist sogar ... gewissenslos!« platzte eine von ihnen heraus. -»Was brauchten Sie es uns erzählen, wenn die Geschichte ein solches -Ende hat? Es ist gar nicht schön ... Es ist sogar unerhört!« - -»Sie haben so vielversprechend angefangen und plötzlich abgebrochen -...« fügte eine andere hinzu. »Es ist einfach Hohn und sonst nichts.« - -»Na, na, na ... ich habe nur gescherzt ...« versetzte der Oberst. -»Seien Sie nicht böse, meine Damen, ich habe nur Spaß gemacht. Es war -nicht meine Frau, sondern die des Verwalters ...« - -»Ja?!« - -Die jungen Mädchen wurden plötzlich lustig, ihre Augen fingen zu -leuchten an ... Sie rückten zum Obersten heran, schenkten ihm immer -neuen Wein ein und überschütteten ihn mit Fragen. Die Langweile war -verschwunden, auch das Abendbrot war bald verschwunden, denn die jungen -Mädchen aßen plötzlich mit großem Appetit. - - - - -Ein jähzorniger Mensch - - -Ich bin ein ernster Mensch, und mein Geist hat eine philosophische -Richtung. Von Beruf bin ich Finanzwissenschaftler, ich studiere -Finanzrecht und schreibe eine Dissertation über das Thema: -»Vergangenheit und Zukunft der Hundesteuer«. Man wird mir zugeben -müssen, daß mich alle die jungen Mädchen, die Lieder, der Mond und -sonstige Dummheiten absolut nichts angehen. - -Zehn Uhr früh. Meine Mama schenkt mir Kaffee ein. Ich trinke ihn aus -und gehe auf den Balkon, um mich sofort an meine Dissertation zu -machen. Ich nehme einen reinen Bogen, tauche die Feder ins Tintenfaß -und male die Überschrift: »Vergangenheit und Zukunft der Hundesteuer«. -Ich überlege eine Weile und schreibe: »Historischer Überblick. Aus -einigen Andeutungen bei Herodot und Xenophon zu schließen, datieren die -Anfänge der Hundesteuer ...« - -In diesem Augenblick höre ich aber höchst verdächtige Schritte. Ich -schaue von meinem Balkon hinunter und erblicke ein junges Mädchen mit -langem Gesicht und langer Taille. Sie heißt, glaube ich, Nadenjka oder -Warenjka; übrigens ist es mir vollkommen gleich. Sie sucht etwas, tut -so, als sähe sie mich nicht und summt vor sich hin: - -»Gedenkst du noch der Weise voller Sehnsucht ...« - -Ich lese das Geschriebene durch und will fortfahren, aber das junge -Mädchen tut so, als hätte sie mich plötzlich bemerkt und spricht mit -trauriger Stimme: - -»Guten Morgen, Nikolai Andrejewitsch! Denken Sie sich nur, dieses -Unglück! Gestern beim Spazierengehen verlor ich ein Anhängsel von -meinem Armband.« - -Ich lese den Anfang meiner Dissertation noch einmal durch, korrigiere -die Öse beim Buchstaben »b« und will weiter schreiben, aber das junge -Mädchen läßt nicht locker. - -»Nikolai Andrejewitsch,« sagt sie, »seien Sie so gut und begleiten Sie -mich nach Hause. Die Karelins haben einen großen Hund, und ich kann -mich nicht entschließen, allein vorbeizugehen.« - -Nichts zumachen. Ich lege die Feder weg und gehe hinunter. Nadenjka -oder Warenjka nimmt mich unter den Arm, und wir schlagen den Weg zu -ihrer Landwohnung ein. - -Wenn mich die Pflicht trifft, mit einer Dame oder mit einem Mädchen -Arm in Arm zu gehen, so fühle ich mich aus irgendeinem Grunde immer -wie ein Haken, an den man einen schweren Pelz gehängt hat; Nadenjka -oder Warenjka ist aber, unter uns gesagt, leidenschaftlicher Natur (ihr -Großvater war Armenier), sie hat die Fähigkeit, sich mit der ganzen -Schwere ihres Körpers an meinen Arm zu hängen und schmiegt sich an -meine Seite wie ein Blutegel. So gehen wir ... - -Wie wir am Landhause der Karelins vorbeikommen, sehe ich einen großen -Hund, und dieser ruft mir die Hundesteuer in Erinnerung. Ich denke mit -Sehnsucht an die angefangene Arbeit und seufze. - -»Warum seufzen Sie?« fragt mich Nadenjka oder Warenjka und stößt auch -selbst einen Seufzer aus. - -Hier muß ich etwas einschalten. Nadenjka oder Warenjka (jetzt besinne -ich mich, daß sie Maschenjka heißt) hat sich aus irgendeinem Grunde -eingebildet, daß ich in sie verliebt sei, und hält es daher für eine -Pflicht der Menschenliebe, mich immer mitleidsvoll anzublicken und -meine Herzenswunde durch Worte zu heilen. - -»Hören Sie einmal,« sagt sie stehenbleibend, »ich weiß, warum Sie -seufzen. Sie sind verliebt, ja! Aber ich bitte Sie bei unserer -Freundschaft, versichert zu sein, daß das Mädchen, das Sie lieben, Sie -tief achtet! Sie kann Ihnen Ihre Liebe nicht mit dem gleichen Gefühl -beantworten, aber ist es denn ihre Schuld, daß ihr Herz schon längst -einem anderen gehört?« - -[Illustration] - -Maschenjkas Nase wird rot und schwillt an, ihre Augen füllen sich mit -Tränen; sie scheint auf meine Antwort zu warten, aber zum Glück sind -wir schon am Ziel ... Auf der Veranda sitzt Maschenjkas Mama, eine gute -Frau, doch voller Vorurteile; als sie das erregte Gesicht ihrer Tochter -sieht, heftet sie einen langen Blick auf mich und seufzt, als wollte -sie sagen: »Ach, diese Jugend versteht sich nicht mal zu verstellen!« -Außer ihr sitzen auf der Veranda mehrere junge bunte Mädchen und unter -ihnen mein Sommernachbar, der verabschiedete Offizier, der im letzten -Kriege an der linken Schläfe und an der rechten Hüfte verwundet worden -ist. Dieser Unglückliche will gleich mir den Sommer einer literarischen -Arbeit weihen. Er schreibt an den »Memoiren eines Militärs«. Gleich mir -macht er sich jeden Morgen an seine jede Achtung verdienende Arbeit, -aber kaum hat er die Worte geschrieben: »Ich bin geboren im Jahre ...«, -als unter seinem Balkon irgendeine Warenjka oder Maschenjka erscheint -und den armen Kerl mit Beschlag belegt. - -Alle, die auf der Veranda sitzen, sind mit dem Putzen irgendwelcher -dummer, zum Einkochen bestimmter Beeren beschäftigt. Ich grüße und will -mich entfernen, aber die bunten jungen Mädchen nehmen mir quietschend -meinen Hut und Stock weg und verlangen, daß ich bleibe. Ich setze mich. -Man gibt mir einen Teller mit Beeren und eine Haarnadel. Ich beginne zu -putzen. - -Die bunten jungen Mädchen sprechen über die Männer. Der eine sei nett, -der andere hübsch, aber unsympathisch, der dritte häßlich, der vierte -wäre nicht übel, wenn seine Nase nicht einem Fingerhut gliche usw. - -»Und Sie, Monsieur Nicolas,« wendet sich an mich Maschenjkas Mama, -»sind nicht hübsch, aber sympathisch ... In Ihrem Gesicht ist etwas -... Übrigens,« seufzt sie, »ist die Hauptsache am Manne nicht die -Schönheit, sondern der Geist.« - -Die jungen Mädchen seufzen und schlagen die Augen nieder. Auch sie sind -damit einverstanden, daß die Hauptsache am Manne nicht die Schönheit, -sondern der Geist sei. Ich schiele nach dem Spiegel, um mich zu -überzeugen, inwiefern ich sympathisch bin. Ich sehe einen zerzausten -Kopf, einen zerzausten Bart und Schnurrbart, Augenbrauen, Haare an den -Wangen, Haare unter den Augen, ein ganzer Wald, aus dem wie ein Turm -meine solide Nase ragt. Hübsch, das muß man sagen! - -»Dafür schlagen Sie die anderen mit dem Seelischen, Nicolas,« seufzt -Maschenjkas Mama, als bekräftige sie einen heimlichen Gedanken. - -Maschenjka leidet mit mir mit, zugleich scheint ihr aber das -Bewußtsein, daß ihr gegenüber ein in sie verliebter Mensch sitzt, einen -großen Genuß zu verschaffen. - -Als die Männer erledigt sind, beginnen die jungen Mädchen über die -Liebe zu sprechen. Nachdem dieses Gespräch eine Weile gedauert hat, -steht eines der jungen Mädchen auf und geht. Die Zurückgebliebenen -beginnen sie sofort durchzuhecheln. Alle finden, sie sei dumm, -unerträglich und abstoßend häßlich und eines ihrer Schulterblätter -sitze nicht an der richtigen Stelle. - -Da kommt aber, Gott sei Dank, das von meiner Mama geschickte -Dienstmädchen und ruft mich zum Essen. Nun darf ich die unangenehme -Gesellschaft verlassen und heimgehen, um meine Dissertation weiter zu -schreiben. Ich stehe auf und mache eine Verbeugung. Maschenjkas Mama, -Maschenjka selbst und alle die bunten jungen Mädchen umringen mich und -erklären, daß ich kein Recht habe, heimzugehen, da ich ihnen gestern -mein Ehrenwort gegeben hätte, mit ihnen zu Mittag zu essen und nach dem -Essen in den Wald auf die Pilzsuche zu gehen. Ich verbeuge mich und -setze mich wieder ... In meiner Seele kocht der Haß, und ich fühle, daß -ich bald für mich nicht mehr einstehen können werde, daß es gleich zu -einer Explosion kommen müsse, aber meine Höflichkeit und die Angst, den -guten Ton zu verletzen, zwingen mich, mich den Damen zu fügen. Und ich -füge mich. - -Wir setzen uns an den Tisch. Der verwundete Offizier, der infolge der -Verwundung an der Schläfe eine Kontraktion der Kiefern hat, ißt mit -einer Miene, als wäre er aufgezäumt und hätte eine Kandare im Munde. -Ich knete Kügelchen aus Brot, denke an die Hundesteuer und bemühe mich, -da ich meinen jähzornigen Charakter kenne, zu schweigen. Maschenjka -blickt mich voller Mitleid an. Es gibt eine kalte Sauerampfersuppe, -Zunge mit jungen Erbsen, Brathuhn und Kompott. Ich habe keinen Appetit, -esse aber aus Höflichkeit. Wie ich nach dem Essen allein auf der -Veranda stehe und rauche, kommt auf mich Maschenjkas Mama zu, drückt -mir die Hände und spricht um Atem ringend: - -»Verzweifeln Sie aber nicht, Nicolas ... Sie hat ein so empfindsames -Herz ... ein solches Herz!« - -Wir gehen in den Wald auf die Pilzsuche ... Maschenjka hängt an meinem -Arm und saugt sich an meiner Seite fest. Ich leide unmenschlich, dulde -es aber. - -Wir kommen in den Wald. - -»Hören Sie einmal, Monsieur Nicolas,« beginnt Maschenjka seufzend: -»Warum sind Sie so traurig? Warum schweigen Sie?« - -Ein sonderbares Mädchen: worüber könnte ich denn mit ihr sprechen? Was -haben wir gemein? - -»Sagen Sie doch etwas ...« bittet sie. - -Ich bemühe mich, etwas Populäres auszudenken, was ihren Begriffen -zugänglich wäre. Nachdem ich eine Weile nachgedacht habe, sage ich: - -»Die Ausrottung der Wälder fügt Rußland einen großen Schaden zu ...« - -»Nicolas!« seufzt Maschenjka, und ihre Nase wird rot. »Nicolas, ich -sehe, Sie weichen einer offenen Aussprache aus ... Sie wollen mich -wohl durch Ihr Schweigen strafen ... Ihr Gefühl bleibt unerwidert, und -Sie wollen den Schmerz stumm, in der Einsamkeit tragen ... das ist -schrecklich. Nicolas!« ruft sie aus und packt mich plötzlich bei der -Hand, und ich sehe, wie ihre Nase zu schwellen beginnt. »Was würden Sie -sagen, wenn das Mädchen, das Sie lieben, Ihnen die ewige Freundschaft -anbieten würde?« - -Ich murmele etwas Zusammenhangloses, denn ich weiß absolut nicht, was -ich ihr sagen könnte ... Erlauben Sie doch: erstens liebe ich kein -Mädchen in der Welt, zweitens, was brauche ich die ewige Freundschaft? -Drittens bin ich sehr jähzornig. Maschenjka oder Warenjka bedeckt das -Gesicht mit den Händen und sagt leise, wie zu sich selbst: - -»Er schweigt ... Offenbar verlangt er ein Opfer von mir. Aber ich kann -ihn doch nicht lieben, wenn ich immer noch den anderen liebe! Übrigens -... ich will es mir überlegen ... Gut, ich werde es mir überlegen ... -Ich werde alle Kräfte meiner Seele sammeln und vielleicht um den Preis -meines Glückes diesen Menschen von seinen Leiden erlösen!« - -Ich verstehe nichts. Es ist eine Art Kabbala für mich. Wir gehen weiter -und sammeln Pilze. Wir schweigen die ganze Zeit. Maschenjkas Gesicht -drückt einen inneren Kampf aus. Ich höre Hundegebell: das bringt mir -meine Dissertation in Erinnerung, und ich seufze laut auf. Zwischen den -Baumstämmen erblicke ich den verwundeten Offizier. Der Ärmste hinkt -schmerzvoll rechts und links: rechts hat er seine verwundete Hüfte, -links hängt eines der bunten jungen Mädchen. Sein Gesicht drückt Demut -vor dem Schicksal aus. - -Aus dem Walde kehren wir ins Haus zurück und trinken Tee. Dann spielen -wir Krocket und hören zu, wie eines der bunten jungen Mädchen das Lied -singt: »Nein, du liebst mich nicht, nein, nein!« Beim Worte »nein« -verzieht sie den Mund bis zu den Ohren. - -»Charmant!« stöhnen die übrigen Mädchen. »Charmant!« - -Der Abend bricht an. Hinter dem Gebüsch kommt ein ekelhafter Mond -zum Vorschein. Die Luft ist still, und es riecht unangenehm nach -frischgemähtem Heu. Ich nehme meinen Hut und will gehen. - -»Ich muß Ihnen etwas sagen,« flüstert mir Maschenjka bedeutungsvoll zu. -»Gehen Sie nicht.« - -Mir schwant etwas übles. Aber aus Höflichkeit bleibe ich doch. -Maschenjka ergreift meinen Arm und führt mich die Allee entlang. -Jetzt drückt schon ihre ganze Figur einen Kampf aus. Sie ist blaß, -atmet schwer und scheint die Absicht zu haben, mir meinen rechten Arm -abzureißen. Was hat sie bloß? - -»Hören Sie ...« murmelt sie. »Nein, ich kann nicht ... Nein ...« - -Sie will etwas sagen, kann sich aber nicht entschließen. Da sehe ich -es aber ihrem Gesicht an, daß sie sich doch entschlossen hat. Mit -funkelnden Augen und geschwollener Nase ergreift sie plötzlich meine -Hand und sagt schnell: - -»Nicolas, ich bin die Ihre! Lieben kann ich Sie nicht, aber ich -verspreche Ihnen Treue!« - -Dann schmiegt sie sich an meine Brust und prallt plötzlich zurück. - -»Da kommt wer ...« flüstert sie. »Leb wohl ... Morgen um elf werde ich -im Gartenhäuschen sein ... Leb wohl!« - -Und sie verschwindet. Ohne etwas zu verstehen, klopfenden Herzens -gehe ich heim. Mich erwartet die »Vergangenheit und Zukunft der -Hundesteuer«, aber ich bin nicht mehr imstande zu arbeiten. Ich rase. -Man darf wohl sagen, ich bin erschreckend. Hol der Teufel, ich werde -es nicht dulden, daß man mich wie einen grünen Jungen behandelt! Ich -bin jähzornig, und es ist gefährlich, mit mir zu spaßen! Als das -Dienstmädchen hereinkommt, um mich zum Abendbrot zu rufen, schreie ich -sie an: »Hinaus!« Mein jähzorniger Charakter verspricht wenig Gutes. - -Der nächste Morgen. Es ist ein echtes Sommerfrischenwetter, d. h. -Temperatur unter Null, durchdringender kalter Wind, Regen, Schmutz -und Naphthalingeruch, da meine Mama ihre warmen Mäntel aus dem Korb -geholt hat. Ein teuflischer Morgen. Es ist der 7. August 1887, als die -berühmte Sonnenfinsternis stattfand. Ich muß bemerken, daß bei einer -Sonnenfinsternis ein jeder von uns, auch ohne Astronom zu sein, großen -Nutzen bringen kann. So kann ein jeder: 1) den Durchmesser der Sonne -und des Mondes bestimmen, 2) die Korona skizzieren, 3) die Temperatur -messen, 4) während der Verfinsterung die Tiere und die Pflanzen -beobachten, 5) seine eigenen Empfindungen aufschreiben u. s. w. Das -alles ist so wichtig, daß ich mich entschloß, die »Vergangenheit und -Zukunft der Hundesteuer« beiseite zu lassen und die Sonnenfinsternis -zu beobachten. Wir alle standen sehr früh auf. Die ganze bevorstehende -Arbeit verteilte ich auf folgende Weise: ich bestimme den Durchmesser -der Sonne und des Mondes, der verwundete Offizier zeichnet die Korona, -alles übrige übernehmen aber Maschenjka und die bunten jungen Mädchen. -Nun sind wir alle versammelt und warten. - -»Wieso entsteht eine Sonnenfinsternis?« fragt mich Maschenjka. - -Ich antworte: - -»Eine Sonnenfinsternis kommt zustande, wenn der Mond, die Ebene -der Ekliptik durchlaufend, auf die Linie zu stehen kommt, die die -Mittelpunkte der Sonne und des Mondes verbindet.« - -»Was ist die Ekliptik?« - -Ich erkläre es ihr. Maschenjka hört mir aufmerksam zu und fragt: - -»Kann man durch ein angerußtes Glas die Linie sehen, die die -Mittelpunkte der Sonne und des Mondes verbindet?« - -Ich antworte ihr, daß es eine gedachte Linie ist. - -»Wenn sie nur gedacht ist,« wundert sich Maschenjka, »wie kann dann der -Mond auf ihr Platz finden?« - -Ich gebe ihr keine Antwort. Ich fühle, wie diese naive Frage meine -Leber schwellen macht. - -»Es ist lauter Unsinn,« sagt Maschenjkas Mama. »Man kann doch nicht -wissen, was kommen wird, auch sind Sie noch nie im Himmel gewesen; -woher wollen Sie dann wissen, was mit dem Monde und der Sonne geschehen -wird? Hirngespinste!« - -Da rückt aber ein schwarzer Fleck über die Sonne. Allgemeiner Aufruhr. -Kühe, Schafe und Pferde rasten mit erhobenen Schwänzen, vor Angst -brüllend, über das Feld. Die Hunde heulten. Die Wanzen bildeten -sich ein, daß die Nacht angebrochen sei: sie kamen aus ihren Ritzen -gekrochen und fingen an, die noch Schlafenden zu beißen. Der Diakon, -der gerade mit einer Ladung Gurken heimfuhr, erschrak, sprang aus dem -Wagen und verkroch sich unter die Brücke, sein Pferd fuhr aber mit dem -Wagen in einen fremden Hof, wo die Gurken von den Schweinen gefressen -wurden. Ein Akzisebeamter, der nicht bei sich zu Hause, sondern bei -einer Sommerfrischlerin übernachtete, sprang in Unterwäsche aus dem -Hause, lief in die Menge und schrie mit wilder Stimme: - -»Rette sich, wer kann!« - -Viele Sommerfrischlerinnen, selbst junge und hübsche, stürzten, vom -Lärm geweckt, ohne Schuhe auf die Straße. Es passierte noch manches -andere, was ich gar nicht wiedergeben kann. - -»Ach, wie schrecklich!« kreischen die bunten jungen Mädchen. »Ach, wie -schrecklich!« - -»Meine Damen, beobachten Sie doch!« rufe ich ihnen zu, »die Zeit ist -kostbar!« - -Ich selbst beeile mich, die Durchmesser festzustellen ... Ich besinne -mich auf die Korona und suche mit den Blicken den verwundeten Offizier. -Er steht da und tut nichts. - -»Was haben Sie?« schreie ich. »Was ist denn mit der Korona?« - -Er zuckt die Achseln und weist mit den Blicken hilflos auf seine -Arme. Der Ärmste hat an beiden Armen je ein junges Mädchen hängen; -sie schmiegen sich an ihn voller Angst und lassen ihn nicht arbeiten. -Ich nehme einen Bleistift und notiere die Stunde mit den Sekunden. -Das ist wichtig. Ich notiere auch die geographische Lage des -Beobachtungspunktes. Auch das ist wichtig. Nun will ich den Durchmesser -bestimmen, da ergreift aber Maschenjka meine Hand und sagt: - -»Vergessen Sie also nicht: heute um elf!« - -Ich befreie meine Hand und will, jede Sekunde ausnützend, meine -Beobachtungen fortsetzen, aber Maschenjka hängt sich mir krampfhaft an -den Arm und schmiegt sich an meine Seite. Der Bleistift, die Gläser, -die Zeichnungen, -- alles fällt ins Gras. Teufel nocheinmal! Dieses -Mädchen könnte doch wirklich endlich begreifen, daß ich jähzornig bin -und, wenn ich einmal rasend geworden, für mich nicht einstehe. - -Ich will fortfahren, die Sonnenfinsternis ist aber schon zu Ende! - -»Schauen Sie mich doch an!« flüstert sie zärtlich. - -Oh, das ist schon der Gipfel der Verhöhnung! Man wird doch zugeben, daß -ein solches Spiel mit der menschlichen Geduld nur ein übles Ende nehmen -kann. Man mache mir keine Vorwürfe, wenn etwas Schreckliches geschieht! -Ich werde es niemand gestatten, mich zu verhöhnen, Teufel nocheinmal, -und wenn ich rasend bin, möchte ich niemand raten, mir nahe zu kommen! -Ich bin zu allem fähig! - -Eines der jungen Mädchen sieht es wohl meinem Gesicht an, daß ich -rasend bin und sagt, offenbar mit der Absicht, mich zu besänftigen: - -»Nikolai Andrejewitsch, ich habe Ihren Auftrag ausgeführt. Ich habe die -Säugetiere beobachtet. Ich sah, wie vor der Sonnenfinsternis ein grauer -Hund einer Katze nachlief und hinterher lange mit dem Schweif wedelte.« - -So ist aus der Sonnenfinsternis nichts geworden. Ich begebe mich -nach Hause. Da es regnet, gehe ich nicht auf den Balkon arbeiten. -Der verwundete Offizier hat sich aber auf seinem Balkon hinausgewagt -und sogar geschrieben: »Ich bin geboren im Jahre ...«; nun sehe -ich aus meinem Fenster, wie eines der jungen Mädchen ihn zu sich -in die Landwohnung schleppt. Ich kann nicht arbeiten, denn ich bin -noch immer rasend und habe Herzklopfen. Ins Gartenhäuschen gehe ich -nicht. Es ist zwar unhöflich, aber ich kann doch nicht bei Regen -hingehen! Um die Mittagstunde bekomme ich einen Brief von Maschenjka; -er enthält Vorwürfe, die Bitte, ins Gartenhäuschen zu kommen und ist -per »du« geschrieben. Um eins bekomme ich einen zweiten Brief, um -zwei einen dritten ... Ich muß gehen. Bevor ich hingehe, muß ich mir -aber überlegen, worüber ich mit ihr sprechen werde. Ich will wie ein -anständiger Mensch handeln. Erstens werde ich ihr sagen, sie habe gar -keinen Grund sich einzubilden, daß ich sie liebe. Solche Sachen sagt -man übrigens einer Dame nicht. Einer Dame zu sagen: »Ich liebe Sie -nicht,« ist dasselbe, wie einem Schriftsteller zu sagen: »Sie verstehen -nicht zu schreiben.« Ich will Maschenjka lieber meine Ansichten -über die Ehe darlegen. Ich ziehe einen warmen Mantel an, nehme den -Regenschirm und gehe ins Gartenhäuschen. Da ich mein jähzorniges Wesen -kenne, fürchte ich, zu viel zu sagen. Ich werde mir Mühe geben, mich zu -beherrschen. - -Im Gartenhäuschen werde ich erwartet. Maschenjka ist blaß und hat -verweinte Augen. Als sie mich erblickt, schreit sie freudig auf, fällt -mir um den Hals und sagt: - -»Endlich! Du spielst mit meiner Geduld. Hör, ich habe die ganze Nacht -nicht geschlafen ... Habe immer überlegt. Mir scheint, daß ich dich, -wenn ich dich näher kennen lerne, ... lieb gewinnen werde ...« - -Ich setze mich hin und beginne ihr meine Ansichten über die Ehe -darzulegen. Um nicht zu weit zu gehen und mich kürzer zu fassen, -beginne ich mit einem historischen Überblick. Ich spreche von der -Ehe bei den Indern und den Ägyptern und komme dann auf die späteren -Perioden zu sprechen; bringe auch einige Gedanken Schopenhauers. -Maschenjka hört mir aufmerksam zu, hält es aber plötzlich, gegen jede -Logik verstoßend, für nötig, mich zu unterbrechen. - -»Nicolas, küsse mich!« sagt sie mir. - -Ich bin verdutzt und weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Sie wiederholt -ihre Aufforderung. Nichts zu machen, ich stehe auf und drücke meine -Lippen auf ihr langes Gesicht, wobei ich dasselbe empfinde, was ich -als Kind empfunden habe, als ich bei der Totenmesse meine verstorbene -Großmutter küssen mußte. Aber Maschenjka begnügt sich nicht mit dem -Kuß, sondern steht auf und umarmt mich sehr leidenschaftlich. In -diesem Augenblick erscheint in der Tür des Gartenhäuschens Maschenjkas -Mama. Sie macht ein erschrockenes Gesicht, sagt zu jemand: »Pst!« und -verschwindet wie Mephistopheles in der Versenkung. - -Ratlos und rasend gehe ich heim. Zu Hause treffe ich Maschenjkas Mama, -die mit Tränen in den Augen meine Mama umarmt, während meine Mama -weinend sagt: - -»Ich habe es selbst gewünscht!« - -Dann -- wie gefällt Ihnen das? -- dann geht Maschenjkas Mama auf mich -zu, umarmt mich und sagt: - -»Gott wird euch segnen! Pass auf, hab sie lieb ... Vergiß nicht, daß -sie sich dir zum Opfer bringt ...« - -Nun werde ich verheiratet. Während ich dies schreibe, stehen vor mir -die Trauzeugen und treiben mich zur Eile an. Diese Menschen kennen -meinen Charakter wirklich nicht! Ich bin ja jähzornig und kann für mich -nicht einstehen! Hol der Teufel, ihr werdet sehen, was noch kommen -wird! Einen jähzornigen Menschen zum Traualtar zu schleppen ist meiner -Ansicht nach ebenso gescheit, wie die Hand zu einem rasenden Tiger in -den Käfig zu stecken. Wir werden sehen, wir werden sehen, was noch -kommen wird! - - * * * * * - -So bin ich verheiratet. Alle gratulieren mir, und Maschenjka schmiegt -sich immer an mich und spricht: - -»Begreife doch, daß du jetzt mein bist! Sag doch, daß du mich liebst! -Sag!« - -Dabei schwillt ihr die Nase. - -Von den Trauzeugen erfuhr ich, daß der verwundete Offizier auf eine -höchst geschickte Weise den Ehebanden entronnen ist. Er stellte dem -bunten jungen Mädchen ein ärztliches Zeugnis bei, welches besagte, daß -er infolge der Verwundung an der Schläfe geistig unnormal sei und daher -laut Gesetz nicht heiraten dürfe. Eine Idee! Auch ich könnte so ein -Zeugnis beistellen. Ein Onkel von mir war Quartalsäufer, ein anderer -Onkel war auffallend zerstreut (einmal stülpte er sich statt einer -Mütze einen Damenmuff über den Kopf), eine Tante spielte viel Klavier -und zeigte bei Begegnungen mit Männern ihnen die Zunge. Zudem ist -mein außerordentlich jähzorniger Charakter -- ein höchst verdächtiges -Symptom. Warum kommen aber die guten Ideen so spät? Ja, warum? - - - - -Eine problematische Natur - - -Ein Coupé erster Klasse. - -Auf dem mit himbeerrotem Samt bezogenen Divan liegt ein hübsches junges -Dämchen. - -Der kostbare befranste Fächer kracht in ihrer krampfhaft -zusammengedrückten Hand, der Zwicker rutscht jeden Augenblick von -ihrem hübschen Näschen, die Brosche an ihrer Brust hebt und senkt sich -wie ein Nachen inmitten der Wellen. Sie ist sehr aufgeregt ... Ihr -gegenüber sitzt der Beamte für besondere Aufträge beim Gouverneur, -ein junger angehender Schriftsteller, der im Gouvernements-Amtsblatte -kleine Novellen aus den höheren Kreisen erscheinen läßt ... Er schaut -ihr unverwandt mit einer Kennermiene ins Gesicht. Er beobachtet, -er studiert, er sucht diese exzentrische, problematische Natur zu -ergründen, er hat sie schon beinahe erfaßt ... Ihre Seele, ihre ganze -Psychologie sind ihm vollkommen klar. - -»Oh, ich verstehe Sie!« sagt der Beamte für besondere Aufträge, -ihre Hand in der Nähe des Armbandes küssend. »Ihre empfindliche, -empfängliche Seele sucht einen Ausgang aus dem Labyrinth ... Gewiß! Es -ist ein ungeheuer schrecklicher Kampf, aber ... verzagen Sie nicht! Sie -werden siegen! Ganz bestimmt!« - -»Beschreiben Sie mich doch, Woldemar!« spricht das Dämchen mit einem -traurigen Lächeln. »Mein Leben ist so voll, so abwechselungsreich, so -bunt ... Die Hauptsache aber ist, daß ich unglücklich bin! Ich bin eine -Märtyrerin im Stile Dostojewskijs ... Zeigen Sie der Welt meine Seele, -Woldemar, zeigen Sie ihr diese arme Seele! Sie sind ein Psycholog. Es -ist kaum eine Stunde her, daß wir hier im Coupé sitzen und sprechen, -Sie aber haben mich schon ganz erfaßt!« - -[Illustration] - -»Sprechen Sie! Ich beschwöre Sie, sprechen Sie doch!« - -»Hören Sie. Ich stamme aus einer armen Beamtenfamilie. Mein Vater war -ein guter Kerl, gescheit, aber ... der Geist der Zeit und des Milieus -... vous comprenez, ich klage meinen armen Vater nicht an. Er trank, -spielte Karten ... nahm Bestechungsgelder an ... Auch die Mutter ... -Was soll ich davon sprechen! Die Not, der Kampf um ein Stück Brot, das -Bewußtsein seiner Nichtigkeit ... Ach, zwingen Sie mich nicht, diese -Erinnerungen aufzufrischen! Ich mußte mir selbst meinen Weg bahnen -... Die entsetzliche Institutserziehung, die Lektüre dummer Romane, -die Verirrungen der Jugend, die erste scheue Liebe ... Und der Kampf -mit dem Milieu? Schrecklich! Und die Zweifel? Und die Qualen der -beginnenden Enttäuschung am Leben und an sich selbst? ... Ach! Sie sind -Schriftsteller und kennen uns Frauen. Sie werden es begreifen ... Zu -meinem Unglück bin ich mit einer breiten Natur begabt ... Ich wartete -auf ein Glück, und auf was für eines! Ich lechzte danach, Mensch zu -sein! Ja! Mensch zu sein, darin sah ich mein Glück!« - -»Sie Herrliche!« stammelt der Schriftsteller, ihr die Hand in der Nähe -des Armbandes küssend. »Nicht Sie küsse ich, Sie wunderbares Geschöpf, -sondern das menschliche Leid! Erinnern Sie sich an Raskolnikow? Er -küßte so.« - -»Oh, Woldemar! Ich lechzte nach Ruhm ... nach rauschendem Leben und -Glanz wie jede -- warum soll ich bescheiden sein? -- wie jede nicht -ganz gewöhnliche Natur. Ich lechze nach Ungewöhnlichem ... gar nicht -Weiblichem! Und ... Und ... ich stieß auf meinem Wege auf einen -reichen alten General ... Begreifen Sie mich doch, Woldemar! Es war -ja Selbstaufopferung, Entsagung, begreifen Sie mich! Ich konnte nicht -anders. Ich versorgte meine Angehörigen, ich machte Reisen, ich tat -Gutes ... Wie litt ich aber dabei, wie unerträglich und erniedrigend -gemein erschienen mir die Umarmungen jenes Generals, obwohl er, das -muß man ihm lassen, seinerzeit im Kriege große Tapferkeit gezeigt -hat. Es gab Minuten ... schreckliche Minuten! Mich hielt aber der -Gedanke aufrecht, daß der Alte heute oder morgen stirbt, daß ich dann -nach meinem Wunsche leben, mich einem geliebten Menschen hingeben -und glücklich sein werde ... Ich habe aber einen solchen Menschen, -Woldemar! Gott weiß es, daß ich einen solchen habe!« - -Das Dämchen schwingt energisch den Fächer. Ihr Gesicht nimmt einen -weinerlichen Ausdruck an. - -»Nun ist der Alte tot ... Er hat mir einiges Vermögen hinterlassen, -ich bin so frei wie ein Vogel. Nun kann ich glücklich werden ... Nicht -wahr, Woldemar? Das Glück klopft an meine Tür. Ich brauche es nur -hereinlassen, aber ... nein! Woldemar, hören Sie, ich beschwöre Sie! -Jetzt sollte ich mich doch dem geliebten Menschen hingeben, seine -Freundin werden, seine Helferin, die Trägerin seiner Ideale, glücklich -sein ... ausruhen ... Aber wie gemein, häßlich und dumm ist doch -alles in dieser Welt! So niederträchtig ist alles, Woldemar! Ich bin -unglücklich, unglücklich, unglücklich! Auf meinem Wege erhebt sich ein -neues Hindernis! Wieder fühle ich, daß mein Glück fern, ach, so fern -ist! Ach, diese Qual, wenn Sie nur wüßten, welch eine Qual!« - -»Was ist es denn? Was ist es für ein Hindernis? Ich beschwöre Sie, -sagen Sie es mir! Was ist es?« - -»Ein anderer reicher Alter ...« - -Der zerbrochene Fächer verdeckt das hübsche Gesicht. Der Schriftsteller -stützt seinen gedankenschweren Kopf in die Hand, seufzt und beginnt -mit der Miene eines Kenners und Psychologen zu grübeln. Die Lokomotive -pfeift und faucht, die Fenstervorhänge röten sich im Lichte der -untergehenden Sonne ... - - - - -Intrigen - - - a) Wahl des Vereinsvorsitzenden. - b) Erörterung des Zwischenfalles vom 2. Oktober. - c) Referat des ordentlichen Vereinsmitgliedes Dr. M. N. von Bronn. - d) Laufende Vereinsangelegenheiten. - -Doktor Schelestow, der Urheber des Zwischenfalles vom 2. Oktober, -macht sich bereit, in diese Sitzung zu gehen; er steht schon lange vor -dem Spiegel und bemüht sich, seinem Gesicht einen matten Ausdruck zu -verleihen. Wenn er in der Sitzung mit einem aufgeregten, gespannten, -roten oder allzublassen Gesicht erscheint, werden sich seine Feinde -einbilden können, daß er ihren Intrigen allzuviel Bedeutung beimesse; -wenn aber sein Gesicht kalt, leidenschaftslos, gleichsam verschlafen -sein wird, wie bei Menschen, die über der Menge stehen und vom Leben -ermüdet sind, so werden diese Feinde bei seinem Anblick Respekt vor ihm -empfinden und sich denken: - - Sein unbeugsames Haupt ragt höher als das Denkmal - Des Siegers, der Napoleon bezwang! - -Als ein Mensch, der sich für seine Feinde und ihre Ränke sehr wenig -interessiert, wird er in die Sitzung später als alle kommen. Er wird -lautlos in den Saal treten, sich mit einer müden Gebärde das Haar -zurechtstreichen und sich, ohne jemand anzublicken, ans äußerste Ende -des Tisches setzen. Er wird die Pose eines gelangweilten Zuhörers -annehmen, kaum merklich gähnen, irgendeine Zeitung vom Tische nehmen -und lesen ... Alle werden reden, streiten, sich ereifern, einander -zur Ordnung rufen, er aber wird schweigen und in die Zeitung blicken. -Endlich wird aber sein Name immer häufiger genannt werden und die -brennende Frage in Weißglut übergehen; er wird seine gelangweilten, -müden Augen auf die Kollegen heben und wie widerwillig sagen: - -»Man zwingt mich zu sprechen ... Ich habe mich darauf nicht -vorbereitet, meine Herren, verzeihen Sie mir darum, wenn meine Rede -etwas mangelhaft ausfallen wird. Ich will ab ovo anfangen ... In der -letzten Sitzung haben gewisse verehrte Kollegen erklärt, daß ich mich -bei Konsilien nicht so benehme, wie sie es gerne möchten, und von mir -Erklärungen verlangt. Da ich alle Erklärungen für überflüssig und die -gegen mich erhobenen Vorwürfe für unbegründet hielt, bat ich, mich -aus dem Verein auszuschließen, und verließ die Sitzung. Aber jetzt, -wo gegen mich eine neue Serie von Anklagen erhoben wird, sehe ich zu -meinem Leidwesen ein, daß ich dennoch zu Erklärungen greifen muß. Ich -will also solche abgeben.« - -Dann wird er, zerstreut mit dem Bleistifte oder mit der Uhrkette -spielend, sagen, daß er bei den Konsilien oft tatsächlich die Stimme -erhoben und die Kollegen unterbrochen habe, ohne sich um die Gegenwart -Fremder zu kümmern; es sei auch wahr, daß er bei einem Konsilium den -Patienten in Gegenwart der Ärzte und der Angehörigen gefragt habe: -»Welcher Dummkopf hat Ihnen Opium verschrieben?« Fast kein einziges -Konsilium sei ohne einen Zwischenfall abgelaufen ... Aber warum? Sehr -einfach. Bei jedem Konsilium müsse er, Schelestow, über das tiefe -Niveau der Fachkenntnisse seiner Kollegen staunen. Es gäbe in der Stadt -zweiunddreißig Ärzte, und die meisten von ihnen wüßten weniger als -jeder Student im ersten Semester. Nach Beispielen brauche man nicht -weit zu gehen. Nomina sunt, natürlich, odiosa, aber in der Sitzung sei -man doch unter sich, also könne er, um nicht abstrakt zu sein, die -Namen nennen. Allen sei es z. B. bekannt, daß der verehrte Herr Kollege -von Bronn der Beamtenfrau Sserjoschkina mit einer Sonde die Speiseröhre -durchbohrt habe ... - -Der Kollege von Bronn wird in diesem Augenblick aufspringen, die Hände -über dem Kopfe zusammenschlagen und aufschreien: - -»Herr Kollege, Sie haben sie durchbohrt und nicht ich! Sie! Und ich -werde es Ihnen beweisen!« - -Schelestow wird ihm nicht die geringste Beachtung schenken und -fortfahren: - -»Es ist auch allen bekannt, daß der verehrte Kollege Schila bei der -Schauspielerin Semiramidina eine Wanderniere für einen Abszeß angesehen -und einen Probedurchstich gemacht hat, was sehr bald zu einem exitus -letalis führte. Der verehrte Kollege Besstrunko hat, statt einen Nagel -an der großen Zehe des linken Fußes zu exstirpieren, den gesunden Nagel -am rechten Fuß exstirpiert. Ich darf auch nicht den Fall unerwähnt -lassen, wo unser verehrter Herr Kollege Tercharjanz dem Soldaten -Iwanow die Eustachischen Röhren mit solchem Eifer katheterisierte, -daß dem Patienten beide Trommelfelle platzten. Bei dieser Gelegenheit -will ich noch erwähnen, daß derselbe Kollege einem Patienten beim -Zahnziehen den Unterkiefer ausgerenkt hat und ihn nicht früher wieder -einrenken wollte, als bis der Patient sich bereit erklärte, ihm für -das Einrenken fünf Rubel zu bezahlen. Der verehrte Kollege Kurizyn ist -mit einer Nichte des Apothekers Grummer verheiratet und hat mit ihm -ein gewisses Abkommen getroffen. Es ist auch allen bekannt, daß unser -Vereinssekretär, der junge Kollege Skoropalitelnyj mit der Gattin -unseres verehrten Herrn Vorsitzenden Gustav Gustavowitsch Prechtel ein -Verhältnis hat ... - -Vom tiefen Niveau des Wissens bin ich allmählich auf Verstöße gegen -die ethischen Grundsätze zu sprechen gekommen. Um so besser. Die -Ethik ist unser wunder Punkt, meine Herren, und um nicht abstrakt zu -sprechen, will ich Ihnen unseren verehrten Kollegen Pusyrkow nennen, -der bei einer Namenstagsfeier bei der Oberstenwitwe Treschtschinskaja -erzählt hat, daß nicht Skoropalitelnyj das Verhältnis mit der Gattin -unseres Vorsitzenden habe, sondern ich! Das wagt derselbe Herr Pusyrkow -zu sagen, den ich im vorigen Jahre mit der Gattin unseres verehrten -Kollegen Snobisch erwischt habe! Übrigens, Dr. Snobisch ... Wer -genießt das Renommee eines Arztes, von dem sich behandeln zu lassen -für die Damen nicht ganz ungefährlich ist? -- Snobisch ... Wer hat -eine Kaufmannstochter wegen der Mitgift geheiratet? -- Snobisch! Was -aber unseren verehrten Vorsitzenden betrifft, so treibt er heimlich -Homöopathie und bekommt von den Preußen Geld für Spionage. Ein -preußischer Spion -- das ist schon wirklich ultima ratio!« - -Ärzte, die klug und als gewandte Redner erscheinen möchten, gebrauchen -immer diese beiden lateinischen Ausdrücke: »nomina sunt odiosa« und -»ultima ratio«. Schelestow wird nicht nur lateinisch, sondern auch -französisch und deutsch, in jeder beliebigen Sprache sprechen! Er wird -alle bezichtigen und allen Intriganten die Masken herunterreißen; der -Vorsitzende wird müde werden, die Glocke zu schwingen, die verehrten -Kollegen werden von ihren Plätzen aufspringen und mit den Händen -fuchteln ... Die Kollegen mosaischer Konfession werden sich zu einem -Haufen zusammendrängen und ein Geschrei erheben. - -Schelestow wird aber, ohne jemand anzublicken, fortfahren: - -»Was aber unseren Verein betrifft, so muß er bei dem jetzigen -Mitgliederbestand und den jetzt herrschenden Ordnungen unbedingt -zugrunde gehen. Alles ist darin ausschließlich auf Intrigen begründet. -Intrigen, Intrigen und Intrigen! Als eines der Opfer dieser einen -großen, teuflischen Intrige halte ich mich für verpflichtet, folgendes -zu erklären:« - -Er wird reden, und seine Partei wird applaudieren und sich -triumphierend die Hände reiben. Unter einem unbeschreiblichen Lärm und -Donner wird man zur Wahl des Vorsitzenden schreiten. Von Bronn & Co. -werden ihren ganzen Einfluß für Prechtel einsetzen, aber das Publikum -und die wohlgesinnten Ärzte werden sie auszischen und schreien: - -»Nieder mit Prechtel! Wir wollen Schelestow! Schelestow!« - -Schelestow nimmt die Wahl an, aber unter der Bedingung, daß Prechtel -und von Bronn sich bei ihm wegen des Zwischenfalls vom 2. Oktober -entschuldigen. Wieder erhebt sich ein ohrenbetäubender Lärm, wieder -drängen sich die verehrten Kollegen mosaischer Konfession zu einem -Haufen zusammen und schreien ... Prechtel und von Bronn sind empört -und bitten schließlich, sie nicht mehr als Mitglieder des Vereins -anzusehen. Um so besser! - -[Illustration] - -Schelestow ist Vorsitzender. Vor allen Dingen reinigt er den -Augiasstall. Snobisch muß hinaus! Tercharjanz muß hinaus! Die verehrten -Kollegen mosaischer Konfession müssen hinaus! Mit seiner Partei -wird er es erreichen, daß bis zum Januar im Verein kein einziger -Intrigant übrig bleibt. Im Ambulatorium des Vereins wird er zunächst -die Wände streichen lassen und ein Plakat anbringen: »Rauchen -strengstens verboten«; dann wird er den Feldscher und die Feldscherin -hinausschmeißen, die Medikamente nicht von Grummer, sondern von -Chrasczebicki beziehen, den Ärzten vorschlagen, keine einzige Operation -ohne seine Aufsicht auszuführen usw. Vor allen Dingen wird aber auf -seinen Visitkarten stehen: »Vorsitzender des Ärztevereins zu N.« - -So träumt Schelestow, bei sich zu Hause vor dem Spiegel stehend. Da -schlägt aber die Uhr sieben und erinnert ihn daran, daß er in die -Sitzung muß. Er erwacht aus seinen süßen Träumen und beeilt sich, -seinem Gesicht den matten Ausdruck zu verleihen, aber das Gesicht will -ihm nicht gehorchen und nimmt einen sauren und stumpfen Ausdruck an, -wie bei einem erfrorenen jungen Hofhund; er will, daß es solid sei, es -wird aber lang und drückt Bestürztheit aus, und nun scheint es ihm, daß -er nicht mehr einem Hund, sondern einem Gänserich gleiche. Er senkt -die Lider, kneift die Augen zusammen, bläht die Backen, runzelt die -Stirne, aber es ist zum Verzweifeln: es kommt dabei etwas ganz anderes -heraus als er möchte. Die natürlichen Eigenschaften dieses Gesichts -sind wohl derart, daß mit ihm nichts anzufangen ist. Die Stirne ist -niedrig, die kleinen Äuglein schweifen unruhig umher wie bei einer -unreellen Händlerin, der Unterkiefer steht so dumm und blöd hervor, und -die Wangen und die Frisur sehen so aus, als hätte man den »verehrten -Kollegen« soeben aus einem Billardlokal hinausgeschmissen. - -Schelestow betrachtet sein Gesicht, ärgert sich, und es kommt ihm schon -vor, daß auch das Gesicht gegen ihn intrigiere. Er geht ins Vorzimmer -und macht sich fertig, und es scheint ihm, als intrigierten auch der -Pelz, die Gummischuhe und die Mütze gegen ihn. - -»Kutscher, ins Ambulatorium!« schreit er. - -Er bietet zwanzig Kopeken, aber der Intrigant von einem -Droschkenkutscher verlangt fünfundzwanzig ... Er setzt sich in die -Droschke und fährt, aber der kalte Wind weht ihm ins Gesicht, der -nasse Schnee blendet ihm die Augen, und das elende Pferd schleppt sich -unerträglich langsam. Alles hat sich verschworen und intrigiert ... -Intrigen, Intrigen und Intrigen! - - - - - ZWEIHUNDERT EXEMPLARE DIESER AUSGABE - SIND VOM KÜNSTLER HANDSCHRIFTLICH - SIGNIERT, NUMERIERT UND - IN HALBLEDER GEBUNDEN. - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die - Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. - - Korrekturen: - - S. 36: sogar → so gar - Entschuldigen Sie, es ist {so gar} nicht interessant - - S. 37 überlege mir → überlege - Ich {überlege} eine Weile und schreibe - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Der persische Orden, by Anton Tschechow - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PERSISCHE ORDEN *** - -***** This file should be named 53731-0.txt or 53731-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/3/7/3/53731/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - -Title: Der persische Orden - und andere Grotesken - -Author: Anton Tschechow - -Illustrator: W. N. Massjutin - -Translator: Alexander Eliasberg - -Release Date: December 14, 2016 [EBook #53731] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PERSISCHE ORDEN *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - - - - - -</pre> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/signet.png" alt="Signet" /> -</div> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p class="h2">ANTON TSCHECHOW</p> - -<h1>Der Persische Orden</h1> - -<p class="center">und andere Grotesken</p> - -<p class="center">Mit<br /> -acht Holzschnitten<br /> -von</p> - -<p class="center larger">W. N. MASSJUTIN</p> - -<p class="center p2">1922</p> - -<p class="center">Welt-Verlag / Berlin -</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Deutsch von Alexander Eliasberg</p> - -<p class="center p2"> -Alle Rechte vorbehalten<br /> -<em class="gesperrt">Copyright by the Welt-Verlag 1922</em><br /> -Gedruckt bei Otto v. Holten, Berlin C.</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span></p> - -<h2><a id="Inhaltsverzeichnis">Inhaltsverzeichnis</a></h2> -</div> -<table summary="Inhalt"> -<tr> -<td></td><td class="tdr">Seite</td> -</tr> -<tr> -<td>Der Persische Orden</td> - <td class="tdr"><a href="#Der_Persische_Orden">9</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Die Simulanten</td> - <td class="tdr"><a href="#Die_Simulanten">14</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Aus dem Tagebuch des zweiten Buchhalters</td> - <td class="tdr"><a href="#Aus_dem_Tagebuch_des_zweiten_Buchhalters">20</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Ein böser Junge</td> - <td class="tdr"><a href="#Ein_boeser_Junge">25</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Es war sie!</td> - <td class="tdr"><a href="#Es_war_sie">30</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Ein jähzorniger Mensch</td> - <td class="tdr"><a href="#Ein_jaehzorniger_Mensch">37</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Eine problematische Natur</td> - <td class="tdr"><a href="#Eine_problematische_Natur">50</a></td> -</tr> -<tr> -<td>Intrigen</td> - <td class="tdr"><a href="#Intrigen">55</a></td> -</tr> -</table> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span></p> - -<h2 id="Der_Persische_Orden">Der Persische Orden</h2> -</div> - -<p class="drop">In einer der diesseits des Urals gelegenen Städte verbreitete sich das Gerücht, daß -dieser Tage im Hotel »Japan« der persische Würdenträger Rachat-Chelam abgestiegen -sei. Dieses Gerücht machte auf die Bürger nicht den geringsten Eindruck: -ein Perser ist angekommen, was ist denn dabei? Nur das Stadthaupt Stepan -Iwanowitsch Kuzyn wurde, als er vom Sekretär des Magistrats über die Ankunft -des Orientalen erfuhr, nachdenklich und fragte:</p> - -<p>»Wohin reist er denn?«</p> - -<p>»Ich glaube, nach Paris oder nach London.«</p> - -<p>»Hm! … Ist also ein großes Tier?«</p> - -<p>»Das weiß der Teufel.«</p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-004.png" alt="" /> -</div> - -<p>Als das Stadthaupt aus dem Magistrat heimgekommen war und zu Mittag gegessen -hatte, wurde es wieder nachdenklich und dachte diesmal bis zum Abend durch. Die -Ankunft des vornehmen Persers intrigierte ihn außerordentlich. Er glaubte, das -Schicksal selbst habe ihm diesen Rachat-Chelam gesandt und endlich sei der -günstige Augenblick zur Verwirklichung seines sehnlichsten und leidenschaftlichsten -Wunsches gekommen. Kuzyn besaß nämlich schon zwei Medaillen, den Stanislaus-Orden -III. Klasse, die Denkmünze des Roten Kreuzes und das Abzeichen des -»Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger«; außerdem hatte er sich ein Anhängsel für -die Uhrkette machen lassen, das ein mit einer Gitarre gekreuztes goldenes Gewehr -darstellte und das, aus dem Knopfloch seines Uniformrocks heraushängend, aus -der Ferne wie etwas Besonderes aussah und als ein Ehrenzeichen angesehen werden -konnte. Es ist bekannt, daß je mehr Orden und Medaillen einer hat, er um so mehr<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span> -weitere haben möchte, – das Stadthaupt wollte aber schon längst den Persischen -Sonnen- und Löwenorden haben, er wollte es leidenschaftlich, wahnsinnig. Er -wußte sehr gut, daß man zur Erlangung dieses Ordens weder kämpfen, noch Gelder -für Waisenanstalten spenden, noch ein Ehrenamt bekleiden muß, sondern bloß -einer günstigen Gelegenheit bedarf. Nun schien es ihm, daß diese Gelegenheit -eingetreten sei.</p> - -<p>Am anderen Tag, um die Mittagsstunde, legte er alle seine Ehrenzeichen und die -Uhrkette an und begab sich ins Hotel »Japan«. Das Schicksal war ihm günstig. -Als er das Zimmer des vornehmen Persers betrat, war jener allein und unbeschäftigt. -Rachat-Chelam, ein riesengroßer Asiate mit einer langen Schnepfennase und hervorstehenden -Glotzaugen, saß, einen Fez auf dem Kopfe, auf dem Fußboden und wühlte -in seinem Koffer.</p> - -<p>»Entschuldigen Sie gütigst die Belästigung«, begann Kuzyn mit einem Lächeln. -»Habe die Ehre, mich vorzustellen: erblicher Ehrenbürger und Ritter verschiedener -Orden, Stepan Iwanowitsch Kuzyn, der Bürgermeister dieser Stadt. Ich halte es -für meine Pflicht, in Ihrer Person den Vertreter einer uns sozusagen freundnachbarlichen -Großmacht zu begrüßen.«</p> - -<p>Der Perser wandte sich um und murmelte etwas in einem sehr schlechten Französisch, -das wie Klopfen von Holz gegen Holz klang.</p> - -<p>»Die Grenzen Persiens«, fuhr Kuzyn in seiner vorher zurechtgelegten Ansprache -fort, »berühren eng die Grenzen unseres ausgedehnten Vaterlandes, und die -gegenseitigen Sympathien bewegen mich daher, Ihnen unsere Solidarität auszusprechen.«</p> - -<p>Der vornehme Perser erhob sich und murmelte wieder etwas, in seiner hölzernen -Sprache. Kuzyn, der keine fremden Sprachen beherrschte, schüttelte den Kopf, um -ihm zu bedeuten, daß er nichts verstehe.</p> - -<p>– Wie soll ich mit ihm reden? – dachte er sich. – Es wäre gut, einen Dolmetscher -kommen zu lassen, aber es ist eine heikle Angelegenheit, und vor Zeugen kann ich -darüber nicht gut sprechen. Der Dolmetscher wird es in der ganzen Stadt ausposaunen. –</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span></p> - -<p>Und Kuzyn fing an, alle Fremdworte zusammenzukramen, die er aus den Zeitungen -wußte.</p> - -<p>»Ich bin Stadthaupt …« stammelte er. »Das heißt, Lord-Maire … Municipalé … -Wui? Komprené?«</p> - -<p>Er wollte durch Worte und Mienenspiel seine gesellschaftliche Stellung erklären und -wußte nicht, wie es zu machen. Zur Hilfe kam ihm das Bild mit der Unterschrift -»Stadt Venedig«, das an der Wand hing. Er zeigte mit dem Finger auf die Stadt -und dann auf seinen Kopf und glaubte auf diese Weise den Satz »Ich bin das Stadthaupt« -ausgedrückt zu haben. Der Perser verstand absolut nichts, lächelte aber -und sagte:</p> - -<p>»Bon, monsieur … bon …«</p> - -<p>Eine halbe Stunde später klopfte das Stadthaupt den Perser bald aufs Knie, bald -auf die Schulter und sprach:</p> - -<p>»Komprené? Wui? Als Lord-Maire und Municipalé … schlage ich Ihnen vor, eine -kleine Promenade zu machen … Komprené? Promenade …«</p> - -<p>Kuzyn wandte sich wieder der Ansicht Venedigs zu und stellte mittelst zweier Finger -ein Paar schreitende Beine dar. Rachat-Chelam, der keinen Blick von seinen Medaillen -wandte und offenbar ahnte, daß er die wichtigste Person der Stadt vor sich habe, -begriff das Wort »Promenade« und grinste höflich. Dann zogen die beiden ihre -Mäntel an und verließen das Zimmer. Unten vor der Tür zum Restaurant »Japan« -sagte sich Kuzyn, daß es gar nicht schaden würde, den Perser zu bewirten. Er -blieb stehen, zeigte auf die Tische und sagte:</p> - -<p>»Nach russischer Sitte, es wäre nicht schlecht … Ich meine: Purée, entre-côte … -Champagne usw. … Komprené?«</p> - -<p>Der vornehme Gast kapierte es, und eine Weile später saßen die beiden im besten -Extrazimmer des Restaurants, tranken Sekt und aßen.</p> - -<p>»Wollen wir auf das Gedeihen Persiens trinken!« sagte Kuzyn. »Wir Russen -lieben die Perser. Wir sind zwar verschiedenen Glaubens, aber die gemeinsamen -Interessen, sozusagen die gegenseitigen Sympathien … der Fortschritt … die -asiatischen Märkte … sozusagen die friedlichen Eroberungen …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span></p> - -<p>Der vornehme Perser aß mit großem Appetit. Er bohrte seine Gabel in einen Störrücken, -nickte mit dem Kopf und sagte:</p> - -<p>»Gut! Bien!«</p> - -<p>»Gefällt das Ihnen?« fragte das Stadthaupt erfreut. »Bien? Wunderschön!« Dann -wandte er sich an den Kellner und sagte: »Luka, laß seiner Exzellenz zwei Störrücken -aufs Zimmer bringen, von den besten!«</p> - -<p>Das Stadthaupt und der persische Würdenträger fuhren darauf die Menagerie besichtigen. -Die Bürger sahen, wie ihr Stepan Iwanowitsch, rot vom getrunkenen Sekt, lustig -und sehr zufrieden den Perser durch die Hauptstraßen der Stadt und auf den Markt führte -und ihm die Sehenswürdigkeiten zeigte; er bestieg mit ihm auch den Feuerwachtturm.</p> - -<p>Die Bürger sahen u. a., wie er vor einem löwenflankierten steinernen Tore stehen -blieb und dem Perser erst einen der Löwen und dann die Sonne am Himmel zeigte, -sich dann auf die Brust tippte, dann wieder auf den Löwen und auf die Sonne wies, -worauf der Perser bejahend mit dem Kopfe nickte und lächelnd seine weißen Zähne -zeigte. Am Abend saßen die beiden im Hotel »London« und hörten einem Damenchor -zu; wo sie aber in der Nacht waren, ist unbekannt.</p> - -<p>Am nächsten Morgen kam das Stadthaupt in den Magistrat; die Angestellten -schienen schon etwas zu ahnen: der Sekretär ging auf ihn zu und sagte ihm mit -einem spöttischen Lächeln:</p> - -<p>»Die Perser haben folgende Sitte: wenn zu Ihnen ein vornehmer Gast kommt, sind -Sie verpflichtet, für ihn eigenhändig einen Hammel zu schlachten.«</p> - -<p>Etwas später reichte man ihm aber einen Brief, der mit der Post gekommen war. -Kuzyn öffnete den Umschlag und fand darin eine Karikatur. Sie stellte Rachat-Chelam -dar und das Stadthaupt, das vor ihm auf den Knien lag und, die Hände -zu ihm emporstreckend, sagte:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Um Rußlands und des Perserreichs<br /></span> -<span class="i0">Freundschaftsbeziehungen zu achten,<br /></span> -<span class="i0">Würd' ich, Herr Botschafter, respektvoll grenzenlos<br /></span> -<span class="i0">Mich selber gern als einen Hammel schlachten,<br /></span> -<span class="i0">Doch Sie verzeih'n: ein Esel bin ich bloß!<br /></span> -</div></div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span></p> -<p>Das Stadthaupt empfand ein unangenehmes Gefühl in der Herzgrube, es hielt aber -nicht lange an. Um die Mittagsstunde war er schon wieder beim vornehmen Perser, -bewirtete ihn wieder im Restaurant, zeigte ihm die Sehenswürdigkeiten der Stadt, -führte ihn wieder vor das Löwentor und wies wieder bald auf den Löwen, bald -auf die Sonne und bald auf seine Brust. Sie speisten im Hotel »Japan« und bestiegen -nach dem Essen, mit Zigarren im Munde und geröteten strahlenden Gesichtern, -wieder den Feuerwachtturm. Das Stadthaupt wollte wohl dem Gast ein -seltenes Schauspiel bieten und rief von oben dem unten auf und ab gehenden -Wächter zu:</p> - -<p>»Leute, Alarm!«</p> - -<p>Aber aus dem Alarm wurde nichts, da alle Feuerwehrleute sich um diese Stunde -im Dampfbade befanden.</p> - -<p>Sie soupierten im Hotel »London«, und gleich darauf reiste der Perser ab. Stepan -Iwanowitsch küßte ihn beim Abschied nach russischer Sitte dreimal und vergoß -sogar einige Tränen. Als der Zug sich in Bewegung setzte, rief er ihm nach:</p> - -<p>»Grüßen Sie von uns Persien. Sagen Sie ihm, daß wir es lieben!«</p> - -<p>Ein Jahr und vier Monate waren vergangen. Es herrschten ein strenger Frost von -etwa fünfunddreißig Grad, begleitet von einem durchdringenden Wind. Stepan -Iwanowitsch ging durch die Straße, den Pelzmantel an der Brust geöffnet, und ärgerte -sich furchtbar darüber, daß niemand ihm begegnete und seinen Sonnen- und Löwenorden -sah. So ging er im offenen Pelz bis zum Abend und war ganz erfroren; in -der Nacht aber wälzte er sich von der einen Seite auf die andere und konnte keinen -Schlaf finden.</p> - -<p>Es war ihm schwer zumute, in seinem Innern brannte es, und sein Herz klopfte -unruhig: jetzt gelüstete es ihn nach dem Serbischen Takowo-Orden. Es gelüstete -ihn qualvoll und leidenschaftlich.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span></p> - -<h2 id="Die_Simulanten">Die Simulanten</h2> -</div> - -<p class="drop">Die Generalin Marfa Petrowna Petschonkina oder, wie die Bauern sie nennen, -die Petschonkin'sche, die schon seit zehn Jahren die homöopathische Praxis -ausübt, empfängt an einem Maidienstag in ihrem Kabinett Kranke. Sie hat vor sich -auf dem Tisch einen homöopathischen Arzneikasten, ein Handbuch der Homöopathie -und Rechnungen von der homöopathischen Apotheke. An der Wand hängen in goldenen -Rahmen die Briefe irgendeines Petersburger Homöopathen, eines nach Ansicht -Marfa Petrownas sehr berühmten und sogar großen Mannes und das Bildnis des Priesters -P. Aristarch, dem die Generalin ihre Rettung zu verdanken hat: die Lossagung von -der schädlichen Allopathie und die Erkenntnis der Wahrheit. Im Vorzimmer warten -die Patienten, zum größten Teil Bauern. Sie alle sind mit Ausnahme von zwei oder -drei barfuß, da die Generalin befohlen hat, die stinkenden Stiefel draußen zu lassen.</p> - -<p>Marfa Petrowna hat schon zehn Patienten abgefertigt und ruft den elften:</p> - -<p>»Gawrila Grusdj!«</p> - -<p>Die Tür geht auf, und statt des Gawrila Grusdj tritt ins Zimmer der Nachbar der -Generalin, der verarmte Gutsbesitzer Samuchrischin, ein kleines altes Männchen -mit trüben Augen und einer Mütze mit rotem Rand. Er stellt seinen Stock in die -Ecke, geht auf die Generalin zu und sinkt vor ihr stumm auf ein Knie.</p> - -<p>»Was fällt Ihnen ein! Was fällt Ihnen ein, Kusjma Kusjmitsch!« entsetzt sich die -Generalin, über und über rot. »Um Gottes Willen!«</p> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span></p> -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-015.png" alt="" /> -</div> -<p>»Solange ich lebe, stehe ich nicht auf!« sagt Samuchrischin, die Lippen an ihre -Hand drückend. »Soll das ganze Volk sehen, wie ich vor Ihnen niederknie, Sie -unser Schutzengel, Sie Wohltäterin des Menschengeschlechts! Sollen sie nur! Vor<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span> -der wohltätigen Fee, die mir das Leben geschenkt, den wahren Weg gewiesen und -mein skeptisches Klügeln erleuchtet hat, will ich nicht nur auf den Knien, sondern -auch in Flammen liegen, Sie unsere wunderbare Ärztin, Mutter der Armen und -Verwitweten! Ich bin gesund geworden! Ich bin auferstanden, Zauberin!«</p> - -<p>»Es … es freut mich …!« murmelt die Generalin, vor Vergnügen errötend. »Es -ist angenehm, so etwas zu hören … Setzen Sie sich bitte! Am vorigen Dienstag -waren Sie aber so schwer krank!«</p> - -<p>»Ja, so schwer! Es wird mir bange, wenn ich daran zurückdenke!« sagt Samuchrischin, -Platz nehmend. »In allen Körperteilen und Organen saß mir der Rheumatismus. -Acht Jahre habe ich mich gequält und keine Ruhe gehabt … Weder bei -Tag, noch bei Nacht, meine Wohltäterin! Ich habe mich von Ärzten behandeln -lassen, habe Professoren in Kasan konsultiert, Moorbäder genommen und Brunnen -getrunken, alles, alles habe ich ausprobiert! Mein ganzes Vermögen ist draufgegangen, -Mütterchen. Die Ärzte haben mir aber nur geschadet, sie haben mir meine -Krankheit ins Innere getrieben. Hineintreiben können sie wohl, aber wieder heraustreiben -– das können sie nicht, so weit ist ihre Wissenschaft noch nicht … Sie lieben -nur Geld zu nehmen, diese Räuber, was aber das Wohl der Menschheit betrifft, so -kümmern sie sich darum nicht viel. Er verschreibt mir irgendeine Chiromantie, -und ich muß sie trinken. Mit einem Worte, es sind Mörder. Wenn Sie nicht wären, -mein Engel, so läge ich schon im Grabe! Wie ich am vorigen Dienstag von Ihnen -heimkomme und mir diese Streukügelchen ansehe, die Sie mir gegeben haben, denke -ich mir: ›Was können die nützen? Können denn diese kaum sichtbaren Sandkörnchen -meine schwere, alte Krankheit heilen?‹ So denke ich mir, Kleingläubiger, -und lächele; kaum habe ich aber so ein Kügelchen eingenommen, als meine ganze -Krankheit im Nu verschwunden ist. Meine Frau glotzt mich an und traut ihren Augen -nicht. ›Bist du es, Kolja?‹ – ›Ja, ich bin es.‹ Wir knieten beide vor dem Heiligenbilde -nieder und beteten für unseren Engel: Herr, gib ihr alles, was wir ihr wünschen!«</p> - -<p>Samuchrischin wischt sich mit dem Ärmel die Augen ab, erhebt sich von seinem -Stuhl und zeigt die Absicht, wieder niederzuknien, aber die Generalin hindert ihn -daran und läßt ihn wieder Platz nehmen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span></p> - -<p>»Danken Sie nicht mir,« sagt sie, vor Erregung errötend, mit einem Blick auf das -Bildnis des P. Aristarch. »Nein, nicht mir! Ich bin hier nur ein gefügiges Werkzeug -… Es ist wirklich ein Wunder! Ein vernachlässigter achtjähriger Rheumatismus -ist nach einer einzigen Pille Skrophuloso vergangen!«</p> - -<p>»Sie waren so gütig, mir drei Kügelchen zu geben. Das eine nahm ich zu Mittag, -und es wirkte sofort! Das andere nahm ich am Abend und das dritte am nächsten -Tag, und seitdem spüre ich nichts mehr! Wenn es mich auch nur irgendwo zwicken -wollte! Ich dachte aber schon an den Tod und hatte sogar meinem Sohne nach -Moskau geschrieben, daß er kommen solle! Eine solche Weisheit hat Ihnen der -Herr beschieden, Sie Wundertäterin! Jetzt fühle ich mich wie im Paradies … Am -vorigen Dienstag, als ich bei Ihnen war, hinkte ich noch, jetzt könnte ich aber wie -ein Hase hüpfen … Ich kann auch noch hundert Jahre leben. Nur eines bedrückt -mich noch – meine große Armut. Ich bin zwar gesund, aber was taugt mir meine -Gesundheit, wenn ich nicht habe, wovon zu leben? Die Not bedrückt mich noch -schwerer als die Krankheit … Zum Beispiel eine solche Sache … Jetzt ist Zeit, -Hafer zu säen, wie soll ich ihn aber säen, wenn ich keine Saat habe? Ich müßte -welche kaufen, aber das Geld dazu … woher soll ich welches haben?«</p> - -<p>»Ich will Ihnen Hafer geben, Kusjma Kusjmitsch … Bleiben Sie nur sitzen! Sie -haben mich so sehr erfreut, Sie haben mir solches Vergnügen bereitet, daß ich Ihnen -danken muß, und nicht Sie mir!«</p> - -<p>»Sie, unsere Freude! Was für eine Herzensgüte der liebe Gott manchmal in die Welt -setzt! Freuen Sie sich, Mütterchen, Ihrer guten Werke! Wir Sünder haben aber -nichts, dessen wir uns freuen könnten … Wir sind kleine, kleinmütige, unnütze -Menschen … Ameisen … Wir nennen uns nur Gutsbesitzer, in materieller Beziehung -sind wir aber wie die Bauern, sogar noch schlimmer … Wir wohnen zwar in -steinernen Häusern, aber es ist nur eine Fata Morgana, denn das Dach ist undicht, -so daß es hineinregnet … Ich habe kein Geld, um Schindeln zu kaufen.«</p> - -<p>»Ich will Ihnen Schindeln geben, Kusjma Kusjmitsch.«</p> - -<p>Samuchrischin erbittet sich noch eine Kuh, einen Empfehlungsbrief für seine Tochter, -die er ins Institut geben will, und ist von der Freigebigkeit der Generalin so gerührt,<span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span> -daß er vor Überfluß an Gefühlen aufschluchzt, den Mund verzieht und sein Tuch -aus der Tasche holt … Die Generalin sieht, wie zugleich mit dem Tuch aus -seiner Tasche ein rotes Papierchen zum Vorschein kommt und lautlos auf den -Boden fällt.</p> - -<p>»Mein Lebtag vergesse ich es nicht …« stammelt er. »Ich werde es auch meinen -Kindern befehlen, auch meinen Enkeln … von Geschlecht zu Geschlecht … Kinder, -das ist sie, die mich vom Tode errettet hat, sie, die …«</p> - -<p>Nachdem die Generalin den Patienten hinausbegleitet hat, sieht sie eine Minute lang -mit tränenfeuchten Augen auf das Bild des P. Aristarch, läßt dann ihren freundlichen, -andächtigen Blick über den Arzneikasten, die Handbücher, die Rechnungen und den -Sessel schweifen, in dem eben der von ihr vom Tode errettete Mensch gesessen hat, -und bemerkt schließlich das vom Patienten fallengelassene Papier. Die Generalin -hebt das Papier auf und findet darin drei Streukügelchen, die gleichen Kügelchen, -die sie am letzten Dienstag Samuchrischin gegeben hat.</p> - -<p>»Es sind dieselben …« sagt sie sich erstaunt. »Es ist sogar dasselbe Papier … -Er hat es nicht mal entfaltet! Was hat er dann eingenommen? Sonderbar … Er -wird mich doch nicht betrügen.«</p> - -<p>In die Seele der Generalin schleicht sich zum ersten Male in ihrer zehnjährigen -Praxis ein Zweifel ein … Sie nimmt die folgenden Kranken vor und merkt, während -sie mit ihnen über ihre Leiden spricht, manches, was sie bisher seltsamerweise überhört -hat. Alle Kranken ohne Ausnahme preisen erst wie auf Verabredung ihre -wunderbare Heilkunst, entzücken sich über ihre medizinische Weisheit, schimpfen -auf die allopathischen Ärzte und beginnen dann, wenn sie vor Erregung rot geworden -ist, mit der Schilderung ihrer Nöte. Der eine bittet um ein Stück Ackerland, -der andere um Brennholz, der dritte um Erlaubnis, in ihren Waldungen zu -jagen usw. Sie schaut auf das breite, gutmütige Antlitz des P. Aristarch, der ihr -die Wahrheit offenbart hat, und eine neue Wahrheit beginnt ihr am Herzen zu -nagen. Es ist eine unangenehme, schwere Wahrheit.</p> - -<p>Listig ist der Mensch!</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span></p> - -<h2 id="Aus_dem_Tagebuch_des_zweiten_Buchhalters">Aus dem Tagebuch des zweiten Buchhalters</h2> -</div> - -<p class="noind">1863, d. 11. Mai. Unser sechzigjähriger Buchhalter Glotkin hat anläßlich seines -Hustens Milch mit Kognak getrunken und ist infolgedessen an Delirium tremens -erkrankt. Die Ärzte behaupten mit der ihnen eigenen Sicherheit, daß er morgen -sterben wird. Endlich werde ich erster Buchhalter werden! Diese Stelle ist mir -schon längst versprochen.</p> - -<p>Der Sekretär Kleschtschow kommt vors Gericht, weil er einen Bittsteller verprügelt -hat, der ihn einen Bürokraten nannte. Das scheint beschlossene Sache zu sein.</p> - -<p>Ich nahm eine Kräuterabkochung gegen Magenkatarrh ein.</p> - -<p>1865, d. 3. August. Der Buchhalter Glotkin ist wieder brustkrank. Er hustet und -trinkt Milch mit Kognak. Wenn er stirbt, kriege ich seine Stelle. Ich hoffe darauf, -aber meine Hoffnung ist schwach, denn das Delirium tremens scheint nicht immer -tödlich zu sein!</p> - -<p>Kleschtschow hat einem Armenier einen Wechsel aus der Hand gerissen und vernichtet. -Vielleicht kommt er deswegen vors Gericht.</p> - -<p>Eine Alte (Gurjewna) sagte mir gestern, ich hätte keinen Magenkatarrh, sondern -versteckte Hämorrhoiden. Es ist sehr möglich!</p> - -<p>1867, d. 30. Juni. In Arabien herrscht, wie man berichtet, die Cholera. Vielleicht -kommt sie auch nach Rußland, und dann wird es viel Vakanzen geben. Vielleicht -wird der alte Glotkin sterben, und dann werde ich erster Buchhalter. Zäh ist der -Mensch! So lange zu leben, ist, meiner Ansicht nach, sogar sträflich!</p> - -<p>Was soll ich noch gegen meinen Magenkatarrh einnehmen? Vielleicht Zitwersamen?</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span></p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-021.png" alt="" /> -</div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span></p> -<p>1870, d. 2. Januar. Im Hofe bei Glotkin hat die ganze Nacht ein Hund geheult. -Meine Köchin Pelageja sagt, dies sei ein sicheres Zeichen, und ich sprach mit ihr -bis zwei Uhr nachts darüber, daß ich mir, wenn ich erster Buchhalter geworden -bin, einen Waschbärpelz und einen Schlafrock anschaffen werde. Vielleicht werde -ich auch heiraten. Natürlich kein Mädchen, denn das steht mir bei meinem Alter -nicht an, sondern eine Witwe.</p> - -<p>Gestern wurde Kleschtschow aus dem Klub hinausgeworfen, weil er einen unanständigen -Witz erzählt und sich über den Patriotismus des Mitglieds der Handelsdeputation -Ponjuchow lustig gemacht hat. Der letztere will ihn, wie man sagt, -verklagen.</p> - -<p>Ich will mit meinem Magenkatarrh zu Doktor Botkin gehen. Man sagt, er behandele -seine Patienten mit Erfolg …</p> - -<p>1878, d. 4. Juni. In Wetljanka herrscht, wie man schreibt, die Pest. Die Leute sterben -wie die Fliegen. Glotkin trinkt aus diesem Grunde Pfefferschnaps. Aber einem -solchen Greis wird der Pfefferschnaps kaum helfen. Wenn die Pest herkommt, -werde ich sicher erster Buchhalter werden.</p> - -<p>1883, d. 4. Juni. Glotkin liegt im Sterben. Ich habe ihn besucht und ihn unter -Tränen um Verzeihung gebeten, weil ich seinen Tod mit Ungeduld erwartet hatte. -Er vergab es mir mit Tränen in den Augen und riet mir, gegen den Magenkatarrh -Eichelkaffee zu trinken.</p> - -<p>Kleschtschow ist aber wieder beinahe vors Gericht gekommen: er hat ein entliehenes -Klavier bei einem Juden versetzt. Trotzalledem hat er schon den Stanislausorden -und den Rang eines Kollegienassessors. Es ist merkwürdig, was in dieser Welt -nicht alles möglich ist!</p> - -<p>Ingwer 2 Solotnik, Galgant 1½ Solotnik, Königswasser 1 Solotnik, Drachenblut -5 Solotnik; mischen, mit einer Flasche Schnaps ansetzen und jeden Morgen ein -Weinglas nüchtern gegen den Magenkatarrh einnehmen.</p> - -<p>1883, d. 7. Juni. Gestern wurde Glotkin beerdigt. Der Tod dieses Greises gereichte -mir nicht zum Segen! Er erscheint mir jede Nacht in einem weißen Gewand und -winkt mit dem Finger. Wehe, wehe mir Verruchtem: erster Buchhalter bin nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span> -ich, sondern Tschalikow. Die Stelle bekam nicht ich, sondern ein junger Mann, -der von der Tante der Geheimrätin protegiert wird. Alle meine Hoffnungen sind -dahin!</p> - -<p>1886, d. 10. Juni. Tschalikow ist seine Frau durchgebrannt. Der Ärmste ist außer -sich. Vielleicht wird er vor Kummer Hand an sich legen. Wenn er es tut, bin ich -erster Buchhalter. Man spricht schon darüber. Also ist die Hoffnung noch nicht -verloren, man kann noch leben, vielleicht erlebe ich auch noch den Waschbärpelz.</p> - -<p>Was die Verheiratung betrifft, so bin ich nicht abgeneigt. Warum soll ich nicht -heiraten, wenn sich eine gute Partie bietet, nur müßte ich mich mit jemand beraten; -denn der Schritt ist ernst.</p> - -<p>Kleschtschow hat gestern mit dem Geheimrat Lirmans die Gummischuhe vertauscht. -Ein Skandal!</p> - -<p>Der Portier Pajissij rät mir gegen den Magenkatarrh Sublimat einzunehmen. Ich -will es versuchen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span></p> - -<h2 id="Ein_boeser_Junge">Ein böser Junge</h2> -</div> - -<p class="drop">Iwan Iwanowitsch Lapkin, ein junger Mann von angenehmem Äußeren, und Anna -Ssemjonowna Samblizkaja, ein junges Mädchen mit einer Stupsnase, gingen das -steile Ufer hinunter und setzten sich auf die Bank. Die Bank stand am Wasser, im -dichten jungen Weidengebüsch. Ein herrliches Plätzchen! Wenn man sich hersetzt, -ist man von der ganzen Welt verborgen, nur die Fische und die Spinnen, die blitzschnell -über das Wasser laufen, sehen einen. Die jungen Leute waren mit Angeln, -Handnetzen, Regenwürmerbehältern und sonstigen Fischereigeräten ausgerüstet. -Sie setzten sich und machten sich sofort an den Fischfang.</p> - -<p>»Ich bin so froh, daß wir endlich allein sind,« begann Lapkin, sich umsehend. »Ich -habe Ihnen viel zu sagen, Anna Ssemjonowna … Sehr viel … Als ich Sie zum -ersten Male sah … Eben beißt es bei Ihnen an … Ich begriff damals, wozu ich -lebe, ich begriff, wo das Idol ist, dem ich mein ehrliches Arbeitsleben weihen muß … -Ist wohl ein großer Fisch … er beißt an … Als ich Sie erblickte, lernte ich zum ersten -Male die Liebe kennen, ich gewann Sie leidenschaftlich lieb! Ziehen Sie noch nicht … -lassen Sie ihn noch einmal anbeißen … Sagen Sie mir, meine Teure, ich beschwöre -Sie: darf ich auf Gegenliebe hoffen – nein, nicht auf Gegenliebe, das verdiene ich -gar nicht, ich wage daran nicht mal zu denken, – sondern auf … Ziehen Sie!«</p> - -<p>Anna Ssemjonowna hob die Hand mit der Angelrute, zog sie mit einem Ruck heraus -und schrie auf. In der Luft blitzte ein silberig-grünes Fischchen.</p> - -<p>»Mein Gott, ein Barsch! Ach, ach … Schneller! Er hat sich losgerissen!«</p> - -<p>Der Barsch riß sich vom Haken los, hüpfte über den Rasen zu seinem heimatlichen -Element … und patsch – da war er schon im Wasser!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span></p> - -<p>Auf der Jagd nach dem Fisch ergriff Lapkin, statt des Fisches, aus Versehen die Hand -Anna Ssemjonownas und drückte sie, gleichfalls aus Versehen, an seine Lippen … -Sie versuchte, die Hand zurückzuziehen, aber es war schon zu spät: ihre Lippen trafen -sich aus Versehen in einem Kuß. Das kam irgendwie ganz von selbst. Auf den ersten -Kuß folgte ein zweiter, dann kamen Liebesschwüre und Versicherungen … Glückliche -Augenblicke! In diesem Erdenleben gibt es übrigens kein absolutes Glück. Das -Glück trägt gewöhnlich das Gift in sich selbst oder wird durch irgend etwas von außen -vergiftet. So war es auch diesmal. Als die jungen Leute sich küßten, ertönte plötzlich -ein Lachen. Sie blickten auf den Fluß und erstarrten: Im Flusse stand bis an die Hüften -im Wasser ein nackter Junge. Es war der Gymnasiast Kolja, der Bruder Anna -Ssemjonownas. Er stand im Wasser, sah die jungen Leute an und lächelte giftig.</p> - -<p>»Aha … ihr küßt euch?« sagte er. »Schön! Ich will es der Mama sagen.«</p> - -<p>»Ich hoffe, daß Sie als anständiger Mensch …« stammelte Lapkin errötend.</p> - -<p>»Spionieren ist gemein, denunzieren ist aber niederträchtig, häßlich und abscheulich -… Ich nehme an, daß Sie als edler und anständiger Mensch …«</p> - -<p>»Geben Sie mir einen Rubel, dann sage ich es nicht!« antwortete der anständige -Mensch. »Sonst sage ich es.«</p> - -<p>Lapkin holte aus der Tasche einen Rubel und gab ihn Kolja. Jener drückte den -Rubel in der nassen Faust zusammen, stieß einen Pfiff aus und schwamm davon. -Aber die jungen Leute küßten sich diesmal nicht mehr.</p> - -<p>Am anderen Tage brachte Lapkin Kolja aus der Stadt einen Tuschkasten und einen -Ball, die Schwester schenkte ihm aber alle ihre leeren Pillenschachteln. Dann mußte -man ihm auch noch die Manschettenknöpfe mit den Hundeköpfen schenken. Dem -bösen Jungen gefiel es wohl sehr gut, und er fing an, um noch mehr zu kriegen, -zu beobachten. Wohin sich auch Lapkin und Anna Ssemjonowna wandten, er -folgte ihnen überall. Für keinen Augenblick ließ er sie allein.</p> - -<p>»Schuft«, sagte Lapkin zähneknirschend. »So klein und ein so großer Schuft! -Was wird noch aus ihm werden?!«</p> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span></p> -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-027.png" alt="" /> -</div> -<p>Kolja ließ den ganzen Juni den armen Verliebten keine Ruhe. Er drohte mit einer -Anzeige, beobachtete sie und forderte Geschenke; alles war ihm zu wenig, und<span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span> -zuletzt brachte er die Rede auf eine Taschenuhr. Nun, man mußte ihm die Taschenuhr -versprechen.</p> - -<p>Einmal beim Mittagessen, als eben Waffeln gereicht wurden, lachte er plötzlich auf, -blinzelte mit einem Auge und fragte Lapkin:</p> - -<p>»Soll ich es sagen? Was?«</p> - -<p>Lapkin errötete furchtbar und begann statt an der Waffel an der Serviette zu kauen.</p> - -<p>Anna Ssemjonowna sprang auf und lief ins andere Zimmer.</p> - -<p>In dieser Lage blieben die jungen Leute bis Ende August, bis zu dem Tag, als -Lapkin Anna Ssemjonowna endlich den Antrag machte. Was war das für ein -glücklicher Tag! Nachdem er mit den Eltern der Braut alles besprochen und ihre -Einwilligung erhalten hatte, lief Lapkin sofort in den Garten und begann Kolja zu -suchen. Als er ihn fand, brach er vor Freude schier in Tränen aus und packte den -bösen Jungen am Ohr. Auch Anna Ssemjonowna, die gleichfalls Kolja suchte, -kam herbei und packte ihn am anderen Ohr. Man muß das Entzücken gesehen -haben, das die Gesichter der Verliebten ausdrückten, als Kolja weinte und flehte:</p> - -<p>»Meine Lieben, meine Guten, ich tue es nicht mehr! Au, au, verzeiht mir!«</p> - -<p>Die beiden gestanden später, daß sie, solange sie heimlich verliebt gewesen waren, -kein einziges Mal solches Glück, solche atembeklemmende Seligkeit empfunden -hätten, wie in den Augenblicken, als sie den bösen Jungen an den Ohren rissen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span></p> - -<h2 id="Es_war_sie">Es war sie!</h2> -</div> - -<p class="drop">»Erzählen Sie uns etwas, Pjotr Iwanowitsch!« sagten die jungen Mädchen.</p> - -<p>Der Oberst drehte seinen ergrauten Schnurrbart, räusperte sich und begann:</p> - -<p>»Es war im Jahre 1843, als unser Regiment bei Czenstochowa lag. Ich muß Ihnen -sagen, meine Damen, der Winter war in jenem Jahre so streng, daß kein Tag verging, -wo sich die Wachtposten nicht die Nasen abfroren oder der Sturm die Straßen -nicht mit Schnee verschüttete. Der Frost hatte Ende Oktober eingesetzt und hielt bis zum -April an. Damals, müssen Sie wissen, war ich nicht der alte verrauchte Pfeifenkopf -wie jetzt, sondern ein junger Bursche wie Blut und Milch, mit einem Worte, -ein schöner Mann. Ich zierte mich wie ein Pfau, gab das Geld mit beiden Händen -aus und drehte meinen Schnurrbart wie kein anderer Fähnrich auf der Welt. Ich -brauchte oft nur mit einem Auge zu blinzeln, mit der Spore zu klirren und einmal -den Schnurrbart zu streichen, damit die stolzeste Schöne sich sofort in ein sanftes -Lamm verwandle. Ich war scharf auf die Weiber, wie eine Spinne auf die Fliegen, -und wenn ich jetzt Ihnen, meine Damen, alle die Polinnen und Jüdinnen aufzählen -wollte, die mir seinerzeit an den Hals flogen, so würden, ich versichere Sie, alle -Zahlen der Mathematik nicht reichen … Fügen Sie dem noch hinzu, daß ich -Regimentsadjutant war, vorzüglich die Mazurka tanzte und mit einer allerliebsten -Frau verheiratet war, Gott hab sie selig. Was ich für ein Taugenichts und ausgelassener -Kerl war, – davon können Sie sich keinen Begriff machen! Wenn im -Landkreise irgendeine tolle Liebesgeschichte passierte, wenn jemand einem Juden -die Schläfenlocken ausriß oder einem polnischen Edelmann in die Fresse haute, so -wußten alle sofort, daß Leutnant Wywertow es angestellt hatte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span></p> - -<p>»Als Regimentsadjutant mußte ich mich viel im ganzen Landkreise herumtreiben. -Bald kaufte ich Hafer oder Heu ein, bald verkaufte ich den Juden und Gutsbesitzern -unsere ausgemusterten Pferde, meistens aber fuhr ich, meine Damen, eine Dienstreise -vortäuschend, zu einem Stelldichein mit irgendeinem polnischen Edelfräulein -oder zu einem reichen Gutsbesitzer, bei dem man Karten spielte … In der Nacht -vor Weihnachten fuhr ich einmal, ich erinnere mich, als wäre es eben gewesen, -aus Czenstochowa ins Dorf Schewelki, wohin man mich in einer dienstlichen -Angelegenheit geschickt hatte … Der Frost war so grimmig, daß sogar die Pferde -husteten und ich und mein Fuhrmann in einer halben Stunde zu zwei Eiszapfen -geworden waren … Mit dem Frost konnte man sich noch befreunden, aber denken -Sie sich nur, auf dem halben Wege erhebt sich plötzlich ein Schneesturm. Der -Schnee wirbelte und kreiste wie der Teufel vor der Ostermesse, der Wind heulte, -als hätte man ihm seine Frau genommen, die Straße war verschwunden … In -kaum zehn Minuten waren wir alle – ich, der Fuhrmann und die Pferde – über -und über mit Schnee bedeckt.</p> - -<p>›Euer Wohlgeboren, wir haben den Weg verloren!‹ sagte der Fuhrmann.</p> - -<p>›Hol dich der Teufel! Wie hast du aufgepaßt, du Tölpel? Nun, fahre jetzt geradeaus, -vielleicht stoßen wir auf eine Menschenwohnung!‹</p> - -<p>»Wir fuhren und fuhren, immer im Kreise herum, und so gegen Mitternacht -stießen unsere Pferde an das Tor eines Gutshofes, der, ich erinnere mich noch, -einem Grafen Bojadlowski, einem reichen Polen gehörte. Die Polen und die Juden -sind für mich dasselbe wie Meerrettich nach dem Essen, aber ich muß die Wahrheit -sagen: die polnischen Edelleute sind gastfreundlich, und es gibt keine heißeren -Weiber als junge Polinnen …</p> - -<p>»Man ließ uns ein … Der Graf Bojadlowski lebte damals in Paris, und uns -empfing sein Verwalter, der Pole Kasimir Chapzinski. Ich erinnere mich, es war -keine Stunde vergangen, als ich schon in der Wohnung des Verwalters saß, seiner -Frau den Hof machte, trank und Karten spielte. Als ich fünf Dukaten gewonnen -und genug getrunken hatte, bat ich um ein Nachtlager. Da es im Verwalterflügel -keinen Platz gab, wies man mir ein Zimmer im gräflichen Herrenhause an.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span></p> - -<p>›Fürchten Sie Gespenster?‹ fragte mich der Verwalter, mich in ein kleines Zimmer -geleitend, das neben einem riesengroßen Saal voller Kälte und Finsternis lag.</p> - -<p>›Gibt es denn hier Gespenster?‹ fragte ich, während ein dumpfes Echo meine Worte -und Schritte wiederholte.</p> - -<p>›Ich weiß es nicht,‹ antwortete der Pole lachend, ›aber mir scheint, daß es ein für -Gespenster und unsaubere Geister außerordentlich geeigneter Ort ist.‹</p> - -<p>»Ich hatte ordentlich getrunken und war besoffen wie vierzigtausend Schuster, -aber diese Worte machten mich, offen gestanden, erschauern. Hol mich der Teufel, -lieber sind mir hundert Tscherkessen als ein einziges Gespenst! Es war aber nichts -zu machen, ich zog mich aus und legte mich hin … Meine Kerze erleuchtete die -Wände mit schwachem Lichte, an den Wänden hingen aber, stellen Sie es sich -nur vor, Ahnenbilder, eines schrecklicher als das andere, altertümliche Waffen, -Jagdhörner und ähnliche phantastische Dinge … Es herrschte eine Grabesstille, -nur im Nebensaale piepsten die Mäuse und knisterten die trockenen Möbel. -Draußen war aber die Hölle los … Der Wind sang jemand die Totenmesse, die -Bäume bogen sich heulend und weinend; irgendein Teufelsding, wahrscheinlich -ein Laden, quietschte jämmerlich und klopfte gegen den Fensterrahmen. Denken -Sie sich hinzu, daß mir der Kopf schwindelte und sich zugleich mit meinem Kopf -die ganze Welt drehte … Wenn ich die Augen schloß, war es mir, als flöge mein -Bett durch das ganze leere Haus und tanze mit den Gespenstern einen Reigen. -Um meine Angst zu vermindern, blies ich vor allen Dingen die Kerze aus, da die -leeren Zimmer bei Licht viel schrecklicher erscheinen als im Finsteren …«</p> - -<p>Die drei jungen Mädchen, die dem Oberst zuhörten, rückten zu ihm näher heran -und bohrten in ihn ihre unbeweglichen Blicke.</p> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span></p> -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-033.png" alt="" /> -</div> - -<p>»Nun«, fuhr der Oberst fort, »wie sehr ich mich auch bemühte, einzuschlafen, der -Schlaf floh meine Lider. Bald schien es mir, daß Diebe durchs Fenster eindringen, -bald hörte ich ein Flüstern, bald berührte jemand meine Schulter, – kurz, mir -schwebte der ganze Teufelsspuk vor, den jedermann kennt, der einmal nervös erregt -war. Nun stellen Sie sich vor, daß ich plötzlich mitten in diesem Teufelsspuk -und Chaos von Tönen deutlich ein Geräusch erkenne, das wie Schlürfen von<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span> -Pantoffeln klingt. Ich spitze die Ohren und, – was glauben Sie wohl? – ich höre, -wie jemand vor meine Türe tritt, hustet, die Türe aufmacht …</p> - -<p>›Wer ist da?‹ frage ich, mich aufrichtend.</p> - -<p>›Ich bin es … fürchte dich nicht!‹ antwortet eine weibliche Stimme.</p> - -<p>»Ich ging zur Tür … Es vergingen einige Sekunden, und plötzlich fühlte ich, wie -sich mir zwei Frauenarme, so weich wie Eiderdaunen, auf die Schultern legten.</p> - -<p>›Ich liebe dich … Du bist mir teurer als das Leben,‹ sagte eine melodische Frauenstimme.</p> - -<p>»Heißer Atem berührte meine Wange … Ich vergaß den Schneesturm, die Gespenster -und alles in der Welt und umschlang mit meiner Hand eine Taille … was -für eine Taille! Eine solche Taille kann die Natur nur auf besondere Bestellung, -einmal in zehn Jahren anfertigen … Schlank, wie gedrechselt, heiß und leicht wie -der Atem eines Säuglings! Ich konnte mich nicht beherrschen und drückte sie fest -in meinen Armen zusammen … Unsere Lippen vereinigten sich in einem festen, -langen Kusse, und … ich schwöre Ihnen bei allen Frauen der Welt, ich werde jenen -Kuß bis an mein Ende nicht vergessen.«</p> - -<p>Der Oberst verstummte, trank ein halbes Glas Wasser aus und fuhr mit gedämpfter -Stimme fort:</p> - -<p>»Als ich am nächsten Morgen zum Fenster hinausblickte, sah ich, daß der Schneesturm -noch stärker geworden war … Weiterfahren war ganz unmöglich. So mußte -ich den ganzen Tag beim Verwalter sitzen, Karten spielen und trinken. Abends -war ich wieder im leeren Hause und umschlang Schlag Mitternacht wieder die mir -bekannte Taille … Ja, meine Damen, wenn nicht die Liebe, so wäre ich wohl vor -Langeweile verreckt. Oder hätte mich zu Tode gesoffen.«</p> - -<p>Der Oberst seufzte, stand auf und ging schweigend durchs Zimmer.</p> - -<p>»Nun … und weiter?« fragte eines der jungen Mädchen, ganz atemlos vor Erwartung.</p> - -<p>»Gar nichts. Am anderen Tage war ich schon unterwegs.«</p> - -<p>»Aber … wer war denn die Dame?« fragten die jungen Mädchen zögernd.</p> - -<p>»Es versteht sich doch von selbst, wer es war!«</p> - -<p>»Nein, nichts versteht sich von selbst!«</p> - -<p>»Es war meine Frau!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span></p> - -<p>Alle drei junge Mädchen sprangen wie von einer Schlange gebissen auf.</p> - -<p>»Das heißt … wieso denn?« fragten sie.</p> - -<p>»Ach, mein Gott, was ist denn daran so unverständlich?« fragte der Oberst ärgerlich -und zuckte die Achseln. »Ich glaube, ich habe mich klar genug ausgedrückt! Ich -war doch mit meiner Frau nach Schewelki gefahren … Sie übernachtete im leeren -Hause im Nebenzimmer … Es ist doch vollkommen klar!«</p> - -<p>»Hm …« versetzten die jungen Mädchen und ließen enttäuscht die Arme sinken.</p> - -<p>»Die Geschichte hat so schön angefangen, aber das Ende ist Gott weiß wie … -Ihre Frau … Entschuldigen Sie, es ist <span id="corr036">so gar</span> nicht interessant und … auch gar -nicht geistreich.«</p> - -<p>»Sonderbar! Sie wollen also, daß es nicht meine rechtmäßige Frau gewesen sei, -sondern irgendeine Fremde! Ach, meine Damen! Wenn Sie jetzt so urteilen, was -werden Sie erst sagen, wenn Sie einmal verheiratet sind?«</p> - -<p>Die jungen Mädchen wurden verlegen und verstummten. Sie machten unzufriedene -Mienen, zogen die Stirnen kraus und fingen an, gänzlich enttäuscht, laut zu gähnen … -Beim Abendbrot aßen sie nichts, kneteten Kügelchen aus Brot und schwiegen.</p> - -<p>»Nein, es ist sogar … gewissenslos!« platzte eine von ihnen heraus. »Was brauchten -Sie es uns erzählen, wenn die Geschichte ein solches Ende hat? Es ist gar nicht -schön … Es ist sogar unerhört!«</p> - -<p>»Sie haben so vielversprechend angefangen und plötzlich abgebrochen …« fügte -eine andere hinzu. »Es ist einfach Hohn und sonst nichts.«</p> - -<p>»Na, na, na … ich habe nur gescherzt …« versetzte der Oberst. »Seien Sie nicht -böse, meine Damen, ich habe nur Spaß gemacht. Es war nicht meine Frau, sondern -die des Verwalters …«</p> - -<p>»Ja?!«</p> - -<p>Die jungen Mädchen wurden plötzlich lustig, ihre Augen fingen zu leuchten an … -Sie rückten zum Obersten heran, schenkten ihm immer neuen Wein ein und überschütteten -ihn mit Fragen. Die Langweile war verschwunden, auch das Abendbrot -war bald verschwunden, denn die jungen Mädchen aßen plötzlich mit großem -Appetit.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span></p> - -<h2 id="Ein_jaehzorniger_Mensch">Ein jähzorniger Mensch</h2> -</div> - -<p class="drop">Ich bin ein ernster Mensch, und mein Geist hat eine philosophische Richtung. Von -Beruf bin ich Finanzwissenschaftler, ich studiere Finanzrecht und schreibe eine -Dissertation über das Thema: »Vergangenheit und Zukunft der Hundesteuer«. Man -wird mir zugeben müssen, daß mich alle die jungen Mädchen, die Lieder, der Mond -und sonstige Dummheiten absolut nichts angehen.</p> - -<p>Zehn Uhr früh. Meine Mama schenkt mir Kaffee ein. Ich trinke ihn aus und gehe -auf den Balkon, um mich sofort an meine Dissertation zu machen. Ich nehme einen -reinen Bogen, tauche die Feder ins Tintenfaß und male die Überschrift: »Vergangenheit -und Zukunft der Hundesteuer«. Ich <span id="corr037">überlege</span> eine Weile und schreibe: -»Historischer Überblick. Aus einigen Andeutungen bei Herodot und Xenophon zu -schließen, datieren die Anfänge der Hundesteuer …«</p> - -<p>In diesem Augenblick höre ich aber höchst verdächtige Schritte. Ich schaue von -meinem Balkon hinunter und erblicke ein junges Mädchen mit langem Gesicht und langer -Taille. Sie heißt, glaube ich, Nadenjka oder Warenjka; übrigens ist es mir vollkommen -gleich. Sie sucht etwas, tut so, als sähe sie mich nicht und summt vor sich hin:</p> - -<p>»Gedenkst du noch der Weise voller Sehnsucht …«</p> - -<p>Ich lese das Geschriebene durch und will fortfahren, aber das junge Mädchen tut -so, als hätte sie mich plötzlich bemerkt und spricht mit trauriger Stimme:</p> - -<p>»Guten Morgen, Nikolai Andrejewitsch! Denken Sie sich nur, dieses Unglück! -Gestern beim Spazierengehen verlor ich ein Anhängsel von meinem Armband.«</p> - -<p>Ich lese den Anfang meiner Dissertation noch einmal durch, korrigiere die Öse beim -Buchstaben »b« und will weiter schreiben, aber das junge Mädchen läßt nicht locker.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span></p> - -<p>»Nikolai Andrejewitsch,« sagt sie, »seien Sie so gut und begleiten Sie mich nach -Hause. Die Karelins haben einen großen Hund, und ich kann mich nicht entschließen, -allein vorbeizugehen.«</p> - -<p>Nichts zumachen. Ich lege die Feder weg und gehe hinunter. Nadenjka oder -Warenjka nimmt mich unter den Arm, und wir schlagen den Weg zu ihrer Landwohnung -ein.</p> - -<p>Wenn mich die Pflicht trifft, mit einer Dame oder mit einem Mädchen Arm in Arm -zu gehen, so fühle ich mich aus irgendeinem Grunde immer wie ein Haken, an -den man einen schweren Pelz gehängt hat; Nadenjka oder Warenjka ist aber, -unter uns gesagt, leidenschaftlicher Natur (ihr Großvater war Armenier), sie hat -die Fähigkeit, sich mit der ganzen Schwere ihres Körpers an meinen Arm zu -hängen und schmiegt sich an meine Seite wie ein Blutegel. So gehen wir …</p> - -<p>Wie wir am Landhause der Karelins vorbeikommen, sehe ich einen großen Hund, -und dieser ruft mir die Hundesteuer in Erinnerung. Ich denke mit Sehnsucht an -die angefangene Arbeit und seufze.</p> - -<p>»Warum seufzen Sie?« fragt mich Nadenjka oder Warenjka und stößt auch selbst -einen Seufzer aus.</p> - -<p>Hier muß ich etwas einschalten. Nadenjka oder Warenjka (jetzt besinne ich mich, -daß sie Maschenjka heißt) hat sich aus irgendeinem Grunde eingebildet, daß ich -in sie verliebt sei, und hält es daher für eine Pflicht der Menschenliebe, mich immer -mitleidsvoll anzublicken und meine Herzenswunde durch Worte zu heilen.</p> - -<p>»Hören Sie einmal,« sagt sie stehenbleibend, »ich weiß, warum Sie seufzen. Sie -sind verliebt, ja! Aber ich bitte Sie bei unserer Freundschaft, versichert zu sein, -daß das Mädchen, das Sie lieben, Sie tief achtet! Sie kann Ihnen Ihre Liebe nicht -mit dem gleichen Gefühl beantworten, aber ist es denn ihre Schuld, daß ihr Herz -schon längst einem anderen gehört?«</p> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span></p> -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-039.png" alt="" /> -</div> - -<p>Maschenjkas Nase wird rot und schwillt an, ihre Augen füllen sich mit Tränen; -sie scheint auf meine Antwort zu warten, aber zum Glück sind wir schon am -Ziel … Auf der Veranda sitzt Maschenjkas Mama, eine gute Frau, doch voller -Vorurteile; als sie das erregte Gesicht ihrer Tochter sieht, heftet sie einen langen<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span> -Blick auf mich und seufzt, als wollte sie sagen: »Ach, diese Jugend versteht sich nicht -mal zu verstellen!« Außer ihr sitzen auf der Veranda mehrere junge bunte Mädchen -und unter ihnen mein Sommernachbar, der verabschiedete Offizier, der im letzten -Kriege an der linken Schläfe und an der rechten Hüfte verwundet worden ist. -Dieser Unglückliche will gleich mir den Sommer einer literarischen Arbeit weihen. -Er schreibt an den »Memoiren eines Militärs«. Gleich mir macht er sich jeden -Morgen an seine jede Achtung verdienende Arbeit, aber kaum hat er die Worte -geschrieben: »Ich bin geboren im Jahre …«, als unter seinem Balkon irgendeine -Warenjka oder Maschenjka erscheint und den armen Kerl mit Beschlag belegt.</p> - -<p>Alle, die auf der Veranda sitzen, sind mit dem Putzen irgendwelcher dummer, -zum Einkochen bestimmter Beeren beschäftigt. Ich grüße und will mich entfernen, -aber die bunten jungen Mädchen nehmen mir quietschend meinen Hut und -Stock weg und verlangen, daß ich bleibe. Ich setze mich. Man gibt mir einen -Teller mit Beeren und eine Haarnadel. Ich beginne zu putzen.</p> - -<p>Die bunten jungen Mädchen sprechen über die Männer. Der eine sei nett, der -andere hübsch, aber unsympathisch, der dritte häßlich, der vierte wäre nicht übel, -wenn seine Nase nicht einem Fingerhut gliche usw.</p> - -<p>»Und Sie, Monsieur Nicolas,« wendet sich an mich Maschenjkas Mama, »sind nicht -hübsch, aber sympathisch … In Ihrem Gesicht ist etwas … Übrigens,« seufzt -sie, »ist die Hauptsache am Manne nicht die Schönheit, sondern der Geist.«</p> - -<p>Die jungen Mädchen seufzen und schlagen die Augen nieder. Auch sie sind damit -einverstanden, daß die Hauptsache am Manne nicht die Schönheit, sondern der -Geist sei. Ich schiele nach dem Spiegel, um mich zu überzeugen, inwiefern ich -sympathisch bin. Ich sehe einen zerzausten Kopf, einen zerzausten Bart und Schnurrbart, -Augenbrauen, Haare an den Wangen, Haare unter den Augen, ein ganzer Wald, -aus dem wie ein Turm meine solide Nase ragt. Hübsch, das muß man sagen!</p> - -<p>»Dafür schlagen Sie die anderen mit dem Seelischen, Nicolas,« seufzt Maschenjkas -Mama, als bekräftige sie einen heimlichen Gedanken.</p> - -<p>Maschenjka leidet mit mir mit, zugleich scheint ihr aber das Bewußtsein, daß ihr -gegenüber ein in sie verliebter Mensch sitzt, einen großen Genuß zu verschaffen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span></p> - -<p>Als die Männer erledigt sind, beginnen die jungen Mädchen über die Liebe zu -sprechen. Nachdem dieses Gespräch eine Weile gedauert hat, steht eines der jungen -Mädchen auf und geht. Die Zurückgebliebenen beginnen sie sofort durchzuhecheln. -Alle finden, sie sei dumm, unerträglich und abstoßend häßlich und eines ihrer -Schulterblätter sitze nicht an der richtigen Stelle.</p> - -<p>Da kommt aber, Gott sei Dank, das von meiner Mama geschickte Dienstmädchen -und ruft mich zum Essen. Nun darf ich die unangenehme Gesellschaft verlassen -und heimgehen, um meine Dissertation weiter zu schreiben. Ich stehe auf und -mache eine Verbeugung. Maschenjkas Mama, Maschenjka selbst und alle die bunten -jungen Mädchen umringen mich und erklären, daß ich kein Recht habe, heimzugehen, -da ich ihnen gestern mein Ehrenwort gegeben hätte, mit ihnen zu Mittag -zu essen und nach dem Essen in den Wald auf die Pilzsuche zu gehen. Ich verbeuge -mich und setze mich wieder … In meiner Seele kocht der Haß, und ich fühle, daß -ich bald für mich nicht mehr einstehen können werde, daß es gleich zu einer Explosion -kommen müsse, aber meine Höflichkeit und die Angst, den guten Ton zu -verletzen, zwingen mich, mich den Damen zu fügen. Und ich füge mich.</p> - -<p>Wir setzen uns an den Tisch. Der verwundete Offizier, der infolge der Verwundung -an der Schläfe eine Kontraktion der Kiefern hat, ißt mit einer Miene, als wäre er -aufgezäumt und hätte eine Kandare im Munde. Ich knete Kügelchen aus Brot, -denke an die Hundesteuer und bemühe mich, da ich meinen jähzornigen Charakter -kenne, zu schweigen. Maschenjka blickt mich voller Mitleid an. Es gibt eine kalte -Sauerampfersuppe, Zunge mit jungen Erbsen, Brathuhn und Kompott. Ich habe -keinen Appetit, esse aber aus Höflichkeit. Wie ich nach dem Essen allein auf der -Veranda stehe und rauche, kommt auf mich Maschenjkas Mama zu, drückt mir -die Hände und spricht um Atem ringend:</p> - -<p>»Verzweifeln Sie aber nicht, Nicolas … Sie hat ein so empfindsames Herz … -ein solches Herz!«</p> - -<p>Wir gehen in den Wald auf die Pilzsuche … Maschenjka hängt an meinem Arm und -saugt sich an meiner Seite fest. Ich leide unmenschlich, dulde es aber.</p> - -<p>Wir kommen in den Wald.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span></p> - -<p>»Hören Sie einmal, Monsieur Nicolas,« beginnt Maschenjka seufzend: »Warum -sind Sie so traurig? Warum schweigen Sie?«</p> - -<p>Ein sonderbares Mädchen: worüber könnte ich denn mit ihr sprechen? Was haben -wir gemein?</p> - -<p>»Sagen Sie doch etwas …« bittet sie.</p> - -<p>Ich bemühe mich, etwas Populäres auszudenken, was ihren Begriffen zugänglich -wäre. Nachdem ich eine Weile nachgedacht habe, sage ich:</p> - -<p>»Die Ausrottung der Wälder fügt Rußland einen großen Schaden zu …«</p> - -<p>»Nicolas!« seufzt Maschenjka, und ihre Nase wird rot. »Nicolas, ich sehe, Sie -weichen einer offenen Aussprache aus … Sie wollen mich wohl durch Ihr Schweigen -strafen … Ihr Gefühl bleibt unerwidert, und Sie wollen den Schmerz stumm, in -der Einsamkeit tragen … das ist schrecklich. Nicolas!« ruft sie aus und packt -mich plötzlich bei der Hand, und ich sehe, wie ihre Nase zu schwellen beginnt. -»Was würden Sie sagen, wenn das Mädchen, das Sie lieben, Ihnen die ewige -Freundschaft anbieten würde?«</p> - -<p>Ich murmele etwas Zusammenhangloses, denn ich weiß absolut nicht, was ich ihr -sagen könnte … Erlauben Sie doch: erstens liebe ich kein Mädchen in der Welt, -zweitens, was brauche ich die ewige Freundschaft? Drittens bin ich sehr jähzornig. -Maschenjka oder Warenjka bedeckt das Gesicht mit den Händen und sagt leise, -wie zu sich selbst:</p> - -<p>»Er schweigt … Offenbar verlangt er ein Opfer von mir. Aber ich kann ihn doch -nicht lieben, wenn ich immer noch den anderen liebe! Übrigens … ich will es mir -überlegen … Gut, ich werde es mir überlegen … Ich werde alle Kräfte meiner -Seele sammeln und vielleicht um den Preis meines Glückes diesen Menschen von -seinen Leiden erlösen!«</p> - -<p>Ich verstehe nichts. Es ist eine Art Kabbala für mich. Wir gehen weiter und -sammeln Pilze. Wir schweigen die ganze Zeit. Maschenjkas Gesicht drückt einen -inneren Kampf aus. Ich höre Hundegebell: das bringt mir meine Dissertation in -Erinnerung, und ich seufze laut auf. Zwischen den Baumstämmen erblicke ich den -verwundeten Offizier. Der Ärmste hinkt schmerzvoll rechts und links: rechts hat<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span> -er seine verwundete Hüfte, links hängt eines der bunten jungen Mädchen. Sein -Gesicht drückt Demut vor dem Schicksal aus.</p> - -<p>Aus dem Walde kehren wir ins Haus zurück und trinken Tee. Dann spielen wir -Krocket und hören zu, wie eines der bunten jungen Mädchen das Lied singt: »Nein, -du liebst mich nicht, nein, nein!« Beim Worte »nein« verzieht sie den Mund bis -zu den Ohren.</p> - -<p>»Charmant!« stöhnen die übrigen Mädchen. »Charmant!«</p> - -<p>Der Abend bricht an. Hinter dem Gebüsch kommt ein ekelhafter Mond zum Vorschein. -Die Luft ist still, und es riecht unangenehm nach frischgemähtem Heu. -Ich nehme meinen Hut und will gehen.</p> - -<p>»Ich muß Ihnen etwas sagen,« flüstert mir Maschenjka bedeutungsvoll zu. »Gehen -Sie nicht.«</p> - -<p>Mir schwant etwas übles. Aber aus Höflichkeit bleibe ich doch. Maschenjka ergreift -meinen Arm und führt mich die Allee entlang. Jetzt drückt schon ihre ganze Figur -einen Kampf aus. Sie ist blaß, atmet schwer und scheint die Absicht zu haben, mir -meinen rechten Arm abzureißen. Was hat sie bloß?</p> - -<p>»Hören Sie …« murmelt sie. »Nein, ich kann nicht … Nein …«</p> - -<p>Sie will etwas sagen, kann sich aber nicht entschließen. Da sehe ich es aber -ihrem Gesicht an, daß sie sich doch entschlossen hat. Mit funkelnden Augen und -geschwollener Nase ergreift sie plötzlich meine Hand und sagt schnell:</p> - -<p>»Nicolas, ich bin die Ihre! Lieben kann ich Sie nicht, aber ich verspreche Ihnen -Treue!«</p> - -<p>Dann schmiegt sie sich an meine Brust und prallt plötzlich zurück.</p> - -<p>»Da kommt wer …« flüstert sie. »Leb wohl … Morgen um elf werde ich im -Gartenhäuschen sein … Leb wohl!«</p> - -<p>Und sie verschwindet. Ohne etwas zu verstehen, klopfenden Herzens gehe ich -heim. Mich erwartet die »Vergangenheit und Zukunft der Hundesteuer«, aber ich -bin nicht mehr imstande zu arbeiten. Ich rase. Man darf wohl sagen, ich bin -erschreckend. Hol der Teufel, ich werde es nicht dulden, daß man mich wie -einen grünen Jungen behandelt! Ich bin jähzornig, und es ist gefährlich, mit mir zu<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span> -spaßen! Als das Dienstmädchen hereinkommt, um mich zum Abendbrot zu -rufen, schreie ich sie an: »Hinaus!« Mein jähzorniger Charakter verspricht wenig -Gutes.</p> - -<p>Der nächste Morgen. Es ist ein echtes Sommerfrischenwetter, d. h. Temperatur -unter Null, durchdringender kalter Wind, Regen, Schmutz und Naphthalingeruch, -da meine Mama ihre warmen Mäntel aus dem Korb geholt hat. Ein teuflischer -Morgen. Es ist der 7. August 1887, als die berühmte Sonnenfinsternis stattfand. -Ich muß bemerken, daß bei einer Sonnenfinsternis ein jeder von uns, auch ohne -Astronom zu sein, großen Nutzen bringen kann. So kann ein jeder: 1) den Durchmesser -der Sonne und des Mondes bestimmen, 2) die Korona skizzieren, 3) die -Temperatur messen, 4) während der Verfinsterung die Tiere und die Pflanzen -beobachten, 5) seine eigenen Empfindungen aufschreiben u. s. w. Das alles ist so -wichtig, daß ich mich entschloß, die »Vergangenheit und Zukunft der Hundesteuer« -beiseite zu lassen und die Sonnenfinsternis zu beobachten. Wir alle standen sehr -früh auf. Die ganze bevorstehende Arbeit verteilte ich auf folgende Weise: ich bestimme -den Durchmesser der Sonne und des Mondes, der verwundete Offizier -zeichnet die Korona, alles übrige übernehmen aber Maschenjka und die bunten -jungen Mädchen. Nun sind wir alle versammelt und warten.</p> - -<p>»Wieso entsteht eine Sonnenfinsternis?« fragt mich Maschenjka.</p> - -<p>Ich antworte:</p> - -<p>»Eine Sonnenfinsternis kommt zustande, wenn der Mond, die Ebene der Ekliptik -durchlaufend, auf die Linie zu stehen kommt, die die Mittelpunkte der Sonne und -des Mondes verbindet.«</p> - -<p>»Was ist die Ekliptik?«</p> - -<p>Ich erkläre es ihr. Maschenjka hört mir aufmerksam zu und fragt:</p> - -<p>»Kann man durch ein angerußtes Glas die Linie sehen, die die Mittelpunkte der -Sonne und des Mondes verbindet?«</p> - -<p>Ich antworte ihr, daß es eine gedachte Linie ist.</p> - -<p>»Wenn sie nur gedacht ist,« wundert sich Maschenjka, »wie kann dann der Mond -auf ihr Platz finden?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span></p> - -<p>Ich gebe ihr keine Antwort. Ich fühle, wie diese naive Frage meine Leber schwellen -macht.</p> - -<p>»Es ist lauter Unsinn,« sagt Maschenjkas Mama. »Man kann doch nicht wissen, -was kommen wird, auch sind Sie noch nie im Himmel gewesen; woher wollen Sie -dann wissen, was mit dem Monde und der Sonne geschehen wird? Hirngespinste!«</p> - -<p>Da rückt aber ein schwarzer Fleck über die Sonne. Allgemeiner Aufruhr. Kühe, -Schafe und Pferde rasten mit erhobenen Schwänzen, vor Angst brüllend, über das -Feld. Die Hunde heulten. Die Wanzen bildeten sich ein, daß die Nacht angebrochen -sei: sie kamen aus ihren Ritzen gekrochen und fingen an, die noch Schlafenden -zu beißen. Der Diakon, der gerade mit einer Ladung Gurken heimfuhr, -erschrak, sprang aus dem Wagen und verkroch sich unter die Brücke, sein Pferd -fuhr aber mit dem Wagen in einen fremden Hof, wo die Gurken von den Schweinen -gefressen wurden. Ein Akzisebeamter, der nicht bei sich zu Hause, sondern bei -einer Sommerfrischlerin übernachtete, sprang in Unterwäsche aus dem Hause, lief -in die Menge und schrie mit wilder Stimme:</p> - -<p>»Rette sich, wer kann!«</p> - -<p>Viele Sommerfrischlerinnen, selbst junge und hübsche, stürzten, vom Lärm geweckt, -ohne Schuhe auf die Straße. Es passierte noch manches andere, was ich gar nicht -wiedergeben kann.</p> - -<p>»Ach, wie schrecklich!« kreischen die bunten jungen Mädchen. »Ach, wie -schrecklich!«</p> - -<p>»Meine Damen, beobachten Sie doch!« rufe ich ihnen zu, »die Zeit ist kostbar!«</p> - -<p>Ich selbst beeile mich, die Durchmesser festzustellen … Ich besinne mich auf die -Korona und suche mit den Blicken den verwundeten Offizier. Er steht da und -tut nichts.</p> - -<p>»Was haben Sie?« schreie ich. »Was ist denn mit der Korona?«</p> - -<p>Er zuckt die Achseln und weist mit den Blicken hilflos auf seine Arme. Der Ärmste -hat an beiden Armen je ein junges Mädchen hängen; sie schmiegen sich an ihn -voller Angst und lassen ihn nicht arbeiten. Ich nehme einen Bleistift und notiere -die Stunde mit den Sekunden. Das ist wichtig. Ich notiere auch die geographische<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span> -Lage des Beobachtungspunktes. Auch das ist wichtig. Nun will ich den Durchmesser -bestimmen, da ergreift aber Maschenjka meine Hand und sagt:</p> - -<p>»Vergessen Sie also nicht: heute um elf!«</p> - -<p>Ich befreie meine Hand und will, jede Sekunde ausnützend, meine Beobachtungen -fortsetzen, aber Maschenjka hängt sich mir krampfhaft an den Arm und schmiegt -sich an meine Seite. Der Bleistift, die Gläser, die Zeichnungen, – alles fällt ins -Gras. Teufel nocheinmal! Dieses Mädchen könnte doch wirklich endlich begreifen, -daß ich jähzornig bin und, wenn ich einmal rasend geworden, für mich -nicht einstehe.</p> - -<p>Ich will fortfahren, die Sonnenfinsternis ist aber schon zu Ende!</p> - -<p>»Schauen Sie mich doch an!« flüstert sie zärtlich.</p> - -<p>Oh, das ist schon der Gipfel der Verhöhnung! Man wird doch zugeben, daß ein -solches Spiel mit der menschlichen Geduld nur ein übles Ende nehmen kann. Man -mache mir keine Vorwürfe, wenn etwas Schreckliches geschieht! Ich werde es -niemand gestatten, mich zu verhöhnen, Teufel nocheinmal, und wenn ich rasend -bin, möchte ich niemand raten, mir nahe zu kommen! Ich bin zu allem fähig!</p> - -<p>Eines der jungen Mädchen sieht es wohl meinem Gesicht an, daß ich rasend bin -und sagt, offenbar mit der Absicht, mich zu besänftigen:</p> - -<p>»Nikolai Andrejewitsch, ich habe Ihren Auftrag ausgeführt. Ich habe die Säugetiere -beobachtet. Ich sah, wie vor der Sonnenfinsternis ein grauer Hund einer -Katze nachlief und hinterher lange mit dem Schweif wedelte.«</p> - -<p>So ist aus der Sonnenfinsternis nichts geworden. Ich begebe mich nach Hause. -Da es regnet, gehe ich nicht auf den Balkon arbeiten. Der verwundete Offizier -hat sich aber auf seinem Balkon hinausgewagt und sogar geschrieben: »Ich bin -geboren im Jahre …«; nun sehe ich aus meinem Fenster, wie eines der jungen -Mädchen ihn zu sich in die Landwohnung schleppt. Ich kann nicht arbeiten, denn -ich bin noch immer rasend und habe Herzklopfen. Ins Gartenhäuschen gehe ich -nicht. Es ist zwar unhöflich, aber ich kann doch nicht bei Regen hingehen! Um -die Mittagstunde bekomme ich einen Brief von Maschenjka; er enthält Vorwürfe, -die Bitte, ins Gartenhäuschen zu kommen und ist per »du« geschrieben. Um eins<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span> -bekomme ich einen zweiten Brief, um zwei einen dritten … Ich muß gehen. -Bevor ich hingehe, muß ich mir aber überlegen, worüber ich mit ihr sprechen -werde. Ich will wie ein anständiger Mensch handeln. Erstens werde ich ihr sagen, -sie habe gar keinen Grund sich einzubilden, daß ich sie liebe. Solche Sachen -sagt man übrigens einer Dame nicht. Einer Dame zu sagen: »Ich liebe Sie nicht,« -ist dasselbe, wie einem Schriftsteller zu sagen: »Sie verstehen nicht zu schreiben.« -Ich will Maschenjka lieber meine Ansichten über die Ehe darlegen. Ich ziehe einen -warmen Mantel an, nehme den Regenschirm und gehe ins Gartenhäuschen. Da -ich mein jähzorniges Wesen kenne, fürchte ich, zu viel zu sagen. Ich werde mir -Mühe geben, mich zu beherrschen.</p> - -<p>Im Gartenhäuschen werde ich erwartet. Maschenjka ist blaß und hat verweinte Augen. -Als sie mich erblickt, schreit sie freudig auf, fällt mir um den Hals und sagt:</p> - -<p>»Endlich! Du spielst mit meiner Geduld. Hör, ich habe die ganze Nacht nicht -geschlafen … Habe immer überlegt. Mir scheint, daß ich dich, wenn ich dich näher -kennen lerne, … lieb gewinnen werde …«</p> - -<p>Ich setze mich hin und beginne ihr meine Ansichten über die Ehe darzulegen. Um -nicht zu weit zu gehen und mich kürzer zu fassen, beginne ich mit einem historischen -Überblick. Ich spreche von der Ehe bei den Indern und den Ägyptern und komme -dann auf die späteren Perioden zu sprechen; bringe auch einige Gedanken Schopenhauers. -Maschenjka hört mir aufmerksam zu, hält es aber plötzlich, gegen jede Logik -verstoßend, für nötig, mich zu unterbrechen.</p> - -<p>»Nicolas, küsse mich!« sagt sie mir.</p> - -<p>Ich bin verdutzt und weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Sie wiederholt ihre Aufforderung. -Nichts zu machen, ich stehe auf und drücke meine Lippen auf ihr langes -Gesicht, wobei ich dasselbe empfinde, was ich als Kind empfunden habe, als ich bei -der Totenmesse meine verstorbene Großmutter küssen mußte. Aber Maschenjka -begnügt sich nicht mit dem Kuß, sondern steht auf und umarmt mich sehr -leidenschaftlich. In diesem Augenblick erscheint in der Tür des Gartenhäuschens -Maschenjkas Mama. Sie macht ein erschrockenes Gesicht, sagt zu jemand: »Pst!« -und verschwindet wie Mephistopheles in der Versenkung.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span></p> - -<p>Ratlos und rasend gehe ich heim. Zu Hause treffe ich Maschenjkas Mama, die mit -Tränen in den Augen meine Mama umarmt, während meine Mama weinend sagt:</p> - -<p>»Ich habe es selbst gewünscht!«</p> - -<p>Dann – wie gefällt Ihnen das? – dann geht Maschenjkas Mama auf mich zu, umarmt -mich und sagt:</p> - -<p>»Gott wird euch segnen! Pass auf, hab sie lieb … Vergiß nicht, daß sie sich dir -zum Opfer bringt …«</p> - -<p>Nun werde ich verheiratet. Während ich dies schreibe, stehen vor mir die Trauzeugen -und treiben mich zur Eile an. Diese Menschen kennen meinen Charakter -wirklich nicht! Ich bin ja jähzornig und kann für mich nicht einstehen! Hol der -Teufel, ihr werdet sehen, was noch kommen wird! Einen jähzornigen Menschen -zum Traualtar zu schleppen ist meiner Ansicht nach ebenso gescheit, wie die Hand -zu einem rasenden Tiger in den Käfig zu stecken. Wir werden sehen, wir werden -sehen, was noch kommen wird!</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>So bin ich verheiratet. Alle gratulieren mir, und Maschenjka schmiegt sich immer -an mich und spricht:</p> - -<p>»Begreife doch, daß du jetzt mein bist! Sag doch, daß du mich liebst! Sag!«</p> - -<p>Dabei schwillt ihr die Nase.</p> - -<p>Von den Trauzeugen erfuhr ich, daß der verwundete Offizier auf eine höchst -geschickte Weise den Ehebanden entronnen ist. Er stellte dem bunten jungen -Mädchen ein ärztliches Zeugnis bei, welches besagte, daß er infolge der Verwundung -an der Schläfe geistig unnormal sei und daher laut Gesetz nicht heiraten dürfe. -Eine Idee! Auch ich könnte so ein Zeugnis beistellen. Ein Onkel von mir war -Quartalsäufer, ein anderer Onkel war auffallend zerstreut (einmal stülpte er sich -statt einer Mütze einen Damenmuff über den Kopf), eine Tante spielte viel Klavier -und zeigte bei Begegnungen mit Männern ihnen die Zunge. Zudem ist mein außerordentlich -jähzorniger Charakter – ein höchst verdächtiges Symptom. Warum -kommen aber die guten Ideen so spät? Ja, warum?</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span></p> - -<h2 id="Eine_problematische_Natur">Eine problematische Natur</h2> -</div> - -<p class="drop">Ein Coupé erster Klasse.</p> - -<p>Auf dem mit himbeerrotem Samt bezogenen Divan liegt ein hübsches junges -Dämchen.</p> - -<p>Der kostbare befranste Fächer kracht in ihrer krampfhaft zusammengedrückten Hand, -der Zwicker rutscht jeden Augenblick von ihrem hübschen Näschen, die Brosche -an ihrer Brust hebt und senkt sich wie ein Nachen inmitten der Wellen. Sie ist -sehr aufgeregt … Ihr gegenüber sitzt der Beamte für besondere Aufträge beim -Gouverneur, ein junger angehender Schriftsteller, der im Gouvernements-Amtsblatte -kleine Novellen aus den höheren Kreisen erscheinen läßt … Er schaut ihr unverwandt -mit einer Kennermiene ins Gesicht. Er beobachtet, er studiert, er sucht diese -exzentrische, problematische Natur zu ergründen, er hat sie schon beinahe erfaßt … -Ihre Seele, ihre ganze Psychologie sind ihm vollkommen klar.</p> - -<p>»Oh, ich verstehe Sie!« sagt der Beamte für besondere Aufträge, ihre Hand in der -Nähe des Armbandes küssend. »Ihre empfindliche, empfängliche Seele sucht einen -Ausgang aus dem Labyrinth … Gewiß! Es ist ein ungeheuer schrecklicher Kampf, -aber … verzagen Sie nicht! Sie werden siegen! Ganz bestimmt!«</p> - -<p>»Beschreiben Sie mich doch, Woldemar!« spricht das Dämchen mit einem traurigen -Lächeln. »Mein Leben ist so voll, so abwechselungsreich, so bunt … Die Hauptsache -aber ist, daß ich unglücklich bin! Ich bin eine Märtyrerin im Stile Dostojewskijs -… Zeigen Sie der Welt meine Seele, Woldemar, zeigen Sie ihr diese arme -Seele! Sie sind ein Psycholog. Es ist kaum eine Stunde her, daß wir hier im Coupé -sitzen und sprechen, Sie aber haben mich schon ganz erfaßt!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span></p> - -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-051.png" alt="" /> -</div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span></p> -<p>»Sprechen Sie! Ich beschwöre Sie, sprechen Sie doch!«</p> - -<p>»Hören Sie. Ich stamme aus einer armen Beamtenfamilie. Mein Vater war ein -guter Kerl, gescheit, aber … der Geist der Zeit und des Milieus … vous comprenez, -ich klage meinen armen Vater nicht an. Er trank, spielte Karten … nahm -Bestechungsgelder an … Auch die Mutter … Was soll ich davon sprechen! Die -Not, der Kampf um ein Stück Brot, das Bewußtsein seiner Nichtigkeit … Ach, -zwingen Sie mich nicht, diese Erinnerungen aufzufrischen! Ich mußte mir selbst -meinen Weg bahnen … Die entsetzliche Institutserziehung, die Lektüre dummer -Romane, die Verirrungen der Jugend, die erste scheue Liebe … Und der Kampf -mit dem Milieu? Schrecklich! Und die Zweifel? Und die Qualen der beginnenden -Enttäuschung am Leben und an sich selbst? … Ach! Sie sind Schriftsteller und -kennen uns Frauen. Sie werden es begreifen … Zu meinem Unglück bin ich mit -einer breiten Natur begabt … Ich wartete auf ein Glück, und auf was für eines! Ich -lechzte danach, Mensch zu sein! Ja! Mensch zu sein, darin sah ich mein Glück!«</p> - -<p>»Sie Herrliche!« stammelt der Schriftsteller, ihr die Hand in der Nähe des Armbandes -küssend. »Nicht Sie küsse ich, Sie wunderbares Geschöpf, sondern das -menschliche Leid! Erinnern Sie sich an Raskolnikow? Er küßte so.«</p> - -<p>»Oh, Woldemar! Ich lechzte nach Ruhm … nach rauschendem Leben und Glanz -wie jede – warum soll ich bescheiden sein? – wie jede nicht ganz gewöhnliche -Natur. Ich lechze nach Ungewöhnlichem … gar nicht Weiblichem! Und … Und … -ich stieß auf meinem Wege auf einen reichen alten General … Begreifen Sie mich -doch, Woldemar! Es war ja Selbstaufopferung, Entsagung, begreifen Sie mich! Ich -konnte nicht anders. Ich versorgte meine Angehörigen, ich machte Reisen, ich tat -Gutes … Wie litt ich aber dabei, wie unerträglich und erniedrigend gemein erschienen -mir die Umarmungen jenes Generals, obwohl er, das muß man ihm lassen, seinerzeit -im Kriege große Tapferkeit gezeigt hat. Es gab Minuten … schreckliche Minuten! -Mich hielt aber der Gedanke aufrecht, daß der Alte heute oder morgen stirbt, daß -ich dann nach meinem Wunsche leben, mich einem geliebten Menschen hingeben -und glücklich sein werde … Ich habe aber einen solchen Menschen, Woldemar! -Gott weiß es, daß ich einen solchen habe!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span></p> - -<p>Das Dämchen schwingt energisch den Fächer. Ihr Gesicht nimmt einen weinerlichen -Ausdruck an.</p> - -<p>»Nun ist der Alte tot … Er hat mir einiges Vermögen hinterlassen, ich bin so frei -wie ein Vogel. Nun kann ich glücklich werden … Nicht wahr, Woldemar? Das -Glück klopft an meine Tür. Ich brauche es nur hereinlassen, aber … nein! Woldemar, -hören Sie, ich beschwöre Sie! Jetzt sollte ich mich doch dem geliebten Menschen -hingeben, seine Freundin werden, seine Helferin, die Trägerin seiner Ideale, glücklich -sein … ausruhen … Aber wie gemein, häßlich und dumm ist doch alles in dieser -Welt! So niederträchtig ist alles, Woldemar! Ich bin unglücklich, unglücklich, -unglücklich! Auf meinem Wege erhebt sich ein neues Hindernis! Wieder fühle -ich, daß mein Glück fern, ach, so fern ist! Ach, diese Qual, wenn Sie nur wüßten, -welch eine Qual!«</p> - -<p>»Was ist es denn? Was ist es für ein Hindernis? Ich beschwöre Sie, sagen Sie es -mir! Was ist es?«</p> - -<p>»Ein anderer reicher Alter …«</p> - -<p>Der zerbrochene Fächer verdeckt das hübsche Gesicht. Der Schriftsteller stützt -seinen gedankenschweren Kopf in die Hand, seufzt und beginnt mit der Miene -eines Kenners und Psychologen zu grübeln. Die Lokomotive pfeift und faucht, -die Fenstervorhänge röten sich im Lichte der untergehenden Sonne …</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span></p> - -<h2 id="Intrigen">Intrigen</h2> -</div> - -<ul class="index"> -<li>a) Wahl des Vereinsvorsitzenden.</li> -<li>b) Erörterung des Zwischenfalles vom 2. Oktober.</li> -<li>c) Referat des ordentlichen Vereinsmitgliedes Dr. M. N. von Bronn.</li> -<li>d) Laufende Vereinsangelegenheiten.</li> -</ul> - -<p>Doktor Schelestow, der Urheber des Zwischenfalles vom 2. Oktober, macht sich -bereit, in diese Sitzung zu gehen; er steht schon lange vor dem Spiegel und bemüht -sich, seinem Gesicht einen matten Ausdruck zu verleihen. Wenn er in der Sitzung -mit einem aufgeregten, gespannten, roten oder allzublassen Gesicht erscheint, -werden sich seine Feinde einbilden können, daß er ihren Intrigen allzuviel Bedeutung -beimesse; wenn aber sein Gesicht kalt, leidenschaftslos, gleichsam verschlafen sein -wird, wie bei Menschen, die über der Menge stehen und vom Leben ermüdet sind, -so werden diese Feinde bei seinem Anblick Respekt vor ihm empfinden und sich -denken:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Sein unbeugsames Haupt ragt höher als das Denkmal<br /></span> -<span class="i0">Des Siegers, der Napoleon bezwang!<br /></span> -</div></div> - -<p>Als ein Mensch, der sich für seine Feinde und ihre Ränke sehr wenig interessiert, -wird er in die Sitzung später als alle kommen. Er wird lautlos in den Saal treten, -sich mit einer müden Gebärde das Haar zurechtstreichen und sich, ohne jemand -anzublicken, ans äußerste Ende des Tisches setzen. Er wird die Pose eines gelangweilten -Zuhörers annehmen, kaum merklich gähnen, irgendeine Zeitung vom Tische -nehmen und lesen … Alle werden reden, streiten, sich ereifern, einander zur Ordnung -rufen, er aber wird schweigen und in die Zeitung blicken. Endlich wird aber<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span> -sein Name immer häufiger genannt werden und die brennende Frage in Weißglut -übergehen; er wird seine gelangweilten, müden Augen auf die Kollegen heben und -wie widerwillig sagen:</p> - -<p>»Man zwingt mich zu sprechen … Ich habe mich darauf nicht vorbereitet, meine -Herren, verzeihen Sie mir darum, wenn meine Rede etwas mangelhaft ausfallen -wird. Ich will ab ovo anfangen … In der letzten Sitzung haben gewisse verehrte -Kollegen erklärt, daß ich mich bei Konsilien nicht so benehme, wie sie es gerne -möchten, und von mir Erklärungen verlangt. Da ich alle Erklärungen für überflüssig -und die gegen mich erhobenen Vorwürfe für unbegründet hielt, bat ich, mich -aus dem Verein auszuschließen, und verließ die Sitzung. Aber jetzt, wo gegen mich -eine neue Serie von Anklagen erhoben wird, sehe ich zu meinem Leidwesen ein, -daß ich dennoch zu Erklärungen greifen muß. Ich will also solche abgeben.«</p> - -<p>Dann wird er, zerstreut mit dem Bleistifte oder mit der Uhrkette spielend, sagen, -daß er bei den Konsilien oft tatsächlich die Stimme erhoben und die Kollegen unterbrochen -habe, ohne sich um die Gegenwart Fremder zu kümmern; es sei auch -wahr, daß er bei einem Konsilium den Patienten in Gegenwart der Ärzte und der -Angehörigen gefragt habe: »Welcher Dummkopf hat Ihnen Opium verschrieben?« -Fast kein einziges Konsilium sei ohne einen Zwischenfall abgelaufen … Aber -warum? Sehr einfach. Bei jedem Konsilium müsse er, Schelestow, über das tiefe -Niveau der Fachkenntnisse seiner Kollegen staunen. Es gäbe in der Stadt zweiunddreißig -Ärzte, und die meisten von ihnen wüßten weniger als jeder Student im -ersten Semester. Nach Beispielen brauche man nicht weit zu gehen. Nomina sunt, -natürlich, odiosa, aber in der Sitzung sei man doch unter sich, also könne er, um -nicht abstrakt zu sein, die Namen nennen. Allen sei es z. B. bekannt, daß der -verehrte Herr Kollege von Bronn der Beamtenfrau Sserjoschkina mit einer Sonde -die Speiseröhre durchbohrt habe …</p> - -<p>Der Kollege von Bronn wird in diesem Augenblick aufspringen, die Hände über -dem Kopfe zusammenschlagen und aufschreien:</p> - -<p>»Herr Kollege, Sie haben sie durchbohrt und nicht ich! Sie! Und ich werde es -Ihnen beweisen!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span></p> - -<p>Schelestow wird ihm nicht die geringste Beachtung schenken und fortfahren:</p> - -<p>»Es ist auch allen bekannt, daß der verehrte Kollege Schila bei der Schauspielerin -Semiramidina eine Wanderniere für einen Abszeß angesehen und einen Probedurchstich -gemacht hat, was sehr bald zu einem exitus letalis führte. Der verehrte -Kollege Besstrunko hat, statt einen Nagel an der großen Zehe des linken Fußes -zu exstirpieren, den gesunden Nagel am rechten Fuß exstirpiert. Ich darf auch nicht -den Fall unerwähnt lassen, wo unser verehrter Herr Kollege Tercharjanz dem -Soldaten Iwanow die Eustachischen Röhren mit solchem Eifer katheterisierte, daß -dem Patienten beide Trommelfelle platzten. Bei dieser Gelegenheit will ich noch -erwähnen, daß derselbe Kollege einem Patienten beim Zahnziehen den Unterkiefer -ausgerenkt hat und ihn nicht früher wieder einrenken wollte, als bis der Patient -sich bereit erklärte, ihm für das Einrenken fünf Rubel zu bezahlen. Der verehrte -Kollege Kurizyn ist mit einer Nichte des Apothekers Grummer verheiratet -und hat mit ihm ein gewisses Abkommen getroffen. Es ist auch allen bekannt, -daß unser Vereinssekretär, der junge Kollege Skoropalitelnyj mit der Gattin unseres -verehrten Herrn Vorsitzenden Gustav Gustavowitsch Prechtel ein Verhältnis hat …</p> - -<p>Vom tiefen Niveau des Wissens bin ich allmählich auf Verstöße gegen die ethischen -Grundsätze zu sprechen gekommen. Um so besser. Die Ethik ist unser wunder -Punkt, meine Herren, und um nicht abstrakt zu sprechen, will ich Ihnen unseren verehrten -Kollegen Pusyrkow nennen, der bei einer Namenstagsfeier bei der Oberstenwitwe -Treschtschinskaja erzählt hat, daß nicht Skoropalitelnyj das Verhältnis mit -der Gattin unseres Vorsitzenden habe, sondern ich! Das wagt derselbe Herr -Pusyrkow zu sagen, den ich im vorigen Jahre mit der Gattin unseres verehrten -Kollegen Snobisch erwischt habe! Übrigens, Dr. Snobisch … Wer genießt das -Renommee eines Arztes, von dem sich behandeln zu lassen für die Damen nicht -ganz ungefährlich ist? – Snobisch … Wer hat eine Kaufmannstochter wegen -der Mitgift geheiratet? – Snobisch! Was aber unseren verehrten Vorsitzenden betrifft, -so treibt er heimlich Homöopathie und bekommt von den Preußen Geld für -Spionage. Ein preußischer Spion – das ist schon wirklich ultima ratio!«</p> - -<p>Ärzte, die klug und als gewandte Redner erscheinen möchten, gebrauchen immer<span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span> -diese beiden lateinischen Ausdrücke: »nomina sunt odiosa« und »ultima ratio«. -Schelestow wird nicht nur lateinisch, sondern auch französisch und deutsch, in jeder -beliebigen Sprache sprechen! Er wird alle bezichtigen und allen Intriganten die -Masken herunterreißen; der Vorsitzende wird müde werden, die Glocke zu -schwingen, die verehrten Kollegen werden von ihren Plätzen aufspringen und mit -den Händen fuchteln … Die Kollegen mosaischer Konfession werden sich zu -einem Haufen zusammendrängen und ein Geschrei erheben.</p> - -<p>Schelestow wird aber, ohne jemand anzublicken, fortfahren:</p> - -<p>»Was aber unseren Verein betrifft, so muß er bei dem jetzigen Mitgliederbestand und -den jetzt herrschenden Ordnungen unbedingt zugrunde gehen. Alles ist darin ausschließlich -auf Intrigen begründet. Intrigen, Intrigen und Intrigen! Als eines der -Opfer dieser einen großen, teuflischen Intrige halte ich mich für verpflichtet, folgendes -zu erklären:«</p> - -<p>Er wird reden, und seine Partei wird applaudieren und sich triumphierend die -Hände reiben. Unter einem unbeschreiblichen Lärm und Donner wird man zur -Wahl des Vorsitzenden schreiten. Von Bronn & Co. werden ihren ganzen Einfluß -für Prechtel einsetzen, aber das Publikum und die wohlgesinnten Ärzte werden sie -auszischen und schreien:</p> - -<p>»Nieder mit Prechtel! Wir wollen Schelestow! Schelestow!«</p> - -<p>Schelestow nimmt die Wahl an, aber unter der Bedingung, daß Prechtel und von -Bronn sich bei ihm wegen des Zwischenfalls vom 2. Oktober entschuldigen. Wieder -erhebt sich ein ohrenbetäubender Lärm, wieder drängen sich die verehrten Kollegen -mosaischer Konfession zu einem Haufen zusammen und schreien … Prechtel und -von Bronn sind empört und bitten schließlich, sie nicht mehr als Mitglieder des -Vereins anzusehen. Um so besser!</p> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span></p> -<div class="figcenter"> -<img src="images/illu-059.png" alt="" /> -</div> - -<p>Schelestow ist Vorsitzender. Vor allen Dingen reinigt er den Augiasstall. Snobisch -muß hinaus! Tercharjanz muß hinaus! Die verehrten Kollegen mosaischer Konfession -müssen hinaus! Mit seiner Partei wird er es erreichen, daß bis zum Januar -im Verein kein einziger Intrigant übrig bleibt. Im Ambulatorium des Vereins wird -er zunächst die Wände streichen lassen und ein Plakat anbringen: »Rauchen<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span> -strengstens verboten«; dann wird er den Feldscher und die Feldscherin hinausschmeißen, -die Medikamente nicht von Grummer, sondern von Chrasczebicki beziehen, -den Ärzten vorschlagen, keine einzige Operation ohne seine Aufsicht auszuführen -usw. Vor allen Dingen wird aber auf seinen Visitkarten stehen: »Vorsitzender -des Ärztevereins zu N.«</p> - -<p>So träumt Schelestow, bei sich zu Hause vor dem Spiegel stehend. Da schlägt -aber die Uhr sieben und erinnert ihn daran, daß er in die Sitzung muß. Er erwacht -aus seinen süßen Träumen und beeilt sich, seinem Gesicht den matten Ausdruck -zu verleihen, aber das Gesicht will ihm nicht gehorchen und nimmt einen sauren -und stumpfen Ausdruck an, wie bei einem erfrorenen jungen Hofhund; er will, daß -es solid sei, es wird aber lang und drückt Bestürztheit aus, und nun scheint es ihm, -daß er nicht mehr einem Hund, sondern einem Gänserich gleiche. Er senkt die -Lider, kneift die Augen zusammen, bläht die Backen, runzelt die Stirne, aber es -ist zum Verzweifeln: es kommt dabei etwas ganz anderes heraus als er möchte. -Die natürlichen Eigenschaften dieses Gesichts sind wohl derart, daß mit ihm nichts -anzufangen ist. Die Stirne ist niedrig, die kleinen Äuglein schweifen unruhig umher -wie bei einer unreellen Händlerin, der Unterkiefer steht so dumm und blöd hervor, -und die Wangen und die Frisur sehen so aus, als hätte man den »verehrten Kollegen« -soeben aus einem Billardlokal hinausgeschmissen.</p> - -<p>Schelestow betrachtet sein Gesicht, ärgert sich, und es kommt ihm schon vor, daß -auch das Gesicht gegen ihn intrigiere. Er geht ins Vorzimmer und macht sich fertig, -und es scheint ihm, als intrigierten auch der Pelz, die Gummischuhe und die -Mütze gegen ihn.</p> - -<p>»Kutscher, ins Ambulatorium!« schreit er.</p> - -<p>Er bietet zwanzig Kopeken, aber der Intrigant von einem Droschkenkutscher verlangt -fünfundzwanzig … Er setzt sich in die Droschke und fährt, aber der kalte -Wind weht ihm ins Gesicht, der nasse Schnee blendet ihm die Augen, und das -elende Pferd schleppt sich unerträglich langsam. Alles hat sich verschworen und -intrigiert … Intrigen, Intrigen und Intrigen!</p> - -<hr class="chap" /> -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span></p> - -<p class="center"> -ZWEIHUNDERT EXEMPLARE DIESER AUSGABE<br /> -SIND VOM KÜNSTLER HANDSCHRIFTLICH<br /> -SIGNIERT, NUMERIERT UND<br /> -IN HALBLEDER GEBUNDEN. -</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung -der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p> - -<p>Korrekturen:</p> - -<div class="corr"> -<p> -S. 36: sogar → so gar<br /> -Entschuldigen Sie, es ist <a href="#corr036">so gar</a> nicht interessant</p> -<p> -S. 37 überlege mir → überlege<br /> -Ich <a href="#corr037">überlege</a> eine Weile und schreibe</p> -</div> -</div> - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Der persische Orden, by Anton Tschechow - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PERSISCHE ORDEN *** - -***** This file should be named 53731-h.htm or 53731-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/3/7/3/53731/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - - -</pre> - -</body> -</html> diff --git a/old/53731-h/images/cover.jpg b/old/53731-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index b9f86f4..0000000 --- a/old/53731-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-004.png b/old/53731-h/images/illu-004.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 34c9b7d..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-004.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-015.png b/old/53731-h/images/illu-015.png Binary files differdeleted file mode 100644 index a64bc34..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-015.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-021.png b/old/53731-h/images/illu-021.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 6541bd2..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-021.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-027.png b/old/53731-h/images/illu-027.png Binary files differdeleted file mode 100644 index f8c838e..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-027.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-033.png b/old/53731-h/images/illu-033.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 51b6dea..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-033.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-039.png b/old/53731-h/images/illu-039.png Binary files differdeleted file mode 100644 index 4f2806b..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-039.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-051.png b/old/53731-h/images/illu-051.png Binary files differdeleted file mode 100644 index ccd09b5..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-051.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/illu-059.png b/old/53731-h/images/illu-059.png Binary files differdeleted file mode 100644 index c1ab880..0000000 --- a/old/53731-h/images/illu-059.png +++ /dev/null diff --git a/old/53731-h/images/signet.png b/old/53731-h/images/signet.png Binary files differdeleted file mode 100644 index ce12f26..0000000 --- a/old/53731-h/images/signet.png +++ /dev/null |
