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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Die Klerisei - -Author: Nikolaus Leskow - -Translator: Arthur Luther - -Release Date: December 18, 2016 [EBook #53757] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KLERISEI *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Das Original ist in Fraktur gesetzt. - - Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+. - - Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des - Buches. - - - - - Nikolaus Leskow - - Die Klerisei - - Roman - - Kurt Wolff Verlag - - - - - Deutsche Übertragung von Arthur Luther. - - Copyright 1919 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig. - - - - -Erstes Buch. - - - - -Erstes Kapitel. - - -Die Leute, deren Leben und Treiben diese Erzählung schildern soll, -sind die Bewohner der Dompfarrei von Stargorod: der Propst Sawelij -Tuberozow, der Pfarrer Zacharia Benefaktow und der Diakon Achilla -Desnitzyn. Ihre Jugendjahre, sowie auch ihre Kindheit lassen wir -unberührt. Will der Leser sie vor sich sehn, wie unsere Geschichte -sie faßt, so muß er sich das Haupt der Stargoroder Geistlichkeit, -den Propst Sawelij Tuberozow, als Mann vorstellen, der die Sechzig -bereits überschritten hat. Vater Tuberozow ist hochgewachsen und von -stattlicher Leibesfülle, aber noch sehr rüstig und beweglich. Dasselbe -gilt von seinen Geisteskräften: auf den ersten Blick erkennt man, daß -er sich alle Glut des Herzens und alle Energie der Jugend bewahrt hat. -Seinen auffallend schönen Kopf ist man versucht, als Urbild männlicher -Schönheit zu betrachten. Tuberozows Haar ist dicht, wie die Mähne -eines gewaltigen Löwen, und weiß, wie die Locken des Zeus von Phidias. -Es türmt sich malerisch als mächtiger Schopf über der hohen Stirn -und fällt in drei großen Wellen nach rückwärts, ohne die Schultern -zu erreichen. In dem langen zweigeteilten Bart des Propstes und in -dem kleinen Schnurrbart, der bei den Mundwinkeln mit dem Bart in eins -zusammenfließt, blitzen hie und da noch ein paar schwarze Haare auf, -welche dem Bart das Aussehen von schwarz emailliertem Silber geben. Die -Brauen dagegen sind ganz schwarz. In zwei steilgebogenen ~S~-Linien -vereinigen sie sich über dem Rücken seiner ziemlich großen und -fleischigen Nase. Die Augen sind braun, groß, kühn und klar. Sie haben -es ein ganzes Menschenleben lang verstanden, der Spiegel eines regen -und starken Geistes zu sein. Wer dem Propste nahestand, sah sie von -freudiger Begeisterung durchstrahlt, von Schmerz umnebelt, in Tränen -der Rührung gebadet. Mitunter flammte in ihnen das Feuer der Entrüstung -und sie sprühten Funken des Zorns, keines eiteln, rechthaberischen -Zornes, sondern des Zornes eines bedeutenden Mannes. Aus diesen Augen -leuchtete die gerade und ehrliche Seele des Propstes Sawelij, die er in -seiner christlichen Zuversicht unsterblich glaubte. - -Zacharia Benefaktow, der zweite Pfarrer am Stargoroder Dom, ist ein -Wesen ganz anderer Art. Seine Person ist die verkörperte Sanftmut und -Milde. Wie sein bescheidener Geist sich in keiner Weise hervorzutun -begehrt, so nimmt auch sein winziger Leib nur ganz wenig Platz weg, als -wäre es ihm peinlich, die Erde allzusehr zu beschweren. Er ist klein, -mager, schmächtig und kahlköpfig. Zwei kleine Löckchen graugelber Haare -flattern nur noch über seinen Ohren. An Stelle eines Bartes scheint dem -Vater Zacharia am Kinn ein Stückchen Schwamm zu kleben. Er hat winzige -Kinderhände, die er immer in den Taschen seines Leibrocks verbirgt. -Seine Beinchen sind dünn und schwach, wie Strohhalme, überhaupt -erscheint der ganze Mann wie aus Stroh geflochten. Seine herzensguten, -grauen Äuglein sind äußerst beweglich, aber sie werden nur selten -voll aufgeschlagen, immer suchen sie sich gleich ein Plätzchen, wo -sie sich vor unbescheidenen Blicken verbergen könnten. An Jahren ist -Vater Zacharia etwas älter als Vater Tuberozow und viel schwächlicher -als dieser, aber auch er ist gleich dem Propst gewohnt, sich stramm zu -halten, und trotz aller Übel und Gebresten, von denen er heimgesucht -wird, hat er sich einen lebhaften Geist und eine große körperliche -Beweglichkeit bewahrt. - -Der dritte und letzte Vertreter der Stargoroder Domgeistlichkeit, der -Diakon Achilla, wird durch mehrere Attribute gekennzeichnet, die wir -alle hier mitzuteilen für gut befinden, damit der Leser ein möglichst -klares Bild von dem gewaltigen Achilla gewinne. - -Der Inspektor der Kirchenschule, der den Achilla Desnitzyn aus -der Syntax-Klasse »wegen Überreife und mangelhafter Fortschritte« -ausgeschlossen hatte, pflegte zu ihm zu sagen: - -»Ach, du langgereckter Holzknüppel, du!« - -Der Rektor, der auf ein besonderes Bittgesuch hin den Achilla wieder in -die Rhetorik-Klasse aufgenommen hatte, staunte jedesmal, wenn er den -werdenden Recken zu Gesichte bekam, und pflegte, verblüfft über diese -Riesengröße, Riesenkraft und Rieseneinfalt, zu äußern: - -»Es dünkt mich zu wenig, dich bloß einen Knüppel zu nennen, -sintemalen du in meinen Augen zum mindesten eine volle Ladung Holz -repräsentierest.« - -Der Dirigent des bischöflichen Sängerchores endlich, in den Achilla -eingereiht wurde, nachdem er aus der Rhetorik entfernt und dem Klerus -zugezählt worden war, nannte ihn »unermeßlich«. - -»Dein Baß ist gut,« sagte der Dirigent, »er donnert wie eine Kanone; -aber unermeßlich bist du bis zum äußersten, so daß ich angesichts -dieser Unermeßlichkeit gar nicht weiß, wie ich dich würdig behandeln -soll.« - -Die vierte und gewichtigste Charakteristik des Diakons Achilla stammte -von dem Bischof selbst, und zwar ward dessen Urteil an einem für den -Achilla sehr denkwürdigen Tage ausgesprochen, dem Tage nämlich, wo er, -Achilla, aus dem bischöflichen Chor ausgeschlossen und als Diakon nach -Stargorod geschickt wurde. Sie lautete: »der Gepeinigte«. Es dürfte -aber wohl angebracht sein, zu erzählen, auf welche Weise der brave -Achilla zu diesem Namen kam. - -Der Diakon Achilla war von Jugend auf ein sehr impulsiver Mensch, der -sich nicht nur in seinen Jünglingsjahren immer wieder hinreißen ließ, -sondern auch in den Jahren des nahenden Alters. - -Trotz der »Unermeßlichkeit« seines Basses war Achilla im Sängerchor -doch sehr geschätzt, weil er mit gleicher Leichtigkeit sich zu -den höchsten Höhen emporzuschwingen und bis zur tiefsten Oktave -hinabzuklettern vermochte. Eins nur machte dem Dirigenten bei -dem unermeßlichen Achilla immer wieder Angst, -- seine übergroße -Begeisterungsfähigkeit. So konnte er etwa bei der Vesper sich nicht -damit begnügen, das »Heilig ist der Herr unser Gott« nur dreimal zu -singen, sondern ließ sich oft fortreißen, es ganz allein zum vierten -Male anzustimmen; besonders aber konnte er den Lobgesang am Schluß des -Gottesdienstes nie zur rechten Zeit abbrechen. Doch in allen diesen -Fällen, die schon bekannt waren und die man deshalb auch voraussehen -konnte, wurden vernünftigerweise entsprechende Vorsichtsmaßnahmen -getroffen: einer der erwachsenen Sänger erhielt nämlich den Auftrag, -den Achilla am Rockschoß zu ziehen oder ihn im geeigneten Moment durch -einen kräftigen Druck auf beide Schultern zusammenknicken zu lassen. -Indessen nicht umsonst sagt das Sprichwort, daß man sich nicht für -jeden Augenblick vorsehen könne. An einem der großen zwölf Feiertage -hatte Achilla in der Kommunionsliturgie ein sehr schwieriges Baß-Solo -auf den Text »von Schmerzen gepeinigt« zu singen. Die Bedeutung, -die der Dirigent und der ganze Chor diesem Solo beimaß, machte dem -Achilla nicht wenig Sorge: er war in großer Unruhe und dachte hin und -her, wie er es anstellen sollte, sich nicht zu blamieren, sondern -vor der Eminenz, die ein großer Liebhaber guten Kirchengesanges war, -und vor dem gesamten Gouvernementsadel, der an diesem Tage in der -Kirche sein würde, in Ehren zu bestehen. Tag und Nacht ging er bald -in seiner Stube, bald im Korridor oder im Hofe, bald im bischöflichen -Garten oder auf dem Weideplatz vor der Stadt auf und ab und sang in -den verschiedensten Tonarten: »gepeinigt, gepeinigt, gepeinigt«. So -brach endlich der Tag seines Ruhmes an, wo er sein »gepeinigt« in der -gedrängt vollen Domkirche zu Gehör bringen sollte. Gott, wie groß und -strahlend stand der gewaltige Achilla da, das Notenblatt in der Hand. -Die wohlbekannten Vorschläge sind erledigt. Nun kommt das Baß-Solo. -Achilla schiebt seinen Nachbar mit dem Ellenbogen beiseite und zählt -leise die Takte. Jetzt ist es so weit. Der Dirigent hebt die Hand -mit der Stimmgabel ... Achilla hat die ganze Welt und sich selbst -vergessen, und in der wunderlichsten Weise, der Posaune des Erzengels -vergleichbar, donnert er bald ganz schnell, bald langsam gedehnt: -»Von Schmerzen gepeinigt, gepeinigt, ge-pei-nigt, g-e-p-e-i-n-i-g-t, -gepeinigt.« Mit Gewalt hält man ihn zurück, sich in weiteren -unvorhergesehenen Variationen zu ergehen, und das Konzert ist beendet. -Aber in dem »fortgerissenen« Geiste Achillas war es noch nicht zu -Ende. Während die Honoratioren der Stadt mit leisen Begrüßungen an -den Bischof herantraten, um seinen Segen entgegenzunehmen, ertönte -es vom Chor plötzlich wieder, wie ein Posaunenstoß vom Himmel: -»Gepeinigt, ge-pei-nigt, g-e-p-e-i-n-i-g-t!« Das singt der in seiner -Begeisterung ganz um den Verstand gebrachte Achilla. Man zupft ihn -- -er singt weiter. Man drückt ihn zu Boden, um ihn hinter den Rücken -seiner Genossen verschwinden zu lassen, -- er singt: »gepeinigt«. -Man führt ihn endlich aus der Kirche hinaus, unentwegt singt er: -»g-e-p-e-i-n-i-g-t!« - -»Was ist dir?« fragen ihn mitleidige Leute voller Teilnahme. - -»Gepeinigt,« singt er, sie verständnislos ansehend, und bleibt an der -Tür der Vorhalle stehen, bis ihn endlich ein Strom frischer Luft von -draußen ernüchtert. - -Im Vergleich zu dem Propst Tuberozow und dem Vater Benefaktow kann -Achilla Desnitzyn als junger Mann gelten, aber auch er hat die Vierzig -schon hinter sich und seine tiefschwarzen Locken sind stark angegraut. -Achilla ist von Riesengestalt und ungeheurer Kraft, seine Bewegungen -sind eckig und schroff; sein Gesicht zeigt einen südlichen Typus und er -behauptet, von kleinrussischen Kosaken abzustammen, von denen er auch -in der Tat den Leichtsinn und die Tapferkeit und noch manches andere zu -haben scheint. - - - - -Zweites Kapitel. - - -Alle diese meine altmodischen Helden wohnten auf dem Stargoroder -Pfarrgehöft, am stillen, schiffbaren Fluß Turitza. Jeder von ihnen, -Tuberozow, Zacharia und sogar der Diakon Achilla hatte sein eigenes -Häuschen dicht am Ufer, gerade gegenüber dem jenseits des Flusses -aufragenden alten Dom mit seinen fünf hohen Kuppeln. Aber so -verschieden geartet, wie die drei Männer, waren auch ihre Wohnsitze. -Das Haus des Vaters Sawelij war sehr hübsch, mit hellblauer Ölfarbe -gestrichen und mit verschiedenfarbigen Sternchen, Quadraten und -Schnörkeln über jedem der drei Fenster geziert. Letztere hatten -außerdem noch holzgeschnitzte, grellbemalte Einfassungen und grüne -Läden, die nie geschlossen wurden, denn das festgefügte Haus trotzte -im Winter jeglichem Frost und der Propst liebte das Licht, liebte -den Stern, der nachts vom Himmel in seine Stube schaute, liebte den -Mondstrahl, der sich wie ein Brokatstreifen über den parkettartig -gemusterten Fußboden legte. - -Im Häuschen des Propstes herrscht absolute Reinlichkeit und Ordnung, -denn es ist niemand da, der Schmutz oder Unordnung machen könnte. Der -Propst hat keine Kinder und das ist eine Quelle steter Betrübnis für -ihn und seine Lebensgefährtin. - -Das Häuschen des Vaters Zacharia Benefaktow ist viel größer als das -des Vaters Tuberozow. Aber es fehlt ihm jene Eleganz und Koketterie, -die den Wohnsitz des Propstes auszeichnet. Das fünffenstrige, etwas -schiefstehende, graue Haus des Vaters Zacharia erinnert eher an einen -großen Geflügelstall, und, um die Ähnlichkeit perfekt zu machen, -drängen und stoßen sich in den engen Rahmen seiner grünen Fenster -unausgesetzt allerlei Schnäbelchen und Schöpfchen. Das ist die gesamte -Nachkommenschaft des Vaters Zacharia, den Gott gesegnet hat, wie den -Jakob, und dessen Gattin er fruchtbar gemacht hat, wie die Rahel. Bei -Vater Zacharia fand man nichts von der spiegelglatten Sauberkeit des -Tuberozowschen Hauses, nichts von dessen strenger Ordnung. Überall -stieß man auf Spuren schmutziger Kinderpfötchen; aus jedem Winkel -guckte ein Kinderköpfchen hervor; alles lebte und webte mit den Kindern -und um die Kinder. - -Der Diakon Achilla war Witwer und kinderlos. Wenig kümmerte er sich -um irdische Güter und Hauswirtschaft. Hart am Flußrande hatte er -eine lehmgestrichene, kleinrussische Kate, zu der aber keinerlei -Nebengebäude gehörten; nicht einmal ein Zaun war vorhanden, nichts -als eine rohe Lattenhürde, innerhalb derer, bis an die Knie im Stroh -versinkend, bald ein scheckiger Hengst, bald ein falber Wallach, bald -eine schwarze Stute umherstampfte. Die innere Einrichtung des Hauses -war ebenfalls ganz kosakenmäßig: in dem vorderen, besseren Raume, den -der Hausherr für sich selbst bestimmt hatte, stand ein hölzernes Sofa, -welches Achilla auch als Bett diente. Eine weiße Kosaken-Filzdecke -lag darüber gebreitet und am Kopfende ein ziselierter asiatischer -Sattelbogen, an den sich ein kleines pfannkuchenähnliches Kissen in -einem fettigen Nankingüberzug lehnte. Vor diesem Kosakenlager stand -ein Tisch aus weißem Lindenholz. An der Wand hing eine Gitarre ohne -Saiten, ein hänfener Fangstrick, eine Nagaika und zwei kunstvoll -geflochtene Zäume. In der Ecke auf einem kleinen Wandbrett, hinter -welchem ein verdorrter Palmweidenzweig gesteckt war, stand ein -winziges Heiligenbild, die Himmelfahrt Mariä darstellend, vor dem ein -kleines Kiewer Gebetbuch lag. Sonst war nichts, rein gar nichts in -der Behausung des Diakons Achilla zu finden. Nebenan in einer kleinen -Kammer hauste die alte Nadeshda Stepanowna, genannt Esperance, die -früher einmal Zimmermädchen in einem adligen Gutshause gewesen war. - -Sie war eine kleine, ältliche, gelbliche, spitznäsige, -zusammengeschrumpfte Person von so unverträglichem und unerträglichem -Charakter, daß sie trotz ihrer geschickten Hände nirgends dauernd -unterkommen konnte, bis sie zu guter Letzt Bedienerin beim einsamen -Achilla geworden war, dem sie vorschnattern und vorkeifen konnte soviel -sie wollte, denn er beachtete dieses Geschnatter und Gekeife überhaupt -nicht; nur wenn die Erregung seiner alten Hausgenossin gar zu arg -wurde, machte er ihr im entscheidenden Augenblick durch ein donnerndes: -»Versinke, Esperance!« ein Ende, worauf Esperance zumeist auch wirklich -sofort verschwand, denn sie wußte, daß Achilla sie andernfalls in -seine Arme nehmen, auf das Dach seiner Hütte setzen und dort bis zum -Sonnenuntergang ihrem Schicksal überlassen würde. - -So lebten diese Leutchen hin und trugen alle mehr oder weniger einer -des andern Lasten und suchten sich gegenseitig das einförmige Dasein -ein wenig bunter zu gestalten durch allerlei leichte Streitigkeiten -und Mißverständnisse, welche auf die durch die Ereignislosigkeit des -Kleinstadtlebens erschlaffte menschliche Natur eine so wohltuend -aufrüttelnde Wirkung ausüben. So hatte zum Beispiel eines Tages der -Gutsbesitzer und Adelsmarschall Alexej Nikititsch Plodomasow von einer -Reise nach Petersburg den von ihm sehr hochgeschätzten Domgeistlichen -verschiedene mehr oder weniger kostbare Geschenke mitgebracht, darunter -auch drei Stöcke: zwei mit ganz gleichen Knöpfen aus Dukatengold für -die beiden Pfarrer, den einen für Vater Tuberozow, den andern für Vater -Zacharia. Der dritte Stock mit einem hübschen Knopf aus emailliertem -Silber war für den Diakon Achilla bestimmt. Diese Stäbe fielen unter -die Stargoroder Geistlichen wie die biblischen Schlangen, welche die -ägyptischen Zauberer vor den Pharao hinwarfen. - -»Durch diese Schenkung der Stäbe ist ein Zweifel in uns geweckt -worden,« erzählte der Diakon Achilla. - -»Was für einen Zweifel kann es denn geben, Vater Diakon?« fragten die -Leute, denen er sein Leid klagte. - -»Ach, ihr Laien versteht von solchen Dingen nichts. Erstens ziemt -es mir in meinem Amte als Diakon gar nicht, einen solchen Stab zu -tragen, denn ich bin kein Pfarrer. Ferner: ich trage diesen Stab -jetzt trotzdem, denn ich habe ihn geschenkt bekommen. Drittens aber -tritt dabei noch eine zweifelerregende Gleichstellung zutage: der -Vater Sawelij und der Vater Zacharia haben Stäbe von ganz derselben -Qualität und gleichem Aussehen erhalten. Darf man sie aber so völlig -gleichstellen? ... Ich frage, darf man das? ... Vater Sawelij ... ihr -wißt es ja selbst ... Vater Sawelij ... ist ein Weiser, ein Philosoph, -ein Justizminister ... und nun sehe ich, daß auch er sich darin nicht -zu finden weiß und verwirrt ist, ganz furchtbar verwirrt.« - -»Was kann ihn denn so verwirren, Vater Diakon?« - -»Es verwirrt ihn, daß erstens diese völlige Gleichheit Verwechselungen -hervorruft. Was meint ihr, wie soll man erkennen, wem dieser Stab -gehört? Versucht es doch herauszukriegen, welcher Stab dem Propst und -welcher dem Zacharia zukommt, wenn sie beide ganz gleich aussehen! -Freilich, zur Unterscheidung ließe sich ja irgendein Zeichen anbringen --- ein Tröpfchen Siegellack auf den Knopf oder ein kleiner Einschnitt -in das Holz. Wie steht es aber mit der politischen Seite der Sache? Es -ist doch ganz unmöglich, daß der Propst und der Vater Zacharia gleich -viel wert wären! Und der Propst fühlt das sehr wohl, und ich seh' es -deutlich, und darum sag' ich ihm: ›Vater Propst, es ist in diesem -Falle nichts anderes zu machen: gestattet mir, daß ich den Stab des -Vaters Zacharia irgendwie zeichne, mit Siegellack oder durch einen -Messerschnitt.‹ Er aber antwortet: ›Nichts dergleichen. Untersteh' dich -nicht. Es ist nicht nötig.‹ Ja, wie denn nicht nötig?! ›Nun,‹ sag' ich -da wieder, ›so gebt mir Euren Segen zu etwas anderm. Ich will ganz -insgeheim den Stab des Vaters Zacharia mit dem Messer um einen Zoll -kürzer machen, so daß der Vater Zacharia selber von dieser Verkürzung -gar nichts merken soll.‹ Er aber nennt mich darauf einen Dummkopf. -Gut denn, ich bin ein Dummkopf, ich hör's von ihm nicht zum erstenmal -und von ihm kränkt's mich auch nicht, aber ich sehe doch, daß er mit -alledem sehr unzufrieden ist, und das raubt mir alle Seelenruhe ... Und -ihr könnt mich einen dreifachen Dummkopf nennen,« -- rief der Diakon, --- »ja, ich gestatte es euch, nennt mich ruhig dumm, wenn er, der Vater -Sawelij, nicht etwas ganz Politisches im Sinne hat. Ich weiß es ganz -genau, daß er eben deswegen mich nicht gewähren läßt, weil er seine -eigene Politik verfolgt.« - -Und der Diakon Achilla schien sich nicht geirrt zu haben. Noch war -kein Monat seit der Beschenkung der Stargoroder Geistlichkeit mit -den erwähnten zweifelerregenden Stäben vergangen, als der Propst -Sawelij sich plötzlich zu einer Reise in die Gouvernementsstadt zu -rüsten begann. Man brauchte dieser Fahrt keine besondere Bedeutung -zuzuschreiben, denn der Propst hatte in Amtsangelegenheiten oft genug -mit dem Konsistorium zu verhandeln. Aber als der Vater Tuberozow -bereits im Wagen saß, wandte er sich plötzlich zum Vater Zacharia: - -»Hör' mal, Vater, wo ist denn wohl dein Stab? Gib ihn mir mal her, ich -will ihn mit in die Stadt nehmen.« - -Diese scheinbar von ungefähr gesagten Worte ließen ein Licht in den -Gemütern aller derer aufgehen, die vor das Tor gekommen waren, dem -Abreisenden das Geleite zu geben. - -Der Diakon Achilla räusperte sich kräftig und flüsterte dem Vater -Benefaktow ins Ohr: - -»Nun? Sagt' ich's Euch nicht? Da haben wir die Politik!« - -»Weshalb wollt Ihr denn meinen Stab in die Stadt mitnehmen, Vater -Propst?« fragte Vater Zacharia, und zwinkerte demütig mit den Augen, -wobei er zugleich den Diakon beiseite schob. - -»Wozu? Nun, vielleicht will ich den Leuten dort zeigen, wie man uns -hier achtet und unser gedenkt,« antwortete Tuberozow. - -»Alioscha, lauf hin und hol den Stock,« befahl Zacharia seinem kleinen -Sohne. - -»Vielleicht nehmt Ihr dann auch meinen Stab mit, Vater Propst, um ihn -dort zu zeigen?« fragte Achilla in dem sanftmütigsten Tone, dessen er -fähig war. - -»Nein, den deinen magst du bei dir behalten,« erwiderte Sawelij. - -»Warum denn, Vater Propst? Ich bin doch ebenso ... ich bin doch auch -von dem Herrn Adelsmarschall ausgezeichnet worden,« antwortete der -Diakon ein wenig gekränkt. - -Aber der Propst würdigte seinen Einspruch keiner Antwort, legte den ihm -eben gebrachten Stab des Vater Zacharia neben sich hin und hieß den -Kutscher zufahren. - -So fuhr er dahin und die beiden zweifelerregenden Stäbe fuhren mit, der -Diakon Achilla aber saß zu Hause und mühte sich vergeblich, das Rätsel -zu lösen, zu welchem Zweck Tuberozow den Stab des Zacharia mitgenommen -hatte. - -»Was geht's dich an? Was hast du dabei? Was?« beschwichtigte Zacharia -den von Neugier gemarterten Diakon. - -»Vater Zacharia, ich sag's Euch, das ist Politik.« - -»Nun und wenn's Politik ist, -- was geht's dich an? Mag er doch -politisieren.« - -»Aber ich vergehe vor Neugier, was das für eine Politik sein könnte. -Euren Stab zu beschneiden wollte er mir nicht gestatten; das wäre eine -Dummheit, sagte er; ich schlug ihm vor, Zeichen anzubringen, aber er -wies es zurück. Das einzige, was ich vermute ...« - -»Ei nun, was kannst du Schwätzer vermuten?« - -»Das einzige wäre, daß er ... Er setzt bestimmt einen Edelstein hinein.« - -»Ja! Nun ... nun ja ... Aber wo soll er den Stein denn einsetzen?« - -»In den Griff.« - -»In den seinen oder in den meinen?« - -»In den seinen, natürlich in den seinen. Ein Edelstein ist doch ein -Wertstück.« - -»Sehr schön. Wozu hat hat er dann aber meinen Stab mitgenommen? In den -seinen will er den Stein einsetzen lassen, und den meinen nimmt er -mit?!« - -Der Diakon schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief: - -»Da wär' ich wieder mal der Narr.« - -»Hoffentlich bist du der Narr, hoffentlich,« bestätigte Vater Zacharia -und fügte mit leisem Vorwurf hinzu: »und dabei hast du doch Logik -gelernt, mein Lieber. Schäme dich.« - -»Warum soll ich mich schämen, wenn ich sie gelernt, aber nicht kapiert -habe! Das kann jedem so gehen,« antwortete der Diakon. - -Er sprach fortan keinerlei Vermutungen mehr aus, nur im stillen -verzehrte ihn nach wie vor die Neugier: was wird nun eigentlich -geschehen? - -So verging eine Woche, bis der Propst zurückkam. Der Diakon Achilla, -welcher gerade einen von ihm neu eingetauschten Steppengaul einritt, -war der erste, der die schwarze Pfarrkutsche sich der Stadt nähern sah. -Er raste durch die Straßen, machte Halt vor allen Häusern, in denen -gute Bekannte wohnten, und schrie in die offenen Fenster hinein: »Er -kommt! Der Propst Sawelij! Die edle große Seele!« - -Ein neuer Gedanke war dem Achilla plötzlich gekommen. - -»Jetzt weiß ich, was es ist,« sagte er zu den Umstehenden, während er -vor dem Tore des Pfarrhofes vom Pferde stieg. »Alle meine bisherigen -Vermutungen waren nichts als eitel Torheit. Jetzt aber kann ich euch -für gewiß sagen, der Vater Propst hat nichts anderes getan, als -griechische Lettern -- oder auch lateinische -- in die Knöpfe einätzen -lassen. So ist es, jawohl, so und nicht anders ist es; ganz bestimmt -hat er Lettern einätzen lassen, und wenn ich es jetzt nicht erraten -habe, so könnt ihr mich hundertmal einen Esel nennen.« - -»Warte nur, warte, das tun wir noch; das kommt schon noch,« sagte Vater -Zacharia und ging dem eben vorfahrenden Wagen entgegen. - -Ernst und würdevoll entstieg der Propst dem Wagen, trat in das Haus -ein, betete, begrüßte seine Gattin, indem er sie dreimal auf den -Mund küßte, bewillkommnete danach auch den Vater Zacharia, wobei sie -sich gegenseitig auf die Schultern küßten, und zu guter Letzt den -Diakon Achilla, der dem Propst die Hand küßte, während dieser mit den -Lippen seinen Scheitel berührte. Nach dieser Begrüßung ging man ans -Teetrinken, Schwatzen, Erzählen, und langsam wich der Abend der Nacht, -ohne daß der Propst auch nur ein Wort über die alle so interessierenden -Stäbe geäußert hätte. Ein Tag verging, ein zweiter, ein dritter, mit -keiner Silbe erwähnte Vater Tuberozow die Angelegenheit. Es schien, als -habe er die Stäbe in die Hauptstadt gebracht und sie dort in den Fluß -versenkt, damit alles Gerede von ihnen schweige. - -Der Diakon brannte förmlich vor Neugier und wußte nicht, was er -ersinnen sollte, um das Gespräch auf die Stäbe zu bringen. Aber die -Sache kam bald von selbst zur Erledigung. Am fünften oder sechsten Tage -nach seiner Heimkehr bat der Vater Sawelij nach dem Hauptgottesdienst -den Stadthauptmann, den Schulinspektor, den Arzt und den Vater Zacharia -nebst dem Diakon Achilla zu sich zum Tee und fing wiederum zu erzählen -an, was er alles in der Gouvernementsstadt gehört und gesehen habe. -Er berichtete ihnen von vielerlei schönen Sachen, welche er in den -Kaufläden gesehen hatte. »Es ist erstaunlich,« meinte er, »was die -dortige Kunstfertigkeit zu leisten vermag.« - -Mit diesen Worten ging der Propst ins Nebenzimmer und kam, in jeder -Hand einen der wohlbekannten Stäbe haltend, wieder zurück. - -»Sehen Sie mal hier,« sagte er, indem er den Gästen die Oberfläche der -beiden goldenen Knöpfe vor die Augen hielt. - -Der Diakon Achilla riß die Augen auf, um zu erspähen, was der Politikus -zustande gebracht hatte, um die gleichwertigen Stäbe unterscheiden zu -können. Aber ach! Es war kein wesentlicher Unterschied zu erkennen. Im -Gegenteil, ihre Gleichwertigkeit schien nun erst vollkommen, denn in -der Mitte eines jeden Knopfes war in ganz gleicher Weise, von einem -Strahlenkranze umgeben, ein Gottesauge eingraviert, um welches sich -eine kurze Kursivinschrift schlang. - -»Und Lettern sind keine da, Vater Propst?« bemerkte Achilla, dem die -Geduld ausging. - -»Was willst du noch für Lettern?« erwiderte Tuberozow, ohne ihn -anzusehen. - -»Um sie in ihrer Gleichwertigkeit zu unterscheiden.« - -»Immer kommst du mit deinem dummen Zeug,« wandte sich der Propst zum -Diakon, und dann stützte er den einen Stab gegen seine Brust und sprach: - -»Das soll meiner sein.« - -Der Diakon Achilla warf einen schnellen Blick auf den Knopf und las -über dem Gottesauge: »Und er fand den Stecken Aarons blühen.« - -»Und den nimmst du, Vater Zacharia,« schloß der Propst und gab ihm den -andern Stab. - -Auf dem Knopfe desselben war um das völlig gleiche Gottesauge in ganz -derselben altslawischen Kursivschrift eingraviert: - -»Und er gab den Stab in seine Hand.« - -Kaum hatte Achilla diese zweite Inschrift gelesen, so knickte er hinter -dem Rücken des Vaters Zacharia zusammen, und, den Kopf gegen den Bauch -des Arztes stemmend, zuckte und strampelte er in einem unbändigen -Lachanfall. - -»Na, Quälgeist, was gibt's wieder? Was gibt's?« wandte sich der Vater -Zacharia ihm zu, während die übrigen Gäste noch die kunstvolle Arbeit -des Juweliers an den Priesterstäben bewunderten. - -»Lettern? He? Lettern, du krauser Schafbock du? Wo sind hier die -Lettern?« - -Der Diakon aber prustete und lachte nur immer toller. - -»Was lachst du? Was ficht dich an?« - -»Wer ist jetzt der Schafbock, he?« fragte der Diakon, die Worte mühsam -hervorstoßend. - -»Du natürlich, wer denn sonst?« - -Achilla brach in ein neues Gelächter aus, packte den Vater Zacharia an -den Schultern und flüsterte theatralisch: - -»Na und Ihr, Vater Zacharia, wo Ihr so viel Logik studiert habt, lest -doch noch einmal. ›Und er gab den Stab in seine Hand.‹ Was sagt Eure -Logik dazu? Wo soll eine solche Inschrift hinaus?« - -»Wo hinaus? Nun, so sag du es doch, wo sie hinaus soll!« - -»Wo hinaus? Dahinaus,« sagte der Diakon langsam und gedehnt, »daß man -ihm mit dem Lineal eins auf die Pfoten gegeben hat.« - -»Du lügst!« - -»Ich lüge?! Und warum ist denn +sein+ Stecken erblüht? Und kein -Wort davon, daß er ihm in die Hand gegeben ist? Warum? Weil das zum -Zweck der Erhöhung geschrieben ist, Euch aber ist's zur Erniedrigung -geschrieben, daß Euch der Knüppel in die Tatze gelegt ist.« - -Vater Zacharia wollte etwas erwidern, aber der Diakon hatte ihn -wirklich irre gemacht. Achilla triumphierte, daß es ihm gelungen war, -den sanften Benefaktow aus der Fassung zu bringen, doch sein Triumph -war nur von kurzer Dauer. - -Kaum hatte er sich umgewandt, so sah er auch schon, daß der Propst ihn -scharf ins Auge gefaßt hatte, und sobald er bemerkte, daß der Diakon -unter der Wirkung dieses strengen Blickes verlegen zu werden begann, -wandte er sich an die Gäste und sagte mit ganz ruhiger Stimme: - -»Die Inschriften, die Sie hier sehen, habe ich nicht selbst ausgedacht. -Der Konsistorialsekretär Afanasij Iwanowitsch hat sie mir empfohlen. -Auf einem Abendspaziergang kamen wir beim Goldschmied vorbei, und -da meinte Afanasij Iwanowitsch: Wißt Ihr, Vater Propst, was für ein -Gedanke mir gekommen ist? Ihr solltet Inschriften auf die Stäbe setzen. -Für Euch ›der Stecken Aarons‹ und für den Vater Zacharia -- eben jene, -die jetzt dasteht.« - -»Und du, Vater Diakon,« fuhr der Propst fort, »ich wollte auch etwas -von deinem Stabe sagen, wie du mich gebeten hattest, aber ich bin der -Meinung, es wäre am besten, du trügest den Stab überhaupt nicht, denn -er kommt deinem Amte nicht zu.« - -Und damit schritt der Propst in aller Seelenruhe nach der Stubenecke, -in welcher der berühmte Stab des Achilla stand, nahm ihn und schloß ihn -in den Kleiderschrank ein. - -Dieses war der größte Zwist, der sich je in der Stargoroder Pfarrei -abgespielt hatte. - -Wie es heißt, daß durch ein Dreierlicht einst ganz Moskau in Flammen -aufgegangen ist, so entstand auch daraus bald eine ganze Geschichte, -welche die verschiedensten Charakterschwächen und Vorzüge Sawelijs und -Achillas an den Tag brachte. - -Der Diakon kannte diese Geschichte am besten, erzählte sie aber nur in -Augenblicken äußerster Erregung. - - - - -Drittes Kapitel. - - -»Was,« sagte Achilla, »hätte ich von Rechts wegen damals tun sollen? -Ich hätte dem Vater Propst zu Füßen fallen und ihm sagen sollen: so und -so stehen die Dinge, nicht aus Bosheit, nicht aus Gehässigkeit hab' ich -das gesagt, sondern einzig, um dem Vater Zacharia zu zeigen, daß ich -zwar nichts von Logik verstehe, aber darum doch nicht dümmer bin als -er. Aber der Stolz übermannte mich und hielt mich zurück. Ich ärgerte -mich, daß er meinen Stab in den Schrank geschlossen hatte, und daß dann -noch der Lehrer Warnawka Prepotenskij dazwischenkam. ... Ach, ich sag' -euch, so bös ich auch auf mich selbst bin, es ist nichts gegen die Wut, -welche ich auf den Lehrer Warnawka habe! Ich will nicht ich sein, wenn -ich sterbe, ohne zuvor mit diesem Sohn der Hostienbäckerin abgerechnet -zu haben!« - -»Das darfst du auch wieder nicht,« unterbrach Vater Zacharia den -Achilla. - -»Warum denn nicht? Gottlosigkeit duld' ich nicht! Da frage ich nicht -nach der Person! Und die Sache macht sich ganz von selbst: ich fahr' -ihm mit der Faust in den Schopf, schüttel' ihn tüchtig durch und -laß ihn dann laufen. Jetzt geh und beschwer' dich, daß du von einer -geistlichen Person wegen Gottlosigkeit durchgewalkt worden bist! -... Der wird sich hüten! ... Ach, du mein Gott! Was war nur in mich -gefahren, daß ich auf diesen Taugenichts hören konnte, und wie ist's -möglich, daß ich ihn bis heute mir noch nicht richtig vorgenommen -habe! Den Küster Sergej hab' ich damals für sein Geschwätz über den -Donner sofort verwichst; den Kommissar, den Kleinbürger Danilka, der -sich in den letzten großen Fasten unterstand, auf offener Straße ein -Ei zu essen, hab' ich unverzüglich vor versammeltem Volke nach Gebühr -an den Ohren gezaust, -- und diesen Lümmel laß ich immer noch frei -herumlaufen, obgleich er mir das Ärgste angetan hat! Wäre er nicht -gewesen, so würde es gar nicht zu diesem Zwist gekommen sein. Der Vater -Propst hätte mir wegen meiner Äußerung über den Vater Zacharia gezürnt, -aber nicht lange. Muß da dieser Warnawka kommen, und erbittert und -gepeinigt, wie ich bin, laß ich mich von ihm aufhetzen! Er schwatzt -mir vor: ›Diese Tuberozowsche Inschrift ist zu allem andern auch noch -dumm!‹ Ich in meiner Pein, müßt ihr wissen, lechzte förmlich danach, -auch dem Vater Sawelij was anzuhängen, und so fragte ich, was denn -Dummes daran sei. Warnawka sagte: ›Dumm ist sie, weil die Tatsache, -von der in ihr die Rede ist, gar nicht feststeht. Und nicht nur -das, -- sie ist überhaupt unglaubwürdig. Wer, sagt er, kann es denn -bezeugen, daß der Stecken Aarons erblühte? Kann ein trockenes Stück -Holz Blüten treiben?‹ Ich fiel ihm hier in die Rede und meinte: ›Bitte -sehr, Warnawa Wasiljitsch, solche Reden darfst du nicht führen. Der -allmächtige Willen Gottes ist stärker als die Ordnung der Natur.‹ ... -Aber weil diese unsere Unterhaltung bei der Akziseeinnehmersfrau, -der Biziukina, stattfand, welche allerlei Flüssiges aufgetischt -hatte, lauter gute Weine, -- nichts als ho--ho--ho: ~Haut-Sauterne~ -und ~Haut-Margaux~, -- so war ich, hol mich dieser und jener, schon -ein bißchen benebelt, und der Warnawka redete sein gelehrtes Zeug -in mich hinein. ›So war's ja auch -- sagte er -- dazumal mit dem -Menetekel beim Gastmahl des Belsazar. Heut haben wir's als reinsten -Schwindel erkannt. Wollt ihr, so mach ich's euch gleich mit einem -Phosphorstreichhölzchen vor.‹ Ich war starr vor Entsetzen, er aber -quasselte immer weiter: ›Und überhaupt, sagte er, es wimmelt da nur -so von Widersprüchen.‹ Dann legte er los, wißt ihr, und redete und -redete und widerlegte alles, und ich saß dabei und hörte zu. Und nun -noch dieser ~Haut-Margaux~! Ich war so schon gepeinigt genug, und -fing am Ende selber an in freigeistigem Stil zu reden. Ja, sagte -ich, wenn ich nicht sähe, was der Vater Sawelij für ein aufrechter -Mann ist, denn ich weiß, er steht vor dem Altar und der Rauch seines -Opfers steigt kerzengerade empor, wie beim Opfer Abels, ich möchte -nur kein Kain sein, sonst könnte ich ihn schon ... Versteht ihr wohl, -so redete ich vom Vater Sawelij! Und diese Person, die Biziukina, -meinte: ›Ja, versteht Ihr denn selber, was Ihr da schwatzt? Wißt Ihr -überhaupt, was der Kain wert war? Was war denn -- sagte sie -- Euer -Abel? Nichts weiter als ein kleines Schaf, ein Kriecher und Streber, -eine Sklavennatur; Kain aber war ein stolzer Mann der Tat. So -- sagte -sie -- hat ihn der englische Schriftsteller Biehron geschildert ...‹ -Und nun legte sie los ... Na, von all dem ~Haut-Margaux~ schon so -spiritualisiert, überkam mich plötzlich ein Gefühl, als müßte ich zum -Kain werden und damit Punktum. Als ich auf dem Heimweg bis zum Hause -des Vater Propst gelangt war, blieb ich vor seinen Fenstern stehen, -stemmte, wie ein Offizier, die Arme in die Seiten und brüllte los: -›Ich Zar, ich Knecht, ich Wurm, ich Gott!‹ Grundgütiger Gott, wie -entsetzlich ist mir jetzt die bloße Erinnerung an meine Schamlosigkeit! -Als der Vater Propst mein Gemecker vernommen, sprang er aus dem Bette, -trat im Hemde ans Fenster, stieß es auf und rief mit zorniger Stimme: -›Geh zu Bett, du wütiger Kain!‹ Ihr könnt mir's glauben, ich erbebte -bei diesem Wort. Denn er hatte mich schon Kain genannt, da ich es doch -erst werden wollte. Er hatte es vorausgesehen! Ach Gott, ach Gott! Ich -konnte mich kaum nach Hause schleppen; meine ganze Widerspenstigkeit -war hin, und bis auf den heutigen Tag kann ich seitdem nur trauern und -stöhnen.« - -War er in seiner Erzählung so weit gekommen, versank der Diakon -gewöhnlich in Gedanken, seufzte, und fuhr nach einer Minute in -melancholischem Tone fort: - -»Und nun fliehen und fließen die Tage dahin, aber der Zorn des Vater -Sawelij ist bis auf heute nicht von ihm gewichen. Ich ging zu ihm und -klagte mich selber an; ich klagte mich an und tat Buße. Ich sprach: -›Vergebt mir, wie der Herr den Sündern vergibt‹ -- aber ich erhielt -nichts zur Antwort, als ›Geh.‹ Wohin? Wohin soll ich gehen, frage ich. -Mit den Leuten da werde ich wirklich noch zum Kain ... Ich weiß es, -ich weiß es genau, nur er allein, nur der Vater Sawelij vermag mich in -Subordination zu halten -- und er ... und er ...« - -Bei diesen Worten kamen dem Diakon die Tränen in die Augen und leise -aufschluchzend schloß er seinen Bericht: - -»Und er spielt ein so böses Spiel mit mir -- er schweigt! Was ich auch -sage, er schweigt! ... Warum schweigst du?« schrie der Diakon plötzlich -laut auf und fing nun wirklich an zu schluchzen. Dabei streckte er -beide Arme in der Richtung aus, wo sich nach seiner Voraussetzung -das Haus des Propstes befinden mußte. -- »Meinst du, das wäre recht -gehandelt? Ist es recht, wenn ich in meinem Amte als Diakon zu ihm -trete und sage: ›Vater, segne mich‹ -- und ich küsse dann seine Hand -und fühle, daß sogar sie für mich eiskalt ist! Ist das recht? Am -Pfingsttage, vor dem großen Gebet, kam ich, in Tränen zerfließend, -zu ihm und bat ihn: segne mich ... Aber er zeigte keine Rührung. ›Sei -gesegnet,‹ sagte er. Was soll mir dieser Formenkram, wenn alles ohne -Freundlichkeit geschieht!« - -Der Diakon rechnete auf Trost und Unterstützung. - -»Verdien' dir seine Freundlichkeit,« sagte ihm der Vater Zacharia, -»verdiene sie dir ordentlich, und er wird dir verzeihen und wieder gut -zu dir sein.« - -»Wie soll ich sie mir denn verdienen, Vater Zacharia?« - -»Durch musterhaftes Betragen.« - -»Was nützt mir denn all mein Betragen, wenn er mich überhaupt nicht -bemerkt? Glaubst du, es ließe mich kalt, ihn jetzt immer so bekümmert, -immer so tief in Gedanken zu sehen? Gott im Himmel, sag' ich zu -mir selbst, was mag ihn so beschäftigen? Am Ende gar quält er sich -meinetwegen. ... Mag er mir auch noch so sehr zürnen, er verstellt sich -ja doch nur: ich weiß, daß er mich liebhat ...« - -Der Diakon wandte das Gesicht ab, schlug mit der rechten Faust gegen -die linke Handfläche und brummte: - -»Na, warte, du Hostienbäckerlümmel, das geht dir nicht so durch! Ich -will in Wahrheit Kain und nicht der Diakon Achilla sein, wenn ich -diesen Lehrer Warnawka nicht vor aller Augen zum Krüppel schlage!« - -Aus dieser Drohung allein kann der Leser schon ersehen, daß einem -gewissen, hier erwähnten Lehrer Warnawa Prepotenskij seitens des -Diakons Achilla eine ernste Gefahr drohte, und diese Gefahr rückte -immer näher und drohender heran, je stärker und quälender Achillas -Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese wurde, die Sehnsucht nach dem -eingebüßten Wohlwollen des Vaters Sawelij. Und endlich schlug die -Stunde, da Warnawa Prepotenskij seinen Lohn aus der Hand Achillas -empfangen sollte, das Ereignis, mit dem das große Stargoroder Drama -beginnt, welches den Inhalt dieser Chronik bilden soll. - -Um den Leser in das Verständnis dieses Dramas einzuführen, lassen -wir vorderhand alle Schleichwege beiseite, auf denen Achilla, gleich -einem amerikanischen Pfadfinder, seinem Feinde, dem Lehrer Warnawka, -nachspürt. Versenken wir uns lieber in die Tiefen der inneren Welt -der dramatischsten Person unserer Geschichte und treten in jene Welt, -die bisher noch allen, welche sie aus der Nähe oder aus der Ferne -betrachteten, unbekannt und unsichtbar geblieben ist: in das reinliche -Häuschen des Vaters Tuberozow. Vielleicht, wenn wir im Innern dieses -Hauses stehen, finden wir ein Mittel, auch in die Seele seines Herrn -zu schauen, wie man in einen gläsernen Bienenstock schaut, wo die -Biene ihre wundersame Wabe baut, aus Wachs, das vor dem Antlitz Gottes -leuchten, und aus Honig, der den Menschen erfreuen soll. Aber seien -wir vorsichtig und rücksichtsvoll: ziehen wir leichte Sandalen an, auf -daß unserer Schritte Schall den sinnenden und betrübten Propst nicht -störe. Setzen wir die Tarnkappe aus dem Märchen aufs Haupt, damit -unser neugierig Antlitz den ernsten Blick des würdigen Greises nicht -verwirre, und lauschen wir mit offenem Ohr auf alles, was wir von ihm -zu hören bekommen. - - - - -Viertes Kapitel. - - -Der Sommerabend hat sich über Stargorod herabgesenkt. Längst ist -die Sonne untergegangen. Die Anhöhe, auf der sich die spitze Kuppel -des Domes erhebt, liegt in bleiches Mondlicht getaucht, das stille, -flache Ufer drüben versinkt in warmer Finsternis. Über die schwimmende -Brücke, welche beide Stadtteile miteinander verbindet, bewegen sich -ab und zu einsame Gestalten. Sie haben es eilig; denn die Nacht im -stillen Städtchen treibt sie früh in ihre Nester und an ihre Herdfeuer. -Schellenklingelnd fährt ein Postwagen über die Brückenbohlen, wie -über Klaviertasten; dann ist alles wieder totenstill. Von den Wäldern -draußen weht eine wohltuende Kühle herüber. Blau schimmert auf der von -zwei Armen der Turitza gebildeten Insel das Gemüsefeld des uralten -schiefnäsigen Sonderlings Konstantin Pizonskij, welcher von allen -»Onkel Kotin« genannt wird. - -»Molwoscha! Wo bist du, Molwoscha?!« schallt es von der Insel herüber. - -Der Alte ruft den muntern Buben, seinen Pflegesohn, und so deutlich ist -dieser Ruf im Hause des Propstes zu hören, daß man glauben möchte, es -riefe jemand dicht unter dem Fenster, an welchem die Pröpstin sitzt. -Von demselben Gemüsefeld schallt ein lautes Kinderlachen herüber, man -hört das Wasser plätschern, nackte Kinderfüßchen laufen klatschend -über die Brückenbohlen, und hellauf bellt ein spielender Hund. Alles -das scheint so nah, daß die Mutter Pröpstin von ihrem Platz am Fenster -aufspringt und die Arme nach vorn ausstreckt. Sie meint, das laufende -und lachende Kind müsse ihr gleich in den Schoß fallen. Aber als sie -sich umschaut, erkennt sie die Täuschung. Sie tritt vom Fenster in das -Innere des Zimmers zurück, zündet eine der auf der Kommode stehenden -Kerzen an und ruft ein kleines, etwa zwölfjähriges Mädchen zu sich -heran. - -»Weißt du nicht, Feklinka, wo unser Vater Propst ist?« fragt sie. - -»Er spielt Dame beim Polizeichef, Mütterchen.« - -»Ah so, beim Polizeichef. Schon recht. Wir wollen ihm das Bett machen, -Feklinka, damit alles fertig ist, wenn er heimkommt.« - -Feklinka bringt aus dem Nebenzimmer zwei Kissen in die Wohnstube, ein -Bettuch und eine gelbe wollene Steppdecke; die Pröpstin einen weißen -Pikee-Schlafrock und ein großes rotseidenes Tuch. Das Bett wird dem -Propst auf dem großen, ziemlich harten Sofa aus Masernbirkenholz -gemacht. Zu Häupten wird die Decke zurückgeschlagen; der weiße -Schlafrock über einen Lehnstuhl zu Füßen des Bettes ausgebreitet, und -auf den Schlafrock das Seidentuch gelegt. Sowie alles gemacht ist, -schiebt die Pröpstin mit Feklinka einen ovalen Tisch auf massivem Fuße, -ebenfalls aus Masernholz, neben das Kopfende des Bettes, und stellt -eine Kerze, ein Glas Wasser, ein Tellerchen mit gestoßenem Zucker und -eine Glocke darauf. Alle diese Vorbereitungen und die Genauigkeit, -mit der sie vorgenommen werden, zeugen von der großen Aufmerksamkeit, -mit der die Pröpstin allen Gewohnheiten ihres Gatten entgegenkommt. -Erst als sie alles gewohnheitsmäßig geordnet hat, beruhigt sie sich -wieder, löscht die Kerze aus und setzt sich an ihr einsames Fenster, -um auf den Gatten zu warten. Wer sie hätte sehen können, würde eine -gewisse Unruhe in dieser Erwartung bemerkt haben, welche ihre guten -Gründe hatte: Tuberozow, der seit langem schon unfroh schien, war -heute den ganzen Tag mürrisch gewesen und das beunruhigte seine treue -Gefährtin. Er war auch sehr müde, denn er hatte heute auf die Felder -der Vorstadtbewohner hinausgemußt, um einen Bittgottesdienst anläßlich -der andauernden Trockenheit abzuhalten. Nach dem Essen hatte er sich -etwas niedergelegt und war dann spazierengegangen. Später hatte er den -Polizeichef aufgesucht, und war bei ihm sitzen geblieben. Die kleine -Pröpstin wartete erst eine halbe Stunde und dann noch eine ganze, aber -er kam nicht. Tiefe Stille herrschte überall. Plötzlich klingt es von -der Hügelseite herüber wie Gesang. Die Pröpstin horcht auf. Es ist der -Diakon Achilla; sie kennt diese angenehme tiefe Stimme gut. Er steigt -den Batawin-Berg herab und singt: - - Es ruht die Welt im Frieden - Der lauen Frühlingsnacht, - Längst haben alle Müden - Die Augen zugemacht. - -Der Diakon ist unten angekommen, geht über die Brücke und singt weiter: - - Da klopft mit seinem Stecken - Cupido an mein Tor, - Und ich in jähem Schrecken - Fahr' aus dem Traum empor. - -Die Pröpstin hört dem Gesang des Achilla mit Vergnügen zu. Sie hat -den Mann gern, weil er ihren Gatten so liebt, und sie mag auch seinen -Gesang. In Träumerei versinkend merkt sie gar nicht, wie der Diakon -die Brücke hinter sich läßt und immer näher und näher kommt. Als er -endlich dicht vor ihrem Fensterlein steht, donnert er plötzlich mit -schauerlichem Pathos: - - Wer -- frag ich -- ist der Kühne, - Der da zu klopfen wagt? - -Die aus ihren Träumen aufgeschreckte Pröpstin schreit leise auf und -eilt in das Innere des Zimmers zurück. - -Als der Diakon ihren Schreckensruf hört, unterbricht er sofort seinen -Gesang. - -»Ihr schlaft noch nicht, Natalia Nikolajewna?« fragt er, packt dabei -mit beiden Händen das Fensterbrett und schwingt sich auf das Gesimse. - -»Wir haben Frieden!« ruft er. - -»Was?« fragt die Pröpstin. - -»Friede,« antwortet der Diakon, »Friede.« - -Achilla fährt mit der Hand durch die Luft und fügt hinzu: - -»Der Vater Propst ... hat ein Ende gemacht.« - -»Was redest du da. Was für ein Ende?« fragt die Pröpstin erregt. - -»Schluß! ... Der Streit mit mir hat ein Ende! ... Von nun an herrscht -Frieden und Wohlgefallen. Den wievielten haben wir heute? Den vierten -Juni. Notiert's Euch: ›am vierten Juni Frieden und Wohlgefallen‹. Denn -Friede soll mit allen sein. Der Lehrer Warnawka kriegt's jetzt aber zu -spüren.« - -»Was hast du? Nach Branntwein riechst du nicht und schwindelst doch.« - -»Ich schwindeln! Ihr sollt bald sehen, wie ich schwindle! Heut ist der -vierte Juni, der Tag des heiligen Methodius von Pesnosch, -- notiert -Euch das auch, denn mit diesem Tage geht es los.« - -Der Diakon richtet sich auf den Ellenbogen noch höher auf und flüstert, -sich fast bis zum Gürtel ins Fenster hineinschiebend: - -»Ihr wißt wohl gar nicht, was der Lehrer Warnawka getan hat?« - -»Nein, Freundchen, ich habe nichts gehört. Was hat der Tunichtgut denn -getan?« - -»Etwas Entsetzliches! Er hat einen Menschen im Topf gekocht.« - -»Diakon, du lügst!« ruft die Pröpstin. - -»Nein, er hat ihn gekocht!« - -»Ganz gewiß, du lügst! Ein Mensch hat doch in einem Kochtopf nicht -Platz.« - -»Er hat ihn im Aschenkasten gekocht,« fuhr der Diakon unbekümmert fort, -»und obgleich ihm diese greuliche Tat vom Polizeichef und vom Arzt -gestattet war, wird er doch dafür meinen Händen ausgeliefert.« - -»Diakon, du lügst. Das sind alles Lügen.« - -»Nein, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, nicht eine Silbe ist -gelogen,« erwiderte der Diakon mit heftigem Kopfschütteln und die Worte -wirbelten noch schneller von seinen Lippen. »Warnawka hat tatsächlich -einen Menschen mit Genehmigung der Obrigkeit, das heißt: des Arztes -und des Polizeichefs, gekocht. Es war eine Wasserleiche. Aber dieser -Gekochte quält jetzt ihn und seine Mutter, die Frau Hostienbäckerin, -aufs grausamste, und ich habe das alles in Erfahrung gebracht und -beim Polizeichef dem Vater Propst erzählt, und der Vater Propst hat -dem Herrn Polizeichef dafür ein tüchtiges -- ~coppe vachée~ heißt's -auf französisch -- gemacht. Der Polizeichef hat gesagt: ›Ich will -- -sagt er -- Soldaten holen und der Sache ein Ende machen.‹ Ich aber -fügte dazu: ›Hol du nur deine Soldaten, ich bin selber Soldat!‹ Und -von morgen ab, Euer Hochwürden, ehrenwerteste Frau Pröpstin Natalia -Nikolajewna, werdet Ihr sehen, wie der Diakon Achilla den Lehrer -Warnawka strafen wird, ihn, den Gotteslästerer, der die Lebenden irre -macht und die Toten martert. Jawohl, heute ist der vierte Juni, der -Gedächtnistag des heiligen Methodius von Pesnosch! Ihr solltet Euch das -notieren ...« - -Hier wurde der Redestrom des Diakons Achilla plötzlich unterbrochen, -denn aus der Ferne vom Hügel ließ sich ein Husten vernehmen, das nur -vom Vater Propst kommen konnte. - -»Halloh! Da kommt der Propst Sawelij!« ruft Achilla, springt vom Gesims -auf die Erde und geht seines Weges. - -Die Pröpstin erhebt sich, zündet zwei Kerzen an und blickt bei ihrem -Scheine den eintretenden Gatten scharf an. Der Propst küßt die Frau -leise auf die Stirn, nimmt die Kutte ab, zieht den weißen Schlafrock -über, bindet das rote Seidentuch um den Hals und setzt sich ans -Fenster. Die Pröpstin hat alles vergessen, was ihr eben noch der Diakon -vorgeredet, und fragt den Gatten gar nicht danach. Sie geleitet ihn -in das kleine längliche Nebenzimmer, das ihr als Schlafzimmer dient -und wo sie jetzt den Abendimbiß für den Vater Sawelij bereitgestellt -hat. Vater Sawelij setzt sich an den kleinen Tisch, verzehrt die zwei -weichgekochten Eier, spricht sein Dankgebet und wendet sich dann seiner -Frau zu, um ihr Gute Nacht zu sagen. Die Pröpstin selbst ißt abends -nie etwas. Sie sitzt ihrem Gatten gegenüber und leistet ihm allerhand -kleine Dienste, indem sie ihm bald etwas reicht, bald etwas fortträgt. -Dann erheben sich beide, beten vor dem Heiligenbild und beginnen -unmittelbar darauf, sich gegenseitig zu bekreuzigen. Diesen Abendsegen -erteilen sie einander immer zu gleicher Zeit und mit solcher -Gewandtheit und Geschwindigkeit, daß man sich nur wundern kann, wie -ihre hin- und herwirbelnden Hände kein einziges Mal gegeneinander -stoßen oder aneinander hängen bleiben. - -Hierauf wechseln die Gatten den Abschiedskuß, wobei der Propst seiner -kleinen Frau die Stirne, sie ihm aber das Herz küßt. Dann trennen sie -sich. Der Propst geht in sein Wohnzimmer, um sich niederzulegen. - -Aber heute konnte der Alte keine Ruhe finden. Schon war eine Stunde -vergangen, und immer noch ging er auf und ab in seinem weißen -Pikeeschlafrock, mit dem roten Seidentuch um den Hals. Endlich trat -er an einen kleinen roten Schrank, der auf einer hohen Kommode mit -abgezogener Platte stand. Aus diesem Schränkchen nahm er ein in dicken -blauen Demi-Coton mit gelbem Juchtenrücken gebundenes Exemplar des -»Kalenders« des Eugenios, legte das Buch auf den ovalen Tisch, der vor -seinem Bette stand, zündete zwei Sparkerzen an und horchte auf: es -schien, als ob seine Frau noch nicht schliefe. So war es auch. - -»Willst du noch lesen?« fragte in diesem Augenblick aus dem Nebenzimmer -die sanfte, besorgte Stimme der Pröpstin. - -»Ja, liebe Natascha, ich will noch ein wenig lesen,« antwortete Vater -Tuberozow. »Du aber tu mir den Gefallen und schlafe --« - -»Gewiß werde ich schlafen, gewiß, mein Lieber,« erwiderte die Pröpstin. - -»Ja, ich bitte dich, schlafe.« ... Und mit diesen Worten setzte der -Propst eine große silberne Brille auf seine stolze römische Nase und -begann langsam in seinem blauen Buch zu blättern. Er las nicht, sondern -blätterte nur, und dabei interessierte ihn nicht das, was in dem Buch -gedruckt stand, sondern die von seiner eigenen Hand beschriebenen -Einschaltblätter. Diese Notizen waren zu verschiedenen Zeiten gemacht -und weckten in dem alten Priester eine ganze Welt von Erinnerungen, zu -denen er hin und wieder gern zurückkehrte. - -Da wir nun zwischen den Propst Sawelij und seine Vergangenheit geraten -sind, wollen wir auch still und ehrfürchtig dem leisen Flüstern der -Greisenlippen lauschen, das durch die dumpfe Stille der Mitternacht -dringt. - - - - -Fünftes Kapitel. - -Das Demi-Cotonbuch des Propstes Tuberozow. - - -Tuberozow betrachtete seinen Kalender von dem ersten Einschaltblatte -an, auf dem zu lesen stand: »Nachdem ich am 4. Februar 1831 durch den -Hochwürdigen Gawriil die Priesterweihe empfangen, erhielt ich von ihm -dieses Buch als Belohnung für meine guten wissenschaftlichen Leistungen -im Seminar und mein gutes Betragen.« Auf diese erste Notiz, die am -ersten Tage nach der Ordination gemacht war, folgte als zweite: »Zum -erstenmal im Dom gepredigt, nachdem der Bischof die Messe gehalten. -Zum Thema der Predigt hatte ich das Gleichnis von den Söhnen des -Weinbergsbesitzers genommen. Der eine sprach: ich gehe nicht, -- und -ging doch, der andere aber sprach: ich gehe, -- und ging nicht. Ich -bezog dieses auf die guten Handlungen und die guten Vorsätze, wobei -ich mir einige Anspielungen auf die Beamten erlaubte, die ihren -Diensteid ablegen und dann nicht einhalten. Dabei wies ich auch ganz -vorsichtig auf die Machthaber und Vorgesetzten hin. Ich sprach fließend -und weniger feierlich als natürlich. Seine Eminenz belobten diesen -meinen Versuch. Aber später riefen Seine Eminenz mich zu sich und -bemerkten nach einem allgemeinen Lobe meiner Rede im besonderen, daß -ich mich hüten solle, in meinen Predigten direkt auf die Wirklichkeit -hinzuweisen, vor allem aber die Herren Beamten aus dem Spiele lassen, -denn je weiter man sie sich vom Leibe halte, desto gottwohlgefälliger -sei das. Für das aber, was ich schon gesagt hatte, machte er mir keine -Vorwürfe, sondern schien es sogar zu billigen.« - -»1832 am 18. Dezember wurde ich zum Bischof gerufen und erhielt eine -Ernennung nach Stargorod, wo das Schisma sehr stark sein soll. Ich -erhielt die Weisung, ihm auf jede Art entgegenzuwirken.« - -»1833 am 8. Februar fuhr ich mit meiner Gattin aus dem Dorfe -Blagoduchowo nach Stargorod und gelangte am 12. zur Frühmesse daselbst -an. Unterwegs wären wir fast von Wölfen gefressen worden. In der -Gemeinde fand ich viel Unordnung vor. Die Altgläubigen sind im Besitz -großer Macht. Nachdem ich mich etwas umgeschaut hatte, sah ich, daß der -Kampf gegen das Schisma nach den konsistorialen Vorschriften wenig Wert -hat. Ich schrieb das ans Konsistorium und erhielt einen Verweis.« - -Der Propst überschlug ein paar Eintragungen und blieb dann wieder -bei der folgenden stehen: »Nachdem ich einen Verweis für Untätigkeit -erhalten, die man daraus zu ersehen meint, daß ich nicht mit -reichlichen Denunziationen aufwarte, suchte ich mich zu rechtfertigen, -indem ich darauf hinwies, daß die Schismatiker nichts anderes täten, -als was man schon längst von ihnen wisse, und fügte diesem Bericht -noch hinzu, daß vor allem der orthodoxe Klerus in äußerster Armut -lebe, und infolgedessen, in Anbetracht der Schwäche der menschlichen -Natur, gegen Bestechung nicht unempfindlich sei und sogar selber der -Ketzerei Vorschub leiste, gleich anderen Verteidigern der Orthodoxie, -indem er Spenden von den Ketzern annehme. Ich schloß damit, daß man -mit der Befreiung der Geistlichkeit aus ihrer schweren Abhängigkeit -beginnen müsse, wenn man die Schäden der Kirche heilen wolle. Für -selbigen Versuch erhielt ich abermals einen Verweis und wurde zu einer -persönlichen Aussprache zitiert, bei der ich ein »unehrerbietiger Ham« -genannt wurde, der »die Blöße seines Vaters aufdeckt«.« - -Etwas weiter, nach einigen anderen Notizen, stand zu lesen: »Ich war -in Geschäften in der Gouvernementsstadt, und als ich mich dem Bischof -vorstellte, berichtete ich ihm persönlich von der Armut des Klerus. -Seine Eminenz zeigten sich sehr gerührt, aber sie bemerkten, daß auch -unser Herr selber nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen sollte, und -doch nicht müde ward zu lehren. Er riet mir, ich solle den Klerikern -das Buch ›Von der Nachfolge Christi‹ zur Lektüre empfehlen. Darauf -erwiderte ich Seiner Eminenz nichts, und es wäre auch unnütz gewesen, -denn bei unserer Armut können wir dieses Buch gar nicht beschaffen. - -Höchst politisch brachte ich bei der Abendtafel beim Vater Schließer -von der Domkirche das Gespräch nochmals auf diesen Gegenstand. An -der Tafel nahmen noch der Vater Propst und der Konsistorialsekretär -teil. Aber sie zogen meine Worte ins Scherzhafte. Der Sekretär sagte -spöttisch, daß der Arme leichter ins Himmelreich komme, -- was wir auch -ohne Seine Wohlgeboren schon wußten, der Vater Schließer aber erzählte -bei dieser Gelegenheit eine nicht üble Anekdote von einem Studenten -der Akademie, der später ein berühmter Gottesmann und Prediger wurde. -Dieser hätte nämlich noch als Laie auf die Frage des Bischofs, ob er -irgend Vermögen besitze, geantwortet: - -»Freilich besitze ich welches, Eminenz.« - -»Bewegliches oder unbewegliches?« fragte dieser, worauf jener erwiderte: - -»Sowohl bewegliches, wie unbewegliches.« - -»Was besitzest du denn an beweglichem Gut?« fragte abermals der -Bischof, indem er des Jünglings ärmliches Gewand betrachtete. - -»An beweglichem Gut besitze ich ein Haus im Dorf,« antwortete der -Befragte. - -»Wie kann denn ein Haus als bewegliches Gut gelten? Bedenke, wie dumm -deine Antwort ist.« - -Jener aber, nicht im geringsten verlegen, entgegnete, seine Antwort -wäre ganz richtig, denn sein Haus sei solcher Art, daß, sobald der Wind -es anblase, es in heftige Bewegung gerate. - -Dem Bischof erschien diese Antwort so eigenartig, daß er den Studiosus -nicht mehr für einen Dummkopf zu halten vermochte, sondern höchst -interessiert weiterfragte: - -»Was nennst du denn dein unbewegliches Gut?« - -»Mein unbewegliches Gut,« sprach der Student, »ist meine Mutter, die -Küstersfrau, und unsere braune Kuh, die beide ihre Füße nicht bewegen -konnten, als ich die Heimat verließ, die Mutter vor Altersschwäche, die -Kuh wegen Futtermangels.« - -Alle lachten sehr darüber, obgleich ich an der Geschichte mehr -Trauriges und Tragisches fand als Komisches. Ich beginne, bei allen -eine große Lachlust und einen Leichtsinn zu bemerken, wovon ich wenig -Gutes erwarte. - -Mein Leben geht in Schlafen und Essen dahin. Das Schisma kann ich auf -keine Weise bekämpfen, denn ich bin in allem gebunden, sowohl durch -meinen halbverhungerten Klerus, als durch den allzu satten Polizeichef. -Es empört mich, daß ich gleichsam zum Spott als Missionar hierher -gesandt bin. Ich soll predigen -- und keiner will mich hören; ich -soll lehren -- und keiner will lernen. Der Polizeichef predigt viel -besser als ich, denn er hat so ein gewisses Missionsinstrument mit -zwei Enden, -- von mir aber verlangt man Denunziationen. Eminenz! Was -sollen diese Denunziationen, was soll in sie eingewickelt werden? -Mir verbietet, soweit ich die Sache verstehe, mein Amt, dergleichen -zu schreiben. Lieber will ich, wenn es nötig ist, reines Papier -hergeben ...« - -»Heute morgen, am 18. März 1836, deutete meine Pfarrerin Natalia -Nikolajewna an, daß sie sich gesegneten Leibes fühle. O Herr, schenke -uns diese Freude! Zu erwarten Ende November.« - -»Am 9. Mai, dem Tage des heiligen Nikolaus, wurde auf obrigkeitlichen -Befehl die altgläubige Kapelle in Dejewo zerstört. Es war ein -schauerliches, unwürdiges und wahrhaft empörendes Schauspiel. Zu -allem andern riß noch das Eisenkreuz von der Kuppel ab und blieb an -den Ketten hängen. Als die Zerstörer mit ihren Feuerhaken es voller -Erbitterung ganz herabzuzerren sich bemühten, stürzte es plötzlich -herunter und zerschmetterte einem Feuerwehrsoldaten den Schädel, daß er -tot liegen blieb. Er war ein Jude. O wie weh tat es mir, das alles mit -ansehen zu müssen! Herr, mein Gott! Sie sollten doch wenigstens keine -Juden beauftragen, das Kreuz herabzureißen! Abends versammelte sich das -Volk auf der Trümmerstätte und ihre und unsere Geistlichkeit kam auch -hin, und alle haben wir geweint und zuletzt fielen wir uns in die Arme.« - -»10. Mai. Die Obrigkeit hat einen großen Fehler begangen. Kurz vor -Mitternacht verbreitete sich das Gerücht, das Volk habe eine heilige -Lampe auf die Steine gestellt und halte eine Gebetsversammlung beim -zerstörten Gotteshaus ab. Wir gingen alle hinaus und fanden die Leute -wirklich beim Gebet. Ein alter Mann hielt die Lampe in der Hand und sie -erlosch nicht. Der Stadthauptmann gab leise Befehl, die Feuerspritzen -heranzufahren und die Menge mit Wasser zu begießen. Das war höchst -unbedacht, ich kann sogar sagen: dumm -- denn das Volk zündete Kerzen -an und ging heim. Dabei sang es vom »grausamen Pharao« und rief: -»Der Herr hilft dem verfolgten Glauben und der Wind verlöscht die -Lichter nicht!« Ich machte den Stadthauptmann darauf aufmerksam, wie -unvorsichtig seine Verordnung gewesen, die Kapelle zu zerstören, das -Kreuz herabzureißen und das Marienbild fortzuschaffen. Aber was kümmert -er sich drum?« - -»12. Mai. Die Eitelkeit hat mich übermannt: ich habe mir von der -Wirtschafterin der Frau Adelsmarschall zwei seidene Kleider der -Gnädigen auf Kredit geben lassen und habe sie in die Stadt zum -Färben geschickt. Daraus will ich mir dann eine seidene Kutte machen -lassen. Es geht nicht anders, man muß sich akkurat kleiden. Ich komme -allmählich in alle adeligen Häuser, und ich will nicht über die Achsel -angesehen werden.« - -»17. Mai. Die Pfarrerin Natalia Nikolajewna deutete heute an, daß sie -sich betreffs ihres Zustandes getäuscht habe.« - -»20. Juni. Auf einen Bericht des Stadthauptmanns, daß ich zu Ostern -nicht auch in die Häuser der Altgläubigen mit dem Kreuze gegangen, -wurde ich wieder nach der Gouvernementsstadt zitiert. Ich legte die -ganze Sache dem Bischof eingehend dar. Nicht aus Fahrlässigkeit hätte -ich die Häuser der Altgläubigen gemieden, denn auch meine Tasche hätte -ja davon Schaden gehabt. Ich tat es, um die Schismatiker fühlen zu -lassen, daß ihnen die Ehre nicht gebühre, von mir und dem gesamten -Klerus besucht zu werden. Der Bischof wurde nachdenklich und ließ -sodann diese meine Erklärung gelten. Allein nicht umsonst sagt das -Volk, daß, wenn der Zar auch gnädig sei, sein Hundejunge es noch nicht -zu sein brauche. Weil die Sache meiner unterlassenen Amtshandlung zum -Teil auch die weltliche Obrigkeit angeht, schickte der Bischof mich -zum Gouverneur, damit ich ihm eine Erklärung in der hochwichtigen -Angelegenheit abgebe ... War das eine Erklärung! ... Wehe mir armen -Sünder, was ich auszustehen hatte! Wehe auch euch, ihr meine Nächsten, -meine Brüder, Vertrauten und Freunde, ob der Schmach und Erniedrigung, -die ich von diesem kurzschwänzigen Glaubensfeind erdulden mußte! Der -Gouverneur, der als Deutscher die Ambitionen seines Luther hochhalten -zu müssen wähnt, ließ den russischen Popen überhaupt nicht zu sich -heran, sondern schickte mich zur Erörterung der Angelegenheit zu seinem -Kanzleivorsteher. Dieser, ein Pole, war aber nicht geneigt, die Sache -wie der Bischof anzusehen, sondern er fiel über mich her mit Geschrei -und Gebrüll, sagte, ich leiste den Ketzern Vorschub und widersetze -mich dem Willen meines Kaisers. Wehe dir, du aussätziger Pole, daß du -mit deinem löcherigen Gewissen dich unterstehst, mir Widersetzlichkeit -gegen meinen Kaiser vorzuwerfen! Allein ich nahm es hin und ging -schweigend von dannen, des Sprichwortes gedenkend: Wie der Herr, so's -Gescherr. Und so gewinnt es den Anschein, als wäre alles Geschilderte -nur geschehen, um meine neue seidene Kutte einzuweihen, welche, wie ich -hier bemerken will, sehr akkurat gefertigt ist, und der man es nur bei -Sonnenschein ein wenig ansieht, daß sie aus zwei verschiedenen Stoffen -gefertigt ist.« - -»23. März 1837. Heute, am Karsamstag, kamen die Kleriker und der Diakon -zu mir. Prochor bittet, wir sollten zu Ostern durchaus auch in die -Häuser der Altgläubigen mit dem Kreuz gehen, denn es brächte ihnen zu -viel Schaden, wenn wir es unterließen. Ich gab ihnen vierzig Rubel -von meinem Gelde, weil ich mich der Schmach nicht unterziehen wollte, -vor den Türen der reichen Bauern um Almosen zu bitten. Jetzt scheint -es mir eine Torheit, daß ich mir die seidene Kutte machen ließ; ich -wäre auch ohne sie ausgekommen und hätte dann mehr für den Klerus -übriggehabt. Ich gedachte eben: Kleider machen Leute.« - -»24. April. Eine Schmach ist mir widerfahren, die mich weinen und -schluchzen ließ. Ich bin erneut denunziert worden. Nochmals stand -ich vor jenem Gouvernementskanzleivorsteher und mußte mich wegen -Nichtbesuches der Altgläubigen verantworten. Mein eigener Klerus hat -mich denunziert. Wie ertrag' ich diese Niedrigkeit und Undankbarkeit! -Du Denker und Administrator! Betrachte in deinem aufgeklärten Geiste, -woraus das Leben eines russischen Popen sich zusammensetzt! Auf dem -Heimwege haderte ich die ganze Zeit mit mir selber, daß ich nicht auf -die Akademie gegangen war. Von dort wäre ich zur Klostergeistlichkeit -gegangen, wie so viele andere. Mit der Zeit wäre ich Archimandrit -geworden und Bischof. In einer Kutsche wäre ich gefahren und hätte -selber kommandiert, statt daß man mich kommandierte. Es war mir eine -boshafte Freude, mich diesen eiteln Gedanken hinzugeben; immer wieder -sah ich mich als Bischof. Aber als ich heimgekehrt war, wurde ich so -zärtlich von meiner Pfarrerin empfangen, daß ich Gott dem Herrn dankte, -der alles so gefügt hat, wie es ist.« - -»25. April. In der Gouvernementsstadt haben sie mir Schmach angetan; -allein das ist nichts dagegen, wie ich heute zu Hause beschämt worden -bin. Einem Schulbuben gleich. Gestern erst schrieb ich die Memorabilien -meiner Bekümmernisse und Ärgernisse nieder. Heute stand ich früh -auf, setzte mich ans Fenster, und in Gedanken versunken schaute ich -auf das Gemüsefeld des bettelarmen Pizonskij, das sich gerade vor -meinem Fenster ausbreitet. Voriges Jahr wurde auf diesem Felde ein -schwachsinniges Mädchen, eine gewisse Nastia, die ein vorüberziehender -Soldat verführt hatte, von einem Knäblein entbunden, worauf sie sich -in den Fluß stürzte und ertrank. Pizonskij hatte dieses Kind als -Trost seines einsamen Alters zu sich genommen, und dann hatten alle -die Geschichte bald vergessen. Ich als einer der ersten ebenfalls. -Heut aber blicke ich von oben herab auf das Land dieses Pizonskij und -denke an meine Angelegenheiten, da bemerke ich, daß dieser frisch -aufgerissene, schwarze, sogar ein wenig bläuliche Erdboden ganz -ungemein lieblich anzuschauen ist, wie er so von der Morgensonne -übergossen daliegt. Die Furchen entlang schreiten hagere schwarze -Vögel und stärken ihren hungernden Leib mit frischem Gewürm. Der alte -Pizonskij selbst, den kahlen Kopf im hellsten Sonnenlicht badend, stand -auf einer Treppe vor einem auf Pfählen befestigten Treibbeet, hielt -in der einen Hand eine Schale mit Samen und legte mit der andern die -Körner in die Erde, immer kreuzweise in ganz kleinen Prisen. Und dabei -blickte er zum Himmel empor und sprach bei jedem Korn ein Wort des -Spruches: »Herr, laß wohlgelingen, wachsen und gedeihen, auf daß ein -jeder sein Teil habe, der Hungernde und der Verwaiste, der Wünschende, -der Bittende und der Fordernde, der Segnende und der Undankbare.« Kaum -hatte er zu Ende gesprochen, da schrien alle schwarzglänzenden Vögel, -die auf dem Acker umhergingen, die Hühner gackerten, der Hahn krähte -aus vollem Halse und schlug laut mit den Flügeln, und von seiner Matte -schob sich jenes Kind, das Söhnlein der Blödsinnigen, das der alte -Sonderling zu sich genommen. Es lachte hell auf in kindischer Freude, -klatschte in die Händchen und kroch lachend über den weichen Erdboden. -Es war mir wie eine Vision. Der alte Pizonskij war glückselig und sang -laut Halleluja! ... Halleluja, Herr mein Gott! -- sang auch ich still -für mich vor Entzücken, und Tränen der Rührung entströmten meinen -Augen. In diesen heilenden Tränen löste sich mein Groll und ich sah -ein, wie töricht mein Kummer gewesen war. Vermehre und laß wachsen, -Herr, deine Gaben auf dieser Erde, daß ein jeder sein Teil erhalte, der -Wünschende, der Bittende, der Fordernde und der Undankbare. ... Mir ist -ein solches Gebet in keinem gedruckten Buch vorgekommen. Gott, mein -Gott! Dieser alte Mann gedachte auch des dem Diebe zukommenden Teiles -und betete für ihn! O du mein weichherziges Rußland, wie bist du schön!« - -»6. August, Christi Verklärung. Was für ein entzückendes Weib ist meine -Pfarrerin Natalia Nikolajewna! Wieder frage ich: wo, außer im heiligen -Rußland, kann es solche Frauen geben? Ich sagte ihr einmal, wie mich -die Zärtlichkeit des bettelarmen Pizonskij zu den Kindern rühre, und -gleich verstand oder erriet sie meine Gedanken und meine Sehnsucht: -sie umarmte mich und mit der Schamröte, die ihr so schön zu Gesichte -steht, sprach sie: »Warte nur, Vater Sawelij, vielleicht schenkt uns -Gott doch noch -- --« ein Kindlein wollte sie sagen. Aber ich hab' es -zu oft schon erfahren, daß diese ihre Hoffnungen sich als trügerisch -erwiesen, daher fragte ich sie gar nicht nach den Einzelheiten, -- -- -und es kam auch wirklich wieder so, daß man sich nur vergeblich gefreut -hatte. Aber auch aus diesem blinden Lärm ward mir ein rührendes -Erlebnis. Heute predigte ich von der Notwendigkeit einer beständigen -inneren Wandlung, daß man Kraft gewinne, in allen Kämpfen gleich einem -starken und geschmeidigen Metall geschmiedet zu werden, und nicht dem -Ton gleichwerde, der sich plattdrücken läßt, und wenn er trocken wird, -noch die Spur des Fußes zeigt, der zuletzt auf ihn trat. Und wie ich -so redete, ließ ich mich zu einer Improvisation hinreißen und wies -das Volk auf Pizonskij hin, welcher an der Tür stand. Zwar nannte -ich nicht seinen Namen, aber ich redete von ihm als von einem, der -sich in unserer Mitte befinde, der zu uns gekommen sei nackt und bloß -und von allen Narren ob seiner Armut verspottet, der aber doch nicht -nur selbst nicht zugrunde gegangen sei, sondern auch das Größte getan -habe, was ein Mensch tun könne, da er unbefiederte Vöglein gerettet und -aufgezogen habe. Ich sprach davon, wie süß das sei, den wehrlosen Leib -der Kleinen zu wärmen und in ihre Seelen die Saat des Guten zu streuen. -Als ich das ausgesprochen hatte, fühlte ich meine Wimpern von Tränen -feucht und sah, daß auch viele von den Zuhörern ihre Augen trockneten -und jenen suchten, den meine Seele meinte, Kotin den Bettler, Kotin -den Ernährer der Waisen. Und als ich merkte, daß er nicht mehr da war, -denn er war demütig hinausgegangen, weil er meine Andeutung verstanden -hatte, da ergriff mich eine gewisse Beklemmung, daß ich ihn durch mein -Lob verwirrt hatte, und ich sprach: »Er weilt nicht mehr unter uns, -liebe Brüder! Denn er bedarf dieses meines schwachen Wortes nicht, weil -das Wort der Liebe längst schon mit dem Flammenfinger Gottes in sein -demütiges Herz geschrieben ist. Ich bitte euch,« sprach ich und neigte -mich tief, -- -- »ihr alle, die ihr hier versammelt seid, ehrenwerte -und angesehene Mitbürger, vergebt mir, daß ich in meiner Ansprache euch -keinen hochberühmten Feldherrn als Muster der Kraft und als Beispiel -zur Nachahmung hingestellt habe, sondern einen von den Geringen, und -wenn euch das ärgern sollte, so legt das meiner Armut zur Last, denn -euer sündiger Pfarrer Sawelij hat oft, wenn er auf diesen Geringen -schaute, gefühlt, daß er neben ihm kein Priester des höchsten Gottes -sei, sondern in diesem Gewande, das meine Unwürde verhüllt, nichts als -ein übertünchter Sarg. Amen.« - -Ich weiß nicht, was in diesen meinen schlichten Worten, die ich ganz -~ex promptu~ gesprochen hatte, Weises und Schönes enthalten war. -Ich muß aber sagen, daß meine andächtige Gemeinde etwas dieser Art -herausgehört hatte, und als ich bei der Entlassung meine Hand den -einzelnen darreichte, fiel mehr denn eine Träne darauf. Doch das ist -noch nicht alles: das Wichtigste sollte für mich erst kommen. - -Gewissermaßen als Belohnung für mein aufrichtiges Wort über das -Glück, nicht bloß für die eigenen, sondern auch für fremde Kinder -sorgen zu können, hat der Allgegenwärtige und Allwaltende auch meine -Unwürdigkeit in seine Vaterhand genommen. Er hat mir heute den ganzen -wahren Wert des Schatzes offenbar gemacht, den ich dank seiner -unermeßlichen Milde besitze. Eben komme ich mit fünf nach der Messe -geweihten Äpfeln heim, da erwartet mich an der Schwelle eine alte -gute Bekannte: meine Pfarrerin Natalia Nikolajewna. Sie war während -des Schlußgesanges leise hinausgeschlichen und hatte mir daheim nach -Gewohnheit den Tee nebst einem leichten Frühstück bereitet. Nun steht -sie kerzengerade auf der Schwelle, nicht mit leeren Händen, sondern -mit einem Strauß von Wasserlilien und Gartenlevkojen. »Nun, bist du -nicht ein hinterlistiges Weib, Natalia Nikolajewna!« sage ich, der -ihr sonst nie Hinterlist vorgeworfen. Aber sie begriff, daß es im -Scherz gesagt war, umhalste mich und begann leise zu weinen. Woher -diese Tränen? -- Das ist ihr Geheimnis, allein für mich ist dieses -dein Geheimnis nicht geheimnisvoll, liebes Weib, daß du nicht weißt, -wie es seinen Gatten trösten soll, und das ihm den Trost Israels, -den kleinen Benjamin, nicht schenken darf. Ja, nur mit Wasserlilien -und Gartenlevkojen begrüßte mich an diesem Tage ihr in Liebe und -Wohlwollen weit aufgetanes Herz! In stiller Bekümmernis setzten wir -zwei Kinderlosen uns an den Teetisch, doch nicht der Tee, sondern -unsere Tränen wurden uns zum Trank; und Hand in Hand sanken wir nieder -vor dem Bilde des Heilandes und lange und heiß beteten wir zu ihm um -den Trost Israels. Natascha entdeckte mir später, daß sie gleichsam -eine Engelstimme vernommen habe, und ob ich gleich verstand, daß dieses -nur eine Frucht ihrer Phantasie gewesen, so wurden wir doch beide froh -wie die Kindlein. Ich muß aber bemerken, daß auch in dieser Stimmung -Natalia Nikolajewna mich, den rohen Mann, an Findigkeit des Geistes und -an Würde der erhabenen Gefühle weit übertraf. - -»Sage mir, Vater Sawelij,« fragte sie lieblich kosend, »sage mir, -Lieber, hast du nicht irgendeinmal, ehe du mich gefunden, gegen das -Gebot der Keuschheit gesündigt?« - -Eine solche Frage, muß ich gestehen, machte mich äußerst verlegen, denn -ich begriff plötzlich, warum meine unartige Gattin etwas ihr so wenig -Geziemendes erfahren wollte. - -Aber mit ihrer ganzen ausgezeichneten Bescheidenheit und all jener -weiblichen Koketterie, die sie auch als Pfarrersfrau von der Natur -geerbt hat, begann sie mich mit Erinnerungen aus meiner verflossenen -Jugendzeit zu locken, und wies darauf hin, daß das, was sie angedeutet, -sehr leicht hätte geschehen können, denn ich sei damals so schmuck -gewesen, daß alle Mädchen, nicht nur aus geistlichen, sondern auch -aus weltlichen Häusern, mir nachgeseufzt hätten, als ich in die -Stadt Fatesh gekommen sei, um bei ihrem Vater um sie anzuhalten. So -erheiternd das auch war, so suchte ich doch alle ihre Zweifel über -meine Jugend zu zerstreuen, was mir auch nicht schwer fiel, denn ich -brauchte nur die reine Wahrheit zu sagen. Allein je eifriger ich sie -beruhigte, desto betrübter ward sie, und ich konnte nicht fassen, -warum meine Rechtfertigung sie gar nicht erfreute, sondern nur immer -trauriger machte, bis sie endlich sagte: - -»Denke nach, Vater Sawelij, vielleicht, wenn du doch leichtsinnig -gewesen ... gibt es irgendwo noch ein Waisenkind ...« - -Nun erst verstand ich, was sie klar auszusprechen sich geschämt -hatte: sie will mein illegitimes Kind ausfindig machen, das gar nicht -vorhanden ist! Welche Herzensgüte! Wie ein Stier, den die Bremse -gestochen hat, riß ich mich von meinem Platze, stürzte nach dem -Fenster und richtete meine Blicke in die himmlische Ferne hinaus, -daß nur der Himmel mich sehe, mich, den sein Weib so durch seine -Güte und Sorglichkeit beschämt hatte. Sie aber, meine Lilien- und -Levkojenfreundin, meine weiße, keusche, süß duftende Rose, mit leichten -Schritten schlich sie mir nach und legte ihre kleinen Pfötchen mir auf -die Schultern und sprach: - -»Denke nach, Liebster: vielleicht ist irgendwo ein Vöglein vorhanden, -und ist es so, dann lasse uns gehen und es holen!« - -Nicht nur aufsuchen will sie das Kind, -- sie hat es schon lieb, -sie bemitleidet es wie ein noch unbefiedertes Vöglein! Das ward mir -zu viel, ich biß mich in den Bart, fiel vor ihr in die Knie, neigte -mich tief zur Erde und brach in jenes Schluchzen aus, das keiner auf -Erden zu schildern vermag. Und in Wahrheit, saget mir, alle Zeiten -und Völker, -- wo außer in unserem heiligen Rußland, werden Frauen -geboren, wie diese Tugend? Wer hat sie das alles gelehrt? Wenn nicht -Du, allgütiger Gott, der Du sie deinem unwürdigen Knecht gegeben hast, -daß er Deine Größe und Deine Güte näher fühlen solle!« - -Hier war im Tagebuch des Vaters Sawelij fast eine ganze Seite mit Tinte -begossen und unter dem Fleck standen die Zeilen: - -»Weder will ich diesen Fleck entfernen noch eine gewisse -Ungeschicklichkeit und Monotonie des Ausdrucks, die ich in den letzten -Zeilen finde, verbessern; mag alles so bleiben, denn alles, was dieser -Augenblick mir geschenkt hat, ist mir in seiner gegenwärtigen Gestalt -teuer. Meine Pfarrerin konnte heut von ihren Schelmereien nicht lassen, -obgleich es schon auf Mitternacht geht und sie gewöhnlich um diese Zeit -schon zu schlafen pflegt. Ich aber ziehe es vor, mich in der Stille -der Nacht noch an einem passenden Buch zu erquicken, oder auch meine -Memorabilien aufzuzeichnen, und oft, wenn ich etwas geschrieben habe, -trete ich an ihr Lager und küsse die Schlafende, und wenn mich etwas -betrübt hat, so schöpfe ich aus diesem Kusse neuen Mut und neue Kraft, -und schlummere dann friedlich ein. Heut aber ist es anders gegangen. -Nach diesem Tage, der mir eine solche Menge verschiedenartigster -Empfindungen gebracht hat, war ich so in die Schilderung alles dessen, -was auf den vorhergehenden Blättern geschrieben steht, vertieft, daß -ich mein arges Weiblein gleichsam in meiner Seele selbst fühlte, und da -meine Seele sie küßte, dachte ich nicht daran, an ihr Bett zu treten -und sie zu küssen. Sie aber, die Feine und Arglistige, hatte diese -meine Unterlassung wohl bemerkt und machte sie in unglaublich eigener -Weise gut: vor einer Stunde kam sie zu mir, legte mir ein reines -Schnupftuch auf den Tisch, gab mir einen Kuß und ging dann, scheinbar -ganz ernst, zur Ruhe. Aber welch unfaßbare weibliche Schlauheit muß -ich an ihr entdecken! Wie ich so ganz ernst dasitze und schreibe, sehe -ich, daß mein Tuch sich scheinbar bewegt und auf den Boden fällt. Ich -bückte mich, legte es wieder auf den Tisch und schrieb weiter; aber das -Tuch fiel wieder auf den Boden. Ich nahm den Flüchtling und fesselte -ihn, indem ich das Tintenfaß auf ihn stellte, aber er entwich von neuem -und riß sogar das Tintenfaß mit, welches umfiel und meinen Kalender -mit diesem mächtigen Fleck zierte. Was sollte nun diese Leinwandflucht -bedeuten? Sie bedeutet, daß meine Pfarrerin eine ausgemachte Kokette -ist, und zwar eine von ganz seltener Art, denn sie kokettiert nicht -mit andern guten Leuten, sondern mit dem eigenen Ehgemahl. Sie hatte -an das Tuch, das sie mir gebracht, heimlich einen recht langen Faden -befestigt, durch die Türritze bis zu ihrem Bette gezogen, und während -sie ganz still daliegt, zupft sie scherzend an dem Faden, so daß mir -das Tuch aus der Hand gleitet. Und ich dickfelliger Kerl entdeckte dies -nur, weil bei dem letzten Fallen des Tuches hinter der Tür ein leises -fröhliches Lachen ertönte, und ich ihre nackten Füßchen stampfen hörte!« - -»7. August. Die ganze vorige Nacht habe ich vor Glück nicht schlafen -können, und ich lüge nicht, wenn ich hinzufüge, daß auch Natascha an -dieser Nachtwache nicht unbeteiligt war. Wie die Verliebten vor St. -Peter auf die Sonne warten, so saßen wir im sechsten Jahr unserer Ehe -im Fenster und harrten des Sonnenaufgangs. Meine Liebste gestand mir, -daß sie oft nicht schlafe, wenn ich schreibe, und sich nur schlafend -stelle. Auch manches andere gestand sie mir noch; so, daß sie gestern -in der Kirche, als sie meiner Predigt zuhörte, die ihr ganz besonders -gefallen habe, das Gelübde abgelegt habe, zu Fuß nach Kiew zu pilgern, -sobald sie sich gesegneten Leibes fühle. Ich billigte das nicht, denn -eine solche Wanderung ist den Kräften einer Schwangeren gar nicht -angemessen; ich erlaubte ihr aber doch, das Gelübde zu erfüllen, denn -bei einer so großen Freude würde ich selbstverständlich auch mitgehen -und wenn sie ermüdet, würde ich sie tragen. Wir machten gleich einen -Versuch. Ich trug sie lange auf meinen Armen durch den Garten und -träumte, sie wäre schon guter Hoffnung und ich behütete sie, daß ihr -auf der Wanderung kein Unheil zustoße. Und so sehr gewann dieser -Sehnsuchtstraum Gewalt über mich, daß ich, als Natascha sich scherzend -auf die Schaukel setzte, welche das kleine Mädchen der Köchin sich -an einem Apfelbaum befestigt hatte, diese Schaukel herunternahm und -sie ganz hoch in den Baum warf, damit in Zukunft nichts dergleichen -geschehe, worüber Natascha sehr lachte. Allein, obgleich auch mein -Leben nicht reich ist an Dingen, die sorgfältig geheimgehalten werden -müßten, so ist es dennoch gut, daß der Wirt unseres Hauses seinen -Garten mit einem festen Zaun umgeben hat, und Gott längs diesem Zaun -die Himbeersträucher recht dicht hat wachsen lassen, denn sonst hätte -am Ende dieser oder jener gesagt, daß es keine Sünde wäre, den Popen -Sawelij einmal auch einen Hansnarr zu nennen.« - -»9. August. Ich notiere eine höchst erheiternde Begebenheit, wie -meine Gattin heut mit dem Sohne des Diakon, einem Seminaristen der -Rhetorikklasse, in richtigen Streit geriet. Das war ein Kasus und eine -Komödie zugleich. Sie stritten darüber, wer der klügste Mann auf Erden -gewesen. Der Rhetor sagte: Salomo, meine Pfarrerin aber behauptet, -ich sei's, und ich muß zugeben, daß diesesmal der üppige König von -Zion einen weit weniger standhaften Advokaten fand, als ich. O, wie -hab' ich gelacht! Was nicht alles in dieser Welt passieren kann! Ich -hörte das alles aus dem Schlafzimmer, wo ich meine Nachmittagsruhe -hielt; als ich erwacht war, wagte ich die Disputation nicht mehr zu -unterbrechen, und die zwei redeten mächtig aufeinander ein. Der Rhetor, -der für die Weisheit Salomonis eintrat, berief sich auf die Worte der -Schrift, daß »Salomo weiser war, denn alle Menschen«, meine Eheliebste -aber schlug ihn mit folgendem Argument: »Was reibt Ihr mir Euer ›also‹ -und ›denn‹ und ›sintemal‹ unter die Nase? All diese ›denn‹ und ›also‹ -haben gar keine Bedeutung, weil das alles geschrieben wurde, bevor -der Vater Sawelij geboren war.« Jetzt mengte sich in diesen Diskurs -noch der Pfarrer von St. Nikita, Vater Zacharia Benefaktow, hinein, -der dem ganzen Streite zugehört hatte, und ihn zum Schluß brachte, -indem er meiner Gattin recht gab. Es sei richtig, sagte er, -- will -heißen, richtig in dem Sinne, daß ich damals noch nicht auf der Welt -war. So behielt ein jeder von diesen drei Kritikern recht. Ich allein, -dem alle ihre kritischen Meinungen zur Antikritik vorgelegt wurden, -blieb im Unrecht: vorerst betrübte ich meine Natascha, indem ich ihre -Meinung, ich sei der klügste von allen, verwarf, und auf ihre Frage, -wer denn klüger sei als ich, antwortete, sie selber sei es. Dem ward -verzweifelter Widerstand entgegengesetzt, wie er sich nur gegen die -Wahrheit richten kann: »Die Klugen,« -- sagte sie, -- »können über alle -Dinge urteilen, ich aber kann das gar nicht und diskutiere niemals. -Woher kommt das?« Da faßte ich sie leise an ihrem kleinen Näschen und -erwiderte: »Du mischst dich darum nicht gerne in die Diskussion, weil -du statt einer widerspenstigen Nase nur dieses kleine sanftmütige -Knöpfchen hast.« Sie verstand wohl, was ich mit diesem Scherz sagen -wollte, -- nämlich ihre Herzensmilde ins rechte Licht rücken -- und -sie suchte nun es zu widerlegen, indem sie daran erinnerte, wie sie -einmal mit der Postmeistersfrau handgemein geworden sei, um ihr ein -Dienstmädchen zu entreißen, das jene unmenschlich hart strafen wollte.« - -»15. August, Mariä Himmelfahrt. Während ich mich so meiner -Gattin freute, hatte ich gar nicht bemerkt, daß meine Predigt am -Verklärungstage, von der Natascha so erbaut gewesen, auf andere -Leute anders gewirkt hatte, und daß ich eine mir höchst unerwünschte -Mißstimmung unter einigen Leuten in der Stadt hervorgerufen hatte. -Meine andächtigen Zuhörer, natürlich nicht alle, aber einige, und -unter diesen in erster Linie die Postmeisterin Timonowa, fühlen -sich gekränkt, daß ich sie durch meine Anspielung auf Pizonskij -herabgesetzt habe. Indessen, das sind alles nur Torheiten müßiger und -unkluger Geister. Nach und nach wird das an dem Selbstgefühl der hohen -Herrschaften wieder abtrocknen, wie die Wunden am Fell des Hundes.« - -»3. September. Ich war in einem großen Irrtum befangen. Die -Angelegenheit ist keineswegs erledigt. Aus dem Konsistorium kam eine -Anfrage, ob ich wirklich eine Predigt mit Hinweis auf eine lebende -Person improvisiert hätte? Ach Gott, was für eine Angst hat man bei uns -vor allem Lebendigen! Nun, ich habe denn auch geantwortet, ich hätte -dieses und das gesagt. Ich meine, man wird mich dafür nicht hängen und -mir den Kopf nicht abhauen, -- und doch ist mir gegen meinen Willen -unbehaglich zumute, und meine Ruhe ist hin.« - -»20. Oktober. Gewiß können sie einem den Kopf nicht abschlagen, aber -den Mund können sie einem stopfen, und das haben sie denn auch nicht -ermangelt zu tun. Am 15. September wurde ich zur Rechenschaft gezogen. -Schon diese Hast ließ wenig Gutes vermuten, denn mit dem Guten haben's -die Leute bei uns nicht eilig, am allerwenigsten die Machthaber. -- -Trotzdem machte ich mich voller Mut auf den Weg. Dieser wurde zuerst -dadurch abgekühlt, daß ich 36 Tage ohne Bescheid blieb, und dann der -Befehl kam, hinfort alles, was ich zu sagen gedenke, vorerst dem Zensor -Troadij vorzulegen. Das wird niemals geschehen, lieber will ich stumm -sein wie ein Fisch. Vergib mir meinen Hochmut, Allwalter, aber ich kann -das Amt des Predigers nicht mit kalter Leidenschaftslosigkeit ausüben. -Ich fühle mitunter, wie etwas über mich kommt, wenn meine geliebte -Gabe wirken will. Dann erfaßt mich eine, ich kann wohl sagen heilige -Unruhe; meine Seele bebt und glüht und die Worte fallen wie feurige -Kohlen von meinen Lippen. Nein, dann trägt meine Seele ihr eigenes -Zensurgesetz in sich! ... Und sie verlangen, ich soll an Stelle der -lebendigen Rede, die vom Herzen zum Herzen geht, rhetorische Übungen -hervorbringen! - -Nein! lieber mögt ihr euch schließen, ihr Lippen, die ihr nicht zu -schmeicheln wißt, lieber sollst du schweigen, mein schlichtes Wort! -Gezwungen predigen mag ich nicht.« - -»23. November. Ich kann wahrhaftig nicht behaupten, daß mein Leben -aller Abwechslung entbehrt. Im Gegenteil, es geht alles bunt -durcheinander, so daß die Spannung keinen Augenblick nachläßt. Achtzehn -Werst von unserer Stadt, in dem großen Kirchdorf Plodomasowo, lebt die -Besitzerin dieses Dorfes, die Bojarin Marfa Andrejewna Plodomasowa. -Dieser Knüppel ist von so altem Holz, daß man schon längst keinerlei -Lebenszeichen an ihm bemerkt hat; man weiß nur aus alten Erinnerungen, -daß sie eine Frau von nicht geringem Geiste war. An die zwanzig Jahre -schon kann kein Fernerstehender sich rühmen, die Bojarin Plodomasowa -gesehen zu haben. - -Vorgestern, kurz vor zwölf Uhr mittags, war ich unsagbar erstaunt, als -ich eine große herrschaftliche Droschke, mit drei Füchsen bespannt, -vor meinem Hause vorfahren sah. Im Wagen saß ein absonderlich kleines -Männlein, in einer haarigen Filzmütze mit langem Schirm und in einem -braunen Mantel, den eine Menge übereinanderliegender Kapuzen und -Pelerinen zierten. - -Was, dachte ich, kann das für eine seltsame Person sein, und kommt -sie auch wirklich zu mir oder hat sie nur irrtümlicherweise den Weg -zu mir genommen? Diese meine Zweifel wurden aber sehr bald durch jene -geheimnisvolle Person selbst gelöst, die in mein Wohnzimmer trat, mit -jenem überaus feinen Anstand, welcher mir stets so wohlgefiel. Vorerst -bat der Gast um meinen Segen, dann machte er mit seinem ausnehmend -kleinen Füßchen einen Kratzfuß, trat mit einer Verbeugung zwei Schritte -zurück und sprach: - -»Meine Herrin, Marfa Andrejewna Plodomasowa, haben mir einen Gruß an -Euch aufgetragen, Vater Sawelij, und bitten Euch, alsbald mit mir zu -ihr zu kommen.« - -»Darf ich nun meinerseits,« sprach ich, »erfahren, mein Herr, aus -wessen Munde ich das alles höre?« - -»Ich bin,« erwiderte der Kleine, »ein Leibeigener Ihrer Exzellenz, der -gnädigen Frau Marfa Andrejewna, und nenne mich Nikolai Afanasjew.« - -Nachdem dieses winzige Persönchen sich mir so vorgestellt hatte, -erinnerte es mich nochmals daran, daß seine Herrin mich erwarte. - -Während ich mich im Nebenzimmer ankleidete, knüpfte dieser interessante -Zwerg eine Unterhaltung mit Natalia Nikolajewna an und brachte sie -durch seine Reden in helles Entzücken. Und wahrlich, es liegt in den -Worten und in der ganzen Redeweise dieses winzigen Greises etwas -unaussprechlich Liebliches. Dazu kommt noch sein feiner Anstand -und eine große Freundlichkeit. Dem Dienstmädchen, das ihm ein Glas -Wasser brachte, legte er einen Zwanziger auf das Tablett, und als sie -zögerte, das Geld zu nehmen, wurde er selbst verlegen und sagte: »Nein, -meine Beste, tun Sie das mir nicht an, es ist das nun mal so meine -Gewohnheit.« Und als meine Pfarrerin zu mir hinausgegangen war, um mir -die Haare zu salben, nahm er das schmutzige Mädelchen der Köchin, das -der Mutter nachgelaufen war, bei der Hand und sagte: »Hör mal, wie die -Entchen da unten am Flusse schwatzen. Die Ente, die feine Dame, sagt -zum Enterich, dem Kavalier: Kauf mir 'ne Kappe, kauf mir 'ne Kappe! --- und der Enterich antwortet: Hab schon, hab schon, hab schon!« Das -Kind lachte laut, und auch ich konnte mich bei dieser Auslegung des -Entengeschnatters eines Lächelns nicht erwehren. Dessen hätte sich auch -der Herr Lafontaine oder unser Iwan Krylow nicht zu schämen brauchen. - -Die Fahrt verlief mir im Gespräch mit diesem wunderbaren Zwerge so -schnell, daß ich kaum etwas vom Wege sah. So viel Verstand, Reinheit -und Gesundheit fand ich in allen seinen Reden. - -Nun aber kommt die Hauptsache: die Stunde der Begegnung mit der -einsamen Bojarin nahte. - -Es wundert mich nicht wenig, daß ich in der Erwartung, obschon ich -von Natur keineswegs schüchtern bin, doch so etwas wie eine kleine -Verzagtheit verspürte. Nikolai Afanasjewitsch führte mich durch eine -Reihe Gemächer, deren Prunk und äußerste Sauberkeit mich staunen -machten, und blieb endlich in einem runden Zimmer mit zwei Reihen -Fenstern stehen, deren Wölbungen mit bunten Scheiben geziert waren. -Hier fanden wir eine alte Frau, die nur um ein Geringes größer war als -Nikolai. Als wir eintraten, stand sie da und drehte den Griff einer -großen Orgel. Fast hätte ich sie für die Herrin selbst gehalten und -ihr eine Verbeugung gemacht. Aber als sie uns erblickte, -- dank der -weichen Teppiche, die in allen Gemächern den Fußboden bedeckten, waren -wir unhörbar eingetreten -- verstummte sofort ihre Musik, und mit -einer etwas tierischen Hast eilte sie in den Nebenraum, dessen Eingang -ein großer Vorhang aus weißem Atlasstoff schloß, der mit allerlei -chinesischen Figürlein in farbiger Seide bestickt war. - -Diese Frauensperson, welche mit solcher Hast hinter dem Vorhang -verschwand, war, wie ich später erfuhr, die leibliche Schwester -des Nikolai und ebenfalls eine Zwergin. Es fehlte ihr aber die -Liebenswürdigkeit, die aus der ganzen äußern Erscheinung ihres sanften -Bruders sprach. - -Nikolai folgte seiner Schwester hinter den Vorhang, nachdem er mich -gebeten hatte, auf einem Sessel Platz zu nehmen. Während der halben -Stunde, welche ich warten mußte, empfand ich eine gewisse Bitterkeit im -Munde, die mir noch aus meiner Kindheit, von den Schulprüfungen her, so -gut im Gedächtnis geblieben war. Aber auch das nahm ein Ende. Hinter -dem Vorhang vernahm ich die Worte: »Nun zeig mir mal den klugen Popen, -der, wie ich höre, gewohnt ist, die Wahrheit zu reden.« - -Wie auf den Wink eines Zauberers, an unsichtbaren Schnüren gezogen, -teilte sich der Vorhang plötzlich, und die Bojarin Plodomasowa -stand vor mir. Ihre Stimme, die ich zuvor gehört hatte, widerlegte -schon meine Meinung von ihrer Hinfälligkeit, und ihre Erscheinung -tat es noch mehr. In einer Fülle der Kraft, die, schien es, nie -versiegen konnte, stand die Bojarin vor mir. Von Wuchs nicht groß -und auch nicht besonders üppig, scheint sie gleichsam über allem -zu herrschen. Auf ihrem Antlitz liegt der Ausdruck einer großen -Strenge und Wahrhaftigkeit, und, nach den Zügen zu schließen, muß es -einstmals sehr schön gewesen sein. Ihr Gewand ist seltsam und zu der -heutigen Zeit wenig passend, ein Halbrock aus hellem Tuch, darunter -ein Sammetrock, grell orangegelb, und gelbe Stiefelchen auf hohen -silbernen Absätzen. Um den Kopf windet sich mehrfach, wie bei einer -Türkin, ein großer brauner Schal. In der Hand hält sie einen Stock mit -einem Amethyst-Knopf. Zu ihrer Rechten stand Nikolai Afanasjewitsch, -zur Linken Maria Afanasjewna, hinter ihr der Pfarrer der Dorfkirche, -Vater Alexei, ein entlassener Leibeigener, der auf ihre Anordnung zum -Priester geweiht worden war. - -»Guten Tag,« sagte sie, ohne den Kopf auch nur im geringsten zu senken. -»Es freut mich, daß ich dich zu sehen bekomme.« - -Ich erwiderte ihren Gruß mit einer Verbeugung, welche recht ungeschickt -war, glaube ich. - -»Komm her und segne mich,« sagte sie. - -Ich trat zu ihr und segnete sie. Sie ergriff meine Hand, um sie zu -küssen, was ich auf jede Weise zu verhindern suchte. - -»Zieh deine Hand nicht weg,« sagte sie, als sie es bemerkte. »Ich -huldige nicht dir, sondern deinem Amte. Setze dich jetzt, und wir -wollen ein wenig miteinander bekannt werden.« - -Wir setzten uns, -- das heißt sie, ich und der Vater Alexei. Die Zwerge -stellten sich zu beiden Seiten der Herrin auf. - -»Vater Alexei hat mir gesagt, dir sei die Gabe der Rede und ein klarer -Verstand verliehen. Er selber versteht nichts davon, er hat's aber wohl -von den Leuten gehört. Ich habe lange schon keine klugen Leute gesehen, -und da wollt' ich dich einmal zu meiner Zerstreuung anschauen. Sei mir -alten Frau deswegen nicht böse.« - -»Man hat dich hergeschickt,« fuhr sie fort, »die Altgläubigen zu -bekehren?« - -»Ja,« erwiderte ich, »mit meiner Ernennung hierher war auch diese -Absicht verbunden.« - -»Ich meine,« sagte sie, »es ist ein nutzloses Unterfangen. Den Dummen -belehren und den Toten kurieren zu wollen ist eins des andern wert.« - -Ich weiß nicht mehr, in was für Worte ich meine Antwort, daß ich nicht -alle Altgläubigen für dumm halte, kleidete. - -»Nun, wenn du sie für so klug hältst, -- wie viele hast du schon auf -den rechten Weg geleitet?« - -»Noch kann ich mich keiner Erfolge rühmen,« entgegnete ich, »aber das -hat seine Gründe.« - -Sie: »Was für Gründe meinst du?« - -Ich: »Man behandelt sie nicht in der entsprechenden Weise, und das Übel -wächst infolge des Wankelmuts, den sie in der orthodoxen Gemeinde und -auch bei der Geistlichkeit selbst beobachten.« - -Sie: »Du sagst ›Übel‹. Was ist denn an ihnen so Übels? Harmlose Narren -vor dem Herrn sind sie, deren ganze Sünde darin besteht, daß sie zuviel -Bücher gelesen haben.« - -Ich: »Allein, der rechtgläubige Altar leidet unter solcher Spaltung.« - -Sie: »Ihr solltet diesem Altar treuer dienen und ihn nicht zum -Kramladen machen, dann würde keiner von euch abfallen. Ihr handelt ja -aber alle mit dem Heil, wie andere Leute mit Tuch.« - -Ich schwieg. - -Sie: »Bist du verheiratet oder Witwer?« - -Ich: »Verheiratet.« - -Sie: »Nun, wenn Gott dich mit Kindern segnet, dann nimm mich zur -Taufpatin. Ich tu's gerne. Selber komm ich nicht zur Taufe, ich schicke -meine Zwergin. Aber wenn du das Kind hierherbringst, will ich's selber -halten.« - -Ich dankte und fragte sie: - -»Eure Exzellenz haben Kinder wohl gerne?« - -»Welcher gescheite Mensch hat sie denn nicht lieb? Ihrer ist das Reich -Gottes.« - -»Exzellenz leben schon lange allein?« - -Sie: »Ganz allein, sehr, sehr lange schon.« Und sie seufzte. - -Ich: »Die Einsamkeit ist oft sehr schwer zu tragen.« - -Sie: »Bist du denn nicht einsam?« - -Ich: »Wie kann ich einsam sein, wenn ich eine Frau habe?« - -Sie: »Ja, versteht denn deine Frau alles, was dich, als Mann von -Verstand, quälen und betrüben kann?« - -Ich: »Meine Frau macht mich glücklich und ich liebe sie.« - -Sie: »Du liebst sie? Ja, aber du liebst sie mit dem Herzen, und mit den -Gedanken deiner Seele bist du doch einsam. Bedaure mich nicht, daß ich -so einsam bin: jeder, der in seinem Hause über die Nase seines Bruders -hinaussieht, ist einsam mitten unter den Seinigen. Ich habe auch einen -Sohn, aber es sind bald drei Jahre, daß ich ihn nicht mehr gesehen -habe. Es ist ihm wohl zu langweilig in meiner Gesellschaft.« - -Ich: »Wo befindet sich Ihr Herr Sohn?« - -Sie: »In Polen. Er ist Regimentskommandeur.« - -Ich: »Es ist ein ruhmvolles Werk, die Feinde des Vaterlandes zu -bezwingen.« - -Sie: »Ich weiß nicht, wieviel Ruhm uns das bringt, daß wir uns mit -diesen Polacken immer noch herumschlagen. Meiner Ansicht nach zeugt das -nur von unserer Schlamperei.« - -Ich: »Wir werden schon fertig, die Zeit kommt noch.« - -Sie: »Die kommt nie, weil sie schon vorüber ist. Wir haben immer so -dagestanden wie die Schnepfe im Sumpf: der Schnabel ist zu lang, und -der Schwanz ist zu lang. Ziehn wir den Schnabel raus, bleibt der -Schwanz stecken; ziehn wir den Schwanz raus, steckt der Schnabel -drin. Wir schaukeln hin und her, daß alle Narren ihre Freude dran -haben: einmal kommen wir den Polen mit der Knute, und das andere Mal -küssen wir ihren schlauen Polinnen die Händchen. Es ist eine Sünde und -Schande, die Leute so zu verderben.« - -»Und doch,« sagte ich, »hält unsere Armee die Polen im Zaum, daß sie -uns keinen Schaden zufügen können.« - -»Niemanden hält sie im Zaum,« antwortete sie, »und diese Polen wären -uns gar nicht gefährlich, wenn wir uns gegenseitig nicht fressen -wollten.« - -»Dieses Urteil Eurer Exzellenz,« meinte ich, »scheint mir doch etwas zu -schroff.« - -Sie: »Die Wahrheit ist nie zu schroff.« - -»Sie erinnern sich doch gewiß noch des Jahres 1812,« bemerkte ich, »was -für eine Einmütigkeit zeigte Rußland damals!« - -Sie: »Jawohl, ich erinnere mich sehr gut: ich selbst habe aus diesem -Fenster zugesehen, wie unsere Kosaken meine Bauern prügelten und meine -Speicher plünderten.« - -»Nun,« sagte ich, »so etwas kann ja vorgekommen sein, ich will die -Kosaken keineswegs verteidigen, aber wir haben uns trotz allem -heldenmütig behauptet gegen den Mann, vor dem ganz Europa im Staube -lag.« - -Sie: »Ganz recht, weil der liebe Gott und der Frost uns zu Hilfe kamen, -haben wir uns behauptet.« - -Dieses ebenso verächtliche als ungerechte Urteil machte auf mich einen -so unangenehmen Eindruck, daß ich, ohne mein Unbehagen zu verbergen, -erwiderte: - -»Glauben Exzellenz im Ernst, daß in Rußland einzig der Zufall regiert? -Einmal mag's Zufall sein und noch einmal Zufall, aber beim dritten Male -lassen Sie doch auch die Weisheit und den Heldenmut der Führer des -Volkes gelten.« - -»Alles ist Zufall, mein Bester, und in allem, was mit diesem Reiche -geschieht, sehe ich neben dem Willen Gottes bisher nichts als -Zufälligkeiten. Hätten deine Altgläubigen den langen Peter umgebracht, -so säßen wir heute noch auf unserm vielgerühmten Grund und Boden nicht -als mächtiger Staat, sondern als so was, wie die Bulgaren in der -Türkei, und würden diesen selben Polen die Hände küssen. Eins nur -gereicht uns zum Lobe: daß unser so viele sind. Es dauert lang, bis -wir einander aufgefressen haben. Das ist uns eine gute Gewähr für die -Zukunft.« - -»Das ist traurig,« sagte ich. - -»Laß dich's nicht bekümmern. Andere Länder bauen auf ihren Ruhm, -unseres wird auch durch Schimpf stark. Aber nun haben wir genug -geredet, ich bin schon müde geworden. Leb wohl. Und wenn was Schlimmes -passiert, komm nur zu mir und beklage dich. Sieh nicht darauf, daß ich -solch ein verschrumpfter Pilz bin. Der Pilz steht zwar im Wald, aber -man weiß auch in der Stadt von ihm. Und wenn sie über dich herfallen, -so freue dich drüber; wärst du ein Kriecher oder ein Dummkopf, so täten -sie es nicht, sondern würden dich loben und den andern als Beispiel -hinstellen.« - -Nachdem sie gesprochen, wandte sie sich zur Zwergin, welche während -unseres ganzen Gespräches ein Paket in der Hand hielt, ließ es sich -geben, reichte es mir und sagte: - -»Bring das in meinem Namen deiner Pfarrerin, es sind Korallen, die ich -früher getragen, zwei Stück Stoff zu Kleidern, und Leinwand für den -Hausgebrauch. Und für dich hab' ich hier einen Rubinring.« - -Dieses Geschenk machte mich bei aller schlichten Herzlichkeit, -mit der es überreicht wurde, doch etwas verlegen, und während ich -die Korallenketten, die Seidenstoffe und den hell leuchtenden -Rubin betrachtete, sagte ich: »Exzellenz, ich bin Ihnen für diese -schmeichelhafte Aufmerksamkeit sehr dankbar. Die Sachen sind aber so -prächtig, und meine Gattin ist eine ganz schlichte Frau ...« - -»Nun,« unterbrach sie mich, »um so besser, wenn du eine einfache Frau -hast; wo der Mann und die Frau alle beide die Hosen anhaben, da kommt -nichts Gescheites heraus. Es ist immer das beste, wenn die Frau ihren -Weiberrock anbehält, -- also mag sie sich aus dem da ein paar Röcke -nähen.« - -Hiermit war unser Gespräch beendet und ich muß gestehen, diese Frau -erfüllte mich mit großer Bewunderung. Was mich aber am meisten wundert, -das ist meine Unsicherheit ihr gegenüber. Woher kam es, daß mir die -Zunge am Gaumen kleben blieb, als wenn ich etwas zu fürchten hätte? -Und wenn ich dann zu reden versuchte, so kam alles so armselig heraus. -Sie aber lenkte das Gespräch ganz nach ihrer Laune, und gab ich mir -Mühe, recht klug zu scheinen, damit ihre Enttäuschung nicht gar so -groß sei, so achtete sie gar nicht darauf. Ihre Worte kamen scheinbar -ganz unvorbereitet, sie schien's auf eine Prüfung meines Verstandes -nicht abgesehen zu haben, -- und doch kann ich sie nicht vergessen! -Worin liegt diese ihre Gewalt? Ich glaube, in jener feinen Weltbildung, -welche unsere geistlichen Erzieher verachten, ohne zu bedenken, daß -sie uns dadurch der so sehr notwendigen Findigkeit und Gewandtheit im -Verkehr mit Menschen der großen Welt berauben. - -Aber dieser Tag sollte damit noch nicht schließen. Es kam noch ein -seltsames Erlebnis. Kaum hatte ich mich an der Freude meiner biedern -Natascha über die Geschenke geweidet, da packte auch dieser ehrenwerte -Zwerg Nikolai Afanasjewitsch seine Gaben aus. Zuerst überreichte -er mir ein Paar gestrickte baumwollene Hosenträger, weiß mit roter -Borte, und meiner Gattin ein Kopftüchlein aus zarter Kaninchenwolle. -Während ich noch über die Seltsamkeit dieser neuen unerwarteten Gaben -staunte, entnahm er seiner Tasche ein Paar wollener Strümpfe für unsere -Dienstmagd Axinia, die eben den Samowar brachte. »Was ist denn das für -ein Schenktag!« rief ich unwillkürlich aus, und wagte nicht, den Geber -durch eine Ablehnung zu kränken. Er antwortete mir, es seien alles -Arbeiten seiner eigenen Hand. »Da ich, dank meiner Wohltäterin, nicht -zu arbeiten brauche und nichts anderes gelernt habe, so beschäftige -ich mich immer mit Stricken, um nicht müßig zu sein und die Freude zu -haben, diesem und jenem etwas von meinen Erzeugnissen zu schenken.« -Diese Herzenseinfalt gefiel mir so, daß ich den kleinen Mann umarmte -und ihn mit Küssen fast erstickte. - -Werde ich meinen heutigen Bericht überhaupt je zu Ende bringen? Mit -dem Weggang des Dieners der Bojarin Plodomasowa nahmen die Wunder des -Tages immer noch kein Ende; denn als Axinia die Türe des Vorzimmers -für die Nacht schließen wollte, entdeckte sie, daß am Kleiderständer -etwas hing, was nicht uns zu gehören schien, und als Natascha und ich -auf ihren Ruf hinauskamen, fanden wir: erstens einen dunkelbraunen -Leibrock aus französischem ~Gras-de-Naples~-Stoff, zweitens einen -reichgestickten Kammgarn-Gürtel mit purpurroten Bändern, drittens eine -Kutte aus kostbarem, grünem, unzerschnittenem Sammet, und viertens, in -ein langes Stück Kaliko gewickelt, ein vollständiges Meßgewand. - -Wir waren alle ganz verblüfft über diesen Fund und wußten nicht, -wie wir uns seine Herkunft erklären sollten. Da bemerkte Axinia als -erste ein Kärtchen am Knopf des Kragens der Kutte befestigt, auf dem -mit runder Schrift, sozusagen ägyptischen Stils, geschrieben stand: -»Gedenke, mein Freund Vater Sawelij, in deinen Gebeten der Magd Gottes -Marfa.« Wir wußten uns vor Erstaunen nicht zu lassen, aber was war -zu tun? Indem wir das neue Meßgewand auf dem Tisch ausbreiteten, -erlebten wir eine neue Überraschung. Als Natascha das Schultertuch -auseinanderfaltet, fällt ein versiegeltes Kuvert mit meiner Adresse -heraus, welches fünfhundert Rubel und einen winzigkleinen Zettel -enthält, auf dem von derselben Hand geschrieben steht: »Damit das Los -deiner Familie im Fall eines Unglücks dich nicht beunruhige, wenn du -vor dem Altar stehst, kaufe dir eine Kate und pflanze Kürbisse an. Dann -wirst du ungestörter an den Ausbau des Gottesreiches denken können.« - -Wofür wird mir das zuteil? Warum denkt sie nicht so, wie der -Konsistorialsekretär und der Schließer, daß es leichter sei, am Reiche -Gottes zu bauen, wenn man nichts habe, auf dem man sein Haupt hinlege? - -Nun ist auch der Pope Sawelij nicht mehr heimatlos! Jetzt soll auch -er sein Hüttlein haben. Aber ach! Es muß gesagt werden, dem Zufall -verdankt er das!« - -»6. Dezember. Gestern brachte ich das von der Gutsherrin geschenkte -Meßgewand in die Sakristei und heute amtierte ich darin. Es paßt -mir ausgezeichnet. Sonst, wenn ich die Gewänder meines verstorbenen -Vorgängers anlegen mußte, der von sehr kleiner Statur war, erschien ich -langer Kerl nicht in aller Herrlichkeit der Kirche, sondern sah aus wie -ein Sperling, dem man die Schwanzfedern ausgezupft hatte.« - -»9. Dezember. Sonderbar! Der Propst zieht mir ein schiefes Gesicht, -aber da ich mir keiner Schuld ihm gegenüber bewußt bin, bin ich ganz -ruhig.« - -»12. Dezember. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen mir und dem -Propst. Weswegen? Wegen des Plodomasowschen Meßgewandes: es sei nicht -in der vorschriftsmäßigen Weise nach der Kirche geschaffen worden, -- -und dann fügte er noch hinzu, es »gingen allerlei Gerüchte, daß Ihr -noch etwas von ihr erhalten hättet«. Soll das etwa heißen, daß ich -nicht alles, was der Kirche zukommt, abgeliefert habe, sondern etwas -davon gestohlen habe?« - -»1. Januar. Segne das neue Jahr mit deiner Gnade, Herr, und den Popen -Sawelij zu seiner neuen Fahrt in die Gouvernementsstadt. Ich glaube, -daß vor diesen Widersachern auch kein Weihwasser schützt.« - -»20. Januar. Diese Zeilen schreibe ich in der schmutzigsten Kammer -des bischöflichen Hofes, im Seminarflügel. Dem Gouverneur ist -mitgeteilt worden, daß mein Subdiakon Lukian den Schismatikern eines -ihrer alten Psalmenbücher zurückgegeben hat, welches mit den andern -bei der Aufhebung der Dejewschen Kapelle konfiszierten Büchern bei -mir in Verwahrung war. Die Begebenheit ist wahr, ich hatte sie aber -verheimlicht, erstens weil sie mir unwichtig dünkte, zweitens, weil ich -den wahren Grund kannte: die Armut, die den Subdiakon Lukian soweit -gebracht hatte. Aber diese Bagatelle wird mir nun als furchtbares -Verbrechen angerechnet, ich bin unter Aufsicht gestellt und in die -Seminarbrauerei geschickt worden, um Kwas zu brauen.« - -»9. April. Ich habe meine Zeit abgebüßt und bin zum häuslichen Herde -zurückgekehrt. Tief rührten mich die Tränen meiner Frau, die sich -bitter um mich gehärmt hat, aber noch mehr rührten mich die Tränen der -Frau des Subdiakon Lukian. Von sich schwieg die gute Frau ganz und -dankte nur mir, daß ich für ihren Mann gelitten. Den Lukian selbst hat -man in ein entferntes Kloster verbannt, allerdings nur für ein Jahr. -Die Frist ist so kurz, daß die Seinen nicht umzukommen brauchen, auch -wenn sie nichts zu essen bekommen. Sie kommen so dem lieben Gott näher, -wie die Herrn im Konsistorium behaupten.« - -»20. April. Der liebenswürdige Zwerg war wieder hier und teilte mir -mit, Marfa Andrejewna hätte angeordnet, daß ich alljährlich dreimal -- -zu St. Nikolai im Sommer, im Winter und zu Epiphanias -- aufgefordert -werde, in der Kirche von Plodomasowo die Messe zu zelebrieren, wofür -mir durch den Verwalter ein Gehalt von 150 Rubel, also 50 Rubel für -jede Messe, abgezahlt werden solle. O diese Zufälle! Weiß Gott, ich -werde bald anfangen, sie zu fürchten.« - -»15. August. Der Glöckner Jewticheitsch ist aus der Gouvernementsstadt -zurückgekehrt und hat erzählt, zwischen dem Bischof und dem Gouverneur -sei ein Zwist wegen einer gegenseitigen Visite ausgebrochen.« - -»2. Oktober. Das Gerücht vom Visitenstreit bestätigt sich. Der -Gouverneur hat, wenn er an Staatsfeiertagen dem Gottesdienst im Dom -beiwohnt, die Gewohnheit, sich dabei laut zu unterhalten. Da beschloß -der Bischof, ihm dies abzugewöhnen und schickte seinen Stabträger zu -seiner Exzellenz mit der Bitte, dieselben wollten sich doch anständiger -betragen. Der Gouverneur nahm die Botschaft mit sehr hochfahrender -Miene entgegen und fing nach kurzer Zeit wieder an, laut mit dem -Gendarmenoberst zu sprechen. Diesmal aber unterbrach der Bischof die -Liturgie und sagte vernehmlich: »Gut, Exzellenz, ich werde warten. Wenn -Sie fertig sind, fahre ich fort.« Ich kann diese Handlungsweise des -Bischofs nur billigen.« - -»8. November. Ich habe das Epigonation erhalten. Ich weiß nicht, wie -ich zu dieser Auszeichnung komme. Soll ich es etwa dem Visitenstreit -zuschreiben und dem Umstande, daß der Gouverneur mir nicht grün ist?« - -»6. Januar 1837. Wieder eine Neuigkeit! Der Bischof hat zu Neujahr die -Tochter des Gouverneurs zurückgewiesen, als sie in Handschuhen zu ihm -hintrat, um den Segen zu empfangen. »Zieh erst das Hundefell von deiner -Hand,« sagte er ihr.« - -»17. März. Der Oberpfarrer von der Epiphaniaskirche kam nachts mit -dem Venerabile von einem Kranken und wurde von einer Patrouille auf -die Polizeiwache gebracht, -- angeblich weil er betrunken war. Am -nächsten Tage machte ihm der Bischof einen Besuch im vollen Ornat. O -du polackischer Kanzleivorsteher, dieses Stücklein kann dir teuer zu -stehen kommen!« - -»18. Mai. Der Bischof ist in eine andere Diözese versetzt worden.« - -»16. August. Ich war beim neuen Bischof. Er scheint ein verständiger -und charakterfester Mann zu sein. Wir sprachen über die Lage der -Geistlichkeit und er befahl mir, einen Bericht darüber aufzusetzen. Er -sagte, ich wäre ihm von seinem Vorgänger aufs beste empfohlen worden. -Dank dir, armer, schmählich geschlagener Alter, für dein gutes Wort!« - -»25. Dezember. Ich weiß nicht, was ich von mir denken soll, wozu ich -geboren und berufen bin. Meine Pfarrerin macht mir Vorwürfe, daß ich -sogar am heutigen Weihnachtstage arbeite, aber es gibt für mich kein -schöneres Vergnügen als diese Arbeit. Ich schreibe meinen Bericht über -die Lage der Geistlichkeit mit einer Freude und einer Liebe, die ich -gar nicht auszudrücken vermag. Betitelt habe ich die Schrift: »Über die -Lage der orthodoxen Geistlichkeit und über die Mittel, durch welche sie -zum Nutzen der Kirche und des Staates gebessert werden könnte.« Ich -glaube, es ist gut so. Nie noch habe ich mich so glücklich und so stolz -gefühlt, so gütig und so reich an Kraft und Verstand.« - -»1. April. Mein Bericht ist dem Bischof eingereicht. Meine Pfarrerin -meinte, ich hätte es heute nicht tun sollen; denn der erste April sei -ein trügerischer Tag. Wollen sehen.« - -»10. August. Ich bin Oberpfarrer geworden.« - -»4. Januar 1839. Heute kam ein Schreiben aus dem Konsistorium und mein -ahnungsvolles Herz schlug freudig, -- aber es bezog sich nicht auf -meinen Bericht, sondern meldete nur, daß mir das Brustkreuz verliehen -sei. Vielen, vielen Dank. Aber das Schicksal meines Berichts bekümmert -mich doch.« - -»8. April. Ich bin zum Propst ernannt. Von meinem Bericht ist immer -noch nichts zu hören. Ich weiß nicht, wie man diese Posaunen zum Tönen -bringen soll.« - -»10. April 1840. Nun bin ich schon ein Jahr Propst. Von meinem Bericht -ist immer noch nichts zu vernehmen. Der Aberglaube der Pfarrerin ist -doch nicht so unvernünftig. Heute machte sie mich wieder lachen: sie -meinte, ich hätte meine Sache vielleicht sehr gut geschrieben, aber -nicht richtig unterschrieben.« - -»20. Juni 1841. Ich ging trocken mitten durch das Meer und ward -gerettet von der Ägypter Bosheit, darum will ich lobsingen dem -Herrn, solange ich lebe ... Was hat sich mit mir begeben? Was habe -ich erdulden müssen und wie bin ich nach alledem wieder an Gottes -Tageslicht gekommen? Neugierig bin ich, was du wohl tun magst, du -Dichter von Fabeln, Balladen, Erzählungen und Romanen, wenn du in -dem Leben, das dich umgibt, keine Fäden zu entdecken behauptest, die -es wert wären, in deine vergnüglich zu lesende Fabel geflochten zu -werden? Oder kümmert dich, der du der Menschen Sitten zu bessern dich -vermissest, jenes wirkliche Leben gar nicht, das die Erdenmenschen -leben, sondern suchest du nur nach einem Vorwand zu leerem Geschwätz? -Ist dir bekannt, was für ein Leben ein russischer Pope führt; dieser -»unnütze Mensch«, den man deiner Meinung nach vielleicht unnötigerweise -herbeirief, deinen Eintritt ins Leben zu begrüßen, und den man abermals --- auch wider deinen Willen -- rufen wird, daß er dich zum Grabe -geleite? Weißt du, daß das elende Leben dieses Popen nicht arm ist, -sondern überreich an Nöten und Abenteuern, -- oder meinst du, daß -seinem Weihrauchherzen edle Leidenschaften fremd sind und daß es keine -Schmerzen empfindet? Oder willst du von deiner Dichterhöhe mich, den -Popen, deiner Aufmerksamkeit überhaupt nicht würdigen? Oder wähnst du, -meine Zeit sei schon vorbei, und das Land, das dich und mich geboren -und aufgezogen, brauche mich nicht mehr? O du Blinder, sage ich, wenn -du das erste denkst; o du Narr, sage ich, wenn du das zweite denkst und -dich bemühst, nicht mich aufzurichten und zu beleben, sondern einen -Stein auf mich zu wälzen und des Erstickenden zu spotten. - -Aber ich wende mich vom Philosophieren zu jener Begebenheit, die mich -philosophieren gemacht hat. - -Ich bin nicht mehr Propst und hätte fast auch mein Priesteramt -verloren. Wofür? Dafür! Ich will die ganze Geschichte ausführlich -erzählen. Im März dieses Jahres besuchte der Gouverneur auf der -Durchreise unsere Stadt, aus welchem Anlaß der Adelsmarschall ein Fest -gab. Ich benutzte diese Gelegenheit, um mich beim Gouverneur über -die Gutsherren zu beschweren, welche ihre Bauern mit Arbeiten auch -an Sonntagen und sogar an den zwölf großen Festtagen überhäufen, so -daß das arme Volk noch ärmer wird, denn in vielen Dörfern ist jetzt -weder Roggen noch Hafer zu finden. ... Kaum aber hatte ich dieses Wort -»Hafer« ausgesprochen, als der hohe Herr in heftigen Zorn geriet, von -mir abrückte, als wäre ich ein giftiges Tier, und schrie: »Was kommt -Ihr mir mit Eurem Hafer auf den Hals?« Und dann ging es los: ich bin -dies und das und jenes, -- und zuletzt: »Ich bin doch nicht der heilige -Nikolaus, ich handle nicht mit Hafer!« Das konnte ich nicht dulden und -erwiderte: »Ich muß Eure Exzellenz, als eine mit den Glaubenslehren -wenig bekannte Persönlichkeit, vor allem darauf aufmerksam machen, daß -St. Nikolaus Bischof war und keinerlei Handel trieb. Ferner aber müßten -Sie wissen, daß unser rechtgläubiges Volk der Priester und Diakonen -bedarf, denn das ist bisher das Einzige, was wir noch nicht von den -Deutschen übernommen haben.« Der Gouverneur lachte boshaft und sagte: -»Nur keine Furcht, Herr Pfarrer, wenn der Pfuhl erst da ist, kommen -die Teufel von selbst.« Diese letzte Rede war für mich bitterer als -die erste. Wer sind diese Teufel, und was meint dein Schandmaul mit -dem Pfuhl? So dachte ich im Zorne und konnte nicht stillschweigen, -sondern sagte zu dem Herrn, daß ich aus Achtung vor meinem Amte ihn -auch diesmal nicht als Teufel bezeichnen wolle. Und was war die Folge? -Heute bin ich Propst +gewesen+, und ich danke dir, Herr, mein Gott, daß -ich nicht auch des Priesteramtes beraubt und exkommuniziert bin. Nein, -solche Dinge mögt ihr modernen Geschichtenschreiber nicht behandeln. -Ihr denkt nicht daran, den Leuten zu erzählen, wie schwer mir ums Herz -ist.« - -»3. September. Das Herbstwetter stimmt mich unsagbar trübe. Ich war -gewohnt, immer in Tätigkeit zu sein, und nun quält mich das Nichtstun. -Ich treibe die Torheit schon so weit, daß ich oft insgeheim, wenn meine -Gattin es nicht sehen kann, still für mich weine.« - -»27. Januar 1842. Ich habe mir bei einem Juden für sieben Rubel eine -Spieldose und ein Damespiel gekauft.« - -»18. Mai. Ich habe mir einen Zeisig angeschafft und lehre ihn zur -Spieldose singen.« - -»2. März 1845. Drei Jahre sind vergangen, ohne daß sich in meinem -Leben etwas geändert hätte. Ich habe mein Haus bestellt und in den -Kirchenvätern und Geschichtschreibern gelesen. Zu zwei Schlüssen bin -ich gekommen und möchte sie gerne beide für falsch halten. Der erste -ist, daß das Christentum in Rußland überhaupt noch gar nicht gepredigt -worden ist, und der zweite, daß die Ereignisse sich wiederholen und -man sie voraussagen kann. Über den ersten Schluß redete ich einmal -mit meinem sehr verständigen Amtsbruder, dem Vater Nikolaus, und war -sehr erstaunt, wie er das aufnahm und mir beistimmte. »Ja,« sagte er, -»das ist unbestreitbar, wir werden in Jesu Namen getauft, aber wir -nehmen Jesum nicht in uns auf.« Also bin ich es nicht allein, der das -sieht, andere sehen es auch. Warum erscheint es aber ihnen allen nur -lächerlich, während es mich bis aufs Blut peinigt.« - -»Neujahr 1846. Es sind mehrere Polen zu uns in die Verbannung -geschickt. Über das Schicksal meines Berichts ist mir noch immer nichts -bekannt. Ich interessiere mich lebhaft für die politischen Wirren, die -im Westen im Anzuge sind und habe in Anbetracht dessen eine politische -Zeitung abonniert.« - -»6. Mai 1847. Es sind noch zwei neue Polen zu uns gekommen, der Pater -Aloysius Konarkiewicz und Pan Ignacij Czemernicki. Letzterer ist noch -ein ganz junger Mann, aber bereits eine komplette Kanaille. Unsere -Stadthauptmannsfrau, die ja selber Polin ist, hat sich mit einem ganzen -Schwarm von Landsleuten umgeben und begünstigt letzteren vor allen -anderen.« - -»20. November. Ich bemerke etwas ganz Erstaunliches und -Unbegreifliches. Die Polen werfen sich bei uns geradezu zu Herren -auf. Man kann durch sie bei der Gouvernementsverwaltung alles -erreichen, denn der Czemernicki erweist sich als intimer Freund jenes -Kanzleivorstehers, den ich in so guter Erinnerung habe.« - -»5. Februar 1848. Was ich mein Lebtag nicht hatte tun wollen, habe -ich jetzt getan. Ich habe mich über die Polen beschwert, denn ihr -Benehmen übersteigt jegliches Maß. Nicht genug, daß sie sich seit -langem schon öffentlich über die Zeitungsmeldungen lustig machen -und behaupten, es sei gar nicht so, wie die Blätter berichteten, -sondern gerade umgekehrt: nicht wir schlügen die Feinde, sondern wir -würden geschlagen, -- sie gehen auch schon von bloßen Worten zu Taten -über. Bei der Totenmesse für die gefallenen Krieger erhoben sie mit -der Stadthauptmannsfrau ein derart unziemliches Gelächter, daß der -Oberpfarrer einen Kirchendiener zu ihnen schickte mit der Bitte, sich -entweder ruhig zu verhalten oder die Kirche zu verlassen, worauf sie -lächelnd hinausgingen. Und als wir mit dem Klerus nach Beendigung des -Gottesdienstes am Kolonialwarenladen der Gebrüder Lialin vorübergingen, -trat einer von den Polen mit einem Glase Punsch in der Hand vor die Tür -und rief, die Stimme des Diakons nachahmend: »Mir noch 'nen Heißen!« -Ich begriff, daß es eine Verspottung des »Kyrie eleison« sein sollte, -und habe es in meiner Beschwerde auch so erwähnt.« - -»1. April. Abends. Meine Beschwerde über das Benehmen der Polen hat, -so scheint es, wenn auch spät, doch eine gewisse Wirkung gehabt. Heute -früh kam der Chef der Gendarmen in die Stadt und berief mich zu sich -und fragte mich lange nach allen Einzelheiten. Ich erzählte ihm, wie es -gewesen, und er teilte mir mit, daß all diesen polnischen Gemeinheiten -bald ein Ende gemacht werden solle. Ich fürchte nur, daß alles dies -wieder mal, recht zum Possen, am ersten April gesagt sein wird. Ich -fange an zu glauben, daß dieser Tag wirklich ein trügerischer Tag ist.« - -»7. September. Der erste April scheint diesmal doch nicht -getrogen zu haben. Konarkiewicz und Czemernicki sind beide in die -Gouvernementsstadt versetzt worden.« - -»25. November. Unser Stadthauptmann nebst Gemahlin haben uns verlassen. -Er ist zum Polizeimeister in der Gouvernementsstadt ernannt worden. -+Die+ Strafe ist noch zu ertragen.« - -»5. Dezember. Der neue Stadthauptmann ist angekommen. Er nennt sich -Hauptmann Mratschkowskij. Der Name kommt vom Worte »~mrak~« -- die -Finsternis. O Herr, Du allein weißt, wann auch etwas vom Licht zu uns -kommen wird!« - -»9. Dezember. Heute war ich beim neuen Stadthauptmann zum Frühstück. -Liebenswürdig sind sie beide, er sowohl wie die Gattin. Nachdem er -gehörig getrunken hatte, sang er uns vor: »Denkst du daran, mein -tapfrer Kampfgenosse?« Und sein Söhnchen, ein munterer Bub in einem -russischen Hemd, sang auch: »Heil dir, Meister Frost, bist ein wackrer -Russe!« Das sind mir doch Neuigkeiten! Aus dem Gespräch mit besagtem -Mratschkowskij ist mir vor allem die Geschichte von einem Professor der -Moskauer Universität bemerkenswert, der seinen Abschied erhalten haben -soll, weil er in einer Festrede gesagt hatte: »~Nunquam de republica -desperandum~«, -- was bedeuten sollte: man darf niemals am Staat -verzweifeln. Aber ein Kanzleiweiser legte es so aus, er hätte sagen -wollen, man dürfe nie an der +Republik+ verzweifeln. Daraufhin ward der -Professor gebeten, sein Entlassungsgesuch einzureichen. Es ist kaum -glaublich.« - -»20. Dezember. Nein, der erste April ist nicht nur trügerisch, sondern -auch rätselhaft. Ich will hier nicht alles erzählen, was mir bei -meiner diesmaligen Fahrt nach der Gouvernementsstadt widerfuhr; nur -das eine sei gesagt, daß ich beschimpft und geschmäht worden bin in -jeder Weise. Es fehlte nur noch, daß sie mich für meine Beschwerde -geschlagen hätten. Ich weiß nicht, wem ich es zu verdanken habe, da -+er selbst+ auf mich losfuhr und mich anschrie, man hätte meine Ränke -schon satt; ich vermochte nichts zu erwidern, denn so wie ich nur -die Lippen bewegte, hieß es gleich: »Schweig!« So mußte ich alles -hinunterschlucken und bin nun wieder daheim. Wie eine Henne, die man -mit Nesseln verprügelte. Nur das eine begreife ich nicht: warum -erklärt man meine Tat, die ja vielleicht unvorsichtig war, durch nichts -anderes, durch meine Unbildung oder durch mein Ungeschick, sondern --- was meint ihr wohl? -- durch Mißgunst! Weil nämlich jene Polen -mich nicht in ihre Gesellschaft aufgefordert und mich nicht trunken -gemacht, -- obzwar ich, Gott sei gelobt, niemals ein Trinker gewesen. -Von diesem Geringen auf das Große schließend, gedenke ich der Worte -der französischen Jungfrau Charlotte Corday d'Armont, welche sie in -ihrem letzten Brief vor ihrer Hinrichtung schrieb, daß sich nämlich -»unter den neuen Völkern wenig Patrioten fänden, welche die einfache -patriotische Leidenschaft verstehen und an die Möglichkeit, ihr Opfer -zu bringen, glauben können. Überall nur Egoismus und alles wird durch -ihn erklärt.« Wenn ich nur unsere Leute sehe, so bin ich geneigt, -Charlotte Corday d'Armont recht zu geben, richte ich meinen Blick -dann aber auf die Polen, denen jeder Zugvogel ein Lied von der Heimat -singt, oder auf unsere Altgläubigen, die trotz allen Kränkungen und -Unterdrückungen nicht aufhören, ihr russisches Land zu lieben, dann muß -ich ihr widersprechen und behaupten, es gibt doch noch Vaterlandsliebe -unter den Menschen. So weit kommt man auf seine alten Tage, daß man -sogar an den Polacken etwas zu loben findet! Allein ich will mich -fortan an das Wort halten, das ich neulich so viele Male zu hören -bekam: »Schweig!« ~Nunquam de republica desperandum.~« - -»2. Januar 1849. Ich bin bei allen Altgläubigen gewesen und habe mir -die Silberlinge herausschicken lassen. Ich kann mich dem nicht mehr -widersetzen, allein es tut mir hin und wieder bitter weh. Ich mußte es -aber tun, damit meine Pfarrerin nächstens nicht noch zur Subdiakonsfrau -wird, denn nach dem, was ich erlebt habe, ist alles möglich.« - -»1. Januar 1850. Das Jahr ist still und friedlich dahingegangen. -Ich habe meine Wohltäterin, Marfa Andrejewna Plodomasowa, zu Grabe -getragen. Sie starb, nachdem sie fünf Kronenträger überlebt hatte: -Elisabeth, Peter, Katharina, Paul und Alexander; mit zweien von ihnen -hat sie auf Gesellschaften getanzt. Nächstes Jahr will ich einen Anbau -an mein Häuschen machen, denn ich bin einer Schwäche verfallen: ich -finde viel Vergnügen am Preferance-Spiel und habe mir aus Langerweile -das Rauchen angewöhnt, das macht neue Ausgaben. Anfangs rauchte ich nur -spaßeshalber beim Stadthauptmann, aber jetzt habe ich mir auch zu Hause -allen Zubehör angelegt. Eigentlich sollte ich es lassen.« - -»10. Januar 1857. Ich erkenne mich selbst nicht mehr. Sieben Jahre -lang keine einzige Zeile hier hineingeschrieben. Mein Leben ist -seltsam, denn es ist ein sattes und behagliches geworden. Ich las eben -alles nach, was ich seit dem Tage meiner Ordination eingetragen. Es -ist bemerkenswert, wie so ganz anders ich in diesen Jahren die Dinge -betrachten gelernt habe. Ich kämpfe nicht mehr, belästige niemand und -werde von keinem belästigt. Steter Tropfen höhlt den Stein!« - -»20. Oktober. An Stelle unseres entschlafenen Diakons, des sanften -Prochor, ist aus der Gouvernementsstadt ein neuer Diakon eingetroffen, -namens Achilla Desnitzyn. Dieser ist größer und dicker als wir alle. -Wenn man seine Physiognomie und seine Statur betrachtet, muß man die -Schöpferkraft der Natur bewundern. Am meisten aber gefällt mir an dem -Manne seine Gutmütigkeit. Er zeigte mir die Abschrift seines Zeugnisses -aus dem Seminar, in dem geschrieben stand: »Sittliches Verhalten gut, -aber sehr tragfähig.« Was bedeutet denn das? fragte ich. »Ach, nichts -von Belang,« erklärte er, »als ich wegen Fieber im Seminarlazarett -lag, trug ich den kranken Theologen heimlich Schnaps zu. Und zwar in -gehöriger Quantität.«« - -»7. Dezember. Der Subdiakon Sergej macht mich darauf aufmerksam, daß -unser neuer Diakon Achilla ein wenig vorlaut ist: aus falschem Ehrgeiz -gibt er vielen Betern vom Lande heimlich den priesterlichen Segen. Ich -habe ihm gesagt, daß er sich das in Zukunft nicht unterstehen dürfe.« - -»15. August. Auf einem Festmahl beim Stadthauptmann kam es fast zu -einem Skandal, wieder durch einen Streit um den Verstand, und das -erinnerte mich an den alten Streit, der mich einst so lachen gemacht. -Der Diakon Achilla und der Arzt stritten über mich. Der Arzt leugnete -meinen Verstand, der Diakon pries ihn himmelhoch. Auf ihren Lärm und -besonders auf das Geschrei des Arztes kamen wir ins Zimmer und sahen -den Arzt hoch oben auf dem Schranke sitzen und verzweifelt mit den -Beinen strampeln und stoßen. Achilla aber saß seelenruhig mitten im -Zimmer in einem Lehnstuhl und meinte: »Nehmt ihn bitte nicht herunter, -ich habe ihn sozusagen an Wasserflüssen Babylons an die Weiden gehängt -für seine Widerspenstigkeit.« Ich konnte mich des Lachens kaum -erwehren, hielt aber dem Diakon eine ordentliche Strafpredigt und -sagte ihm, Gewalt sei kein Beweis. Er aber machte mir dafür eine tiefe -Verbeugung und wandte sich hierauf zum Arzte: »Nun? Jetzt siehst du's -wohl selbst, daß er der Justizminister ist.« Es ist wunderbar, wie -dieser kosakische Diakon es gleichsam fühlt, daß ich ihn von ganzem -Herzen liebhabe. Ich weiß selbst nicht warum. Aber er hat mich auch -lieb.« - -»25. August. Welch große Freude! Die katholische Geistlichkeit in -Litauen hat Nüchternheitsvereine gegründet: sie predigen gegen die -Trunksucht, und die Trunksucht läßt nach. Die Leute kommen zur Vernunft -und die Blutsauger, die Branntweinpächter, platzen. Ach, wie gern -würde ich auch in dieser Art predigen!« - -»5. September. In einigen orthodoxen Gemeinden ist dasselbe versucht -worden. Ich fürchte, ich halt's nicht aus und sage ein Wort! Aber da -ich ohne Zensur nicht predigen darf, so will ich eine schlaue Intrige -einfädeln und einen Mäßigkeitsverein gründen. Was soll man machen, -notgedrungen folgt man dem Beispiel des Ignatius Loyola, wenn man auf -geradem Wege nicht gehen darf.« - -»7. Oktober. Wir haben die Statuten unseres Vereins entworfen, -aber bestätigt ist er noch nicht. Dagegen schreibt man, daß der -Branntweinpächter sich bei dem Minister über die Prediger beklagt habe, -welche das Volk vom Trinken abhalten. O du freche Kanaille! Wagst es -noch zu klagen, und noch gar dem Minister gegenüber!« - -»20. Oktober. Eine wahnsinnige Nachricht! Die Zeitungen melden, -im Juli dieses Jahres hätten die Branntweinpächter beim Minister -des Innern über die orthodoxen Geistlichen, welche das Volk zur -Nüchternheit anhalten, Beschwerde geführt, und der Herr Minister -hätte sie dem Oberprokurator des Heiligen Synods weitergegeben, -welcher geantwortet hätte, daß der Synod den Geistlichen seinen Segen -gebe, an dem verdienstlichen Werke des Kampfes gegen den Mißbrauch -berauschender Getränke nach Kräften mitzuwirken. Aber die Pächter gaben -sich nicht zufrieden und petitionierten noch einmal um Aufhebung der -Verordnung des Heiligen Synods. Hierauf soll der Finanzminister dem -Oberprokurator des Heiligen Synods mitgeteilt haben, daß ein völliges -Verbot des Gebrauchs geistiger Getränke nicht zulässig sei, wenn es -durch religiöse Drohungen, die stark auf das Gemüt des einfachen -Mannes wirken, und durch Ablegung von Gelübden durchgesetzt werde, -weil dieses nicht nur der allgemeinen Anschauung von dem Nutzen eines -mäßigen Weingenusses widerspreche, sondern auch gegen die gesetzlichen -Verordnungen verstoße, auf Grund deren die Regierung die Schanksteuern -verpachtet habe. Infolgedessen soll eine Verordnung getroffen worden -sein, die Beschlüsse der Stadt- und Landgemeinden bezüglich der -Branntweinverbote aufzuheben und keinerlei Gemeindeversammlungen in -dieser Angelegenheit mehr zuzulassen. Sauf, mein armes Volk, sauf dich -zu Tode!« - -»8. November. Am Tage des Anführers aller heiligen und himmlischen -Heerscharen, des Erzengels Michael, ward mir von der hohen Obrigkeit -eine ellenlange Nase zuteil. Nicht nur von dem verbrecherischen Plan -der Gründung eines Mäßigkeitsvereins hätte ich lassen sollen, sondern -auch predigen dürfte ich nicht darüber, in Anbetracht von diesem und -jenem und aus solchen Erwägungen und derartigen Rücksichten ... bloß -der einfache Nutzen der Menschheit zählt nicht mit ... Aber habe ich -nicht schon genug davon geschrieben? Soll ich denn immer nur meine -eigene Schmach zu Papier bringen?« - -»1. Januar 1860. Sogar den Jahresbeginn lasse ich jetzt unbeachtet! -Wie heiß faßte ich früher alles auf und wie gleichgültig bin ich jetzt -geworden. Meine Pfarrerin Natalia Nikolajewna sagt freilich, ich wäre -auch heute noch geradeso wie einst, aber wie könnte das sein! Ihr mag -das mitunter wohl so vorkommen, denn auch sie hat mittlerweile das -Alter der Mutter Sarah erreicht, ich aber sehe das besser ... Der Leib -ist gesund und sogar fett, aber was nutzt das, wenn die Seele schon -gleichsam mit einer Rinde zu bewachsen beginnt.« - -»27. März. Frühlingslüfte wehen und die Wasserbäche stürzen von den -Hügeln. Der Diakon Achilla bringt schon seine Sättel in Ordnung und -wird bald wieder als Steppenkirgise dahersprengen. Wohl ihm, daß er -sich die Zeit so vertreiben kann.« - -»23. April. Achilla erschien heute mit Sporen, die er sich für seine -Spazierritte eigens von Pizonskij hatte anfertigen lassen. Schlimm, -daß er in Nichts Maß zu halten versteht und jedes Ding gleich bis zum -Äußersten treiben muß. Um ihn sofort in seine Schranken zu weisen, -brach ich mit einem einzigen Tritt die Sporen von den Stiefeln des -Achilla ab und verbot ihm zur Strafe für diese Albernheit das Reiten -für dieses ganze Jahr. Somit muß er mir jetzt Buße tun. Was soll -man aber machen, wenn er nicht anders gebändigt werden kann? Er ist -imstande und gürtet sich nächstens noch ein Schwert um.« - -»14. September. Der Subdiakon Sergej kam heute angeblich nach einer -Bütte zu Sauerkraut und erzählte mir dabei scheinbar ganz von ungefähr, -daß diesen Abend in der Scheune der Ziegelei ein zugereister Komödiant -einen Riesen und Kraftmenschen vorführe, und der Diakon Achilla -der Vorstellung beiwohnen wolle. Einen gemeinen und hinterhältigen -Charakter hat dieser Sergej.« - -»Am 15ten. Ich habe mir die Vorstellung angesehen. Ohne selbst -gesehen zu werden, schaute ich durch eine Ritze im Hintertor. Achilla -war wirklich da, aber nicht bloß als Zuschauer, sondern sozusagen -als Mitwirkender. Er erschien in einem mächtigen Schafpelz, dessen -Kragen hochgeschlagen war, und hatte ein gemustertes Tuch umgebunden, -das seine Haare und den größten Teil des Gesichts bis an die Augen -verdeckte. Ich erkannte ihn sofort, was nicht schwer war, weil er, als -der vom Komödianten vorgeführte Riese und Athlet in fleischfarbenem -Trikot erschien, in jeder Hand ein Fünf-Pud-Gewicht, und damit, ein -wenig schwankend, die Bänke entlang wanderte, sich so weit vergaß, daß -er mit seiner gewöhnlichen Stimme laut rief: »Was ist denn an all -dem so Wunderbares?« Als hierauf der Riese in frechem Ton fragte, ob -jemand mit ihm ringen wolle, und sich keine Liebhaber für solch einen -Wettstreit fanden, trat Achilla, das Gesicht tief in das gemusterte -Tuch vergrabend, vor und griff den Riesen an. Ich meinte, ihre Knochen -müßten zerbrechen. Aber endlich überwand Achilla jenen hochmütigen -Deutschen, und nachdem er ihm die Beine kreuzweis übereinandergelegt, -wie man in feinen Häusern die gebratenen Poularden serviert, nahm -er jene zehn Pud und den Kraftmenschen selber und begann mit dieser -ganzen Last vor dem Publico auf- und abzugehen. Alles schrie »Bravo!« -Am wunderbarsten aber war das Finale, das mein guter Achilla zum -besten gab. »Meine Herrschaften,« wandte er sich ans Publikum, -»vielleicht fällt es jemandem ein, zu behaupten, ich wäre wer anders. -Bitte seid so gut und spuckt dann dem Kerl ins Gesicht, denn ich bin -bloß der Kleinbürger Iwan Morozow aus Sewsk.« Als ob ihn jemand um -diese Erklärung gebeten hätte. Aber mir war das doch immerhin eine -recht heitere Zerstreuung. Ach, wie geht unser Leben dahin! Wie ist -es schon hingegangen! Als ich von der Schaustellung wieder heimging, -kamen mir Tränen in die Augen -- ich weiß selbst nicht weshalb. Ich -fühlte nur das eine, daß etwas da ist, das ich beweinen muß, wenn -ich an die kühnen Pläne meiner Jugend denke und sie mit dem weiteren -Verlauf meines Lebens vergleiche! Als mir einst jene große Kränkung -widerfuhr, da träumte ich, ich könnte immer noch ein würdig Leben -führen, nicht im Wirken nach außen, sondern in stiller Arbeit an der -eigenen inneren Vervollkommnung; aber ich bin kein Philosoph, sondern -ein Bürger; mir ist das nicht genug: ich plage mich und leide ohne -Tätigkeit, und darum kann ich die Lebhaftigkeit meines lieben Achilla -nicht immer verurteilen. Gott verzeihe ihm und segne seine entzückende -Herzenseinfalt, in der ihn alles erfreut und erheitert. Dem Subdiakon -Sergej habe ich gesagt, er hätte gelogen, und ich habe ihm verboten, -noch weiter gegen den Achilla zu hetzen. Ich fühle, daß ich mit aller -Schwäche eines Vaters diesen guten Menschen liebgewonnen habe.« - -»14. Mai 1861. In was für seltsame Dinge kann den Menschen sein -Leichtsinn verwickeln! Als ob wir nicht auch ohne den Diakon Achilla -Hansnarren genug hätten. Der Stadthauptmann wollte bei seinem -Schwiegervater, dem Verwalter der fürstlichen Güter Glitsch, ein -Pferd für sein Sechsgespann kaufen, welches dieser aber nicht zu -verkaufen gedachte. Da haben sie gewettet, daß der Stadthauptmann in -den Besitz des Pferdes gelangen werde. Darauf hat der Stadthauptmann -einen beschäftigungslosen Kleinbürger, namens Danilka, den sie hier -den Kommissar nennen, für zwei Rubel gedungen, ihm das Pferd beim -Herrn Glitsch zu stehlen. Einen zum Diebstahl anzustiften paßt sich -vorzüglich für einen Stadthauptmann -- sei es auch nur im Scherz. Was -aber das Tollste war: mein Achilla erbot sich, dem Danilka bei dieser -Sache zu helfen. Wieder war es der Subdiakon Sergej, der mir davon -Mitteilung machte, und ich ließ den Achilla rechtzeitig zu mir kommen, -um ihn für diesen Tag unter Aufsicht meiner Natalia Nikolajewna, für -die er Butter schlagen mußte, zu stellen; nachts jedoch ließ ich ihn -in meiner Stube auf dem Fußboden schlafen, und, damit er sich nicht -davonmachen könne, verwahrte ich seine Kleider und Schuhe bis zum -Morgen unter Schloß und Riegel. Heute früh aber wurden wir durch einen -großen Lärm aufgeweckt: Nach dem Hause des Stadthauptmanns jagte ein -mit drei Pferden bespannter Leiterwagen, in dem der Kommissar Danilka -zwischen zwei Bauern saß und wie ein Wahnsinniger schrie. Wir gingen -hinaus, um zu erfahren, aus welchem Grunde er so brüllte, und sahen, -wie man dem Danilka die Hosen herunterzog, die ganz mit Nesseln -vollgestopft waren. Es stellte sich heraus, daß der Herr Glitsch -ihn ertappt und zur Strafe in die Nesseln gesetzt hatte, worauf die -Gutsknechte ihn zu dem zurückgeschafft hatten, der ihn ausgesandt. -Ich fragte den Diakon, wie ihm wohl zumute gewesen wäre, wenn er das -Schicksal des Danilka hätte teilen müssen? Er erwiderte, das hätte ihm -nicht passieren können. Wenn selbst ihrer zehn über ihn hergefallen -wären, würde er sich ihnen nicht ergeben haben. »Nun, und wenn es -zwanzig gewesen wären?« fragte ich. »Ja, mit zwanzig,« meinte er, -»wär' ich auch nicht fertiggeworden,« und erzählte, wie er einmal als -Schüler mit seinem Bruder zu den Ferien nach Hause gewandert wäre und -sie gleichzeitig mit einer vorüberziehenden Abteilung Soldaten einen -Holderstrauch mit ein paar Zweigen voller Beeren bemerkt, sich auf -diese doch fast zu nichts zu gebrauchenden Beeren gestürzt hätten -- -Achilla und sein Bruder und an die vierzig Soldaten. »Es kam,« sagte -er, »zwischen uns zu einem gewaltigen Handgemenge und mein Bruder -Finogescha blieb für tot liegen.« Wie naiv und einfach das ist! Jede -seiner Geschichten ist ein Ereignis! Das Leben ist ihm wirklich keinen -Heller wert!« - -»29. September 1861. Aus der Gouvernementsstadt ist der Sohn der -Hostienbäckerin von St. Nikita, der Marfa Nikolajewna Prepotenskaja, -Warnawa, hier eingetroffen. Er hat das Seminar als einer der ersten -absolviert, aber nicht Geistlicher werden wollen und ist jetzt als -Rechenlehrer an der hiesigen Kreisschule angestellt. Auf meine Frage, -warum er den geistlichen Stand verschmäht habe, antwortete er kurz, er -wolle kein Betrüger ein. Ich konnte diese dumme Antwort nicht ungerügt -lassen und sagte ihm, er sei ein Narr. Aber so gering ich auch diesen -Menschen und alle seine Meinungen achte, seine Antwort hat mir doch weh -getan, wie der Stich einer giftigen Wespe.« - -»27. Dezember. Achilla legt mitunter einen derartigen Leichtsinn an den -Tag, daß man in seinem eigenen Interesse hart gegen ihn sein muß. Der -schon mehrfach erwähnte Konstantin Pizonskij bat ihn jüngst, er möge -den Knaben, den der arme Alte bei sich aufgenommen und großgezogen, ein -recht schönes Gedicht lehren, mit dem das Kind den Bürgermeister zum -Weihnachtsfest beglückwünschen könne, -- Achilla hat sich gleich dazu -bereit erklärt und dem Buben folgende Verse beigebracht: - - Heute ward unser Heiland geboren. - Herodes hat den Verstand verloren. - Herr Bürgermeister ehrenwert, - Werd' Euch von Gott das gleiche beschert! - -Nein, man muß ihn mit mehr Strenge behandeln.« - -»1. Januar 1862. Der Arzt hat in Erfüllung seiner Amtspflicht die -Leiche eines plötzlich Verstorbenen geöffnet, und der Lehrer Warnawa -Prepotenskij ist mit mehreren Schülern der Kreisschule zur Sektion -gekommen, um sie mit den Grundbegriffen der Anatomie bekannt zu machen. -In der Klasse hat er sie später gefragt: »Habt ihr den Körper gesehen?« --- »Ja,« sagten die Knaben. -- »Und die Knochen habt ihr gesehen?« --- »Die Knochen auch.« -- »Habt ihr alles gesehen?« -- »Alles.« -- -»Habt ihr auch die Seele gesehen?« -- »Nein, die Seele haben wir nicht -gesehen.« -- »Nun, wo ist sie denn?« Und so bewies er ihnen, daß -es keine Seele gäbe. Ich machte den Inspektor konfidentiell darauf -aufmerksam und sagte, daß ich bei der nächsten Direktorenrevision -bestimmt die Rede darauf bringen würde. - -Nun bist du wieder nötig geworden, armer Pope! Du hast mit den -Altgläubigen Krieg geführt und bist mit ihnen nicht fertig geworden; -du hast mit den Polen gekämpft und kriegtest sie nicht klein. Jetzt -sieh zu, was du mit dieser Narretei anstellst, denn da wächst schon die -Frucht deiner Lenden auf. Wirst du damit fertig werden? Zähl's doch an -den Knöpfen ab!« - -»9. Januar. Ich bin an der Grippe erkrankt und kann das Haus nicht -verlassen. Die Religionsstunden in der Kreisschule gibt Vater Zacharia -an meiner Statt. Gestern kam er verwirrt und verstört zurück und -erklärte unter Tränen, er könne mich in der Schule nicht länger -vertreten. Die Ursache ist folgende: in der vorletzten Stunde hatte -Vater Zacharia in der dritten Klasse von der göttlichen Vorsehung -gesprochen, und heute prüfte er die Jungen daraufhin. Da sagt ihm -plötzlich ein Schüler, der Sohn des Kolonialwarenhändlers Lialin, -Alioscha, ein sehr begabter Bub, er »könne Gott den Schöpfer wohl -gelten lassen, aber Gott den Fürsorger erkenne er nicht an«. Erstaunt -ob einer solchen Antwort, fragte Vater Zacharia, worauf der junge -Theologe seine Anschauung denn begründe, -- und jener erwiderte darauf, -daß in der Natur sehr viel Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu finden -sei; er wies dabei vor allem auf den Tod hin, der für den Sündenfall -eines einzigen ungerechterweise dem ganzen Menschengeschlecht auferlegt -sei. Vater Zacharia, der diese freche Antwort nicht unerwidert lassen -konnte, fing nun an, den Jungen zu erklären, daß wir, angesichts der -Unvollkommenheit unserer Vernunft, über diese Dinge nicht gut urteilen -könnten, und unterstützte seine Worte mit dem Hinweis, daß, wenn wir -in unserer Sündhaftigkeit ewig wären, auch die Sünde und mit ihr -alles Schlechte und Böse ewig sein müßte, -- und, um die Sache noch -deutlicher zu erläutern, fügte er hinzu, daß dann auch der blutgierige -Tiger und der grimmige Hai ewig sein müßten, und überzeugte sie damit -denn auch alle. Aber in der zweiten Stunde, als Vater Zacharia in -der unteren Klasse war, kam derselbe Bub dort hinein und widerlegte -den Vater Zacharia vor all den Kleinen, indem er sagte: »Was könnten -der Tiger und der Hai uns denn anhaben, wenn wir unsterblich wären?« -Vater Zacharia fand in seiner Gutmütigkeit und bei seinem Mangel an -Schlagfertigkeit keine andere Antwort als: »Darüber haben sich schon -klügere Leute als du und ich den Kopf zerbrochen.« Das ging aber dem -alten Manne so nahe, daß er wohl eine Stunde bei mir geweint hat. -Und ich muß zum Unglück immer noch krank sein und kann nicht aus dem -Hause, um diesem Unfug zu steuern, hinter dem sicher der Lehrer Warnawa -steckt.« - -»13. Januar. Wie gut ich's erraten habe! Alioscha Lialin hat von seinem -Vater für seine Freigeisterei die wohlverdienten Prügel bekommen und -unter Tränen gestanden, daß der Lehrer Prepotenskij ihn jene Frage und -die spätere Antwort gelehrt habe. Ich bin ganz entrüstet, aber unser -Arzt meint, ich dürfe das Haus noch nicht verlassen, denn ich hätte -eine Rezidiv-Angina, und könnte leicht den Weg ~ad patres~ finden. -Was ich doch noch nicht möchte. Ich habe dem Inspektor geschrieben. -Als Antwort erhielt ich die Mitteilung, dem Prepotenskij sei auf -meine Beschwerde hin ein Verweis erteilt worden. Jawohl, ein Verweis! -Der die Geister verwirrt, der sich an den Kleinen versündigt, den -ehrenwertesten, sanftmütigsten, man kann wohl sagen: musterhaftesten -Diener des Altars kränkt -- erhält einen Verweis! Und wenn ein -hungernder Subdiakon ein altes Psalmenbuch gegen ein neues eintauscht, -wird seine Familie für ein ganzes Jahr des Ernährers beraubt ... O du -arglistiges Geschlecht! ...« - -»27. Ich bin in der größten Aufregung. Mit dem abscheulichen Warnawa -ist kein Auskommen. In der Stunde erzählte er neulich, daß der -Prophet Jonas unmöglich vom Walfisch verschluckt werden konnte, denn -dieses riesengroße Tier hätte doch eine sehr enge Gurgel. Ich kann -das unmöglich dulden, aber ich wage es nicht, mich beim Direktor zu -beschweren, denn am Ende läuft es wieder auf einen flüchtigen Verweis -hinaus.« - -»17. Februar. Prepotenskij bringt mich ganz aus der Fassung. Ich kann -ihn nach dem, was er sich jetzt wieder erlaubt hat, kaum noch für einen -Menschen halten, und habe darüber nicht seinem Direktor, sondern dem -Adelsmarschall Tuganow Bericht erstattet. Was mir von diesem alten -Voltairianer kommen wird, weiß ich nicht, aber immerhin ist er ein -bodenständiger Mensch und kein Mietling und wird daher vielleicht ein -Einsehen haben. Warnawka treibt Dinge, wie sie nur der Wahnsinn einem -eingeben kann. Weil der Lehrer Gonorskij erkrankt ist, hat Prepotenskij -zeitweilig den Geschichtsunterricht übernehmen müssen, -- und hat -gleich damit angefangen, von der Unsittlichkeit des Krieges zu reden -und es direkt auf die Begebenheiten in Polen bezogen. Indessen das war -ihm noch nicht genug, er begann über die Zivilisation zu spotten, den -Patriotismus und die nationalen Prinzipien zu verhöhnen, und zuletzt -sich auch noch lustig über die Anstandsregeln zu machen, welche er zum -Teil sogar als unsittlich bezeichnete. Als Beispiel führte er an, daß -die gebildeten Völker den Akt der Geburt des Menschen verheimlichen, -den des Mordes aber nicht, indem sie sich sogar mit Kriegswaffen -öffentlich sehen lassen. Was will dieser Narr? Wahrlich, das ist so -dumm, daß man sich schämen muß, und doch ärgere ich mich. Es ist ja nur -eine Kleinigkeit; aber ich muß ja nach den Kleinigkeiten sehen, denn -über Kleinem bin ich gesetzt.« - -»28. Februar. Oho! Mein Voltairianer liebt nicht zu scherzen. Der -Direktor ist hergekommen. Ich konnt' es nicht länger ertragen und ging -trotz aller Drohungen des Arztes zu ihm hin und berichtete ihm von den -Ungebührlichkeiten des Prepotenskij, aber der Herr Direktor haben zu -alledem nur herzlich gelacht. Wie lachlustig sie alle sind! Er gab dem -Ganzen eine scherzhafte Wendung und sagte, deswegen werde Moskau nicht -in Flammen aufgehen, -- »und übrigens,« fügte er hinzu, »wo soll ich -denn andere hernehmen? Sie sind heutzutage alle so.« Und so stand ich -wieder da, wie ein Narr, der unnütz Krakeel macht. Aber das muß wohl so -sein.« - -»1. März. Ich bin wirklich ein alter Narr geworden, über den alle sich -lustig machen. Heute besuchten mich der Arzt und der Stadthauptmann, -und ich sagte ihnen, daß meine Gesundheit infolge des gestrigen -Ausgangs nicht im geringsten gelitten habe; da fingen sie beide an zu -lachen und erwiderten, der Arzt habe mich zum Spaß in der Stube sitzen -lassen, denn er habe mit irgend jemand gewettet, daß er, wenn er wolle, -mich einen ganzen Monat lang zu Hause halten könne. Deshalb redete er -mir von einer Gefahr vor, die gar nicht vorhanden war. Pfui!« - -»20. Juni. Ich habe eine Reise durch das Kirchspiel gemacht, die mir -ausgezeichnet bekommen ist. Es ist so frisch und schön draußen in der -Natur, und unter den Menschen herrscht Friede und Zufriedenheit. In -Blagoduchowo haben die Bauern auf eigene Kosten die Kirche ausbauen -und ausmalen lassen, aber auch bei einer so einfachen Sache hat sich -wieder etwas Scherzhaftes hineingemengt. An der Wand der Vorhalle haben -sie einen ehrwürdigen Greis abgebildet, der auf einem Ruhebette liegt, -mit der Inschrift: »Und Gott ruhete am siebenten Tage von allen seinen -Werken, die er machte.« Ich wies den Vater Jakob darauf hin und befahl -das Bild zu übertünchen.« - -»11. Juli. Vorgestern war der Bischof auf der Durchreise hier und hat -im Dom die Messe gelesen. Ich fragte den Vater Troadij, ob das Bild -in Bogoduchowo entfernt worden sei, und erfuhr, daß es noch immer -vorhanden, was mich einigermaßen erregte. Aber Vater Troadij beruhigte -mich, meinte, das habe nichts zu sagen, es sei doch »volkstümlich« und -fügte noch eine Anekdote hinzu von den Seelen der Erlösten, die der -Maler in Schuhen dargestellt hatte, und so lief wieder alles auf einen -Scherz hinaus. Ach, was die Leute alle lustig sind!« - -»20. Juli. Ich war in Blagoduchowo und ließ das Bild in meiner -Gegenwart abkratzen. Ich halte es nicht für angebracht, diese dumme Art -von Volkstümlichkeit zu pflegen. Ich fragte nach dem Verfertiger des -Bildes; und es stellte sich heraus, daß der Glöckner Pawel es gemalt -hatte. Um dem scherzhaften Geist der Zeit entgegenzukommen, befahl ich -diesem Künstler, sich neben meinen Kutscher auf den Bock zu setzen, -und nachdem wir vierzig Werst weit gefahren waren, ließ ich ihn zu Fuß -nach Hause wandern, damit er unterwegs über seine malerische Phantasie -nachdenken könne.« - -»12. Oktober. Der neue Gouverneur ist zur Revision hier gewesen. Er -besuchte den Dom und die Schule und beide Male, hier wie dort, wollte -er durchaus, daß ich ihn segne. Er ist ein echter Russe sowohl dem -Namen, wie dem Benehmen nach. Noch sehr jung, hat er jene privilegierte -Lehranstalt, die Rechtsschule, absolviert, und war bisher noch nie aus -Petersburg herausgekommen, was auch leicht zu bemerken ist, denn alles -interessiert ihn. Besonders angelegentlich erkundigte er sich nach den -Gegensätzen zwischen Geistlichkeit und Adel; leider konnte ich seine -Neugier wenig befriedigen, denn sowohl unser Kreisadelsmarschall -Plodomasow, als auch der Gouvernementsmarschall Tuganow sind würdige -Männer, und von Gegensätzen ist keine Rede.« - -»14. November. Es wird erzählt, daß ein Gutsbesitzer sich bei dem -Gouverneur über die Bauern beschwert habe, die ihren Verpachtungen -nicht nachkämen. Der Gouverneur habe seine Klagelitanei unterbrochen -mit den Worten: »Ich bitte, wenn Sie vom Volke reden, nicht zu -vergessen, daß ich Demokrat bin.«« - -»20. Januar 1863. Ich notiere die außerordentliche und höchst -belehrende »Geschichte vom Surrogat«. Es wird folgendes Kuriosum von -der ersten Begegnung des neuen Gouverneurs mit unserm Adelsmarschall -Tuganow erzählt. Dieser von höherer Politik durchdrungene Petersburger -Kavalier stellte sich auch unserem Voltairianer als Demokrat vor, wofür -ihn Tuganow auf dem Adelsball vor allen höchlich lobte und hinzufügte, -diese Richtung sei die allerbeste, besonders in der gegenwärtigen Zeit, -denn in drei Kreisen unseres Gouvernements herrsche eine ziemlich -starke Hungersnot und da biete sich reichlich Gelegenheit, sich als -Volksfreund zu bewähren. Der Gouverneur zeigte sich darüber sehr -erfreut, daß die Leute hungern, und war nur ungehalten, daß er bisher -nichts davon gewußt hatte; er rief seinen Kanzleivorsteher und machte -ihm heftige Vorwürfe, daß er ihn nicht früher davon unterrichtet habe, -und als richtiger Heißsporn ordnete er an, daß darüber sofort nach -Petersburg berichtet werde. Aber der Vorsteher, der sich rechtfertigen -wollte, sagte, daß von einer richtigen Hungersnot in jenen Kreisen -nicht geredet werden könnte, denn wenn auch die Kornernte schlecht -gewesen sei, so sei die Hirse doch sehr gut geraten. Damit fing nun -die Geschichte an. »Was ist das -- Hirse?« rief der Gouverneur. »Hirse -ist ein Surrogat für Brotkorn,« erwiderte der gelehrte Vorsteher, -statt einfach zu sagen, daß man aus Hirse Brei koche, was unseren -Rechtsgelehrten vielleicht vollständig befriedigt hätte, denn in -der Kunst, einen Brei anzurühren, muß er Meister sein. Aber nun war -einmal das Wort Surrogat gefallen. »Schämen Sie sich,« sagte der hohe -Politiker, als er dieses Wort vernahm, »schämen Sie sich, mich so -zu betrügen. Man braucht ja nur in einen Obstladen zu treten, um zu -sehen, wozu Hirse gebraucht wird. In Hirse werden Trauben verpackt.« -Tuganow schwieg mit ernstem Gesicht, tags darauf aber schickte er dem -Gouverneur durch die Verpflegungskommission eine Liste der Kornfrüchte -Rußlands. Der Gouverneur wurde verlegen, als er hier auch Hirse -verzeichnet fand, ließ seinen Kanzleivorsteher rufen und sagte zu ihm: -»Verzeihen Sie, daß ich Ihnen damals nicht glauben wollte. Sie haben -recht. Hirse ist ein Getreide.« Du tust mir von Herzen leid, mein -lieber Demokrat! Der Deutsche meinte wohl, daß St. Nikolaus mit Hafer -gehandelt habe, aber solche Weintraubenscherze machte er nicht.« - -»6. Dezember. Es kommen immer wieder Nachrichten von Konflikten -zwischen dem Adelsmarschall Tuganow und dem Gouverneur, der, wie man -sagt, eine Gelegenheit sucht, dem Marschall für die Hirse etwas am -Zeuge zu flicken, und wie es scheint, hat er endlich etwas gefunden. -Der Gouverneur steht immer für die Bauern ein und jener, der Voltaire, -verteidigt seine Rechte und Freiheiten. Dem einen hat das Rechtsstudium -den Verstand aus dem Geleise gebracht, und des andern Hochmut kommt dem -Berg Ararat gleich. Er läßt keinerlei fremdes Recht gelten. Es kommt -sicher noch zu einer regelrechten Bataille.« - -»20. Dezember. Die Seminaristen sind für die Weihnachtsferien nach Haus -gekommen und der Sohn des Vaters Zacharia, der Privatstunden in guten -Familien gibt, erzählt eine ganz unglaubliche und wüste Geschichte: -ein abgedankter Soldat hätte sich in einem Winkel der Marienkirche -versteckt gehabt und die Krone von dem wundertätigen Bilde St. Johannis -des Kriegers geraubt. Als die Krone dann in seinem Hause gefunden -wurde, behauptete er, er hätte sie nicht gestohlen, sondern er hätte -vor dem Bilde des Heiligen über die traurige Lage der dienstentlassenen -Soldaten geklagt, und den heiligen Krieger in brünstigem Gebet -angefleht, ihm in seiner Not zu helfen. Hierauf habe der Heilige, der -seine Worte vernommen, gesagt: »Sie sollen ihrer Strafe in jener Welt -nicht entgehen, du aber nimm vorläufig dieses hin« -- und mit diesen -teilnehmenden Worten habe er angeblich die kostbare Krone von seinem -Haupte genommen und gesagt: »Da!« Verdient eine solche Ausrede auch -nur die geringste Beachtung? Aber unter dem Eindruck der Hirse denkt -man anders, und also kam vom Gouverneur eine Anfrage ans Konsistorium: -ob ein derartiges Wunder möglich sei? Selbstverständlich war nun das -Konsistorium in einer sehr schwierigen Lage, denn es konnte doch nicht -erwidern, daß ein Wunder unmöglich sei. Aber wo will das alles hinaus? -Der Adelsmarschall Tuganow legte dagegen vertraulich Protest ein und -schrieb, er halte diese Handlungsweise für unvernünftig, und meinte, -sie bezwecke nur eine Erschütterung des Glaubens und eine Verhöhnung -der Geistlichkeit. So wird dieser alte Freigeist zum Anwalt der -Geistlichkeit, und der Rechtskundige, der sie verteidigen sollte, macht -sie zum Gespötte. Nein, es kommt scheinbar wirklich die Stunde und sie -ist schon da, wo der gesunde Menschenverstand nichts mehr von allem, -was geschieht, für sonderbar halten wird. Auch über Tuganows Eintreten -für die Kirche, so nützlich es in diesem Fall war, kann man sich nicht -freuen, denn es geschah nicht aus Eifer für den Glauben, sondern aus -Feindschaft gegen den Gouverneur, und was kann da Gutes kommen, wenn -immer nur einer den andern schikaniert, ohne dessen eingedenk zu sein, -daß sie beide derselben Krone den Eid geschworen haben und demselben -Lande dienen? Es ist schlimm!« - -»9. Januar 1864. Tuganow war neulich in Plodomasowo, -- ich weiß nicht -weswegen. Aber ich konnte nicht anders -- ich besuchte ihn dort, um -etwas über seinen Kampf um St. Johannes den Krieger zu erfahren. -Seltsam! Dieser Tuganow, einst ein Verehrer Voltaires, redete zu mir in -freundschaftlichstem und betrübtem Tone. Er meint, sein Protest wäre -noch nicht stark genug gewesen, denn »wie ich selber für mich über -alle Wunder denke, das geht nur mich etwas an und das behalte ich auch -für mich, aber ich kann diese nichtsnutzigen Bestrebungen doch nicht -unterstützen, die darauf hinauslaufen, dem Volke das einzige zu nehmen, -was ihm wenigstens eine Ahnung davon einflößt, daß es einer höheren -Daseinssphäre angehört, als sein gestreiftes Schwein und seine Kuh.« -Wie dürr und trocken ist diese Weisheit! Aber ich widersprach nicht ... -Was ist da zu machen?! Herr, hilf du wenigstens +diesem Unglauben+, -sonst kommen wir doch noch dazu, daß wir wieder in Rudeln umherlaufen, -Wurzeln fressen und wie Pferde wiehern!« - -»21. März. Der Gutsherr Plodomasow ist aus der Residenz heimgekehrt und -hat mir und dem Vater Zacharia und dem Diakon Achilla sehr kostbare -Stäbe aus echtem Rohr mitgebracht. Auch zeigte er uns eine kleine -gläserne Lampe mit einer brennenden Flüssigkeit, »Petroleum« oder -Steinöl genannt, die aus Naphtha gewonnen wird.« - -»9. Mai. Ich habe mich so kleinlich gezeigt, daß ich mich vor mir -selber schämen muß. Und das alles kam von den eben erwähnten Stäben. -Mein ganzes vergangenes Leben ist über mich gefallen wie ein Sieb -und hat mich zugedeckt. Ich sitze unter diesem Sieb wie eine Krähe, -der böse Buben die Federn ausgerupft haben, und die sie nun gefangen -halten, um ihren Spott mit ihr zu treiben. Das ist das Traurigste -bei dieser allgemeinen Lebensverflachung: ich selber bin flach und -klein geworden, so flach, daß ich nicht einmal imstande bin, meine -ganze Eitelkeit dem stummen Papier anzuvertrauen. Ich will mich ganz -kurz fassen. Es ärgerte mich, daß ich und Zacharia ganz gleiche Stäbe -erhalten hatten und daß auch der des Achilla sich kaum von den zwei -andern unterschied. O Gott! War ich denn auch früher schon so? Nein, -mit solchen Kleinigkeiten gab ich mich nicht ab! Ich trug mich mit -hohen Gedanken, wie ich hier in diesem irdischen Jammertal immer -vollkommener werden könnte, um einst das ewige Licht zu schauen und dem -Herrn das mir anvertraute Pfund mit reichen Zinsen zurückzugeben.« - -Damit schlossen die alten Tuberozowschen Aufzeichnungen, und als der -Greis zu Ende gelesen, nahm er die Feder, trug ein neues Datum ein und -begann danach mit ruhigen, strengen Schriftzügen zu schreiben: - -»Es ist seinerzeit von mir vermerkt worden, wie einmal der Sohn der -Hostienbäckerin, der Lehrer Warnawa Prepotenskij, die unschuldigen -Kinder an ihrem Glauben irre zu machen suchte, indem er sie eine -Leiche sehen ließ und behauptete, es gäbe keine Seele, weil ihr -Wohnsitz im Körper nirgends aufzufinden sei. Mein Zorn über diesen -törichten, aber schädlichen Menschen wurde dazumal von klugen Leuten -für übertrieben erklärt, und von der Veranlagung zu diesem Zorn hieß -es, sie sei der Beachtung gar nicht wert. Jetzt hat sich wieder -etwas Neues begeben. Beim letzten Hochwasser wurde eine unbekannte -Leiche an unser Ufer gespült. Die Mutter des Warnawa, die arme -Hostienbäckerin, sagte mir heute unter Tränen, daß der Arzt und der -Stadthauptmann, wohl aus Bosheit gegen ihren Sohn oder um ihn zu -verhöhnen, ihm jenen Toten geschenkt hätten, und Warnawa hätte aus -Dummheit dieses Geschenk angenommen, und die Leiche in der Bütte, -darin sie bisher friedlich ihre Wäsche in Asche gelegt, ausgekocht -und die Brühe unter den Apfelbaum im Garten gegossen, die Knochen -aber in die Gouvernementsstadt gebracht. Und nun fürchte sie, man -werde ihren teuren Sohn mit jenen Knochen als Mörder festnehmen. -Ich beruhigte sie, so gut ich konnte, und bat den Stadthauptmann -um eine Erklärung, zu welchem Zwecke der Leichnam des Ertrunkenen, -der nach der Sektion kirchlich bestattet werden mußte, dem Lehrer -Warnawa ausgehändigt worden sei? Ich erhielt zur Antwort, das sei im -Interesse der Aufklärung geschehen, d. h. damit er, Warnawa, an dem -Skelett naturwissenschaftliche Studien treiben könne. Diese Sorge um -die Wissenschaft kann einen lachen machen bei Leuten, die ihr so fern -stehen, wie der Stadthauptmann Porochontzew, der sein halbes Leben -im Kavalleriepferdestall zugebracht hat, wo man nichts lernt, als -wie man den Pferden die Schwänze bindet, oder dieses Lügenmaul von -Arzt, der jene Wissenschaft vertritt, deren Anhänger von den wahren -Gelehrten für Ignoranten angesehen werden, was durch seine blödsinnige -Behauptung bewiesen wird, er habe einmal bei Plodomasow versehentlich -statt Branntwein ein Glas Leucht-Petroleum ausgetrunken, und da habe -sein Bauch eine ganze Woche lang geleuchtet! Wie dem nun aber auch -sei, der von dem Lehrer gekochte Leichnam hat sich in ein Skelett -verwandelt. Warnawa brachte die Knochen zu einem Heilgehilfen am -Gouvernementskrankenhaus. Dieser Meister der Anatomie fügte all die -Knochen kunstvoll aneinander und setzte ein Gerippe zusammen, das nun -wieder in unsere Stadt zurückgebracht wurde und sich gegenwärtig bei -Prepotenskij befindet, der es dicht bei seinem Fenster befestigt hat. -Da steht es nun und lockt immer wieder die Straßenmenge an und gibt zu -allen möglichen Streitigkeiten Anlaß und zu einem ewigen häuslichen -Zwist zwischen dem Warnawa und seiner einfältigen Mutter. Der Tote -fängt an Rache zu nehmen. Jede Nacht erscheint er der unglückseligen -Mutter des großen Gelehrten im Traum und fordert immer wieder sein -christliches Begräbnis. Die Arme hat den Sohn auf den Knien angefleht, -ihr dieses Skelett zu geben, daß sie es bestatte, aber natürlich -widersetzt er sich dem mit aller Entschiedenheit. Da entschloß sie sich -zu einer verzweifelten Maßnahme, sammelte in Abwesenheit des Sohnes die -Knochen in eine kleine Holzkiste, trug sie in den Garten und vergrub -sie mit ihren schwachen Greisenhänden unter dem nämlichen Apfelbaum, -unter welchen Warnawa die zerkochten Fleischteile des Unglücklichen -ausgeschüttet hatte. Aber sie hatte kein Glück damit, denn der gelehrte -Sohn grub die Knochen wieder aus, und damit ging eine neue Geschichte -an, die auch heut noch nicht beendet ist. Es ist ebenso lächerlich -wie schmachvoll, was noch weiter folgte. Sie raubten sich die Knochen -gegenseitig so lange, bis mein Diakon Achilla, der sich in alles -mischen muß, diese Sache zum Abschluß brachte und mit solcher Hast -ans Werk ging, daß es ganz unmöglich war, ihm Einhalt zu gebieten. -Auch haben mich die Reden des Arztes und des Stadthauptmanns sehr -verstimmt, die mir Vorwürfe machten wegen meiner eifernden (so nannten -sie es) Intoleranz gegen den Unglauben, denn, meinen sie, wirklich -gläubig sei heutzutag keiner mehr, auch die nicht, welche offiziell -für den Glauben eintreten. Das glaub' ich auch! Ich kann nicht daran -zweifeln. Aber ich wundere mich, woher bei uns dieser erbitterte Haß -und diese Feindschaft gegen den Glauben kommen. Vom Freiheitsdrang? -Aber wen hindert denn der Glaube, mit allem Eifer nach voller Freiheit -in allen Dingen zu streben? Warum haben die wirklichen Denker nicht so -gesprochen?« - -Vater Sawelij seufzte tief, legte die Feder hin und trat ans Fenster. -Der Himmel war mit schwarzen Wolken bedeckt und schon fielen einzelne -Regentropfen klatschend in den dicken Staub. Das war der Regen, um -den Tuberozow am vergangenen Tage gebeten hatte. Der Alte flüsterte -entzückte Worte des Dankes und des Lobes und merkte nicht, wie leise -Tränen über seine Wangen liefen. Die Regentropfen aber fielen immer -dichter und dichter, und endlich war es, als würde oben ein ganz feines -Sieb geschüttelt, und die feuchte Kühle spielte erfrischend um den -leicht erhitzten Kopf des Priesters. So am Fenster sitzend, das Haupt -auf die weißen Hände gestützt, schlief Vater Sawelij ein. - -Inzwischen ging der sanfte Regen, den kein Gewitter begleitet hatte, -vorüber, die Luft war frisch und rein geworden, der Himmel klar, und -im Osten färbte die graue Dämmerung sich silbern, um dem Morgenrot den -Weg zu bereiten, dem Morgenrot des Tages, der dem Gedächtnis unseres -heiligen Vaters Methodius von Pesnosch geweiht ist, des Tages, dem, wie -wir uns erinnern müssen, der Diakon Achilla eine so große Bedeutung -zuschrieb. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Der Osten wurde immer heller, und während sich die Sonne im Nebel -hinter dem dampfenden Walde wusch, reckten sich die goldenen Pfeile -ihrer Strahlen schon in scharfen Strichen über den Horizont. Ein -leichter Nebel wallte über dem Flusse auf und kletterte das zerklüftete -Ufer entlang; unter der Brücke ballte er sich zusammen und blieb an -den schwarzen, nassen Pfählen kleben. Durch diesen Nebel sieht man das -Gemüsefeld bläulich schimmern und den weißen Streifen der Landstraße -hinüberleuchten. Über allem liegen noch die Schatten des Halbdunkels, -und nirgends, weder in den Häusern, noch auf den Plätzen und Straßen, -merkt man etwas vom Erwachen. - -Aber da, auf dem höchsten Punkte der steilen Hügelseite von Stargorod, -über dem schmalen Zickzackweg, der den steinigen Abhang hinab zum -Wasser führt, heben sich zart und durchsichtig die Umrisse einer -höchst seltsamen Gruppe ab. In dem schwachen Licht, das sie bescheint, -wirkt sie ganz phantastisch. In der Mitte steht ein Mann, von dessen -Schultern ein langes, im Gürtel leicht geschürztes Gewand bis zur Erde -niederwallt. Ganz plötzlich ist diese Gestalt aus dem allmählich dünner -werdenden Nebel aufgetaucht und steht unbeweglich, wie ein Gespenst. - -Ein abergläubischer Mensch könnte denken, es wäre der Hauskobold von -Stargorod, der, ehe die Stadt erwacht, noch ein paar Klageseufzer über -ihr anstimmen will. - -Aber je heller es wird, desto deutlicher erkennt man, daß es kein -Hauskobold, noch sonst ein Geist ist, trotzdem aber auch nicht etwas -ganz Alltägliches. Wir sehen jetzt, daß die Figur ihre Hände in die -Taschen gesteckt hat. Aus der einen Tasche guckt eine sehr lange Gerte -hervor, an deren Ende eine Schleuder oder eine Angelschnur gebunden -ist. Aus der anderen hängt an vier Fäden etwas, das wie eine schwere -Keule aussieht. Ein leiser Wind erhebt sich, die Oberfläche des -schläfrigen Flusses beginnt sich leicht zu kräuseln, ein Zittern fährt -durch die Zweige der Birken hinter dem schöngemusterten Gittertor des -Domes, und die leeren Falten am weiten Gewande der Gestalt auf dem -Berge geraten in Bewegung und enthüllen ein paar dünne Beine in weißen -Unterhosen. In demselben Augenblick, wo diese dünnen Beine sichtbar -werden, tauchen hinter ihnen plötzlich vier Hände auf, welche zwei -anderen Gestalten gehören, die sich mehr im Hintergrunde gehalten -hatten. Diese diensteifrigen Hände fassen die wehenden Enden des -Gewandes, schlagen sie wieder zusammen und verhüllen aufs neue die -dünnen, weißen Beine des Standbildes. Jetzt braucht man nur etwas -schärfer hinzusehen, um auch die zwei anderen Gestalten zu erkennen. -Rechts zeigt sich eine Frau. Sie fällt vor allem durch die ungeheure -Wölbung ihres Leibes auf, über dem sich eine schmale Tunika hoch -emporbläht. In der Hand hält sie einen glänzenden Metallschild, in -dessen Mitte ein großer Büschel Haare befestigt ist, die soeben erst -mit der Haut vom Kopfe des Feindes gelöst zu sein scheinen. Auf der -anderen Seite, also zur Linken der hohen Gestalt, zeigt sich ein -kurzbeiniger, schwarzer Wilder mit breitem Bart. Unter dem linken Arm -hält er etwas wie ein Folterinstrument, und in der Rechten hat er -einen blutigen Sack, aus dem zwei Menschenköpfe heraushängen, bleich, -haarlos, wohl die unglücklichen Opfer der grausamen Folter. Um diese -drei Gestalten scheint der ganze Zauber der nordischen Sage zu wehen. -Nun steigt die helle Sonne noch ein wenig höher, und der Sagenzauber -löst sich in nichts auf. Die drei stehen noch einen Augenblick da und -eilen dann den Hügel hinab. Nachdem sie etwa zehn Schritte gemacht -haben, bleiben sie wieder stehen, und der Größte, der vorausging, sagt -leise: - -»Schau mal, Freund Komar, es ist heut noch nichts von ihnen zu sehen.« - -»Ja, es ist nichts zu sehen,« erwidert der schwarzbärtige Komar. - -»Sieh besser zu!« - -Komar blickt scharf über den Fluß hin: - -»Es lohnt gar nicht hinzuschauen, es ist keiner da.« - -»Und die Stille in der Stadt, ach du lieber Gott!« - -»Das schlafende Königreich,« spricht leise die Gestalt, die den Schild -unter dem Arm hält. - -»Was sagst du, Felicie?« fragt der Lange, der nicht recht gehört hat. - -»Ich melde Ihnen, Woin Wasiljewitsch, daß die Stadt dem schlafenden -Königreich gleicht,« antwortet die Frau. - -»Ja, dem schlafenden Königreich; aber bald werden sie erwachen. Schau -mal hin, Komar, da drüben, scheint mir, platscht eben einer hinein.« - -Die Gestalt weist nach der Insel, von der sich ein leichter Dampf -erhebt und leise nach der Brücke hin schwebt. - -»Ganz recht,« sagt Komar, und seine Blicke verfolgen zwei dünne Kreise -auf dem stillen Wasser, die immer breiter werden. Im Mittelpunkt des -vorderen Kreises schwankt und dreht sich etwas, das wie ein überreifer -gelber Kürbis aussieht. - -»Ach, die Kanaille ist wieder zuerst reingesprungen, ohne auf die -Obrigkeit zu warten.« - -»Der drüben ist auch fertig,« sagt Komar gleichgültig. - -»Nicht möglich, -- du lügst, Komar.« - -»Sehn Sie doch hin! Da ist er schon dicht am Wasser!« - -Alle drei legen die Hände über die Augen und blicken hinüber. Drüben -sehen sie etwas Großes, Dickes zum Wasser herabschreiten. Es ist ganz -in ein weißes schleppendes Gewand gehüllt und erinnert auffallend an -die Statue des Komtur aus dem »Don Juan«, bewegt sich auch genau so -langsam und feierlich und ebenso unbeirrt seinem Ziel entgegen. - -Jetzt ist aber auch der strahlende Phöbus auf seinem Feuerwagen ein -gutes Stück höher hinaufgekommen; der zerflatternde Nebel schimmert in -Bernsteintönen. Die ganze Landschaft leuchtet in Purpur und Blau und in -diesem grellen, mächtigen Licht, ganz von Sonnenstrahlen überflutet, -zeigt sich in den Wellen des Flusses ein nackter Recke mit einer -mächtigen Mähne schwarzer Haare auf dem gewaltigen Haupte. Er sitzt -auf einem mächtigen Rotfuchs, der seines Reiters würdig und mit seiner -breiten Brust die Wellen kräftig teilt, zornig mit den feuerfarbenen -Nüstern schnaubend. - -Der Reiter im Flusse und alle oben geschilderten Fußgänger streben dem -nämlichen Punkte zu. Wollten wir Verbindungslinien von dem einen zum -andern ziehen, sie würden sich alle bei einem großen Steine kreuzen, -der in der Mitte des Flusses aus dem Wasser herausragt. In der ersten -Gestalt, die den Berg herabsteigt, erkennen wir den Polizeichef von -Stargorod, Rittmeister a. D. Woin Wasiljewitsch Porochontzew. Er hat -einen himbeerfarbenen seidenen Schlafrock an und eine spitz zulaufende -Kalotte aus Kamelgarn auf dem Kopfe. Aus der einen Tasche, in der seine -rechte Hand steckt, guckt ein dünner Peitschenstiel, an dem eine lange -Peitschenschnur hängt, und bei der andern, in die der Polizeichef -seine Linke gelegt hat, sieht man eine riesengroße, ganz schwarz -gerauchte Meerschaumpfeife und einen orientalischen Tabaksbeutel aus -Saffian an einem Jagdriemen baumeln. - -Links von ihm schreitet langsam sein Kutscher, der längst schon -seinen Taufnamen verloren hat und von allen nur noch Komar (Mücke) -genannt wird. In seinen Händen befinden sich weder Folterinstrumente -noch Totenköpfe, noch ein blutbesprengter Leinwandsack, sondern er -trägt bloß eine Bank, einen alten roten Fußteppich und ein Paar -straff aufgeblasener Schwimmblasen, die mit einem Tuchstreifen -zusammengebunden sind. - -Die dritte Gestalt, die uns vor einer Viertelstunde so grausig -erschien, mit ihrem Schlachtschild unter dem Arm, entpuppt sich als -die sehr bescheidene Gattin des Komar. »Mütterchen Felizata«, wie sie -von dem Hausgesinde genannt wird, trägt freilich eine sehr schwere -Last, die sich aber ganz und gar nicht zu kriegerischen Aktionen -eignet. Vor allem trägt die gute Frau ihren eigenen Leib, in dem ein -künftiger kleiner Komar junior dem Leben entgegenträumt. Unter dem -Arm aber hat sie eine hell in der Sonne glitzernde Messingschüssel, -in der ein Bastwisch liegt, mit einem Badehandschuh aus Tuch, im -Handschuh ein Stückchen Kampherseife, und auf dem Kopfe ein vierfach -zusammengefaltetes Badetuch. - -Also ein durch und durch friedliches Bild. - -Die weiße Gestalt, die am jenseitigen Ufer langsam zum Wasser -hinabschreitet, hat inzwischen auch alles Imponierende und damit -auch jede Ähnlichkeit mit dem Standbild des Komturs verloren. Der -Mann hat sich in ein weißes Badetuch gehüllt, und als er das Wasser -erreicht und das Tuch fallen läßt, ist es nicht mehr schwer, in ihm -den wohlbeleibten und ungefügen semmelblonden Kreisarzt Pugowkin zu -erkennen. - -Der nackte Reiter auf dem langmähnigen roten Roß aber ist kein -anderer als der Diakon Achilla, und sogar der im Gekräusel der -Wellen auftauchende Kürbis gewinnt nach und nach ein wohlbekanntes -menschliches Aussehen: zwei sanfte blaue Augen und eine eingeknickte -Nase zeigen, daß wir es nicht mit einem Kürbis zu tun haben, sondern -mit dem Kahlkopf des alten Konstantin Pizonskij, dessen Greisenleib -ganz im kühlen Wasser steckt. - -Es sind die Badeliebhaber von Stargorod, die von alters her an jedem -schönen Sommermorgen hier zusammenkommen und gemeinschaftlich sich des -frischen Wassers erfreuen. - -Als erster stürzt sich der Arzt mit einem mächtigen Anlauf kopfüber in -den Fluß und schwimmt auf den großen breiten Stein zu, der sich in der -Mitte des Flusses einen Fuß hoch aus dem Wasser erhebt. - -Mit ein paar mächtigen Schlägen hat er ihn erreicht, klettert auf seine -glatte obere Platte hinauf. - -»Ich bin wieder der erste im Wasser!« ruft er lachend. Und brüllt dem -Achilla zu: - -»Schwimm doch schneller, du Pharao! -- Kahlkopf, komm herauf! Kahlkopf, -komm herauf!« - -Inzwischen ist Felizata zu dem Polizeichef getreten. Sie löst seinen -Gürtel, hilft ihm aus dem Schlafrock, so daß er in Unterhosen und einer -bunten Flanelljacke dasteht. Der Arzt auf dem Stein plätschert mit den -Füßen im Wasser, pfeift lustig vor sich hin und klatscht plötzlich den -herangeschwommenen Diakon Achilla so laut und kräftig mit der flachen -Hand auf den nackten Rücken, daß dieser aufschreit, nicht vor Schmerz, -sondern vor Schreck über das laute Klatschen. - -»Was haust du mich mit solchem Lärm?« - -»Pack mich nicht am Leib,« erwidert der Arzt. - -»Wenn das aber meine Gewohnheit ist?« - -»Gewöhn dir's ab,« antwortet der Arzt und pfeift laut. - -»Ich gewöhn mir's auch ab, aber ich vergesse mich immer wieder.« - -Der Arzt erwidert nichts und pfeift weiter. Der Diakon schüttelt den -Kopf, spuckt aus, bindet die Schnur auf, mit der sein Heldenleib -gegürtet ist, nimmt die daranhängende Bürste und den Striegel ab und -beginnt mit ebensoviel Eifer wie Sachkenntnis die Mähne seines Pferdes -zu reinigen. Das mächtige Tier, welches sich an der langen Leine -ziemlich frei bewegen kann, biegt den breiten Rücken und schlägt mit -seinen Knien das Wasser zu Schaum. - -Dieses Landschafts- und Genrebild zeigt uns die Schlichtheit des -Stargoroder Lebens, wie die Ouvertüre die Musik der Oper andeutet. Aber -die Ouvertüre ist noch nicht zu Ende. - - - - -Siebentes Kapitel. - - -Am linken Flußufer, wo der Stadthauptmann immer noch zögert, hat der -Kutscher Komar den Teppich ausgebreitet, die mitgebrachte Bank darauf -gestellt, und nachdem er sich durch kräftiges Schütteln noch überzeugt -hat, daß sie feststeht, ruft er: - -»Setzen Sie sich, Woin Wasiljewitsch, sie steht fest.« - -Porochontzew geht schnell auf die Bank zu, rüttelt sie erst noch einmal -eigenhändig und setzt sich erst, nachdem er sich genügend überzeugt -hat, daß sie tatsächlich ganz feststeht. Kaum hat der Herr sich -gesetzt, so packt Komar ihn von hinten an den Schultern, und seine -Frau, welche die Schüssel nebst Bastwisch und Badetuch auf den Teppich -gestellt hat, beginnt den kriegerischen Stadtgewaltigen auszukleiden. -Erst nimmt sie ihm die Kalotte ab, dann die gestrickte Unterjacke, die -Pantoffeln und die Socken, legt hierauf ihre Handflächen vorsichtig an -die dürren Rippen des Rittmeisters und bleibt so unbeweglich stehen, -den Kopf etwas seitwärts gebogen. - -»Nun, Felicie, geht es schon? Kann ich schon reiten?« fragt -Porochontzew. - -»Nein, Woin Wasiljewitsch, noch schlägt der Puls,« antwortet Felizata. - -»Na, wenn er noch schlägt, muß man warten. Aber du kannst hineinhupfen, -Komar.« - -»Ich tu's auch gleich.« - -»Hupf nur, Bruder, hupf! Schwimm einmal herum und komm dann wieder -raus. Dann wird geritten.« - -»Wenn ich dann nur nicht zu schlüpfrig bin, Woin Wasiljewitsch. Dann -fallen Sie wieder runter, wie neulich.« - -»Nein, nein, ich fall schon nicht.« - -Komar wirft, hinter dem Rücken seines Herrn stehend, das Hemd ab und -stürzt sich mit einem mächtigen Anlauf ins Wasser, wo er alsbald -gewaltig mit den Armen zu arbeiten beginnt. - -»Famos schwimmt dein Komar,« sagt Porochontzew. - -»Ausgezeichnet,« entgegnet die Frau, welche sich anscheinend nicht im -geringsten geniert und auch keinen der Badenden durch ihre Anwesenheit -stört. - -Felizata, eine frühere Leibeigene Porochontzews, ist es seit langem -gewohnt, ihren kränklichen Herrn zu bedienen, und bei dieser -Beschäftigung gibt es für sie keinen Geschlechtsunterschied. Inzwischen -ist Komar rund um den Stein geschwommen, auf dem die Badenden sitzen, -und wieder aus dem Wasser gekrochen und steht nun, den gekrümmten -Rücken einem Herrn zugewendet, vor der Bank. Woin Wasiljewitsch -klettert auf den Rücken, umfaßt den Hals des Kutschers mit beiden -Armen und reitet ins Wasser hinein. Der Rittmeister macht es fast -immer so, denn er liebt es nicht, barfuß auf dem scharfen Kies zu -gehen. Kaum hat jedoch das Wasser die Achselhöhlen Komars erreicht, -so bleibt er stehen und meldet, nun seien keine Steine mehr da, denn -er fühle reinen Sand unter seinen Sohlen. Woin Wasiljewitsch klettert -von seinem Roß hinunter und legt sich auf die Schwimmblasen. Auch -heute war der Vorgang derselbe: der dürre Stadtgewaltige legt sich -hin, Komar gibt ihm einen tüchtigen Stoß und beide schwimmen nach dem -Steine, den sie beide erklettern. Dieser nicht sehr große Stein, dessen -über dem Wasser aufragende glatte, runde Fläche einen Durchmesser -von etwa zwei Fuß haben mag, bietet fünf Personen Unterkunft, von -denen vier -- Porochontzew, Pizonskij, der Arzt und Achilla -- sich -an den Rand gesetzt haben, so daß sie einander den Rücken zukehren, -während Komar mitten in dem engen Viereck steht, das eben diese Rücken -bilden, und seinem Herrn den Kopf wäscht. Es wird eifrig diskutiert; -Pizonskij erzählt unter beständigem Zucken seiner schiefen Nase, daß -gestern abend in der Dämmerung irgendwo unterhalb der Brücke im Schilf -sich zwei Schwäne niedergelassen und nachts, während es regnete, -unausgesetzt geschrien hätten. - -»Wenn die Schwäne schreien, so verkünden sie irgend jemandes Ankunft,« -meint Komar, indem er den Kopf seines Herrn eifrig mit Seife einreibt. - -»Nein, das verheißt bloß einen schönen Tag,« wendet Pizonskij ein. - -»Wer sollte auch zu uns kommen?« mischt sich der Arzt ins Gespräch. -»Wir leben ja hier wie die reinen Waldteufel: in hundert Jahren -passiert nichts Neues.« - -»Was soll uns auch das Neue?« sagt Pizonskij. »Wir haben ja alles; das -Wetter ist schön, wir sitzen gemütlich auf unserm Stein und keiner -verübelt es uns. Käme aber ein neuer Mensch her, so nähme er vielleicht -Anstoß, es gäbe ein Gerede und ...« - -»Ein Gerede: warum sitzen sie so nackigt da?« unterbricht ihn Komar -ungeniert. - -»Was ist das für ein Stadthauptmann, der sich von einem Frauenzimmer -waschen läßt?« wirft der Arzt ein. - -»Ja, das ist wahr,« ruft der Rittmeister und schaut sich beunruhigt um. - -Komar bläst sich in den Schnurrbart, lächelt und sagt leise: - -»Und dann wird's heißen: was hat der Polizeichef auf dem Komar ins -Wasser zu reiten?« - -»Halt's Maul, Komar!« - -»Auch das, auch das wird Fragen veranlassen,« sagt wieder der sanfte -Pizonskij und seufzt, indem er fortfährt: »Und jetzt sitzen wir hier -ohne alle Neuigkeiten wie im Paradiese. Selber sind wir nackt, aber -wir sehen alle Schönheit der Welt: wir sehen den Wald, sehen die -Berge, sehen die Tempel Gottes, das Wasser, das Grün der Wiesen; dort -im Uferschilf piepen die jungen Entlein; vor uns im Wasser spielt das -Völklein der kleinen Fische so fröhlich. Groß ist deine Güte, o Herr!« - -Die letzten Worte hatte Pizonskij mit erhobener Stimme gesprochen, sie -hallten weit über den Fluß hin, wurden von den Hügeln zurückgeworfen -und klangen dann noch ein drittes Mal etwas dumpfer von dem flachen -Ufer wider. Pizonskij horcht auf, streckt den Zeigefinger über seinem -kahlen Kopfe zum Himmel empor und sagt: - -»Dreimal antwortet dir die Güte des Herrn: was kann es Schöneres geben, -als in solchem Frieden zu leben und in ihm sein Dasein zu vollenden.« - -»Wahr, sehr wahr,« antwortet der Rittmeister mit einem Seufzer. -»Da haben der Arzt und ich uns eine kleine Neuerung gestattet: wir -erlaubten dem Warnawa eine Leiche auszukochen. Wozu hat das nicht -geführt! Übrigens, Diakon, vergiß nicht, daß du versprochen hast, dem -Warnawa die Knochen wegzunehmen.« - -»Warum sollte ich's vergessen? Ich bin kein Manichäer, den man -hundertmal mahnen muß. Was ich versprochen habe, das halte ich auch.« - -»Hast du? Hast du's wirklich schon?« - -»Natürlich hab' ich's.« - -»Du flunkerst, Diakon!« - -Achilla schweigt. - -»Warum redest du denn nicht? Erzähle doch, wie du ihm die Knochen -weggenommen hast. Nun? Was Teufel bist du denn heut so solide?« - -»Warum soll ich nicht solid sein, wenn meine Taille es mir gestattet?« -erwidert Achilla selbstbewußt. »Ihr zwei, du und der Arzt, macht -Dummheiten, und ich muß sie wieder gutmachen. Na, da bin ich eben zum -Warnawa ins Fenster hineingestiegen, hab die Knochen alle in einen Sack -gesteckt ...« - -»Nun und dann, Achilla? Was dann, mein Lieber?« - -»Dann ging es ganz dumm.« - -»Ja wie denn? So erzähle doch!« - -»Was soll ich erzählen, wo ich selber nichts weiß? Dann hat mir jemand -die Knochen wieder wegstibitzt.« - -Porochontzew springt auf und schreit: - -»Was? Wieder gestohlen?« - -»Ja, wie soll ich sagen? Gestohlen ist vielleicht nicht das richtige -Wort. Ich weiß nur, daß ich den ganzen Kram zu mir nach Haus brachte -und ihn in meinen Karren schüttete, um heut damit zur Begräbnisstätte -zu fahren. Aber wie ich morgens nachseh, ist nichts mehr da -- bis auf -das kleine Schwänzchen hier.« - -Der Arzt bricht in ein lautes Gelächter aus. - -»Was lachst du?« fragt der Diakon geärgert. - -»Ein Schwänzchen ist übriggeblieben, sagst du?« - -Achilla wird böse. - -»Nun ja, ein Schwänzchen,« erwidert er, »oder was soll das sonst sein?« - -Der Diakon löst von dem Striegel einen menschlichen Fußknöchel, den er -mit einem Endchen Bindfaden daran befestigt hatte, reicht ihn dem Arzt -hin und sagt trocken: »Da, sieh's dir an, wenn du mir nicht glaubst.« - -»Haben denn die Menschen Schwänze?« - -»Etwa nicht?« - -»Du hast also auch einen Schwanz?« - -»Ich?!« fragt Achilla. - -»Ja, du.« - -Der Arzt lacht wieder aus vollem Halse, der Diakon aber wird bleich und -sagt: - -»Hör mal, mein lieber Meister Quacksalber, scherzen kannst du, -- aber -mit Maß, wenn ich bitten darf. Vergiß nicht, daß ich eine geistliche -Person bin.« - -»Na, schon recht! Aber sag mir mal erst, wo hast du deinen Astragalus?« - -Das unbekannte Wort »Astragalus« macht auf den Diakon einen -verblüffenden Eindruck: die Fachbezeichnung für das unschuldige -menschliche Sprungbein scheint ihm etwas äußerst Kränkendes, er -schüttelt den Kopf, stößt einen tiefen Seufzer aus und sagt langsam: - -»Für so niederträchtig hätte ich dich allerdings nicht gehalten.« - -»Ich niederträchtig?« - -»Jawohl! Einer geistlichen Person mit derartigen dummen Fragen zu -kommen ist niederträchtig. Aber merk dir: deinen faulen Scherz mit dem -Schwanz hab' ich dir nachgesehen, aber jetzt nimm dich in acht!« - -»O wie schrecklich!« - -»Ja, hab' dich nur! Ich mein' es ernst. Eure Freigeisterei hängt mir -längst zum Halse heraus.« - -»Ja, ist denn das Freigeisterei, wenn man Astragalus sagt?« - -»Kusch!« schreit der Diakon. - -»Schafskopf« meint der Arzt achselzuckend. - -»Kusch!« donnert Achilla und hebt drohend die Faust. Seine Augen -funkeln grimmig. - -»Ist das ein Esel! Kein vernünftiges Wort kann man mit ihm reden.« - -»Was? Ein Esel bin ich? Man kann nicht mit mir reden? Na warte! Ich bin -euch kein sanfter Sawelij! Runter in den Sumpf!« - -Mit diesen Worten hat der Diakon die Leine seines Pferdes aus der -rechten Hand in die linke genommen, packt den Arzt mit der Rechten um -den Leib und reißt ihn ins Wasser hinab. Sie tauchen unter, werden -wieder sichtbar und verschwinden aufs neue. Obgleich das Verhalten des -Diakons deutlich verriet, daß er keineswegs die Absicht hatte, den -Arzt zu ertränken, sondern ihn nur etlichemal untertauchen wollte, -- -er hielt auch, während sie so zappelten, immer nach dem Ufer zu -- so -versetzte das verzweifelte Gebrüll des Medikus die Drei auf dem Steine -und die am Ufer stehende Felizata doch in eine so unbeschreibliche -Angst, daß auch sie ein lautes Geschrei erhoben, welches die ganze -Umgegend alarmieren mußte. - -So begann der Diakon Achilla seinen Ausrottungskampf gegen die in -Stargorod um sich greifende gemeingefährliche Freigeisterei, und -wir werden sehen, was für gewaltige Folgen dieser energische Anfang -zeitigen sollte. - - - - -Achtes Kapitel. - - -Der Lärm und das Geschrei der Badenden hatten den Propst, der an seinem -Fenster kaum ein wenig eingeschlummert war, aufgeweckt. Der Alte -erschrickt, springt auf, sieht auf den Fluß hinaus, kann aber ganz und -gar nicht begreifen, was eigentlich geschehen. In diesem Augenblicke -hält vor seinem Hause ein eleganter, von einem grauen Vollblutpferde -gezogener Jagdwagen. Darin sitzt eine schwarzgekleidete junge Dame: sie -kutschiert selbst, neben ihr ein kleiner Groom. Die Dame ist die junge -verwitwete Gutsbesitzerin Alexandra Iwanowna Serbolowa, seine ehemalige -Lieblingsschülerin. - -»Alexandra Iwanowna, seien Sie mir herzlichst willkommen,« erwidert der -Propst ihren Gruß. »Meine Frau steht gleich auf, und dann sind Sie so -freundlich, eine Tasse Tee mit uns zu nehmen.« - -Die Dame dankt. Sie sagt, sie sei in die Stadt gekommen, um eine -Totenmesse für ihren verstorbenen Gatten lesen zu lassen, und bittet -Tuberozow, doch recht bald in die Kirche zu kommen. - -»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.« - -»Vielen Dank. Ich will jetzt nur noch für einen Augenblick zur alten -Prepotenskaja, sonst ist sie gekränkt.« - -Sie nickt dem Priester zu und im nächsten Augenblick ist der leichte -Wagen verschwunden. Der Propst schickt das Dienstmädchen zum Küster -mit dem Befehl, zur Frühmesse läuten zu lassen und den Diakon Achilla -in die Kirche zu beordern; dann tritt er vor den Heiligenbilderschrein, -seine Morgenandacht zu verrichten. Eine halbe Stunde später schlägt -die Domglocke an, und gleich darauf kommt das Mädchen zurück mit der -Meldung, sie habe den Diakon Achilla nicht finden können, niemand -wisse, wo er sei. Zum Warten ist aber keine Zeit mehr und so nimmt der -Propst seinen Stab mit der Inschrift »Der Stecken Aarons erblühte« -und begibt sich in den Dom. Er ist noch keine zehn Minuten fort, als -die Pröpstin Natalia Nikolajewna durch das plötzliche Erscheinen des -Diakons Achilla höchlich überrascht wird. Er ist ganz außer sich. - -»Mütterchen,« ruft er, »alles, was ich Euch gestern von den -Totengebeinen versprochen hatte, ist zuschanden geworden.« - -»Das habe ich mir doch gleich gedacht,« erwidert Natalia Nikolajewna. - -»Nein, bitte sehr, Ihr müßt erst wissen, warum es zuschanden geworden -ist. Wie ich es Euch gestern versprach, so habe ich's auch gemacht. -Ganz wie sich's gehört, habe ich die Überreste dieses Menschen, den -der Warnawka gekocht hat, durchs Fenster gestohlen, in den Sack -gesteckt und zu mir nach Haus getragen. Dann habe ich sie in den Karren -geschüttet. Aber als ich heute nachschaue, ist der Karren leer! Kann -ich dafür?« - -»Ja, wer beschuldigt dich denn?« - -»Das ist es ja eben. Mich überkam sogar ein Zweifel, ob ich sie nicht -schon nachts vergraben hätte, aber heut früh im Bade war der Arzt so -frech gegen mich, daß ich gleich aus dem Bad zum Warnawka gerannt bin. -Alle Fensterläden waren geschlossen. Ich guckte durch eine Ritze, und -da seh' ich, daß der Gekochte wieder heil und ganz am Nagel hängt! Wo -ist der Vater Propst? Ich muß ihm gleich alles erzählen!« - -Natalia Nikolajewna schickte den Diakon ihrem Gatten nach, und der -schnellfüßige Achilla hatte den Propst auch bald eingeholt. - -»Was rennst du so ... und fauchst und schnaufst und stampfest?« fragt -ihn Sawelij, als er seine Schritte hinter sich hört. - -»Das ... das tu ich immer, Vater Sawelij, wenn ich laufe. Habt Ihr es -nie bemerkt?« - -»Nein, bisher nicht. Aber sprich doch mit dem Arzt, er hilft dir -vielleicht.« - -»Jawohl, der Arzt! Redet mir nur nicht von dem, Vater Sawelij! -- -Er hat mich heute ganz aus der Fassung gebracht. Denkt Euch diese -Frechheit, Vater Propst ...« Der Diakon beugt sich zu dem Ohre des -Propstes, und nachdem er ihm die Gemeinheit des Arztes leise mitgeteilt -hat, fügt er laut hinzu: »Nun sagt selbst, ist das nicht furchtbar -unverschämt?« - -»Ich finde nichts dabei,« erwidert der Propst, indem er langsam die -Stufen vor dem Domportal emporsteigt. »Astragalus ist ein Fußknöchel, -und ich verstehe nicht recht, was dich in solche Wut versetzt hat.« - -Der Diakon tritt einen Schritt zurück und ruft erstaunt: »Ein -Fußknöchel?« - -»Ja freilich.« - -Achilla schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn: - -»Ich Dummkopf!« - -»Was hast du gemacht?« - -»Nein, ich bitt' Euch, seid so gut, nennt mich einen Dummkopf!« - -»Ja, weswegen denn?« - -»Nein, nein, nennt mich nur so. Ich hätte diesen Arzt beinahe ersäuft.« - -»Nun gut, mein Lieber, ich erfülle deinen Wunsch: du bist wahrhaftig -ein Narr, und ich sage dir's voraus, wenn du von dergleichen -Narrengewohnheiten nicht bald lässest, so kommt es noch einmal dahin, -daß du jemand ums Leben bringst.« - -»Erbarmt Euch, Vater Sawelij, ich bin doch nicht ganz von Sinnen.« - -»Überall, überall folgt dir der Unfrieden auf dem Fuße!« - -»Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich bin für Frieden und Ordnung, aber -es kommt immer anders.« - -Hierauf erzählt Achilla in großer Hast, aber mit allen Einzelheiten, -wie er gestern das Gerippe gestohlen und wie es dann wieder -verschwunden und an seinem alten Platze erschienen sei. Tuberozow hört -ihm zu. Seine Augen werden immer größer und größer, und unwillkürlich -tritt er ein paar Schritte zurück, indem er ausruft: - -»Großer Gott, was für ein unseliger Mensch!« - -»Wer, Vater Sawelij?« meint Achilla, nicht weniger erstaunt. - -»Du, mein Bester, du!« - -»Aus welchem Grunde bin ich unselig?« - -»Welch böser Geist treibt dich zu alledem?« - -»Wozu?« - -»Zum Einbrechen, Rauben, Zanken.« - -»Ihr habt mich dazu angetrieben,« erwidert der Diakon ganz ruhig und -freundlich. »Ihr sagtet: so oder so -- der Sache muß ein Ende gemacht -werden. Und da hab' ich ihr ein Ende gemacht. Ich habe nur Euren Wunsch -erfüllt.« - -Tuberozow schüttelt den Kopf, wendet sich dem Portal zu und tritt in -die Vorhalle, wo er die Serbolowa in stillem Gebete kniend erblickt. -In einer Ecke aber sitzt der Lehrer Prepotenskij auf einer Totenbahre -und klopft sich den Staub von den Beinkleidern. Sein Gesicht strahlt. -Er schaut den Propst und den Diakon mit triumphierendem Lächeln an. Was -konnte ihn, den Gottesleugner, in die Kirche geführt haben? Darüber -erstaunte Tuberozow nicht weniger als Achilla; nur vermochte Achilla -diesen Gedanken auch während der Messe nicht zu bannen, während der -ernste Sawelij ihn bereits von sich gewiesen hatte, als sich die Tür -zum Altarraum vor ihm auftat, denn er war gewohnt, mit Furcht und -Zittern vor das Angesicht seines Gottes zu treten. - -Eine Stunde war vergangen und die Totenmesse beendet. Die Serbolowa -und ein entfernter Vetter von ihr, ein gewisser Darjanow, hatten beim -Propst Tee getrunken und waren fortgegangen. Die Serbolowa wollte -gegen Abend, wenn die Sonne nicht mehr so heiß brannte, auf ihr Gut -zurückkehren. Jetzt aber gedachte sie etwas zu ruhen. Darjanow sollte -mit ihr bei der alten Prepotenskaja Mittag essen, wohin Tuberozow -später ebenfalls kommen wollte, um ein Gläschen Tee zu trinken und -seinem lieben Beichtkinde das Geleite zu geben. - - - - -Neuntes Kapitel. - - -Öde, traurig und eintönig ist der Anblick der menschenleeren -Straßen unserer Kreisstädte zu jeder Zeit; aber nie erscheinen sie -so ausgestorben wie an einem heißen Sommermittag. Der dicke, graue -Staub, den stellenweise die Spuren von Wagenrädern durchfurchen, das -schläfrige, welke Gras, das die ungepflasterten Straßen an der Seite, -wo die Trottoirs anzunehmen sind, umsäumt, die grauen, halbverfaulten, -schiefen Zäune, die Kirchentüren mit ihren schweren Hängeschlössern, -die Holzbuden, die von ihren Besitzern verlassen und mit zwei übers -Kreuz geschlagenen Brettern verbarrikadiert sind, -- alles das -schlummert in der Mittagshitze so verführerisch, daß der Mensch, der -verurteilt ist, in dieser Umgebung zu leben, ganz von selbst alle -Munterkeit verliert und auch matt wird und einschläft. - -Um diese Stunde war es, als Valerian Nikolajewitsch Darjanow, nachdem -er einige öde Straßen durchschritten hatte, in ein enges Gäßchen -einbog, das durch einen alten Gitterzaun völlig abgeschlossen ward. -Hinter dem Zaun war eine Kirche sichtbar. Darjanow bückte sich tief -und trat durch das niedrige Pförtchen in den Kirchhof. Hier stand -in einer Ecke das kaum bemerkbare Hüttchen des Kirchenwächters, und -weiter hinten, inmitten eines ganzen Waldes verfallener Grabkreuze, -verbarg sich das niedrige, dreifenstrige Häuschen der Hostienbäckerin -Prepotenskaja. - -Der Friedhof war frei von dem Staube, der in dicker Schicht alle -Straßen und Plätze der Stadt bedeckte. Hier wuchs schönes grünes -Gras, und zwei Hühner, die sich im weichen Staube im Sonnenschein -ausliegen wollten, mußten vor die Pforte hinaus und sich unter der -Schwelle in den weichen Staub eingraben, so daß man sie kaum sehen -konnte. Dort lagen sie meist den ganzen Tag, fest überzeugt, daß keiner -sie stören werde. Als Darjanow über sie hinwegschritt, rührten sie -sich nicht; jedes öffnete nur eins seiner bernsteinfarbenen Augen, -begleitete den Gast mit einem schläfrigen Blick und schloß dann die -grauen Lider wieder. Darjanow ging geradewegs auf das Pförtchen des -Prepotenskijschen Hauses zu und schlug mit dem schweren eisernen -Ring gegen das Holz. Alles blieb stumm. Kein Hund bellte, keine -menschliche Stimme ließ sich vernehmen. Darjanow klopfte noch einmal, -aber wieder erfolglos. Dann ließ er alle Hoffnung fahren, kroch unter -dem Lattenwerk hindurch ins Himbeergesträuch, welches das Haus der -Hostienbäckerin dicht umgab, und schaute in eins der Fenster. Diese -waren gegen die Sonnenhitze durch Läden geschlossen, aber durch die -breiten Ritzen konnte man den ganzen Innenraum übersehen. Es war ein -großes, hohes Zimmer, fast ohne Möbel, mit zwei Türen, durch deren eine -man in eine zweite, winzige blaue Kammer mit einem hohen Bett blickte, -über welchem eine aus Kattunflicken zusammengenähte Decke lag. - -Das große, leere Zimmer gehörte dem Lehrer Warnawa, die kleine Kammer -seiner Mutter. Das ganze Haus bestand nur aus diesem zwei Räumen, denn -die winzige Küche, in der man sich kaum umdrehen konnte, zählte nicht -mit. - -Augenblicklich standen beide Zimmer leer, aber Darjanow hörte im -Vorhause hinter der Tür eifrig jemand mit dem Hackmesser arbeiten, -und im Garten unter dem Fenster schien entweder Ziegel gerieben oder -Eisen gefeilt zu werden. Durchaus überzeugt, alles Klopfen führe zu -nichts, trat Darjanow an den Zaun, der das Gärtchen umgab, und begann -eine neue Musterung durch den Spalt, den er zwischen den Brettern -entdeckte. Es war aber nicht so leicht, denn an den Zaun lehnte sich -dichtes Gesträuch, das den Menschen, der da mit den Ziegeln oder -der Feile arbeitete, nicht sehen ließ. Darjanow mußte sich einen -neuen Beobachtungspunkt suchen. Er trat mit der Fußspitze auf ein -vorspringendes Brett, faßte mit der Hand den oberen Rand des Zaunes -und schwang sich empor. Jetzt konnte er den ganzen kleinen, aber -dichtbewachsenen und sehr reinlich gehaltenen Garten übersehen. Quer -hindurch ging ein von der Hostienbäckerin eigenhändig angelegter, -sauber mit gelbem Sand bestreuter Weg, auf welchem der Lehrer Warnawa -saß. Er hielt die ausgestreckten Beine auseinandergespreizt, wie Kinder -beim Ballspielen. Zwischen seinen Knien lag auf dem Sande ein ganzer -Haufen Menschenknochen und ein Bogen blaues Packpapier. In jeder Hand -hielt er einen Ziegelstein und rieb sie mit gewaltiger Kraftanstrengung -aneinander. Der Schweiß floß in Strömen über sein Gesicht, obgleich er -im Schatten saß und alle irgend überflüssigen Toilettenstücke abgelegt -hatte. Er war barfuß und nur mit Hemd und Hose, welch letztere nur -durch einen Träger gehalten wurde, bekleidet. - -»Warnawa Wasiljewitsch, machen Sie mir auf!« rief Darjanow ihm zu, aber -dieser Ruf verhallte ergebnislos. - -Eher hätten die Toten auf dem verfallenen Friedhof dem Gast Bescheid -geben können, als der ganz in seine Arbeit vertiefte Lehrer. Sobald -Darjanow das begriffen hatte, verzichtete er auf weiteres Rufen und -sprang vom Zaun mitten in den Garten hinein. Er sprang leicht und -gewandt, aber die alten, wackligen Bretter schlugen trotzdem krachend -aneinander und erschreckten den Lehrer dermaßen, daß er in größter -Hast seine Ziegelsteine fallen ließ und, auf allen Vieren stehend, die -Knochen zusammenzusuchen begann. - -»Na, Warnawa Wasiljewitsch, guter Freund! Sie sind aber vertieft in -Ihre Arbeit! Man kann sich ja die Lunge aus dem Halse schreien!« -begrüßte ihn der Gast hervortretend. Als Warnawa ihn erkannte, ging -ein Leuchten über sein Antlitz, und er zwinkerte mit den Augen, als er -sagte: - -»Ah, Sie sind's! Und ich dachte, es wäre der Achilla.« - -Mit diesen Worten breitete der Lehrer freudig die Arme aus, und der -ganze Haufen Knochen plumpste auf den Weg, als würde plötzlich das -Innere des Mannes ausgeschüttet. - -»Ach, Valerian Nikolajewitsch,« meinte er, »wenn Sie wüßten, was -hier vorgeht. Nein, hol's der Teufel, -- da soll man noch in diesem -verfluchten Rußland bleiben!« - -»Um Gotteswillen, was ist denn passiert? Wollen Sie es mir nicht -verraten?« - -»Ja gewiß, wenn ... wenn Sie kein Spion sind.« - -»Ich glaube nicht.« - -»Dann setzen Sie sich auf die Bank und ich will weiter arbeiten. Setzen -Sie sich nur, mir ist Ihre Gegenwart sogar sehr angenehm; ich habe so -wenigstens einen Zeugen.« - -Der Gast kam der Aufforderung nach und bat den Lehrer noch einmal, -zu berichten, was für ein Leid ihn betroffen hätte und wie alles so -gekommen wäre. - - - - -Zehntes Kapitel. - - -»Mein Leiden begann mit meiner Geburt, Valerian Nikolajewitsch,« fing -der Lehrer an, »und wurzelt in der Hauptsache darin, daß ich von meiner -Mutter geboren bin.« - -»Trösten Sie sich, lieber Freund, alle Menschen sind von ihren Müttern -geboren,« entgegnete Darjanow und wischte sich den Schweiß von der -Stirn. »Nur Macduff wurde aus dem Mutterleibe geschnitten, und auch -nur, damit Macbeth von keinem besiegt werde, den ein Weib gebar.« - -»Na ja, Macbeth! ... Was schert mich euer Macbeth? Wir brauchen keinen -Macbeth, wir brauchen Aufklärung. Aber was soll man machen, wenn man -hier nicht studieren kann? Ich kann es ohne weiteres beschwören, daß -weder in Petersburg, noch in Neapel, noch sonstwo in der Welt der -Mensch, der etwas lernen will, auf solche Hindernisse stößt, wie hier -bei uns. Da redet man von Spanien ... Aber wie ist's mit Spanien? In -Spanien ist die Lutherbibel verboten. Schön! Dafür aber haben sie -auch Verschwörungen und Aufstände und Gott weiß was alles. Ich bin -überzeugt, wenn sich dort jemand ein Skelett zu wissenschaftlichen -Zwecken anschafft, so wird niemand was dagegen einzuwenden haben. Aber -hier? Kaum hatte ich die Knochen präpariert, so ließ meine eigene -Mutter mir keine Ruhe mehr. ›Sei lieb, Warnawa, mein Kind, ich will ihn -beerdigen.‹ Was heißt das: ›ihn‹? Was ist das für ein ›Er‹? Warum sind -diese Knochen ein Er und keine Sie? Hab' ich recht oder nicht?« - -»Vollkommen recht.« - -»Ausgezeichnet. Jetzt sagt man, daß ich meiner Mutter nicht vernünftig -zuzureden verstehe. Ja, was soll ich denn noch sagen? ›Mütterchen, laßt -die Knochen in Ruhe,‹ sprach ich. ›Ihr versteht nichts davon. Ich habe -sie nötig, ich studiere den Menschen daran.‹ Aber was soll ich machen, -wenn sie mir stets darauf antwortet: ›Weißt du, lieber Warnascha, es -ist doch besser, wenn ich ihn begrabe.‹ -- -- Das ist doch nicht zum -Aushalten.« - -»Allerdings.« - -»Ich sagte ihr, um sie los zu werden: ›Was quält Ihr Euch um ihn, -Mutter, er war ein Jude.‹ Aber sie glaubt mir nicht. ›Du lügst,‹ -meint sie, ›das gibt dir der Teufel ein. Ich weiß es doch besser, die -Juden haben alle Schwänzchen.‹ Niemals, sage ich, haben die Menschen, -gleichviel ob Juden oder Nichtjuden, Schwänze gehabt. Und dann fängt -der Zank an. Ich trete, wie sich's gehört, für die Juden ein, und sie -widerspricht mir. Ich beweise ihr, sie hätten keine Schwänze, aber sie -besteht darauf: Ja -- nein -- mit Schwanz -- ohne Schwanz ... heißt es. -Und wenn sie sich gar nicht mehr zu helfen weiß, dann zischt sie nur -noch: Kusch -- kusch -- kusch -- und fuchtelt mir mit den Händen vor -der Nase herum, als wär' ich ein Huhn, das sie von den Gemüsebeeten -verjagen will. Und da verlangt man noch, man solle den Frauen Freiheit -geben. Ich bin gewiß für die Emanzipation, aber man muß die Sache mit -Vernunft anfangen: einer jungen, entwickelten Frau, die sich in ihrem -Tun keinen Zwang auferlegen will, soll man die Freiheit geben, aber -diesen alten Weibern -- -- Nein, dagegen bin ich durchaus, und wundere -mich, daß noch niemand diese Frage öffentlich behandelt hat. Hinter -all dem stecken die Pfaffen mit diesem Tuberozow an der Spitze.« - -»Sie übertreiben!« - -»Warum nicht gar! Ich habe die Beweise dafür in der Hand. Tuberozow hat -mich nie leiden mögen, jetzt aber haßt er mich einfach wegen meiner -naturwissenschaftlichen Studien. Ich habe ihn ja einmal geschnitten.« - -»Wie haben Sie denn das gemacht?« - -»Nicht einmal, hundertmal hab' ich ihn schon geschnitten, -- zuletzt -noch in der vorigen Woche. Damals in der Schule, im Sprechzimmer des -Inspektors, fing er an zu predigen, die Feiertage seien etwas ganz -Besonderes, -- da hab' ich ihn in aller Gegenwart geschnitten. Ich -wies ihn einfach darauf hin, es sei mathematisch bewiesen, daß die -Festlegung der Feiertage fehlerhaft sei. Wie steht's denn um unsere -Feste? fragte ich. Wir feiern Weihnachten, und im Auslande haben sie es -schon dreizehn Tage früher gefeiert. Hab' ich nicht recht?« - -»Es sind aber nur zwölf Tage, nicht dreizehn.« - -»Nun gut, zwölf, darauf kommt es nicht an. Aber er schlug gleich mit -der flachen Hand auf den Tisch und schrie: ›Paß auf, du Mathematikus, -daß man dir dafür nicht noch mal in die Physik fährt!‹ Ich frage Sie: -was meint er mit dem Worte Physik? Sie werden mich verstehen, -- so -redet doch nur ein Ignorant oder Zyniker, -- und: ist das überhaupt -eine Antwort, frage ich Sie?« - -Der Gast lachte und sagte, eine Antwort sei es schon, aber freilich -eine höchst merkwürdige. - -»Einfach dumm ist sie. Aber so geht es tagaus, tagein. Gestern abend -erst komme ich von der Biziukina, und wenige Schritte vor mir geht der -Kommissar Danilka, -- wissen Sie, jener Herumtreiber, der für zwei -Rubel das Pferd beim Glitsch wegführte, als Achilla Butter schlagen -mußte. Ich kam mit ihm ins Gespräch. Wo warst du, Danilka? frag' -ich ihn. Er antwortet, er sei beim Polizeichef gewesen und habe ihm -Beeren von der Postmeisterin gebracht. Dort habe man gerade von mir -gesprochen, der Diakon sei dagewesen, bemerkte er noch. Ich geriet -natürlich in Aufregung, aber er suchte mich zu beruhigen: ›Nicht von -Ihnen selbst war die Rede, sondern von dem toten Menschen, den Sie -bei sich haben.‹ Begreifen Sie das Intrigenspiel? Ich gab dem Danilka -zwanzig Kopeken. Was sollte ich machen? Es ist ja nicht schön, aber -es geht nicht ohne Spione. Und nun berichtete er mir, der Diakon habe -gesagt, es sei ein großer Fehler, mir den Ertrunkenen überlassen zu -haben. Aber man kann es noch wieder gutmachen. Der Stadthauptmann kennt -natürlich meinen Charakter und meinte deshalb auch, ich würde die -Knochen nicht wieder zurückgeben, -- und ich geb' sie auch bestimmt -nicht heraus! Achilla aber riet: ›Man nimmt sie ihm einfach fort und -bestattet sie in aller Ruhe.‹ Da meinte der Stadthauptmann: ›Sollte man -vielleicht einen Schutzmann nach den Knochen schicken?‹ Jedoch dieser -Bandit antwortet: ›Ich brauche keinerlei polizeiliche Hilfe. Ich hole -sie einfach, lege sie in einen Kindersarg und die Sache ist erledigt.‹« - -Plötzlich stürzte Prepotenskij auf die Gebeine los, breitete die Hände -über sie aus, wie eine Henne ihre vor dem Habicht flüchtenden Küchlein -mit den Flügeln bedeckt, und sagte mit erregter Stimme: - -»Bitte sehr! Solange ich am Leben bin, wird die Sache nicht gemacht! Es -ist schon genug, daß Ihr alles verzögert!« - -»Was verzögern ›sie‹ denn?« - -»Als ob Sie das nicht wüßten!« - -»Etwa die Revolution?« - -Der Lehrer brach seine Arbeit ab und nickte spöttisch. - - - - -Elftes Kapitel. - - -»Nachdem ich dies alles von Danilka gehört hatte,« fuhr Warnawa fort, -»begab ich mich zur Biziukina zurück, um sie davon in Kenntnis zu -setzen, und eine Stunde später, als ich nach Hause kam, waren alle -Knochen schon fort. ›Wo sind sie geblieben? Wo?‹ schrei' ich, -- und -diese Dame, meine Frau Mama, antwortet: ›Sei nicht bös, mein lieber -Warnaschenka (haben sie mir schon so einen scheußlichen Namen gegeben, -muß er jetzt auch noch so ekelhaft verdreht werden), sei nicht bös, -die Obrigkeit hat sie holen lassen.‹ -- ›Was ist das wieder für ein -Blödsinn,‹ schrei' ich, ›von was für einer Obrigkeit quasselt Ihr -denn?‹ -- ›Während du fort warst,‹ sagt sie, ›kam der Diakon Achilla -ans Fenster und hat sie alle mitgenommen.‹ Was sagen Sie dazu? ›Seit -wann gehört der Diakon zur Obrigkeit?‹ -- ›Ja, Lieber,‹ sagt sie, -›wieso denn nicht? Er hat doch die Weihen empfangen.‹ Wie soll man mit -einer solchen Person reden? Sie lachen, Ihnen kommt das komisch vor, -mir aber war gar nicht lächerlich zumute, als ich selber zu diesem -Banditen hingehen mußte. Jawohl! Achilla nennt mich feige und alle -glauben es, aber gestern habe ich bewiesen, daß ich kein Feigling bin; -geradewegs begab ich mich zu Achilla. Als ich hinkam, schnarchte er -bereits. Ich klopfte ans Fenster und rief: ›Gebt mir meine Knochen -heraus, Achilla Andrejewitsch.‹ Es dauerte eine Weile, bis er erwachte, -und sofort mit seinen Unverschämtheiten loslegte: ›Was willst du mit -den Knochen? (Was soll dies familiäre Du? Seit wann sind wir so intim?) -Du bist ohne Knochen viel netter.‹ -- ›Das geht Euch gar nichts an, ob -und wann ich netter bin.‹ -- ›Im Gegenteil, das geht mich sogar sehr -viel an, denn ich bin eine geistliche Person.‹ -- ›Aber Ihr habt nicht -das Recht, fremdes Eigentum fortzunehmen.‹ -- ›Sind denn Totengebeine -Eigentum? Du solltest erst mal kapieren, daß du solches Eigentum gar -nicht besitzen darfst.‹ Darauf erwiderte ich ihm, daß der Diebstahl -den geistlichen Personen doch wohl auch nicht gestattet sei: er kenne -wahrscheinlich die englischen Gesetze nicht. In England könne er dafür -gehenkt werden. Und was antwortet er mir? ›Wenn du mir von allerlei -Gesetzen vorschwatzen willst, dann bedenke gefälligst, daß du dafür -nach der Gendarmeriekanzlei gebracht werden kannst. Da schiebt man dich -bis zum Gürtel ins Kellerloch und dann setzt es Rutenhiebe mit zwei -Bündeln zugleich. Dann hast du dein England.‹ Und damit schmeißt er -sich wieder auf sein Bett. Jetzt war mir alles klar. Ich ging sofort -zu Biziukins, um gleich alles Daria Nikolajewna zu erzählen, die ganz -meiner Meinung war. Wie ich ihr gestern meine Vermutungen über den -Diakon Achilla mitteilte, sagte sie sofort: ›Natürlich ist er ein -Spion! In Ihrer gegenwärtigen, gefährlichen Lage muß es Ihre Hauptsorge -sein, wieder in den Besitz der Knochen zu gelangen und sie dann aufs -allereifrigste zu Lehrzwecken auszunutzen. Achilla kann sie jetzt bei -Nacht noch nicht fortgeschafft haben, und wenn Sie sich gleich zu ihm -schleichen, so können Sie sie wiederbekommen. Passen Sie nur auf, daß -er Sie nicht erwischt, sonst könnte er Sie arg verhauen ...‹« - -»Verhauen?« - -»So meinte sie, weil sie die Gewohnheiten des Achilla gut kennt, und -fügte noch hinzu: ›Lassen Sie sich aber nicht beirren. Nehmen Sie mein -dickes, gemustertes Tuch und wickeln Sie es sich um den Hals. Auf den -Kopf setzen Sie meine wattierte Winterkappe. Wenn er Sie dann wirklich -ertappt und zuschlägt, so sind Sie geschützt und es tut Ihnen nicht -weh.‹ Ich legte alles an und zog los. So kam ich denn zum zweitenmal -in den Hof dieses Viehes. Der Hund schlug an, aber Daria Nikolajewna -hatte auch das vorausgesehen und mir ein Stück Kuchen für den Köter -mitgegeben. Ich fütterte ihn und ging weiter, bis ich vor mir einen -Karren stehen sah. Ich stürze auf ihn zu, -- und richtig, da lagen sie -alle drinnen, alle meine Knochen.« - -»Sie machten sich natürlich gleich an die Arbeit?« - -»Versteht sich! Ich nahm die Kappe vom Kopf, wickelte die Knochen -hinein und raste im schnellsten Tempo davon.« - -»Und damit war die Geschichte zu Ende?« - -»Zu Ende? Nein, jetzt war sie erst in vollem Gange. Soll ich -weitererzählen?« - -»Ich bitte darum!« - - - - -Zwölftes Kapitel. - - -»Erst muß ich Ihnen noch erklären, wie und warum ich heute in die -Kirche gekommen bin. Früh fährt Alexandra Iwanowna Serbolowa bei uns -vor. Sie kennen sie sicher besser als ich. Sie ist strenggläubig -und ihre Anschauungen sind überhaupt stark rückständig, aber sie -unterstützt meine Mutter in diesem und jenem, und deshalb bringe ich -das Opfer und vermeide es, mit ihr zu streiten. Aber wozu sage ich das? -Ach ja, -- wie sie gekommen war, sagte meine Mutter zu mir: ›Steh auf, -mein lieber Warnaschenka, und begleite Alexandra Iwanowna zur Kirche, -damit die Hunde des Akziseeinnehmers ihr nichts zu Leide tun.‹ So ging -ich mit. Sie wissen, ich betrete die Kirche sonst nie; aber schließlich -können mir weder Achilla noch Sawelij dort etwas anhaben, und so tat -ich's eben. Aber wie ich da stehe, fällt mir plötzlich ein, daß ich -meine Zimmertür nicht abgeschlossen habe. Ich laufe deshalb so schnell -ich kann nach Hause, finde aber meine Mutter nirgends. Ich werfe einen -Blick auf die Wand, -- die Knochen sind weg!« - -»Sie hatte sie begraben?« - -»Jawohl!« - -»Ohne Scherz?« - -»Als ob man mit +der+ Frau scherzen könnte! Ich bat und bettelte: -›Liebes, gutes Mütterlein, ich will Euch lieben und ehren, aber sagt -mir, wo habt Ihr meine Knochen gelassen?‹ ›Frage nicht, Warnascha, -mein Liebling, sie haben jetzt Ruhe.‹ Ich versuchte, was ich konnte, -ich weinte, drohte mit Selbstmord, versprach ihr endlich sogar, fortan -jeden Tag zu beten, -- es half alles nichts! Voller Wut ging ich zur -Schule, fest entschlossen, heute nacht den Spaten zu nehmen, eins -der alten Gräber hier auf dem Friedhof aufzugraben und mir ein neues -Skelett zu verschaffen; denn diesen Triumph durfte ich der Bande nicht -gönnen. Ich hätte es auch ganz bestimmt getan. Wäre das nicht ein -sogenanntes Verbrechen gewesen?« - -»Sogar ein großes.« - -»Sehen Sie. Und wer hätte mich dazu gebracht? Die eigene Mutter! Sicher -wäre es so gekommen, wenn nicht zu meinem Glück ein Junge in die Klasse -getreten wäre, der erzählte, am Flußufer hätte ein Schwein Knochen -ausgegraben. Ich stürze hin, fest überzeugt, daß es meine Knochen sind, --- was auch der Fall war. Das Volk schwatzt von Wiederbegraben, ich -jedoch jage das Pack zu allen Teufeln. Plötzlich höre ich den Achilla -nahen. Ich raffe meine Knochen rasch zusammen und renne, was ich rennen -kann. Achilla kriegt mich am Rock zu fassen. Ich wende mich um, -- -krach! Der Rockschoß ist zum Teufel. Achilla packt mich am Kragen, -- -wieder kracht's, und der Kragen ist auch zum Teufel. Nun hat er mich -bei der Weste. Krach! Die Weste ist mitten entzwei gerissen. Er will -mir nun an den Hals. Ich aber renne, was ich rennen kann, -- und sitze -jetzt hier und säubere die Knochen. Da kamen Sie und erschreckten mich -von neuem. Ich meinte, es wäre Achilla.« - -»Aber was denken Sie, Achilla wird doch nicht über Ihren Zaun steigen! -Er ist doch Diakon.« - -»Jawohl, Diakon! Sie haben gut reden. Der kümmert sich viel darum. -Mir sagte der Kommissar Danilka gestern, Achilla hätte beim Abschied -zu Tuberozow geäußert: ›Nun, Vater Sawelij, bis ich diesen Warnawa -kleingekriegt habe, sollt Ihr mich nicht Achilla den Diakon, sondern -Achilla den Krieger nennen.‹ Mag er Krieg führen soviel er will, -ich fürchte ihn nicht. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe. Ich bin -nämlich zu der Überzeugung gekommen, daß ich hier nicht länger bleiben -kann. Ich korrespondiere mit verschiedenen Leuten in Petersburg, von -denen einer ein großes Unternehmen plant, an dem ich mitwirken kann. -Freilich macht sich bereits auch dort die Gemeinheit breit, -- und -die gesinnungstüchtigsten Zeitungen fangen schon an, sich über die -wachsende Begeisterung für die Naturwissenschaften lustig zu machen. -Haben Sie es gelesen?« - -»Ja, ich glaube etwas Ähnliches gelesen zu haben.« - -»Aha! Also auch Ihnen leuchtet es ein! Nun sagen Sie mal, wozu -haben sie uns denn dann immerfort dazu angetrieben, an Fröschen zu -experimentieren und so weiter?« - -»Das weiß ich nicht.« - -»Das wissen Sie nicht? Nun, dann will ich es Ihnen sagen! Das soll den -Leuten nicht so durchgehen! Ich packe meine Knochen zusammen, fahre -nach Petersburg und hau sie ihnen einfach in die Fratzen, mitten in die -Fratzen! Dann mögen sie mich vor ihren Friedensrichter schleppen --« - - - - -Dreizehntes Kapitel. - - -»Hahaha! Da tun Sie recht daran!« rief plötzlich die Serbolowa, die, -von den beiden Männern unbemerkt, hinter einem Kirschstrauch gestanden -hatte. - -Prepotenskij schlug sein aufgeknöpftes Hemd über der Brust zusammen, -richtete sich auf und sagte, indem er zugleich die ganz mit Ziegelstaub -bestreuten Hosen mit der anderen Hand in die Höhe zog: - -»Entschuldigen Sie, Alexandra Iwanowna, daß ich so mangelhaft bekleidet -bin ...« - -»Macht nichts. Mit einem Arbeitsmann rechtet man nicht wegen seiner -Toilette. Aber kommen Sie jetzt. Ihre Frau Mutter bittet, zum Essen zu -kommen.« - -»Nein, Alexandra Iwanowna, ich komme nicht. Ich kann mit meiner Mutter -nicht mehr zusammenleben. Zwischen uns ist alles aus.« - -»Sie sollten sich schämen, so zu reden. Ihre Mutter liebt Sie doch so -sehr.« - -»Ihr Vorwurf trifft mich nicht. Sie hält es mit meinen Feinden, sie -vergräbt meine Knochen. -- Wenn ich mir eine Zigarette an dem Lämpchen -vor dem Heiligenbilde anzünde, spielt sie gleich die Gekränkte.« - -»Warum müssen Sie aber auch Ihre Zigaretten ausgerechnet am -Heiligenlämpchen anstecken? Als ob Sie nicht anderswo Feuer bekommen -können!« - -»Trotzdem ist das doch zu dumm!« - -Alexandra Iwanowna lächelte und sagte: - -»Besten Dank!« - -»Sie meine ich doch nicht! Ich rede von dem Lämpchen. Feuer ist Feuer.« - -»Eben darum können Sie Ihre Zigarette auch sonstwo anzünden.« - -»Ach, man kann es ihr doch nie recht machen. Gestern gab ich unserem -Hunde etwas Suppe von unserer Schüssel, da fängt die Mutter gleich -jämmerlich an zu heulen und schlägt zuletzt vor Ärger die Schüssel in -Stücke. ›Ich kann sie nun doch nicht mehr brauchen,‹ meint sie, ›da -der Hund sie angerochen hat.‹ Ich bitte Sie, meine Herrschaften, -- -Sie, Valerian Nikolajewitsch, haben doch auch Physik studiert, kann -man etwas ›anriechen‹?! Beriechen kann man eine Sache, herausriechen -kann man etwas, -- aber anriechen?! Nur ein kompletter Dummkopf kann so -reden!« - -»Sie hätten dem Hunde sein Essen aber auch in einem andern Gefäß geben -können!« - -»Gewiß. Aber warum?« - -»Um Ihrer Mutter nicht weh zu tun.« - -»Ach, so sehen Sie die Sache an! Meiner Ansicht nach ist alles Lavieren -eines ehrlichen Menschen unwürdig.« - -Die Serbolowa lachte leise, reichte Darjanow den Arm und beide gingen -zum Essen, den Lehrer mit seinem Knochenhaufen allein lassend. - - - - -Vierzehntes Kapitel. - - -Die Hostienbäckerin Prepotenskaja, ein kleines altes Frauchen mit einem -winzigen Gesicht und ewig erstaunten, gutmütigen Äuglein, über welchen -die Brauen gleich Apostrophen hingen, bat Darjanow um Entschuldigung, -daß sie sein Klopfen nicht gehört habe, beugte sich über den Tisch zu -ihm hinüber und fragte flüsternd: - -»Haben Sie meinen Warnascha gesehen?« - -Darjanow bejahte. - -»Er bringt mich zur Verzweiflung, Valerian Nikolajewitsch,« klagte die -Alte. - -»Was sorgen Sie sich deshalb so sehr? Er ist jung, und Jugend hat keine -Tugend. Wenn er älter wird, wird er auch vernünftiger. Und wenn er erst -eine Frau hat ...« - -»Eine Frau? Wie soll ich ihn denn dazu bringen, daß er heiratet? Das -ist ganz unmöglich. Er ist ja ganz verdreht. An den lieben Gott glaubt -er nicht; Fleisch und Milch genießt er an allen Fastentagen, sogar in -der Karwoche, und ich muß Ihnen gestehen, lieber Freund, ich fürchte -mich, besonders abends ...« - -Die schwarzen Apostrophe über den Äuglein der winzigen, ängstlichen -Alten schoben sich unruhig hin und her. Sie zuckte zusammen und -flüsterte: - -»Und zu alledem, lieber Freund, habe ich immer schreckliche Träume, -so daß ich beim Erwachen gleich bete: ›Sankt Simeon, deute mir mein -Traumgesicht.‹ Könnte ich mich mit jemand im Hause darüber aussprechen, -so ertrüge ich es viel leichter; aber so bin ich immer und ewig allein -mit den Totengebeinen. Ich fürchte keinen Toten, über dem die Gebete -gesprochen sind, aber Warnascha erlaubt es ja nicht, daß ich die Gebete -lesen lasse.« - -»Zürnen Sie ihm nicht, er ist trotz alledem ein guter Kerl.« - -»Gewiß, gut ist er schon. Ich will auch nichts Böses von ihm sagen. Ich -war seine glückliche Mutter, und er war früher so gut gegen mich, bis -er in die Philosophieklasse kam. Damals, wenn er zu den Ferien nach -Hause kam, ging er auch in die Kirche, und ich führte ihn zum Vater -Sawelij, und der Vater Sawelij war freundlich gegen ihn und half ihm -auch in diesem und jenem, -- bis es dann plötzlich über ihn kam, ich -weiß selbst nicht wie und woher: er fing an, den Weisen zu spielen. -Seitdem wurde es mit jedemmal, wenn er aus dem Seminar kam, schlimmer -und schlimmer. Sagen Sie, was Sie wollen, ich kann es mir nicht anders -erklären, als daß er behext ist. Vater Zacharia hat mir neulich aus dem -›Familienblatt‹ vorgelesen, wie ein Sohn aus gutem Hause vom Teufel -besessen war, so daß zehn Mann nicht mit ihm fertig werden konnten. -Gerade so ist es mit Warnawa auch.« - -Die Alte sprang auf, schlüpfte in die Küche, wischte sich dort die -Tränen aus den Augen, kam wieder ins Zimmer zurück und berichtete -weiter: - -»Ich will es Ihnen nur gestehen, ich gebe ihm jeden Tag geweihtes -Wasser zu trinken. Er weiß natürlich nichts davon und merkt es nicht. -Ich geb's ihm aber. Es hilft nur leider nichts, und eine Sünde ist es -auch. Vater Sawelij sagt immer wieder, er verdiente, irgendwohin nach -Taschkent verschickt zu werden. Warum soll man es denn nicht noch -einmal mit Güte versuchen? denke ich. Er aber meint, mit Güte sei -da nichts zu machen, weil ihm alle natürlichen Gefühle fremd sind. -Aber wenn auch, mir ist es doch leid um ihn.« Und die Hostienbäckerin -verschwand wieder. - -»So ein unglückliches Wesen,« sagte die junge Frau leise. - -»Ja, freilich,« stimmte Darjanow ihr bei. »Und der Rüpel spielt noch -Komödie und kommt nicht mal zum Essen.« - -»Gehen Sie doch noch mal hinaus und holen Sie ihn.« - -»Er ist ja so störrisch wie ein Pferd und wird nicht kommen.« - -»Das wollen wir doch sehen. Sagen Sie ihm, ich befehle es, ich sei -Agent der Geheimpolizei und wünschte ihn sofort hier zu sehen, -widrigenfalls ich Meldung mache, daß er nach Petersburg zu ziehen -beabsichtige.« - -Darjanow lachte und ging hinaus, um Warnawa zu holen. Inzwischen hatte -der Lehrer seine Schätze in Sicherheit gebracht, und da die Arbeit -seinen Appetit mächtig angeregt hatte, fiel es ihm nicht leicht, sich -charakterfest zu zeigen und die Aufforderung zum Essen zurückzuweisen. - -Um den freiwilligen Märtyrer aus seiner schwierigen Lage zu bringen, -beugte sich der Abgesandte an sein Ohr und flüsterte ihm mit -geheimnisvoller Miene zu, was die Serbolowa gesagt hatte. - -»Sie Spionin!« rief Warnawa und wurde ganz rot. - -»Ja.« - -»Und vielleicht --« - -»Was?« - -»Vielleicht auch Sie ...« - -»Ja, ich auch.« - -Warnawa drückte ihm freundschaftlich die Hand: - -»Ich danke Ihnen, daß Sie kein Geheimnis daraus machen.« - -Dann ging er mit reinem Gewissen zum Mittagessen. - -»Ich muß Ihnen ja gehorchen ...« - - - - -Fünfzehntes Kapitel. - - -Der Plan war also gelungen. Warnawa hatte jetzt einen Vorwand zum Essen -zu kommen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. Er trat ins Zimmer mit -der Miene eines unglücklichen Opfers feindlicher Gewalten und setzte -sich an das schmale Ende des Tisches, Darjanow gegenüber. Zwischen -ihnen, an der Längsseite, nahm Alexandra Iwanowna Platz, während die -vierte Seite frei blieb. Die Hostienbäckerin selbst setzte sich fast -nie mit ihrem Sohne zu Tisch, und auch jetzt begnügte sie sich damit, -die Gäste zu bedienen, ohne mitzuessen. Die Alte war entzückt, ihren -gelehrten Sohn wiederzuhaben, Freude und Kummer wechselten auf ihrem -Antlitz, ihre Augenlider waren gerötet, die Unterlippe zitterte leise -und ihre alten Füßchen gingen nicht, sondern liefen in großer Hast, -wobei sie unausgesetzt bemüht war, sich so zu stellen und zu wenden, -daß man ihr Gesicht nicht sehen konnte. - -Die Gäste suchten durch allerlei Listen die Alte zum Bleiben zu -bewegen, und lobten ihre Kochkunst. Aber die Gute wies alles Lob zurück -und meinte, sie verstünde nur die allereinfachsten Speisen zu bereiten. - -»Aber gerade diese einfachen Speisen schmecken uns ausgezeichnet.« - -»Ach, wie sollen sie schmecken! Bloß gesund sollen sie sein, sagt man. -Aber Gott weiß, ob dem wirklich so ist. Warnawa ißt doch immer, was -ich gekocht habe, -- und sehen Sie ihn bloß an: ganz wie leer ist er.« - -»Hm!« brummte Warnawa, sah die Mutter vorwurfsvoll an und schüttelte -den Kopf. - -»Ach Gott, was willst du wieder? Wirklich, Warnawa, du bist leer.« - -»Sagt das doch noch einmal!« knurrte der Lehrer. - -»Es ist doch nichts Kränkendes, Warnascha! Milch trinkst du morgens -bis zur Unendlichkeit; Tee mit Weißbrot nimmst du auch bis zur -Unendlichkeit; Braten und Grütze auch, -- aber wenn du vom Tische -aufstehst, bist du wieder leer bis zur Unendlichkeit. Das ist doch -sicher eine Krankheit. Ich sage dir schon, lieber Sohn, hör' auf -mich ...« - -»Mutter!« unterbrach sie der Lehrer zornig. - -»Was ist denn dabei, Warnascha? Ich sage dir, wenn du frühmorgens -aufstehst, mußt du beten: ›Herr Gott, fülle meine Leere‹ -- und dann -erst essen ...« - -»Mutter!« rief Warnawa noch lauter. - -»Was ärgerst du dich denn, Närrchen? Ich sage dir, du mußt beten: ›Herr -Gott, fülle meine Leere‹ und dann ein Stückchen geweihte Hostie essen, -denn, Sie müssen wissen,« wandte sie sich an die Gäste, »ich hole mir -immer für ihn und für mich je ein Stückchen von der Hostie aus der -Kirche, damit wir einst drüben in demselben Zelt sind. Aber er will es -nie essen. Warum?« - -»Warum? Ihr wollt wissen, warum? Schön! Weil ich mit Euch nirgends -zusammen sein will, weder in dieser noch in irgendeiner andern Welt!« - -Ehe noch der Lehrer diese Worte gesprochen hatte, erbleichte die Alte. -Sie zitterte so, daß die beiden Fayenceteller, welche sie in der Hand -hielt, ihr entglitten und klirrend in Scherben zersprangen. - -»Warnascha,« rief sie, »du sagst dich los von mir?« - -»Ja, ja, ja, ich sage mich los! Ihr seid mir auch hier schon zuwider, -und mich verlangt nicht im mindesten darnach, Euch noch in jener Welt -auf dem Halse zu haben.« - -»St! St! St!« suchte die Alte bitterlich weinend ihn zu unterbrechen, -und fing an, dicht vor seinem Gesicht in die Hände zu klatschen, damit -sie seine furchtbaren Worte nicht höre. Jedoch Warnawa schrie viel -lauter, als seine Mutter klatschte. Da stürzte sie zum Heiligenbild -und rief außer sich, mit den gespreizten Fingern ihrer mageren Hände -fuchtelnd: - -»Höre ihn nicht, Gott, höre ihn nicht, höre ihn nicht!« - -Und dann fiel sie schluchzend in der Ecke vor dem Bilde zu Boden. - -Diese traurige und ganz unerwartete Szene hatte alle Anwesenden in -Erregung versetzt, ausgenommen Prepotenskij. Der Lehrer blieb völlig -ruhig und aß mit seinem gewöhnlichen, nie versagenden Appetit. Die -Serbolowa war aufgestanden und der Alten, welche aus dem Zimmer -stürzte, gefolgt. Darjanow sah durch die offene Tür, wie die -Hostienbäckerin Alexandra Iwanowna umarmte. Er stand auf, schloß die -Tür und stellte sich ans Fenster. - -Prepotenskij aß ruhig weiter. - -»Wann fährt Alexandra Iwanowna nach Hause?« fragte er, gemächlich -kauend. - -»Sobald die Hitze nachläßt,« antwortete Darjanow trocken. - -»Erst!« sagte Prepotenskij gedehnt. - -»Ja, Tuberozow will sie hier noch aufsuchen.« - -»Tuberozow? Bei uns? In unserem Hause?« - -»Ja, in Ihrem Hause. Aber er kommt nicht zu Ihnen, sondern zu Alexandra -Iwanowna.« - -Darjanow stand während dieses Gespräches mit dem Rücken zu Prepotenskij -und blickte in den Hof hinaus, aber bei den letzten Worten wandte er -sich um und fügte mit einem kaum merklichen Lächeln hinzu: - -»Es scheint, Sie haben eine Mordsangst vor Tuberozow.« - -»Ich? Ich Angst vor Tuberozow?« - -»Ja freilich. Es sieht so aus, als wäre sogar Ihre Nase ganz grün -geworden, wie ich sagte, er wolle hierher kommen.« - -»Meine Nase grün geworden? Ich versichere Sie, das kommt Ihnen nur so -vor. Wie wenig ich ihn fürchte, will ich Ihnen heute noch beweisen.« - -Mit diesen Worten erhob sich Prepotenskij und ging hinaus. Der -Gast ahnte nicht, was für kühne Gedanken in diesem Augenblick im -verzweifelten Gehirn Warnawas keimten und reiften. Der geneigte Leser -aber soll es im nächsten Kapitel erfahren. - - - - -Sechzehntes Kapitel. - - -Nachdem er das Zimmer verlassen, schlüpfte Prepotenskij in eine kleine -Scheune, entledigte sich seiner Oberkleider und kletterte auf den -Heuboden. Mit großer Anstrengung schob er zwei Deckbretter auseinander -und kroch durch den ziemlich engen Spalt in einen kleinen, von außen -verschlossenen Speicher. Bunt durcheinander lagen dort Töpfe und -Bütten, an der Decke hing ein Schinken, auf Stöckchen waren Bündel von -Bohnenkraut, Pfefferminz und Dill gespießt. Der Lehrer ließ alle diese -Gegenstände unberührt. Er stieg auf eine hohe Truhe aus Tannenholz mit -schrägem Deckel und holte einen großen, leicht gewölbten Trog herunter, -der so blank wie das Schaufenster eines Spiegelgeschäfts gescheuert -war. Mit dem Trog kroch er wieder in die Scheune zurück, wo er die -unseligen Totengebeine sehr geschickt versteckt hatte. - -Niemand dachte daran, dem Lehrer nachzuspüren, er aber war es schon so -gewohnt, seine »Lage« für »gefährdet« zu halten, daß er sich nirgends -sicher fühlte. Immer mußte er sich verkriechen und verstecken, weil er -dachte, sonst wäre es ihm unmöglich, sein Unternehmen zu beginnen und -im geeigneten Augenblick mit allem Pomp zur Ausführung zu bringen. - -Eine Stunde mochte seit Warnawas Verschwinden vergangen sein, und -es begann zu dämmern, als der Ring an dem wackeligen Pförtchen der -Prepotenskijschen Behausung klirrte. - -Tuberozow war gekommen. Warnawa hörte in seiner Scheune, wie unter dem -festen Tritt des beleibten Propstes die Stufen des alten Holztreppchens -knarrten und sich bogen, und wie der Gast die Serbolowa und die alte -Hostienbäckerin begrüßte. - -»Nun, meine liebe Witwe von Nain, was macht dein gelehrter Sohn?« -wandte sich Vater Sawelij an die Alte, die eben den kleinen weißen -Tisch auf die offene Veranda hinaustrug, wo die Gäste den Tee trinken -sollten. - -»Mein Warnascha? Gott weiß, Vater Propst. Er hat wohl Angst bekommen -und sich irgendwo vor Euch versteckt.« - -»Du lieber Himmel, was hat er denn von mir zu fürchten? Er sollte sich -lieber mehr um sich selber kümmern und vorsichtig sein,« und Tuberozow -erzählte Darjanow und der Serbolowa von den nächtlichen Abenteuern -Achillas. - -»Wer hat ihn darum gebeten? Wer hat es ihm befohlen?« fragte der -Alte und antwortete selbst: »Niemand! Er hat es ganz für sich allein -beschlossen, mit Warnawa Wasiljewitsch abzurechnen, und die ganze Stadt -haben sie in Aufregung versetzt.« - -»Habt Ihr es ihm denn nicht befohlen, Vater Propst?« fragte die Alte. - -»Wie käme ich dazu, solche Dummheiten zu befehlen?« erwiderte Tuberozow -und fing von anderen Dingen zu reden an. So verging noch eine halbe -Stunde und die Gäste brachen auf. Warnawa war immer noch unsichtbar, -aber als der Wagen der Serbolowa vorfuhr, flog die Pforte der Scheune, -in welcher der Lehrer sich verborgen hielt, weit auf, und langsam und -feierlich schritt Warnawa Prepotenskij auf die erstaunten Gäste zu. - -Er trug seine gewöhnliche Kleidung und hielt in beiden Händen hoch über -seinem Haupte den neuen Waschtrog, den er der Mutter geraubt und in dem -jetzt in schönster symmetrischer Anordnung die wohlbekannten Gebeine -lagen. - -Ehe noch jemand begreifen konnte, was die Erscheinung des Lehrers -mit dieser seltsamen Trophäe zu bedeuten hatte, war Prepotenskij -bereits majestätisch an der Veranda vorübergeschritten, hatte dem dort -stehenden Tuberozow die Zunge gezeigt und war dann über den Friedhof -auf die Straße hinausgegangen. - -Die Hostienbäckerin zitterte am ganzen Leibe, kaute krampfhaft an den -Spitzen ihrer fest zusammengedrückten Finger und flüsterte: - -»Was hat er da? Was trägt er durch die Stadt?« - -Als sie es endlich begriffen hatte, heulte sie laut auf und stürzte -mit einer Geschwindigkeit, die man ihren Jahren gar nicht zugetraut -hätte, dem Sohne nach. Die Alte hüpfte und hopste, wie gewisse Vögel, -die, bevor sie auffliegen, erst einen Anlauf nehmen müssen. Trotzdem -Warnawa langsam schritt, erschien es fraglich, ob die Hostienbäckerin -selbst bei diesem schnellen Tempo imstande sein werde, ihren Sprößling -einzuholen, der schon am entgegengesetzten Ende der Straße angelangt -war. Allein ein unerwartetes Ereignis, durch das die ganze Prozession -und die Verfolgung eine völlig neue Wendung nehmen sollte, trat ein. - -Irgendwo von oben her ertönte plötzlich ein lautes und lustiges: - -»Hallo! Hurra! Nicht hauen! Nicht hauen! Nicht hauen!« - -Die Zeugen dieser Szene sahen sich nach der Richtung um, aus welcher -das Geschrei kam, und erblickten auf dem Vorsprung eines der -Nachbardächer einen zerlumpten Kerl, der in der Hand eine dünne Stange -hielt, wie sie Taubenzüchter brauchen, um ihre Tümmler aufzuscheuchen. -Dieser Schreier war der Ausrufer und das Faktotum von Stargorod, -der Proletarier und beschäftigungslose Kleinbürger Danilka, den sie -in der Stadt den »Kommissar« nannten. Er war just mit seinen Tauben -beschäftigt und benutzte die Gelegenheit, um spaßeshalber auch den -Lehrer zu erschrecken. Diesen Zweck erreichte er vollkommen, denn kaum -hatte Prepotenskij den Warnungsruf vernommen, so schlug er sofort ein -schnelleres Tempo an und stürmte wie ein gehetztes Reh vorwärts. Aber -während er einer Gefahr zu entgehen hoffte, lief er einer andern, weit -schlimmern in die Arme; denn an der nächsten Wegkreuzung tauchte vor -den entsetzten Blicken des Lehrers in Riesengröße -- er schien heute -viel gewaltiger als gewöhnlich -- der grimme Diakon Achilla auf. - -Wie sagt das Sprichwort? Links die Backpfeife und rechts der -Rippenstoß. - - - - -Siebzehntes Kapitel. - - -Kaum hatte der arme Lehrer den Diakon erblickt, so knickten seine -Knie kraftlos zusammen. Doch schon im nächsten Augenblick reckten sie -sich wieder auf wie Sprungfedern, und mit drei mächtigen Sätzen legte -er eine Entfernung zurück, die ein normaler Mensch in zehn Sprüngen -nicht hätte überwinden können. Dadurch schien Warnawa gerettet, -denn er befand sich jetzt gerade unter dem Fenster der Gattin des -Akziseeinnehmers Biziukin, und zu seinem großen Glück stand die -aufgeklärte Dame selbst am offenen Fenster. - -»Nehmen Sie dies!« rief Prepotenskij ganz außer Atem. - -»Ich werde verfolgt von Spionen und Pfaffen!« - -Bei diesen Worten schob er den Trog mit den Knochen zum Fenster hinein, -er war aber selbst so erschöpft, daß er sich nicht mehr rühren konnte -und an die Mauer lehnen mußte. Im selben Augenblick stand auch schon -Achilla, ebenfalls ganz außer Atem, neben ihm und packte seinen Arm. - -Sein Blick traf mitten auf der Straße zwei aus dem Staube emporragende -menschliche Rippen. Sich zu Prepotenskij wendend sagte er: - -»Warum hebst du deine Astragalusse nicht auf?« - -»Tretet beiseite, dann will ich sie aufheben.« - -»Gut, ich will zurücktreten,« -- und der Diakon ging an das Fenster, -stellte sich auf die Zehenspitzen, guckte ins Zimmer hinein und fuhr -fort: - -»Hören Sie mal, Frau Rätin, Sie tun sehr unrecht, wenn Sie sich für -diesen Lehrer so ins Zeug legen.« - -Statt der erwarteten Antwort der »Rätin« erschien der liberale -Akziseeinnehmer Biziukin selbst am Fenster und hielt dem Diakon den -kahlen Schädel des Skeletts vor Augen. - -»Sei mal so gut und lege das Ding fort, sonst werde ich böse,« -entgegnete Achilla höflich. Von innen ertönte nur ein höhnisches -Gelächter, und der Einnehmer ließ den Schädel laut und schauerlich mit -den Zähnen klappern. - -»Ich schlag euch alle zu Brei,« brüllte Achilla, indem er mit beiden -Händen einen mächtigen Stein packte, der neben dem Fundament lag und -gut zwei Zentner wiegen mochte. Im selben Augenblick, als er mit -flammenden Augen dieses ungeheure Geschoß emporhob, um es gegen seine -Widersacher zu schleudern, fiel ihm von hinten jemand in den Arm, und -eine bekannte Stimme rief gebieterisch: - -»Laß liegen!« - -Es war Tuberozow. Mit strengem Gesicht, schwer atmend und zitternd vor -Erregung stand Propst Sawelij vor ihm. Achilla gehorchte. Noch einen -zornigen Blick aus seinen vor Wut geröteten Augen warf er auf den -Einnehmer, dann schleuderte er den Stein mit solcher Wucht zur Seite, -daß er einen Zoll tief in den Boden drang. - -»Geh nach Hause,« flüsterte ihm Sawelij zu und wandte sich selbst zum -Gehen. - -Achilla widersetzte sich auch diesem Befehl nicht und schlich leise und -niedergeschlagen, wie ein sonst artiger Schulbub, der bei einem dummen -Streich ertappt worden ist, von dannen. - -»Gott, was für eine alberne und ärgerliche Geschichte,« sagte -Tuberozow, mühsam nach Luft schnappend, zu Darjanow, der ihn inzwischen -eingeholt hatte. - -»Macht Euch keine unnützen Gedanken, die Sache wird weiter keine Folgen -haben.« - -»Wieso keine Folgen? Die Folge wird sein, daß Achilla vor Gericht -kommt. Haben Sie denn nicht gehört, was er schrie, als er mit dem Stein -drohte? Er wollte sie alle zu Brei schlagen!« - -»Ihr werdet sehen, alles löst sich in Wohlgefallen und Lachen auf.« - -»Nein, das glaube ich nicht. Hier gibt es nichts zum Lachen. Es handelt -sich um eine große Dummheit, die gemeine Menschen zu ihren Zwecken -ausnutzen können.« - -Der Propst beschleunigte seine Schritte und eilte nach Hause, indem er -mit seinem langen Stabe zornige Zickzacklinien durch den Straßenstaub -zog. - -Im nächsten Buche unserer Chronik werden wir sehen, was für Folgen -diese Begebenheit hatte und wer von den beiden Propheten im Recht war. - - - - -Zweites Buch. - - - - -Erstes Kapitel. - - -Der Tag des heiligen Methodius von Pesnosch war vorüber und der -erwachende Morgen verhieß einen heiteren und stillen Tag. - -Tuberozow, von der Messe zurückgekommen, saß beim Tee, auf demselben -Sofa, auf dem er nachts geschlafen, und vor demselben Tisch, an dem -er seine Memorabilien geschrieben hatte. Die Pröpstin bediente ihren -Gatten, um dessen Ruhe sie so besorgt war, daß sie ihm alles an den -Augen abzusehen suchte und nicht wagte, durch irgendeine Frage seine -ernsten Gedanken zu stören. Flüsternd befahl sie dem Dienstmädchen, die -beiden Pfeifen des Propstes mit Shukowschem Knaster zu stopfen und sie -in den Ständer in der Ecke zu stellen, und dann setzte sie sich ihm -gegenüber und wartete, das Kinn auf die Hand gestützt, bis der Propst -das erste Glas geleert habe und ein zweites verlangen würde. - -Aber ehe es so weit war, wurde ihre Aufmerksamkeit durch einen -ungewöhnlichen Lärm ganz in der Nähe des Hauses abgelenkt. Man -vernahm hastige Schritte und wirre Stimmen, die sich hin und wieder -zu wütendem Geschrei verdichteten. Die Pröpstin schaute zum Fenster -ihres Schlafzimmers hinaus und sah, daß Lärm und Geschrei von einer -Menschenmenge herüberdrangen, welche sich mit großer Hast geradewegs -auf ihr Haus zu bewegte. - -»Was kann das sein?« dachte die Pröpstin, ging ins Wohnzimmer zurück -und sagte ihrem Manne: - -»Sieh doch, Vater Sawelij, was da für eine Menge Leute kommt.« - -»Leute gibt es viel, meine Liebe, aber es sind keine Menschen -darunter,« antwortete Sawelij ruhig. - -»Nein, du solltest wirklich hinaussehen, es sind ihrer furchtbar viele.« - -»Laß sie doch rumlaufen, soviel sie wollen; gib mir lieber noch ein -Gläschen Tee.« - -Die Pröpstin nahm sein Glas, füllte es, reichte es ihm und trat wieder -ans Fenster. Der lärmende Haufe war verschwunden. Nur drei oder vier -aus ihm standen noch herum und blickten mit offenkundiger Verlegenheit -nach dem Tuberozowschen Hause. - -»Um Gotteswillen, brennt es nicht irgendwo bei uns, Vater Sawelij!« -rief die Pröpstin und stürzte entsetzt ins Zimmer ihres Gatten, aber -schon an der Schwelle blieb sie stehen und begriff endlich, was -eigentlich geschehen war. - -Die Tür zum Wohnzimmer ging lärmend auf und in der Wohnstube des -Propstes erschien der Diakon Achilla, und dicht hinter ihm, feuerrot -und ganz verwirrt, der Kommissar, welchen Achilla fest am Ohr hielt. - -»Vater Propst,« begann Achilla, indem er Danilka losließ und die Hände -dem Propst entgegenstreckte. - -Tuberozow segnete ihn. - -Hierauf trat auch Danilka vor Sawelij hin und nahm den Segen in -Empfang. - -Nachdem dies geschehen war, packte der Diakon ihn wieder fest am Ohr, -riß ihn zwei Schritte zurück und fing an: - -»Stellt Euch vor, Vater Sawelij, eben gehe ich die Straße entlang, -da höre ich laut reden. Ein paar Kleinbürger sprechen vom gestrigen -Regen, den uns der liebe Gott auf unseren Bittgottesdienst gesandt -hat, -- und jener dort« -- Achilla stieß den Zeigefinger seiner linken -Hand dem ängstlich zwinkernden Danilka gerade in die Nase -- »wagt zu -widersprechen!« - -Tuberozow hob den Kopf. - -»Denkt nur, er behauptete,« fuhr der Diakon fort und zog Danilka -näher zu sich heran, »er behauptete, der Regen, den wir vorige Nacht -nach dem Bittgottesdienst gehabt hätten, sei gar nicht infolge des -Gottesdienstes gekommen.« - -»Woher weißt du denn das?« fragte Tuberozow trocken. - -Danilka schwieg verlegen. - -»Denkt doch bloß, Vater Propst! Er behauptet, der Regen sei einfach -kraft eines Naturgesetzes gekommen.« - -»Zu welchem Zwecke hast du die Betrachtungen angestellt?« fragte -Tuberozow. - -»Ein Zweifel regte sich in mir,« antwortete Danilka bescheiden. - -»Zu zweifeln hat ein so kompletter Ignorant, wie du, überhaupt nicht, -und also hat der Täter seinen Lohn dahin. Du hast bekommen, was du -verdientest. Und nun hinaus aus meinem Hause, du Schwätzer.« - -Nachdem der Freigeist Danilka auf diese Weise an die Luft befördert -war, nahm der Propst wieder am Teetisch Platz, trank sein Glas -schweigend aus, und als er damit fertig war, wandte er sich an den -Diakon Achilla. »Und du, Vater Diakon, -- hast du die Absicht, noch -lange so zu wüten? Hab' ich dich nicht ermahnt, deine Hände davon zu -halten?« - -»Es geht nicht, Vater Propst; ich konnte mich nicht bezwingen; ich -wollte Euch schon längst davon Mitteilung machen, wie er -- denkt nur --- immer gegen die Gottheit und gegen die Schrift redet.« - -»Und da mußtest du dich vor allem Volke mit ihm prügeln?« - -»Und wenn's auch vor allem Volke war, -- was ist denn dabei, Vater -Propst? Ich bin ein Diener des Altars und muß an jedem Ort für meinen -Glauben eintreten. Der heilige Nikolaus hat dem Ketzer Arius auch vor -allem Volke eins ausgewischt ...« - -»Du bist aber nicht der heilige Nikolaus,« fiel ihm Tuberozow ins Wort. -»Du bist eine simple Krähe, verstehst du, und als solche hast du dich -nicht um Dinge zu kümmern, die dich nichts angehen. Was hast du mit -deinem Knüppel so zu fuchteln? Du hast wohl vergessen, daß ein Knüppel -zwei Enden hat? Du verläßt dich immer auf deine Kraft, du Dromedar!« - -»Das tu ich.« - -»Tust du's? Nun, so tu es lieber nicht. Nicht deine Kraft hat dich -gerettet, sondern das da,« -- sagte der Propst und zog den Diakon am -Ärmel seiner Kutte. - -»Wollt Ihr mir das zum Vorwurf machen, Vater Propst? Ich bin mir der -Würde meines Amtes bewußt.« - -»So? Du bist dir der Würde deines Amtes bewußt?« - -Mit diesen Worten trat der Propst dem Diakon einen Schritt näher, -schlug sich mit der flachen Hand auf das Knie und flüsterte: - -»Ist es Euch vielleicht bekannt, Vater Diakon, wer mit den -Handlungsgehilfen vor dem Kolonialwarenladen sitzt und Zigaretten -raucht?« - -Der Diakon wurde verlegen und erwiderte hastig: - -»Ja, gewiß hab' ich, Vater Propst ... Ich kann's nicht leugnen ... Aber -das geschah nur aus Unvorsichtigkeit, Vater Propst, wirklich nur aus -Unvorsichtigkeit.« - -»Seht nur, ihr Leute, was wir für einen feinen Diakon haben, wie famos -er die Zigaretten zu drehen versteht.« - -»Nein, wirklich, Vater Propst, nicht deswegen war es. Was hätt' ich -mich groß damit zu rühmen? In bezug auf das Tabakskraut sind auch -andere geistliche Personen nicht sehr enthaltsam.« - -Tuberozow maß den Diakon von Kopf bis zu Fuß mit einem sehr -vielsagenden Blick, dann warf er den Kopf zurück und fragte: - -»Was willst du damit sagen? Daß der Propst auch Tabak raucht, nicht -wahr?« - -Der Diakon war so verlegen, daß er nichts zu erwidern vermochte. - -Tuberozow wies mit der Hand nach der Zimmerecke, wo seine drei Pfeifen -standen. - -»Was rauche ich wohl, Vater Diakon?« - -Der Diakon schwieg. - -»Habt die Güte, mir Antwort zu geben. Was rauche ich? Rauche ich -Pfeifen?« - -»Ihr raucht Pfeifen,« antwortete der Diakon. - -»Pfeifen? Ausgezeichnet. Und wo rauche ich sie? Rauche ich sie zu -Hause?« - -»Ihr raucht sie zu Hause.« - -»Manchmal rauche ich auch eine bei guten Freunden, die ich besuche.« - -»Ihr raucht auch manchmal bei guten Freunden.« - -»Aber nicht mit Ladenjungen vor dem Tor!« rief Tuberozow und schlug -mit dem rechten Zeigefinger drohend gegen die linke Handfläche. »Geh -jetzt deines Weges und hab' Acht auf dich,« schloß er. »Es kommt eine -neue Ordnung, es wird ein neues Gerichtsverfahren eingeführt, es kommen -neue Gebräuche, nichts soll mehr im Verborgenen bleiben, sondern alles -offenbar werden; dann werde ich dich nicht mehr schützen können.« - -Nach diesen Worten trat der Propst mit seinem großen Fuß auf einen -Strohstuhl und langte vorsichtig den gelben Käfig mit dem Kanarienvogel -herunter. - -»Pfui! Daß Gott sich erbarme! Da hab' ich den Glauben verteidigen -wollen und wieder war's ein Reinfall!« brummte Achilla vor sich -hin, als er das Haus des Propstes verlassen hatte und mit schnellen -Schritten auf ein kleines gelbes Häuschen zuging, aus dessen offenen -Fenstern ein ganzer Haufen blonder Kinderköpfchen herausguckte. - -Der Diakon stieg eilig die Verandastufen hinauf, trat ins Vorhaus und -öffnete, nachdem er mit der Stirn erst gegen den Querbalken gerannt -war, die Tür zum Wohnzimmer. - -In dem niedrigen Raume ging der dürre, winzige Zacharia im Leibrock, -die Hände auf dem Rücken, eine lange silberne Kette auf der -eingefallenen Brust, auf und ab. - -Achilla betrat dieses Haus mit einem ganz anderen Gesicht und in ganz -anderer Haltung, als das des Propstes. Die Verwirrung, in der er sich -befunden hatte, als er das Haus Tuberozows verließ, war geschwunden, -und schon erfüllten ihn eitel Milde und Güte. - -»Nun, Vater Zacharia! Nun, Brüderlein, liebes ... Nun!« begann er -ungeduldig in der Tür. - -»Was gibt's?« fragte Zacharia mit sanftem Lächeln. »Was drehst und -windest du dich so?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, begann der dürre -Pfarrer wieder auf- und abzulaufen. - -Der Diakon brach erst in ein lustiges Lachen aus und rief dann: - -»Ach, Freundchen, hat das wieder eine Kopfwäsche gegeben! Ach, Vater, -sogar der Schädel tut mir weh von der Seife. Kann ich mal fix einen -kippen?« - -»Einen kippen? Schön! Aber wer hat dich denn vorgekriegt?« - -»Wer sonst als der Justizminister!« - -»Vater Sawelij!« - -»Eben der! Es ist eine ganz ungewöhnliche Sache, Vater Zacharia. -Ich wollte mich verdient machen, aber er hat alles herumgedreht, -durcheinandergeschmissen. Erzählen läßt es sich gar nicht.« - -Aber nachdem der Diakon sich gesetzt und das ihm auf einem Teller -präsentierte Gläschen Branntwein geleert hatte, erzählte er Vater -Zacharia doch die ganze Geschichte seines Konflikts mit Danilka und -mit Tuberozow in allen Einzelheiten. Zacharia hüpfte währenddem -unausgesetzt im Zimmer hin und her und blieb nur stehen, um bald den -einen, bald den andern der herumhuschenden Blondköpfe aus dem Wege -zu räumen. Als der Diakon seine Erzählung beendet hatte, brummte -Zacharia, das Ende seines dünnen Bartes zwischen die Lippen geklemmt, -bedeutungsvoll: »Ja, ja, ja, aber das tut nichts.« - -»Ich kann mir's nicht anders denken, als daß er erzürnt ist und ...« - -»Und was noch? Packt euch raus, ihr Bälger! Also was noch?« fragte -Zacharia, die Kinder zur Seite schiebend. - -»Daß es unpolitisch von mir war, die Pfeife zu erwähnen,« erklärte der -Diakon. - -»Ja natürlich ... versteht sich ... zum Teil mag auch das ... Weg -mit euch, ihr Bälger! ... Übrigens glaube ich, daß er nicht so sehr -unzufrieden mit dir ist ... Er ist vielmehr ... nehme ich an ... Wollt -ihr wohl Platz machen, ihr Bälger! ... Ich meine, daß er in seinem -Herzen ... verstehst du?« - -»Betrübt ist?« sagte der Diakon. - -Vater Zacharia fuhr sich mit der kleinen Hand über die Brust, zog ein -saures Gesicht und sagte: - -»Empört ist.« - -»Gepeinigt,« entschied Achilla. »Ich weiß, der Lehrer Warnawka bringt -ihn immer in Zorn, aber ich nehme mir den Warnawka noch einmal -ordentlich vor -- -- und so weiter.« - -Und ohne sich in weitere Auseinandersetzungen einzulassen, -verabschiedete sich der Diakon und ging. - -Auf dem Heimwege traf er Danilka und hielt ihn an: - -»Sei so gut, lieber Danilka, und zürne mir nicht. Wenn ich dich -gestraft habe, so geschah es nur in Erfüllung meiner Christenpflicht.« - -»Ihr habt mich vor dem ganzen Volke gekränkt, Vater Diakon,« antwortete -Danilka in einem Tone, der zwar noch immer beleidigt, aber doch auch -schon ein wenig nach Friedensbereitschaft klang. - -»Nun, was willst du mir dafür tun, daß ich dich gekränkt habe? Ich -weiß, daß es eine Kränkung war, aber wenn ich streng bin ... Ich -habe es ja nicht aus Frechheit getan. Schon im vorigen Jahr, als ich -dich ertappte, wie du im Vorhause beim Polizeichef das Meßgewand des -Propstes angelegt hattest und den Weihwasserwedel schwenktest, sagte -ich zu dir: ›Du kannst über die Schrift philosophieren, soviel du -willst, Danilka, von der Wissenschaft verstehe ich selbst nicht viel, -aber den Ritus darfst du mir nicht antasten.‹ -- Hab' ich das gesagt -oder nicht?« - -Danilka schüttelte widerwillig den Kopf und brummte: - -»Vielleicht habt Ihr so was gesagt.« - -»Nein, mein Lieber, keine Winkelzüge! Gestehen sollst du! Ich hab' es -deutlich ausgesprochen: den Ritus nicht antasten, und damit basta! Und -warum sagte ich das? Weil es unser Lebensinhalt ist, unsere Wesenheit, -deshalb hast du auch deine Finger davon zu lassen. Hast du mich -verstanden?« - -Danilka drehte sich nur zur Seite und lächelte. Ihm selbst war es -furchtbar komisch vorgekommen, als der Diakon ihn am Ohr durch die -ganze Stadt zerrte, und die andern Kleinbürger, welche Zeugen dieser -Szene waren, hatten, im Scherz und mühsam das Lachen verbeißend, dem -Diakon ebenfalls übermäßige Strenge vorgeworfen. - -»Ihr seid zu streng, Vater Diakon! Ihr seid übermäßig streng,« hatten -sie ihm gesagt. - -Achilla machte nach dieser Bemerkung ein nachdenkliches Gesicht, und -mit einem tugendhaften Seufzer seine Hände auf die Schultern der beiden -zunächst stehenden Kleinbürger legend, meinte er: - -»Streng, sagt ihr? Ja, gewiß bin ich streng, da redet ihr wahr. -Aber dafür bin ich auch gerecht. Wenn nun diese Sache vor den -Friedensrichter käme? Da ginge es doch viel schlimmer. Er knöpft einem -sofort drei Rubel zum Besten der Kinderbewahranstalten ab.« - -»Wer weiß? Mancher Friedensrichter gibt einem dafür noch einen Rubel -Trinkgeld.« - -»Na siehst du wohl! Ich weiß, daß ich gerecht bin, mein Lieber.« - -»Gerecht? Ach nein, Vater Diakon, Eure Gerechtigkeit ist nicht weit -her!« - -»Wieso?« - -»Weil doch der Danilka gar nicht so viel Schuld hat. Er hat doch nur -wiederholt, was der gelehrte Mann ihm sagte. Wenn's nach Recht ginge, -müßtet Ihr den Lehrer Warnawa zur Vernunft bringen. Er hat uns das -erklärt, Danilka hat bloß gezweifelt, ob der Lehrer recht hat und der -Regen von selber durchs Naturgesetz gekommen ist, oder ob ihn doch der -Bittgottesdienst hervorgerufen hat. Wenn Ihr den Lehrer durchgewalkt -hättet, so wäre das nur recht und billig gewesen.« - -»Den Lehrer?!« Der Diakon breitete die Arme weit aus, schob die Lippen -rüsselförmig vor, stand einen Augenblick vor den Kleinbürgern und -flüsterte dann: »Gerecht? Ja, die Gerechtigkeit verlangt es ... Aber -Vater Sawelij will es nicht ... und also ist es unmöglich ...« - - - - -Zweites Kapitel. - - -Mehrere Tage waren vergangen. Tuberozow hatte sich überzeugt, daß -seine Befürchtungen, die unbändigen Taten des Diakon Achilla könnten -noch ein gerichtliches Nachspiel haben, unbegründet waren. Alles ging -gemütlich seinen gleichen Gang. Die Leute suchten Abwechslung in ihr -eintöniges Leben zu bringen, indem sie sich zankten, um sich wieder zu -versöhnen, und sich versöhnten, um sich wieder zanken zu können. Nichts -drohte die allgemeine Ruhe zu stören. Im Gegenteil, dem Propst ward ein -wunderschöner Tag beschieden, der ihm nichts als Freude brachte. Es war -dies der Namenstag der Frau Stadthauptmann, der sehr bald auf jenen -Tag folgte, an dem Achilla in seinem Glaubenseifer den öffentlichen -Skandal mit dem Kommissar Danilka hervorgerufen hatte. Als alle Gäste -der Pastete des Herrn Polizeichefs die gebührende Ehre erwiesen hatten, -rief der Hausherr, welcher zufällig ans Fenster getreten war, plötzlich -laut seiner Frau zu: - -»Ach du lieber Gott! Sieh nur, Frau, was für Gäste wir bekommen!« - -»Wer kommt denn da?« fragte die Frau. - -»Sieh mal selber nach.« - -Die Hausfrau, und mit ihr alle anwesenden Gäste, stürzten ans Fenster, -und nun sah man, daß sich ein mächtiges Dreigespann kräftiger brauner -Pferde vorsichtig den Berg herunter bewegte, fast wie ein dreiköpfiger -Drache, der auf dem Bauche kriecht. Das mittlere Pferd bläht sich auf -und strampelt, wie ein alter General, der einem Untergebenen eine -Pauke halten will. Die Seitenpferde sausen bald, wie Ulanenkornetts -auf dem Ball, die ein Gegenüber suchen, bald drängen sie sich an -das Mittelpferd, wie Schafe im Regen. Das rote Glöcklein schlug -manchmal mit dem Ring gegen den Rand, dann schien es wieder wie -festgeklebt und schwieg; nur die Schellen klirrten dumpf. Jetzt war -der dreiköpfige Drache unten angelangt und breitete sich aus. Die -Rücken der Pferde wurden sichtbar, der Schweif des einen Seitenpferdes -wehte hoch im Winde; auch eine Mähne flog empor; die Pferde hielten -gleichmäßigen Trab und der Wagen polterte über die Brücke. Deutlich -sah man das vergoldete Krummholz mit eingeätzten Ornamenten und den -großen altertümlichen, bronzebeschlagenen, gitarrenförmigen Wagen, -auf dem nebeneinander, wie auf einem Sofa, zwei kleine Geschöpfe, ein -weibliches und ein männliches, saßen; der Mann in einem dunkelgrünen -Kamelot-Mantel und einer großen Mütze aus haarigem Plüsch, die Frau in -einem schlafrockartigen Mantel aus himbeerfarbenem ~Gras-de-Naples~ mit -einem lila Samtkragen und einer Haube mit braunen Bändern. - -»Mein Gott, das sind ja die Plodomasowschen Zwerge! -- Nicht möglich! --- Sehen Sie doch selbst! -- Ja, richtig! -- Gewiß doch! Da -- Nikolai -Afanasjewitsch hat uns schon bemerkt. Sehen Sie, er grüßt! Und jetzt -nickt auch Maria Afanasjewna.« - -So tönte es erfreut von allen Seiten. Die Gastgeber beeilten sich, -für die Ankömmlinge das Frühstück wieder auftragen zu lassen, und die -Anwesenden richteten die Blicke gespannt nach der Tür, durch die die -kleinen Leute eintreten mußten. - -Voran schritt ein altes Männlein, nicht größer als ein achtjähriger -Knabe, gefolgt von einem alten Frauchen etwas größeren Wuchses. - -Das Männlein war ganz Sauberkeit und Wohlanständigkeit. Auf seinem -Gesicht war nichts von gelben Flecken oder Runzeln zu sehen, wie -sie gewöhnlich die Gesichter von Zwergen entstellen. Er hatte eine -sehr wohlproportionierte Gestalt, einen kugelrunden Kopf, der ganz -mit weißen, kurzgeschorenen Haaren bedeckt war, und kleine braune -Bärenaugen. Die Zwergin machte keinen so angenehmen Eindruck wie ihr -Bruder. Ihre Gestalt war schwammig, um den Mund spielte ein Zug von -Dummheit und Sinnlichkeit und die Augen blickten stumpf. - -Der Zwerg Nikolai Afanasjewitsch trug trotz der heißen Jahreszeit warme -Tuchstiefel, schwarze Beinkleider aus haarigem Flauschstoff, eine gelbe -Flanellweste und einen braunen Frack mit Metallknöpfen. Seine Wäsche -war von tadelloser Sauberkeit und seine Wangen stützten sich auf eine -stramm gebundene, hohe Atlashalsbinde. Die Zwergin trug ein grünes -Seidenkleid mit großem Spitzenkragen. - -Als Nikolai Afanasjewitsch ins Zimmer getreten war, legte er zuerst die -Händchen an die Hosennaht, drückte dann die Rechte mit der Mütze ans -Herz, machte einen Kratzfuß und schritt etwas breitbeinig gerade auf -die Hausfrau zu. - -»Unser gnädiger Herr Nikita Alexejewitsch Plodomasow und der gnädige -Herr Parmen Semenowitsch Tuganow,« sagte er mit leiser und eintöniger -Greisenstimme, »haben uns in ihrem eigenen und im Namen ihrer Frau -Gemahlin befohlen, daß wir als ihre Diener Ihnen, gnädige Frau Olga -Arsentjewna, ihren Glückwunsch darbringen. -- Schwesterlein, wiederholt -es,« wandte er sich an die neben ihm stehende Schwester, und als diese -mit ihrer Gratulation fertig war, machte Nikolai Afanasjewitsch vor -dem Polizeichef ebenfalls einen Kratzfuß und fuhr fort: - -»Und auch Ihnen, gnädiger Herr Woin Wasiljewitsch, und der ganzen -geehrten Gesellschaft einen herzlichen Glückwunsch zum frohen -Familienfest. Und ferner habe ich, gnädiger Herr, Ihnen zu melden, -daß mein gnädiger Herr und Parmen Semenowitsch Tuganow, die mich und -meine Schwester als Gratulanten hierher gesandt haben, es gütigst zu -entschuldigen bitten, daß sie ihren Glückwunsch durch uns unwürdige -Knechte darbringen lassen; aber sie können leider über ihre Zeit -nicht verfügen. Sie wollen sich heute abend noch persönlich deswegen -entschuldigen.« - -»Parmen Semenowitsch will herkommen?« rief der Polizeichef. - -»Mit meinem gnädigen Herrn Nikita Alexejewitsch Plodomasow, der sich -auf der Durchreise nach Petersburg hier aufhält, und um Vergebung -bittet, wenn er im Reiseanzug erscheint.« - -Der Gesellschaft bemächtigte sich bei dieser Mitteilung eine leichte -Erregung, welche der Zwerg benutzte, um auf Tuberozow zuzugehen und -seinen Segen entgegenzunehmen. Dabei sagte er leise: - -»Parmen Semenowitsch bittet, Ihr möchtet heute abend auch hier sein.« - -»Sag' ihm, Lieber, ich würde kommen,« erwiderte Tuberozow. - -Der Zwerg empfing dann auch von Zacharia den Segen. Der Diakon Achilla -ergriff die Hand des kleinen Mannes, der sich ehrerbietig vor ihm -verbeugte und dabei lächelnd sagte: - -»Ich bitte Euch nur, werter Herr, versucht Eure Heldenkraft nicht an -mir.« - -»Ist er denn so kräftig, Nikolai Afanasjewitsch?« scherzte der Hausherr. - -»Er gibt gern Proben seiner Kraft,« antwortete der Alte. »Aber lohnt es -sich an einem Krüppel?« - -»Wie steht's mit der Gesundheit, Nikolai Afanasjewitsch?« fragten die -Damen, welche den Zwerg von allen Seiten umringt hatten und seine -Händchen drückten. - -»Ach was Gesundheit, meine werten Damen! Es ist ein Spott und eine -Schande! Wie ein Ferkelchen bin ich geworden. Der Sommer ist längst da, --- und ich friere beständig.« - -»Sie frieren?« - -»Ei freilich. Schauen Sie mich bloß an. Ich bin ja ganz in Hasenwolle -eingenäht. Aber was ist daran auch verwunderlich, werte Herrschaften? -Ich unnützer Mensch habe doch schon die Achtzig hinter mir.« - -Nikolai Afanasjewitsch wurde von allen Seiten mit Fragen überschüttet. -Man setzte ihn an den Tisch, reichte ihm die Speisen. Er antwortete -allen klug und gewandt, rührte aber von den Speisen nichts an: er äße -längst schon sehr wenig, und auch dann nur höchstens ein leichtes -Gemüse. »Aber die Schwester wird essen,« sagte er, sich zu dieser -wendend. »Eßt nur, Schwesterlein, eßt. Geniert Euch nicht. Wollt Ihr -aber ohne mich nicht essen, dann bitte ich Olga Arsentjewna um etwas -Möhrenfüllung aus der Pastete hier auf dieses kleine Tellerchen ... -So ist's recht. Danke schön, danke! Was brauch' ich überhaupt noch zu -essen? Ich kann ja gar nichts mehr. Nicht einmal einen Zwirnstrumpf -bring' ich mehr ordentlich fertig. Und früher konnte ich doch viel -besser stricken als die Schwester, sogar ~Broderies anglaises~ verstand -ich zu flechten; aber jetzt lasse ich beständig die Maschen fallen.« - -Der Propst sah dem Zwerge mit glücklichem Lächeln in die Augen: - -»Wenn ich dich betrachte, Nikolai, so denke ich an ein lieber altes -Märchen, mit dem man sterben möchte.« - -»Ach, Väterchen, unser liebes Märchen ist vor uns heimgegangen.« - -»Vergißt du sie nicht schon, deine Herrin? Die Bojarin Marfa -Andrejewna?« fragte, sich ihm nähernd, der Diakon Achilla, welchen der -Zwerg immer noch ein wenig zu fürchten schien. - -»Zum Vergessen bin ich schon zu alt, Vater Diakon, ich denke lange -schon daran, daß es für mich Zeit wird, ihr in jener Welt wieder zu -dienen,« erwiderte er leise und sich halb dem Diakon zukehrend. - -»Sie war eine trostreiche Frau, diese Alte,« sagte der Diakon, ohne -seine Rede an eine bestimmte Person zu richten. - -»In welchem Sinne trostreich? Wie meinst du das?« fragte Tuberozow. - -»Spaßig war sie.« - -Der Propst lächelte und machte eine abwehrende Handbewegung. Nikolai -Afanasjewitsch aber fiel Achilla ins Wort und sagte sehr bestimmt: - -»Keine Spaßmacherin war sie, sondern eine wirkliche Trösterin, werter -Herr.« - -»Was belehrst du ihn, Nikolai! Erzähle lieber, wie sie dich erbittert -hat. Und wie sie dann alles wieder zum Besten kehrte,« rief der Propst. - -»Ach, Hochwürden, das ist eine so alte Geschichte.« - -»Er weiß von dieser seiner Erbitterung mit so viel Wärme zu erzählen,« -wandte sich Tuberozow an die Gäste. - -»Ja, Väterchen, sie, meine gnädige Herrin, verstand es, einen Menschen -so zu erbittern und dann so zu trösten, wie nur ein Engel Gottes zu -trösten vermag,« fiel der Zwerg sofort ein. - -»Nun, so erzähle doch.« - -»Ja, Nikolascha, erzähle, erzähle!« - -»Nun, werte Herrschaften, ob Sie sich über mich lustig machen oder -ob es Sie wirklich interessiert, -- wenn die ganze Gesellschaft es -wünscht, so will ich mich nicht widersetzen und Ihnen die Geschichte -erzählen.« - -Und er begann. - - - - -Drittes Kapitel. - - -»Es war kaum ein Jahr, nachdem meine gnädige Herrin mich von meiner -früheren Herrschaft gekauft hatte. Ein Jahr in bittern Schmerzen lag -hinter mir. Ich war von meiner Heimat und von meinen Lieben für immer -getrennt. Natürlich ließ ich meinen Kummer nicht merken. Es war jedoch -vergebens, denn die Selige hatte ihn längst erraten. Als nun mein -Namenstag kam, geruhte sie mir zu sagen: - -›Was soll ich dir denn zum Namenstage schenken, Nikolai?‹ - -›Mütterchen,‹ sag' ich, ›was brauch' ich Narr noch beschenkt zu werden? -Ich bin auch so völlig zufrieden.‹ - -›Nein,‹ geruhte sie zu sagen, ›einen Rubel sollst du wenigstens haben.‹ - -Natürlich wagte ich nicht zu widersprechen und küßte ihr die Hand: - -›Vielen Dank, Euer Gnaden!‹ sprach ich nur. - -Und setzte mich wieder auf das Fußbänkchen gegenüber ihrem Sessel und -strickte meinen Strumpf weiter. Nach einiger Zeit fragt sie wieder: - -›Was wirst du mit dem Rubel anfangen, Nikolai, den ich dir morgen -schenken will?‹ - -›Den schicke ich bei Gelegenheit meinem Vater.‹ - -›Und wenn ich dir zwei schenke?‹ - -›So bekommt mein Mütterchen den zweiten.‹ - -›Und wenn es drei werden?‹ - -›Dann soll auch mein Bruder Iwan Afanasjewitsch einen haben.‹ - -Da schüttelte sie den Kopf: - -›Du hast aber viel Geld nötig, wenn du alle bedenken willst! Das kannst -du, so klein wie du bist, ja dein Lebtag nicht verdienen.‹ - -›Dem lieben Gott hat es gefallen, mich so zu schaffen,‹ antwortete -ich und fing leise zu weinen an. Mein Herz krampfte sich zusammen, -wissen Sie, ich ärgerte mich selbst über meine Tränen und doch mußte -ich weinen. Sie aber, die Selige, guckte und guckte mich an, bis sie -auf einmal mir schweigend winkte: ich fiel ihr zu Füßen und sie legte -meinen Kopf auf ihren Schoß, und ich weinte nun erst recht und sie -weinte auch. Dann stand sie auf und sprach: - -›Haderst du nie mit dem lieben Gott, Nikolai?‹ - -›Wie soll ich mit dem lieben Gott hadern, Mütterchen? Niemals tu ich -das.‹ - -›So wird Er dich auch trösten.‹ - -Und er hat mich wirklich getröstet.« - -Als der Zwerg in seiner Erzählung so weit gekommen war, fingen seine -dünnen Augenlider plötzlich heftig zu zucken an, er sprang hastig von -seinem Stuhl auf, lief in eine Ecke, wischte sich dort mit einem weißen -Tüchlein die Augen und kehrte mit verschämtem Lächeln auf seinen Platz -zurück. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, begann er mit einer ganz -anderen, feierlichen Stimme: - -»Ich war früh aufgestanden, werte Herrschaften, war ganz leise mich -waschen gegangen, denn ich schlief ja zu Füßen ihres Bettes, hinter -einem Schirm auf einem Teppich. Dann war ich in die Kirche gegangen, -um beim Vater Alexei einen Dankgottesdienst nach der Frühmesse zu -bestellen. Wie ich nun, werte Herrschaften, in die Kirche komme, -gehe ich geradewegs nach dem Altar, um vom Vater Alexei den Segen zu -empfangen, und sehe, daß Vater Alexei ein so seltsam frohes Gesicht -macht und mir so herzlich zur großen Freude gratuliert. Ich bezog das -natürlich auf den Festtag und auf meinen Namenstag. Aber was sollte -nun kommen, meine lieben und werten Herrschaften! Ich trete auf den -linken Altarflügel hinaus, -- und sehe plötzlich mitten im Volke mein -Mütterlein und meinen Vater und meinen Bruder Iwan Afanasjewitsch. Den -Vater und die Mutter fand ich in der Menge nicht gleich heraus, aber -der Bruder Iwan Afanasjewitsch ... der war ja der reine Gardehusar. Ihn -sah ich sofort. Erst dachte ich, es wäre eine Vision! Denn ich hatte -mich an diesem Tage so sehr nach ihnen gesehnt. Aber nein, es war keine -Vision! Ich sah meine Mutter -- sie war eine Bäuerin -- bitterlich -weinen und dachte, sie habe ihre Herrschaft um Urlaub gebeten und den -weiten Weg gemacht, um ihr Kind wiederzusehen. Natürlich wollte ich den -Gottesdienst nicht stören und ging wieder in den Altarraum zurück. Wie -ich aber nach Schluß der Messe heraustrete, da erblicke ich vor dem -Betpult mit dem Heiligenbilde Marfa Andrejewna selber; und hinter ihr -meine Schwester Maria Afanasjewna, die Sie hier sehen, meine Eltern und -meinen Bruder. Ich gehe auf Marfa Andrejewna zu, um sie zu begrüßen. -Sie aber schiebt mich leise mit der Hand beiseite und sagt: - -›Geh erst und begrüße deine Eltern.‹ - -So begrüßte ich den Vater, die Mutter, den Bruder, unter Tränen. Nur -meine Schwester Maria Afanasjewna weinte nicht, denn sie hat einen -besseren Charakter. Ich aber bin so schwach, daß ich immer weinen muß. -Nun traten wir aus der Kirche heraus und meine gnädige Herrin nimmt ein -Beutelchen aus der Tasche -- ich hatte selbst gesehen, wie sie diesen -Beutel strickte, aber ich wußte natürlich nicht, für wen er bestimmt -war -- und sagt zu mir: ›Nun beschenke die Deinigen, Nikolascha.‹ Ich -greife in den Beutel, dem Vater gab ich einen Silberrubel, der Mutter -einen Silberrubel, dem Bruder Iwan Afanasjewitsch einen Rubel. Es waren -lauter ganz neue Rubel! Im Beutel aber lagen noch vier Rubel. ›Wer soll -denn die noch bekommen, Mütterchen?‹ frage ich meine gnädige Herrin. -Aber da sehe ich schon den Verwalter Dementij, der mir meine Schwägerin -und ihre drei Kinder zuführt, alle in langen Röcken. Dank der großen -Gnade meiner Herrin konnte ich auch sie noch beschenken, ehe wir aus -der Kirche alle zusammen nach Hause gingen. Vor dem Herrenhaus bemerkte -ich drei Wagen, mit den Gutspferden meiner gnädigen Herrin bespannt. -Die beiden Pferdchen meines Bruders waren hinten angebunden, und das -ganze Gepäck der Eltern und des Bruders lag auf dem Wagen. Dies machte -mich ganz verwirrt, und ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. -Marfa Andrejewna war die ganze Zeit mit dem Vater Alexei vorausgegangen -und hatte von der Ernte gesprochen und mich anscheinend gar nicht -beachtet. Jetzt aber, wie sie eben die Verandastufen hinauf will, -wendet sie sich nach mir um und geruht also zu sprechen: ›Hier hast du -einen Freibrief, mein braver Knecht, deine Eltern und dein Bruder nebst -Kindern sind von mir losgekauft.‹ Und damit schob sie mir das Papier -hinter die Weste ... Das war zu viel für mich ...« - -Nikolai Afanasjewitsch hob die Hände bis zur Höhe seines Gesichts und -sagte: - -»›Du!‹ rief ich wie wahnsinnig, ›du willst mich durch das Übermaß -deiner Güte ganz erdrücken!‹ Es schnürte mir die Kehle zusammen, meine -Schläfen hämmerten, vor meinen Augen zuckten bunte Flämmchen, und ich -fiel bewußtlos vor dem Wagen meines Vaters nieder, den Freibrief an -die Brust gedrückt.« - -»Ach du, Alter! So viel Gefühl hast du!« rief der Diakon Achilla -gerührt und schlug Nikolai Afanasjewitsch auf die Schulter. - -»Ja,« fuhr der Zwerg fort, nachdem er sich den Mund gewischt hatte. -»Ich kam erst nach neun Tagen wieder zu mir, denn ich war an einem -schweren Fieber erkrankt. Und wie ich mich umschaute, sah ich meine -gnädige Herrin zu Häupten meines Bettes sitzen: ›Vergib mir um Christi -willen, Nikolascha,‹ sprach sie, ›ich verrücktes Frauenzimmer hätte -dich beinahe umgebracht!‹ So ein gewaltiger Mensch war sie, die gnädige -Bojarin Plodomasowa!« - -»Ach du allerliebster Alter!« rief wieder der Diakon Achilla und packte -den Zwerg scherzend an einem Knopfe seines Fracks, diesen scheinbar -abreißend. - -Der Kleine faßte schweigend nach dem Knopf, und als er sich überzeugt -hatte, daß er heil und ganz an seinem Platze geblieben war, meinte er: - -»Ja, ja, ich bin doch ein ganz unbedeutendes Wesen, aber sie war immer -besorgt um mich und schenkte mir ihr Vertrauen; sogar ihren Kummer -teilte sie mir mit, besonders als die Trennung von ihrem Sohne Alexei -Nikititsch ihr so nah ging. Bekam sie mal einen Brief, dann las sie ihn -erst ganz schnell für sich und später las sie ihn mir vor. Sie sitzt -und liest vor und ich stehe mit meinem Strickstrumpf daneben und höre -zu. Und wenn sie zu Ende ist, sprechen wir über den Brief. ›Jetzt wird -er wohl bald Offizier,‹ sagt sie zu mir. Und ich antworte: ›Ja, sicher -muß die Reihe schon an ihn gekommen sein.‹ Und sie wieder: ›Was meinst -du, Nikolascha, da wird man ihm wohl mehr Geld schicken müssen.‹ -- -›Gewiß hat er jetzt mehr nötig, Mütterchen,‹ sage ich. ›Ei freilich, -wir haben hier das Geld ja gar nicht nötig.‹ ›Natürlich, Mütterchen, -wozu brauchen wir Geld?‹ Meine Schwester Maria Afanasjewna aber -schweigt still, und das ist meiner gnädigen Herrin nicht recht und sie -wird gleich böse. ›Ach, du Holzklotz,‹ sagt sie. ›Ja, die wußten, was -sie taten, als sie dich mir umsonst als Zugabe zum Bruder überließen.‹« - -Nikolai Afanasjewitsch besann sich plötzlich, wurde ganz rot und sagte -zu seiner stumpfsinnigen Schwester: - -»Nehmt mir's nicht übel, Schwesterlein, daß ich das erzähle.« - -»Erzählt nur, erzählt nur, es tut nichts,« antwortete Maria -Afanasjewna, mit der Zunge gegen die Backe stoßend. - -»Nun, und euch beiden hat sie die Freiheit nicht geben wollen?« fragte -jemand. - -»Die Freiheit? Nein, freigegeben hat sie uns nicht. Meine Schwester -Maria Afanasjewna stand wohl mit drin im Freibrief, den sie meinen -Eltern gegeben, aber mich wollte sie nicht fortlassen. Mitunter sagte -sie: ›Wenn ich tot bin, magst du leben, wo du willst (denn sie hatte -ein kleines Kapital als Pension für mich angelegt), aber solange ich am -Leben bin, lasse ich dich nicht frei.‹ -- ›Ach, Mütterchen,‹ sagte ich -darauf, ›was soll ich mit der Freiheit? Mich hacken doch die Spatzen -tot!‹« - -»Ach, du kleiner Kerl!« rief Achilla gerührt. - -»Er war ja in allem ihre rechte Hand, unser Nikolai Afanasjewitsch,« -fiel Tuberozow ein. - -»Ja, Vater Propst, ich habe ihr gedient, so gut ich's verstand. Wenn -die Selige nach Moskau oder Petersburg reiste, nahm sie nie eine Zofe -mit. Sie konnte weibliche Bedienung auf Reisen nicht leiden. Oft -sagte sie: ›So eine Prinzessin Pumfia tut nichts weiter als quasseln -und im Gasthof im Korridor herumlungern und Bekanntschaften machen. -Mein Nikolascha aber sitzt hübsch still im Winkel, wie ein Hase.‹ Sie -betrachtete mich gar nicht als Mann, sondern nannte mich immer nur -Hase.« - -»Ein Karnickelchen,« sagte Achilla lachend und streichelte die -Schultern des Kleinen. - -»So ganz konnte sie dich aber doch nicht für einen Hasen halten, wenn -sie dich sogar verheiraten wollte?« sagte der Polizeichef Porochontzew. - -»Ja, das hat sie gewollt, Woin Wasiljewitsch. Freilich, freilich,« -erwiderte der Kleine, die Stimme immer mehr dämpfend, »das hat sie -gewollt.« - -»Wirklich, Nikolai Afanasjewitsch?« riefen mehrere Stimmen zugleich. - -Nikolai Afanasjewitsch wurde ganz rot und flüsterte: - -»Lügen wäre Sünde, -- ja es war so.« - -Und nun stürmte die ganze Gesellschaft auf den Zwerg ein: - -»Erzählen, Nikolai Afanasjewitsch, erzählen!« - -»Ach, werte Herrschaften, was ist da zu erzählen?« suchte Nikolai -Afanasjewitsch lachend und errötend und die Hände ausstreckend die -Zudringlichen abzuwehren. - -Man gab nicht nach. Die Damen faßten seine Hände, küßten ihn auf die -Stirn; er fing die Damenhände, die sich nach ihm ausstreckten, im -Fluge auf und küßte sie, wollte aber trotzdem nicht erzählen, weil -er meinte, die Geschichte wäre zu lang und uninteressant. Da schlug -plötzlich etwas dröhnend gegen den Fußboden, die Hausfrau, die in -diesem Augenblick vor dem Lehnstuhl des Zwerges stand, trat erschrocken -zurück, und den erstaunten Blicken von Nikolai Afanasjewitsch zeigte -sich der Diakon Achilla, kniend mit hoch emporgereckten Armen. - -»Herzchen!« flehte er mit heftigen Kopfbewegungen. »Erzähle, wie sie -dich verheiraten wollten.« - -»Ja, ja, ich will alles erzählen, steht nur auf, Vater Diakon.« - -Achilla erhob sich, klopfte den Staub von seiner Kutte und rief -selbstzufrieden: - -»Nun? Was sagt ihr nun? Er wird nicht erzählen, meintet ihr! Da sagte -ich: Ich setze es durch, -- und ich hab's durchgesetzt! Jetzt bitte -wieder Platz zu nehmen, meine Herrschaften, und hübsch still sein, und -die gnädigste Hausfrau ist so gut und läßt dem Nikolascha für seine -Erzählung ein Glas Wasser mit rotem Wein geben, wie das in feinen -Häusern Brauch ist.« -- - -Alle setzten sich. Man brachte Nikolai Afanasjewitsch ein Glas Wasser, -in das er selbst ein paar Tropfen Rotwein goß, und dann fing er von -neuem zu erzählen an. - - - - -Viertes Kapitel. - - -»Es war bald nach dem Frieden mit Frankreich, meine werten -Herrschaften, als ich mit dem in Gott entschlafenen Kaiser sprach.« - -»Sie haben mit dem Kaiser gesprochen?« unterbrachen den Erzähler sofort -mehrere Stimmen. - -»Ja, was denken Sie?« sagte der Zwerg sanft lächelnd. »Mit Seiner -Kaiserlichen Majestät Alexander Paulowitsch habe ich gesprochen und -habe Verstand genug gehabt, ihm zu antworten.« - -»Hahaha! Ist das ein Kerl, dieser Nikolaurus, Gott straf mich!« brüllte -der Diakon Achilla entzückt und schlug sich mit der flachen Hand auf -die Schenkel. »Seht ihn doch an, -- so ein winziger Floh und hat mit -dem Kaiser geredet.« - -»Sitz ruhig, Diakon, und sei still,« sagte Tuberozow ernst. - -Achilla gab durch eine Handbewegung zu verstehen, daß er den Erzähler -nicht mehr unterbrechen werde und setzte sich. - -Der Zwerg fuhr fort: - -»Die ganze Sache nahm scheinbar mit diesem meinem Gespräch mit dem -Kaiser überhaupt ihren Anfang. Meine gnädige Herrin Marfa Andrejewna -hatte den Wunsch, nach Moskau zu reisen, als der Kaiser nach seinem -weltberühmten Siege über Napoleon Bonaparte dort erwartet wurde. -Natürlich mußte auch ich sie wieder auf dieser Reise begleiten. Die -Selige war dazumal schon in hohen Jahren, und weil auch ihre Gesundheit -zu wünschen übrigließ, leicht erzürnt und gekränkt. Da verschaffte -nun Alexei Nikititsch seiner Mutter eine Einladung zu einem Ball, -zu dem auch der Kaiser kommen sollte. Marfa Andrejewna gestand mir -offen, daß ihr das ein großes Vergnügen bereitet hatte. Sie ließ sich -zu diesem Ball ein kostbares Kleid machen, und für mich wurde bei -einem französischen Schneider ein blauer Frack aus englischem Tuch -mit goldenen Knöpfen bestellt, dazu -- entschuldigen Sie, meine Damen --- Pantalons, Weste, Halsbinde -- alles weiß; ein Spitzenvorhemd und -Schnallenschuhe, -- zweiundvierzig Rubel hat sie bezahlt. Alexei -Nikititsch hatte, um seiner Mutter eine Freude zu machen, es so -eingerichtet, daß sie mich mitnehmen durfte. Dem ~Maitre d'hôtel~ -wurde befohlen, mich in die Orangerie zu führen und gerade gegenüber -dem Saale, in den der Kaiser eintreten sollte, irgendwo in einer Ecke -zwischen den Gewächsen aufzustellen. So geschah es denn auch, werte -Herrschaften, aber doch nicht ganz, wie es beabsichtigt war. Der -~Maitre d'hôtel~ sagte mir, ich sollte mich ruhig verhalten und sehen, -soviel ich von meinem Platz nur sehen könnte. Aber was war von da zu -sehen? Nichts. Da machte ich es wie Zachäus, der Zöllner, wissen Sie, -und kletterte -- hoppla -- auf so einen kleinen künstlichen Felsen, -wo ich nun unter einer Palme stand. Der Saal war voll Glanz und Lärm -und Musik, aber auch von meinem Felsen konnte ich nur die Frisuren -der Herrschaften sehen. Plötzlich aber gerieten all diese Köpfe in -lebhafte Bewegung, sie schoben sich auseinander und der Kaiser ging -mit dem Fürsten Golitzyn geradewegs nach der Orangerie, um sich etwas -zu erfrischen. Und -- denken Sie sich nur -- nicht allein, daß er sich -nach der Orangerie begibt, er geht auch gerade auf die entfernte Ecke -zu, wo man mich versteckt hatte. Ganz starr war ich, meine Damen, wie -angewachsen an den Felsen und konnte nicht herunter.« - -»Da war dir wohl bange?« fragte Tuberozow. - -»Wie soll ich sagen? Bange eigentlich nicht, aber doch gewissermaßen -aufgeregt war ich.« - -»Ich wäre davongelaufen,« sagte der Diakon, außerstande, noch weiter zu -schweigen. - -»Warum denn davonlaufen, werter Herr? Ich will nicht sagen, daß ich -keine Angst verspürt hätte, aber ans Davonlaufen dachte ich doch nicht. -Seine Majestät kamen indes immer näher und näher. Ich hörte schon -deutlich, wie Ihre Stiefel klipp-klapp, klipp-klapp machten. Ich sah -bereits Ihr sanftes Gesicht, den freundlichen Blick, und wissen Sie, in -meiner Verwirrung dachte ich gar nicht mehr daran, daß ich gleich Ihren -Augen sichtbar werden mußte. Da wandte der Kaiser den Kopf und, ich -sah's, er richtete den Blick direkt auf mich und sah mich an.« - -»Nun?« schrie der Diakon und wurde ganz bleich. - -»Ich machte eine Verbeugung.« - -Der Diakon atmete auf, drückte die Hand des Zwerges und flüsterte: - -»Erzähle, sei so gut, erzähle schnell weiter!« - -»Der Kaiser sah mich also an und geruhte auf Französisch zum Fürsten -Golitzyn zu sagen: ›Ach, was für ein Miniaturexemplar! Wem mag es -gehören?‹ Der Fürst Golitzyn war, wie ich sah, in Verlegenheit, -was er antworten sollte, -- und da ich die französische Rede wohl -verstehen konnte, antwortete ich selber: ›Der gnädigen Frau Plodomasow, -Kaiserliche Majestät!‹ Da wandte sich der Kaiser zu mir und geruhte -zu fragen: ›Welcher Nation sind Sie?‹ -- ›Ein treuer Untertan Eurer -Majestät,‹ antwortete ich. ›Und geborener Russe?‹ fragte er weiter -und ich antwortete: ›Ein Bauer und treuer Untertan Eurer Majestät.‹ -Da lachte der Kaiser. ›Bravo,‹ scherzte er, ›bravo, ~mon petit sujet -fidèle~!‹ und faßte meinen Kopf mit der Hand und zog mich an sich.« - -Nikolai Afanasjewitsch dämpfte seine Stimme und sagte mit einem leisen -Lächeln im Flüstertone, als handele es sich um ein großes politisches -Geheimnis: - -»Er faßte mich um, wissen Sie, und dabei drückte ein Knopf seines -Ärmelaufschlags mir die Nase zusammen, daß es mir ordentlich wehe tat.« - -»Nun und du? Du schriest doch nicht?« rief der Diakon. - -»Nein, Väterchen, nein, warum sollte ich schreien? Wie kann man -schreien, wenn der Zar einen liebkost? Nein, als er mich losließ, küßte -ich seine Hand ... für das Glück und die Ehre ... und das war mein -ganzes Gespräch mit Seiner Kaiserlichen Majestät. Später natürlich, als -sie mich vom Felsen heruntergenommen hatten und man mich in der Kutsche -nach Hause fuhr, da hab' ich die ganze Zeit geweint.« - -»Warum hast du denn nachher geweint?« fragte Achilla. - -»Warum? Als ob ich nicht Grund genug gehabt hätte? Vor Rührung weint -der Mensch!« - -»So klein ist er und hat so viel Gefühl!« rief Achilla ganz begeistert. - -»Nun, erlauben Sie mal,« fing der Erzähler wieder an. »Die -Aufmerksamkeit, die Seine Majestät mir zufällig erwiesen, wurde in -verschiedenen Moskauer Häusern bekannt, Marfa Andrejewna nahm mich -überall mit hin und zeigte mich den Leuten, und -- ich sage Ihnen die -reine Wahrheit, ich lüge nicht -- ich war damals der allerkleinste -Zwerg in ganz Moskau. Aber das dauerte nicht lange, nur einen einzigen -Winter.« - -In diesem Augenblick prustete der Diakon plötzlich überlaut und fing -dann, den Kopf zurückwerfend, leise zu kichern an. - -Als er merkte, daß er durch sein Lachen den Erzähler unterbrochen -hatte, setzte er sich wieder gerade hin und sagte: - -»Es ist nichts! Erzähle nur weiter, Nikolaurus, ich lache über meine -eigene Sache. Wie einmal der Graf Klenychin mit mir gesprochen hat.« - -»Nein, sprechen Sie sich nur aus, werter Herr, sonst unterbrechen Sie -mich wieder,« sagte der Zwerg. - -»Ach, es ist gar nichts Besonderes, eine ganz einfache Geschichte,« -erwiderte Achilla. »Der Graf Klenychin besichtigte unser -Seminargebäude, ich machte ihm eine Verbeugung und da sagte er: ›Pack -dich weg, Schafskopf!‹ Und das war unser ganzes Gespräch, über das ich -lachen mußte.« - -»Es ist auch wirklich komisch,« sagte der Zwerg lächelnd und fuhr fort: - -»Im nächsten Winter brachte die Generalin Wichiorowa aus Petersburg -eine finnische Zwergin namens Meta mit, die war noch um einen Finger -breit kleiner als ich. Die selige Marfa Andrejewna konnte das gar nicht -hören. Anfangs behauptete sie immer, das sei keine natürliche Zwergin, -sondern eine, der man in der Kindheit Blei eingegeben habe; aber als -sie angekommen war und meine gnädige Herrin die Meta Iwanowna mit -eigenen Augen sah, da wurde sie furchtbar böse, daß sie so wohlgebaut -und weiß war. Sogar im Traum ließ es ihr keine Ruhe: immer nur dachte -sie daran, wie sie die Meta Iwanowna kaufen könnte. Aber die Generalin -wollte von Verkauf nichts wissen. Da fing nun Marfa Andrejewna mit -allerlei spitzigen Reden an: ihr Nikolai wäre ein kluger Kopf und -hätte mit dem Kaiser selbst gesprochen, das Mädel aber sehe bloß nett -aus und weiter nichts. So zankten sich die beiden Damen unsertwegen. -Marfa Andrejewna sagte, jene solle ihr das Mädchen verkaufen, und diese -wiederum wollte mich kaufen. Da fuhr Marfa Andrejewna einmal heftig -auf: ›Ich will sie doch nicht bloß zum Spaß haben,‹ sagte sie, ›ich -will sie doch verheiraten, der Nikolai soll sie zur Frau nehmen.‹ Die -Frau Wichiorowa aber meinte: ›Ich kann ja die beiden auch verheiraten, -wenn sie mir gehören.‹ Marfa Andrejewna erwiderte: ›Wenn sie Kinder -kriegen, sollst du ein Paar davon haben.‹ Jene aber versprach, daß sie -ihr ebenfalls ein paar Kinder überlassen wolle, wenn es welche geben -würde. Bis auf zehntausend Rubel waren sie nach und nach gekommen, -meine werten Herrschaften, aber immer wurde nichts aus der Sache, denn -wenn meine gnädige Herrin zehntausend für die Meta bot, so bot die -Generalin elftausend für mich. Wohl war Marfa Andrejewna eine Frau von -starkem und unbezwinglichem Geiste, die mit Pugatschow gestritten und -mit drei Kaisern getanzt hatte, -- aber mit der Generalin Wichiorowa -wurde sie doch nicht fertig. Und auf mich war sie auch böse. ›Du bist -auch so ein dummer Rüpel,‹ geruhte sie zu mir zu sagen, ›der dem Mädel -nicht ordentlich den Kopf verdrehen kann, daß es selber drum bittet, -deine Frau werden zu dürfen.‹ -- ›Mütterchen, Marfa Andrejewna,‹ sagte -ich, ›wie soll ich ihr denn den Kopf verdrehen? Geben Sie mir Ihre -Hand, Mütterchen, daß ich Narr sie küsse.‹ Da wurde sie noch böser. -›O, du dummer, dummer Kerl,‹ sagte sie, ›nichts verstehst du als die -Handküsserei.‹ Da schwieg ich schon lieber ganz.« - -»O dieser kleine Kerl! Er kann ja nichts dergleichen, der Arme,« -erklärte der Diakon teilnahmvoll seinem Nachbarn. - -Der Zwerg warf ihm einen Blick zu und fuhr fort: - -»So ging es nun Tag für Tag, bis es Frühling wurde, und für uns kam -die Zeit, aus Moskau wieder nach Plodomasowo zurückzukehren. Wir -fuhren nochmals zur Wichiorowa und wurden wieder nicht handelseinig. -Marfa Andrejewna sagte ihr: ›So erlaub doch wenigstens deiner -Qualle, daß sie mit Nikolai vor dem Hause auf und ab geht.‹ Die -Generalin gestattete das, und nun mußten Meta Iwanowna und ich auf -dem Trottoir vor den Fenstern hin- und herspazieren. Das war eine -große Freude für die selige Marfa Andrejewna, und für uns beide wurden -die verschiedensten Kostüme genäht. Wir kamen hin und sie befahl: -›Heute sollen Nikolai und Meta als Paysans gehen.‹ Dann erschienen -wir beide in Holzschuhen, ich in Kamisol und Hut und Meta Iwanowna -mit einer großen Haube, und so gingen wir vor dem Hause auf und ab, -und die Leute auf der Straße blieben stehen und schauten uns an. Ein -andermal mußten wir uns als Türke und Türkin zeigen. Dann als Matrose -und Matrosenmädchen. Ferner hatten wir noch Bärenkostüme, aus braunem -Flanell genäht, wie Futterale. In diese stopfte man uns hinein, wie man -eine Hand in den Handschuh steckt oder den Fuß in den Strumpf, nichts -war zu sehen als die Augen, und oben am Kopfe waren solche kleine -Zipfel aus Tuch angemacht, wie Ohren, die hin- und herwackelten. In -diesen Kleidern schickte man uns aber nicht auf die Straße, sondern -ließ sie uns zuweilen anlegen, wenn die beiden Damen beim Kaffee -saßen. Dann mußten wir auf dem Teppich vor dem Kaffeetisch miteinander -ringen. Meta Iwanowna war sehr stark für ein Mädchen, wenn ich ihr aber -geschickt und schlau ein Bein stellte, dann fiel sie doch gleich um. -Aber ich gab ihr doch meist aus Mitleid mit ihrem weiblichen Geschlecht -nach, und die Generalin pflegte auch oft ihr Bologneserhündchen zu -Hilfe zu rufen, das mir in die Waden fuhr. Dann ärgerte sich Marfa -Andrejewna ... Ach, ich mag gar nicht an diese Ringkämpfe denken! -Das allerschönste Kostüm, das die Selige hatte machen lassen, habe -ich heute noch: mich zogen sie als französischen Grenadier und Meta -Iwanowna als Marquise an. Ich hatte eine hohe Bärenmütze, einen langen -Waffenrock, eine Flinte mit Bajonett und Meta Iwanowna trug einen -Reifrock und hielt einen großen Fächer in der Hand. Dann mußte ich -mich mit der Flinte vor der Tür aufstellen und Meta Iwanowna ging mit -ihrem Fächer an mir vorüber und ich präsentierte das Gewehr. Und dann -fing Marfa Andrejewna wieder mit der Generalin zu feilschen an, denn -sie wollte uns gar zu gerne verheiraten. Ich muß Ihnen aber sagen, daß -all diese Kostüme für mich und Meta Iwanowna meine gnädige Herrin auf -ihre Kosten machen ließ, denn sie glaubte ganz sicher, daß sie die -Meta Iwanowna schließlich doch bekommen würde; ja, je mehr Kleider sie -für uns machen ließ, desto mehr wurde sie in der Zuversicht bestärkt, -daß wir beide ihr Eigentum seien. Aber die Sache sollte ganz anders -ausgehen. Die Generalin Karolina Karlowna Wichiorowa war nicht umsonst -eine Deutsche: wo etwas ihr von Vorteil war, da widersetzte sie sich -nicht, sondern nahm alles an, aber nachgeben war ihre Sache nicht. Da -kam Alexei Nikititsch -- Gott schenke ihm Gesundheit und langes Leben, -ihm selbst war die Sache schon lange ein Dorn im Auge, und er sah, daß -sie bös auslaufen würde -- er kam also auf den Gedanken, oder irgendein -kluger Offizier von seinem Regiment hatte ihm den Rat gegeben, der Frau -Mutter mitzuteilen, die Wichiorowsche Zwergin sei verschwunden. Das -beruhigte Marfa Andrejewna noch einigermaßen, daß jetzt niemand die -Meta Iwanowna haben sollte, und sie redete beständig davon. ›Wie ist -sie denn verloren gegangen?‹ fragt sie. Alexei Nikititsch antwortet, -ein Jude hätte sie gestohlen. ›Wie? Was für ein Jude?‹ Und wir fabeln -weiter, wie's uns gerade einfällt: so ein kastanienbrauner Jude sei -es gewesen, mit einem langen Bart, alle hätten ihn gesehen, wie er -sie gepackt und fortgeschleppt habe. ›Warum hat man ihn denn nicht -festgehalten?‹ fragt sie wieder. -- Ja, er sei eben aus einer Straße -in die andere, aus einer Gasse in die andere gerannt. -- ›Sie ist aber -auch ein dummes Frauenzimmer, daß sie sich so fortschleppen läßt und -nicht einmal schreit! Mein Nikolai hätte sich sowas nicht gefallen -lassen.‹ -- ›Wie werd' ich mich denn von einem Juden überwältigen -lassen?!‹ sagte ich. Und so glaubte sie alles, wie ein kleines Kind. -Aber da machte Alexei Nikititsch versehentlich einen kleinen Fehler, -oder richtiger, er wollte es zu schlau anfangen. Seine Absicht war -natürlich, Marfa Andrejewna schneller mit mir aufs Land zu schaffen, -denn dort, glaubte er, würde sie leichter vergessen, und so sagte er -zu seiner Mutter: ›Seien Sie unbesorgt, liebe Mutter. Man wird die -Zwergin sicher wiederfinden, denn sie wird überall gesucht, und wenn -man sie gefunden hat, schreibe ich Ihnen sofort aufs Land.‹ Die Selige -klammerte sich nun an dieses Wort. ›Nein,‹ sagte sie, ›wenn man sie -sucht, dann will ich lieber hier abwarten. Vor allem aber möchte ich -den Juden sehen, der sie geraubt hat.‹ Ja, meine Herrschaften, da -mußten wir noch einen Polizisten anstellen, daß er uns lügen half. -Jeden Tag kam er und meldete, die Kleine würde gesucht, sei aber -immer noch nicht gefunden. Sie gab ihm jeden Tag fünf Rubel, mich -aber schickte sie tagtäglich zur Frühmesse, daß ich Sankt Johannes -dem Krieger einen Bittgottesdienst abhalten lasse um Rückkehr der -entflohenen Sklavin ...« - -»Sankt Johann dem Krieger? Du sagst, zu Sankt Johann dem Krieger -hättest du beten lassen?« unterbrach ihn der Diakon. - -»Ja, Sankt Johannes dem Krieger.« - -»Na, dann gratuliere ich, mein Lieber. Da habt ihr gar nicht zu dem -richtigen Heiligen gebetet.« - -»Wirst du wohl Ruhe halten, Diakon? Sei so gut,« fiel Vater Sawelij -ein. - -»Bitte, Nikolai, erzähle weiter.« - -»Ja, Hochwürden, was ist da noch viel zu erzählen? Meine Geschichte -ist so gut wie zu Ende. Einmal kamen wir mit Marfa Andrejewna von der -Kapelle der Iberischen Mutter Gottes, als uns in der Petrowka-Straße -der Wagen der Generalin Wichiorowa entgegenkam, in dem neben der -Generalin auch Meta Iwanowna saß. Da begriff Marfa Andrejewna alles und -... Sie mögen mir glauben, meine werten Herrschaften, oder nicht, -- -sie fing in der Kutsche leise, aber bitterlich zu weinen an.« - -Der Zwerg schwieg. - -»Nun, Nikola,« suchte der Propst ihn anzuspornen. - -»Ja, was nun? Als wir nach Hause gekommen waren, sagte sie zu Alexei -Nikititsch: ›Mein liebes Söhnchen, du bist ein rechter Schafskopf, daß -du dich unterstehen konntest, deine Mutter zu betrügen und mir noch den -Polizisten auf den Hals zu schicken.‹ Und damit ließ sie ihre Sachen -packen und fuhr aufs Land.« - - - - -Fünftes Kapitel. - - -Nikolai Afanasjewitsch drehte sich auf seinem Stühlchen den Gästen zu -und sagte: »Ich hatte Sie ja schon darauf aufmerksam gemacht, daß es -eine ganz einfache und wenig interessante Geschichte sein würde. Und -nun, Schwesterlein,« dabei stand er auf, »müssen wir auch fahren.« - -Maria Afanasjewna erhob sich ebenfalls, aber der Diakon fing wieder an: -Nikolai Afanasjewitsch habe nicht zum richtigen Heiligen beten lassen. - -»Das ist nicht meine Sache, werter Vater Diakon,« rechtfertigte sich -Nikolai Afanasjewitsch, während er seine Mütze suchte. - -»Wieso denn nicht? Natürlich ist es deine Sache! Du mußt doch wissen, -zu welchem Heiligen du betest!« - -»Erlaubt mal, als ich zum erstenmal deshalb in die Kirche kam, gab -ich dem Priester einen Zettel mit der Aufschrift ›um Rückkehr einer -entflohenen Sklavin‹ und ein Fünfzigkopekenstück, darauf hielt der -Priester einen Bittgottesdienst vor Sankt Johannes dem Krieger ab, und -so ging es denn auch später.« - -»Wenn die Dinge so stehen, taugt eben der Priester nichts.« - -»Wieso? Wieso? Wieso? Wieso taugt der Priester nichts?« mischte sich -plötzlich Vater Zacharia Benefaktow ins Gespräch. - -»Weil er die Befugnisse seines Amtes nicht kennt,« erwiderte Achilla -höchst selbstbewußt. »Wer betet denn um Rückkehr eines entflohenen -Knechtes zu Sankt Johann dem Krieger?« - -»Ja, was meinst du? Zu wem denn sonst? Zu wem? Zu wem?« - -»Zu wem? Ihr habt es wohl vergessen? Neben dem Platz des -Kirchenältesten hing früher an der Wand ein Blatt. Jetzt ist es -fortgenommen. Allein ich erinnere mich noch ganz genau, welche Heiligen -bei den verschiedenen Gelegenheiten anzurufen sind.« - -»So.« - -»Jawohl! und wenn Ihr's wissen wollt, -- zu dem Heiligen Theodor Tyron -hätte gebetet werden müssen.« - -»Du hast unrecht. Es war ganz richtig, daß sie den Johannes anriefen.« - -»Blamiert Euch nicht, Vater Zacharia.« - -»Ich sage dir, es war ganz richtig.« - -»Ich aber sage Euch, Ihr blamiert Euch ganz unnützerweise. Ich weiß die -ganze Tabelle auswendig.« - -Er schob den breiten Ärmel seiner Kutte weit auf den Ellenbogen hinauf -und bog mit der rechten Hand den Daumen der Linken ein, als ob er ihn -abbrechen wollte. - -»Um Heilung von der fallenden Sucht,« begann er, »betet man zum -heiligen Maroas.« - -»Zum heiligen Maroas,« wiederholte Benefaktow zustimmend. - -»Um Heilung von der zehrenden Sucht -- zum heiligen Märtyrer Artemios,« -fuhr Achilla fort und bog in derselben Weise den Zeigefinger ein. - -»Artemios,« wiederholte Benefaktow. - -»Um Erlösung von Unfruchtbarkeit -- zum Wundertäter Romanus; wenn -der Gatte sein Weib verschmäht -- zu den Märtyrern Gurios, Samon und -Abebas; wenn man vom Teufel geplagt wird -- zum heiligen Nyphon; gegen -die wollüstige Leidenschaft -- zur heiligen Thomais ...« - -»Und zum heiligen Moses Ugrinos,« fügte Benefaktow, der bisher nur im -Takt mit dem Kopf geschüttelt hatte, leise hinzu. - -Der Diakon, der schon alle fünf Finger der linken Hand eingebogen -hatte, sann einen Augenblick nach, indem er den Vater Zacharia scharf -ansah, dann öffnete er die linke Faust, um nun die Finger der Rechten -einzubiegen, und meinte: - -»Ja, man kann auch zum Moses Ugrinos beten.« - -»Bitte weiter.« - -»Gegen die Trunksucht -- zum Märtyrer Bonifatius.« - -»Und zum Moses Murinos.« - -»Wie?« - -»Zum Bonifatius und zum Moses Murinos,« wiederholte Vater Zacharia. - -»Ganz recht,« stimmte der Diakon ihm bei. - -»Bitte weiter.« - -»Zum Schutz gegen bösen Zauber -- zum heiligen Märtyrer Cyprianus.« - -»Und zur heiligen Justina.« - -»So hört endlich auf mit Eurem Vorsagen, Vater Zacharia!« - -»Wenn's aber doch mit russischen Buchstaben deutlich gedruckt steht: -und der heiligen Justina.« - -»Schön, sei's drum! Und der heiligen Justina. Um Wiedergewinnung -gestohlener Gegenstände und um Rückkehr entflohener Knechte (der Diakon -betonte jedes einzelne Wort) -- zu dem Theodor Tyron, dessen Gedächtnis -wir am siebzehnten Februar feiern.« - -Jedoch kaum hatte Achilla sein letztes Wort gleich einem -Trompetensignal herausgeschmettert, als auch schon Zacharia mit -derselben leisen und leidenschaftslosen Stimme in der Aufzählung -fortfuhr: - -»Und zum heiligen Johannes dem Krieger, dessen Gedächtnis wir am -zehnten Juli feiern.« - -Achilla riß die Augen weit auf und schrie: - -»Jetzt fällt mir's ein, ja, man kann auch zu Johannes dem Krieger -beten.« - -»Aber weshalb habt Ihr denn eine ganze Stunde gestritten, Vater -Diakon?« sagte Nikolai Afanasjewitsch, ihm zum Abschied sein Händchen -entgegenstreckend. - -»Daß mir sowas passieren mußte! Ich hatte die Duplikate vergessen, -deshalb stritt ich,« verteidigte sich der Diakon. - -»Das ist genau wie im Sprichwort, werter Herr: ich suche meine Mütze -und habe sie auf dem Kopfe. Meinen ehrerbietigsten Gruß, Vater Diakon.« - -»Ich suche meine Mütze! ... Ach, du Kleiner!« grinste Achilla, kriegte -den Zwerg am Rockschoß zu packen und setzte ihn auf seine Hand, indem -er rief: - -»Der ist ja so leicht wie eine Flaumfeder!« - -»Laß sein,« befahl Vater Tuberozow. - -Der Diakon stellte den Zwerg wieder auf den Boden und bemerkte -scherzend, in Anbetracht seiner Leichtigkeit sei es unmöglich, ihn nach -Gewicht zu verkaufen. Doch der Propst, den das vorlaute Gebaren des -Diakons schon zu ärgern begann, wandte ein: - -»Weißt du, wen man nach Gewicht schätzt?« - -»Nun, wen?« - -»Den Wicht.« - -»Schönsten Dank!« - -»Bitte sehr, recht gern geschehen.« - -Der Diakon wurde verlegen, fuhr mit seinem Baumwolltaschentuch über den -haarigen Filz seines Hutes und brummte: - -»Ihr könnt auch nie und nirgends ohne Politik auskommen!« - -Und schritt mit gekränkter Miene zur Tür hinaus. - -Bald begannen sich auch die andern Gäste zu verabschieden und gingen -ein jeder seines Weges. - -Den Zwerg und seine Schwester trug der bronzebeschlagene Wagen schnell -von dannen, Tuberozow aber nahm seinen Weg in Begleitung desselben -Darjanow, mit dem wir ihn im Häuschen der Hostienbäckerin Prepotenskaja -gesehen haben, langsam über die Brücke. - -Als sie das jenseitige Ufer erreicht hatten, machten sie einen -Augenblick Halt. Von alter Erinnerung überwältigt meinte der Propst: - -»Ist es nicht seltsam, daß dieses alte Märchen, welches uns der Zwerg -erzählt und das ich schon so oft gehört habe, daß dieses kindliche -Märlein von den Stricknadeln der Alten mich nicht nur erfrischt, -sondern auch beruhigt hat nach all der Aufregung, in welche mich die -jüngste Wirklichkeit versetzt hatte? Ist das nicht ein deutlicher -Beweis dafür, daß ich alt geworden bin und in der Vergangenheit zu -leben beginne? Aber nein, das ist es nicht. Ich bin von klein auf so -gewesen. Mir fällt eben ein Erlebnis ein: als Student kam ich einmal -in das Dorf, in dem ich meine Kindheit verbrachte und sah, wie man -die alte Holzkirche niederriß, um an ihrer Stelle ein neues schönes -Gotteshaus aus Stein zu errichten ... Damals brach ich in Tränen aus.« - -»Warum denn?« - -»Es war mir leid um das hölzerne Kirchlein. Einen schönen, lichten, -neuen Tempel will man in Rußland bauen, und die Enkel, die darin -beten werden, werden sich freuen an der Fülle von Licht und Wärme, --- und dennoch tut es weh, wenn die alten Balken ohne Erbarmen -auseinandergezerrt werden.« - -»Ja, lohnt sich's denn wirklich, etwas zu bewahren aus jener alten -Zeit, die nichts Besseres wußte, als mit Stricknadeln zu klappern und -sich an Zwergenhochzeiten zu erfreuen?« - -»Ja, sehen Sie mal, ärmlich genug ist das ja, -- und doch fühlte ich -etwas vom russischen Geiste darin. Ich gedachte der alten Bojarin und -mir wurde so wohl und frei dabei, und das scheint mir der schönste -Lohn für meine Pietät. Lebt in gutem Einvernehmen mit eurem alten -Märchen, ihr jungen russischen Leute! Solch ein altes Märchen ist ein -wunderbares Ding! Wehe dem, der in seinem Alter keines hat! Euren Ohren -klingt das Klappern der alten Stricknadeln eintönig, mir aber erzählt -es süße Mären! ... O wie gerne möchte ich in Frieden mit meinem alten -Märchen sterben!« - -»Das wird ja wohl auch so werden.« - -»Wie soll man das wissen? Wie soll man wissen, wer es sein wird? -Aber erlauben Sie, -- was ist denn das?« unterbrach der Propst sich -plötzlich und sah nach einer Staubwolke, die sich auf dem Berge zeigte -und einen mit drei Pferden bespannten Reisewagen, in dem zwei Männer -saßen, begleitete. Der eine von ihnen war groß, fleischig, schwarz, mit -feurigen Augen und einer unverhältnismäßig großen Oberlippe; der andere -klein, glatt rasiert, mit einem völlig leidenschaftslosen Gesicht und -hellen, wässerigen Augen. - -Der Wagen mit den Fremden fuhr schnell über die Brücke und bog auf dem -anderen Ufer links ab. - -»Was für unangenehme Gesichter,« sagte der Propst und wandte sich ab. - -»Wißt Ihr auch, wer das war?« - -»Gott sei Dank, nein.« - -»Dann kann ich es Euch zu Eurer Betrübnis sagen. Es ist der -Regierungsbeamte Fürst Bornowolokow, welcher seit einiger Zeit hier -erwartet wird. Ich habe ihn sofort erkannt, obgleich ich ihn lange -nicht gesehen habe. Richtig, sie halten vor dem Biziukinschen Hause.« - -»Sagen Sie, bitte, welcher von beiden ist Bornowolokow?« - -»Links, der Kleine, ist Bornowolokow.« - -»Und der andere?« - -»Wohl sein Sekretär. Auch eine Berühmtheit eigener Art.« - -»Ein tüchtiger Jurist?« - -»Hm! Davon habe ich eigentlich nichts gehört. Aber wegen irgendeiner -Studentengeschichte wurde er einmal zu Festungshaft verurteilt.« - -»Um Gottes willen! Wie nennt sich dieser Mann?« - -»Ismail Termosesow!« - -»Termosesow?« - -»Ja, Termosesow; Ismail Petrowitsch Termosesow.« - -»Himmel, was für Leute unser Zar in seine Dienste nimmt!« - -»Wie meint Ihr das?« - -»Aber, ich bitte! Dies Gesicht, diese Lippen, und auf Festung hat er -gesessen und ist wieder freigekommen, und Termosesow heißt er auch -noch.« - -»Das ist entsetzlich, nicht wahr?« rief Darjanow laut lachend. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Wir müssen nun, unter dem Zwange der Verhältnisse, welche den Gang -unserer Chronik bedingen, den Stargoroder Propst für einige Zeit -verlassen, um die Bekanntschaft eines ganz anderen Kreises derselben -Stadt zu machen. Wir treten in das Haus des Akzisebeamten Biziukin, in -dem die längst erwarteten Petersburger Gäste soeben eingetroffen sind: -der Fürst Bornowolokow, ein alter Studiengenosse des Akziseeinnehmers, -welcher irgend etwas revidieren oder einführen soll, und sein Sekretär -Termosesow, ebenfalls ein alter Bekannter und Gesinnungsgenosse -Biziukins. Es ist vormittags und der Postwagen, welcher die Gäste nach -Stargorod gebracht hat, macht eben vor dem Hause Halt. - -Biziukin selbst war nicht zu Hause, und so mußte ihn seine Gattin -vertreten. Diese interessante Frau, die sich viel mit Politik -beschäftigte, sah dem Besuche des Gastes nicht ohne innere Bewegung -entgegen. Sie wollte sich ihm von ihrer besten und vorteilhaftesten -Seite zeigen, und war vom frühen Morgen darauf bedacht, daß ihr -Haus den besten Eindruck auf die Ankommenden mache. In aller Frühe -prüfte sie sämtliche Gemächer und fand, daß eigentlich nichts ihrem -Wunsche entsprach. In der Mitte des reinlichen, freundlich möblierten -Wohnzimmers blieb sie stehen und dachte verzweifelt: - -»Nein, das ist zum Tollwerden! Hier sieht es ja genau so aus, wie -bei Porochontzews oder bei Darjanows oder beim Postmeister, -- mit -einem Wort, wie überall, vielleicht etwas besser. Die Uhr auf dem -Kamin, diese Armleuchter, und da steht das Klavier ... Nein, das darf -unmöglich so bleiben, um dieser Kleinigkeiten willen will ich nicht -die Verachtung der modernen Männer auf mich laden. Ich weiß, wie man -moderne Männer der Tat aufnimmt! Ja, aber, wo soll ich hin mit all -dem Kram? Soll ich alles hinauswerfen? Das wäre doch zu schade. Die -Sachen werden verderben, sie haben Geld gekostet. Und was nützt es, sie -hinauszuwerfen, wenn ringsherum ... Im Schlafzimmer zum Beispiel die -Spitzengardinen ... Na ja, ins Schlafzimmer werden die Gäste ja nicht -hineinschauen ... Ich bringe nur meines Mannes Zimmer in Ordnung!« - -Und damit rief die junge Beamtenfrau ihre Dienstboten und ließ sie -sofort alles ihrer Meinung nach Überflüssige aus dem Arbeitszimmer -ihres Gatten auf den Speicher bringen, so daß nichts weiter übrigblieb -als ein Tisch, ein Stuhl und zwei Sofas. - -»Ausgezeichnet,« dachte die Biziukina. »Wenigstens ein Zimmer im Hause, -das anständig aussieht.« - -Sie machte noch zwei große Tintenflecke auf den Schreibtisch und stieß -den Spucknapf in der Ecke um, so daß der Sand sich über den Fußboden -streute. Aber o Himmel, als sie wieder in den Saal zurückkehrte, -bemerkte sie, daß sie das Allerärgste fast übersehen hätte: an der Wand -hing ein Heiligenbild! - -»Jermoschka! Jermoschka! Schaff sofort dies Heiligenbild hinaus ... ich -will es in die Kommode legen!« - -Das Bild wurde fortgeschafft und die besorgte Hausfrau begab sich in -ihr Boudoir, öffnete einen großen Nußbaumschrank, wählte aus ihrer -reichhaltigen Garderobe die allerschlechtesten Stücke, rief ihr -Dienstmädchen und ließ sich ankleiden. - -»Marfa, du liebst die Herrschaften wohl gar nicht?« - -»Warum sollte ich sie nicht lieben?« - -»Warum solltest du nicht? Nun so, ganz einfach! Wofür sollst du sie -denn lieben?« - -Das Mädchen wußte nicht, was es antworten sollte. - -»Was haben sie dir denn Gutes getan?« - -»Gutes, nichts, gnädige Frau.« - -»Nun, du dumme Person, dann kannst du sie auch nicht lieben, und in -Zukunft bitt' ich dich, die dummen Redensarten ›zu Befehl‹ und ›gnädige -Frau‹ und so weiter gefälligst zu lassen. Sag einfach ›ja‹ und ›nein‹ -und ›was‹ und ›warum‹. Verstanden?« - -»Zu Befehl.« - -»Zu Befehl!? Kannst du nicht einfach ›ja‹ sagen?« - -»Warum denn, gnädige Frau?« - -»Weil ich es so wünsche.« - -»Zu Befehl.« - -»Schon wieder? Ich hab' dir doch eben erst befohlen: einfach ›ja‹ und -›nein‹ zu sagen.« - -»Ja. Aber es wird mir sehr schwer, gnädige Frau.« - -»Schwer? Um so leichter wird dir's später werden. Alle werden einmal so -sprechen. Hörst du?« - -»Zu Befehl.« - -»Zu Befehl! Pack dich, dumme Gans! Ich schmeiß dich raus, wenn du mir -noch einmal so antwortest. Einfach ›ja‹ -- und mehr nicht. Bald wird es -überhaupt keine Herrschaften mehr geben; verstehst du? Überhaupt keine -mehr! Sie werden bald alle ... in Stücke gehackt. Verstanden?« - -»Ja,« sagte das Mädchen, um sie irgendwie loszuwerden. - -»Jetzt geh und schick mir den Jermoschka her.« - -»Nun ist aber noch etwas unbedingt nötig. Ich muß eine Schule hier -haben.« Und Madame Biziukina gab ihrem Jermoschka zehn kupferne -Fünfkopekenstücke und befahl ihm, möglichst viele Straßenjungen -herbeizuschaffen. Er sollte jedem von ihnen sagen, daß er von ihr noch -einen zweiten Fünfer bekommen würde. - -Nach zehn Minuten kehrte Jermoschka in Begleitung einer ganzen Horde -zerlumpter Gassenbuben zurück. - -Die Biziukina gab jedem fünf Kopeken, ließ sie im Kabinett ihres Mannes -Platz nehmen und sagte zu ihnen: - -»Jetzt werde ich euch unterrichten und dafür kriegt jeder noch einen -Fünfer. Ist's euch recht so?« - -Die Jungen rümpften die Nase: - -»Na ja, warum nicht?« - -»Wir verstehen doch nicht, aus Büchern zu lesen,« sagte einer von den -Klügeren. - -»Ich will euch ein Lied lehren, da braucht ihr keine Bücher.« - -»Na, wenn's ein Lied sein soll, ist's uns recht.« - -»Jermoschka, setze dich auch dazu.« - -Jermoschka setzte sich und hielt verlegen die Hand vor den Mund. - -»Also jetzt singt ihr alle mit.« - - »Aus der Schmiede kommt der junge Schmied.« - -Die Buben sangen nach, so gut sie konnten. - -»Heil!« sang Madame Biziukina vor. - -»Heil!« wiederholten die Kinder. - - »Und drei scharfe Messer trägt er unterm Rock! Heil!« - -In diesem Ausblick hob Jermoschka den Kopf, sah aus dem Fenster und -rief: - -»Es kommt Besuch, gnädige Frau!« - -Die Biziukina ließ das Lineal fallen, mit dem sie den Takt geschlagen -hatte und stürzte in den Saal. - - - - -Siebentes Kapitel. - - -Der Fürst Bornowolokow und sein Sekretär Termosesow erschienen. Bei -genauer Betrachtung machten sie einen viel interessanteren Eindruck, -als sie Tuberozow bei ihrer flüchtigen Begegnung vorgekommen waren. - -Der Revisor selbst sah wie ein eingeschlafener Stichling aus. Er war -klein, mit gesträubten Haaren, breiten Schultern und Augen, über denen -ein feuchter, schläfriger Schleier lag. Er schien zu nichts fähig und -zu nichts brauchbar. Er war eben kein Mensch, sondern ein schläfriger -Stichling, der sich in allen Meeren und Seen herumgetrieben hatte, nun -aber eingeschlafen und so mit Tang bewachsen war, daß in ihm nichts -mehr glühte und leuchtete. - -Termosesow dagegen erinnerte an einen Kentauren. Er war riesengroß, -wie es nur ein Mann sein kann, aber der Bau seines mächtigen Körpers -hatte etwas Weibliches. Die Schultern waren sehr schmal, die Hüften -übermäßig breit und voll wie Pferdeschinken, die Knie fleischig und -rund, die Arme dürr und sehnig; der Hals lang, aber nicht mit stark -hervortretendem Adamsapfel, wie bei den meisten hochgewachsenen -Menschen, sondern mit einer Vertiefung, wie bei einem Pferde. Um den -Kopf flatterte eine mächtige Mähne nach allen Seiten; das Gesicht, -mit einer langen, armenischen Nase und einer unverhältnismäßig großen -Oberlippe, die schwer auf der untern lastete, war von sehr dunkler -Färbung; die Augen waren braun mit tiefschwarzen Pupillen, der Blick -scharf und klug. - -Die Biziukina beobachtete alles durch das Fenster, ohne von den Fremden -gesehen zu werden, und zermarterte sich das Hirn, wer von den beiden -wohl der Revisor Bornowolokow und wer Termosesow sei. Endlich kam sie -zu dem Schlusse, der Große müßte unbedingt der Fürst Bornowolokow sein, -denn er hatte eine Mütze mit einer Kokarde auf dem Kopfe, der andere -im Reitfrack und dem bunten Mützchen aber war sicher Termosesow, der -unabhängige Mann, der in einem ganz freien Dienstverhältnis zum Fürsten -stand. Allein noch eine zweite Frage quälte die Hausfrau: wie sollte -sie die Gäste empfangen? Sollte sie ihnen entgegengehen? Das wäre -gar zu zeremoniell gewesen. Nichts tun, dasitzen und warten, bis sie -kommen? ... Das wirkte zu gezwungen! Ein Buch vornehmen? Ja, das wäre -das Richtigste, das Natürlichste! - -Und sie ergriff das erste beste Buch, blickte aber noch einmal darüber -hinweg durch das Fenster und bemerkte, daß Termosesow, den sie für -Bornowolokow hielt, ziemlich schmutzige Hände hatte, während ihre -wohlgepflegten, müßigen Hände rein waren, wie weißer Schaum. - -Sofort nahm Madame Biziukina etwas Erde aus einem auf dem Fensterbrett -stehenden Blumentopf, zerrieb sie zwischen ihren Handflächen und setzte -sich mit ihrem Buche auf einen Stuhl in der Nähe des Fensters, die -Beine übereinanderschlagend. - -In diesen Augenblick ließ sich im Hausflur eine fröhliche, recht -freundliche Baßstimme vernehmen, und in das Vorzimmer traten beide -Gäste: zuerst Termosesow und hinter ihm Fürst Bornowolokow. - - - - -Achtes Kapitel. - - -Die Hausfrau saß da und rührte sich nicht. Es fiel ihr jetzt erst -auf, wie unpassend den Gästen der Blumentopf auf dem Fensterbrett -erscheinen mußte, und so verwirrt sie auch war, sie hatte doch noch -Zeit zu überlegen, wie man ihn wohl am leichtesten aus dem Fenster -hinausbefördern könnte. Dieser Gedanke beschäftigte sie so lebhaft, -daß sie sogar die erste Frage überhörte, mit der sich einer der beiden -Gäste an sie wandte, wodurch sie tatsächlich den Eindruck einer ganz in -ihre Lektüre vertieften Person hervorrief. - -Termosesow musterte sie über die Schwelle mit einem scharfen Blick und -wiederholte seine Frage. - -»Wer sind Sie? Vielleicht Frau Biziukina selbst?« fragte er, ruhig in -den Saal eintretend. - -»Ich bin Frau Biziukina,« antwortete die Hausfrau, ohne aufzustehen. - -Termosesow ging auf sie zu: - -»Ich bin Termosesow, Ismail Petrowitsch Termosesow, ein Schulkamerad -Ihres Mannes, mit dem ich später wegen einer Dummheit auseinanderkam; -und dies ist der Fürst Afanasij Fedosejewitsch Bornowolokow, -Regierungsbeamter und Revisor aus Petersburg. Wir wollen hier allen die -Hölle heiß machen. Guten Tag!« - -Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie ergriff sie, während sie mit der -andern das Buch auf die Fensterbank legte und bei dieser Gelegenheit -den Blumentopf umstieß, so daß er auf die Straße kollerte. - -»Was ist das? Sie haben Ihre Blume zum Fenster hinausgeworfen?« - -»Das hat nichts zu sagen. Es war keine Blume. Nur Gras zum Auflegen auf -Schnittwunden. Aber es taugt auch schon nichts mehr.« - -»Selbstverständlich taugt es nichts. Wer legt heute noch Gras auf -Schnittwunden! Aber vielleicht gibt es noch solche Esel. Wo ist denn -Ihr Mann?« - -Die Biziukina sah den Revisor an, der ohne ein Wort zu sagen auf dem -kleinen Sofa Platz genommen hatte, und erwiderte Termosesow, ihr Mann -sei nicht zu Hause. - -»Nicht zu Hause? Na, macht nichts, wir sprechen uns noch. Wir waren -dicke Freunde, bis uns eine Dummheit auseinanderbrachte. Aber ich muß -offen bekennen, Sie passen nicht zu diesem Mann. Nein, wirklich ganz -und gar nicht, darüber ist kein Wort zu verlieren. Er ist ein Hohlkopf, -weiter nichts, und es ist sein Glück, daß Sie ihm zu dieser Stelle -in der Akzise verhelfen konnten. Sie aber sind ein Prachtkerl, der -alles ganz famos gedeichselt hat, -- dem Mann die Stelle verschafft -und -- fein ist's hier bei Ihnen!« fügte er hinzu, indem er mit einem -schnellen Blick alle vom Saale aus sichtbaren Räume der Wohnung -musterte. Als er in dem allen Schmuckes beraubten Kabinett die -Kinderschar bemerkte, die sich an der Schwelle drängte, meinte er: - -»Ah, so etwas wie eine Schule haben Sie auch hier. Schäbig genug ist -das Zimmerchen, aber als Schulraum geht's noch an. -- Zu was Deubel -unterrichten Sie die Lausebande eigentlich?« schloß er plötzlich -schroff. - -Die Biziukina geriet in Verlegenheit, aber Termosesow half ihr selbst -darüber hinweg. Er ging auf die Jungen zu, faßte einen von ihnen unter -das Kinn und fragte: »Na? Verstehst du Erbsen zu mausen? Lern's, mein -Junge, und wenn sie dich nach Sibirien expedieren, mag mein Segen dich -begleiten. Lassen Sie sie laufen, Biziukina! Marsch nach Hause, ihr -Halunken! Fix ans Erbsenstehlen!« - -Die Jungen kamen langsam einer nach dem andern aus dem Kabinett und -zogen im Gänsemarsch durch den Saal. Dann ging es in beschleunigtem -Tempo durch das Vorhaus und über den Hof. - -»Wozu all diese Schulen? Nichts als Zeitvergeudung!« - -»Das finde ich auch,« sagte die Hausfrau kleinlaut. - -»Versteht sich. Bekommen Sie eine Unterstützung?« - -»Nein. Wo sollte die auch herkommen?« - -»Warum nicht? Andere bekommen sie doch! -- Und das ist wohl Ihr -Früchtchen?« fragte er, indem er auf den herausgeputzten Jermoschka -zeigte, der eben eingetreten war. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte -er sich an den Jungen: - -»Geh mal, mein liebes Goldsöhnchen, und sag dem Dienstmädchen, daß wir -uns waschen wollen.« - -»Das ist gar nicht mein Sohn,« sagte die Hausfrau verlegen. - -Aber Termosesow hörte es nicht. Er glaubte nun einmal, den Sohn der -Hausfrau vor sich zu haben, und hielt dieser eine Predigt, wie und wozu -sie ihn erziehen solle. - -»Bereiten Sie ihn für den Staatsdienst vor. Daß er nur keine -literarischen Neigungen kriegt! Sehn Sie mich an. Ich dürfte -eigentlich gar nicht Staatsbeamter sein, aber durch Hintertüren und -auf Hintertreppchen hab' ich mich doch rangeschlängelt. Jawohl! Und -bin doch früher selbst Nihilist gewesen und ärgerte mich sogar über -Ihren Mann, als er Akzisebeamter wurde. Dumm war das! Warum soll -unsereins nicht Staatsbeamter sein? Als Beamter kann man sich beliebt -machen, als Beamter hat man Geld, als Beamter gewinnt man Einfluß, -- -das ist etwas ganz anderes als die blöde Schriftstellerei. Dort muß -man noch Talent haben, hier aber wird es nur störend empfunden. Als -Staatsbeamter kann ich die Leute sortieren. Was bist du für ein Kerl? --- Du kommst hierher. Und du bist so einer? -- Du kommst dahin. Du bist -keiner von den unsern? So zwing' ich dich, ersticke dich, zerbreche -dich, -- und der Staat muß mich dafür bezahlen. -- Na, was starren -Sie mich so an? Es kommt Ihnen wohl sonderbar vor, was ich da aus der -Praxis erzähle?« - -Die verblüffte Hausfrau schwieg, der Gast aber fuhr fort: - -»Ihr richtet hier Schulen ein, -- na ja, wenn man sich an die -landesübliche Schablone der roten Hähne halten wollte, müßte man das -loben, aber Termosesow als praktischer Mensch tut das nicht. Termosesow -sagt: Zum Teufel mit den Schulen, sie sind vom Übel; wenn das Volk zu -lesen versteht, nimmt es die heiligen Bücher vor. Sie glauben, die -Bildung gehört zu den zerstörenden Elementen? Keineswegs. Sie ist ein -aufbauendes Element, wir aber wollen vor allem zerstören.« - -»Es heißt doch aber, eine Revolution wäre jetzt bei dem Bildungsstand -unseres Volkes nicht möglich,« wagte die Hausfrau einzuwerfen. - -»Zu was Teufel brauchen wir sie denn, die Revolution, wenn es auch ohne -Revolution ganz nach unsern Wünschen geht? Aber sehn Sie, da steht Ihr -Söhnlein und spitzt die Ohren. Warum erlauben Sie ihm zuzuhören, was -die Erwachsenen reden?« - -»Das ist gar nicht mein Sohn,« sagte die Dame. - -»Nicht Ihr Sohn? Wer ist es denn?« - -»Ein Diener.« - -»Ein Diener! Und so herausstaffiert! Fix, Waschwasser, du -Teufelsbraten!« - -»Ist schon fertig,« antwortete Jermoschka schroff, wie es ihm -vorgeschrieben war. - -»Warum hast du es denn nicht gleich gesagt? Marsch hinaus!« - -»Das ist nun ein wahrhaft kluger Mensch,« dachte Frau Daria Biziukina, -als sie wieder allein geblieben war, und starrte unverwandt nach der -Tür, durch die Termosesow hinausgegangen war. »Alle andern sind so -streng, -- dies kann man nicht und das soll man nicht, hier aber ist -alles erlaubt, alles möglich, und doch fürchtet dieser Mann sich vor -nichts. Mit so einem Mann zu leben wäre leicht; ja es wäre süß, sich -ihm zu unterwerfen.« - -Der arglistige Fremde hatte das Herz Darias völlig erobert. Alles an -dem Gaste begann ihr zu gefallen. Was hatte er für eine Stimme! Wie -stark war er! Überhaupt, -- was war er für ein Mann! ... Wie entzückend -war er! Kein Seladon, wie ihr Gatte; kein Trantopf, wie Prepotenskij, --- nein, er war entschlossen, unbeugsam, ein ganzer Mann ... Der würde -nie nachgeben! Er war wie der Sturmwind ... er kommt ... reißt fort ... -vernichtet ... - -Wo bist du nun, du armer Akziseeinnehmer? Juckt dir nicht schon die -Stirn wie einem jungen Böcklein, dem die Hörner wachsen wollen? - - - - -Neuntes Kapitel. - - -Zu den Ohren der verliebten Biziukina war aus dem Kabinett längst -schon bald ein sanftes Entenplätschern, bald ein wildes Spritzen und -seltsames Gurgeln gedrungen. Plötzlich jedoch war alles still geworden -und immer noch zeigte sich Termosesow nicht. Hatte er denn wirklich -so viel mit diesem wortkargen Fürsten zu reden? Oder schlief er? ... -Das konnte der Fall sein, denn die Reise mußte ihn ermüdet haben. -Oder las er vielleicht? Was konnte er lesen? Und was brauchte er zu -lesen, wenn er selbst klüger war als alle Bücherschreiber? ... Aber -während sie so grübelte, ging die Tür auf und auf der Schwelle erschien -Jermoschka mit einer Waschschüssel voll Seifenwasser. Er schloß die -Tür nicht hinter sich, so daß Daria Nikolajewna ins Zimmer hineinsehen -konnte. Ganz hinten am Fenster entdeckte sie die schmächtige Figur des -Fürsten. Dicht vor ihm, etwas näher zur Tür, erhob sich der fleischige -Torso Termosesows. Beide, der Revisor und sein Sekretär, waren im -Negligé. Bornowolokow in Beinkleidern und einem schneeweißen Hemde -aus holländischer Leinwand, über das sich kreuzweise die zwei roten -Streifen der seidenen Hosenträger legten. Sein kleines blondes Köpfchen -war glatt gekämmt, und er bemühte sich, es mit Hilfe einer Metallbürste -noch mehr zu glätten. Termosesows Gestalt zeigte sich in ihrer ganzen -plastischen Vollendung, der Kragen seines Hemdes war aufgeknöpft und -die weit über den Ellbogen aufgeschürzten Ärmel ließen die muskulösen, -dicht behaarten Arme deutlich erkennen. - -Mit diesen Armen hob Termosesow ein langes russisches Handtuch, an -dessen Enden rote Hähne gestickt waren, und bearbeitete damit seine -sich wild sträubenden nassen Haare aufs kräftigste. - -Aus der Energie, mit welcher der liebenswürdige Ismail Petrowitsch -dieses Geschäft betrieb, ließ sich ohne weiteres erraten, daß die -fröhlichen, machtvollen und ungenierten Fiorituren, die eben noch -durch die geschlossene Tür bis in den Saal gedrungen waren, von -Termosesow herrührten, während Bornowolokow nur wie eine Ente zischen -und plätschern konnte. Der zurückkehrende Jermoschka, welcher die Tür -zuschlug, zerstörte das holde Bild. - -Aber Termosesow hatte genügend Zeit gehabt, um das Feld mit seinem -Adlerblick zu überschauen, und er ließ sich die Gelegenheit nicht -nehmen, die Hausfrau durch sein Erscheinen ohne den Fürsten zu -erfreuen. Er warf schnell seinen weiten Mantel über seine höchst -unvollkommene Toilette und stieß den armen Jermoschka, ihn am Ohr -packend, ins Vorzimmer hinaus mit den Worten: - -»Daß du deine Nase hier nicht zu zeigen wagst, bis ich dich rufen -werde!« - -Dann schloß er die Tür zum Kabinett, in dem sich der Fürst noch befand, -und setzte sich in seinem immerhin recht seltsamen Kostüm ungeniert -neben die Hausfrau. - -»Hören Sie mal, Biziukina, so geht das nicht, Herzchen,« fing er an und -faßte sie ohne weiteres bei der Hand. »Sie haben Ihren Lausbuben gar zu -sehr verwöhnt. Ich nannte ihn ein Ferkel, weil er dem Fürsten die Ärmel -beplantscht hatte, worauf er mir: ›Meine Mutter ist keine Sau, sondern -eine Frau!‹ antwortete. Daran sind Sie natürlich schuld, Sie haben ihn -so emanzipiert, nicht wahr?« - -Und mit völlig veränderter Stimme fuhr er zärtlich fort: »Sie sind -es? Ja? Sagen Sie -- ja?« Dieses Ja wurde in einem Ton gesagt, der -das Herz der Biziukina erschauern machte. Sie begriff, daß die -gewünschte Antwort gar nicht der gestellten Frage galt, sondern einer -unausgesprochenen, deren heimlicher Sinn sie durch seinen Realismus -geradezu erschreckte, und darum schwieg sie. Aber Termosesow ließ nicht -locker. - -»Ja oder nein? Ja oder nein?« drängte er mit wachsender Ungeduld. - -Zu langem Überlegen war keine Zeit. Die Biziukina sah Termosesow -ängstlich an und begann schüchtern: - -»Ja, ich weiß n...« - -Aber Termosesow unterbrach sie hart: - -»Ja!« rief er. »Ja! Und damit genug! Weiter brauchst du mir nichts zu -sagen. Gib mir dein Händchen. Gleich auf den ersten Blick habe ich -erkannt, daß wir zueinander gehören, und eine andere Antwort habe ich -von dir nicht erwartet. Jetzt keine Zeit verloren! Beweise mir deine -Liebe durch einen Kuß.« - -»Wollen Sie nicht ein Glas Tee?« stammelte Daria Nikolajewna, als ob -sie diese Worte nicht gehört hätte. - -»Komm mir nicht mit solchen Geschichten! Ich bin kein Teekessel, -sondern ein Dampfkessel.« - -»Dann ist Ihnen Wein vielleicht lieber?« flüsterte Daria, sich von ihm -losmachend. - -»Wein?« wiederholte Termosesow. »Du bist süßer als Myrrhen und Wein!« -Und damit zog er Madame Biziukina an sich. »Laß uns verschmelzen in -seligem Kusse«, flüsterte er und schloß ihr rotes Mündchen mit seinen -Pferdelippen. - -»Jetzt aber sag mir mal, warum bist du eine so renitente Monarchistin?« -fragte er unmittelbar nach dem Kusse, die Hand der Dame seinen Augen -nähernd. - -»Ich bin gar nicht Monarchistin,« beteuerte die Biziukina hastig. - -»Wem gilt denn deine Hoftrauer? Dem Maximilian von Mexiko?« - -Und Termosesow wies lachend auf die schwarzen Streifen an ihren -Fingernägeln, schob sie zur Seite und sagte: »Geh, wasch deine Hände!« - -Daria Nikolajewna wurde feuerrot und war nahe daran zu weinen. -Sie hatte sonst immer tadellos saubere Nägel. Sie eilte in ihr -Schlafzimmer, wusch dort die Hände und kam lächelnd zurück. - -»So,« sagte sie, »jetzt bin ich wieder Republikanerin, ich habe ganz -weiße Hände.« - -Der Gast aber drohte ihr mit dem Finger und meinte, der Republikanismus -sei nur ein dummer Spaß. - -»Was brauchen wir uns um die Republik zu kümmern?« sagte er. »Man kann -damit bös reinfallen. Aber ich habe die photographischen Bildnisse -sämtlicher regierender Herrschaften mit. Soll ich sie dir schenken, daß -wir sie hier an die Wand hängen?« - -»Ich habe sie ja selbst.« - -»Wo sind sie denn? Wohl versteckt? He? Ich schwör's beim Satan selber, -daß ich's erraten habe: du erwartetest unsern Besuch aus Petersburg, -und um mit deinem Liberalismus zu prahlen, hast du sie versteckt! Dumm -ist das, mein Töchterchen, sehr dumm! Bring sie mal fix her, ich hänge -sie dir wieder auf.« - -Die ertappte Einnehmersfrau wurde wieder bis an die Ohren rot, holte -aber die eingerahmten Bildnisse aus dem Tischkasten heraus und brachte -auf Termosesows Befehl Hammer und Nägel, worauf der Gast sich gleich an -die Arbeit machte. - -»Ich denke, wir bringen sie gleich hier an dieser Wand an,« sagte er, -mit dem Finger durch die Luft fahrend. - -»Wie Sie meinen.« - -»Was nennst du mich immer noch Sie, wenn ich dich duze? Du sollst du -sagen. Und nun gib mal die Bilder her.« - -»Die hat alle mein Mann gekauft.« - -»Sehr richtig von ihm, daß er die Obrigkeit hochachtet! Die Herren -Minister hängen wir alle hier unten nebeneinander auf. Her damit! -Wer ist das? Gortschakow. Der Kanzler. Ausgezeichnet! Er hat Rußland -gerettet! Sehr nett von ihm! Dafür wird er als Erster aufgehängt.« - -Als alle Bilder an der Wand befestigt waren, ergriff Termosesow die -rechte Hand der Biziukina und drückte sie an seine Brust. - -»Nicht wahr, ich habe ein heißes Herz?« fragte er, ihre Verlegenheit -ausnutzend. - -Aber Daria Nikolajewna riß ihre Hand los und erwiderte zornig: »Sie -werden aber zu frech.« - -»Tä--tä--tä--tä--! Zu frech! Ganz und gar nicht ›zu‹, sondern gerade, -wie sich's gehört,« spottete Termosesow und legte den andern, freien -Arm um ihren Leib. - -»Sie sind ein ganz unverschämter Mensch! Sie vergessen, daß wir uns -kaum kennen,« schrie Daria Nikolajewna entrüstet und riß sich von ihm -los. - -»Ich bin nicht unverschämt und ich vergesse auch nichts! Termosesow -ist bloß klug, schlicht, natürlich und praktisch -- weiter nichts. -Termosesow denkt einfach so: wenn du ein vernünftiges Frauenzimmer -bist, dann weißt du, warum du mit einem Mann so intim redest, wie du -mit mir geredet hast; weißt du aber selber nicht, warum du dich so -benimmst, dann bist du eine Gans und es hat keinen Sinn, dich schonend -zu behandeln.« - -Madame Biziukina wollte natürlich klug sein. - -»Sie sind sehr schlau,« sagte sie, das Gesicht abwendend. - -»Schlau! Was braucht's hier Schlauheit? Ja, wenn du mich liebst oder -ich dir gefalle ...« - -»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich Sie liebe?« - -»Laß doch das Flunkern!« - -»Nein, ich rede die Wahrheit. Ich liebe Sie gar nicht und Sie gefallen -mir nicht im geringsten.« - -»Quatsch keinen Blödsinn! Du liebst mich nicht? Nein, laß dir mal -ganz was anderes sagen: ich fühle dich und verstehe dich und will dir -offenbaren, wer ich bin, aber nur, wenn wir ganz allein und ungestört -sind.« - -Daria Nikolajewna schwieg. - -»Verstehst du, wie ich es meine? Damit wir einander ganz kennen lernen, -müssen wir mal zusammenkommen ... Ein Rendezvous -- verstehst du -- -natürlich zu politischen Zwecken.« - -Daria Nikolajewna schwieg wieder. Termosesow seufzte, ließ ihre Hand -leise los und sagte: - -»O ihr Weiber im heiligen Rußland! Und ihr wollt es noch den Polinnen -gleichtun! Nein, meine Lieben, mit denen nehmt ihr es noch lange nicht -auf! Gebt den Ismail Termosesow einer Polin, sie würde nicht von ihm -lassen und in Gemeinschaft mit ihm den Ararat auf den Kopf stellen!« - -»Die Polinnen sind ganz was anderes,« sagte Daria Nikolajewna. - -»Warum?« - -»Sie lieben ihr Vaterland und wir hassen unseres.« - -»Was ist denn dabei? Die Feinde der Polinnen sind also alle Feinde der -Unabhängigkeit Polens und eure Feinde sind alle russischen Patrioten.« - -»Das ist wahr.« - -»Nun, wer ist also hier dein schlimmster Feind? Nenn ihn mir und du -sollst sehn, wie er die ganze Schwere der Hand Termosesows spüren wird!« - -»Ich habe viele Feinde.« - -»Nenn mir die schlimmsten! Die allerschlimmsten!« - -»Die schlimmsten sind zwei.« - -»Die Namen dieser Unseligen! Die Namen!« - -»Der eine ist ... der hiesige Diakon Achilla.« - -»Es sterbe der Diakon Achilla!« - -»Der andere ist der Propst Tuberozow.« - -»Wehe dem Propst Tuberozow!« - -»Hinter ihm steht die ganze Stadt, das ganze Volk.« - -»Nun, und was tut das? Termosesow kennt die Obrigkeit und fürchtet -daher keine Stadt und kein Volk.« - -»Die Obrigkeit ist nicht sehr gut auf ihn zu sprechen.« - -»Nicht gut zu sprechen? Um so leichter kommen wir ihm an den Kragen. -Jetzt aber merke dir nur folgendes: Gewinn mich lieb und werde mein, -Herodias!« - -Madame Biziukina küßte ihn ohne Bangen. - -»Das war ehrlich!« rief Termosesow, und nachdem er sie ausgefragt -hatte, was sie von ihren Feinden Tuberozow und Achilla zu leiden -gehabt, drückte er ihr lächelnd die Hand und ging in das Kabinett -zurück, wo sein Gefährte die ganze Zeit über geblieben war. - - - - -Zehntes Kapitel. - - -Der durchlauchtige Gefährte Termosesows lag in einem weißen Jackett auf -dem für ihn aufgeschlagenen Bette, hatte die Füße mit einem leichten -Plaid zugedeckt und schien mit geschlossenen Augen vor sich hin zu -träumen. - -Termosesow wollte sich überzeugen, ob sein Vorgesetzter schlafe oder -sich bloß schlafend stelle, darum trat er leise an das Bett, beugte -sich über das Gesicht des Fürsten und nannte ihn beim Namen. - -»Schlafen Sie?« fragte er. - -»Ja,« antwortete Bornowolokow. - -»Was soll das heißen? Wenn Sie mir antworten, können Sie nicht -schlafen.« - -»Ja.« - -»Das ist also ein Blödsinn.« - -Termosesow begab sich zu dem zweiten Sofa, warf seinen Mantel ab und -streckte sich ebenfalls aus. - -»Während Sie sich hier rekelten, habe ich schon sehr viel geleistet,« -sagte er, sich zurechtlegend. - -Bornowolokow antwortete wieder nichts als »Ja«, es war aber ein ganz -besonderes Ja, sozusagen ein neugieriges Ja, das eher wie eine Frage -klang. - -»Jawohl, ja! Ich kann sagen, daß ich einige für uns sehr bedeutsame -Entdeckungen gemacht habe.« - -»Mit dieser Dame?« - -»Die Dame? Die ist eine Sache für sich. Erinnern Sie sich aber noch, -was ich Ihnen sagte, als ich Sie in Moskau auf der Sadowaja fing?« - -»Ach ja!« - -»Ich sagte: ›Eure Durchlaucht, gnädigster Fürst! So geht man mit alten -Kameraden nicht um, -- daß man sie nämlich fallen läßt. Nur Lumpen -handeln so.‹ Habe ich Ihnen das gesagt oder nicht?« - -»Ja, Sie haben das gesagt.« - -»Aha, Sie erinnern sich noch! Nun, dann müssen Sie sich auch noch -erinnern, wie ich Ihnen meine Gedanken weiter entwickelte und bewies, -daß Sie als unser heutiger Prinz Egalité nicht das Recht haben, auf -Ihre Herkunft und Ihre bevorzugte amtliche Stellung zu pochen und über -uns alte Montagnards, Ihre einstigen Freunde, die Nase zu rümpfen. Ich -habe Ihnen das alles haarklein auseinandergesetzt.« - -»Ja, ja.« - -»Schön! Sie verstanden, daß mit mir nicht gut Kirschen essen ist, und -zeigten sich sehr nachgiebig. Dafür lob' ich Sie. Sie begriffen, daß -Sie mich nicht so am Wege liegen lassen durften, denn Hunger ist ein -böser Berater, und einem Hungrigen fällt alles mögliche ein. Termosesow -hat zudem noch ein vorzügliches Gedächtnis und einen scharfen Riecher. -Als Sie noch ein feuerroter Umstürzler waren, wußte er schon, daß Sie -bestimmt mal Kehrt machen würden.« - -»Ja.« - -»Sie beschlossen, mich als Ihren Sekretär mitzunehmen ... Das heißt, -um der Wahrheit die Ehre zu geben und Sie nicht durch Schmeichelei -zu kränken, Sie entschlossen sich nicht selbst dazu, sondern ich -zwang Sie, mich mitzunehmen. Ich machte Ihnen Angst, ich könnte Ihre -Korrespondenz mit gewissen Freunden an der Weichsel bekannt geben.« - -»Ach!« - -»Tut nichts, mein Fürst, seufzen Sie nicht. Was ich Ihnen damals in -Moskau auf der Sadowaja sagte, als ich Sie am Rockknopf festhielt -und Sie vor mir davonlaufen wollten, das sag' ich Ihnen auch heute -wieder: seufzen Sie nicht und jammern Sie nicht, daß Termosesow über -Sie gekommen ist. Ismail Termosesow wird Ihnen noch einen großen -Dienst leisten. Sie und Ihre gegenwärtige Partei, in der keine solchen -Halunken zu finden sind wie Termosesow, sondern viel feinere Kunden, -gründen Zeitungen und suchen auf diese oder jene Art Fühlung mit dem -Volk zu gewinnen.« - -»Ja.« - -»Das wird Ihnen aber nie gelingen.« - -»Warum nicht?« - -»Weil ihr ungeschickt seid. Die Patrioten erkennen euch sofort an den -Klauen, packen euch am Schopf und schmeißen euch auf die Gasse hinaus.« - -»Hm!« - -»Jawohl! Aber laßt ihr die Zeitungen schwimmen und haltet euch an -Termosesow, so deichselt er euch die ganze Geschichte glänzend. Seien -Sie mein Märchenprinz Iwan, so will ich Ihr grauer Wolf sein.« - -»Ein Wolf sind Sie schon.« - -»Das ist es eben. So ein grauer Wolf schafft Ihnen die goldmähnigen -Rosse und den Feuervogel und die Prinzessin und setzt Sie zu guter -Letzt auf den Königsthron.« - -Und damit sprang der graue Wolf von seiner Lagerstätte auf, lief an das -Bett seines Prinzen Iwan und sagte leise: - -»Rücken Sie mal ein bißchen zur Wand, ich will Ihnen was ins Ohr -flüstern.« - -Bornowolokow gehorchte, und Termosesow setzte sich auf den Bettrand, -legte seinen Arm um den Fürsten und fing mit leiser Stimme an: - -»Versetzen Sie mal der Kirche eins. Da steckt das Gift! Jagt ihren -Bonzen mal einen heilsamen Schrecken ein.« - -»Ich verstehe nichts.« - -»Das Christentum macht die Menschen doch gleich, nicht wahr? Es hat -doch Staatsmänner genug gegeben, die in der Übersetzung der Bibel in -die Volkssprache eine Gefahr sahen. Nein, das Christentum ... man kann -es sehr leicht ... wissen Sie, in gefährlichem Sinne auslegen. Und -solch ein Ausleger kann jeder beliebige Pope sein.« - -»Das klingt ganz plausibel.« - -»Na also. Danken Sie Ihrem Schicksal, daß es Ihnen Termosesow gesandt -hat! Ich stelle Ihnen einen Bericht zusammen, daß sogar Ihre Feinde -Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen und Sie für ein administratives -Genie erklären.« - -Termosesow dämpfte die Stimme noch mehr und fuhr fort: - -»Erinnern Sie sich noch, wie wir schon hier in der Gouvernementsstadt -auf dem Heimweg aus dem Klub mit dem Kanzleivorsteher sprachen, und wie -er einen freisinnigen Popen erwähnte, welcher sogar frech gegen Seine -Exzellenz geworden sei?« - -»Ja.« - -»Daran haben Sie natürlich nicht gedacht, daß dieser Pope Tuberozow -heißt und daß er hier, in dieser Stadt amtiert, wo Sie sich auf dem -Lotterbette rekeln und nichts über ihn zu melden imstande sein werden.« - -Bornowolokow fuhr in die Höhe und fragte, aufrecht auf dem Bette -sitzend: - -»Wie können Sie wissen, was der Kanzleivorsteher mir gesagt hat?« - -»Sehr einfach. Ich ging damals leise hinter Ihnen. Es ist gut, wenn -man Sie immer im Auge behält. Aber das ist jetzt Nebensache. Wir -müssen unsere Taktik zuerst an diesem Tuberozow erproben und seine -Gemeingefährlichkeit, wie überhaupt die Gemeingefährlichkeit derartiger -unabhängiger Charaktere unter den Geistlichen erweisen. So kommen wir -zu dem logischen Ergebnis, daß die Religion überhaupt nur als ein -Zweig der Verwaltung geduldet werden kann. Sobald aber der Glaube als -wirklicher Glaube auftritt, ist er gefährlich und muß eingeschränkt, -muß unter Kontrolle gestellt werden. Diesen Gedanken werden Sie als -Erster verkünden, und man wird ihn stets in Verbindung mit Ihrem Namen -wiederholen, wie man die Gedanken eines Macchiavelli und Metternich -wiederholt. Sind Sie zufrieden mit mir, mein Herr und Gebieter?« - -»Ja.« - -»Und geben mir Vollmacht zu handeln?« - -»Ja.« - -»Wie soll ich dieses Ja verstehen? Heißt das, daß Sie es ebenfalls -wollen?« - -»Ja, ich will es.« - -»Also! Manchmal heißt Ihr Ja nämlich zugleich Ja und Nein.« - -Termosesow erhob sich vom Bette seines Gebieters und sagte: - -»Wir armen Sklaven können nicht lange untätig sein. Uns hat keine -gütige Fee die Mittel in die Hand gegeben, vom Nihilisten im -Handumdrehen zum Satrapen zu werden. Ich sorge für Sie, aber auch für -mich. Ich mag nicht mehr hungern. Wo immer ich mich auch zeige, immer -heißt's ›ein Roter‹ -- und niemand will mich nehmen.« - -»Waschen Sie sich weiß.« - -»Wo soll ich die Seife hernehmen?« - -»Warum haben Sie sich nicht in Petersburg als Spion gemeldet?« - -»Ich hab's versucht,« antwortete Termosesow ungeniert, »aber wir leben -in einem realistischen Zeitalter: alle einträglichen Stellen waren -schon besetzt. Man muß sich erst irgendwie bewährt haben, wurde mir -gesagt.« - -»So bewähren Sie sich doch.« - -»Geben Sie mir Gelegenheit, zu zeigen, was ich kann. Sonst fang' ich, -bei Gott, mit Ihnen an.« - -»Vieh!« zischte Bornowolokow. - -»M--m--m--mu--u--uh!« brummte Termosesow ganz laut. - -Bornowolokow sprang auf, faßte sich entsetzt an den Kopf und rief: - -»Was soll das noch?« - -»Was? Das schwarze Vieh brüllt, weil es fressen will, und es bittet das -weiße, es etwas höflicher zu behandeln,« sagte Termosesow ruhig. - -Bornowolokow knirschte vor Wut mit den Zähnen und drehte sich -schweigend zur Wand. - -»Aha! So ist's schon besser! Zähme deinen Zorn, edler Fürst, und bilde -dir nicht so viel darauf ein, daß du weiß bist, sonst mal' ich dich -so schön an, daß du grau-gelb-grün schimmern wirst und im Schatten -blau mit schwarzen Pünktchen. Vergiß nicht, daß ich dir als Zuchtrute -mitgegeben bin; ich bin der Dorn in den Blättern deines Kranzes. Trage -mich mit Ehrfurcht.« - -Der gemarterte Bornowolokow unterdrückte einen Seufzer und stellte sich -schlafend. Der triumphierende Sieger aber schlief wirklich ein. - - - - -Elftes Kapitel. - - -Daria Nikolajewna war mit ihrer gesamten Dienerschaft eifrig bemüht, -ihren Appartements das frühere Aussehen wiederzugeben. An den Wänden -reihte sich bald wieder Bild an Bild, vor den Kamin stellte sie einen -kostbaren Schirm, auf den Kamin selbst eine schwarze Marmoruhr mit -einem Perpendikel in Gestalt eines Sternes, über die Tische breiteten -sich neue kostbare Decken; Lampen, Porzellan, Bronzen, Statuetten -und allerlei Kleinkram bedeckten jeden freien Platz im Salon und -Schlafzimmer, so daß die Wohnung bald an das Logement einer reichen -Halbweltdame erinnerte, die sich von ihren Verehrern die unnützesten -Dinge ohne Sinn und Verstand hatte schenken lassen. - -Noch als die Arbeit im besten Gange war, erschien unerwartet der Lehrer -Prepotenskij und war völlig verblüfft. Natürlich konnte er diesen -»Schick« nicht billigen. Als aber Daria Nikolajewna, die ihn gar nicht -beachtete, die Unverschämtheit hatte, den Dienstboten zu befehlen, in -Gegenwart des Lehrers die Überzüge von den Möbeln abzunehmen, da wurde -es ihm zu viel, und er fragte: - -»Und Sie schämen sich nicht?« - -»Ganz und gar nicht.« - -»Das ist einfach unverschämt!« rief Prepotenskij, setzte sich in eine -Ecke und nahm ein neues Buch vor. - -In diesem Augenblick hörte man Termosesow im Nebenzimmer husten. Kurz -entschlossen meinte die Biziukina: - -»Gehn Sie raus!« - -Das kam so unerwartet, daß sogar Prepotenskij den harten Sinn dieser -Worte nicht begriff und die Dame ihren Befehl wiederholen mußte. - -»Raus?« fragte der verblüffte Lehrer noch einmal. - -»Ja. Ich wünsche Sie nicht mehr in meinem Hause zu sehn.« - -»Meinen Sie das im Ernst?« - -»Vollkommen im Ernst.« - -Im Zimmer der Gäste wurde es wieder laut. - -»Gehn Sie bitte hinaus, Prepotenskij,« rief die Biziukina ungeduldig. -»Hören Sie? Hinaus!« - -»Aber ich bitte Sie, ich störe doch gar nicht.« - -»Doch, Sie stören!« - -»Ich kann mich ja bessern.« - -»Sie sind unverbesserlich,« widersprach die Hausfrau ungeduldig und -suchte den Gast von seinem Platze zu vertreiben. - -Allein auch Prepotenskij zeigte sich als Mann von Charakter und -verlangte ruhig, aber fest eine Erklärung, warum sie ihn für -unverbesserlich halte. - -»Weil Sie ein kompletter Esel sind!« schrie endlich die Biziukina ganz -außer sich. - -»Ah, das ist etwas anderes,« sagte Prepotenskij aufstehend. »In diesem -Falle bitte ich nur um Rückgabe meiner Knochen.« - -»Fragen Sie Jermoschka danach. Ich hab' ihm befohlen, sie -hinauszuwerfen.« - -»Hinauszuwerfen!« schrie der Lehrer und stürzte in die Küche. Als er -nach einer halben Stunde zurückkam, war Daria Nikolajewna bereits in -einer so blendenden Toilette, daß der Lehrer, als er sie erblickte, -sich am Ofen festhalten mußte, um nicht umzufallen. - -»Ah, Sie sind noch nicht fort?« fragte sie streng. - -»Nein, ich bin nicht gegangen und kann nicht gehn ... denn Ihr -Jermoschka ...« - -»Nun?« - -»Er hat die Knochen an einen Ort geworfen, daß für mich keine Hoffnung -mehr ...« - -»O, ich sehe, Sie wollen hier noch lange predigen!« rief die Biziukina -in wildem Zorn, packte den Lehrer bei den Schultern und stieß ihn ins -Vorzimmer. In demselben Augenblick ging die Tür des Kabinetts auf und -Termosesow erschien auf der Schwelle. - - - - -Zwölftes Kapitel. - - -»Bah! Bah! Bah! Was bedeutet denn das?« fragte er die Biziukina und -rieb sich die verschlafenen Augen. - -»Ach, gar nichts, das ist ... ein dummer Mensch, der früher bei uns -verkehrte,« antwortete sie und ließ den Lehrer los. - -»Weshalb soll er denn jetzt hinausgeworfen werden? Was hat er denn -getan?« - -»Nichts, gar nichts,« sagte Prepotenskij. - -Termosesow sah ihn an und fragte: - -»Wer sind Sie denn?« - -»Der Lehrer Prepotenskij.« - -»Wodurch haben Sie die Dame verletzt?« - -»Durch nichts, durch gar nichts.« - -»So kommen Sie her, ich will Sie versöhnen.« - -Prepotenskij kam sofort zurück. - -»Weshalb nennen Sie ihn eigentlich dumm?« fragte Termosesow die -Hausfrau und hielt dabei den Lehrer an beiden Händen fest. »Ich kann es -nicht finden.« - -»Ja, versteht sich, Sie können mir glauben, ich bin gar nicht dumm,« -sagte Warnawa lächelnd. - -»Ganz richtig, und das Verhalten unserer Frau Wirtin Ihnen gegenüber -kann ich nicht billigen. Aber zum Zeichen der Versöhnung soll sie uns -Tee geben. Ich trinke gern ein Glas Tee, wenn ich geschlafen habe.« - -Daria Nikolajewna ging hinaus, um den Tee zu bestellen. - -»Na, und Sie, Herr Lehrer, nehmen Sie Platz und plaudern wir ein -bißchen. Ich sehe, Sie sind ein guter Kerl, mit dem sich leben -läßt,« begann Termosesow, als er mit Warnawa allein war, der ihn in -fünf Minuten in sein ganzes trauriges Schicksal daheim und draußen -eingeweiht hatte. Nichts wurde vergessen, weder die Mutter, noch die -Totengebeine, noch Achilla, noch Tuberozow, bei dessen Namen Termosesow -seine Aufmerksamkeit verdoppelte. Endlich erzählte der Lehrer auch noch -von der Vormittagsschlacht des Diakons mit dem Kommissar Danilka. - -Bei diesem Bericht räusperte sich Termosesow, klopfte Prepotenskij auf -das Knie und sagte leise: - -»Also, Herr Professor, ich beauftrage Sie hiermit, mir morgen früh -diesen Kleinbürger unbedingt herbeizuschaffen.« - -»Den Danilka?« - -»Ja, den der Diakon beleidigt hat.« - -»Das ist ja eine Kleinigkeit.« - -»Also her mit ihm!« - -»Morgen in aller Frühe ist er hier.« - -»Recht so. Sie sind ein Prachtkerl, Prepotenskij!« lobte ihn -Termosesow, und da in diesem Augenblick die Hausfrau wieder eintrat, -wandte er sich an sie: »Hören Sie, er gefällt mir ausnehmend, und wenn -er mich mit dem Popen Tuberozow bekannt macht, so nenn' ich ihn einen -ganz klugen Kopf.« - -»Ich kann ihn nicht ausstehn und rate Ihnen nicht, seine Bekanntschaft -zu machen,« stammelte Warnawa, »wenn Sie es aber für nötig halten ...« - -»Es ist sehr nötig, lieber Freund.« - -»Dann kommen Sie heute mit zum Abendessen beim Polizeichef, dort lernen -Sie unsere ganze Gesellschaft kennen.« - -»Schön. Ich geh überall hin. Aber ich muß doch eingeladen sein.« - -»Ach, das ist ganz leicht zu machen,« fiel ihm der Lehrer ins Wort. -»Ich werde sofort zum Polizeichef gehen und ihm im Namen von Daria -Nikolajewna mitteilen, sie bäte um Erlaubnis, abends ihren Petersburger -Gast mitzubringen.« - -»Prepotenskij, komm in meine Arme!« rief Termosesow, und als der -Lehrer aufstand und auf ihn zuging, küßte er ihn. Dann drehte er ihn -linksherum und sagte: »Geh und handle!« - -Stolz und seines Ruhmes nun völlig sicher, nahm Warnawa seine Mütze -und ging. Nach einer Stunde, die Termosesow dazu benutzt hatte, der -Biziukina klarzumachen, daß man keinen Dummkopf merken lassen dürfe, -für wie dumm man ihn halte, kam der Lehrer mit der Botschaft zurück, -Porochontzews wären sehr erfreut, die Herrschaften heute abend bei sich -zu sehen. - -»Und was den Kleinbürger Danilka betrifft, den Sie kennen lernen -wollten,« fügte er endlich hinzu, »so habe ich ihn bereits ausfindig -gemacht. Er steht draußen vor dem Tor.« - -Termosesow belobte Warnawa nochmals für seine Findigkeit, stand auf -und bat den Lehrer, ihn an irgendeinen stillen Ort zu führen, wo er -ungestört mit Danilka reden könne. - -Prepotenskij führte Ismail Petrowitsch in die leere Kanzlei des -Akziseeinnehmers und stellte ihm dort den Kommissar vor. - -»Guten Tag, Bürger,« begrüßte ihn Termosesow. »Wie hat Sie der hiesige -Diakon neulich morgens beleidigt?« - -»Er hat mich gar nicht beleidigt.« - -»Gar nicht? Sagen Sie mir alles frei und offen, wie dem Popen in der -Beichte, denn ich bin ein Freund des Volkes, kein Feind. Der Diakon -Achilla hat Sie gekränkt?« - -»Nein, er hat mich nicht gekränkt. Wir haben das schon unter uns -erledigt.« - -»Wie kann man das erledigen? Er hat Sie doch am Ohr durch die Stadt -gezerrt!« - -»Was ist denn dabei? Das sind ja nur Dummheiten.« - -»Wieso Dummheiten? Eine Beleidigung ist es. Bedenken Sie, Bürger, er -hat Sie am Ohr gerissen!« - -»Es war aber doch nur Scherz. Darin finden wir keine Beleidigung.« - -»Wie, Bürger? Ist es möglich, so etwas nicht als Beleidigung anzusehen? -Er soll es doch vor allem Volke getan haben!« - -»Ja freilich.« - -»Da müssen Sie doch eine Klage einreichen.« - -»Wem denn?« - -»Nun, dem Fürsten, der mit mir gekommen ist.« - -»Schon recht.« - -»Also wollen Sie klagen oder nicht?« - -»Worauf soll ich denn klagen?« - -»Er kann zu hundert Rubel Strafe verurteilt werden.« - -»Das stimmt.« - -»Sie sind also einverstanden. So ist's recht, Prepotenskij! Setz dich -und schreib, was ich dir diktieren werde.« - -Und Termosesow diktierte eine Beschwerde an Bornowolokow, kurz, aber -gehaltvoll; auch der Propst war darin nicht vergessen: er hätte der -Lynchjustiz des Diakons Vorschub geleistet und dem Kläger sogar gesagt, -daß die ihm zuerteilte Lektion wohlverdient gewesen. - -»Nun unterzeichne, Bürger!« Und Termosesow stopfte Danilka die Feder -gewaltsam in die Hand, aber der »Bürger« erklärte plötzlich, er wolle -nicht unterschreiben. - -»Was? Sie wollen nicht?« - -»Nein, ich bin damit nicht einverstanden.« - -»Was soll das heißen? Teufel noch einmal! Erst schweigst du, und -nachdem man dir die Beschwerde gratis aufgesetzt hat, willst du nicht -unterschreiben!« - -»Nein, ich will nicht.« - -»Man soll dir wohl noch einen Rubel geben, damit du unterschreibst? Das -ist zu viel verlangt, mein Lieber. Sofort unterschreibst du!« - -Termosesow packte den Widerspenstigen wütend beim Kragen und zerrte ihn -zum Tisch. - -»Ich ... wie es Eurer Gnaden gefällt ..., aber ich unterschreibe -nicht,« stotterte der Kleinbürger und ließ die Feder absichtlich fallen. - -»Ich will dich lehren! Wie's Eurer Gnaden gefällt! Und wenn es mir nun -gefällt, deiner Gnaden ein Dutzend mal in die Fresse zu hauen?« - -Der Bürger fuhr entsetzt zurück und stammelte: - -»Euer Hochwohlgeboren, erbarmen Sie sich, zwingen Sie mich nicht! Meine -Klage wird doch zu nichts führen!« - -»Warum nicht?« - -»Ich hab' schon einmal klagen wollen, als der fürstliche Verwalter -Glitsch mich mit Nesseln auspeitschen ließ, weil ich auf die Wette des -Polizeichefs hin sein Pferd stehlen wollte. Damals rieten alle mir ab. -Klage nicht, Danilka, sagten sie, denn dann kommt es zu einer großen -Untersuchung, und dann sagen wir alle, daß du längst schon in Sibirien -sein müßtest. Ja, und ich kannte mich selber zu gut, um zu wissen, daß -ich kein Recht mehr habe, meine Ehre zu verteidigen.« - -»Wie du über deine Ehre denkst, das kommt hier gar nicht in Betracht.« - -»Und die hiesigen Herren Beamten wissen auch ...« - -»Deine hiesigen Herren Beamten mögen wissen, was sie wollen, wir sind -aber keine hiesigen, wir sind aus Petersburg. Verstehst du das? Aus der -Residenz, aus Petersburg! Und ich befehle dir: sofort unterschreibst -du, du gottverdammtes Luder, ohne alle Widerrede, sonst ... sonst -fliegst du auch ohne Untersuchung nach Sibirien.« - -Und der bärenstarke Termosesow drückte mit der Rechten die Hand und mit -der Linken die Kehle des Kommissars so kräftig zusammen, daß Danilka im -Nu rot wurde, wie ein gekochter Krebs, und kaum noch hörbar röchelte: - -»Um Gottes willen, lassen Sie mich los! Ich unterschreibe ja alles!« - -Ächzend und hustend setzte er seine Krakelfüße unter das Gesuch. - -Termosesow steckte das Papier in die Tasche, hielt Danilka die Faust -unter die Nase und sagte drohend: - -»Bürger, wenn du dich irgendwie vor der Zeit verplapperst, daß du dich -beschwert hast ...« - -Danilka, der immer noch hustete, machte nur eine abwehrende Bewegung -mit der ganz erstarrten Hand. - -»... Dann schlag ich dir die ganze Fratze zu Brei, multipliziere die -Wangen, subtrahiere die Nase und verwandle die Zähne in Brüche!« - -Der Kleinbürger winkte mit beiden Händen ab. - -»Jetzt hast du aber genug gekrächzt! ~Allez, marchez~ zur Tür hinaus!« -kommandierte Termosesow, schob den Haken von der Tür zurück und gab -Danilka auf der Schwelle einen so kräftigen Stoß, daß er über den an -das Haus angebauten Hühnerstall hinwegflog und auf den warmen Rasen zu -sitzen kam. Er sah sich nur noch einmal um, spuckte aus und rollte dann -auf allen vieren zum Tor hinaus. Er hustete nicht einmal mehr. - -Prepotenskij war von dieser Kraftprobe so entzückt, daß er laut -applaudierte. - -»Was fällt dir ein?« fragte Termosesow. - -»Sie sind stärker als Achilla! Jetzt brauch' ich ihn nicht mehr zu -fürchten!« - -»Das brauchst du auch nicht.« - - - - -Drittes Buch. - - - - -Erstes Kapitel. - - -Als Termosesow und seine Genossen beim Polizeichef erschienen, -hatte Tuberozow schon eine Stunde abseits von den übrigen Gästen -mit dem Adelsmarschall Tuganow geplaudert. Der alte Propst brachte -dem vornehmen Gaste wieder all die Klagen vor, welche wir in seinem -Tagebuche gelesen haben, -- und erhielt die alten Scherzworte zur -Antwort. - -»Was soll aus dieser Zerrüttung noch werden?« fragte der Propst und -runzelte die Brauen. Der Adelsmarschall aber erwiderte ihm lachend: - -»Wer kann wissen, was noch werden wird, mein Lieber?« - -»Ohne Ideale, ohne Glauben, ohne Achtung vor den Taten der großen -Vorfahren ... Das ... das muß Rußland zugrunde richten.« - -»Nun, wenn es zugrunde gehen soll, wird es eben zugrunde gehen,« sagte -Tuganow gleichgültig und stand auf. »Aber weißt du, -- gehen wir wieder -zu den Gästen. Unser Gespräch führt doch zu nichts. Du bist ein Maniak.« - -Der Propst trat einen Schritt zurück und sagte gekränkt: - -»Wieso bin ich ein Maniak?« - -»Was drängst du dich den Leuten auf und läßt niemand seine Ruhe? Ideal! -Glauben! Was soll man tun, guter Freund, wenn die Zeit dafür vorüber -ist?« - -Tuberozow lächelte, seufzte leise und antwortete, nicht die Zeit des -Glaubens und der Ideale sei vorüber, sondern die Zeit der +Worte+. - -»Nun, so vollbringe +Taten+, Freund.« - -»Auch Taten sind noch nicht genug.« - -»Was brauchen wir denn?« - -»Großtaten.« - -»So vollbringe Großtaten. Aber in welcher Art?« - -»Im Geiste der Kraft, im Wehen des Sturmes. Daß die, so das Feuer -löschen wollen, selber von der Flamme ergriffen werden.« - -»Ja, ja, du willst wieder streiten. Halt lieber Frieden, Vater.« - -»Parmen Nikolajewitsch, ich höre so viel von diesem Frieden reden. -Aber wie soll man Frieden schließen mit einem, der gar nicht um Pardon -bittet? So ein Frieden taugt nicht viel, und unsere Altvordern sagten -nicht umsonst: ›Eh du den Gevatter nicht verprügelt hast, kannst du ihm -keinen Friedenstrunk reichen‹.« - -»Ohne Prügel geht's bei ihm nicht.« - -»Gewiß nicht, Freund.« - -»Du bist noch der richtige Seminarist.« - -»Ich will auch gar nicht den großen Herrn spielen.« - -»Sag mal, willst du durchaus leiden? Das tut man nicht einer -Kleinigkeit wegen. Spare deine Kräfte für eine bessere Sache.« - -»Sparsame Leute gibt es ohne mich genug. Ich muß meine Pflicht -erfüllen.« - -»Der letzte wäre ich, der dich abhielte, deine Pflicht zu erfüllen, -wie dein Gewissen sie dir vorschreibt. Geh hin und versuch es, die -Schamlosen zu beschämen. Wenn du es kannst, heißest du Hans. Aber jetzt -laß uns zu den Gastgebern gehen. Ich muß bald fort.« - -Der Propst folgte ihm. Er versuchte sich zusammenzunehmen, war aber -sehr entmutigt. Er hatte etwas ganz anderes von dieser Zusammenkunft -erwartet, ohne sich wohl selbst sagen zu können, was eigentlich. - - - - -Zweites Kapitel. - - -Die beiden alten Herren saßen schon in dem kleinen Wohnzimmer, als die -Hausfrau Warnawa und Termosesow hineinführte. Die Mehrzahl der andern -Gäste befand sich im Saal. Man plauderte, spielte Klavier und versuchte -zu singen. Die Biziukina, welche sich sonst überall zu Hause fühlte, -hatte nicht den Mut, ihren Kavalieren ins Wohnzimmer zu folgen; da ihr -andererseits die Gesellschaft der Damen nicht sympathisch war, nahm sie -nahe der Tür Platz. - -Das Wohnzimmer war ein schmaler Raum. Auf dem Sofa vor dem Tisch saßen -Tuganow und Tuberozow, während der sanfte Benefaktow, Darjanow und -der Kreisadelsmarschall Plodomasow auf Stühlen Platz genommen hatten. -Achilla stand hinter einem leeren Sessel und stützte die Hand auf -die Lehne. Die Biziukina bemerkte, wie Termosesow das Zimmer betrat, -sich höchst ehrerbietig verneigte, und -- was wohl keiner für möglich -gehalten hatte -- plötzlich auf Tuberozow zuschritt und um seinen -Segen bat. Am meisten erstaunt darüber war wohl Vater Sawelij selbst. -Er wußte im ersten Augenblick nicht recht, was er tun sollte, und als -er dem Gast den erbetenen Segen erteilte, sah man ihm die Verwirrung -deutlich an. Als Termosesow aber seine Hand küssen wollte, verlor -der Propst so vollkommen die Fassung, daß er mit einer schnellen, -energischen Bewegung Termosesows Hand nach unten zog und so fest -drückte und schüttelte, als wäre es die Hand seines besten Freundes. - -Termosesow bat auch Zacharia um seinen Segen, und der sanfte Benefaktow -erwies sich diesmal findiger als Tuberozow. Er erteilte dem Gast nicht -nur den Segen, sondern schob auch ganz ungeniert sein gelbes Händchen -an den Mund des Abenteurers. - -Einmal im Zuge, ging Termosesow nun noch auf Achilla zu, um sich von -ihm auch segnen zu lassen. Aber dieser machte einen gewandten Kratzfuß -und meinte: - -»Ich bin bloß Diakon.« - -Hierauf drückten sie einander die Hände und Achilla lud Termosesow -ein, es sich in dem Lehnsessel, hinter dem er stand, bequem zu machen. -Termosesow jedoch lehnte diese Ehre höflich ab und setzte sich auf -den zunächst stehenden Stuhl, während Prepotenskij, den hergebrachten -Anschauungen seiner »Richtung« treu bleibend, sich möglichst weit -entfernte, um gegenüber der weitgeöffneten Saaltür Platz zu nehmen. - -Hiermit wollte er erstens andeuten, daß er mit der Gesellschaft im -Wohnzimmer nichts gemein habe, und dann konnte er von seinem Platz -aus die Biziukina sehen, welche alles hören sollte, was er sagte. Der -Lehrer empfand die dringende Notwendigkeit, sein Ansehen wieder zu -heben, welches durch das Erscheinen Termosesows stark beeinträchtigt -worden war, und wartete auf eine günstige Gelegenheit, Streit vom -Zaun zu brechen und der Biziukina, wenn auch nicht die Überlegenheit -seines Geistes, so doch wenigstens die Reinheit seiner Überzeugung zu -beweisen. Und da derjenige, welcher Streit sucht, in jedem Wort einen -willkommenen Anlaß erblickt, so brauchte Warnawa auch nicht lange in -Schweigen zu verharren. - - - - -Drittes Kapitel. - - -Beim Eintreten der neuen Gäste erzählte der Adelsmarschall Plodomasow -dem Propst gerade von den jüngsten Reformen im Kirchenwesen. - -»Seine Eminenz ist ein Mann von großen Geistesgaben,« meinte der Propst. - -»Und auch ein großer Humorist,« bemerkte Tuganow. »Wir haben hier einen -ungeheuer arroganten Gendarmenoffizier, der sich einbildet, alles zu -können.« - -»Das ist immer so, die Gendarmen können alles,« fiel Prepotenskij ein, -ohne daß man auf ihn achtete. - -»Dieses Herrchen hatte in Erfahrung gebracht,« fuhr Tuganow fort, »daß -bei unserm Bischof noch nie jemand zu Mittag gespeist hätte, -- und -wettete im Klub mit dem Polizeimeister, er werde schon mal bei dem -Alten essen. Ausgerechnet muß der Bischof Wind davon bekommen.« - -»O weh, o weh!« sagte Zacharia gedehnt. - -»Besagter Kavallerist macht also Seiner Eminenz seinen Besuch am frühem -Morgen und geht einfach nicht fort. Als es bereits sechs Uhr vorüber -ist, kann er's natürlich vor Hunger nicht mehr aushalten und will sich -verabschieden. Aber der schweigsame Bischof, der ihm die ganze Zeit -zugehört hatte, ohne selbst zu reden, meinte sehr freundlich: ›Wollen -Sie nicht zum Essen bleiben?‹ Na, denkt er, die Wette ist gewonnen! -Aber der Bischof ließ ihn noch eine Stunde hungern, ehe es zu Tische -geht.« - -»Das war doch unnütz,« warf Zacharia ein, »ganz unnütz.« - -»Warten Sie nur. Sie treten also ins Eßzimmer ein. Der Bischof bleibt -vor dem Gottesbilde stehen und beginnt zu beten, -- ein Gebet, dann -noch eins, und ein drittes. -- Es vergeht wieder eine ganze Stunde und -der hungrige Gast ist fast dem Verenden nahe. ›So, nun kann das Essen -aufgetragen werden,‹ sagt Eminenz endlich. Und zwei winzige Teller -mit Erbsensuppe und Zwieback werden gebracht. Als sie verzehrt sind, -erhebt sich der Bischof wieder und sagt: ›Danken wir jetzt dem Herrn, -der uns gesättigt hat.‹ Das ward dem Kriegsmann denn doch zu viel, und -während der Bischof betete, schlich er sich unbemerkt aus dem Zimmer. -Der Alte erzählte es mir gestern: ›Dieser Geist läßt sich durch nichts -austreiben, es sei denn durch Beten und Fasten,‹ schloß er.« - -»Er ist ein Mann von Geist und von feinem und angenehmem Benehmen,« -sagte Tuberozow, dem diese Anekdötchen wenig Freude zu machen schienen. - -»Ja, aber er klagt und jammert auch, es gäbe keine Leute. ›Wir fahren -über ein tiefes Meer,‹ sagt er, ›auf schwankem Schiff mit trunkenen -Matrosen. Gott bewahre uns vor einem Sturm.‹« - -»Ein bitteres Wort,« warf Tuberozow ein. - -»Übrigens,« begann Tuganow von neuem, »meinte er, Euere Stadt mache ihm -keine Sorgen. ›Ich habe dort zwei Popen,‹ bemerkte er, ›der eine ist -klug und der andere fromm.‹« - -»Der Kluge ist Vater Sawelij,« bestätigte Zacharia. - -»Wieso meint Ihr, daß gerade Vater Sawelij der Kluge sei?« - -»Weil ... weil er weise ist,« erwiderte Zacharia verlegen. - -»Und Vater Zacharia ist in die zweite Reihe gerückt,« fiel der Diakon -ein. - -Tuberozow sah mit einem mißbilligenden Kopfschütteln zu ihm hinüber. - -Um seine Taktlosigkeit wieder gut zu machen, fuhr Achilla schnell fort: - -»Seine Eminenz haben den Vater Zacharia fromm genannt, weil sich noch -nie jemand über den Vater Zacharia beschwerte.« - -»Ja, beschwert hat sich noch niemand,« seufzte Zacharia. - -»Der Vater Sawelij aber ist ein unruhiger Kopf,« scherzte Tuganow. - -Dieser Augenblick erschien dem Lehrer willkommen, und er warf -schnell ein, die unruhigen Köpfe unter der Geistlichkeit seien -die Denunzianten; das religiöse Gewissen aber müsse frei sein. -Unvorsichtigerweise antwortete Tuganow darauf, Gewissensfreiheit sei -allerdings notwendig und es sei sehr zu bedauern, daß man sie in -Rußland noch nicht habe. - -»Ja, und unsere arme Kirche wird deshalb von allen Seiten mit -unverdienten Vorwürfen überschüttet,« fügte Tuberozow hinzu. - -»Worüber habt Ihr Euch denn zu beklagen?« fiel ihm Prepotenskij lebhaft -ins Wort. - -»Wir beklagen uns über die Unduldsamkeit,« erwiderte Tuberozow trocken. - -»Ihr leidet darunter ja nicht.« - -»O doch. Bitter leiden wir. Ihr predigt laut und frei, den Glauben -solle man abschaffen, und es geschieht euch nichts dafür. Wenn aber wir -auch nur ganz leise sagen, es wäre besser, eure Lehren würden nicht -überall verkündigt, so ...« - -»Ach -- so meint Ihr das!« unterbrach ihn der Lehrer. »Ihr wollt gegen -uns hetzen, damit man uns den Garaus macht.« - -»Nein, Ihr wollt uns den Garaus machen.« - -Prepotenskij wußte nicht, was er antworten sollte. Leugnen wollte er es -nicht, fürchtete sich jedoch, es einfach zuzugeben. Tuganow half ihm -aus der Schwierigkeit und erklärte, der Vater Propst sei nur ungehalten -darüber, daß es Leute gebe, die es sich zur Aufgabe machten, schlichte -Herzen um ihren Glauben zu bringen. - -»Am meisten aber bekümmert mich, daß es ihnen gelingt, weil man ihnen -Vorschub leistet.« - -Prepotenskij lächelte. - -»Es gelingt,« sagte er, »weil der Glaube ein Luxus ist, der dem Volk -sehr teuer zu stehen kommt.« - -»Wohl nicht teurer als der Suff,« sagte Tuganow kühl. - -»Ja, aber die neuen Menschen,« -- fing der Lehrer wieder an. - -»Taugen nichts, und eben deshalb ist der Teufel los.« - -»Weil die Spione ihnen ins Handwerk pfuschen.« - -»Ach wo! Einfach Halunken sind es.« - -»Halunken?« - -»Jawohl. Immer noch, wenn es irgendwo eine Gärung gegeben hat, haben -sich zu guter Letzt Halunken der Bewegung bemächtigt, weil sich im -Trüben gut fischen läßt. Da hat man sich bei uns so lange mit diesen -... Nihilisten -- so heißen sie doch wohl -- geplagt. Erst schlug sich -die Regierung mit ihnen herum, Gesellschaft und Presse sind heute noch -nicht mit ihnen fertig geworden, -- Schluß mit ihnen machen werden aber -die Halunken, die sich ihnen zum Schein anschließen, um ihnen später -den Hals umzudrehen, und dann kommt die große Wendung der Dinge.« - -Prepotenskij warf einen ängstlichen Blick auf die Biziukina. Es -verwirrte ihn, daß Tuganow seine kühnen Tiraden so einfach in nichts -auflöste, wie der Frühlingsnebel die Schneeflecken auf dem Felde -verschlingt. Warnawa suchte Hilfe und wandte seine Blicke deshalb -Termosesow zu, welcher aber nicht zu ihm hinüberschaute. Der Diakon -Achilla, der schon lange vergeblich versuchte, dem Lehrer durch Zeichen -zu verstehen zu geben, daß er schweigen solle, rief jetzt laut: - -»Halt den Mund, Warnawa Wasiljewitsch, es ist langweilig!« - -Der Lehrer geriet in Wut, besonders als auch Tuganow sich von ihm -abgewandt hatte. Er wollte deshalb die Bombe zum Platzen bringen. - - - - -Viertes Kapitel. - - -Prepotenskij sprang von seinem Platz auf und lief auf Tuganow zu, der -sich wieder mit dem Propst unterhielt. - -»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche ... Aber ich ... ich stehe -für die Freiheit.« - -»Ich auch,« sagte Tuganow und neigte sich wieder zum Propst. - -»Lassen Sie mich doch ausreden!« rief der Lehrer. - -Nun wandte sich Tuganow ihm zu. - -»Wissen Sie, daß die Freiheit nicht gegeben wird, sondern genommen?« -fragte Warnawa. - -»Nun und --?« - -»Wer soll sie denn nehmen, wenn die neuen Menschen nichts taugen?« - -»Die Entwicklung der Dinge wird sie nehmen.« - -»Also wird sie doch genommen und nicht gegeben. Ich habe recht. Ich -sagte es: sie wird genommen werden.« - -»Das sagt man dir doch auch!« rief ihm Achilla zu. - -»Aber das ist doch meine Meinung: sie wird genommen werden!« - -»Hat denn jemand etwas anderes gesagt? Parmen Semenowitsch spricht ja -die ganze Zeit davon,« unterstützte plötzlich Termosesow den Diakon und -suchte dabei den Namen Tuganows möglichst deutlich und im herzlichsten -Ton auszusprechen. - -»Für mich wird's aber Zeit,« sagte Tuganow leise und erhob sich, um in -den Saal zu gehen, aber der Lehrer überfiel ihn von neuem. - -»Noch ein Wort,« drängte er. »Mir scheint, es ist Ihnen unangenehm, daß -jetzt alle gleich sind.« - -»Nein, es tut mir leid, daß nicht alle gleich sind.« - -Prepotenskij stockte einen Augenblick. Dann sprach er: - -»Das ist doch eine Tatsache, alle müssen gleich sein.« - -»Parmen Semenowitsch sagt Ihnen das ja: alle müssen gleich sein,« -mischte sich nun Termosesow hinein, der neben Tuganow getreten war und -den Lehrer von ihm fortzudrängen sich bemühte. - -»Aber erlauben Sie,« -- er suchte von der andern Seite heranzukommen, -wo ihm aber Achilla den Weg vertrat. - -»Laß doch,« sagte er, »du redest doch bloß dummes Zeug.« - -»Erlauben Sie, seien Sie so gut,« wehrte sich Prepotenskij und -versuchte nun einen Frontangriff. »Ich meine bloß: Ihnen gefällt es -wohl in England, weil da die Lords sind ... Sie sind unzufrieden, daß -die Standesprivilegien aufgehoben sind?« - -»Sind sie das?« - -»Geh weg, du weißt nichts,« stieß Achilla den Lehrer zur Seite, aber -dieser lief noch einmal um Tuganow herum und versuchte einen zweiten -Frontangriff. - -»Über jedes Ding kann man verschiedene Meinungen haben.« - -»Was wollen Sie eigentlich von mir?« rief Tuganow lachend. - -»Ich meine, man kann verschieden urteilen.« - -»Bloß, daß ein Urteil vernünftig ist und das andere dumm,« mischte sich -Termosesow wieder hinein. - -»Sagen wir lieber: gerecht und ungerecht,« bemerkte Tuganow in -versöhnlichem Tone. - -»Auch Gott kennt nur eine Wahrheit,« rief der Diakon. - -»Zwischen zwei Punkten kann man nur eine gerade Linie ziehen,« sagte -Termosesow. - -Prepotenskij geriet außer sich. - -»Was ist denn das? So kann man ja gar nicht reden!« rief er. »Ich bin -allein unter lauter Kriechern und Heuchlern. Da habt ihr leichtes -Spiel. Ich weiß nur eines: ich achte nichts Althergebrachtes.« - -»Das eben ist althergebracht. Wann hat man bei uns je Achtung vor der -Geschichte gehabt?« - -»Weißt du was? Sei jetzt ganz still, du Schaf,« sagte Achilla in -freundschaftlichstem Tone. Die Biziukina wandte sich verächtlich vom -Lehrer ab, Termosesow versuchte noch einmal, ihn zur Seite zu schieben -und trat ihm dabei auf den Fuß, so daß der Lehrer, der sich in der -Aufregung leicht versprach, laut aufschrie: - -»Au! Sie haben mir auf mein liebstes Hühnerauge getreten!« - -Das »liebste Hühnerauge« rief ein schallendes Gelächter hervor, während -dessen sich Tuganow von der Hausfrau verabschiedete. - -Schellen erklangen und ein Sechsgespann frischer Postpferde fuhr den -Tuganowschen Reisewagen vor das Haus. Wenn Prepotenskij sich noch -rehabilitieren wollte, mußte es sofort geschehen, hastig riß er sich -von Achilla und Termosesow los, die ihn festhalten wollten, und hüpfte -auf seinem »liebsten Hühnerauge« zu Tuganow, indem er rief: - -»Und ich werde doch immer weiter gegen den Adel und für das Naturrecht -kämpfen.« - -Tuganow drehte sich in der Tür um und sagte zu Warnawa: - -»Die natürlichste Lebensform ist doch ... das Leben der Pferde da, die -mich gleich fortschaffen sollen. Aber sehn Sie, man spannt sie vor den -Wagen, damit sie einen Edelmann ziehen.« - -»Und wird sie unterwegs noch mit der Peitsche bearbeiten, daß sie fixer -vorwärts kommen,« fiel der Diakon ein. - -»Das Vieh wird immer geschlagen,« pflichtete Termosesow ihm bei. - -»Wieder fallen alle über einen her!« schrie der Lehrer, »aber ich lasse -nicht ab!« - -»Dann bist du also ein Stänker,« sagte Achilla. - -»Du rufst den Abgrund gegen den Abgrund auf,« bemerkte Zacharia. - -»Wißt Ihr denn, was das heißt: der Abgrund ruft den Abgrund herbei?« -erwiderte Warnawa voller Wut. »Das heißt: ein Pope ladet den andern zu -Besuch!« - -Diese Äußerung erregte ein helles Gelächter, das durch den Saal -ertönte. Nur Tuberozow zog die Brauen zornig zusammen, riß krampfhaft -an dem Bande seines Brustkreuzes und ging in das Wohnzimmer zurück. - -»Der Alte ist ganz zum Maniak geworden,« sagte Tuganow, ihm -nachblickend. - -»Leider Gottes. Er liest die Zeitungen und regt sich auf und klagt und -seufzt und kann über nichts mehr ruhig sprechen,« antwortete Darjanow. - -»Er hört uns,« flüsterte Achilla leise. - -Sawelij hatte wirklich alles gehört ... - -Warnawa fühlte sich wieder. Er glaubte durch seinen Witz mit dem -Abgrund seine Chancen bedeutend gebessert zu haben, und das gab ihm den -Mut, dem Propst ganz unvermittelt nachzulaufen, ihn am Ärmel zu fassen -und zu sagen: - -»Ich möchte Euch etwas fragen: vorgestern war ich in der Kirche und -hörte, wie ein Priester plötzlich das Wort ›Schafskopf‹ aussprach. Was -hat der Klerus zu singen, wenn der Priester ›Schafskopf‹ ruft?« - -»Der Klerus singt dreimal: ›Ist der Lehrer Prepotenskij‹,« erwiderte -Sawelij. - -Ob dieser unerwarteten Antwort waren alle einen Augenblick ganz -verblüfft und brachen gleich darauf in ein dröhnendes Gelächter aus. - -Prepotenskij hatte das Spiel verloren. - - - - -Fünftes Kapitel. - - -Je tiefer der Stern des Lehrers sank, desto höher stieg derjenige -Termosesows. Spielend gewann er die Gunst der gesamten Weiblichkeit; -der Frau Postmeisterin machte er geradezu den Hof, und zwar in -einer Weise, die dem Lehrer aufs äußerste mißfiel; denn Termosesow -huldigte ihr nicht als Dame, sondern gewissermaßen als Vertreterin der -Staatsgewalt. - -Beim Abendessen ließ Termosesow die Damen mehr oder weniger im Stich -und hielt sich an die Herren. Mit jedem stieß er an und leerte dabei -eine recht beträchtliche Zahl Gläser, ohne daß irgendeine Wirkung zu -bemerken gewesen wäre. Schnell war er gut Freund mit Achilla, Darjanow -und Vater Zacharia. Auch Tuberozow redete er wiederholt an, aber der -Alte zeigte sich sehr wenig entgegenkommend. Dafür begann Achilla, nach -einem etwa halbstündigen Gespräch, zur nicht geringen Verwunderung der -Anwesenden, den Petersburger Gast plötzlich zu duzen, drückte ihm die -Hand, küßte seine wulstige Lippe und verlieh ihm sogar Kosenamen. - -»Bei Gott, dieses Termoseslein ist ein Mordskerl,« predigte der -Diakon. »Haben wir zwei es dem Lehrer nicht fein gegeben? Nicht? Nein, -Bruder Termosesselchen, du darfst nicht fort von hier. Was hast du -in Petersburg zu suchen? Hier können wir zwei beide im Winter Füchse -fangen. Das ist ein Hauptspaß, Brüderlein. Nicht?« - -»Freilich, freilich,« antwortete Termosesow und begann nun seinerseits -den Diakon zu preisen und nannte auch ihn einen Mordskerl. Und dann -küßten die beiden Mordskerle sich wieder. - -Als das Fest sich zu seinem Ende neigte und Zacharia und Tuberozow -schon heimgehen wollten, hielt Termosesow den Diakon am Ärmel zurück -und sagte: »Du hast doch keine Eile?« - -»Eigentlich nicht,« antwortete Achilla. - -»Dann warte noch etwas, wir gehen zusammen.« - -Achilla erklärte sich bereit und Termosesow schlug noch ein Tänzchen -vor. Er tanzte zuerst mit der Postmeisterin, dann mit ihren Töchtern, -dann mit noch zwei oder drei andern Damen, und zu allerletzt mit der -Biziukina. Dann aber kriegte er den Diakon zu fassen, drehte ihn im -Walzertakt ein paarmal herum und führte, als er ihn, wie eine Dame, an -seinen Platz gebracht hatte, seine Hand an die Lippen, küßte aber die -eigene. - -Achilla, der darauf nicht im mindesten gefaßt war, geriet in -Verlegenheit und riß seine Hand hastig zurück, Termosesow jedoch lachte -unbändig und sagte: - -»Hast du dir wirklich eingebildet, ich würde deine Kutschertatze -küssen?« - -Der Diakon war gekränkt und dachte: ›Am Ende hätt' ich mich lieber -nicht mit dem Kerl einlassen sollen.‹ Aber da man sich gleich darauf -auf den Heimweg machte, so schloß er sich der Gesellschaft an. Die -Familie des Postmeisters, der Diakon, Warnawa, Termosesow und Madame -Biziukina gingen zusammen. Erst wurde die Frau Postmeisterin mit ihren -Töchtern nach Hause gebracht, und bei dieser Gelegenheit hörte Achilla, -wie sie beim Abschied zu Termosesow sagte: - -»Ich hoffe, wir sehen uns häufiger.« - -»Daran zweifle ich keinen Augenblick,« antwortete Termosesow und -fügte noch hinzu: »Sie fanden es so hübsch, daß der Polizeichef -sein Wohnzimmer mit den Bildnissen der ganzen kaiserlichen Familie -geschmückt hat?« - -»Ja, ich wünsche sie mir schon so lange.« - -»Diesen Wunsch kann ich Ihnen morgen erfüllen.« - -Und damit trennten sie sich. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Kaum hatte man sich von der Postmeisterin verabschiedet, so erklärte -Termosesow, es müßten unbedingt alle noch einen Augenblick mit ihm bei -der Biziukina vorsprechen. - -»Du gestattest es doch?« fragte er, halb zu ihr gewendet. - -Es schien ihr nicht sehr angenehm, aber sie sagte trotzdem ja. - -»Irgendein Gesöff wird sich bei dir wohl finden?« - -Daria Nikolajewna wurde verlegen. Gerade heute hatte sie vergessen, -Wein holen zu lassen, und erinnerte sich auch, daß man heute mittag -die letzte Flasche Xeres so gut wie leer getrunken hatte. Termosesow -bemerkte ihre Verlegenheit und sagte: - -»Na, Bier wird es doch wenigstens geben?« - -»Bier ist da.« - -»Das wußte ich. Bier haben die von der Akzise immer. Hast du auch Meth?« - -»Ja.« - -»Das ist ja famos! Nun, meine Herrschaften, wir haben Bier und Meth, -und da braue ich euch ein Blachdnublach zusammen, daß ihr ...« -Termosesow küßte seine Finger und beschloß: »daß ihr zum Schluß die -eigene Zunge mit verschlucken sollt.« - -»Was ist das für ein Blech und Blech?« fragte Achilla. - -»Nicht Blech und Blech, sondern Blachdnublach -- ein Getränk aus Bier -und Meth. Vorwärts!« Und er zog Achilla am Ärmel. - -»Warte doch,« widersetzte sich der Diakon. »Was ist denn das für -ein Blech und Blech? Bei Begräbnissen trinkt man es und nennt es -›Biermeth‹.« - -»Ich sage dir aber, es ist kein Biermeth, sondern Blachdnublach. -Vorwärts!« - -»Nein, warte!« protestierte der Diakon wieder. »Ich kenne diesen -Biermeth ... Eins, zwei, drei, liegt man da wie ein Klotz. Ich trink' -das Zeug nicht.« - -»Ich sag' dir doch, es gibt Blachdnublach und nicht Biermeth!« - -»Und doch sollten wir's heut nicht mehr trinken,« antwortete der -Diakon. »Sonst gibt's morgen einen wüsten Brummschädel.« - -Prepotenskij war derselben Ansicht, aber keiner von beiden besaß -Charakterfestigkeit genug, seine Meinung durchzusetzen, und so blieb -Termosesow schließlich Sieger und schleppte sie in die Wohnung der -Biziukina. Sein Plan war, das Gesöff in der Laube einzunehmen, und -so wurden alsbald eine Unmenge Bier- und Methflaschen nebst dem dazu -gehörigen Imbiß dorthin gebracht, und Termosesow begann sofort mit der -Bereitung des Blachdnublach. - -Warnawa Prepotenskij hatte sich neben Termosesow gesetzt. Der Lehrer -wollte den Gast sofort zur Rede stellen, weshalb er vor Tuganow -so gekatzbuckelt und ihn bei seinen Angriffen gegen ihn, Warnawa, -unterstützt hatte. - -Aber zum größten Erstaunen Prepotenskijs schien Termosesow nicht die -geringste Lust zu haben, mit ihm zu plaudern, denn statt der erwarteten -freundlichen Antwort kam es schroff und ungeduldig von seinen Lippen: - -»Wir sind alle gleich: Kleinbürger, Adel und niederes Volk. Lassen Sie -mich mit Ihrer Politik in Frieden, ich will jetzt trinken.« - -»Aber Sie müssen doch zugeben, daß Leute mit Besinarmildung etwas -Besseres sind, als ...« stammelte Warnawa verwirrt. - -»Da haben wir's!« unterbrach ihn Termosesow. »Erst das liebste -Hühnerauge, und jetzt die Besinarmildung! Der richtige Cicero!« - -»Das passiert ihm oft, wenn er aufgeregt ist. Er will ein Wort sagen -und es kommt ein anderes heraus,« trat Achilla für Prepotenskij ein -und erzählte, wie der Lehrer infolge dieses Defekts einmal beinahe -um den Verkehr in einem sehr feinen Hause gekommen wäre. »Er hatte -zu der Wirtin sagen wollen: ›Matrona Iwanowna, darf ich noch um ein -Zitronenscheibchen bitten?‹ -- und sagte statt dessen: ›Zitrona -Iwanowna, bitte noch ein Matronenscheibchen!‹ was die Dame natürlich -als Beleidigung auffaßte.« - -Termosesow wollte sich ausschütten vor Lachen, faßte aber plötzlich -Warnawas Hand, beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm ins Ohr: - -»Geh sofort und schreib mir auf, was die Pfaffen und Edelleute heut -geredet haben. Ich meine das von der Gewissensfreiheit und der -Unduldsamkeit ... Mit einem Wort: alles, alles ...« - -»Wozu denn?« fragte der Lehrer erstaunt. - -»Das geht dich nichts an. Geh nur und schreib's auf. Du wirst später -schon sehen, wozu. Wir unterschreiben es und schicken es an die -richtige Adresse.« - -»Was? Was wollen Sie tun?« rief Prepotenskij laut und fuchtelte erregt -mit den Armen. »Eine Denunziation! Um nichts in der Welt!« - -»Aber du haßt sie doch!« - -»Nun und?« - -»So schneid ihnen doch die Kehle durch, wenn du sie haßt.« - -»Ja gewiß, schneiden will ich schon, aber ich bin kein Lump, der eine -Denunziation ...« - -»Dann raus mit dir!« unterbrach ihn Termosesow und stieß ihn gegen die -Tür. - -»Aha! Raus?! So hab' ich Sie doch richtig erkannt! Sie halten's mit -Achilla!« - -»Raus, sage ich!« - -»Ja, ja! Erst fordert Ihr mich zum Blachdnublach auf und dann ...« - -»Da hast du dein Blachdnublach!« antwortete Termosesow und gab -dem Lehrer einen kräftigen Stoß in den Nacken, so daß er zur Tür -hinausflog. Dann schob er den Riegel vor. - -Achilla, der diesen Auftritt mit angesehen hatte, stand verwirrt auf -und nahm seinen Hut. - -»Wo willst du hin?« fragte Termosesow, sich wieder an den Tisch setzend. - -»Ich bitte um Entschuldigung, ich muß nach Hause.« - -»Trink doch erst dein Blachdnublach aus.« - -»Nein, mag es zum Teufel gehn, ich will nicht mehr. Leben Sie wohl. Ich -habe die Ehre.« - -Er reichte Termosesow die Hand. Dieser nahm sie aber nicht, sondern riß -dem Diakon den Hut fort, warf ihn unter seinen Stuhl und befahl: - -»Setz dich!« - -»Ich will nicht,« erwiderte Achilla. - -»Setz dich, sag' ich dir!« schrie Termosesow noch lauter und riß ihn so -heftig am Arm, daß er auf die Bank niederfiel. - -»Willst du Pfarrer werden?« - -»Nein.« - -»Warum nicht?« - -»Weil ich dessen weder wert noch fähig bin.« - -»Aber der Propst kränkt dich doch?« - -»Nein, das tut er nicht.« - -»Er soll dir doch mal einen Stock weggenommen haben.« - -»Was ist denn dabei?« - -»Und einen Dummkopf hat er dich genannt?« - -»Ich weiß nicht, vielleicht hat er mich auch mal so genannt.« - -»Wollen wir ihn für seine heutigen Reden denunzieren?« - -»Wa--a--a--as?« - -»Das!!« - -Termosesow bückte sich, holte Achillas Hut unter dem Stuhl hervor und -warf ihn vor die Schwelle. - -»Du bist eine Petersburger Kanaille,« sagte der Diakon und bückte -sich nach dem Hute. In diesem Augenblick aber traf ihn ein dröhnender -Schlag in den Nacken und er lag mit der Nase im Sande des Gartenweges, -wohin ihm sein Hut alsbald nachgeflogen kam und wo ein paar Schritte -weiter auch der Lehrer hockte. Der Diakon begriff erst gar nicht, wie -das gekommen war, aber als er Termosesow in der Tür stehen und ihm mit -einem Spaten drohen sah, wurde es ihm klar, warum der Schlag so schwer -gewesen war und eine so breite Fläche getroffen hatte. Er sagte: - -»Das nennt sich also Blachdnublach. Danke für freundliche Belehrung.« - -Hierauf wandte er sich zum Lehrer: - -»Nun? Gehen wir heim, lieber Freund?« - -»Ich kann nicht,« sagte Warnawa. - -»Warum nicht?« - -»Ich bin voll blauer Flecke und der Wopf tut mir keh.« - -»Laß den Wopf nur keh tun, das geht vorüber. Komm nach Hause. Ich -begleite dich.« Und mitleidig half der Diakon dem Lehrer auf und führte -ihn zum Gartentor hinaus. - - - - -Siebentes Kapitel. - - -Aufs äußerste erregt und verstört kam der Propst heim. Da das Fest -beim Polizeichef so lange dauerte, hatte die daheimgebliebene Natalia -Nikolajewna, wider ihre sonstige Gewohnheit, die Heimkehr ihres -Gatten nicht abgewartet und sich zu Bett gelegt, die Tür nach ihrem -Schlafzimmer aber offen gelassen. Sie wollte durchaus aufwachen, wenn -ihr Mann zurückkehrte. - -Tuberozow wußte, was die offene Türe zu bedeuten hatte und rief beim -Eintreten seine Frau beim Namen. Sie erwachte und erwiderte seinen Gruß. - -»Du schläfst nicht?« - -»Nein, Liebster, Sawelij Jefimytsch, ich schlafe nicht.« - -»Das ist gut, ich möchte mit dir reden.« - -Der Alte setzte sich auf den Bettrand und erzählte seiner Gattin das -Gespräch mit dem Adelsmarschall und beklagte sich, wie gleichgültig -alle sich zu der immer mehr in Rußland aufkommenden Anschauung -verhalten, daß sich ein gebildeter Mensch des Glaubens schämen müsse. -Er drückte ihr seine Befürchtungen aus, daß die guten Sitten und die -hohen Ideale in Verfall geraten könnten, ja müßten. - -Natalia Nikolajewna unterbrach ihn mit keiner Silbe, denn er sprach mit -einem Freimut, wie er ihn sonst nirgendwo hätte zum Ausdruck bringen -dürfen. - -»Und denke dir, Natascha!« schloß er, als er bemerkte, daß der Morgen -graute und sein Kanarienvögelchen, eben erwacht, den Schnabel zu -wetzen begann. »Denke dir, meine liebe Alte, daß er, der Tuganow, -keines meiner Worte widerlegen konnte, daß er mir in allem recht gab, -daß er selbst zugestand, wir stünden, wie die selige Marfa Andrejewna -mal sagte, gleich Schnepfen im Sumpf. Der Schwanz ist zu lang und der -Schnabel ist zu lang, und so wackeln wir hin und her: ziehen wir den -Schnabel heraus, bleibt der Schwanz stecken; ziehen wir den Schwanz -heraus, steckt der Schnabel im Sumpf. Das alles gab er zu, aber von -der seelischen Erregung, die man in einer solchen Lage doch empfinden -müßte, ließ er nichts merken ... O diese entsetzliche Gleichgültigkeit!« - -Natalia Nikolajewna schwieg. - -»Zu guter Letzt nannte er mich noch einen Maniak! Sage bitte selbst, -wieso und warum verdiene ich diesen Namen?« Sawelij dämpfte die Stimme. -»Mich nennt er einen Maniak, und er selbst sagt ... Ich meinte: alles, -worauf ich hingewiesen hätte, seien vielleicht Kleinigkeiten, aber -trotzdem so bezeichnend für den in unserer Gesellschaft herrschenden -Geist, und wenn wir jetzt mit diesen Kleinigkeiten nicht fertig -würden, wie sollen es unsere Machthaber werden, nachdem alles erst -mal großgewachsen ist! Er antwortete mir in seinem mir so verhaßten -spöttischen Tone, den wir Russen so gern anschlagen, mit einer -Anekdote, die sehr gut paßte und die ich aus Rücksicht auf mein Amt nur -dir allein erzählen kann: Ein Offizier kam einst in ein Quartier, wo er -im Nebenzimmer ein wunderschönes Mädchen entdeckte. Er war von ihr so -entzückt, daß er, wie das im Regiment Brauch ist, seinen Burschen rief -und ihn fragte: ›Wie könnte ich wohl die Bekanntschaft dieser Schönen -machen?‹ Der Bursche überlegte, und da er im Begriff war, Kohlen in -den Samowar zu legen, rief er plötzlich: ›Hier riecht's nach Rauch!‹ -Der Offizier sprang auf und stürzte in das Zimmer seiner Nachbarin: -›Meine Gnädige, hier bei Ihnen riecht es nach Rauch. Ich komme, Sie und -Ihre Schönheit aus dem Feuer zu retten!‹ Auf diese Weise machte er die -gewünschte Bekanntschaft. Der Bursche aber erhielt ein Geldgeschenk -und einen Schnaps. Als der Frauenjäger nach einiger Zeit in ein neues -Quartier kam, wo er ebenfalls eine schöne Dame entdeckte, jedoch nicht -nebenan, sondern im gegenüberliegenden Hause, -- sagte er wieder zu -seinem Burschen: ›Verhilf mir zu ihrer Bekanntschaft!‹ Der aber wußte -nichts anderes zu antworten, als sein altes ›Hier riecht's nach Rauch!‹ -Da erkannte der Offizier, daß er sich zu Unrecht auf den Verstand -seines Helfershelfers verlassen hatte und die erwünschte Bekanntschaft -durch ihn nicht machen konnte. Jetzt merke, was das für ein Gleichnis -ergibt: bei uns geziemt es sich für einen aufgeklärten Mann, daß er -ungläubig sei, seines Vaterlandes spotte, die Menschen verachte, die -Heiligkeit der Familienbande nicht gelten lasse, in seinen Mitteln -nicht wählerisch sei; jene Schöne jedoch, die äußere Zivilisation, -haben wir leicht gewonnen; allein jetzt gilt es, eine andere Schöne -kennen zu lernen, jetzt, wo wir geistige Selbständigkeit zeigen sollen, -... aber da sitzt die Schöne drüben am Fenster, und die Frage ist, wie -kriegen wir sie? Da sehnen wir uns wohl und seufzen: ›Ach, wie könnten -wir am leichtesten ihre Bekanntschaft machen?‹ Aber der ungeschickte -Bursche weiß darauf nichts zu sagen, als: ›Hier riecht's nach Rauch!‹ -Doch was nützt es uns, wenn es nach Rauch riecht?« - -»Ja,« sagte Natalia Nikolajewna und seufzte. - -»Das ist es eben! Begreifst du es auch? Wer ist denn nun der Maniak? -Ich, der ich alles klar sehe und mich deswegen beunruhige, oder jene, -denen es ebenso klar ist, die sich aber den Kopf nicht weiter darüber -zerbrechen: ›Wir kommen noch so durch, und hinterher mag's gehn, wie es -will!‹ Heißt das nicht: ›Hier riecht's nach Rauch!‹ Nicht wahr, meine -Liebe?« - -»Ja, Liebster, das Mädel stellt wohl den Samowar auf,« sagte Natalia -Nikolajewna mit schläfriger Stimme. - -Da begriff Tuberozow, daß er die ganze Zeit in die Luft gesprochen -hatte, die keine Ohren für ihn hatte, und er senkte lächelnd sein -weißhaariges Haupt. - -Er gedachte der Worte, die einst die verstorbene Bojarin Marfa -Plodomasowa zu ihm gesprochen: »Und bist du denn nicht einsam? Was sagt -denn das, daß du eine gute Frau hast, die dich liebt? Was dich quält, -wird sie doch nicht verstehen. Und so ist jeder, der weiter sieht als -sein Bruder, einsam inmitten der Seinigen.« - -»Ja, einsam, unsagbar einsam!« flüsterte der Alte. »Und es ist am -stärksten zu fühlen, wenn man am innigsten verlangt, es nicht zu -sein; denn ... mag ich nun ein Maniak sein oder nicht ... ich habe -beschlossen, das nicht länger zu dulden, und was ich beschlossen, -das vollbringe ich auch.« Leise stand der Alte vom Bette auf, um die -Schlafende nicht zu stören, segnete sie mit dem Zeichen des Kreuzes, -stopfte dann seine Pfeife und ging in den Hof hinaus, um sich vor dem -Hause niederzusetzen. - - - - -Achtes Kapitel. - - -Tief in Gedanken versunken saß der alte Mann. Die dünnen -Tabakswölkchen, die sich von seinem weißen Schnurrbart lösten und -in der Luft zerflatterten, glänzten bernsteinfarbig im Lichte der -aufgehenden Sonne. Die Hühner flogen von ihren Stangen herunter, -kamen aus dem Stall, schüttelten sich und strichen ihr Gefieder. -Jetzt klang von der Brücke die Lindenholzflöte des Hirten herüber, -am Ufer klirrten die leeren Eimer, mit denen ein barfüßiges Weib -nach Wasser ging; überall hörte man die Kühe brüllen, und die eigene -Dienstmagd des Propstes kam gähnend, das Zeichen des Kreuzes über dem -weitaufgerissenen Munde machend, aus dem Stall und trieb die Kuh mit -einer Gerte vor sich her. Drinnen am Fenster sang der Kanarienvogel aus -voller Kehle. - -Im vollen Glanze war der junge Tag erschienen. - -Vom Dom her ertönte der erste Glockenschlag. - -Vor dem Pförtchen erschien eine junge Zigeunerin mit einem Kinde an -der Brust, einem zweiten auf dem Rücken und dreien, die sich an ihre -zerlumpten Kleider klammerten. - -»Gib mir was, frommer Vater, gib mir was, du Glücklicher, -Segensreicher!« bettelte sie den Propst an. - -»Was soll ich dir geben, du Unglückliche, Ungesegnete? Meine Frau -schläft, und ich habe kein Geld bei mir.« - -»Gib mir etwas, was du nicht brauchst, dafür soll dir Ehre und Glück -werden.« - -»Was brauche ich denn nicht? Halt! du hast recht gesprochen! Ich hab' -hier etwas, was ich nicht brauche!« - -Und Tuberozow ging ins Zimmer und brachte seine sämtlichen Pfeifen -heraus, den perlengestickten Tabaksbeutel und die Blechschachtel, in -welche er die Asche zu schütten pflegte. Alles gab er der Zigeunerin -und sagte: - -»Da, du Zigeunerweib, bring das deinem Mann, ihm steht es besser zu.« - -Natalia Nikolajewna schlief noch immer. Der Propst schrieb sich die -Schuld zu, weil er sie durch seine lange Abwesenheit und seine Reden am -Einschlafen gehindert hatte. Zwar hatte sie ihm nicht zugehört, aber -ihre Ruhe hatte er doch gestört. - -Er ging in den Stall und gab seinen zwei kleinen braunen Pferden selbst -die doppelte Portion Hafer. Dann wollte er leise über den Hof ins Haus, -als er plötzlich den Botengänger des Akziseeinnehmers Biziukin durch -das Pförtchen kommen sah, welcher ein Buch unter dem Arm hatte. - -Der Propst nahm das Buch, schlug es auf und wurde ganz rot im Gesicht. -Im Buch lag ein Schreiben mit folgender Aufschrift: »An den Propst -des Stargoroder Kirchspiels, Oberpfarrer Sawelij Tuberkulow.« Das -Wort »Tuberkulow« war flüchtig durchstrichen und darüber geschrieben -»Tuberozow«. - -»Es wird um sofortige Empfangsbestätigung gebeten,« sagte der Bote. - -»Wer hat drum gebeten?« - -»Der Sekretär des angereisten Beamten.« - -»Der kann warten.« - -Der Propst fühlte, daß die Sache nicht so harmlos war. Er merkte, daß -man ihn herausfordern wollte und auch schon ein Mittel gefunden hatte, -ihm beizukommen. - -»Was kann das sein? Es ist noch so früh ... Sie scheinen die Nacht -nicht geschlafen zu haben, nur um eine Gemeinheit auszuhecken ... ja, -Leute, die nichts zu tun haben!« - -Mit solchen Gedanken beschäftigt, trat Tuberozow in sein vom -Sonnenglanz durchflutetes Wohnzimmer, setzte seine große silbergefaßte -Brille auf und öffnete den interessanten Brief. - - - - -Neuntes Kapitel. - - -Das fatale Schreiben war ein höchst formloses Dokument, in jenen -unangenehmen, vieldeutigen Ausdrücken abgefaßt, an denen die -Kanzleisprache so reich ist. Es stellte an den Propst Tuberozow -»konfidentiell« das Ersuchen oder die Forderung, beim Regierungsbeamten -Bornowolokow zu erscheinen »zwecks Abgabe näherer Erklärungen über -einige wichtige Punkte, sowie auch über das anstößige und unpassende -Betragen des Diakons Achilla Desnitzyn.« - -»Ei zum Donnerwetter, sollte das nicht ein dummer Scherz sein? ... -Wollen sie sich jetzt auf diese Weise über mich lustig machen?! Aber -nein, das ist kein Scherz! Da steht's: Tuberkulow ... Mein Name ist in -der offenkundigen Absicht, mich zu kränken, so verdreht worden. Und -dann: »das anstößige und unpassende Betragen des Diakons Achilla.« Was -bedeutet das alles, wo will man hinaus? Um ihnen den Spaß zu verderben -und keinen Fehler zu begehen, wollen wir uns an die Methode des -Abwartens halten, die einzig richtige in unklaren Fällen.« - -Der Propst nahm die Feder und schrieb unter das formlose Dokument: »Der -Propst Tuberozow hält sich, da er über die Vollmachten der ihn zu sich -auffordernden Person nicht unterrichtet ist, nicht für verpflichtet, -der Aufforderung Folge leisten zu müssen.« - -Darauf legte er das Blatt in denselben Umschlag, in dem er es erhalten -hatte, und schrieb quer über die Adresse: »Zurück an den, dessen Titel -und Würden ich nicht kenne.« - -Nachdem er das Paket wieder in das Quittungsbuch gelegt hatte, ging -er hinaus und gab es dem Boten. Dem langen Subdiakon Pawliukan, der -inzwischen gekommen war, befahl er, den Wagen zu schmieren und in einer -Stunde zu einer Fahrt ins Kirchspiel bereit zu sein. Dann schickte er -die Magd nach dem Diakon Achilla. - -Unterdessen war Natalia Nikolajewna aufgestanden und machte sich, -nachdem sie sich mehrmals bei ihrem Gatten wegen ihres gestrigen -Einschlafens entschuldigt hatte, eifrig daran, sein Reiseköfferchen zu -packen. Höchst erstaunt war sie aber, als er auf ihre Frage, wohin sie -den Tabak legen solle, kurz antwortete, er habe das Rauchen aufgegeben, -und sich dann gleich dem eben eingetretenen Diakon zuwandte. - -»Ich muß gleich eine Amtsreise machen und habe dich kommen lassen, um -dich noch einmal zu warnen,« begann er, doch Achilla unterbrach ihn -sofort. - -»Schönsten Dank, Vater Propst, aber ich bin schon gewarnt.« - -»Das hat nicht viel zu sagen und macht mir keine Sorge. Jedenfalls -bitte ich dich nur, wenigstens in meiner Abwesenheit etwas solider zu -sein.« - -»Ja, Vater Propst, jetzt ... Auch wenn Ihr kein Wort gesagt hättet, es -ist doch schon alles aus.« - -Tuberozow blieb vor ihm stehen und sah ihn mit einem scharfen, -durchdringenden Blick an. Gestalt und Gesicht des Diakons sahen nicht -gerade vorteilhaft aus. Die dichten, natürlichen Locken machten den -Eindruck einer schief aufgesetzten Perücke: die rechte Seite der Stirn -war viel zu weit entblößt, die linke fast bis zum Auge verdeckt. - -Der Propst dachte nach, was denn wohl noch mit dem unvorsichtigen -Diakon geschehen sein mochte, dieser aber sagte, die Augen starr auf -den Hut gerichtet, den er in der Hand hin- und herdrehte: - -»Ich habe schon gestern, Vater Propst ... gleich nachdem ich von der -Biziukinschen heimgekommen war ... denn wir waren alle vom Polizeichef -noch dorthin gegangen ... zu meiner Bedienerin gesagt: ›Nein,‹ sagt' -ich, ›Esperance, der Vater Sawelij hat recht: der Starke rühme sich -nicht seiner Kraft und baue nicht auf seine Macht.‹« - -Statt ihm zu antworten, ging der Propst auf den Diakon zu und strich -die Haare zurück, welche die linke Seite seines Gesichtes so übermäßig -bedeckten. - -»Nein, Vater Sawelij, hier ist nichts, aber da,« sagte Achilla leise -und schob die Hand des Propstes auf seinen Nacken. - -»Schäme dich, Diakon,« sagte Tuberozow. - -»Es tut auch weh, Vater Propst,« sagte Achilla, sich an die Brust -schlagend, und fing bitterlich zu weinen an. »Dafür werde ich mich nun -täglich und stündlich martern.« - -Tuberozow schüttete keinen Tropfen mehr in diesen Leidenstrank des -armen Achilla. Im Gegenteil. Er machte ein paar Schritte durchs Zimmer -und sagte dann, den Diakon am Arme fassend: - -»Weißt du noch, wie du mir Vorwürfe machtest wegen der Pfeife?« - -»Verzeiht.« - -»Nicht doch, ich bin dir dankbar dafür, und wenn ich im Rauchen auch -nichts besonders Schlechtes sehe und diese Gewohnheit gehabt habe, so -habe ich doch heute, um dem Gerede ein Ende zu machen, davon abgelassen -und alle meine Pfeifen einem Zigeuner geschenkt.« - -»Einem Zigeuner!« rief der Diakon mit strahlendem Gesicht. - -»Ja. Es kann dir übrigens gleich sein, wem ich sie gegeben habe; gib -aber auch du deine Wildheit irgend jemandem. Du bist kein Jüngling -mehr, sondern bald fünfzig, und du bist auch kein Kosak, denn du trägst -die Kutte. Und jetzt sage ich dir noch einmal Lebewohl, denn ich muß -fahren.« - - - - -Zehntes Kapitel. - - -Im Biziukinschen Hause ließ sich der neue Tag wenig freundlich an: die -gnädige Frau vermißte ein kostbares Brillantenkollier, das sie gestern -abend getragen hatte und das heute nirgends zu finden war. Die ganze -Dienerschaft war auf den Beinen, und die Herrschaft ebenfalls. Man -suchte das Verlorene in der Laube und im ganzen Hause, aber es war und -blieb verschwunden. - -Bornowolokow hatte mit der Revision angefangen, und auch -Termosesow war ungeheuer beschäftigt. Zunächst nahm er aus seiner -Photographiensammlung einige Bildnisse der kaiserlichen Familie, -dann schrieb er einen Brief an einen Petersburger Freund, der in -Wirklichkeit gar nicht vorhanden war. Er schilderte die Schönheit -der Natur, die gelbrosa Färbung der Wolken, sprach von seiner -Freundschaft mit Bornowolokow und seinen Aussichten auf eine glänzende -Beamtenlaufbahn und auf eine Erbschaft im Gouvernement Samara. Zum -Schluß entwarf er eine flüchtige Skizze der gestrigen Gesellschaft, -wobei er die Stargoroder Herrschaften schonungslos kritisierte und nur -hinsichtlich der Postmeisterin eine Ausnahme machte. »Diese Frau,« -schrieb er, »ist es durchaus wert, daß man etwas bei ihr verweilt. -Stelle dir vor, ich spüre hier so etwas wie Schicksalsgewalt; ich sah -sie und wurde sofort von einer Art Sohnesgefühl zu ihr erfaßt. Ich -sag' dir, wenn es ihr einfallen würde, mich auspeitschen zu lassen, -ich würde ihr dankbar die Hand küssen. Doch -- ich weiß selber noch -nicht, wie das enden wird, denn sie hat zwei Töchter. Die eine ist ganz -die Mutter, die andere verspricht ebenfalls so schön zu werden. Wer -vermöchte zu sagen, Freund, warum das unerforschliche Geschick mich der -Familie dieser hochgeachteten Frau zugeführt hat? Vielleicht werde auch -ich demnächst singen müssen: ›O goldne Freiheit, lebe wohl!‹« - -Nachdem Termosesow den Brief an einen Herrn Nikolai Iwanowitsch -Iwanow adressiert hatte, preßte er das versiegelte Kuvert zwischen -zwei Fingern fest zusammen, überzeugte sich, daß man auf diese -Weise seine ganze Charakteristik der Frau Postmeisterin durchlesen -konnte, räusperte sich und sagte: »Na, nun wollen wir mal sehen, ob -Prepotenskij gestern die Wahrheit gesagt hat, daß sie die Briefe -aufmacht! Tut sie das, so bin ich fein heraus.« - -Er nahm den Brief und die Bilder und begab sich auf das Postamt. Außer -diesem Brief hatte er noch ein Schriftstück in der Tasche, das er in -derselben frühen Morgenstunde abgefaßt hatte, als er die Aufforderung -an Tuberozow schickte. Es lautete folgendermaßen: - -»Das Komplott der demokratischen Sozialisten, die sich hinter der Larve -des Patriotismus verbergen, macht sich überall bemerkbar. Hier setzt -es sich aus äußerst verschiedenartigen Elementen zusammen, und das -Schädlichste dabei ist, daß die Geistlichkeit bereits in hohem Maße -daran beteiligt ist -- was äußerst gefährlich ist, da sie dem Volke -sehr nahesteht. Die Resultate der traurigen liberalen Duldsamkeit -treten hier besonders kraß und zahlreich zutage. - -Der Stargoroder Propst Sawelij Tuberozow, der schon mehr als einmal -die Aufmerksamkeit der Behörden durch seinen wilden und frechen -Charakter und durch seine schlechte Gesinnung auf sich gelenkt hat, -wurde bereits mehrmals für sein unzulässiges Betragen gemaßregelt, -ohne daß es auf ihn Eindruck gemacht zu haben scheint, denn er ist von -revolutionären Tendenzen ganz durchdrungen. - -Ich wage es nicht zu entscheiden, wieweit er den Absichten der -Regierung Schaden bringen könne, allein nach meiner Ansicht ist dieser -Schaden unermeßlich groß. Der Propst Tuberozow genießt hohes Ansehen -in der ganzen Stadt, und ist ein Mann von großem Verstande und von -einer Kühnheit, die dank der jahrelangen Nachsicht seiner Vorgesetzten -heute vor nichts mehr zurückschreckt. Alles, was ein Mensch wie er tut, -sollte von Rechts wegen unter strengster Kontrolle stehen. Er jedoch -redet was er will, ohne sich den geringsten Zwang anzutun, und genießt -dabei noch das Vorrecht, öffentlich in der Kirche sprechen zu dürfen. - -Dieses geistliche, dem Volke so nahestehende Element scheint aber -auch noch mit dem flachen Lande, d. h. mit dem grundbesitzenden Adel -Fühlung zu suchen. So genießt dieser verdächtige Propst Tuberozow -anscheinend die Gunst und den Schutz des Adelsmarschalls Tuganow, -dessen Persönlichkeit und Anschauungen Ihnen ja wohlbekannt sind. -Herr Tuganow, der hier an einer Abendgesellschaft im Hause des -Polizeichefs teilnahm, meinte u. a.: ›man lasse die Sonne nicht auf -die Erde scheinen‹ -- wobei unter der ›Sonne‹ zweifellos der Monarch -zu verstehen ist, und unter der ›Erde‹ das Volk. Wer aber sich vor die -Sonne stellt, ist nicht schwer zu erraten. Ja, er hat es sogar selbst -klar ausgesprochen, als er dann noch bemerkte, er sei ein Mann der -Scholle, der Gouverneur dagegen nur ›ein Kalif für eine Stunde‹. Als -ein hiesiger Lehrer, Prepotenskij, ein ganz dummer, aber politisch -durchaus unbescholtener Mensch, ihm sagte, wir alle könnten nicht -sagen, wie und von wem Rußland regiert werde, antwortete er mit -zynischer Frechheit: ›Ich halte mich in diesem Falle an die Worte des -Grafen Panin aus der Zeit Katharinas, der zu sagen pflegte, Rußland -werde durch die Gnade Gottes und die Dummheit des Volkes regiert.‹ -Auf all das habe ich die Ehre, Eure Exzellenz aufmerksam zu machen -und halte es für meine Pflicht, vor Eurer Exzellenz die unschätzbaren -Dienste des mich begleitenden Kanzleibeamten Ismail Petrowitsch -Termosesow nachdrücklich zu betonen. Seiner feinen Beobachtungsgabe, -sowie seiner Fähigkeit, in alle Schichten der Gesellschaft -einzudringen, verdanke ich eine Menge wertvoller Informationen, und ich -wage es, den Gedanken auszusprechen, daß, wenn die Obrigkeit diesem -begabten Manne einen selbständigen Beobachtungsposten anvertrauen -wollte, er dem Staate von unermeßlichem Nutzen sein könnte.« - -Dieses Blatt in der Tasche ging Termosesow seines Weges und fragte -sich: »Wird diese Kanaille von Bornowolokow das wohl unterschreiben? -Ach was, -- wenn man ihn nur ordentlich drückt, unterschreibt er -alles.« - - - - -Elftes Kapitel. - - -Termosesow gab seinen Brief auf und ging dann sofort zur Frau -Postmeisterin. Die Begrüßung war sehr freundschaftlich. Er küßte ihre -Hand, sie gab ihm einen Schmatz auf die Stirn und dankte ihm für die -Ehre seines Besuchs. - -»O bitte, ich muß Ihnen danken,« erwiderte Termosesow. »Es war ja so -entsetzlich langweilig. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil -ich immer mit Angst und Grauen denken mußte: wo bin ich? unter was für -Leuten?« - -»Ja, ich sagte schon gestern zu meinen Töchtern: Unser Petersburger -Gast muß sich wohl köstlich amüsieren.« - -»Ach, gar zu schlimm wollen wir es auch nicht machen. Ich diene ja -nicht um des Mammons willen, sondern um das Land kennen zu lernen.« - -»Dann finden Sie bei uns eine Unmenge Beobachtungsstoff.« - -»Ganz recht -- Beobachtungsstoff! Aber da hab' ich Ihnen mit Ihrer -Erlaubnis die Bilder mitgebracht, von denen wir gestern sprachen. -Gestatten Sie mir, sie aufzuhängen.« - -Die Postmeisterin wußte gar nicht, wie sie ihm danken sollte. - -»Ich will mich mit Vergnügen dieser Arbeit unterziehen, bis Ihre -Fräulein Töchter erscheinen ... Ich darf doch hoffen, sie zu sehen?« - -Die Postmeisterin erwiderte, die Mädchen seien noch nicht angezogen, da -sie in der Wirtschaft zu tun hätten, kämen aber trotzdem bald. - -»Ach, ich bitte Sie darum, ich bitte sehr!« flehte Termosesow, und als -die geschmeichelte Hausfrau das Zimmer verlassen hatte, begann er die -Kaiserbildnisse an der Wand zu befestigen. Die Nägel dazu hatte er -mitgebracht. - -Die Toilette der jungen Damen nahm fast eine Stunde in Anspruch, und in -dieser ganzen Zeit ließ sich auch die Postmeisterin nicht sehen. - -»Das ist ein gutes Zeichen!« dachte Termosesow. »Gewiß studiert sie -mein Opus.« - -Endlich erschienen die Töchter in Begleitung ihrer Mutter. Termosesow -maß die Postmeisterin mit einem schnellen, durchdringenden Blick. Sie -strahlte vor Wonne und Begeisterung. - -»Das Fischlein hat angebissen!« schloß er und verzehnfachte seine -Liebenswürdigkeit. Um aber seiner Sache ganz sicher zu sein, fing er -wieder von Literatur und von seinen Reiseskizzen an zu reden. - -»Porträts! Um Gottes willen mehr Porträts! Mehr Naturstudien!« bat die -Postmeisterin. - -»Ja, eigentlich habe ich schon die ganze hiesige Gesellschaft -porträtiert und -- entschuldigen Sie -- auch Ihrer und Ihrer Fräulein -Töchter Erwähnung getan ... Wissen Sie, so ganz flüchtig ... Wenn ich -meinen Brief zurückbekommen könnte, den ich eben aufgegeben habe ...« - -»Ach nein, wozu denn?« rief die Postmeisterin errötend. - -»Angebissen, angebissen!« frohlockte Termosesow, und bestand darauf, -den Damen vorzulesen, was er über sie geschrieben hatte. Eine Zeitlang -hörte man im Zimmer nichts als: »Ach, wozu denn lesen, wir glauben -Ihnen auch so!« und: »Ja, warum denn nicht lesen? Wodurch habe ich denn -so großes Zutrauen verdient?« - -Termosesows Einwände wirkten zu verführerisch auf die Neugier der -Mädchen. Bald erbot sich die eine, bald die andere, ins Bureau zum -Vater zu laufen und den interessanten Brief des Gastes zu bringen. - -Vergebens suchte die Mutter sie durch Worte und Zeichen zurückzuhalten, -die Mädchen verstanden sie nicht und gaben keine Ruhe. Termosesow -dagegen hatte alles ausgezeichnet verstanden: der Brief befand sich in -den Händen der Hausfrau, es galt jetzt nur noch, sie zur Rückgabe zu -zwingen und sie dadurch selbst völlig in die Hände zu bekommen. - -Ohne viel Bedenken sprang Termosesow von seinem Platz auf und stürzte -diensteifrig, der Zurufe der Damen, die ihn zurückhalten wollten, -nicht achtend, nach dem Postbureau: er sei, rief er, selbst nicht -mehr imstande, sich den Genuß zu versagen, den Damen die bescheidene -Darstellung seiner tiefen Bewunderung für sie vorzutragen. - -Keine Bitten konnten ihn bewegen, von seinem Vorhaben abzustehen. -- -Aber auf dem Bureau war kein Brief zu finden. - - - - -Zwölftes Kapitel. - - -Termosesow machte ein sehr verlegenes Gesicht, als er zu den Damen -zurückkehrte. Ihre Verwirrung aber war noch viel größer. Die Mädchen -sprangen auf und liefen hinaus, um ihre Tränen zu verbergen, die -infolge der ihnen von der Mutter gehaltenen Pauke reichlich flossen. -Die Postmeisterin selbst blieb als Opferlamm im Salon. - -Termosesow stellte sich schweigend vor sie hin und lächelte. - -»Ich sehe Sie an,« sagte die Dame geziert, »und schäme mich.« - -»Sie haben den Brief?« - -»Die Versuchung war zu groß. Hier ist er.« - -Termosesow nahm das versiegelte Kuvert aus ihrer Hand. - -»Ich schäme mich ganz entsetzlich ... aber was soll ich machen ... ich -bin ein Weib ...« - -»Ach, lassen Sie doch! Ein Weib! Um so besser, daß Sie ein Weib sind! -Das Weib ist ein viel besserer Freund als der Mann und ich bin ein so -vertrauensseliger Narr, daß ich wirklich warme aufrichtige Freundschaft -... ich meine, weibliche Freundschaft sehr nötig habe! Jetzt habe ich -mich an Herrn Bornowolokow angeschlossen ... Wir sind schon lange -Freunde und er ist auch jetzt mehr mein Freund als mein Vorgesetzter -... wenigstens scheint es mir ...« - -»Ja, ich sehe, ich sehe, Sie sind sehr treuherzig und vertrauensselig!« - -»Ich bin einfach ein Narr in dieser Beziehung! Ein völliger Narr! Ein -kleines Kind kann mich nasführen!« - -»Das ist aber nicht gut, gar nicht gut!« - -»Was kann ich gegen meine Natur? Jemand, der meine Freundschaft mit -Bornowolokow genau beobachtet hatte, sagte mir einmal: ›Paß auf, Ismail -Petrowitsch, du bist zu leichtgläubig! Baue nicht zu sehr auf diese -hinterlistige Freundschaft! Bornowolokow zeigt hinter deinem Rücken ein -ganz anderes Gesicht, als du zu sehen gewohnt bist!‹ ... Aber ich kann -nicht anders -- ich muß ihm glauben!« - -»Warum tun Sie es?« - -»Gott, ich bin nun mal so! ... Ja, wenn man mir Beweise vorlegte! Wenn -ich hören könnte, wie er in meiner Abwesenheit von mir spricht! Wenn -ich einen Brief von ihm sehen könnte! Den Freundesdienst würde ich mein -Leben lang nicht vergessen!« - -Die Postmeisterin bedauerte, daß sie diesen hinterlistigen Bornowolokow -nie zu Gesicht bekommen habe, und fragte, ob Termosesow vielleicht eine -Photographie des Verräters besäße? - -»Leider nicht. Aber einen Brief von ihm. Hier, sehen Sie seine -Handschrift.« - -Und er zeigte ihr einen Fetzen Papier von Bornowolokows Hand -beschrieben. Beim Fortgehen ließ er ihn wie von ungefähr auf dem Tische -liegen. - - - - -Dreizehntes Kapitel. - - -Diese zweite Angel war noch glücklicher ausgeworfen als die erste. -Gegen Abend, als Termosesow mit Bornowolokow und Biziukin beim Kaffee -saß, kam ein Postbote mit dem Auftrage, Ismail Petrowitsch sofort zur -Frau Postmeisterin zu bitten. - -»Ach richtig! Ich hatte versprochen, heute einen Ausflug mit ihr -zu machen! Wie konnte ich das nur vergessen!« sagte Termosesow und -entfernte sich mit dem Boten. - -Er traf die Postmeisterin im Salon allein. Sie drückte ihm die Hand, -schloß die Tür und nahm schweigend einen Brief aus der Tasche, welchen -sie ihm reichte. - -»Lesen Sie, es stört uns hier niemand.« - -Termosesow las den Brief, in dem sich Bornowolokow bei seiner -Petersburger Kusine Nina bitter über sein Geschick beklagte, welches -ihn in Moskau mit Termosesow zusammengeführt hatte. Er nannte ihn einen -»ausgemachten Lumpen und Halunken« und bat die Kusine, »mit allen -Mitteln und unter Heranziehung all ihrer ausgezeichneten Verbindungen -darauf hinzuwirken, daß dieser gemeine Kerl eine gute Stelle in Polen -oder in Petersburg erhalte, sonst könne er, weil er über alle alten -Dummheiten unterrichtet sei, das entsetzlichste Unheil anstiften.« - -»Haben Sie Ihren Freund nun erkannt?« fragte die Postmeisterin. - -»Das hätte ich nicht erwartet! Gott strafe mich, -- das nicht!« sagte -Termosesow, indem er seinen Kopf schüttelte und seufzte. - -»Behalten Sie den Brief und vernichten Sie ihn,« sagte die -Postmeisterin. - -»Vernichten? Warum? Nein, ich vernichte ihn nicht! Mag er an seine -Adresse gelangen, -- aber eine Abschrift möchte ich haben. Gestatten -Sie mir, sie zu nehmen.« - -Termosesow hatte sofort begriffen, daß der Brief für seine Ehre -zwar wenig schmeichelhaft war, aber sehr vorteilhaft, weil man ihm -angesichts seiner Gefährlichkeit ganz sicher eine sehr gute Anstellung -verschaffen würde. - -Mit der Abschrift steckte er auch das Original zu sich und ging heim. - -Das Ehepaar Biziukin war bereits zu Bett gegangen, und Bornowolokow saß -allein und schrieb. - -»Immer fleißig, Eure Durchlaucht? Schon wieder bei der Schreiberei?« -sagte Termosesow heiter. - -Ein kurzes kaltes »Ja« war die Antwort. - -»Da wird wohl wieder irgendeine Gemeinheit verfaßt?« - -Bornowolokow fuhr zusammen. - -»Na also!« sagte Termosesow gelangweilt, schloß plötzlich die Tür ab -und steckte den Schlüssel in die Tasche. - -Bornowolokow sprang auf und versuchte schnell das Blatt, an dem er -geschrieben hatte, zu zerreißen. - - - - -Vierzehntes Kapitel. - - -»Gott, was Sie sich aufregen!« lachte Termosesow. »Ich schloß die Tür -nur, um mich mit Ihnen gemütlich und ungestört unterhalten zu können, -und Sie reißen gleich Ihr ganzes Geistesprodukt in Fetzen.« - -Bornowolokow setzte sich wieder. - -»Unterzeichnen Sie dieses Papier. Aber bitte schön -- nicht zerreißen!« - -Damit legte Termosesow ihm jenes formlose Skriptum vor, in dem er -Wahrheit und Dichtung über Tuberozow und Tuganow zusammengebraut und -sich selbst so glänzend attestiert hatte. - -Bornowolokow las es ruhig von Anfang bis zu Ende. - -»Nun?« fragte Termosesow, als er sah, daß er mit dem Lesen fertig war, -»wollen Sie unterschreiben oder nicht?« - -»Ich könnte Ihnen sagen, daß ich erstaunt bin, aber ...« - -»Ich habe Ihnen das Staunen schon abgewöhnt! Das weiß ich sehr gut, und -auch bei Ihnen wundere ich mich über nichts mehr!« - -Damit reichte er Bornowolokow die Abschrift des Briefes an die Kusine -Nina und fügte hinzu: - -»Das Original habe ich auch.« - -»Sie haben es? Wie konnten Sie sich unterstehen?« - -»Wie konnten +Sie+ sich unterstehen? Und das nennt sich Freund und -Bruder! Da will man gemeinschaftlich ganz Rußland auf den Kopf stellen --- und dann kommt so ein liebenswürdiges Attest! Nein, mein Lieber, -das geht nicht. Da werden Sie mir ein ganz anderes Zeugnis ausstellen -müssen.« - -Bornowolokow sprang auf und fing an im Zimmer hin und her zu laufen. - -»Nehmen Sie nur wieder Platz, das Rennen nützt Ihnen gar nichts,« -meinte Termosesow. »Wir wollen uns doch friedlich auseinandersetzen. -Sie wissen, wohin ich Sie mit diesem Brieflein, mit dem Hinweise -darauf, daß Ihre werte Vergangenheit nicht so ganz sauber ist, -expedieren kann? Da holt Sie kein Polack und keine Kusine heraus!« - -Bornowolokow schlug sich ungeduldig auf die Schenkel und rief: - -»Wie konnten Sie meinen Brief stehlen, wenn ich ihn selbst in den -Kasten geworfen hatte?« - -»Raten Sie! Wie ich's fertig gekriegt habe, ist meine Sache, Ihnen aber -sag' ich nun zum letztenmal: unterschreiben Sie! Auf das erste Blatt -setzen Sie Ihren Vor- und Familiennamen, Amt und Rang, und auf dem -zweiten bestätigen Sie die Richtigkeit der Abschrift und fügen dann -noch zwei Worte hinzu, die ich Ihnen diktieren werde.« - -»Sie ... Sie wollen mir diktieren?« - -»Allerdings. Ich diktiere, Sie schreiben und dann geben Sie mir tausend -Rubel Reugeld.« - -»Reugeld?! Wofür?« - -»Dafür, daß Sie dann Ruhe vor mir haben.« - -»Ich habe nicht so viel.« - -»Mir genügt ein Schuldschein. Hundert bis hundertfünfzig in bar, das -übrige hat Zeit ... Aber lange mit Ihnen diskutieren tue ich nicht. -Wollen Sie, so ist's recht; wollen Sie nicht, so ist mir's auch recht. -In diesem Fall habe ich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.« - -»Ich will unterschreiben!« sagte Bornowolokow kurz. - -»Bitte ...« - -Termosesow wischte die Feder an seinem Rockschoß ab, tauchte sie ein -und reichte sie Bornowolokow. - -»Was soll ich schreiben?« - -Termosesow räusperte sich und diktierte: - -»Der Hundsfott Termosesow ...« - -Bornowolokow stutzte und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. - -»Wollen Sie wirklich, daß ich diese Worte schreibe?« - -»Selbstverständlich. Schreiben Sie nur: ›Der Hundsfott Termosesow‹.« - -»Danke ergebenst. Bitte, weiter.« - - - - -Fünfzehntes Kapitel. - - -Der Sekretär stand hinter dem Stuhle Bornowolokows und blickte über -seine Schulter, während er weiterdiktierte: »Der Hundsfott Termosesow -ist auf eine ebenso unbegreifliche wie geniale Weise in den Besitz -meines eigenhändigen Briefes an Sie gelangt, in welchem ich so -unvorsichtig war, alles das zu schreiben, was Sie auf diesem Blatte von -der Hand eben dieses Halunken Termosesow geschrieben lesen.« - -»Schluß?« - -»Nein, noch etwas. Bitte, schreiben Sie: ›Wie er sich den Brief hat -verschaffen können, den ich persönlich zur Post brachte, vermag -ich nicht zu ergründen. Die Tatsache aber mag Ihnen ein Beweis für -die Kühnheit und Gewandtheit dieses Lumpen sein, der es sich zur -Aufgabe gemacht hat, mir keine Ruhe zu lassen und mich so lange zu -schikanieren, bis Sie ihm einen einträglichen Posten verschafft haben. -Ich beschwöre Sie deshalb um unser beider Wohlergehen willen, für ihn -selbst das Unmögliche möglich zu machen. Im anderen Falle droht er -damit, alles aufzudecken, was wir in der Zeit unserer revolutionären -Dummheiten begangen haben.‹« - -»Kann der letzte Satz nicht geändert werden?« - -»Nein. Ich bin wie Pilatus: was ich geschrieben habe, das habe ich -geschrieben.« - -Bornowolokow schrieb das Bekenntnis seiner Schmach zu Ende und schob -das Papier weg. - -»Nun haben Sie hier noch den Bericht über die Geistlichkeit und die -gefährliche Stimmung in der Gesellschaft zu unterzeichnen.« - -Bornowolokow nahm die Feder wieder, las das Schriftstück noch einmal -durch, überlegte und sagte: - -»Was haben diese Leute, Tuberozow und Tuganow, Ihnen eigentlich getan?« - -»Nicht das geringste.« - -»Vielleicht sind es ausgezeichnete Menschen.« - -»Sehr möglich.« - -»Warum verleumden Sie sie denn? Was hier steht, ist doch Verleumdung?« - -»Nicht durchweg, nur ein wenig.« - -»Ja, wozu dies alles?« - -»Was soll ich machen? Ich muß zeigen, was ich kann. Ihr Blaublütigen -habt Onkel und Tanten, die sich für Euch bemühen, Parvenüs wie wir -müssen alles selber machen.« - -Bornowolokow seufzte und unterschrieb. - -Termosesow steckte die Denunziation ein. - -»Jetzt wäre noch das Dritte zu erledigen,« fuhr er fort, »dann setze -ich meinen Hut auf und sage Adieu. Hier ist ein Wechselformular. Es -lautet auf achthundert Rubel. Zweihundert erbitte ich mir in bar.« - -Bornowolokow saß mit aufgestützten Armen da und betrachtete Termosesow -schweigend. - -»Nun? Sie haben sich wohl in die Zunge gebissen?« - -»Nein, ich bewundere Sie bloß.« - -»Bitte sehr. Ich bin so, wie das Leben mich gemacht hat. Aber jetzt -unterschreiben Sie den Wechsel und geben Sie mir das Geld.« - -»Wofür, Herr Termosesow, wofür?« - -»Wofür?! Für Ihre einstigen geheimen Vergnügungen in stillen Nächten im -heiligen Moskau und im sündhaften Petersburg; für Ihre Unterhaltungen, -Pläne, Schriftstücke, für alle die schönen Stunden, an die ich in -meinen Taschen und in meinem Kopf genug Erinnerungen behalten habe, um -Ihre ganze Karriere vernichten zu können.« - -Bornowolokow unterschrieb den Wechsel und warf das Geld hin. - -»Verbindlichsten Dank,« sagte Termosesow, indem er Wechsel und Geld -einsteckte, »es freut mich sehr, daß es ohne Feilschen abgegangen ist.« - -»Was wäre dann geschehen?« - -»Dann hätte ich das Doppelte verlangt.« - -Nachdem er alle Dokumente beisammen hatte, suchte Termosesow seine -Mütze. »Ich werde draußen im Wagen schlafen,« sagte er, »hier ist es zu -schwül für zwei.« - -»Wollen Sie mir nicht erst meinen Brief wiedergeben?« - -»Fällt mir gar nicht ein. So war es nicht gemeint.« - -»Ja, wozu brauchen Sie ihn noch?« - -Termosesow lachte. - -»Wollen Sie noch Geld dafür haben?« - -»Nein, ich bin nicht habgierig, ich habe genug.« - -»Pfui, was sind Sie für ein ...« - -»Vieh, wollen Sie sagen? Bitte, bitte, genieren Sie sich nicht. Ich -höre nicht hin und gehe schlafen.« - -»So beantworten Sie mir wenigstens noch nur eine Frage: wo sind die -verschwundenen Brillanten der Biziukina?« - -»Woher soll ich das wissen?« - -»Sie ... Sie waren doch irgendwo mit ihr ... in einer Laube, -- nicht -wahr?« - -»Was ist denn dabei? Es waren auch noch andere Leute da: der Lehrer und -der Diakon.« - -»Gewiß. Aber sagen Sie mir wenigstens, -- sind diese Brillanten nicht -irgendwo unter meine Sachen gesteckt?« - -»Wie kann ich das wissen?« - -»O Gott! Dieser Mensch macht mich wahnsinnig!« rief Bornowolokow in -höchster Erregung. - -»Noch eins,« flüsterte Termosesow und drückte Bornowolokows Arm fest -zusammen. »Daß Sie sich's nicht einfallen lassen, Ihren Kusinen -vorzuflunkern ... denn die Briefe wurden nicht nur von mir gelesen.« - - - - -Sechzehntes Kapitel. - - -Die verschwundenen Brillanten der Biziukina, das Blachdnublach, -die Niederlage Achillas und Prepotenskijs, die Liebelei mit Daria -Nikolajewna und die Eroberung der Postmeisterin, endlich die -Mattsetzung Bornowolokows, -- alle diese Ereignisse, die sich in knapp -vierundzwanzig Stunden abgespielt hatten, waren Termosesow selbst ein -wenig zu Kopf gestiegen. Er fühlte ein unüberwindliches Verlangen nach -Schlaf und streckte sich auf dem Heu des Wagens aus, wo er sofort -einschlief und erst sehr spät am Morgen wieder erwachte. Die kühle -Scheune, welche Termosesow zu seinem Schlafgemach gewählt hatte, blieb -geschlossen und Ismail Petrowitsch rekelte sich noch lange nach dem -Erwachen auf seinem Lager, kratzte sich die Fußsohlen und dachte nach. - -Seine Gedanken waren insofern bemerkenswert, als das Vergangene -und Geschehene für sie absolut nicht vorhanden war; ebensowenig -beschäftigten sie sich mit einer der neuen Personen, gegen die -Termosesow mit so kühner Ungeniertheit vorgegangen war. So seltsam -das auch klingen mag, -- Termosesow besaß wirklich eine gewisse -Harmlosigkeit, die sich mit einer maßlosen sittlichen Laxheit und -Frechheit und einer vollkommenen Gleichgültigkeit gegen alle Menschen -und ihr Urteil paarte. Er dachte nie daran, daß die Person, mit der -er im Augenblick zu tun hatte, schon früher existiert hätte, ehe sie -ihm in den Weg gekommen, und daß sie auch weiterhin existieren wolle; -daß sie infolgedessen auch ihr eigenes Verhältnis zur Vergangenheit -und ihre eigenen Zukunftsaussichten habe. Ihm kam es so vor, als -tauchten die Menschen vor ihm auf wie Wasserblasen oder Pilze, nur -für den Moment, wo er sie zu Gesicht bekam, und darum glaubte er über -sie völlig nach Belieben verfügen und sie ausbeuten zu dürfen, was er -denn auch in der unverschämtesten Weise tat. Hatte er aber erreicht, -was er wollte, so vergaß er den andern bald ganz und gar. In seiner -zynischen Redeweise drückte er das ganz naiv aus: »Wenn ich jemanden -gekränkt habe, bin ich später nie böse auf ihn.« Und so war es auch. -Wenn jetzt plötzlich Achilla oder Prepotenskij zu ihm in die Scheune -gekommen wären, so hätte er sie ganz freundschaftlich angeredet, ohne -auch nur im geringsten an die gestrigen Ereignisse zu denken. Als er -auf Bornowolokow, den er längst vergessen hatte, stieß, packte er ihn: -»An dem bleib' ich hängen!« meinte er. Und blieb an ihm hängen. Als er -die Biziukina traf, kam's ihm in den Sinn, ihr den Hof zu machen -- -und er machte ihr den Hof. Als er -- der Teufel mag wissen, zu welchem -Zweck -- ihr seine höhere politische Weisheit beibrachte, kam ihm der -Gedanke, sich ihre Brillanten anzueignen, und alsbald ward dieser -Gedanke ausgeführt. Dabei wurden die Brillanten so schlau versteckt, -daß, falls die Biziukins es zu einer Haussuchung hätten kommen lassen, -sie sich natürlich nicht bei Termosesow, sondern bei Bornowolokow -gefunden hätten, der diese Kostbarkeiten fast am eigenen Leibe trug: -Termosesow hatte sie nämlich in das Futter seines Mantels eingenäht. -Die Person des Propstes Tuberozow beschäftigte die Gedanken Termosesows -überhaupt nicht; als die Biziukina über ihn zu klagen begann, versprach -er leichtfertig, den Alten aus dem Wege zu räumen, -- und dann erst kam -ihm die Idee, Tuberozow als Beweisobjekt für seine »Beobachtungsgabe« -zu benutzen. Jetzt aber hätte keine Gewalt der Erde ihn mehr von dem -hartnäckigen Streben nach Verwirklichung dieses Planes abbringen können. - -Hätte der alte Propst dies gewußt, er würde die ihm zugedachte Rolle -als bitterste Kränkung empfunden haben. Allein er hatte keinerlei -Ahnung von dem, was ihm bevorstand, und fuhr auf seinem Klapperwagen -von Dorf zu Dorf, von Kirche zu Kirche, durchwanderte weite -Waldstrecken zu Fuß, ruhte auf Wiesen und an Feldrainen und schöpfte -neue Kraft aus der Berührung mit der Mutter Natur. - -In der Stadt aber war inzwischen, dank den unermüdlichen Bemühungen -Termosesows, die Schlinge schon ausgelegt. Die Beschwerde des -Kleinbürger Danilka war den Instanzenweg gegangen, eine Bagatelle war -zu einer Angelegenheit geworden, die auf gesetzlichem Wege entschieden -werden mußte. - - - - -Siebzehntes Kapitel. - - -Die aufregenden Berichte vom Mißgeschick des Diakons Achilla und davon, -daß man auch ihn, den Propst selbst, in diese nichtige Sache verwickelt -hatte, trafen den Vater Sawelij in einem weit abgelegenen Kirchdorf, -von dem er wenigstens zwei Tage zu reisen hatte, bis er die Stadt -erreichte. - -Es war unerträglich heiß. Vom letzten Dorf, in dem Tuberozow -übernachtet hatte, waren es noch etwa fünfzig Werst bis zur Stadt. Der -Propst war ziemlich spät ausgefahren und hatte noch kaum die Hälfte des -Weges zurückgelegt, als die Hitze so groß wurde, daß Tuberozow seine -armen, von Schweiß und Schaum triefenden braunen Pferdchen gar nicht -mehr ansehen mochte. Er beschloß deshalb, noch einmal Halt zu machen, -um die Tiere zu füttern und sie ausruhen zu lassen. Aber keine Herberge -wollte er aufsuchen: er erinnerte sich eines wunderschönen Plätzchens -am Waldrand, der sogenannten »Zaunkönigshöhe«, dorthin zog es ihn, um -in der Kühle zu rasten. - -Von dem weiten flachen Abhang, der sich hier niedersenkt, erblickt man -auf einer Entfernung von mehr als zwanzig Werst die goldenen Kuppeln -der städtischen Kirchen, während der jahrhundertealte Wald sich im -Rücken endlos hinzieht. Tiefe Stille und Ruhe herrschen hier. - -Von der Glut ermattet, hatte Tuberozow eben den Wagen verlassen, -als ihn ein ungemein wohliges Gefühl übermannte. Trotz der ringsum -herrschenden Hitze strömte das dichte dunkelblaue junge Eichengehölz -eine belebende Kühle aus. An den elastischen, wie in grünes Wachs -getauchten Blättern der Jungeichen war kein Stäubchen zu entdecken. -Überall warme, weiche, beruhigende Farben. Unter den bunten krausen -Blättern des Farnkrautes guckt die leuchtendrote Wolfsbeere hervor. -Von der Sonne vergoldet, reckt sich ein trockener Haselstrauch in die -Luft, und auf dunkelbraunem Torfboden erheben sich ganze Pilzfamilien, -zwischen denen rote Steinbeeren wie Korallen glänzen. - -Während Pawliukan, in Unterwäsche und Weste, die erhitzten Pferde -ausspannte und umherführte, ging der Propst ein wenig im Walde -spazieren. Er holte sich aus dem Wagen einen kleinen Teppich und trug -ihn zu einer grünen Vertiefung, aus der lärmend und schäumend eine -Quelle sprang. Hier wusch er sich mit dem frischen Wasser und streckte -sich zur Ruhe auf dem Teppich aus. Das gleichmäßige Murmeln des Baches -und die Kühle umwehten wohltuend das von der Hitze ganz benommene Haupt -des Alten, und ohne es selbst zu merken, war er wider seinen Willen -eingeschlafen. Der Schlaf war stärker, er warf ihn nieder und hielt ihn -fest. Er wollte dem Pawliukan etwas sagen, aber der Schlaf hielt ihm -mit weicher Hand den Mund zu. - -Der Traumgott hatte den Propst so in seiner Gewalt, daß Pawliukan -ihn vergebens an den Schultern rüttelte, um ihn zum Essen einer -vorzüglichen Grütze aus Buchweizen und frischen Pilzen aufzufordern. -Tuberozow blinzelte nur mit den Augen: »Iß, mein Lieber, ich schlafe so -süß,« -- und lag alsbald in noch tieferem Schlummer. - -So verzehrte Pawliukan sein Mittagessen allein und folgte dann dem -Beispiel seines Vorgesetzten. Auch die Pferde wurden still, ließen die -Köpfe hängen und schlummerten ein. - -Ringsum schien alles in einem Zauberschlaf zu liegen. Eine so -tiefe Stille herrschte, daß ein Hase, der aus der Waldestiefe -hinausgesprungen kam und sich, leise mit dem Schnurrbart wackelnd, auf -die Hinterbeine setzte, plötzlich ganz verlegen wurde und mit weit -zurückgeworfenen Ohren eiligst wieder im Walde verschwand. - -Tuberozow ertappte sich beim Erwachen dabei, daß seine Lippen mit -großer Anstrengung die Worte »guten Tag« herausbrachten -- allem -Anschein nach als Erwiderung auf einen Gruß. - -»Wen begrüße ich da? Wer war hier bei mir?« fragte er sich, den Schlaf -abschüttelnd. Und es wollte ihn bedünken, als hätte soeben jemand -neben ihm gestanden, kühl und still, in einem Gewande von der Farbe -einer reifenden Pflaume ... So deutlich empfand er alles, daß er -sich schnell, auf den Ellbogen gestützt, aufrichtete, aber nur den -schlafenden Pawliukan, seine braunen Pferde und den Wagen sah. Der -langen Ruhe satt, suchte das Seitenpferd sich den Halfter vom Kopfe zu -streifen. Es trat zur Seite, warf sich nieder, wälzte sich im Grase, -stand wieder auf und reckte witternd den Hals. Tuberozow war noch immer -im Halbschlaf. Das Pferd ging weiter, bückte sich nach dem dichten -Grase am Waldrand und biß die Spitze eines jungen Eichbäumchens ab. -Endlich kam es bis zu dem mit wildem Klee bewachsenen Grenzpfad und -zog die warme Luft ein. Sawelij sah immer noch vor sich hin und konnte -seinen Zustand nicht begreifen. Es war weder Schlaf noch Wachen. Die -Feuchtigkeit seines Ruheplatzes schien ihn betäubt zu haben; ihm war, -als wogten Dämpfe in seinem Kopf. Er rieb sich die Augen und blickte -in die Höhe: droben im Blauen über seinem Kopfe schwebte ein Rabe. -Oder war es ein Geier? Nein, es mußte ein Rabe sein. Er hielt sich -fester und zog weitere Kreise ... Jetzt kam es von oben herab wie -eine hingeworfene Handvoll Erbsen: ku--urlu. So schreit nur ein Rabe. -Wonach mag er spähen? Was will er? Vielleicht ist er des Kreisens müde -und möchte von dem Wasser unten trinken. Tuberozow kam eine Legende in -den Sinn, die sich auf diese Quelle bezog. Sie sollte einen wunderbaren -Ursprung haben. Das reine durchsichtige Becken der Quelle glich einer -in die Erde gegrabenen Schale von Kristall, welche einem Blitzstrahl -ihre Entstehung verdankte, der vom Himmel kam und tief in das Innere -der Erde drang. Gerade an der Stelle, wo vor sehr, sehr langer Zeit -ein vom Kampf ermatteter russischer Held hingesunken sein sollte, den -eine gewaltige Übermacht der Ungläubigen von allen Seiten umzingelte. -Rettung schien für den Ritter, der allein war, ganz unmöglich. Er -flehte zum Heilande, daß er ihn vor schimpflicher Gefangennahme -bewahre. In demselben Augenblick, so berichtet die Sage, zückte aus -völlig klarem Himmel ein Blitzstrahl nieder und sprang wieder in die -Höhe. Ein Donnerschlag folgte, so gewaltig, daß die Rosse der Tataren -in die Knie sanken und ihre Reiter abwarfen. Als sie sich erhoben, war -der Ritter verschwunden. An der Stelle aber, an welcher er sich eben -noch befunden, stieg, schäumend und wie tausend Diamanten glitzernd, -ein mächtiger Strahl kalten Quellwassers in die Höhe; in wildem Zorn -peitschte er die Wände des Erdkessels und als silbernes Bächlein floß -er weiter über die grüne Wiesenfläche. - -Ein Wunder dünkt diese Quelle allen und das Volk behauptet, ihrem -Wasser sei eine Zauberkraft eigen, die selbst die Tiere und die Vögel -kennen. Alle wissen das, allen ist es bekannt, denn alle fühlen -hier die immerwährende geheimnisvolle Gegenwart des entrückten -Glaubenskämpen. Hier tut der Glaube Wunder und darum ist alles hier -so mächtig und so stark, vom Gipfel der hundertjährigen Eiche bis zum -Pilz, der sich zwischen ihren Wurzeln verbirgt. Sogar das scheinbar -ganz Abgestorbene wird hier wieder lebendig: Da steht der dünne, -vertrocknete Haselstrauch; er ist vom Blitz gestreift, aber auf der -Rinde, dicht über der Wurzel, bemerkt man, wie mit grünem Wachs -aufgestrichen, ein »Peterskreuz«, und von hier wird bald ein neues -Leben ausgehen ... Ja, die Gewitter sollen hier böse sein, heißt es. - -»Freilich, freilich, es gibt bekanntlich solche Gegenden mit -außerordentlich starker elektrischer Spannung,« dachte Tuberozow, und -es kam ihm vor, als bewegten sich die grauen Haare auf seinem Kopfe. -Kaum war er aufgestanden, so erblickte er nur wenige Schritte entfernt -ein kleines blaßgelbes Wölkchen, dessen Umrisse sich fortwährend -veränderten, während es langsam den Grenzpfad entlang kroch, auf dem -sich das freigekommene Pferd herumtrieb. Es schien direkt auf das Pferd -loszusteuern. Aber als es bis zu ihm gekommen war, fing es plötzlich -zu hüpfen an, wirbelte empor und zerflatterte, wie der Rauch aus einem -Kanonenrohr. Das Pferd schnaufte wild und stürmte, kaum den Boden -berührend, angsterfüllt vorwärts. - -Tuberozow sprang hastig auf, weckte Pawliukan, half ihm auf das andere -Pferd klettern und schickte ihn dem Flüchtling nach, von dem schon jede -Spur verschwunden war. - -»Beeil dich, hol es ein,« sagte Sawelij zum Subdiakon und warf einen -Blick auf seine silberne Uhr: es war etwas über drei Uhr nachmittags. - -Der Alte setzte sich barhäuptig in den Schatten, gähnte und fuhr -plötzlich zusammen, da er in der Ferne ein schweres Dröhnen vernommen -zu haben glaubte. - -»Was ist das? Ein Gewitter?« - -Er stand wieder auf, ging an den Waldrand hinaus und sah, daß von Osten -her wirklich eine dunkle Wolke heraufzog. Das Gewitter überraschte ihn -ganz allein. - -Noch ein Schlag! Das Feld wogte heftiger und kalt wehte es darüber hin. - -An die schwarze Wolke, welche den Osten ganz bedeckte, rückten von -unten her kleinere Wolkenballen heran, gleichsam von ihr heraufgezogen -wie Kulissen. Ab und zu brach eine Flamme zwischen ihnen durch. So -überschaut ein Zauberkünstler, der eine schauerliche Vorstellung geben -will, mit der Laterne in der Hand, noch einmal die dunkle Bühne, bevor -er alle Lichter anzündet und den Vorhang hochzieht. Die schwarze Wolke -kroch weiter und je näher sie rückte, desto undurchdringlicher schien -sie. Vielleicht läßt der liebe Gott sie vorüberziehen? Vielleicht -entlädt sie sich irgendwo weiter draußen? Doch nein! Schon zuckt -über ihren oberen Rand leise ein feuriger Streif und Blitze flimmern -und flackern plötzlich leuchtend durch die ganze finstere Masse. Die -Sonne ist nicht mehr zu sehen: Wolken haben ihre Scheibe bedeckt, -ihre langen, degenartigen Strahlen zucken noch einmal hell auf, um -dann auch zu verschwinden. Ein Wirbelwind erhebt sich pfeifend und -dröhnend. Wie Fahnen flattern die Wolken. Über das reifende Roggenfeld -laufen weiße Flecken wild hin und her. Einer scheint unmittelbar vom -Himmel herabzufallen, ein anderer setzt sich dick und breit hin. -Plötzlich laufen beide auf einander los, fließen in eins zusammen und -verschwinden. Am Feldrain schüttelt der Wind die Ähren so seltsam, -daß man meinen könnte, es wäre nicht der Wind, sondern ein lebendes -Wesen hätte sich am Boden versteckt und treibe wütend seinen Unfug. -Der Wald ist voll Lärm. Eine Zickzacklinie flammt über dem Walde auf; -eine andere zuckt hoch über den Wipfeln, und dann wird es still ... -ganz still! ... Kein Blitz, kein Wind: alles ist wie gebannt. Das -ist die Stille vor dem Sturm: alles, was noch nicht Zeit gehabt hat, -sich vor dem Unwetter zu verstecken, sucht diesen letzten stillen -Augenblick noch auszunutzen: ein paar Bienen fliegen an Tuberozow -vorüber, es ist, als flögen sie nicht, sondern als würden sie von -einem Windstoß fortgerissen. Aus dem dunklen Gesträuch, das jetzt ganz -schwarz erscheint, hüpfen ein paar erschrockene Hasen heraus und legen -sich in eine Furche. Über das Gras, das bei der Beleuchtung grau wie -Asphalt aussieht, rollt ein silberner Knäuel und verschwindet unter -der Erde. Es war ein Igel. Alles verbirgt sich, so gut es kann. Da als -letzter stürzt sich auch der Rabe, welcher vorhin so hoch schwebte, die -Flügel hart an den Rücken gedrückt, hinab auf den Wipfel eines hohen -Eichbaums, wo man ihn jetzt schwerfällig rascheln hört. - - - - -Achtzehntes Kapitel. - - -Tuberozow war nicht furchtsam, aber sehr nervös, und solche Menschen -werden bei starken elektrischen Entladungen von einer unwillkürlichen -und unbezwinglichen Unruhe befallen. Diese Unruhe verspürte auch er, -als er sich umschaute und überlegte, wo er wohl am besten vor dem -Gewitter, dessen Ausbruch unmittelbar bevorstand, geschützt wäre. - -Seine erste Bewegung war, nach seinem Wagen zu laufen, einzusteigen -und sich zuzudecken; aber kaum hatte er hier Platz genommen, so begann -es im Walde zu knarren und zu krachen, und der Wagen wurde hin und her -geschüttelt, wie eine Kinderwiege. Auf diesen Unterschlupf war also -kein Verlaß: der Wagen konnte sehr leicht umgeworfen werden und ihn -erdrücken. - -Tuberozow sprang wieder hinaus und lief ins Kornfeld. Der Wirbelwind -packte ihn bald von vorn, bald von der Seite, zwang ihn, stehen zu -bleiben, riß ihn an den Schößen zurück, pfiff, trompetete, winselte und -brüllte ihm in die Ohren. - -Tuberozow lief wieder zur Quelle. Aber in dem Kristallbecken herrschte -eine noch größere Unruhe: das Wasser brauste und kochte, und durch -die Kreise, die es bildete, schien ein in der Tiefe verborgenes Wesen -sich emporarbeiten zu wollen. Plötzlich flammte es über der dunkeln, -bleiernen Wassermasse blutigrot auf. Es war ein Blitzschlag, aber -was für ein seltsamer Schlag! Wie ein Pfeil fuhr er, in zweimaligem -Zickzack gebrochen, von oben herab, spiegelte sich im Wasser wider -und wirbelte im selben Augenblick, ebenso gezackt, wieder zum Himmel -empor, als hätten Himmel und Erde einen feurigen Gruß getauscht. Ein -knatternder Schlag folgte, als stürzten sämtliche Dachplatten von -einem Hause herab, und eine gewaltige Wolke von Wasserstaub und Schaum -sprudelte springbrunnenartig aus der Quelle empor. - -Tuberozow legte die Hände vor das Gesicht, sank auf ein Knie und befahl -Seele und Leben dem Allmächtigen. Jetzt brach auf den Feldern und im -Walde eine jener Gewitterkanonaden los, welche dem Menschen seine -völlige Hilflosigkeit gegenüber den Naturgewalten so besonders klar vor -Augen führen. Blitze flammten auf. Krachend folgte Schlag auf Schlag. -Mit einem Male sah Tuberozow, wie auf den dunklen Eichenstamm vor ihm -gleich einer trüben Lampe schimmernd eine Kugel zuschwebte. Mitten im -Gezweig des Baumes leuchtete der Funke plötzlich in blendendem Lichte -auf, wuchs zu einem großen Klumpen und zerstob. Ein furchtbares Getöse -erschütterte die Luft, dem alten Manne ging der Atem aus, um seine -Finger und Zehen drehten sich glühende Ringe, der Körper reckte sich -krampfhaft empor, knickte zusammen und fiel hin ... - -Ein Bewußtsein erfüllte ihn noch: daß alles zusammenbrach. Daß das Ende -nahe! Weiter konnte er nichts denken ... Als er zu sich kam, wußte er -nicht, wieviel Zeit seit dem Augenblick vergangen war, da der Schlag -ihn getroffen, und wie lange er bewußtlos gelegen hatte. Er hörte nur -noch ein letztes, dumpfes, langsames Rollen weit droben, -- dann trat -völlige Ruhe ein. Das Wetter zog ab. Sawelij hob den Kopf, blickte um -sich und bemerkte in seiner nächsten Nähe auf dem Boden etwas Riesiges, -Unförmiges. Es war ein Haufen Zweige, der Wipfel des gewaltigen -Eichbaums. Wie mit einem Messer war der Baum dicht über der Wurzel -abgeschnitten und lag auf der Erde. Aus seinem Gezweig, das sich mit -den Kornähren des Feldes mischte, erklang das widerliche Kreischen des -Raben, der mit dem Baum gestürzt war. Ein schwerer Ast hatte ihn an -die Erde gedrückt, und nun riß er seinen purpurroten Rachen weit auf, -zuckte in Krämpfen und schrie verzweifelt. - -Angewidert durch dies Schauspiel sprang Tuberozow mit einer -Geschwindigkeit und Leichtigkeit zur Seite, als wäre er nicht siebzig -Jahre alt, sondern siebzehn. - - - - -Neunzehntes Kapitel. - - -Das Gewitter hatte sich ebenso schnell verzogen, wie es gekommen war. -An Stelle der schwarzen Wolke hob sich vom blauen Grunde ein rosiger -Streifen ab. Auf dem nassen Hafersack, der auf dem Bock des Wagens -lag, saßen schon fröhlich zwitschernde Spatzen und zogen frech nasse -Körner durch die Löcher der feuchten Leinewand. Der Wald wurde wieder -lebendig. Irgendwoher kam ein leises, einschmeichelndes Pfeifen, und -auf den Rain ließ sich laut girrend ein Taubenpärchen herab. Das -Weibchen streckte seinen Flügel über dem Boden aus, strich ihn mit -seinem roten Pfötchen und richtete ihn segelartig empor, um sich vor -dem Freunde zu verbergen. Der Tauber blies den Kropf auf, machte eine -tiefe Verbeugung und sagte gefühlvoll: »Nur du!« Auf diese Begrüßung -folgten Küsse, und fieberhaft bebten die Flügel im dichten Gewirr der -Wermutstauden. Das Leben nahm wieder seinen Lauf. Pferdegetrappel -ertönte in nächster Nähe: Pawliukan kam zurück. Er ritt auf dem einen -Pferde und führte das andere am Zügel. - -»Nun, lebt Ihr noch, Vater!« rief er lustig, auf den Wagen zureitend -und absteigend. »Ich eilte, was ich konnte, daß Ihr nicht allein vom -Unwetter überrascht würdet, aber wie der Donner plötzlich so dreinfuhr, -da bin ich, müßt Ihr wissen, vom Pferde runter einfach platt auf den -Boden gefallen ... Und hier hat's ja den Eichbaum abgeschnitten!« - -»Ja, mein Freund, das hat es. Aber laß uns nun anspannen und fahren.« - -»Gott, muß das eine Gewalt gewesen sein!« - -»Ja, Freund, aber fahren wir.« - -»Es weht jetzt so ein frischer Wind, da wird sich's herrlich fahren.« - -»Ja, herrlich, aber spann nur schnell an.« - -Und Tuberozow machte sich in seiner Ungeduld selbst an die Arbeit. - -In wenigen Minuten waren die im Regen gebadeten Pferde angespannt, und -der Wagen des Propstes sauste dahin, fröhlich in den zahllosen Lachen -des furchenreichen Landweges plätschernd. - -Die Luft war wunderbar frisch und rein. Ein warmes Licht lag über der -Landschaft. Leichter Dampf stieg von den Feldern auf. Es roch nach -feuchten Haselzweigen. Tuberozow fühlte sich in seinem Wägelchen so -wohl wie seit langem nicht. Er zog immer wieder tief Atem und freute -sich, daß er es so leicht konnte. Er kam sich vor wie ein Adler, dem -neue Flügel gewachsen waren. - -Vor der Stadt begrüßte ihn helles Glockengeläute, das die Andächtigen -zum Vespergottesdienste rief. - - - - -Zwanzigstes Kapitel. - - -Der Wagen Tuberozows rollte in den Hof. - -»Ach Gott, Vater Sawelij, wie hab' ich mich um dich gebangt!« schrie -Natalia Nikolajewna und stürzte ihrem Gatten entgegen. »Das furchtbare -Gewitter, -- und du warst ganz allein, mein Herz!« - -»Ja, Liebste, ich war nur einen Schritt vom Tode entfernt.« - -Und der Propst erzählte seiner Frau alles, was er an der Quelle erlebt -hatte, und fügte hinzu, daß er von nun an gleichsam ein zweites Leben -lebe, nicht mehr sein eigenes, sondern das eines andern. Es sei ihm -dies eine Lehre und zugleich ein Vorwurf, nie an die Vergänglichkeit -und Nichtigkeit seines kurzen Lebens gedacht zu haben. - -Natalia Nikolajewna zwinkerte nur mit den Äuglein und sagte seufzend: - -»Willst du jetzt nicht etwas essen?« -- Und als der Gatte daraufhin nur -verneinend den Kopf schüttelte, fragte sie, ob er Durst habe. - -»Durst?« wiederholte Sawelij. »Ja, ich dürste.« - -»Willst du Tee?« - -Der Propst lächelte, küßte seine Frau auf den Scheitel und sagte: - -»Nein, mich dürstet nach Wahrheit.« - -»Ei was! Dank sei deinem Gotte! Alles, was du tust, ist gut.« - -»Schon recht, schon recht, -- aber jetzt will ich mich waschen. Und du -erzählst mir indes, was sie hier mit dem Diakon anstellen.« - -Und der Propst trat vor das glänzende kupferne Waschgerät und wusch -sich, und Natalia Nikolajewna berichtete ihm alles, was sie von Achilla -wußte, und zog daraus den Schluß, es werde damit nichts anderes -bezweckt, als ihm, ihrem Manne, etwas Böses anzutun. - -Der Propst schwieg. Als er seine Toilette beendet hatte, nahm er Hut -und Stab und begab sich zur Kirche, wo der Vespergottesdienst bereits -begonnen hatte. - -Fünf Minuten später stand er im Altarraum seitwärts vom Opfertisch am -Fenster und schrieb etwas auf ein Blatt Papier, welches er gegen das -schräge, von der untergehenden Sonne hell beleuchtete Fensterbrett -stützte. Was mag er da schreiben? Wir können es über seine Hand hinweg -ganz gut lesen. Folgendes stand auf dem an den Polizeichef Porochontzew -adressierten Blatte: »Da ich die Absicht habe, morgen anläßlich des -hohen Festtages eine feierliche Messe in der Domkirche abzuhalten, -so erachte ich es für meine Pflicht, Euer Hochwohlgeboren davon in -Kenntnis zu setzen, und knüpfe daran die ergebenste Bitte, heute noch -rechtzeitig allen Beamten davon schriftlich, gegen Empfangsbestätigung, -Mitteilung zu machen, damit dieselben in der Kirche erscheinen können. -Insonderheit bitte ich dieses denjenigen Herren Beamten zu empfehlen, -die am meisten dazu neigen, diese ihre Pflicht zu vernachlässigen, denn -ich bin entschlossen, über das schlechte Beispiel, das sie damit geben, -der Obrigkeit unverzüglich Bericht zu erstatten. Den Empfang dieses -Schreibens bitte ich Euer Hochwohlgeboren mir gütigst bestätigen zu -wollen.« - -Der Propst ließ sich das Botenbuch bringen, setzte eine Nummer auf sein -Schreiben, trug es eigenhändig ins Buch ein und schickte den Glöckner -damit zu Porochontzew. - - - - -Einundzwanzigstes Kapitel. - - -Die Nacht, welche diesem Abend im Hause Sawelijs folgte, erinnert uns -an jene, da wir den Alten über seinem Tagebuche sahen: er war ebenso -allein in seiner Stube, ging ebenso auf und ab, setzte sich ebenso hin, -schrieb und sann nach, -- aber sein Buch lag diesmal nicht vor ihm. Auf -dem Tisch, an den er immer wieder herantrat, lag ein kleines doppelt -gefaltetes Blättchen, und auf dieses Blättchen setzte er in winziger, -aber doch deutlich lesbarer Schrift folgende fragmentarische Notizen: - -»Gott, gib Dein Gericht dem Könige und Deine Gerechtigkeit des Königs -Sohne.« - -»Übliche Einleitung: meine gestrige Lage während des Gewitters. Der -Rabe: wie er sich vor dem Unwetter in der mächtigen Eiche verbergen -wollte und den Tod dort fand, wo er Rettung gesucht hatte. - -Wie lehrreich mir das Beispiel dieses Raben scheint. Ist das Heil dort, -wo wir es wähnen, die Not dort, wo wir sie fürchten? - -Unser maßloses Grübeln, das die Vernunft zu seinem Sklaven macht. Die -Gelehrsamkeit, welche die Möglichkeit einer Erkenntnis des bisher -Unfaßbaren leugnet. - -Die Unvollkommenheit und die Unsicherheit unseres Wissens von der -Seele. Das mangelnde Verständnis für die Natur des Menschen und die -daraus folgende leidenschaftslose Gleichgültigkeit gegen Gut und Böse -und die falsche Beurteilung menschlicher Handlungen: Rechtfertigung -des nicht zu Rechtfertigenden und Verurteilung des Lobenswerten. -Verdient Moses, der den Ägypter schlug, vom verkehrten Standpunkt -gewisser Liberaler, die das heiße Vaterlandsgefühl verwerfen, nicht -Tadel? Verdient Judas der Verräter vom Standpunkt der ›blind im Gesetz -Ruhenden‹ nicht Lob, da er doch ›das Gesetz eingehalten‹, als er seinen -Meister verriet, den die Machthaber verfolgten? (Innozenz von Cherson -und seine Auslegung.) Auch unsere Tage sind reich an Verführung: -Vorwürfe gegen jene, die den Listen der heimlichen Feinde des Staates -nicht gleichgültig gegenüberstehen können. Der große Verlust der Sorge -um das Heil des Vaterlandes und als letztes Beispiel die Nachlässigkeit -in der Erfüllung der Gebetspflichten an den großen Festtagen des -Volkes, die zur bloßen Formalität geworden sind. - -Auslegung der Worte: ›Gott, gib Dein Gericht dem Könige‹ in dem Sinne, -›daß wir ein geruhig und stilles Leben führen mögen‹ (St. Paulus). -Welchen Wert hat ein solches Leben? Beispiel: Rehabeam nach Salomo, -umringt von Freunden und Gespielen, die vor sein Antlitz treten und -ihm arglistig vorstellen, daß die Last des Volkes erleichtern eine -Erniedrigung seiner eigenen königlichen Würde bedeute, -- und wie er -infolge ihres Rates die Not Israels vergrößerte. - -›Mein Vater hatte ein schweres Joch auf euch gelegt; ich aber will zu -eurer Last noch zulegen‹ (1. Kön. 11, 12). Das Unglück, das dadurch -entstand und die Teilung des Reiches. - -Hieraus geht klar hervor, daß wir wünschen und beten müssen, daß das -Herz des Herrschers sich in niemandes Händen befinde, es sei denn in -den Händen Gottes. - -Wir aber achten in unserer Sündhaftigkeit dieser Sorge nicht, und wenn -ich an einem solchen Tage das Gotteshaus nicht leer sehe, so weiß -ich erst gar nicht, wie ich das deuten soll! Ich suche nach Gründen -und sehe, daß sich dieses einzig durch die Angst vor meiner Drohung -erklären läßt, und daraus schließe ich, daß alle diese Beter ungetreue -und faule Knechte sind, und daß ihr Gebet kein Gebet ist, sondern ein -Schacher, ein Schacher im Tempel, angesichts dessen unser Herr und -Heiland Jesus Christus nicht nur in seinem göttlichen Geiste ergrimmte, -sondern auch eine Geißel nahm und sie aus dem Tempel vertrieb. - -Seinem göttlichen Beispiele folgend, tadle und verurteile ich diesen -Gewissensschacher, den ich im Gotteshause vor mir sehe. Der Kirche ist -das Gebet solcher Mietlinge ein Greuel. Vielleicht sollte auch ich eine -Geißel ergreifen und die Krämer hinaustreiben, die sich heut in diesem -Tempel breit machen, auf daß kein treues Herz Ärgernis nehme an ihrer -Arglist ... Doch mag mein Wort ihnen als Geißel dienen. Mag lieber das -Gotteshaus leer stehen, mich soll das nicht irren: ich will auf meinem -Haupte den Leib und das Blut meines Herrn in die Wüste tragen und vor -den wilden Steinen im Meßgewande singen: ›Gott, gib Dein Gericht dem -Könige und Deine Gerechtigkeit des Königs Sohne,‹ -- auf daß Rußland in -Ewigkeit erhalten bleibe, dem Du wohlgetan zu allen Zeiten! - -Schlußwort: Laß, o Herr und Schöpfer, unser Land nicht zum Gespötte -der Fremden werden, um der Arglist seiner gewissenlosen und ungetreuen -Diener willen!« - - - - -Zweiundzwanzigstes Kapitel. - - -Das war der Entwurf zu einer Predigt, die Sawelij am folgenden Tage -zu halten beabsichtigte und auch wirklich vor der versammelten -Beamtenschaft hielt, -- um damit nicht nur seiner Tätigkeit als -Prediger, sondern auch seiner ganzen Amtstätigkeit ein jähes Ende zu -bereiten. - -Die Intelligenz von Stargorod war der Meinung, es sei keine Predigt, -sondern ein Aufruf zur Revolution, und wenn der Propst weiterhin -so reden würde, werde sich bald kein Beamter auch nur auf der -Straße zeigen dürfen. Sogar die besten Freunde Sawelijs warfen ihm -unvorsichtige Aufhetzung der Leidenschaften des Pöbels vor. Eine -Ausnahme machten nur die beiden Fremden: Bornowolokow und Termosesow. -Sie hatten die Predigt ebenfalls angehört, aber nichts dazu gesagt und -keinerlei Verstimmung gezeigt. Im Gegenteil, als sie aus der Kirche -kamen, war Termosesow mit gefalteten Händen auf Bornowolokow zugegangen -und hatte mit freudestrahlendem Gesicht gesagt: »Herr, nun lässest du -deinen Diener in Frieden fahren.« - -»Was soll das heißen?« fragte der Vorgesetzte. - -»Das soll heißen, daß ich Sie verlasse. Leben Sie wohl und lassen -Sie sich's gut gehen, aber erweisen Sie mir noch einen letzten -Liebesdienst: melden Sie der Obrigkeit, der Pope, über den Sie schon -einmal berichteten, hätte heute, aller Ehrfurcht bar, die einem so -hohen Festtage geziemte, eine äußerst empörende Rede gehalten, über -welche der von Ihnen eigens dazu abdelegierte Sekretär Termosesow die -Ehre haben werde, persönlich eingehend Bericht zu erstatten.« - -»Hol Sie der Teufel! Schreiben Sie's auf, ich will's unterzeichnen.« - -Die Freunde wollten sich eben voneinander verabschieden, als der -Kleinbürger Danilka, bleich und entsetzt, von Wasser triefend, in -zerfetztem Hemde hineingestürzt kam, Bornowolokow zu Füßen fiel und -jammerte: - -»Gnädiger Herr, schicken Sie mich fort, soweit Sie wollen, -- aber hier -kann ich nicht bleiben! Sie stehen alle am Ufer und jeder will mir in -die Fresse fahren!« - -Und Danilka erzählte, man hätte schon gedroht, ihn totzuschlagen, weil -er sich über den Propst beschwert hätte, -- und zum Beweis zeigte er -sein nasses und zerrissenes Gewand; das Volk hätte ihn eben von der -Brücke in den Fluß geworfen. - -»Famos! Aufruhr und Empörung!« rief Termosesow freudig und setzte, -mitten im Zimmer stehend, seine Mütze auf. »Sehn Sie, so macht man's!« -fügte er zu Bornowolokow gewandt hinzu. - -Und dann reiste er ab. Unmittelbar darauf verließ auch Bornowolokow die -Stadt in entgegengesetzter Richtung, um anderweitig für Ordnung und -Gesetzlichkeit zu wirken. - - - - -Dreiundzwanzigstes Kapitel. - - -Schon fing man in Stargorod an, Tuberozows Predigt zu vergessen, -als gegen Abend des dritten Tages ein Postkarren zwei eigentümliche -Gäste in die Stadt brachte: einen langen hageren Polizeiwachtmeister -und einen dicken Konsistorialbeamten, rund und schwammig, wie ein -Bauernpfannkuchen, mit einem winzigen Knöpfchen als Nase. - -Es waren die Sendboten, die nach Sawelijs Seele kamen: Unter ihrer -Obhut sollte der Propst in die Gouvernementsstadt gebracht werden. In -einer halben Stunde wußte es die ganze Stadt. Vor dem Hause Tuberozows -stand bald eine große Menschenmenge, und nach einer Stunde ging die Tür -des Hauses auf, aus der Vater Sawelij völlig reisefertig heraustrat. -Natalia Nikolajewna ging neben ihm, ihr Taubenköpfchen an seinen -Ellbogen drückend. - -Sie hatten sich gegenseitig zu beruhigen gewußt und jetzt offenbarte -auch nicht eine Träne ihre etwaige Schwäche. - -Das Volk, das auf den Propst gewartet hatte, drängte lärmend vorwärts. -Tuberozow nahm den Hut ab und verneigte sich tief nach allen Seiten. - -Der Lärm verstummte; vielen traten die Tränen in die Augen und alle -bekreuzigten sich. - -Der mit drei Pferden bespannte Postwagen, welcher bisher, auf Befehl -des zartfühlenden Polizeichefs, hinter dem Hause verborgen gestanden -hatte, fuhr vor. - -Der Propst setzte den Fuß auf den Tritt und faßte mit der Hand die -Lehne des Wagensitzes. In diesem Augenblick griff ihn der Wachtmeister -unter den Ellbogen und der Konsistorialbeamte zog ihn an der andern -Hand empor ... Von Ekel erfaßt fuhr der Alte zusammen. Sein Kopf begann -heftig zu wackeln wie der einer Puppe, die eine Drahtfeder im Halse hat. - -Natalia Nikolajewna trat neben ihren Mann, faßte seine Hand und -flüsterte: »Schone dein Leben, Liebster!« - -Tuberozow sah sie an und erwiderte: - -»Sei unbesorgt. Das Leben ist schon zu Ende. Jetzt beginnt das -Erdenwallen.« - - - - -Viertes Buch. - - - - -Erstes Kapitel. - - -»Das Leben ist zu Ende, das Erdenwallen beginnt,« hatte Tuberozow im -letzten Augenblick vor seiner Abreise gesagt. Dann war das Dreigespann -den Berg hinaufgesaust und hatte ihn den Blicken der Seinigen entzogen. - -Die Leute, die ihm das Geleit gegeben, blieben noch eine Zeitlang, -bis endlich ein jeder seines Weges ging. Die Nacht brach herein, alle -Pforten und Pförtchen wurden verschlossen und verriegelt und der Mond -konnte aus seiner blauen Höhe auf dem vereinsamten Pfarrhofe nur noch -die ebenfalls vereinsamte Natalia Nikolajewna erblicken. - -Sie beeilte sich nicht, ins Haus zurückzugehen, sondern saß weinend -auf der Veranda, von der ihr Mann vor kurzem heruntergestiegen war. -Schluchzend drückte sie ihren kleinen Kopf gegen das Geländer, -- ach, -sie hatte keinen Freund, keinen Tröster! Doch nein! Ein Freund war da, -ein treuer, zuverlässiger Freund ... - -Plötzlich wurde das Pförtchen weit aufgerissen und vor die weinende -Alte trat der Diakon Achilla. Er war barhäuptig, in einem kurzen dicken -Leibrock und weiten Hosen und mit mehreren Säcken beladen. Hinter -sich zog er zwei Pferde, deren jedes ein großes schweres Bündel auf -dem Rücken trug. Natalia Nikolajewna sah schweigend zu, wie Achilla -die Pferde in den Hof führte, sie von ihrer Last befreite, und wieder -zum Pförtchen ging, das er mit der Energie eines sorgsamen Hausvaters -verschloß und den Schlüssel in die Tasche steckte. - -»Diakon! Du kommst zu mir!« rief Natalia Nikolajewna, welche seine -Absicht begriffen hatte. - -»Ja, du leidende Mutter, ich bin gekommen, dich zu behüten.« - -Sie umarmten und küßten sich, und Natalia Nikolajewna begab sich in -ihr Schlafzimmer, um dort weiter zu wachen, Achilla aber brachte seine -Pferde in die Scheune, breitete dann eine Filzdecke auf der Veranda -aus, streckte sich lang auf derselben aus und vertiefte sich in den -Anblick des Sternenhimmels. Während der ganzen Nacht schlief er nicht. -Er dachte nur daran, wie er seinem Justizminister helfen könnte. Das -war etwas anderes, als den Warnawka verprügeln! Hier war Verstand -nötig. Aber was kann der Verstand allein, wenn ihm keine äußere Gewalt -zur Seite steht? Ja, hätte man, wie es in dem Märchen erzählt wird, -einen Zaubermantel oder Siebenmeilenstiefel. Oder eine Tarnkappe! Dann -würde er gewußt haben, was er zu tun hätte! So aber, so! Der Diakon -wußte sich absolut keinen Rat, und dennoch mußte etwas unternommen -werden. - -Als Achillas Gedanken beim Zaubermantel und bei der Tarnkappe angelangt -waren, da kam es dem an keinerlei sophistische Grübeleien Gewohnten -vor, als fiele eine kaum noch zu tragende, schwere Last ihm von der -Seele, er atmete auf und flog selbst auf dem Zaubermantel in die Ferne -hinaus. Unsichtbar trat er in den Siebenmeilenstiefeln und mit der -Tarnkappe zu dem einen und dem andern der hohen Würdenträger, zu -denen er ohne Zaubermittel nicht hoffen konnte zu gelangen. Er weckte -sie durch einen sanften Rippenstoß aus dem Schlaf und sagte: »Tut dem -Pfarrer Sawelij kein Leid an. Ihr werdet's sonst, wenn es zu spät ist, -zu bereuen haben.« - -Als die hohen Herren die Stimme des Unsichtbaren vernahmen, warfen -sie sich unruhig auf ihrem Lager hin und her, sprangen plötzlich -auf, liefen hinaus und schrien: »Um Gottes willen, nehmt euch des -Pfarrers Sawelij an!« ... Aber das alles läßt sich in unseren Tagen -nur mit Hilfe von Siebenmeilenstiefeln und einer Tarnkappe erreichen, -und es war gut, daß Achilla rechtzeitig daran gedacht und sich damit -versehen hatte. Dank ihnen allein konnte der Diakon in seiner gelben -Nankingkutte in einen strahlenden Palast dringen, dessen Glanz ihn -so unerträglich blendete, daß er selbst nicht froh war, sich dort -hineingewagt zu haben. Die Stätte, welche er vorher besucht hatte, -hätte schließlich wohl auch genügt, aber die Siebenmeilenstiefel waren -in Schuß gekommen und hatten ihn an einen Ort gebracht, wo er infolge -der blendenden Helle kaum etwas unterscheiden konnte, so daß er Sawelij -und seine Mission am Ende ganz vergaß und nur noch dachte, wie er -wieder fortkommen könnte. Die geschwinden Stiefel aber trugen ihn immer -höher und höher hinauf, und das Zauberwort, das ihnen Halt gebieten -konnte, hatte er vergessen ... - -»Ich verbrenne, bei Gott, ich verbrenne!« schrie der Diakon -und versuchte sich hinter einem vor ihm auftauchenden kleinen -Schattenfleckchen zu verbergen, -- als ihm zu seiner Verwunderung aus -diesem Fleckchen die sanfte Stimme des Zwerges Nikolai Afanasjewitsch -entgegentönte. - -»Hört doch auf, Vater Diakon, im Schlaf zu schreien, daß Ihr verbrennt! -Allenfalls vor Scham müßten wir alle verbrennen!« sprach der Zwerg, -das Gesicht des Diakons durch seine kleine Gestalt vor der Sonne -schützend. - -Achilla sprang auf, stürzte zur Wasserbütte und leerte zweimal -hintereinander den großen eisernen Schöpfkrug. - -»Von was für einer Scham redest du da, Nikola?« fragte er, seine Locken -mit Wasser anfeuchtend. - -»Ei, wo ist unser Propst? He?« - -»Der Propst, Freund Nikolaurus, ist futsch. Gestern haben sie ihn -weggeschafft.« - -»Was heißt das -- ›futsch‹, mein Herr? Wir müssen ihn freibekommen!« - -»Liebster, ich hab' die ganze Nacht darüber gegrübelt, aber ich kriege -nichts raus.« - -»Das ist es eben. Einen Stein ins Wasser werfen kann jeder, -- aber ihn -zurückbekommen?« - -Und Nikolai Afanasjewitsch wackelte auf seinen knarrenden Stiefelchen -in das Zimmer der Pröpstin, hielt sich hier einen Augenblick auf und -bat dann den Diakon, ihn zu begleiten. Beide begaben sich erst zum -Polizeichef und nachher zum Richter. Mit beiden hatte der Zwerg eine -lange Beratung, aber weder der eine noch der andere konnte ihm etwas -Tröstliches sagen. - -»Das einzige, was ich tun kann,« sagte plötzlich der Richter, »ist, an -den Staatsanwalt in der Gouvernementsstadt zu schreiben. Er ist ein -Studiengenosse von mir und wird sicher gern bereit sein, irgend etwas -für den Propst zu tun.« - -Der Vorschlag fand lebhaften Beifall beim Polizeichef. Nikolai -Afanasjewitsch dachte anders darüber, hielt es aber für unangebracht, -zu widersprechen. - -Nun fragte sich's, wie man den Brief an seine Adresse gelangen ließ? -Die nächste Post ging erst in zwei Tagen, eine Estafette schien beiden -Beamten zu pomphaft, zudem konnte die Postmeisterin, die Freundin -Termosesows, den alle nach den von Achilla gemachten Angaben für den -eigentlichen Denunzianten hielten, diesem Ehrenmann mit derselben -Estafette Nachricht geben. - -Als er von dieser Schwierigkeit vernahm, erklärte der Diakon, er würde -schon alles regeln; wenn der Brief nur fertig sei, setze er seinen Kopf -zum Pfande, daß er sich morgen in den Händen des Adressaten befinde. - -Abends, als es schon dunkelte, erschien vor dem Hause des Vaters -Zacharia ein riesiger schwarzer Reiter, klopfte sacht ans Fenster und -rief den »sanften Popen« beim Namen. - -Zacharia öffnete das Fenster und fragte, als er den Reiter erblickte: - -»Bist du es, der da als Schreckgespenst kommt?« - -»Pst ... Ruhe und Schweigen tun not!« antwortete der Reiter -geheimnisvoll und suchte sein ungeduldiges Roß durch kräftigen -Schenkeldruck ruhig zu halten. - -Zacharia sah sich nach allen Seiten um -- Straße und Ufer waren -menschenleer -- und flüsterte: - -»Wohin willst du und was beabsichtigst du?« - -»Ich kann Euch nichts mitteilen, denn ich habe mein Wort gegeben,« -antwortete der Reiter mit derselben geheimnisvollen Miene wie vorhin. -»Ich bitte Euch nur, sucht mich morgen nicht und fragt nicht nach dem -Zweck meines Ritts ... Doch, ob ich auch mein Wort gegeben, ich will's -Euch allegorisch sagen: - - Nordwärts zieht's den Kosaken hin - Und nicht nach Ruhe steht sein Sinn, - -in der Mütze aber hab' ich - - Ein Schreiben an den Zaren Peter - Über den Hetman, den Verräter ... - -Habt Ihr verstanden?« - -»Nichts hab' ich verstanden.« - -»So muß es auch bei einer richtigen Allegorie sein.« - -Der Reiter schlug sich mit der Faust gegen die Brust und sagte: - -»Das eine sollt Ihr noch wissen, Vater Zacharia, daß der Reiter kein -Kosak ist, sondern der Diakon Achilla, und daß mein Herz die Kränkung -nicht dulden mag, mein Verstand aber kein Mittel findet, ihm zu helfen.« - -Nach diesen Worten ließ der Diakon seinem Pferde die Zügel fahren, -drückte es mit den Knien zusammen und ritt nicht, sondern flog davon, -so daß seine Locken, die langen Enden und weiten Ärmel seiner Kutte, -der Schweif und die Mähne des Pferdes wild flatternd vom dunkelblauen -Hintergrund des nächtlichen Himmels abstachen. - - - - -Zweites Kapitel. - - -Nikolai Afanasjewitsch hatte mit Recht nicht viel von dem Brief -erwartet, mit dem der Diakon davongeritten war. Achilla blieb eine -ganze Woche fort, und als er gesenkten Hauptes auf mattem Pferde -heimkam, berichtete er, daß er mit seinem Briefe nichts ausgerichtet -habe und auch nichts habe ausrichten können. - -»Warum denn das?« fragte man ihn. - -»Sehr einfach! Weil der Vater Sawelij selbst zu mir sagte: ›Laß ab, -mein Lieber, wir Geistlichen haben keinen, der sich unser annimmt. -Bitte alle, daß sie mir den Gefallen tun, sich nicht für mich zu -verwenden.‹« - -Und der Diakon wollte darüber weiter gar nicht reden. - -Viel lieber erzählte Achilla, wie er den Propst angetroffen und was -dieser in der einen Woche erlebt hatte. - -»Der Bischof«, so berichtete er, »ist gar nicht so böse auf ihn, ja -eigentlich überhaupt nicht erzürnt, er hat ihn bloß aus Politik der -Marter überantwortet, um es mit der weltlichen Obrigkeit nicht zu -verderben. Deswegen allein wurde der Vater Sawelij in die Stadt geholt. -Jawohl! Und der Vater Sawelij könnte die ganze Schuld von sich abwälzen -und zu uns zurückkommen, denn der Bischof hält es insgeheim mit ihm ... -Jawohl! Gleich am nächsten Tage wurde ihm eine geheime Mitteilung vom -Bischof, daß er zum Herrn Gouverneur gehen solle und um Entschuldigung -bitten ... Jawohl! Aber der Vater Sawelij hat in seiner Hartnäckigkeit -sehr schroff darauf geantwortet: ›Ich bin mir keiner Schuld bewußt, -kann also auch nicht um Vergebung bitten!‹ Dadurch hat er nun auch den -Bischof aufgebracht. Jawohl! Aber auch jetzt war der Zorn nicht groß, -denn den Beschluß des Konsistoriums, eine Untersuchung wegen jener -Predigt einzuleiten, hat er mit einem großen blauen ~X~ durchstrichen -und alle Gemüter im stillen beruhigt, indem er den Vater Sawelij dem -niedern Klerus am Bischofshofe zuzählen ließ. Jawohl!« - -»Und Vater Sawelij dient jetzt?« fragte Zacharia. - -»Jawohl! Er liest die Hora und die Parömie, aber seinen Sinn ändert er -nicht, und auf die politische Frage der Eminenz: ›Worin hast du dich -vergangen?‹ -- antwortete er noch politischer, als hätte er die Frage -nicht verstanden: ›In diesem Leibrock, hohe Eminenz!‹ -- und hat sich -dadurch nur geschadet. Jawohl!« - -»A--a--ach!« rief Zacharia und schüttelte verzweifelt den kleinen Kopf, -sich die Ohren mit den Händchen zuhaltend. - -»Er hat sich bei einem Gendarmenwachtmeister in der Klostervorstadt ein -gelbes Stübchen für zweiundeinenhalben Silberrubel monatlich gemietet -und läuft jeden Morgen mit seinem Krug an den Fluß hinunter nach -Wasser. Aber Gesicht und Gestalt sind sehr spitz geworden, und er läßt -Euch sagen, Natalia Nikolajewna, Ihr möchtet recht bald zu ihm kommen.« - -»Morgen noch reise ich hin,« antwortete die Pröpstin weinend. - -»So, das wären sämtliche Neuigkeiten. Der Staatsanwalt aber, dem ich -den Brief brachte, sagte nur: ›Die ganze Sache geht mich gar nichts -an, ihr habt eure eigene Obrigkeit.‹ Er hat mir auch keinen Brief -mitgegeben, sondern nur schön grüßen lassen. Nehmen Sie also, bitte, -hiermit seinen Gruß entgegen, wenn Ihnen was dran liegt. Und noch einen -Gruß an Sie alle habe ich, vom Herrn Termosesow. Ich traf ihn in der -Stadt; er kam in einem feinen Wagen vorbeigefahren und rief, wie er -mich sah: ›Warte mal ein wenig hier vor dem Tor, Diakon, ich bring dir -gleich etwas. Eure Postmeisterin nebst Töchtern hat mir bei meiner -Abreise ihr Stammbuch aufgehalst. Ich sollte ihr da ein paar Verse -hineinschreiben. Ich hab's versehentlich mitgenommen, und nun weiß ich -nicht, wie ich's ihr zurückschicken soll. Sei so gut und nimm's mit!‹ -Ich denke mir: Hol dich dieser und jener! Gib her, sag' ich, um ihn -loszuwerden. Hier ist es!« - -Der Diakon holte aus der Tasche seines Leibrocks ein dünnes Büchlein -mit bunten Blättern und las vor: - - »Auf das letzte Blatt Papier - Schreibe ich der Zeilen vier, - Voller Ehrfurcht, meine Damen ... - Wohl bekomm's in Teufels Namen! - -Damit bezeugt er Euch seine Ehrfurcht, -- nehmt sie also hin als den -Lohn, der Euch gebührt.« - -Und Achilla warf das Album mit der Ehrfurchtsbezeigung Termosesows auf -den Tisch und begab sich in den Pferdestall, um sich dort nach den -Reisestrapazen auszuschlafen. - -Am Tage darauf reiste Natalia Nikolajewna zu ihrem Gatten, und der -Diakon blieb allein in dem Hause des Verbannten zurück. - - - - -Drittes Kapitel. - - -Ein Tag verging wie der andere. Die Stadt unterhielt sich mit -Neuigkeiten, die mit unserer Geschichte nichts zu tun haben. Tuberozow -blieb in Acht und Bann und seine Freunde schienen sich vollständig -damit beruhigt zu haben, daß »hier nichts zu machen« wäre. Die Feinde -des Propstes zeigten sich etwas besser als die Freunde: wenigstens -einige von ihnen hatten ihn nicht vergessen. Für ihn setzte sich zum -Beispiel die feine Frau Postmeisterin ein, die Termosesow die ihr -angetane schwere Beleidigung nicht vergessen konnte und noch weniger -geneigt war, der Gesellschaft ihre Schadenfreude zu verzeihen. Sie -wollte ihr vielmehr zeigen, daß sie allein feinfühliger, klüger, -weitsichtiger, ja auch ehrlicher sei, als sie alle. - -Dazu bot sich ihr nun eine Gelegenheit, die sie wiederum sehr fein -und boshaft auszunutzen wußte. Sie beschloß, die Gesellschaft durch -unerhörten Glanz zu blenden und ihre Autorität in den Augen der biedern -Stargoroder auf eine bisher nie dagewesene Höhe zu heben. - -Etwa sechs Werst von der Stadt entfernt hatte eine Petersburger Dame, -Frau Mordokonaki, ihren Sommeraufenthalt auf einem wunderschönen -Landgut. Der alte Mann dieser jungen und sehr hübschen Frau hatte, als -er noch Branntweinpächter war, bei einer der Postmeisterstöchter Pate -gestanden. Das schien nun der Frau Postmeisterin eine völlig genügende -Veranlassung, die junge Gattin des alten Mordokonaki zum Namenstag des -Patenkindes ihres Mannes einzuladen, und bei der Gelegenheit wollte -sie die Bitte aussprechen, die bekannte Philantropin und Freundin der -Kirche möge sich doch des verfolgten Tuberozow annehmen. - -Das war nicht übel ausgedacht. Die junge und fabelhaft reiche -»Wohltäterin« hatte Einfluß in der Residenz und genoß bei den -Gewalthabern im Gouvernement hohe Achtung. Jedenfalls hätte sie, wenn -sie wollte, für den gemaßregelten Propst mehr tun können, als sonst -jemand. Ob sie es aber wollte? Darum eben sollte die ganze Gesellschaft -sie bitten. - -Die Dame langweilte sich in ihrer Einsamkeit und nahm daher die -Einladung der Postmeisterin dankend an. Die giftige Frau Postmeisterin -triumphierte. Sie zweifelte nun nicht mehr, daß sie die Honoratioren -der Stadt durch ihr unerwartetes Eintreten für den alten Tuberozow -verblüffen werde, und daß infolgedessen alle sich notgedrungen ihr -anschließen würden, gleichsam als Chorus, als zweite Garnitur. - -Die Postmeisterin schwelgte in solcherlei süßen Träumen, -- bis endlich -der Tag ihrer Erfüllung gekommen war. - - - - -Viertes Kapitel. - - -Die Hausfrau begrüßte die Gäste und war glückselig, als sie merkte, daß -keiner sich mit ernsten Gedanken trug, daß das Schicksal des verbannten -Priesters längst niemanden mehr beschäftigte. - -Die Gäste waren sämtlich in fröhlichster Stimmung. Als erster erschien -der »Kreiskommandant«, Invalidenhauptmann Powerdownia, ein rothaariger -Offizier mit großen runden Augen, der sich vom Proviantschreiber -hinaufgedient hatte. - -Die große, üppige Madame Mordokonaki überstrahlte die ganze -Gesellschaft und alles wirkte neben ihr matt und unbedeutend. Sogar -Daria Biziukina schien ganz klein geworden. Die Hausfrau floß über von -Schmeichelreden, führte dem Gast die interessantesten Leute zu und bat -den Hauptmann Powerdownia und den Lehrer Warnawa Prepotenskij, die -Dame aufs beste zu unterhalten. Leute, die sich zur Unterhaltung mit -der Petersburgerin nicht eigneten, wurden beiseite geschafft, wie der -Bürgermeister, welcher die Gewohnheit hatte, im Gespräch oftmals die -Redensart anzuwenden: »Da spuck mir einer ins Maul«, sowie ein alter -Major, der im Kaukasus gedient und die Veranlassung zur Entstehung des -schönen Vergleichs gegeben hatte: »Dumm wie ein kaukasischer Major«, -und schließlich der Diakon Achilla. Diese drei Personen waren sehr -glücklich in einer kühlen Kammer untergebracht, wo die Weine und -kalten Speisen bereitstanden. Sie waren über ihre Verbannung keineswegs -betrübt. Ganz ungeniert und in nächster Nähe der Speisen führten -sie äußerst lebhafte Gespräche und philosophierten sogar. Der Major -wollte wissen, »woher die Frechheit komme«, und erklärte sie daraus, -daß die Menschen heutzutage sehr verwöhnt seien -- was er durch eine -ganze Menge von Argumenten zu beweisen suchte. Achilla aber wollte so -viele Gründe nicht gelten lassen und sagte, die Frechheit hätte zwei -Ursachen: »den Zorn und noch häufiger den Wein.« - -Der Major dachte nach und meinte dann, es gebe allerdings eine -Frechheit, die vom Wein komme. - -»Glauben Sie mir, es ist so,« meinte der Diakon und leerte ein großes -Glas Likör. »Ich kann mich selbst als Beispiel anführen. Im Dusel bin -ich ein sehr netter Kerl, denn ich werde weder wild, noch habe ich böse -Gedanken; aber, meine lieben Freunde, ich prahle im Dusel nur zu gerne. -Bei Gott! Und nicht, daß ich irgendeine Absicht damit verfolge, nein, -es ist, als ob meine Natur es verlangte.« - -Der Bürgermeister und der Major lachten. - -»Wahrhaftig!« fuhr der Diakon fort. »Ich fange zum Beispiel an zu -erzählen, die Gemeinde habe sich an den Bischof gewandt mit der Bitte, -mich zum Pfarrer zu ordinieren, was ich selber nicht mal wünsche; -oder ein andermal behaupte ich, die Kaufmannschaft des Gouvernements -petitioniere um meine Ernennung zum Protodiakon; oder ...« Der Diakon -sah sich ängstlich um und fuhr dann im Flüstertone fort: »Einmal -platzte ich heraus, ich wäre in jungen Jahren mit der Tochter des -Konsistorialsekretärs verlobt gewesen! Also, ich sag' Ihnen, ich hätte -mich am liebsten umgebracht, als man mir später von dieser meiner -bodenlosen Frechheit erzählte.« - -»Wenn der Sekretär das erfahren hätte, hätte es schlimm werden können,« -bemerkte der Major. - -»Und wie schlimm! Ganz scheußlich!« bestätigte der Diakon und kippte -noch ein Gläschen. - -»Na, wenn wir schon mal davon reden, will ich Ihnen noch etwas -erzählen.« Und seine Stimme noch mehr dämpfend, fuhr er fort: »Ich bin -durch diese meine Flunkerei einmal schon in eine so üble Lage gekommen, -daß ich aufs Haar einer öffentlichen Exekution unterworfen worden wäre. -Haben Sie nichts davon gehört?« - -»Nein, absolut nichts.« - -»Es war eine ganz böse Sache. Man hätte mich einfach henken können -- -auf Grund des ersten Paragraphen im Gesetz!« - -»Unmöglich!« rief der Major, ganz aufgeregt. - -»Warum unmöglich? Es hätte ganz leicht geschehen können, wenn ein guter -Mensch mich nicht gerettet hätte.« - -»So erzählt uns doch die Geschichte, Vater Diakon!« - -»Ja, sofort, ich will nur noch erst ein Schnäpschen nehmen.« - -Achilla leerte noch ein Gläschen und begann den Bericht über sein -Verbrechen gegen den ersten Gesetzesparagraphen. - - - - -Fünftes Kapitel. - - -»Das kam alles daher,« fing der Diakon an, »daß ich vor Ostern nach -der Gouvernementsstadt fuhr -- mit zwei Pferden. Eins war meines -und das andere gehörte dem Subdiakon Serioga. Wir hatten sie beide -vor einen Wagen gespannt. Serioga wollte seine Kinder aus der Stadt -abholen, und was ich da zu suchen hatte, das mag der Teufel wissen. -Ich wollte wohl ein paar gute Bekannte wiedersehen. Als wir nun vor -die Stadt kamen, sahen wir, daß die Brücke fort war und eine Fähre -die Leute hinüberschaffte. Am Ufer herrschte ein fürchterliches -Gedränge; Kopf an Kopf standen die Menschen da; im Zollhäuschen aber -hatte ein Soldat einen Branntweinausschank. Na, da die Reihe an uns -noch nicht so bald kommen konnte, gingen wir hinein und tranken ein -jeder zwei Gläschen, uns zu erwärmen. Auch hier war alles voll von -Leuten: Mönche und Fuhrleute und Soldaten und Beamte -- das sind die -allerschlimmsten -- und auch einige Amtsbrüder. Es fanden sich auch -ein paar Bekannte aus unserer Gegend, und so mußte man, anläßlich des -frohen Wiedersehens, gleich noch zwei Gläschen kippen. Ein Schreiber, -ein ungeheuer freches Maul, fing an, uns aufzuziehen. Ich sagte ihm: -›Geh hin, wo du hergekommen bist. Du gehörst nicht zu uns.‹ Darauf er: -›Ich bin ein Offizier meines Kaisers!‹ Und ich: ›Ich selbst bin so -gut wie ein Stabsoffizier, mein Bester!‹ -- ›Stabsoffizier‹, sagt er -drauf, ›ist der Pope, du bist aber sein Untergebener.‹ Da sage ich, -vor dem Throne Gottes stünde ich allerdings unter dem Popen meinem -Amte nach, in der Politik aber seien wir beide gleich. Da ging der -Streit los. Ich wurde immer hitziger, infolge der vielen Gläschen, -und rief schließlich: ›Du Tintenseele, was verstehst denn du davon? -Du kannst doch die Heilige Schrift gar nicht verstehen, denn du hast -keine Gedärme im Kopf. Sag doch mal, hat je ein Pope auf dem Zarenthron -gesessen?‹ ›Nein,‹ sagt er. ›Na also! Ein Diakon aber ist Zar gewesen -und hat die Krone auf dem Haupt getragen!‹ -- ›Wer war denn das?‹ fragt -er. ›Wann ist das gewesen?‹ -- ›Ja, wann? Ich bin kein Arithmetikus und -hab' die Jahreszahlen nicht alle im Kopf, aber nimm mal ein Buch zur -Hand und lies nach, was Grigorij Otrepiew war, bevor er als Demetrius -Zar wurde, dann wirst du sehen, was ein Diakon wert ist.‹ -- ›Nu ja,‹ -sagt er, ›das war Otrepiew, aber du, du bist eben kein Otrepiew!‹ -- -Besoffen, wie ich bin, platz ich auf einmal los: ›Woher kannst du denn -das wissen? Vielleicht bin ich noch viel mehr? Der sah dem Demetrius -ähnlich, und ich habe vielleicht ein Gesicht wie irgendein Franziskus -Venezianus oder ein Mahmud und werde auch König!‹ Kaum hatt' ich das -gesagt, meine Lieben, so erhebt dieser verfluchte Federfuchser ein -Geschrei, ruft Zeugen auf, bringt die Sache zu Papier. Man packte -mich, band mich, setzte mich in einen Wagen, gab mir einen Polizisten -mit und schaffte mich in die Stadt. Na und dann -- Gott schenke ihm -Gesundheit und langes Leben und nach dem Tode die ewige Seligkeit -- -dem Gendarmenoberst Albert Kasimirowitsch, der damals an der Spitze -der Geheimpolizei stand! Am Morgen ließ er mich zu sich kommen, rief -seine Frau herbei und sagte: ›Da, sieh mal, Herzchen, so sieht ein -Thronprätendent aus.‹ Und dann lachte er mich noch tüchtig aus und -ließ mich laufen. ›Geh nur, Vater Mahmud,‹ sagte er, ›und in Zukunft -zähle die Gläser, die du leerst.‹ Gott schenke ihm ein langes Leben!« -wiederholte der Diakon noch einmal und hob sein Glas. »Ich will auch -heut noch auf sein Wohl trinken!« - -»Da seid Ihr noch glücklich aus der Klemme gekommen,« sagte der Major -langsam. - -»Und ob! Ich sag's ja: der Pole ist ein guter Kerl. Der Pole liebt die -Regierung nicht, und wo es gegen sie geht, ist er immer nachsichtig.« - -Gegen Mitternacht wurde die Unterhaltung der drei Einsiedler -unterbrochen; denn die Stunde war gekommen, in der auch sie sich der -Gesellschaft anschließen durften: man bat sie zu Tische. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Das Fest sollte jetzt seinen Höhepunkt erreichen. - -Kaum hatten alle Platz genommen, so sprang auch schon der Hauptmann -Powerdownia wieder auf und apostrophierte die Petersburger Dame -folgendermaßen: - - »Die uns gesandt ein gütiger Himmel, - Du Holde, Schöne! - Dich grüßen aus dem irdischen Gewimmel - Meiner Leier Töne! - Steig hernieder zu uns aus des Äthers Bläue - Und laß dich's nicht verdrießen - Von dieses Festes Gaben zu genießen, - Die wir dir spenden in Begeisterung und Treue!« - -Die Aristokratin aus dem Geschlecht der Branntweinpächter hörte dem -Dichter mit lieblichem Erröten zu und empfing aus seinen Händen ein -Blättchen, auf dem, nicht ganz orthographisch, aber mit kunstreichen -Schnörkeln, das Gedicht verewigt war. - -Die Hausfrau war entzückt, aber die Gäste waren sowohl über das -Gedicht, als auch über die Wahl des Augenblicks für seinen Vortrag sehr -verschiedener Meinung. - -Doch wie dem auch sei, die ganze Gesellschaft wurde ungemein lustig, -was der Postmeisterin gar nicht recht paßte. Man redete so laut und -lebhaft durcheinander, daß es der Hausfrau unmöglich wurde, eine etwa -eintretende Pause zu benutzen, um an den verbannten Propst zu erinnern. -Die Petersburgerin schien sich übrigens sehr gut zu unterhalten. Sie -wisse gar nicht, meinte sie zur Postmeisterin, wie sie ihr danken solle -für das Vergnügen, das ihre Gäste ihr verschafft, und wenn ihr etwas -leid tue, so sei es nur der Umstand, den Diakon und den Hauptmann -Powerdownia erst so spät kennen gelernt zu haben. Als Powerdownia -dieses Urteil hörte, sprang er auf und machte der Dame eine tiefe -Verbeugung. Auch der Diakon nahm das Lob nicht gleichgültig hin: er gab -Prepotenskij einen Rippenstoß und sagte: - -»Siehst du wohl, du Schafskopf, wie hoch man uns schätzt! Von dir sagt -keiner was.« - -»Selber Schafskopf!« erwiderte der geärgerte Lehrer ebenso leise. - -Powerdownia sann einen Augenblick nach, dann packte er den Diakon fest -am Arm, stand mit ihm zusammen auf und sagte in beider Namen: - - »Wir wollen heilig dein Gedächtnis ehren, - Und sollten Jahre vorübergehen. - O lichter Geist, laß dich erflehen: - Woll unserer Bitte Erhörung gewähren!« - -Hierauf setzten sie sich wieder unter donnerndem Applaus. - -»Siehst du wohl? Und du weißt wieder nichts zu sagen,« wandte sich -Achilla vorwurfsvoll an den Lehrer. Powerdownia aber war schon wieder -aufgesprungen und redete die Hausfrau also an: - - »Du bist genannt Matrona - Und aller Frauen Krona! - Hurra!« - -»O dieser Hauptmann! Er ist die Seele der Gesellschaft,« meinte die -Postmeisterin geschmeichelt. - -»Und du bringst immer noch nichts fertig,« ließ der Diakon dem Warnawa -keine Ruhe. - -»Wollen wir alle Verse deklamieren!« - -»Ja, alle! Der Polizeichef muß anfangen!« - -»Warum nicht? Ich will's gerne versuchen!« sagte der Polizeichef. »Ganz -ungeniert: wer nichts weiß, braucht nicht mitzumachen.« - -»Anfangen! Fix, Herr Rittmeister! Was soll das? Anfangen!« - -Der Rittmeister Porochontzew stand auf, hob sein Glas bis zur Höhe -seines Gesichtes, sah durch den Wein gegen das Licht und fing an: - - »Als der Despot entsagte seinem Thron, - Um so durch abgefeimte Lügen - Sein Opfer, Rußland, in den Schlaf zu wiegen, - Und es alsdann noch schlimmer zu bedrohn, -- - Da ließ die Freiheit ihre Stimm' erschallen, - Und hätte Rußland drauf gehört, - Ihm wär' ein neuer Tag beschert, - Die Fesseln wären abgefallen. - Doch gleich dem Diebe, den der Morgen schreckt, - Hast schmählich du dich vor dem Freund versteckt! - Der rief: Der Juden Greueltaten, - Der schnöde Abfall der Uniaten, - Und alle Sünden der Sarmaten, -- - Es komme alles auf mein Haupt, - Ich trag' es ohne viel Bedenken, - Könnt' ich dem Volk der Russen wieder schenken - Die Freiheit, die man ihm geraubt! - Hurra!« - -»Alle tragen etwas vor, nur du nicht,« fing der Diakon, sich an -Prepotenskij wendend, wieder an. - -»Nein, Freundchen, sag was du willst, -- wenn du trinkst und nichts -vorzutragen weißt, dann bist du kein Mensch, sondern bloß eine Bütte -voll Wein.« - -»Laßt mich mit Eurer Bütte in Frieden! Ihr seid selbst eine!« -antwortete der Lehrer. - -»Wa--a--as?!« schrie Achilla gekränkt. »Ich eine Bütte? Und das wagst -du mir ins Gesicht zu sagen! Ich eine Bütte?« - -»Ja, natürlich!« - -»Wa--a--as?!« - -»Ihr könnt ja selber nichts vortragen!« - -»Ich nichts vortragen? O du dreifacher Dummkopf! Wenn ich bloß will, so -trage ich dir so etwas vor, daß du aufspringen und mir stehend zuhören -mußt!« - -»Na, versucht es doch mal!« - -»Gleich werd ich's auch, damit du dich überzeugst, daß ich tatsächlich -auch den Oberkiefer bewegen kann!« - -Mit diesen Worten erhob sich Achilla, sah die ganze Gesellschaft mit -weitaufgerissenen Augen an, richtete den Blick schließlich starr auf -ein Salzfaß, das in der Mitte des Tisches stand, und fing mit seinem -tiefen weichen Baß an: - - »Ein geru--u--u--hig und friedli--i--i--ch Leben, - Gesu--u--undheit und Wo--o--ohlergehen ... und heilsa--a--ames - Wirken und Scha--a--a--ffen ... und Sieg über die Feinde ...« - usw. usw. - -Achillas Stimme griff immer höher, Stirne, Kinnbacken, Schläfe, die -ganze obere Hälfte seines breiten Gesichtes waren mit Schweiß bedeckt -und glühten in feurigem Rot; die Augen krochen aus ihren Höhlen, auf -den Wangen und an den Mundwinkeln zeigten sich weiße Flecke, der Mund -war weit aufgerissen wie eine Trompete und mit Dröhnen und Krachen -entstieg ihm das »Heil und Segen«, das alle unbelebten Wesen im Hause -erzittern machte und die Lebendigen zwang, sich von den Plätzen zu -erheben und, ohne die erstaunten Augen von dem geöffneten Munde des -Diakons zu wenden, gleich nachdem der letzte Ton verklungen, im Chor -einzufallen: »Heil und Segen! Heil und Se--e--egen!« - -Warnawa allein wollte bei seiner Beschäftigung bleiben und gemächlich -weiteressen, aber Achilla riß ihn mit Gewalt in die Höhe und sang, ihn -fest am Arm haltend: »Heil und Se--e--e--gen! Heil und Se--e--e--egen!« - -Der Bürgermeister gab seinem Nachbar eine blaue Fünfrubelnote, die er -dem Diakon weitergeben sollte. - -»Was heißt denn das?« fragte Achilla. - -»Der ganzen Verwaltung. Sing noch ›der ganzen Verwaltung und dem -christlichen Heer‹,« bat der Bürgermeister. - -Der Diakon steckte die Note in die Tasche und stimmte nochmals an: - -»Und der ganzen Verwaltung und dem chri--i--istlichen Hee--e--e--ere -Heil und Se--e--e--gen!« - -Hier übertraf Achilla sich selbst, und als er schloß, wagten nur noch -der Vater Zacharia, der an die Stimme des Diakons gewöhnt war, und der -Bürgermeister einzufallen: alle übrigen Gäste waren auf ihre Stühle -gesunken und hielten sich an den Lehnen, dem Tisch oder ihren Nachbarn -fest. - -Der Diakon war höchst befriedigt. - -»Sie haben einen wunderbaren Baß,« sagte die Petersburger Dame, die -zuerst wieder zu sich gekommen war. - -»Ach Gott, es war ja nicht deswegen, ich wollte nur zeigen, daß ich -kein Feigling bin und sehr gut etwas vortragen kann.« - -»Schau, schau, wer ist denn hier feige?« mischte sich Zacharia ins -Gespräch. - -»Vor allem Ihr selber, Vater Zacharia! Ihr könnt ja nicht mal mit den -Vorgesetzten richtig sprechen: Ihr fangt gleich an zu stottern.« - -»Das ist wahr,« bestätigte Zacharia, »ich komme leicht ins Stottern, -wenn ich mit einem Vorgesetzten rede. Aber du? Du hast gar keinen -Respekt vor Höherstehenden?« - -»Ich? Mir ist's ganz gleich, ob ich mit dem Bischof selber oder mit -einem einfachen Manne rede! Der Bischof sagt zu mir: ›So und so, mein -Bester,‹ -- und ich antworte ihm gerade so: ›Ganz recht, so und so, -Eure Eminenz!‹ Weiter nichts.« - -»Ist das wahr, Vater Zacharia?« fragte der Arzt, der dem Diakon gern -etwas am Zeuge flicken wollte. - -»Er flunkert,« sagte Benefaktow mit der größten Seelenruhe, ohne seine -sanften Augen vom Diakon zu wenden. - -»Er knickt auch vor dem Bischof zusammen?« - -»Allerdings.« - -»Nie und nimmer! So was kommt bei mir nicht vor!« rief der Diakon, -sich in die Brust werfend. »Wie wäre das auch möglich? Wollte ich -mich um alle kümmern, ich wüßte nicht, wo ich hin sollte. Was hat -denn der Bischof so viel zu bedeuten, wenn ich jetzt Tag für Tag von -einer Person beobachtet werde, die viel mehr zu sagen hat, als so ein -Bischof!« - -»Du meinst wohl mich?« sagte der Arzt. - -»Wie sollte ich denn darauf kommen? Nein, dich meine ich nicht.« - -»Wen denn sonst?« - -»Hast du die neuesten Zeitungen gelesen?« - -»Was hat denn drin gestanden?« fragte die Petersburger Dame, die sich -wie ein Kind amüsierte. - -»Auf Befehl des Oberhofpredigers Baschanow ist der kaiserliche -Kirchenmusikdirektor auf Reisen geschickt worden, um in ganz Rußland -Bässe für die Hofkapelle Seiner Majestät anzuwerben. Er steht im Range -eines Generals und hat eine Unmenge Orden. Der Bischof ist nichts neben -ihm, denn bei Seiner Majestät ist ja schon der Kutscher, der auf dem -Bock sitzt, Oberst. Na, also dieser Musikmeister reist nun unerkannt, -als ganz einfacher Mann gekleidet, damit die Bässe sich in seiner -Gegenwart nicht absichtlich anstrengen, denn er will wissen, was sie -für gewöhnlich zu leisten imstande sind.« - -Der Diakon wußte nicht, was er weiter sagen sollte, aber der Arzt ließ -nicht locker. - -»Nun, und was weiter?« - -»Was weiter? Der Herr Musikdirektor befindet sich jetzt schon vier -Wochen hier in der Stadt. Merkst du was? Ich sehe ihn jeden Sonntag in -seinem blauen Rock unter den Kleinbürgern in der Kirche stehen. Er ist -meinetwegen da, aber wie verhalte ich mich dazu? Ein anderer würde sich -rein die Beine ausreißen, um dem kaiserlichen Abgesandten zu gefallen, -würde ihn zu sich einladen, ihm Schnaps und Tee vorsetzen, -- nicht -wahr? Aber ich tue nichts dergleichen. Mag er zehnmal kaiserlicher -Musikus sein, mir ist's ganz wurst! Ich halte mich ans Gesetz. Du hast -mir nach dem Gesetz zu handeln, mein Lieber, und magst du das nicht, -dann adieu! Glückliche Heimreise!« - -»Das ist natürlich alles Schwindel?« wandte sich der Arzt an Zacharia. - -»Schwindel,« erwiderte dieser seelenruhig. »Er hat ein wenig über den -Durst getrunken, da hören wir bis morgen kein wahres Wort mehr. Er wird -jetzt ohne Ende phantasieren und großtun.« - -Achilla war trotzdem gekränkt. Es schien ihm, als glaubte man jetzt -auch nicht mehr, daß er kein Feigling sei; was ihm unerträglich war. -Daher fing er wieder von seiner Tapferkeit an zu sprechen und wollte -sofort auf die schwerste Probe gestellt sein. - -»Ich will allen beweisen, daß ich hier der Tapferste bin, und ich werde -es!« - -»Prahlt lieber nicht damit, Vater Diakon,« sagte der Major. »Manchmal -wird auch der Tapferste von Angst gepackt, und der Feigling leistet, -was keiner von ihm erwartet hätte.« - -»Da pfeif' ich drauf! Los!« - -»Ja, was soll denn eigentlich losgehen? Ich will Euch lieber ein -Beispiel vorführen.« - -»Auch gut! Nur immer zu!« - - - - -Siebentes Kapitel. - - -»Als ich aus dem Kaukasus nach Rußland zurückversetzt wurde,« fing der -Major an, »hatten wir einen Oberst, der ein urfideler Herr und ein -ausgezeichneter Soldat war. Er besaß sogar einen goldenen Ehrensäbel. -Unter ihm machte ich anno Achtundvierzig den ungarischen Feldzug mit. -In einer Nacht mußten damals Freiwillige vorgeschickt werden, als -wir gerade beim Wein saßen. Der Oberst fragte: ›Wieviel haben sich -denn gemeldet?‹ ›Hundertzehn,‹ antwortet der Adjutant. ›Oho!‹ meinte -der Oberst und legte die Karten hin, denn man hatte sich eben ans -Preferance gemacht. ›Das ist ein bißchen viel. Sind gar keine Hasenfüße -drunter?‹ -- ›Nein,‹ erwiderte der Adjutant. ›Na,‹ meint der Oberst, -›trommeln Sie mal die Kerls zusammen.‹ Das geschieht. ›Nun,‹ fängt der -Oberst an, ›machen wir mal die Probe. Wer ist der Tapferste? Wer gilt -als Obmann?‹ Man nennt ihm irgendeinen Iwanow oder Sergejew. ›Schafft -ihn mir her! Bist du der Obmann?‹ -- ›Zu Befehl, Euer Hochwohlgeboren!‹ --- ›Bist du nicht feige?‹ -- ›Nein, Euer Hochwohlgeboren!‹ -- ›Nicht -ein bißchen?‹ -- ›Ganz und gar nicht, Euer Hochwohlgeboren!‹ -- -›Wirklich nicht?‹ -- ›Nein.‹ -- ›Nun, wenn du nicht feige bist, so -zupf' mich am Bart!‹ Der Soldat steht da und rührt sich nicht und -wagt's nicht. Man ruft einen zweiten, -- dieselbe Geschichte! Einen -dritten, vierten, fünften, zehnten -- keiner wagt's. Alle erwiesen sie -sich als Feiglinge.« - -»Ach, hol ihn dieser und jener! Das war ein Spaß!« rief Achilla -hocherfreut. »Wenn du nicht feige bist, ei, so zupf' mich am Bart! -Ha--ha--ha! Das ist famos! Hauptmann, alter Freund, laß dich mal vom -Lehrer Warnawa am Bart zupfen!« - -»Mit Vergnügen,« sagte der Hauptmann. - -Prepotenskij weigerte sich, aber da fing man so bösartig über seine -Feigheit zu spotten an, daß er ja sagen mußte. - -Achilla stellte einen Stuhl in die Mitte des Zimmers, der Hauptmann -Powerdownia setzte sich drauf und stemmte die Arme in die Hüften. - -Um ihn herum standen der Polizeichef, Zacharia, der Bürgermeister und -der Major. - -Der Lehrer pustete, krümmte und schüttelte sich, schlug bald die Augen -schüchtern nieder und riß sie bald weit auf, machte einen Schritt -vorwärts und trat wieder zurück. - -»Also du bist doch ein Feigling,« sagte Achilla, »aber denke mal nach, -Schafskopf: wovor fürchtest du dich denn eigentlich? Es ist ja zum -Lachen!« - -Warnawa dachte nach, wurde aber davon nur noch schwächer. Powerdownia -jedoch saß da wie ein Götzenbild, fühlte sich als »Seele der -Gesellschaft« und freute sich über die neue Überraschung, die er im -Schilde führte. - -»Du bist ein Feigling, mein Bester, ein ganz elender Feigling!« -flüsterte Achilla dem Lehrer ins Ohr. - -»Das geht doch nicht, die Gäste warten,« bemerkte der Major. - -Prepotenskij zeigte mit dem Finger auf den Polizeichef und sagte: »Ich -will lieber Woin Wasiljewitsch am Bart zupfen.« - -»Nein, mich sollst du zupfen,« erklärte der Hauptmann mit sehr ernstem -Gesicht. - -»Feigling, Feigling,« flüstert es wieder von allen Seiten. Warnawa hört -es, kalter Schweiß läuft ihm übers Gesicht, es kribbelt ihn am ganzen -Körper; die Angst packt ihn, wie eine unerträgliche, lähmende, quälende -Krankheit, sein Ausdruck bekommt etwas Starres, Schreckliches. - -Achilla, der ihn genau beobachtete, hatte das zuerst bemerkt. Als -er die Augen des Lehrers aufflammen sah, gab er dem Polizeichef ein -Zeichen, etwas zur Seite zu treten, den Vater Zacharia aber nahm er -ganz einfach beim Ärmel, zog ihn zurück und sagte: - -»Steht nicht so dicht bei ihm, Vater Zacharia. Seht Ihr nicht? Er -träumt!« - -Warnawa tat einen Schritt vorwärts. Noch einen zweiten. Die zitternde -Hand des Feiglings gerät in Bewegung, sie hebt sich langsam, bewegt -sich vorwärts, -- aber nicht nach dem Barte des Hauptmanns, sondern -geradewegs nach dem Gesichte des Polizeichefs. - -»Der Teufel mag wissen, was in dem Kerl vorgeht!« rief Achilla und -winkte dem Polizeichef noch einmal zu. Geh lieber fort, sollte das -heißen, siehst du nicht, daß der Mann von Sinnen ist? - -In diesem selben Augenblick jedoch hatte Prepotenskij, die Augen -zugekniffen, ganz von ferne den Schnurrbart Powerdownias gestreift: -sofort stieß der Hauptmann ein grimmiges Knurren aus und fing dann an -laut zu bellen. - -Das war dem armen Warnawa zu viel. Er schrie wild auf, stürzte sich wie -ein Panther auf den Polizeichef und schlug sinnlos um sich. - -Hierauf war niemand gefaßt. Der Effekt war großartig. Die umgestürzte -Lampe, das aufflammende Petroleum, die wild flüchtenden Gäste, das -Entsetzen des Polizeichefs, das Geheul Warnawas, der in einem Winkel -sich mit wütenden Schlägen vor dem Gespenst, das ihn packen wollte, zu -schützen suchte, alles machte eine Fortsetzung des Festes unmöglich. - -Die Petersburger Dame verabschiedete sich, und Prepotenskij, der alle -Ein- und Ausgänge im Hause des Postmeisters sehr gut kannte, benutzte -diesen Augenblick, um in den Korridor und ins Bureau zu schlüpfen, wo -er sich hinter einen Schrank verkroch ... - - - - -Achtes Kapitel. - - -Die Frau Postmeisterin hatte ihre Nachtjacke angezogen und ging erregt -in ihrem Zimmer auf und nieder. Ihre Gedanken beschäftigten sich -unablässig mit der einen Frage: Wer war an dem gräßlichen Vorfall -schuld? Wer hatte diesen Spaß angezettelt? - -»Der Spaß war ja an sich nicht mal so übel,« dachte sie, »aber wer -hat den Prepotenskij eingeladen? Nein, auch das ist nicht so wichtig -... aber wer hat mich mit ihm bekannt gemacht? Wer denn anders, als -mein Herr Gemahl! Eines Tages kam er: ›Hier, bitte, stelle ich dir -Warnawa Wasiljewitsch vor!‹ Na warte nur, ich will dir den Warnawa -Wasiljewitsch schon eintränken ... Aber wo ist denn mein Mann?« -fragte sie sich und sah sich im Zimmer um. »Schläft er schon? Er kann -schlafen, nachdem so etwas geschehen! ... Nein, das geht nicht,« -erklärte die Postmeisterin kategorisch und stürzte ungeduldig in den -Saal, wo ihr Gatte zu schlafen pflegte, wenn er wegen irgendwelcher -Familienzwistigkeiten aus dem ehelichen Schlafgemach verbannt wurde. -Aber zu ihrer nicht geringen Verwunderung fand die Dame ihren Gatten -hier nicht. - -»Aha, er versteckt sich vor mir. Er liegt jetzt auf dem Sofa im Bureau -und schnarcht ... Ich will dich schnarchen lehren.« - -Und die Frau Postmeisterin begab sich nach dem Bureau. - -Ihre Vermutung war richtig: der Postmeister schlief tatsächlich im -Bureau, aber darin irrte sie, daß sie ihn auf dem Sofa zu finden -meinte. In Wirklichkeit lag er auf dem Tische. Auf dem Sofa aber -schlief Prepotenskij, der nach allem, was vorgefallen war, nicht -nach Hause zu gehen wagte, weil er fürchtete, Achilla könnte ihm an -irgendeiner Straßenecke auflauern. Deshalb hatte er den Postmeister -um Erlaubnis gebeten, seiner Sicherheit wegen im Hause übernachten -zu dürfen. Der Postmeister war um so lieber damit einverstanden, als -er die Erregung seiner Frau sehr wohl bemerkt hatte und es auch ihm -vorteilhaft erschien, unter diesen Umständen noch jemand in seiner Nähe -zu haben. Darum stellte er dem Lehrer das Sofa im Bureau zur Verfügung -und machte es sich selbst auf dem großen Tisch bequem, an dem sonst die -Briefe sortiert wurden. - -Die Tür aus dem Korridor in das Bureau, in dem beide schliefen, war -geschlossen. Das brachte die energische Dame erst recht auf, denn nach -ihrem Hausgesetz durfte keine einzige Innentür ohne ihre Genehmigung -geschlossen werden, und im Bureau fühlte sie sich ebenso als Herrin, -wie in ihrem Schlafgemach! - -Die Postmeisterin kochte vor Wut. Sie griff noch einmal nach der Tür, -sie ging nicht auf. Wohl knackte der Haken, aber er saß fest. Und dabei -hörte sie drinnen ganz deutlich zwei Menschen atmen. Zwei! Man male -sich das Entsetzen der Ehefrau bei dieser plötzlichen Entdeckung aus! - -In ihren geheiligten Rechten als Gattin und Herrin des Hauses gekränkt, -rannte sie wieder durch den Korridor zurück, stürzte in die Küche, -geradewegs auf den Tisch los. Wühlte lange im Dunkeln in der Schublade -herum, in der es von Schwaben wimmelte, bis sie endlich gefunden hatte, -was sie brauchte: Ein Messer! - -Die ungeheure Spannung, die diese Zeile entfesselt, zwingt uns, hier -haltzumachen, um dem Leser Zeit zu geben, sich auf das Fürchterliche -vorzubereiten, das nun kommen soll. - - - - -Neuntes Kapitel. - - -Vor Erregung am ganzen Leibe zitternd, das riesige Küchenmesser in -der Hand, den rechten Ärmel der Nachtjacke hinaufgeschoben, ging die -Postmeisterin direkt auf die Tür zum Bureau los und legte das Ohr noch -einmal an den Spalt. Es war kein Zweifel möglich: das unselige Paar -lag im süßesten Schlaf; man hörte ganz deutlich, wie das eine stärkere -Wesen tiefe Kehllaute von sich gab, während das andere, zartere, sich -auf ein ganz sanftes Pfeifen beschränkte. - -Die Postmeisterin steckte das Messer in den Türspalt, schob den Haken -zurück und die leichte Tür ging mit leisem Knarren auf. - -Es war noch früh am Morgen, kaum hoben sich die Fenster durch -ihr mattes Grau von der Finsternis ab, doch das geübte Auge der -Postmeisterin erkannte sowohl den Tisch mit der Postwage, als auch den -zweiten langen Tisch in der Ecke und das Sofa. - -Mit der linken Hand sich an der Wand entlang tastend, bewegte sich -die zürnende Dame direkt auf das Sofa zu und erreichte ohne besondere -Schwierigkeiten den Schnarcher, der mit tief herabhängendem Kopfe ganz -am Rande lag. Er hatte nichts gehört, und als die Postmeisterin vor ihn -hintrat, schien er sogar mit ganz besonderem Eifer und Genuß in den -lieblichsten Säuseltönen zu schwelgen, als ob er ahnte, daß die Sache -bald ein Ende haben werde und daß es ihm heute nicht mehr vergönnt -sein werde, sich diesem Vergnügen hinzugeben. - -So kam es denn auch. - -Noch war der Schläfer mit seiner letzten Fioritur nicht ganz fertig, -als die Linke der Frau Postmeisterin ihn kräftig an den Haaren emporriß -und die Rechte, nachdem sie das Messer fallen gelassen, ihm eine -schallende Ohrfeige verabfolgte. - -»Mmmm ... Warum denn? Warum?« brummte der Erwachende, aber statt einer -Antwort erhielt er eine zweite Ohrfeige, dann eine dritte, eine fünfte, -zehnte, eine immer kräftiger und dröhnender als die andere. - -»Au, au, au,« schrie er und versuchte vergeblich, den aus der -Finsternis auf ihn herabhagelnden Backpfeifen auszuweichen, bis diese -plötzlich durch ein weniger lautes, aber nicht minder schmerzhaftes -Zausen und Schütteln ersetzt wurden. - -»Herzchen! Was tust du denn, Herzchen! Das bin ja gar nicht ich! Das -ist doch Warnawa Wasiljewitsch!« kam vom Tische her die Stimme des -aufgeschreckten Postmeisters. - -Die Postmeisterin hielt verblüfft ein, ließ die Mähne Warnawas los, -schrie laut auf: »Was machst du mit mir, du Ungeheuer!« -- und stürzte -sich auf ihren Gatten. - -»Ja, ja, das bin ich,« hörte Warnawa den Postmeister rufen, und ohne -etwas zu begreifen -- außer der Notwendigkeit, sich eiligst aus dem -Staube zu machen -- sprang er vom Sofa auf und rannte, wie er war, in -Unterhosen und Strümpfen, durch die glücklich gefundene Tür auf die -Straße hinaus. - -Er war gründlich verdroschen worden, und als er sich das Gesicht mit -dem Ärmel wischte, bemerkte er, daß seine Nase blutete. - -In demselben Augenblick ging die Tür leise auf und seine Kleider fielen -vor ihm hin. Er bückte sich, um sie aufzuheben, als eine Minute später -auch die Stiefel über den Zaun geflogen kamen. - -Warnawa setzte sich auf den Boden und zog die Stiefel an, fuhr, so gut -es ging, in Hosen und Rock und trottete nach Hause. - -Eine Woche darauf verließ der Lehrer Prepotenskij mit einem -Urlaubschein und einigen wenigen Spargroschen in der Tasche die Stadt. -Die Ursache dieser plötzlichen Flucht war und blieb für alle ein ewiges -Geheimnis. - - - - -Zehntes Kapitel. - - -An demselben Tage, wo es in Stargorod so lustig herging, spielte sich -weit draußen in dem gelben Stübchen des verbannten Propstes eine Szene -anderer Art ab. Natalia Nikolajewna bereitete sich zum Sterben. - -Gewissenhaft und sparsam, wie sie war, hatte die Pröpstin während der -ganzen Zeit ihres Aufenthaltes bei ihrem gemaßregelten Gatten sich ohne -Bedienung beholfen und allerlei Arbeit auf sich genommen, an die sie -nicht gewohnt war und die ihre Kräfte weit überstieg. Als sie bei dem -letzten Fünfundzwanzigrubelschein in ihrer Schachtel angelangt war, -erschrak sie, daß sie bald ganz ohne Geld sein würde, und beschloß, -ihren Hauswirt, den Gendarm, zu bitten, ihnen die Miete zu stunden, bis -der Propst wieder begnadigt sei. Der Gendarm ging darauf ein, Natalia -Nikolajewna aber hielt das vor ihrem Gatten streng geheim und suchte -auf jede Weise das Geld beim Hauswirt abzuverdienen: sie grub mit -seiner Magd Kartoffeln, hackte Kohl und spülte ihre Wäsche selbst im -Fluß. - -Jedoch das war zu viel für ihre Jahre und ihre schwache Gesundheit. Sie -erkrankte und mußte das Bett hüten. - -Der Propst machte ihr Vorwürfe wegen ihrer übergroßen Sorgsamkeit. - -»Du glaubst, du hilfst mir,« sagte er, »aber als ich hörte, was du -getan hast, verdoppelte das meine Qualen.« - -»Vergib,« flüsterte Natalia Nikolajewna. - -»Was heißt: vergib? Vergib du mir,« antwortete der Propst und faßte -ihre Hand, die er leidenschaftlich küßte. »Ich habe dich mit meiner -starren Unbotmäßigkeit so weit gebracht, aber wenn du willst ... sage -nur ein Wort und ich gehe und demütige mich dir zuliebe.« - -»Was fällt dir ein? Nie werde ich dieses Wort sagen! Soll ich deine -Lehrmeisterin sein, der du alles weißt und alles zum Rechten wendest?« - -»Um meiner Ehre willen +muß+ ich dieses tragen, Liebste.« - -»Und Gott möge dir helfen, an mich aber sollst du nicht denken.« - -Der Propst küßte noch einmal die Hände seiner Frau und ging an sein -Tagewerk, Natalia Nikolajewna aber wickelte sich in ihre Decke und -schlief ein. Und da sah sie im Traum den Diakon Achilla, der zu ihr -ins Zimmer trat und sprach: »Warum betet Ihr denn nicht, daß der -Vater Sawelij sein Leid leichter trage?« -- »Wie denn?« fragt Natalia -Nikolajewna, »lehre mich, wie ich zu beten habe.« -- »Nun,« antwortet -Achilla, »Ihr sollt bloß sagen: Herr, hilf uns auf den Wegen, die du -kennst.« -- »Herr, hilf uns auf den Wegen, die du kennst,« wiederholte -Natalia Nikolajewna andächtig, und plötzlich war ihr, als nähme der -Diakon sie auf seine Arme und trüge sie in das Allerheiligste, -- -der Raum war unendlich groß: Säule reihte sich an Säule, und der -Altar reckte sich bis zum Himmel empor und flammte in tausend hellen -Lichtern; hinter ihnen aber, von wo sie gekommen waren, schien alles -winzig klein, so klein, daß sie gelacht hätte, wenn es sie nicht -beunruhigt hätte, daß sie doch ein Weib sei, das Allerheiligste also -gar nicht betreten dürfe. »Bist du bei Sinnen, Diakon!« sagte sie zu -Achilla, »man wird dich deines Amtes entsetzen, wenn man erfährt, daß -du eine Frau ins Allerheiligste getragen hast.« Er aber erwiderte: -»Ihr seid keine Frau, sondern eine +Kraft+!« Und mit einem Male war -Achilla und das Allerheiligste und der Altar und die Lichter -- alles, -alles verschwunden, und Natalia Nikolajewna schlief nicht mehr, sondern -wunderte sich nur, warum alles um sie herum immer noch so klein aussah: -der Samowar da drüben war gar kein richtiger Samowar, sondern ein -Spielzeug, und die Teekanne darauf war nur eine Eierschale ... - -In diesem Augenblick kam Tuberozow aus dem Kloster zurück und fing an, -freundlich zu ihr zu sprechen, sie aber wehrte mit beiden Händen ab. - -»Still,« sagte sie, »still: ich muß ja bald sterben.« - -Der Propst blickte sie ganz erstaunt an. - -»Was fällt dir ein, Natascha? Gott behüte uns in Gnaden!« - -»Nein, Liebster, ich muß sterben. Ich lebe nur noch halb.« - -»Wer hat dir das gesagt?« - -»Wer mir's gesagt hat? Ich sehe alles nur halb.« - -Der Arzt kam, fühlte den Puls, besah die Zunge und sagte: »Nichts -Besonderes, Erkältung und Übermüdung.« - -Tuberozow wollte ihm sagen, daß die Kranke alles nur halb sehe, aber er -genierte sich. - -»Du hast sehr recht getan, es ihm nicht zu sagen,« meinte Natalia -Nikolajewna, als er es ihr erzählte. - -»Siehst du wirklich alle Gegenstände nur halb?« - -»Ja! Ist das droben am Himmel der Mond?« - -»Freilich ist es der Mond, der auf uns zwei Alte durchs Fenster -herabschaut!« - -»Und mir erscheint er wie ein Fischauge.« - -»Das kommt dir nur so vor, Natascha.« - -»Nein, es ist wirklich so, Vater Sawelij.« - -Um seine Frau von ihrem Irrtum zu überzeugen, nahm Tuberozow den -verhängnisvollen Fünfundzwanzigrubelschein aus der Schachtel und zeigte -ihn ihr. - -»Nun sag mal, was ist das?« - -»Zwölf und ein halber Rubel,« erwiderte Natalia Nikolajewna sanft. - -Tuberozow erschrak. Das war ihm unbegreiflich. Natalia Nikolajewna aber -faßte lächelnd seine Hand und flüsterte, indem sie die Augen schloß: - -»Du scherzest und ich scherze auch. Ich habe wohl gesehen, daß das -unser Schein war. Aber alles sieht winzig klein aus. Doch sobald ich -die Augen zumache, seh' ich alles groß, riesengroß. Alle wachsen: du -und Nikolai Afanasjewitsch, unser Freund, und der liebe Diakon Achilla, -und Vater Zacharia ... Mir ist so wohl, so wohl, weckt mich nicht.« - -Und Natalia Nikolajewna entschlief für immer. - - - - -Fünftes Buch. - - - - -Erstes Kapitel. - - -Nicht nur den Zwerg Nikolai Afanasjewitsch erschütterte die -schauerliche Ruhe des Gesichtsausdrucks und der wackelnde Kopf -Tuberozows, der langsam durch den tiefen Schlamm der ungepflasterten -Straßen hinter dem Sarge seiner entschlafenen Gattin herging, sondern -in dem großen und stummen Schmerz tiefangelegter Menschen liegt -unzweifelhaft eine unwiderstehliche Kraft, die von allen empfunden -wird und bei kleinen Naturen, welche gewohnt sind, ihr Weh in lauten -Seufzern und Geschrei ausströmen zu lassen, Angst und Grauen erweckt. -Das fühlte jetzt jeder, der irgend etwas mit dem verwaisten Greise -zu tun gehabt hatte, dessen treue Gefährtin dahingegangen war. Als -die Erdschollen an den Sargdeckel schlugen und der in den Bann getane -Priester sich umwandte, um von dem hohen Erdhaufen herabzusteigen, -traten alle Umstehenden zurück und gaben ihm den Weg frei, den er -nun auch ganz allein mit entblößtem Haupte durch den ganzen Friedhof -entlang schritt. - -Am Tor blieb er stehen, betete vor dem Heiligenbild der Kapelle, setzte -seinen Hut auf und wandte sich noch einmal um. Erstaunt trat er zurück. -Vor ihm stand der Zwerg Nikolai Afanasjewitsch, der von der Grabstätte -an in einer Entfernung von zwei Schritt hinter ihm hergegangen war. - -Etwas wie Freude zuckte über das Gesicht des Propstes. Es tat ihm -augenscheinlich wohl, seinem »alten Märchen« in einem so trüben -Augenblick zu begegnen. Er wandte sich seitwärts den schwarzen Feldern -zu, auf denen noch kümmerlich und frierend die Wintersaat sproßte, und -aus seinen Augen fiel eine schwere Träne, einsam und schnell, wie ein -Tropfen Quecksilber, und verlor sich in seinem grauen Barte, gleich -einem im Walde verirrten Waisenkind. - -Der Zwerg bemerkte diese Träne. Er wußte, was sie bedeutete und schlug -still ein Kreuz. Sie machte Sawelijs vom Übermaß des Schmerzes beengte -Brust leicht. Er holte tief Atem, und als der Zwerg ihn aufforderte, in -seinen Wagen zu steigen, erwiderte er: - -»Ja, Nikolascha, es ist gut, ich will mit dir fahren.« - -Schweigend fuhren sie dahin, bis der Wagen vor dem Häuschen des -Gendarmen in der Klostervorstadt hielt. Tuberozow drückte dem Zwerg -stumm die Hand und ging in seine Wohnung. - -Nikolai Afanasjewitsch folgte ihm nicht. Er empfand, daß Tuberozow -jetzt allein sein wollte. Erst am Abend besuchte er den Witwer, und -nachdem er eine Zeitlang dagesessen hatte, bat er um Tee unter dem -Vorwande, daß ihn friere; in Wirklichkeit wollte er Sawelij von seinem -Schmerz ablenken und das Gespräch auf den eigentlichen Zweck seines -Besuchs bringen. Der Plan gelang vollkommen, und als Tuberozow den -dampfenden Samowar hineingetragen hatte, die Tassen aus dem Schrank -holte und sich anschickte, den Tee zu bereiten, begann der Zwerg -leise zu erzählen, was sich in all der Zeit in Stargorod zugetragen. -Schritt für Schritt ging er vorwärts, ließ einen Tag nach dem andern -vorüberziehen, bis zu dem Augenblick, wo er hier am Teetisch saß. In -diesem Bericht war natürlich sehr viel die Rede von der Betrübnis der -Städter über das Mißgeschick des Propstes, den man so sehr vermißte und -ganz zu verlieren fürchtete. - -Der Propst, der dem Zwerg anfangs ernst und ruhig, beinahe teilnahmlos -zugehört hatte, wurde aufmerksamer, als die Rede auf das Verhalten -der Gemeinde seiner Maßregelung gegenüber kam. Und als der Zwerg, -nachdem er sich erst umgesehen hatte, mit gedämpfter Stimme zu erzählen -fortfuhr, sie hätten im Namen der ganzen Gemeinde ein Gesuch aufgesetzt -und unterzeichnet, und er, Nikolai Afanasjewitsch, hätte es von Achilla -empfangen und auf seiner Brust verborgen, da zuckte die Unterlippe des -Alten krampfhaft und er sagte: - -»Ein braves Volk. Ich danke.« - -»Ja, es ist brav, unser Volk, sogar sehr brav, aber es weiß noch nicht -recht, wie es eine Sache anfangen soll.« - -»Finsternis, Finsternis über dem Abgrund ... doch über allem schwebt -der Geist des Herrn,« sagte der Propst, seufzte tief und bat um das -Papier, von dem der Zwerg gesprochen hatte. - -»Wozu braucht Ihr es denn, Vater Propst, dieses Papier?« fragte der -Zwerg schlau lächelnd. »Morgen wird es dem überreicht, an den es -gerichtet ist --« - -»Gib es mir, ich will es besehen.« - -Der Zwerg knöpfte seinen Rock auf, um seinen Brustbeutel herauszuholen, -schien sich aber plötzlich auf etwas zu besinnen. - -»Nun, so gib doch her,« bat Sawelij. - -»Aber werdet Ihr ... werdet Ihr es nicht zerreißen, Vater Propst?« - -»Nein,« sagte Tuberozow fest, und als der Kleine ihm das Blatt -hinreichte, das mit winzigen und riesengroßen, deutlichen und ganz -unleserlichen Unterschriften bedeckt war, murmelte Sawelij andächtig: - -»Zerreißen? Dieses kostbare Dokument zerreißen? Nein, nein! Mit ihm ins -Gefängnis; mit ihm ans Kreuz! In den Sarg sollt ihr es mir legen!« - -Und zum nicht geringen Entsetzen des Zwerges rollte er das Blatt -schnell zusammen und verbarg es auf seiner Brust unter dem Leibrock. - -»Aber, Vater Propst, das soll doch eingereicht werden!« - -»Nein, das soll es nicht!« - -Ihm das Papier jetzt fortzunehmen, war unmöglich. Man konnte sicher -sein, daß er sich eher von seinem Leben, als von diesem Blatt mit den -kostbaren Krakelfüßen seiner Gemeinde trennen würde. - -Dies sah der Zwerg ein und versuchte vorsichtig, sich dem Gedankengang -Sawelijs anzupassen. Er fing an davon zu reden, wie bedeutungsvoll und -erfreulich dieses Eintreten der Gemeinde für ihren Pfarrer sei, und -wies weiter darauf hin, daß der Wille der Gemeinde für jeden Einzelnen -bindend und heilig sein müsse. - -»Sie weinen und wehklagen jetzt, Vater Propst, daß sie Euch nicht mehr -sehen sollen.« - -»Das ist nicht zu ändern,« sagte der Propst seufzend. »Meine Tage sind -ohnedies schon gezählt.« - -»Aber ich, Vater Propst? Wie steh' ich da? Was hat die Gemeinde mir -anvertraut und womit kehr' ich zu ihr zurück?« - -Tuberozow stand auf, durchschritt ein paarmal sein enges Zimmerchen, -blieb in der Ecke vor dem Heiligenbilde stehen, zog das Blatt wieder -hervor, küßte es noch einmal und reichte es dann dem Zwerg mit den -Worten: - -»Du hast recht, mein lieber Freund, tu, wie die Gemeinde dir befohlen.« - - - - -Zweites Kapitel. - - -Nikolai Afanasjewitsch hatte viel Mühe, um seinen Auftrag auszuführen, -aber er war ebenso unermüdlich wie geschickt. Dieser kleine Abgesandte -der großen Gemeinde kannte weder Ermattung noch Überstürzung. Wie eine -Klette hängte er sich an alle, die ihm förderlich sein konnten, und -ließ sie nicht los. Den Propst besuchte er allabendlich, doch erzählte -er ihm nichts von seinen Bemühungen, und Sawelij selbst dachte nicht -daran, ihn zu fragen. Inzwischen rückte aber die Sache so gut vorwärts, -daß am neunten Tage nach dem Tode Natalia Nikolajewnas, als der Propst -vom Friedhof gekommen war, der Zwerg zu ihm sagen konnte: - -»Nun, lieber Vater Propst, macht Euch zur Heimreise fertig. Man entläßt -Euch.« - -»Der Wille des Herrn sei über mir,« erwiderte Tuberozow gleichgültig. - -»Man verlangt nur eines von Euch, Ihr sollt Euch schriftlich -verpflichten, dieses hinfort nicht mehr zu tun.« - -»Gut; ich will's nicht mehr tun ... werde es nicht tun ... ich bin -schwach und zu nichts mehr zu brauchen.« - -»Wollt Ihr Eure Unterschrift geben?« - -»Ja ... ich will ... ich bin bereit.« - -»Und dann bittet man noch ... Ihr sollt Euch schuldig bekennen und um -Verzeihung bitten.« - -»Schuldig? Wessen beschuldigt man mich?« - -»Des Übermuts. Das heißt -- sie nennen es so: Übermut.« - -»Übermut? Ich war nie übermütig und habe stets auch andere, soviel ich -vermochte, davon zurückgehalten. Ich kann mich also nicht einer Sünde -schuldig bekennen, die ich nicht begangen habe.« - -»Aber sie nennen es so.« - -»So sage ich ihnen, daß ich mir keines Übermuts bewußt bin.« - -Tuberozow blieb stehen, hob den Zeigefinger der rechten Hand in die -Höhe und rief: - -»Der Prophet ward nicht übermütig genannt, da er für den Herrn eiferte. -Geh hin und sage ihnen: der Priester, den ihr in den Bann getan, läßt -euch melden, daß der Eifer des Herrn ihn getrieben, und daß er, wie er -als Eiferer geboren, so auch sterben werde. Und jetzt will ich kein -Wort von Vergebung mehr hören.« - -Mit dieser kategorischen Antwort mußte der Fürsprecher sich entfernen, -und wieder lief er von Tür zu Tür, bat, flehte, drohte sogar mit dem -menschlichen und göttlichen Gericht, aber alles war vergeblich. - -Der Zwerg wurde krank und mußte sich zu Bett legen; die Unmöglichkeit, -die Sache zum Austrag zu bringen, die er auf sich genommen, hatte die -Kraft und die Geduld des eigenartigen Anwalts gebrochen. - -Nun tauschten die beiden Alten ihre Rollen, und wie bisher Nikolai -Afanasjewitsch den Propst täglich besucht hatte, so wanderte jetzt -Sawelij, wenn er die vorgeschriebene Menge Holz gesägt und die Vesper -im Kloster mit angehört hatte, nach dem großen Plodomasowschen Hause, -wo der Kranke in einem kleinen Hinterstübchen lag. - -Der arme Zwerg tat dem Propst unsagbar leid, er fühlte alle seine -Schmerzen mit ihm und sagte seufzend: - -»Das hatte noch gefehlt, daß du um meinetwillen leiden mußtest.« - -»Ach, Vater Propst, was redet Ihr von mir altem Hasen? Wozu bin ich -denn überhaupt noch auf der Welt? Denkt lieber an Euch, und an ihn, -an Euren Hohepriester! Er +bittet+ Euch doch, daß Ihr Euch demütigt! -Tröstet ihn, gebt nach, bittet um Vergebung.« - -»Ich kann nicht, Nikolai, ich kann nicht.« - -»Demütigt Euch.« - -»Ich demütige mich vor der Gewalt, aber was höher ist als die irdische -Gewalt, das hat mehr Macht über mich ... Ich stehe unter dem Gesetz. -Sirach hat es uns zur Pflicht gemacht, für die Ehre unseres Namens -Sorge zu tragen, und der Apostel Paulus protestierte gegen die -Mißachtung seiner Bürgerrechte; ich habe nicht das Recht, mich zu -erniedrigen um einer Abbitte willen.« - -Der Zwerg gab alle Hoffnung auf und begann, sich zur Heimreise -nach Stargorod zu rüsten. Sawelij widersetzte sich dem nicht; im -Gegenteil, er riet ihm selbst, schneller abzureisen und gab ihm -keinerlei Aufträge, was er daheim sagen oder antworten sollte. Bis -zum letzten Augenblick, als er den Zwerg aus der Stadt hinaus bis zum -Zollschlagbaum begleitete, bestand er auf seinem Willen und kehrte -ruhig in die Stadt und auf den Klosterhof zurück, um sein Holz zu sägen. - -Der Kummer des Zwerges war grenzenlos. Er hatte ganz anders gehofft -heimzukehren, und seine Gedanken umkreisten unablässig denselben -Gegenstand. Plötzlich jedoch kam ihm Erleuchtung -- ein einfacher, -klarer, rettender, glänzender Gedanke, wie sie dem Menschen nur selten -kommen und fast immer so unverhofft, als würden sie ihm von oben -gesandt. - -Etwa zehn Werst weit war der Zwerg gefahren, als er dem Kutscher -befahl, wieder nach der Stadt zurückzukehren. Sofort begab er sich -zu Sawelijs Vorgesetzten und bat flehentlich, man möge dem Propst -+befehlen+, Abbitte zu tun. - -Da man des halsstarrigen alten Mannes lange überdrüssig war, erfüllte -man seinen Wunsch ohne weiteres. Er erschien daher wieder bei Tuberozow -und erklärte: - -»Nun, stolzer Vater Propst, Ihr wolltet Euch nicht bestimmen lassen, -- -jetzt habt Ihr's so weit gebracht, daß Ihr Euch der Strenge fügen müßt. -Ich bin beauftragt, Euch mitzuteilen, daß die Obrigkeit Euch kraft der -ihr zukommenden Gewalt befiehlt, Abbitte zu tun.« - -»Wo soll ich denn den Kniefall tun: hier, oder auf dem Marktplatz, oder -in der Kirche?« fragte Tuberozow trocken. »Mir ist es gleich. Was man -mir befiehlt, muß ich tun.« - -Der Zwerg antwortete, daß kein Mensch eine derartige Demütigung von ihm -verlange; er habe schriftlich Abbitte zu leisten. - -Sofort setzte sich Tuberozow hin und schrieb das Gewünschte nieder. Als -Überschrift wählte er die Worte: »Befohlenes ergebenstes Gesuch.« - -Der Zwerg bemerkte, daß das Wort »befohlen« hier ganz unpassend sei, -jedoch Sawelij wies ihn energisch zurück: - -»Ich hoffe, man hat dich nicht noch beauftragt, mir Unterricht in der -Logik zu erteilen. Ich habe genug davon im Seminar gelernt. Du sagtest, -es würde mir befohlen, und also schreibe ich auch ›befohlenes Gesuch‹.« - -Die Sache endete damit, daß man den Vater Sawelij, um ihn endlich -einmal los zu sein, ziehen ließ, weil aber sein ergebenstes Gesuch -zugleich als »befohlenes« bezeichnet worden war, so erfolgte darauf der -Bescheid, daß der Propst noch ein halbes Jahr lang keine Amtshandlungen -ausüben dürfe. - -Sawelij nahm das sehr kühl auf, dankte allen, denen er Dank zu schulden -glaubte, und reiste mit dem Zwerge nach Stargorod. Die lange, qualvolle -Verbannung war vorüber. - - - - -Drittes Kapitel. - - -Unterwegs redeten sie nicht viel, und immer nur war es der Zwerg, -welcher anfing. Er wollte den Propst, der stumm mit den in alten -Wildlederhandschuhen über den Knien gefalteten Händen dasaß, zerstreuen -und erheitern. Nikolai Afanasjewitsch fing bald von diesem, bald von -jenem an, Tuberozow jedoch schwieg oder gab nur ganz kurze Antworten. -Der Kleine erzählte, wie die Gemeinde um den Propst geklagt und geweint -hätte, wie die Postmeisterin ihren Mann verprügeln wollte und statt -dessen den Lehrer verprügelt hätte, wie dieser, von der Biziukina -verfolgt, aus der Stadt geflohen sei, aber der Alte schwieg und schwieg. - -Nikolai Afanasjewitsch sprach von Tuberozows Hause: es werde baufällig -und müsse repariert werden. - -Seufzend meinte der Propst: - -»Für mich ist das alles nur Staub, und es ekelt mich, daß ich mein Herz -daran hängen konnte.« - -Der Zwerg fing von Achilla an, der immer einen Zeitvertreib zu finden -wisse: jetzt habe er z. B. ein Hündchen zu sich ins Haus genommen, das -er noch blind am Flußufer ausgesetzt gefunden, und triebe immer neuen -Spaß mit ihm. - -»Mag er doch, wenn es ihm Vergnügen macht,« sagte der Propst leise. - -Nikolai Afanasjewitsch fuhr lebhafter fort: - -»Ja, und es passieren ganz seltsame Geschichten mit diesem Hündchen, -Vater Propst. Er hat diesen Hund, wie schon seine früheren, lachen -gelehrt, und wenn er zu ihm sagt: ›Lache, mein Hündchen‹ -- dann zeigt -es gleich die Zähnchen. Nun machte ihm aber der Gedanke Sorge, wie er -das Tierchen nennen sollte.« - -»Als ob es dem Vieh nicht ganz gleichgültig sei, wie man es nennt,« -sagte der Propst scheinbar gelangweilt. - -Aber der Zwerg hatte schon gemerkt, daß sein Gefährte den Geschichten -vom Diakon Achilla mehr Teilnahme entgegenbrachte als seinen sonstigen -Reden, und fuhr deshalb fort: - -»Man sollte es meinen. Aber dem Vater Diakon ist es nicht gleichgültig. -Er ist nun mal so ein Charakter: hat er sich was in den Kopf gesetzt, -dann hat er auch keine Ruhe mehr bei Tag und Nacht. ›Ich habe‹, sagt -er, ›dies Hündlein bei einer besondern Gelegenheit in sehr erregter -Stimmung heimgebracht, und ich will, daß es zur Erinnerung an diesen -Tag auch einen besondern Namen habe, einen Namen, wie er sonst nicht -vorkommt.‹« - -Der Propst lächelte. - -»So kam Vater Achilla eines Tages zu mir nach Plodomasowo geritten, -hielt auf seinem Rosse vor meinem und meines Schwesterleins Fenstern -an und rief mit Donnerstimme: ›Nikolascha! Heda, Nikolascha!‹ Ich -dachte: ›Herrgott, was ist denn da passiert?‹ schaute zum Fenster -hinaus und fragte: ›Ist am Ende dem Vater Sawelij noch etwas Schlimmes -widerfahren, Vater Diakon?‹ -- ›Nein,‹ entgegnete er, ›nichts -dergleichen, aber ich habe ein wichtiges Anliegen an dich, Nikolascha. -Ich muß dich um Rat fragen.‹ -- ›Um was handelt sich's denn?‹ rief ich -hinunter. ›Macht schnell, wertester Herr, denn mir wird's kalt, wenn -ich so lange am offenen Fenster stehe. Ich vertrage das nicht.‹ -- -›Du hast dich‹, sagte er, ›von klein auf in herrschaftlichen Häusern -umgetan und mußt alle Hundenamen wissen.‹ -- ›Da verlangt Ihr zu viel,‹ -sagte ich. ›Ein jeder nennt seinen Hund so, wie's ihm paßt.‹ -- ›Na -also,‹ schrie er zurück, ›dann leg mal los!‹ -- Ich antwortete, der -Name richte sich doch meistens nach der Rasse. Die Windspiele nenne man -›Mylord‹, unsere einfachen Hunde ›Barbos‹, die englischen ›Fanny‹, die -kurländischen ›Charlotte‹ ... ›Aber‹, unterbrach mich der Vater Diakon, -›du sollst mir einen Namen nennen, der sonst nirgends vorkommt. Du mußt -einen solchen wissen!‹ ›Herrgott, wie beruhige ich den Menschen nur?‹ -dachte ich.« - -»Nun, und was hast du schließlich gemacht?« fragte Tuberozow neugierig. - -»Ich fror derart am offenen Fenster, daß ich, nur um ihn schneller -loszuwerden, meinte: ›Ich kenne noch einen Hundenamen, werter Herr, -aber ich habe nicht den Mut, ihn Euch zu sagen.‹ -- ›Tut nichts,‹ -schrie er, ›sag ihn ruhig!‹ -- ›Ich kannte einen Herrn, dessen Hund -hieß Wiesie.‹ Vater Achilla machte ein ganz verdutztes Gesicht. ›Was -ist das für Unsinn, du bist wohl verrückt geworden?‹ -- ›Nein,‹ sagte -ich, ›verrückt bin ich nicht, ich weiß nur ganz genau, daß in Moskau -ein Fürst einen Hund hatte, der hieß Wiesie.‹ Achilla Andrejewitsch -geriet nun in fürchterliche Wut, gab seinem Pferd die Sporen, ritt -hart an die Mauer heran und schrie: ›Wie darfst du alter schamloser -Kerl solche Dinge reden? Weißt du nicht, daß ich einen christlichen -Namen trage und daß ich ein Diener des Altars bin?‹ Mit Müh und Not -konnte ich ihn beruhigen, Vater Propst, und ihm erklären, was es mit -dem Wiesie für eine Bewandtnis hatte. Darauf schwang er sich auf sein -Pferd, holte das Hündchen aus seinem Pelz, wo er es verborgen gehalten -hatte, heraus und rief: ›Guten Tag, Wiesiechen!‹ Und sprengte fröhlich -von dannen.« - -»Das große Kind!« sagte Sawelij lächelnd. - -»Ja, er muß immer spaßen.« - -»Tadele ihn nicht. Das Kind muß sein Spielzeug haben, damit es nicht -weint. Er hat eine schwere Last zu tragen. Rundherum liegt alles in -tiefstem Schlaf und in ihm brennen tausend Leben.« - -»Sehr richtig. Ich kann mir auch gar nicht denken, wie er einmal -sterben wird.« - -»Ich auch nicht,« meinte der Propst lächelnd. »Er ist die verkörperte -Verneinung des Todes. Was aber wurde weiter aus dem Wiesie?« - -»Ja, was meint Ihr wohl? Seinetwegen gab es noch Zank und Streit ohne -Ende. Es konnte ja auch gar nicht anders sein. Der Vater Diakon hatte -sich nämlich folgendes angewöhnt: Wenn er besonders große Sehnsucht -nach Euch bekam, nahm er sein Wiesiechen auf den Arm und begab sich -zur Poststation. Dort setzte er sich vor die Tür und wartete. Kaum -zeigte sich nun ein vornehmer Reisender oder eine Dame, so sagte er -gleich: ›Lache, mein Hündchen!‹ Und das kleine Vieh lachte. Das machte -den Reisenden Spaß und sie fragten: ›Wie heißt denn das Hündchen, Herr -Pfarrer?‹ Er antwortete: ›Ich bin kein Pfarrer, sondern bloß Diakon, -meinen Pfarrer haben die Hunde gefressen.‹ ›Wie heißt denn aber das -Hündchen?‹ fragten sie erneut. ›Das Hündchen, das heißt Wiesie.‹ Auf -diese Weise geriet er mit allen in Streit. ›Ich will sie so alle ins -Gesicht Hunde nennen,‹ sagte er, ›und der Friedensrichter kann mir doch -nichts anhaben.‹ So nimmt er Rache für Euch, Vater Sawelij; aber was er -eigentlich damit erreicht, das bedenkt er gar nicht. Dem Vater Zacharia -ist es seinetwegen schon einmal schlimm ergangen: der Propst sah den -Hund bei ihm und fragte, wie er hieße. ›Er heißt Wiesie, Hochwürden‹ -- -sagte Zacharia und zog sich einen ernsten Verweis zu.« - -Sawelij lachte Tränen. »Dieser ehrliche Zacharia ist köstlich. Ein -Gefäß Gottes und ein Beter, wie ich keinen zweiten gesehen. Ich sehne -mich, ihn wieder zu umarmen.« - -Von der Anhöhe, welche die Reisenden jetzt erreichten, ward plötzlich -die ganze Stadt sichtbar, diese alte, eigentümliche Stadt, die für -Tuberozow so viele Erinnerungen barg; sie überkamen den Alten mit einer -solchen Macht, daß er sich zurücklehnen und die Augen schließen mußte, -als hätte ihn zu grelles Sonnenlicht geblendet. - -Sie ließen den Kutscher langsamer fahren, denn erst, wenn es dämmerte, -wollten sie in der Stadt sein. Als sie im Halbdunkel mit dem eisernen -Ring gegen das wohlbekannte Tor schlugen, ertönte von innen Achillas -Stimme: »Wer da?« Tuberozow wischte sich eine Träne aus dem Auge und -bekreuzigte sich. - -»Wer denn sonst als ich und Vater Sawelij,« antwortete der Zwerg. - -Der Diakon schrie laut auf, flog die Verandastufen herunter, öffnete -das Tor weit, rollte wie eine Lawine in den Wagen hinein und -umklammerte den Hals des Propstes. - -So saßen beide umarmt im Wagen und schluchzten lange und bitterlich, -während der Zwerg daneben stand und seine sanften, befreienden Tränen -leise mit der kleinen, frosterstarrten Faust wegwischte. - -Als der Diakon sich ausgeweint hatte, fing er an zu sprechen. Beinahe -hätte er nach Natalia Nikolajewna gefragt, aber er besann sich noch im -rechten Augenblick und gab dem Gespräch schnell eine andere Wendung, -indem er dem Propst das Hündchen zeigte, das zu seinen Füßen spielte. - -»Das ist mein neuer Hund, Vater Propst, mein Wiesiechen. Ein ganz -famoses Vieh. Wir brauchen bloß zu befehlen, dann lacht er. Was sollen -wir wegen unnützer Dinge Trübsal blasen!« - -»Wegen unnützer Dinge!« klang es unerträglich schmerzvoll in Vater -Sawelijs Herzen nach, aber er sprach die Worte nicht aus, sondern -drückte nur des Diakons Hand, so fest er konnte. - - - - -Viertes Kapitel. - - -Als der Propst sein Haus betreten hatte, dessen einziger Bewohner und -Herr so lange Zeit der Diakon Achilla gewesen war, küßte er den wilden -Riesen auf den trockenen Scheitel seines Lockenkopfes, ging dann mit -ihm durch alle Zimmer, machte das Zeichen des Kreuzes über dem leeren, -verwaisten Bettchen Natalia Nikolajewnas und sprach: - -»Nun, alter Freund, jetzt hat es wohl keinen Sinn mehr, daß wir uns -wieder trennen? Bleiben wir zusammen.« - -»Mit tausend Freuden. Ich hatte es mir selbst auch schon so gedacht,« -entgegnete Achilla und schloß den Propst wieder in seine Arme. - -So hausten sie denn zu zwei hier. Achilla sang in der Kirche und sorgte -für die Wirtschaft, Tuberozow saß zu Hause, las seinen John Bunian, -dachte und betete. - -Er lebte das intensive, konzentrierte Leben eines Geistes, der mit sich -selbst ins Reine zu kommen sucht. - -Achilla hielt ihm alle kleinen Alltagssorgen fern und gab dem Alten die -Möglichkeit, ganz und gar der innern Sammlung zu leben. - -Aber dieses Glück sollte nicht lange dauern. Dem Diakon ward eine -große Ehre zuteil: der Bischof, der zur Session des Heiligen Synods -berufen war, nahm ihn mit nach Petersburg, weil der Protodiakon der -Gouvernementskathedrale erkrankt war. - -Der Abschied des Diakons von Tuberozow war rührend. Achilla, der in -seinem Leben noch keinen Brief geschrieben hatte, nicht wußte, wie man -einen schreibt noch absendet, erklärte nicht nur, daß er dem Propst -regelmäßig schreiben werde, sondern er tat es auch wirklich. - -Seine Briefe waren ebenso eigenartig und seltsam wie seine ganze -Denk- und Lebensweise. Zuerst erhielt Tuberozow einen Brief aus der -Gouvernementsstadt, und in diesem Brief, dessen Umschlag die Aufschrift -trug: »An den Vater Propst Tuberozow geheim und eigenhändig«, meldete -Achilla, daß er während seines Aufenthaltes im Kloster für Tuberozow -Rache an dem Zensor Troadij genommen habe: er habe dem Kater des -Zensors eine Wurst auf den Rücken gebunden mit der Aufschrift: - - »Diese Wurst bring ich, der Kater, - Meinem Herrn, dem frommen Vater« - -und ihn in den Klosterhof laufen lassen. - -Einen Monat später schrieb Achilla aus Moskau, wie sehr ihm die Stadt -gefallen hätte; doch seien die Leute dort gar arglistig, insbesondere -die Kirchensänger, die ihn zweimal aufgefordert hätten, mit ihnen -Blachdnublach zu trinken, er aber habe »aus der Praxis wohl wissend, -was sothanes Blachdnublach zu bedeuten habe, sich ob dieser ihrer -Sängerfrechheit nicht wenig verwundert«. - -Einige Zeit später schrieb er aus Petersburg: - -»Mein vielgeliebter Freund und Euer Hochwürden Vater Sawelij. Freuet -Euch. Ich lebe herrlich im Klostergasthof, in dem es freilich an -Versuchungen jeglicher Art nicht fehlt, denn es geht hier fast ebenso -zu, wie mitten im Lärm der großen Stadt. Und doch sehne ich mich sehr -nach Euch. Wenn wir zusammen hier wären, könnten wir gemeinschaftlich -viel schöner und mit viel mehr Freude alles bewundern. Eure weisen -Ratschläge habe ich mir wohl gemerkt und werde von allen mit größter -Achtung behandelt, was Euch ja das Moskauer Blachdnublach beweist, -welches mitzutrinken ich mich weigerte. Ich trinke nur ganz wenig, -und auch nur deshalb, weil ich sonst fürchte, gute Bekanntschaft zu -verlieren. An Schönem ist hier kein Mangel, bloß einen richtigen -Diakon, wie man ihn sich bei uns wünscht, habe ich noch nicht -gefunden. Alle sind sie Tenöre, die nach unsern Begriffen nur zu -Friedhofsgottesdiensten zu brauchen wären, und obgleich einige sich -sehr aufspielen, so sind sie doch an Gestalt im Vergleich zu uns gar -jämmerlich und ihr Gesang ist ein halbes Sprechen, wobei sie nicht -mal die richtige Note treffen, und die Sänger mit ihnen gar nicht -ordentlich zurechtkommen können. Ich aber, der ich mein Handwerk -kenne, mache ihre Mode nicht mit, sondern singe die Messe so, wie -ich es gewohnt bin, und, obgleich ich ein Fremder bin, hat mich die -Kaufmannschaft doch aufgefordert, beim Dankgottesdienst vor der -Markthalle mitzusingen, und ich habe dafür, außer der Renumeration -in barem Gelde, noch drei Tücher aus Seidenfoulard erhalten, wie Ihr -sie so gerne habt und welche ich Euch als Gastgeschenk mitzubringen -gedenke. Wohl bekomm's! Langeweile habe ich oft. Man bekommt hier -meistens Kaffee vorgesetzt. Wegen der weiten Entfernungen mache ich -nur wenig Besuche. Fast alle wohnen in Nebenstraßen; und da ich auf -dem Imperial fahre, komme ich in keine Nebenstraßen hinein. Doch Ihr -als Provinzler werdet das gar nicht verstehen: man sitzt wie auf einem -Hause, hoch oben auf dem Dache, und wenn man von da hinunter will, so -muß man sehr gewandt sein, um abspringen zu können. Dem weiblichen -Geschlecht ist dieses wegen seiner Kleidung überhaupt nicht gestattet. -Die Droschkenkutscher aber sind hier, wie ich bemerke, große Spötter. -Und wenn einer von uns geistlichen Personen einen mieten will und er -bietet einen niedrigen Preis, dann schreien gleich alle andern: ›Mit -dem sollt Ihr nicht fahren, Vater, der hat erst gestern einen Priester -in den Schmutz fallen lassen.‹ Deshalb lasse ich mich mit ihnen lieber -nicht ein. Unsern Warnawa habe ich einmal getroffen, sprach ihn aber -nicht. Denn wir fuhren aneinander im Imperial vorüber, und ich konnte -ihm nur von ferne drohen. Im übrigen sieht er halb krepiert aus. Was -Euer Unglück betrifft, daß Ihr noch unter dem Bann steht und nicht für -Euch in der Messe beten könnt, so grämt Euch deshalb nicht. Ich habe -das alles wohl überlegt und eingerichtet und der Allmächtige sieht -es. Seid getrost: Wenn Ihr auch für Euch selbst im Kreisstadttempel -nicht beten könnt, in der Residenz ist ein Mann, durch den steigt -das Gebet für Euch zum Himmel empor, -- aus der Kasankathedrale, wo -der Erretter des Vaterlandes, der durchlauchtigste Fürst Kutusow, -beigesetzt ist, und aus der Isaakskathedrale, die von außen ganz von -Marmor ist. Und dieser Beter in der Residenz bin ich, denn sobald ich -die große Fürbitte verlesen habe, so verkünde ich laut die Namen, die -mir vorgeschrieben sind, aber heimlich flüsternd nenne ich still für -mich auch Deinen Namen, mein Freund Vater Sawelij, und sende mein -allerheißestes Gebet für Dich zum Höchsten hinauf, und klage ihm, wie -Du vor aller Welt von Deinen Vorgesetzten gekränkt worden bist. Und ich -bitte Euch noch ganz besonders, nicht mehr an jenes Wort, Eure Tage -seien gezählt, zu denken, es nicht auszusprechen, denn das wäre für -mich und den Vater Zacharia über alle Maßen schmerzlich, und ich würde -Dich, auf Ehrenwort, nur ganz kurze Zeit überleben.« - -Unterzeichnet war der Brief: »Zeitweiliger Residenzstellvertreter -des Protodiakons seiner Parochie, Diakon am Dom zu Stargorod Achilla -Desnitzyn.« - -Es kam noch ein zweiter Brief von Achilla, in dem er berichtete, daß er -»durch einen glücklichen Zufall doch mit Prepotenskij zusammengekommen -sei und sich mit ihm wegen der vergangenen Dinge habe schlagen wollen; -daß die Sache aber eine ganz andere Wendung genommen habe und er sogar -in seiner Redaktion gewesen sei.« Denn Warnawa war jetzt Redakteur und -Achilla hatte verschiedene »Literaten« bei ihm getroffen und sich mit -ihm ausgesöhnt. Als Grund zu dieser Versöhnung wurde angegeben, Warnawa -(nach Achillas Behauptung) sei ein sehr unglücklicher Mensch geworden, -weil er sich kürzlich mit einer Petersburger jungen Dame verheiratet -hätte, die weit strenger wäre, als jede ältere Frau, und immer gegen -die Ehe spreche. Auch solle sie Warnawa häufig prügeln. Er wäre gar -nicht mehr so wie früher: »Er hat mir selber offen eingestanden, wenn -er nicht eine solche große Angst vor seiner Frau hätte, so würde -er in seiner Zeitung sogar für den lieben Gott eintreten; und dann -schimpft er fürchterlich auf die Frau Biziukina und insonderlich den -Herrn Termosesow, der sich anfangs hier sehr gut eingerichtet hatte -und ein hohes Gehalt bezog im Geheimdienst, indem er ehrliche Leute -auszukundschaften hatte. Aber der böse Feind verführte ihn durch seine -Habsucht: er fing an falsches Papiergeld in Umlauf zu bringen, und nun -sitzt er im Gefängnis.« Am meisten aber rühmte Achilla sich dessen, daß -er eine Theatervorstellung mit angesehen habe. »Einmal (schrieb er) -bin ich mit den Kirchensängern in bürgerlichem Gewande auf die höchste -Galerie zur Oper ›Das Leben für den Zaren‹ gegangen, und habe nachher -von dem schönen Gesang fast die ganze Nacht vor Entzücken weinen -müssen. Ein andermal bin ich dann, wiederum als Zivilist verkleidet, -hingegangen, den König Achilla selber zu sehen. Aber mit mir hatte -er auch nicht die geringste Ähnlichkeit: Es kam ein Komödiant -herausstolziert, ganz in Gold gepanzert, und klagte über seine Ferse. -Hätte man mir solch eine Montur angezogen, ich hätte es viel dröhnender -gemacht. Das andere Spiel aber ist ganz heidnisch mit einer Offenheit -bis hierher, und auf einen Witwer oder einzelnstehenden Mann wirkt das -äußerst beunruhigend.« - -Und dann kam endlich noch ein dritter Brief, in dem Achilla -meldete, er käme jetzt bald zurück, und an einem trüben Herbsttag -erschien er plötzlich bei Tuberozow, strahlend, als brächte er eine -Freudenbotschaft. - -Sawelij begrüßte ihn und lief sofort auf die Straße, um die -Fensterläden zu schließen, weil kein Neugieriger von der Heimkehr des -Diakons erfahren sollte. - -Ihre Unterredung dauerte sehr lange. Achilla trank in der Zeit einen -ganzen Samowar leer, Vater Tuberozow aber füllte seine Tasse immer von -neuem und sagte: - -»Trink nur, Lieber, trink nur noch,« -- und wenn Achilla die Tasse -geleert hatte, meinte der Propst: »Nun erzähle weiter, Freund, was hast -du noch alles gesehen und erlebt?« - -Und Achilla erzählte. Gott weiß, woher er das alles hatte, -- Wichtiges -und Unwichtiges bunt durcheinander. Was aber den Vater Sawelij am -meisten wunderte, waren die vielen seltsamen Worte, die Achilla -erbarmungslos in seine Rede mengte, mochten sie passen oder nicht, -Ausdrücke, wie er sie vor seiner Petersburger Reise nicht nur nie -gebraucht, sondern wohl auch gar nicht gekannt hatte. - -So fing er zum Beispiel plötzlich ganz unvermittelt an: »Denk -dir einmal, Vater Sawelij, diese Kumbination ...« (Das ›u‹ wurde -unbarmherzig scharf betont.) - -Oder: - -»Wie er mir das sagte, da sah ich ihn an und antwortete: ›Nein, mein -Bester, ~je vous perdu~! Das wäre mir gerade der rechte Türlütütü!‹« - -Mit welch großer Teilnahme Vater Tuberozow auch seinem Diakon zuhörte, --- als diese und ähnliche Ausdrücke sich immer häufiger wiederholten, -runzelte er die Stirn und rief endlich ungeduldig: - -»Was soll das eigentlich? Wo hast du all diese dummen Redensarten -gelernt?« - -Aber der begeisterte Achilla war so eifrig dabei, dem Propst alle seine -aus der Residenz mitgebrachten Herrlichkeiten zu zeigen, daß er auch -vor den tollsten Wortbildungen nicht zurückschreckte. - -»Hab' nur keine Furcht, guter Vater Sawelij, solche Worte haben nichts -zu sagen -- sie sind nicht verboten.« - -»Wieso nichts zu sagen? Sie klingen häßlich.« - -»Ihr seid sie nur nicht gewohnt. Mir kann man jetzt sagen, was man -will. Es ist alles Quatsch mit Sauce.« - -»Schon wieder!« - -»Was denn?« - -»Was hast du da wieder für ein gemeines Wort gebraucht?« - -»Quatsch mit Sauce!« - -»Pfui!« - -»Was ist denn dabei? Alle Literaten gebrauchen es.« - -»Mögen sie es tun, in der Residenz sind sie eben so feine Herrschaften; -da geht's nicht ohne Sauce. Wir einfachen Leute aber haben an dem -Quatsch allein schon mehr als genug. Meinst du nicht?« - -»Sehr richtig,« sagte Achilla und fügte nach einigem Nachdenken hinzu, -er fände eigentlich auch, daß Quatsch ohne Sauce viel besser klinge. - -»Denkt einmal,« widerlegte er sich selbst, »wenn unsereins einen -Quatsch zum Besten gibt, dann lacht alles; aber die Leute geben gleich -auch noch eine scharfe Sauce hinzu -- zum Beispiel, es gebe keinen Gott -oder ähnliche Torheiten, so daß einem angst und bange wird, und nachher -gibt's dann allemal Zank und Streit.« - -»Es muß einem dabei immer angst werden,« flüsterte Tuberozow. - -»So streng darf man auch nicht sein, Vater Sawelij. Wenn sie's einem -beweisen -- wo soll man dann hin?« - -»Was beweisen? Was redest du da? Was hat man dir bewiesen? Daß es -keinen Gott gibt?« - -»Ja, Vater Sawelij, das hat man mir bewiesen ...« - -»Was faselst du da, Achilla? Du bist doch ein ehrlicher Kerl und -Christ! Bekreuzige dich! Was hast du da gesagt?!« - -»Was soll man denn machen? Ich bin ja selbst nicht froh. Aber gegen ein -Faktum kann man nicht ankämpfen.« - -»Was für ein Faktum? Was hast du denn entdeckt?« - -»Ach, Vater Sawelij, was soll ich Euch ärgern? Lest Ihr nur Euren -Bunian und glaubt in Eurer Einfalt, wie Ihr bisher geglaubt habt.« - -»Laß du meinen Bunian in Ruh und kümmere dich nicht um meine Einfalt. -Bedenke nur, wie du dich selbst bloßstellst!« - -»Was soll man machen? Es ist ein Faktum!« erwiderte Achilla seufzend. - -Tuberozow stand erregt auf und verlangte, Achilla solle ihm sofort das -Faktum nennen, auf das sich sein Zweifel an der Existenz Gottes gründe. - -»Dieses Faktum hüpft auf jedem Menschen herum,« antwortete der Diakon -und erklärte dann, er meine damit den Floh. Einen Floh könne jeder aus -Sägespänen hervorbringen, und also hätte auch die Welt von selbst -entstehen können. - -Auf dieses naive und offenherzige Geständnis wußte Tuberozow zuerst -gar nichts zu erwidern, Achilla aber begann nun, nachdem das -Gespräch einmal diese Wendung genommen hatte, seine Petersburger -Aufklärungsideen weiter zu entwickeln. - -»Wozu arbeitet der Mensch? Um des Essens willen. Er möchte satt sein -und keinen Hunger leiden. Wenn wir nicht essen müßten, würden wir -überhaupt nichts tun. Man nennt das den Kampf ums Dasein. Ohne den gäb' -es gar nichts.« - -»Nun sieh mal,« sagte Tuberozow, »Gott hat das alles gar nicht nötig -gehabt und hat doch die Welt geschaffen.« - -»Das ist wahr,« sagte der Diakon, »Gott hat sie geschaffen.« - -»Wie kannst du ihn dann aber leugnen?« - -»Ich leugne ja gar nicht,« antwortete Achilla, »ich sage nur, daß, -wenn man vom Faktum ausgeht, so kann, wie der Floh aus Sägespänen, die -Welt auch aus sich selbst heraus entstanden sein. Ihr Gott ist, heißt -es, der »Sauerstoff«. Aber der Teufel mag wissen, was das wieder für -ein Stoff ist! Und nun seht einmal: wenn Ihr das wieder von der andern -Seite betrachtet habt, versteh ich rein gar nichts mehr.« - -»Wo ist denn dein Sauerstoff hergekommen?« - -»Ich weiß nicht ... Lassen wir das lieber, Vater Sawelij.« - -»Nein, das kann ich nicht. Es muß wieder heraus aus dir. Also sag' -einmal: wo hat er seinen Anfang, dein Sauerstoff?« - -»Bei Gott, ich weiß es nicht, Vater Sawelij! Laßt es doch, Liebster!« - -»Vielleicht ist dieser Sauerstoff ohne Anfang?« - -»Das mag der Teufel wissen! Der soll ihn überhaupt holen!« - -»Und er hat auch kein Ende?« - -»Vater Sawelij! ... Was geht uns dieser verfluchte Sauerstoff an? Mag -er doch ohne Anfang und ohne Ende sein! Was kümmert's uns?« - -»Begreifst du, was das heißt: ohne Anfang und ohne Ende?« - -Achilla erwiderte, er begreife es, und fuhr mit lauter Stimme fort: - -»Es ist ein Gott, der in der Dreifaltigkeit angebetet wird, der ewig -ist, nicht Anfang noch Ende seines Seins hat, sondern immer war, ist -und sein wird.« - -»Amen,« sagte Sawelij lächelnd, und immer noch lächelnd stand er auf, -faßte freundlich Achillas Hand und sagte: - -»Komm, ich will dir etwas zeigen.« - -»Gerne,« erwiderte der Diakon. - -Und Hand in Hand gingen sie aus dem Zimmer, durchschritten den ganzen -Hof und blieben schließlich in der Mitte des mit glänzendem frischen -Schnee bedeckten Gemüsegartens stehen. Der Alte zeigte dem Diakon das -Kreuz des Doms, wo sie so lange Zeit zusammen vor dem Altar gestanden -hatten; dann richtete er immer noch schweigend den Zeigefinger abwärts -und sagte streng: - -»Falle nieder und bete!« - -Achilla kniete nieder. - -»Sprich: Herr, reinige mich Sünder und sei mir gnädig,« sagte Sawelij -und beugte sich selbst als erster zur Erde. - -Achilla seufzte und folgte seinem Beispiel. In der feierlichen Stille -der Mitternacht, im weißen, monderhellten, einsamen Garten stand er -da und immer wieder schlug er mit der heißen Stirn gegen den kalten -Schnee, und tiefe Seufzer wechselten mit der süßen Klage des Bußgebets: -»Herr, reinige mich Sünder und sei mir gnädig« -- und dazwischen klang -die Stimme des Propstes, der die zweite Bitte sprach: »Herr, gehe nicht -ins Gericht mit deinem Knecht.« Der Prediger und der Büßer beteten -zusammen. - -Wie groß war doch der Unterschied zwischen diesem Achilla und jenem, -den wir einst in der Morgenröte pfeifend auf flammendem Roß durchs -Wasser reiten sahen! - -Jener Achilla war wie ein frischer Morgen nach nächtlichem Regen, -dieser flimmert wie Sonnenuntergang nach einem stürmischen Tage. - -Während Achilla betete, saß Tuberozow in seinem leichten grauen -Leibrock auf der Bank vor dem Badehause und zählte, mit dem Kopfe -wackelnd, die Verbeugungen Achillas. Als er so viele abgezählt hatte, -wie ihm nötig schien, stand er auf, faßte den Diakon an der Hand und -friedlich gingen sie wieder in das Haus zurück. Aber ehe er sich zu -Bett legte, trat der Diakon noch einmal zu Tuberozow heran und sagte: - -»Wißt Ihr, Vater Propst, als ich betete ...« - -»Nun?« - -»Da war es mir, als ob die Erde erbebte.« - -»Gesegnet sei der Herr, daß er dir ein solches Gebet gab! Geh jetzt, -leg dich nieder und schlafe in Frieden,« antwortete der Propst und -beide schliefen friedlich ein. - -Aber als Achilla am nächsten Morgen erwachte, da hatte er ein Gefühl, -als wäre er aus sich selbst herausgekommen, als hätte er unversehens -etwas fortgeworfen und etwas anderes dafür gefunden. Etwas, das schwer -zu tragen war und wovon man sich doch nicht trennen konnte und nicht -wollte. - -Es war der Strom des lebendigen, rettenden Glaubens, der die verwirrte, -bebende Seele überflutete. - -Sie mußte krank werden und sterben, um auferstehen zu können, und diese -heilige Arbeit war in vollem Gange. - -Der törichte Achilla war weise geworden, er suchte die Stille, und -eines Tages, als er sich schon etwas gefestigt fühlte, fragte er den -Propst: - -»Sage mir, du gewaltiger Greis, wie soll ich mit mir zurechtkommen, -wenn Gottes Wille es so fügt, daß ich, sei's auch nur für kurze Zeit, -allein bleibe? Bisher war ich stolz auf meine Kraft, aber nun bin ich -andern Sinnes geworden und weiß, daß ich mich nicht auf sie verlassen -kann.« - -»Ja, du warst groß und stark, aber auch dir naht die Stunde, da -nicht mehr du dich selbst, sondern da ein anderer dich gürten wird,« -erwiderte Sawelij. - -»Aber auf meine Vernunft ist noch weniger Verlaß als auf die Kraft, -denn Ihr wißt ja, wie leicht ich irre werde.« - -»Vertrau auf dein Herz, es schlägt treu und wahr.« - -»Was aber soll ich sagen, wenn ich einmal Rede stehen muß? Mein Herz -ist ja stumm.« - -»Lausche nur, so wirst du wohl hören, was es leise zu dir flüstert. -Aber die Flöhe, die von der schmutzigen Erde auf dich hüpfen, die -schüttle ab.« - -Achilla legte die Hand aufs Herz und ging. »Wie soll das zugehen?« -dachte er, und eine unbestimmte Ahnung sagte ihm, daß er bald, sehr -bald allein sein, daß all seine Kraft ihn verlassen und »ein anderer -ihn gürten« werde. - - - - -Fünftes Kapitel. - - -Die dunkeln, bangen Ahnungen des Diakons gingen in Erfüllung: der -schwächliche, durch die Ereignisse hart mitgenommene alte Propst -gehörte kaum noch dieser Welt an. Er erkältete sich nachts beim Zählen -der Verbeugungen, die der Diakon auf seinen Befehl zu machen hatte, -und wurde krank. Er litt nur wenig Schmerzen, fühlte aber, daß der Tod -schon die Arme nach ihm ausstreckte. - -Und nur eins tat ihm weh: daß der Bann immer noch nicht von ihm -genommen war. Achilla verstand dies sehr wohl und wußte auch, was den -Alten dabei am meisten betrübte. - -Tuberozow wollte nicht als Gemaßregelter sterben. Er wollte vor den -himmlischen Richter als ein von der irdischen Gewalt Freigesprochener -treten. Er diktierte dem Diakon einen Brief, in dem er der geistlichen -Behörde von seiner Krankheit Mitteilung machte und in rührenden Worten -bat, man solle ihm die Gnade erweisen und die Frist des ihm auferlegten -Bannes verkürzen. Der Brief wurde abgesandt, blieb aber unbeantwortet. - -All seine Kraft, alles, was ihm lieb und teuer war, hätte Achilla -freudig hingegeben, um diesen Schmerz von der Seele Tuberozows zu -nehmen, aber es lag nicht in seiner Macht, auch war es schon zu spät. -Der Todesengel schwebte bereits zu Häupten seines Bettes, um die -scheidende Seele zu empfangen. - -Einige Tage später stand Achilla weinend in einer Ecke des -Krankenzimmers und blickte auf den Vater Zacharia, der, tief über den -Sterbenden gebeugt, dessen letzte geflüsterte Beichte entgegennahm. -Doch was bedeutete das? Was für eine Sünde belastete das Gewissen -des greisen Sawelij, daß der Vater Benefaktow plötzlich in so große -Aufregung geriet? Er schien sogar völlig vergessen zu haben, daß er -eine Sakramentshandlung vollzog, die keinerlei Zeugen duldet, denn er -verlangte mit lauter Stimme, Vater Sawelij solle irgend jemandem irgend -etwas vergeben! Was machte den Vater Sawelij am Rande des Grabes so -unbeugsam? - -»Sei friedfertig! Sei friedfertig! Vergib!« drängte Zacharia sanft, -aber fest. »Wenn du nicht vergibst, kann ich dir keine Absolution -erteilen.« - -Der arme Achilla zitterte am ganzen Leibe und lauschte mit stockendem -Herzschlag auf jedes Wort. - -»Im Namen des lebendigen Gottes flehe ich dich an, solange du noch am -Leben ...« rief Zacharia mit lauter Stimme und stockte plötzlich, ohne -den Satz zu Ende bringen zu können. - -Der Sterbende richtete sich krampfhaft empor, fiel wieder zurück, hob -die Hand, um sich zu bekreuzigen, und nachdem er dies getan, sprach er -langsam und mit großer Anstrengung: - -»Als Christ ... vergebe ich ihnen die Schmach, die sie mir angetan ... -aber daß sie, nur auf den toten Buchstaben bedacht ... daß sie hier ... -Gottes lebendiges Werk zugrunde richten ...« - -Der Augenblick wurde immer ernster und feierlicher. Es knackte etwas in -der Gurgel Sawelijs, und er fuhr wie ein im Fieber Phantasierender fort: - -»Diesen Schmerz will ich vor den Thron ... des Königs der Könige ... -und selbst dafür zeugen ...« - -»Sei friedfertig. Vergib! Vergib ihnen alles!« rief Zacharia -händeringend. - -Sawelij zog die Brauen zusammen, seufzte und flüsterte: »Wohl mir, daß -ich mich gedemütigt habe« -- und schloß dann mit unerwartet fester -Stimme: - -»Nach dem Gerichte derer, so Deinen Namen lieben, erleuchte die -Unwissenden und vergib dem blinden und verderbten Geschlechte seine -Herzenshärte.« - -Zacharia blickte mit seligem Lächeln zum Himmel und machte das Zeichen -des Kreuzes über Sawelijs Gesicht. - -Dieses Gesicht bewegte sich schon nicht mehr, die Augen blickten starr -in die Höhe und erloschen. Das Ende nahte. - -Achilla stürzte laut schluchzend zum Bette und warf sich über den -Sterbenden. - -Mit einer letzten Kraftanstrengung legte der Verscheidende seine Hand -auf den Kopf des Diakons. Dann aber fing er auch schon laut zu röcheln -an, und seltsam mischten sich diese Töne mit den sanft rieselnden -Worten des Sterbegebets, das Zacharia mit tränenerstickter Stimme -sprach. Das Erdenwallen des Propstes Tuberozow war zu Ende. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Die Wirkung dieses Todes auf Achilla war entsetzlich. Er weinte und -schluchzte nicht wie ein Mann, sondern wie ein nervöses Weib, das einen -Verlust beklagt, den es nicht überleben zu können meint. Übrigens -war das Hinscheiden des Propstes Tuberozow auch für die ganze Stadt -ein großes Ereignis: es gab nicht ein Haus, in dem man nicht für den -Entschlafenen gebetet hätte. - -In dem Totenhause drängten sich die Menschen: die einen kamen, um -dem Verschiedenen ihr letztes Lebewohl zu sagen, die andern, um zu -sehen, wie der Priester im Sarge aussah. In der Nacht, die dem Tode -des Propstes folgte, kam vom Konsistorium die Aufhebung des über den -Verstorbenen verhängten Banns, und so konnte Sawelij denn in vollem -Ornat bestattet werden. Riesengroß, lang lag er da, die Scheitelkappe -auf dem Haupte. Totenmessen wurden im Hause unausgesetzt gelesen, und -so viel eifrige Priester auch kamen und die auf dem Betpult liegenden -Gewänder und Binden anlegten, um die Messe zu singen, -- jeden bat -der Diakon Achilla um seinen Segen, daß er das Orarion anlegen und -mitsingen dürfe. - -Am zweiten Tage war der Sarg fertig, und nun begann, nach einer -alten örtlichen Sitte, die auch heute noch in einigen Gegenden bei -der Einsargung von Geistlichen ausgeübt wird, eine feierliche und -schauerliche Zeremonie. Die versammelte Geistlichkeit, mit Kerzen -in den Händen, in Trauergewändern, trug den toten Sawelij dreimal um -den mächtigen Sarg herum, und Achilla hielt in der Hand des Toten ein -rauchendes Weihrauchgefäß, so daß es aussah, als weihe der Tote selbst -seine letzte kalte Wohnstätte. Dann legte man den entschlafenen Propst -in den Sarg, und alle gingen fort bis auf Achilla; er verweilte die -ganze Nacht bei seinem toten Freunde allein, und da geschah etwas, das -Achilla selbst nicht bemerkte; wohl aber sahen es die andern für ihn. - - - - -Siebentes Kapitel. - - -Seit dem Hinscheiden Sawelijs hatte der Diakon sich nicht mehr zu -Bette gelegt und die drei schlaflosen Nächte nebst der gespannten -Aufmerksamkeit, die er unausgesetzt dem Toten widmete, hatten die -stahlharten Nerven Achillas in einen Zustand äußerster Erregung -versetzt. - -Die Instinkte und Leidenschaften, welche sonst vor allem das Tun und -Lassen des Diakons bestimmt hatten, schienen jetzt völlig verstummt zu -sein und an ihre Stelle traten Seelenzustände, wie sie ihm bisher gar -nicht eigentümlich gewesen waren. - -Von seiner einstigen Zerfahrenheit und seinem Leichtsinn war nichts -mehr zu merken. Er war in sich gekehrt und ganz im Banne schwerer -Gedanken, von denen er sich nicht zu befreien vermochte. Er war nicht -bleich geworden und seine Augen blickten nicht matt: im Gegenteil, über -seiner gebräunten Haut lag ein mattrosiger Schimmer. Er sah alles mit -einer Deutlichkeit und Schärfe, daß ihm die Augen schmerzten. Jeden Ton -hörte er, als käme er aus seinem eigenen Innern, und vieles war ihm -verständlich geworden, woran er früher überhaupt nie mehr gedacht hatte. - -Er begriff jetzt alles, was der verstorbene Sawelij gewollt und -angestrebt hatte, und er nannte den Entschlafenen einen Märtyrer. - -In den drei Nächten der Totenwache redete er wiederholt mit dem -Verstorbenen und wartete allen Ernstes darauf, daß unter dem -Brokattuch, das über das Antlitz des toten Propstes gebreitet war, eine -Antwort erschallen würde. - -»Väterchen!« sprach der Diakon leise, sich im Lesen des Evangeliums -unterbrechend und in der nächtlichen Stille an den Sarg herantretend, --- »stehe auf! Wie? Für mich allein stehe auf! Du kannst nicht? Du -liegst da wie Gras?« - -Und dann stand oder saß er einige Minuten stumm da, um endlich das -monotone Lesen wieder aufzunehmen. - -In der dritten und letzten Nacht war Achilla für einen Augenblick -eingeschlummert. Als er kurz vor Mitternacht erwachte, löste er den -Vorleser ab und schloß die Tür hinter ihm zu. - -Nachdem er das Sticharion angelegt hatte, stellte er sich vor das Pult, -berührte die Schulter des Toten mit der Hand und sagte: - -»Nun höre, Väterchen, heut lese ich zum letztenmal,« -- und dann fing -er an, das Johannisevangelium zu lesen. Vier Kapitel las er, und als -er beim fünften angelangt war, stockte er bei einem Vers, seufzte -tief auf und wiederholte die große Verheißung zweimal: »Denn es kommt -die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine -Stimme hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur -Auferstehung des Lebens.« - -Nachdem er diesen Satz zweimal laut gesprochen hatte, wiederholte -Achilla ihn in Gedanken noch einige Male, -- und kam nicht weiter. - -»Jetzt hat er doch schon die Stimme des Gottessohnes gehört und ist zu -neuem Leben erwacht ... Ich sehe ihn nur nicht, aber er ist hier.« - -Er merkte nicht, daß die Nacht schon vergangen war und am Himmel der -erste bleiche, bernsteinfarbene Streif der Morgenröte aufleuchtete, die -letzte Morgenröte, die auf Erden die sich auflösenden Reste dessen -beleuchten sollte, der einst Vater Sawelij war und die Stimme seiner -heimischen Erde so gerne hörte und so gut verstand. - -Als der Diakon sah, daß es hell geworden war, seufzte er, trat vom Pult -zum Sarge, stützte sich mit den Armen auf die beiden Seitenwände, so -daß die hohe Brust Sawelijs unter seiner Brust lag, hob sachte mit zwei -Fingern das Brokattuch empor, das über dem Gesicht des Toten gebreitet -lag, und sprach: - -»Väterchen, Väterchen, wo ist jetzt dein Geist? Wo ist dein flammendes -Wort? Gib mir Unverständigem etwas von deinem Geiste!« - -Achilla fiel an die Brust des Toten, zuckte plötzlich zusammen und -fuhr zurück: ein Schauer war ihm durch seine Glieder gefahren. Er sah -sich nach allen Seiten um: alles war still, nur seine schwergewordenen -Augenlider klebten zusammen und eine große Müdigkeit zog seinen Kopf -abwärts. - -Der Diakon raffte sich auf, warf sich zum Gebet nieder und erschrak vor -dem Laut seines fallenden Körpers: über sich glaubte er ein Knacken -zu vernehmen, und es schien ihm, als sitze Sawelij aufrecht, das -Brokattuch vor dem Gesicht und das Evangelienbuch in den todesstarren -Händen. - -Achilla sprang auf und flüsterte, die Arme vorstreckend: - -»Friede sei mit dir! Friede! Ich lasse dir keine Ruhe!« - -Nach diesen Worten nahm er wieder das Buch und wollte weiterlesen, aber -mit Staunen fand er dasselbe zugeschlagen. Und er konnte sich nicht -mehr entsinnen, wo er stehen geblieben war. - -Er schlug das Buch aufs Geratewohl auf und las: »Er war in der Welt und -die Welt kannte ihn nicht ...« - -»Was suche ich denn da?« dachte er. Sein Kopf war ganz verwirrt. Er -schlug eine andere Stelle auf. Dort stand: - -»Und es werden ihn sehen alle Augen und die ihn zerstochen haben.« - -Aber wie Achilla das Blatt umwenden will, merkt er, daß seine Hand ganz -schwer geworden ist und jemand ihn festhält. - -»Was will ich denn? Was suche ich eigentlich? Welche Perikope? -Was ist denn heute für ein Tag?« denkt Achilla und kann es nicht -herausbekommen, denn er ist ganz von der Erde entrückt ... - -In der strahlend erleuchteten Kirche steht Sawelij im hellen, -festlichen Meßgewand, mit der hohen violetten Scheitelkappe vor -dem Altar und liest mit voller runder Stimme, jedes Wort wie eine -leuchtende Kugel von sich stoßend: »Im Anfang war das Wort und das Wort -war bei Gott und Gott war das Wort.« - -»Was ist das? Gott im Himmel! Und ich meinte, der Vater Sawelij wäre -gestorben! Ich habe den Introitus verschlafen! Ich bin zu spät zur -Frühmesse gekommen!« - -Achilla zuckte zusammen und öffnete die Augen. Er merkte, daß er -wirklich geschlafen hatte, und draußen heller Morgen war. Das rote -Leuchten der Begräbniskerzen erstarb in den Strahlen der aufgehenden -Sonne. Die Luft war dick vom Qualm, trauriges Glockengeläute klang von -draußen herüber und an die Zimmertür wurde heftig gepocht. - -Achilla fuhr sich hastig mit der trockenen Hand über das Gesicht und -öffnete. - -»Eingeschlafen?« fragte ihn der eintretende Benefaktow leise. - -»Ein wenig,« erwiderte der Diakon und trat zur Seite, um den Priestern -Platz zu machen, die dem Vater Zacharia folgten. - -»Aber ich ... weißt du ... ich habe nicht geschlafen: ich habe die -ganze Nacht an der Leichenrede gearbeitet,« flüsterte Benefaktow dem -Diakon zu. - -»Nun, und ist sie fertig?« - -»Nein, es kommt nichts heraus.« - -»Ja, so geht es Euch allemal.« - -»Vielleicht könntest du etwas sagen?« - -»Ich, Vater Zacharia? Ich bin doch kein Gelehrter!« - -»Was denn? Du hast doch das Sticharion! Das Recht hast du.« - -»Was hilft mir das Recht, Vater Zacharia, wenn ich weder die Gabe noch -den Verstand dafür besitze?« - -»So betet recht inbrünstig um die Gabe, werter Herr, dann wird sie von -selber kommen,« mischte sich flüsternd der Zwerg ins Gespräch. - -»Beten? Nein, Freund Nikolascha, vielleicht betest du für mich. Mich -hat der Schmerz um den Verstand gebracht. Ich habe selbst in wachem -Zustande Gesichte.« - -»Gut, ich will beten, wenn Ihr es wünscht,« erwiderte der Zwerg. - - - - -Achtes Kapitel. - - -Ganz Stargorod geleitete den Leichnam Tuberozows zur Kirche. Der -Trauergottesdienst wirkte infolge des Verhaltens des Diakons -grauenhaft. Jedesmal wenn Achilla seinen Mund öffnete, versagte ihm -die Stimme und er brach in Tränen aus. Sein Schluchzen, das man in der -ganzen Kirche hörte, erfüllte aller Herzen mit tiefer Trauer. - -Nur während der Leichenrede, die einer der Priester hielt, bezwang -Achilla seinen Schmerz, hörte aufmerksam zu und weinte nur ganz leise -in sein Taschentuch. Als er jedoch aus der Kirche heraustrat und all -die Plätze sah, über welche er so viele Jahre an der Seite Tuberozows -gegangen war, da fühlte Achilla das Bedürfnis, nicht nur zu weinen, -sondern zu heulen und zu schreien. Um dem Weh, das seine Brust zu -zersprengen drohte, einen Ausweg zu schaffen, sang er »Heiliger, -Unsterblicher, erbarme Dich unser«, aber mit einer derartigen -Stimmgewalt, daß eine blinde hundertjährige Frau, die beim Herannahen -des Trauerzuges von ihren Enkeln vor das Tor geführt worden war, damit -sie sich vor dem Sarge neige, plötzlich die Hände zusammenschlug und in -die Knie sinkend rief: - -»O, er hört es, Gott der Herr hört es, wie Achilla zum Himmel schreit!« - -Da war auch schon der von einem Graben und einer Weidenhecke umgebene -Friedhof, auf dem Tuberozow abends so gerne spazieren gegangen und -dessen Instandhaltung ihm so sehr am Herzen gelegen. Der Sarg wurde -durch das dunkle Tor getragen; die letzte Litanei war gesungen, die -weißen Leinenseile rollten den Erdhügel hinab und spannten sich über -den finstern Abgrund des Grabes. Noch einen Augenblick und es ertönt -das letzte Amen ... der Sarg sinkt in die Tiefe. - -Aber vorher sollte sich noch etwas ereignen, was niemand erwartet -hatte. Achilla, der schon so viele Male in seinem Leben die Stargoroder -in Staunen versetzt hatte, fühlte sich gedrungen, es auch dieses Mal zu -tun, und zwar auf eine ganz neue Weise. Bleich und starr streckte er -die Hand gegen einen der Totengräber aus, welche die Seile festhielten, -und rief, wehmütig zu den Priestern hinüberblickend: - -»Ihr Väter, ich bitt' euch ... wartet noch etwas ... Ich will nur ein -paar Worte sprechen ...« - -Der schluchzende Zacharia gab den Totengräbern hastig ein Zeichen, -streckte dem Diakon beide Hände entgegen und segnete ihn. - -Ganz in Tränen gebadet, wischte sich Achilla mit seinem baumwollenen -Taschentuche die mit roten Flecken bedeckte Stirn und stammelte mit -krampfhaft verzerrten Lippen: »Er war in der Welt und die Welt kannte -ihn nicht.« Und dann fand er keine Worte mehr, wurde feuerrot und -mit einem wilden Blick aus seinen entzündeten Augen, der den Worten -nachzujagen schien, die für ihn in der Luft geschrieben standen, rief -er drohend: »Aber es werden ihn alle sehen, die ihn zerstochen haben!« -Und damit warf er eine Handvoll Erde auf den Sarg, nahm hastig das -Sticharion ab und verließ den Friedhof. - -»Ihr habt sehr schön gesprochen, werter Vater Diakon,« flüsterte ihm -der Zwerg unter Tränen zu. - -»Der Geist Sawelijs war über ihn gekommen,« antwortete ihm Zacharia, -während er sein Meßgewand ablegte. - - - - -Neuntes Kapitel. - - -Nach der Beerdigung Tuberozows wurde es im Hause des Propstes -unheimlich still. Achilla war nirgends zu erblicken. Die Sonne geht auf -und beleuchtet den vereinsamten Hof. Öde ist er und tot; Wolken ziehen -vorüber und spiegeln sich in den Scheiben der Fenster, wie Schatten aus -einer andern Welt -- aber drinnen regt sich nichts. - -Diese unheimliche Ruhe erfüllte die Nachbarn mit Angst. Man fing an, -sich ernstlich um den Diakon zu sorgen. - -Zacharia besuchte ihn. Lange ging der sanfte Alte aus einem Zimmer ins -andere und rief: - -»Diakon, wo bist du? Höre doch, Diakon!« - -Aber niemand antwortete. Endlich öffnete Vater Zacharia die Tür zur -kleinen Kammer, welche der Diakon bewohnt hatte. - -»Was ruft Ihr so laut, Vater Zacharia?« kam aus der Finsternis die -Stimme Achillas. - -»Du fragst noch, mein Lieber? Wo steckst du die ganze Zeit?« - -»Macht die Tür etwas weiter auf. Ich bin hier in der Ecke.« - -Benefaktow tat, wie Achilla ihm geheißen, und sah ihn auf einer an -der Wand befestigten schmalen bretternen Lagerstatt ausgestreckt -daliegen. Der Diakon trug ein grobes Leinenhemd mit zurückgeschlagenem -Kragen, das nach kleinrussischer Art durch eine lange bunte Schnur -zusammengehalten wurde, und breite gestreifte Beinkleider. - -»Was soll denn das, Diakon?« fragte Benefaktow und sah sich nach einer -Sitzgelegenheit um. - -»Ich will ein bißchen weiterrücken,« erwiderte Achilla und schob sich -auf das hart an die Wand stoßende Brett. - -»Was ist mit dir, Diakon?« - -»Gepeinigt,« brummte Achilla. - -»Was peinigt dich denn so?« - -»Lächerliche Frage! Was? Eben das! Der Tod des Vaters Sawelij peinigt -mich.« - -»Ja, was ist da zu machen? Der Tod ... gewiß ... er ist der Natur -zuwider ... ist ein Hemmnis aller Gedanken ... aber er ist doch -unvermeidlich ... unentrinnbar ...« - -»Eben dieses Hemmnis ist's, was mich peinigt.« - -»Was kommst du immer mit deinem ›peinigt, peinigt‹! Das ist nicht gut, -mein Lieber.« - -»Ja, was ist denn überhaupt noch gut? Nichts!« - -»Nun, wenn du selbst einsiehst, daß es nicht gut ist, so mußt du auch -Vernunft haben: gegen das Naturgesetz kannst du nichts.« - -»Ach, was redet Ihr nun wieder vom ›Naturgesetz‹, Vater Zacharia! Wenn -mich nun eben dieses Naturgesetz peinigt!« - -»Ja, was willst du denn machen?« - -»O du grundgütiger himmlischer Vater! So laßt mich doch mit Euren -Gesetzen in Ruh', Vater Zacharia! Nichts will ich machen!« - -»Ja, wirst du denn von nun ab immer so daliegen?« - -Der Diakon schwieg. Dann seufzte er und sagte ganz leise: - -»Ich trauere immer noch sehr und Ihr kommt und redet von gleichgültigen -Dingen. Was also wollt Ihr von mir haben?« - -»Raffe dich auf, denn bei all unserer Trauer sind wir doch schwache -Menschen, die ohne Essen und Trinken nicht auskommen können.« - -»Gewiß, davon ist gar nicht zu reden. Essen und Trinken werden wir -schon, aber da eben steckt's!« - -»Was? Was steckt da? Wo steckt was?« - -»Darin steckt's, daß wir das, was gewesen ist, nach und nach vergessen -werden. Und wenn wir es eines schönen Tages ganz vergessen haben -- was -dann?« - -»Ja, was ist da zu machen?« - -»Das ist zu machen, daß ich mit meinem Charakter ganz und gar nicht -damit einverstanden bin, ihn zu vergessen.« - -»Gewiß, lieber Freund, aber die Zeit vergeht und du vergißt doch.« - -»Vater Zacharia, sagt mir solche Dinge nicht! Ihr wißt, wie wild ich im -Schmerz bin!« - -»Das fehlte auch noch! Nein, mein Bester, die Roheiten laß du lieber -beiseite!« - -»Ja, beiseite lassen! Wer kann mich jetzt noch im Zaume halten?« - -»Wenn du willst, tu ich es.« - -»Ihr wäret mir gerade der Rechte!« - -»Warum sollte ich es nicht sein?« - -»Machen wir uns doch nichts vor! Ihr habt nicht die geringste Gewalt -über mich.« - -»Weißt du, Diakon, du bist einfach frech,« sagte Zacharia gekränkt. - -»Gar nicht frech, denn ich hab' Euch lieb; wie könnt Ihr aber Gewalt -über mich haben, wo Ihr doch so schwach von Charakter seid, daß sogar -der Subdiakon Sergej Euch Grobheiten sagt.« - -»Das tut er! Gegen mich sind alle grob! Deine Reden aber sind einfach -dumm!« - -»So zeigt jetzt, was Ihr über mich vermögt, und verhindert mich, so zu -reden.« - -»Ich will dich nicht verhindern, ich ... ich will nicht, weil ich als -Freund zu dir kam und du gegen mich grob warst ... Lebe wohl!« - -»Wartet doch, Vater Zacharia! So war's nicht gemeint!« - -»Nein, nein, laß mich, du hast mir weh getan.« - -»So geht in Gottes Namen.« - -»Du bist ein Grobian, ein ganz schlimmer Grobian.« - -Und Zacharia ging in der Hoffnung, der Diakon werde allgemach des -Rekelns müde werden und von selber wieder herauskommen; jedoch es -verging noch eine ganze Woche und Achilla zeigte sich nicht. - -»Sie werden vergessen,« sagte er immer wieder vor sich hin, »bestimmt -werden sie vergessen.« Und dieser Gedanke ließ ihn nicht los, und -vergeblich strengte er sein Hirn an, wie er das Übel abwehren könnte. - -Um Achilla aus seiner Höhle ans Tageslicht zu locken, bedurfte es eines -ganz besondern Ereignisses. - -Eines Morgens wachte Achilla früh gegen sechs auf und blickte nach -den ersten Sonnenstrahlen, die durch das winzige Fensterlein über der -Tür in seine Kammer zu dringen versuchten, -- da kam Vater Zacharia -in großer Hast gelaufen und erzählte, daß an Stelle des verstorbenen -Tuberozow ein neuer Propst ernannt sei. - -Achilla wurde bleich vor Ärger. - -»Freut es dich denn nicht?« fragte Zacharia. - -»Was geht es mich an?« - -»Wieso geht es dich nichts an? Frag doch erst, wer ernannt ist.« - -»Als ob mir das nicht ganz gleichgültig wäre!« - -»Ein Akademiker!« - -»Na ja, ein Akademiker! Und darüber freut Ihr Euch! Nein, bei Gott, Ihr -steckt noch voll Eitelkeit, Vater Zacharia!« - -»Wieso Eitelkeit? Ein Akademiker -- das will sagen: ein kluger Kopf!« - -»Wieder was Neues: ein kluger Kopf! Mag er doch klug sein! Werden wir -zwei davon etwa klüger?« - -»Du wirst wieder grob.« - -»Fällt mir gar nicht ein. Ihr denkt daran, wie Ihr den Neuen empfangen -sollt, und ich -- daß ich den Alten nicht vergesse. Wo steckt da die -Grobheit?« - -»Es lohnt gar nicht, mit dir zu reden,« sagte Zacharia und zog geärgert -von dannen. Achilla aber erhob sich sofort, wusch sich und lief zum -Polizeichef mit der Bitte, dieser möchte ihm behilflich sein, sobald -wie möglich sein Haus und seine beiden Pferde zu verkaufen. - -»Warum denn das?« fragte Porochontzew. - -»Sei nicht neugierig,« antwortete Achilla. »Später, wenn ich's gemacht -habe, wirst du alles erfahren.« - -»So sag' doch ungefähr, um was es sich handelt.« - -»Darum, daß Vater Sawelij nicht sobald vergessen wird.« - -»Dann soll doch Vater Zacharia in seinen Predigten öfter auf ihn -hinweisen.« - -»Was kann Vater Zacharia? Nein, der liebt heute schon die -Wissenschaften, ich aber ... ich liebe nach altem Brauch den Menschen.« - -Damit war die Unterredung zu Ende und Achillas Besitz wurde seinem -Wunsche entsprechend verkauft. - -Indessen war man gespannt, was er weiter unternehmen würde. - -Der Diakon hatte für alles zweihundert Rubel bekommen und steckte die -beiden Scheine in die Tasche seines Nanking-Leibrocks; er begebe sich -in die Gouvernementsstadt, erklärte er. Er hatte sich bereits einen -Wanderstab aus einer langen Latte zurechtgeschnitten, packte seine -Sachen in ein kleines Bündel zusammen, kaufte sich auf dem Markt zwei -große Roggenmehlfladen mit Zwiebeln, die er in dieselbe Tasche steckte, -in der er sein Geld hatte, und wollte sich eben auf die Wanderschaft -begeben, als unerwartet der neue Propst Irodion Grazianskij eintraf. -Es war ein sehr wohlaussehender Herr von schwer zu bestimmendem Alter. -Seinem Äußern nach konnte man ihm ebensogut sechsundzwanzig als auch -vierzig Jahre geben. - -Achilla ging dem neuen Vorgesetzten entgegen und wollte, nachdem er den -Segen von ihm empfangen hatte, seine Hand küssen. Allein er zog sie -zurück und schlug dem Diakon einen brüderlichen Kuß vor. Und so küßten -sie sich auf Mund und Wangen. - -»Siehst du, wie gut er ist,« sagte nach einer Stunde, als sie zusammen -nach Hause gingen, Zacharia zum Diakon. - -»Wie habt Ihr denn in so kurzer Zeit so viel Güte entdeckt?« fragte -Achilla gleichgültig. - -»Wie denn? Er wollte sich nicht die Hand von dir küssen lassen, sondern -bot dir den Mund ... das zeugt doch von großer Güte.« - -»Ich meine, das ist nichts weiter als so eine Art von Wichtigtuerei,« -erwiderte Achilla. - -Er war bereits von einer wilden Eifersucht auf den neuen Propst erfaßt -und suchte allerlei schlechte Eigenschaften an ihm zu entdecken, die -jeden Vergleich mit dem verstorbenen Tuberozow ausschließen mußten. -Je mehr der neue Propst allen Stargorodern gefiel, desto heißer mußte -Achilla ihn hassen. - - - - -Zehntes Kapitel. - - -Am Tage darauf zelebrierte der neue Propst zum erstenmal die Messe und -hielt eine Predigt, in der er seinen Vorgänger mit Lobeserhebungen -überschüttete und auf die Notwendigkeit und Pflicht eines ständigen -Gedenkens und einer Ehrung seiner Verdienste hinwies. - -»Wozu das? Was beabsichtigt er damit?« zürnte der Diakon, als er mit -Zacharia aus der Kirche ging. - -Er fühlte selbst, daß er ungerecht war, aber er konnte sich nicht -beherrschen, und als Zacharia ihm zuzureden versuchte und betonte, -wie edel das ganze Verhalten Grazianskijs sei, da zerbrach Achilla -ungeduldig das Stöckchen, das er in der Hand hielt, in zwei Stücke und -sagte: - -»Das ist's ja gerade, was mich so ärgert.« - -»Wäre es denn besser, wenn er nicht so gut wäre?« - -»Natürlich ... viel, viel besser wäre das,« unterbrach ihn Achilla -ungeduldig. »Wißt Ihr denn nicht, daß wer nicht gesündigt hat, auch -nicht Buße tut!« - -Zacharia machte nur eine abwehrende Handbewegung. - -Achillas Pilgerfahrt nach der Gouvernementsstadt wurde von Tag zu Tag -aufgeschoben: der Diakon wohnte noch der Revision der Schatzkammer, der -Bücher und der Kirchengelder bei, immer schweigend und grollend. Zu -seinem großen Kummer bot sich ihm auch nicht die geringste Gelegenheit, -dem »Neuen« etwas am Zeuge zu flicken, -- bis Grazianskij endlich -davon zu reden begann, daß man auf dem Grabe Tuberozows ein kleines -Denkmal errichten müsse. Achilla sprang wie von einer Tarantel -gestochen in die Höhe. - -»Warum denn ein ›kleines‹ Denkmal und kein großes? Er hat sehr lange -unter uns gewirkt und Verdienste errungen, wie sie mancher andere nicht -so leicht fertig brächte.« - -Grazianskij sah den Diakon unwillig an und schlug, ohne ihm etwas zu -erwidern, eine Subskription zum Bau eines Denkmals für Sawelij vor. - -Durch die Subskription kamen zweiunddreißig Rubel zusammen. - -Der Diakon wollte überhaupt nichts zeichnen und fand den ganzen Plan -verkehrt. - -»Weshalb bist du dagegen?« fragte ihn Benefaktow. - -»Weil das alles eitel ist,« antwortete Achilla. - -»Worin seht Ihr die Eitelkeit?« warf Grazianskij trocken dazwischen. - -»Wie kann man einem solchen Manne namens der ganzen Gemeinde ein -Denkmal für zweiunddreißig Rubel setzen? So ein Denkmal ist nicht -besser als eine Pistole für einen Groschen. Nein, diese Kränkung will -ich ihm nicht antun. Ich bitte, mir das gütigst zu erlassen.« - -Am Abend erbat sich der Diakon vom neuen Propst einen vierzehntägigen -Urlaub nach der Gouvernementsstadt, der ihm auch bewilligt wurde. - -So begab sich Achilla auf die Wanderschaft, die er schon so lange -zur Verwirklichung seiner großartigen Absichten geplant hatte. Schon -in jenen Tagen, als er noch in seinem Kämmerlein auf der bretternen -Bettstatt lag, war ihm der Gedanke gekommen, dem Vater Tuberozow ein -Denkmal zu setzen, aber nicht für dreißig Rubel, sondern für all sein -Geld, für all die zweihundert Rubel, die er aus dem Verkauf seines -durch die Arbeit eines ganzen Lebens erworbenen Gutes gelöst hatte. -Achilla hielt diese Summe für völlig ausreichend, um ein Monument zu -errichten, das allen Zeiten und Völkern ein Wunder dünken müßte, ein so -gewaltiges Monument, daß sein idealer Entwurf sogar in seinem eigenen -Kopfe nicht Platz genug hatte. - - - - -Elftes Kapitel. - - -Kalt und trübe war die Oktobernacht. Hastige Wolken krochen am Himmel -entlang und der Wind brauste in den nackten Zweigen der Weiden. Achilla -schritt unermüdlich vorwärts und als die späte Herbstmorgendämmerung -graute, hatte er den halben Weg bereits zurückgelegt und konnte sich -getrost etwas Ruhe gönnen. - -Er bog vom Wege ab, legte sich hinter einer großen Strohmiete, die ihn -vor dem Winde schützen sollte, auf den Boden, deckte sich den Mantel -übers Gesicht und schlief ein. - -Der Tag war genau so wie die Nacht: die kalte Sonne tauchte bald -auf, bald verzog sie sich wieder hinter grauen Nebeln; der Wind -heulte und brauste wild, um sich dazwischen wieder, einer zischenden -Schlange gleich, am Boden zu winden. Das Ende des Mantels, welches -der Diakon über seinen Kopf gezogen hatte, war längst vom Winde -emporgerissen und flatterte hin und her, und wenn die Sonne hinter -den Wolken hervorschaute, fielen ihre grellen Strahlen gerade auf das -Heldenantlitz Achillas. Trotzdem erwachte er nicht. Es war schon ganz -warm geworden und auf dem zerstampften Stoppelfeld, das Achilla sich -zur Lagerstatt gewählt hatte, zeigten sich die letzten verspäteten -Bewohner des toten Kornfeldes: über Achillas Stiefel kroch ein harter -schwarzer Ohrwurm, und seinen Bart entlang kletterte mühsam und -zitternd eine frosterstarrte Hummel. Das arme Insekt, das in dem -dichten Barte des Diakons einen warmen Unterschlupf gefunden hatte, -fing bald an zu krabbeln und zu zappeln, wovon der Diakon erwachte. -Er prustete laut, reckte sich, sprang auf, warf sein Bündel über die -Schulter und schritt der Stadt zu. - -Als der Abend dämmerte, hatte er auch die übriggebliebenen -fünfunddreißig Werst zurückgelegt, und angesichts der Kreuze der -städtischen Kirchen setzte er sich an den Rand des Straßengrabens und -beschloß, zum erstenmal, seit er ausgewandert, etwas Speise zu sich zu -nehmen. Die beiden Fladen holte er aus seiner Tasche, welche sie rund -eine Woche beherbergt hatte, legte den einen auf den andern und begann -mit großem Appetit zu kauen. Aber die ganze Portion vermochte er doch -nicht zu zwingen und steckte den Rest wieder in die Tasche, um zur -Stadt zu wandern. Nachdem er bei bekannten Seminaristen übernachtet -hatte, ging er gleich früh am nächsten Morgen zum Adelsmarschall -Tuganow, ließ sich bei ihm melden und setzte sich auf eine Bank im -Vorzimmer. - -Eine Stunde verging und noch eine. Niemand kümmerte sich um Achilla. -Mehrere Male schon hatte er den vorüberlaufenden Diener gefragt: - -»Herr Haushofmeister, wann wird man mich denn rufen?« - -Aber der Herr Haushofmeister würdigte den bäuerisch aussehenden Diakon -in der Nankingkutte nicht einmal einer Antwort. - -Von der gestrigen Wanderung noch müde, wäre Achilla fast eingeschlafen, -doch besann er sich, daß es hier doch nicht recht schicklich sei. So -beschloß er, sich lieber die Zeit durch Essen zu vertreiben, was ihm -die von vorgestern übriggebliebenen Stücke der Zwiebelfladen sehr gut -ermöglichten. Kaum jedoch hatte er die Reste aus der Tasche seines -Leibrocks herausgeholt und sich darangemacht, den Staub von ihnen zu -blasen, als er plötzlich zur Salzsäule erstarrte, dann emporsprang und, -wie von einem giftigen Insekt gestochen, durch die vornehmen Gemächer -des Hauses zu rasen begann. Zufälligerweise geriet er bald in das -Arbeitszimmer des Adelsmarschalls, und als er sich ihm von Angesicht zu -Angesicht gegenübersah, brüllte er los: - -»All ihr heiligen Väter! Wer an Gott glaubt, muß mir helfen! Sehen Sie -doch, was mir für ein Unglück passiert ist!« - -»Was denn? Was ist geschehen?« fragte Tuganow erstaunt. - -»Parmen Semenowitsch! Was hab' ich gemacht, ich Bösewicht!« jammerte -Achilla in wahnwitziger Verzweiflung. - -»Hast du jemanden ermordet?« - -»Nein, ich kam zu Fuß zu Ihnen gelaufen, damit Sie mir einen guten Rat -erteilen. Ich möchte dem Propst ein Denkmal setzen für zweihundert -Rubel.« - -»Nun und --? Hat man dir das Geld gestohlen?« - -»Nein, nein, etwas viel Schlimmeres!« - -»Hast du es verloren?« - -»Nein, ich hab's aufgegessen!« - -Und voller Verzweiflung streckte Achilla dem Adelsmarschall die untere -Rinde des nicht ganz aufgegessenen Fladens entgegen, an der ein kleines -Fetzchen eines Hundertrubelscheines wie angebacken festklebte. - -Tuganow berührte den Fetzen mit seinen feinen Fingernägeln, löste -ihn von der Rinde und sah, daß unter dem ersten Stückchen Papier ein -zweites von derselben Art noch fester klebte. - -Der Adelsmarschall konnte nicht anders, er mußte lachen. - -»Ja, sehen Sie, ganz aufgefressen,« wiederholte der Diakon und kaute -vor Verlegenheit den Nagel seines Mittelfingers. Dann wandte er sich -plötzlich um und sagte kurz: »Nun also, ich bitte um Entschuldigung, -daß ich Sie gestört habe. Leben Sie wohl.« - -Tuganow aber zeigte sich hilfsbereit. - -»Nicht gleich verzweifeln, mein Lieber,« sagte er. »Das hat nichts zu -bedeuten, man wird mir in der Bank deine Papiere schon einwechseln, -inzwischen gebe ich dir ein paar andere, dann kannst du deinem Pfarrer -Sawelij das Denkmal setzen. Ich habe ihn ja auch sehr lieb gehabt.« - -Damit reichte er dem Diakon zwei neue Hundertrubelscheine und legte -die angekauten Fetzen beiseite, um sie später in die Sammlung seiner -Familienkuriositäten einzureihen. - -Diese Not war also behoben, aber eine neue nahte: es galt ein Denkmal -auszusinnen, wie Achilla es wünschte, aber sich selbst nicht vorstellen -konnte. Auch diese seine Sorge beichtete er dem Adelsmarschall. - -»Ich möchte, Parmen Semenowitsch,« meinte er, »daß das für mein Geld -errichtete Denkmal möglichst groß und schön sei.« - -»So laß doch eine Pyramide aus Granit aufrichten.« - -Tuganow ließ sich aus dem Schrank eine Mappe reichen und nahm die -Abbildung einer ägyptischen Pyramide heraus: - -»So in dieser Art.« - -Der Gedanke sagte dem Diakon ungemein zu, nur zweifelte er, ob er mit -seinem Gelde auskommen würde, worauf ihm Tuganow erklärte, falls die -zweihundert Rubel nicht reichen sollten, so wolle er, Tuganow, aus -Verehrung für den alten Tuberozow, für den Überschuß eintreten. - -»Du aber«, sagte er, »sollst der Baumeister sein. Baue ganz, wie es dir -gefällt und was du willst.« - -»Das ist ...« fing Achilla in höchster Verlegenheit an, aber er kam -nicht weiter, sondern machte nur eine tiefe Verbeugung bis zur Erde und -faßte dann plötzlich Tuganows Hand und küßte sie. - -Tuganow war gerührt. Er nannte Achilla einen »braven Kerl« und schlug -ihm vor, bei ihm im Gartenhaus zu logieren. - - - - -Zwölftes Kapitel. - - -Der Diakon lief von einem Steinmetz zum andern, bis schließlich seine -Wahl auf den allerschlechtesten, einen Mühlsteinfabrikanten namens -Popygin fiel. Zwei deutsche Steinhauer hatten den Diakon in hellen -Zorn versetzt, weil sie immer wissen wollten, ob »der Maßstab es -gestatten werde«, eine so große Pyramide aufzubauen, wie der Diakon sie -haben wollte, der die Fläche einfach durch Schritte und die Höhe mit -emporgereckten Armen bezeichnete. - -Meister Popygin als biederer Russe verstand ihn besser: sie maßen alles -nach Schritten und mit ausgestreckten Armen ab und schlossen einen -mündlichen Vertrag, den sie durch Handschlag besiegelten. Damit war die -Bestellung gemacht und der Bau der Pyramide begann. Achilla sah zu, wie -man die riesigen Steine schob, wendete und glättete und war über ihre -Dimensionen entzückt. - -»So ohne Maßstab ist's viel besser,« sagte er, »wie es uns paßt, so -bauen wir.« - -Der russische Meister Popygin stimmte ihm durchaus bei. - -Tuganow ließ sich von Achilla über die Fortschritte der Arbeit Bericht -erstatten und widersprach ihm weder, noch stritt er mit ihm. Er suchte -den Recken durch das Denkmal bei Laune zu erhalten, wie man einem -betrübten Kinde ein Spielzeug gibt. - -Nach einer Woche war sowohl die Pyramide als auch die Inschrift fertig, -und der Diakon kam zu Tuganow und bat ihn, das Wunderwerk seiner -schöpferischen Phantasie in Augenschein zu nehmen. Es erwies sich als -furchtbar breite, etwas plattgedrückte Pyramide, mit einem Kreuz oben -und je einem großen holzgeschnitzten, vergoldeten Cherub an den vier -Ecken. - -Tuganow betrachtete das Monument. »Das lebt!« sagte er, und der Diakon -war beglückt. Die Pyramide wurde auseinandergenommen und ihre Teile auf -neun Schlitten nach Stargorod geschafft. Auf dem zehnten Schlitten, -der die Karawane beschloß, saß Achilla selbst, zusammengekauert, -in einem speckigen Schafpelz zwischen den vier vergoldeten, in -Matten gewickelten Cherubim. Er war immer noch ganz entzückt von der -Herrlichkeit des Denkmals, aber in dieses Entzücken mischte sich eine -gewisse Unruhe: er fürchtete, es könnte jemandem einfallen, an seiner -Pyramide Kritik zu üben, an dieser einzigartigen Schöpfung seines -Geistes und Geschmacks, dem Zeugnis seiner Ergebenheit und Liebe zu -dem entschlafenen Sawelij. Um dem zu entgehen, beschloß Achilla, den -Aufbau möglichst im geheimen zu bewerkstelligen. Als er daher Stargorod -erreicht hatte, ging er nachts nur zu Zacharia und erzählte ihm von -allen Schwierigkeiten, die er bei der Herstellung der Pyramide zu -überwinden gehabt hatte. - -Es gelang dem Diakon aber nicht, unbemerkt das Monument -zusammenzustellen. Die auf den Schlitten lagernden Teile der -Sawelij-Pyramide erregten gleich am nächsten Morgen allgemeines -Aufsehen. Die sich scharenweise herandrängenden Städter interessierten -sich besonders für die unter den Matten hervorblinkenden Arme und -Flügel der vergoldeten Cherubim. Die Biederleute stritten heftig -über die Frage, was das wohl für Engel sein mochten: silberne oder -vergoldete. - -»Silbern und vergoldet und von innen mit Brillanten gespickt,« erklärte -Achilla und trieb die Mitbürger auseinander, die sich um die Arbeiter -drängten. - -Auch die feinen Herrschaften ärgerten den Diakon. Diese schienen ihm -eigens zum hämischen Kritteln gekommen zu sein. - -Der sonst so wenig selbstbewußte und ehrgeizige Achilla wurde in seiner -wachsenden Reizbarkeit zuletzt ganz unerträglich. Er konnte kein Wort -über Tuberozow mehr ruhig anhören. Sogar wenn man den Seligen lobte, -geriet er in Wut: er fand all und jedes Lob unangebracht. - -»Was gibt's denn da zu loben?« sagte er zu Benefaktow. »Ihr seid, nehmt -mir's nicht übel, ein leichtsinniger Mensch, Vater Zacharia. Ihr redet -von ihm, wie man von Milch redet, wenn man eine Kuh gesehen hat.« - -»Habe ich denn etwas Schlechtes über ihn gesagt?« - -»Man soll überhaupt nicht von ihm reden. Die Zeit ist nicht danach, -über die Glaubensstarken zu streiten.« - -Gegen andere war Achilla noch viel schroffer als gegen Benefaktow, und -als nach und nach alle, durch seine Empfindlichkeit abgestoßen, ihn -zu meiden anfingen, geriet er immer mehr unter die Herrschaft eines -Gedankens: der Vergänglichkeit alles Irdischen und des Todes. - -»Sagt was ihr wollt,« philosophierte er, »das ist auch keine -Kleinigkeit, plötzlich so hinzusterben und dann Gott weiß wo an einem -ganz andern Ort wieder zu sich kommen.« - -»Darüber hast du noch Zeit genug nachzudenken,« tröstete ihn Zacharia, -»du stirbst nicht so bald.« - -»Woraus schließt Ihr das, Vater Zacharia?« - -»Aus deinem Körperbau und ... dann hast du solche Ohren ... so -feste ...« - -»Ja, was meine Statur und meine Ohren betrifft, so brauchte ich in -hundert Jahren nicht zu sterben; man müßte mich rein mit einem Knüppel -totschlagen. Aber, wißt Ihr, das hängt doch auch von der Phantasie ab, -und deswegen muß der Mensch auch daran denken.« - -Und endlich verfiel der Diakon in eine ganz trübe Hypochondrie, die -auch den andern nicht entging. Man fing an zu reden, daß er sich den -Tod herbeirufe. - -Der Propst Grazianskij besuchte den Diakon und machte ihm Vorwürfe -wegen seines freiwilligen Exils; er sagte, es wäre unvernünftig, die -Menschen zu fliehen; Achilla aber erwiderte ihm ruhig: - -»Den Vernünftigen sucht Ihr jetzt vergebens. Er liegt im Grabe.« - -Dem Arzt Pugowkin, den der Diakon einst beim Baden untergetaucht hatte -und der trotzdem sein guter Freund geblieben war und jetzt zu ihm kam, -ihn zu trösten und ihm einzureden, er sei krank und müsse sich ärztlich -behandeln lassen, erwiderte Achilla: - -»Du hast recht, mein Bester, alle meine Gedanken gehen durcheinander -... Ich grübele -- ich weiß selber nicht worüber ... und immer quält -mich ... weißt du (Achilla zog die Brauen zusammen und schloß im -Flüstertone) die Sehnsucht.« - -»Nun ja, man nennt das erhöhte Sensibilität, Reizbarkeit.« - -»Reizbarkeit, das ist es! Alles drückt mich. Weißt du, es ist, als ob -ein Pfahl in meiner Brust stäke, und nachts sitze ich da und weiß lange -nicht, weswegen ich mich quäle und weine.« - -Da trat unerwartet ein Ereignis ein, das den Diakon aufrüttelte: der -Tod des Zwerges Nikolai Afanasjewitsch. In seinem Testament hatte er -verfügt, daß Vater Zacharia und Achilla ihm das letzte Geleit geben -sollten, jedem von den beiden hatte er dafür fünf Rubel in bar, zwei -Paar selbstgestrickte Strümpfe und eine baumwollene Nachtmütze -hinterlassen. - -Als man vom Begräbnis nach Hause ging, schien der Diakon heiterer als -sonst. Er scherzte sogar. - -»Seht ihr wohl, meine Lieben, wie Er unsere Gemeinschaft auflöst?« -sagte er, »einen nach dem andern holt Er sich: nun ist auch Nikolai -Afanasjewitsch hin. Und dann kommt die Reihe an mich und Vater -Zacharia.« - -Achilla täuschte sich nicht. Als er Seinen Besuch erwartete, stand Er, -der Milde und Unüberwindliche, schon hinter ihm und breitete seine -kühlen Flügel über ihn. - -Die Chronik muß eingehend über die letzten Taten des Recken Achilla -berichten, denn diese Taten waren seiner durchaus würdig und gaben ihm -die Möglichkeit, auf seine eigene, ganz besondere Weise die Fahrt nach -dem jenseitigen Ufer des Lebensmeeres anzutreten. - - - - -Dreizehntes Kapitel. - - -Der Frühling kam und Stargorod erwachte zu neuem Leben. Der Fluß wollte -die starre Eisdecke abwerfen, blies sich auf und wurde blau. Immer -höher türmten sich an beiden Ufern die Berge von Getreidesäcken, und -schon wurden die breiten Barken instand gesetzt. - -Aus den Dörfern, die den Winter hindurch gehungert hatten, kamen -täglich Scharen zerlumpter Bauern in Bastschuhen und weißen Filzkappen -in die Stadt. Sie ließen sich als Schlepper dingen, gegen Bezahlung -ihrer Steuern und Beköstigung, und waren glücklich, das Getreide, das -ihnen daheim so mangelte, in entfernte Gegenden schaffen zu können. -Selbstverständlich wurden nicht alle dieses Glückes teilhaftig. Das -Angebot übertraf die Nachfrage ganz bedeutend. Und um die Überflüssigen -kümmerte sich kein Mensch. - -In einsamen und abgelegenen Gassen der Stadt begann sich, ohne -sichtliche Veranlassung, allerlei Teufelsspuk zu zeigen. Ein solcher -Teufel, in voller höllischer Ausrüstung, mit Hörnern und Klauen, -überfiel nacheinander zwei Weiber, einen betrunkenen Schmied und einen -völlig nüchternen Kanzlisten, der zu einem nächtlichen Stelldichein -mit einer Kaufmannstochter pilgerte. Den Armen wurde alles abgenommen, -was sie bei sich hatten, und später sagten sie aus, der Teufel, dessen -Opfer sie geworden wären, hätte Stierhörner gehabt und Klauen ganz wie -jene Eisenhaken, mit denen die Hafenarbeiter die Getreidesäcke auf -die Barken zerren. Niemand wagte mehr nach Sonnenuntergang durch die -Stadt zu gehen; aber der Teufel trieb sein Unwesen ruhig weiter. Einmal -wurde er von den Wachtposten gesehen, die vor dem Salzdepot und vor -dem Gefängnis standen. Er hatte sogar die Unverschämtheit, näher als -auf Schußweite an die Soldaten heranzukommen und sie mit kläglicher -Stimme um ein Stückchen Brot zu bitten. Man sandte daher nachts -Patrouillen aus; eine, vom Polizeichef, dem uns längst wohlbekannten -tapfern Rittmeister Porochontzew, selbst geführt, begegnete dem -Teufel tatsächlich und rief ihn sogar an. Als er aber darauf: »Gut -Freund« erwiderte -- bekamen die Leute Angst und rannten davon. Der -Rittmeister, welcher glaubte, sich auf die Polizei nicht mehr verlassen -zu können, wandte sich nun an den Hauptmann Powerdownia und bat um den -Beistand seines Invalidenkommandos zur sofortigen Festnahme des die -Stadt in so große Erregung versetzenden Teufels. Aber der Hauptmann -wollte sich mit dem Höllenfürsten nicht einlassen, ohne vorher die -Genehmigung seiner unmittelbaren Vorgesetzten eingeholt zu haben, -und so spazierte der Teufel nach wie vor in der Stadt herum, und das -Entsetzen der Bürgerschaft wuchs von Tag zu Tag. Endlich mischte -sich der Propst Grazianskij hinein. Er wandte sich an das Volk mit -einer Predigt über den Aberglauben und behauptete, Teufel, die den -Leuten Mäntel und Kopftücher fortnehmen, gäbe es überhaupt nicht. -Der nachts in der Stadt umgehende Teufel sei nichts weiter als ein -fauler Taugenichts, welcher glaube, die Leute leichter um ihr Hab -und Gut betrügen zu können, wenn er ihnen durch seine Teufelsmaske -vorher einen gehörigen Schreck einjage. Diese Rede rief eine große -Entrüstung hervor. Der Vorsteher der altgläubigen Gemeinde erklärte, -das sei wieder einmal eine Ketzerei der neuen Kirche, und es gelang -ihm ohne alle Mühe, ein paar Schäflein aus der Domherde für seine -Sekte zu gewinnen. Der Teufel aber nahm noch in anderer Weise Rache an -dem ungläubigen Grazianskij. Am Tage, welcher seiner Predigt folgte, -entdeckte man im Vorhause der Grazianskijschen Wohnung an der Decke die -Spuren schmutziger Stiefel. Natürlich war alle Welt darüber erstaunt -und entsetzt; denn wer kann mit dem Kopf nach unten an der Decke -entlang laufen?! Man neigte daher zu der Ansicht, nur der Teufel könne -es gewesen sein, und selbst der Propst war nicht imstande, seiner -Frau dies auszureden. Allen seinen Ermahnungen zum Trotz wuchs die -Hochachtung vor dem Teufel erst recht; kein Mensch wagte mehr, ihn zu -erzürnen, aber auch niemand ging in der Dämmerung mehr aus. - -Indessen, der Teufel hatte es doch zu toll getrieben und das bekam -ihm schließlich übel. In den Straßen gab es für ihn schlechterdings -nichts mehr zu erbeuten. Es begannen infolgedessen die Messingkreuze, -die Heiligenbilderschreine und die Lämpchen auf dem Friedhofe zu -verschwinden, wo der Vater Sawelij unter seiner Pyramide ruhte. - -Die Stadt, durch die verschiedenen Teufelsstreiche in Schrecken -versetzt, schrieb auch diese neue Schändlichkeit ohne weiteres -demselben bösen Feinde zu. - -Bei der Untersuchung des Schadens bemerkte man, daß auch das Denkmal -des Vaters Sawelij gelitten hatte: das Kreuz und der vergoldete Knopf, -welche die Pyramide krönten, waren mit Hilfe eines Brecheisens stark -verbogen und gelockert, einer der vergoldeten Cherubim abgerissen, -erbarmungslos mit dem Beil zerhackt und dann verächtlich weggeworfen, -da er keinen nennenswerten Marktwert besaß. - -Als Achilla davon Kenntnis erhielt, unterzog er das beschädigte -Monument einer genauen Besichtigung und meinte: - -»Und wenn du Beelzebub selber wärst, das wirst du mir büßen müssen.« - - - - -Vierzehntes Kapitel. - - -In der darauffolgenden Nacht, gegen elf Uhr, verließ der Diakon, ohne -vorher jemandem etwas gesagt zu haben, leise das Haus und schlich sich -nach dem Friedhof. Eine lange Stange und eine starke Hanfschlinge trug -er in der Hand. - -Niemand kam ihm in den Weg, niemand bemerkte ihn. Kurz vor halb zwölf -erreichte er den Friedhof. Er betrachtete das Tor: es war geschlossen -und klapperte leise, vom frischen Frühlingswind gerüttelt. Allem -Anschein nach pflegte der Teufel nicht durch dieses Tor zu gehen, -sondern nahm einen andern Weg. - -Achilla trat zur Seite und stieß mit der Stange in den weichen -Schnee, der den rund um den Friedhof gezogenen Graben füllte. Die -Stange durchbohrte die dünne Eisschicht und drang etwa bis zur Hälfte -ein. Der Graben war ungefähr zwei und eine halbe Arschin tief. Auf -der gegenüberliegenden Seite bildete die abgegrabene Erde einen -glitschigen, von außen leicht befrorenen Lehmwall. - -Achilla stieß die Stange fester in den Boden, stützte sich auf sie, -flog drachengleich empor und gelangte glücklich hinüber. Für die -Stange, mit deren Hilfe er diesen gigantischen Sprung allein hatte -ausführen können, erwies sich die Wucht seines massigen Leibes -allerdings zu schwer: sie brach in demselben Augenblick, in dem die -Sohlen des Diakons den Wall berührten. Achilla kümmerte es nicht; -er hoffte, auf dem Friedhof irgend etwas anderes zu finden, das ihm -auf dem Rückwege denselben Dienst leisten könnte. Außerdem hatte ihn -jenes Gefühl erfaßt, das sich nachts auf dem Friedhof unser so leicht -bemächtigt. Nicht Furcht, sondern eine Art Spannung, bei der alle fünf -Sinne erregt und scharf arbeiten. Achilla atmete tief auf, nahm das -schwarze Tuchkäppchen vom Kopf, schüttelte die grau gewordenen Locken -und sah mit Vergnügen, wie hell das silberne Licht des Mondes über den -Gottesacker floß. Wehmut erfaßte ihn, und doch fühlte er sich zugleich -so frisch, wie schon lange nicht; er gedachte der alten Zeiten und -ihrer Kämpfe und sandte dem Monde einen scherzhaften Gruß hinauf: - -»Guten Abend, Kosakensonne!« - -Tiefe Stille ringsum! Ja, hier herrschte wirklich Frieden! ... - -Der Diakon ging zum Grabe Sawelijs, setzte sich auf den Hügel und -lehnte sich mit dem Rücken gegen einen der Cherubim. Immer noch tiefe, -durch nichts gestörte Stille, nur die Wolkenschatten zogen lautlos -dahin. Neue und immer neue, ohne Ende. - -Der Diakon wurde schläfrig. Er lehnte sich fester gegen die Pyramide -und fiel in Halbschlaf. Nur für kurze Zeit; denn plötzlich schien es -ihm, als stampfte jemand kräftig auf. Er öffnete die Augen: gleiche -Stille ringsum, nur der Himmel hatte sein Aussehen verändert, der Mond -war blasser geworden und längs der Pyramide lief ein einziger langer -und breiter Schatten. Wolken ballten sich zusammen und die Luft wehte -morgenkühl. Achilla erhob sich und wiederum hatte er die Empfindung, -als wandele jemand auf dem Friedhof umher. - -Der Diakon ging hinter die Pyramide. Niemand war zu sehen. - -Nur eine frische Spur. Aber auch sie konnte von früher herstammen. Wie -sollte man das unterscheiden, wenn der Schnee schon zum dünnen Brei -geworden war, in den der Fuß riesige, fast formlose Gruben drückte? In -der Stadt krähten die Hähne ihren Morgengruß. Nein, heute kommt der -Teufel nicht mehr! - -Achilla wandte sich langsam zu der Stelle, wo er über den Graben -gesprungen war. Er fand sie ohne Schwierigkeit und griff ohne -Bedenken nach der aus dem Graben emporragenden langen Stange, als er -sich plötzlich erinnerte, daß sie gebrochen war! ... Wo kam da die -unversehrte Stange her? - -»Sonderbar!« dachte der Diakon, und nachdem er sich überzeugt hatte, -daß er sich nicht täusche, sondern tatsächlich aus dem Graben eine -tadellose Stange hervorragte, machte er sich zum Sprung bereit, als -sich von hinten plötzlich über seine Schultern hinweg zwei mächtige -Tatzen auf seine Brust legten. Sie waren mit dicker, filziger schwarzer -Wolle bekleidet und hatten gewaltige Eisenklauen. - -Der Teufel! - - - - -Fünfzehntes Kapitel. - - -Achilla knickte augenblicklich unter dem ihn niederdrückenden -Teufel zusammen, packte ihn dann an den Pfoten und riß dieselben so -kräftig, daß das Kinn des Teufels dröhnend gegen seinen Scheitel -schlug und gleichsam daran kleben blieb. Der Teufel, der darauf nicht -gefaßt gewesen war, fing verzweifelt an zu zappeln, sah aber die -Vergeblichkeit seiner Bemühungen bald ein, wurde still und blieb nach -einem dumpfen Seufzer auf dem Rücken des Diakons hängen. Es war ihm -nicht nur unmöglich, sich loszureißen, sondern er vermochte sogar kein -Wort herauszubringen, denn sein Kiefer war wie mit einer Presse gegen -den Schädel Achillas gepreßt. Die einzige Bewegung, welche der böse -Geist zu machen vermochte, war das Strampeln mit den Beinen. Diese -Möglichkeit beutete er aber auch mit höllischer Lust und Arglist aus. - -Achilla, der den Teufel ebenso leicht auf seinem Rücken hielt, wie ein -gesunder Bauer eine Garbe Erbsenstroh, tat ein paar Schritte rückwärts, -nahm einen Anlauf und sprang über den Graben. Der gewandte Teufel -benutzte diesen Moment, seine Beine um die ausgespreizten des Diakons -zu schlingen, gerade als sie beide jenseits des Grabens angelangt -waren. Der so plötzlich in seiner Bewegung gehemmte Achilla verlor das -Gleichgewicht und stürzte mit seiner Last in den mit kaltem, schneeigem -Brei gefüllten Graben. - -Beinahe hätte die furchtbare Kälte ihn veranlaßt, seine Hände zu -öffnen und den Teufel loszulassen, doch überwand er sich und hielt -nach anderen Rettungsmöglichkeiten Umschau. Doch schien es die nicht -zu geben; die glatten Grabenwände bedeckte eine Eisschicht, so daß -es unmöglich war, an ihnen emporzuklimmen, ohne sich der Hände zu -bedienen. Dazu aber hätte Achilla den Teufel loslassen müssen und das -wollte er durchaus nicht. Er versuchte zu schreien, doch niemand hörte -ihn, und wenn ihn auch jemand gehört hätte, so würde er seine Tür nur -noch fester verschlossen und gesagt haben: »Da hat der Teufel schon -wieder einen am Wickel.« - -Der Diakon begriff, daß er von der geängstigten Bevölkerung keine Hilfe -zu erwarten habe. Trotzdem wollte er den Teufel nicht loslassen, und so -hockten beide im Graben und froren. Sie waren fast völlig erstarrt und -hätten vielleicht hier ihren Tod gefunden, wenn nicht ein Zufall ihnen -zu Hilfe gekommen wäre. - -Frühmorgens zog ein Spiritustransport nach der Stadt. Als er am -Friedhof vorbeikam, bemerkten die Bauern im Graben eine seltsame -Gruppe. Sie machten Halt, ergriffen aber entsetzt die Flucht, als sie -das blaue Gesicht eines Mannes erkannten, über dem sich die gehörnte -Teufelsfratze emporreckte. Der halberstarrte Achilla nahm seine letzte -Kraft zusammen, rief die Leute zurück, befahl ihnen, auf den Teufel -aufzupassen, zog die rechte Hand aus dem Graben heraus und bekreuzigte -sich. - -»Es ist ein Christenmensch, Kinder!« riefen die Bauern, zogen den -Diakon und den Teufel heraus, steckten einen Strohhalm in das Spundloch -eines der Fässer und setzten Achilla davor. Den Teufel aber warfen sie -vorn auf den Schlitten und fuhren weiter zur Stadt. - -Nachdem er etwas Spiritus eingesogen hatte, zuckte der Diakon zusammen -und fiel der Länge nach auf den Schlitten. Er befand sich in einem -entsetzlichen Zustande. Ganz durchnäßt und blau, wie ein Kessel, -zitterte er so, daß er kaum atmen konnte. Der Teufel aber lag da wie -ein Eiszapfen. So brachte man ihn in die Stadt, wo der Diakon das -Fahrzeug vor dem Polizeiamt halten ließ. - -Achilla hob den Teufel aus dem Schlitten, ließ ihn in die Kanzlei -tragen und schickte nach dem Polizeichef. Er selbst ließ sich vom -Polizeidiener ein trockenes Hemd und einen Soldatenmantel geben und -legte sich auf das Sofa. - -Trotz der frühen Stunde war bald die ganze Stadt von dem großen -Ereignis unterrichtet, und eine dichte Menschenmenge wogte, wie -Meereswellen um einen Felsen, um das Gebäude des Polizeiamtes, wo auch -der Rittmeister Porochontzew seine Amtswohnung hatte. Trotz ihres Amtes -und ihrer Würde gelang es den einflußreichsten Persönlichkeiten der -Stadt, wie dem Propst Grazianskij, dem Vater Zacharia und dem Hauptmann -Powerdownia, nur mit großer Mühe, sich einen Weg durch die Menge zu -bahnen, und auch nur deshalb, weil die Menge die Anwesenheit der -Geistlichkeit bei der an dem Teufel vorzunehmenden Exekution für eine -religiöse Notwendigkeit hielt. Dem Hauptmann Powerdownia aber kam sein -Säbelgriff zugute, mit dem er kräftige Hiebe und Püffe nach rechts und -nach links austeilte. - - - - -Sechzehntes Kapitel. - - -Während draußen die Menge sich drängte und lärmte, ging es im Hause -nicht weniger erregt zu. Der Polizeichef, Rittmeister Porochontzew, -kam in Barchentunterhosen und einer Flanelljacke in die Kanzlei -gestürzt und sah tatsächlich den Teufel mit Hörnern und Klauen kläglich -zusammengekauert am Boden hocken und ihm gegenüber auf dem Sofa, das -sonst die Bittsteller einzunehmen pflegten, eine unförmliche zitternde -Masse, bedeckt mit einem Soldatenmantel und zwei Schafpelzen: der -Diakon. - -Um den Teufel herum gruppierten sich in den verschiedensten Stellungen -sämtliche Stargoroder Honoratioren, auf deren Gesichtern nichts von dem -Grauen zu lesen war, das die Nähe des bösen Geistes ihnen von Rechts -wegen hätte einflößen sollen. Jeder sah, daß dieser Teufel ein ganz -jämmerliches Geschöpf war, welches vor Kälte bebte und schlecht und -recht in die traurigen Reste eines Kosakenmantels aus haarigem Filz -gewickelt war, den der Diakon Achilla einmal dem Kommissar Danilka -geschenkt hatte, weil das Kleidungsstück zu nichts sonst zu gebrauchen -war. Auf des Teufels Kopfe, den ein Fetzen desselben Mantels bedeckte, -ragten zwei mit einem schmutzigen Bindfaden ungeschickt befestigte -Kuhhörner empor, und an den Händen, die in ein paar Stückchen Schaffell -gewickelt waren, baumelten zwei gewöhnliche Eisenhaken, wie man sie zum -Aufwinden von Getreidesäcken verwendet. Das merkwürdigste aber war, -daß einer der Soldaten, als er mit der Hand unter den Anzug des Teufels -griff, eine Schnur zu packen bekam, an der ein altes Messingkreuzchen -mit der Aufschrift: »Es stehe Gott auf, daß seine Feinde zerstreuet -werden« hing. - -»Ich sagte doch, daß alles Betrug wäre,« bemerkte der Propst -Grazianskij. - -»Ja, ja, dem Kostüm nach ist es ein richtiger Teufel, aber das -Kreuzlein läßt auf anderes schließen,« stimmte Zacharia ihm bei, trat -auf das rätselhafte Geschöpf zu und fragte: »Hör mal, mein Lieber, wer -bist du? He? Hörst du, was ich dir sage? ... Lieber Freund! ... Heda! -... Hörst du? ... Sprich doch! ... Sonst gibt es Prügel! ... So rede -doch!« - -Hier mischte sich der Polizeichef ein und fing selbst an, den Teufel -auszufragen, aber ebenso erfolglos. - -Der Teufel, der allmählich warm wurde und zu sich kam, rückte nur -sachte hin und her und verkroch sich wie eine Schildkröte immer tiefer -in seinen Mantel. - -Von den verschiedenen Seiten wurden allerlei Meinungen darüber laut: -was man jetzt mit diesem Teufel anfangen sollte. Der Polizeichef -neigte zu der Ansicht, man müsse ihn, so wie er sei, zum Gouverneur -schicken und berief sich dabei auf das alte Gesetz über Ungeheuer und -Mißgeburten. Aber alle waren so neugierig, daß sie sich diesem Beschluß -energisch widersetzten und die mannigfaltigsten Gründe anführten, um -den Polizeichef zu überzeugen, daß der Dämon unbedingt sofort entlarvt -werden müsse, um die allgemeine, brennende Neugier endlich zu stillen! - -Zwei der Anwesenden nahmen an den Debatten keinen Anteil: -der Bürgermeister und Vater Zacharia, denn beide waren in -Spezialuntersuchungen vertieft. Der Bürgermeister schlich sich immer -ganz leise an den Teufel heran, bald von der einen, bald von der -anderen Seite, machte das Zeichen des Kreuzes über ihn und sprang dann -geschwind wieder zur Seite, um nicht mit dem Bösen gemeinsam in die -Tiefe zu versinken. Zacharia aber riß ihn an den Hörnern und flüsterte -ihm zu: - -»Hör mal, mein Lieber, sag mir nur das eine: warst du es, der beim -Vater Propst die Decke entlang gelaufen ist? Gesteh's und du bekommst -keine Schläge.« - -»Ich war's,« stöhnte der Teufel dumpf. - -Diese ersten Worte des Dämons riefen unter den Anwesenden eine -unerwartete Panik hervor, welche durch das wilde Geschrei des draußen -stehenden Volkes noch verstärkt wurde. Die Menge hatte die Geduld -verloren und drängte ins Haus mit der Forderung, der Teufel solle ihr -ausgeliefert werden, wobei ganz laut der Verdacht geäußert wurde, die -Polizei beabsichtige, sich vom Teufel »schmieren« zu lassen und ihn -dann unbehelligt in sein höllisches Reich heimzusenden. Einige machten -den Vorschlag, die Tür aufzubrechen und den Teufel mit Gewalt den -Händen der gesetzlichen Obrigkeit zu entreißen. Dieser Drohung folgte -ihre Verwirklichung auf dem Fuße, denn man schlug donnernd gegen die -Türe. Jedoch der Rittmeister fand das richtige Gegenmittel. Er gab dem -Revieraufseher ein Zeichen, worauf dieser sofort die Feuerspritze aus -dem Schuppen zog, mit dem Schlauch auf den Zaun kletterte und einen -Strahl eiskalten Wassers über die Menge ergoß. Hiermit war das Signal -zu einem wilden Tohuwabohu gegeben. Die Menge fuhr zurück, schrie, -pfiff, lachte, dann aber wurden die heiteren Gesichter plötzlich ganz -ernst, die Leute bissen die Zähne zusammen und drängten von neuem -vorwärts. Das kalte Sturzbad hatte seine Schrecken verloren, die Tür -krachte, Steine flogen ins Fenster, der Aufseher wurde an den Beinen -vom Zaun heruntergerissen, die Menge bemächtigte sich der Spritze und -besprengte nun den Aufseher vor den Augen seiner Vorgesetzten. Der -Polizeichef und die Honoratioren stürzten in die innern Gemächer und -schlossen die Türen hinter sich zu, der Hauptmann Powerdownia aber, der -ihnen nicht so schnell hatte folgen können, rannte in der Kanzlei hin -und her und schrie: - -»Meine Herren! Keine Furcht! Gott mit uns! Wer Waffen hat ... rettet -euch!« - -Sein Blick fiel auf den geöffneten Aktenschrank, er sprang geschwind -hinein und schlug die Tür hinter sich zu, durch die zerschlagenen -Fensterscheiben aber kamen immer mehr Steine geflogen, und der Teufel -selbst schrie laut auf vor Entsetzen und Verzweiflung. - - - - -Siebzehntes Kapitel. - - -Der Augenblick war kritisch. Er harrte seines Helden, und dieser kam. -Die Pelze, mit denen der von allen vergessene Diakon Achilla bedeckt -war, gerieten in Bewegung, sie fielen zu Boden, und er selbst, barfuß, -im kurzen und engen Soldatenhemd, stürzte auf das Wesen los, das man -noch jüngst für den Teufel gehalten hatte, und begann es heftig zu -schütteln. - -»Zieh dich aus!« kommandierte er, »zieh dich aus und zeige, wer du -bist, oder ich reiße dir das alles samt deinem eigenen Fell vom Leibe!« - -Ein kurzer Moment -- und der Teufel war verschwunden. An seiner Statt -zeigte sich den erstaunten Augen des Diakons der frosterstarrte -Kleinbürger Danilka. - -Achilla riß ihn ans Fenster, steckte den Kopf durch die zerbrochene -Scheibe hinaus und rief: - -»Ruhe, ihr Schafsköpfe! Das ist Danilka, der sich als Teufel verkleidet -hatte! Schaut her!« - -Und der Diakon hob den blaugefrorenen Danilka in die Höhe und warf zu -gleicher Zeit seine Teufelsausrüstung Stück für Stück auf die Straße -hinab: - -»Da habt ihr seine Klauen! Und seine Hörner! Und den übrigen Kram! Und -jetzt paßt auf: ich will ihn verhören.« - -Und der Diakon drehte den Danilka so herum, daß dieser ihm ins Gesicht -sehen mußte, und fragte ihn mit ungeheuchelter Freundlichkeit: - -»Warum hast du dich so scheußlich verkleidet, du Narr?« - -»Vor Hunger,« flüsterte der Kleinbürger. - -Achilla rief es dem Volke zu und fuhr dann mit seiner gewaltigen -Donnerstimme fort: - -»Und jetzt, ihr braven Christenleute, begebt euch nach Hause, denn wenn -die hohe Obrigkeit wieder Mut faßt, läßt sie -- was Gott verhüten möge --- gleich schießen.« - -Lachend ging das Volk auseinander. - - - - -Achtzehntes Kapitel. - - -Wirklich hatte die Obrigkeit »Mut« gefaßt, kam wieder aus ihrem -Schlupfwinkel heraus und begann Ordnung zu stiften. - -Der nasse und kaum noch schnaufende Danilka wurde in einen trockenen -Arrestantenkittel gesteckt, und das peinliche Verhör begann. Er -gestand, daß er, von Hunger und Frost geplagt, von allen wegen -seines liederlichen Lebenswandels gemieden, lange Zeit obdachlos -umhergeirrt sei, bis ihm der Gedanke gekommen sei, sich als Teufel -zu verkleiden. Auf diese Weise habe er den Leuten bei Nacht Angst -eingejagt, gemaust, was ihm irgendwie unter die Finger gekommen sei, es -den Juden verschachert und davon gelebt. Achilla hörte aufmerksam zu. -Als das Verhör beendet war, sah er immer noch Danilka an und bemerkte -plötzlich, wie die Gestalt des Kommissars vor seinen Blicken sich bald -ganz hoch emporhob, bald tief senkte. Achilla zwinkerte ein paarmal -mit den Augen, denn ein neues Schauspiel begann: Danilka glänzte jetzt -wie blankes Gold, dann wie weißes Silber, dann wieder schien er ganz -in Flammen zu stehen, daß einem die Augen schmerzten, wenn man ihn -betrachtete, dann erlosch er mit einemmal und war fort. Und er war doch -da! Diesem kaleidoskopartigen Wechsel der Erscheinungen zu folgen war -eine unerträgliche Marter; schloß man aber die Augen, so wurde es noch -bunter und tat erst recht weh. - -»Was ist das nur!« dachte der Diakon und fuhr sich mit der Hand über -das Gesicht. Dabei bemerkte er, daß seine Handfläche, wenn sie die -Gesichtshaut berührte, knisterte und hängen blieb, wie wenn man mit -Tuch über Flanell streicht. Dann war's ihm plötzlich, als liefe ein -heißer Feuerstrom durch sein Blut, stoße gegen den Scheitel und beraube -ihn des Gedächtnisses. Der Diakon wußte nicht mehr, warum er hier -war, weshalb dieser Danilka da stand wie ein gerupftes Hühnchen und -ungeniert erzählte, wie er den Leuten Angst machte, wie er sie sich -durch allerlei Künste vom Leibe hielt und wie er unvermutet in die -Gewalt des Vaters Diakon geriet. - -»Nun erzähle mal,« fragte Zacharia wieder, »erzähle mal, mein Lieber, -wie bist du beim Vater Propst mit dem Kopf nach unten die Decke entlang -gelaufen?« - -»Ganz einfach, Vater Zacharia,« antwortete Danilka. »Ich nahm meine -Stiefel ab, steckte sie auf einen Stock und stieß sie dann mit den -Sohlen gegen die Decke.« - -»So laßt ihn doch endlich gehen, was quält ihr ihn immer noch,« sagte -endlich Achilla. - -Alle sahen ihn erstaunt an. - -»Was redet Ihr da? Wie kann man einen Kirchenschänder ziehen lassen?« -fiel ihm Grazianskij ins Wort. - -»Ach was, Kirchenschänder! Der Mann hatte Hunger. Laßt ihn laufen um -Christi willen.« - -Grazianskij bemerkte, ohne Achilla anzusehen, sein Eintreten zugunsten -des Verbrechers sei völlig unpassend. - -»Warum denn? So ein armer Kerl ... er hungerte doch ... die Apostel -rauften auch Ähren aus ...« - -»Wie kommt Ihr dazu?« sagte der Propst streng und drehte sich nach ihm -um. »Ihr seid wohl gar Sozialist?« - -»Was weiß ich von Sozialisten! Die heiligen Apostel, sag ich, gingen -über Feld und rauften Ähren aus. Ihr städtischen Pfarrerssöhne wißt -nichts davon, aber wir Subdiakonskinder vom Lande haben in der Schule -auch manchmal Eßwaren gemaust. Nein, laßt ihn gehen um Christi willen, -ich gebe ihn Euch ja doch nicht heraus.« - -»Ihr habt wohl den Verstand verloren? Wie könnt Ihr Euch unterstehen?« - -Diese letzten Worte schienen dem Diakon eine so unerhörte Kränkung, daß -er feuerrot wurde, und seinen nassen Leibrock überwerfend, aufschrie: - -»Ich geb' ihn Euch nicht heraus und damit Schluß! Er ist mein -Gefangener und ich habe ein Recht auf ihn!« - -Mit diesen Worten wankte der Diakon auf Danilka zu, stieß ihn zur Tür -hinaus, packte mit beiden Händen die Türpfosten, um keinen Verfolger -durchzulassen, und wollte noch etwas sagen, als er sich plötzlich immer -größer und breiter werden, in feurigen Gluten aufgehen und verschwinden -fühlte. Er schloß die Augen und fiel bewußtlos nieder. - -Achillas Zustand war jener des seligen Vergessens, in den das Fieber -den Menschen versetzt. Er vernahm die Worte, wie »Unfug«, »Protokoll«, -»Schlag«, fühlte, daß man ihn berührte, umdrehte, aufhob, hörte das -Flehen und Jammern des draußen wieder eingefangenen Danilka, aber er -hörte das alles nur wie im Traum, und dann wuchs er wieder und dehnte -sich unendlich weit und strömte süße Gluten aus und zerschmolz in der -läuternden Flamme der Krankheit. Da kam es, das Ende des Lebens, der -Tod! - -Achillas »Tat« wurde zu Protokoll gebracht, wobei der alte Freund und -Kamerad, Woin Porochontzew, sich die größte Mühe gab, das Benehmen des -Diakons in möglichst harmlosem Lichte erscheinen zu lassen. Trotzdem -wurde das Dokument betitelt: »Von dem frechen Unfug, den der Domdiakon -Achilla im Beisein der Stargoroder Polizeiverwaltung angestiftet.« - -Der Rittmeister Porochontzew konnte nur das Wort »frech« ausstreichen, -der Unfug Achillas aber wurde zum Gegenstand einer polizeilichen Akte, -auf die früher oder später ein strenges Urteil erfolgen mußte. - - - - -Neunzehntes Kapitel. - - -Achilla wußte nichts von alledem: er glühte ruhig und sorglos weiter -in den Flammen seiner Krankheit. Der Arzt hatte ihn ins Krankenhaus -schaffen lassen und erklärt, es handle sich um eine sehr schwere Form -von Typhus, die gleich mit Bewußtlosigkeit und hohem Fieber anfange und -zu den schlimmsten Befürchtungen Veranlassung gebe. - -Dem Rittmeister Porochontzew kam diese Äußerung des Arztes sehr -gelegen. Er fragte sofort, ob man das Benehmen Achillas nicht durch -seinen krankhaften Zustand erklären könne. Der Arzt war durchaus dieser -Meinung. Achilla aber war schon fünf Tage ohne Bewußtsein und lebte -immer noch in denselben unklaren, aber süßen Vorstellungen und in -demselben Gefühl einer wohltuenden Hitze. Neben seinem Bette saß auf -einem wackeligen Stühlchen der Vater Zacharia und hielt ein mit kaltem -Wasser getränktes Handtuch dem Kranken auf die Stirn. Gegen Abend kamen -noch ein paar Bekannte und der Arzt. - -Der mit geschlossenen Augen daliegende Diakon hörte, wie der Arzt -sagte, daß, wenn es jemandem um die Seele des Kranken zu tun sei, er -den ersten lichten Augenblick wahrnehmen müsse, denn die Krisis nahe -heran, von der nicht viel Gutes zu erwarten sei. - -»Nehmt den Augenblick wahr,« sagte er, »der Puls ist schon ganz -unzuverlässig.« Dann fing der Arzt mit Porochontzew und den andern an -zu reden, die es gar nicht begreifen konnten, daß Achilla im Sterben -liege und noch dazu infolge einer Erkältung! Dieser Recke sollte -sterben, und Danilka, der mit ihm im kalten Bade gesessen hatte, befand -sich in seiner Gefängniszelle ganz wohl und munter. Der Arzt erklärte -es dadurch, daß Achilla schon seit längerer Zeit angegriffen und -leidend gewesen wäre. - -»Ja, ja, Sie sprachen davon ... erhöhte Sensibilität,« stammelte -Zacharia. - -»Eine merkwürdige Krankheit,« bemerkte Porochontzew. »Auch hier alles -neu. Ich lebe nun schon so lange auf der Welt und habe noch nie von so -einer Krankheit gehört.« - -»Ja, ja, ja,« sagte Zacharia zustimmend, »die Lebensgewohnheiten -verfeinern sich und die Krankheiten werden komplizierter.« - -Der Diakon öffnete leise die Augen und flüsterte: - -»Gebt mir zu trinken!« - -Man reichte ihm einen Metallkrug, an den er seine flammenden -Lippen preßte. Und während er das kühle Moosbeerengetränk gierig -herunterschlang, musterte er die Umstehenden mit seinen entzündeten -Augen. - -»Nun, wie geht es unserer lieben Orgel?« fragte der Bürgermeister -teilnehmend. - -»Dumpf, dumpf,« antwortete der Diakon schwer atmend und fing nach -einer Minute ganz unvermittelt in erzählendem Tone an: »Nach meinem -Hündchen Wiesie -- als die Post es überfahren hatte -- wollte ich mir -wieder eins zulegen ... Da seh' ich in Petersburg auf dem Newskij -einen Hundejungen ... ›Verschaff mir‹, sagte ich ... ›ein nettes -Hündchen‹ ... Da antwortete er: ›Heutzutag -- gibt's keine Hunde mehr -... Heutzutag gibt's nur noch Pointer und Setter,‹ sagte er ... ›Was -sind denn das für Viecher?‹ fragte ich ... ›Das‹ -- sagte er -- ›sind -ebensolche Hunde, bloß nennt man sie anders.‹« - -Der Diakon stockte. - -»Wie kommt Ihr auf diese Geschichte?« fragte ihn der Arzt in -freundlichem, aufmunterndem Tone, denn es schien ihm, als phantasierte -der Kranke. - -»Weil Sie vorhin von neuen Krankheiten redeten. Sie alle -- man mag sie -nennen, wie man will -- laufen doch auf ein und dasselbe Ziel hinaus -- -auf den Tod.« - -Hier verlor der Diakon von neuem das Bewußtsein und erwachte bis -Mitternacht nicht mehr. Dann fing er plötzlich wieder zu phantasieren -an: - -»Arkebusier, Arkebusier ... geh fort, Arkebusier!« - -Bei dem letzten Wort sprang er auf und setzte sich, völlig wach, -aufrecht im Bette hin. - -»Du solltest beichten, Diakon«, sagte Zacharia. - -»Ja, ja,« sagte Achilla, »nehmt meine Beichte entgegen ... Schneller -... ich will beichten, um nichts zu vergessen ... In allem hab' ich -gesündigt ... Vergebt mir um Jesu Christi willen ...« Und mit einem -Seufzer fügte er hinzu: - -»Schickt schnell nach dem Propst.« - -Grazianskij erschien sogleich. - -Achilla grüßte ihn von weitem mit den Augen, bat um seinen Segen und -küßte ihm zweimal die Hand. - -»Ich sterbe,« sagte er, »und ich wollte Euch um Vergebung bitten. Gegen -alle Gebote hab' ich gesündigt.« - -»Der Herr wird Euch vergeben,« antwortete Grazianskij. - -»Ich war ja nicht bösen Willens ... aber ich redete oft unverständlich.« - -»Laßt doch ... Ihr habt ein edles Herz.« - -»Nein, nein, so sollt Ihr nicht reden,« unterbrach ihn der Diakon. -»Ich tat nicht immer das, was ich sollte ... und zuletzt ... zürnte -ich wegen des Denkmals ... Leere Phantasien: Himmel und Erde werden -verbrennen und alles wird versinken ... Was für ein Denkmal! Und alles -meine Unvernunft!« - -»Er ist schon weise,« flüsterte Zacharia, den Kopf senkend. - -Der Diakon warf sich auf seinem Bette hin und her. - -»Vergebt mir um Christi willen,« sagte er hastig, »und zwingt Euch -nicht, hier zu bleiben. Mich packt die Krankheit schon wieder ... Lebt -wohl.« - -Der gelehrte Propst segnete den Sterbenden, worauf Zacharia ihn -hinausbegleitete. Als er in das Zimmer zurückkam, blieb er entsetzt auf -der Schwelle stehen. - -Achilla lag im Todeskampf und seine Agonie war ebenso verblüffend wie -grauenerregend. Einige Sekunden war er ganz still, und wenn er genügend -Luft eingesogen hatte, stieß er sie plötzlich mit einem langgedehnten -»Hu--u--u--u« heraus; dabei fuchtelte er jedesmal mit den Armen in der -Luft herum und richtete sich auf, als ob er sich von etwas befreie, -etwas von sich werfe. - -Zacharia stand wie erstarrt, und die schwachen Bretter der Bettstelle -bogen sich und krachten immer stärker unter der Last des Sterbenden, -und schauerlich bebte die Wand, durch die gleichsam die so lange -gefesselt gewesene elementare Kraft sich einen Weg bahnen wollte. - -»Geht es zu Ende?« erriet Zacharia plötzlich und stürzte zum Fenster -nach dem dort liegenden Gebetbuche, aber in diesem Augenblick rief -Achilla mit fest zusammengebissenen Zähnen: - -»Wer bist du? Du mit dem Feuergesicht? Laß mich durch!« - -Zacharia sah sich ängstlich um und machte ein verblüfftes Gesicht, -denn kein feuriger Mann war zu sehen; aber in seiner Angst war es ihm -vorgekommen, als hätte Achilla sich von seinem eigenen Leibe gelöst -und wäre hier in der Stube auf jemand gestoßen, mit dem er gerungen und -den er dann überwunden hätte ... - -Der ängstliche Alte bebte am ganzen Leibe, schloß die Augen und lief -hinaus. Einige Minuten später ertönte vom Turme der Domkirche das -traurige Geläut der Totenglocke für den verstorbenen Diakon Achilla. - - - - -Zwanzigstes Kapitel. - - -Die Chronik von Stargorod geht zu Ende, und ihr letzter Punkt soll der -Nagel sein, der in den Sargdeckel des Vaters Zacharia geschlagen ward. - -Der sanfte Greis überlebte Sawelij und Achilla nicht lange. Er lebte -nur noch bis zum großen Fest des Frühjahrs, dem Ostersonntag, und -entschlief ganz sacht während des Gottesdienstes. - -Für die Klerisei von Stargorod kam eine Zeit völliger Erneuerung. - - - - - Weitere Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die - Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. - - Korrekturen: - - S. 306: waren → wären - So, das {wären} sämtliche Neuigkeiten. - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Klerisei, by Nikolaus Leskow - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KLERISEI *** - -***** This file should be named 53757-0.txt or 53757-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/3/7/5/53757/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Die Klerisei - -Author: Nikolaus Leskow - -Translator: Arthur Luther - -Release Date: December 18, 2016 [EBook #53757] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KLERISEI *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - - -<div class="transnote"> -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p> - -<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.</p> - -<p>Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p> - -<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am -<a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p></div> - -<div class="chapter center"> -<img src="images/cover.jpg" alt="cover" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h2">Nikolaus Leskow</p> - -<h1>Die Klerisei</h1> - -<p class="center">Roman</p> - -<p class="center p2 gesperrt">Kurt Wolff Verlag</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Deutsche Übertragung von Arthur Luther.</p> - -<p class="center">Copyright 1919 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig.</p> - -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_1">[1]</a></span></p> - -<h2 id="Erstes_Buch">Erstes Buch.</h2> - -<h3 id="kap1_1">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Leute, deren Leben und Treiben diese Erzählung schildern -soll, sind die Bewohner der Dompfarrei von Stargorod: -der Propst Sawelij Tuberozow, der Pfarrer Zacharia Benefaktow -und der Diakon Achilla Desnitzyn. Ihre Jugendjahre, -sowie auch ihre Kindheit lassen wir unberührt. Will -der Leser sie vor sich sehn, wie unsere Geschichte sie faßt, -so muß er sich das Haupt der Stargoroder Geistlichkeit, den -Propst Sawelij Tuberozow, als Mann vorstellen, der die -Sechzig bereits überschritten hat. Vater Tuberozow ist hochgewachsen -und von stattlicher Leibesfülle, aber noch sehr rüstig -und beweglich. Dasselbe gilt von seinen Geisteskräften: auf -den ersten Blick erkennt man, daß er sich alle Glut des Herzens -und alle Energie der Jugend bewahrt hat. Seinen -auffallend schönen Kopf ist man versucht, als Urbild männlicher -Schönheit zu betrachten. Tuberozows Haar ist dicht, -wie die Mähne eines gewaltigen Löwen, und weiß, wie die -Locken des Zeus von Phidias. Es türmt sich malerisch als -mächtiger Schopf über der hohen Stirn und fällt in drei -großen Wellen nach rückwärts, ohne die Schultern zu erreichen. -In dem langen zweigeteilten Bart des Propstes<span class="pagenum"><a id="Seite_2">[2]</a></span> -und in dem kleinen Schnurrbart, der bei den Mundwinkeln -mit dem Bart in eins zusammenfließt, blitzen hie und da -noch ein paar schwarze Haare auf, welche dem Bart das Aussehen -von schwarz emailliertem Silber geben. Die Brauen -dagegen sind ganz schwarz. In zwei steilgebogenen <em class="antiqua">S</em>-Linien -vereinigen sie sich über dem Rücken seiner ziemlich großen -und fleischigen Nase. Die Augen sind braun, groß, kühn -und klar. Sie haben es ein ganzes Menschenleben lang verstanden, -der Spiegel eines regen und starken Geistes zu sein. -Wer dem Propste nahestand, sah sie von freudiger Begeisterung -durchstrahlt, von Schmerz umnebelt, in Tränen der -Rührung gebadet. Mitunter flammte in ihnen das Feuer -der Entrüstung und sie sprühten Funken des Zorns, keines -eiteln, rechthaberischen Zornes, sondern des Zornes eines bedeutenden -Mannes. Aus diesen Augen leuchtete die gerade -und ehrliche Seele des Propstes Sawelij, die er in seiner -christlichen Zuversicht unsterblich glaubte.</p> - -<p>Zacharia Benefaktow, der zweite Pfarrer am Stargoroder -Dom, ist ein Wesen ganz anderer Art. Seine Person ist -die verkörperte Sanftmut und Milde. Wie sein bescheidener -Geist sich in keiner Weise hervorzutun begehrt, so nimmt auch -sein winziger Leib nur ganz wenig Platz weg, als wäre es ihm -peinlich, die Erde allzusehr zu beschweren. Er ist klein, mager, -schmächtig und kahlköpfig. Zwei kleine Löckchen graugelber -Haare flattern nur noch über seinen Ohren. An Stelle eines -Bartes scheint dem Vater Zacharia am Kinn ein Stückchen -Schwamm zu kleben. Er hat winzige Kinderhände, die er -immer in den Taschen seines Leibrocks verbirgt. Seine Beinchen -sind dünn und schwach, wie Strohhalme, überhaupt -erscheint der ganze Mann wie aus Stroh geflochten. Seine -herzensguten, grauen Äuglein sind äußerst beweglich, aber -sie werden nur selten voll aufgeschlagen, immer suchen sie<span class="pagenum"><a id="Seite_3">[3]</a></span> -sich gleich ein Plätzchen, wo sie sich vor unbescheidenen Blicken -verbergen könnten. An Jahren ist Vater Zacharia etwas -älter als Vater Tuberozow und viel schwächlicher als dieser, -aber auch er ist gleich dem Propst gewohnt, sich stramm zu -halten, und trotz aller Übel und Gebresten, von denen er -heimgesucht wird, hat er sich einen lebhaften Geist und eine -große körperliche Beweglichkeit bewahrt.</p> - -<p>Der dritte und letzte Vertreter der Stargoroder Domgeistlichkeit, -der Diakon Achilla, wird durch mehrere Attribute -gekennzeichnet, die wir alle hier mitzuteilen für gut befinden, -damit der Leser ein möglichst klares Bild von dem gewaltigen -Achilla gewinne.</p> - -<p>Der Inspektor der Kirchenschule, der den Achilla Desnitzyn -aus der Syntax-Klasse »wegen Überreife und mangelhafter -Fortschritte« ausgeschlossen hatte, pflegte zu ihm zu sagen:</p> - -<p>»Ach, du langgereckter Holzknüppel, du!«</p> - -<p>Der Rektor, der auf ein besonderes Bittgesuch hin den -Achilla wieder in die Rhetorik-Klasse aufgenommen hatte, -staunte jedesmal, wenn er den werdenden Recken zu Gesichte -bekam, und pflegte, verblüfft über diese Riesengröße, Riesenkraft -und Rieseneinfalt, zu äußern:</p> - -<p>»Es dünkt mich zu wenig, dich bloß einen Knüppel zu -nennen, sintemalen du in meinen Augen zum mindesten -eine volle Ladung Holz repräsentierest.«</p> - -<p>Der Dirigent des bischöflichen Sängerchores endlich, in -den Achilla eingereiht wurde, nachdem er aus der Rhetorik -entfernt und dem Klerus zugezählt worden war, nannte ihn -»unermeßlich«.</p> - -<p>»Dein Baß ist gut,« sagte der Dirigent, »er donnert wie -eine Kanone; aber unermeßlich bist du bis zum äußersten, -so daß ich angesichts dieser Unermeßlichkeit gar nicht weiß, -wie ich dich würdig behandeln soll.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_4">[4]</a></span></p> - -<p>Die vierte und gewichtigste Charakteristik des Diakons -Achilla stammte von dem Bischof selbst, und zwar ward dessen -Urteil an einem für den Achilla sehr denkwürdigen Tage -ausgesprochen, dem Tage nämlich, wo er, Achilla, aus dem -bischöflichen Chor ausgeschlossen und als Diakon nach Stargorod -geschickt wurde. Sie lautete: »der Gepeinigte«. Es -dürfte aber wohl angebracht sein, zu erzählen, auf welche -Weise der brave Achilla zu diesem Namen kam.</p> - -<p>Der Diakon Achilla war von Jugend auf ein sehr impulsiver -Mensch, der sich nicht nur in seinen Jünglingsjahren -immer wieder hinreißen ließ, sondern auch in den Jahren -des nahenden Alters.</p> - -<p>Trotz der »Unermeßlichkeit« seines Basses war Achilla im -Sängerchor doch sehr geschätzt, weil er mit gleicher Leichtigkeit -sich zu den höchsten Höhen emporzuschwingen und bis -zur tiefsten Oktave hinabzuklettern vermochte. Eins nur -machte dem Dirigenten bei dem unermeßlichen Achilla immer -wieder Angst, – seine übergroße Begeisterungsfähigkeit. -So konnte er etwa bei der Vesper sich nicht damit begnügen, -das »Heilig ist der Herr unser Gott« nur dreimal zu singen, -sondern ließ sich oft fortreißen, es ganz allein zum vierten -Male anzustimmen; besonders aber konnte er den Lobgesang -am Schluß des Gottesdienstes nie zur rechten Zeit abbrechen. -Doch in allen diesen Fällen, die schon bekannt waren und -die man deshalb auch voraussehen konnte, wurden vernünftigerweise -entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen: einer -der erwachsenen Sänger erhielt nämlich den Auftrag, den -Achilla am Rockschoß zu ziehen oder ihn im geeigneten Moment -durch einen kräftigen Druck auf beide Schultern zusammenknicken -zu lassen. Indessen nicht umsonst sagt das -Sprichwort, daß man sich nicht für jeden Augenblick vorsehen -könne. An einem der großen zwölf Feiertage hatte<span class="pagenum"><a id="Seite_5">[5]</a></span> -Achilla in der Kommunionsliturgie ein sehr schwieriges Baß-Solo -auf den Text »von Schmerzen gepeinigt« zu singen. -Die Bedeutung, die der Dirigent und der ganze Chor diesem -Solo beimaß, machte dem Achilla nicht wenig Sorge: er -war in großer Unruhe und dachte hin und her, wie er es -anstellen sollte, sich nicht zu blamieren, sondern vor der Eminenz, -die ein großer Liebhaber guten Kirchengesanges war, -und vor dem gesamten Gouvernementsadel, der an diesem -Tage in der Kirche sein würde, in Ehren zu bestehen. Tag -und Nacht ging er bald in seiner Stube, bald im Korridor -oder im Hofe, bald im bischöflichen Garten oder auf dem -Weideplatz vor der Stadt auf und ab und sang in den verschiedensten -Tonarten: »gepeinigt, gepeinigt, gepeinigt«. So -brach endlich der Tag seines Ruhmes an, wo er sein »gepeinigt« -in der gedrängt vollen Domkirche zu Gehör bringen -sollte. Gott, wie groß und strahlend stand der gewaltige -Achilla da, das Notenblatt in der Hand. Die wohlbekannten -Vorschläge sind erledigt. Nun kommt das Baß-Solo. Achilla -schiebt seinen Nachbar mit dem Ellenbogen beiseite und zählt -leise die Takte. Jetzt ist es so weit. Der Dirigent hebt die -Hand mit der Stimmgabel … Achilla hat die ganze Welt -und sich selbst vergessen, und in der wunderlichsten Weise, -der Posaune des Erzengels vergleichbar, donnert er bald -ganz schnell, bald langsam gedehnt: »Von Schmerzen gepeinigt, -gepeinigt, ge-pei-nigt, g-e-p-e-i-n-i-g-t, -gepeinigt.« Mit Gewalt hält man ihn zurück, sich in weiteren -unvorhergesehenen Variationen zu ergehen, und das Konzert -ist beendet. Aber in dem »fortgerissenen« Geiste Achillas -war es noch nicht zu Ende. Während die Honoratioren der -Stadt mit leisen Begrüßungen an den Bischof herantraten, -um seinen Segen entgegenzunehmen, ertönte es vom Chor -plötzlich wieder, wie ein Posaunenstoß vom Himmel: »Gepeinigt,<span class="pagenum"><a id="Seite_6">[6]</a></span> -ge-pei-nigt, g-e-p-e-i-n-i-g-t!« Das -singt der in seiner Begeisterung ganz um den Verstand gebrachte -Achilla. Man zupft ihn – er singt weiter. Man -drückt ihn zu Boden, um ihn hinter den Rücken seiner Genossen -verschwinden zu lassen, – er singt: »gepeinigt«. Man -führt ihn endlich aus der Kirche hinaus, unentwegt singt -er: »g-e-p-e-i-n-i-g-t!«</p> - -<p>»Was ist dir?« fragen ihn mitleidige Leute voller Teilnahme.</p> - -<p>»Gepeinigt,« singt er, sie verständnislos ansehend, und -bleibt an der Tür der Vorhalle stehen, bis ihn endlich ein -Strom frischer Luft von draußen ernüchtert.</p> - -<p>Im Vergleich zu dem Propst Tuberozow und dem Vater -Benefaktow kann Achilla Desnitzyn als junger Mann gelten, -aber auch er hat die Vierzig schon hinter sich und seine tiefschwarzen -Locken sind stark angegraut. Achilla ist von Riesengestalt -und ungeheurer Kraft, seine Bewegungen sind eckig -und schroff; sein Gesicht zeigt einen südlichen Typus und -er behauptet, von kleinrussischen Kosaken abzustammen, von -denen er auch in der Tat den Leichtsinn und die Tapferkeit -und noch manches andere zu haben scheint.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_2">Zweites Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Alle diese meine altmodischen Helden wohnten auf dem -Stargoroder Pfarrgehöft, am stillen, schiffbaren Fluß Turitza. -Jeder von ihnen, Tuberozow, Zacharia und sogar der Diakon -Achilla hatte sein eigenes Häuschen dicht am Ufer, gerade -gegenüber dem jenseits des Flusses aufragenden alten Dom -mit seinen fünf hohen Kuppeln. Aber so verschieden geartet, -wie die drei Männer, waren auch ihre Wohnsitze. Das Haus -des Vaters Sawelij war sehr hübsch, mit hellblauer Ölfarbe -gestrichen und mit verschiedenfarbigen Sternchen, Quadraten -und Schnörkeln über jedem der drei Fenster geziert. Letztere -hatten außerdem noch holzgeschnitzte, grellbemalte Einfassungen -und grüne Läden, die nie geschlossen wurden, denn -das festgefügte Haus trotzte im Winter jeglichem Frost und -der Propst liebte das Licht, liebte den Stern, der nachts vom -Himmel in seine Stube schaute, liebte den Mondstrahl, der -sich wie ein Brokatstreifen über den parkettartig gemusterten -Fußboden legte.</p> - -<p>Im Häuschen des Propstes herrscht absolute Reinlichkeit -und Ordnung, denn es ist niemand da, der Schmutz -oder Unordnung machen könnte. Der Propst hat keine Kinder -und das ist eine Quelle steter Betrübnis für ihn und -seine Lebensgefährtin.</p> - -<p>Das Häuschen des Vaters Zacharia Benefaktow ist viel -größer als das des Vaters Tuberozow. Aber es fehlt ihm<span class="pagenum"><a id="Seite_8">[8]</a></span> -jene Eleganz und Koketterie, die den Wohnsitz des Propstes -auszeichnet. Das fünffenstrige, etwas schiefstehende, graue -Haus des Vaters Zacharia erinnert eher an einen großen -Geflügelstall, und, um die Ähnlichkeit perfekt zu machen, -drängen und stoßen sich in den engen Rahmen seiner grünen -Fenster unausgesetzt allerlei Schnäbelchen und Schöpfchen. -Das ist die gesamte Nachkommenschaft des Vaters Zacharia, -den Gott gesegnet hat, wie den Jakob, und dessen Gattin -er fruchtbar gemacht hat, wie die Rahel. Bei Vater Zacharia -fand man nichts von der spiegelglatten Sauberkeit des Tuberozowschen -Hauses, nichts von dessen strenger Ordnung. -Überall stieß man auf Spuren schmutziger Kinderpfötchen; -aus jedem Winkel guckte ein Kinderköpfchen hervor; alles -lebte und webte mit den Kindern und um die Kinder.</p> - -<p>Der Diakon Achilla war Witwer und kinderlos. Wenig -kümmerte er sich um irdische Güter und Hauswirtschaft. -Hart am Flußrande hatte er eine lehmgestrichene, kleinrussische -Kate, zu der aber keinerlei Nebengebäude gehörten; -nicht einmal ein Zaun war vorhanden, nichts als eine rohe -Lattenhürde, innerhalb derer, bis an die Knie im Stroh versinkend, -bald ein scheckiger Hengst, bald ein falber Wallach, -bald eine schwarze Stute umherstampfte. Die innere Einrichtung -des Hauses war ebenfalls ganz kosakenmäßig: in -dem vorderen, besseren Raume, den der Hausherr für sich -selbst bestimmt hatte, stand ein hölzernes Sofa, welches -Achilla auch als Bett diente. Eine weiße Kosaken-Filzdecke -lag darüber gebreitet und am Kopfende ein ziselierter asiatischer -Sattelbogen, an den sich ein kleines pfannkuchenähnliches -Kissen in einem fettigen Nankingüberzug lehnte. Vor -diesem Kosakenlager stand ein Tisch aus weißem Lindenholz. -An der Wand hing eine Gitarre ohne Saiten, ein hänfener -Fangstrick, eine Nagaika und zwei kunstvoll geflochtene Zäume.<span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span> -In der Ecke auf einem kleinen Wandbrett, hinter welchem -ein verdorrter Palmweidenzweig gesteckt war, stand ein winziges -Heiligenbild, die Himmelfahrt Mariä darstellend, vor -dem ein kleines Kiewer Gebetbuch lag. Sonst war nichts, -rein gar nichts in der Behausung des Diakons Achilla zu -finden. Nebenan in einer kleinen Kammer hauste die alte -Nadeshda Stepanowna, genannt Esperance, die früher einmal -Zimmermädchen in einem adligen Gutshause gewesen -war.</p> - -<p>Sie war eine kleine, ältliche, gelbliche, spitznäsige, zusammengeschrumpfte -Person von so unverträglichem und unerträglichem -Charakter, daß sie trotz ihrer geschickten Hände -nirgends dauernd unterkommen konnte, bis sie zu guter Letzt -Bedienerin beim einsamen Achilla geworden war, dem sie -vorschnattern und vorkeifen konnte soviel sie wollte, denn er -beachtete dieses Geschnatter und Gekeife überhaupt nicht; -nur wenn die Erregung seiner alten Hausgenossin gar zu -arg wurde, machte er ihr im entscheidenden Augenblick durch -ein donnerndes: »Versinke, Esperance!« ein Ende, worauf -Esperance zumeist auch wirklich sofort verschwand, denn sie -wußte, daß Achilla sie andernfalls in seine Arme nehmen, -auf das Dach seiner Hütte setzen und dort bis zum Sonnenuntergang -ihrem Schicksal überlassen würde.</p> - -<p>So lebten diese Leutchen hin und trugen alle mehr oder -weniger einer des andern Lasten und suchten sich gegenseitig -das einförmige Dasein ein wenig bunter zu gestalten durch -allerlei leichte Streitigkeiten und Mißverständnisse, welche -auf die durch die Ereignislosigkeit des Kleinstadtlebens erschlaffte -menschliche Natur eine so wohltuend aufrüttelnde -Wirkung ausüben. So hatte zum Beispiel eines Tages der -Gutsbesitzer und Adelsmarschall Alexej Nikititsch Plodomasow -von einer Reise nach Petersburg den von ihm sehr hochgeschätzten<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span> -Domgeistlichen verschiedene mehr oder weniger -kostbare Geschenke mitgebracht, darunter auch drei Stöcke: -zwei mit ganz gleichen Knöpfen aus Dukatengold für die -beiden Pfarrer, den einen für Vater Tuberozow, den andern -für Vater Zacharia. Der dritte Stock mit einem hübschen -Knopf aus emailliertem Silber war für den Diakon Achilla -bestimmt. Diese Stäbe fielen unter die Stargoroder Geistlichen -wie die biblischen Schlangen, welche die ägyptischen -Zauberer vor den Pharao hinwarfen.</p> - -<p>»Durch diese Schenkung der Stäbe ist ein Zweifel in uns -geweckt worden,« erzählte der Diakon Achilla.</p> - -<p>»Was für einen Zweifel kann es denn geben, Vater Diakon?« -fragten die Leute, denen er sein Leid klagte.</p> - -<p>»Ach, ihr Laien versteht von solchen Dingen nichts. Erstens -ziemt es mir in meinem Amte als Diakon gar nicht, einen -solchen Stab zu tragen, denn ich bin kein Pfarrer. Ferner: -ich trage diesen Stab jetzt trotzdem, denn ich habe ihn geschenkt -bekommen. Drittens aber tritt dabei noch eine zweifelerregende -Gleichstellung zutage: der Vater Sawelij und der -Vater Zacharia haben Stäbe von ganz derselben Qualität -und gleichem Aussehen erhalten. Darf man sie aber so völlig -gleichstellen? … Ich frage, darf man das? … Vater Sawelij -… ihr wißt es ja selbst … Vater Sawelij … ist ein -Weiser, ein Philosoph, ein Justizminister … und nun sehe -ich, daß auch er sich darin nicht zu finden weiß und verwirrt -ist, ganz furchtbar verwirrt.«</p> - -<p>»Was kann ihn denn so verwirren, Vater Diakon?«</p> - -<p>»Es verwirrt ihn, daß erstens diese völlige Gleichheit Verwechselungen -hervorruft. Was meint ihr, wie soll man erkennen, -wem dieser Stab gehört? Versucht es doch herauszukriegen, -welcher Stab dem Propst und welcher dem Zacharia -zukommt, wenn sie beide ganz gleich aussehen! Freilich,<span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span> -zur Unterscheidung ließe sich ja irgendein Zeichen anbringen -– ein Tröpfchen Siegellack auf den Knopf oder -ein kleiner Einschnitt in das Holz. Wie steht es aber mit der -politischen Seite der Sache? Es ist doch ganz unmöglich, daß -der Propst und der Vater Zacharia gleich viel wert wären! -Und der Propst fühlt das sehr wohl, und ich seh' es deutlich, -und darum sag' ich ihm: ›Vater Propst, es ist in diesem Falle -nichts anderes zu machen: gestattet mir, daß ich den Stab -des Vaters Zacharia irgendwie zeichne, mit Siegellack oder -durch einen Messerschnitt.‹ Er aber antwortet: ›Nichts dergleichen. -Untersteh' dich nicht. Es ist nicht nötig.‹ Ja, wie -denn nicht nötig?! ›Nun,‹ sag' ich da wieder, ›so gebt mir -Euren Segen zu etwas anderm. Ich will ganz insgeheim -den Stab des Vaters Zacharia mit dem Messer um einen -Zoll kürzer machen, so daß der Vater Zacharia selber von -dieser Verkürzung gar nichts merken soll.‹ Er aber nennt -mich darauf einen Dummkopf. Gut denn, ich bin ein Dummkopf, -ich hör's von ihm nicht zum erstenmal und von ihm -kränkt's mich auch nicht, aber ich sehe doch, daß er mit alledem -sehr unzufrieden ist, und das raubt mir alle Seelenruhe -… Und ihr könnt mich einen dreifachen Dummkopf -nennen,« – rief der Diakon, – »ja, ich gestatte es euch, -nennt mich ruhig dumm, wenn er, der Vater Sawelij, nicht -etwas ganz Politisches im Sinne hat. Ich weiß es ganz -genau, daß er eben deswegen mich nicht gewähren läßt, -weil er seine eigene Politik verfolgt.«</p> - -<p>Und der Diakon Achilla schien sich nicht geirrt zu haben. -Noch war kein Monat seit der Beschenkung der Stargoroder -Geistlichkeit mit den erwähnten zweifelerregenden Stäben -vergangen, als der Propst Sawelij sich plötzlich zu einer Reise -in die Gouvernementsstadt zu rüsten begann. Man brauchte -dieser Fahrt keine besondere Bedeutung zuzuschreiben, denn<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span> -der Propst hatte in Amtsangelegenheiten oft genug mit dem -Konsistorium zu verhandeln. Aber als der Vater Tuberozow -bereits im Wagen saß, wandte er sich plötzlich zum Vater -Zacharia:</p> - -<p>»Hör' mal, Vater, wo ist denn wohl dein Stab? Gib ihn -mir mal her, ich will ihn mit in die Stadt nehmen.«</p> - -<p>Diese scheinbar von ungefähr gesagten Worte ließen ein -Licht in den Gemütern aller derer aufgehen, die vor das -Tor gekommen waren, dem Abreisenden das Geleite zu geben.</p> - -<p>Der Diakon Achilla räusperte sich kräftig und flüsterte dem -Vater Benefaktow ins Ohr:</p> - -<p>»Nun? Sagt' ich's Euch nicht? Da haben wir die Politik!«</p> - -<p>»Weshalb wollt Ihr denn meinen Stab in die Stadt mitnehmen, -Vater Propst?« fragte Vater Zacharia, und zwinkerte -demütig mit den Augen, wobei er zugleich den Diakon -beiseite schob.</p> - -<p>»Wozu? Nun, vielleicht will ich den Leuten dort zeigen, -wie man uns hier achtet und unser gedenkt,« antwortete -Tuberozow.</p> - -<p>»Alioscha, lauf hin und hol den Stock,« befahl Zacharia -seinem kleinen Sohne.</p> - -<p>»Vielleicht nehmt Ihr dann auch meinen Stab mit, Vater -Propst, um ihn dort zu zeigen?« fragte Achilla in dem sanftmütigsten -Tone, dessen er fähig war.</p> - -<p>»Nein, den deinen magst du bei dir behalten,« erwiderte -Sawelij.</p> - -<p>»Warum denn, Vater Propst? Ich bin doch ebenso … -ich bin doch auch von dem Herrn Adelsmarschall ausgezeichnet -worden,« antwortete der Diakon ein wenig gekränkt.</p> - -<p>Aber der Propst würdigte seinen Einspruch keiner Antwort, -legte den ihm eben gebrachten Stab des Vater Zacharia -neben sich hin und hieß den Kutscher zufahren.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span></p> - -<p>So fuhr er dahin und die beiden zweifelerregenden Stäbe -fuhren mit, der Diakon Achilla aber saß zu Hause und mühte -sich vergeblich, das Rätsel zu lösen, zu welchem Zweck Tuberozow -den Stab des Zacharia mitgenommen hatte.</p> - -<p>»Was geht's dich an? Was hast du dabei? Was?« beschwichtigte -Zacharia den von Neugier gemarterten Diakon.</p> - -<p>»Vater Zacharia, ich sag's Euch, das ist Politik.«</p> - -<p>»Nun und wenn's Politik ist, – was geht's dich an? -Mag er doch politisieren.«</p> - -<p>»Aber ich vergehe vor Neugier, was das für eine Politik -sein könnte. Euren Stab zu beschneiden wollte er mir nicht -gestatten; das wäre eine Dummheit, sagte er; ich schlug -ihm vor, Zeichen anzubringen, aber er wies es zurück. Das -einzige, was ich vermute …«</p> - -<p>»Ei nun, was kannst du Schwätzer vermuten?«</p> - -<p>»Das einzige wäre, daß er … Er setzt bestimmt einen -Edelstein hinein.«</p> - -<p>»Ja! Nun … nun ja … Aber wo soll er den Stein -denn einsetzen?«</p> - -<p>»In den Griff.«</p> - -<p>»In den seinen oder in den meinen?«</p> - -<p>»In den seinen, natürlich in den seinen. Ein Edelstein -ist doch ein Wertstück.«</p> - -<p>»Sehr schön. Wozu hat hat er dann aber meinen Stab -mitgenommen? In den seinen will er den Stein einsetzen -lassen, und den meinen nimmt er mit?!«</p> - -<p>Der Diakon schlug sich mit der Hand vor die Stirn und -rief:</p> - -<p>»Da wär' ich wieder mal der Narr.«</p> - -<p>»Hoffentlich bist du der Narr, hoffentlich,« bestätigte Vater -Zacharia und fügte mit leisem Vorwurf hinzu: »und dabei -hast du doch Logik gelernt, mein Lieber. Schäme dich.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span></p> - -<p>»Warum soll ich mich schämen, wenn ich sie gelernt, aber -nicht kapiert habe! Das kann jedem so gehen,« antwortete -der Diakon.</p> - -<p>Er sprach fortan keinerlei Vermutungen mehr aus, nur -im stillen verzehrte ihn nach wie vor die Neugier: was wird -nun eigentlich geschehen?</p> - -<p>So verging eine Woche, bis der Propst zurückkam. Der -Diakon Achilla, welcher gerade einen von ihm neu eingetauschten -Steppengaul einritt, war der erste, der die schwarze Pfarrkutsche -sich der Stadt nähern sah. Er raste durch die Straßen, -machte Halt vor allen Häusern, in denen gute Bekannte -wohnten, und schrie in die offenen Fenster hinein: »Er -kommt! Der Propst Sawelij! Die edle große Seele!«</p> - -<p>Ein neuer Gedanke war dem Achilla plötzlich gekommen.</p> - -<p>»Jetzt weiß ich, was es ist,« sagte er zu den Umstehenden, -während er vor dem Tore des Pfarrhofes vom Pferde stieg. -»Alle meine bisherigen Vermutungen waren nichts als eitel -Torheit. Jetzt aber kann ich euch für gewiß sagen, der Vater -Propst hat nichts anderes getan, als griechische Lettern – -oder auch lateinische – in die Knöpfe einätzen lassen. So -ist es, jawohl, so und nicht anders ist es; ganz bestimmt hat -er Lettern einätzen lassen, und wenn ich es jetzt nicht erraten -habe, so könnt ihr mich hundertmal einen Esel nennen.«</p> - -<p>»Warte nur, warte, das tun wir noch; das kommt schon -noch,« sagte Vater Zacharia und ging dem eben vorfahrenden -Wagen entgegen.</p> - -<p>Ernst und würdevoll entstieg der Propst dem Wagen, trat -in das Haus ein, betete, begrüßte seine Gattin, indem er -sie dreimal auf den Mund küßte, bewillkommnete danach -auch den Vater Zacharia, wobei sie sich gegenseitig auf die -Schultern küßten, und zu guter Letzt den Diakon Achilla, der -dem Propst die Hand küßte, während dieser mit den Lippen<span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span> -seinen Scheitel berührte. Nach dieser Begrüßung ging man -ans Teetrinken, Schwatzen, Erzählen, und langsam wich der -Abend der Nacht, ohne daß der Propst auch nur ein Wort -über die alle so interessierenden Stäbe geäußert hätte. Ein -Tag verging, ein zweiter, ein dritter, mit keiner Silbe erwähnte -Vater Tuberozow die Angelegenheit. Es schien, als -habe er die Stäbe in die Hauptstadt gebracht und sie dort in -den Fluß versenkt, damit alles Gerede von ihnen schweige.</p> - -<p>Der Diakon brannte förmlich vor Neugier und wußte nicht, -was er ersinnen sollte, um das Gespräch auf die Stäbe zu -bringen. Aber die Sache kam bald von selbst zur Erledigung. -Am fünften oder sechsten Tage nach seiner Heimkehr bat der -Vater Sawelij nach dem Hauptgottesdienst den Stadthauptmann, -den Schulinspektor, den Arzt und den Vater Zacharia -nebst dem Diakon Achilla zu sich zum Tee und fing wiederum -zu erzählen an, was er alles in der Gouvernementsstadt -gehört und gesehen habe. Er berichtete ihnen von vielerlei -schönen Sachen, welche er in den Kaufläden gesehen hatte. -»Es ist erstaunlich,« meinte er, »was die dortige Kunstfertigkeit -zu leisten vermag.«</p> - -<p>Mit diesen Worten ging der Propst ins Nebenzimmer -und kam, in jeder Hand einen der wohlbekannten Stäbe -haltend, wieder zurück.</p> - -<p>»Sehen Sie mal hier,« sagte er, indem er den Gästen -die Oberfläche der beiden goldenen Knöpfe vor die Augen -hielt.</p> - -<p>Der Diakon Achilla riß die Augen auf, um zu erspähen, -was der Politikus zustande gebracht hatte, um die gleichwertigen -Stäbe unterscheiden zu können. Aber ach! Es -war kein wesentlicher Unterschied zu erkennen. Im Gegenteil, -ihre Gleichwertigkeit schien nun erst vollkommen, denn in -der Mitte eines jeden Knopfes war in ganz gleicher Weise,<span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span> -von einem Strahlenkranze umgeben, ein Gottesauge eingraviert, -um welches sich eine kurze Kursivinschrift schlang.</p> - -<p>»Und Lettern sind keine da, Vater Propst?« bemerkte -Achilla, dem die Geduld ausging.</p> - -<p>»Was willst du noch für Lettern?« erwiderte Tuberozow, -ohne ihn anzusehen.</p> - -<p>»Um sie in ihrer Gleichwertigkeit zu unterscheiden.«</p> - -<p>»Immer kommst du mit deinem dummen Zeug,« wandte -sich der Propst zum Diakon, und dann stützte er den einen -Stab gegen seine Brust und sprach:</p> - -<p>»Das soll meiner sein.«</p> - -<p>Der Diakon Achilla warf einen schnellen Blick auf den -Knopf und las über dem Gottesauge: »Und er fand den -Stecken Aarons blühen.«</p> - -<p>»Und den nimmst du, Vater Zacharia,« schloß der Propst -und gab ihm den andern Stab.</p> - -<p>Auf dem Knopfe desselben war um das völlig gleiche -Gottesauge in ganz derselben altslawischen Kursivschrift eingraviert:</p> - -<p>»Und er gab den Stab in seine Hand.«</p> - -<p>Kaum hatte Achilla diese zweite Inschrift gelesen, so knickte -er hinter dem Rücken des Vaters Zacharia zusammen, und, -den Kopf gegen den Bauch des Arztes stemmend, zuckte und -strampelte er in einem unbändigen Lachanfall.</p> - -<p>»Na, Quälgeist, was gibt's wieder? Was gibt's?« wandte -sich der Vater Zacharia ihm zu, während die übrigen Gäste -noch die kunstvolle Arbeit des Juweliers an den Priesterstäben -bewunderten.</p> - -<p>»Lettern? He? Lettern, du krauser Schafbock du? Wo -sind hier die Lettern?«</p> - -<p>Der Diakon aber prustete und lachte nur immer toller.</p> - -<p>»Was lachst du? Was ficht dich an?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span></p> - -<p>»Wer ist jetzt der Schafbock, he?« fragte der Diakon, die -Worte mühsam hervorstoßend.</p> - -<p>»Du natürlich, wer denn sonst?«</p> - -<p>Achilla brach in ein neues Gelächter aus, packte den Vater -Zacharia an den Schultern und flüsterte theatralisch:</p> - -<p>»Na und Ihr, Vater Zacharia, wo Ihr so viel Logik studiert -habt, lest doch noch einmal. ›Und er gab den Stab in -seine Hand.‹ Was sagt Eure Logik dazu? Wo soll eine solche -Inschrift hinaus?«</p> - -<p>»Wo hinaus? Nun, so sag du es doch, wo sie hinaus -soll!«</p> - -<p>»Wo hinaus? Dahinaus,« sagte der Diakon langsam und -gedehnt, »daß man ihm mit dem Lineal eins auf die Pfoten -gegeben hat.«</p> - -<p>»Du lügst!«</p> - -<p>»Ich lüge?! Und warum ist denn <em class="gesperrt">sein</em> Stecken erblüht? -Und kein Wort davon, daß er ihm in die Hand gegeben ist? -Warum? Weil das zum Zweck der Erhöhung geschrieben ist, -Euch aber ist's zur Erniedrigung geschrieben, daß Euch der -Knüppel in die Tatze gelegt ist.«</p> - -<p>Vater Zacharia wollte etwas erwidern, aber der Diakon -hatte ihn wirklich irre gemacht. Achilla triumphierte, daß es -ihm gelungen war, den sanften Benefaktow aus der Fassung -zu bringen, doch sein Triumph war nur von kurzer Dauer.</p> - -<p>Kaum hatte er sich umgewandt, so sah er auch schon, daß -der Propst ihn scharf ins Auge gefaßt hatte, und sobald er -bemerkte, daß der Diakon unter der Wirkung dieses strengen -Blickes verlegen zu werden begann, wandte er sich an die -Gäste und sagte mit ganz ruhiger Stimme:</p> - -<p>»Die Inschriften, die Sie hier sehen, habe ich nicht selbst -ausgedacht. Der Konsistorialsekretär Afanasij Iwanowitsch -hat sie mir empfohlen. Auf einem Abendspaziergang kamen<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span> -wir beim Goldschmied vorbei, und da meinte Afanasij Iwanowitsch: -Wißt Ihr, Vater Propst, was für ein Gedanke -mir gekommen ist? Ihr solltet Inschriften auf die Stäbe -setzen. Für Euch ›der Stecken Aarons‹ und für den Vater -Zacharia – eben jene, die jetzt dasteht.«</p> - -<p>»Und du, Vater Diakon,« fuhr der Propst fort, »ich wollte -auch etwas von deinem Stabe sagen, wie du mich gebeten -hattest, aber ich bin der Meinung, es wäre am besten, du -trügest den Stab überhaupt nicht, denn er kommt deinem -Amte nicht zu.«</p> - -<p>Und damit schritt der Propst in aller Seelenruhe nach der -Stubenecke, in welcher der berühmte Stab des Achilla stand, -nahm ihn und schloß ihn in den Kleiderschrank ein.</p> - -<p>Dieses war der größte Zwist, der sich je in der Stargoroder -Pfarrei abgespielt hatte.</p> - -<p>Wie es heißt, daß durch ein Dreierlicht einst ganz Moskau -in Flammen aufgegangen ist, so entstand auch daraus bald eine -ganze Geschichte, welche die verschiedensten Charakterschwächen -und Vorzüge Sawelijs und Achillas an den Tag brachte.</p> - -<p>Der Diakon kannte diese Geschichte am besten, erzählte sie -aber nur in Augenblicken äußerster Erregung.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_3">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Was,« sagte Achilla, »hätte ich von Rechts wegen damals -tun sollen? Ich hätte dem Vater Propst zu Füßen -fallen und ihm sagen sollen: so und so stehen die Dinge, -nicht aus Bosheit, nicht aus Gehässigkeit hab' ich das gesagt, -sondern einzig, um dem Vater Zacharia zu zeigen, daß ich -zwar nichts von Logik verstehe, aber darum doch nicht dümmer -bin als er. Aber der Stolz übermannte mich und hielt mich -zurück. Ich ärgerte mich, daß er meinen Stab in den Schrank -geschlossen hatte, und daß dann noch der Lehrer Warnawka -Prepotenskij dazwischenkam. … Ach, ich sag' euch, so bös -ich auch auf mich selbst bin, es ist nichts gegen die Wut, -welche ich auf den Lehrer Warnawka habe! Ich will nicht -ich sein, wenn ich sterbe, ohne zuvor mit diesem Sohn der -Hostienbäckerin abgerechnet zu haben!«</p> - -<p>»Das darfst du auch wieder nicht,« unterbrach Vater Zacharia -den Achilla.</p> - -<p>»Warum denn nicht? Gottlosigkeit duld' ich nicht! Da -frage ich nicht nach der Person! Und die Sache macht sich -ganz von selbst: ich fahr' ihm mit der Faust in den Schopf, -schüttel' ihn tüchtig durch und laß ihn dann laufen. Jetzt -geh und beschwer' dich, daß du von einer geistlichen Person -wegen Gottlosigkeit durchgewalkt worden bist! … Der wird -sich hüten! … Ach, du mein Gott! Was war nur in mich gefahren, -daß ich auf diesen Taugenichts hören konnte, und wie<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span> -ist's möglich, daß ich ihn bis heute mir noch nicht richtig vorgenommen -habe! Den Küster Sergej hab' ich damals für sein -Geschwätz über den Donner sofort verwichst; den Kommissar, -den Kleinbürger Danilka, der sich in den letzten großen Fasten -unterstand, auf offener Straße ein Ei zu essen, hab' ich unverzüglich -vor versammeltem Volke nach Gebühr an den Ohren -gezaust, – und diesen Lümmel laß ich immer noch frei herumlaufen, -obgleich er mir das Ärgste angetan hat! Wäre er -nicht gewesen, so würde es gar nicht zu diesem Zwist gekommen -sein. Der Vater Propst hätte mir wegen meiner -Äußerung über den Vater Zacharia gezürnt, aber nicht lange. -Muß da dieser Warnawka kommen, und erbittert und gepeinigt, -wie ich bin, laß ich mich von ihm aufhetzen! Er -schwatzt mir vor: ›Diese Tuberozowsche Inschrift ist zu allem -andern auch noch dumm!‹ Ich in meiner Pein, müßt ihr -wissen, lechzte förmlich danach, auch dem Vater Sawelij -was anzuhängen, und so fragte ich, was denn Dummes -daran sei. Warnawka sagte: ›Dumm ist sie, weil die Tatsache, -von der in ihr die Rede ist, gar nicht feststeht. Und -nicht nur das, – sie ist überhaupt unglaubwürdig. Wer, -sagt er, kann es denn bezeugen, daß der Stecken Aarons erblühte? -Kann ein trockenes Stück Holz Blüten treiben?‹ -Ich fiel ihm hier in die Rede und meinte: ›Bitte sehr, Warnawa -Wasiljitsch, solche Reden darfst du nicht führen. Der -allmächtige Willen Gottes ist stärker als die Ordnung der -Natur.‹ … Aber weil diese unsere Unterhaltung bei der -Akziseeinnehmersfrau, der Biziukina, stattfand, welche allerlei -Flüssiges aufgetischt hatte, lauter gute Weine, – nichts als -ho–ho–ho: <em class="antiqua">Haut-Sauterne</em> und <em class="antiqua">Haut-Margaux</em>, – so -war ich, hol mich dieser und jener, schon ein bißchen benebelt, -und der Warnawka redete sein gelehrtes Zeug in mich hinein. -›So war's ja auch – sagte er – dazumal mit dem<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span> -Menetekel beim Gastmahl des Belsazar. Heut haben wir's -als reinsten Schwindel erkannt. Wollt ihr, so mach ich's -euch gleich mit einem Phosphorstreichhölzchen vor.‹ Ich war -starr vor Entsetzen, er aber quasselte immer weiter: ›Und -überhaupt, sagte er, es wimmelt da nur so von Widersprüchen.‹ -Dann legte er los, wißt ihr, und redete und redete -und widerlegte alles, und ich saß dabei und hörte zu. Und -nun noch dieser <em class="antiqua">Haut-Margaux</em>! Ich war so schon gepeinigt -genug, und fing am Ende selber an in freigeistigem Stil -zu reden. Ja, sagte ich, wenn ich nicht sähe, was der Vater -Sawelij für ein aufrechter Mann ist, denn ich weiß, er steht -vor dem Altar und der Rauch seines Opfers steigt kerzengerade -empor, wie beim Opfer Abels, ich möchte nur kein -Kain sein, sonst könnte ich ihn schon … Versteht ihr wohl, -so redete ich vom Vater Sawelij! Und diese Person, die -Biziukina, meinte: ›Ja, versteht Ihr denn selber, was Ihr -da schwatzt? Wißt Ihr überhaupt, was der Kain wert war? -Was war denn – sagte sie – Euer Abel? Nichts weiter -als ein kleines Schaf, ein Kriecher und Streber, eine Sklavennatur; -Kain aber war ein stolzer Mann der Tat. So – sagte -sie – hat ihn der englische Schriftsteller Biehron geschildert …‹ -Und nun legte sie los … Na, von all dem <em class="antiqua">Haut-Margaux</em> -schon so spiritualisiert, überkam mich plötzlich ein Gefühl, -als müßte ich zum Kain werden und damit Punktum. Als -ich auf dem Heimweg bis zum Hause des Vater Propst gelangt -war, blieb ich vor seinen Fenstern stehen, stemmte, wie -ein Offizier, die Arme in die Seiten und brüllte los: ›Ich -Zar, ich Knecht, ich Wurm, ich Gott!‹ Grundgütiger Gott, -wie entsetzlich ist mir jetzt die bloße Erinnerung an meine -Schamlosigkeit! Als der Vater Propst mein Gemecker vernommen, -sprang er aus dem Bette, trat im Hemde ans -Fenster, stieß es auf und rief mit zorniger Stimme: ›Geh zu<span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span> -Bett, du wütiger Kain!‹ Ihr könnt mir's glauben, ich erbebte -bei diesem Wort. Denn er hatte mich schon Kain genannt, -da ich es doch erst werden wollte. Er hatte es vorausgesehen! -Ach Gott, ach Gott! Ich konnte mich kaum -nach Hause schleppen; meine ganze Widerspenstigkeit war hin, -und bis auf den heutigen Tag kann ich seitdem nur trauern -und stöhnen.«</p> - -<p>War er in seiner Erzählung so weit gekommen, versank -der Diakon gewöhnlich in Gedanken, seufzte, und fuhr nach -einer Minute in melancholischem Tone fort:</p> - -<p>»Und nun fliehen und fließen die Tage dahin, aber der -Zorn des Vater Sawelij ist bis auf heute nicht von ihm -gewichen. Ich ging zu ihm und klagte mich selber an; ich -klagte mich an und tat Buße. Ich sprach: ›Vergebt mir, -wie der Herr den Sündern vergibt‹ – aber ich erhielt nichts -zur Antwort, als ›Geh.‹ Wohin? Wohin soll ich gehen, -frage ich. Mit den Leuten da werde ich wirklich noch zum -Kain … Ich weiß es, ich weiß es genau, nur er allein, -nur der Vater Sawelij vermag mich in Subordination zu -halten – und er … und er …«</p> - -<p>Bei diesen Worten kamen dem Diakon die Tränen in die -Augen und leise aufschluchzend schloß er seinen Bericht:</p> - -<p>»Und er spielt ein so böses Spiel mit mir – er schweigt! -Was ich auch sage, er schweigt! … Warum schweigst du?« -schrie der Diakon plötzlich laut auf und fing nun wirklich an -zu schluchzen. Dabei streckte er beide Arme in der Richtung -aus, wo sich nach seiner Voraussetzung das Haus des Propstes -befinden mußte. – »Meinst du, das wäre recht gehandelt? -Ist es recht, wenn ich in meinem Amte als Diakon zu ihm -trete und sage: ›Vater, segne mich‹ – und ich küsse dann -seine Hand und fühle, daß sogar sie für mich eiskalt ist! -Ist das recht? Am Pfingsttage, vor dem großen Gebet, kam<span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span> -ich, in Tränen zerfließend, zu ihm und bat ihn: segne mich … -Aber er zeigte keine Rührung. ›Sei gesegnet,‹ sagte er. Was -soll mir dieser Formenkram, wenn alles ohne Freundlichkeit -geschieht!«</p> - -<p>Der Diakon rechnete auf Trost und Unterstützung.</p> - -<p>»Verdien' dir seine Freundlichkeit,« sagte ihm der Vater -Zacharia, »verdiene sie dir ordentlich, und er wird dir verzeihen -und wieder gut zu dir sein.«</p> - -<p>»Wie soll ich sie mir denn verdienen, Vater Zacharia?«</p> - -<p>»Durch musterhaftes Betragen.«</p> - -<p>»Was nützt mir denn all mein Betragen, wenn er mich -überhaupt nicht bemerkt? Glaubst du, es ließe mich kalt, -ihn jetzt immer so bekümmert, immer so tief in Gedanken -zu sehen? Gott im Himmel, sag' ich zu mir selbst, was mag -ihn so beschäftigen? Am Ende gar quält er sich meinetwegen. -… Mag er mir auch noch so sehr zürnen, er verstellt sich ja -doch nur: ich weiß, daß er mich liebhat …«</p> - -<p>Der Diakon wandte das Gesicht ab, schlug mit der rechten -Faust gegen die linke Handfläche und brummte:</p> - -<p>»Na, warte, du Hostienbäckerlümmel, das geht dir nicht -so durch! Ich will in Wahrheit Kain und nicht der Diakon -Achilla sein, wenn ich diesen Lehrer Warnawka nicht vor aller -Augen zum Krüppel schlage!«</p> - -<p>Aus dieser Drohung allein kann der Leser schon ersehen, -daß einem gewissen, hier erwähnten Lehrer Warnawa Prepotenskij -seitens des Diakons Achilla eine ernste Gefahr -drohte, und diese Gefahr rückte immer näher und drohender -heran, je stärker und quälender Achillas Sehnsucht nach dem -verlorenen Paradiese wurde, die Sehnsucht nach dem eingebüßten -Wohlwollen des Vaters Sawelij. Und endlich -schlug die Stunde, da Warnawa Prepotenskij seinen Lohn -aus der Hand Achillas empfangen sollte, das Ereignis, mit<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span> -dem das große Stargoroder Drama beginnt, welches den Inhalt -dieser Chronik bilden soll.</p> - -<p>Um den Leser in das Verständnis dieses Dramas einzuführen, -lassen wir vorderhand alle Schleichwege beiseite, auf -denen Achilla, gleich einem amerikanischen Pfadfinder, seinem -Feinde, dem Lehrer Warnawka, nachspürt. Versenken wir -uns lieber in die Tiefen der inneren Welt der dramatischsten -Person unserer Geschichte und treten in jene Welt, die bisher -noch allen, welche sie aus der Nähe oder aus der Ferne betrachteten, -unbekannt und unsichtbar geblieben ist: in das -reinliche Häuschen des Vaters Tuberozow. Vielleicht, wenn -wir im Innern dieses Hauses stehen, finden wir ein Mittel, -auch in die Seele seines Herrn zu schauen, wie man in einen -gläsernen Bienenstock schaut, wo die Biene ihre wundersame -Wabe baut, aus Wachs, das vor dem Antlitz Gottes leuchten, -und aus Honig, der den Menschen erfreuen soll. Aber seien -wir vorsichtig und rücksichtsvoll: ziehen wir leichte Sandalen -an, auf daß unserer Schritte Schall den sinnenden und betrübten -Propst nicht störe. Setzen wir die Tarnkappe aus -dem Märchen aufs Haupt, damit unser neugierig Antlitz den -ernsten Blick des würdigen Greises nicht verwirre, und lauschen -wir mit offenem Ohr auf alles, was wir von ihm zu -hören bekommen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_4">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Sommerabend hat sich über Stargorod herabgesenkt. -Längst ist die Sonne untergegangen. Die Anhöhe, auf der -sich die spitze Kuppel des Domes erhebt, liegt in bleiches -Mondlicht getaucht, das stille, flache Ufer drüben versinkt in -warmer Finsternis. Über die schwimmende Brücke, welche -beide Stadtteile miteinander verbindet, bewegen sich ab und -zu einsame Gestalten. Sie haben es eilig; denn die Nacht -im stillen Städtchen treibt sie früh in ihre Nester und an ihre -Herdfeuer. Schellenklingelnd fährt ein Postwagen über die -Brückenbohlen, wie über Klaviertasten; dann ist alles wieder -totenstill. Von den Wäldern draußen weht eine wohltuende -Kühle herüber. Blau schimmert auf der von zwei Armen -der Turitza gebildeten Insel das Gemüsefeld des uralten -schiefnäsigen Sonderlings Konstantin Pizonskij, welcher von -allen »Onkel Kotin« genannt wird.</p> - -<p>»Molwoscha! Wo bist du, Molwoscha?!« schallt es von -der Insel herüber.</p> - -<p>Der Alte ruft den muntern Buben, seinen Pflegesohn, -und so deutlich ist dieser Ruf im Hause des Propstes zu hören, -daß man glauben möchte, es riefe jemand dicht unter dem -Fenster, an welchem die Pröpstin sitzt. Von demselben Gemüsefeld -schallt ein lautes Kinderlachen herüber, man hört -das Wasser plätschern, nackte Kinderfüßchen laufen klatschend -über die Brückenbohlen, und hellauf bellt ein spielender<span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span> -Hund. Alles das scheint so nah, daß die Mutter Pröpstin -von ihrem Platz am Fenster aufspringt und die Arme nach -vorn ausstreckt. Sie meint, das laufende und lachende Kind -müsse ihr gleich in den Schoß fallen. Aber als sie sich umschaut, -erkennt sie die Täuschung. Sie tritt vom Fenster in -das Innere des Zimmers zurück, zündet eine der auf der -Kommode stehenden Kerzen an und ruft ein kleines, etwa -zwölfjähriges Mädchen zu sich heran.</p> - -<p>»Weißt du nicht, Feklinka, wo unser Vater Propst ist?« -fragt sie.</p> - -<p>»Er spielt Dame beim Polizeichef, Mütterchen.«</p> - -<p>»Ah so, beim Polizeichef. Schon recht. Wir wollen ihm -das Bett machen, Feklinka, damit alles fertig ist, wenn er -heimkommt.«</p> - -<p>Feklinka bringt aus dem Nebenzimmer zwei Kissen in -die Wohnstube, ein Bettuch und eine gelbe wollene Steppdecke; -die Pröpstin einen weißen Pikee-Schlafrock und ein -großes rotseidenes Tuch. Das Bett wird dem Propst auf -dem großen, ziemlich harten Sofa aus Masernbirkenholz gemacht. -Zu Häupten wird die Decke zurückgeschlagen; der -weiße Schlafrock über einen Lehnstuhl zu Füßen des Bettes -ausgebreitet, und auf den Schlafrock das Seidentuch gelegt. -Sowie alles gemacht ist, schiebt die Pröpstin mit Feklinka -einen ovalen Tisch auf massivem Fuße, ebenfalls aus Masernholz, -neben das Kopfende des Bettes, und stellt eine Kerze, -ein Glas Wasser, ein Tellerchen mit gestoßenem Zucker und -eine Glocke darauf. Alle diese Vorbereitungen und die Genauigkeit, -mit der sie vorgenommen werden, zeugen von -der großen Aufmerksamkeit, mit der die Pröpstin allen Gewohnheiten -ihres Gatten entgegenkommt. Erst als sie alles -gewohnheitsmäßig geordnet hat, beruhigt sie sich wieder, -löscht die Kerze aus und setzt sich an ihr einsames Fenster,<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span> -um auf den Gatten zu warten. Wer sie hätte sehen können, -würde eine gewisse Unruhe in dieser Erwartung bemerkt -haben, welche ihre guten Gründe hatte: Tuberozow, der seit -langem schon unfroh schien, war heute den ganzen Tag mürrisch -gewesen und das beunruhigte seine treue Gefährtin. -Er war auch sehr müde, denn er hatte heute auf die Felder -der Vorstadtbewohner hinausgemußt, um einen Bittgottesdienst -anläßlich der andauernden Trockenheit abzuhalten. -Nach dem Essen hatte er sich etwas niedergelegt und war -dann spazierengegangen. Später hatte er den Polizeichef -aufgesucht, und war bei ihm sitzen geblieben. Die kleine -Pröpstin wartete erst eine halbe Stunde und dann noch eine -ganze, aber er kam nicht. Tiefe Stille herrschte überall. Plötzlich -klingt es von der Hügelseite herüber wie Gesang. Die -Pröpstin horcht auf. Es ist der Diakon Achilla; sie kennt diese -angenehme tiefe Stimme gut. Er steigt den Batawin-Berg -herab und singt:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Es ruht die Welt im Frieden<br /></span> -<span class="i0">Der lauen Frühlingsnacht,<br /></span> -<span class="i0">Längst haben alle Müden<br /></span> -<span class="i0">Die Augen zugemacht.<br /></span> -</div></div> - -<p>Der Diakon ist unten angekommen, geht über die Brücke -und singt weiter:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Da klopft mit seinem Stecken<br /></span> -<span class="i0">Cupido an mein Tor,<br /></span> -<span class="i0">Und ich in jähem Schrecken<br /></span> -<span class="i0">Fahr' aus dem Traum empor.<br /></span> -</div></div> - -<p>Die Pröpstin hört dem Gesang des Achilla mit Vergnügen -zu. Sie hat den Mann gern, weil er ihren Gatten so liebt, -und sie mag auch seinen Gesang. In Träumerei versinkend -merkt sie gar nicht, wie der Diakon die Brücke hinter sich<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span> -läßt und immer näher und näher kommt. Als er endlich -dicht vor ihrem Fensterlein steht, donnert er plötzlich mit -schauerlichem Pathos:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Wer – frag ich – ist der Kühne,<br /></span> -<span class="i0">Der da zu klopfen wagt?<br /></span> -</div></div> - -<p>Die aus ihren Träumen aufgeschreckte Pröpstin schreit -leise auf und eilt in das Innere des Zimmers zurück.</p> - -<p>Als der Diakon ihren Schreckensruf hört, unterbricht er -sofort seinen Gesang.</p> - -<p>»Ihr schlaft noch nicht, Natalia Nikolajewna?« fragt er, -packt dabei mit beiden Händen das Fensterbrett und schwingt -sich auf das Gesimse.</p> - -<p>»Wir haben Frieden!« ruft er.</p> - -<p>»Was?« fragt die Pröpstin.</p> - -<p>»Friede,« antwortet der Diakon, »Friede.«</p> - -<p>Achilla fährt mit der Hand durch die Luft und fügt hinzu:</p> - -<p>»Der Vater Propst … hat ein Ende gemacht.«</p> - -<p>»Was redest du da. Was für ein Ende?« fragt die Pröpstin -erregt.</p> - -<p>»Schluß! … Der Streit mit mir hat ein Ende! … Von -nun an herrscht Frieden und Wohlgefallen. Den wievielten -haben wir heute? Den vierten Juni. Notiert's Euch: ›am -vierten Juni Frieden und Wohlgefallen‹. Denn Friede soll -mit allen sein. Der Lehrer Warnawka kriegt's jetzt aber zu -spüren.«</p> - -<p>»Was hast du? Nach Branntwein riechst du nicht und -schwindelst doch.«</p> - -<p>»Ich schwindeln! Ihr sollt bald sehen, wie ich schwindle! -Heut ist der vierte Juni, der Tag des heiligen Methodius -von Pesnosch, – notiert Euch das auch, denn mit diesem -Tage geht es los.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span></p> - -<p>Der Diakon richtet sich auf den Ellenbogen noch höher auf -und flüstert, sich fast bis zum Gürtel ins Fenster hineinschiebend:</p> - -<p>»Ihr wißt wohl gar nicht, was der Lehrer Warnawka -getan hat?«</p> - -<p>»Nein, Freundchen, ich habe nichts gehört. Was hat der -Tunichtgut denn getan?«</p> - -<p>»Etwas Entsetzliches! Er hat einen Menschen im Topf -gekocht.«</p> - -<p>»Diakon, du lügst!« ruft die Pröpstin.</p> - -<p>»Nein, er hat ihn gekocht!«</p> - -<p>»Ganz gewiß, du lügst! Ein Mensch hat doch in einem -Kochtopf nicht Platz.«</p> - -<p>»Er hat ihn im Aschenkasten gekocht,« fuhr der Diakon -unbekümmert fort, »und obgleich ihm diese greuliche Tat -vom Polizeichef und vom Arzt gestattet war, wird er doch -dafür meinen Händen ausgeliefert.«</p> - -<p>»Diakon, du lügst. Das sind alles Lügen.«</p> - -<p>»Nein, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, nicht eine -Silbe ist gelogen,« erwiderte der Diakon mit heftigem Kopfschütteln -und die Worte wirbelten noch schneller von seinen -Lippen. »Warnawka hat tatsächlich einen Menschen mit Genehmigung -der Obrigkeit, das heißt: des Arztes und des -Polizeichefs, gekocht. Es war eine Wasserleiche. Aber dieser -Gekochte quält jetzt ihn und seine Mutter, die Frau Hostienbäckerin, -aufs grausamste, und ich habe das alles in Erfahrung -gebracht und beim Polizeichef dem Vater Propst erzählt, -und der Vater Propst hat dem Herrn Polizeichef dafür -ein tüchtiges – <em class="antiqua">coppe vachée</em> heißt's auf französisch – -gemacht. Der Polizeichef hat gesagt: ›Ich will – sagt er – -Soldaten holen und der Sache ein Ende machen.‹ Ich aber -fügte dazu: ›Hol du nur deine Soldaten, ich bin selber Soldat!<span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span>‹ -Und von morgen ab, Euer Hochwürden, ehrenwerteste -Frau Pröpstin Natalia Nikolajewna, werdet Ihr sehen, wie -der Diakon Achilla den Lehrer Warnawka strafen wird, ihn, -den Gotteslästerer, der die Lebenden irre macht und die -Toten martert. Jawohl, heute ist der vierte Juni, der Gedächtnistag -des heiligen Methodius von Pesnosch! Ihr -solltet Euch das notieren …«</p> - -<p>Hier wurde der Redestrom des Diakons Achilla plötzlich -unterbrochen, denn aus der Ferne vom Hügel ließ sich ein -Husten vernehmen, das nur vom Vater Propst kommen -konnte.</p> - -<p>»Halloh! Da kommt der Propst Sawelij!« ruft Achilla, -springt vom Gesims auf die Erde und geht seines Weges.</p> - -<p>Die Pröpstin erhebt sich, zündet zwei Kerzen an und blickt -bei ihrem Scheine den eintretenden Gatten scharf an. Der -Propst küßt die Frau leise auf die Stirn, nimmt die Kutte -ab, zieht den weißen Schlafrock über, bindet das rote Seidentuch -um den Hals und setzt sich ans Fenster. Die Pröpstin -hat alles vergessen, was ihr eben noch der Diakon vorgeredet, -und fragt den Gatten gar nicht danach. Sie geleitet -ihn in das kleine längliche Nebenzimmer, das ihr als -Schlafzimmer dient und wo sie jetzt den Abendimbiß für -den Vater Sawelij bereitgestellt hat. Vater Sawelij setzt -sich an den kleinen Tisch, verzehrt die zwei weichgekochten -Eier, spricht sein Dankgebet und wendet sich dann seiner -Frau zu, um ihr Gute Nacht zu sagen. Die Pröpstin selbst -ißt abends nie etwas. Sie sitzt ihrem Gatten gegenüber -und leistet ihm allerhand kleine Dienste, indem sie ihm bald -etwas reicht, bald etwas fortträgt. Dann erheben sich beide, -beten vor dem Heiligenbild und beginnen unmittelbar darauf, -sich gegenseitig zu bekreuzigen. Diesen Abendsegen erteilen -sie einander immer zu gleicher Zeit und mit solcher<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span> -Gewandtheit und Geschwindigkeit, daß man sich nur wundern -kann, wie ihre hin- und herwirbelnden Hände kein einziges -Mal gegeneinander stoßen oder aneinander hängen bleiben.</p> - -<p>Hierauf wechseln die Gatten den Abschiedskuß, wobei der -Propst seiner kleinen Frau die Stirne, sie ihm aber das -Herz küßt. Dann trennen sie sich. Der Propst geht in sein -Wohnzimmer, um sich niederzulegen.</p> - -<p>Aber heute konnte der Alte keine Ruhe finden. Schon war -eine Stunde vergangen, und immer noch ging er auf und -ab in seinem weißen Pikeeschlafrock, mit dem roten Seidentuch -um den Hals. Endlich trat er an einen kleinen roten -Schrank, der auf einer hohen Kommode mit abgezogener -Platte stand. Aus diesem Schränkchen nahm er ein in dicken -blauen Demi-Coton mit gelbem Juchtenrücken gebundenes -Exemplar des »Kalenders« des Eugenios, legte das Buch -auf den ovalen Tisch, der vor seinem Bette stand, zündete -zwei Sparkerzen an und horchte auf: es schien, als ob seine -Frau noch nicht schliefe. So war es auch.</p> - -<p>»Willst du noch lesen?« fragte in diesem Augenblick aus -dem Nebenzimmer die sanfte, besorgte Stimme der Pröpstin.</p> - -<p>»Ja, liebe Natascha, ich will noch ein wenig lesen,« antwortete -Vater Tuberozow. »Du aber tu mir den Gefallen -und schlafe –«</p> - -<p>»Gewiß werde ich schlafen, gewiß, mein Lieber,« erwiderte -die Pröpstin.</p> - -<p>»Ja, ich bitte dich, schlafe.« … Und mit diesen Worten -setzte der Propst eine große silberne Brille auf seine stolze -römische Nase und begann langsam in seinem blauen Buch -zu blättern. Er las nicht, sondern blätterte nur, und dabei -interessierte ihn nicht das, was in dem Buch gedruckt stand, -sondern die von seiner eigenen Hand beschriebenen Einschaltblätter. -Diese Notizen waren zu verschiedenen Zeiten gemacht<span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span> -und weckten in dem alten Priester eine ganze Welt -von Erinnerungen, zu denen er hin und wieder gern zurückkehrte.</p> - -<p>Da wir nun zwischen den Propst Sawelij und seine Vergangenheit -geraten sind, wollen wir auch still und ehrfürchtig -dem leisen Flüstern der Greisenlippen lauschen, das durch -die dumpfe Stille der Mitternacht dringt.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_5">Fünftes Kapitel.</h3> - -<p class="center gesperrt">Das Demi-Cotonbuch des Propstes Tuberozow.</p> -</div> - -<p>Tuberozow betrachtete seinen Kalender von dem ersten -Einschaltblatte an, auf dem zu lesen stand: »Nachdem ich -am 4. Februar 1831 durch den Hochwürdigen Gawriil die -Priesterweihe empfangen, erhielt ich von ihm dieses Buch -als Belohnung für meine guten wissenschaftlichen Leistungen -im Seminar und mein gutes Betragen.« Auf diese erste -Notiz, die am ersten Tage nach der Ordination gemacht -war, folgte als zweite: »Zum erstenmal im Dom gepredigt, -nachdem der Bischof die Messe gehalten. Zum Thema der -Predigt hatte ich das Gleichnis von den Söhnen des Weinbergsbesitzers -genommen. Der eine sprach: ich gehe nicht, -– und ging doch, der andere aber sprach: ich gehe, – und -ging nicht. Ich bezog dieses auf die guten Handlungen und -die guten Vorsätze, wobei ich mir einige Anspielungen auf -die Beamten erlaubte, die ihren Diensteid ablegen und dann -nicht einhalten. Dabei wies ich auch ganz vorsichtig auf -die Machthaber und Vorgesetzten hin. Ich sprach fließend -und weniger feierlich als natürlich. Seine Eminenz belobten -diesen meinen Versuch. Aber später riefen Seine Eminenz -mich zu sich und bemerkten nach einem allgemeinen Lobe meiner -Rede im besonderen, daß ich mich hüten solle, in meinen Predigten -direkt auf die Wirklichkeit hinzuweisen, vor allem aber<span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span> -die Herren Beamten aus dem Spiele lassen, denn je weiter -man sie sich vom Leibe halte, desto gottwohlgefälliger sei -das. Für das aber, was ich schon gesagt hatte, machte -er mir keine Vorwürfe, sondern schien es sogar zu -billigen.«</p> - -<p>»1832 am 18. Dezember wurde ich zum Bischof gerufen -und erhielt eine Ernennung nach Stargorod, wo das Schisma -sehr stark sein soll. Ich erhielt die Weisung, ihm auf jede -Art entgegenzuwirken.«</p> - -<p>»1833 am 8. Februar fuhr ich mit meiner Gattin aus -dem Dorfe Blagoduchowo nach Stargorod und gelangte -am 12. zur Frühmesse daselbst an. Unterwegs wären wir -fast von Wölfen gefressen worden. In der Gemeinde fand -ich viel Unordnung vor. Die Altgläubigen sind im Besitz -großer Macht. Nachdem ich mich etwas umgeschaut hatte, -sah ich, daß der Kampf gegen das Schisma nach den konsistorialen -Vorschriften wenig Wert hat. Ich schrieb das ans -Konsistorium und erhielt einen Verweis.«</p> - -<p>Der Propst überschlug ein paar Eintragungen und blieb -dann wieder bei der folgenden stehen: »Nachdem ich einen -Verweis für Untätigkeit erhalten, die man daraus zu ersehen -meint, daß ich nicht mit reichlichen Denunziationen aufwarte, -suchte ich mich zu rechtfertigen, indem ich darauf hinwies, -daß die Schismatiker nichts anderes täten, als was man -schon längst von ihnen wisse, und fügte diesem Bericht noch -hinzu, daß vor allem der orthodoxe Klerus in äußerster -Armut lebe, und infolgedessen, in Anbetracht der Schwäche -der menschlichen Natur, gegen Bestechung nicht unempfindlich -sei und sogar selber der Ketzerei Vorschub leiste, gleich -anderen Verteidigern der Orthodoxie, indem er Spenden -von den Ketzern annehme. Ich schloß damit, daß man mit -der Befreiung der Geistlichkeit aus ihrer schweren Abhängigkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span> -beginnen müsse, wenn man die Schäden der Kirche heilen -wolle. Für selbigen Versuch erhielt ich abermals einen Verweis -und wurde zu einer persönlichen Aussprache zitiert, -bei der ich ein »unehrerbietiger Ham« genannt wurde, der -»die Blöße seines Vaters aufdeckt«.«</p> - -<p>Etwas weiter, nach einigen anderen Notizen, stand zu -lesen: »Ich war in Geschäften in der Gouvernementsstadt, -und als ich mich dem Bischof vorstellte, berichtete ich ihm -persönlich von der Armut des Klerus. Seine Eminenz zeigten -sich sehr gerührt, aber sie bemerkten, daß auch unser Herr -selber nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen sollte, und doch -nicht müde ward zu lehren. Er riet mir, ich solle den Klerikern -das Buch ›Von der Nachfolge Christi‹ zur Lektüre empfehlen. -Darauf erwiderte ich Seiner Eminenz nichts, und -es wäre auch unnütz gewesen, denn bei unserer Armut -können wir dieses Buch gar nicht beschaffen.</p> - -<p>Höchst politisch brachte ich bei der Abendtafel beim Vater -Schließer von der Domkirche das Gespräch nochmals auf -diesen Gegenstand. An der Tafel nahmen noch der Vater -Propst und der Konsistorialsekretär teil. Aber sie zogen -meine Worte ins Scherzhafte. Der Sekretär sagte spöttisch, -daß der Arme leichter ins Himmelreich komme, – was wir -auch ohne Seine Wohlgeboren schon wußten, der Vater -Schließer aber erzählte bei dieser Gelegenheit eine nicht üble -Anekdote von einem Studenten der Akademie, der später -ein berühmter Gottesmann und Prediger wurde. Dieser -hätte nämlich noch als Laie auf die Frage des Bischofs, ob -er irgend Vermögen besitze, geantwortet:</p> - -<p>»Freilich besitze ich welches, Eminenz.«</p> - -<p>»Bewegliches oder unbewegliches?« fragte dieser, worauf -jener erwiderte:</p> - -<p>»Sowohl bewegliches, wie unbewegliches.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span></p> - -<p>»Was besitzest du denn an beweglichem Gut?« fragte abermals -der Bischof, indem er des Jünglings ärmliches Gewand -betrachtete.</p> - -<p>»An beweglichem Gut besitze ich ein Haus im Dorf,« antwortete -der Befragte.</p> - -<p>»Wie kann denn ein Haus als bewegliches Gut gelten? -Bedenke, wie dumm deine Antwort ist.«</p> - -<p>Jener aber, nicht im geringsten verlegen, entgegnete, seine -Antwort wäre ganz richtig, denn sein Haus sei solcher Art, -daß, sobald der Wind es anblase, es in heftige Bewegung -gerate.</p> - -<p>Dem Bischof erschien diese Antwort so eigenartig, daß er -den Studiosus nicht mehr für einen Dummkopf zu halten -vermochte, sondern höchst interessiert weiterfragte:</p> - -<p>»Was nennst du denn dein unbewegliches Gut?«</p> - -<p>»Mein unbewegliches Gut,« sprach der Student, »ist meine -Mutter, die Küstersfrau, und unsere braune Kuh, die beide -ihre Füße nicht bewegen konnten, als ich die Heimat verließ, -die Mutter vor Altersschwäche, die Kuh wegen Futtermangels.«</p> - -<p>Alle lachten sehr darüber, obgleich ich an der Geschichte -mehr Trauriges und Tragisches fand als Komisches. Ich -beginne, bei allen eine große Lachlust und einen Leichtsinn -zu bemerken, wovon ich wenig Gutes erwarte.</p> - -<p>Mein Leben geht in Schlafen und Essen dahin. Das Schisma -kann ich auf keine Weise bekämpfen, denn ich bin in -allem gebunden, sowohl durch meinen halbverhungerten -Klerus, als durch den allzu satten Polizeichef. Es empört -mich, daß ich gleichsam zum Spott als Missionar hierher gesandt -bin. Ich soll predigen – und keiner will mich hören; -ich soll lehren – und keiner will lernen. Der Polizeichef -predigt viel besser als ich, denn er hat so ein gewisses Missionsinstrument<span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span> -mit zwei Enden, – von mir aber verlangt -man Denunziationen. Eminenz! Was sollen diese Denunziationen, -was soll in sie eingewickelt werden? Mir verbietet, -soweit ich die Sache verstehe, mein Amt, dergleichen -zu schreiben. Lieber will ich, wenn es nötig ist, reines Papier -hergeben …«</p> - -<p>»Heute morgen, am 18. März 1836, deutete meine Pfarrerin -Natalia Nikolajewna an, daß sie sich gesegneten Leibes -fühle. O Herr, schenke uns diese Freude! Zu erwarten Ende -November.«</p> - -<p>»Am 9. Mai, dem Tage des heiligen Nikolaus, wurde auf -obrigkeitlichen Befehl die altgläubige Kapelle in Dejewo zerstört. -Es war ein schauerliches, unwürdiges und wahrhaft -empörendes Schauspiel. Zu allem andern riß noch das -Eisenkreuz von der Kuppel ab und blieb an den Ketten hängen. -Als die Zerstörer mit ihren Feuerhaken es voller Erbitterung -ganz herabzuzerren sich bemühten, stürzte es plötzlich herunter -und zerschmetterte einem Feuerwehrsoldaten den Schädel, daß -er tot liegen blieb. Er war ein Jude. O wie weh tat es mir, -das alles mit ansehen zu müssen! Herr, mein Gott! Sie -sollten doch wenigstens keine Juden beauftragen, das Kreuz -herabzureißen! Abends versammelte sich das Volk auf der -Trümmerstätte und ihre und unsere Geistlichkeit kam auch -hin, und alle haben wir geweint und zuletzt fielen wir uns -in die Arme.«</p> - -<p>»10. Mai. Die Obrigkeit hat einen großen Fehler begangen. -Kurz vor Mitternacht verbreitete sich das Gerücht, das Volk -habe eine heilige Lampe auf die Steine gestellt und halte -eine Gebetsversammlung beim zerstörten Gotteshaus ab. -Wir gingen alle hinaus und fanden die Leute wirklich beim -Gebet. Ein alter Mann hielt die Lampe in der Hand und -sie erlosch nicht. Der Stadthauptmann gab leise Befehl,<span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span> -die Feuerspritzen heranzufahren und die Menge mit Wasser -zu begießen. Das war höchst unbedacht, ich kann sogar sagen: -dumm – denn das Volk zündete Kerzen an und ging heim. -Dabei sang es vom »grausamen Pharao« und rief: »Der -Herr hilft dem verfolgten Glauben und der Wind verlöscht -die Lichter nicht!« Ich machte den Stadthauptmann darauf -aufmerksam, wie unvorsichtig seine Verordnung gewesen, die -Kapelle zu zerstören, das Kreuz herabzureißen und das Marienbild -fortzuschaffen. Aber was kümmert er sich drum?«</p> - -<p>»12. Mai. Die Eitelkeit hat mich übermannt: ich habe -mir von der Wirtschafterin der Frau Adelsmarschall zwei -seidene Kleider der Gnädigen auf Kredit geben lassen und -habe sie in die Stadt zum Färben geschickt. Daraus will -ich mir dann eine seidene Kutte machen lassen. Es geht nicht -anders, man muß sich akkurat kleiden. Ich komme allmählich -in alle adeligen Häuser, und ich will nicht über die Achsel -angesehen werden.«</p> - -<p>»17. Mai. Die Pfarrerin Natalia Nikolajewna deutete -heute an, daß sie sich betreffs ihres Zustandes getäuscht habe.«</p> - -<p>»20. Juni. Auf einen Bericht des Stadthauptmanns, -daß ich zu Ostern nicht auch in die Häuser der Altgläubigen -mit dem Kreuze gegangen, wurde ich wieder nach der Gouvernementsstadt -zitiert. Ich legte die ganze Sache dem Bischof -eingehend dar. Nicht aus Fahrlässigkeit hätte ich die Häuser -der Altgläubigen gemieden, denn auch meine Tasche hätte -ja davon Schaden gehabt. Ich tat es, um die Schismatiker -fühlen zu lassen, daß ihnen die Ehre nicht gebühre, von mir -und dem gesamten Klerus besucht zu werden. Der Bischof -wurde nachdenklich und ließ sodann diese meine Erklärung -gelten. Allein nicht umsonst sagt das Volk, daß, wenn der Zar -auch gnädig sei, sein Hundejunge es noch nicht zu sein brauche. -Weil die Sache meiner unterlassenen Amtshandlung zum<span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span> -Teil auch die weltliche Obrigkeit angeht, schickte der Bischof -mich zum Gouverneur, damit ich ihm eine Erklärung in -der hochwichtigen Angelegenheit abgebe … War das eine -Erklärung! … Wehe mir armen Sünder, was ich auszustehen -hatte! Wehe auch euch, ihr meine Nächsten, meine -Brüder, Vertrauten und Freunde, ob der Schmach und -Erniedrigung, die ich von diesem kurzschwänzigen Glaubensfeind -erdulden mußte! Der Gouverneur, der als Deutscher -die Ambitionen seines Luther hochhalten zu müssen wähnt, -ließ den russischen Popen überhaupt nicht zu sich heran, sondern -schickte mich zur Erörterung der Angelegenheit zu seinem -Kanzleivorsteher. Dieser, ein Pole, war aber nicht geneigt, -die Sache wie der Bischof anzusehen, sondern er fiel über -mich her mit Geschrei und Gebrüll, sagte, ich leiste den Ketzern -Vorschub und widersetze mich dem Willen meines Kaisers. -Wehe dir, du aussätziger Pole, daß du mit deinem löcherigen -Gewissen dich unterstehst, mir Widersetzlichkeit gegen meinen -Kaiser vorzuwerfen! Allein ich nahm es hin und ging schweigend -von dannen, des Sprichwortes gedenkend: Wie der -Herr, so's Gescherr. Und so gewinnt es den Anschein, als -wäre alles Geschilderte nur geschehen, um meine neue seidene -Kutte einzuweihen, welche, wie ich hier bemerken will, -sehr akkurat gefertigt ist, und der man es nur bei Sonnenschein -ein wenig ansieht, daß sie aus zwei verschiedenen Stoffen -gefertigt ist.«</p> - -<p>»23. März 1837. Heute, am Karsamstag, kamen die Kleriker -und der Diakon zu mir. Prochor bittet, wir sollten zu -Ostern durchaus auch in die Häuser der Altgläubigen mit -dem Kreuz gehen, denn es brächte ihnen zu viel Schaden, -wenn wir es unterließen. Ich gab ihnen vierzig Rubel von -meinem Gelde, weil ich mich der Schmach nicht unterziehen -wollte, vor den Türen der reichen Bauern um Almosen zu<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span> -bitten. Jetzt scheint es mir eine Torheit, daß ich mir die seidene -Kutte machen ließ; ich wäre auch ohne sie ausgekommen -und hätte dann mehr für den Klerus übriggehabt. Ich gedachte -eben: Kleider machen Leute.«</p> - -<p>»24. April. Eine Schmach ist mir widerfahren, die mich -weinen und schluchzen ließ. Ich bin erneut denunziert worden. -Nochmals stand ich vor jenem Gouvernementskanzleivorsteher -und mußte mich wegen Nichtbesuches der Altgläubigen -verantworten. Mein eigener Klerus hat mich denunziert. -Wie ertrag' ich diese Niedrigkeit und Undankbarkeit! -Du Denker und Administrator! Betrachte in deinem aufgeklärten -Geiste, woraus das Leben eines russischen Popen -sich zusammensetzt! Auf dem Heimwege haderte ich die ganze -Zeit mit mir selber, daß ich nicht auf die Akademie gegangen -war. Von dort wäre ich zur Klostergeistlichkeit gegangen, -wie so viele andere. Mit der Zeit wäre ich Archimandrit geworden -und Bischof. In einer Kutsche wäre ich gefahren und -hätte selber kommandiert, statt daß man mich kommandierte. -Es war mir eine boshafte Freude, mich diesen eiteln Gedanken -hinzugeben; immer wieder sah ich mich als Bischof. Aber -als ich heimgekehrt war, wurde ich so zärtlich von meiner -Pfarrerin empfangen, daß ich Gott dem Herrn dankte, der -alles so gefügt hat, wie es ist.«</p> - -<p>»25. April. In der Gouvernementsstadt haben sie mir -Schmach angetan; allein das ist nichts dagegen, wie ich -heute zu Hause beschämt worden bin. Einem Schulbuben -gleich. Gestern erst schrieb ich die Memorabilien meiner Bekümmernisse -und Ärgernisse nieder. Heute stand ich früh -auf, setzte mich ans Fenster, und in Gedanken versunken -schaute ich auf das Gemüsefeld des bettelarmen Pizonskij, -das sich gerade vor meinem Fenster ausbreitet. Voriges -Jahr wurde auf diesem Felde ein schwachsinniges Mädchen,<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span> -eine gewisse Nastia, die ein vorüberziehender Soldat verführt -hatte, von einem Knäblein entbunden, worauf sie sich -in den Fluß stürzte und ertrank. Pizonskij hatte dieses Kind -als Trost seines einsamen Alters zu sich genommen, und dann -hatten alle die Geschichte bald vergessen. Ich als einer der -ersten ebenfalls. Heut aber blicke ich von oben herab auf -das Land dieses Pizonskij und denke an meine Angelegenheiten, -da bemerke ich, daß dieser frisch aufgerissene, schwarze, -sogar ein wenig bläuliche Erdboden ganz ungemein lieblich -anzuschauen ist, wie er so von der Morgensonne übergossen -daliegt. Die Furchen entlang schreiten hagere schwarze Vögel -und stärken ihren hungernden Leib mit frischem Gewürm. -Der alte Pizonskij selbst, den kahlen Kopf im hellsten Sonnenlicht -badend, stand auf einer Treppe vor einem auf Pfählen -befestigten Treibbeet, hielt in der einen Hand eine Schale -mit Samen und legte mit der andern die Körner in die Erde, -immer kreuzweise in ganz kleinen Prisen. Und dabei blickte -er zum Himmel empor und sprach bei jedem Korn ein Wort -des Spruches: »Herr, laß wohlgelingen, wachsen und gedeihen, -auf daß ein jeder sein Teil habe, der Hungernde und -der Verwaiste, der Wünschende, der Bittende und der Fordernde, -der Segnende und der Undankbare.« Kaum hatte -er zu Ende gesprochen, da schrien alle schwarzglänzenden -Vögel, die auf dem Acker umhergingen, die Hühner gackerten, -der Hahn krähte aus vollem Halse und schlug laut mit den -Flügeln, und von seiner Matte schob sich jenes Kind, das -Söhnlein der Blödsinnigen, das der alte Sonderling zu sich -genommen. Es lachte hell auf in kindischer Freude, klatschte -in die Händchen und kroch lachend über den weichen Erdboden. -Es war mir wie eine Vision. Der alte Pizonskij war -glückselig und sang laut Halleluja! … Halleluja, Herr mein -Gott! – sang auch ich still für mich vor Entzücken, und Tränen<span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span> -der Rührung entströmten meinen Augen. In diesen heilenden -Tränen löste sich mein Groll und ich sah ein, wie -töricht mein Kummer gewesen war. Vermehre und laß -wachsen, Herr, deine Gaben auf dieser Erde, daß ein jeder -sein Teil erhalte, der Wünschende, der Bittende, der Fordernde -und der Undankbare. … Mir ist ein solches Gebet -in keinem gedruckten Buch vorgekommen. Gott, mein Gott! -Dieser alte Mann gedachte auch des dem Diebe zukommenden -Teiles und betete für ihn! O du mein weichherziges Rußland, -wie bist du schön!«</p> - -<p>»6. August, Christi Verklärung. Was für ein entzückendes -Weib ist meine Pfarrerin Natalia Nikolajewna! Wieder frage -ich: wo, außer im heiligen Rußland, kann es solche Frauen -geben? Ich sagte ihr einmal, wie mich die Zärtlichkeit des -bettelarmen Pizonskij zu den Kindern rühre, und gleich verstand -oder erriet sie meine Gedanken und meine Sehnsucht: -sie umarmte mich und mit der Schamröte, die ihr so schön -zu Gesichte steht, sprach sie: »Warte nur, Vater Sawelij, -vielleicht schenkt uns Gott doch noch – –« ein Kindlein -wollte sie sagen. Aber ich hab' es zu oft schon erfahren, daß -diese ihre Hoffnungen sich als trügerisch erwiesen, daher -fragte ich sie gar nicht nach den Einzelheiten, – – und es -kam auch wirklich wieder so, daß man sich nur vergeblich gefreut -hatte. Aber auch aus diesem blinden Lärm ward mir -ein rührendes Erlebnis. Heute predigte ich von der Notwendigkeit -einer beständigen inneren Wandlung, daß man -Kraft gewinne, in allen Kämpfen gleich einem starken und -geschmeidigen Metall geschmiedet zu werden, und nicht dem -Ton gleichwerde, der sich plattdrücken läßt, und wenn er -trocken wird, noch die Spur des Fußes zeigt, der zuletzt auf -ihn trat. Und wie ich so redete, ließ ich mich zu einer Improvisation -hinreißen und wies das Volk auf Pizonskij hin,<span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span> -welcher an der Tür stand. Zwar nannte ich nicht seinen -Namen, aber ich redete von ihm als von einem, der sich -in unserer Mitte befinde, der zu uns gekommen sei nackt und -bloß und von allen Narren ob seiner Armut verspottet, der -aber doch nicht nur selbst nicht zugrunde gegangen sei, -sondern auch das Größte getan habe, was ein Mensch tun -könne, da er unbefiederte Vöglein gerettet und aufgezogen -habe. Ich sprach davon, wie süß das sei, den wehrlosen Leib -der Kleinen zu wärmen und in ihre Seelen die Saat des -Guten zu streuen. Als ich das ausgesprochen hatte, fühlte -ich meine Wimpern von Tränen feucht und sah, daß auch -viele von den Zuhörern ihre Augen trockneten und jenen -suchten, den meine Seele meinte, Kotin den Bettler, Kotin -den Ernährer der Waisen. Und als ich merkte, daß er nicht -mehr da war, denn er war demütig hinausgegangen, weil -er meine Andeutung verstanden hatte, da ergriff mich eine -gewisse Beklemmung, daß ich ihn durch mein Lob verwirrt -hatte, und ich sprach: »Er weilt nicht mehr unter uns, liebe -Brüder! Denn er bedarf dieses meines schwachen Wortes -nicht, weil das Wort der Liebe längst schon mit dem Flammenfinger -Gottes in sein demütiges Herz geschrieben ist. -Ich bitte euch,« sprach ich und neigte mich tief, – – »ihr -alle, die ihr hier versammelt seid, ehrenwerte und angesehene -Mitbürger, vergebt mir, daß ich in meiner Ansprache euch -keinen hochberühmten Feldherrn als Muster der Kraft und -als Beispiel zur Nachahmung hingestellt habe, sondern einen -von den Geringen, und wenn euch das ärgern sollte, so legt das -meiner Armut zur Last, denn euer sündiger Pfarrer Sawelij -hat oft, wenn er auf diesen Geringen schaute, gefühlt, daß -er neben ihm kein Priester des höchsten Gottes sei, sondern -in diesem Gewande, das meine Unwürde verhüllt, nichts -als ein übertünchter Sarg. Amen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span></p> - -<p>Ich weiß nicht, was in diesen meinen schlichten Worten, -die ich ganz <em class="antiqua">ex promptu</em> gesprochen hatte, Weises und -Schönes enthalten war. Ich muß aber sagen, daß meine -andächtige Gemeinde etwas dieser Art herausgehört -hatte, und als ich bei der Entlassung meine Hand den -einzelnen darreichte, fiel mehr denn eine Träne darauf. -Doch das ist noch nicht alles: das Wichtigste sollte für mich -erst kommen.</p> - -<p>Gewissermaßen als Belohnung für mein aufrichtiges -Wort über das Glück, nicht bloß für die eigenen, sondern -auch für fremde Kinder sorgen zu können, hat der Allgegenwärtige -und Allwaltende auch meine Unwürdigkeit in seine -Vaterhand genommen. Er hat mir heute den ganzen wahren -Wert des Schatzes offenbar gemacht, den ich dank seiner -unermeßlichen Milde besitze. Eben komme ich mit fünf nach -der Messe geweihten Äpfeln heim, da erwartet mich an der -Schwelle eine alte gute Bekannte: meine Pfarrerin Natalia -Nikolajewna. Sie war während des Schlußgesanges leise -hinausgeschlichen und hatte mir daheim nach Gewohnheit -den Tee nebst einem leichten Frühstück bereitet. Nun steht -sie kerzengerade auf der Schwelle, nicht mit leeren Händen, -sondern mit einem Strauß von Wasserlilien und Gartenlevkojen. -»Nun, bist du nicht ein hinterlistiges Weib, Natalia -Nikolajewna!« sage ich, der ihr sonst nie Hinterlist vorgeworfen. -Aber sie begriff, daß es im Scherz gesagt war, -umhalste mich und begann leise zu weinen. Woher diese -Tränen? – Das ist ihr Geheimnis, allein für mich ist dieses -dein Geheimnis nicht geheimnisvoll, liebes Weib, daß du -nicht weißt, wie es seinen Gatten trösten soll, und das ihm -den Trost Israels, den kleinen Benjamin, nicht schenken -darf. Ja, nur mit Wasserlilien und Gartenlevkojen begrüßte -mich an diesem Tage ihr in Liebe und Wohlwollen weit aufgetanes<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span> -Herz! In stiller Bekümmernis setzten wir zwei Kinderlosen -uns an den Teetisch, doch nicht der Tee, sondern unsere -Tränen wurden uns zum Trank; und Hand in Hand sanken -wir nieder vor dem Bilde des Heilandes und lange und heiß -beteten wir zu ihm um den Trost Israels. Natascha entdeckte -mir später, daß sie gleichsam eine Engelstimme vernommen -habe, und ob ich gleich verstand, daß dieses nur eine -Frucht ihrer Phantasie gewesen, so wurden wir doch beide -froh wie die Kindlein. Ich muß aber bemerken, daß auch in -dieser Stimmung Natalia Nikolajewna mich, den rohen Mann, -an Findigkeit des Geistes und an Würde der erhabenen Gefühle -weit übertraf.</p> - -<p>»Sage mir, Vater Sawelij,« fragte sie lieblich kosend, -»sage mir, Lieber, hast du nicht irgendeinmal, ehe du mich -gefunden, gegen das Gebot der Keuschheit gesündigt?«</p> - -<p>Eine solche Frage, muß ich gestehen, machte mich äußerst -verlegen, denn ich begriff plötzlich, warum meine unartige -Gattin etwas ihr so wenig Geziemendes erfahren wollte.</p> - -<p>Aber mit ihrer ganzen ausgezeichneten Bescheidenheit und -all jener weiblichen Koketterie, die sie auch als Pfarrersfrau -von der Natur geerbt hat, begann sie mich mit Erinnerungen -aus meiner verflossenen Jugendzeit zu locken, und wies darauf -hin, daß das, was sie angedeutet, sehr leicht hätte geschehen -können, denn ich sei damals so schmuck gewesen, daß -alle Mädchen, nicht nur aus geistlichen, sondern auch aus -weltlichen Häusern, mir nachgeseufzt hätten, als ich in die -Stadt Fatesh gekommen sei, um bei ihrem Vater um sie -anzuhalten. So erheiternd das auch war, so suchte ich doch -alle ihre Zweifel über meine Jugend zu zerstreuen, was mir -auch nicht schwer fiel, denn ich brauchte nur die reine Wahrheit -zu sagen. Allein je eifriger ich sie beruhigte, desto betrübter -ward sie, und ich konnte nicht fassen, warum meine<span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span> -Rechtfertigung sie gar nicht erfreute, sondern nur immer trauriger -machte, bis sie endlich sagte:</p> - -<p>»Denke nach, Vater Sawelij, vielleicht, wenn du doch -leichtsinnig gewesen … gibt es irgendwo noch ein Waisenkind …«</p> - -<p>Nun erst verstand ich, was sie klar auszusprechen sich geschämt -hatte: sie will mein illegitimes Kind ausfindig machen, -das gar nicht vorhanden ist! Welche Herzensgüte! Wie -ein Stier, den die Bremse gestochen hat, riß ich mich von meinem -Platze, stürzte nach dem Fenster und richtete meine Blicke -in die himmlische Ferne hinaus, daß nur der Himmel mich -sehe, mich, den sein Weib so durch seine Güte und Sorglichkeit -beschämt hatte. Sie aber, meine Lilien- und Levkojenfreundin, -meine weiße, keusche, süß duftende Rose, mit -leichten Schritten schlich sie mir nach und legte ihre kleinen -Pfötchen mir auf die Schultern und sprach:</p> - -<p>»Denke nach, Liebster: vielleicht ist irgendwo ein Vöglein -vorhanden, und ist es so, dann lasse uns gehen und es holen!«</p> - -<p>Nicht nur aufsuchen will sie das Kind, – sie hat es schon -lieb, sie bemitleidet es wie ein noch unbefiedertes Vöglein! -Das ward mir zu viel, ich biß mich in den Bart, fiel vor ihr -in die Knie, neigte mich tief zur Erde und brach in jenes -Schluchzen aus, das keiner auf Erden zu schildern vermag. -Und in Wahrheit, saget mir, alle Zeiten und Völker, – wo -außer in unserem heiligen Rußland, werden Frauen geboren, -wie diese Tugend? Wer hat sie das alles gelehrt? Wenn -nicht Du, allgütiger Gott, der Du sie deinem unwürdigen -Knecht gegeben hast, daß er Deine Größe und Deine Güte -näher fühlen solle!«</p> - -<p>Hier war im Tagebuch des Vaters Sawelij fast eine ganze -Seite mit Tinte begossen und unter dem Fleck standen die -Zeilen:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span></p> - -<p>»Weder will ich diesen Fleck entfernen noch eine gewisse -Ungeschicklichkeit und Monotonie des Ausdrucks, die ich in -den letzten Zeilen finde, verbessern; mag alles so bleiben, -denn alles, was dieser Augenblick mir geschenkt hat, ist mir -in seiner gegenwärtigen Gestalt teuer. Meine Pfarrerin -konnte heut von ihren Schelmereien nicht lassen, obgleich -es schon auf Mitternacht geht und sie gewöhnlich um diese -Zeit schon zu schlafen pflegt. Ich aber ziehe es vor, mich in -der Stille der Nacht noch an einem passenden Buch zu erquicken, -oder auch meine Memorabilien aufzuzeichnen, und -oft, wenn ich etwas geschrieben habe, trete ich an ihr Lager -und küsse die Schlafende, und wenn mich etwas betrübt -hat, so schöpfe ich aus diesem Kusse neuen Mut und neue -Kraft, und schlummere dann friedlich ein. Heut aber ist es -anders gegangen. Nach diesem Tage, der mir eine solche -Menge verschiedenartigster Empfindungen gebracht hat, war -ich so in die Schilderung alles dessen, was auf den vorhergehenden -Blättern geschrieben steht, vertieft, daß ich mein -arges Weiblein gleichsam in meiner Seele selbst fühlte, und -da meine Seele sie küßte, dachte ich nicht daran, an ihr Bett -zu treten und sie zu küssen. Sie aber, die Feine und Arglistige, -hatte diese meine Unterlassung wohl bemerkt und -machte sie in unglaublich eigener Weise gut: vor einer Stunde -kam sie zu mir, legte mir ein reines Schnupftuch auf den -Tisch, gab mir einen Kuß und ging dann, scheinbar ganz ernst, -zur Ruhe. Aber welch unfaßbare weibliche Schlauheit muß -ich an ihr entdecken! Wie ich so ganz ernst dasitze und schreibe, -sehe ich, daß mein Tuch sich scheinbar bewegt und auf den -Boden fällt. Ich bückte mich, legte es wieder auf den Tisch -und schrieb weiter; aber das Tuch fiel wieder auf den Boden. -Ich nahm den Flüchtling und fesselte ihn, indem ich das -Tintenfaß auf ihn stellte, aber er entwich von neuem und<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span> -riß sogar das Tintenfaß mit, welches umfiel und meinen -Kalender mit diesem mächtigen Fleck zierte. Was sollte nun -diese Leinwandflucht bedeuten? Sie bedeutet, daß meine -Pfarrerin eine ausgemachte Kokette ist, und zwar eine von -ganz seltener Art, denn sie kokettiert nicht mit andern guten -Leuten, sondern mit dem eigenen Ehgemahl. Sie hatte an -das Tuch, das sie mir gebracht, heimlich einen recht langen -Faden befestigt, durch die Türritze bis zu ihrem Bette gezogen, -und während sie ganz still daliegt, zupft sie scherzend -an dem Faden, so daß mir das Tuch aus der Hand gleitet. -Und ich dickfelliger Kerl entdeckte dies nur, weil bei dem letzten -Fallen des Tuches hinter der Tür ein leises fröhliches Lachen -ertönte, und ich ihre nackten Füßchen stampfen hörte!«</p> - -<p>»7. August. Die ganze vorige Nacht habe ich vor Glück -nicht schlafen können, und ich lüge nicht, wenn ich hinzufüge, -daß auch Natascha an dieser Nachtwache nicht unbeteiligt -war. Wie die Verliebten vor St. Peter auf die Sonne -warten, so saßen wir im sechsten Jahr unserer Ehe im Fenster -und harrten des Sonnenaufgangs. Meine Liebste gestand -mir, daß sie oft nicht schlafe, wenn ich schreibe, und sich nur -schlafend stelle. Auch manches andere gestand sie mir noch; so, -daß sie gestern in der Kirche, als sie meiner Predigt zuhörte, die -ihr ganz besonders gefallen habe, das Gelübde abgelegt habe, -zu Fuß nach Kiew zu pilgern, sobald sie sich gesegneten Leibes -fühle. Ich billigte das nicht, denn eine solche Wanderung -ist den Kräften einer Schwangeren gar nicht angemessen; -ich erlaubte ihr aber doch, das Gelübde zu erfüllen, denn -bei einer so großen Freude würde ich selbstverständlich auch -mitgehen und wenn sie ermüdet, würde ich sie tragen. Wir -machten gleich einen Versuch. Ich trug sie lange auf meinen -Armen durch den Garten und träumte, sie wäre schon guter -Hoffnung und ich behütete sie, daß ihr auf der Wanderung<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span> -kein Unheil zustoße. Und so sehr gewann dieser Sehnsuchtstraum -Gewalt über mich, daß ich, als Natascha sich scherzend -auf die Schaukel setzte, welche das kleine Mädchen der Köchin -sich an einem Apfelbaum befestigt hatte, diese Schaukel herunternahm -und sie ganz hoch in den Baum warf, damit in -Zukunft nichts dergleichen geschehe, worüber Natascha sehr -lachte. Allein, obgleich auch mein Leben nicht reich ist an -Dingen, die sorgfältig geheimgehalten werden müßten, so -ist es dennoch gut, daß der Wirt unseres Hauses seinen -Garten mit einem festen Zaun umgeben hat, und Gott -längs diesem Zaun die Himbeersträucher recht dicht hat wachsen -lassen, denn sonst hätte am Ende dieser oder jener gesagt, -daß es keine Sünde wäre, den Popen Sawelij einmal auch -einen Hansnarr zu nennen.«</p> - -<p>»9. August. Ich notiere eine höchst erheiternde Begebenheit, -wie meine Gattin heut mit dem Sohne des Diakon, -einem Seminaristen der Rhetorikklasse, in richtigen Streit -geriet. Das war ein Kasus und eine Komödie zugleich. Sie -stritten darüber, wer der klügste Mann auf Erden gewesen. -Der Rhetor sagte: Salomo, meine Pfarrerin aber behauptet, -ich sei's, und ich muß zugeben, daß diesesmal der üppige König -von Zion einen weit weniger standhaften Advokaten fand, -als ich. O, wie hab' ich gelacht! Was nicht alles in dieser -Welt passieren kann! Ich hörte das alles aus dem Schlafzimmer, -wo ich meine Nachmittagsruhe hielt; als ich erwacht -war, wagte ich die Disputation nicht mehr zu unterbrechen, -und die zwei redeten mächtig aufeinander ein. Der Rhetor, -der für die Weisheit Salomonis eintrat, berief sich auf die -Worte der Schrift, daß »Salomo weiser war, denn alle -Menschen«, meine Eheliebste aber schlug ihn mit folgendem -Argument: »Was reibt Ihr mir Euer ›also‹ und ›denn‹ und -›sintemal‹ unter die Nase? All diese ›denn‹ und ›also‹ haben<span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span> -gar keine Bedeutung, weil das alles geschrieben wurde, bevor -der Vater Sawelij geboren war.« Jetzt mengte sich in diesen -Diskurs noch der Pfarrer von St. Nikita, Vater Zacharia -Benefaktow, hinein, der dem ganzen Streite zugehört hatte, -und ihn zum Schluß brachte, indem er meiner Gattin recht -gab. Es sei richtig, sagte er, – will heißen, richtig in dem -Sinne, daß ich damals noch nicht auf der Welt war. So -behielt ein jeder von diesen drei Kritikern recht. Ich allein, -dem alle ihre kritischen Meinungen zur Antikritik vorgelegt -wurden, blieb im Unrecht: vorerst betrübte ich meine Natascha, -indem ich ihre Meinung, ich sei der klügste von allen, -verwarf, und auf ihre Frage, wer denn klüger sei als ich, -antwortete, sie selber sei es. Dem ward verzweifelter Widerstand -entgegengesetzt, wie er sich nur gegen die Wahrheit -richten kann: »Die Klugen,« – sagte sie, – »können über -alle Dinge urteilen, ich aber kann das gar nicht und diskutiere -niemals. Woher kommt das?« Da faßte ich sie leise -an ihrem kleinen Näschen und erwiderte: »Du mischst dich -darum nicht gerne in die Diskussion, weil du statt einer widerspenstigen -Nase nur dieses kleine sanftmütige Knöpfchen hast.« -Sie verstand wohl, was ich mit diesem Scherz sagen wollte, -– nämlich ihre Herzensmilde ins rechte Licht rücken – und -sie suchte nun es zu widerlegen, indem sie daran erinnerte, -wie sie einmal mit der Postmeistersfrau handgemein geworden -sei, um ihr ein Dienstmädchen zu entreißen, das jene -unmenschlich hart strafen wollte.«</p> - -<p>»15. August, Mariä Himmelfahrt. Während ich mich so -meiner Gattin freute, hatte ich gar nicht bemerkt, daß meine -Predigt am Verklärungstage, von der Natascha so erbaut gewesen, -auf andere Leute anders gewirkt hatte, und daß ich -eine mir höchst unerwünschte Mißstimmung unter einigen -Leuten in der Stadt hervorgerufen hatte. Meine andächtigen<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span> -Zuhörer, natürlich nicht alle, aber einige, und unter -diesen in erster Linie die Postmeisterin Timonowa, fühlen -sich gekränkt, daß ich sie durch meine Anspielung auf Pizonskij -herabgesetzt habe. Indessen, das sind alles nur Torheiten -müßiger und unkluger Geister. Nach und nach wird -das an dem Selbstgefühl der hohen Herrschaften wieder abtrocknen, -wie die Wunden am Fell des Hundes.«</p> - -<p>»3. September. Ich war in einem großen Irrtum befangen. -Die Angelegenheit ist keineswegs erledigt. Aus dem -Konsistorium kam eine Anfrage, ob ich wirklich eine Predigt -mit Hinweis auf eine lebende Person improvisiert hätte? -Ach Gott, was für eine Angst hat man bei uns vor allem -Lebendigen! Nun, ich habe denn auch geantwortet, ich hätte -dieses und das gesagt. Ich meine, man wird mich dafür -nicht hängen und mir den Kopf nicht abhauen, – und doch -ist mir gegen meinen Willen unbehaglich zumute, und meine -Ruhe ist hin.«</p> - -<p>»20. Oktober. Gewiß können sie einem den Kopf nicht -abschlagen, aber den Mund können sie einem stopfen, und das -haben sie denn auch nicht ermangelt zu tun. Am 15. September -wurde ich zur Rechenschaft gezogen. Schon diese Hast -ließ wenig Gutes vermuten, denn mit dem Guten haben's -die Leute bei uns nicht eilig, am allerwenigsten die Machthaber. -– Trotzdem machte ich mich voller Mut auf den -Weg. Dieser wurde zuerst dadurch abgekühlt, daß ich 36 Tage -ohne Bescheid blieb, und dann der Befehl kam, hinfort alles, -was ich zu sagen gedenke, vorerst dem Zensor Troadij vorzulegen. -Das wird niemals geschehen, lieber will ich stumm -sein wie ein Fisch. Vergib mir meinen Hochmut, Allwalter, -aber ich kann das Amt des Predigers nicht mit kalter Leidenschaftslosigkeit -ausüben. Ich fühle mitunter, wie etwas -über mich kommt, wenn meine geliebte Gabe wirken will.<span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span> -Dann erfaßt mich eine, ich kann wohl sagen heilige Unruhe; -meine Seele bebt und glüht und die Worte fallen wie feurige -Kohlen von meinen Lippen. Nein, dann trägt meine Seele -ihr eigenes Zensurgesetz in sich! … Und sie verlangen, ich -soll an Stelle der lebendigen Rede, die vom Herzen zum -Herzen geht, rhetorische Übungen hervorbringen!</p> - -<p>Nein! lieber mögt ihr euch schließen, ihr Lippen, die ihr -nicht zu schmeicheln wißt, lieber sollst du schweigen, mein -schlichtes Wort! Gezwungen predigen mag ich nicht.«</p> - -<p>»23. November. Ich kann wahrhaftig nicht behaupten, -daß mein Leben aller Abwechslung entbehrt. Im Gegenteil, -es geht alles bunt durcheinander, so daß die Spannung -keinen Augenblick nachläßt. Achtzehn Werst von unserer -Stadt, in dem großen Kirchdorf Plodomasowo, lebt die Besitzerin -dieses Dorfes, die Bojarin Marfa Andrejewna Plodomasowa. -Dieser Knüppel ist von so altem Holz, daß man -schon längst keinerlei Lebenszeichen an ihm bemerkt hat; man -weiß nur aus alten Erinnerungen, daß sie eine Frau von -nicht geringem Geiste war. An die zwanzig Jahre schon -kann kein Fernerstehender sich rühmen, die Bojarin Plodomasowa -gesehen zu haben.</p> - -<p>Vorgestern, kurz vor zwölf Uhr mittags, war ich unsagbar -erstaunt, als ich eine große herrschaftliche Droschke, mit drei -Füchsen bespannt, vor meinem Hause vorfahren sah. Im -Wagen saß ein absonderlich kleines Männlein, in einer haarigen -Filzmütze mit langem Schirm und in einem braunen -Mantel, den eine Menge übereinanderliegender Kapuzen und -Pelerinen zierten.</p> - -<p>Was, dachte ich, kann das für eine seltsame Person sein, -und kommt sie auch wirklich zu mir oder hat sie nur irrtümlicherweise -den Weg zu mir genommen? Diese meine Zweifel -wurden aber sehr bald durch jene geheimnisvolle Person<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span> -selbst gelöst, die in mein Wohnzimmer trat, mit jenem überaus -feinen Anstand, welcher mir stets so wohlgefiel. Vorerst -bat der Gast um meinen Segen, dann machte er mit seinem -ausnehmend kleinen Füßchen einen Kratzfuß, trat mit einer -Verbeugung zwei Schritte zurück und sprach:</p> - -<p>»Meine Herrin, Marfa Andrejewna Plodomasowa, haben -mir einen Gruß an Euch aufgetragen, Vater Sawelij, und -bitten Euch, alsbald mit mir zu ihr zu kommen.«</p> - -<p>»Darf ich nun meinerseits,« sprach ich, »erfahren, mein -Herr, aus wessen Munde ich das alles höre?«</p> - -<p>»Ich bin,« erwiderte der Kleine, »ein Leibeigener Ihrer -Exzellenz, der gnädigen Frau Marfa Andrejewna, und nenne -mich Nikolai Afanasjew.«</p> - -<p>Nachdem dieses winzige Persönchen sich mir so vorgestellt -hatte, erinnerte es mich nochmals daran, daß seine Herrin -mich erwarte.</p> - -<p>Während ich mich im Nebenzimmer ankleidete, knüpfte -dieser interessante Zwerg eine Unterhaltung mit Natalia -Nikolajewna an und brachte sie durch seine Reden in helles -Entzücken. Und wahrlich, es liegt in den Worten und in -der ganzen Redeweise dieses winzigen Greises etwas unaussprechlich -Liebliches. Dazu kommt noch sein feiner Anstand -und eine große Freundlichkeit. Dem Dienstmädchen, das -ihm ein Glas Wasser brachte, legte er einen Zwanziger auf -das Tablett, und als sie zögerte, das Geld zu nehmen, -wurde er selbst verlegen und sagte: »Nein, meine Beste, tun -Sie das mir nicht an, es ist das nun mal so meine Gewohnheit.« -Und als meine Pfarrerin zu mir hinausgegangen war, -um mir die Haare zu salben, nahm er das schmutzige Mädelchen -der Köchin, das der Mutter nachgelaufen war, bei der -Hand und sagte: »Hör mal, wie die Entchen da unten am -Flusse schwatzen. Die Ente, die feine Dame, sagt zum Enterich,<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span> -dem Kavalier: Kauf mir 'ne Kappe, kauf mir 'ne Kappe! -– und der Enterich antwortet: Hab schon, hab schon, hab -schon!« Das Kind lachte laut, und auch ich konnte mich bei -dieser Auslegung des Entengeschnatters eines Lächelns -nicht erwehren. Dessen hätte sich auch der Herr Lafontaine -oder unser Iwan Krylow nicht zu schämen brauchen.</p> - -<p>Die Fahrt verlief mir im Gespräch mit diesem wunderbaren -Zwerge so schnell, daß ich kaum etwas vom Wege -sah. So viel Verstand, Reinheit und Gesundheit fand ich -in allen seinen Reden.</p> - -<p>Nun aber kommt die Hauptsache: die Stunde der Begegnung -mit der einsamen Bojarin nahte.</p> - -<p>Es wundert mich nicht wenig, daß ich in der Erwartung, -obschon ich von Natur keineswegs schüchtern bin, -doch so etwas wie eine kleine Verzagtheit verspürte. Nikolai -Afanasjewitsch führte mich durch eine Reihe Gemächer, deren -Prunk und äußerste Sauberkeit mich staunen machten, und -blieb endlich in einem runden Zimmer mit zwei Reihen Fenstern -stehen, deren Wölbungen mit bunten Scheiben geziert -waren. Hier fanden wir eine alte Frau, die nur um ein -Geringes größer war als Nikolai. Als wir eintraten, stand -sie da und drehte den Griff einer großen Orgel. Fast hätte -ich sie für die Herrin selbst gehalten und ihr eine Verbeugung -gemacht. Aber als sie uns erblickte, – dank der weichen -Teppiche, die in allen Gemächern den Fußboden bedeckten, -waren wir unhörbar eingetreten – verstummte sofort ihre -Musik, und mit einer etwas tierischen Hast eilte sie in den -Nebenraum, dessen Eingang ein großer Vorhang aus weißem -Atlasstoff schloß, der mit allerlei chinesischen Figürlein in -farbiger Seide bestickt war.</p> - -<p>Diese Frauensperson, welche mit solcher Hast hinter -dem Vorhang verschwand, war, wie ich später erfuhr,<span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span> -die leibliche Schwester des Nikolai und ebenfalls eine -Zwergin. Es fehlte ihr aber die Liebenswürdigkeit, die -aus der ganzen äußern Erscheinung ihres sanften Bruders -sprach.</p> - -<p>Nikolai folgte seiner Schwester hinter den Vorhang, nachdem -er mich gebeten hatte, auf einem Sessel Platz zu nehmen. -Während der halben Stunde, welche ich warten mußte, -empfand ich eine gewisse Bitterkeit im Munde, die mir noch -aus meiner Kindheit, von den Schulprüfungen her, so gut -im Gedächtnis geblieben war. Aber auch das nahm ein -Ende. Hinter dem Vorhang vernahm ich die Worte: »Nun -zeig mir mal den klugen Popen, der, wie ich höre, gewohnt -ist, die Wahrheit zu reden.«</p> - -<p>Wie auf den Wink eines Zauberers, an unsichtbaren Schnüren -gezogen, teilte sich der Vorhang plötzlich, und die Bojarin -Plodomasowa stand vor mir. Ihre Stimme, die ich zuvor -gehört hatte, widerlegte schon meine Meinung von ihrer -Hinfälligkeit, und ihre Erscheinung tat es noch mehr. In -einer Fülle der Kraft, die, schien es, nie versiegen konnte, -stand die Bojarin vor mir. Von Wuchs nicht groß und auch -nicht besonders üppig, scheint sie gleichsam über allem zu herrschen. -Auf ihrem Antlitz liegt der Ausdruck einer großen -Strenge und Wahrhaftigkeit, und, nach den Zügen zu schließen, -muß es einstmals sehr schön gewesen sein. Ihr Gewand -ist seltsam und zu der heutigen Zeit wenig passend, ein Halbrock -aus hellem Tuch, darunter ein Sammetrock, grell orangegelb, -und gelbe Stiefelchen auf hohen silbernen Absätzen. -Um den Kopf windet sich mehrfach, wie bei einer Türkin, -ein großer brauner Schal. In der Hand hält sie einen -Stock mit einem Amethyst-Knopf. Zu ihrer Rechten stand -Nikolai Afanasjewitsch, zur Linken Maria Afanasjewna, -hinter ihr der Pfarrer der Dorfkirche, Vater Alexei, ein entlassener<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span> -Leibeigener, der auf ihre Anordnung zum Priester -geweiht worden war.</p> - -<p>»Guten Tag,« sagte sie, ohne den Kopf auch nur im geringsten -zu senken. »Es freut mich, daß ich dich zu sehen bekomme.«</p> - -<p>Ich erwiderte ihren Gruß mit einer Verbeugung, welche -recht ungeschickt war, glaube ich.</p> - -<p>»Komm her und segne mich,« sagte sie.</p> - -<p>Ich trat zu ihr und segnete sie. Sie ergriff meine Hand, -um sie zu küssen, was ich auf jede Weise zu verhindern suchte.</p> - -<p>»Zieh deine Hand nicht weg,« sagte sie, als sie es bemerkte. -»Ich huldige nicht dir, sondern deinem Amte. Setze -dich jetzt, und wir wollen ein wenig miteinander bekannt -werden.«</p> - -<p>Wir setzten uns, – das heißt sie, ich und der Vater Alexei. -Die Zwerge stellten sich zu beiden Seiten der Herrin auf.</p> - -<p>»Vater Alexei hat mir gesagt, dir sei die Gabe der Rede -und ein klarer Verstand verliehen. Er selber versteht nichts -davon, er hat's aber wohl von den Leuten gehört. Ich habe -lange schon keine klugen Leute gesehen, und da wollt' ich dich -einmal zu meiner Zerstreuung anschauen. Sei mir alten -Frau deswegen nicht böse.«</p> - -<p>»Man hat dich hergeschickt,« fuhr sie fort, »die Altgläubigen -zu bekehren?«</p> - -<p>»Ja,« erwiderte ich, »mit meiner Ernennung hierher war -auch diese Absicht verbunden.«</p> - -<p>»Ich meine,« sagte sie, »es ist ein nutzloses Unterfangen. -Den Dummen belehren und den Toten kurieren zu wollen -ist eins des andern wert.«</p> - -<p>Ich weiß nicht mehr, in was für Worte ich meine Antwort, -daß ich nicht alle Altgläubigen für dumm halte, kleidete.</p> - -<p>»Nun, wenn du sie für so klug hältst, – wie viele hast du -schon auf den rechten Weg geleitet?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span></p> - -<p>»Noch kann ich mich keiner Erfolge rühmen,« entgegnete -ich, »aber das hat seine Gründe.«</p> - -<p>Sie: »Was für Gründe meinst du?«</p> - -<p>Ich: »Man behandelt sie nicht in der entsprechenden Weise, -und das Übel wächst infolge des Wankelmuts, den sie in -der orthodoxen Gemeinde und auch bei der Geistlichkeit selbst -beobachten.«</p> - -<p>Sie: »Du sagst ›Übel‹. Was ist denn an ihnen so Übels? -Harmlose Narren vor dem Herrn sind sie, deren ganze Sünde -darin besteht, daß sie zuviel Bücher gelesen haben.«</p> - -<p>Ich: »Allein, der rechtgläubige Altar leidet unter solcher -Spaltung.«</p> - -<p>Sie: »Ihr solltet diesem Altar treuer dienen und ihn nicht -zum Kramladen machen, dann würde keiner von euch abfallen. -Ihr handelt ja aber alle mit dem Heil, wie andere -Leute mit Tuch.«</p> - -<p>Ich schwieg.</p> - -<p>Sie: »Bist du verheiratet oder Witwer?«</p> - -<p>Ich: »Verheiratet.«</p> - -<p>Sie: »Nun, wenn Gott dich mit Kindern segnet, dann -nimm mich zur Taufpatin. Ich tu's gerne. Selber komm -ich nicht zur Taufe, ich schicke meine Zwergin. Aber wenn -du das Kind hierherbringst, will ich's selber halten.«</p> - -<p>Ich dankte und fragte sie:</p> - -<p>»Eure Exzellenz haben Kinder wohl gerne?«</p> - -<p>»Welcher gescheite Mensch hat sie denn nicht lieb? Ihrer -ist das Reich Gottes.«</p> - -<p>»Exzellenz leben schon lange allein?«</p> - -<p>Sie: »Ganz allein, sehr, sehr lange schon.« Und sie seufzte.</p> - -<p>Ich: »Die Einsamkeit ist oft sehr schwer zu tragen.«</p> - -<p>Sie: »Bist du denn nicht einsam?«</p> - -<p>Ich: »Wie kann ich einsam sein, wenn ich eine Frau habe?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span></p> - -<p>Sie: »Ja, versteht denn deine Frau alles, was dich, als -Mann von Verstand, quälen und betrüben kann?«</p> - -<p>Ich: »Meine Frau macht mich glücklich und ich liebe sie.«</p> - -<p>Sie: »Du liebst sie? Ja, aber du liebst sie mit dem Herzen, -und mit den Gedanken deiner Seele bist du doch einsam. -Bedaure mich nicht, daß ich so einsam bin: jeder, der in -seinem Hause über die Nase seines Bruders hinaussieht, -ist einsam mitten unter den Seinigen. Ich habe auch einen -Sohn, aber es sind bald drei Jahre, daß ich ihn nicht mehr -gesehen habe. Es ist ihm wohl zu langweilig in meiner Gesellschaft.«</p> - -<p>Ich: »Wo befindet sich Ihr Herr Sohn?«</p> - -<p>Sie: »In Polen. Er ist Regimentskommandeur.«</p> - -<p>Ich: »Es ist ein ruhmvolles Werk, die Feinde des Vaterlandes -zu bezwingen.«</p> - -<p>Sie: »Ich weiß nicht, wieviel Ruhm uns das bringt, -daß wir uns mit diesen Polacken immer noch herumschlagen. -Meiner Ansicht nach zeugt das nur von unserer Schlamperei.«</p> - -<p>Ich: »Wir werden schon fertig, die Zeit kommt noch.«</p> - -<p>Sie: »Die kommt nie, weil sie schon vorüber ist. Wir -haben immer so dagestanden wie die Schnepfe im Sumpf: der -Schnabel ist zu lang, und der Schwanz ist zu lang. Ziehn -wir den Schnabel raus, bleibt der Schwanz stecken; ziehn -wir den Schwanz raus, steckt der Schnabel drin. Wir schaukeln -hin und her, daß alle Narren ihre Freude dran haben: -einmal kommen wir den Polen mit der Knute, und das -andere Mal küssen wir ihren schlauen Polinnen die Händchen. -Es ist eine Sünde und Schande, die Leute so zu verderben.«</p> - -<p>»Und doch,« sagte ich, »hält unsere Armee die Polen im -Zaum, daß sie uns keinen Schaden zufügen können.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span></p> - -<p>»Niemanden hält sie im Zaum,« antwortete sie, »und -diese Polen wären uns gar nicht gefährlich, wenn wir uns -gegenseitig nicht fressen wollten.«</p> - -<p>»Dieses Urteil Eurer Exzellenz,« meinte ich, »scheint mir -doch etwas zu schroff.«</p> - -<p>Sie: »Die Wahrheit ist nie zu schroff.«</p> - -<p>»Sie erinnern sich doch gewiß noch des Jahres 1812,« -bemerkte ich, »was für eine Einmütigkeit zeigte Rußland -damals!«</p> - -<p>Sie: »Jawohl, ich erinnere mich sehr gut: ich selbst habe aus -diesem Fenster zugesehen, wie unsere Kosaken meine Bauern -prügelten und meine Speicher plünderten.«</p> - -<p>»Nun,« sagte ich, »so etwas kann ja vorgekommen sein, -ich will die Kosaken keineswegs verteidigen, aber wir haben -uns trotz allem heldenmütig behauptet gegen den Mann, -vor dem ganz Europa im Staube lag.«</p> - -<p>Sie: »Ganz recht, weil der liebe Gott und der Frost uns -zu Hilfe kamen, haben wir uns behauptet.«</p> - -<p>Dieses ebenso verächtliche als ungerechte Urteil machte auf -mich einen so unangenehmen Eindruck, daß ich, ohne mein -Unbehagen zu verbergen, erwiderte:</p> - -<p>»Glauben Exzellenz im Ernst, daß in Rußland einzig der -Zufall regiert? Einmal mag's Zufall sein und noch einmal -Zufall, aber beim dritten Male lassen Sie doch auch die Weisheit -und den Heldenmut der Führer des Volkes gelten.«</p> - -<p>»Alles ist Zufall, mein Bester, und in allem, was mit -diesem Reiche geschieht, sehe ich neben dem Willen Gottes -bisher nichts als Zufälligkeiten. Hätten deine Altgläubigen -den langen Peter umgebracht, so säßen wir heute noch auf -unserm vielgerühmten Grund und Boden nicht als mächtiger -Staat, sondern als so was, wie die Bulgaren in der -Türkei, und würden diesen selben Polen die Hände küssen.<span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span> -Eins nur gereicht uns zum Lobe: daß unser so viele sind. -Es dauert lang, bis wir einander aufgefressen haben. Das -ist uns eine gute Gewähr für die Zukunft.«</p> - -<p>»Das ist traurig,« sagte ich.</p> - -<p>»Laß dich's nicht bekümmern. Andere Länder bauen auf -ihren Ruhm, unseres wird auch durch Schimpf stark. Aber -nun haben wir genug geredet, ich bin schon müde geworden. -Leb wohl. Und wenn was Schlimmes passiert, komm nur -zu mir und beklage dich. Sieh nicht darauf, daß ich solch -ein verschrumpfter Pilz bin. Der Pilz steht zwar im Wald, -aber man weiß auch in der Stadt von ihm. Und wenn sie -über dich herfallen, so freue dich drüber; wärst du ein Kriecher -oder ein Dummkopf, so täten sie es nicht, sondern würden -dich loben und den andern als Beispiel hinstellen.«</p> - -<p>Nachdem sie gesprochen, wandte sie sich zur Zwergin, -welche während unseres ganzen Gespräches ein Paket in der -Hand hielt, ließ es sich geben, reichte es mir und sagte:</p> - -<p>»Bring das in meinem Namen deiner Pfarrerin, es sind -Korallen, die ich früher getragen, zwei Stück Stoff zu Kleidern, -und Leinwand für den Hausgebrauch. Und für dich -hab' ich hier einen Rubinring.«</p> - -<p>Dieses Geschenk machte mich bei aller schlichten Herzlichkeit, -mit der es überreicht wurde, doch etwas verlegen, und -während ich die Korallenketten, die Seidenstoffe und den hell -leuchtenden Rubin betrachtete, sagte ich: »Exzellenz, ich bin -Ihnen für diese schmeichelhafte Aufmerksamkeit sehr dankbar. -Die Sachen sind aber so prächtig, und meine Gattin ist eine -ganz schlichte Frau …«</p> - -<p>»Nun,« unterbrach sie mich, »um so besser, wenn du eine -einfache Frau hast; wo der Mann und die Frau alle beide die -Hosen anhaben, da kommt nichts Gescheites heraus. Es -ist immer das beste, wenn die Frau ihren Weiberrock anbehält,<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span> -– also mag sie sich aus dem da ein paar Röcke -nähen.«</p> - -<p>Hiermit war unser Gespräch beendet und ich muß gestehen, -diese Frau erfüllte mich mit großer Bewunderung. Was -mich aber am meisten wundert, das ist meine Unsicherheit -ihr gegenüber. Woher kam es, daß mir die Zunge am Gaumen -kleben blieb, als wenn ich etwas zu fürchten hätte? Und -wenn ich dann zu reden versuchte, so kam alles so armselig -heraus. Sie aber lenkte das Gespräch ganz nach ihrer Laune, -und gab ich mir Mühe, recht klug zu scheinen, damit ihre Enttäuschung -nicht gar so groß sei, so achtete sie gar nicht darauf. -Ihre Worte kamen scheinbar ganz unvorbereitet, sie schien's -auf eine Prüfung meines Verstandes nicht abgesehen zu haben, -– und doch kann ich sie nicht vergessen! Worin liegt diese -ihre Gewalt? Ich glaube, in jener feinen Weltbildung, welche -unsere geistlichen Erzieher verachten, ohne zu bedenken, daß sie -uns dadurch der so sehr notwendigen Findigkeit und Gewandtheit -im Verkehr mit Menschen der großen Welt berauben.</p> - -<p>Aber dieser Tag sollte damit noch nicht schließen. Es -kam noch ein seltsames Erlebnis. Kaum hatte ich mich -an der Freude meiner biedern Natascha über die Geschenke -geweidet, da packte auch dieser ehrenwerte Zwerg Nikolai -Afanasjewitsch seine Gaben aus. Zuerst überreichte er mir -ein Paar gestrickte baumwollene Hosenträger, weiß mit roter -Borte, und meiner Gattin ein Kopftüchlein aus zarter Kaninchenwolle. -Während ich noch über die Seltsamkeit dieser neuen -unerwarteten Gaben staunte, entnahm er seiner Tasche ein -Paar wollener Strümpfe für unsere Dienstmagd Axinia, die -eben den Samowar brachte. »Was ist denn das für ein Schenktag!« -rief ich unwillkürlich aus, und wagte nicht, den Geber -durch eine Ablehnung zu kränken. Er antwortete mir, es -seien alles Arbeiten seiner eigenen Hand. »Da ich, dank<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span> -meiner Wohltäterin, nicht zu arbeiten brauche und nichts -anderes gelernt habe, so beschäftige ich mich immer mit -Stricken, um nicht müßig zu sein und die Freude zu haben, -diesem und jenem etwas von meinen Erzeugnissen zu schenken.« -Diese Herzenseinfalt gefiel mir so, daß ich den kleinen -Mann umarmte und ihn mit Küssen fast erstickte.</p> - -<p>Werde ich meinen heutigen Bericht überhaupt je zu Ende -bringen? Mit dem Weggang des Dieners der Bojarin Plodomasowa -nahmen die Wunder des Tages immer noch kein -Ende; denn als Axinia die Türe des Vorzimmers für die -Nacht schließen wollte, entdeckte sie, daß am Kleiderständer -etwas hing, was nicht uns zu gehören schien, und als Natascha -und ich auf ihren Ruf hinauskamen, fanden wir: -erstens einen dunkelbraunen Leibrock aus französischem <em class="antiqua">Gras-de-Naples</em>-Stoff, -zweitens einen reichgestickten Kammgarn-Gürtel -mit purpurroten Bändern, drittens eine Kutte aus -kostbarem, grünem, unzerschnittenem Sammet, und viertens, -in ein langes Stück Kaliko gewickelt, ein vollständiges Meßgewand.</p> - -<p>Wir waren alle ganz verblüfft über diesen Fund und wußten -nicht, wie wir uns seine Herkunft erklären sollten. Da bemerkte -Axinia als erste ein Kärtchen am Knopf des Kragens -der Kutte befestigt, auf dem mit runder Schrift, sozusagen -ägyptischen Stils, geschrieben stand: »Gedenke, mein Freund -Vater Sawelij, in deinen Gebeten der Magd Gottes Marfa.« -Wir wußten uns vor Erstaunen nicht zu lassen, aber was -war zu tun? Indem wir das neue Meßgewand auf dem Tisch -ausbreiteten, erlebten wir eine neue Überraschung. Als -Natascha das Schultertuch auseinanderfaltet, fällt ein versiegeltes -Kuvert mit meiner Adresse heraus, welches fünfhundert -Rubel und einen winzigkleinen Zettel enthält, auf -dem von derselben Hand geschrieben steht: »Damit das Los<span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span> -deiner Familie im Fall eines Unglücks dich nicht beunruhige, -wenn du vor dem Altar stehst, kaufe dir eine Kate und pflanze -Kürbisse an. Dann wirst du ungestörter an den Ausbau des -Gottesreiches denken können.«</p> - -<p>Wofür wird mir das zuteil? Warum denkt sie nicht so, -wie der Konsistorialsekretär und der Schließer, daß es leichter -sei, am Reiche Gottes zu bauen, wenn man nichts habe, -auf dem man sein Haupt hinlege?</p> - -<p>Nun ist auch der Pope Sawelij nicht mehr heimatlos! -Jetzt soll auch er sein Hüttlein haben. Aber ach! Es muß -gesagt werden, dem Zufall verdankt er das!«</p> - -<p>»6. Dezember. Gestern brachte ich das von der Gutsherrin -geschenkte Meßgewand in die Sakristei und heute amtierte -ich darin. Es paßt mir ausgezeichnet. Sonst, wenn -ich die Gewänder meines verstorbenen Vorgängers anlegen -mußte, der von sehr kleiner Statur war, erschien ich langer -Kerl nicht in aller Herrlichkeit der Kirche, sondern sah aus -wie ein Sperling, dem man die Schwanzfedern ausgezupft -hatte.«</p> - -<p>»9. Dezember. Sonderbar! Der Propst zieht mir ein -schiefes Gesicht, aber da ich mir keiner Schuld ihm gegenüber -bewußt bin, bin ich ganz ruhig.«</p> - -<p>»12. Dezember. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen -mir und dem Propst. Weswegen? Wegen des Plodomasowschen -Meßgewandes: es sei nicht in der vorschriftsmäßigen -Weise nach der Kirche geschaffen worden, – und dann fügte -er noch hinzu, es »gingen allerlei Gerüchte, daß Ihr noch -etwas von ihr erhalten hättet«. Soll das etwa heißen, daß -ich nicht alles, was der Kirche zukommt, abgeliefert habe, -sondern etwas davon gestohlen habe?«</p> - -<p>»1. Januar. Segne das neue Jahr mit deiner Gnade, -Herr, und den Popen Sawelij zu seiner neuen Fahrt in die<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span> -Gouvernementsstadt. Ich glaube, daß vor diesen Widersachern -auch kein Weihwasser schützt.«</p> - -<p>»20. Januar. Diese Zeilen schreibe ich in der schmutzigsten -Kammer des bischöflichen Hofes, im Seminarflügel. Dem -Gouverneur ist mitgeteilt worden, daß mein Subdiakon Lukian -den Schismatikern eines ihrer alten Psalmenbücher -zurückgegeben hat, welches mit den andern bei der Aufhebung -der Dejewschen Kapelle konfiszierten Büchern bei mir in Verwahrung -war. Die Begebenheit ist wahr, ich hatte sie aber -verheimlicht, erstens weil sie mir unwichtig dünkte, zweitens, -weil ich den wahren Grund kannte: die Armut, die den -Subdiakon Lukian soweit gebracht hatte. Aber diese Bagatelle -wird mir nun als furchtbares Verbrechen angerechnet, -ich bin unter Aufsicht gestellt und in die Seminarbrauerei -geschickt worden, um Kwas zu brauen.«</p> - -<p>»9. April. Ich habe meine Zeit abgebüßt und bin zum -häuslichen Herde zurückgekehrt. Tief rührten mich die Tränen -meiner Frau, die sich bitter um mich gehärmt hat, aber noch -mehr rührten mich die Tränen der Frau des Subdiakon -Lukian. Von sich schwieg die gute Frau ganz und dankte -nur mir, daß ich für ihren Mann gelitten. Den Lukian selbst -hat man in ein entferntes Kloster verbannt, allerdings nur -für ein Jahr. Die Frist ist so kurz, daß die Seinen nicht umzukommen -brauchen, auch wenn sie nichts zu essen bekommen. -Sie kommen so dem lieben Gott näher, wie die Herrn im -Konsistorium behaupten.«</p> - -<p>»20. April. Der liebenswürdige Zwerg war wieder hier -und teilte mir mit, Marfa Andrejewna hätte angeordnet, -daß ich alljährlich dreimal – zu St. Nikolai im Sommer, -im Winter und zu Epiphanias – aufgefordert werde, in -der Kirche von Plodomasowo die Messe zu zelebrieren, wofür -mir durch den Verwalter ein Gehalt von 150 Rubel, also<span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span> -50 Rubel für jede Messe, abgezahlt werden solle. O diese -Zufälle! Weiß Gott, ich werde bald anfangen, sie zu fürchten.«</p> - -<p>»15. August. Der Glöckner Jewticheitsch ist aus der Gouvernementsstadt -zurückgekehrt und hat erzählt, zwischen dem -Bischof und dem Gouverneur sei ein Zwist wegen einer gegenseitigen -Visite ausgebrochen.«</p> - -<p>»2. Oktober. Das Gerücht vom Visitenstreit bestätigt sich. -Der Gouverneur hat, wenn er an Staatsfeiertagen dem -Gottesdienst im Dom beiwohnt, die Gewohnheit, sich dabei -laut zu unterhalten. Da beschloß der Bischof, ihm dies -abzugewöhnen und schickte seinen Stabträger zu seiner Exzellenz -mit der Bitte, dieselben wollten sich doch anständiger -betragen. Der Gouverneur nahm die Botschaft mit sehr -hochfahrender Miene entgegen und fing nach kurzer Zeit -wieder an, laut mit dem Gendarmenoberst zu sprechen. Diesmal -aber unterbrach der Bischof die Liturgie und sagte vernehmlich: -»Gut, Exzellenz, ich werde warten. Wenn Sie -fertig sind, fahre ich fort.« Ich kann diese Handlungsweise -des Bischofs nur billigen.«</p> - -<p>»8. November. Ich habe das Epigonation erhalten. -Ich weiß nicht, wie ich zu dieser Auszeichnung komme. Soll -ich es etwa dem Visitenstreit zuschreiben und dem Umstande, -daß der Gouverneur mir nicht grün ist?«</p> - -<p>»6. Januar 1837. Wieder eine Neuigkeit! Der Bischof -hat zu Neujahr die Tochter des Gouverneurs zurückgewiesen, -als sie in Handschuhen zu ihm hintrat, um den Segen zu -empfangen. »Zieh erst das Hundefell von deiner Hand,« -sagte er ihr.«</p> - -<p>»17. März. Der Oberpfarrer von der Epiphaniaskirche -kam nachts mit dem Venerabile von einem Kranken und wurde -von einer Patrouille auf die Polizeiwache gebracht, – angeblich -weil er betrunken war. Am nächsten Tage machte ihm der<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span> -Bischof einen Besuch im vollen Ornat. O du polackischer -Kanzleivorsteher, dieses Stücklein kann dir teuer zu stehen -kommen!«</p> - -<p>»18. Mai. Der Bischof ist in eine andere Diözese versetzt -worden.«</p> - -<p>»16. August. Ich war beim neuen Bischof. Er scheint ein -verständiger und charakterfester Mann zu sein. Wir sprachen -über die Lage der Geistlichkeit und er befahl mir, einen Bericht -darüber aufzusetzen. Er sagte, ich wäre ihm von seinem Vorgänger -aufs beste empfohlen worden. Dank dir, armer, -schmählich geschlagener Alter, für dein gutes Wort!«</p> - -<p>»25. Dezember. Ich weiß nicht, was ich von mir denken -soll, wozu ich geboren und berufen bin. Meine Pfarrerin -macht mir Vorwürfe, daß ich sogar am heutigen Weihnachtstage -arbeite, aber es gibt für mich kein schöneres Vergnügen -als diese Arbeit. Ich schreibe meinen Bericht über die Lage -der Geistlichkeit mit einer Freude und einer Liebe, die ich -gar nicht auszudrücken vermag. Betitelt habe ich die Schrift: -»Über die Lage der orthodoxen Geistlichkeit und über die -Mittel, durch welche sie zum Nutzen der Kirche und des -Staates gebessert werden könnte.« Ich glaube, es ist gut -so. Nie noch habe ich mich so glücklich und so stolz gefühlt, -so gütig und so reich an Kraft und Verstand.«</p> - -<p>»1. April. Mein Bericht ist dem Bischof eingereicht. -Meine Pfarrerin meinte, ich hätte es heute nicht tun sollen; -denn der erste April sei ein trügerischer Tag. Wollen sehen.«</p> - -<p>»10. August. Ich bin Oberpfarrer geworden.«</p> - -<p>»4. Januar 1839. Heute kam ein Schreiben aus dem -Konsistorium und mein ahnungsvolles Herz schlug freudig, -– aber es bezog sich nicht auf meinen Bericht, sondern meldete -nur, daß mir das Brustkreuz verliehen sei. Vielen, vielen -Dank. Aber das Schicksal meines Berichts bekümmert mich doch.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span></p> - -<p>»8. April. Ich bin zum Propst ernannt. Von meinem -Bericht ist immer noch nichts zu hören. Ich weiß nicht, wie -man diese Posaunen zum Tönen bringen soll.«</p> - -<p>»10. April 1840. Nun bin ich schon ein Jahr Propst. Von -meinem Bericht ist immer noch nichts zu vernehmen. Der -Aberglaube der Pfarrerin ist doch nicht so unvernünftig. -Heute machte sie mich wieder lachen: sie meinte, ich hätte -meine Sache vielleicht sehr gut geschrieben, aber nicht richtig -unterschrieben.«</p> - -<p>»20. Juni 1841. Ich ging trocken mitten durch das Meer -und ward gerettet von der Ägypter Bosheit, darum will ich -lobsingen dem Herrn, solange ich lebe … Was hat sich mit -mir begeben? Was habe ich erdulden müssen und wie bin ich -nach alledem wieder an Gottes Tageslicht gekommen? Neugierig -bin ich, was du wohl tun magst, du Dichter von Fabeln, -Balladen, Erzählungen und Romanen, wenn du in dem -Leben, das dich umgibt, keine Fäden zu entdecken behauptest, -die es wert wären, in deine vergnüglich zu lesende Fabel -geflochten zu werden? Oder kümmert dich, der du der Menschen -Sitten zu bessern dich vermissest, jenes wirkliche Leben -gar nicht, das die Erdenmenschen leben, sondern suchest du -nur nach einem Vorwand zu leerem Geschwätz? Ist dir -bekannt, was für ein Leben ein russischer Pope führt; dieser -»unnütze Mensch«, den man deiner Meinung nach vielleicht -unnötigerweise herbeirief, deinen Eintritt ins Leben zu begrüßen, -und den man abermals – auch wider deinen Willen -– rufen wird, daß er dich zum Grabe geleite? Weißt du, -daß das elende Leben dieses Popen nicht arm ist, sondern -überreich an Nöten und Abenteuern, – oder meinst du, daß -seinem Weihrauchherzen edle Leidenschaften fremd sind und -daß es keine Schmerzen empfindet? Oder willst du von deiner -Dichterhöhe mich, den Popen, deiner Aufmerksamkeit überhaupt<span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span> -nicht würdigen? Oder wähnst du, meine Zeit sei schon -vorbei, und das Land, das dich und mich geboren und aufgezogen, -brauche mich nicht mehr? O du Blinder, sage ich, -wenn du das erste denkst; o du Narr, sage ich, wenn du das -zweite denkst und dich bemühst, nicht mich aufzurichten und -zu beleben, sondern einen Stein auf mich zu wälzen und -des Erstickenden zu spotten.</p> - -<p>Aber ich wende mich vom Philosophieren zu jener Begebenheit, -die mich philosophieren gemacht hat.</p> - -<p>Ich bin nicht mehr Propst und hätte fast auch mein Priesteramt -verloren. Wofür? Dafür! Ich will die ganze Geschichte -ausführlich erzählen. Im März dieses Jahres besuchte -der Gouverneur auf der Durchreise unsere Stadt, aus -welchem Anlaß der Adelsmarschall ein Fest gab. Ich benutzte -diese Gelegenheit, um mich beim Gouverneur über -die Gutsherren zu beschweren, welche ihre Bauern mit Arbeiten -auch an Sonntagen und sogar an den zwölf großen -Festtagen überhäufen, so daß das arme Volk noch ärmer -wird, denn in vielen Dörfern ist jetzt weder Roggen noch -Hafer zu finden. … Kaum aber hatte ich dieses Wort »Hafer« -ausgesprochen, als der hohe Herr in heftigen Zorn geriet, -von mir abrückte, als wäre ich ein giftiges Tier, und schrie: -»Was kommt Ihr mir mit Eurem Hafer auf den Hals?« -Und dann ging es los: ich bin dies und das und jenes, – -und zuletzt: »Ich bin doch nicht der heilige Nikolaus, ich handle -nicht mit Hafer!« Das konnte ich nicht dulden und erwiderte: -»Ich muß Eure Exzellenz, als eine mit den Glaubenslehren -wenig bekannte Persönlichkeit, vor allem darauf -aufmerksam machen, daß St. Nikolaus Bischof war und -keinerlei Handel trieb. Ferner aber müßten Sie wissen, -daß unser rechtgläubiges Volk der Priester und Diakonen -bedarf, denn das ist bisher das Einzige, was wir noch nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span> -von den Deutschen übernommen haben.« Der Gouverneur -lachte boshaft und sagte: »Nur keine Furcht, Herr Pfarrer, -wenn der Pfuhl erst da ist, kommen die Teufel von selbst.« -Diese letzte Rede war für mich bitterer als die erste. Wer -sind diese Teufel, und was meint dein Schandmaul mit dem -Pfuhl? So dachte ich im Zorne und konnte nicht stillschweigen, -sondern sagte zu dem Herrn, daß ich aus Achtung vor meinem -Amte ihn auch diesmal nicht als Teufel bezeichnen wolle. -Und was war die Folge? Heute bin ich Propst <em class="gesperrt">gewesen</em>, -und ich danke dir, Herr, mein Gott, daß ich nicht auch des -Priesteramtes beraubt und exkommuniziert bin. Nein, solche -Dinge mögt ihr modernen Geschichtenschreiber nicht behandeln. -Ihr denkt nicht daran, den Leuten zu erzählen, wie schwer -mir ums Herz ist.«</p> - -<p>»3. September. Das Herbstwetter stimmt mich unsagbar -trübe. Ich war gewohnt, immer in Tätigkeit zu sein, und -nun quält mich das Nichtstun. Ich treibe die Torheit schon -so weit, daß ich oft insgeheim, wenn meine Gattin es nicht -sehen kann, still für mich weine.«</p> - -<p>»27. Januar 1842. Ich habe mir bei einem Juden für -sieben Rubel eine Spieldose und ein Damespiel gekauft.«</p> - -<p>»18. Mai. Ich habe mir einen Zeisig angeschafft und lehre -ihn zur Spieldose singen.«</p> - -<p>»2. März 1845. Drei Jahre sind vergangen, ohne daß sich -in meinem Leben etwas geändert hätte. Ich habe mein -Haus bestellt und in den Kirchenvätern und Geschichtschreibern -gelesen. Zu zwei Schlüssen bin ich gekommen und -möchte sie gerne beide für falsch halten. Der erste ist, daß -das Christentum in Rußland überhaupt noch gar nicht gepredigt -worden ist, und der zweite, daß die Ereignisse sich -wiederholen und man sie voraussagen kann. Über den ersten -Schluß redete ich einmal mit meinem sehr verständigen Amtsbruder,<span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span> -dem Vater Nikolaus, und war sehr erstaunt, wie er -das aufnahm und mir beistimmte. »Ja,« sagte er, »das -ist unbestreitbar, wir werden in Jesu Namen getauft, aber -wir nehmen Jesum nicht in uns auf.« Also bin ich es nicht -allein, der das sieht, andere sehen es auch. Warum erscheint -es aber ihnen allen nur lächerlich, während es mich bis aufs -Blut peinigt.«</p> - -<p>»Neujahr 1846. Es sind mehrere Polen zu uns in die -Verbannung geschickt. Über das Schicksal meines Berichts -ist mir noch immer nichts bekannt. Ich interessiere mich -lebhaft für die politischen Wirren, die im Westen im Anzuge -sind und habe in Anbetracht dessen eine politische Zeitung -abonniert.«</p> - -<p>»6. Mai 1847. Es sind noch zwei neue Polen zu uns gekommen, -der Pater Aloysius Konarkiewicz und Pan Ignacij -Czemernicki. Letzterer ist noch ein ganz junger Mann, aber -bereits eine komplette Kanaille. Unsere Stadthauptmannsfrau, -die ja selber Polin ist, hat sich mit einem ganzen Schwarm -von Landsleuten umgeben und begünstigt letzteren vor allen -anderen.«</p> - -<p>»20. November. Ich bemerke etwas ganz Erstaunliches und -Unbegreifliches. Die Polen werfen sich bei uns geradezu zu -Herren auf. Man kann durch sie bei der Gouvernementsverwaltung -alles erreichen, denn der Czemernicki erweist sich -als intimer Freund jenes Kanzleivorstehers, den ich in so -guter Erinnerung habe.«</p> - -<p>»5. Februar 1848. Was ich mein Lebtag nicht hatte tun -wollen, habe ich jetzt getan. Ich habe mich über die Polen -beschwert, denn ihr Benehmen übersteigt jegliches Maß. -Nicht genug, daß sie sich seit langem schon öffentlich über die -Zeitungsmeldungen lustig machen und behaupten, es sei -gar nicht so, wie die Blätter berichteten, sondern gerade umgekehrt:<span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span> -nicht wir schlügen die Feinde, sondern wir würden -geschlagen, – sie gehen auch schon von bloßen Worten zu -Taten über. Bei der Totenmesse für die gefallenen Krieger -erhoben sie mit der Stadthauptmannsfrau ein derart unziemliches -Gelächter, daß der Oberpfarrer einen Kirchendiener -zu ihnen schickte mit der Bitte, sich entweder ruhig -zu verhalten oder die Kirche zu verlassen, worauf sie lächelnd -hinausgingen. Und als wir mit dem Klerus nach Beendigung -des Gottesdienstes am Kolonialwarenladen der Gebrüder -Lialin vorübergingen, trat einer von den Polen mit -einem Glase Punsch in der Hand vor die Tür und rief, die -Stimme des Diakons nachahmend: »Mir noch 'nen Heißen!« -Ich begriff, daß es eine Verspottung des »Kyrie eleison« -sein sollte, und habe es in meiner Beschwerde auch so erwähnt.«</p> - -<p>»1. April. Abends. Meine Beschwerde über das Benehmen -der Polen hat, so scheint es, wenn auch spät, doch -eine gewisse Wirkung gehabt. Heute früh kam der Chef der -Gendarmen in die Stadt und berief mich zu sich und fragte -mich lange nach allen Einzelheiten. Ich erzählte ihm, wie -es gewesen, und er teilte mir mit, daß all diesen polnischen -Gemeinheiten bald ein Ende gemacht werden solle. Ich -fürchte nur, daß alles dies wieder mal, recht zum Possen, -am ersten April gesagt sein wird. Ich fange an zu glauben, -daß dieser Tag wirklich ein trügerischer Tag ist.«</p> - -<p>»7. September. Der erste April scheint diesmal doch nicht -getrogen zu haben. Konarkiewicz und Czemernicki sind beide -in die Gouvernementsstadt versetzt worden.«</p> - -<p>»25. November. Unser Stadthauptmann nebst Gemahlin -haben uns verlassen. Er ist zum Polizeimeister in der Gouvernementsstadt -ernannt worden. <em class="gesperrt">Die</em> Strafe ist noch zu ertragen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span></p> - -<p>»5. Dezember. Der neue Stadthauptmann ist angekommen. -Er nennt sich Hauptmann Mratschkowskij. Der Name -kommt vom Worte »<em class="antiqua">mrak</em>« – die Finsternis. O Herr, Du allein -weißt, wann auch etwas vom Licht zu uns kommen wird!«</p> - -<p>»9. Dezember. Heute war ich beim neuen Stadthauptmann -zum Frühstück. Liebenswürdig sind sie beide, er sowohl -wie die Gattin. Nachdem er gehörig getrunken hatte, sang -er uns vor: »Denkst du daran, mein tapfrer Kampfgenosse?« -Und sein Söhnchen, ein munterer Bub in einem russischen -Hemd, sang auch: »Heil dir, Meister Frost, bist ein wackrer -Russe!« Das sind mir doch Neuigkeiten! Aus dem Gespräch -mit besagtem Mratschkowskij ist mir vor allem die -Geschichte von einem Professor der Moskauer Universität -bemerkenswert, der seinen Abschied erhalten haben soll, weil -er in einer Festrede gesagt hatte: »<em class="antiqua">Nunquam de republica -desperandum</em>«, – was bedeuten sollte: man darf niemals -am Staat verzweifeln. Aber ein Kanzleiweiser legte es so -aus, er hätte sagen wollen, man dürfe nie an der <em class="gesperrt">Republik</em> -verzweifeln. Daraufhin ward der Professor gebeten, sein -Entlassungsgesuch einzureichen. Es ist kaum glaublich.«</p> - -<p>»20. Dezember. Nein, der erste April ist nicht nur trügerisch, -sondern auch rätselhaft. Ich will hier nicht alles erzählen, -was mir bei meiner diesmaligen Fahrt nach der -Gouvernementsstadt widerfuhr; nur das eine sei gesagt, -daß ich beschimpft und geschmäht worden bin in jeder Weise. -Es fehlte nur noch, daß sie mich für meine Beschwerde geschlagen -hätten. Ich weiß nicht, wem ich es zu verdanken -habe, da <em class="gesperrt">er selbst</em> auf mich losfuhr und mich anschrie, man -hätte meine Ränke schon satt; ich vermochte nichts zu erwidern, -denn so wie ich nur die Lippen bewegte, hieß es gleich: -»Schweig!« So mußte ich alles hinunterschlucken und bin -nun wieder daheim. Wie eine Henne, die man mit Nesseln<span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span> -verprügelte. Nur das eine begreife ich nicht: warum erklärt -man meine Tat, die ja vielleicht unvorsichtig war, durch nichts -anderes, durch meine Unbildung oder durch mein Ungeschick, -sondern – was meint ihr wohl? – durch Mißgunst! Weil -nämlich jene Polen mich nicht in ihre Gesellschaft aufgefordert -und mich nicht trunken gemacht, – obzwar ich, Gott -sei gelobt, niemals ein Trinker gewesen. Von diesem Geringen -auf das Große schließend, gedenke ich der Worte der -französischen Jungfrau Charlotte Corday d'Armont, welche -sie in ihrem letzten Brief vor ihrer Hinrichtung schrieb, daß -sich nämlich »unter den neuen Völkern wenig Patrioten -fänden, welche die einfache patriotische Leidenschaft verstehen -und an die Möglichkeit, ihr Opfer zu bringen, glauben können. -Überall nur Egoismus und alles wird durch ihn erklärt.« -Wenn ich nur unsere Leute sehe, so bin ich geneigt, Charlotte -Corday d'Armont recht zu geben, richte ich meinen Blick dann -aber auf die Polen, denen jeder Zugvogel ein Lied von der -Heimat singt, oder auf unsere Altgläubigen, die trotz allen -Kränkungen und Unterdrückungen nicht aufhören, ihr russisches -Land zu lieben, dann muß ich ihr widersprechen und -behaupten, es gibt doch noch Vaterlandsliebe unter den Menschen. -So weit kommt man auf seine alten Tage, daß man -sogar an den Polacken etwas zu loben findet! Allein ich -will mich fortan an das Wort halten, das ich neulich so viele -Male zu hören bekam: »Schweig!« <em class="antiqua">Nunquam de republica -desperandum.</em>«</p> - -<p>»2. Januar 1849. Ich bin bei allen Altgläubigen gewesen -und habe mir die Silberlinge herausschicken lassen. Ich -kann mich dem nicht mehr widersetzen, allein es tut mir hin -und wieder bitter weh. Ich mußte es aber tun, damit meine -Pfarrerin nächstens nicht noch zur Subdiakonsfrau wird, denn -nach dem, was ich erlebt habe, ist alles möglich.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span></p> - -<p>»1. Januar 1850. Das Jahr ist still und friedlich dahingegangen. -Ich habe meine Wohltäterin, Marfa Andrejewna -Plodomasowa, zu Grabe getragen. Sie starb, nachdem sie -fünf Kronenträger überlebt hatte: Elisabeth, Peter, Katharina, -Paul und Alexander; mit zweien von ihnen hat sie -auf Gesellschaften getanzt. Nächstes Jahr will ich einen Anbau -an mein Häuschen machen, denn ich bin einer Schwäche -verfallen: ich finde viel Vergnügen am Preferance-Spiel -und habe mir aus Langerweile das Rauchen angewöhnt, das -macht neue Ausgaben. Anfangs rauchte ich nur spaßeshalber -beim Stadthauptmann, aber jetzt habe ich mir auch -zu Hause allen Zubehör angelegt. Eigentlich sollte ich es -lassen.«</p> - -<p>»10. Januar 1857. Ich erkenne mich selbst nicht mehr. -Sieben Jahre lang keine einzige Zeile hier hineingeschrieben. -Mein Leben ist seltsam, denn es ist ein sattes und behagliches -geworden. Ich las eben alles nach, was ich seit dem Tage -meiner Ordination eingetragen. Es ist bemerkenswert, wie -so ganz anders ich in diesen Jahren die Dinge betrachten -gelernt habe. Ich kämpfe nicht mehr, belästige niemand und -werde von keinem belästigt. Steter Tropfen höhlt den Stein!«</p> - -<p>»20. Oktober. An Stelle unseres entschlafenen Diakons, -des sanften Prochor, ist aus der Gouvernementsstadt ein -neuer Diakon eingetroffen, namens Achilla Desnitzyn. -Dieser ist größer und dicker als wir alle. Wenn man seine -Physiognomie und seine Statur betrachtet, muß man die -Schöpferkraft der Natur bewundern. Am meisten aber gefällt -mir an dem Manne seine Gutmütigkeit. Er zeigte mir -die Abschrift seines Zeugnisses aus dem Seminar, in dem -geschrieben stand: »Sittliches Verhalten gut, aber sehr tragfähig.« -Was bedeutet denn das? fragte ich. »Ach, nichts -von Belang,« erklärte er, »als ich wegen Fieber im Seminarlazarett<span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span> -lag, trug ich den kranken Theologen heimlich Schnaps -zu. Und zwar in gehöriger Quantität.««</p> - -<p>»7. Dezember. Der Subdiakon Sergej macht mich darauf -aufmerksam, daß unser neuer Diakon Achilla ein wenig vorlaut -ist: aus falschem Ehrgeiz gibt er vielen Betern vom -Lande heimlich den priesterlichen Segen. Ich habe ihm gesagt, -daß er sich das in Zukunft nicht unterstehen dürfe.«</p> - -<p>»15. August. Auf einem Festmahl beim Stadthauptmann -kam es fast zu einem Skandal, wieder durch einen Streit um -den Verstand, und das erinnerte mich an den alten Streit, -der mich einst so lachen gemacht. Der Diakon Achilla und der -Arzt stritten über mich. Der Arzt leugnete meinen Verstand, -der Diakon pries ihn himmelhoch. Auf ihren Lärm und besonders -auf das Geschrei des Arztes kamen wir ins Zimmer -und sahen den Arzt hoch oben auf dem Schranke sitzen und -verzweifelt mit den Beinen strampeln und stoßen. Achilla -aber saß seelenruhig mitten im Zimmer in einem Lehnstuhl -und meinte: »Nehmt ihn bitte nicht herunter, ich habe ihn -sozusagen an Wasserflüssen Babylons an die Weiden gehängt -für seine Widerspenstigkeit.« Ich konnte mich des -Lachens kaum erwehren, hielt aber dem Diakon eine ordentliche -Strafpredigt und sagte ihm, Gewalt sei kein Beweis. -Er aber machte mir dafür eine tiefe Verbeugung und wandte -sich hierauf zum Arzte: »Nun? Jetzt siehst du's wohl selbst, -daß er der Justizminister ist.« Es ist wunderbar, wie dieser -kosakische Diakon es gleichsam fühlt, daß ich ihn von ganzem -Herzen liebhabe. Ich weiß selbst nicht warum. Aber er hat -mich auch lieb.«</p> - -<p>»25. August. Welch große Freude! Die katholische Geistlichkeit -in Litauen hat Nüchternheitsvereine gegründet: sie -predigen gegen die Trunksucht, und die Trunksucht läßt nach. -Die Leute kommen zur Vernunft und die Blutsauger, die<span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span> -Branntweinpächter, platzen. Ach, wie gern würde ich auch -in dieser Art predigen!«</p> - -<p>»5. September. In einigen orthodoxen Gemeinden ist -dasselbe versucht worden. Ich fürchte, ich halt's nicht aus -und sage ein Wort! Aber da ich ohne Zensur nicht predigen -darf, so will ich eine schlaue Intrige einfädeln und einen -Mäßigkeitsverein gründen. Was soll man machen, notgedrungen -folgt man dem Beispiel des Ignatius Loyola, wenn -man auf geradem Wege nicht gehen darf.«</p> - -<p>»7. Oktober. Wir haben die Statuten unseres Vereins -entworfen, aber bestätigt ist er noch nicht. Dagegen schreibt -man, daß der Branntweinpächter sich bei dem Minister über -die Prediger beklagt habe, welche das Volk vom Trinken abhalten. -O du freche Kanaille! Wagst es noch zu klagen, und -noch gar dem Minister gegenüber!«</p> - -<p>»20. Oktober. Eine wahnsinnige Nachricht! Die Zeitungen -melden, im Juli dieses Jahres hätten die Branntweinpächter -beim Minister des Innern über die orthodoxen -Geistlichen, welche das Volk zur Nüchternheit anhalten, Beschwerde -geführt, und der Herr Minister hätte sie dem -Oberprokurator des Heiligen Synods weitergegeben, welcher -geantwortet hätte, daß der Synod den Geistlichen seinen Segen -gebe, an dem verdienstlichen Werke des Kampfes gegen den -Mißbrauch berauschender Getränke nach Kräften mitzuwirken. -Aber die Pächter gaben sich nicht zufrieden und petitionierten -noch einmal um Aufhebung der Verordnung des -Heiligen Synods. Hierauf soll der Finanzminister dem -Oberprokurator des Heiligen Synods mitgeteilt haben, daß -ein völliges Verbot des Gebrauchs geistiger Getränke nicht -zulässig sei, wenn es durch religiöse Drohungen, die stark -auf das Gemüt des einfachen Mannes wirken, und durch -Ablegung von Gelübden durchgesetzt werde, weil dieses nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span> -nur der allgemeinen Anschauung von dem Nutzen eines -mäßigen Weingenusses widerspreche, sondern auch gegen die -gesetzlichen Verordnungen verstoße, auf Grund deren die Regierung -die Schanksteuern verpachtet habe. Infolgedessen -soll eine Verordnung getroffen worden sein, die Beschlüsse -der Stadt- und Landgemeinden bezüglich der Branntweinverbote -aufzuheben und keinerlei Gemeindeversammlungen -in dieser Angelegenheit mehr zuzulassen. Sauf, mein armes -Volk, sauf dich zu Tode!«</p> - -<p>»8. November. Am Tage des Anführers aller heiligen -und himmlischen Heerscharen, des Erzengels Michael, ward -mir von der hohen Obrigkeit eine ellenlange Nase zuteil. -Nicht nur von dem verbrecherischen Plan der Gründung eines -Mäßigkeitsvereins hätte ich lassen sollen, sondern auch predigen -dürfte ich nicht darüber, in Anbetracht von diesem und -jenem und aus solchen Erwägungen und derartigen Rücksichten -… bloß der einfache Nutzen der Menschheit zählt -nicht mit … Aber habe ich nicht schon genug davon geschrieben? -Soll ich denn immer nur meine eigene Schmach -zu Papier bringen?«</p> - -<p>»1. Januar 1860. Sogar den Jahresbeginn lasse ich jetzt -unbeachtet! Wie heiß faßte ich früher alles auf und wie -gleichgültig bin ich jetzt geworden. Meine Pfarrerin Natalia -Nikolajewna sagt freilich, ich wäre auch heute noch geradeso -wie einst, aber wie könnte das sein! Ihr mag das mitunter -wohl so vorkommen, denn auch sie hat mittlerweile das Alter -der Mutter Sarah erreicht, ich aber sehe das besser … Der -Leib ist gesund und sogar fett, aber was nutzt das, wenn die -Seele schon gleichsam mit einer Rinde zu bewachsen beginnt.«</p> - -<p>»27. März. Frühlingslüfte wehen und die Wasserbäche -stürzen von den Hügeln. Der Diakon Achilla bringt schon -seine Sättel in Ordnung und wird bald wieder als Steppenkirgise<span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span> -dahersprengen. Wohl ihm, daß er sich die Zeit so vertreiben -kann.«</p> - -<p>»23. April. Achilla erschien heute mit Sporen, die er sich -für seine Spazierritte eigens von Pizonskij hatte anfertigen -lassen. Schlimm, daß er in Nichts Maß zu halten versteht -und jedes Ding gleich bis zum Äußersten treiben muß. Um -ihn sofort in seine Schranken zu weisen, brach ich mit einem -einzigen Tritt die Sporen von den Stiefeln des Achilla ab -und verbot ihm zur Strafe für diese Albernheit das Reiten -für dieses ganze Jahr. Somit muß er mir jetzt Buße tun. -Was soll man aber machen, wenn er nicht anders gebändigt -werden kann? Er ist imstande und gürtet sich nächstens noch -ein Schwert um.«</p> - -<p>»14. September. Der Subdiakon Sergej kam heute angeblich -nach einer Bütte zu Sauerkraut und erzählte mir -dabei scheinbar ganz von ungefähr, daß diesen Abend in -der Scheune der Ziegelei ein zugereister Komödiant einen -Riesen und Kraftmenschen vorführe, und der Diakon Achilla -der Vorstellung beiwohnen wolle. Einen gemeinen und hinterhältigen -Charakter hat dieser Sergej.«</p> - -<p>»Am 15ten. Ich habe mir die Vorstellung angesehen. -Ohne selbst gesehen zu werden, schaute ich durch eine Ritze -im Hintertor. Achilla war wirklich da, aber nicht bloß als -Zuschauer, sondern sozusagen als Mitwirkender. Er erschien -in einem mächtigen Schafpelz, dessen Kragen hochgeschlagen -war, und hatte ein gemustertes Tuch umgebunden, das seine -Haare und den größten Teil des Gesichts bis an die Augen -verdeckte. Ich erkannte ihn sofort, was nicht schwer war, weil -er, als der vom Komödianten vorgeführte Riese und Athlet -in fleischfarbenem Trikot erschien, in jeder Hand ein Fünf-Pud-Gewicht, -und damit, ein wenig schwankend, die Bänke -entlang wanderte, sich so weit vergaß, daß er mit seiner gewöhnlichen<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span> -Stimme laut rief: »Was ist denn an all dem so -Wunderbares?« Als hierauf der Riese in frechem Ton -fragte, ob jemand mit ihm ringen wolle, und sich keine Liebhaber -für solch einen Wettstreit fanden, trat Achilla, das -Gesicht tief in das gemusterte Tuch vergrabend, vor und griff -den Riesen an. Ich meinte, ihre Knochen müßten zerbrechen. -Aber endlich überwand Achilla jenen hochmütigen Deutschen, -und nachdem er ihm die Beine kreuzweis übereinandergelegt, -wie man in feinen Häusern die gebratenen Poularden serviert, -nahm er jene zehn Pud und den Kraftmenschen selber -und begann mit dieser ganzen Last vor dem Publico auf- und -abzugehen. Alles schrie »Bravo!« Am wunderbarsten aber -war das Finale, das mein guter Achilla zum besten gab. -»Meine Herrschaften,« wandte er sich ans Publikum, »vielleicht -fällt es jemandem ein, zu behaupten, ich wäre wer -anders. Bitte seid so gut und spuckt dann dem Kerl ins -Gesicht, denn ich bin bloß der Kleinbürger Iwan Morozow aus -Sewsk.« Als ob ihn jemand um diese Erklärung gebeten -hätte. Aber mir war das doch immerhin eine recht heitere -Zerstreuung. Ach, wie geht unser Leben dahin! Wie ist es -schon hingegangen! Als ich von der Schaustellung wieder -heimging, kamen mir Tränen in die Augen – ich weiß -selbst nicht weshalb. Ich fühlte nur das eine, daß etwas -da ist, das ich beweinen muß, wenn ich an die kühnen Pläne -meiner Jugend denke und sie mit dem weiteren Verlauf -meines Lebens vergleiche! Als mir einst jene große Kränkung -widerfuhr, da träumte ich, ich könnte immer noch ein -würdig Leben führen, nicht im Wirken nach außen, sondern -in stiller Arbeit an der eigenen inneren Vervollkommnung; -aber ich bin kein Philosoph, sondern ein Bürger; mir ist -das nicht genug: ich plage mich und leide ohne Tätigkeit, -und darum kann ich die Lebhaftigkeit meines lieben Achilla<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span> -nicht immer verurteilen. Gott verzeihe ihm und segne seine -entzückende Herzenseinfalt, in der ihn alles erfreut und erheitert. -Dem Subdiakon Sergej habe ich gesagt, er hätte -gelogen, und ich habe ihm verboten, noch weiter gegen den -Achilla zu hetzen. Ich fühle, daß ich mit aller Schwäche -eines Vaters diesen guten Menschen liebgewonnen habe.«</p> - -<p>»14. Mai 1861. In was für seltsame Dinge kann den -Menschen sein Leichtsinn verwickeln! Als ob wir nicht auch -ohne den Diakon Achilla Hansnarren genug hätten. Der -Stadthauptmann wollte bei seinem Schwiegervater, dem -Verwalter der fürstlichen Güter Glitsch, ein Pferd für sein -Sechsgespann kaufen, welches dieser aber nicht zu verkaufen -gedachte. Da haben sie gewettet, daß der Stadthauptmann -in den Besitz des Pferdes gelangen werde. Darauf -hat der Stadthauptmann einen beschäftigungslosen Kleinbürger, -namens Danilka, den sie hier den Kommissar nennen, -für zwei Rubel gedungen, ihm das Pferd beim Herrn Glitsch -zu stehlen. Einen zum Diebstahl anzustiften paßt sich vorzüglich -für einen Stadthauptmann – sei es auch nur -im Scherz. Was aber das Tollste war: mein Achilla erbot -sich, dem Danilka bei dieser Sache zu helfen. Wieder war -es der Subdiakon Sergej, der mir davon Mitteilung machte, -und ich ließ den Achilla rechtzeitig zu mir kommen, um ihn -für diesen Tag unter Aufsicht meiner Natalia Nikolajewna, -für die er Butter schlagen mußte, zu stellen; nachts jedoch -ließ ich ihn in meiner Stube auf dem Fußboden schlafen, -und, damit er sich nicht davonmachen könne, verwahrte ich -seine Kleider und Schuhe bis zum Morgen unter Schloß -und Riegel. Heute früh aber wurden wir durch einen großen -Lärm aufgeweckt: Nach dem Hause des Stadthauptmanns -jagte ein mit drei Pferden bespannter Leiterwagen, in dem -der Kommissar Danilka zwischen zwei Bauern saß und wie<span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span> -ein Wahnsinniger schrie. Wir gingen hinaus, um zu erfahren, -aus welchem Grunde er so brüllte, und sahen, wie -man dem Danilka die Hosen herunterzog, die ganz mit -Nesseln vollgestopft waren. Es stellte sich heraus, daß der -Herr Glitsch ihn ertappt und zur Strafe in die Nesseln gesetzt -hatte, worauf die Gutsknechte ihn zu dem zurückgeschafft -hatten, der ihn ausgesandt. Ich fragte den Diakon, wie ihm -wohl zumute gewesen wäre, wenn er das Schicksal des Danilka -hätte teilen müssen? Er erwiderte, das hätte ihm nicht -passieren können. Wenn selbst ihrer zehn über ihn hergefallen -wären, würde er sich ihnen nicht ergeben haben. »Nun, und wenn -es zwanzig gewesen wären?« fragte ich. »Ja, mit zwanzig,« -meinte er, »wär' ich auch nicht fertiggeworden,« und erzählte, -wie er einmal als Schüler mit seinem Bruder zu den Ferien -nach Hause gewandert wäre und sie gleichzeitig mit einer -vorüberziehenden Abteilung Soldaten einen Holderstrauch -mit ein paar Zweigen voller Beeren bemerkt, sich auf diese -doch fast zu nichts zu gebrauchenden Beeren gestürzt hätten – -Achilla und sein Bruder und an die vierzig Soldaten. »Es -kam,« sagte er, »zwischen uns zu einem gewaltigen Handgemenge -und mein Bruder Finogescha blieb für tot liegen.« -Wie naiv und einfach das ist! Jede seiner Geschichten ist -ein Ereignis! Das Leben ist ihm wirklich keinen Heller wert!«</p> - -<p>»29. September 1861. Aus der Gouvernementsstadt ist -der Sohn der Hostienbäckerin von St. Nikita, der Marfa -Nikolajewna Prepotenskaja, Warnawa, hier eingetroffen. Er -hat das Seminar als einer der ersten absolviert, aber nicht -Geistlicher werden wollen und ist jetzt als Rechenlehrer an -der hiesigen Kreisschule angestellt. Auf meine Frage, warum -er den geistlichen Stand verschmäht habe, antwortete er -kurz, er wolle kein Betrüger ein. Ich konnte diese dumme -Antwort nicht ungerügt lassen und sagte ihm, er sei ein Narr.<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span> -Aber so gering ich auch diesen Menschen und alle seine Meinungen -achte, seine Antwort hat mir doch weh getan, wie -der Stich einer giftigen Wespe.«</p> - -<p>»27. Dezember. Achilla legt mitunter einen derartigen -Leichtsinn an den Tag, daß man in seinem eigenen Interesse -hart gegen ihn sein muß. Der schon mehrfach erwähnte -Konstantin Pizonskij bat ihn jüngst, er möge den Knaben, -den der arme Alte bei sich aufgenommen und großgezogen, -ein recht schönes Gedicht lehren, mit dem das Kind den Bürgermeister -zum Weihnachtsfest beglückwünschen könne, – -Achilla hat sich gleich dazu bereit erklärt und dem Buben -folgende Verse beigebracht:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Heute ward unser Heiland geboren.<br /></span> -<span class="i0">Herodes hat den Verstand verloren.<br /></span> -<span class="i0">Herr Bürgermeister ehrenwert,<br /></span> -<span class="i0">Werd' Euch von Gott das gleiche beschert!<br /></span> -</div></div> - -<p>Nein, man muß ihn mit mehr Strenge behandeln.«</p> - -<p>»1. Januar 1862. Der Arzt hat in Erfüllung seiner Amtspflicht -die Leiche eines plötzlich Verstorbenen geöffnet, und -der Lehrer Warnawa Prepotenskij ist mit mehreren Schülern -der Kreisschule zur Sektion gekommen, um sie mit den Grundbegriffen -der Anatomie bekannt zu machen. In der Klasse -hat er sie später gefragt: »Habt ihr den Körper gesehen?« -– »Ja,« sagten die Knaben. – »Und die Knochen habt ihr -gesehen?« – »Die Knochen auch.« – »Habt ihr alles gesehen?« -– »Alles.« – »Habt ihr auch die Seele gesehen?« -– »Nein, die Seele haben wir nicht gesehen.« – »Nun, -wo ist sie denn?« Und so bewies er ihnen, daß es keine Seele -gäbe. Ich machte den Inspektor konfidentiell darauf aufmerksam -und sagte, daß ich bei der nächsten Direktorenrevision -bestimmt die Rede darauf bringen würde.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span></p> - -<p>Nun bist du wieder nötig geworden, armer Pope! Du -hast mit den Altgläubigen Krieg geführt und bist mit ihnen -nicht fertig geworden; du hast mit den Polen gekämpft und -kriegtest sie nicht klein. Jetzt sieh zu, was du mit dieser Narretei -anstellst, denn da wächst schon die Frucht deiner Lenden auf. -Wirst du damit fertig werden? Zähl's doch an den Knöpfen ab!«</p> - -<p>»9. Januar. Ich bin an der Grippe erkrankt und kann das -Haus nicht verlassen. Die Religionsstunden in der Kreisschule -gibt Vater Zacharia an meiner Statt. Gestern kam -er verwirrt und verstört zurück und erklärte unter Tränen, -er könne mich in der Schule nicht länger vertreten. Die Ursache -ist folgende: in der vorletzten Stunde hatte Vater Zacharia -in der dritten Klasse von der göttlichen Vorsehung -gesprochen, und heute prüfte er die Jungen daraufhin. Da -sagt ihm plötzlich ein Schüler, der Sohn des Kolonialwarenhändlers -Lialin, Alioscha, ein sehr begabter Bub, er »könne -Gott den Schöpfer wohl gelten lassen, aber Gott den Fürsorger -erkenne er nicht an«. Erstaunt ob einer solchen Antwort, -fragte Vater Zacharia, worauf der junge Theologe -seine Anschauung denn begründe, – und jener erwiderte -darauf, daß in der Natur sehr viel Ungerechtigkeit und Grausamkeit -zu finden sei; er wies dabei vor allem auf den Tod -hin, der für den Sündenfall eines einzigen ungerechterweise -dem ganzen Menschengeschlecht auferlegt sei. Vater Zacharia, -der diese freche Antwort nicht unerwidert lassen konnte, fing -nun an, den Jungen zu erklären, daß wir, angesichts der Unvollkommenheit -unserer Vernunft, über diese Dinge nicht -gut urteilen könnten, und unterstützte seine Worte mit dem -Hinweis, daß, wenn wir in unserer Sündhaftigkeit ewig -wären, auch die Sünde und mit ihr alles Schlechte und Böse -ewig sein müßte, – und, um die Sache noch deutlicher zu -erläutern, fügte er hinzu, daß dann auch der blutgierige<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span> -Tiger und der grimmige Hai ewig sein müßten, und überzeugte -sie damit denn auch alle. Aber in der zweiten Stunde, -als Vater Zacharia in der unteren Klasse war, kam derselbe -Bub dort hinein und widerlegte den Vater Zacharia vor all -den Kleinen, indem er sagte: »Was könnten der Tiger und -der Hai uns denn anhaben, wenn wir unsterblich wären?« -Vater Zacharia fand in seiner Gutmütigkeit und bei seinem -Mangel an Schlagfertigkeit keine andere Antwort als: »Darüber -haben sich schon klügere Leute als du und ich den Kopf -zerbrochen.« Das ging aber dem alten Manne so nahe, -daß er wohl eine Stunde bei mir geweint hat. Und ich muß -zum Unglück immer noch krank sein und kann nicht aus dem -Hause, um diesem Unfug zu steuern, hinter dem sicher der -Lehrer Warnawa steckt.«</p> - -<p>»13. Januar. Wie gut ich's erraten habe! Alioscha Lialin -hat von seinem Vater für seine Freigeisterei die wohlverdienten -Prügel bekommen und unter Tränen gestanden, -daß der Lehrer Prepotenskij ihn jene Frage und die spätere -Antwort gelehrt habe. Ich bin ganz entrüstet, aber unser -Arzt meint, ich dürfe das Haus noch nicht verlassen, denn -ich hätte eine Rezidiv-Angina, und könnte leicht den Weg -<em class="antiqua">ad patres</em> finden. Was ich doch noch nicht möchte. Ich habe -dem Inspektor geschrieben. Als Antwort erhielt ich die Mitteilung, -dem Prepotenskij sei auf meine Beschwerde hin ein -Verweis erteilt worden. Jawohl, ein Verweis! Der die -Geister verwirrt, der sich an den Kleinen versündigt, den ehrenwertesten, -sanftmütigsten, man kann wohl sagen: musterhaftesten -Diener des Altars kränkt – erhält einen Verweis! -Und wenn ein hungernder Subdiakon ein altes Psalmenbuch -gegen ein neues eintauscht, wird seine Familie für ein ganzes -Jahr des Ernährers beraubt … O du arglistiges Geschlecht! …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span></p> - -<p>»27. Ich bin in der größten Aufregung. Mit dem abscheulichen -Warnawa ist kein Auskommen. In der Stunde -erzählte er neulich, daß der Prophet Jonas unmöglich vom -Walfisch verschluckt werden konnte, denn dieses riesengroße -Tier hätte doch eine sehr enge Gurgel. Ich kann das unmöglich -dulden, aber ich wage es nicht, mich beim Direktor -zu beschweren, denn am Ende läuft es wieder auf einen flüchtigen -Verweis hinaus.«</p> - -<p>»17. Februar. Prepotenskij bringt mich ganz aus der Fassung. -Ich kann ihn nach dem, was er sich jetzt wieder erlaubt -hat, kaum noch für einen Menschen halten, und habe darüber -nicht seinem Direktor, sondern dem Adelsmarschall Tuganow -Bericht erstattet. Was mir von diesem alten Voltairianer -kommen wird, weiß ich nicht, aber immerhin ist er ein bodenständiger -Mensch und kein Mietling und wird daher vielleicht -ein Einsehen haben. Warnawka treibt Dinge, wie sie nur -der Wahnsinn einem eingeben kann. Weil der Lehrer Gonorskij -erkrankt ist, hat Prepotenskij zeitweilig den Geschichtsunterricht -übernehmen müssen, – und hat gleich damit angefangen, -von der Unsittlichkeit des Krieges zu reden und -es direkt auf die Begebenheiten in Polen bezogen. Indessen -das war ihm noch nicht genug, er begann über die Zivilisation -zu spotten, den Patriotismus und die nationalen Prinzipien -zu verhöhnen, und zuletzt sich auch noch lustig über -die Anstandsregeln zu machen, welche er zum Teil sogar als -unsittlich bezeichnete. Als Beispiel führte er an, daß die gebildeten -Völker den Akt der Geburt des Menschen verheimlichen, -den des Mordes aber nicht, indem sie sich sogar mit -Kriegswaffen öffentlich sehen lassen. Was will dieser Narr? -Wahrlich, das ist so dumm, daß man sich schämen muß, und doch -ärgere ich mich. Es ist ja nur eine Kleinigkeit; aber ich muß ja -nach den Kleinigkeiten sehen, denn über Kleinem bin ich gesetzt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span></p> - -<p>»28. Februar. Oho! Mein Voltairianer liebt nicht zu -scherzen. Der Direktor ist hergekommen. Ich konnt' es nicht -länger ertragen und ging trotz aller Drohungen des Arztes -zu ihm hin und berichtete ihm von den Ungebührlichkeiten -des Prepotenskij, aber der Herr Direktor haben zu alledem -nur herzlich gelacht. Wie lachlustig sie alle sind! Er gab dem -Ganzen eine scherzhafte Wendung und sagte, deswegen werde -Moskau nicht in Flammen aufgehen, – »und übrigens,« -fügte er hinzu, »wo soll ich denn andere hernehmen? Sie -sind heutzutage alle so.« Und so stand ich wieder da, wie -ein Narr, der unnütz Krakeel macht. Aber das muß wohl -so sein.«</p> - -<p>»1. März. Ich bin wirklich ein alter Narr geworden, über -den alle sich lustig machen. Heute besuchten mich der Arzt -und der Stadthauptmann, und ich sagte ihnen, daß meine -Gesundheit infolge des gestrigen Ausgangs nicht im geringsten -gelitten habe; da fingen sie beide an zu lachen und erwiderten, -der Arzt habe mich zum Spaß in der Stube sitzen -lassen, denn er habe mit irgend jemand gewettet, daß er, -wenn er wolle, mich einen ganzen Monat lang zu Hause -halten könne. Deshalb redete er mir von einer Gefahr vor, -die gar nicht vorhanden war. Pfui!«</p> - -<p>»20. Juni. Ich habe eine Reise durch das Kirchspiel gemacht, -die mir ausgezeichnet bekommen ist. Es ist so frisch -und schön draußen in der Natur, und unter den Menschen -herrscht Friede und Zufriedenheit. In Blagoduchowo haben -die Bauern auf eigene Kosten die Kirche ausbauen und ausmalen -lassen, aber auch bei einer so einfachen Sache hat sich -wieder etwas Scherzhaftes hineingemengt. An der Wand -der Vorhalle haben sie einen ehrwürdigen Greis abgebildet, -der auf einem Ruhebette liegt, mit der Inschrift: »Und -Gott ruhete am siebenten Tage von allen seinen Werken, die<span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span> -er machte.« Ich wies den Vater Jakob darauf hin und -befahl das Bild zu übertünchen.«</p> - -<p>»11. Juli. Vorgestern war der Bischof auf der Durchreise -hier und hat im Dom die Messe gelesen. Ich fragte den Vater -Troadij, ob das Bild in Bogoduchowo entfernt worden sei, -und erfuhr, daß es noch immer vorhanden, was mich einigermaßen -erregte. Aber Vater Troadij beruhigte mich, meinte, -das habe nichts zu sagen, es sei doch »volkstümlich« und -fügte noch eine Anekdote hinzu von den Seelen der Erlösten, -die der Maler in Schuhen dargestellt hatte, und so lief wieder -alles auf einen Scherz hinaus. Ach, was die Leute alle lustig -sind!«</p> - -<p>»20. Juli. Ich war in Blagoduchowo und ließ das Bild -in meiner Gegenwart abkratzen. Ich halte es nicht für angebracht, -diese dumme Art von Volkstümlichkeit zu pflegen. -Ich fragte nach dem Verfertiger des Bildes; und es stellte -sich heraus, daß der Glöckner Pawel es gemalt hatte. Um -dem scherzhaften Geist der Zeit entgegenzukommen, befahl -ich diesem Künstler, sich neben meinen Kutscher auf den Bock -zu setzen, und nachdem wir vierzig Werst weit gefahren waren, -ließ ich ihn zu Fuß nach Hause wandern, damit er unterwegs -über seine malerische Phantasie nachdenken könne.«</p> - -<p>»12. Oktober. Der neue Gouverneur ist zur Revision hier -gewesen. Er besuchte den Dom und die Schule und beide -Male, hier wie dort, wollte er durchaus, daß ich ihn segne. -Er ist ein echter Russe sowohl dem Namen, wie dem Benehmen -nach. Noch sehr jung, hat er jene privilegierte Lehranstalt, -die Rechtsschule, absolviert, und war bisher noch nie -aus Petersburg herausgekommen, was auch leicht zu bemerken -ist, denn alles interessiert ihn. Besonders angelegentlich -erkundigte er sich nach den Gegensätzen zwischen Geistlichkeit -und Adel; leider konnte ich seine Neugier wenig befriedigen,<span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span> -denn sowohl unser Kreisadelsmarschall Plodomasow, -als auch der Gouvernementsmarschall Tuganow -sind würdige Männer, und von Gegensätzen ist keine Rede.«</p> - -<p>»14. November. Es wird erzählt, daß ein Gutsbesitzer sich -bei dem Gouverneur über die Bauern beschwert habe, die -ihren Verpachtungen nicht nachkämen. Der Gouverneur -habe seine Klagelitanei unterbrochen mit den Worten: »Ich -bitte, wenn Sie vom Volke reden, nicht zu vergessen, daß -ich Demokrat bin.««</p> - -<p>»20. Januar 1863. Ich notiere die außerordentliche und -höchst belehrende »Geschichte vom Surrogat«. Es wird folgendes -Kuriosum von der ersten Begegnung des neuen Gouverneurs -mit unserm Adelsmarschall Tuganow erzählt. -Dieser von höherer Politik durchdrungene Petersburger Kavalier -stellte sich auch unserem Voltairianer als Demokrat -vor, wofür ihn Tuganow auf dem Adelsball vor allen höchlich -lobte und hinzufügte, diese Richtung sei die allerbeste, -besonders in der gegenwärtigen Zeit, denn in drei Kreisen -unseres Gouvernements herrsche eine ziemlich starke Hungersnot -und da biete sich reichlich Gelegenheit, sich als Volksfreund -zu bewähren. Der Gouverneur zeigte sich darüber -sehr erfreut, daß die Leute hungern, und war nur ungehalten, -daß er bisher nichts davon gewußt hatte; er rief seinen Kanzleivorsteher -und machte ihm heftige Vorwürfe, daß er ihn -nicht früher davon unterrichtet habe, und als richtiger Heißsporn -ordnete er an, daß darüber sofort nach Petersburg -berichtet werde. Aber der Vorsteher, der sich rechtfertigen -wollte, sagte, daß von einer richtigen Hungersnot in jenen -Kreisen nicht geredet werden könnte, denn wenn auch die -Kornernte schlecht gewesen sei, so sei die Hirse doch sehr gut -geraten. Damit fing nun die Geschichte an. »Was ist das -– Hirse?« rief der Gouverneur. »Hirse ist ein Surrogat<span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span> -für Brotkorn,« erwiderte der gelehrte Vorsteher, statt einfach -zu sagen, daß man aus Hirse Brei koche, was unseren Rechtsgelehrten -vielleicht vollständig befriedigt hätte, denn in der -Kunst, einen Brei anzurühren, muß er Meister sein. Aber -nun war einmal das Wort Surrogat gefallen. »Schämen -Sie sich,« sagte der hohe Politiker, als er dieses Wort vernahm, -»schämen Sie sich, mich so zu betrügen. Man braucht -ja nur in einen Obstladen zu treten, um zu sehen, wozu Hirse -gebraucht wird. In Hirse werden Trauben verpackt.« Tuganow -schwieg mit ernstem Gesicht, tags darauf aber schickte -er dem Gouverneur durch die Verpflegungskommission eine -Liste der Kornfrüchte Rußlands. Der Gouverneur wurde -verlegen, als er hier auch Hirse verzeichnet fand, ließ seinen -Kanzleivorsteher rufen und sagte zu ihm: »Verzeihen Sie, -daß ich Ihnen damals nicht glauben wollte. Sie haben -recht. Hirse ist ein Getreide.« Du tust mir von Herzen leid, -mein lieber Demokrat! Der Deutsche meinte wohl, daß -St. Nikolaus mit Hafer gehandelt habe, aber solche Weintraubenscherze -machte er nicht.«</p> - -<p>»6. Dezember. Es kommen immer wieder Nachrichten von -Konflikten zwischen dem Adelsmarschall Tuganow und dem -Gouverneur, der, wie man sagt, eine Gelegenheit sucht, dem -Marschall für die Hirse etwas am Zeuge zu flicken, und wie -es scheint, hat er endlich etwas gefunden. Der Gouverneur -steht immer für die Bauern ein und jener, der Voltaire, verteidigt -seine Rechte und Freiheiten. Dem einen hat das -Rechtsstudium den Verstand aus dem Geleise gebracht, und -des andern Hochmut kommt dem Berg Ararat gleich. Er -läßt keinerlei fremdes Recht gelten. Es kommt sicher noch -zu einer regelrechten Bataille.«</p> - -<p>»20. Dezember. Die Seminaristen sind für die Weihnachtsferien -nach Haus gekommen und der Sohn des Vaters<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span> -Zacharia, der Privatstunden in guten Familien gibt, erzählt -eine ganz unglaubliche und wüste Geschichte: ein abgedankter -Soldat hätte sich in einem Winkel der Marienkirche -versteckt gehabt und die Krone von dem wundertätigen Bilde -St. Johannis des Kriegers geraubt. Als die Krone dann -in seinem Hause gefunden wurde, behauptete er, er hätte sie -nicht gestohlen, sondern er hätte vor dem Bilde des Heiligen -über die traurige Lage der dienstentlassenen Soldaten geklagt, -und den heiligen Krieger in brünstigem Gebet angefleht, -ihm in seiner Not zu helfen. Hierauf habe der Heilige, -der seine Worte vernommen, gesagt: »Sie sollen ihrer -Strafe in jener Welt nicht entgehen, du aber nimm vorläufig -dieses hin« – und mit diesen teilnehmenden Worten -habe er angeblich die kostbare Krone von seinem Haupte genommen -und gesagt: »Da!« Verdient eine solche Ausrede -auch nur die geringste Beachtung? Aber unter dem Eindruck -der Hirse denkt man anders, und also kam vom Gouverneur -eine Anfrage ans Konsistorium: ob ein derartiges Wunder -möglich sei? Selbstverständlich war nun das Konsistorium -in einer sehr schwierigen Lage, denn es konnte doch nicht erwidern, -daß ein Wunder unmöglich sei. Aber wo will das -alles hinaus? Der Adelsmarschall Tuganow legte dagegen -vertraulich Protest ein und schrieb, er halte diese Handlungsweise -für unvernünftig, und meinte, sie bezwecke nur eine -Erschütterung des Glaubens und eine Verhöhnung der Geistlichkeit. -So wird dieser alte Freigeist zum Anwalt der Geistlichkeit, -und der Rechtskundige, der sie verteidigen sollte, -macht sie zum Gespötte. Nein, es kommt scheinbar wirklich -die Stunde und sie ist schon da, wo der gesunde Menschenverstand -nichts mehr von allem, was geschieht, für sonderbar -halten wird. Auch über Tuganows Eintreten für die Kirche, -so nützlich es in diesem Fall war, kann man sich nicht freuen,<span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span> -denn es geschah nicht aus Eifer für den Glauben, sondern -aus Feindschaft gegen den Gouverneur, und was kann da -Gutes kommen, wenn immer nur einer den andern schikaniert, -ohne dessen eingedenk zu sein, daß sie beide derselben -Krone den Eid geschworen haben und demselben Lande dienen? -Es ist schlimm!«</p> - -<p>»9. Januar 1864. Tuganow war neulich in Plodomasowo, -– ich weiß nicht weswegen. Aber ich konnte nicht anders – -ich besuchte ihn dort, um etwas über seinen Kampf um St. -Johannes den Krieger zu erfahren. Seltsam! Dieser Tuganow, -einst ein Verehrer Voltaires, redete zu mir in freundschaftlichstem -und betrübtem Tone. Er meint, sein Protest -wäre noch nicht stark genug gewesen, denn »wie ich selber -für mich über alle Wunder denke, das geht nur mich etwas -an und das behalte ich auch für mich, aber ich kann diese -nichtsnutzigen Bestrebungen doch nicht unterstützen, die darauf -hinauslaufen, dem Volke das einzige zu nehmen, was -ihm wenigstens eine Ahnung davon einflößt, daß es einer -höheren Daseinssphäre angehört, als sein gestreiftes Schwein -und seine Kuh.« Wie dürr und trocken ist diese Weisheit! -Aber ich widersprach nicht … Was ist da zu machen?! -Herr, hilf du wenigstens <em class="gesperrt">diesem Unglauben</em>, sonst kommen -wir doch noch dazu, daß wir wieder in Rudeln umherlaufen, -Wurzeln fressen und wie Pferde wiehern!«</p> - -<p>»21. März. Der Gutsherr Plodomasow ist aus der Residenz -heimgekehrt und hat mir und dem Vater Zacharia -und dem Diakon Achilla sehr kostbare Stäbe aus echtem -Rohr mitgebracht. Auch zeigte er uns eine kleine gläserne -Lampe mit einer brennenden Flüssigkeit, »Petroleum« oder -Steinöl genannt, die aus Naphtha gewonnen wird.«</p> - -<p>»9. Mai. Ich habe mich so kleinlich gezeigt, daß ich mich -vor mir selber schämen muß. Und das alles kam von den<span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span> -eben erwähnten Stäben. Mein ganzes vergangenes Leben -ist über mich gefallen wie ein Sieb und hat mich zugedeckt. -Ich sitze unter diesem Sieb wie eine Krähe, der böse Buben -die Federn ausgerupft haben, und die sie nun gefangen -halten, um ihren Spott mit ihr zu treiben. Das ist das -Traurigste bei dieser allgemeinen Lebensverflachung: ich selber -bin flach und klein geworden, so flach, daß ich nicht einmal -imstande bin, meine ganze Eitelkeit dem stummen Papier -anzuvertrauen. Ich will mich ganz kurz fassen. Es ärgerte -mich, daß ich und Zacharia ganz gleiche Stäbe erhalten hatten -und daß auch der des Achilla sich kaum von den zwei andern -unterschied. O Gott! War ich denn auch früher schon so? -Nein, mit solchen Kleinigkeiten gab ich mich nicht ab! Ich -trug mich mit hohen Gedanken, wie ich hier in diesem irdischen -Jammertal immer vollkommener werden könnte, um -einst das ewige Licht zu schauen und dem Herrn das mir -anvertraute Pfund mit reichen Zinsen zurückzugeben.«</p> - -<p>Damit schlossen die alten Tuberozowschen Aufzeichnungen, -und als der Greis zu Ende gelesen, nahm er die Feder, -trug ein neues Datum ein und begann danach mit ruhigen, -strengen Schriftzügen zu schreiben:</p> - -<p>»Es ist seinerzeit von mir vermerkt worden, wie einmal -der Sohn der Hostienbäckerin, der Lehrer Warnawa Prepotenskij, -die unschuldigen Kinder an ihrem Glauben irre -zu machen suchte, indem er sie eine Leiche sehen ließ und behauptete, -es gäbe keine Seele, weil ihr Wohnsitz im Körper -nirgends aufzufinden sei. Mein Zorn über diesen törichten, -aber schädlichen Menschen wurde dazumal von klugen Leuten -für übertrieben erklärt, und von der Veranlagung zu diesem -Zorn hieß es, sie sei der Beachtung gar nicht wert. Jetzt -hat sich wieder etwas Neues begeben. Beim letzten Hochwasser -wurde eine unbekannte Leiche an unser Ufer gespült.<span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span> -Die Mutter des Warnawa, die arme Hostienbäckerin, sagte -mir heute unter Tränen, daß der Arzt und der Stadthauptmann, -wohl aus Bosheit gegen ihren Sohn oder um ihn -zu verhöhnen, ihm jenen Toten geschenkt hätten, und Warnawa -hätte aus Dummheit dieses Geschenk angenommen, -und die Leiche in der Bütte, darin sie bisher friedlich ihre -Wäsche in Asche gelegt, ausgekocht und die Brühe unter den -Apfelbaum im Garten gegossen, die Knochen aber in die -Gouvernementsstadt gebracht. Und nun fürchte sie, man -werde ihren teuren Sohn mit jenen Knochen als Mörder -festnehmen. Ich beruhigte sie, so gut ich konnte, und bat -den Stadthauptmann um eine Erklärung, zu welchem Zwecke -der Leichnam des Ertrunkenen, der nach der Sektion kirchlich -bestattet werden mußte, dem Lehrer Warnawa ausgehändigt -worden sei? Ich erhielt zur Antwort, das sei im Interesse -der Aufklärung geschehen, d. h. damit er, Warnawa, an dem -Skelett naturwissenschaftliche Studien treiben könne. Diese -Sorge um die Wissenschaft kann einen lachen machen bei -Leuten, die ihr so fern stehen, wie der Stadthauptmann -Porochontzew, der sein halbes Leben im Kavalleriepferdestall -zugebracht hat, wo man nichts lernt, als wie man den Pferden -die Schwänze bindet, oder dieses Lügenmaul von Arzt, -der jene Wissenschaft vertritt, deren Anhänger von den wahren -Gelehrten für Ignoranten angesehen werden, was durch -seine blödsinnige Behauptung bewiesen wird, er habe einmal -bei Plodomasow versehentlich statt Branntwein ein Glas -Leucht-Petroleum ausgetrunken, und da habe sein Bauch -eine ganze Woche lang geleuchtet! Wie dem nun aber auch -sei, der von dem Lehrer gekochte Leichnam hat sich in ein -Skelett verwandelt. Warnawa brachte die Knochen zu einem -Heilgehilfen am Gouvernementskrankenhaus. Dieser Meister -der Anatomie fügte all die Knochen kunstvoll aneinander<span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span> -und setzte ein Gerippe zusammen, das nun wieder in unsere -Stadt zurückgebracht wurde und sich gegenwärtig bei Prepotenskij -befindet, der es dicht bei seinem Fenster befestigt -hat. Da steht es nun und lockt immer wieder die Straßenmenge -an und gibt zu allen möglichen Streitigkeiten Anlaß -und zu einem ewigen häuslichen Zwist zwischen dem Warnawa -und seiner einfältigen Mutter. Der Tote fängt an Rache -zu nehmen. Jede Nacht erscheint er der unglückseligen Mutter -des großen Gelehrten im Traum und fordert immer wieder -sein christliches Begräbnis. Die Arme hat den Sohn auf -den Knien angefleht, ihr dieses Skelett zu geben, daß sie es -bestatte, aber natürlich widersetzt er sich dem mit aller Entschiedenheit. -Da entschloß sie sich zu einer verzweifelten Maßnahme, -sammelte in Abwesenheit des Sohnes die Knochen -in eine kleine Holzkiste, trug sie in den Garten und vergrub -sie mit ihren schwachen Greisenhänden unter dem nämlichen -Apfelbaum, unter welchen Warnawa die zerkochten Fleischteile -des Unglücklichen ausgeschüttet hatte. Aber sie hatte -kein Glück damit, denn der gelehrte Sohn grub die Knochen -wieder aus, und damit ging eine neue Geschichte an, die -auch heut noch nicht beendet ist. Es ist ebenso lächerlich wie -schmachvoll, was noch weiter folgte. Sie raubten sich die -Knochen gegenseitig so lange, bis mein Diakon Achilla, der -sich in alles mischen muß, diese Sache zum Abschluß brachte -und mit solcher Hast ans Werk ging, daß es ganz unmöglich -war, ihm Einhalt zu gebieten. Auch haben mich die Reden -des Arztes und des Stadthauptmanns sehr verstimmt, die -mir Vorwürfe machten wegen meiner eifernden (so nannten -sie es) Intoleranz gegen den Unglauben, denn, meinen sie, -wirklich gläubig sei heutzutag keiner mehr, auch die nicht, -welche offiziell für den Glauben eintreten. Das glaub' ich -auch! Ich kann nicht daran zweifeln. Aber ich wundere<span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span> -mich, woher bei uns dieser erbitterte Haß und diese Feindschaft -gegen den Glauben kommen. Vom Freiheitsdrang? -Aber wen hindert denn der Glaube, mit allem Eifer nach -voller Freiheit in allen Dingen zu streben? Warum haben -die wirklichen Denker nicht so gesprochen?«</p> - -<p>Vater Sawelij seufzte tief, legte die Feder hin und trat -ans Fenster. Der Himmel war mit schwarzen Wolken bedeckt -und schon fielen einzelne Regentropfen klatschend in -den dicken Staub. Das war der Regen, um den Tuberozow -am vergangenen Tage gebeten hatte. Der Alte flüsterte -entzückte Worte des Dankes und des Lobes und merkte nicht, -wie leise Tränen über seine Wangen liefen. Die Regentropfen -aber fielen immer dichter und dichter, und endlich -war es, als würde oben ein ganz feines Sieb geschüttelt, -und die feuchte Kühle spielte erfrischend um den leicht erhitzten -Kopf des Priesters. So am Fenster sitzend, das Haupt -auf die weißen Hände gestützt, schlief Vater Sawelij ein.</p> - -<p>Inzwischen ging der sanfte Regen, den kein Gewitter begleitet -hatte, vorüber, die Luft war frisch und rein geworden, -der Himmel klar, und im Osten färbte die graue Dämmerung -sich silbern, um dem Morgenrot den Weg zu bereiten, dem -Morgenrot des Tages, der dem Gedächtnis unseres heiligen -Vaters Methodius von Pesnosch geweiht ist, des Tages, -dem, wie wir uns erinnern müssen, der Diakon Achilla eine -so große Bedeutung zuschrieb.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_6">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Osten wurde immer heller, und während sich die Sonne -im Nebel hinter dem dampfenden Walde wusch, reckten sich -die goldenen Pfeile ihrer Strahlen schon in scharfen Strichen -über den Horizont. Ein leichter Nebel wallte über dem Flusse -auf und kletterte das zerklüftete Ufer entlang; unter der Brücke -ballte er sich zusammen und blieb an den schwarzen, nassen -Pfählen kleben. Durch diesen Nebel sieht man das Gemüsefeld -bläulich schimmern und den weißen Streifen der Landstraße -hinüberleuchten. Über allem liegen noch die Schatten -des Halbdunkels, und nirgends, weder in den Häusern, noch auf -den Plätzen und Straßen, merkt man etwas vom Erwachen.</p> - -<p>Aber da, auf dem höchsten Punkte der steilen Hügelseite -von Stargorod, über dem schmalen Zickzackweg, der den -steinigen Abhang hinab zum Wasser führt, heben sich zart -und durchsichtig die Umrisse einer höchst seltsamen Gruppe -ab. In dem schwachen Licht, das sie bescheint, wirkt sie ganz -phantastisch. In der Mitte steht ein Mann, von dessen Schultern -ein langes, im Gürtel leicht geschürztes Gewand bis -zur Erde niederwallt. Ganz plötzlich ist diese Gestalt aus -dem allmählich dünner werdenden Nebel aufgetaucht und -steht unbeweglich, wie ein Gespenst.</p> - -<p>Ein abergläubischer Mensch könnte denken, es wäre der -Hauskobold von Stargorod, der, ehe die Stadt erwacht, -noch ein paar Klageseufzer über ihr anstimmen will.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span></p> - -<p>Aber je heller es wird, desto deutlicher erkennt man, daß es -kein Hauskobold, noch sonst ein Geist ist, trotzdem aber auch -nicht etwas ganz Alltägliches. Wir sehen jetzt, daß die Figur -ihre Hände in die Taschen gesteckt hat. Aus der einen Tasche -guckt eine sehr lange Gerte hervor, an deren Ende eine -Schleuder oder eine Angelschnur gebunden ist. Aus der anderen -hängt an vier Fäden etwas, das wie eine schwere -Keule aussieht. Ein leiser Wind erhebt sich, die Oberfläche -des schläfrigen Flusses beginnt sich leicht zu kräuseln, ein -Zittern fährt durch die Zweige der Birken hinter dem schöngemusterten -Gittertor des Domes, und die leeren Falten -am weiten Gewande der Gestalt auf dem Berge geraten -in Bewegung und enthüllen ein paar dünne Beine in weißen -Unterhosen. In demselben Augenblick, wo diese dünnen -Beine sichtbar werden, tauchen hinter ihnen plötzlich vier -Hände auf, welche zwei anderen Gestalten gehören, die sich -mehr im Hintergrunde gehalten hatten. Diese diensteifrigen -Hände fassen die wehenden Enden des Gewandes, schlagen -sie wieder zusammen und verhüllen aufs neue die dünnen, -weißen Beine des Standbildes. Jetzt braucht man nur -etwas schärfer hinzusehen, um auch die zwei anderen Gestalten -zu erkennen. Rechts zeigt sich eine Frau. Sie fällt -vor allem durch die ungeheure Wölbung ihres Leibes auf, -über dem sich eine schmale Tunika hoch emporbläht. In der -Hand hält sie einen glänzenden Metallschild, in dessen Mitte -ein großer Büschel Haare befestigt ist, die soeben erst mit der -Haut vom Kopfe des Feindes gelöst zu sein scheinen. Auf -der anderen Seite, also zur Linken der hohen Gestalt, zeigt -sich ein kurzbeiniger, schwarzer Wilder mit breitem Bart. -Unter dem linken Arm hält er etwas wie ein Folterinstrument, -und in der Rechten hat er einen blutigen Sack, aus -dem zwei Menschenköpfe heraushängen, bleich, haarlos, wohl<span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span> -die unglücklichen Opfer der grausamen Folter. Um diese -drei Gestalten scheint der ganze Zauber der nordischen Sage -zu wehen. Nun steigt die helle Sonne noch ein wenig höher, -und der Sagenzauber löst sich in nichts auf. Die drei stehen -noch einen Augenblick da und eilen dann den Hügel hinab. -Nachdem sie etwa zehn Schritte gemacht haben, bleiben sie -wieder stehen, und der Größte, der vorausging, sagt leise:</p> - -<p>»Schau mal, Freund Komar, es ist heut noch nichts von -ihnen zu sehen.«</p> - -<p>»Ja, es ist nichts zu sehen,« erwidert der schwarzbärtige -Komar.</p> - -<p>»Sieh besser zu!«</p> - -<p>Komar blickt scharf über den Fluß hin:</p> - -<p>»Es lohnt gar nicht hinzuschauen, es ist keiner da.«</p> - -<p>»Und die Stille in der Stadt, ach du lieber Gott!«</p> - -<p>»Das schlafende Königreich,« spricht leise die Gestalt, die -den Schild unter dem Arm hält.</p> - -<p>»Was sagst du, Felicie?« fragt der Lange, der nicht recht -gehört hat.</p> - -<p>»Ich melde Ihnen, Woin Wasiljewitsch, daß die Stadt -dem schlafenden Königreich gleicht,« antwortet die Frau.</p> - -<p>»Ja, dem schlafenden Königreich; aber bald werden sie -erwachen. Schau mal hin, Komar, da drüben, scheint mir, -platscht eben einer hinein.«</p> - -<p>Die Gestalt weist nach der Insel, von der sich ein leichter -Dampf erhebt und leise nach der Brücke hin schwebt.</p> - -<p>»Ganz recht,« sagt Komar, und seine Blicke verfolgen zwei -dünne Kreise auf dem stillen Wasser, die immer breiter werden. -Im Mittelpunkt des vorderen Kreises schwankt und -dreht sich etwas, das wie ein überreifer gelber Kürbis aussieht.</p> - -<p>»Ach, die Kanaille ist wieder zuerst reingesprungen, ohne -auf die Obrigkeit zu warten.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span></p> - -<p>»Der drüben ist auch fertig,« sagt Komar gleichgültig.</p> - -<p>»Nicht möglich, – du lügst, Komar.«</p> - -<p>»Sehn Sie doch hin! Da ist er schon dicht am Wasser!«</p> - -<p>Alle drei legen die Hände über die Augen und blicken hinüber. -Drüben sehen sie etwas Großes, Dickes zum Wasser -herabschreiten. Es ist ganz in ein weißes schleppendes Gewand -gehüllt und erinnert auffallend an die Statue des -Komtur aus dem »Don Juan«, bewegt sich auch genau so -langsam und feierlich und ebenso unbeirrt seinem Ziel entgegen.</p> - -<p>Jetzt ist aber auch der strahlende Phöbus auf seinem Feuerwagen -ein gutes Stück höher hinaufgekommen; der zerflatternde -Nebel schimmert in Bernsteintönen. Die ganze -Landschaft leuchtet in Purpur und Blau und in diesem grellen, -mächtigen Licht, ganz von Sonnenstrahlen überflutet, zeigt -sich in den Wellen des Flusses ein nackter Recke mit einer -mächtigen Mähne schwarzer Haare auf dem gewaltigen -Haupte. Er sitzt auf einem mächtigen Rotfuchs, der seines -Reiters würdig und mit seiner breiten Brust die Wellen -kräftig teilt, zornig mit den feuerfarbenen Nüstern schnaubend.</p> - -<p>Der Reiter im Flusse und alle oben geschilderten Fußgänger -streben dem nämlichen Punkte zu. Wollten wir Verbindungslinien -von dem einen zum andern ziehen, sie würden -sich alle bei einem großen Steine kreuzen, der in der -Mitte des Flusses aus dem Wasser herausragt. In der -ersten Gestalt, die den Berg herabsteigt, erkennen wir den -Polizeichef von Stargorod, Rittmeister a. D. Woin Wasiljewitsch -Porochontzew. Er hat einen himbeerfarbenen seidenen -Schlafrock an und eine spitz zulaufende Kalotte aus Kamelgarn -auf dem Kopfe. Aus der einen Tasche, in der seine -rechte Hand steckt, guckt ein dünner Peitschenstiel, an dem -eine lange Peitschenschnur hängt, und bei der andern, in<span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span> -die der Polizeichef seine Linke gelegt hat, sieht man eine -riesengroße, ganz schwarz gerauchte Meerschaumpfeife und -einen orientalischen Tabaksbeutel aus Saffian an einem -Jagdriemen baumeln.</p> - -<p>Links von ihm schreitet langsam sein Kutscher, der längst -schon seinen Taufnamen verloren hat und von allen nur noch -Komar (Mücke) genannt wird. In seinen Händen befinden -sich weder Folterinstrumente noch Totenköpfe, noch ein blutbesprengter -Leinwandsack, sondern er trägt bloß eine Bank, -einen alten roten Fußteppich und ein Paar straff aufgeblasener -Schwimmblasen, die mit einem Tuchstreifen zusammengebunden -sind.</p> - -<p>Die dritte Gestalt, die uns vor einer Viertelstunde so -grausig erschien, mit ihrem Schlachtschild unter dem Arm, -entpuppt sich als die sehr bescheidene Gattin des Komar. -»Mütterchen Felizata«, wie sie von dem Hausgesinde genannt -wird, trägt freilich eine sehr schwere Last, die sich aber ganz -und gar nicht zu kriegerischen Aktionen eignet. Vor allem -trägt die gute Frau ihren eigenen Leib, in dem ein -künftiger kleiner Komar junior dem Leben entgegenträumt. -Unter dem Arm aber hat sie eine hell in der Sonne glitzernde -Messingschüssel, in der ein Bastwisch liegt, mit einem Badehandschuh -aus Tuch, im Handschuh ein Stückchen Kampherseife, -und auf dem Kopfe ein vierfach zusammengefaltetes -Badetuch.</p> - -<p>Also ein durch und durch friedliches Bild.</p> - -<p>Die weiße Gestalt, die am jenseitigen Ufer langsam zum -Wasser hinabschreitet, hat inzwischen auch alles Imponierende -und damit auch jede Ähnlichkeit mit dem Standbild des -Komturs verloren. Der Mann hat sich in ein weißes -Badetuch gehüllt, und als er das Wasser erreicht und das -Tuch fallen läßt, ist es nicht mehr schwer, in ihm den wohlbeleibten<span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span> -und ungefügen semmelblonden Kreisarzt Pugowkin -zu erkennen.</p> - -<p>Der nackte Reiter auf dem langmähnigen roten Roß aber -ist kein anderer als der Diakon Achilla, und sogar der im -Gekräusel der Wellen auftauchende Kürbis gewinnt nach und -nach ein wohlbekanntes menschliches Aussehen: zwei sanfte -blaue Augen und eine eingeknickte Nase zeigen, daß wir es -nicht mit einem Kürbis zu tun haben, sondern mit dem -Kahlkopf des alten Konstantin Pizonskij, dessen Greisenleib -ganz im kühlen Wasser steckt.</p> - -<p>Es sind die Badeliebhaber von Stargorod, die von alters -her an jedem schönen Sommermorgen hier zusammenkommen -und gemeinschaftlich sich des frischen Wassers erfreuen.</p> - -<p>Als erster stürzt sich der Arzt mit einem mächtigen Anlauf -kopfüber in den Fluß und schwimmt auf den großen -breiten Stein zu, der sich in der Mitte des Flusses einen Fuß -hoch aus dem Wasser erhebt.</p> - -<p>Mit ein paar mächtigen Schlägen hat er ihn erreicht, -klettert auf seine glatte obere Platte hinauf.</p> - -<p>»Ich bin wieder der erste im Wasser!« ruft er lachend. -Und brüllt dem Achilla zu:</p> - -<p>»Schwimm doch schneller, du Pharao! – Kahlkopf, komm -herauf! Kahlkopf, komm herauf!«</p> - -<p>Inzwischen ist Felizata zu dem Polizeichef getreten. Sie -löst seinen Gürtel, hilft ihm aus dem Schlafrock, so daß er -in Unterhosen und einer bunten Flanelljacke dasteht. Der -Arzt auf dem Stein plätschert mit den Füßen im Wasser, -pfeift lustig vor sich hin und klatscht plötzlich den herangeschwommenen -Diakon Achilla so laut und kräftig mit der -flachen Hand auf den nackten Rücken, daß dieser aufschreit, -nicht vor Schmerz, sondern vor Schreck über das laute Klatschen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span></p> - -<p>»Was haust du mich mit solchem Lärm?«</p> - -<p>»Pack mich nicht am Leib,« erwidert der Arzt.</p> - -<p>»Wenn das aber meine Gewohnheit ist?«</p> - -<p>»Gewöhn dir's ab,« antwortet der Arzt und pfeift laut.</p> - -<p>»Ich gewöhn mir's auch ab, aber ich vergesse mich immer -wieder.«</p> - -<p>Der Arzt erwidert nichts und pfeift weiter. Der Diakon -schüttelt den Kopf, spuckt aus, bindet die Schnur auf, mit -der sein Heldenleib gegürtet ist, nimmt die daranhängende -Bürste und den Striegel ab und beginnt mit ebensoviel Eifer -wie Sachkenntnis die Mähne seines Pferdes zu reinigen. -Das mächtige Tier, welches sich an der langen Leine ziemlich -frei bewegen kann, biegt den breiten Rücken und schlägt mit -seinen Knien das Wasser zu Schaum.</p> - -<p>Dieses Landschafts- und Genrebild zeigt uns die Schlichtheit -des Stargoroder Lebens, wie die Ouvertüre die Musik -der Oper andeutet. Aber die Ouvertüre ist noch nicht zu -Ende.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_7">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Am linken Flußufer, wo der Stadthauptmann immer noch -zögert, hat der Kutscher Komar den Teppich ausgebreitet, -die mitgebrachte Bank darauf gestellt, und nachdem er sich -durch kräftiges Schütteln noch überzeugt hat, daß sie feststeht, -ruft er:</p> - -<p>»Setzen Sie sich, Woin Wasiljewitsch, sie steht fest.«</p> - -<p>Porochontzew geht schnell auf die Bank zu, rüttelt sie erst -noch einmal eigenhändig und setzt sich erst, nachdem er sich -genügend überzeugt hat, daß sie tatsächlich ganz feststeht. -Kaum hat der Herr sich gesetzt, so packt Komar ihn von hinten -an den Schultern, und seine Frau, welche die Schüssel nebst -Bastwisch und Badetuch auf den Teppich gestellt hat, beginnt -den kriegerischen Stadtgewaltigen auszukleiden. Erst nimmt -sie ihm die Kalotte ab, dann die gestrickte Unterjacke, die -Pantoffeln und die Socken, legt hierauf ihre Handflächen -vorsichtig an die dürren Rippen des Rittmeisters und bleibt -so unbeweglich stehen, den Kopf etwas seitwärts gebogen.</p> - -<p>»Nun, Felicie, geht es schon? Kann ich schon reiten?« -fragt Porochontzew.</p> - -<p>»Nein, Woin Wasiljewitsch, noch schlägt der Puls,« antwortet -Felizata.</p> - -<p>»Na, wenn er noch schlägt, muß man warten. Aber du -kannst hineinhupfen, Komar.«</p> - -<p>»Ich tu's auch gleich.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span></p> - -<p>»Hupf nur, Bruder, hupf! Schwimm einmal herum und -komm dann wieder raus. Dann wird geritten.«</p> - -<p>»Wenn ich dann nur nicht zu schlüpfrig bin, Woin Wasiljewitsch. -Dann fallen Sie wieder runter, wie neulich.«</p> - -<p>»Nein, nein, ich fall schon nicht.«</p> - -<p>Komar wirft, hinter dem Rücken seines Herrn stehend, -das Hemd ab und stürzt sich mit einem mächtigen Anlauf -ins Wasser, wo er alsbald gewaltig mit den Armen zu arbeiten -beginnt.</p> - -<p>»Famos schwimmt dein Komar,« sagt Porochontzew.</p> - -<p>»Ausgezeichnet,« entgegnet die Frau, welche sich anscheinend -nicht im geringsten geniert und auch keinen der Badenden -durch ihre Anwesenheit stört.</p> - -<p>Felizata, eine frühere Leibeigene Porochontzews, ist es seit -langem gewohnt, ihren kränklichen Herrn zu bedienen, und -bei dieser Beschäftigung gibt es für sie keinen Geschlechtsunterschied. -Inzwischen ist Komar rund um den Stein geschwommen, -auf dem die Badenden sitzen, und wieder aus -dem Wasser gekrochen und steht nun, den gekrümmten Rücken -einem Herrn zugewendet, vor der Bank. Woin Wasiljewitsch -klettert auf den Rücken, umfaßt den Hals des Kutschers -mit beiden Armen und reitet ins Wasser hinein. Der Rittmeister -macht es fast immer so, denn er liebt es nicht, barfuß -auf dem scharfen Kies zu gehen. Kaum hat jedoch das Wasser -die Achselhöhlen Komars erreicht, so bleibt er stehen und -meldet, nun seien keine Steine mehr da, denn er fühle reinen -Sand unter seinen Sohlen. Woin Wasiljewitsch klettert von -seinem Roß hinunter und legt sich auf die Schwimmblasen. -Auch heute war der Vorgang derselbe: der dürre Stadtgewaltige -legt sich hin, Komar gibt ihm einen tüchtigen Stoß -und beide schwimmen nach dem Steine, den sie beide erklettern. -Dieser nicht sehr große Stein, dessen über dem Wasser<span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span> -aufragende glatte, runde Fläche einen Durchmesser von etwa -zwei Fuß haben mag, bietet fünf Personen Unterkunft, -von denen vier – Porochontzew, Pizonskij, der Arzt und -Achilla – sich an den Rand gesetzt haben, so daß sie einander -den Rücken zukehren, während Komar mitten in dem -engen Viereck steht, das eben diese Rücken bilden, und -seinem Herrn den Kopf wäscht. Es wird eifrig diskutiert; -Pizonskij erzählt unter beständigem Zucken seiner schiefen -Nase, daß gestern abend in der Dämmerung irgendwo unterhalb -der Brücke im Schilf sich zwei Schwäne niedergelassen -und nachts, während es regnete, unausgesetzt geschrien -hätten.</p> - -<p>»Wenn die Schwäne schreien, so verkünden sie irgend -jemandes Ankunft,« meint Komar, indem er den Kopf seines -Herrn eifrig mit Seife einreibt.</p> - -<p>»Nein, das verheißt bloß einen schönen Tag,« wendet -Pizonskij ein.</p> - -<p>»Wer sollte auch zu uns kommen?« mischt sich der Arzt -ins Gespräch. »Wir leben ja hier wie die reinen Waldteufel: -in hundert Jahren passiert nichts Neues.«</p> - -<p>»Was soll uns auch das Neue?« sagt Pizonskij. »Wir -haben ja alles; das Wetter ist schön, wir sitzen gemütlich auf -unserm Stein und keiner verübelt es uns. Käme aber ein -neuer Mensch her, so nähme er vielleicht Anstoß, es gäbe -ein Gerede und …«</p> - -<p>»Ein Gerede: warum sitzen sie so nackigt da?« unterbricht -ihn Komar ungeniert.</p> - -<p>»Was ist das für ein Stadthauptmann, der sich von einem -Frauenzimmer waschen läßt?« wirft der Arzt ein.</p> - -<p>»Ja, das ist wahr,« ruft der Rittmeister und schaut sich -beunruhigt um.</p> - -<p>Komar bläst sich in den Schnurrbart, lächelt und sagt leise:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span></p> - -<p>»Und dann wird's heißen: was hat der Polizeichef auf -dem Komar ins Wasser zu reiten?«</p> - -<p>»Halt's Maul, Komar!«</p> - -<p>»Auch das, auch das wird Fragen veranlassen,« sagt wieder -der sanfte Pizonskij und seufzt, indem er fortfährt: »Und -jetzt sitzen wir hier ohne alle Neuigkeiten wie im Paradiese. -Selber sind wir nackt, aber wir sehen alle Schönheit der Welt: -wir sehen den Wald, sehen die Berge, sehen die Tempel -Gottes, das Wasser, das Grün der Wiesen; dort im Uferschilf -piepen die jungen Entlein; vor uns im Wasser spielt -das Völklein der kleinen Fische so fröhlich. Groß ist deine -Güte, o Herr!«</p> - -<p>Die letzten Worte hatte Pizonskij mit erhobener Stimme -gesprochen, sie hallten weit über den Fluß hin, wurden von -den Hügeln zurückgeworfen und klangen dann noch ein drittes -Mal etwas dumpfer von dem flachen Ufer wider. Pizonskij -horcht auf, streckt den Zeigefinger über seinem kahlen Kopfe -zum Himmel empor und sagt:</p> - -<p>»Dreimal antwortet dir die Güte des Herrn: was kann -es Schöneres geben, als in solchem Frieden zu leben und in -ihm sein Dasein zu vollenden.«</p> - -<p>»Wahr, sehr wahr,« antwortet der Rittmeister mit einem -Seufzer. »Da haben der Arzt und ich uns eine kleine Neuerung -gestattet: wir erlaubten dem Warnawa eine Leiche -auszukochen. Wozu hat das nicht geführt! Übrigens, Diakon, -vergiß nicht, daß du versprochen hast, dem Warnawa die -Knochen wegzunehmen.«</p> - -<p>»Warum sollte ich's vergessen? Ich bin kein Manichäer, -den man hundertmal mahnen muß. Was ich versprochen -habe, das halte ich auch.«</p> - -<p>»Hast du? Hast du's wirklich schon?«</p> - -<p>»Natürlich hab' ich's.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span></p> - -<p>»Du flunkerst, Diakon!«</p> - -<p>Achilla schweigt.</p> - -<p>»Warum redest du denn nicht? Erzähle doch, wie du ihm -die Knochen weggenommen hast. Nun? Was Teufel bist -du denn heut so solide?«</p> - -<p>»Warum soll ich nicht solid sein, wenn meine Taille es -mir gestattet?« erwidert Achilla selbstbewußt. »Ihr zwei, du -und der Arzt, macht Dummheiten, und ich muß sie wieder -gutmachen. Na, da bin ich eben zum Warnawa ins Fenster -hineingestiegen, hab die Knochen alle in einen Sack gesteckt …«</p> - -<p>»Nun und dann, Achilla? Was dann, mein Lieber?«</p> - -<p>»Dann ging es ganz dumm.«</p> - -<p>»Ja wie denn? So erzähle doch!«</p> - -<p>»Was soll ich erzählen, wo ich selber nichts weiß? Dann -hat mir jemand die Knochen wieder wegstibitzt.«</p> - -<p>Porochontzew springt auf und schreit:</p> - -<p>»Was? Wieder gestohlen?«</p> - -<p>»Ja, wie soll ich sagen? Gestohlen ist vielleicht nicht das -richtige Wort. Ich weiß nur, daß ich den ganzen Kram zu -mir nach Haus brachte und ihn in meinen Karren schüttete, -um heut damit zur Begräbnisstätte zu fahren. Aber wie -ich morgens nachseh, ist nichts mehr da – bis auf das kleine -Schwänzchen hier.«</p> - -<p>Der Arzt bricht in ein lautes Gelächter aus.</p> - -<p>»Was lachst du?« fragt der Diakon geärgert.</p> - -<p>»Ein Schwänzchen ist übriggeblieben, sagst du?«</p> - -<p>Achilla wird böse.</p> - -<p>»Nun ja, ein Schwänzchen,« erwidert er, »oder was soll -das sonst sein?«</p> - -<p>Der Diakon löst von dem Striegel einen menschlichen -Fußknöchel, den er mit einem Endchen Bindfaden daran befestigt<span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span> -hatte, reicht ihn dem Arzt hin und sagt trocken: »Da, -sieh's dir an, wenn du mir nicht glaubst.«</p> - -<p>»Haben denn die Menschen Schwänze?«</p> - -<p>»Etwa nicht?«</p> - -<p>»Du hast also auch einen Schwanz?«</p> - -<p>»Ich?!« fragt Achilla.</p> - -<p>»Ja, du.«</p> - -<p>Der Arzt lacht wieder aus vollem Halse, der Diakon aber -wird bleich und sagt:</p> - -<p>»Hör mal, mein lieber Meister Quacksalber, scherzen kannst -du, – aber mit Maß, wenn ich bitten darf. Vergiß nicht, -daß ich eine geistliche Person bin.«</p> - -<p>»Na, schon recht! Aber sag mir mal erst, wo hast du deinen -Astragalus?«</p> - -<p>Das unbekannte Wort »Astragalus« macht auf den Diakon -einen verblüffenden Eindruck: die Fachbezeichnung für das -unschuldige menschliche Sprungbein scheint ihm etwas äußerst -Kränkendes, er schüttelt den Kopf, stößt einen tiefen Seufzer -aus und sagt langsam:</p> - -<p>»Für so niederträchtig hätte ich dich allerdings nicht gehalten.«</p> - -<p>»Ich niederträchtig?«</p> - -<p>»Jawohl! Einer geistlichen Person mit derartigen dummen -Fragen zu kommen ist niederträchtig. Aber merk dir: deinen -faulen Scherz mit dem Schwanz hab' ich dir nachgesehen, -aber jetzt nimm dich in acht!«</p> - -<p>»O wie schrecklich!«</p> - -<p>»Ja, hab' dich nur! Ich mein' es ernst. Eure Freigeisterei -hängt mir längst zum Halse heraus.«</p> - -<p>»Ja, ist denn das Freigeisterei, wenn man Astragalus -sagt?«</p> - -<p>»Kusch!« schreit der Diakon.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span></p> - -<p>»Schafskopf« meint der Arzt achselzuckend.</p> - -<p>»Kusch!« donnert Achilla und hebt drohend die Faust. -Seine Augen funkeln grimmig.</p> - -<p>»Ist das ein Esel! Kein vernünftiges Wort kann man -mit ihm reden.«</p> - -<p>»Was? Ein Esel bin ich? Man kann nicht mit mir reden? -Na warte! Ich bin euch kein sanfter Sawelij! Runter in -den Sumpf!«</p> - -<p>Mit diesen Worten hat der Diakon die Leine seines Pferdes -aus der rechten Hand in die linke genommen, packt den -Arzt mit der Rechten um den Leib und reißt ihn ins Wasser -hinab. Sie tauchen unter, werden wieder sichtbar und verschwinden -aufs neue. Obgleich das Verhalten des Diakons -deutlich verriet, daß er keineswegs die Absicht hatte, den Arzt -zu ertränken, sondern ihn nur etlichemal untertauchen wollte, -– er hielt auch, während sie so zappelten, immer nach dem -Ufer zu – so versetzte das verzweifelte Gebrüll des Medikus -die Drei auf dem Steine und die am Ufer stehende Felizata -doch in eine so unbeschreibliche Angst, daß auch sie ein lautes -Geschrei erhoben, welches die ganze Umgegend alarmieren -mußte.</p> - -<p>So begann der Diakon Achilla seinen Ausrottungskampf -gegen die in Stargorod um sich greifende gemeingefährliche -Freigeisterei, und wir werden sehen, was für gewaltige -Folgen dieser energische Anfang zeitigen sollte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_8">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Lärm und das Geschrei der Badenden hatten den -Propst, der an seinem Fenster kaum ein wenig eingeschlummert -war, aufgeweckt. Der Alte erschrickt, springt auf, sieht -auf den Fluß hinaus, kann aber ganz und gar nicht begreifen, -was eigentlich geschehen. In diesem Augenblicke -hält vor seinem Hause ein eleganter, von einem grauen -Vollblutpferde gezogener Jagdwagen. Darin sitzt eine -schwarzgekleidete junge Dame: sie kutschiert selbst, neben ihr -ein kleiner Groom. Die Dame ist die junge verwitwete Gutsbesitzerin -Alexandra Iwanowna Serbolowa, seine ehemalige -Lieblingsschülerin.</p> - -<p>»Alexandra Iwanowna, seien Sie mir herzlichst willkommen,« -erwidert der Propst ihren Gruß. »Meine Frau steht -gleich auf, und dann sind Sie so freundlich, eine Tasse Tee -mit uns zu nehmen.«</p> - -<p>Die Dame dankt. Sie sagt, sie sei in die Stadt gekommen, -um eine Totenmesse für ihren verstorbenen Gatten lesen zu -lassen, und bittet Tuberozow, doch recht bald in die Kirche -zu kommen.</p> - -<p>»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«</p> - -<p>»Vielen Dank. Ich will jetzt nur noch für einen Augenblick -zur alten Prepotenskaja, sonst ist sie gekränkt.«</p> - -<p>Sie nickt dem Priester zu und im nächsten Augenblick ist -der leichte Wagen verschwunden. Der Propst schickt das<span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span> -Dienstmädchen zum Küster mit dem Befehl, zur Frühmesse -läuten zu lassen und den Diakon Achilla in die Kirche zu -beordern; dann tritt er vor den Heiligenbilderschrein, seine -Morgenandacht zu verrichten. Eine halbe Stunde später -schlägt die Domglocke an, und gleich darauf kommt das Mädchen -zurück mit der Meldung, sie habe den Diakon Achilla -nicht finden können, niemand wisse, wo er sei. Zum Warten -ist aber keine Zeit mehr und so nimmt der Propst seinen -Stab mit der Inschrift »Der Stecken Aarons erblühte« und -begibt sich in den Dom. Er ist noch keine zehn Minuten -fort, als die Pröpstin Natalia Nikolajewna durch das plötzliche -Erscheinen des Diakons Achilla höchlich überrascht wird. -Er ist ganz außer sich.</p> - -<p>»Mütterchen,« ruft er, »alles, was ich Euch gestern von -den Totengebeinen versprochen hatte, ist zuschanden geworden.«</p> - -<p>»Das habe ich mir doch gleich gedacht,« erwidert Natalia -Nikolajewna.</p> - -<p>»Nein, bitte sehr, Ihr müßt erst wissen, warum es zuschanden -geworden ist. Wie ich es Euch gestern versprach, so habe -ich's auch gemacht. Ganz wie sich's gehört, habe ich die -Überreste dieses Menschen, den der Warnawka gekocht hat, -durchs Fenster gestohlen, in den Sack gesteckt und zu mir nach -Haus getragen. Dann habe ich sie in den Karren geschüttet. -Aber als ich heute nachschaue, ist der Karren leer! Kann ich -dafür?«</p> - -<p>»Ja, wer beschuldigt dich denn?«</p> - -<p>»Das ist es ja eben. Mich überkam sogar ein Zweifel, -ob ich sie nicht schon nachts vergraben hätte, aber heut früh -im Bade war der Arzt so frech gegen mich, daß ich gleich aus -dem Bad zum Warnawka gerannt bin. Alle Fensterläden -waren geschlossen. Ich guckte durch eine Ritze, und da seh'<span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span> -ich, daß der Gekochte wieder heil und ganz am Nagel hängt! -Wo ist der Vater Propst? Ich muß ihm gleich alles erzählen!«</p> - -<p>Natalia Nikolajewna schickte den Diakon ihrem Gatten -nach, und der schnellfüßige Achilla hatte den Propst auch bald -eingeholt.</p> - -<p>»Was rennst du so … und fauchst und schnaufst und -stampfest?« fragt ihn Sawelij, als er seine Schritte hinter -sich hört.</p> - -<p>»Das … das tu ich immer, Vater Sawelij, wenn ich -laufe. Habt Ihr es nie bemerkt?«</p> - -<p>»Nein, bisher nicht. Aber sprich doch mit dem Arzt, er -hilft dir vielleicht.«</p> - -<p>»Jawohl, der Arzt! Redet mir nur nicht von dem, Vater -Sawelij! – Er hat mich heute ganz aus der Fassung gebracht. -Denkt Euch diese Frechheit, Vater Propst …« Der -Diakon beugt sich zu dem Ohre des Propstes, und nachdem -er ihm die Gemeinheit des Arztes leise mitgeteilt hat, fügt -er laut hinzu: »Nun sagt selbst, ist das nicht furchtbar unverschämt?«</p> - -<p>»Ich finde nichts dabei,« erwidert der Propst, indem er -langsam die Stufen vor dem Domportal emporsteigt. »Astragalus -ist ein Fußknöchel, und ich verstehe nicht recht, was -dich in solche Wut versetzt hat.«</p> - -<p>Der Diakon tritt einen Schritt zurück und ruft erstaunt: -»Ein Fußknöchel?«</p> - -<p>»Ja freilich.«</p> - -<p>Achilla schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn:</p> - -<p>»Ich Dummkopf!«</p> - -<p>»Was hast du gemacht?«</p> - -<p>»Nein, ich bitt' Euch, seid so gut, nennt mich einen Dummkopf!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span></p> - -<p>»Ja, weswegen denn?«</p> - -<p>»Nein, nein, nennt mich nur so. Ich hätte diesen Arzt -beinahe ersäuft.«</p> - -<p>»Nun gut, mein Lieber, ich erfülle deinen Wunsch: du bist -wahrhaftig ein Narr, und ich sage dir's voraus, wenn du -von dergleichen Narrengewohnheiten nicht bald lässest, so -kommt es noch einmal dahin, daß du jemand ums Leben -bringst.«</p> - -<p>»Erbarmt Euch, Vater Sawelij, ich bin doch nicht ganz -von Sinnen.«</p> - -<p>»Überall, überall folgt dir der Unfrieden auf dem Fuße!«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich bin für Frieden -und Ordnung, aber es kommt immer anders.«</p> - -<p>Hierauf erzählt Achilla in großer Hast, aber mit allen -Einzelheiten, wie er gestern das Gerippe gestohlen und wie -es dann wieder verschwunden und an seinem alten Platze -erschienen sei. Tuberozow hört ihm zu. Seine Augen -werden immer größer und größer, und unwillkürlich tritt -er ein paar Schritte zurück, indem er ausruft:</p> - -<p>»Großer Gott, was für ein unseliger Mensch!«</p> - -<p>»Wer, Vater Sawelij?« meint Achilla, nicht weniger erstaunt.</p> - -<p>»Du, mein Bester, du!«</p> - -<p>»Aus welchem Grunde bin ich unselig?«</p> - -<p>»Welch böser Geist treibt dich zu alledem?«</p> - -<p>»Wozu?«</p> - -<p>»Zum Einbrechen, Rauben, Zanken.«</p> - -<p>»Ihr habt mich dazu angetrieben,« erwidert der Diakon -ganz ruhig und freundlich. »Ihr sagtet: so oder so – der -Sache muß ein Ende gemacht werden. Und da hab' ich -ihr ein Ende gemacht. Ich habe nur Euren Wunsch erfüllt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span></p> - -<p>Tuberozow schüttelt den Kopf, wendet sich dem Portal zu -und tritt in die Vorhalle, wo er die Serbolowa in stillem Gebete -kniend erblickt. In einer Ecke aber sitzt der Lehrer Prepotenskij -auf einer Totenbahre und klopft sich den Staub -von den Beinkleidern. Sein Gesicht strahlt. Er schaut den -Propst und den Diakon mit triumphierendem Lächeln an. -Was konnte ihn, den Gottesleugner, in die Kirche geführt -haben? Darüber erstaunte Tuberozow nicht weniger -als Achilla; nur vermochte Achilla diesen Gedanken auch -während der Messe nicht zu bannen, während der ernste Sawelij -ihn bereits von sich gewiesen hatte, als sich die Tür -zum Altarraum vor ihm auftat, denn er war gewohnt, mit -Furcht und Zittern vor das Angesicht seines Gottes zu -treten.</p> - -<p>Eine Stunde war vergangen und die Totenmesse beendet. -Die Serbolowa und ein entfernter Vetter von ihr, ein gewisser -Darjanow, hatten beim Propst Tee getrunken und -waren fortgegangen. Die Serbolowa wollte gegen Abend, -wenn die Sonne nicht mehr so heiß brannte, auf ihr Gut -zurückkehren. Jetzt aber gedachte sie etwas zu ruhen. -Darjanow sollte mit ihr bei der alten Prepotenskaja Mittag -essen, wohin Tuberozow später ebenfalls kommen wollte, -um ein Gläschen Tee zu trinken und seinem lieben Beichtkinde -das Geleite zu geben.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_9">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Öde, traurig und eintönig ist der Anblick der menschenleeren -Straßen unserer Kreisstädte zu jeder Zeit; aber nie -erscheinen sie so ausgestorben wie an einem heißen Sommermittag. -Der dicke, graue Staub, den stellenweise die Spuren -von Wagenrädern durchfurchen, das schläfrige, welke Gras, -das die ungepflasterten Straßen an der Seite, wo die Trottoirs -anzunehmen sind, umsäumt, die grauen, halbverfaulten, -schiefen Zäune, die Kirchentüren mit ihren schweren Hängeschlössern, -die Holzbuden, die von ihren Besitzern verlassen -und mit zwei übers Kreuz geschlagenen Brettern verbarrikadiert -sind, – alles das schlummert in der Mittagshitze -so verführerisch, daß der Mensch, der verurteilt ist, in -dieser Umgebung zu leben, ganz von selbst alle Munterkeit -verliert und auch matt wird und einschläft.</p> - -<p>Um diese Stunde war es, als Valerian Nikolajewitsch -Darjanow, nachdem er einige öde Straßen durchschritten -hatte, in ein enges Gäßchen einbog, das durch einen alten -Gitterzaun völlig abgeschlossen ward. Hinter dem Zaun war -eine Kirche sichtbar. Darjanow bückte sich tief und trat durch -das niedrige Pförtchen in den Kirchhof. Hier stand in einer -Ecke das kaum bemerkbare Hüttchen des Kirchenwächters, -und weiter hinten, inmitten eines ganzen Waldes verfallener -Grabkreuze, verbarg sich das niedrige, dreifenstrige Häuschen -der Hostienbäckerin Prepotenskaja.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span></p> - -<p>Der Friedhof war frei von dem Staube, der in dicker Schicht -alle Straßen und Plätze der Stadt bedeckte. Hier wuchs -schönes grünes Gras, und zwei Hühner, die sich im weichen -Staube im Sonnenschein ausliegen wollten, mußten vor -die Pforte hinaus und sich unter der Schwelle in den weichen -Staub eingraben, so daß man sie kaum sehen konnte. Dort -lagen sie meist den ganzen Tag, fest überzeugt, daß keiner -sie stören werde. Als Darjanow über sie hinwegschritt, -rührten sie sich nicht; jedes öffnete nur eins seiner bernsteinfarbenen -Augen, begleitete den Gast mit einem schläfrigen -Blick und schloß dann die grauen Lider wieder. Darjanow -ging geradewegs auf das Pförtchen des Prepotenskijschen -Hauses zu und schlug mit dem schweren eisernen Ring -gegen das Holz. Alles blieb stumm. Kein Hund bellte, -keine menschliche Stimme ließ sich vernehmen. Darjanow -klopfte noch einmal, aber wieder erfolglos. Dann ließ er -alle Hoffnung fahren, kroch unter dem Lattenwerk hindurch -ins Himbeergesträuch, welches das Haus der Hostienbäckerin -dicht umgab, und schaute in eins der Fenster. Diese waren -gegen die Sonnenhitze durch Läden geschlossen, aber durch -die breiten Ritzen konnte man den ganzen Innenraum übersehen. -Es war ein großes, hohes Zimmer, fast ohne Möbel, -mit zwei Türen, durch deren eine man in eine zweite, winzige -blaue Kammer mit einem hohen Bett blickte, über welchem -eine aus Kattunflicken zusammengenähte Decke lag.</p> - -<p>Das große, leere Zimmer gehörte dem Lehrer Warnawa, -die kleine Kammer seiner Mutter. Das ganze Haus bestand -nur aus diesem zwei Räumen, denn die winzige Küche, in -der man sich kaum umdrehen konnte, zählte nicht mit.</p> - -<p>Augenblicklich standen beide Zimmer leer, aber Darjanow -hörte im Vorhause hinter der Tür eifrig jemand mit dem -Hackmesser arbeiten, und im Garten unter dem Fenster<span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span> -schien entweder Ziegel gerieben oder Eisen gefeilt zu werden. -Durchaus überzeugt, alles Klopfen führe zu nichts, trat -Darjanow an den Zaun, der das Gärtchen umgab, und begann -eine neue Musterung durch den Spalt, den er zwischen -den Brettern entdeckte. Es war aber nicht so leicht, denn -an den Zaun lehnte sich dichtes Gesträuch, das den Menschen, -der da mit den Ziegeln oder der Feile arbeitete, nicht sehen ließ. -Darjanow mußte sich einen neuen Beobachtungspunkt suchen. -Er trat mit der Fußspitze auf ein vorspringendes Brett, -faßte mit der Hand den oberen Rand des Zaunes und schwang -sich empor. Jetzt konnte er den ganzen kleinen, aber dichtbewachsenen -und sehr reinlich gehaltenen Garten übersehen. -Quer hindurch ging ein von der Hostienbäckerin eigenhändig -angelegter, sauber mit gelbem Sand bestreuter Weg, auf -welchem der Lehrer Warnawa saß. Er hielt die ausgestreckten -Beine auseinandergespreizt, wie Kinder beim Ballspielen. -Zwischen seinen Knien lag auf dem Sande ein ganzer Haufen -Menschenknochen und ein Bogen blaues Packpapier. In -jeder Hand hielt er einen Ziegelstein und rieb sie mit gewaltiger -Kraftanstrengung aneinander. Der Schweiß floß in -Strömen über sein Gesicht, obgleich er im Schatten saß -und alle irgend überflüssigen Toilettenstücke abgelegt hatte. -Er war barfuß und nur mit Hemd und Hose, welch letztere -nur durch einen Träger gehalten wurde, bekleidet.</p> - -<p>»Warnawa Wasiljewitsch, machen Sie mir auf!« rief Darjanow -ihm zu, aber dieser Ruf verhallte ergebnislos.</p> - -<p>Eher hätten die Toten auf dem verfallenen Friedhof dem -Gast Bescheid geben können, als der ganz in seine Arbeit -vertiefte Lehrer. Sobald Darjanow das begriffen hatte, -verzichtete er auf weiteres Rufen und sprang vom Zaun -mitten in den Garten hinein. Er sprang leicht und gewandt, -aber die alten, wackligen Bretter schlugen trotzdem krachend<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span> -aneinander und erschreckten den Lehrer dermaßen, daß er -in größter Hast seine Ziegelsteine fallen ließ und, auf allen -Vieren stehend, die Knochen zusammenzusuchen begann.</p> - -<p>»Na, Warnawa Wasiljewitsch, guter Freund! Sie sind -aber vertieft in Ihre Arbeit! Man kann sich ja die Lunge aus -dem Halse schreien!« begrüßte ihn der Gast hervortretend. -Als Warnawa ihn erkannte, ging ein Leuchten über sein Antlitz, -und er zwinkerte mit den Augen, als er sagte:</p> - -<p>»Ah, Sie sind's! Und ich dachte, es wäre der Achilla.«</p> - -<p>Mit diesen Worten breitete der Lehrer freudig die Arme -aus, und der ganze Haufen Knochen plumpste auf den Weg, -als würde plötzlich das Innere des Mannes ausgeschüttet.</p> - -<p>»Ach, Valerian Nikolajewitsch,« meinte er, »wenn Sie wüßten, -was hier vorgeht. Nein, hol's der Teufel, – da soll -man noch in diesem verfluchten Rußland bleiben!«</p> - -<p>»Um Gotteswillen, was ist denn passiert? Wollen Sie -es mir nicht verraten?«</p> - -<p>»Ja gewiß, wenn … wenn Sie kein Spion sind.«</p> - -<p>»Ich glaube nicht.«</p> - -<p>»Dann setzen Sie sich auf die Bank und ich will weiter -arbeiten. Setzen Sie sich nur, mir ist Ihre Gegenwart sogar -sehr angenehm; ich habe so wenigstens einen Zeugen.«</p> - -<p>Der Gast kam der Aufforderung nach und bat den Lehrer -noch einmal, zu berichten, was für ein Leid ihn betroffen -hätte und wie alles so gekommen wäre.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_10">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Mein Leiden begann mit meiner Geburt, Valerian Nikolajewitsch,« -fing der Lehrer an, »und wurzelt in der Hauptsache -darin, daß ich von meiner Mutter geboren bin.«</p> - -<p>»Trösten Sie sich, lieber Freund, alle Menschen sind von -ihren Müttern geboren,« entgegnete Darjanow und wischte -sich den Schweiß von der Stirn. »Nur Macduff wurde -aus dem Mutterleibe geschnitten, und auch nur, damit -Macbeth von keinem besiegt werde, den ein Weib gebar.«</p> - -<p>»Na ja, Macbeth! … Was schert mich euer Macbeth? -Wir brauchen keinen Macbeth, wir brauchen Aufklärung. Aber -was soll man machen, wenn man hier nicht studieren kann? -Ich kann es ohne weiteres beschwören, daß weder in Petersburg, -noch in Neapel, noch sonstwo in der Welt der Mensch, -der etwas lernen will, auf solche Hindernisse stößt, wie hier -bei uns. Da redet man von Spanien … Aber wie ist's -mit Spanien? In Spanien ist die Lutherbibel verboten. -Schön! Dafür aber haben sie auch Verschwörungen und -Aufstände und Gott weiß was alles. Ich bin überzeugt, -wenn sich dort jemand ein Skelett zu wissenschaftlichen Zwecken -anschafft, so wird niemand was dagegen einzuwenden haben. -Aber hier? Kaum hatte ich die Knochen präpariert, so ließ -meine eigene Mutter mir keine Ruhe mehr. ›Sei lieb, Warnawa, -mein Kind, ich will ihn beerdigen.‹ Was heißt das:<span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span> -›ihn‹? Was ist das für ein ›Er‹? Warum sind diese Knochen -ein Er und keine Sie? Hab' ich recht oder nicht?«</p> - -<p>»Vollkommen recht.«</p> - -<p>»Ausgezeichnet. Jetzt sagt man, daß ich meiner Mutter -nicht vernünftig zuzureden verstehe. Ja, was soll ich denn -noch sagen? ›Mütterchen, laßt die Knochen in Ruhe,‹ -sprach ich. ›Ihr versteht nichts davon. Ich habe sie nötig, -ich studiere den Menschen daran.‹ Aber was soll ich machen, -wenn sie mir stets darauf antwortet: ›Weißt du, lieber Warnascha, -es ist doch besser, wenn ich ihn begrabe.‹ – – Das -ist doch nicht zum Aushalten.«</p> - -<p>»Allerdings.«</p> - -<p>»Ich sagte ihr, um sie los zu werden: ›Was quält Ihr Euch -um ihn, Mutter, er war ein Jude.‹ Aber sie glaubt mir nicht. -›Du lügst,‹ meint sie, ›das gibt dir der Teufel ein. Ich weiß -es doch besser, die Juden haben alle Schwänzchen.‹ Niemals, -sage ich, haben die Menschen, gleichviel ob Juden oder Nichtjuden, -Schwänze gehabt. Und dann fängt der Zank an. Ich -trete, wie sich's gehört, für die Juden ein, und sie widerspricht -mir. Ich beweise ihr, sie hätten keine Schwänze, aber sie besteht -darauf: Ja – nein – mit Schwanz – ohne Schwanz -… heißt es. Und wenn sie sich gar nicht mehr zu helfen -weiß, dann zischt sie nur noch: Kusch – kusch – kusch – und -fuchtelt mir mit den Händen vor der Nase herum, als wär' -ich ein Huhn, das sie von den Gemüsebeeten verjagen will. -Und da verlangt man noch, man solle den Frauen Freiheit -geben. Ich bin gewiß für die Emanzipation, aber man muß -die Sache mit Vernunft anfangen: einer jungen, entwickelten -Frau, die sich in ihrem Tun keinen Zwang auferlegen will, -soll man die Freiheit geben, aber diesen alten Weibern – – -Nein, dagegen bin ich durchaus, und wundere mich, daß -noch niemand diese Frage öffentlich behandelt hat. Hinter<span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span> -all dem stecken die Pfaffen mit diesem Tuberozow an der -Spitze.«</p> - -<p>»Sie übertreiben!«</p> - -<p>»Warum nicht gar! Ich habe die Beweise dafür in der -Hand. Tuberozow hat mich nie leiden mögen, jetzt aber -haßt er mich einfach wegen meiner naturwissenschaftlichen -Studien. Ich habe ihn ja einmal geschnitten.«</p> - -<p>»Wie haben Sie denn das gemacht?«</p> - -<p>»Nicht einmal, hundertmal hab' ich ihn schon geschnitten, -– zuletzt noch in der vorigen Woche. Damals in der Schule, -im Sprechzimmer des Inspektors, fing er an zu predigen, -die Feiertage seien etwas ganz Besonderes, – da hab' ich -ihn in aller Gegenwart geschnitten. Ich wies ihn einfach -darauf hin, es sei mathematisch bewiesen, daß die Festlegung -der Feiertage fehlerhaft sei. Wie steht's denn um unsere Feste? -fragte ich. Wir feiern Weihnachten, und im Auslande haben -sie es schon dreizehn Tage früher gefeiert. Hab' ich nicht recht?«</p> - -<p>»Es sind aber nur zwölf Tage, nicht dreizehn.«</p> - -<p>»Nun gut, zwölf, darauf kommt es nicht an. Aber er schlug -gleich mit der flachen Hand auf den Tisch und schrie: ›Paß -auf, du Mathematikus, daß man dir dafür nicht noch mal -in die Physik fährt!‹ Ich frage Sie: was meint er mit dem -Worte Physik? Sie werden mich verstehen, – so redet doch -nur ein Ignorant oder Zyniker, – und: ist das überhaupt -eine Antwort, frage ich Sie?«</p> - -<p>Der Gast lachte und sagte, eine Antwort sei es schon, aber -freilich eine höchst merkwürdige.</p> - -<p>»Einfach dumm ist sie. Aber so geht es tagaus, tagein. -Gestern abend erst komme ich von der Biziukina, und wenige -Schritte vor mir geht der Kommissar Danilka, – wissen -Sie, jener Herumtreiber, der für zwei Rubel das Pferd beim -Glitsch wegführte, als Achilla Butter schlagen mußte. Ich<span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span> -kam mit ihm ins Gespräch. Wo warst du, Danilka? frag' ich -ihn. Er antwortet, er sei beim Polizeichef gewesen und -habe ihm Beeren von der Postmeisterin gebracht. Dort habe -man gerade von mir gesprochen, der Diakon sei dagewesen, -bemerkte er noch. Ich geriet natürlich in Aufregung, aber -er suchte mich zu beruhigen: ›Nicht von Ihnen selbst war die -Rede, sondern von dem toten Menschen, den Sie bei sich -haben.‹ Begreifen Sie das Intrigenspiel? Ich gab dem Danilka -zwanzig Kopeken. Was sollte ich machen? Es ist ja -nicht schön, aber es geht nicht ohne Spione. Und nun berichtete -er mir, der Diakon habe gesagt, es sei ein großer -Fehler, mir den Ertrunkenen überlassen zu haben. Aber -man kann es noch wieder gutmachen. Der Stadthauptmann -kennt natürlich meinen Charakter und meinte deshalb auch, -ich würde die Knochen nicht wieder zurückgeben, – und ich -geb' sie auch bestimmt nicht heraus! Achilla aber riet: ›Man -nimmt sie ihm einfach fort und bestattet sie in aller Ruhe.‹ -Da meinte der Stadthauptmann: ›Sollte man vielleicht -einen Schutzmann nach den Knochen schicken?‹ Jedoch dieser -Bandit antwortet: ›Ich brauche keinerlei polizeiliche Hilfe. -Ich hole sie einfach, lege sie in einen Kindersarg und die -Sache ist erledigt.‹«</p> - -<p>Plötzlich stürzte Prepotenskij auf die Gebeine los, breitete -die Hände über sie aus, wie eine Henne ihre vor dem Habicht -flüchtenden Küchlein mit den Flügeln bedeckt, und sagte mit -erregter Stimme:</p> - -<p>»Bitte sehr! Solange ich am Leben bin, wird die Sache -nicht gemacht! Es ist schon genug, daß Ihr alles verzögert!«</p> - -<p>»Was verzögern ›sie‹ denn?«</p> - -<p>»Als ob Sie das nicht wüßten!«</p> - -<p>»Etwa die Revolution?«</p> - -<p>Der Lehrer brach seine Arbeit ab und nickte spöttisch.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_11">Elftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Nachdem ich dies alles von Danilka gehört hatte,« fuhr -Warnawa fort, »begab ich mich zur Biziukina zurück, um sie -davon in Kenntnis zu setzen, und eine Stunde später, als ich -nach Hause kam, waren alle Knochen schon fort. ›Wo sind sie -geblieben? Wo?‹ schrei' ich, – und diese Dame, meine Frau -Mama, antwortet: ›Sei nicht bös, mein lieber Warnaschenka -(haben sie mir schon so einen scheußlichen Namen gegeben, -muß er jetzt auch noch so ekelhaft verdreht werden), sei nicht -bös, die Obrigkeit hat sie holen lassen.‹ – ›Was ist das wieder -für ein Blödsinn,‹ schrei' ich, ›von was für einer Obrigkeit -quasselt Ihr denn?‹ – ›Während du fort warst,‹ sagt -sie, ›kam der Diakon Achilla ans Fenster und hat sie alle -mitgenommen.‹ Was sagen Sie dazu? ›Seit wann gehört -der Diakon zur Obrigkeit?‹ – ›Ja, Lieber,‹ sagt sie, ›wieso -denn nicht? Er hat doch die Weihen empfangen.‹ Wie soll -man mit einer solchen Person reden? Sie lachen, Ihnen -kommt das komisch vor, mir aber war gar nicht lächerlich -zumute, als ich selber zu diesem Banditen hingehen mußte. -Jawohl! Achilla nennt mich feige und alle glauben es, aber -gestern habe ich bewiesen, daß ich kein Feigling bin; geradewegs -begab ich mich zu Achilla. Als ich hinkam, schnarchte -er bereits. Ich klopfte ans Fenster und rief: ›Gebt -mir meine Knochen heraus, Achilla Andrejewitsch.‹ Es -dauerte eine Weile, bis er erwachte, und sofort mit seinen<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span> -Unverschämtheiten loslegte: ›Was willst du mit den Knochen? -(Was soll dies familiäre Du? Seit wann sind wir so intim?) -Du bist ohne Knochen viel netter.‹ – ›Das geht Euch gar -nichts an, ob und wann ich netter bin.‹ – ›Im Gegenteil, -das geht mich sogar sehr viel an, denn ich bin eine geistliche -Person.‹ – ›Aber Ihr habt nicht das Recht, fremdes Eigentum -fortzunehmen.‹ – ›Sind denn Totengebeine Eigentum? -Du solltest erst mal kapieren, daß du solches Eigentum gar -nicht besitzen darfst.‹ Darauf erwiderte ich ihm, daß der -Diebstahl den geistlichen Personen doch wohl auch nicht gestattet -sei: er kenne wahrscheinlich die englischen Gesetze nicht. -In England könne er dafür gehenkt werden. Und was antwortet -er mir? ›Wenn du mir von allerlei Gesetzen vorschwatzen -willst, dann bedenke gefälligst, daß du dafür nach -der Gendarmeriekanzlei gebracht werden kannst. Da schiebt -man dich bis zum Gürtel ins Kellerloch und dann setzt es -Rutenhiebe mit zwei Bündeln zugleich. Dann hast du dein -England.‹ Und damit schmeißt er sich wieder auf sein Bett. -Jetzt war mir alles klar. Ich ging sofort zu Biziukins, um -gleich alles Daria Nikolajewna zu erzählen, die ganz meiner -Meinung war. Wie ich ihr gestern meine Vermutungen -über den Diakon Achilla mitteilte, sagte sie sofort: ›Natürlich -ist er ein Spion! In Ihrer gegenwärtigen, gefährlichen Lage -muß es Ihre Hauptsorge sein, wieder in den Besitz der Knochen -zu gelangen und sie dann aufs allereifrigste zu Lehrzwecken -auszunutzen. Achilla kann sie jetzt bei Nacht noch nicht -fortgeschafft haben, und wenn Sie sich gleich zu ihm schleichen, -so können Sie sie wiederbekommen. Passen Sie nur auf, daß -er Sie nicht erwischt, sonst könnte er Sie arg verhauen …‹«</p> - -<p>»Verhauen?«</p> - -<p>»So meinte sie, weil sie die Gewohnheiten des Achilla -gut kennt, und fügte noch hinzu: ›Lassen Sie sich aber nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span> -beirren. Nehmen Sie mein dickes, gemustertes Tuch und wickeln -Sie es sich um den Hals. Auf den Kopf setzen Sie meine -wattierte Winterkappe. Wenn er Sie dann wirklich ertappt -und zuschlägt, so sind Sie geschützt und es tut Ihnen nicht weh.‹ -Ich legte alles an und zog los. So kam ich denn zum zweitenmal -in den Hof dieses Viehes. Der Hund schlug an, aber -Daria Nikolajewna hatte auch das vorausgesehen und mir -ein Stück Kuchen für den Köter mitgegeben. Ich fütterte ihn -und ging weiter, bis ich vor mir einen Karren stehen sah. -Ich stürze auf ihn zu, – und richtig, da lagen sie alle drinnen, -alle meine Knochen.«</p> - -<p>»Sie machten sich natürlich gleich an die Arbeit?«</p> - -<p>»Versteht sich! Ich nahm die Kappe vom Kopf, wickelte -die Knochen hinein und raste im schnellsten Tempo davon.«</p> - -<p>»Und damit war die Geschichte zu Ende?«</p> - -<p>»Zu Ende? Nein, jetzt war sie erst in vollem Gange. Soll -ich weitererzählen?«</p> - -<p>»Ich bitte darum!«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_12">Zwölftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Erst muß ich Ihnen noch erklären, wie und warum ich -heute in die Kirche gekommen bin. Früh fährt Alexandra -Iwanowna Serbolowa bei uns vor. Sie kennen sie sicher -besser als ich. Sie ist strenggläubig und ihre Anschauungen -sind überhaupt stark rückständig, aber sie unterstützt meine -Mutter in diesem und jenem, und deshalb bringe ich das -Opfer und vermeide es, mit ihr zu streiten. Aber wozu -sage ich das? Ach ja, – wie sie gekommen war, sagte meine -Mutter zu mir: ›Steh auf, mein lieber Warnaschenka, und -begleite Alexandra Iwanowna zur Kirche, damit die Hunde -des Akziseeinnehmers ihr nichts zu Leide tun.‹ So ging ich -mit. Sie wissen, ich betrete die Kirche sonst nie; aber schließlich -können mir weder Achilla noch Sawelij dort etwas anhaben, -und so tat ich's eben. Aber wie ich da stehe, fällt mir plötzlich -ein, daß ich meine Zimmertür nicht abgeschlossen habe. Ich -laufe deshalb so schnell ich kann nach Hause, finde aber -meine Mutter nirgends. Ich werfe einen Blick auf die Wand, -– die Knochen sind weg!«</p> - -<p>»Sie hatte sie begraben?«</p> - -<p>»Jawohl!«</p> - -<p>»Ohne Scherz?«</p> - -<p>»Als ob man mit <em class="gesperrt">der</em> Frau scherzen könnte! Ich bat -und bettelte: ›Liebes, gutes Mütterlein, ich will Euch lieben -und ehren, aber sagt mir, wo habt Ihr meine Knochen gelassen?<span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span>‹ -›Frage nicht, Warnascha, mein Liebling, sie haben -jetzt Ruhe.‹ Ich versuchte, was ich konnte, ich weinte, drohte -mit Selbstmord, versprach ihr endlich sogar, fortan jeden Tag -zu beten, – es half alles nichts! Voller Wut ging ich zur -Schule, fest entschlossen, heute nacht den Spaten zu nehmen, -eins der alten Gräber hier auf dem Friedhof aufzugraben -und mir ein neues Skelett zu verschaffen; denn diesen Triumph -durfte ich der Bande nicht gönnen. Ich hätte es -auch ganz bestimmt getan. Wäre das nicht ein sogenanntes -Verbrechen gewesen?«</p> - -<p>»Sogar ein großes.«</p> - -<p>»Sehen Sie. Und wer hätte mich dazu gebracht? Die -eigene Mutter! Sicher wäre es so gekommen, wenn nicht -zu meinem Glück ein Junge in die Klasse getreten wäre, der -erzählte, am Flußufer hätte ein Schwein Knochen ausgegraben. -Ich stürze hin, fest überzeugt, daß es meine Knochen -sind, – was auch der Fall war. Das Volk schwatzt von Wiederbegraben, -ich jedoch jage das Pack zu allen Teufeln. Plötzlich -höre ich den Achilla nahen. Ich raffe meine Knochen -rasch zusammen und renne, was ich rennen kann. Achilla -kriegt mich am Rock zu fassen. Ich wende mich um, – krach! -Der Rockschoß ist zum Teufel. Achilla packt mich am Kragen, -– wieder kracht's, und der Kragen ist auch zum Teufel. -Nun hat er mich bei der Weste. Krach! Die Weste ist mitten -entzwei gerissen. Er will mir nun an den Hals. Ich aber -renne, was ich rennen kann, – und sitze jetzt hier und säubere -die Knochen. Da kamen Sie und erschreckten mich von neuem. -Ich meinte, es wäre Achilla.«</p> - -<p>»Aber was denken Sie, Achilla wird doch nicht über Ihren -Zaun steigen! Er ist doch Diakon.«</p> - -<p>»Jawohl, Diakon! Sie haben gut reden. Der kümmert -sich viel darum. Mir sagte der Kommissar Danilka gestern,<span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span> -Achilla hätte beim Abschied zu Tuberozow geäußert: ›Nun, -Vater Sawelij, bis ich diesen Warnawa kleingekriegt habe, -sollt Ihr mich nicht Achilla den Diakon, sondern Achilla den -Krieger nennen.‹ Mag er Krieg führen soviel er will, ich -fürchte ihn nicht. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe. Ich -bin nämlich zu der Überzeugung gekommen, daß ich hier nicht -länger bleiben kann. Ich korrespondiere mit verschiedenen -Leuten in Petersburg, von denen einer ein großes Unternehmen -plant, an dem ich mitwirken kann. Freilich macht -sich bereits auch dort die Gemeinheit breit, – und die gesinnungstüchtigsten -Zeitungen fangen schon an, sich über -die wachsende Begeisterung für die Naturwissenschaften lustig -zu machen. Haben Sie es gelesen?«</p> - -<p>»Ja, ich glaube etwas Ähnliches gelesen zu haben.«</p> - -<p>»Aha! Also auch Ihnen leuchtet es ein! Nun sagen Sie -mal, wozu haben sie uns denn dann immerfort dazu angetrieben, -an Fröschen zu experimentieren und so weiter?«</p> - -<p>»Das weiß ich nicht.«</p> - -<p>»Das wissen Sie nicht? Nun, dann will ich es Ihnen sagen! -Das soll den Leuten nicht so durchgehen! Ich packe meine -Knochen zusammen, fahre nach Petersburg und hau sie -ihnen einfach in die Fratzen, mitten in die Fratzen! Dann -mögen sie mich vor ihren Friedensrichter schleppen –«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_13">Dreizehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Hahaha! Da tun Sie recht daran!« rief plötzlich die -Serbolowa, die, von den beiden Männern unbemerkt, hinter -einem Kirschstrauch gestanden hatte.</p> - -<p>Prepotenskij schlug sein aufgeknöpftes Hemd über der Brust -zusammen, richtete sich auf und sagte, indem er zugleich die -ganz mit Ziegelstaub bestreuten Hosen mit der anderen Hand -in die Höhe zog:</p> - -<p>»Entschuldigen Sie, Alexandra Iwanowna, daß ich so -mangelhaft bekleidet bin …«</p> - -<p>»Macht nichts. Mit einem Arbeitsmann rechtet man nicht -wegen seiner Toilette. Aber kommen Sie jetzt. Ihre Frau -Mutter bittet, zum Essen zu kommen.«</p> - -<p>»Nein, Alexandra Iwanowna, ich komme nicht. Ich kann -mit meiner Mutter nicht mehr zusammenleben. Zwischen -uns ist alles aus.«</p> - -<p>»Sie sollten sich schämen, so zu reden. Ihre Mutter liebt -Sie doch so sehr.«</p> - -<p>»Ihr Vorwurf trifft mich nicht. Sie hält es mit meinen -Feinden, sie vergräbt meine Knochen. – Wenn ich mir -eine Zigarette an dem Lämpchen vor dem Heiligenbilde anzünde, -spielt sie gleich die Gekränkte.«</p> - -<p>»Warum müssen Sie aber auch Ihre Zigaretten ausgerechnet -am Heiligenlämpchen anstecken? Als ob Sie nicht -anderswo Feuer bekommen können!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span></p> - -<p>»Trotzdem ist das doch zu dumm!«</p> - -<p>Alexandra Iwanowna lächelte und sagte:</p> - -<p>»Besten Dank!«</p> - -<p>»Sie meine ich doch nicht! Ich rede von dem Lämpchen. -Feuer ist Feuer.«</p> - -<p>»Eben darum können Sie Ihre Zigarette auch sonstwo -anzünden.«</p> - -<p>»Ach, man kann es ihr doch nie recht machen. Gestern -gab ich unserem Hunde etwas Suppe von unserer Schüssel, -da fängt die Mutter gleich jämmerlich an zu heulen und -schlägt zuletzt vor Ärger die Schüssel in Stücke. ›Ich kann -sie nun doch nicht mehr brauchen,‹ meint sie, ›da der Hund -sie angerochen hat.‹ Ich bitte Sie, meine Herrschaften, – -Sie, Valerian Nikolajewitsch, haben doch auch Physik studiert, -kann man etwas ›anriechen‹?! Beriechen kann man -eine Sache, herausriechen kann man etwas, – aber anriechen?! -Nur ein kompletter Dummkopf kann so reden!«</p> - -<p>»Sie hätten dem Hunde sein Essen aber auch in einem -andern Gefäß geben können!«</p> - -<p>»Gewiß. Aber warum?«</p> - -<p>»Um Ihrer Mutter nicht weh zu tun.«</p> - -<p>»Ach, so sehen Sie die Sache an! Meiner Ansicht nach ist -alles Lavieren eines ehrlichen Menschen unwürdig.«</p> - -<p>Die Serbolowa lachte leise, reichte Darjanow den Arm -und beide gingen zum Essen, den Lehrer mit seinem Knochenhaufen -allein lassend.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_14">Vierzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Hostienbäckerin Prepotenskaja, ein kleines altes Frauchen -mit einem winzigen Gesicht und ewig erstaunten, gutmütigen -Äuglein, über welchen die Brauen gleich Apostrophen -hingen, bat Darjanow um Entschuldigung, daß sie sein Klopfen -nicht gehört habe, beugte sich über den Tisch zu ihm hinüber -und fragte flüsternd:</p> - -<p>»Haben Sie meinen Warnascha gesehen?«</p> - -<p>Darjanow bejahte.</p> - -<p>»Er bringt mich zur Verzweiflung, Valerian Nikolajewitsch,« -klagte die Alte.</p> - -<p>»Was sorgen Sie sich deshalb so sehr? Er ist jung, und -Jugend hat keine Tugend. Wenn er älter wird, wird er auch -vernünftiger. Und wenn er erst eine Frau hat …«</p> - -<p>»Eine Frau? Wie soll ich ihn denn dazu bringen, daß -er heiratet? Das ist ganz unmöglich. Er ist ja ganz verdreht. -An den lieben Gott glaubt er nicht; Fleisch und Milch -genießt er an allen Fastentagen, sogar in der Karwoche, -und ich muß Ihnen gestehen, lieber Freund, ich fürchte mich, -besonders abends …«</p> - -<p>Die schwarzen Apostrophe über den Äuglein der winzigen, -ängstlichen Alten schoben sich unruhig hin und her. Sie zuckte -zusammen und flüsterte:</p> - -<p>»Und zu alledem, lieber Freund, habe ich immer schreckliche -Träume, so daß ich beim Erwachen gleich bete: ›Sankt<span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span> -Simeon, deute mir mein Traumgesicht.‹ Könnte ich mich mit -jemand im Hause darüber aussprechen, so ertrüge ich es viel -leichter; aber so bin ich immer und ewig allein mit den Totengebeinen. -Ich fürchte keinen Toten, über dem die Gebete -gesprochen sind, aber Warnascha erlaubt es ja nicht, daß -ich die Gebete lesen lasse.«</p> - -<p>»Zürnen Sie ihm nicht, er ist trotz alledem ein guter Kerl.«</p> - -<p>»Gewiß, gut ist er schon. Ich will auch nichts Böses von ihm -sagen. Ich war seine glückliche Mutter, und er war früher -so gut gegen mich, bis er in die Philosophieklasse kam. Damals, -wenn er zu den Ferien nach Hause kam, ging er auch -in die Kirche, und ich führte ihn zum Vater Sawelij, und -der Vater Sawelij war freundlich gegen ihn und half ihm -auch in diesem und jenem, – bis es dann plötzlich über ihn -kam, ich weiß selbst nicht wie und woher: er fing an, den Weisen -zu spielen. Seitdem wurde es mit jedemmal, wenn er -aus dem Seminar kam, schlimmer und schlimmer. Sagen -Sie, was Sie wollen, ich kann es mir nicht anders erklären, -als daß er behext ist. Vater Zacharia hat mir neulich aus -dem ›Familienblatt‹ vorgelesen, wie ein Sohn aus gutem -Hause vom Teufel besessen war, so daß zehn Mann nicht mit -ihm fertig werden konnten. Gerade so ist es mit Warnawa -auch.«</p> - -<p>Die Alte sprang auf, schlüpfte in die Küche, wischte sich -dort die Tränen aus den Augen, kam wieder ins Zimmer -zurück und berichtete weiter:</p> - -<p>»Ich will es Ihnen nur gestehen, ich gebe ihm jeden Tag -geweihtes Wasser zu trinken. Er weiß natürlich nichts davon -und merkt es nicht. Ich geb's ihm aber. Es hilft nur -leider nichts, und eine Sünde ist es auch. Vater Sawelij -sagt immer wieder, er verdiente, irgendwohin nach Taschkent -verschickt zu werden. Warum soll man es denn nicht noch<span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span> -einmal mit Güte versuchen? denke ich. Er aber meint, mit -Güte sei da nichts zu machen, weil ihm alle natürlichen Gefühle -fremd sind. Aber wenn auch, mir ist es doch leid um -ihn.« Und die Hostienbäckerin verschwand wieder.</p> - -<p>»So ein unglückliches Wesen,« sagte die junge Frau leise.</p> - -<p>»Ja, freilich,« stimmte Darjanow ihr bei. »Und der Rüpel -spielt noch Komödie und kommt nicht mal zum Essen.«</p> - -<p>»Gehen Sie doch noch mal hinaus und holen Sie ihn.«</p> - -<p>»Er ist ja so störrisch wie ein Pferd und wird nicht kommen.«</p> - -<p>»Das wollen wir doch sehen. Sagen Sie ihm, ich befehle -es, ich sei Agent der Geheimpolizei und wünschte ihn sofort -hier zu sehen, widrigenfalls ich Meldung mache, daß er nach -Petersburg zu ziehen beabsichtige.«</p> - -<p>Darjanow lachte und ging hinaus, um Warnawa zu holen. -Inzwischen hatte der Lehrer seine Schätze in Sicherheit gebracht, -und da die Arbeit seinen Appetit mächtig angeregt -hatte, fiel es ihm nicht leicht, sich charakterfest zu zeigen und -die Aufforderung zum Essen zurückzuweisen.</p> - -<p>Um den freiwilligen Märtyrer aus seiner schwierigen Lage -zu bringen, beugte sich der Abgesandte an sein Ohr und flüsterte -ihm mit geheimnisvoller Miene zu, was die Serbolowa -gesagt hatte.</p> - -<p>»Sie Spionin!« rief Warnawa und wurde ganz rot.</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Und vielleicht –«</p> - -<p>»Was?«</p> - -<p>»Vielleicht auch Sie …«</p> - -<p>»Ja, ich auch.«</p> - -<p>Warnawa drückte ihm freundschaftlich die Hand:</p> - -<p>»Ich danke Ihnen, daß Sie kein Geheimnis daraus machen.«</p> - -<p>Dann ging er mit reinem Gewissen zum Mittagessen.</p> - -<p>»Ich muß Ihnen ja gehorchen …«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_15">Fünfzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Plan war also gelungen. Warnawa hatte jetzt einen -Vorwand zum Essen zu kommen, ohne seiner Würde etwas -zu vergeben. Er trat ins Zimmer mit der Miene eines unglücklichen -Opfers feindlicher Gewalten und setzte sich an -das schmale Ende des Tisches, Darjanow gegenüber. Zwischen -ihnen, an der Längsseite, nahm Alexandra Iwanowna -Platz, während die vierte Seite frei blieb. Die Hostienbäckerin -selbst setzte sich fast nie mit ihrem Sohne zu Tisch, und auch -jetzt begnügte sie sich damit, die Gäste zu bedienen, ohne -mitzuessen. Die Alte war entzückt, ihren gelehrten Sohn -wiederzuhaben, Freude und Kummer wechselten auf ihrem -Antlitz, ihre Augenlider waren gerötet, die Unterlippe zitterte -leise und ihre alten Füßchen gingen nicht, sondern liefen in -großer Hast, wobei sie unausgesetzt bemüht war, sich so zu -stellen und zu wenden, daß man ihr Gesicht nicht sehen -konnte.</p> - -<p>Die Gäste suchten durch allerlei Listen die Alte zum Bleiben -zu bewegen, und lobten ihre Kochkunst. Aber die Gute -wies alles Lob zurück und meinte, sie verstünde nur die allereinfachsten -Speisen zu bereiten.</p> - -<p>»Aber gerade diese einfachen Speisen schmecken uns ausgezeichnet.«</p> - -<p>»Ach, wie sollen sie schmecken! Bloß gesund sollen sie sein, -sagt man. Aber Gott weiß, ob dem wirklich so ist. Warnawa<span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span> -ißt doch immer, was ich gekocht habe, – und sehen Sie ihn -bloß an: ganz wie leer ist er.«</p> - -<p>»Hm!« brummte Warnawa, sah die Mutter vorwurfsvoll -an und schüttelte den Kopf.</p> - -<p>»Ach Gott, was willst du wieder? Wirklich, Warnawa, -du bist leer.«</p> - -<p>»Sagt das doch noch einmal!« knurrte der Lehrer.</p> - -<p>»Es ist doch nichts Kränkendes, Warnascha! Milch trinkst -du morgens bis zur Unendlichkeit; Tee mit Weißbrot nimmst -du auch bis zur Unendlichkeit; Braten und Grütze auch, – -aber wenn du vom Tische aufstehst, bist du wieder leer bis -zur Unendlichkeit. Das ist doch sicher eine Krankheit. Ich -sage dir schon, lieber Sohn, hör' auf mich …«</p> - -<p>»Mutter!« unterbrach sie der Lehrer zornig.</p> - -<p>»Was ist denn dabei, Warnascha? Ich sage dir, wenn -du frühmorgens aufstehst, mußt du beten: ›Herr Gott, fülle -meine Leere‹ – und dann erst essen …«</p> - -<p>»Mutter!« rief Warnawa noch lauter.</p> - -<p>»Was ärgerst du dich denn, Närrchen? Ich sage dir, du -mußt beten: ›Herr Gott, fülle meine Leere‹ und dann ein -Stückchen geweihte Hostie essen, denn, Sie müssen wissen,« -wandte sie sich an die Gäste, »ich hole mir immer für ihn -und für mich je ein Stückchen von der Hostie aus der Kirche, -damit wir einst drüben in demselben Zelt sind. Aber er will -es nie essen. Warum?«</p> - -<p>»Warum? Ihr wollt wissen, warum? Schön! Weil ich -mit Euch nirgends zusammen sein will, weder in dieser noch -in irgendeiner andern Welt!«</p> - -<p>Ehe noch der Lehrer diese Worte gesprochen hatte, erbleichte -die Alte. Sie zitterte so, daß die beiden Fayenceteller, welche -sie in der Hand hielt, ihr entglitten und klirrend in Scherben -zersprangen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span></p> - -<p>»Warnascha,« rief sie, »du sagst dich los von mir?«</p> - -<p>»Ja, ja, ja, ich sage mich los! Ihr seid mir auch hier schon -zuwider, und mich verlangt nicht im mindesten darnach, -Euch noch in jener Welt auf dem Halse zu haben.«</p> - -<p>»St! St! St!« suchte die Alte bitterlich weinend ihn zu -unterbrechen, und fing an, dicht vor seinem Gesicht in die -Hände zu klatschen, damit sie seine furchtbaren Worte nicht -höre. Jedoch Warnawa schrie viel lauter, als seine Mutter -klatschte. Da stürzte sie zum Heiligenbild und rief außer sich, -mit den gespreizten Fingern ihrer mageren Hände fuchtelnd:</p> - -<p>»Höre ihn nicht, Gott, höre ihn nicht, höre ihn nicht!«</p> - -<p>Und dann fiel sie schluchzend in der Ecke vor dem Bilde -zu Boden.</p> - -<p>Diese traurige und ganz unerwartete Szene hatte alle Anwesenden -in Erregung versetzt, ausgenommen Prepotenskij. -Der Lehrer blieb völlig ruhig und aß mit seinem gewöhnlichen, -nie versagenden Appetit. Die Serbolowa war aufgestanden -und der Alten, welche aus dem Zimmer stürzte, -gefolgt. Darjanow sah durch die offene Tür, wie die Hostienbäckerin -Alexandra Iwanowna umarmte. Er stand auf, schloß -die Tür und stellte sich ans Fenster.</p> - -<p>Prepotenskij aß ruhig weiter.</p> - -<p>»Wann fährt Alexandra Iwanowna nach Hause?« fragte -er, gemächlich kauend.</p> - -<p>»Sobald die Hitze nachläßt,« antwortete Darjanow trocken.</p> - -<p>»Erst!« sagte Prepotenskij gedehnt.</p> - -<p>»Ja, Tuberozow will sie hier noch aufsuchen.«</p> - -<p>»Tuberozow? Bei uns? In unserem Hause?«</p> - -<p>»Ja, in Ihrem Hause. Aber er kommt nicht zu Ihnen, -sondern zu Alexandra Iwanowna.«</p> - -<p>Darjanow stand während dieses Gespräches mit dem Rücken -zu Prepotenskij und blickte in den Hof hinaus, aber bei den<span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span> -letzten Worten wandte er sich um und fügte mit einem -kaum merklichen Lächeln hinzu:</p> - -<p>»Es scheint, Sie haben eine Mordsangst vor Tuberozow.«</p> - -<p>»Ich? Ich Angst vor Tuberozow?«</p> - -<p>»Ja freilich. Es sieht so aus, als wäre sogar Ihre Nase -ganz grün geworden, wie ich sagte, er wolle hierher kommen.«</p> - -<p>»Meine Nase grün geworden? Ich versichere Sie, das -kommt Ihnen nur so vor. Wie wenig ich ihn fürchte, will -ich Ihnen heute noch beweisen.«</p> - -<p>Mit diesen Worten erhob sich Prepotenskij und ging hinaus. -Der Gast ahnte nicht, was für kühne Gedanken in diesem -Augenblick im verzweifelten Gehirn Warnawas keimten und -reiften. Der geneigte Leser aber soll es im nächsten Kapitel -erfahren.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_16">Sechzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nachdem er das Zimmer verlassen, schlüpfte Prepotenskij -in eine kleine Scheune, entledigte sich seiner Oberkleider und -kletterte auf den Heuboden. Mit großer Anstrengung schob -er zwei Deckbretter auseinander und kroch durch den ziemlich -engen Spalt in einen kleinen, von außen verschlossenen Speicher. -Bunt durcheinander lagen dort Töpfe und Bütten, -an der Decke hing ein Schinken, auf Stöckchen waren Bündel -von Bohnenkraut, Pfefferminz und Dill gespießt. Der -Lehrer ließ alle diese Gegenstände unberührt. Er stieg auf -eine hohe Truhe aus Tannenholz mit schrägem Deckel und -holte einen großen, leicht gewölbten Trog herunter, der so -blank wie das Schaufenster eines Spiegelgeschäfts gescheuert -war. Mit dem Trog kroch er wieder in die Scheune zurück, -wo er die unseligen Totengebeine sehr geschickt versteckt -hatte.</p> - -<p>Niemand dachte daran, dem Lehrer nachzuspüren, er aber -war es schon so gewohnt, seine »Lage« für »gefährdet« zu -halten, daß er sich nirgends sicher fühlte. Immer mußte er -sich verkriechen und verstecken, weil er dachte, sonst wäre es -ihm unmöglich, sein Unternehmen zu beginnen und im geeigneten -Augenblick mit allem Pomp zur Ausführung zu -bringen.</p> - -<p>Eine Stunde mochte seit Warnawas Verschwinden vergangen -sein, und es begann zu dämmern, als der Ring an<span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span> -dem wackeligen Pförtchen der Prepotenskijschen Behausung -klirrte.</p> - -<p>Tuberozow war gekommen. Warnawa hörte in seiner -Scheune, wie unter dem festen Tritt des beleibten Propstes -die Stufen des alten Holztreppchens knarrten und sich bogen, -und wie der Gast die Serbolowa und die alte Hostienbäckerin -begrüßte.</p> - -<p>»Nun, meine liebe Witwe von Nain, was macht dein gelehrter -Sohn?« wandte sich Vater Sawelij an die Alte, die -eben den kleinen weißen Tisch auf die offene Veranda hinaustrug, -wo die Gäste den Tee trinken sollten.</p> - -<p>»Mein Warnascha? Gott weiß, Vater Propst. Er hat -wohl Angst bekommen und sich irgendwo vor Euch versteckt.«</p> - -<p>»Du lieber Himmel, was hat er denn von mir zu fürchten? -Er sollte sich lieber mehr um sich selber kümmern und vorsichtig -sein,« und Tuberozow erzählte Darjanow und der -Serbolowa von den nächtlichen Abenteuern Achillas.</p> - -<p>»Wer hat ihn darum gebeten? Wer hat es ihm befohlen?« -fragte der Alte und antwortete selbst: »Niemand! Er hat es -ganz für sich allein beschlossen, mit Warnawa Wasiljewitsch -abzurechnen, und die ganze Stadt haben sie in Aufregung -versetzt.«</p> - -<p>»Habt Ihr es ihm denn nicht befohlen, Vater Propst?« -fragte die Alte.</p> - -<p>»Wie käme ich dazu, solche Dummheiten zu befehlen?« -erwiderte Tuberozow und fing von anderen Dingen zu reden -an. So verging noch eine halbe Stunde und die Gäste brachen -auf. Warnawa war immer noch unsichtbar, aber als der -Wagen der Serbolowa vorfuhr, flog die Pforte der Scheune, -in welcher der Lehrer sich verborgen hielt, weit auf, und langsam -und feierlich schritt Warnawa Prepotenskij auf die erstaunten -Gäste zu.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span></p> - -<p>Er trug seine gewöhnliche Kleidung und hielt in beiden -Händen hoch über seinem Haupte den neuen Waschtrog, den -er der Mutter geraubt und in dem jetzt in schönster symmetrischer -Anordnung die wohlbekannten Gebeine lagen.</p> - -<p>Ehe noch jemand begreifen konnte, was die Erscheinung -des Lehrers mit dieser seltsamen Trophäe zu bedeuten hatte, -war Prepotenskij bereits majestätisch an der Veranda vorübergeschritten, -hatte dem dort stehenden Tuberozow die -Zunge gezeigt und war dann über den Friedhof auf die Straße -hinausgegangen.</p> - -<p>Die Hostienbäckerin zitterte am ganzen Leibe, kaute krampfhaft -an den Spitzen ihrer fest zusammengedrückten Finger -und flüsterte:</p> - -<p>»Was hat er da? Was trägt er durch die Stadt?«</p> - -<p>Als sie es endlich begriffen hatte, heulte sie laut auf und -stürzte mit einer Geschwindigkeit, die man ihren Jahren gar -nicht zugetraut hätte, dem Sohne nach. Die Alte hüpfte -und hopste, wie gewisse Vögel, die, bevor sie auffliegen, erst -einen Anlauf nehmen müssen. Trotzdem Warnawa langsam -schritt, erschien es fraglich, ob die Hostienbäckerin selbst bei -diesem schnellen Tempo imstande sein werde, ihren Sprößling -einzuholen, der schon am entgegengesetzten Ende der -Straße angelangt war. Allein ein unerwartetes Ereignis, -durch das die ganze Prozession und die Verfolgung eine völlig -neue Wendung nehmen sollte, trat ein.</p> - -<p>Irgendwo von oben her ertönte plötzlich ein lautes und -lustiges:</p> - -<p>»Hallo! Hurra! Nicht hauen! Nicht hauen! Nicht hauen!«</p> - -<p>Die Zeugen dieser Szene sahen sich nach der Richtung um, -aus welcher das Geschrei kam, und erblickten auf dem Vorsprung -eines der Nachbardächer einen zerlumpten Kerl, -der in der Hand eine dünne Stange hielt, wie sie Taubenzüchter<span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span> -brauchen, um ihre Tümmler aufzuscheuchen. Dieser -Schreier war der Ausrufer und das Faktotum von Stargorod, -der Proletarier und beschäftigungslose Kleinbürger -Danilka, den sie in der Stadt den »Kommissar« nannten. -Er war just mit seinen Tauben beschäftigt und benutzte die -Gelegenheit, um spaßeshalber auch den Lehrer zu erschrecken. -Diesen Zweck erreichte er vollkommen, denn kaum hatte -Prepotenskij den Warnungsruf vernommen, so schlug er -sofort ein schnelleres Tempo an und stürmte wie ein gehetztes -Reh vorwärts. Aber während er einer Gefahr zu entgehen -hoffte, lief er einer andern, weit schlimmern in die Arme; -denn an der nächsten Wegkreuzung tauchte vor den entsetzten -Blicken des Lehrers in Riesengröße – er schien heute viel gewaltiger -als gewöhnlich – der grimme Diakon Achilla auf.</p> - -<p>Wie sagt das Sprichwort? Links die Backpfeife und rechts -der Rippenstoß.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span></p> - -<h3 id="kap1_17">Siebzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Kaum hatte der arme Lehrer den Diakon erblickt, so knickten -seine Knie kraftlos zusammen. Doch schon im nächsten Augenblick -reckten sie sich wieder auf wie Sprungfedern, und mit -drei mächtigen Sätzen legte er eine Entfernung zurück, die -ein normaler Mensch in zehn Sprüngen nicht hätte überwinden -können. Dadurch schien Warnawa gerettet, denn er -befand sich jetzt gerade unter dem Fenster der Gattin des -Akziseeinnehmers Biziukin, und zu seinem großen Glück -stand die aufgeklärte Dame selbst am offenen Fenster.</p> - -<p>»Nehmen Sie dies!« rief Prepotenskij ganz außer Atem.</p> - -<p>»Ich werde verfolgt von Spionen und Pfaffen!«</p> - -<p>Bei diesen Worten schob er den Trog mit den Knochen -zum Fenster hinein, er war aber selbst so erschöpft, daß er -sich nicht mehr rühren konnte und an die Mauer lehnen mußte. -Im selben Augenblick stand auch schon Achilla, ebenfalls ganz -außer Atem, neben ihm und packte seinen Arm.</p> - -<p>Sein Blick traf mitten auf der Straße zwei aus dem Staube -emporragende menschliche Rippen. Sich zu Prepotenskij wendend -sagte er:</p> - -<p>»Warum hebst du deine Astragalusse nicht auf?«</p> - -<p>»Tretet beiseite, dann will ich sie aufheben.«</p> - -<p>»Gut, ich will zurücktreten,« – und der Diakon ging an -das Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen, guckte ins Zimmer -hinein und fuhr fort:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span></p> - -<p>»Hören Sie mal, Frau Rätin, Sie tun sehr unrecht, wenn -Sie sich für diesen Lehrer so ins Zeug legen.«</p> - -<p>Statt der erwarteten Antwort der »Rätin« erschien der -liberale Akziseeinnehmer Biziukin selbst am Fenster und hielt -dem Diakon den kahlen Schädel des Skeletts vor Augen.</p> - -<p>»Sei mal so gut und lege das Ding fort, sonst werde ich -böse,« entgegnete Achilla höflich. Von innen ertönte nur -ein höhnisches Gelächter, und der Einnehmer ließ den Schädel -laut und schauerlich mit den Zähnen klappern.</p> - -<p>»Ich schlag euch alle zu Brei,« brüllte Achilla, indem er -mit beiden Händen einen mächtigen Stein packte, der neben -dem Fundament lag und gut zwei Zentner wiegen mochte. -Im selben Augenblick, als er mit flammenden Augen dieses -ungeheure Geschoß emporhob, um es gegen seine Widersacher -zu schleudern, fiel ihm von hinten jemand in den Arm, -und eine bekannte Stimme rief gebieterisch:</p> - -<p>»Laß liegen!«</p> - -<p>Es war Tuberozow. Mit strengem Gesicht, schwer atmend -und zitternd vor Erregung stand Propst Sawelij vor ihm. -Achilla gehorchte. Noch einen zornigen Blick aus seinen vor -Wut geröteten Augen warf er auf den Einnehmer, dann -schleuderte er den Stein mit solcher Wucht zur Seite, daß er -einen Zoll tief in den Boden drang.</p> - -<p>»Geh nach Hause,« flüsterte ihm Sawelij zu und wandte -sich selbst zum Gehen.</p> - -<p>Achilla widersetzte sich auch diesem Befehl nicht und schlich -leise und niedergeschlagen, wie ein sonst artiger Schulbub, -der bei einem dummen Streich ertappt worden ist, von -dannen.</p> - -<p>»Gott, was für eine alberne und ärgerliche Geschichte,« -sagte Tuberozow, mühsam nach Luft schnappend, zu Darjanow, -der ihn inzwischen eingeholt hatte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span></p> - -<p>»Macht Euch keine unnützen Gedanken, die Sache wird -weiter keine Folgen haben.«</p> - -<p>»Wieso keine Folgen? Die Folge wird sein, daß Achilla -vor Gericht kommt. Haben Sie denn nicht gehört, was er -schrie, als er mit dem Stein drohte? Er wollte sie alle zu -Brei schlagen!«</p> - -<p>»Ihr werdet sehen, alles löst sich in Wohlgefallen und Lachen -auf.«</p> - -<p>»Nein, das glaube ich nicht. Hier gibt es nichts zum Lachen. -Es handelt sich um eine große Dummheit, die gemeine Menschen -zu ihren Zwecken ausnutzen können.«</p> - -<p>Der Propst beschleunigte seine Schritte und eilte nach -Hause, indem er mit seinem langen Stabe zornige Zickzacklinien -durch den Straßenstaub zog.</p> - -<p>Im nächsten Buche unserer Chronik werden wir sehen, was -für Folgen diese Begebenheit hatte und wer von den beiden -Propheten im Recht war.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span></p> - -<h2 id="Zweites_Buch">Zweites Buch.</h2> - -<h3 id="kap2_1">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Tag des heiligen Methodius von Pesnosch war vorüber -und der erwachende Morgen verhieß einen heiteren und -stillen Tag.</p> - -<p>Tuberozow, von der Messe zurückgekommen, saß beim -Tee, auf demselben Sofa, auf dem er nachts geschlafen, und -vor demselben Tisch, an dem er seine Memorabilien geschrieben -hatte. Die Pröpstin bediente ihren Gatten, um dessen -Ruhe sie so besorgt war, daß sie ihm alles an den Augen -abzusehen suchte und nicht wagte, durch irgendeine Frage -seine ernsten Gedanken zu stören. Flüsternd befahl sie dem -Dienstmädchen, die beiden Pfeifen des Propstes mit Shukowschem -Knaster zu stopfen und sie in den Ständer in der -Ecke zu stellen, und dann setzte sie sich ihm gegenüber und -wartete, das Kinn auf die Hand gestützt, bis der Propst -das erste Glas geleert habe und ein zweites verlangen -würde.</p> - -<p>Aber ehe es so weit war, wurde ihre Aufmerksamkeit durch -einen ungewöhnlichen Lärm ganz in der Nähe des Hauses -abgelenkt. Man vernahm hastige Schritte und wirre Stimmen, -die sich hin und wieder zu wütendem Geschrei verdichteten.<span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span> -Die Pröpstin schaute zum Fenster ihres Schlafzimmers -hinaus und sah, daß Lärm und Geschrei von einer Menschenmenge -herüberdrangen, welche sich mit großer Hast geradewegs -auf ihr Haus zu bewegte.</p> - -<p>»Was kann das sein?« dachte die Pröpstin, ging ins Wohnzimmer -zurück und sagte ihrem Manne:</p> - -<p>»Sieh doch, Vater Sawelij, was da für eine Menge Leute -kommt.«</p> - -<p>»Leute gibt es viel, meine Liebe, aber es sind keine Menschen -darunter,« antwortete Sawelij ruhig.</p> - -<p>»Nein, du solltest wirklich hinaussehen, es sind ihrer furchtbar -viele.«</p> - -<p>»Laß sie doch rumlaufen, soviel sie wollen; gib mir lieber -noch ein Gläschen Tee.«</p> - -<p>Die Pröpstin nahm sein Glas, füllte es, reichte es ihm -und trat wieder ans Fenster. Der lärmende Haufe war -verschwunden. Nur drei oder vier aus ihm standen noch -herum und blickten mit offenkundiger Verlegenheit nach -dem Tuberozowschen Hause.</p> - -<p>»Um Gotteswillen, brennt es nicht irgendwo bei uns, -Vater Sawelij!« rief die Pröpstin und stürzte entsetzt ins -Zimmer ihres Gatten, aber schon an der Schwelle blieb sie -stehen und begriff endlich, was eigentlich geschehen war.</p> - -<p>Die Tür zum Wohnzimmer ging lärmend auf und in der -Wohnstube des Propstes erschien der Diakon Achilla, und -dicht hinter ihm, feuerrot und ganz verwirrt, der Kommissar, -welchen Achilla fest am Ohr hielt.</p> - -<p>»Vater Propst,« begann Achilla, indem er Danilka losließ -und die Hände dem Propst entgegenstreckte.</p> - -<p>Tuberozow segnete ihn.</p> - -<p>Hierauf trat auch Danilka vor Sawelij hin und nahm den -Segen in Empfang.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span></p> - -<p>Nachdem dies geschehen war, packte der Diakon ihn wieder -fest am Ohr, riß ihn zwei Schritte zurück und fing an:</p> - -<p>»Stellt Euch vor, Vater Sawelij, eben gehe ich die Straße -entlang, da höre ich laut reden. Ein paar Kleinbürger -sprechen vom gestrigen Regen, den uns der liebe Gott auf -unseren Bittgottesdienst gesandt hat, – und jener dort« – -Achilla stieß den Zeigefinger seiner linken Hand dem ängstlich -zwinkernden Danilka gerade in die Nase – »wagt zu widersprechen!«</p> - -<p>Tuberozow hob den Kopf.</p> - -<p>»Denkt nur, er behauptete,« fuhr der Diakon fort und -zog Danilka näher zu sich heran, »er behauptete, der Regen, -den wir vorige Nacht nach dem Bittgottesdienst gehabt hätten, -sei gar nicht infolge des Gottesdienstes gekommen.«</p> - -<p>»Woher weißt du denn das?« fragte Tuberozow trocken.</p> - -<p>Danilka schwieg verlegen.</p> - -<p>»Denkt doch bloß, Vater Propst! Er behauptet, der Regen -sei einfach kraft eines Naturgesetzes gekommen.«</p> - -<p>»Zu welchem Zwecke hast du die Betrachtungen angestellt?« -fragte Tuberozow.</p> - -<p>»Ein Zweifel regte sich in mir,« antwortete Danilka bescheiden.</p> - -<p>»Zu zweifeln hat ein so kompletter Ignorant, wie du, -überhaupt nicht, und also hat der Täter seinen Lohn dahin. -Du hast bekommen, was du verdientest. Und nun hinaus -aus meinem Hause, du Schwätzer.«</p> - -<p>Nachdem der Freigeist Danilka auf diese Weise an die Luft -befördert war, nahm der Propst wieder am Teetisch Platz, -trank sein Glas schweigend aus, und als er damit fertig war, -wandte er sich an den Diakon Achilla. »Und du, Vater Diakon, -– hast du die Absicht, noch lange so zu wüten? Hab' -ich dich nicht ermahnt, deine Hände davon zu halten?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span></p> - -<p>»Es geht nicht, Vater Propst; ich konnte mich nicht bezwingen; -ich wollte Euch schon längst davon Mitteilung -machen, wie er – denkt nur – immer gegen die Gottheit -und gegen die Schrift redet.«</p> - -<p>»Und da mußtest du dich vor allem Volke mit ihm prügeln?«</p> - -<p>»Und wenn's auch vor allem Volke war, – was ist denn -dabei, Vater Propst? Ich bin ein Diener des Altars und -muß an jedem Ort für meinen Glauben eintreten. Der heilige -Nikolaus hat dem Ketzer Arius auch vor allem Volke -eins ausgewischt …«</p> - -<p>»Du bist aber nicht der heilige Nikolaus,« fiel ihm Tuberozow -ins Wort. »Du bist eine simple Krähe, verstehst du, -und als solche hast du dich nicht um Dinge zu kümmern, die -dich nichts angehen. Was hast du mit deinem Knüppel so -zu fuchteln? Du hast wohl vergessen, daß ein Knüppel zwei -Enden hat? Du verläßt dich immer auf deine Kraft, du -Dromedar!«</p> - -<p>»Das tu ich.«</p> - -<p>»Tust du's? Nun, so tu es lieber nicht. Nicht deine Kraft -hat dich gerettet, sondern das da,« – sagte der Propst und -zog den Diakon am Ärmel seiner Kutte.</p> - -<p>»Wollt Ihr mir das zum Vorwurf machen, Vater Propst? -Ich bin mir der Würde meines Amtes bewußt.«</p> - -<p>»So? Du bist dir der Würde deines Amtes bewußt?«</p> - -<p>Mit diesen Worten trat der Propst dem Diakon einen -Schritt näher, schlug sich mit der flachen Hand auf das Knie -und flüsterte:</p> - -<p>»Ist es Euch vielleicht bekannt, Vater Diakon, wer mit -den Handlungsgehilfen vor dem Kolonialwarenladen sitzt -und Zigaretten raucht?«</p> - -<p>Der Diakon wurde verlegen und erwiderte hastig:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span></p> - -<p>»Ja, gewiß hab' ich, Vater Propst … Ich kann's nicht -leugnen … Aber das geschah nur aus Unvorsichtigkeit, -Vater Propst, wirklich nur aus Unvorsichtigkeit.«</p> - -<p>»Seht nur, ihr Leute, was wir für einen feinen Diakon -haben, wie famos er die Zigaretten zu drehen versteht.«</p> - -<p>»Nein, wirklich, Vater Propst, nicht deswegen war es. -Was hätt' ich mich groß damit zu rühmen? In bezug auf -das Tabakskraut sind auch andere geistliche Personen nicht -sehr enthaltsam.«</p> - -<p>Tuberozow maß den Diakon von Kopf bis zu Fuß mit -einem sehr vielsagenden Blick, dann warf er den Kopf zurück -und fragte:</p> - -<p>»Was willst du damit sagen? Daß der Propst auch Tabak -raucht, nicht wahr?«</p> - -<p>Der Diakon war so verlegen, daß er nichts zu erwidern -vermochte.</p> - -<p>Tuberozow wies mit der Hand nach der Zimmerecke, wo -seine drei Pfeifen standen.</p> - -<p>»Was rauche ich wohl, Vater Diakon?«</p> - -<p>Der Diakon schwieg.</p> - -<p>»Habt die Güte, mir Antwort zu geben. Was rauche ich? -Rauche ich Pfeifen?«</p> - -<p>»Ihr raucht Pfeifen,« antwortete der Diakon.</p> - -<p>»Pfeifen? Ausgezeichnet. Und wo rauche ich sie? Rauche -ich sie zu Hause?«</p> - -<p>»Ihr raucht sie zu Hause.«</p> - -<p>»Manchmal rauche ich auch eine bei guten Freunden, die -ich besuche.«</p> - -<p>»Ihr raucht auch manchmal bei guten Freunden.«</p> - -<p>»Aber nicht mit Ladenjungen vor dem Tor!« rief Tuberozow -und schlug mit dem rechten Zeigefinger drohend -gegen die linke Handfläche. »Geh jetzt deines Weges und<span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span> -hab' Acht auf dich,« schloß er. »Es kommt eine neue Ordnung, -es wird ein neues Gerichtsverfahren eingeführt, es -kommen neue Gebräuche, nichts soll mehr im Verborgenen -bleiben, sondern alles offenbar werden; dann werde ich dich -nicht mehr schützen können.«</p> - -<p>Nach diesen Worten trat der Propst mit seinem großen -Fuß auf einen Strohstuhl und langte vorsichtig den gelben -Käfig mit dem Kanarienvogel herunter.</p> - -<p>»Pfui! Daß Gott sich erbarme! Da hab' ich den Glauben -verteidigen wollen und wieder war's ein Reinfall!« brummte -Achilla vor sich hin, als er das Haus des Propstes verlassen -hatte und mit schnellen Schritten auf ein kleines gelbes Häuschen -zuging, aus dessen offenen Fenstern ein ganzer Haufen -blonder Kinderköpfchen herausguckte.</p> - -<p>Der Diakon stieg eilig die Verandastufen hinauf, trat -ins Vorhaus und öffnete, nachdem er mit der Stirn erst -gegen den Querbalken gerannt war, die Tür zum Wohnzimmer.</p> - -<p>In dem niedrigen Raume ging der dürre, winzige Zacharia -im Leibrock, die Hände auf dem Rücken, eine lange silberne -Kette auf der eingefallenen Brust, auf und ab.</p> - -<p>Achilla betrat dieses Haus mit einem ganz anderen Gesicht -und in ganz anderer Haltung, als das des Propstes. Die -Verwirrung, in der er sich befunden hatte, als er das Haus -Tuberozows verließ, war geschwunden, und schon erfüllten -ihn eitel Milde und Güte.</p> - -<p>»Nun, Vater Zacharia! Nun, Brüderlein, liebes … Nun!« -begann er ungeduldig in der Tür.</p> - -<p>»Was gibt's?« fragte Zacharia mit sanftem Lächeln. »Was -drehst und windest du dich so?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, -begann der dürre Pfarrer wieder auf- und abzulaufen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span></p> - -<p>Der Diakon brach erst in ein lustiges Lachen aus und rief -dann:</p> - -<p>»Ach, Freundchen, hat das wieder eine Kopfwäsche gegeben! -Ach, Vater, sogar der Schädel tut mir weh von der -Seife. Kann ich mal fix einen kippen?«</p> - -<p>»Einen kippen? Schön! Aber wer hat dich denn vorgekriegt?«</p> - -<p>»Wer sonst als der Justizminister!«</p> - -<p>»Vater Sawelij!«</p> - -<p>»Eben der! Es ist eine ganz ungewöhnliche Sache, Vater -Zacharia. Ich wollte mich verdient machen, aber er hat alles -herumgedreht, durcheinandergeschmissen. Erzählen läßt es -sich gar nicht.«</p> - -<p>Aber nachdem der Diakon sich gesetzt und das ihm auf -einem Teller präsentierte Gläschen Branntwein geleert hatte, -erzählte er Vater Zacharia doch die ganze Geschichte seines -Konflikts mit Danilka und mit Tuberozow in allen Einzelheiten. -Zacharia hüpfte währenddem unausgesetzt im Zimmer hin -und her und blieb nur stehen, um bald den einen, bald den -andern der herumhuschenden Blondköpfe aus dem Wege zu -räumen. Als der Diakon seine Erzählung beendet hatte, -brummte Zacharia, das Ende seines dünnen Bartes zwischen -die Lippen geklemmt, bedeutungsvoll: »Ja, ja, ja, aber das -tut nichts.«</p> - -<p>»Ich kann mir's nicht anders denken, als daß er erzürnt -ist und …«</p> - -<p>»Und was noch? Packt euch raus, ihr Bälger! Also was -noch?« fragte Zacharia, die Kinder zur Seite schiebend.</p> - -<p>»Daß es unpolitisch von mir war, die Pfeife zu erwähnen,« -erklärte der Diakon.</p> - -<p>»Ja natürlich … versteht sich … zum Teil mag auch das -… Weg mit euch, ihr Bälger! … Übrigens glaube ich,<span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span> -daß er nicht so sehr unzufrieden mit dir ist … Er ist vielmehr -… nehme ich an … Wollt ihr wohl Platz machen, ihr -Bälger! … Ich meine, daß er in seinem Herzen … verstehst -du?«</p> - -<p>»Betrübt ist?« sagte der Diakon.</p> - -<p>Vater Zacharia fuhr sich mit der kleinen Hand über die -Brust, zog ein saures Gesicht und sagte:</p> - -<p>»Empört ist.«</p> - -<p>»Gepeinigt,« entschied Achilla. »Ich weiß, der Lehrer Warnawka -bringt ihn immer in Zorn, aber ich nehme mir den -Warnawka noch einmal ordentlich vor – – und so weiter.«</p> - -<p>Und ohne sich in weitere Auseinandersetzungen einzulassen, -verabschiedete sich der Diakon und ging.</p> - -<p>Auf dem Heimwege traf er Danilka und hielt ihn an:</p> - -<p>»Sei so gut, lieber Danilka, und zürne mir nicht. Wenn -ich dich gestraft habe, so geschah es nur in Erfüllung meiner -Christenpflicht.«</p> - -<p>»Ihr habt mich vor dem ganzen Volke gekränkt, Vater -Diakon,« antwortete Danilka in einem Tone, der zwar noch -immer beleidigt, aber doch auch schon ein wenig nach Friedensbereitschaft -klang.</p> - -<p>»Nun, was willst du mir dafür tun, daß ich dich gekränkt -habe? Ich weiß, daß es eine Kränkung war, aber wenn ich -streng bin … Ich habe es ja nicht aus Frechheit getan. -Schon im vorigen Jahr, als ich dich ertappte, wie du im Vorhause -beim Polizeichef das Meßgewand des Propstes angelegt -hattest und den Weihwasserwedel schwenktest, sagte ich -zu dir: ›Du kannst über die Schrift philosophieren, soviel du -willst, Danilka, von der Wissenschaft verstehe ich selbst nicht -viel, aber den Ritus darfst du mir nicht antasten.‹ – Hab' -ich das gesagt oder nicht?«</p> - -<p>Danilka schüttelte widerwillig den Kopf und brummte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span></p> - -<p>»Vielleicht habt Ihr so was gesagt.«</p> - -<p>»Nein, mein Lieber, keine Winkelzüge! Gestehen sollst du! -Ich hab' es deutlich ausgesprochen: den Ritus nicht antasten, -und damit basta! Und warum sagte ich das? Weil es unser -Lebensinhalt ist, unsere Wesenheit, deshalb hast du auch deine -Finger davon zu lassen. Hast du mich verstanden?«</p> - -<p>Danilka drehte sich nur zur Seite und lächelte. Ihm selbst -war es furchtbar komisch vorgekommen, als der Diakon ihn -am Ohr durch die ganze Stadt zerrte, und die andern Kleinbürger, -welche Zeugen dieser Szene waren, hatten, im Scherz -und mühsam das Lachen verbeißend, dem Diakon ebenfalls -übermäßige Strenge vorgeworfen.</p> - -<p>»Ihr seid zu streng, Vater Diakon! Ihr seid übermäßig -streng,« hatten sie ihm gesagt.</p> - -<p>Achilla machte nach dieser Bemerkung ein nachdenkliches -Gesicht, und mit einem tugendhaften Seufzer seine Hände -auf die Schultern der beiden zunächst stehenden Kleinbürger -legend, meinte er:</p> - -<p>»Streng, sagt ihr? Ja, gewiß bin ich streng, da redet ihr -wahr. Aber dafür bin ich auch gerecht. Wenn nun diese -Sache vor den Friedensrichter käme? Da ginge es doch viel -schlimmer. Er knöpft einem sofort drei Rubel zum Besten -der Kinderbewahranstalten ab.«</p> - -<p>»Wer weiß? Mancher Friedensrichter gibt einem dafür -noch einen Rubel Trinkgeld.«</p> - -<p>»Na siehst du wohl! Ich weiß, daß ich gerecht bin, mein -Lieber.«</p> - -<p>»Gerecht? Ach nein, Vater Diakon, Eure Gerechtigkeit ist -nicht weit her!«</p> - -<p>»Wieso?«</p> - -<p>»Weil doch der Danilka gar nicht so viel Schuld hat. Er -hat doch nur wiederholt, was der gelehrte Mann ihm sagte.<span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span> -Wenn's nach Recht ginge, müßtet Ihr den Lehrer Warnawa -zur Vernunft bringen. Er hat uns das erklärt, Danilka -hat bloß gezweifelt, ob der Lehrer recht hat und der Regen -von selber durchs Naturgesetz gekommen ist, oder ob ihn doch -der Bittgottesdienst hervorgerufen hat. Wenn Ihr den -Lehrer durchgewalkt hättet, so wäre das nur recht und billig -gewesen.«</p> - -<p>»Den Lehrer?!« Der Diakon breitete die Arme weit aus, -schob die Lippen rüsselförmig vor, stand einen Augenblick vor -den Kleinbürgern und flüsterte dann: »Gerecht? Ja, die -Gerechtigkeit verlangt es … Aber Vater Sawelij will es -nicht … und also ist es unmöglich …«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_2">Zweites Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Mehrere Tage waren vergangen. Tuberozow hatte sich -überzeugt, daß seine Befürchtungen, die unbändigen Taten -des Diakon Achilla könnten noch ein gerichtliches Nachspiel -haben, unbegründet waren. Alles ging gemütlich seinen -gleichen Gang. Die Leute suchten Abwechslung in ihr eintöniges -Leben zu bringen, indem sie sich zankten, um sich -wieder zu versöhnen, und sich versöhnten, um sich wieder -zanken zu können. Nichts drohte die allgemeine Ruhe zu -stören. Im Gegenteil, dem Propst ward ein wunderschöner -Tag beschieden, der ihm nichts als Freude brachte. Es war -dies der Namenstag der Frau Stadthauptmann, der sehr -bald auf jenen Tag folgte, an dem Achilla in seinem Glaubenseifer -den öffentlichen Skandal mit dem Kommissar Danilka -hervorgerufen hatte. Als alle Gäste der Pastete des Herrn -Polizeichefs die gebührende Ehre erwiesen hatten, rief der -Hausherr, welcher zufällig ans Fenster getreten war, plötzlich -laut seiner Frau zu:</p> - -<p>»Ach du lieber Gott! Sieh nur, Frau, was für Gäste -wir bekommen!«</p> - -<p>»Wer kommt denn da?« fragte die Frau.</p> - -<p>»Sieh mal selber nach.«</p> - -<p>Die Hausfrau, und mit ihr alle anwesenden Gäste, stürzten -ans Fenster, und nun sah man, daß sich ein mächtiges Dreigespann -kräftiger brauner Pferde vorsichtig den Berg herunter<span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span> -bewegte, fast wie ein dreiköpfiger Drache, der auf dem -Bauche kriecht. Das mittlere Pferd bläht sich auf und strampelt, -wie ein alter General, der einem Untergebenen eine -Pauke halten will. Die Seitenpferde sausen bald, wie Ulanenkornetts -auf dem Ball, die ein Gegenüber suchen, bald drängen -sie sich an das Mittelpferd, wie Schafe im Regen. Das rote -Glöcklein schlug manchmal mit dem Ring gegen den Rand, -dann schien es wieder wie festgeklebt und schwieg; nur die -Schellen klirrten dumpf. Jetzt war der dreiköpfige Drache -unten angelangt und breitete sich aus. Die Rücken der Pferde -wurden sichtbar, der Schweif des einen Seitenpferdes wehte -hoch im Winde; auch eine Mähne flog empor; die Pferde -hielten gleichmäßigen Trab und der Wagen polterte über die -Brücke. Deutlich sah man das vergoldete Krummholz mit -eingeätzten Ornamenten und den großen altertümlichen, -bronzebeschlagenen, gitarrenförmigen Wagen, auf dem nebeneinander, -wie auf einem Sofa, zwei kleine Geschöpfe, ein -weibliches und ein männliches, saßen; der Mann in einem -dunkelgrünen Kamelot-Mantel und einer großen Mütze aus -haarigem Plüsch, die Frau in einem schlafrockartigen Mantel -aus himbeerfarbenem <em class="antiqua">Gras-de-Naples</em> mit einem lila Samtkragen -und einer Haube mit braunen Bändern.</p> - -<p>»Mein Gott, das sind ja die Plodomasowschen Zwerge! -– Nicht möglich! – Sehen Sie doch selbst! – Ja, richtig! -– Gewiß doch! Da – Nikolai Afanasjewitsch hat uns schon -bemerkt. Sehen Sie, er grüßt! Und jetzt nickt auch Maria -Afanasjewna.«</p> - -<p>So tönte es erfreut von allen Seiten. Die Gastgeber beeilten -sich, für die Ankömmlinge das Frühstück wieder auftragen -zu lassen, und die Anwesenden richteten die Blicke -gespannt nach der Tür, durch die die kleinen Leute eintreten -mußten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span></p> - -<p>Voran schritt ein altes Männlein, nicht größer als ein -achtjähriger Knabe, gefolgt von einem alten Frauchen etwas -größeren Wuchses.</p> - -<p>Das Männlein war ganz Sauberkeit und Wohlanständigkeit. -Auf seinem Gesicht war nichts von gelben Flecken oder -Runzeln zu sehen, wie sie gewöhnlich die Gesichter von Zwergen -entstellen. Er hatte eine sehr wohlproportionierte Gestalt, -einen kugelrunden Kopf, der ganz mit weißen, kurzgeschorenen -Haaren bedeckt war, und kleine braune Bärenaugen. -Die Zwergin machte keinen so angenehmen Eindruck -wie ihr Bruder. Ihre Gestalt war schwammig, um -den Mund spielte ein Zug von Dummheit und Sinnlichkeit -und die Augen blickten stumpf.</p> - -<p>Der Zwerg Nikolai Afanasjewitsch trug trotz der heißen -Jahreszeit warme Tuchstiefel, schwarze Beinkleider aus haarigem -Flauschstoff, eine gelbe Flanellweste und einen braunen -Frack mit Metallknöpfen. Seine Wäsche war von tadelloser -Sauberkeit und seine Wangen stützten sich auf eine stramm -gebundene, hohe Atlashalsbinde. Die Zwergin trug ein grünes -Seidenkleid mit großem Spitzenkragen.</p> - -<p>Als Nikolai Afanasjewitsch ins Zimmer getreten war, -legte er zuerst die Händchen an die Hosennaht, drückte dann -die Rechte mit der Mütze ans Herz, machte einen Kratzfuß -und schritt etwas breitbeinig gerade auf die Hausfrau zu.</p> - -<p>»Unser gnädiger Herr Nikita Alexejewitsch Plodomasow -und der gnädige Herr Parmen Semenowitsch Tuganow,« -sagte er mit leiser und eintöniger Greisenstimme, »haben uns -in ihrem eigenen und im Namen ihrer Frau Gemahlin befohlen, -daß wir als ihre Diener Ihnen, gnädige Frau Olga Arsentjewna, -ihren Glückwunsch darbringen. – Schwesterlein, wiederholt -es,« wandte er sich an die neben ihm stehende Schwester, -und als diese mit ihrer Gratulation fertig war, machte Nikolai<span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span> -Afanasjewitsch vor dem Polizeichef ebenfalls einen -Kratzfuß und fuhr fort:</p> - -<p>»Und auch Ihnen, gnädiger Herr Woin Wasiljewitsch, und -der ganzen geehrten Gesellschaft einen herzlichen Glückwunsch -zum frohen Familienfest. Und ferner habe ich, gnädiger Herr, -Ihnen zu melden, daß mein gnädiger Herr und Parmen -Semenowitsch Tuganow, die mich und meine Schwester als -Gratulanten hierher gesandt haben, es gütigst zu entschuldigen -bitten, daß sie ihren Glückwunsch durch uns unwürdige -Knechte darbringen lassen; aber sie können leider über ihre -Zeit nicht verfügen. Sie wollen sich heute abend noch persönlich -deswegen entschuldigen.«</p> - -<p>»Parmen Semenowitsch will herkommen?« rief der Polizeichef.</p> - -<p>»Mit meinem gnädigen Herrn Nikita Alexejewitsch Plodomasow, -der sich auf der Durchreise nach Petersburg hier aufhält, -und um Vergebung bittet, wenn er im Reiseanzug erscheint.«</p> - -<p>Der Gesellschaft bemächtigte sich bei dieser Mitteilung eine -leichte Erregung, welche der Zwerg benutzte, um auf Tuberozow -zuzugehen und seinen Segen entgegenzunehmen. Dabei -sagte er leise:</p> - -<p>»Parmen Semenowitsch bittet, Ihr möchtet heute abend -auch hier sein.«</p> - -<p>»Sag' ihm, Lieber, ich würde kommen,« erwiderte Tuberozow.</p> - -<p>Der Zwerg empfing dann auch von Zacharia den Segen. -Der Diakon Achilla ergriff die Hand des kleinen Mannes, -der sich ehrerbietig vor ihm verbeugte und dabei lächelnd -sagte:</p> - -<p>»Ich bitte Euch nur, werter Herr, versucht Eure Heldenkraft -nicht an mir.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span></p> - -<p>»Ist er denn so kräftig, Nikolai Afanasjewitsch?« scherzte -der Hausherr.</p> - -<p>»Er gibt gern Proben seiner Kraft,« antwortete der Alte. -»Aber lohnt es sich an einem Krüppel?«</p> - -<p>»Wie steht's mit der Gesundheit, Nikolai Afanasjewitsch?« -fragten die Damen, welche den Zwerg von allen Seiten umringt -hatten und seine Händchen drückten.</p> - -<p>»Ach was Gesundheit, meine werten Damen! Es ist ein -Spott und eine Schande! Wie ein Ferkelchen bin ich geworden. -Der Sommer ist längst da, – und ich friere beständig.«</p> - -<p>»Sie frieren?«</p> - -<p>»Ei freilich. Schauen Sie mich bloß an. Ich bin ja ganz -in Hasenwolle eingenäht. Aber was ist daran auch verwunderlich, -werte Herrschaften? Ich unnützer Mensch habe doch -schon die Achtzig hinter mir.«</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch wurde von allen Seiten mit Fragen -überschüttet. Man setzte ihn an den Tisch, reichte ihm die -Speisen. Er antwortete allen klug und gewandt, rührte aber -von den Speisen nichts an: er äße längst schon sehr wenig, und -auch dann nur höchstens ein leichtes Gemüse. »Aber die -Schwester wird essen,« sagte er, sich zu dieser wendend. »Eßt -nur, Schwesterlein, eßt. Geniert Euch nicht. Wollt Ihr aber -ohne mich nicht essen, dann bitte ich Olga Arsentjewna um -etwas Möhrenfüllung aus der Pastete hier auf dieses kleine -Tellerchen … So ist's recht. Danke schön, danke! Was -brauch' ich überhaupt noch zu essen? Ich kann ja gar nichts -mehr. Nicht einmal einen Zwirnstrumpf bring' ich mehr -ordentlich fertig. Und früher konnte ich doch viel besser -stricken als die Schwester, sogar <em class="antiqua">Broderies anglaises</em> verstand -ich zu flechten; aber jetzt lasse ich beständig die Maschen -fallen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span></p> - -<p>Der Propst sah dem Zwerge mit glücklichem Lächeln in die -Augen:</p> - -<p>»Wenn ich dich betrachte, Nikolai, so denke ich an ein lieber -altes Märchen, mit dem man sterben möchte.«</p> - -<p>»Ach, Väterchen, unser liebes Märchen ist vor uns heimgegangen.«</p> - -<p>»Vergißt du sie nicht schon, deine Herrin? Die Bojarin -Marfa Andrejewna?« fragte, sich ihm nähernd, der Diakon -Achilla, welchen der Zwerg immer noch ein wenig zu fürchten -schien.</p> - -<p>»Zum Vergessen bin ich schon zu alt, Vater Diakon, ich -denke lange schon daran, daß es für mich Zeit wird, ihr in -jener Welt wieder zu dienen,« erwiderte er leise und sich halb -dem Diakon zukehrend.</p> - -<p>»Sie war eine trostreiche Frau, diese Alte,« sagte der Diakon, -ohne seine Rede an eine bestimmte Person zu richten.</p> - -<p>»In welchem Sinne trostreich? Wie meinst du das?« -fragte Tuberozow.</p> - -<p>»Spaßig war sie.«</p> - -<p>Der Propst lächelte und machte eine abwehrende Handbewegung. -Nikolai Afanasjewitsch aber fiel Achilla ins Wort -und sagte sehr bestimmt:</p> - -<p>»Keine Spaßmacherin war sie, sondern eine wirkliche Trösterin, -werter Herr.«</p> - -<p>»Was belehrst du ihn, Nikolai! Erzähle lieber, wie sie -dich erbittert hat. Und wie sie dann alles wieder zum Besten -kehrte,« rief der Propst.</p> - -<p>»Ach, Hochwürden, das ist eine so alte Geschichte.«</p> - -<p>»Er weiß von dieser seiner Erbitterung mit so viel Wärme -zu erzählen,« wandte sich Tuberozow an die Gäste.</p> - -<p>»Ja, Väterchen, sie, meine gnädige Herrin, verstand es, -einen Menschen so zu erbittern und dann so zu trösten, wie<span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span> -nur ein Engel Gottes zu trösten vermag,« fiel der Zwerg -sofort ein.</p> - -<p>»Nun, so erzähle doch.«</p> - -<p>»Ja, Nikolascha, erzähle, erzähle!«</p> - -<p>»Nun, werte Herrschaften, ob Sie sich über mich lustig -machen oder ob es Sie wirklich interessiert, – wenn die -ganze Gesellschaft es wünscht, so will ich mich nicht widersetzen -und Ihnen die Geschichte erzählen.«</p> - -<p>Und er begann.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_3">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Es war kaum ein Jahr, nachdem meine gnädige Herrin -mich von meiner früheren Herrschaft gekauft hatte. Ein Jahr -in bittern Schmerzen lag hinter mir. Ich war von meiner -Heimat und von meinen Lieben für immer getrennt. Natürlich -ließ ich meinen Kummer nicht merken. Es war jedoch -vergebens, denn die Selige hatte ihn längst erraten. Als -nun mein Namenstag kam, geruhte sie mir zu sagen:</p> - -<p>›Was soll ich dir denn zum Namenstage schenken, Nikolai?‹</p> - -<p>›Mütterchen,‹ sag' ich, ›was brauch' ich Narr noch beschenkt -zu werden? Ich bin auch so völlig zufrieden.‹</p> - -<p>›Nein,‹ geruhte sie zu sagen, ›einen Rubel sollst du wenigstens -haben.‹</p> - -<p>Natürlich wagte ich nicht zu widersprechen und küßte ihr -die Hand:</p> - -<p>›Vielen Dank, Euer Gnaden!‹ sprach ich nur.</p> - -<p>Und setzte mich wieder auf das Fußbänkchen gegenüber -ihrem Sessel und strickte meinen Strumpf weiter. Nach -einiger Zeit fragt sie wieder:</p> - -<p>›Was wirst du mit dem Rubel anfangen, Nikolai, den ich -dir morgen schenken will?‹</p> - -<p>›Den schicke ich bei Gelegenheit meinem Vater.‹</p> - -<p>›Und wenn ich dir zwei schenke?‹</p> - -<p>›So bekommt mein Mütterchen den zweiten.<span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span>‹</p> - -<p>›Und wenn es drei werden?‹</p> - -<p>›Dann soll auch mein Bruder Iwan Afanasjewitsch einen -haben.‹</p> - -<p>Da schüttelte sie den Kopf:</p> - -<p>›Du hast aber viel Geld nötig, wenn du alle bedenken willst! -Das kannst du, so klein wie du bist, ja dein Lebtag nicht verdienen.‹</p> - -<p>›Dem lieben Gott hat es gefallen, mich so zu schaffen,‹ -antwortete ich und fing leise zu weinen an. Mein Herz -krampfte sich zusammen, wissen Sie, ich ärgerte mich selbst -über meine Tränen und doch mußte ich weinen. Sie aber, -die Selige, guckte und guckte mich an, bis sie auf einmal mir -schweigend winkte: ich fiel ihr zu Füßen und sie legte meinen -Kopf auf ihren Schoß, und ich weinte nun erst recht und sie -weinte auch. Dann stand sie auf und sprach:</p> - -<p>›Haderst du nie mit dem lieben Gott, Nikolai?‹</p> - -<p>›Wie soll ich mit dem lieben Gott hadern, Mütterchen? -Niemals tu ich das.‹</p> - -<p>›So wird Er dich auch trösten.‹</p> - -<p>Und er hat mich wirklich getröstet.«</p> - -<p>Als der Zwerg in seiner Erzählung so weit gekommen war, -fingen seine dünnen Augenlider plötzlich heftig zu zucken an, -er sprang hastig von seinem Stuhl auf, lief in eine Ecke, wischte -sich dort mit einem weißen Tüchlein die Augen und kehrte -mit verschämtem Lächeln auf seinen Platz zurück. Nachdem -er sich wieder gesetzt hatte, begann er mit einer ganz anderen, -feierlichen Stimme:</p> - -<p>»Ich war früh aufgestanden, werte Herrschaften, war ganz -leise mich waschen gegangen, denn ich schlief ja zu Füßen -ihres Bettes, hinter einem Schirm auf einem Teppich. Dann -war ich in die Kirche gegangen, um beim Vater Alexei einen -Dankgottesdienst nach der Frühmesse zu bestellen. Wie ich<span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span> -nun, werte Herrschaften, in die Kirche komme, gehe ich geradewegs -nach dem Altar, um vom Vater Alexei den Segen zu -empfangen, und sehe, daß Vater Alexei ein so seltsam frohes -Gesicht macht und mir so herzlich zur großen Freude gratuliert. -Ich bezog das natürlich auf den Festtag und auf meinen -Namenstag. Aber was sollte nun kommen, meine lieben -und werten Herrschaften! Ich trete auf den linken Altarflügel -hinaus, – und sehe plötzlich mitten im Volke mein -Mütterlein und meinen Vater und meinen Bruder Iwan -Afanasjewitsch. Den Vater und die Mutter fand ich in der -Menge nicht gleich heraus, aber der Bruder Iwan Afanasjewitsch -… der war ja der reine Gardehusar. Ihn sah ich -sofort. Erst dachte ich, es wäre eine Vision! Denn ich hatte -mich an diesem Tage so sehr nach ihnen gesehnt. Aber nein, -es war keine Vision! Ich sah meine Mutter – sie war eine -Bäuerin – bitterlich weinen und dachte, sie habe ihre Herrschaft -um Urlaub gebeten und den weiten Weg gemacht, um -ihr Kind wiederzusehen. Natürlich wollte ich den Gottesdienst -nicht stören und ging wieder in den Altarraum zurück. -Wie ich aber nach Schluß der Messe heraustrete, da erblicke -ich vor dem Betpult mit dem Heiligenbilde Marfa Andrejewna -selber; und hinter ihr meine Schwester Maria Afanasjewna, -die Sie hier sehen, meine Eltern und meinen Bruder. -Ich gehe auf Marfa Andrejewna zu, um sie zu begrüßen. -Sie aber schiebt mich leise mit der Hand beiseite und sagt:</p> - -<p>›Geh erst und begrüße deine Eltern.‹</p> - -<p>So begrüßte ich den Vater, die Mutter, den Bruder, -unter Tränen. Nur meine Schwester Maria Afanasjewna -weinte nicht, denn sie hat einen besseren Charakter. Ich -aber bin so schwach, daß ich immer weinen muß. Nun -traten wir aus der Kirche heraus und meine gnädige -Herrin nimmt ein Beutelchen aus der Tasche – ich<span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span> -hatte selbst gesehen, wie sie diesen Beutel strickte, aber ich -wußte natürlich nicht, für wen er bestimmt war – und sagt -zu mir: ›Nun beschenke die Deinigen, Nikolascha.‹ Ich greife -in den Beutel, dem Vater gab ich einen Silberrubel, der -Mutter einen Silberrubel, dem Bruder Iwan Afanasjewitsch -einen Rubel. Es waren lauter ganz neue Rubel! Im -Beutel aber lagen noch vier Rubel. ›Wer soll denn die noch -bekommen, Mütterchen?‹ frage ich meine gnädige Herrin. -Aber da sehe ich schon den Verwalter Dementij, der mir meine -Schwägerin und ihre drei Kinder zuführt, alle in langen -Röcken. Dank der großen Gnade meiner Herrin konnte ich -auch sie noch beschenken, ehe wir aus der Kirche alle zusammen -nach Hause gingen. Vor dem Herrenhaus bemerkte ich drei -Wagen, mit den Gutspferden meiner gnädigen Herrin bespannt. -Die beiden Pferdchen meines Bruders waren hinten -angebunden, und das ganze Gepäck der Eltern und des Bruders -lag auf dem Wagen. Dies machte mich ganz verwirrt, -und ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. Marfa Andrejewna -war die ganze Zeit mit dem Vater Alexei vorausgegangen -und hatte von der Ernte gesprochen und mich anscheinend -gar nicht beachtet. Jetzt aber, wie sie eben die Verandastufen -hinauf will, wendet sie sich nach mir um und geruht -also zu sprechen: ›Hier hast du einen Freibrief, mein braver -Knecht, deine Eltern und dein Bruder nebst Kindern sind -von mir losgekauft.‹ Und damit schob sie mir das Papier -hinter die Weste … Das war zu viel für mich …«</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch hob die Hände bis zur Höhe seines -Gesichts und sagte:</p> - -<p>»›Du!‹ rief ich wie wahnsinnig, ›du willst mich durch das -Übermaß deiner Güte ganz erdrücken!‹ Es schnürte mir die -Kehle zusammen, meine Schläfen hämmerten, vor meinen -Augen zuckten bunte Flämmchen, und ich fiel bewußtlos vor<span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span> -dem Wagen meines Vaters nieder, den Freibrief an die Brust -gedrückt.«</p> - -<p>»Ach du, Alter! So viel Gefühl hast du!« rief der Diakon -Achilla gerührt und schlug Nikolai Afanasjewitsch auf die -Schulter.</p> - -<p>»Ja,« fuhr der Zwerg fort, nachdem er sich den Mund gewischt -hatte. »Ich kam erst nach neun Tagen wieder zu mir, -denn ich war an einem schweren Fieber erkrankt. Und wie -ich mich umschaute, sah ich meine gnädige Herrin zu Häupten -meines Bettes sitzen: ›Vergib mir um Christi willen, Nikolascha,‹ -sprach sie, ›ich verrücktes Frauenzimmer hätte dich -beinahe umgebracht!‹ So ein gewaltiger Mensch war sie, -die gnädige Bojarin Plodomasowa!«</p> - -<p>»Ach du allerliebster Alter!« rief wieder der Diakon Achilla -und packte den Zwerg scherzend an einem Knopfe seines Fracks, -diesen scheinbar abreißend.</p> - -<p>Der Kleine faßte schweigend nach dem Knopf, und als er -sich überzeugt hatte, daß er heil und ganz an seinem Platze -geblieben war, meinte er:</p> - -<p>»Ja, ja, ich bin doch ein ganz unbedeutendes Wesen, aber -sie war immer besorgt um mich und schenkte mir ihr Vertrauen; -sogar ihren Kummer teilte sie mir mit, besonders als -die Trennung von ihrem Sohne Alexei Nikititsch ihr so nah -ging. Bekam sie mal einen Brief, dann las sie ihn erst ganz -schnell für sich und später las sie ihn mir vor. Sie sitzt und -liest vor und ich stehe mit meinem Strickstrumpf daneben und -höre zu. Und wenn sie zu Ende ist, sprechen wir über den -Brief. ›Jetzt wird er wohl bald Offizier,‹ sagt sie zu mir. -Und ich antworte: ›Ja, sicher muß die Reihe schon an ihn -gekommen sein.‹ Und sie wieder: ›Was meinst du, Nikolascha, -da wird man ihm wohl mehr Geld schicken müssen.‹ -– ›Gewiß hat er jetzt mehr nötig, Mütterchen,‹ sage ich. ›Ei<span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span> -freilich, wir haben hier das Geld ja gar nicht nötig.‹ ›Natürlich, -Mütterchen, wozu brauchen wir Geld?‹ Meine Schwester -Maria Afanasjewna aber schweigt still, und das ist meiner -gnädigen Herrin nicht recht und sie wird gleich böse. ›Ach, du -Holzklotz,‹ sagt sie. ›Ja, die wußten, was sie taten, als sie -dich mir umsonst als Zugabe zum Bruder überließen.‹«</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch besann sich plötzlich, wurde ganz -rot und sagte zu seiner stumpfsinnigen Schwester:</p> - -<p>»Nehmt mir's nicht übel, Schwesterlein, daß ich das erzähle.«</p> - -<p>»Erzählt nur, erzählt nur, es tut nichts,« antwortete Maria -Afanasjewna, mit der Zunge gegen die Backe stoßend.</p> - -<p>»Nun, und euch beiden hat sie die Freiheit nicht geben -wollen?« fragte jemand.</p> - -<p>»Die Freiheit? Nein, freigegeben hat sie uns nicht. Meine -Schwester Maria Afanasjewna stand wohl mit drin im Freibrief, -den sie meinen Eltern gegeben, aber mich wollte sie -nicht fortlassen. Mitunter sagte sie: ›Wenn ich tot bin, magst -du leben, wo du willst (denn sie hatte ein kleines Kapital als -Pension für mich angelegt), aber solange ich am Leben bin, -lasse ich dich nicht frei.‹ – ›Ach, Mütterchen,‹ sagte ich darauf, -›was soll ich mit der Freiheit? Mich hacken doch die Spatzen -tot!‹«</p> - -<p>»Ach, du kleiner Kerl!« rief Achilla gerührt.</p> - -<p>»Er war ja in allem ihre rechte Hand, unser Nikolai Afanasjewitsch,« -fiel Tuberozow ein.</p> - -<p>»Ja, Vater Propst, ich habe ihr gedient, so gut ich's verstand. -Wenn die Selige nach Moskau oder Petersburg -reiste, nahm sie nie eine Zofe mit. Sie konnte weibliche Bedienung -auf Reisen nicht leiden. Oft sagte sie: ›So eine Prinzessin -Pumfia tut nichts weiter als quasseln und im Gasthof -im Korridor herumlungern und Bekanntschaften machen.<span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span> -Mein Nikolascha aber sitzt hübsch still im Winkel, wie ein -Hase.‹ Sie betrachtete mich gar nicht als Mann, sondern -nannte mich immer nur Hase.«</p> - -<p>»Ein Karnickelchen,« sagte Achilla lachend und streichelte -die Schultern des Kleinen.</p> - -<p>»So ganz konnte sie dich aber doch nicht für einen Hasen -halten, wenn sie dich sogar verheiraten wollte?« sagte der -Polizeichef Porochontzew.</p> - -<p>»Ja, das hat sie gewollt, Woin Wasiljewitsch. Freilich, -freilich,« erwiderte der Kleine, die Stimme immer mehr -dämpfend, »das hat sie gewollt.«</p> - -<p>»Wirklich, Nikolai Afanasjewitsch?« riefen mehrere Stimmen -zugleich.</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch wurde ganz rot und flüsterte:</p> - -<p>»Lügen wäre Sünde, – ja es war so.«</p> - -<p>Und nun stürmte die ganze Gesellschaft auf den Zwerg ein:</p> - -<p>»Erzählen, Nikolai Afanasjewitsch, erzählen!«</p> - -<p>»Ach, werte Herrschaften, was ist da zu erzählen?« suchte -Nikolai Afanasjewitsch lachend und errötend und die Hände -ausstreckend die Zudringlichen abzuwehren.</p> - -<p>Man gab nicht nach. Die Damen faßten seine Hände, küßten -ihn auf die Stirn; er fing die Damenhände, die sich nach ihm -ausstreckten, im Fluge auf und küßte sie, wollte aber trotzdem -nicht erzählen, weil er meinte, die Geschichte wäre zu lang und -uninteressant. Da schlug plötzlich etwas dröhnend gegen den -Fußboden, die Hausfrau, die in diesem Augenblick vor dem -Lehnstuhl des Zwerges stand, trat erschrocken zurück, und den -erstaunten Blicken von Nikolai Afanasjewitsch zeigte sich der -Diakon Achilla, kniend mit hoch emporgereckten Armen.</p> - -<p>»Herzchen!« flehte er mit heftigen Kopfbewegungen. »Erzähle, -wie sie dich verheiraten wollten.«</p> - -<p>»Ja, ja, ich will alles erzählen, steht nur auf, Vater Diakon.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span></p> - -<p>Achilla erhob sich, klopfte den Staub von seiner Kutte und -rief selbstzufrieden:</p> - -<p>»Nun? Was sagt ihr nun? Er wird nicht erzählen, meintet -ihr! Da sagte ich: Ich setze es durch, – und ich hab's durchgesetzt! -Jetzt bitte wieder Platz zu nehmen, meine Herrschaften, -und hübsch still sein, und die gnädigste Hausfrau ist so gut -und läßt dem Nikolascha für seine Erzählung ein Glas Wasser -mit rotem Wein geben, wie das in feinen Häusern Brauch -ist.« –</p> - -<p>Alle setzten sich. Man brachte Nikolai Afanasjewitsch ein -Glas Wasser, in das er selbst ein paar Tropfen Rotwein -goß, und dann fing er von neuem zu erzählen an.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_4">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Es war bald nach dem Frieden mit Frankreich, meine -werten Herrschaften, als ich mit dem in Gott entschlafenen -Kaiser sprach.«</p> - -<p>»Sie haben mit dem Kaiser gesprochen?« unterbrachen den -Erzähler sofort mehrere Stimmen.</p> - -<p>»Ja, was denken Sie?« sagte der Zwerg sanft lächelnd. »Mit -Seiner Kaiserlichen Majestät Alexander Paulowitsch habe ich gesprochen -und habe Verstand genug gehabt, ihm zu antworten.«</p> - -<p>»Hahaha! Ist das ein Kerl, dieser Nikolaurus, Gott straf -mich!« brüllte der Diakon Achilla entzückt und schlug sich mit -der flachen Hand auf die Schenkel. »Seht ihn doch an, – -so ein winziger Floh und hat mit dem Kaiser geredet.«</p> - -<p>»Sitz ruhig, Diakon, und sei still,« sagte Tuberozow ernst.</p> - -<p>Achilla gab durch eine Handbewegung zu verstehen, daß -er den Erzähler nicht mehr unterbrechen werde und setzte sich.</p> - -<p>Der Zwerg fuhr fort:</p> - -<p>»Die ganze Sache nahm scheinbar mit diesem meinem Gespräch -mit dem Kaiser überhaupt ihren Anfang. Meine gnädige -Herrin Marfa Andrejewna hatte den Wunsch, nach Moskau -zu reisen, als der Kaiser nach seinem weltberühmten -Siege über Napoleon Bonaparte dort erwartet wurde. Natürlich -mußte auch ich sie wieder auf dieser Reise begleiten. -Die Selige war dazumal schon in hohen Jahren, und weil auch -ihre Gesundheit zu wünschen übrigließ, leicht erzürnt und<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span> -gekränkt. Da verschaffte nun Alexei Nikititsch seiner Mutter -eine Einladung zu einem Ball, zu dem auch der Kaiser kommen -sollte. Marfa Andrejewna gestand mir offen, daß ihr das -ein großes Vergnügen bereitet hatte. Sie ließ sich zu diesem -Ball ein kostbares Kleid machen, und für mich wurde bei einem -französischen Schneider ein blauer Frack aus englischem Tuch -mit goldenen Knöpfen bestellt, dazu – entschuldigen Sie, -meine Damen – Pantalons, Weste, Halsbinde – alles -weiß; ein Spitzenvorhemd und Schnallenschuhe, – zweiundvierzig -Rubel hat sie bezahlt. Alexei Nikititsch hatte, um -seiner Mutter eine Freude zu machen, es so eingerichtet, daß -sie mich mitnehmen durfte. Dem <em class="antiqua">Maitre d'hôtel</em> wurde befohlen, -mich in die Orangerie zu führen und gerade gegenüber -dem Saale, in den der Kaiser eintreten sollte, irgendwo -in einer Ecke zwischen den Gewächsen aufzustellen. So geschah -es denn auch, werte Herrschaften, aber doch nicht ganz, -wie es beabsichtigt war. Der <em class="antiqua">Maitre d'hôtel</em> sagte mir, ich -sollte mich ruhig verhalten und sehen, soviel ich von meinem -Platz nur sehen könnte. Aber was war von da zu sehen? -Nichts. Da machte ich es wie Zachäus, der Zöllner, wissen -Sie, und kletterte – hoppla – auf so einen kleinen künstlichen -Felsen, wo ich nun unter einer Palme stand. Der Saal -war voll Glanz und Lärm und Musik, aber auch von meinem -Felsen konnte ich nur die Frisuren der Herrschaften sehen. -Plötzlich aber gerieten all diese Köpfe in lebhafte Bewegung, -sie schoben sich auseinander und der Kaiser ging mit dem -Fürsten Golitzyn geradewegs nach der Orangerie, um sich -etwas zu erfrischen. Und – denken Sie sich nur – nicht -allein, daß er sich nach der Orangerie begibt, er geht auch -gerade auf die entfernte Ecke zu, wo man mich versteckt hatte. -Ganz starr war ich, meine Damen, wie angewachsen an den -Felsen und konnte nicht herunter.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span></p> - -<p>»Da war dir wohl bange?« fragte Tuberozow.</p> - -<p>»Wie soll ich sagen? Bange eigentlich nicht, aber doch gewissermaßen -aufgeregt war ich.«</p> - -<p>»Ich wäre davongelaufen,« sagte der Diakon, außerstande, -noch weiter zu schweigen.</p> - -<p>»Warum denn davonlaufen, werter Herr? Ich will nicht -sagen, daß ich keine Angst verspürt hätte, aber ans Davonlaufen -dachte ich doch nicht. Seine Majestät kamen indes -immer näher und näher. Ich hörte schon deutlich, wie Ihre -Stiefel klipp-klapp, klipp-klapp machten. Ich sah bereits Ihr -sanftes Gesicht, den freundlichen Blick, und wissen Sie, in -meiner Verwirrung dachte ich gar nicht mehr daran, daß -ich gleich Ihren Augen sichtbar werden mußte. Da wandte -der Kaiser den Kopf und, ich sah's, er richtete den Blick direkt -auf mich und sah mich an.«</p> - -<p>»Nun?« schrie der Diakon und wurde ganz bleich.</p> - -<p>»Ich machte eine Verbeugung.«</p> - -<p>Der Diakon atmete auf, drückte die Hand des Zwerges und -flüsterte:</p> - -<p>»Erzähle, sei so gut, erzähle schnell weiter!«</p> - -<p>»Der Kaiser sah mich also an und geruhte auf Französisch -zum Fürsten Golitzyn zu sagen: ›Ach, was für ein Miniaturexemplar! -Wem mag es gehören?‹ Der Fürst Golitzyn war, -wie ich sah, in Verlegenheit, was er antworten sollte, – und -da ich die französische Rede wohl verstehen konnte, antwortete -ich selber: ›Der gnädigen Frau Plodomasow, Kaiserliche Majestät!‹ -Da wandte sich der Kaiser zu mir und geruhte zu -fragen: ›Welcher Nation sind Sie?‹ – ›Ein treuer Untertan -Eurer Majestät,‹ antwortete ich. ›Und geborener -Russe?‹ fragte er weiter und ich antwortete: ›Ein Bauer -und treuer Untertan Eurer Majestät.‹ Da lachte der -Kaiser. ›Bravo,‹ scherzte er, ›bravo, <em class="antiqua">mon petit sujet<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span> -fidèle</em>!‹ und faßte meinen Kopf mit der Hand und zog -mich an sich.«</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch dämpfte seine Stimme und sagte -mit einem leisen Lächeln im Flüstertone, als handele es sich -um ein großes politisches Geheimnis:</p> - -<p>»Er faßte mich um, wissen Sie, und dabei drückte ein -Knopf seines Ärmelaufschlags mir die Nase zusammen, daß -es mir ordentlich wehe tat.«</p> - -<p>»Nun und du? Du schriest doch nicht?« rief der Diakon.</p> - -<p>»Nein, Väterchen, nein, warum sollte ich schreien? Wie -kann man schreien, wenn der Zar einen liebkost? Nein, als -er mich losließ, küßte ich seine Hand … für das Glück und -die Ehre … und das war mein ganzes Gespräch mit Seiner -Kaiserlichen Majestät. Später natürlich, als sie mich vom -Felsen heruntergenommen hatten und man mich in der -Kutsche nach Hause fuhr, da hab' ich die ganze Zeit geweint.«</p> - -<p>»Warum hast du denn nachher geweint?« fragte Achilla.</p> - -<p>»Warum? Als ob ich nicht Grund genug gehabt hätte? -Vor Rührung weint der Mensch!«</p> - -<p>»So klein ist er und hat so viel Gefühl!« rief Achilla ganz -begeistert.</p> - -<p>»Nun, erlauben Sie mal,« fing der Erzähler wieder an. -»Die Aufmerksamkeit, die Seine Majestät mir zufällig erwiesen, -wurde in verschiedenen Moskauer Häusern bekannt, -Marfa Andrejewna nahm mich überall mit hin und zeigte mich -den Leuten, und – ich sage Ihnen die reine Wahrheit, ich lüge -nicht – ich war damals der allerkleinste Zwerg in ganz Moskau. -Aber das dauerte nicht lange, nur einen einzigen -Winter.«</p> - -<p>In diesem Augenblick prustete der Diakon plötzlich überlaut -und fing dann, den Kopf zurückwerfend, leise zu kichern an.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span></p> - -<p>Als er merkte, daß er durch sein Lachen den Erzähler unterbrochen -hatte, setzte er sich wieder gerade hin und sagte:</p> - -<p>»Es ist nichts! Erzähle nur weiter, Nikolaurus, ich lache -über meine eigene Sache. Wie einmal der Graf Klenychin -mit mir gesprochen hat.«</p> - -<p>»Nein, sprechen Sie sich nur aus, werter Herr, sonst unterbrechen -Sie mich wieder,« sagte der Zwerg.</p> - -<p>»Ach, es ist gar nichts Besonderes, eine ganz einfache Geschichte,« -erwiderte Achilla. »Der Graf Klenychin besichtigte -unser Seminargebäude, ich machte ihm eine Verbeugung -und da sagte er: ›Pack dich weg, Schafskopf!‹ Und das war -unser ganzes Gespräch, über das ich lachen mußte.«</p> - -<p>»Es ist auch wirklich komisch,« sagte der Zwerg lächelnd -und fuhr fort:</p> - -<p>»Im nächsten Winter brachte die Generalin Wichiorowa -aus Petersburg eine finnische Zwergin namens Meta mit, -die war noch um einen Finger breit kleiner als ich. Die selige -Marfa Andrejewna konnte das gar nicht hören. Anfangs -behauptete sie immer, das sei keine natürliche Zwergin, sondern -eine, der man in der Kindheit Blei eingegeben habe; -aber als sie angekommen war und meine gnädige Herrin -die Meta Iwanowna mit eigenen Augen sah, da wurde sie -furchtbar böse, daß sie so wohlgebaut und weiß war. Sogar -im Traum ließ es ihr keine Ruhe: immer nur dachte sie daran, -wie sie die Meta Iwanowna kaufen könnte. Aber die Generalin -wollte von Verkauf nichts wissen. Da fing nun -Marfa Andrejewna mit allerlei spitzigen Reden an: ihr Nikolai -wäre ein kluger Kopf und hätte mit dem Kaiser selbst -gesprochen, das Mädel aber sehe bloß nett aus und weiter -nichts. So zankten sich die beiden Damen unsertwegen. -Marfa Andrejewna sagte, jene solle ihr das Mädchen verkaufen, -und diese wiederum wollte mich kaufen. Da fuhr<span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span> -Marfa Andrejewna einmal heftig auf: ›Ich will sie doch -nicht bloß zum Spaß haben,‹ sagte sie, ›ich will sie doch verheiraten, -der Nikolai soll sie zur Frau nehmen.‹ Die Frau -Wichiorowa aber meinte: ›Ich kann ja die beiden auch verheiraten, -wenn sie mir gehören.‹ Marfa Andrejewna erwiderte: -›Wenn sie Kinder kriegen, sollst du ein Paar davon -haben.‹ Jene aber versprach, daß sie ihr ebenfalls ein paar -Kinder überlassen wolle, wenn es welche geben würde. Bis -auf zehntausend Rubel waren sie nach und nach gekommen, -meine werten Herrschaften, aber immer wurde nichts aus -der Sache, denn wenn meine gnädige Herrin zehntausend für -die Meta bot, so bot die Generalin elftausend für mich. Wohl -war Marfa Andrejewna eine Frau von starkem und unbezwinglichem -Geiste, die mit Pugatschow gestritten und mit drei -Kaisern getanzt hatte, – aber mit der Generalin Wichiorowa -wurde sie doch nicht fertig. Und auf mich war sie auch böse. -›Du bist auch so ein dummer Rüpel,‹ geruhte sie zu mir zu -sagen, ›der dem Mädel nicht ordentlich den Kopf verdrehen -kann, daß es selber drum bittet, deine Frau werden zu dürfen.‹ -– ›Mütterchen, Marfa Andrejewna,‹ sagte ich, ›wie soll ich -ihr denn den Kopf verdrehen? Geben Sie mir Ihre Hand, -Mütterchen, daß ich Narr sie küsse.‹ Da wurde sie noch böser. -›O, du dummer, dummer Kerl,‹ sagte sie, ›nichts verstehst -du als die Handküsserei.‹ Da schwieg ich schon lieber ganz.«</p> - -<p>»O dieser kleine Kerl! Er kann ja nichts dergleichen, der -Arme,« erklärte der Diakon teilnahmvoll seinem Nachbarn.</p> - -<p>Der Zwerg warf ihm einen Blick zu und fuhr fort:</p> - -<p>»So ging es nun Tag für Tag, bis es Frühling wurde, -und für uns kam die Zeit, aus Moskau wieder nach Plodomasowo -zurückzukehren. Wir fuhren nochmals zur Wichiorowa -und wurden wieder nicht handelseinig. Marfa Andrejewna -sagte ihr: ›So erlaub doch wenigstens deiner Qualle, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span> -sie mit Nikolai vor dem Hause auf und ab geht.‹ Die Generalin -gestattete das, und nun mußten Meta Iwanowna und -ich auf dem Trottoir vor den Fenstern hin- und herspazieren. -Das war eine große Freude für die selige Marfa Andrejewna, -und für uns beide wurden die verschiedensten Kostüme genäht. -Wir kamen hin und sie befahl: ›Heute sollen Nikolai -und Meta als Paysans gehen.‹ Dann erschienen wir beide -in Holzschuhen, ich in Kamisol und Hut und Meta Iwanowna -mit einer großen Haube, und so gingen wir vor dem Hause -auf und ab, und die Leute auf der Straße blieben stehen und -schauten uns an. Ein andermal mußten wir uns als Türke -und Türkin zeigen. Dann als Matrose und Matrosenmädchen. -Ferner hatten wir noch Bärenkostüme, aus braunem -Flanell genäht, wie Futterale. In diese stopfte man uns -hinein, wie man eine Hand in den Handschuh steckt oder den -Fuß in den Strumpf, nichts war zu sehen als die Augen, und -oben am Kopfe waren solche kleine Zipfel aus Tuch angemacht, -wie Ohren, die hin- und herwackelten. In diesen Kleidern -schickte man uns aber nicht auf die Straße, sondern ließ sie -uns zuweilen anlegen, wenn die beiden Damen beim Kaffee -saßen. Dann mußten wir auf dem Teppich vor dem Kaffeetisch -miteinander ringen. Meta Iwanowna war sehr stark für -ein Mädchen, wenn ich ihr aber geschickt und schlau ein Bein -stellte, dann fiel sie doch gleich um. Aber ich gab ihr doch meist -aus Mitleid mit ihrem weiblichen Geschlecht nach, und die -Generalin pflegte auch oft ihr Bologneserhündchen zu Hilfe -zu rufen, das mir in die Waden fuhr. Dann ärgerte sich Marfa -Andrejewna … Ach, ich mag gar nicht an diese Ringkämpfe -denken! Das allerschönste Kostüm, das die Selige hatte -machen lassen, habe ich heute noch: mich zogen sie als französischen -Grenadier und Meta Iwanowna als Marquise an. -Ich hatte eine hohe Bärenmütze, einen langen Waffenrock,<span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span> -eine Flinte mit Bajonett und Meta Iwanowna trug einen -Reifrock und hielt einen großen Fächer in der Hand. Dann -mußte ich mich mit der Flinte vor der Tür aufstellen und -Meta Iwanowna ging mit ihrem Fächer an mir vorüber -und ich präsentierte das Gewehr. Und dann fing Marfa -Andrejewna wieder mit der Generalin zu feilschen an, denn -sie wollte uns gar zu gerne verheiraten. Ich muß Ihnen -aber sagen, daß all diese Kostüme für mich und Meta Iwanowna -meine gnädige Herrin auf ihre Kosten machen ließ, -denn sie glaubte ganz sicher, daß sie die Meta Iwanowna -schließlich doch bekommen würde; ja, je mehr Kleider sie -für uns machen ließ, desto mehr wurde sie in der Zuversicht -bestärkt, daß wir beide ihr Eigentum seien. Aber die Sache -sollte ganz anders ausgehen. Die Generalin Karolina Karlowna -Wichiorowa war nicht umsonst eine Deutsche: wo -etwas ihr von Vorteil war, da widersetzte sie sich nicht, sondern -nahm alles an, aber nachgeben war ihre Sache nicht. -Da kam Alexei Nikititsch – Gott schenke ihm Gesundheit -und langes Leben, ihm selbst war die Sache schon lange ein -Dorn im Auge, und er sah, daß sie bös auslaufen würde – -er kam also auf den Gedanken, oder irgendein kluger Offizier -von seinem Regiment hatte ihm den Rat gegeben, der Frau -Mutter mitzuteilen, die Wichiorowsche Zwergin sei verschwunden. -Das beruhigte Marfa Andrejewna noch einigermaßen, -daß jetzt niemand die Meta Iwanowna haben sollte, und sie -redete beständig davon. ›Wie ist sie denn verloren gegangen?‹ -fragt sie. Alexei Nikititsch antwortet, ein Jude hätte sie -gestohlen. ›Wie? Was für ein Jude?‹ Und wir fabeln -weiter, wie's uns gerade einfällt: so ein kastanienbrauner -Jude sei es gewesen, mit einem langen Bart, alle hätten -ihn gesehen, wie er sie gepackt und fortgeschleppt habe. ›Warum -hat man ihn denn nicht festgehalten?‹ fragt sie wieder. –<span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span> -Ja, er sei eben aus einer Straße in die andere, aus einer -Gasse in die andere gerannt. – ›Sie ist aber auch ein dummes -Frauenzimmer, daß sie sich so fortschleppen läßt und nicht -einmal schreit! Mein Nikolai hätte sich sowas nicht gefallen -lassen.‹ – ›Wie werd' ich mich denn von einem Juden überwältigen -lassen?!‹ sagte ich. Und so glaubte sie alles, wie -ein kleines Kind. Aber da machte Alexei Nikititsch versehentlich -einen kleinen Fehler, oder richtiger, er wollte es zu schlau -anfangen. Seine Absicht war natürlich, Marfa Andrejewna -schneller mit mir aufs Land zu schaffen, denn dort, glaubte -er, würde sie leichter vergessen, und so sagte er zu seiner Mutter: -›Seien Sie unbesorgt, liebe Mutter. Man wird die Zwergin -sicher wiederfinden, denn sie wird überall gesucht, und wenn -man sie gefunden hat, schreibe ich Ihnen sofort aufs Land.‹ -Die Selige klammerte sich nun an dieses Wort. ›Nein,‹ sagte -sie, ›wenn man sie sucht, dann will ich lieber hier abwarten. -Vor allem aber möchte ich den Juden sehen, der sie geraubt -hat.‹ Ja, meine Herrschaften, da mußten wir noch einen -Polizisten anstellen, daß er uns lügen half. Jeden Tag kam -er und meldete, die Kleine würde gesucht, sei aber immer noch -nicht gefunden. Sie gab ihm jeden Tag fünf Rubel, mich aber -schickte sie tagtäglich zur Frühmesse, daß ich Sankt Johannes -dem Krieger einen Bittgottesdienst abhalten lasse um Rückkehr -der entflohenen Sklavin …«</p> - -<p>»Sankt Johann dem Krieger? Du sagst, zu Sankt Johann -dem Krieger hättest du beten lassen?« unterbrach ihn der -Diakon.</p> - -<p>»Ja, Sankt Johannes dem Krieger.«</p> - -<p>»Na, dann gratuliere ich, mein Lieber. Da habt ihr gar -nicht zu dem richtigen Heiligen gebetet.«</p> - -<p>»Wirst du wohl Ruhe halten, Diakon? Sei so gut,« fiel -Vater Sawelij ein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span></p> - -<p>»Bitte, Nikolai, erzähle weiter.«</p> - -<p>»Ja, Hochwürden, was ist da noch viel zu erzählen? Meine -Geschichte ist so gut wie zu Ende. Einmal kamen wir mit -Marfa Andrejewna von der Kapelle der Iberischen Mutter -Gottes, als uns in der Petrowka-Straße der Wagen der -Generalin Wichiorowa entgegenkam, in dem neben der Generalin -auch Meta Iwanowna saß. Da begriff Marfa Andrejewna -alles und … Sie mögen mir glauben, meine -werten Herrschaften, oder nicht, – sie fing in der Kutsche -leise, aber bitterlich zu weinen an.«</p> - -<p>Der Zwerg schwieg.</p> - -<p>»Nun, Nikola,« suchte der Propst ihn anzuspornen.</p> - -<p>»Ja, was nun? Als wir nach Hause gekommen waren, -sagte sie zu Alexei Nikititsch: ›Mein liebes Söhnchen, du bist -ein rechter Schafskopf, daß du dich unterstehen konntest, deine -Mutter zu betrügen und mir noch den Polizisten auf den -Hals zu schicken.‹ Und damit ließ sie ihre Sachen packen und -fuhr aufs Land.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_5">Fünftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch drehte sich auf seinem Stühlchen -den Gästen zu und sagte: »Ich hatte Sie ja schon darauf -aufmerksam gemacht, daß es eine ganz einfache und wenig -interessante Geschichte sein würde. Und nun, Schwesterlein,« -dabei stand er auf, »müssen wir auch fahren.«</p> - -<p>Maria Afanasjewna erhob sich ebenfalls, aber der Diakon -fing wieder an: Nikolai Afanasjewitsch habe nicht zum richtigen -Heiligen beten lassen.</p> - -<p>»Das ist nicht meine Sache, werter Vater Diakon,« rechtfertigte -sich Nikolai Afanasjewitsch, während er seine Mütze -suchte.</p> - -<p>»Wieso denn nicht? Natürlich ist es deine Sache! Du -mußt doch wissen, zu welchem Heiligen du betest!«</p> - -<p>»Erlaubt mal, als ich zum erstenmal deshalb in die Kirche -kam, gab ich dem Priester einen Zettel mit der Aufschrift -›um Rückkehr einer entflohenen Sklavin‹ und ein Fünfzigkopekenstück, -darauf hielt der Priester einen Bittgottesdienst -vor Sankt Johannes dem Krieger ab, und so ging es denn -auch später.«</p> - -<p>»Wenn die Dinge so stehen, taugt eben der Priester nichts.«</p> - -<p>»Wieso? Wieso? Wieso? Wieso taugt der Priester nichts?« -mischte sich plötzlich Vater Zacharia Benefaktow ins Gespräch.</p> - -<p>»Weil er die Befugnisse seines Amtes nicht kennt,« erwiderte -Achilla höchst selbstbewußt. »Wer betet denn um Rückkehr<span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span> -eines entflohenen Knechtes zu Sankt Johann dem -Krieger?«</p> - -<p>»Ja, was meinst du? Zu wem denn sonst? Zu wem? -Zu wem?«</p> - -<p>»Zu wem? Ihr habt es wohl vergessen? Neben dem -Platz des Kirchenältesten hing früher an der Wand ein Blatt. -Jetzt ist es fortgenommen. Allein ich erinnere mich noch -ganz genau, welche Heiligen bei den verschiedenen Gelegenheiten -anzurufen sind.«</p> - -<p>»So.«</p> - -<p>»Jawohl! und wenn Ihr's wissen wollt, – zu dem Heiligen -Theodor Tyron hätte gebetet werden müssen.«</p> - -<p>»Du hast unrecht. Es war ganz richtig, daß sie den Johannes -anriefen.«</p> - -<p>»Blamiert Euch nicht, Vater Zacharia.«</p> - -<p>»Ich sage dir, es war ganz richtig.«</p> - -<p>»Ich aber sage Euch, Ihr blamiert Euch ganz unnützerweise. -Ich weiß die ganze Tabelle auswendig.«</p> - -<p>Er schob den breiten Ärmel seiner Kutte weit auf den Ellenbogen -hinauf und bog mit der rechten Hand den Daumen -der Linken ein, als ob er ihn abbrechen wollte.</p> - -<p>»Um Heilung von der fallenden Sucht,« begann er, »betet -man zum heiligen Maroas.«</p> - -<p>»Zum heiligen Maroas,« wiederholte Benefaktow zustimmend.</p> - -<p>»Um Heilung von der zehrenden Sucht – zum heiligen -Märtyrer Artemios,« fuhr Achilla fort und bog in derselben -Weise den Zeigefinger ein.</p> - -<p>»Artemios,« wiederholte Benefaktow.</p> - -<p>»Um Erlösung von Unfruchtbarkeit – zum Wundertäter -Romanus; wenn der Gatte sein Weib verschmäht – zu den -Märtyrern Gurios, Samon und Abebas; wenn man vom<span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span> -Teufel geplagt wird – zum heiligen Nyphon; gegen die -wollüstige Leidenschaft – zur heiligen Thomais …«</p> - -<p>»Und zum heiligen Moses Ugrinos,« fügte Benefaktow, -der bisher nur im Takt mit dem Kopf geschüttelt hatte, leise -hinzu.</p> - -<p>Der Diakon, der schon alle fünf Finger der linken Hand eingebogen -hatte, sann einen Augenblick nach, indem er den Vater -Zacharia scharf ansah, dann öffnete er die linke Faust, um -nun die Finger der Rechten einzubiegen, und meinte:</p> - -<p>»Ja, man kann auch zum Moses Ugrinos beten.«</p> - -<p>»Bitte weiter.«</p> - -<p>»Gegen die Trunksucht – zum Märtyrer Bonifatius.«</p> - -<p>»Und zum Moses Murinos.«</p> - -<p>»Wie?«</p> - -<p>»Zum Bonifatius und zum Moses Murinos,« wiederholte -Vater Zacharia.</p> - -<p>»Ganz recht,« stimmte der Diakon ihm bei.</p> - -<p>»Bitte weiter.«</p> - -<p>»Zum Schutz gegen bösen Zauber – zum heiligen Märtyrer -Cyprianus.«</p> - -<p>»Und zur heiligen Justina.«</p> - -<p>»So hört endlich auf mit Eurem Vorsagen, Vater Zacharia!«</p> - -<p>»Wenn's aber doch mit russischen Buchstaben deutlich gedruckt -steht: und der heiligen Justina.«</p> - -<p>»Schön, sei's drum! Und der heiligen Justina. Um Wiedergewinnung -gestohlener Gegenstände und um Rückkehr -entflohener Knechte (der Diakon betonte jedes einzelne Wort) -– zu dem Theodor Tyron, dessen Gedächtnis wir am siebzehnten -Februar feiern.«</p> - -<p>Jedoch kaum hatte Achilla sein letztes Wort gleich einem -Trompetensignal herausgeschmettert, als auch schon Zacharia<span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span> -mit derselben leisen und leidenschaftslosen Stimme in der -Aufzählung fortfuhr:</p> - -<p>»Und zum heiligen Johannes dem Krieger, dessen Gedächtnis -wir am zehnten Juli feiern.«</p> - -<p>Achilla riß die Augen weit auf und schrie:</p> - -<p>»Jetzt fällt mir's ein, ja, man kann auch zu Johannes dem -Krieger beten.«</p> - -<p>»Aber weshalb habt Ihr denn eine ganze Stunde gestritten, -Vater Diakon?« sagte Nikolai Afanasjewitsch, ihm -zum Abschied sein Händchen entgegenstreckend.</p> - -<p>»Daß mir sowas passieren mußte! Ich hatte die Duplikate -vergessen, deshalb stritt ich,« verteidigte sich der Diakon.</p> - -<p>»Das ist genau wie im Sprichwort, werter Herr: ich suche -meine Mütze und habe sie auf dem Kopfe. Meinen ehrerbietigsten -Gruß, Vater Diakon.«</p> - -<p>»Ich suche meine Mütze! … Ach, du Kleiner!« grinste -Achilla, kriegte den Zwerg am Rockschoß zu packen und setzte -ihn auf seine Hand, indem er rief:</p> - -<p>»Der ist ja so leicht wie eine Flaumfeder!«</p> - -<p>»Laß sein,« befahl Vater Tuberozow.</p> - -<p>Der Diakon stellte den Zwerg wieder auf den Boden und -bemerkte scherzend, in Anbetracht seiner Leichtigkeit sei es unmöglich, -ihn nach Gewicht zu verkaufen. Doch der Propst, -den das vorlaute Gebaren des Diakons schon zu ärgern -begann, wandte ein:</p> - -<p>»Weißt du, wen man nach Gewicht schätzt?«</p> - -<p>»Nun, wen?«</p> - -<p>»Den Wicht.«</p> - -<p>»Schönsten Dank!«</p> - -<p>»Bitte sehr, recht gern geschehen.«</p> - -<p>Der Diakon wurde verlegen, fuhr mit seinem Baumwolltaschentuch -über den haarigen Filz seines Hutes und brummte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span></p> - -<p>»Ihr könnt auch nie und nirgends ohne Politik auskommen!«</p> - -<p>Und schritt mit gekränkter Miene zur Tür hinaus.</p> - -<p>Bald begannen sich auch die andern Gäste zu verabschieden -und gingen ein jeder seines Weges.</p> - -<p>Den Zwerg und seine Schwester trug der bronzebeschlagene -Wagen schnell von dannen, Tuberozow aber nahm seinen -Weg in Begleitung desselben Darjanow, mit dem wir ihn -im Häuschen der Hostienbäckerin Prepotenskaja gesehen -haben, langsam über die Brücke.</p> - -<p>Als sie das jenseitige Ufer erreicht hatten, machten sie -einen Augenblick Halt. Von alter Erinnerung überwältigt -meinte der Propst:</p> - -<p>»Ist es nicht seltsam, daß dieses alte Märchen, welches -uns der Zwerg erzählt und das ich schon so oft gehört habe, -daß dieses kindliche Märlein von den Stricknadeln der Alten -mich nicht nur erfrischt, sondern auch beruhigt hat nach all -der Aufregung, in welche mich die jüngste Wirklichkeit versetzt -hatte? Ist das nicht ein deutlicher Beweis dafür, daß -ich alt geworden bin und in der Vergangenheit zu leben -beginne? Aber nein, das ist es nicht. Ich bin von klein auf -so gewesen. Mir fällt eben ein Erlebnis ein: als Student -kam ich einmal in das Dorf, in dem ich meine Kindheit -verbrachte und sah, wie man die alte Holzkirche niederriß, -um an ihrer Stelle ein neues schönes Gotteshaus -aus Stein zu errichten … Damals brach ich in Tränen -aus.«</p> - -<p>»Warum denn?«</p> - -<p>»Es war mir leid um das hölzerne Kirchlein. Einen -schönen, lichten, neuen Tempel will man in Rußland bauen, -und die Enkel, die darin beten werden, werden sich freuen -an der Fülle von Licht und Wärme, – und dennoch tut es<span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span> -weh, wenn die alten Balken ohne Erbarmen auseinandergezerrt -werden.«</p> - -<p>»Ja, lohnt sich's denn wirklich, etwas zu bewahren aus -jener alten Zeit, die nichts Besseres wußte, als mit Stricknadeln -zu klappern und sich an Zwergenhochzeiten zu erfreuen?«</p> - -<p>»Ja, sehen Sie mal, ärmlich genug ist das ja, – und -doch fühlte ich etwas vom russischen Geiste darin. Ich gedachte -der alten Bojarin und mir wurde so wohl und frei -dabei, und das scheint mir der schönste Lohn für meine -Pietät. Lebt in gutem Einvernehmen mit eurem alten -Märchen, ihr jungen russischen Leute! Solch ein altes Märchen -ist ein wunderbares Ding! Wehe dem, der in seinem Alter -keines hat! Euren Ohren klingt das Klappern der alten -Stricknadeln eintönig, mir aber erzählt es süße Mären! … -O wie gerne möchte ich in Frieden mit meinem alten Märchen -sterben!«</p> - -<p>»Das wird ja wohl auch so werden.«</p> - -<p>»Wie soll man das wissen? Wie soll man wissen, wer es -sein wird? Aber erlauben Sie, – was ist denn das?« unterbrach -der Propst sich plötzlich und sah nach einer Staubwolke, -die sich auf dem Berge zeigte und einen mit drei Pferden -bespannten Reisewagen, in dem zwei Männer saßen, begleitete. -Der eine von ihnen war groß, fleischig, schwarz, mit -feurigen Augen und einer unverhältnismäßig großen Oberlippe; -der andere klein, glatt rasiert, mit einem völlig leidenschaftslosen -Gesicht und hellen, wässerigen Augen.</p> - -<p>Der Wagen mit den Fremden fuhr schnell über die Brücke -und bog auf dem anderen Ufer links ab.</p> - -<p>»Was für unangenehme Gesichter,« sagte der Propst und -wandte sich ab.</p> - -<p>»Wißt Ihr auch, wer das war?«</p> - -<p>»Gott sei Dank, nein.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span></p> - -<p>»Dann kann ich es Euch zu Eurer Betrübnis sagen. Es -ist der Regierungsbeamte Fürst Bornowolokow, welcher seit -einiger Zeit hier erwartet wird. Ich habe ihn sofort erkannt, -obgleich ich ihn lange nicht gesehen habe. Richtig, sie halten -vor dem Biziukinschen Hause.«</p> - -<p>»Sagen Sie, bitte, welcher von beiden ist Bornowolokow?«</p> - -<p>»Links, der Kleine, ist Bornowolokow.«</p> - -<p>»Und der andere?«</p> - -<p>»Wohl sein Sekretär. Auch eine Berühmtheit eigener Art.«</p> - -<p>»Ein tüchtiger Jurist?«</p> - -<p>»Hm! Davon habe ich eigentlich nichts gehört. Aber -wegen irgendeiner Studentengeschichte wurde er einmal zu -Festungshaft verurteilt.«</p> - -<p>»Um Gottes willen! Wie nennt sich dieser Mann?«</p> - -<p>»Ismail Termosesow!«</p> - -<p>»Termosesow?«</p> - -<p>»Ja, Termosesow; Ismail Petrowitsch Termosesow.«</p> - -<p>»Himmel, was für Leute unser Zar in seine Dienste nimmt!«</p> - -<p>»Wie meint Ihr das?«</p> - -<p>»Aber, ich bitte! Dies Gesicht, diese Lippen, und auf -Festung hat er gesessen und ist wieder freigekommen, und -Termosesow heißt er auch noch.«</p> - -<p>»Das ist entsetzlich, nicht wahr?« rief Darjanow laut -lachend.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_187">[187]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_6">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Wir müssen nun, unter dem Zwange der Verhältnisse, -welche den Gang unserer Chronik bedingen, den Stargoroder -Propst für einige Zeit verlassen, um die Bekanntschaft eines -ganz anderen Kreises derselben Stadt zu machen. Wir treten -in das Haus des Akzisebeamten Biziukin, in dem die längst -erwarteten Petersburger Gäste soeben eingetroffen sind: -der Fürst Bornowolokow, ein alter Studiengenosse des -Akziseeinnehmers, welcher irgend etwas revidieren oder einführen -soll, und sein Sekretär Termosesow, ebenfalls -ein alter Bekannter und Gesinnungsgenosse Biziukins. -Es ist vormittags und der Postwagen, welcher die Gäste -nach Stargorod gebracht hat, macht eben vor dem Hause -Halt.</p> - -<p>Biziukin selbst war nicht zu Hause, und so mußte ihn seine -Gattin vertreten. Diese interessante Frau, die sich viel mit -Politik beschäftigte, sah dem Besuche des Gastes nicht ohne -innere Bewegung entgegen. Sie wollte sich ihm von ihrer -besten und vorteilhaftesten Seite zeigen, und war vom frühen -Morgen darauf bedacht, daß ihr Haus den besten Eindruck -auf die Ankommenden mache. In aller Frühe prüfte sie -sämtliche Gemächer und fand, daß eigentlich nichts ihrem -Wunsche entsprach. In der Mitte des reinlichen, freundlich -möblierten Wohnzimmers blieb sie stehen und dachte -verzweifelt:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188">[188]</a></span></p> - -<p>»Nein, das ist zum Tollwerden! Hier sieht es ja genau -so aus, wie bei Porochontzews oder bei Darjanows oder -beim Postmeister, – mit einem Wort, wie überall, vielleicht -etwas besser. Die Uhr auf dem Kamin, diese Armleuchter, -und da steht das Klavier … Nein, das darf unmöglich so -bleiben, um dieser Kleinigkeiten willen will ich nicht die Verachtung -der modernen Männer auf mich laden. Ich weiß, -wie man moderne Männer der Tat aufnimmt! Ja, aber, -wo soll ich hin mit all dem Kram? Soll ich alles hinauswerfen? -Das wäre doch zu schade. Die Sachen werden verderben, -sie haben Geld gekostet. Und was nützt es, sie hinauszuwerfen, -wenn ringsherum … Im Schlafzimmer zum -Beispiel die Spitzengardinen … Na ja, ins Schlafzimmer -werden die Gäste ja nicht hineinschauen … Ich bringe -nur meines Mannes Zimmer in Ordnung!«</p> - -<p>Und damit rief die junge Beamtenfrau ihre Dienstboten -und ließ sie sofort alles ihrer Meinung nach Überflüssige -aus dem Arbeitszimmer ihres Gatten auf den Speicher -bringen, so daß nichts weiter übrigblieb als ein Tisch, ein -Stuhl und zwei Sofas.</p> - -<p>»Ausgezeichnet,« dachte die Biziukina. »Wenigstens ein -Zimmer im Hause, das anständig aussieht.«</p> - -<p>Sie machte noch zwei große Tintenflecke auf den Schreibtisch -und stieß den Spucknapf in der Ecke um, so daß der -Sand sich über den Fußboden streute. Aber o Himmel, als -sie wieder in den Saal zurückkehrte, bemerkte sie, daß sie -das Allerärgste fast übersehen hätte: an der Wand hing -ein Heiligenbild!</p> - -<p>»Jermoschka! Jermoschka! Schaff sofort dies Heiligenbild -hinaus … ich will es in die Kommode legen!«</p> - -<p>Das Bild wurde fortgeschafft und die besorgte Hausfrau -begab sich in ihr Boudoir, öffnete einen großen Nußbaumschrank,<span class="pagenum"><a id="Seite_189">[189]</a></span> -wählte aus ihrer reichhaltigen Garderobe die allerschlechtesten -Stücke, rief ihr Dienstmädchen und ließ sich ankleiden.</p> - -<p>»Marfa, du liebst die Herrschaften wohl gar nicht?«</p> - -<p>»Warum sollte ich sie nicht lieben?«</p> - -<p>»Warum solltest du nicht? Nun so, ganz einfach! Wofür -sollst du sie denn lieben?«</p> - -<p>Das Mädchen wußte nicht, was es antworten sollte.</p> - -<p>»Was haben sie dir denn Gutes getan?«</p> - -<p>»Gutes, nichts, gnädige Frau.«</p> - -<p>»Nun, du dumme Person, dann kannst du sie auch nicht -lieben, und in Zukunft bitt' ich dich, die dummen Redensarten -›zu Befehl‹ und ›gnädige Frau‹ und so weiter gefälligst -zu lassen. Sag einfach ›ja‹ und ›nein‹ und ›was‹ und ›warum‹. -Verstanden?«</p> - -<p>»Zu Befehl.«</p> - -<p>»Zu Befehl!? Kannst du nicht einfach ›ja‹ sagen?«</p> - -<p>»Warum denn, gnädige Frau?«</p> - -<p>»Weil ich es so wünsche.«</p> - -<p>»Zu Befehl.«</p> - -<p>»Schon wieder? Ich hab' dir doch eben erst befohlen: -einfach ›ja‹ und ›nein‹ zu sagen.«</p> - -<p>»Ja. Aber es wird mir sehr schwer, gnädige Frau.«</p> - -<p>»Schwer? Um so leichter wird dir's später werden. Alle -werden einmal so sprechen. Hörst du?«</p> - -<p>»Zu Befehl.«</p> - -<p>»Zu Befehl! Pack dich, dumme Gans! Ich schmeiß dich -raus, wenn du mir noch einmal so antwortest. Einfach ›ja‹ -– und mehr nicht. Bald wird es überhaupt keine Herrschaften -mehr geben; verstehst du? Überhaupt keine mehr! -Sie werden bald alle … in Stücke gehackt. Verstanden?«</p> - -<p>»Ja,« sagte das Mädchen, um sie irgendwie loszuwerden.</p> - -<p>»Jetzt geh und schick mir den Jermoschka her.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_190">[190]</a></span></p> - -<p>»Nun ist aber noch etwas unbedingt nötig. Ich muß eine -Schule hier haben.« Und Madame Biziukina gab ihrem -Jermoschka zehn kupferne Fünfkopekenstücke und befahl ihm, -möglichst viele Straßenjungen herbeizuschaffen. Er sollte -jedem von ihnen sagen, daß er von ihr noch einen zweiten -Fünfer bekommen würde.</p> - -<p>Nach zehn Minuten kehrte Jermoschka in Begleitung einer -ganzen Horde zerlumpter Gassenbuben zurück.</p> - -<p>Die Biziukina gab jedem fünf Kopeken, ließ sie im Kabinett -ihres Mannes Platz nehmen und sagte zu ihnen:</p> - -<p>»Jetzt werde ich euch unterrichten und dafür kriegt jeder -noch einen Fünfer. Ist's euch recht so?«</p> - -<p>Die Jungen rümpften die Nase:</p> - -<p>»Na ja, warum nicht?«</p> - -<p>»Wir verstehen doch nicht, aus Büchern zu lesen,« sagte -einer von den Klügeren.</p> - -<p>»Ich will euch ein Lied lehren, da braucht ihr keine Bücher.«</p> - -<p>»Na, wenn's ein Lied sein soll, ist's uns recht.«</p> - -<p>»Jermoschka, setze dich auch dazu.«</p> - -<p>Jermoschka setzte sich und hielt verlegen die Hand vor -den Mund.</p> - -<p>»Also jetzt singt ihr alle mit.«</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Aus der Schmiede kommt der junge Schmied.«<br /></span> -</div></div> - -<p>Die Buben sangen nach, so gut sie konnten.</p> - -<p>»Heil!« sang Madame Biziukina vor.</p> - -<p>»Heil!« wiederholten die Kinder.</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Und drei scharfe Messer trägt er unterm Rock! Heil!«<br /></span> -</div></div> - -<p>In diesem Ausblick hob Jermoschka den Kopf, sah aus -dem Fenster und rief:</p> - -<p>»Es kommt Besuch, gnädige Frau!«</p> - -<p>Die Biziukina ließ das Lineal fallen, mit dem sie den Takt -geschlagen hatte und stürzte in den Saal.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_191">[191]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_7">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Fürst Bornowolokow und sein Sekretär Termosesow -erschienen. Bei genauer Betrachtung machten sie einen viel -interessanteren Eindruck, als sie Tuberozow bei ihrer flüchtigen -Begegnung vorgekommen waren.</p> - -<p>Der Revisor selbst sah wie ein eingeschlafener Stichling aus. -Er war klein, mit gesträubten Haaren, breiten Schultern und -Augen, über denen ein feuchter, schläfriger Schleier lag. Er -schien zu nichts fähig und zu nichts brauchbar. Er war eben -kein Mensch, sondern ein schläfriger Stichling, der sich in -allen Meeren und Seen herumgetrieben hatte, nun aber eingeschlafen -und so mit Tang bewachsen war, daß in ihm nichts -mehr glühte und leuchtete.</p> - -<p>Termosesow dagegen erinnerte an einen Kentauren. Er -war riesengroß, wie es nur ein Mann sein kann, aber der -Bau seines mächtigen Körpers hatte etwas Weibliches. Die -Schultern waren sehr schmal, die Hüften übermäßig breit -und voll wie Pferdeschinken, die Knie fleischig und rund, die -Arme dürr und sehnig; der Hals lang, aber nicht mit stark -hervortretendem Adamsapfel, wie bei den meisten hochgewachsenen -Menschen, sondern mit einer Vertiefung, wie bei -einem Pferde. Um den Kopf flatterte eine mächtige Mähne -nach allen Seiten; das Gesicht, mit einer langen, armenischen -Nase und einer unverhältnismäßig großen Oberlippe, die -schwer auf der untern lastete, war von sehr dunkler Färbung;<span class="pagenum"><a id="Seite_192">[192]</a></span> -die Augen waren braun mit tiefschwarzen Pupillen, der -Blick scharf und klug.</p> - -<p>Die Biziukina beobachtete alles durch das Fenster, ohne von -den Fremden gesehen zu werden, und zermarterte sich das -Hirn, wer von den beiden wohl der Revisor Bornowolokow -und wer Termosesow sei. Endlich kam sie zu dem Schlusse, -der Große müßte unbedingt der Fürst Bornowolokow sein, -denn er hatte eine Mütze mit einer Kokarde auf dem Kopfe, -der andere im Reitfrack und dem bunten Mützchen aber war -sicher Termosesow, der unabhängige Mann, der in einem -ganz freien Dienstverhältnis zum Fürsten stand. Allein noch -eine zweite Frage quälte die Hausfrau: wie sollte sie die -Gäste empfangen? Sollte sie ihnen entgegengehen? Das -wäre gar zu zeremoniell gewesen. Nichts tun, dasitzen und -warten, bis sie kommen? … Das wirkte zu gezwungen! -Ein Buch vornehmen? Ja, das wäre das Richtigste, das -Natürlichste!</p> - -<p>Und sie ergriff das erste beste Buch, blickte aber noch einmal -darüber hinweg durch das Fenster und bemerkte, daß -Termosesow, den sie für Bornowolokow hielt, ziemlich -schmutzige Hände hatte, während ihre wohlgepflegten, müßigen -Hände rein waren, wie weißer Schaum.</p> - -<p>Sofort nahm Madame Biziukina etwas Erde aus einem -auf dem Fensterbrett stehenden Blumentopf, zerrieb sie -zwischen ihren Handflächen und setzte sich mit ihrem Buche -auf einen Stuhl in der Nähe des Fensters, die Beine übereinanderschlagend.</p> - -<p>In diesen Augenblick ließ sich im Hausflur eine fröhliche, -recht freundliche Baßstimme vernehmen, und in das Vorzimmer -traten beide Gäste: zuerst Termosesow und hinter -ihm Fürst Bornowolokow.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_193">[193]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_8">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Hausfrau saß da und rührte sich nicht. Es fiel ihr -jetzt erst auf, wie unpassend den Gästen der Blumentopf -auf dem Fensterbrett erscheinen mußte, und so verwirrt sie -auch war, sie hatte doch noch Zeit zu überlegen, wie man -ihn wohl am leichtesten aus dem Fenster hinausbefördern -könnte. Dieser Gedanke beschäftigte sie so lebhaft, daß sie -sogar die erste Frage überhörte, mit der sich einer der beiden -Gäste an sie wandte, wodurch sie tatsächlich den Eindruck -einer ganz in ihre Lektüre vertieften Person hervorrief.</p> - -<p>Termosesow musterte sie über die Schwelle mit einem -scharfen Blick und wiederholte seine Frage.</p> - -<p>»Wer sind Sie? Vielleicht Frau Biziukina selbst?« fragte -er, ruhig in den Saal eintretend.</p> - -<p>»Ich bin Frau Biziukina,« antwortete die Hausfrau, ohne -aufzustehen.</p> - -<p>Termosesow ging auf sie zu:</p> - -<p>»Ich bin Termosesow, Ismail Petrowitsch Termosesow, -ein Schulkamerad Ihres Mannes, mit dem ich später wegen -einer Dummheit auseinanderkam; und dies ist der Fürst -Afanasij Fedosejewitsch Bornowolokow, Regierungsbeamter -und Revisor aus Petersburg. Wir wollen hier allen die Hölle -heiß machen. Guten Tag!«</p> - -<p>Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie ergriff sie, während -sie mit der andern das Buch auf die Fensterbank legte und<span class="pagenum"><a id="Seite_194">[194]</a></span> -bei dieser Gelegenheit den Blumentopf umstieß, so daß er -auf die Straße kollerte.</p> - -<p>»Was ist das? Sie haben Ihre Blume zum Fenster -hinausgeworfen?«</p> - -<p>»Das hat nichts zu sagen. Es war keine Blume. Nur -Gras zum Auflegen auf Schnittwunden. Aber es taugt -auch schon nichts mehr.«</p> - -<p>»Selbstverständlich taugt es nichts. Wer legt heute noch -Gras auf Schnittwunden! Aber vielleicht gibt es noch solche -Esel. Wo ist denn Ihr Mann?«</p> - -<p>Die Biziukina sah den Revisor an, der ohne ein Wort zu -sagen auf dem kleinen Sofa Platz genommen hatte, und erwiderte -Termosesow, ihr Mann sei nicht zu Hause.</p> - -<p>»Nicht zu Hause? Na, macht nichts, wir sprechen uns noch. -Wir waren dicke Freunde, bis uns eine Dummheit auseinanderbrachte. -Aber ich muß offen bekennen, Sie passen -nicht zu diesem Mann. Nein, wirklich ganz und gar nicht, -darüber ist kein Wort zu verlieren. Er ist ein Hohlkopf, -weiter nichts, und es ist sein Glück, daß Sie ihm zu dieser -Stelle in der Akzise verhelfen konnten. Sie aber sind ein -Prachtkerl, der alles ganz famos gedeichselt hat, – dem -Mann die Stelle verschafft und – fein ist's hier bei Ihnen!« -fügte er hinzu, indem er mit einem schnellen Blick alle vom -Saale aus sichtbaren Räume der Wohnung musterte. Als -er in dem allen Schmuckes beraubten Kabinett die Kinderschar -bemerkte, die sich an der Schwelle drängte, meinte er:</p> - -<p>»Ah, so etwas wie eine Schule haben Sie auch hier. Schäbig -genug ist das Zimmerchen, aber als Schulraum geht's noch -an. – Zu was Deubel unterrichten Sie die Lausebande -eigentlich?« schloß er plötzlich schroff.</p> - -<p>Die Biziukina geriet in Verlegenheit, aber Termosesow -half ihr selbst darüber hinweg. Er ging auf die Jungen zu,<span class="pagenum"><a id="Seite_195">[195]</a></span> -faßte einen von ihnen unter das Kinn und fragte: »Na? -Verstehst du Erbsen zu mausen? Lern's, mein Junge, und -wenn sie dich nach Sibirien expedieren, mag mein Segen -dich begleiten. Lassen Sie sie laufen, Biziukina! Marsch nach -Hause, ihr Halunken! Fix ans Erbsenstehlen!«</p> - -<p>Die Jungen kamen langsam einer nach dem andern aus -dem Kabinett und zogen im Gänsemarsch durch den Saal. -Dann ging es in beschleunigtem Tempo durch das Vorhaus -und über den Hof.</p> - -<p>»Wozu all diese Schulen? Nichts als Zeitvergeudung!«</p> - -<p>»Das finde ich auch,« sagte die Hausfrau kleinlaut.</p> - -<p>»Versteht sich. Bekommen Sie eine Unterstützung?«</p> - -<p>»Nein. Wo sollte die auch herkommen?«</p> - -<p>»Warum nicht? Andere bekommen sie doch! – Und das ist -wohl Ihr Früchtchen?« fragte er, indem er auf den herausgeputzten -Jermoschka zeigte, der eben eingetreten war. Ohne -eine Antwort abzuwarten, wandte er sich an den Jungen:</p> - -<p>»Geh mal, mein liebes Goldsöhnchen, und sag dem Dienstmädchen, -daß wir uns waschen wollen.«</p> - -<p>»Das ist gar nicht mein Sohn,« sagte die Hausfrau verlegen.</p> - -<p>Aber Termosesow hörte es nicht. Er glaubte nun einmal, -den Sohn der Hausfrau vor sich zu haben, und hielt dieser -eine Predigt, wie und wozu sie ihn erziehen solle.</p> - -<p>»Bereiten Sie ihn für den Staatsdienst vor. Daß er nur -keine literarischen Neigungen kriegt! Sehn Sie mich an. Ich -dürfte eigentlich gar nicht Staatsbeamter sein, aber durch -Hintertüren und auf Hintertreppchen hab' ich mich doch rangeschlängelt. -Jawohl! Und bin doch früher selbst Nihilist -gewesen und ärgerte mich sogar über Ihren Mann, als er -Akzisebeamter wurde. Dumm war das! Warum soll unsereins -nicht Staatsbeamter sein? Als Beamter kann man sich<span class="pagenum"><a id="Seite_196">[196]</a></span> -beliebt machen, als Beamter hat man Geld, als Beamter -gewinnt man Einfluß, – das ist etwas ganz anderes als -die blöde Schriftstellerei. Dort muß man noch Talent haben, -hier aber wird es nur störend empfunden. Als Staatsbeamter -kann ich die Leute sortieren. Was bist du für ein -Kerl? – Du kommst hierher. Und du bist so einer? – Du -kommst dahin. Du bist keiner von den unsern? So zwing' ich -dich, ersticke dich, zerbreche dich, – und der Staat muß mich -dafür bezahlen. – Na, was starren Sie mich so an? Es kommt -Ihnen wohl sonderbar vor, was ich da aus der Praxis -erzähle?«</p> - -<p>Die verblüffte Hausfrau schwieg, der Gast aber fuhr fort:</p> - -<p>»Ihr richtet hier Schulen ein, – na ja, wenn man sich -an die landesübliche Schablone der roten Hähne halten wollte, -müßte man das loben, aber Termosesow als praktischer Mensch -tut das nicht. Termosesow sagt: Zum Teufel mit den Schulen, -sie sind vom Übel; wenn das Volk zu lesen versteht, -nimmt es die heiligen Bücher vor. Sie glauben, die Bildung -gehört zu den zerstörenden Elementen? Keineswegs. Sie -ist ein aufbauendes Element, wir aber wollen vor allem -zerstören.«</p> - -<p>»Es heißt doch aber, eine Revolution wäre jetzt bei dem -Bildungsstand unseres Volkes nicht möglich,« wagte die -Hausfrau einzuwerfen.</p> - -<p>»Zu was Teufel brauchen wir sie denn, die Revolution, -wenn es auch ohne Revolution ganz nach unsern Wünschen -geht? Aber sehn Sie, da steht Ihr Söhnlein und spitzt die -Ohren. Warum erlauben Sie ihm zuzuhören, was die Erwachsenen -reden?«</p> - -<p>»Das ist gar nicht mein Sohn,« sagte die Dame.</p> - -<p>»Nicht Ihr Sohn? Wer ist es denn?«</p> - -<p>»Ein Diener.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_197">[197]</a></span></p> - -<p>»Ein Diener! Und so herausstaffiert! Fix, Waschwasser, -du Teufelsbraten!«</p> - -<p>»Ist schon fertig,« antwortete Jermoschka schroff, wie es -ihm vorgeschrieben war.</p> - -<p>»Warum hast du es denn nicht gleich gesagt? Marsch -hinaus!«</p> - -<p>»Das ist nun ein wahrhaft kluger Mensch,« dachte Frau -Daria Biziukina, als sie wieder allein geblieben war, und -starrte unverwandt nach der Tür, durch die Termosesow -hinausgegangen war. »Alle andern sind so streng, – dies -kann man nicht und das soll man nicht, hier aber ist alles -erlaubt, alles möglich, und doch fürchtet dieser Mann sich -vor nichts. Mit so einem Mann zu leben wäre leicht; ja es -wäre süß, sich ihm zu unterwerfen.«</p> - -<p>Der arglistige Fremde hatte das Herz Darias völlig erobert. -Alles an dem Gaste begann ihr zu gefallen. Was -hatte er für eine Stimme! Wie stark war er! Überhaupt, -– was war er für ein Mann! … Wie entzückend war er! -Kein Seladon, wie ihr Gatte; kein Trantopf, wie Prepotenskij, -– nein, er war entschlossen, unbeugsam, ein ganzer -Mann … Der würde nie nachgeben! Er war wie der -Sturmwind … er kommt … reißt fort … vernichtet …</p> - -<p>Wo bist du nun, du armer Akziseeinnehmer? Juckt dir -nicht schon die Stirn wie einem jungen Böcklein, dem die -Hörner wachsen wollen?</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_198">[198]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_9">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Zu den Ohren der verliebten Biziukina war aus dem -Kabinett längst schon bald ein sanftes Entenplätschern, bald -ein wildes Spritzen und seltsames Gurgeln gedrungen. -Plötzlich jedoch war alles still geworden und immer noch zeigte -sich Termosesow nicht. Hatte er denn wirklich so viel mit -diesem wortkargen Fürsten zu reden? Oder schlief er? … -Das konnte der Fall sein, denn die Reise mußte ihn ermüdet -haben. Oder las er vielleicht? Was konnte er lesen? Und -was brauchte er zu lesen, wenn er selbst klüger war als alle -Bücherschreiber? … Aber während sie so grübelte, ging die -Tür auf und auf der Schwelle erschien Jermoschka mit einer -Waschschüssel voll Seifenwasser. Er schloß die Tür nicht -hinter sich, so daß Daria Nikolajewna ins Zimmer hineinsehen -konnte. Ganz hinten am Fenster entdeckte sie die schmächtige -Figur des Fürsten. Dicht vor ihm, etwas näher zur Tür, -erhob sich der fleischige Torso Termosesows. Beide, der -Revisor und sein Sekretär, waren im Negligé. Bornowolokow -in Beinkleidern und einem schneeweißen Hemde aus -holländischer Leinwand, über das sich kreuzweise die zwei -roten Streifen der seidenen Hosenträger legten. Sein kleines -blondes Köpfchen war glatt gekämmt, und er bemühte -sich, es mit Hilfe einer Metallbürste noch mehr zu glätten. -Termosesows Gestalt zeigte sich in ihrer ganzen plastischen -Vollendung, der Kragen seines Hemdes war aufgeknöpft<span class="pagenum"><a id="Seite_199">[199]</a></span> -und die weit über den Ellbogen aufgeschürzten -Ärmel ließen die muskulösen, dicht behaarten Arme deutlich -erkennen.</p> - -<p>Mit diesen Armen hob Termosesow ein langes russisches -Handtuch, an dessen Enden rote Hähne gestickt waren, und -bearbeitete damit seine sich wild sträubenden nassen Haare -aufs kräftigste.</p> - -<p>Aus der Energie, mit welcher der liebenswürdige Ismail -Petrowitsch dieses Geschäft betrieb, ließ sich ohne weiteres -erraten, daß die fröhlichen, machtvollen und ungenierten -Fiorituren, die eben noch durch die geschlossene Tür bis in -den Saal gedrungen waren, von Termosesow herrührten, -während Bornowolokow nur wie eine Ente zischen und plätschern -konnte. Der zurückkehrende Jermoschka, welcher die -Tür zuschlug, zerstörte das holde Bild.</p> - -<p>Aber Termosesow hatte genügend Zeit gehabt, um das -Feld mit seinem Adlerblick zu überschauen, und er ließ sich -die Gelegenheit nicht nehmen, die Hausfrau durch sein Erscheinen -ohne den Fürsten zu erfreuen. Er warf schnell seinen -weiten Mantel über seine höchst unvollkommene Toilette -und stieß den armen Jermoschka, ihn am Ohr packend, -ins Vorzimmer hinaus mit den Worten:</p> - -<p>»Daß du deine Nase hier nicht zu zeigen wagst, bis ich dich -rufen werde!«</p> - -<p>Dann schloß er die Tür zum Kabinett, in dem sich der -Fürst noch befand, und setzte sich in seinem immerhin recht -seltsamen Kostüm ungeniert neben die Hausfrau.</p> - -<p>»Hören Sie mal, Biziukina, so geht das nicht, Herzchen,« -fing er an und faßte sie ohne weiteres bei der Hand. »Sie -haben Ihren Lausbuben gar zu sehr verwöhnt. Ich nannte -ihn ein Ferkel, weil er dem Fürsten die Ärmel beplantscht -hatte, worauf er mir: ›Meine Mutter ist keine Sau, sondern<span class="pagenum"><a id="Seite_200">[200]</a></span> -eine Frau!‹ antwortete. Daran sind Sie natürlich schuld, -Sie haben ihn so emanzipiert, nicht wahr?«</p> - -<p>Und mit völlig veränderter Stimme fuhr er zärtlich fort: -»Sie sind es? Ja? Sagen Sie – ja?« Dieses Ja wurde -in einem Ton gesagt, der das Herz der Biziukina erschauern -machte. Sie begriff, daß die gewünschte Antwort gar nicht -der gestellten Frage galt, sondern einer unausgesprochenen, -deren heimlicher Sinn sie durch seinen Realismus geradezu -erschreckte, und darum schwieg sie. Aber Termosesow ließ -nicht locker.</p> - -<p>»Ja oder nein? Ja oder nein?« drängte er mit wachsender -Ungeduld.</p> - -<p>Zu langem Überlegen war keine Zeit. Die Biziukina sah -Termosesow ängstlich an und begann schüchtern:</p> - -<p>»Ja, ich weiß n…«</p> - -<p>Aber Termosesow unterbrach sie hart:</p> - -<p>»Ja!« rief er. »Ja! Und damit genug! Weiter brauchst -du mir nichts zu sagen. Gib mir dein Händchen. Gleich -auf den ersten Blick habe ich erkannt, daß wir zueinander gehören, -und eine andere Antwort habe ich von dir nicht erwartet. -Jetzt keine Zeit verloren! Beweise mir deine Liebe -durch einen Kuß.«</p> - -<p>»Wollen Sie nicht ein Glas Tee?« stammelte Daria -Nikolajewna, als ob sie diese Worte nicht gehört hätte.</p> - -<p>»Komm mir nicht mit solchen Geschichten! Ich bin kein -Teekessel, sondern ein Dampfkessel.«</p> - -<p>»Dann ist Ihnen Wein vielleicht lieber?« flüsterte Daria, -sich von ihm losmachend.</p> - -<p>»Wein?« wiederholte Termosesow. »Du bist süßer als -Myrrhen und Wein!« Und damit zog er Madame Biziukina -an sich. »Laß uns verschmelzen in seligem Kusse«, flüsterte -er und schloß ihr rotes Mündchen mit seinen Pferdelippen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_201">[201]</a></span></p> - -<p>»Jetzt aber sag mir mal, warum bist du eine so renitente -Monarchistin?« fragte er unmittelbar nach dem Kusse, die -Hand der Dame seinen Augen nähernd.</p> - -<p>»Ich bin gar nicht Monarchistin,« beteuerte die Biziukina -hastig.</p> - -<p>»Wem gilt denn deine Hoftrauer? Dem Maximilian -von Mexiko?«</p> - -<p>Und Termosesow wies lachend auf die schwarzen Streifen -an ihren Fingernägeln, schob sie zur Seite und sagte: »Geh, -wasch deine Hände!«</p> - -<p>Daria Nikolajewna wurde feuerrot und war nahe daran -zu weinen. Sie hatte sonst immer tadellos saubere Nägel. -Sie eilte in ihr Schlafzimmer, wusch dort die Hände und -kam lächelnd zurück.</p> - -<p>»So,« sagte sie, »jetzt bin ich wieder Republikanerin, ich -habe ganz weiße Hände.«</p> - -<p>Der Gast aber drohte ihr mit dem Finger und meinte, -der Republikanismus sei nur ein dummer Spaß.</p> - -<p>»Was brauchen wir uns um die Republik zu kümmern?« -sagte er. »Man kann damit bös reinfallen. Aber ich habe die -photographischen Bildnisse sämtlicher regierender Herrschaften -mit. Soll ich sie dir schenken, daß wir sie hier an die Wand -hängen?«</p> - -<p>»Ich habe sie ja selbst.«</p> - -<p>»Wo sind sie denn? Wohl versteckt? He? Ich schwör's -beim Satan selber, daß ich's erraten habe: du erwartetest -unsern Besuch aus Petersburg, und um mit deinem Liberalismus -zu prahlen, hast du sie versteckt! Dumm ist das, -mein Töchterchen, sehr dumm! Bring sie mal fix her, ich -hänge sie dir wieder auf.«</p> - -<p>Die ertappte Einnehmersfrau wurde wieder bis an die -Ohren rot, holte aber die eingerahmten Bildnisse aus dem<span class="pagenum"><a id="Seite_202">[202]</a></span> -Tischkasten heraus und brachte auf Termosesows Befehl -Hammer und Nägel, worauf der Gast sich gleich an die Arbeit -machte.</p> - -<p>»Ich denke, wir bringen sie gleich hier an dieser Wand an,« -sagte er, mit dem Finger durch die Luft fahrend.</p> - -<p>»Wie Sie meinen.«</p> - -<p>»Was nennst du mich immer noch Sie, wenn ich dich duze? -Du sollst du sagen. Und nun gib mal die Bilder her.«</p> - -<p>»Die hat alle mein Mann gekauft.«</p> - -<p>»Sehr richtig von ihm, daß er die Obrigkeit hochachtet! -Die Herren Minister hängen wir alle hier unten nebeneinander -auf. Her damit! Wer ist das? Gortschakow. Der -Kanzler. Ausgezeichnet! Er hat Rußland gerettet! Sehr -nett von ihm! Dafür wird er als Erster aufgehängt.«</p> - -<p>Als alle Bilder an der Wand befestigt waren, ergriff Termosesow -die rechte Hand der Biziukina und drückte sie an -seine Brust.</p> - -<p>»Nicht wahr, ich habe ein heißes Herz?« fragte er, ihre -Verlegenheit ausnutzend.</p> - -<p>Aber Daria Nikolajewna riß ihre Hand los und erwiderte -zornig: »Sie werden aber zu frech.«</p> - -<p>»Tä–tä–tä–tä–! Zu frech! Ganz und gar nicht ›zu‹, -sondern gerade, wie sich's gehört,« spottete Termosesow und -legte den andern, freien Arm um ihren Leib.</p> - -<p>»Sie sind ein ganz unverschämter Mensch! Sie vergessen, -daß wir uns kaum kennen,« schrie Daria Nikolajewna entrüstet -und riß sich von ihm los.</p> - -<p>»Ich bin nicht unverschämt und ich vergesse auch nichts! -Termosesow ist bloß klug, schlicht, natürlich und praktisch – -weiter nichts. Termosesow denkt einfach so: wenn du ein -vernünftiges Frauenzimmer bist, dann weißt du, warum -du mit einem Mann so intim redest, wie du mit mir geredet<span class="pagenum"><a id="Seite_203">[203]</a></span> -hast; weißt du aber selber nicht, warum du dich so benimmst, -dann bist du eine Gans und es hat keinen Sinn, dich schonend -zu behandeln.«</p> - -<p>Madame Biziukina wollte natürlich klug sein.</p> - -<p>»Sie sind sehr schlau,« sagte sie, das Gesicht abwendend.</p> - -<p>»Schlau! Was braucht's hier Schlauheit? Ja, wenn du -mich liebst oder ich dir gefalle …«</p> - -<p>»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich Sie liebe?«</p> - -<p>»Laß doch das Flunkern!«</p> - -<p>»Nein, ich rede die Wahrheit. Ich liebe Sie gar nicht und -Sie gefallen mir nicht im geringsten.«</p> - -<p>»Quatsch keinen Blödsinn! Du liebst mich nicht? Nein, -laß dir mal ganz was anderes sagen: ich fühle dich und verstehe -dich und will dir offenbaren, wer ich bin, aber nur, -wenn wir ganz allein und ungestört sind.«</p> - -<p>Daria Nikolajewna schwieg.</p> - -<p>»Verstehst du, wie ich es meine? Damit wir einander -ganz kennen lernen, müssen wir mal zusammenkommen … -Ein Rendezvous – verstehst du – natürlich zu politischen -Zwecken.«</p> - -<p>Daria Nikolajewna schwieg wieder. Termosesow seufzte, -ließ ihre Hand leise los und sagte:</p> - -<p>»O ihr Weiber im heiligen Rußland! Und ihr wollt es -noch den Polinnen gleichtun! Nein, meine Lieben, mit -denen nehmt ihr es noch lange nicht auf! Gebt den Ismail -Termosesow einer Polin, sie würde nicht von ihm lassen -und in Gemeinschaft mit ihm den Ararat auf den Kopf -stellen!«</p> - -<p>»Die Polinnen sind ganz was anderes,« sagte Daria Nikolajewna.</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Sie lieben ihr Vaterland und wir hassen unseres.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_204">[204]</a></span></p> - -<p>»Was ist denn dabei? Die Feinde der Polinnen sind also -alle Feinde der Unabhängigkeit Polens und eure Feinde sind -alle russischen Patrioten.«</p> - -<p>»Das ist wahr.«</p> - -<p>»Nun, wer ist also hier dein schlimmster Feind? Nenn ihn -mir und du sollst sehn, wie er die ganze Schwere der Hand -Termosesows spüren wird!«</p> - -<p>»Ich habe viele Feinde.«</p> - -<p>»Nenn mir die schlimmsten! Die allerschlimmsten!«</p> - -<p>»Die schlimmsten sind zwei.«</p> - -<p>»Die Namen dieser Unseligen! Die Namen!«</p> - -<p>»Der eine ist … der hiesige Diakon Achilla.«</p> - -<p>»Es sterbe der Diakon Achilla!«</p> - -<p>»Der andere ist der Propst Tuberozow.«</p> - -<p>»Wehe dem Propst Tuberozow!«</p> - -<p>»Hinter ihm steht die ganze Stadt, das ganze Volk.«</p> - -<p>»Nun, und was tut das? Termosesow kennt die Obrigkeit -und fürchtet daher keine Stadt und kein Volk.«</p> - -<p>»Die Obrigkeit ist nicht sehr gut auf ihn zu sprechen.«</p> - -<p>»Nicht gut zu sprechen? Um so leichter kommen wir ihm -an den Kragen. Jetzt aber merke dir nur folgendes: Gewinn -mich lieb und werde mein, Herodias!«</p> - -<p>Madame Biziukina küßte ihn ohne Bangen.</p> - -<p>»Das war ehrlich!« rief Termosesow, und nachdem er sie -ausgefragt hatte, was sie von ihren Feinden Tuberozow und -Achilla zu leiden gehabt, drückte er ihr lächelnd die Hand -und ging in das Kabinett zurück, wo sein Gefährte die ganze -Zeit über geblieben war.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_205">[205]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_10">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der durchlauchtige Gefährte Termosesows lag in einem -weißen Jackett auf dem für ihn aufgeschlagenen Bette, hatte -die Füße mit einem leichten Plaid zugedeckt und schien mit -geschlossenen Augen vor sich hin zu träumen.</p> - -<p>Termosesow wollte sich überzeugen, ob sein Vorgesetzter -schlafe oder sich bloß schlafend stelle, darum trat er leise an -das Bett, beugte sich über das Gesicht des Fürsten und nannte -ihn beim Namen.</p> - -<p>»Schlafen Sie?« fragte er.</p> - -<p>»Ja,« antwortete Bornowolokow.</p> - -<p>»Was soll das heißen? Wenn Sie mir antworten, können -Sie nicht schlafen.«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Das ist also ein Blödsinn.«</p> - -<p>Termosesow begab sich zu dem zweiten Sofa, warf seinen -Mantel ab und streckte sich ebenfalls aus.</p> - -<p>»Während Sie sich hier rekelten, habe ich schon sehr viel -geleistet,« sagte er, sich zurechtlegend.</p> - -<p>Bornowolokow antwortete wieder nichts als »Ja«, es war -aber ein ganz besonderes Ja, sozusagen ein neugieriges Ja, -das eher wie eine Frage klang.</p> - -<p>»Jawohl, ja! Ich kann sagen, daß ich einige für uns sehr -bedeutsame Entdeckungen gemacht habe.«</p> - -<p>»Mit dieser Dame?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_206">[206]</a></span></p> - -<p>»Die Dame? Die ist eine Sache für sich. Erinnern Sie -sich aber noch, was ich Ihnen sagte, als ich Sie in Moskau -auf der Sadowaja fing?«</p> - -<p>»Ach ja!«</p> - -<p>»Ich sagte: ›Eure Durchlaucht, gnädigster Fürst! So geht -man mit alten Kameraden nicht um, – daß man sie nämlich -fallen läßt. Nur Lumpen handeln so.‹ Habe ich Ihnen -das gesagt oder nicht?«</p> - -<p>»Ja, Sie haben das gesagt.«</p> - -<p>»Aha, Sie erinnern sich noch! Nun, dann müssen Sie sich -auch noch erinnern, wie ich Ihnen meine Gedanken weiter -entwickelte und bewies, daß Sie als unser heutiger Prinz -Egalité nicht das Recht haben, auf Ihre Herkunft und -Ihre bevorzugte amtliche Stellung zu pochen und über -uns alte Montagnards, Ihre einstigen Freunde, die Nase -zu rümpfen. Ich habe Ihnen das alles haarklein auseinandergesetzt.«</p> - -<p>»Ja, ja.«</p> - -<p>»Schön! Sie verstanden, daß mit mir nicht gut Kirschen -essen ist, und zeigten sich sehr nachgiebig. Dafür lob' ich Sie. -Sie begriffen, daß Sie mich nicht so am Wege liegen lassen -durften, denn Hunger ist ein böser Berater, und einem Hungrigen -fällt alles mögliche ein. Termosesow hat zudem noch -ein vorzügliches Gedächtnis und einen scharfen Riecher. Als -Sie noch ein feuerroter Umstürzler waren, wußte er schon, -daß Sie bestimmt mal Kehrt machen würden.«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Sie beschlossen, mich als Ihren Sekretär mitzunehmen … -Das heißt, um der Wahrheit die Ehre zu geben und -Sie nicht durch Schmeichelei zu kränken, Sie entschlossen -sich nicht selbst dazu, sondern ich zwang Sie, mich mitzunehmen. -Ich machte Ihnen Angst, ich könnte Ihre Korrespondenz<span class="pagenum"><a id="Seite_207">[207]</a></span> -mit gewissen Freunden an der Weichsel bekannt -geben.«</p> - -<p>»Ach!«</p> - -<p>»Tut nichts, mein Fürst, seufzen Sie nicht. Was ich Ihnen -damals in Moskau auf der Sadowaja sagte, als ich Sie am -Rockknopf festhielt und Sie vor mir davonlaufen wollten, -das sag' ich Ihnen auch heute wieder: seufzen Sie nicht und -jammern Sie nicht, daß Termosesow über Sie gekommen ist. -Ismail Termosesow wird Ihnen noch einen großen Dienst -leisten. Sie und Ihre gegenwärtige Partei, in der keine -solchen Halunken zu finden sind wie Termosesow, sondern -viel feinere Kunden, gründen Zeitungen und suchen auf diese -oder jene Art Fühlung mit dem Volk zu gewinnen.«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Das wird Ihnen aber nie gelingen.«</p> - -<p>»Warum nicht?«</p> - -<p>»Weil ihr ungeschickt seid. Die Patrioten erkennen euch -sofort an den Klauen, packen euch am Schopf und schmeißen -euch auf die Gasse hinaus.«</p> - -<p>»Hm!«</p> - -<p>»Jawohl! Aber laßt ihr die Zeitungen schwimmen und -haltet euch an Termosesow, so deichselt er euch die ganze -Geschichte glänzend. Seien Sie mein Märchenprinz Iwan, -so will ich Ihr grauer Wolf sein.«</p> - -<p>»Ein Wolf sind Sie schon.«</p> - -<p>»Das ist es eben. So ein grauer Wolf schafft Ihnen die -goldmähnigen Rosse und den Feuervogel und die Prinzessin -und setzt Sie zu guter Letzt auf den Königsthron.«</p> - -<p>Und damit sprang der graue Wolf von seiner Lagerstätte -auf, lief an das Bett seines Prinzen Iwan und sagte leise:</p> - -<p>»Rücken Sie mal ein bißchen zur Wand, ich will Ihnen -was ins Ohr flüstern.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_208">[208]</a></span></p> - -<p>Bornowolokow gehorchte, und Termosesow setzte sich auf -den Bettrand, legte seinen Arm um den Fürsten und fing -mit leiser Stimme an:</p> - -<p>»Versetzen Sie mal der Kirche eins. Da steckt das Gift! -Jagt ihren Bonzen mal einen heilsamen Schrecken ein.«</p> - -<p>»Ich verstehe nichts.«</p> - -<p>»Das Christentum macht die Menschen doch gleich, nicht -wahr? Es hat doch Staatsmänner genug gegeben, die in -der Übersetzung der Bibel in die Volkssprache eine Gefahr -sahen. Nein, das Christentum … man kann es sehr leicht … -wissen Sie, in gefährlichem Sinne auslegen. Und solch ein -Ausleger kann jeder beliebige Pope sein.«</p> - -<p>»Das klingt ganz plausibel.«</p> - -<p>»Na also. Danken Sie Ihrem Schicksal, daß es Ihnen -Termosesow gesandt hat! Ich stelle Ihnen einen Bericht zusammen, -daß sogar Ihre Feinde Ihnen Gerechtigkeit widerfahren -lassen und Sie für ein administratives Genie erklären.«</p> - -<p>Termosesow dämpfte die Stimme noch mehr und fuhr fort:</p> - -<p>»Erinnern Sie sich noch, wie wir schon hier in der Gouvernementsstadt -auf dem Heimweg aus dem Klub mit dem -Kanzleivorsteher sprachen, und wie er einen freisinnigen -Popen erwähnte, welcher sogar frech gegen Seine Exzellenz -geworden sei?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Daran haben Sie natürlich nicht gedacht, daß dieser Pope -Tuberozow heißt und daß er hier, in dieser Stadt amtiert, -wo Sie sich auf dem Lotterbette rekeln und nichts über ihn -zu melden imstande sein werden.«</p> - -<p>Bornowolokow fuhr in die Höhe und fragte, aufrecht auf -dem Bette sitzend:</p> - -<p>»Wie können Sie wissen, was der Kanzleivorsteher mir -gesagt hat?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_209">[209]</a></span></p> - -<p>»Sehr einfach. Ich ging damals leise hinter Ihnen. Es -ist gut, wenn man Sie immer im Auge behält. Aber das -ist jetzt Nebensache. Wir müssen unsere Taktik zuerst an diesem -Tuberozow erproben und seine Gemeingefährlichkeit, wie -überhaupt die Gemeingefährlichkeit derartiger unabhängiger -Charaktere unter den Geistlichen erweisen. So kommen wir -zu dem logischen Ergebnis, daß die Religion überhaupt nur -als ein Zweig der Verwaltung geduldet werden kann. Sobald -aber der Glaube als wirklicher Glaube auftritt, ist er -gefährlich und muß eingeschränkt, muß unter Kontrolle gestellt -werden. Diesen Gedanken werden Sie als Erster verkünden, -und man wird ihn stets in Verbindung mit Ihrem -Namen wiederholen, wie man die Gedanken eines Macchiavelli -und Metternich wiederholt. Sind Sie zufrieden mit -mir, mein Herr und Gebieter?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Und geben mir Vollmacht zu handeln?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Wie soll ich dieses Ja verstehen? Heißt das, daß Sie es -ebenfalls wollen?«</p> - -<p>»Ja, ich will es.«</p> - -<p>»Also! Manchmal heißt Ihr Ja nämlich zugleich Ja -und Nein.«</p> - -<p>Termosesow erhob sich vom Bette seines Gebieters und -sagte:</p> - -<p>»Wir armen Sklaven können nicht lange untätig sein. -Uns hat keine gütige Fee die Mittel in die Hand gegeben, -vom Nihilisten im Handumdrehen zum Satrapen zu -werden. Ich sorge für Sie, aber auch für mich. Ich mag -nicht mehr hungern. Wo immer ich mich auch zeige, immer -heißt's ›ein Roter‹ – und niemand will mich nehmen.«</p> - -<p>»Waschen Sie sich weiß.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_210">[210]</a></span></p> - -<p>»Wo soll ich die Seife hernehmen?«</p> - -<p>»Warum haben Sie sich nicht in Petersburg als Spion -gemeldet?«</p> - -<p>»Ich hab's versucht,« antwortete Termosesow ungeniert, -»aber wir leben in einem realistischen Zeitalter: alle einträglichen -Stellen waren schon besetzt. Man muß sich erst irgendwie -bewährt haben, wurde mir gesagt.«</p> - -<p>»So bewähren Sie sich doch.«</p> - -<p>»Geben Sie mir Gelegenheit, zu zeigen, was ich kann. -Sonst fang' ich, bei Gott, mit Ihnen an.«</p> - -<p>»Vieh!« zischte Bornowolokow.</p> - -<p>»M–m–m–mu–u–uh!« brummte Termosesow ganz -laut.</p> - -<p>Bornowolokow sprang auf, faßte sich entsetzt an den Kopf -und rief:</p> - -<p>»Was soll das noch?«</p> - -<p>»Was? Das schwarze Vieh brüllt, weil es fressen will, -und es bittet das weiße, es etwas höflicher zu behandeln,« -sagte Termosesow ruhig.</p> - -<p>Bornowolokow knirschte vor Wut mit den Zähnen und -drehte sich schweigend zur Wand.</p> - -<p>»Aha! So ist's schon besser! Zähme deinen Zorn, edler -Fürst, und bilde dir nicht so viel darauf ein, daß du weiß -bist, sonst mal' ich dich so schön an, daß du grau-gelb-grün -schimmern wirst und im Schatten blau mit schwarzen Pünktchen. -Vergiß nicht, daß ich dir als Zuchtrute mitgegeben bin; -ich bin der Dorn in den Blättern deines Kranzes. Trage -mich mit Ehrfurcht.«</p> - -<p>Der gemarterte Bornowolokow unterdrückte einen Seufzer -und stellte sich schlafend. Der triumphierende Sieger aber -schlief wirklich ein.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_211">[211]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_11">Elftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Daria Nikolajewna war mit ihrer gesamten Dienerschaft -eifrig bemüht, ihren Appartements das frühere Aussehen -wiederzugeben. An den Wänden reihte sich bald wieder -Bild an Bild, vor den Kamin stellte sie einen kostbaren -Schirm, auf den Kamin selbst eine schwarze Marmoruhr mit -einem Perpendikel in Gestalt eines Sternes, über die Tische -breiteten sich neue kostbare Decken; Lampen, Porzellan, Bronzen, -Statuetten und allerlei Kleinkram bedeckten jeden freien -Platz im Salon und Schlafzimmer, so daß die Wohnung -bald an das Logement einer reichen Halbweltdame erinnerte, -die sich von ihren Verehrern die unnützesten Dinge ohne Sinn -und Verstand hatte schenken lassen.</p> - -<p>Noch als die Arbeit im besten Gange war, erschien unerwartet -der Lehrer Prepotenskij und war völlig verblüfft. -Natürlich konnte er diesen »Schick« nicht billigen. Als aber -Daria Nikolajewna, die ihn gar nicht beachtete, die Unverschämtheit -hatte, den Dienstboten zu befehlen, in Gegenwart -des Lehrers die Überzüge von den Möbeln abzunehmen, da -wurde es ihm zu viel, und er fragte:</p> - -<p>»Und Sie schämen sich nicht?«</p> - -<p>»Ganz und gar nicht.«</p> - -<p>»Das ist einfach unverschämt!« rief Prepotenskij, setzte sich -in eine Ecke und nahm ein neues Buch vor.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212">[212]</a></span></p> - -<p>In diesem Augenblick hörte man Termosesow im Nebenzimmer -husten. Kurz entschlossen meinte die Biziukina:</p> - -<p>»Gehn Sie raus!«</p> - -<p>Das kam so unerwartet, daß sogar Prepotenskij den harten -Sinn dieser Worte nicht begriff und die Dame ihren Befehl -wiederholen mußte.</p> - -<p>»Raus?« fragte der verblüffte Lehrer noch einmal.</p> - -<p>»Ja. Ich wünsche Sie nicht mehr in meinem Hause zu sehn.«</p> - -<p>»Meinen Sie das im Ernst?«</p> - -<p>»Vollkommen im Ernst.«</p> - -<p>Im Zimmer der Gäste wurde es wieder laut.</p> - -<p>»Gehn Sie bitte hinaus, Prepotenskij,« rief die Biziukina -ungeduldig. »Hören Sie? Hinaus!«</p> - -<p>»Aber ich bitte Sie, ich störe doch gar nicht.«</p> - -<p>»Doch, Sie stören!«</p> - -<p>»Ich kann mich ja bessern.«</p> - -<p>»Sie sind unverbesserlich,« widersprach die Hausfrau ungeduldig -und suchte den Gast von seinem Platze zu vertreiben.</p> - -<p>Allein auch Prepotenskij zeigte sich als Mann von Charakter -und verlangte ruhig, aber fest eine Erklärung, warum -sie ihn für unverbesserlich halte.</p> - -<p>»Weil Sie ein kompletter Esel sind!« schrie endlich die -Biziukina ganz außer sich.</p> - -<p>»Ah, das ist etwas anderes,« sagte Prepotenskij aufstehend. -»In diesem Falle bitte ich nur um Rückgabe meiner Knochen.«</p> - -<p>»Fragen Sie Jermoschka danach. Ich hab' ihm befohlen, -sie hinauszuwerfen.«</p> - -<p>»Hinauszuwerfen!« schrie der Lehrer und stürzte in die -Küche. Als er nach einer halben Stunde zurückkam, war -Daria Nikolajewna bereits in einer so blendenden Toilette, -daß der Lehrer, als er sie erblickte, sich am Ofen festhalten -mußte, um nicht umzufallen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213">[213]</a></span></p> - -<p>»Ah, Sie sind noch nicht fort?« fragte sie streng.</p> - -<p>»Nein, ich bin nicht gegangen und kann nicht gehn … -denn Ihr Jermoschka …«</p> - -<p>»Nun?«</p> - -<p>»Er hat die Knochen an einen Ort geworfen, daß für mich -keine Hoffnung mehr …«</p> - -<p>»O, ich sehe, Sie wollen hier noch lange predigen!« rief die -Biziukina in wildem Zorn, packte den Lehrer bei den Schultern -und stieß ihn ins Vorzimmer. In demselben Augenblick ging -die Tür des Kabinetts auf und Termosesow erschien auf -der Schwelle.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_214">[214]</a></span></p> - -<h3 id="kap2_12">Zwölftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Bah! Bah! Bah! Was bedeutet denn das?« fragte er -die Biziukina und rieb sich die verschlafenen Augen.</p> - -<p>»Ach, gar nichts, das ist … ein dummer Mensch, der -früher bei uns verkehrte,« antwortete sie und ließ den Lehrer -los.</p> - -<p>»Weshalb soll er denn jetzt hinausgeworfen werden? Was -hat er denn getan?«</p> - -<p>»Nichts, gar nichts,« sagte Prepotenskij.</p> - -<p>Termosesow sah ihn an und fragte:</p> - -<p>»Wer sind Sie denn?«</p> - -<p>»Der Lehrer Prepotenskij.«</p> - -<p>»Wodurch haben Sie die Dame verletzt?«</p> - -<p>»Durch nichts, durch gar nichts.«</p> - -<p>»So kommen Sie her, ich will Sie versöhnen.«</p> - -<p>Prepotenskij kam sofort zurück.</p> - -<p>»Weshalb nennen Sie ihn eigentlich dumm?« fragte Termosesow -die Hausfrau und hielt dabei den Lehrer an beiden -Händen fest. »Ich kann es nicht finden.«</p> - -<p>»Ja, versteht sich, Sie können mir glauben, ich bin gar -nicht dumm,« sagte Warnawa lächelnd.</p> - -<p>»Ganz richtig, und das Verhalten unserer Frau Wirtin -Ihnen gegenüber kann ich nicht billigen. Aber zum Zeichen -der Versöhnung soll sie uns Tee geben. Ich trinke gern ein -Glas Tee, wenn ich geschlafen habe.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_215">[215]</a></span></p> - -<p>Daria Nikolajewna ging hinaus, um den Tee zu bestellen.</p> - -<p>»Na, und Sie, Herr Lehrer, nehmen Sie Platz und plaudern -wir ein bißchen. Ich sehe, Sie sind ein guter Kerl, mit -dem sich leben läßt,« begann Termosesow, als er mit Warnawa -allein war, der ihn in fünf Minuten in sein ganzes -trauriges Schicksal daheim und draußen eingeweiht hatte. -Nichts wurde vergessen, weder die Mutter, noch die Totengebeine, -noch Achilla, noch Tuberozow, bei dessen Namen -Termosesow seine Aufmerksamkeit verdoppelte. Endlich erzählte -der Lehrer auch noch von der Vormittagsschlacht des -Diakons mit dem Kommissar Danilka.</p> - -<p>Bei diesem Bericht räusperte sich Termosesow, klopfte -Prepotenskij auf das Knie und sagte leise:</p> - -<p>»Also, Herr Professor, ich beauftrage Sie hiermit, mir -morgen früh diesen Kleinbürger unbedingt herbeizuschaffen.«</p> - -<p>»Den Danilka?«</p> - -<p>»Ja, den der Diakon beleidigt hat.«</p> - -<p>»Das ist ja eine Kleinigkeit.«</p> - -<p>»Also her mit ihm!«</p> - -<p>»Morgen in aller Frühe ist er hier.«</p> - -<p>»Recht so. Sie sind ein Prachtkerl, Prepotenskij!« lobte -ihn Termosesow, und da in diesem Augenblick die Hausfrau -wieder eintrat, wandte er sich an sie: »Hören Sie, er gefällt -mir ausnehmend, und wenn er mich mit dem Popen Tuberozow -bekannt macht, so nenn' ich ihn einen ganz klugen -Kopf.«</p> - -<p>»Ich kann ihn nicht ausstehn und rate Ihnen nicht, seine -Bekanntschaft zu machen,« stammelte Warnawa, »wenn Sie -es aber für nötig halten …«</p> - -<p>»Es ist sehr nötig, lieber Freund.«</p> - -<p>»Dann kommen Sie heute mit zum Abendessen beim -Polizeichef, dort lernen Sie unsere ganze Gesellschaft kennen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_216">[216]</a></span></p> - -<p>»Schön. Ich geh überall hin. Aber ich muß doch eingeladen -sein.«</p> - -<p>»Ach, das ist ganz leicht zu machen,« fiel ihm der Lehrer -ins Wort. »Ich werde sofort zum Polizeichef gehen und ihm -im Namen von Daria Nikolajewna mitteilen, sie bäte um -Erlaubnis, abends ihren Petersburger Gast mitzubringen.«</p> - -<p>»Prepotenskij, komm in meine Arme!« rief Termosesow, -und als der Lehrer aufstand und auf ihn zuging, küßte er -ihn. Dann drehte er ihn linksherum und sagte: »Geh und -handle!«</p> - -<p>Stolz und seines Ruhmes nun völlig sicher, nahm Warnawa -seine Mütze und ging. Nach einer Stunde, die Termosesow -dazu benutzt hatte, der Biziukina klarzumachen, daß -man keinen Dummkopf merken lassen dürfe, für wie dumm -man ihn halte, kam der Lehrer mit der Botschaft zurück, -Porochontzews wären sehr erfreut, die Herrschaften heute -abend bei sich zu sehen.</p> - -<p>»Und was den Kleinbürger Danilka betrifft, den Sie -kennen lernen wollten,« fügte er endlich hinzu, »so habe ich -ihn bereits ausfindig gemacht. Er steht draußen vor dem -Tor.«</p> - -<p>Termosesow belobte Warnawa nochmals für seine Findigkeit, -stand auf und bat den Lehrer, ihn an irgendeinen stillen -Ort zu führen, wo er ungestört mit Danilka reden könne.</p> - -<p>Prepotenskij führte Ismail Petrowitsch in die leere Kanzlei -des Akziseeinnehmers und stellte ihm dort den Kommissar vor.</p> - -<p>»Guten Tag, Bürger,« begrüßte ihn Termosesow. »Wie -hat Sie der hiesige Diakon neulich morgens beleidigt?«</p> - -<p>»Er hat mich gar nicht beleidigt.«</p> - -<p>»Gar nicht? Sagen Sie mir alles frei und offen, wie -dem Popen in der Beichte, denn ich bin ein Freund des -Volkes, kein Feind. Der Diakon Achilla hat Sie gekränkt?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_217">[217]</a></span></p> - -<p>»Nein, er hat mich nicht gekränkt. Wir haben das schon -unter uns erledigt.«</p> - -<p>»Wie kann man das erledigen? Er hat Sie doch am Ohr -durch die Stadt gezerrt!«</p> - -<p>»Was ist denn dabei? Das sind ja nur Dummheiten.«</p> - -<p>»Wieso Dummheiten? Eine Beleidigung ist es. Bedenken -Sie, Bürger, er hat Sie am Ohr gerissen!«</p> - -<p>»Es war aber doch nur Scherz. Darin finden wir keine -Beleidigung.«</p> - -<p>»Wie, Bürger? Ist es möglich, so etwas nicht als Beleidigung -anzusehen? Er soll es doch vor allem Volke getan -haben!«</p> - -<p>»Ja freilich.«</p> - -<p>»Da müssen Sie doch eine Klage einreichen.«</p> - -<p>»Wem denn?«</p> - -<p>»Nun, dem Fürsten, der mit mir gekommen ist.«</p> - -<p>»Schon recht.«</p> - -<p>»Also wollen Sie klagen oder nicht?«</p> - -<p>»Worauf soll ich denn klagen?«</p> - -<p>»Er kann zu hundert Rubel Strafe verurteilt werden.«</p> - -<p>»Das stimmt.«</p> - -<p>»Sie sind also einverstanden. So ist's recht, Prepotenskij! -Setz dich und schreib, was ich dir diktieren werde.«</p> - -<p>Und Termosesow diktierte eine Beschwerde an Bornowolokow, -kurz, aber gehaltvoll; auch der Propst war darin -nicht vergessen: er hätte der Lynchjustiz des Diakons Vorschub -geleistet und dem Kläger sogar gesagt, daß die ihm zuerteilte -Lektion wohlverdient gewesen.</p> - -<p>»Nun unterzeichne, Bürger!« Und Termosesow stopfte -Danilka die Feder gewaltsam in die Hand, aber der »Bürger« -erklärte plötzlich, er wolle nicht unterschreiben.</p> - -<p>»Was? Sie wollen nicht?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_218">[218]</a></span></p> - -<p>»Nein, ich bin damit nicht einverstanden.«</p> - -<p>»Was soll das heißen? Teufel noch einmal! Erst schweigst -du, und nachdem man dir die Beschwerde gratis aufgesetzt -hat, willst du nicht unterschreiben!«</p> - -<p>»Nein, ich will nicht.«</p> - -<p>»Man soll dir wohl noch einen Rubel geben, damit du -unterschreibst? Das ist zu viel verlangt, mein Lieber. Sofort -unterschreibst du!«</p> - -<p>Termosesow packte den Widerspenstigen wütend beim -Kragen und zerrte ihn zum Tisch.</p> - -<p>»Ich … wie es Eurer Gnaden gefällt …, aber ich unterschreibe -nicht,« stotterte der Kleinbürger und ließ die Feder -absichtlich fallen.</p> - -<p>»Ich will dich lehren! Wie's Eurer Gnaden gefällt! Und -wenn es mir nun gefällt, deiner Gnaden ein Dutzend mal -in die Fresse zu hauen?«</p> - -<p>Der Bürger fuhr entsetzt zurück und stammelte:</p> - -<p>»Euer Hochwohlgeboren, erbarmen Sie sich, zwingen Sie -mich nicht! Meine Klage wird doch zu nichts führen!«</p> - -<p>»Warum nicht?«</p> - -<p>»Ich hab' schon einmal klagen wollen, als der fürstliche -Verwalter Glitsch mich mit Nesseln auspeitschen ließ, weil -ich auf die Wette des Polizeichefs hin sein Pferd stehlen -wollte. Damals rieten alle mir ab. Klage nicht, Danilka, -sagten sie, denn dann kommt es zu einer großen Untersuchung, -und dann sagen wir alle, daß du längst schon in -Sibirien sein müßtest. Ja, und ich kannte mich selber zu -gut, um zu wissen, daß ich kein Recht mehr habe, meine Ehre -zu verteidigen.«</p> - -<p>»Wie du über deine Ehre denkst, das kommt hier gar nicht -in Betracht.«</p> - -<p>»Und die hiesigen Herren Beamten wissen auch …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219">[219]</a></span></p> - -<p>»Deine hiesigen Herren Beamten mögen wissen, was sie -wollen, wir sind aber keine hiesigen, wir sind aus Petersburg. -Verstehst du das? Aus der Residenz, aus Petersburg! Und -ich befehle dir: sofort unterschreibst du, du gottverdammtes -Luder, ohne alle Widerrede, sonst … sonst fliegst du auch -ohne Untersuchung nach Sibirien.«</p> - -<p>Und der bärenstarke Termosesow drückte mit der Rechten -die Hand und mit der Linken die Kehle des Kommissars so -kräftig zusammen, daß Danilka im Nu rot wurde, wie ein -gekochter Krebs, und kaum noch hörbar röchelte:</p> - -<p>»Um Gottes willen, lassen Sie mich los! Ich unterschreibe -ja alles!«</p> - -<p>Ächzend und hustend setzte er seine Krakelfüße unter das -Gesuch.</p> - -<p>Termosesow steckte das Papier in die Tasche, hielt Danilka -die Faust unter die Nase und sagte drohend:</p> - -<p>»Bürger, wenn du dich irgendwie vor der Zeit verplapperst, -daß du dich beschwert hast …«</p> - -<p>Danilka, der immer noch hustete, machte nur eine abwehrende -Bewegung mit der ganz erstarrten Hand.</p> - -<p>»… Dann schlag ich dir die ganze Fratze zu Brei, multipliziere -die Wangen, subtrahiere die Nase und verwandle -die Zähne in Brüche!«</p> - -<p>Der Kleinbürger winkte mit beiden Händen ab.</p> - -<p>»Jetzt hast du aber genug gekrächzt! <em class="antiqua">Allez, marchez</em> zur -Tür hinaus!« kommandierte Termosesow, schob den Haken -von der Tür zurück und gab Danilka auf der Schwelle einen -so kräftigen Stoß, daß er über den an das Haus angebauten -Hühnerstall hinwegflog und auf den warmen Rasen zu sitzen -kam. Er sah sich nur noch einmal um, spuckte aus und rollte -dann auf allen vieren zum Tor hinaus. Er hustete nicht -einmal mehr.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_220">[220]</a></span></p> - -<p>Prepotenskij war von dieser Kraftprobe so entzückt, daß -er laut applaudierte.</p> - -<p>»Was fällt dir ein?« fragte Termosesow.</p> - -<p>»Sie sind stärker als Achilla! Jetzt brauch' ich ihn nicht -mehr zu fürchten!«</p> - -<p>»Das brauchst du auch nicht.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_221">[221]</a></span></p> - -<h2 id="Drittes_Buch">Drittes Buch.</h2> - -<h3 id="kap3_1">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Als Termosesow und seine Genossen beim Polizeichef erschienen, -hatte Tuberozow schon eine Stunde abseits von -den übrigen Gästen mit dem Adelsmarschall Tuganow geplaudert. -Der alte Propst brachte dem vornehmen Gaste -wieder all die Klagen vor, welche wir in seinem Tagebuche -gelesen haben, – und erhielt die alten Scherzworte zur -Antwort.</p> - -<p>»Was soll aus dieser Zerrüttung noch werden?« fragte -der Propst und runzelte die Brauen. Der Adelsmarschall -aber erwiderte ihm lachend:</p> - -<p>»Wer kann wissen, was noch werden wird, mein Lieber?«</p> - -<p>»Ohne Ideale, ohne Glauben, ohne Achtung vor den -Taten der großen Vorfahren … Das … das muß Rußland -zugrunde richten.«</p> - -<p>»Nun, wenn es zugrunde gehen soll, wird es eben zugrunde -gehen,« sagte Tuganow gleichgültig und stand auf. »Aber -weißt du, – gehen wir wieder zu den Gästen. Unser Gespräch -führt doch zu nichts. Du bist ein Maniak.«</p> - -<p>Der Propst trat einen Schritt zurück und sagte gekränkt:</p> - -<p>»Wieso bin ich ein Maniak?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_222">[222]</a></span></p> - -<p>»Was drängst du dich den Leuten auf und läßt niemand -seine Ruhe? Ideal! Glauben! Was soll man tun, guter -Freund, wenn die Zeit dafür vorüber ist?«</p> - -<p>Tuberozow lächelte, seufzte leise und antwortete, nicht die -Zeit des Glaubens und der Ideale sei vorüber, sondern die -Zeit der <em class="gesperrt">Worte</em>.</p> - -<p>»Nun, so vollbringe <em class="gesperrt">Taten</em>, Freund.«</p> - -<p>»Auch Taten sind noch nicht genug.«</p> - -<p>»Was brauchen wir denn?«</p> - -<p>»Großtaten.«</p> - -<p>»So vollbringe Großtaten. Aber in welcher Art?«</p> - -<p>»Im Geiste der Kraft, im Wehen des Sturmes. Daß -die, so das Feuer löschen wollen, selber von der Flamme -ergriffen werden.«</p> - -<p>»Ja, ja, du willst wieder streiten. Halt lieber Frieden, Vater.«</p> - -<p>»Parmen Nikolajewitsch, ich höre so viel von diesem Frieden -reden. Aber wie soll man Frieden schließen mit einem, der -gar nicht um Pardon bittet? So ein Frieden taugt nicht -viel, und unsere Altvordern sagten nicht umsonst: ›Eh du -den Gevatter nicht verprügelt hast, kannst du ihm keinen -Friedenstrunk reichen‹.«</p> - -<p>»Ohne Prügel geht's bei ihm nicht.«</p> - -<p>»Gewiß nicht, Freund.«</p> - -<p>»Du bist noch der richtige Seminarist.«</p> - -<p>»Ich will auch gar nicht den großen Herrn spielen.«</p> - -<p>»Sag mal, willst du durchaus leiden? Das tut man nicht -einer Kleinigkeit wegen. Spare deine Kräfte für eine bessere -Sache.«</p> - -<p>»Sparsame Leute gibt es ohne mich genug. Ich muß -meine Pflicht erfüllen.«</p> - -<p>»Der letzte wäre ich, der dich abhielte, deine Pflicht zu erfüllen, -wie dein Gewissen sie dir vorschreibt. Geh hin und<span class="pagenum"><a id="Seite_223">[223]</a></span> -versuch es, die Schamlosen zu beschämen. Wenn du es -kannst, heißest du Hans. Aber jetzt laß uns zu den Gastgebern -gehen. Ich muß bald fort.«</p> - -<p>Der Propst folgte ihm. Er versuchte sich zusammenzunehmen, -war aber sehr entmutigt. Er hatte etwas ganz -anderes von dieser Zusammenkunft erwartet, ohne sich wohl -selbst sagen zu können, was eigentlich.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_224">[224]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_2">Zweites Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die beiden alten Herren saßen schon in dem kleinen Wohnzimmer, -als die Hausfrau Warnawa und Termosesow hineinführte. -Die Mehrzahl der andern Gäste befand sich -im Saal. Man plauderte, spielte Klavier und versuchte zu -singen. Die Biziukina, welche sich sonst überall zu Hause -fühlte, hatte nicht den Mut, ihren Kavalieren ins Wohnzimmer -zu folgen; da ihr andererseits die Gesellschaft der -Damen nicht sympathisch war, nahm sie nahe der Tür -Platz.</p> - -<p>Das Wohnzimmer war ein schmaler Raum. Auf dem -Sofa vor dem Tisch saßen Tuganow und Tuberozow, während -der sanfte Benefaktow, Darjanow und der Kreisadelsmarschall -Plodomasow auf Stühlen Platz genommen hatten. Achilla stand -hinter einem leeren Sessel und stützte die Hand auf die Lehne. -Die Biziukina bemerkte, wie Termosesow das Zimmer betrat, -sich höchst ehrerbietig verneigte, und – was wohl keiner für -möglich gehalten hatte – plötzlich auf Tuberozow zuschritt -und um seinen Segen bat. Am meisten erstaunt darüber -war wohl Vater Sawelij selbst. Er wußte im ersten Augenblick -nicht recht, was er tun sollte, und als er dem Gast den -erbetenen Segen erteilte, sah man ihm die Verwirrung -deutlich an. Als Termosesow aber seine Hand küssen wollte, -verlor der Propst so vollkommen die Fassung, daß er mit -einer schnellen, energischen Bewegung Termosesows Hand<span class="pagenum"><a id="Seite_225">[225]</a></span> -nach unten zog und so fest drückte und schüttelte, als wäre -es die Hand seines besten Freundes.</p> - -<p>Termosesow bat auch Zacharia um seinen Segen, und der -sanfte Benefaktow erwies sich diesmal findiger als Tuberozow. -Er erteilte dem Gast nicht nur den Segen, sondern schob -auch ganz ungeniert sein gelbes Händchen an den Mund des -Abenteurers.</p> - -<p>Einmal im Zuge, ging Termosesow nun noch auf Achilla -zu, um sich von ihm auch segnen zu lassen. Aber dieser machte -einen gewandten Kratzfuß und meinte:</p> - -<p>»Ich bin bloß Diakon.«</p> - -<p>Hierauf drückten sie einander die Hände und Achilla lud -Termosesow ein, es sich in dem Lehnsessel, hinter dem er -stand, bequem zu machen. Termosesow jedoch lehnte diese -Ehre höflich ab und setzte sich auf den zunächst stehenden -Stuhl, während Prepotenskij, den hergebrachten Anschauungen -seiner »Richtung« treu bleibend, sich möglichst weit -entfernte, um gegenüber der weitgeöffneten Saaltür Platz -zu nehmen.</p> - -<p>Hiermit wollte er erstens andeuten, daß er mit der Gesellschaft -im Wohnzimmer nichts gemein habe, und dann -konnte er von seinem Platz aus die Biziukina sehen, welche -alles hören sollte, was er sagte. Der Lehrer empfand die -dringende Notwendigkeit, sein Ansehen wieder zu heben, -welches durch das Erscheinen Termosesows stark beeinträchtigt -worden war, und wartete auf eine günstige Gelegenheit, -Streit vom Zaun zu brechen und der Biziukina, wenn auch -nicht die Überlegenheit seines Geistes, so doch wenigstens die -Reinheit seiner Überzeugung zu beweisen. Und da derjenige, -welcher Streit sucht, in jedem Wort einen willkommenen -Anlaß erblickt, so brauchte Warnawa auch nicht lange in -Schweigen zu verharren.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_226">[226]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_3">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Beim Eintreten der neuen Gäste erzählte der Adelsmarschall -Plodomasow dem Propst gerade von den jüngsten -Reformen im Kirchenwesen.</p> - -<p>»Seine Eminenz ist ein Mann von großen Geistesgaben,« -meinte der Propst.</p> - -<p>»Und auch ein großer Humorist,« bemerkte Tuganow. -»Wir haben hier einen ungeheuer arroganten Gendarmenoffizier, -der sich einbildet, alles zu können.«</p> - -<p>»Das ist immer so, die Gendarmen können alles,« fiel -Prepotenskij ein, ohne daß man auf ihn achtete.</p> - -<p>»Dieses Herrchen hatte in Erfahrung gebracht,« fuhr Tuganow -fort, »daß bei unserm Bischof noch nie jemand zu -Mittag gespeist hätte, – und wettete im Klub mit dem -Polizeimeister, er werde schon mal bei dem Alten essen. Ausgerechnet -muß der Bischof Wind davon bekommen.«</p> - -<p>»O weh, o weh!« sagte Zacharia gedehnt.</p> - -<p>»Besagter Kavallerist macht also Seiner Eminenz seinen -Besuch am frühem Morgen und geht einfach nicht fort. Als -es bereits sechs Uhr vorüber ist, kann er's natürlich vor -Hunger nicht mehr aushalten und will sich verabschieden. -Aber der schweigsame Bischof, der ihm die ganze Zeit zugehört -hatte, ohne selbst zu reden, meinte sehr freundlich: ›Wollen -Sie nicht zum Essen bleiben?‹ Na, denkt er, die Wette ist<span class="pagenum"><a id="Seite_227">[227]</a></span> -gewonnen! Aber der Bischof ließ ihn noch eine Stunde -hungern, ehe es zu Tische geht.«</p> - -<p>»Das war doch unnütz,« warf Zacharia ein, »ganz unnütz.«</p> - -<p>»Warten Sie nur. Sie treten also ins Eßzimmer ein. Der -Bischof bleibt vor dem Gottesbilde stehen und beginnt zu -beten, – ein Gebet, dann noch eins, und ein drittes. – Es -vergeht wieder eine ganze Stunde und der hungrige Gast ist -fast dem Verenden nahe. ›So, nun kann das Essen aufgetragen -werden,‹ sagt Eminenz endlich. Und zwei winzige -Teller mit Erbsensuppe und Zwieback werden gebracht. Als -sie verzehrt sind, erhebt sich der Bischof wieder und sagt: -›Danken wir jetzt dem Herrn, der uns gesättigt hat.‹ -Das ward dem Kriegsmann denn doch zu viel, und während -der Bischof betete, schlich er sich unbemerkt aus dem Zimmer. -Der Alte erzählte es mir gestern: ›Dieser Geist läßt sich durch -nichts austreiben, es sei denn durch Beten und Fasten,‹ -schloß er.«</p> - -<p>»Er ist ein Mann von Geist und von feinem und angenehmem -Benehmen,« sagte Tuberozow, dem diese Anekdötchen -wenig Freude zu machen schienen.</p> - -<p>»Ja, aber er klagt und jammert auch, es gäbe keine Leute. -›Wir fahren über ein tiefes Meer,‹ sagt er, ›auf schwankem -Schiff mit trunkenen Matrosen. Gott bewahre uns vor -einem Sturm.‹«</p> - -<p>»Ein bitteres Wort,« warf Tuberozow ein.</p> - -<p>»Übrigens,« begann Tuganow von neuem, »meinte er, -Euere Stadt mache ihm keine Sorgen. ›Ich habe dort zwei -Popen,‹ bemerkte er, ›der eine ist klug und der andere fromm.‹«</p> - -<p>»Der Kluge ist Vater Sawelij,« bestätigte Zacharia.</p> - -<p>»Wieso meint Ihr, daß gerade Vater Sawelij der Kluge -sei?«</p> - -<p>»Weil … weil er weise ist,« erwiderte Zacharia verlegen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_228">[228]</a></span></p> - -<p>»Und Vater Zacharia ist in die zweite Reihe gerückt,« fiel -der Diakon ein.</p> - -<p>Tuberozow sah mit einem mißbilligenden Kopfschütteln -zu ihm hinüber.</p> - -<p>Um seine Taktlosigkeit wieder gut zu machen, fuhr Achilla -schnell fort:</p> - -<p>»Seine Eminenz haben den Vater Zacharia fromm genannt, -weil sich noch nie jemand über den Vater Zacharia -beschwerte.«</p> - -<p>»Ja, beschwert hat sich noch niemand,« seufzte Zacharia.</p> - -<p>»Der Vater Sawelij aber ist ein unruhiger Kopf,« scherzte -Tuganow.</p> - -<p>Dieser Augenblick erschien dem Lehrer willkommen, und -er warf schnell ein, die unruhigen Köpfe unter der Geistlichkeit -seien die Denunzianten; das religiöse Gewissen aber -müsse frei sein. Unvorsichtigerweise antwortete Tuganow -darauf, Gewissensfreiheit sei allerdings notwendig und es -sei sehr zu bedauern, daß man sie in Rußland noch nicht -habe.</p> - -<p>»Ja, und unsere arme Kirche wird deshalb von allen -Seiten mit unverdienten Vorwürfen überschüttet,« fügte -Tuberozow hinzu.</p> - -<p>»Worüber habt Ihr Euch denn zu beklagen?« fiel ihm -Prepotenskij lebhaft ins Wort.</p> - -<p>»Wir beklagen uns über die Unduldsamkeit,« erwiderte -Tuberozow trocken.</p> - -<p>»Ihr leidet darunter ja nicht.«</p> - -<p>»O doch. Bitter leiden wir. Ihr predigt laut und frei, -den Glauben solle man abschaffen, und es geschieht euch -nichts dafür. Wenn aber wir auch nur ganz leise sagen, es -wäre besser, eure Lehren würden nicht überall verkündigt, -so …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_229">[229]</a></span></p> - -<p>»Ach – so meint Ihr das!« unterbrach ihn der Lehrer. -»Ihr wollt gegen uns hetzen, damit man uns den Garaus -macht.«</p> - -<p>»Nein, Ihr wollt uns den Garaus machen.«</p> - -<p>Prepotenskij wußte nicht, was er antworten sollte. Leugnen -wollte er es nicht, fürchtete sich jedoch, es einfach zuzugeben. -Tuganow half ihm aus der Schwierigkeit und erklärte, der -Vater Propst sei nur ungehalten darüber, daß es Leute gebe, -die es sich zur Aufgabe machten, schlichte Herzen um ihren -Glauben zu bringen.</p> - -<p>»Am meisten aber bekümmert mich, daß es ihnen gelingt, -weil man ihnen Vorschub leistet.«</p> - -<p>Prepotenskij lächelte.</p> - -<p>»Es gelingt,« sagte er, »weil der Glaube ein Luxus ist, -der dem Volk sehr teuer zu stehen kommt.«</p> - -<p>»Wohl nicht teurer als der Suff,« sagte Tuganow kühl.</p> - -<p>»Ja, aber die neuen Menschen,« – fing der Lehrer -wieder an.</p> - -<p>»Taugen nichts, und eben deshalb ist der Teufel los.«</p> - -<p>»Weil die Spione ihnen ins Handwerk pfuschen.«</p> - -<p>»Ach wo! Einfach Halunken sind es.«</p> - -<p>»Halunken?«</p> - -<p>»Jawohl. Immer noch, wenn es irgendwo eine Gärung -gegeben hat, haben sich zu guter Letzt Halunken der Bewegung -bemächtigt, weil sich im Trüben gut fischen läßt. Da hat -man sich bei uns so lange mit diesen … Nihilisten – so -heißen sie doch wohl – geplagt. Erst schlug sich die Regierung -mit ihnen herum, Gesellschaft und Presse sind heute noch nicht -mit ihnen fertig geworden, – Schluß mit ihnen machen -werden aber die Halunken, die sich ihnen zum Schein anschließen, -um ihnen später den Hals umzudrehen, und dann -kommt die große Wendung der Dinge.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_230">[230]</a></span></p> - -<p>Prepotenskij warf einen ängstlichen Blick auf die Biziukina. -Es verwirrte ihn, daß Tuganow seine kühnen Tiraden so -einfach in nichts auflöste, wie der Frühlingsnebel die Schneeflecken -auf dem Felde verschlingt. Warnawa suchte Hilfe -und wandte seine Blicke deshalb Termosesow zu, welcher -aber nicht zu ihm hinüberschaute. Der Diakon Achilla, der -schon lange vergeblich versuchte, dem Lehrer durch Zeichen -zu verstehen zu geben, daß er schweigen solle, rief jetzt laut:</p> - -<p>»Halt den Mund, Warnawa Wasiljewitsch, es ist langweilig!«</p> - -<p>Der Lehrer geriet in Wut, besonders als auch Tuganow -sich von ihm abgewandt hatte. Er wollte deshalb die Bombe -zum Platzen bringen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_231">[231]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_4">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Prepotenskij sprang von seinem Platz auf und lief auf -Tuganow zu, der sich wieder mit dem Propst unterhielt.</p> - -<p>»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche … Aber -ich … ich stehe für die Freiheit.«</p> - -<p>»Ich auch,« sagte Tuganow und neigte sich wieder zum -Propst.</p> - -<p>»Lassen Sie mich doch ausreden!« rief der Lehrer.</p> - -<p>Nun wandte sich Tuganow ihm zu.</p> - -<p>»Wissen Sie, daß die Freiheit nicht gegeben wird, sondern -genommen?« fragte Warnawa.</p> - -<p>»Nun und –?«</p> - -<p>»Wer soll sie denn nehmen, wenn die neuen Menschen -nichts taugen?«</p> - -<p>»Die Entwicklung der Dinge wird sie nehmen.«</p> - -<p>»Also wird sie doch genommen und nicht gegeben. Ich -habe recht. Ich sagte es: sie wird genommen werden.«</p> - -<p>»Das sagt man dir doch auch!« rief ihm Achilla zu.</p> - -<p>»Aber das ist doch meine Meinung: sie wird genommen -werden!«</p> - -<p>»Hat denn jemand etwas anderes gesagt? Parmen Semenowitsch -spricht ja die ganze Zeit davon,« unterstützte plötzlich -Termosesow den Diakon und suchte dabei den Namen Tuganows -möglichst deutlich und im herzlichsten Ton auszusprechen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_232">[232]</a></span></p> - -<p>»Für mich wird's aber Zeit,« sagte Tuganow leise und -erhob sich, um in den Saal zu gehen, aber der Lehrer überfiel -ihn von neuem.</p> - -<p>»Noch ein Wort,« drängte er. »Mir scheint, es ist Ihnen -unangenehm, daß jetzt alle gleich sind.«</p> - -<p>»Nein, es tut mir leid, daß nicht alle gleich sind.«</p> - -<p>Prepotenskij stockte einen Augenblick. Dann sprach er:</p> - -<p>»Das ist doch eine Tatsache, alle müssen gleich sein.«</p> - -<p>»Parmen Semenowitsch sagt Ihnen das ja: alle müssen -gleich sein,« mischte sich nun Termosesow hinein, der neben -Tuganow getreten war und den Lehrer von ihm fortzudrängen -sich bemühte.</p> - -<p>»Aber erlauben Sie,« – er suchte von der andern Seite -heranzukommen, wo ihm aber Achilla den Weg vertrat.</p> - -<p>»Laß doch,« sagte er, »du redest doch bloß dummes Zeug.«</p> - -<p>»Erlauben Sie, seien Sie so gut,« wehrte sich Prepotenskij -und versuchte nun einen Frontangriff. »Ich meine bloß: -Ihnen gefällt es wohl in England, weil da die Lords sind … -Sie sind unzufrieden, daß die Standesprivilegien aufgehoben -sind?«</p> - -<p>»Sind sie das?«</p> - -<p>»Geh weg, du weißt nichts,« stieß Achilla den Lehrer zur -Seite, aber dieser lief noch einmal um Tuganow herum und -versuchte einen zweiten Frontangriff.</p> - -<p>»Über jedes Ding kann man verschiedene Meinungen haben.«</p> - -<p>»Was wollen Sie eigentlich von mir?« rief Tuganow -lachend.</p> - -<p>»Ich meine, man kann verschieden urteilen.«</p> - -<p>»Bloß, daß ein Urteil vernünftig ist und das andere -dumm,« mischte sich Termosesow wieder hinein.</p> - -<p>»Sagen wir lieber: gerecht und ungerecht,« bemerkte Tuganow -in versöhnlichem Tone.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_233">[233]</a></span></p> - -<p>»Auch Gott kennt nur eine Wahrheit,« rief der Diakon.</p> - -<p>»Zwischen zwei Punkten kann man nur eine gerade Linie -ziehen,« sagte Termosesow.</p> - -<p>Prepotenskij geriet außer sich.</p> - -<p>»Was ist denn das? So kann man ja gar nicht reden!« -rief er. »Ich bin allein unter lauter Kriechern und Heuchlern. -Da habt ihr leichtes Spiel. Ich weiß nur eines: ich achte -nichts Althergebrachtes.«</p> - -<p>»Das eben ist althergebracht. Wann hat man bei uns je -Achtung vor der Geschichte gehabt?«</p> - -<p>»Weißt du was? Sei jetzt ganz still, du Schaf,« sagte -Achilla in freundschaftlichstem Tone. Die Biziukina wandte -sich verächtlich vom Lehrer ab, Termosesow versuchte noch -einmal, ihn zur Seite zu schieben und trat ihm dabei auf -den Fuß, so daß der Lehrer, der sich in der Aufregung leicht -versprach, laut aufschrie:</p> - -<p>»Au! Sie haben mir auf mein liebstes Hühnerauge getreten!«</p> - -<p>Das »liebste Hühnerauge« rief ein schallendes Gelächter -hervor, während dessen sich Tuganow von der Hausfrau -verabschiedete.</p> - -<p>Schellen erklangen und ein Sechsgespann frischer Postpferde -fuhr den Tuganowschen Reisewagen vor das Haus. -Wenn Prepotenskij sich noch rehabilitieren wollte, mußte es -sofort geschehen, hastig riß er sich von Achilla und Termosesow -los, die ihn festhalten wollten, und hüpfte auf seinem »liebsten -Hühnerauge« zu Tuganow, indem er rief:</p> - -<p>»Und ich werde doch immer weiter gegen den Adel und -für das Naturrecht kämpfen.«</p> - -<p>Tuganow drehte sich in der Tür um und sagte zu Warnawa:</p> - -<p>»Die natürlichste Lebensform ist doch … das Leben der -Pferde da, die mich gleich fortschaffen sollen. Aber sehn Sie,<span class="pagenum"><a id="Seite_234">[234]</a></span> -man spannt sie vor den Wagen, damit sie einen Edelmann -ziehen.«</p> - -<p>»Und wird sie unterwegs noch mit der Peitsche bearbeiten, -daß sie fixer vorwärts kommen,« fiel der Diakon -ein.</p> - -<p>»Das Vieh wird immer geschlagen,« pflichtete Termosesow -ihm bei.</p> - -<p>»Wieder fallen alle über einen her!« schrie der Lehrer, -»aber ich lasse nicht ab!«</p> - -<p>»Dann bist du also ein Stänker,« sagte Achilla.</p> - -<p>»Du rufst den Abgrund gegen den Abgrund auf,« bemerkte -Zacharia.</p> - -<p>»Wißt Ihr denn, was das heißt: der Abgrund ruft den -Abgrund herbei?« erwiderte Warnawa voller Wut. »Das -heißt: ein Pope ladet den andern zu Besuch!«</p> - -<p>Diese Äußerung erregte ein helles Gelächter, das durch -den Saal ertönte. Nur Tuberozow zog die Brauen zornig -zusammen, riß krampfhaft an dem Bande seines Brustkreuzes -und ging in das Wohnzimmer zurück.</p> - -<p>»Der Alte ist ganz zum Maniak geworden,« sagte Tuganow, -ihm nachblickend.</p> - -<p>»Leider Gottes. Er liest die Zeitungen und regt sich auf -und klagt und seufzt und kann über nichts mehr ruhig -sprechen,« antwortete Darjanow.</p> - -<p>»Er hört uns,« flüsterte Achilla leise.</p> - -<p>Sawelij hatte wirklich alles gehört …</p> - -<p>Warnawa fühlte sich wieder. Er glaubte durch seinen Witz -mit dem Abgrund seine Chancen bedeutend gebessert zu -haben, und das gab ihm den Mut, dem Propst ganz unvermittelt -nachzulaufen, ihn am Ärmel zu fassen und zu sagen:</p> - -<p>»Ich möchte Euch etwas fragen: vorgestern war ich in -der Kirche und hörte, wie ein Priester plötzlich das Wort<span class="pagenum"><a id="Seite_235">[235]</a></span> -›Schafskopf‹ aussprach. Was hat der Klerus zu singen, -wenn der Priester ›Schafskopf‹ ruft?«</p> - -<p>»Der Klerus singt dreimal: ›Ist der Lehrer Prepotenskij‹,« -erwiderte Sawelij.</p> - -<p>Ob dieser unerwarteten Antwort waren alle einen Augenblick -ganz verblüfft und brachen gleich darauf in ein dröhnendes -Gelächter aus.</p> - -<p>Prepotenskij hatte das Spiel verloren.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_236">[236]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_5">Fünftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Je tiefer der Stern des Lehrers sank, desto höher stieg -derjenige Termosesows. Spielend gewann er die Gunst der -gesamten Weiblichkeit; der Frau Postmeisterin machte er -geradezu den Hof, und zwar in einer Weise, die dem Lehrer -aufs äußerste mißfiel; denn Termosesow huldigte ihr nicht -als Dame, sondern gewissermaßen als Vertreterin der Staatsgewalt.</p> - -<p>Beim Abendessen ließ Termosesow die Damen mehr oder -weniger im Stich und hielt sich an die Herren. Mit jedem -stieß er an und leerte dabei eine recht beträchtliche Zahl Gläser, -ohne daß irgendeine Wirkung zu bemerken gewesen wäre. -Schnell war er gut Freund mit Achilla, Darjanow und -Vater Zacharia. Auch Tuberozow redete er wiederholt an, -aber der Alte zeigte sich sehr wenig entgegenkommend. Dafür -begann Achilla, nach einem etwa halbstündigen Gespräch, -zur nicht geringen Verwunderung der Anwesenden, den -Petersburger Gast plötzlich zu duzen, drückte ihm die Hand, -küßte seine wulstige Lippe und verlieh ihm sogar Kosenamen.</p> - -<p>»Bei Gott, dieses Termoseslein ist ein Mordskerl,« predigte -der Diakon. »Haben wir zwei es dem Lehrer nicht fein gegeben? -Nicht? Nein, Bruder Termosesselchen, du darfst nicht -fort von hier. Was hast du in Petersburg zu suchen? Hier -können wir zwei beide im Winter Füchse fangen. Das ist -ein Hauptspaß, Brüderlein. Nicht?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_237">[237]</a></span></p> - -<p>»Freilich, freilich,« antwortete Termosesow und begann -nun seinerseits den Diakon zu preisen und nannte auch ihn -einen Mordskerl. Und dann küßten die beiden Mordskerle -sich wieder.</p> - -<p>Als das Fest sich zu seinem Ende neigte und Zacharia und -Tuberozow schon heimgehen wollten, hielt Termosesow den -Diakon am Ärmel zurück und sagte: »Du hast doch keine -Eile?«</p> - -<p>»Eigentlich nicht,« antwortete Achilla.</p> - -<p>»Dann warte noch etwas, wir gehen zusammen.«</p> - -<p>Achilla erklärte sich bereit und Termosesow schlug noch -ein Tänzchen vor. Er tanzte zuerst mit der Postmeisterin, -dann mit ihren Töchtern, dann mit noch zwei oder drei -andern Damen, und zu allerletzt mit der Biziukina. Dann -aber kriegte er den Diakon zu fassen, drehte ihn im Walzertakt -ein paarmal herum und führte, als er ihn, wie eine -Dame, an seinen Platz gebracht hatte, seine Hand an die -Lippen, küßte aber die eigene.</p> - -<p>Achilla, der darauf nicht im mindesten gefaßt war, geriet -in Verlegenheit und riß seine Hand hastig zurück, Termosesow -jedoch lachte unbändig und sagte:</p> - -<p>»Hast du dir wirklich eingebildet, ich würde deine Kutschertatze -küssen?«</p> - -<p>Der Diakon war gekränkt und dachte: ›Am Ende hätt' ich -mich lieber nicht mit dem Kerl einlassen sollen.‹ Aber da -man sich gleich darauf auf den Heimweg machte, so schloß er -sich der Gesellschaft an. Die Familie des Postmeisters, der -Diakon, Warnawa, Termosesow und Madame Biziukina -gingen zusammen. Erst wurde die Frau Postmeisterin mit -ihren Töchtern nach Hause gebracht, und bei dieser Gelegenheit -hörte Achilla, wie sie beim Abschied zu Termosesow sagte:</p> - -<p>»Ich hoffe, wir sehen uns häufiger.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_238">[238]</a></span></p> - -<p>»Daran zweifle ich keinen Augenblick,« antwortete Termosesow -und fügte noch hinzu: »Sie fanden es so hübsch, daß -der Polizeichef sein Wohnzimmer mit den Bildnissen der -ganzen kaiserlichen Familie geschmückt hat?«</p> - -<p>»Ja, ich wünsche sie mir schon so lange.«</p> - -<p>»Diesen Wunsch kann ich Ihnen morgen erfüllen.«</p> - -<p>Und damit trennten sie sich.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_239">[239]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_6">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Kaum hatte man sich von der Postmeisterin verabschiedet, -so erklärte Termosesow, es müßten unbedingt alle noch einen -Augenblick mit ihm bei der Biziukina vorsprechen.</p> - -<p>»Du gestattest es doch?« fragte er, halb zu ihr gewendet.</p> - -<p>Es schien ihr nicht sehr angenehm, aber sie sagte trotzdem ja.</p> - -<p>»Irgendein Gesöff wird sich bei dir wohl finden?«</p> - -<p>Daria Nikolajewna wurde verlegen. Gerade heute hatte -sie vergessen, Wein holen zu lassen, und erinnerte sich auch, -daß man heute mittag die letzte Flasche Xeres so gut wie -leer getrunken hatte. Termosesow bemerkte ihre Verlegenheit -und sagte:</p> - -<p>»Na, Bier wird es doch wenigstens geben?«</p> - -<p>»Bier ist da.«</p> - -<p>»Das wußte ich. Bier haben die von der Akzise immer. -Hast du auch Meth?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Das ist ja famos! Nun, meine Herrschaften, wir haben -Bier und Meth, und da braue ich euch ein Blachdnublach -zusammen, daß ihr …« Termosesow küßte seine Finger -und beschloß: »daß ihr zum Schluß die eigene Zunge mit -verschlucken sollt.«</p> - -<p>»Was ist das für ein Blech und Blech?« fragte Achilla.</p> - -<p>»Nicht Blech und Blech, sondern Blachdnublach – ein -Getränk aus Bier und Meth. Vorwärts!« Und er zog -Achilla am Ärmel.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_240">[240]</a></span></p> - -<p>»Warte doch,« widersetzte sich der Diakon. »Was ist denn -das für ein Blech und Blech? Bei Begräbnissen trinkt man -es und nennt es ›Biermeth‹.«</p> - -<p>»Ich sage dir aber, es ist kein Biermeth, sondern Blachdnublach. -Vorwärts!«</p> - -<p>»Nein, warte!« protestierte der Diakon wieder. »Ich kenne -diesen Biermeth … Eins, zwei, drei, liegt man da wie ein -Klotz. Ich trink' das Zeug nicht.«</p> - -<p>»Ich sag' dir doch, es gibt Blachdnublach und nicht Biermeth!«</p> - -<p>»Und doch sollten wir's heut nicht mehr trinken,« antwortete -der Diakon. »Sonst gibt's morgen einen wüsten -Brummschädel.«</p> - -<p>Prepotenskij war derselben Ansicht, aber keiner von beiden -besaß Charakterfestigkeit genug, seine Meinung durchzusetzen, -und so blieb Termosesow schließlich Sieger und schleppte sie -in die Wohnung der Biziukina. Sein Plan war, das Gesöff -in der Laube einzunehmen, und so wurden alsbald eine Unmenge -Bier- und Methflaschen nebst dem dazu gehörigen -Imbiß dorthin gebracht, und Termosesow begann sofort mit -der Bereitung des Blachdnublach.</p> - -<p>Warnawa Prepotenskij hatte sich neben Termosesow gesetzt. -Der Lehrer wollte den Gast sofort zur Rede stellen, -weshalb er vor Tuganow so gekatzbuckelt und ihn bei seinen -Angriffen gegen ihn, Warnawa, unterstützt hatte.</p> - -<p>Aber zum größten Erstaunen Prepotenskijs schien Termosesow -nicht die geringste Lust zu haben, mit ihm zu plaudern, -denn statt der erwarteten freundlichen Antwort kam es -schroff und ungeduldig von seinen Lippen:</p> - -<p>»Wir sind alle gleich: Kleinbürger, Adel und niederes -Volk. Lassen Sie mich mit Ihrer Politik in Frieden, ich will -jetzt trinken.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_241">[241]</a></span></p> - -<p>»Aber Sie müssen doch zugeben, daß Leute mit Besinarmildung -etwas Besseres sind, als …« stammelte Warnawa -verwirrt.</p> - -<p>»Da haben wir's!« unterbrach ihn Termosesow. »Erst -das liebste Hühnerauge, und jetzt die Besinarmildung! Der -richtige Cicero!«</p> - -<p>»Das passiert ihm oft, wenn er aufgeregt ist. Er will -ein Wort sagen und es kommt ein anderes heraus,« trat -Achilla für Prepotenskij ein und erzählte, wie der Lehrer infolge -dieses Defekts einmal beinahe um den Verkehr in einem -sehr feinen Hause gekommen wäre. »Er hatte zu der Wirtin -sagen wollen: ›Matrona Iwanowna, darf ich noch um ein -Zitronenscheibchen bitten?‹ – und sagte statt dessen: ›Zitrona -Iwanowna, bitte noch ein Matronenscheibchen!‹ was die -Dame natürlich als Beleidigung auffaßte.«</p> - -<p>Termosesow wollte sich ausschütten vor Lachen, faßte aber -plötzlich Warnawas Hand, beugte sich zu ihm herab und -flüsterte ihm ins Ohr:</p> - -<p>»Geh sofort und schreib mir auf, was die Pfaffen und -Edelleute heut geredet haben. Ich meine das von der Gewissensfreiheit -und der Unduldsamkeit … Mit einem Wort: -alles, alles …«</p> - -<p>»Wozu denn?« fragte der Lehrer erstaunt.</p> - -<p>»Das geht dich nichts an. Geh nur und schreib's auf. -Du wirst später schon sehen, wozu. Wir unterschreiben es -und schicken es an die richtige Adresse.«</p> - -<p>»Was? Was wollen Sie tun?« rief Prepotenskij laut und -fuchtelte erregt mit den Armen. »Eine Denunziation! Um -nichts in der Welt!«</p> - -<p>»Aber du haßt sie doch!«</p> - -<p>»Nun und?«</p> - -<p>»So schneid ihnen doch die Kehle durch, wenn du sie haßt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_242">[242]</a></span></p> - -<p>»Ja gewiß, schneiden will ich schon, aber ich bin kein Lump, -der eine Denunziation …«</p> - -<p>»Dann raus mit dir!« unterbrach ihn Termosesow und -stieß ihn gegen die Tür.</p> - -<p>»Aha! Raus?! So hab' ich Sie doch richtig erkannt! Sie -halten's mit Achilla!«</p> - -<p>»Raus, sage ich!«</p> - -<p>»Ja, ja! Erst fordert Ihr mich zum Blachdnublach auf -und dann …«</p> - -<p>»Da hast du dein Blachdnublach!« antwortete Termosesow -und gab dem Lehrer einen kräftigen Stoß in den Nacken, -so daß er zur Tür hinausflog. Dann schob er den Riegel vor.</p> - -<p>Achilla, der diesen Auftritt mit angesehen hatte, stand -verwirrt auf und nahm seinen Hut.</p> - -<p>»Wo willst du hin?« fragte Termosesow, sich wieder an -den Tisch setzend.</p> - -<p>»Ich bitte um Entschuldigung, ich muß nach Hause.«</p> - -<p>»Trink doch erst dein Blachdnublach aus.«</p> - -<p>»Nein, mag es zum Teufel gehn, ich will nicht mehr. -Leben Sie wohl. Ich habe die Ehre.«</p> - -<p>Er reichte Termosesow die Hand. Dieser nahm sie aber -nicht, sondern riß dem Diakon den Hut fort, warf ihn unter -seinen Stuhl und befahl:</p> - -<p>»Setz dich!«</p> - -<p>»Ich will nicht,« erwiderte Achilla.</p> - -<p>»Setz dich, sag' ich dir!« schrie Termosesow noch lauter -und riß ihn so heftig am Arm, daß er auf die Bank niederfiel.</p> - -<p>»Willst du Pfarrer werden?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Warum nicht?«</p> - -<p>»Weil ich dessen weder wert noch fähig bin.«</p> - -<p>»Aber der Propst kränkt dich doch?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_243">[243]</a></span></p> - -<p>»Nein, das tut er nicht.«</p> - -<p>»Er soll dir doch mal einen Stock weggenommen haben.«</p> - -<p>»Was ist denn dabei?«</p> - -<p>»Und einen Dummkopf hat er dich genannt?«</p> - -<p>»Ich weiß nicht, vielleicht hat er mich auch mal so genannt.«</p> - -<p>»Wollen wir ihn für seine heutigen Reden denunzieren?«</p> - -<p>»Wa–a–a–as?«</p> - -<p>»Das!!«</p> - -<p>Termosesow bückte sich, holte Achillas Hut unter dem -Stuhl hervor und warf ihn vor die Schwelle.</p> - -<p>»Du bist eine Petersburger Kanaille,« sagte der Diakon -und bückte sich nach dem Hute. In diesem Augenblick aber -traf ihn ein dröhnender Schlag in den Nacken und er lag -mit der Nase im Sande des Gartenweges, wohin ihm sein -Hut alsbald nachgeflogen kam und wo ein paar Schritte -weiter auch der Lehrer hockte. Der Diakon begriff erst gar -nicht, wie das gekommen war, aber als er Termosesow in -der Tür stehen und ihm mit einem Spaten drohen sah, wurde -es ihm klar, warum der Schlag so schwer gewesen war und -eine so breite Fläche getroffen hatte. Er sagte:</p> - -<p>»Das nennt sich also Blachdnublach. Danke für freundliche -Belehrung.«</p> - -<p>Hierauf wandte er sich zum Lehrer:</p> - -<p>»Nun? Gehen wir heim, lieber Freund?«</p> - -<p>»Ich kann nicht,« sagte Warnawa.</p> - -<p>»Warum nicht?«</p> - -<p>»Ich bin voll blauer Flecke und der Wopf tut mir keh.«</p> - -<p>»Laß den Wopf nur keh tun, das geht vorüber. Komm -nach Hause. Ich begleite dich.« Und mitleidig half der -Diakon dem Lehrer auf und führte ihn zum Gartentor hinaus.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_244">[244]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_7">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Aufs äußerste erregt und verstört kam der Propst heim. -Da das Fest beim Polizeichef so lange dauerte, hatte die -daheimgebliebene Natalia Nikolajewna, wider ihre sonstige -Gewohnheit, die Heimkehr ihres Gatten nicht abgewartet -und sich zu Bett gelegt, die Tür nach ihrem Schlafzimmer -aber offen gelassen. Sie wollte durchaus aufwachen, wenn -ihr Mann zurückkehrte.</p> - -<p>Tuberozow wußte, was die offene Türe zu bedeuten hatte -und rief beim Eintreten seine Frau beim Namen. Sie erwachte -und erwiderte seinen Gruß.</p> - -<p>»Du schläfst nicht?«</p> - -<p>»Nein, Liebster, Sawelij Jefimytsch, ich schlafe nicht.«</p> - -<p>»Das ist gut, ich möchte mit dir reden.«</p> - -<p>Der Alte setzte sich auf den Bettrand und erzählte seiner -Gattin das Gespräch mit dem Adelsmarschall und beklagte -sich, wie gleichgültig alle sich zu der immer mehr in Rußland -aufkommenden Anschauung verhalten, daß sich ein gebildeter -Mensch des Glaubens schämen müsse. Er drückte -ihr seine Befürchtungen aus, daß die guten Sitten und die -hohen Ideale in Verfall geraten könnten, ja müßten.</p> - -<p>Natalia Nikolajewna unterbrach ihn mit keiner Silbe, -denn er sprach mit einem Freimut, wie er ihn sonst nirgendwo -hätte zum Ausdruck bringen dürfen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_245">[245]</a></span></p> - -<p>»Und denke dir, Natascha!« schloß er, als er bemerkte, -daß der Morgen graute und sein Kanarienvögelchen, eben -erwacht, den Schnabel zu wetzen begann. »Denke dir, meine -liebe Alte, daß er, der Tuganow, keines meiner Worte widerlegen -konnte, daß er mir in allem recht gab, daß er selbst -zugestand, wir stünden, wie die selige Marfa Andrejewna -mal sagte, gleich Schnepfen im Sumpf. Der Schwanz ist -zu lang und der Schnabel ist zu lang, und so wackeln wir -hin und her: ziehen wir den Schnabel heraus, bleibt der -Schwanz stecken; ziehen wir den Schwanz heraus, steckt der -Schnabel im Sumpf. Das alles gab er zu, aber von der -seelischen Erregung, die man in einer solchen Lage doch empfinden -müßte, ließ er nichts merken … O diese entsetzliche -Gleichgültigkeit!«</p> - -<p>Natalia Nikolajewna schwieg.</p> - -<p>»Zu guter Letzt nannte er mich noch einen Maniak! Sage -bitte selbst, wieso und warum verdiene ich diesen Namen?« -Sawelij dämpfte die Stimme. »Mich nennt er einen Maniak, -und er selbst sagt … Ich meinte: alles, worauf ich hingewiesen -hätte, seien vielleicht Kleinigkeiten, aber trotzdem so -bezeichnend für den in unserer Gesellschaft herrschenden Geist, -und wenn wir jetzt mit diesen Kleinigkeiten nicht fertig würden, -wie sollen es unsere Machthaber werden, nachdem alles erst -mal großgewachsen ist! Er antwortete mir in seinem mir so -verhaßten spöttischen Tone, den wir Russen so gern anschlagen, -mit einer Anekdote, die sehr gut paßte und die ich -aus Rücksicht auf mein Amt nur dir allein erzählen kann: -Ein Offizier kam einst in ein Quartier, wo er im Nebenzimmer -ein wunderschönes Mädchen entdeckte. Er war von ihr so -entzückt, daß er, wie das im Regiment Brauch ist, seinen -Burschen rief und ihn fragte: ›Wie könnte ich wohl die Bekanntschaft -dieser Schönen machen?‹ Der Bursche überlegte,<span class="pagenum"><a id="Seite_246">[246]</a></span> -und da er im Begriff war, Kohlen in den Samowar zu legen, -rief er plötzlich: ›Hier riecht's nach Rauch!‹ Der Offizier -sprang auf und stürzte in das Zimmer seiner Nachbarin: -›Meine Gnädige, hier bei Ihnen riecht es nach Rauch. Ich -komme, Sie und Ihre Schönheit aus dem Feuer zu retten!‹ -Auf diese Weise machte er die gewünschte Bekanntschaft. -Der Bursche aber erhielt ein Geldgeschenk und einen Schnaps. -Als der Frauenjäger nach einiger Zeit in ein neues Quartier -kam, wo er ebenfalls eine schöne Dame entdeckte, jedoch nicht -nebenan, sondern im gegenüberliegenden Hause, – sagte -er wieder zu seinem Burschen: ›Verhilf mir zu ihrer Bekanntschaft!‹ -Der aber wußte nichts anderes zu antworten, -als sein altes ›Hier riecht's nach Rauch!‹ Da erkannte der -Offizier, daß er sich zu Unrecht auf den Verstand seines -Helfershelfers verlassen hatte und die erwünschte Bekanntschaft -durch ihn nicht machen konnte. Jetzt merke, was das -für ein Gleichnis ergibt: bei uns geziemt es sich für einen -aufgeklärten Mann, daß er ungläubig sei, seines Vaterlandes -spotte, die Menschen verachte, die Heiligkeit der Familienbande -nicht gelten lasse, in seinen Mitteln nicht wählerisch -sei; jene Schöne jedoch, die äußere Zivilisation, haben wir -leicht gewonnen; allein jetzt gilt es, eine andere Schöne -kennen zu lernen, jetzt, wo wir geistige Selbständigkeit zeigen -sollen, … aber da sitzt die Schöne drüben am Fenster, und -die Frage ist, wie kriegen wir sie? Da sehnen wir uns wohl -und seufzen: ›Ach, wie könnten wir am leichtesten ihre Bekanntschaft -machen?‹ Aber der ungeschickte Bursche weiß -darauf nichts zu sagen, als: ›Hier riecht's nach Rauch!‹ -Doch was nützt es uns, wenn es nach Rauch riecht?«</p> - -<p>»Ja,« sagte Natalia Nikolajewna und seufzte.</p> - -<p>»Das ist es eben! Begreifst du es auch? Wer ist denn -nun der Maniak? Ich, der ich alles klar sehe und mich deswegen<span class="pagenum"><a id="Seite_247">[247]</a></span> -beunruhige, oder jene, denen es ebenso klar ist, die -sich aber den Kopf nicht weiter darüber zerbrechen: ›Wir -kommen noch so durch, und hinterher mag's gehn, wie es -will!‹ Heißt das nicht: ›Hier riecht's nach Rauch!‹ Nicht -wahr, meine Liebe?«</p> - -<p>»Ja, Liebster, das Mädel stellt wohl den Samowar auf,« -sagte Natalia Nikolajewna mit schläfriger Stimme.</p> - -<p>Da begriff Tuberozow, daß er die ganze Zeit in die Luft -gesprochen hatte, die keine Ohren für ihn hatte, und er senkte -lächelnd sein weißhaariges Haupt.</p> - -<p>Er gedachte der Worte, die einst die verstorbene Bojarin -Marfa Plodomasowa zu ihm gesprochen: »Und bist du denn -nicht einsam? Was sagt denn das, daß du eine gute Frau -hast, die dich liebt? Was dich quält, wird sie doch nicht verstehen. -Und so ist jeder, der weiter sieht als sein Bruder, -einsam inmitten der Seinigen.«</p> - -<p>»Ja, einsam, unsagbar einsam!« flüsterte der Alte. »Und -es ist am stärksten zu fühlen, wenn man am innigsten verlangt, -es nicht zu sein; denn … mag ich nun ein Maniak sein oder -nicht … ich habe beschlossen, das nicht länger zu dulden, -und was ich beschlossen, das vollbringe ich auch.« Leise stand -der Alte vom Bette auf, um die Schlafende nicht zu stören, -segnete sie mit dem Zeichen des Kreuzes, stopfte dann seine -Pfeife und ging in den Hof hinaus, um sich vor dem Hause -niederzusetzen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_248">[248]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_8">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Tief in Gedanken versunken saß der alte Mann. Die -dünnen Tabakswölkchen, die sich von seinem weißen Schnurrbart -lösten und in der Luft zerflatterten, glänzten bernsteinfarbig -im Lichte der aufgehenden Sonne. Die Hühner flogen -von ihren Stangen herunter, kamen aus dem Stall, schüttelten -sich und strichen ihr Gefieder. Jetzt klang von der Brücke -die Lindenholzflöte des Hirten herüber, am Ufer klirrten die -leeren Eimer, mit denen ein barfüßiges Weib nach Wasser -ging; überall hörte man die Kühe brüllen, und die eigene -Dienstmagd des Propstes kam gähnend, das Zeichen des -Kreuzes über dem weitaufgerissenen Munde machend, aus -dem Stall und trieb die Kuh mit einer Gerte vor sich her. -Drinnen am Fenster sang der Kanarienvogel aus voller Kehle.</p> - -<p>Im vollen Glanze war der junge Tag erschienen.</p> - -<p>Vom Dom her ertönte der erste Glockenschlag.</p> - -<p>Vor dem Pförtchen erschien eine junge Zigeunerin mit -einem Kinde an der Brust, einem zweiten auf dem Rücken -und dreien, die sich an ihre zerlumpten Kleider klammerten.</p> - -<p>»Gib mir was, frommer Vater, gib mir was, du Glücklicher, -Segensreicher!« bettelte sie den Propst an.</p> - -<p>»Was soll ich dir geben, du Unglückliche, Ungesegnete? -Meine Frau schläft, und ich habe kein Geld bei mir.«</p> - -<p>»Gib mir etwas, was du nicht brauchst, dafür soll dir Ehre -und Glück werden.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_249">[249]</a></span></p> - -<p>»Was brauche ich denn nicht? Halt! du hast recht gesprochen! -Ich hab' hier etwas, was ich nicht brauche!«</p> - -<p>Und Tuberozow ging ins Zimmer und brachte seine sämtlichen -Pfeifen heraus, den perlengestickten Tabaksbeutel und -die Blechschachtel, in welche er die Asche zu schütten pflegte. -Alles gab er der Zigeunerin und sagte:</p> - -<p>»Da, du Zigeunerweib, bring das deinem Mann, ihm -steht es besser zu.«</p> - -<p>Natalia Nikolajewna schlief noch immer. Der Propst -schrieb sich die Schuld zu, weil er sie durch seine lange Abwesenheit -und seine Reden am Einschlafen gehindert hatte. -Zwar hatte sie ihm nicht zugehört, aber ihre Ruhe hatte er -doch gestört.</p> - -<p>Er ging in den Stall und gab seinen zwei kleinen braunen -Pferden selbst die doppelte Portion Hafer. Dann wollte er -leise über den Hof ins Haus, als er plötzlich den Botengänger -des Akziseeinnehmers Biziukin durch das Pförtchen kommen -sah, welcher ein Buch unter dem Arm hatte.</p> - -<p>Der Propst nahm das Buch, schlug es auf und wurde -ganz rot im Gesicht. Im Buch lag ein Schreiben mit folgender -Aufschrift: »An den Propst des Stargoroder Kirchspiels, -Oberpfarrer Sawelij Tuberkulow.« Das Wort »Tuberkulow« -war flüchtig durchstrichen und darüber geschrieben -»Tuberozow«.</p> - -<p>»Es wird um sofortige Empfangsbestätigung gebeten,« -sagte der Bote.</p> - -<p>»Wer hat drum gebeten?«</p> - -<p>»Der Sekretär des angereisten Beamten.«</p> - -<p>»Der kann warten.«</p> - -<p>Der Propst fühlte, daß die Sache nicht so harmlos war. -Er merkte, daß man ihn herausfordern wollte und auch -schon ein Mittel gefunden hatte, ihm beizukommen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_250">[250]</a></span></p> - -<p>»Was kann das sein? Es ist noch so früh … Sie scheinen -die Nacht nicht geschlafen zu haben, nur um eine Gemeinheit -auszuhecken … ja, Leute, die nichts zu tun haben!«</p> - -<p>Mit solchen Gedanken beschäftigt, trat Tuberozow in sein -vom Sonnenglanz durchflutetes Wohnzimmer, setzte seine -große silbergefaßte Brille auf und öffnete den interessanten -Brief.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_251">[251]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_9">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Das fatale Schreiben war ein höchst formloses Dokument, -in jenen unangenehmen, vieldeutigen Ausdrücken abgefaßt, -an denen die Kanzleisprache so reich ist. Es stellte an den -Propst Tuberozow »konfidentiell« das Ersuchen oder die -Forderung, beim Regierungsbeamten Bornowolokow zu erscheinen -»zwecks Abgabe näherer Erklärungen über einige -wichtige Punkte, sowie auch über das anstößige und unpassende -Betragen des Diakons Achilla Desnitzyn.«</p> - -<p>»Ei zum Donnerwetter, sollte das nicht ein dummer Scherz -sein? … Wollen sie sich jetzt auf diese Weise über mich lustig -machen?! Aber nein, das ist kein Scherz! Da steht's: Tuberkulow -… Mein Name ist in der offenkundigen Absicht, -mich zu kränken, so verdreht worden. Und dann: »das anstößige -und unpassende Betragen des Diakons Achilla.« -Was bedeutet das alles, wo will man hinaus? Um ihnen -den Spaß zu verderben und keinen Fehler zu begehen, wollen -wir uns an die Methode des Abwartens halten, die einzig -richtige in unklaren Fällen.«</p> - -<p>Der Propst nahm die Feder und schrieb unter das formlose -Dokument: »Der Propst Tuberozow hält sich, da er -über die Vollmachten der ihn zu sich auffordernden Person -nicht unterrichtet ist, nicht für verpflichtet, der Aufforderung -Folge leisten zu müssen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_252">[252]</a></span></p> - -<p>Darauf legte er das Blatt in denselben Umschlag, in dem -er es erhalten hatte, und schrieb quer über die Adresse: »Zurück -an den, dessen Titel und Würden ich nicht kenne.«</p> - -<p>Nachdem er das Paket wieder in das Quittungsbuch gelegt -hatte, ging er hinaus und gab es dem Boten. Dem langen -Subdiakon Pawliukan, der inzwischen gekommen war, befahl -er, den Wagen zu schmieren und in einer Stunde zu einer -Fahrt ins Kirchspiel bereit zu sein. Dann schickte er die Magd -nach dem Diakon Achilla.</p> - -<p>Unterdessen war Natalia Nikolajewna aufgestanden und -machte sich, nachdem sie sich mehrmals bei ihrem Gatten -wegen ihres gestrigen Einschlafens entschuldigt hatte, eifrig -daran, sein Reiseköfferchen zu packen. Höchst erstaunt war -sie aber, als er auf ihre Frage, wohin sie den Tabak legen -solle, kurz antwortete, er habe das Rauchen aufgegeben, und -sich dann gleich dem eben eingetretenen Diakon zuwandte.</p> - -<p>»Ich muß gleich eine Amtsreise machen und habe dich -kommen lassen, um dich noch einmal zu warnen,« begann -er, doch Achilla unterbrach ihn sofort.</p> - -<p>»Schönsten Dank, Vater Propst, aber ich bin schon gewarnt.«</p> - -<p>»Das hat nicht viel zu sagen und macht mir keine Sorge. -Jedenfalls bitte ich dich nur, wenigstens in meiner Abwesenheit -etwas solider zu sein.«</p> - -<p>»Ja, Vater Propst, jetzt … Auch wenn Ihr kein Wort -gesagt hättet, es ist doch schon alles aus.«</p> - -<p>Tuberozow blieb vor ihm stehen und sah ihn mit einem -scharfen, durchdringenden Blick an. Gestalt und Gesicht des -Diakons sahen nicht gerade vorteilhaft aus. Die dichten, -natürlichen Locken machten den Eindruck einer schief aufgesetzten -Perücke: die rechte Seite der Stirn war viel zu weit -entblößt, die linke fast bis zum Auge verdeckt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_253">[253]</a></span></p> - -<p>Der Propst dachte nach, was denn wohl noch mit dem unvorsichtigen -Diakon geschehen sein mochte, dieser aber sagte, -die Augen starr auf den Hut gerichtet, den er in der Hand -hin- und herdrehte:</p> - -<p>»Ich habe schon gestern, Vater Propst … gleich nachdem -ich von der Biziukinschen heimgekommen war … denn wir -waren alle vom Polizeichef noch dorthin gegangen … zu -meiner Bedienerin gesagt: ›Nein,‹ sagt' ich, ›Esperance, der -Vater Sawelij hat recht: der Starke rühme sich nicht seiner -Kraft und baue nicht auf seine Macht.‹«</p> - -<p>Statt ihm zu antworten, ging der Propst auf den Diakon -zu und strich die Haare zurück, welche die linke Seite seines -Gesichtes so übermäßig bedeckten.</p> - -<p>»Nein, Vater Sawelij, hier ist nichts, aber da,« sagte -Achilla leise und schob die Hand des Propstes auf seinen -Nacken.</p> - -<p>»Schäme dich, Diakon,« sagte Tuberozow.</p> - -<p>»Es tut auch weh, Vater Propst,« sagte Achilla, sich an -die Brust schlagend, und fing bitterlich zu weinen an. »Dafür -werde ich mich nun täglich und stündlich martern.«</p> - -<p>Tuberozow schüttete keinen Tropfen mehr in diesen Leidenstrank -des armen Achilla. Im Gegenteil. Er machte ein -paar Schritte durchs Zimmer und sagte dann, den Diakon -am Arme fassend:</p> - -<p>»Weißt du noch, wie du mir Vorwürfe machtest wegen -der Pfeife?«</p> - -<p>»Verzeiht.«</p> - -<p>»Nicht doch, ich bin dir dankbar dafür, und wenn ich im -Rauchen auch nichts besonders Schlechtes sehe und diese Gewohnheit -gehabt habe, so habe ich doch heute, um dem Gerede -ein Ende zu machen, davon abgelassen und alle meine -Pfeifen einem Zigeuner geschenkt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_254">[254]</a></span></p> - -<p>»Einem Zigeuner!« rief der Diakon mit strahlendem -Gesicht.</p> - -<p>»Ja. Es kann dir übrigens gleich sein, wem ich sie gegeben -habe; gib aber auch du deine Wildheit irgend jemandem. -Du bist kein Jüngling mehr, sondern bald fünfzig, und du -bist auch kein Kosak, denn du trägst die Kutte. Und jetzt sage -ich dir noch einmal Lebewohl, denn ich muß fahren.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_255">[255]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_10">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Im Biziukinschen Hause ließ sich der neue Tag wenig -freundlich an: die gnädige Frau vermißte ein kostbares -Brillantenkollier, das sie gestern abend getragen hatte und -das heute nirgends zu finden war. Die ganze Dienerschaft -war auf den Beinen, und die Herrschaft ebenfalls. Man -suchte das Verlorene in der Laube und im ganzen Hause, -aber es war und blieb verschwunden.</p> - -<p>Bornowolokow hatte mit der Revision angefangen, und -auch Termosesow war ungeheuer beschäftigt. Zunächst nahm -er aus seiner Photographiensammlung einige Bildnisse der -kaiserlichen Familie, dann schrieb er einen Brief an einen -Petersburger Freund, der in Wirklichkeit gar nicht vorhanden -war. Er schilderte die Schönheit der Natur, die gelbrosa -Färbung der Wolken, sprach von seiner Freundschaft mit -Bornowolokow und seinen Aussichten auf eine glänzende -Beamtenlaufbahn und auf eine Erbschaft im Gouvernement -Samara. Zum Schluß entwarf er eine flüchtige Skizze der -gestrigen Gesellschaft, wobei er die Stargoroder Herrschaften -schonungslos kritisierte und nur hinsichtlich der Postmeisterin -eine Ausnahme machte. »Diese Frau,« schrieb er, »ist es -durchaus wert, daß man etwas bei ihr verweilt. Stelle dir -vor, ich spüre hier so etwas wie Schicksalsgewalt; ich sah sie -und wurde sofort von einer Art Sohnesgefühl zu ihr erfaßt. -Ich sag' dir, wenn es ihr einfallen würde, mich auspeitschen<span class="pagenum"><a id="Seite_256">[256]</a></span> -zu lassen, ich würde ihr dankbar die Hand küssen. Doch – -ich weiß selber noch nicht, wie das enden wird, denn sie hat -zwei Töchter. Die eine ist ganz die Mutter, die andere verspricht -ebenfalls so schön zu werden. Wer vermöchte zu -sagen, Freund, warum das unerforschliche Geschick mich der -Familie dieser hochgeachteten Frau zugeführt hat? Vielleicht -werde auch ich demnächst singen müssen: ›O goldne Freiheit, -lebe wohl!‹«</p> - -<p>Nachdem Termosesow den Brief an einen Herrn Nikolai -Iwanowitsch Iwanow adressiert hatte, preßte er das versiegelte -Kuvert zwischen zwei Fingern fest zusammen, überzeugte -sich, daß man auf diese Weise seine ganze Charakteristik -der Frau Postmeisterin durchlesen konnte, räusperte sich und -sagte: »Na, nun wollen wir mal sehen, ob Prepotenskij -gestern die Wahrheit gesagt hat, daß sie die Briefe aufmacht! -Tut sie das, so bin ich fein heraus.«</p> - -<p>Er nahm den Brief und die Bilder und begab sich auf das -Postamt. Außer diesem Brief hatte er noch ein Schriftstück -in der Tasche, das er in derselben frühen Morgenstunde abgefaßt -hatte, als er die Aufforderung an Tuberozow schickte. -Es lautete folgendermaßen:</p> - -<p>»Das Komplott der demokratischen Sozialisten, die sich -hinter der Larve des Patriotismus verbergen, macht sich überall -bemerkbar. Hier setzt es sich aus äußerst verschiedenartigen -Elementen zusammen, und das Schädlichste dabei ist, daß -die Geistlichkeit bereits in hohem Maße daran beteiligt ist – -was äußerst gefährlich ist, da sie dem Volke sehr nahesteht. -Die Resultate der traurigen liberalen Duldsamkeit treten hier -besonders kraß und zahlreich zutage.</p> - -<p>Der Stargoroder Propst Sawelij Tuberozow, der schon -mehr als einmal die Aufmerksamkeit der Behörden durch -seinen wilden und frechen Charakter und durch seine schlechte<span class="pagenum"><a id="Seite_257">[257]</a></span> -Gesinnung auf sich gelenkt hat, wurde bereits mehrmals -für sein unzulässiges Betragen gemaßregelt, ohne daß -es auf ihn Eindruck gemacht zu haben scheint, denn er ist von -revolutionären Tendenzen ganz durchdrungen.</p> - -<p>Ich wage es nicht zu entscheiden, wieweit er den Absichten -der Regierung Schaden bringen könne, allein nach meiner -Ansicht ist dieser Schaden unermeßlich groß. Der Propst Tuberozow -genießt hohes Ansehen in der ganzen Stadt, und -ist ein Mann von großem Verstande und von einer Kühnheit, -die dank der jahrelangen Nachsicht seiner Vorgesetzten heute -vor nichts mehr zurückschreckt. Alles, was ein Mensch wie -er tut, sollte von Rechts wegen unter strengster Kontrolle -stehen. Er jedoch redet was er will, ohne sich den geringsten -Zwang anzutun, und genießt dabei noch das Vorrecht, -öffentlich in der Kirche sprechen zu dürfen.</p> - -<p>Dieses geistliche, dem Volke so nahestehende Element scheint -aber auch noch mit dem flachen Lande, d. h. mit dem grundbesitzenden -Adel Fühlung zu suchen. So genießt dieser verdächtige -Propst Tuberozow anscheinend die Gunst und den -Schutz des Adelsmarschalls Tuganow, dessen Persönlichkeit -und Anschauungen Ihnen ja wohlbekannt sind. Herr Tuganow, -der hier an einer Abendgesellschaft im Hause des -Polizeichefs teilnahm, meinte u. a.: ›man lasse die Sonne -nicht auf die Erde scheinen‹ – wobei unter der ›Sonne‹ -zweifellos der Monarch zu verstehen ist, und unter der ›Erde‹ -das Volk. Wer aber sich vor die Sonne stellt, ist nicht schwer -zu erraten. Ja, er hat es sogar selbst klar ausgesprochen, -als er dann noch bemerkte, er sei ein Mann der Scholle, der -Gouverneur dagegen nur ›ein Kalif für eine Stunde‹. Als -ein hiesiger Lehrer, Prepotenskij, ein ganz dummer, aber -politisch durchaus unbescholtener Mensch, ihm sagte, wir alle -könnten nicht sagen, wie und von wem Rußland regiert<span class="pagenum"><a id="Seite_258">[258]</a></span> -werde, antwortete er mit zynischer Frechheit: ›Ich halte mich -in diesem Falle an die Worte des Grafen Panin aus der -Zeit Katharinas, der zu sagen pflegte, Rußland werde durch -die Gnade Gottes und die Dummheit des Volkes regiert.‹ -Auf all das habe ich die Ehre, Eure Exzellenz aufmerksam -zu machen und halte es für meine Pflicht, vor Eurer Exzellenz -die unschätzbaren Dienste des mich begleitenden Kanzleibeamten -Ismail Petrowitsch Termosesow nachdrücklich zu -betonen. Seiner feinen Beobachtungsgabe, sowie seiner -Fähigkeit, in alle Schichten der Gesellschaft einzudringen, verdanke -ich eine Menge wertvoller Informationen, und ich -wage es, den Gedanken auszusprechen, daß, wenn die Obrigkeit -diesem begabten Manne einen selbständigen Beobachtungsposten -anvertrauen wollte, er dem Staate von unermeßlichem -Nutzen sein könnte.«</p> - -<p>Dieses Blatt in der Tasche ging Termosesow seines Weges -und fragte sich: »Wird diese Kanaille von Bornowolokow -das wohl unterschreiben? Ach was, – wenn man ihn nur -ordentlich drückt, unterschreibt er alles.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_259">[259]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_11">Elftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Termosesow gab seinen Brief auf und ging dann sofort -zur Frau Postmeisterin. Die Begrüßung war sehr freundschaftlich. -Er küßte ihre Hand, sie gab ihm einen Schmatz -auf die Stirn und dankte ihm für die Ehre seines Besuchs.</p> - -<p>»O bitte, ich muß Ihnen danken,« erwiderte Termosesow. -»Es war ja so entsetzlich langweilig. Ich konnte die ganze -Nacht nicht schlafen, weil ich immer mit Angst und Grauen -denken mußte: wo bin ich? unter was für Leuten?«</p> - -<p>»Ja, ich sagte schon gestern zu meinen Töchtern: Unser -Petersburger Gast muß sich wohl köstlich amüsieren.«</p> - -<p>»Ach, gar zu schlimm wollen wir es auch nicht machen. -Ich diene ja nicht um des Mammons willen, sondern um -das Land kennen zu lernen.«</p> - -<p>»Dann finden Sie bei uns eine Unmenge Beobachtungsstoff.«</p> - -<p>»Ganz recht – Beobachtungsstoff! Aber da hab' ich Ihnen -mit Ihrer Erlaubnis die Bilder mitgebracht, von denen wir -gestern sprachen. Gestatten Sie mir, sie aufzuhängen.«</p> - -<p>Die Postmeisterin wußte gar nicht, wie sie ihm danken sollte.</p> - -<p>»Ich will mich mit Vergnügen dieser Arbeit unterziehen, -bis Ihre Fräulein Töchter erscheinen … Ich darf doch -hoffen, sie zu sehen?«</p> - -<p>Die Postmeisterin erwiderte, die Mädchen seien noch nicht -angezogen, da sie in der Wirtschaft zu tun hätten, kämen -aber trotzdem bald.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_260">[260]</a></span></p> - -<p>»Ach, ich bitte Sie darum, ich bitte sehr!« flehte Termosesow, -und als die geschmeichelte Hausfrau das Zimmer verlassen -hatte, begann er die Kaiserbildnisse an der Wand zu -befestigen. Die Nägel dazu hatte er mitgebracht.</p> - -<p>Die Toilette der jungen Damen nahm fast eine Stunde -in Anspruch, und in dieser ganzen Zeit ließ sich auch die Postmeisterin -nicht sehen.</p> - -<p>»Das ist ein gutes Zeichen!« dachte Termosesow. »Gewiß -studiert sie mein Opus.«</p> - -<p>Endlich erschienen die Töchter in Begleitung ihrer Mutter. -Termosesow maß die Postmeisterin mit einem schnellen, -durchdringenden Blick. Sie strahlte vor Wonne und Begeisterung.</p> - -<p>»Das Fischlein hat angebissen!« schloß er und verzehnfachte -seine Liebenswürdigkeit. Um aber seiner Sache ganz -sicher zu sein, fing er wieder von Literatur und von seinen -Reiseskizzen an zu reden.</p> - -<p>»Porträts! Um Gottes willen mehr Porträts! Mehr -Naturstudien!« bat die Postmeisterin.</p> - -<p>»Ja, eigentlich habe ich schon die ganze hiesige Gesellschaft -porträtiert und – entschuldigen Sie – auch Ihrer und Ihrer -Fräulein Töchter Erwähnung getan … Wissen Sie, so -ganz flüchtig … Wenn ich meinen Brief zurückbekommen -könnte, den ich eben aufgegeben habe …«</p> - -<p>»Ach nein, wozu denn?« rief die Postmeisterin errötend.</p> - -<p>»Angebissen, angebissen!« frohlockte Termosesow, und bestand -darauf, den Damen vorzulesen, was er über sie geschrieben -hatte. Eine Zeitlang hörte man im Zimmer nichts -als: »Ach, wozu denn lesen, wir glauben Ihnen auch so!« -und: »Ja, warum denn nicht lesen? Wodurch habe ich denn -so großes Zutrauen verdient?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_261">[261]</a></span></p> - -<p>Termosesows Einwände wirkten zu verführerisch auf die -Neugier der Mädchen. Bald erbot sich die eine, bald die -andere, ins Bureau zum Vater zu laufen und den interessanten -Brief des Gastes zu bringen.</p> - -<p>Vergebens suchte die Mutter sie durch Worte und Zeichen -zurückzuhalten, die Mädchen verstanden sie nicht und gaben -keine Ruhe. Termosesow dagegen hatte alles ausgezeichnet -verstanden: der Brief befand sich in den Händen der Hausfrau, -es galt jetzt nur noch, sie zur Rückgabe zu zwingen und sie -dadurch selbst völlig in die Hände zu bekommen.</p> - -<p>Ohne viel Bedenken sprang Termosesow von seinem Platz -auf und stürzte diensteifrig, der Zurufe der Damen, die ihn -zurückhalten wollten, nicht achtend, nach dem Postbureau: -er sei, rief er, selbst nicht mehr imstande, sich den Genuß zu -versagen, den Damen die bescheidene Darstellung seiner tiefen -Bewunderung für sie vorzutragen.</p> - -<p>Keine Bitten konnten ihn bewegen, von seinem Vorhaben -abzustehen. – Aber auf dem Bureau war kein Brief zu -finden.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_262">[262]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_12">Zwölftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Termosesow machte ein sehr verlegenes Gesicht, als er zu -den Damen zurückkehrte. Ihre Verwirrung aber war noch -viel größer. Die Mädchen sprangen auf und liefen hinaus, -um ihre Tränen zu verbergen, die infolge der ihnen von der -Mutter gehaltenen Pauke reichlich flossen. Die Postmeisterin -selbst blieb als Opferlamm im Salon.</p> - -<p>Termosesow stellte sich schweigend vor sie hin und lächelte.</p> - -<p>»Ich sehe Sie an,« sagte die Dame geziert, »und schäme -mich.«</p> - -<p>»Sie haben den Brief?«</p> - -<p>»Die Versuchung war zu groß. Hier ist er.«</p> - -<p>Termosesow nahm das versiegelte Kuvert aus ihrer Hand.</p> - -<p>»Ich schäme mich ganz entsetzlich … aber was soll ich -machen … ich bin ein Weib …«</p> - -<p>»Ach, lassen Sie doch! Ein Weib! Um so besser, daß Sie -ein Weib sind! Das Weib ist ein viel besserer Freund als -der Mann und ich bin ein so vertrauensseliger Narr, daß -ich wirklich warme aufrichtige Freundschaft … ich meine, -weibliche Freundschaft sehr nötig habe! Jetzt habe ich mich -an Herrn Bornowolokow angeschlossen … Wir sind schon -lange Freunde und er ist auch jetzt mehr mein Freund als -mein Vorgesetzter … wenigstens scheint es mir …«</p> - -<p>»Ja, ich sehe, ich sehe, Sie sind sehr treuherzig und vertrauensselig!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_263">[263]</a></span></p> - -<p>»Ich bin einfach ein Narr in dieser Beziehung! Ein völliger -Narr! Ein kleines Kind kann mich nasführen!«</p> - -<p>»Das ist aber nicht gut, gar nicht gut!«</p> - -<p>»Was kann ich gegen meine Natur? Jemand, der meine -Freundschaft mit Bornowolokow genau beobachtet hatte, -sagte mir einmal: ›Paß auf, Ismail Petrowitsch, du bist -zu leichtgläubig! Baue nicht zu sehr auf diese hinterlistige -Freundschaft! Bornowolokow zeigt hinter deinem Rücken -ein ganz anderes Gesicht, als du zu sehen gewohnt bist!‹ … -Aber ich kann nicht anders – ich muß ihm glauben!«</p> - -<p>»Warum tun Sie es?«</p> - -<p>»Gott, ich bin nun mal so! … Ja, wenn man mir Beweise -vorlegte! Wenn ich hören könnte, wie er in meiner -Abwesenheit von mir spricht! Wenn ich einen Brief von -ihm sehen könnte! Den Freundesdienst würde ich mein -Leben lang nicht vergessen!«</p> - -<p>Die Postmeisterin bedauerte, daß sie diesen hinterlistigen -Bornowolokow nie zu Gesicht bekommen habe, und fragte, -ob Termosesow vielleicht eine Photographie des Verräters -besäße?</p> - -<p>»Leider nicht. Aber einen Brief von ihm. Hier, sehen Sie -seine Handschrift.«</p> - -<p>Und er zeigte ihr einen Fetzen Papier von Bornowolokows -Hand beschrieben. Beim Fortgehen ließ er ihn wie von ungefähr -auf dem Tische liegen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_264">[264]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_13">Dreizehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Diese zweite Angel war noch glücklicher ausgeworfen als -die erste. Gegen Abend, als Termosesow mit Bornowolokow -und Biziukin beim Kaffee saß, kam ein Postbote mit dem -Auftrage, Ismail Petrowitsch sofort zur Frau Postmeisterin -zu bitten.</p> - -<p>»Ach richtig! Ich hatte versprochen, heute einen Ausflug -mit ihr zu machen! Wie konnte ich das nur vergessen!« -sagte Termosesow und entfernte sich mit dem Boten.</p> - -<p>Er traf die Postmeisterin im Salon allein. Sie drückte -ihm die Hand, schloß die Tür und nahm schweigend einen -Brief aus der Tasche, welchen sie ihm reichte.</p> - -<p>»Lesen Sie, es stört uns hier niemand.«</p> - -<p>Termosesow las den Brief, in dem sich Bornowolokow -bei seiner Petersburger Kusine Nina bitter über sein Geschick -beklagte, welches ihn in Moskau mit Termosesow zusammengeführt -hatte. Er nannte ihn einen »ausgemachten Lumpen -und Halunken« und bat die Kusine, »mit allen Mitteln und -unter Heranziehung all ihrer ausgezeichneten Verbindungen -darauf hinzuwirken, daß dieser gemeine Kerl eine gute Stelle -in Polen oder in Petersburg erhalte, sonst könne er, weil er -über alle alten Dummheiten unterrichtet sei, das entsetzlichste -Unheil anstiften.«</p> - -<p>»Haben Sie Ihren Freund nun erkannt?« fragte die -Postmeisterin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_265">[265]</a></span></p> - -<p>»Das hätte ich nicht erwartet! Gott strafe mich, – das -nicht!« sagte Termosesow, indem er seinen Kopf schüttelte -und seufzte.</p> - -<p>»Behalten Sie den Brief und vernichten Sie ihn,« sagte -die Postmeisterin.</p> - -<p>»Vernichten? Warum? Nein, ich vernichte ihn nicht! -Mag er an seine Adresse gelangen, – aber eine Abschrift -möchte ich haben. Gestatten Sie mir, sie zu nehmen.«</p> - -<p>Termosesow hatte sofort begriffen, daß der Brief für seine -Ehre zwar wenig schmeichelhaft war, aber sehr vorteilhaft, -weil man ihm angesichts seiner Gefährlichkeit ganz sicher -eine sehr gute Anstellung verschaffen würde.</p> - -<p>Mit der Abschrift steckte er auch das Original zu sich -und ging heim.</p> - -<p>Das Ehepaar Biziukin war bereits zu Bett gegangen, -und Bornowolokow saß allein und schrieb.</p> - -<p>»Immer fleißig, Eure Durchlaucht? Schon wieder bei der -Schreiberei?« sagte Termosesow heiter.</p> - -<p>Ein kurzes kaltes »Ja« war die Antwort.</p> - -<p>»Da wird wohl wieder irgendeine Gemeinheit verfaßt?«</p> - -<p>Bornowolokow fuhr zusammen.</p> - -<p>»Na also!« sagte Termosesow gelangweilt, schloß plötzlich -die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.</p> - -<p>Bornowolokow sprang auf und versuchte schnell das Blatt, -an dem er geschrieben hatte, zu zerreißen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_266">[266]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_14">Vierzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Gott, was Sie sich aufregen!« lachte Termosesow. »Ich -schloß die Tür nur, um mich mit Ihnen gemütlich und ungestört -unterhalten zu können, und Sie reißen gleich Ihr -ganzes Geistesprodukt in Fetzen.«</p> - -<p>Bornowolokow setzte sich wieder.</p> - -<p>»Unterzeichnen Sie dieses Papier. Aber bitte schön – -nicht zerreißen!«</p> - -<p>Damit legte Termosesow ihm jenes formlose Skriptum -vor, in dem er Wahrheit und Dichtung über Tuberozow und -Tuganow zusammengebraut und sich selbst so glänzend -attestiert hatte.</p> - -<p>Bornowolokow las es ruhig von Anfang bis zu Ende.</p> - -<p>»Nun?« fragte Termosesow, als er sah, daß er mit dem -Lesen fertig war, »wollen Sie unterschreiben oder nicht?«</p> - -<p>»Ich könnte Ihnen sagen, daß ich erstaunt bin, aber …«</p> - -<p>»Ich habe Ihnen das Staunen schon abgewöhnt! Das -weiß ich sehr gut, und auch bei Ihnen wundere ich mich über -nichts mehr!«</p> - -<p>Damit reichte er Bornowolokow die Abschrift des Briefes -an die Kusine Nina und fügte hinzu:</p> - -<p>»Das Original habe ich auch.«</p> - -<p>»Sie haben es? Wie konnten Sie sich unterstehen?«</p> - -<p>»Wie konnten <em class="gesperrt">Sie</em> sich unterstehen? Und das nennt sich -Freund und Bruder! Da will man gemeinschaftlich ganz<span class="pagenum"><a id="Seite_267">[267]</a></span> -Rußland auf den Kopf stellen – und dann kommt so ein -liebenswürdiges Attest! Nein, mein Lieber, das geht nicht. Da -werden Sie mir ein ganz anderes Zeugnis ausstellen müssen.«</p> - -<p>Bornowolokow sprang auf und fing an im Zimmer hin -und her zu laufen.</p> - -<p>»Nehmen Sie nur wieder Platz, das Rennen nützt Ihnen -gar nichts,« meinte Termosesow. »Wir wollen uns doch -friedlich auseinandersetzen. Sie wissen, wohin ich Sie mit -diesem Brieflein, mit dem Hinweise darauf, daß Ihre werte -Vergangenheit nicht so ganz sauber ist, expedieren kann? -Da holt Sie kein Polack und keine Kusine heraus!«</p> - -<p>Bornowolokow schlug sich ungeduldig auf die Schenkel -und rief:</p> - -<p>»Wie konnten Sie meinen Brief stehlen, wenn ich ihn selbst -in den Kasten geworfen hatte?«</p> - -<p>»Raten Sie! Wie ich's fertig gekriegt habe, ist meine -Sache, Ihnen aber sag' ich nun zum letztenmal: unterschreiben -Sie! Auf das erste Blatt setzen Sie Ihren Vor- und Familiennamen, -Amt und Rang, und auf dem zweiten bestätigen -Sie die Richtigkeit der Abschrift und fügen dann -noch zwei Worte hinzu, die ich Ihnen diktieren werde.«</p> - -<p>»Sie … Sie wollen mir diktieren?«</p> - -<p>»Allerdings. Ich diktiere, Sie schreiben und dann geben -Sie mir tausend Rubel Reugeld.«</p> - -<p>»Reugeld?! Wofür?«</p> - -<p>»Dafür, daß Sie dann Ruhe vor mir haben.«</p> - -<p>»Ich habe nicht so viel.«</p> - -<p>»Mir genügt ein Schuldschein. Hundert bis hundertfünfzig -in bar, das übrige hat Zeit … Aber lange mit Ihnen diskutieren -tue ich nicht. Wollen Sie, so ist's recht; wollen Sie -nicht, so ist mir's auch recht. In diesem Fall habe ich die -Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_268">[268]</a></span></p> - -<p>»Ich will unterschreiben!« sagte Bornowolokow kurz.</p> - -<p>»Bitte …«</p> - -<p>Termosesow wischte die Feder an seinem Rockschoß ab, -tauchte sie ein und reichte sie Bornowolokow.</p> - -<p>»Was soll ich schreiben?«</p> - -<p>Termosesow räusperte sich und diktierte:</p> - -<p>»Der Hundsfott Termosesow …«</p> - -<p>Bornowolokow stutzte und sah ihn mit weit aufgerissenen -Augen an.</p> - -<p>»Wollen Sie wirklich, daß ich diese Worte schreibe?«</p> - -<p>»Selbstverständlich. Schreiben Sie nur: ›Der Hundsfott -Termosesow‹.«</p> - -<p>»Danke ergebenst. Bitte, weiter.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_269">[269]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_15">Fünfzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Sekretär stand hinter dem Stuhle Bornowolokows -und blickte über seine Schulter, während er weiterdiktierte: -»Der Hundsfott Termosesow ist auf eine ebenso unbegreifliche -wie geniale Weise in den Besitz meines eigenhändigen -Briefes an Sie gelangt, in welchem ich so unvorsichtig war, -alles das zu schreiben, was Sie auf diesem Blatte von der -Hand eben dieses Halunken Termosesow geschrieben lesen.«</p> - -<p>»Schluß?«</p> - -<p>»Nein, noch etwas. Bitte, schreiben Sie: ›Wie er sich den -Brief hat verschaffen können, den ich persönlich zur Post -brachte, vermag ich nicht zu ergründen. Die Tatsache aber -mag Ihnen ein Beweis für die Kühnheit und Gewandtheit -dieses Lumpen sein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, -mir keine Ruhe zu lassen und mich so lange zu schikanieren, -bis Sie ihm einen einträglichen Posten verschafft haben. -Ich beschwöre Sie deshalb um unser beider Wohlergehen -willen, für ihn selbst das Unmögliche möglich zu machen. -Im anderen Falle droht er damit, alles aufzudecken, was -wir in der Zeit unserer revolutionären Dummheiten begangen -haben.‹«</p> - -<p>»Kann der letzte Satz nicht geändert werden?«</p> - -<p>»Nein. Ich bin wie Pilatus: was ich geschrieben habe, -das habe ich geschrieben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_270">[270]</a></span></p> - -<p>Bornowolokow schrieb das Bekenntnis seiner Schmach zu -Ende und schob das Papier weg.</p> - -<p>»Nun haben Sie hier noch den Bericht über die Geistlichkeit -und die gefährliche Stimmung in der Gesellschaft zu -unterzeichnen.«</p> - -<p>Bornowolokow nahm die Feder wieder, las das Schriftstück -noch einmal durch, überlegte und sagte:</p> - -<p>»Was haben diese Leute, Tuberozow und Tuganow, -Ihnen eigentlich getan?«</p> - -<p>»Nicht das geringste.«</p> - -<p>»Vielleicht sind es ausgezeichnete Menschen.«</p> - -<p>»Sehr möglich.«</p> - -<p>»Warum verleumden Sie sie denn? Was hier steht, ist -doch Verleumdung?«</p> - -<p>»Nicht durchweg, nur ein wenig.«</p> - -<p>»Ja, wozu dies alles?«</p> - -<p>»Was soll ich machen? Ich muß zeigen, was ich kann. -Ihr Blaublütigen habt Onkel und Tanten, die sich für Euch -bemühen, Parvenüs wie wir müssen alles selber machen.«</p> - -<p>Bornowolokow seufzte und unterschrieb.</p> - -<p>Termosesow steckte die Denunziation ein.</p> - -<p>»Jetzt wäre noch das Dritte zu erledigen,« fuhr er fort, -»dann setze ich meinen Hut auf und sage Adieu. Hier ist ein -Wechselformular. Es lautet auf achthundert Rubel. Zweihundert -erbitte ich mir in bar.«</p> - -<p>Bornowolokow saß mit aufgestützten Armen da und betrachtete -Termosesow schweigend.</p> - -<p>»Nun? Sie haben sich wohl in die Zunge gebissen?«</p> - -<p>»Nein, ich bewundere Sie bloß.«</p> - -<p>»Bitte sehr. Ich bin so, wie das Leben mich gemacht hat. -Aber jetzt unterschreiben Sie den Wechsel und geben Sie mir -das Geld.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_271">[271]</a></span></p> - -<p>»Wofür, Herr Termosesow, wofür?«</p> - -<p>»Wofür?! Für Ihre einstigen geheimen Vergnügungen -in stillen Nächten im heiligen Moskau und im sündhaften -Petersburg; für Ihre Unterhaltungen, Pläne, Schriftstücke, -für alle die schönen Stunden, an die ich in meinen Taschen -und in meinem Kopf genug Erinnerungen behalten habe, -um Ihre ganze Karriere vernichten zu können.«</p> - -<p>Bornowolokow unterschrieb den Wechsel und warf das -Geld hin.</p> - -<p>»Verbindlichsten Dank,« sagte Termosesow, indem er -Wechsel und Geld einsteckte, »es freut mich sehr, daß es ohne -Feilschen abgegangen ist.«</p> - -<p>»Was wäre dann geschehen?«</p> - -<p>»Dann hätte ich das Doppelte verlangt.«</p> - -<p>Nachdem er alle Dokumente beisammen hatte, suchte -Termosesow seine Mütze. »Ich werde draußen im Wagen -schlafen,« sagte er, »hier ist es zu schwül für zwei.«</p> - -<p>»Wollen Sie mir nicht erst meinen Brief wiedergeben?«</p> - -<p>»Fällt mir gar nicht ein. So war es nicht gemeint.«</p> - -<p>»Ja, wozu brauchen Sie ihn noch?«</p> - -<p>Termosesow lachte.</p> - -<p>»Wollen Sie noch Geld dafür haben?«</p> - -<p>»Nein, ich bin nicht habgierig, ich habe genug.«</p> - -<p>»Pfui, was sind Sie für ein …«</p> - -<p>»Vieh, wollen Sie sagen? Bitte, bitte, genieren Sie sich -nicht. Ich höre nicht hin und gehe schlafen.«</p> - -<p>»So beantworten Sie mir wenigstens noch nur eine -Frage: wo sind die verschwundenen Brillanten der Biziukina?«</p> - -<p>»Woher soll ich das wissen?«</p> - -<p>»Sie … Sie waren doch irgendwo mit ihr … in einer -Laube, – nicht wahr?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_272">[272]</a></span></p> - -<p>»Was ist denn dabei? Es waren auch noch andere Leute da: -der Lehrer und der Diakon.«</p> - -<p>»Gewiß. Aber sagen Sie mir wenigstens, – sind diese -Brillanten nicht irgendwo unter meine Sachen gesteckt?«</p> - -<p>»Wie kann ich das wissen?«</p> - -<p>»O Gott! Dieser Mensch macht mich wahnsinnig!« rief -Bornowolokow in höchster Erregung.</p> - -<p>»Noch eins,« flüsterte Termosesow und drückte Bornowolokows -Arm fest zusammen. »Daß Sie sich's nicht einfallen -lassen, Ihren Kusinen vorzuflunkern … denn die -Briefe wurden nicht nur von mir gelesen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_273">[273]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_16">Sechzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die verschwundenen Brillanten der Biziukina, das Blachdnublach, -die Niederlage Achillas und Prepotenskijs, die -Liebelei mit Daria Nikolajewna und die Eroberung der Postmeisterin, -endlich die Mattsetzung Bornowolokows, – alle -diese Ereignisse, die sich in knapp vierundzwanzig Stunden -abgespielt hatten, waren Termosesow selbst ein wenig zu -Kopf gestiegen. Er fühlte ein unüberwindliches Verlangen -nach Schlaf und streckte sich auf dem Heu des Wagens aus, -wo er sofort einschlief und erst sehr spät am Morgen wieder -erwachte. Die kühle Scheune, welche Termosesow zu seinem -Schlafgemach gewählt hatte, blieb geschlossen und Ismail -Petrowitsch rekelte sich noch lange nach dem Erwachen auf -seinem Lager, kratzte sich die Fußsohlen und dachte nach.</p> - -<p>Seine Gedanken waren insofern bemerkenswert, als das -Vergangene und Geschehene für sie absolut nicht vorhanden -war; ebensowenig beschäftigten sie sich mit einer der neuen -Personen, gegen die Termosesow mit so kühner Ungeniertheit -vorgegangen war. So seltsam das auch klingen mag, – -Termosesow besaß wirklich eine gewisse Harmlosigkeit, die -sich mit einer maßlosen sittlichen Laxheit und Frechheit und -einer vollkommenen Gleichgültigkeit gegen alle Menschen und -ihr Urteil paarte. Er dachte nie daran, daß die Person, mit -der er im Augenblick zu tun hatte, schon früher existiert hätte, -ehe sie ihm in den Weg gekommen, und daß sie auch weiterhin<span class="pagenum"><a id="Seite_274">[274]</a></span> -existieren wolle; daß sie infolgedessen auch ihr eigenes -Verhältnis zur Vergangenheit und ihre eigenen Zukunftsaussichten -habe. Ihm kam es so vor, als tauchten die Menschen -vor ihm auf wie Wasserblasen oder Pilze, nur für den -Moment, wo er sie zu Gesicht bekam, und darum glaubte er -über sie völlig nach Belieben verfügen und sie ausbeuten zu -dürfen, was er denn auch in der unverschämtesten Weise tat. -Hatte er aber erreicht, was er wollte, so vergaß er den andern -bald ganz und gar. In seiner zynischen Redeweise drückte er -das ganz naiv aus: »Wenn ich jemanden gekränkt habe, -bin ich später nie böse auf ihn.« Und so war es auch. Wenn -jetzt plötzlich Achilla oder Prepotenskij zu ihm in die Scheune -gekommen wären, so hätte er sie ganz freundschaftlich angeredet, -ohne auch nur im geringsten an die gestrigen Ereignisse -zu denken. Als er auf Bornowolokow, den er längst -vergessen hatte, stieß, packte er ihn: »An dem bleib' ich hängen!« -meinte er. Und blieb an ihm hängen. Als er die -Biziukina traf, kam's ihm in den Sinn, ihr den Hof zu -machen – und er machte ihr den Hof. Als er – der Teufel -mag wissen, zu welchem Zweck – ihr seine höhere politische -Weisheit beibrachte, kam ihm der Gedanke, sich ihre Brillanten -anzueignen, und alsbald ward dieser Gedanke ausgeführt. -Dabei wurden die Brillanten so schlau versteckt, daß, -falls die Biziukins es zu einer Haussuchung hätten kommen -lassen, sie sich natürlich nicht bei Termosesow, sondern bei -Bornowolokow gefunden hätten, der diese Kostbarkeiten fast -am eigenen Leibe trug: Termosesow hatte sie nämlich in -das Futter seines Mantels eingenäht. Die Person des -Propstes Tuberozow beschäftigte die Gedanken Termosesows -überhaupt nicht; als die Biziukina über ihn zu klagen begann, -versprach er leichtfertig, den Alten aus dem Wege zu -räumen, – und dann erst kam ihm die Idee, Tuberozow<span class="pagenum"><a id="Seite_275">[275]</a></span> -als Beweisobjekt für seine »Beobachtungsgabe« zu benutzen. -Jetzt aber hätte keine Gewalt der Erde ihn mehr von dem -hartnäckigen Streben nach Verwirklichung dieses Planes abbringen -können.</p> - -<p>Hätte der alte Propst dies gewußt, er würde die ihm zugedachte -Rolle als bitterste Kränkung empfunden haben. -Allein er hatte keinerlei Ahnung von dem, was ihm bevorstand, -und fuhr auf seinem Klapperwagen von Dorf zu Dorf, -von Kirche zu Kirche, durchwanderte weite Waldstrecken zu -Fuß, ruhte auf Wiesen und an Feldrainen und schöpfte neue -Kraft aus der Berührung mit der Mutter Natur.</p> - -<p>In der Stadt aber war inzwischen, dank den unermüdlichen -Bemühungen Termosesows, die Schlinge schon ausgelegt. -Die Beschwerde des Kleinbürger Danilka war den -Instanzenweg gegangen, eine Bagatelle war zu einer Angelegenheit -geworden, die auf gesetzlichem Wege entschieden -werden mußte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_276">[276]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_17">Siebzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die aufregenden Berichte vom Mißgeschick des Diakons -Achilla und davon, daß man auch ihn, den Propst selbst, in -diese nichtige Sache verwickelt hatte, trafen den Vater Sawelij -in einem weit abgelegenen Kirchdorf, von dem er wenigstens -zwei Tage zu reisen hatte, bis er die Stadt erreichte.</p> - -<p>Es war unerträglich heiß. Vom letzten Dorf, in dem -Tuberozow übernachtet hatte, waren es noch etwa fünfzig -Werst bis zur Stadt. Der Propst war ziemlich spät ausgefahren -und hatte noch kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt, -als die Hitze so groß wurde, daß Tuberozow seine -armen, von Schweiß und Schaum triefenden braunen Pferdchen -gar nicht mehr ansehen mochte. Er beschloß deshalb, -noch einmal Halt zu machen, um die Tiere zu füttern und -sie ausruhen zu lassen. Aber keine Herberge wollte er aufsuchen: -er erinnerte sich eines wunderschönen Plätzchens am -Waldrand, der sogenannten »Zaunkönigshöhe«, dorthin zog -es ihn, um in der Kühle zu rasten.</p> - -<p>Von dem weiten flachen Abhang, der sich hier niedersenkt, -erblickt man auf einer Entfernung von mehr als zwanzig -Werst die goldenen Kuppeln der städtischen Kirchen, während -der jahrhundertealte Wald sich im Rücken endlos hinzieht. -Tiefe Stille und Ruhe herrschen hier.</p> - -<p>Von der Glut ermattet, hatte Tuberozow eben den Wagen -verlassen, als ihn ein ungemein wohliges Gefühl übermannte.<span class="pagenum"><a id="Seite_277">[277]</a></span> -Trotz der ringsum herrschenden Hitze strömte das -dichte dunkelblaue junge Eichengehölz eine belebende Kühle -aus. An den elastischen, wie in grünes Wachs getauchten -Blättern der Jungeichen war kein Stäubchen zu entdecken. -Überall warme, weiche, beruhigende Farben. Unter den -bunten krausen Blättern des Farnkrautes guckt die leuchtendrote -Wolfsbeere hervor. Von der Sonne vergoldet, reckt -sich ein trockener Haselstrauch in die Luft, und auf dunkelbraunem -Torfboden erheben sich ganze Pilzfamilien, zwischen -denen rote Steinbeeren wie Korallen glänzen.</p> - -<p>Während Pawliukan, in Unterwäsche und Weste, die erhitzten -Pferde ausspannte und umherführte, ging der Propst -ein wenig im Walde spazieren. Er holte sich aus dem Wagen -einen kleinen Teppich und trug ihn zu einer grünen Vertiefung, -aus der lärmend und schäumend eine Quelle sprang. -Hier wusch er sich mit dem frischen Wasser und streckte sich -zur Ruhe auf dem Teppich aus. Das gleichmäßige Murmeln -des Baches und die Kühle umwehten wohltuend das von -der Hitze ganz benommene Haupt des Alten, und ohne es -selbst zu merken, war er wider seinen Willen eingeschlafen. -Der Schlaf war stärker, er warf ihn nieder und hielt ihn fest. -Er wollte dem Pawliukan etwas sagen, aber der Schlaf -hielt ihm mit weicher Hand den Mund zu.</p> - -<p>Der Traumgott hatte den Propst so in seiner Gewalt, -daß Pawliukan ihn vergebens an den Schultern rüttelte, -um ihn zum Essen einer vorzüglichen Grütze aus Buchweizen -und frischen Pilzen aufzufordern. Tuberozow blinzelte nur -mit den Augen: »Iß, mein Lieber, ich schlafe so süß,« – -und lag alsbald in noch tieferem Schlummer.</p> - -<p>So verzehrte Pawliukan sein Mittagessen allein und folgte -dann dem Beispiel seines Vorgesetzten. Auch die Pferde -wurden still, ließen die Köpfe hängen und schlummerten ein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_278">[278]</a></span></p> - -<p>Ringsum schien alles in einem Zauberschlaf zu liegen. -Eine so tiefe Stille herrschte, daß ein Hase, der aus der Waldestiefe -hinausgesprungen kam und sich, leise mit dem Schnurrbart -wackelnd, auf die Hinterbeine setzte, plötzlich ganz verlegen -wurde und mit weit zurückgeworfenen Ohren eiligst -wieder im Walde verschwand.</p> - -<p>Tuberozow ertappte sich beim Erwachen dabei, daß seine -Lippen mit großer Anstrengung die Worte »guten Tag« -herausbrachten – allem Anschein nach als Erwiderung auf -einen Gruß.</p> - -<p>»Wen begrüße ich da? Wer war hier bei mir?« fragte er -sich, den Schlaf abschüttelnd. Und es wollte ihn bedünken, -als hätte soeben jemand neben ihm gestanden, kühl und still, -in einem Gewande von der Farbe einer reifenden Pflaume … -So deutlich empfand er alles, daß er sich schnell, auf den -Ellbogen gestützt, aufrichtete, aber nur den schlafenden Pawliukan, -seine braunen Pferde und den Wagen sah. Der langen -Ruhe satt, suchte das Seitenpferd sich den Halfter vom Kopfe -zu streifen. Es trat zur Seite, warf sich nieder, wälzte sich -im Grase, stand wieder auf und reckte witternd den Hals. -Tuberozow war noch immer im Halbschlaf. Das Pferd ging -weiter, bückte sich nach dem dichten Grase am Waldrand und -biß die Spitze eines jungen Eichbäumchens ab. Endlich kam -es bis zu dem mit wildem Klee bewachsenen Grenzpfad und -zog die warme Luft ein. Sawelij sah immer noch vor sich -hin und konnte seinen Zustand nicht begreifen. Es war weder -Schlaf noch Wachen. Die Feuchtigkeit seines Ruheplatzes -schien ihn betäubt zu haben; ihm war, als wogten Dämpfe -in seinem Kopf. Er rieb sich die Augen und blickte in die -Höhe: droben im Blauen über seinem Kopfe schwebte ein -Rabe. Oder war es ein Geier? Nein, es mußte ein Rabe -sein. Er hielt sich fester und zog weitere Kreise … Jetzt kam es<span class="pagenum"><a id="Seite_279">[279]</a></span> -von oben herab wie eine hingeworfene Handvoll Erbsen: -ku–urlu. So schreit nur ein Rabe. Wonach mag er -spähen? Was will er? Vielleicht ist er des Kreisens müde -und möchte von dem Wasser unten trinken. Tuberozow -kam eine Legende in den Sinn, die sich auf diese Quelle bezog. -Sie sollte einen wunderbaren Ursprung haben. Das reine -durchsichtige Becken der Quelle glich einer in die Erde gegrabenen -Schale von Kristall, welche einem Blitzstrahl ihre -Entstehung verdankte, der vom Himmel kam und tief in -das Innere der Erde drang. Gerade an der Stelle, wo vor -sehr, sehr langer Zeit ein vom Kampf ermatteter russischer -Held hingesunken sein sollte, den eine gewaltige Übermacht -der Ungläubigen von allen Seiten umzingelte. Rettung -schien für den Ritter, der allein war, ganz unmöglich. Er -flehte zum Heilande, daß er ihn vor schimpflicher Gefangennahme -bewahre. In demselben Augenblick, so berichtet die -Sage, zückte aus völlig klarem Himmel ein Blitzstrahl nieder -und sprang wieder in die Höhe. Ein Donnerschlag folgte, -so gewaltig, daß die Rosse der Tataren in die Knie sanken -und ihre Reiter abwarfen. Als sie sich erhoben, war der -Ritter verschwunden. An der Stelle aber, an welcher er sich -eben noch befunden, stieg, schäumend und wie tausend Diamanten -glitzernd, ein mächtiger Strahl kalten Quellwassers -in die Höhe; in wildem Zorn peitschte er die Wände des -Erdkessels und als silbernes Bächlein floß er weiter über -die grüne Wiesenfläche.</p> - -<p>Ein Wunder dünkt diese Quelle allen und das Volk behauptet, -ihrem Wasser sei eine Zauberkraft eigen, die selbst -die Tiere und die Vögel kennen. Alle wissen das, allen ist -es bekannt, denn alle fühlen hier die immerwährende geheimnisvolle -Gegenwart des entrückten Glaubenskämpen. -Hier tut der Glaube Wunder und darum ist alles hier so<span class="pagenum"><a id="Seite_280">[280]</a></span> -mächtig und so stark, vom Gipfel der hundertjährigen Eiche -bis zum Pilz, der sich zwischen ihren Wurzeln verbirgt. Sogar -das scheinbar ganz Abgestorbene wird hier wieder lebendig: -Da steht der dünne, vertrocknete Haselstrauch; er ist vom Blitz -gestreift, aber auf der Rinde, dicht über der Wurzel, bemerkt -man, wie mit grünem Wachs aufgestrichen, ein »Peterskreuz«, -und von hier wird bald ein neues Leben ausgehen … -Ja, die Gewitter sollen hier böse sein, heißt es.</p> - -<p>»Freilich, freilich, es gibt bekanntlich solche Gegenden mit -außerordentlich starker elektrischer Spannung,« dachte Tuberozow, -und es kam ihm vor, als bewegten sich die grauen -Haare auf seinem Kopfe. Kaum war er aufgestanden, so erblickte -er nur wenige Schritte entfernt ein kleines blaßgelbes -Wölkchen, dessen Umrisse sich fortwährend veränderten, während -es langsam den Grenzpfad entlang kroch, auf dem sich das -freigekommene Pferd herumtrieb. Es schien direkt auf das -Pferd loszusteuern. Aber als es bis zu ihm gekommen war, -fing es plötzlich zu hüpfen an, wirbelte empor und zerflatterte, -wie der Rauch aus einem Kanonenrohr. Das Pferd schnaufte -wild und stürmte, kaum den Boden berührend, angsterfüllt -vorwärts.</p> - -<p>Tuberozow sprang hastig auf, weckte Pawliukan, half -ihm auf das andere Pferd klettern und schickte ihn dem -Flüchtling nach, von dem schon jede Spur verschwunden -war.</p> - -<p>»Beeil dich, hol es ein,« sagte Sawelij zum Subdiakon -und warf einen Blick auf seine silberne Uhr: es war etwas -über drei Uhr nachmittags.</p> - -<p>Der Alte setzte sich barhäuptig in den Schatten, gähnte -und fuhr plötzlich zusammen, da er in der Ferne ein schweres -Dröhnen vernommen zu haben glaubte.</p> - -<p>»Was ist das? Ein Gewitter?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_281">[281]</a></span></p> - -<p>Er stand wieder auf, ging an den Waldrand hinaus und -sah, daß von Osten her wirklich eine dunkle Wolke heraufzog. -Das Gewitter überraschte ihn ganz allein.</p> - -<p>Noch ein Schlag! Das Feld wogte heftiger und kalt -wehte es darüber hin.</p> - -<p>An die schwarze Wolke, welche den Osten ganz bedeckte, -rückten von unten her kleinere Wolkenballen heran, gleichsam -von ihr heraufgezogen wie Kulissen. Ab und zu brach eine -Flamme zwischen ihnen durch. So überschaut ein Zauberkünstler, -der eine schauerliche Vorstellung geben will, mit der -Laterne in der Hand, noch einmal die dunkle Bühne, bevor -er alle Lichter anzündet und den Vorhang hochzieht. Die -schwarze Wolke kroch weiter und je näher sie rückte, desto undurchdringlicher -schien sie. Vielleicht läßt der liebe Gott sie -vorüberziehen? Vielleicht entlädt sie sich irgendwo weiter -draußen? Doch nein! Schon zuckt über ihren oberen Rand -leise ein feuriger Streif und Blitze flimmern und flackern -plötzlich leuchtend durch die ganze finstere Masse. Die Sonne -ist nicht mehr zu sehen: Wolken haben ihre Scheibe bedeckt, -ihre langen, degenartigen Strahlen zucken noch einmal hell -auf, um dann auch zu verschwinden. Ein Wirbelwind erhebt -sich pfeifend und dröhnend. Wie Fahnen flattern die Wolken. -Über das reifende Roggenfeld laufen weiße Flecken wild hin -und her. Einer scheint unmittelbar vom Himmel herabzufallen, -ein anderer setzt sich dick und breit hin. Plötzlich laufen -beide auf einander los, fließen in eins zusammen und verschwinden. -Am Feldrain schüttelt der Wind die Ähren so -seltsam, daß man meinen könnte, es wäre nicht der Wind, -sondern ein lebendes Wesen hätte sich am Boden versteckt -und treibe wütend seinen Unfug. Der Wald ist voll Lärm. -Eine Zickzacklinie flammt über dem Walde auf; eine andere -zuckt hoch über den Wipfeln, und dann wird es still … ganz<span class="pagenum"><a id="Seite_282">[282]</a></span> -still! … Kein Blitz, kein Wind: alles ist wie gebannt. Das -ist die Stille vor dem Sturm: alles, was noch nicht Zeit gehabt -hat, sich vor dem Unwetter zu verstecken, sucht diesen -letzten stillen Augenblick noch auszunutzen: ein paar Bienen -fliegen an Tuberozow vorüber, es ist, als flögen sie nicht, -sondern als würden sie von einem Windstoß fortgerissen. -Aus dem dunklen Gesträuch, das jetzt ganz schwarz erscheint, -hüpfen ein paar erschrockene Hasen heraus und legen sich in -eine Furche. Über das Gras, das bei der Beleuchtung grau -wie Asphalt aussieht, rollt ein silberner Knäuel und verschwindet -unter der Erde. Es war ein Igel. Alles verbirgt -sich, so gut es kann. Da als letzter stürzt sich auch der Rabe, -welcher vorhin so hoch schwebte, die Flügel hart an den -Rücken gedrückt, hinab auf den Wipfel eines hohen Eichbaums, -wo man ihn jetzt schwerfällig rascheln hört.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_283">[283]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_18">Achtzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Tuberozow war nicht furchtsam, aber sehr nervös, und -solche Menschen werden bei starken elektrischen Entladungen -von einer unwillkürlichen und unbezwinglichen Unruhe befallen. -Diese Unruhe verspürte auch er, als er sich umschaute -und überlegte, wo er wohl am besten vor dem Gewitter, -dessen Ausbruch unmittelbar bevorstand, geschützt wäre.</p> - -<p>Seine erste Bewegung war, nach seinem Wagen zu laufen, -einzusteigen und sich zuzudecken; aber kaum hatte er hier -Platz genommen, so begann es im Walde zu knarren und zu -krachen, und der Wagen wurde hin und her geschüttelt, wie -eine Kinderwiege. Auf diesen Unterschlupf war also kein -Verlaß: der Wagen konnte sehr leicht umgeworfen werden -und ihn erdrücken.</p> - -<p>Tuberozow sprang wieder hinaus und lief ins Kornfeld. -Der Wirbelwind packte ihn bald von vorn, bald von der -Seite, zwang ihn, stehen zu bleiben, riß ihn an den Schößen -zurück, pfiff, trompetete, winselte und brüllte ihm in die -Ohren.</p> - -<p>Tuberozow lief wieder zur Quelle. Aber in dem Kristallbecken -herrschte eine noch größere Unruhe: das Wasser brauste -und kochte, und durch die Kreise, die es bildete, schien ein in -der Tiefe verborgenes Wesen sich emporarbeiten zu wollen. -Plötzlich flammte es über der dunkeln, bleiernen Wassermasse -blutigrot auf. Es war ein Blitzschlag, aber was für ein seltsamer<span class="pagenum"><a id="Seite_284">[284]</a></span> -Schlag! Wie ein Pfeil fuhr er, in zweimaligem Zickzack -gebrochen, von oben herab, spiegelte sich im Wasser wider -und wirbelte im selben Augenblick, ebenso gezackt, wieder -zum Himmel empor, als hätten Himmel und Erde einen -feurigen Gruß getauscht. Ein knatternder Schlag folgte, als -stürzten sämtliche Dachplatten von einem Hause herab, und -eine gewaltige Wolke von Wasserstaub und Schaum sprudelte -springbrunnenartig aus der Quelle empor.</p> - -<p>Tuberozow legte die Hände vor das Gesicht, sank auf ein -Knie und befahl Seele und Leben dem Allmächtigen. Jetzt -brach auf den Feldern und im Walde eine jener Gewitterkanonaden -los, welche dem Menschen seine völlige Hilflosigkeit -gegenüber den Naturgewalten so besonders klar vor -Augen führen. Blitze flammten auf. Krachend folgte Schlag -auf Schlag. Mit einem Male sah Tuberozow, wie auf den -dunklen Eichenstamm vor ihm gleich einer trüben Lampe -schimmernd eine Kugel zuschwebte. Mitten im Gezweig des -Baumes leuchtete der Funke plötzlich in blendendem Lichte -auf, wuchs zu einem großen Klumpen und zerstob. Ein -furchtbares Getöse erschütterte die Luft, dem alten Manne -ging der Atem aus, um seine Finger und Zehen drehten sich -glühende Ringe, der Körper reckte sich krampfhaft empor, -knickte zusammen und fiel hin …</p> - -<p>Ein Bewußtsein erfüllte ihn noch: daß alles zusammenbrach. -Daß das Ende nahe! Weiter konnte er nichts denken … -Als er zu sich kam, wußte er nicht, wieviel Zeit seit dem Augenblick -vergangen war, da der Schlag ihn getroffen, und wie -lange er bewußtlos gelegen hatte. Er hörte nur noch ein -letztes, dumpfes, langsames Rollen weit droben, – dann -trat völlige Ruhe ein. Das Wetter zog ab. Sawelij hob -den Kopf, blickte um sich und bemerkte in seiner nächsten Nähe -auf dem Boden etwas Riesiges, Unförmiges. Es war ein<span class="pagenum"><a id="Seite_285">[285]</a></span> -Haufen Zweige, der Wipfel des gewaltigen Eichbaums. Wie -mit einem Messer war der Baum dicht über der Wurzel abgeschnitten -und lag auf der Erde. Aus seinem Gezweig, das -sich mit den Kornähren des Feldes mischte, erklang das -widerliche Kreischen des Raben, der mit dem Baum gestürzt -war. Ein schwerer Ast hatte ihn an die Erde gedrückt, -und nun riß er seinen purpurroten Rachen weit auf, -zuckte in Krämpfen und schrie verzweifelt.</p> - -<p>Angewidert durch dies Schauspiel sprang Tuberozow mit -einer Geschwindigkeit und Leichtigkeit zur Seite, als wäre er -nicht siebzig Jahre alt, sondern siebzehn.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_286">[286]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_19">Neunzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Das Gewitter hatte sich ebenso schnell verzogen, wie es gekommen -war. An Stelle der schwarzen Wolke hob sich vom -blauen Grunde ein rosiger Streifen ab. Auf dem nassen -Hafersack, der auf dem Bock des Wagens lag, saßen schon -fröhlich zwitschernde Spatzen und zogen frech nasse Körner -durch die Löcher der feuchten Leinewand. Der Wald wurde -wieder lebendig. Irgendwoher kam ein leises, einschmeichelndes -Pfeifen, und auf den Rain ließ sich laut girrend ein -Taubenpärchen herab. Das Weibchen streckte seinen Flügel -über dem Boden aus, strich ihn mit seinem roten Pfötchen -und richtete ihn segelartig empor, um sich vor dem Freunde -zu verbergen. Der Tauber blies den Kropf auf, machte eine -tiefe Verbeugung und sagte gefühlvoll: »Nur du!« Auf -diese Begrüßung folgten Küsse, und fieberhaft bebten die -Flügel im dichten Gewirr der Wermutstauden. Das Leben -nahm wieder seinen Lauf. Pferdegetrappel ertönte in nächster -Nähe: Pawliukan kam zurück. Er ritt auf dem einen Pferde -und führte das andere am Zügel.</p> - -<p>»Nun, lebt Ihr noch, Vater!« rief er lustig, auf den Wagen -zureitend und absteigend. »Ich eilte, was ich konnte, daß -Ihr nicht allein vom Unwetter überrascht würdet, aber wie -der Donner plötzlich so dreinfuhr, da bin ich, müßt Ihr wissen, -vom Pferde runter einfach platt auf den Boden gefallen … -Und hier hat's ja den Eichbaum abgeschnitten!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_287">[287]</a></span></p> - -<p>»Ja, mein Freund, das hat es. Aber laß uns nun anspannen -und fahren.«</p> - -<p>»Gott, muß das eine Gewalt gewesen sein!«</p> - -<p>»Ja, Freund, aber fahren wir.«</p> - -<p>»Es weht jetzt so ein frischer Wind, da wird sich's herrlich -fahren.«</p> - -<p>»Ja, herrlich, aber spann nur schnell an.«</p> - -<p>Und Tuberozow machte sich in seiner Ungeduld selbst an -die Arbeit.</p> - -<p>In wenigen Minuten waren die im Regen gebadeten -Pferde angespannt, und der Wagen des Propstes sauste dahin, -fröhlich in den zahllosen Lachen des furchenreichen Landweges -plätschernd.</p> - -<p>Die Luft war wunderbar frisch und rein. Ein warmes -Licht lag über der Landschaft. Leichter Dampf stieg von den -Feldern auf. Es roch nach feuchten Haselzweigen. Tuberozow -fühlte sich in seinem Wägelchen so wohl wie seit langem nicht. -Er zog immer wieder tief Atem und freute sich, daß er es -so leicht konnte. Er kam sich vor wie ein Adler, dem neue -Flügel gewachsen waren.</p> - -<p>Vor der Stadt begrüßte ihn helles Glockengeläute, das -die Andächtigen zum Vespergottesdienste rief.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_288">[288]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_20">Zwanzigstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Wagen Tuberozows rollte in den Hof.</p> - -<p>»Ach Gott, Vater Sawelij, wie hab' ich mich um dich gebangt!« -schrie Natalia Nikolajewna und stürzte ihrem Gatten -entgegen. »Das furchtbare Gewitter, – und du warst ganz -allein, mein Herz!«</p> - -<p>»Ja, Liebste, ich war nur einen Schritt vom Tode entfernt.«</p> - -<p>Und der Propst erzählte seiner Frau alles, was er an der -Quelle erlebt hatte, und fügte hinzu, daß er von nun an -gleichsam ein zweites Leben lebe, nicht mehr sein eigenes, -sondern das eines andern. Es sei ihm dies eine Lehre und -zugleich ein Vorwurf, nie an die Vergänglichkeit und Nichtigkeit -seines kurzen Lebens gedacht zu haben.</p> - -<p>Natalia Nikolajewna zwinkerte nur mit den Äuglein und -sagte seufzend:</p> - -<p>»Willst du jetzt nicht etwas essen?« – Und als der Gatte -daraufhin nur verneinend den Kopf schüttelte, fragte sie, ob -er Durst habe.</p> - -<p>»Durst?« wiederholte Sawelij. »Ja, ich dürste.«</p> - -<p>»Willst du Tee?«</p> - -<p>Der Propst lächelte, küßte seine Frau auf den Scheitel -und sagte:</p> - -<p>»Nein, mich dürstet nach Wahrheit.«</p> - -<p>»Ei was! Dank sei deinem Gotte! Alles, was du tust, ist gut.«</p> - -<p>»Schon recht, schon recht, – aber jetzt will ich mich waschen. Und -du erzählst mir indes, was sie hier mit dem Diakon anstellen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_289">[289]</a></span></p> - -<p>Und der Propst trat vor das glänzende kupferne Waschgerät -und wusch sich, und Natalia Nikolajewna berichtete ihm -alles, was sie von Achilla wußte, und zog daraus den Schluß, -es werde damit nichts anderes bezweckt, als ihm, ihrem -Manne, etwas Böses anzutun.</p> - -<p>Der Propst schwieg. Als er seine Toilette beendet hatte, -nahm er Hut und Stab und begab sich zur Kirche, wo der -Vespergottesdienst bereits begonnen hatte.</p> - -<p>Fünf Minuten später stand er im Altarraum seitwärts -vom Opfertisch am Fenster und schrieb etwas auf ein Blatt -Papier, welches er gegen das schräge, von der untergehenden -Sonne hell beleuchtete Fensterbrett stützte. Was mag er da -schreiben? Wir können es über seine Hand hinweg ganz gut -lesen. Folgendes stand auf dem an den Polizeichef Porochontzew -adressierten Blatte: »Da ich die Absicht habe, -morgen anläßlich des hohen Festtages eine feierliche Messe -in der Domkirche abzuhalten, so erachte ich es für meine -Pflicht, Euer Hochwohlgeboren davon in Kenntnis zu setzen, -und knüpfe daran die ergebenste Bitte, heute noch rechtzeitig -allen Beamten davon schriftlich, gegen Empfangsbestätigung, -Mitteilung zu machen, damit dieselben in der Kirche erscheinen -können. Insonderheit bitte ich dieses denjenigen -Herren Beamten zu empfehlen, die am meisten dazu neigen, -diese ihre Pflicht zu vernachlässigen, denn ich bin entschlossen, -über das schlechte Beispiel, das sie damit geben, der Obrigkeit -unverzüglich Bericht zu erstatten. Den Empfang dieses -Schreibens bitte ich Euer Hochwohlgeboren mir gütigst bestätigen -zu wollen.«</p> - -<p>Der Propst ließ sich das Botenbuch bringen, setzte eine -Nummer auf sein Schreiben, trug es eigenhändig ins Buch -ein und schickte den Glöckner damit zu Porochontzew.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_290">[290]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_21">Einundzwanzigstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Nacht, welche diesem Abend im Hause Sawelijs folgte, -erinnert uns an jene, da wir den Alten über seinem Tagebuche -sahen: er war ebenso allein in seiner Stube, ging ebenso -auf und ab, setzte sich ebenso hin, schrieb und sann nach, – -aber sein Buch lag diesmal nicht vor ihm. Auf dem Tisch, -an den er immer wieder herantrat, lag ein kleines doppelt -gefaltetes Blättchen, und auf dieses Blättchen setzte er in -winziger, aber doch deutlich lesbarer Schrift folgende fragmentarische -Notizen:</p> - -<p>»Gott, gib Dein Gericht dem Könige und Deine Gerechtigkeit -des Königs Sohne.«</p> - -<p>»Übliche Einleitung: meine gestrige Lage während des -Gewitters. Der Rabe: wie er sich vor dem Unwetter in der -mächtigen Eiche verbergen wollte und den Tod dort fand, -wo er Rettung gesucht hatte.</p> - -<p>Wie lehrreich mir das Beispiel dieses Raben scheint. Ist -das Heil dort, wo wir es wähnen, die Not dort, wo wir sie -fürchten?</p> - -<p>Unser maßloses Grübeln, das die Vernunft zu seinem -Sklaven macht. Die Gelehrsamkeit, welche die Möglichkeit -einer Erkenntnis des bisher Unfaßbaren leugnet.</p> - -<p>Die Unvollkommenheit und die Unsicherheit unseres Wissens -von der Seele. Das mangelnde Verständnis für die -Natur des Menschen und die daraus folgende leidenschaftslose<span class="pagenum"><a id="Seite_291">[291]</a></span> -Gleichgültigkeit gegen Gut und Böse und die falsche Beurteilung -menschlicher Handlungen: Rechtfertigung des nicht -zu Rechtfertigenden und Verurteilung des Lobenswerten. -Verdient Moses, der den Ägypter schlug, vom verkehrten -Standpunkt gewisser Liberaler, die das heiße Vaterlandsgefühl -verwerfen, nicht Tadel? Verdient Judas der Verräter -vom Standpunkt der ›blind im Gesetz Ruhenden‹ nicht -Lob, da er doch ›das Gesetz eingehalten‹, als er seinen Meister -verriet, den die Machthaber verfolgten? (Innozenz von Cherson -und seine Auslegung.) Auch unsere Tage sind reich an -Verführung: Vorwürfe gegen jene, die den Listen der heimlichen -Feinde des Staates nicht gleichgültig gegenüberstehen -können. Der große Verlust der Sorge um das Heil des -Vaterlandes und als letztes Beispiel die Nachlässigkeit in der -Erfüllung der Gebetspflichten an den großen Festtagen des -Volkes, die zur bloßen Formalität geworden sind.</p> - -<p>Auslegung der Worte: ›Gott, gib Dein Gericht dem -Könige‹ in dem Sinne, ›daß wir ein geruhig und stilles Leben -führen mögen‹ (St. Paulus). Welchen Wert hat ein solches -Leben? Beispiel: Rehabeam nach Salomo, umringt von -Freunden und Gespielen, die vor sein Antlitz treten und ihm -arglistig vorstellen, daß die Last des Volkes erleichtern eine -Erniedrigung seiner eigenen königlichen Würde bedeute, – -und wie er infolge ihres Rates die Not Israels vergrößerte.</p> - -<p>›Mein Vater hatte ein schweres Joch auf euch gelegt; ich -aber will zu eurer Last noch zulegen‹ (1. Kön. 11, 12). Das -Unglück, das dadurch entstand und die Teilung des Reiches.</p> - -<p>Hieraus geht klar hervor, daß wir wünschen und beten -müssen, daß das Herz des Herrschers sich in niemandes Händen -befinde, es sei denn in den Händen Gottes.</p> - -<p>Wir aber achten in unserer Sündhaftigkeit dieser Sorge -nicht, und wenn ich an einem solchen Tage das Gotteshaus<span class="pagenum"><a id="Seite_292">[292]</a></span> -nicht leer sehe, so weiß ich erst gar nicht, wie ich das deuten -soll! Ich suche nach Gründen und sehe, daß sich dieses einzig -durch die Angst vor meiner Drohung erklären läßt, und -daraus schließe ich, daß alle diese Beter ungetreue und faule -Knechte sind, und daß ihr Gebet kein Gebet ist, sondern ein -Schacher, ein Schacher im Tempel, angesichts dessen unser -Herr und Heiland Jesus Christus nicht nur in seinem göttlichen -Geiste ergrimmte, sondern auch eine Geißel nahm und -sie aus dem Tempel vertrieb.</p> - -<p>Seinem göttlichen Beispiele folgend, tadle und verurteile -ich diesen Gewissensschacher, den ich im Gotteshause vor mir -sehe. Der Kirche ist das Gebet solcher Mietlinge ein Greuel. -Vielleicht sollte auch ich eine Geißel ergreifen und die Krämer -hinaustreiben, die sich heut in diesem Tempel breit machen, -auf daß kein treues Herz Ärgernis nehme an ihrer Arglist … -Doch mag mein Wort ihnen als Geißel dienen. Mag -lieber das Gotteshaus leer stehen, mich soll das nicht irren: -ich will auf meinem Haupte den Leib und das Blut meines -Herrn in die Wüste tragen und vor den wilden Steinen im -Meßgewande singen: ›Gott, gib Dein Gericht dem Könige -und Deine Gerechtigkeit des Königs Sohne,‹ – auf daß -Rußland in Ewigkeit erhalten bleibe, dem Du wohlgetan -zu allen Zeiten!</p> - -<p>Schlußwort: Laß, o Herr und Schöpfer, unser Land nicht -zum Gespötte der Fremden werden, um der Arglist seiner -gewissenlosen und ungetreuen Diener willen!«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_293">[293]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_22">Zweiundzwanzigstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Das war der Entwurf zu einer Predigt, die Sawelij am -folgenden Tage zu halten beabsichtigte und auch wirklich vor -der versammelten Beamtenschaft hielt, – um damit nicht -nur seiner Tätigkeit als Prediger, sondern auch seiner ganzen -Amtstätigkeit ein jähes Ende zu bereiten.</p> - -<p>Die Intelligenz von Stargorod war der Meinung, es sei -keine Predigt, sondern ein Aufruf zur Revolution, und wenn -der Propst weiterhin so reden würde, werde sich bald kein Beamter -auch nur auf der Straße zeigen dürfen. Sogar die -besten Freunde Sawelijs warfen ihm unvorsichtige Aufhetzung -der Leidenschaften des Pöbels vor. Eine Ausnahme -machten nur die beiden Fremden: Bornowolokow und Termosesow. -Sie hatten die Predigt ebenfalls angehört, aber -nichts dazu gesagt und keinerlei Verstimmung gezeigt. Im -Gegenteil, als sie aus der Kirche kamen, war Termosesow -mit gefalteten Händen auf Bornowolokow zugegangen und -hatte mit freudestrahlendem Gesicht gesagt: »Herr, nun -lässest du deinen Diener in Frieden fahren.«</p> - -<p>»Was soll das heißen?« fragte der Vorgesetzte.</p> - -<p>»Das soll heißen, daß ich Sie verlasse. Leben Sie wohl -und lassen Sie sich's gut gehen, aber erweisen Sie mir noch -einen letzten Liebesdienst: melden Sie der Obrigkeit, der -Pope, über den Sie schon einmal berichteten, hätte heute, -aller Ehrfurcht bar, die einem so hohen Festtage geziemte,<span class="pagenum"><a id="Seite_294">[294]</a></span> -eine äußerst empörende Rede gehalten, über welche der von -Ihnen eigens dazu abdelegierte Sekretär Termosesow die -Ehre haben werde, persönlich eingehend Bericht zu erstatten.«</p> - -<p>»Hol Sie der Teufel! Schreiben Sie's auf, ich will's -unterzeichnen.«</p> - -<p>Die Freunde wollten sich eben voneinander verabschieden, -als der Kleinbürger Danilka, bleich und entsetzt, von Wasser -triefend, in zerfetztem Hemde hineingestürzt kam, Bornowolokow -zu Füßen fiel und jammerte:</p> - -<p>»Gnädiger Herr, schicken Sie mich fort, soweit Sie wollen, -– aber hier kann ich nicht bleiben! Sie stehen alle am Ufer -und jeder will mir in die Fresse fahren!«</p> - -<p>Und Danilka erzählte, man hätte schon gedroht, ihn totzuschlagen, -weil er sich über den Propst beschwert hätte, – -und zum Beweis zeigte er sein nasses und zerrissenes Gewand; -das Volk hätte ihn eben von der Brücke in den Fluß geworfen.</p> - -<p>»Famos! Aufruhr und Empörung!« rief Termosesow -freudig und setzte, mitten im Zimmer stehend, seine Mütze -auf. »Sehn Sie, so macht man's!« fügte er zu Bornowolokow -gewandt hinzu.</p> - -<p>Und dann reiste er ab. Unmittelbar darauf verließ auch -Bornowolokow die Stadt in entgegengesetzter Richtung, um -anderweitig für Ordnung und Gesetzlichkeit zu wirken.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_295">[295]</a></span></p> - -<h3 id="kap3_23">Dreiundzwanzigstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Schon fing man in Stargorod an, Tuberozows Predigt -zu vergessen, als gegen Abend des dritten Tages ein Postkarren -zwei eigentümliche Gäste in die Stadt brachte: einen -langen hageren Polizeiwachtmeister und einen dicken Konsistorialbeamten, -rund und schwammig, wie ein Bauernpfannkuchen, -mit einem winzigen Knöpfchen als Nase.</p> - -<p>Es waren die Sendboten, die nach Sawelijs Seele kamen: -Unter ihrer Obhut sollte der Propst in die Gouvernementsstadt -gebracht werden. In einer halben Stunde wußte es -die ganze Stadt. Vor dem Hause Tuberozows stand bald -eine große Menschenmenge, und nach einer Stunde ging die -Tür des Hauses auf, aus der Vater Sawelij völlig reisefertig -heraustrat. Natalia Nikolajewna ging neben ihm, ihr -Taubenköpfchen an seinen Ellbogen drückend.</p> - -<p>Sie hatten sich gegenseitig zu beruhigen gewußt und jetzt -offenbarte auch nicht eine Träne ihre etwaige Schwäche.</p> - -<p>Das Volk, das auf den Propst gewartet hatte, drängte -lärmend vorwärts. Tuberozow nahm den Hut ab und verneigte -sich tief nach allen Seiten.</p> - -<p>Der Lärm verstummte; vielen traten die Tränen in die -Augen und alle bekreuzigten sich.</p> - -<p>Der mit drei Pferden bespannte Postwagen, welcher bisher, -auf Befehl des zartfühlenden Polizeichefs, hinter dem -Hause verborgen gestanden hatte, fuhr vor.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_296">[296]</a></span></p> - -<p>Der Propst setzte den Fuß auf den Tritt und faßte mit der -Hand die Lehne des Wagensitzes. In diesem Augenblick -griff ihn der Wachtmeister unter den Ellbogen und der -Konsistorialbeamte zog ihn an der andern Hand empor … -Von Ekel erfaßt fuhr der Alte zusammen. Sein Kopf begann -heftig zu wackeln wie der einer Puppe, die eine Drahtfeder -im Halse hat.</p> - -<p>Natalia Nikolajewna trat neben ihren Mann, faßte seine -Hand und flüsterte: »Schone dein Leben, Liebster!«</p> - -<p>Tuberozow sah sie an und erwiderte:</p> - -<p>»Sei unbesorgt. Das Leben ist schon zu Ende. Jetzt beginnt -das Erdenwallen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_297">[297]</a></span></p> - -<h2 id="Viertes_Buch">Viertes Buch.</h2> - -<h3 id="kap4_1">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Das Leben ist zu Ende, das Erdenwallen beginnt,« hatte -Tuberozow im letzten Augenblick vor seiner Abreise gesagt. -Dann war das Dreigespann den Berg hinaufgesaust und -hatte ihn den Blicken der Seinigen entzogen.</p> - -<p>Die Leute, die ihm das Geleit gegeben, blieben noch eine -Zeitlang, bis endlich ein jeder seines Weges ging. Die Nacht -brach herein, alle Pforten und Pförtchen wurden verschlossen -und verriegelt und der Mond konnte aus seiner blauen Höhe -auf dem vereinsamten Pfarrhofe nur noch die ebenfalls vereinsamte -Natalia Nikolajewna erblicken.</p> - -<p>Sie beeilte sich nicht, ins Haus zurückzugehen, sondern -saß weinend auf der Veranda, von der ihr Mann vor kurzem -heruntergestiegen war. Schluchzend drückte sie ihren kleinen -Kopf gegen das Geländer, – ach, sie hatte keinen Freund, -keinen Tröster! Doch nein! Ein Freund war da, ein treuer, -zuverlässiger Freund …</p> - -<p>Plötzlich wurde das Pförtchen weit aufgerissen und vor -die weinende Alte trat der Diakon Achilla. Er war barhäuptig, -in einem kurzen dicken Leibrock und weiten Hosen -und mit mehreren Säcken beladen. Hinter sich zog er zwei<span class="pagenum"><a id="Seite_298">[298]</a></span> -Pferde, deren jedes ein großes schweres Bündel auf dem -Rücken trug. Natalia Nikolajewna sah schweigend zu, wie -Achilla die Pferde in den Hof führte, sie von ihrer Last befreite, -und wieder zum Pförtchen ging, das er mit der Energie -eines sorgsamen Hausvaters verschloß und den Schlüssel in -die Tasche steckte.</p> - -<p>»Diakon! Du kommst zu mir!« rief Natalia Nikolajewna, -welche seine Absicht begriffen hatte.</p> - -<p>»Ja, du leidende Mutter, ich bin gekommen, dich zu behüten.«</p> - -<p>Sie umarmten und küßten sich, und Natalia Nikolajewna -begab sich in ihr Schlafzimmer, um dort weiter zu wachen, -Achilla aber brachte seine Pferde in die Scheune, breitete -dann eine Filzdecke auf der Veranda aus, streckte sich lang -auf derselben aus und vertiefte sich in den Anblick des Sternenhimmels. -Während der ganzen Nacht schlief er nicht. Er -dachte nur daran, wie er seinem Justizminister helfen könnte. -Das war etwas anderes, als den Warnawka verprügeln! -Hier war Verstand nötig. Aber was kann der Verstand -allein, wenn ihm keine äußere Gewalt zur Seite steht? Ja, -hätte man, wie es in dem Märchen erzählt wird, einen Zaubermantel -oder Siebenmeilenstiefel. Oder eine Tarnkappe! -Dann würde er gewußt haben, was er zu tun hätte! So -aber, so! Der Diakon wußte sich absolut keinen Rat, und -dennoch mußte etwas unternommen werden.</p> - -<p>Als Achillas Gedanken beim Zaubermantel und bei der -Tarnkappe angelangt waren, da kam es dem an keinerlei -sophistische Grübeleien Gewohnten vor, als fiele eine kaum -noch zu tragende, schwere Last ihm von der Seele, er atmete -auf und flog selbst auf dem Zaubermantel in die Ferne -hinaus. Unsichtbar trat er in den Siebenmeilenstiefeln und -mit der Tarnkappe zu dem einen und dem andern der hohen<span class="pagenum"><a id="Seite_299">[299]</a></span> -Würdenträger, zu denen er ohne Zaubermittel nicht hoffen -konnte zu gelangen. Er weckte sie durch einen sanften Rippenstoß -aus dem Schlaf und sagte: »Tut dem Pfarrer Sawelij -kein Leid an. Ihr werdet's sonst, wenn es zu spät ist, zu -bereuen haben.«</p> - -<p>Als die hohen Herren die Stimme des Unsichtbaren vernahmen, -warfen sie sich unruhig auf ihrem Lager hin und her, -sprangen plötzlich auf, liefen hinaus und schrien: »Um -Gottes willen, nehmt euch des Pfarrers Sawelij an!« … -Aber das alles läßt sich in unseren Tagen nur mit Hilfe -von Siebenmeilenstiefeln und einer Tarnkappe erreichen, und -es war gut, daß Achilla rechtzeitig daran gedacht und sich -damit versehen hatte. Dank ihnen allein konnte der Diakon -in seiner gelben Nankingkutte in einen strahlenden Palast -dringen, dessen Glanz ihn so unerträglich blendete, daß er -selbst nicht froh war, sich dort hineingewagt zu haben. Die -Stätte, welche er vorher besucht hatte, hätte schließlich wohl -auch genügt, aber die Siebenmeilenstiefel waren in Schuß -gekommen und hatten ihn an einen Ort gebracht, wo er -infolge der blendenden Helle kaum etwas unterscheiden -konnte, so daß er Sawelij und seine Mission am Ende ganz -vergaß und nur noch dachte, wie er wieder fortkommen -könnte. Die geschwinden Stiefel aber trugen ihn immer -höher und höher hinauf, und das Zauberwort, das ihnen -Halt gebieten konnte, hatte er vergessen …</p> - -<p>»Ich verbrenne, bei Gott, ich verbrenne!« schrie der Diakon -und versuchte sich hinter einem vor ihm auftauchenden kleinen -Schattenfleckchen zu verbergen, – als ihm zu seiner Verwunderung -aus diesem Fleckchen die sanfte Stimme des Zwerges -Nikolai Afanasjewitsch entgegentönte.</p> - -<p>»Hört doch auf, Vater Diakon, im Schlaf zu schreien, daß -Ihr verbrennt! Allenfalls vor Scham müßten wir alle verbrennen!«<span class="pagenum"><a id="Seite_300">[300]</a></span> -sprach der Zwerg, das Gesicht des Diakons durch -seine kleine Gestalt vor der Sonne schützend.</p> - -<p>Achilla sprang auf, stürzte zur Wasserbütte und leerte zweimal -hintereinander den großen eisernen Schöpfkrug.</p> - -<p>»Von was für einer Scham redest du da, Nikola?« fragte -er, seine Locken mit Wasser anfeuchtend.</p> - -<p>»Ei, wo ist unser Propst? He?«</p> - -<p>»Der Propst, Freund Nikolaurus, ist futsch. Gestern haben -sie ihn weggeschafft.«</p> - -<p>»Was heißt das – ›futsch‹, mein Herr? Wir müssen ihn -freibekommen!«</p> - -<p>»Liebster, ich hab' die ganze Nacht darüber gegrübelt, -aber ich kriege nichts raus.«</p> - -<p>»Das ist es eben. Einen Stein ins Wasser werfen kann -jeder, – aber ihn zurückbekommen?«</p> - -<p>Und Nikolai Afanasjewitsch wackelte auf seinen knarrenden -Stiefelchen in das Zimmer der Pröpstin, hielt sich hier -einen Augenblick auf und bat dann den Diakon, ihn zu begleiten. -Beide begaben sich erst zum Polizeichef und nachher -zum Richter. Mit beiden hatte der Zwerg eine lange Beratung, -aber weder der eine noch der andere konnte ihm -etwas Tröstliches sagen.</p> - -<p>»Das einzige, was ich tun kann,« sagte plötzlich der Richter, -»ist, an den Staatsanwalt in der Gouvernementsstadt zu -schreiben. Er ist ein Studiengenosse von mir und wird sicher -gern bereit sein, irgend etwas für den Propst zu tun.«</p> - -<p>Der Vorschlag fand lebhaften Beifall beim Polizeichef. -Nikolai Afanasjewitsch dachte anders darüber, hielt es aber -für unangebracht, zu widersprechen.</p> - -<p>Nun fragte sich's, wie man den Brief an seine Adresse -gelangen ließ? Die nächste Post ging erst in zwei Tagen, -eine Estafette schien beiden Beamten zu pomphaft, zudem<span class="pagenum"><a id="Seite_301">[301]</a></span> -konnte die Postmeisterin, die Freundin Termosesows, den -alle nach den von Achilla gemachten Angaben für den eigentlichen -Denunzianten hielten, diesem Ehrenmann mit derselben -Estafette Nachricht geben.</p> - -<p>Als er von dieser Schwierigkeit vernahm, erklärte der -Diakon, er würde schon alles regeln; wenn der Brief nur -fertig sei, setze er seinen Kopf zum Pfande, daß er sich morgen -in den Händen des Adressaten befinde.</p> - -<p>Abends, als es schon dunkelte, erschien vor dem Hause -des Vaters Zacharia ein riesiger schwarzer Reiter, klopfte -sacht ans Fenster und rief den »sanften Popen« beim Namen.</p> - -<p>Zacharia öffnete das Fenster und fragte, als er den Reiter -erblickte:</p> - -<p>»Bist du es, der da als Schreckgespenst kommt?«</p> - -<p>»Pst … Ruhe und Schweigen tun not!« antwortete der -Reiter geheimnisvoll und suchte sein ungeduldiges Roß -durch kräftigen Schenkeldruck ruhig zu halten.</p> - -<p>Zacharia sah sich nach allen Seiten um – Straße und -Ufer waren menschenleer – und flüsterte:</p> - -<p>»Wohin willst du und was beabsichtigst du?«</p> - -<p>»Ich kann Euch nichts mitteilen, denn ich habe mein Wort -gegeben,« antwortete der Reiter mit derselben geheimnisvollen -Miene wie vorhin. »Ich bitte Euch nur, sucht mich -morgen nicht und fragt nicht nach dem Zweck meines Ritts … -Doch, ob ich auch mein Wort gegeben, ich will's Euch allegorisch -sagen:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Nordwärts zieht's den Kosaken hin<br /></span> -<span class="i0">Und nicht nach Ruhe steht sein Sinn,<br /></span> -</div></div> - -<p class="noind">in der Mütze aber hab' ich</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Ein Schreiben an den Zaren Peter<br /></span> -<span class="i0">Über den Hetman, den Verräter …<br /></span> -</div></div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_302">[302]</a></span></p> -<p>Habt Ihr verstanden?«</p> - -<p>»Nichts hab' ich verstanden.«</p> - -<p>»So muß es auch bei einer richtigen Allegorie sein.«</p> - -<p>Der Reiter schlug sich mit der Faust gegen die Brust und -sagte:</p> - -<p>»Das eine sollt Ihr noch wissen, Vater Zacharia, daß der -Reiter kein Kosak ist, sondern der Diakon Achilla, und daß -mein Herz die Kränkung nicht dulden mag, mein Verstand -aber kein Mittel findet, ihm zu helfen.«</p> - -<p>Nach diesen Worten ließ der Diakon seinem Pferde die -Zügel fahren, drückte es mit den Knien zusammen und ritt -nicht, sondern flog davon, so daß seine Locken, die langen -Enden und weiten Ärmel seiner Kutte, der Schweif und die -Mähne des Pferdes wild flatternd vom dunkelblauen Hintergrund -des nächtlichen Himmels abstachen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_303">[303]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_2">Zweites Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch hatte mit Recht nicht viel von dem -Brief erwartet, mit dem der Diakon davongeritten war. -Achilla blieb eine ganze Woche fort, und als er gesenkten -Hauptes auf mattem Pferde heimkam, berichtete er, daß -er mit seinem Briefe nichts ausgerichtet habe und auch nichts -habe ausrichten können.</p> - -<p>»Warum denn das?« fragte man ihn.</p> - -<p>»Sehr einfach! Weil der Vater Sawelij selbst zu mir -sagte: ›Laß ab, mein Lieber, wir Geistlichen haben keinen, -der sich unser annimmt. Bitte alle, daß sie mir den Gefallen -tun, sich nicht für mich zu verwenden.‹«</p> - -<p>Und der Diakon wollte darüber weiter gar nicht reden.</p> - -<p>Viel lieber erzählte Achilla, wie er den Propst angetroffen -und was dieser in der einen Woche erlebt hatte.</p> - -<p>»Der Bischof«, so berichtete er, »ist gar nicht so böse auf -ihn, ja eigentlich überhaupt nicht erzürnt, er hat ihn bloß -aus Politik der Marter überantwortet, um es mit der weltlichen -Obrigkeit nicht zu verderben. Deswegen allein wurde -der Vater Sawelij in die Stadt geholt. Jawohl! Und der -Vater Sawelij könnte die ganze Schuld von sich abwälzen -und zu uns zurückkommen, denn der Bischof hält es insgeheim -mit ihm … Jawohl! Gleich am nächsten Tage -wurde ihm eine geheime Mitteilung vom Bischof, daß er -zum Herrn Gouverneur gehen solle und um Entschuldigung<span class="pagenum"><a id="Seite_304">[304]</a></span> -bitten … Jawohl! Aber der Vater Sawelij hat in seiner -Hartnäckigkeit sehr schroff darauf geantwortet: ›Ich bin mir -keiner Schuld bewußt, kann also auch nicht um Vergebung -bitten!‹ Dadurch hat er nun auch den Bischof aufgebracht. -Jawohl! Aber auch jetzt war der Zorn nicht groß, denn den -Beschluß des Konsistoriums, eine Untersuchung wegen jener -Predigt einzuleiten, hat er mit einem großen blauen <em class="antiqua">X</em> durchstrichen -und alle Gemüter im stillen beruhigt, indem er den -Vater Sawelij dem niedern Klerus am Bischofshofe zuzählen -ließ. Jawohl!«</p> - -<p>»Und Vater Sawelij dient jetzt?« fragte Zacharia.</p> - -<p>»Jawohl! Er liest die Hora und die Parömie, aber seinen -Sinn ändert er nicht, und auf die politische Frage der Eminenz: -›Worin hast du dich vergangen?‹ – antwortete er noch -politischer, als hätte er die Frage nicht verstanden: ›In -diesem Leibrock, hohe Eminenz!‹ – und hat sich dadurch -nur geschadet. Jawohl!«</p> - -<p>»A–a–ach!« rief Zacharia und schüttelte verzweifelt den -kleinen Kopf, sich die Ohren mit den Händchen zuhaltend.</p> - -<p>»Er hat sich bei einem Gendarmenwachtmeister in der -Klostervorstadt ein gelbes Stübchen für zweiundeinenhalben -Silberrubel monatlich gemietet und läuft jeden Morgen mit -seinem Krug an den Fluß hinunter nach Wasser. Aber Gesicht -und Gestalt sind sehr spitz geworden, und er läßt Euch -sagen, Natalia Nikolajewna, Ihr möchtet recht bald zu ihm -kommen.«</p> - -<p>»Morgen noch reise ich hin,« antwortete die Pröpstin -weinend.</p> - -<p>»So, das <span id="corr304">wären</span> sämtliche Neuigkeiten. Der Staatsanwalt -aber, dem ich den Brief brachte, sagte nur: ›Die ganze Sache -geht mich gar nichts an, ihr habt eure eigene Obrigkeit.‹ -Er hat mir auch keinen Brief mitgegeben, sondern nur schön<span class="pagenum"><a id="Seite_305">[305]</a></span> -grüßen lassen. Nehmen Sie also, bitte, hiermit seinen Gruß -entgegen, wenn Ihnen was dran liegt. Und noch einen -Gruß an Sie alle habe ich, vom Herrn Termosesow. Ich -traf ihn in der Stadt; er kam in einem feinen Wagen vorbeigefahren -und rief, wie er mich sah: ›Warte mal ein wenig -hier vor dem Tor, Diakon, ich bring dir gleich etwas. Eure -Postmeisterin nebst Töchtern hat mir bei meiner Abreise ihr -Stammbuch aufgehalst. Ich sollte ihr da ein paar Verse -hineinschreiben. Ich hab's versehentlich mitgenommen, und -nun weiß ich nicht, wie ich's ihr zurückschicken soll. Sei so -gut und nimm's mit!‹ Ich denke mir: Hol dich dieser und -jener! Gib her, sag' ich, um ihn loszuwerden. Hier ist es!«</p> - -<p>Der Diakon holte aus der Tasche seines Leibrocks ein -dünnes Büchlein mit bunten Blättern und las vor:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Auf das letzte Blatt Papier<br /></span> -<span class="i0">Schreibe ich der Zeilen vier,<br /></span> -<span class="i0">Voller Ehrfurcht, meine Damen …<br /></span> -<span class="i0">Wohl bekomm's in Teufels Namen!<br /></span> -</div></div> - -<p class="noind">Damit bezeugt er Euch seine Ehrfurcht, – nehmt sie also -hin als den Lohn, der Euch gebührt.«</p> - -<p>Und Achilla warf das Album mit der Ehrfurchtsbezeigung -Termosesows auf den Tisch und begab sich in den Pferdestall, -um sich dort nach den Reisestrapazen auszuschlafen.</p> - -<p>Am Tage darauf reiste Natalia Nikolajewna zu ihrem -Gatten, und der Diakon blieb allein in dem Hause des Verbannten -zurück.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_306">[306]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_3">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Ein Tag verging wie der andere. Die Stadt unterhielt -sich mit Neuigkeiten, die mit unserer Geschichte nichts zu tun -haben. Tuberozow blieb in Acht und Bann und seine Freunde -schienen sich vollständig damit beruhigt zu haben, daß »hier -nichts zu machen« wäre. Die Feinde des Propstes zeigten -sich etwas besser als die Freunde: wenigstens einige von -ihnen hatten ihn nicht vergessen. Für ihn setzte sich zum -Beispiel die feine Frau Postmeisterin ein, die Termosesow -die ihr angetane schwere Beleidigung nicht vergessen konnte -und noch weniger geneigt war, der Gesellschaft ihre Schadenfreude -zu verzeihen. Sie wollte ihr vielmehr zeigen, daß sie -allein feinfühliger, klüger, weitsichtiger, ja auch ehrlicher sei, -als sie alle.</p> - -<p>Dazu bot sich ihr nun eine Gelegenheit, die sie wiederum -sehr fein und boshaft auszunutzen wußte. Sie beschloß, die -Gesellschaft durch unerhörten Glanz zu blenden und ihre -Autorität in den Augen der biedern Stargoroder auf eine -bisher nie dagewesene Höhe zu heben.</p> - -<p>Etwa sechs Werst von der Stadt entfernt hatte eine Petersburger -Dame, Frau Mordokonaki, ihren Sommeraufenthalt -auf einem wunderschönen Landgut. Der alte Mann dieser -jungen und sehr hübschen Frau hatte, als er noch Branntweinpächter -war, bei einer der Postmeisterstöchter Pate gestanden. -Das schien nun der Frau Postmeisterin eine völlig<span class="pagenum"><a id="Seite_307">[307]</a></span> -genügende Veranlassung, die junge Gattin des alten Mordokonaki -zum Namenstag des Patenkindes ihres Mannes einzuladen, -und bei der Gelegenheit wollte sie die Bitte aussprechen, -die bekannte Philantropin und Freundin der Kirche -möge sich doch des verfolgten Tuberozow annehmen.</p> - -<p>Das war nicht übel ausgedacht. Die junge und fabelhaft -reiche »Wohltäterin« hatte Einfluß in der Residenz und genoß -bei den Gewalthabern im Gouvernement hohe Achtung. -Jedenfalls hätte sie, wenn sie wollte, für den gemaßregelten -Propst mehr tun können, als sonst jemand. Ob sie es aber -wollte? Darum eben sollte die ganze Gesellschaft sie bitten.</p> - -<p>Die Dame langweilte sich in ihrer Einsamkeit und nahm -daher die Einladung der Postmeisterin dankend an. Die -giftige Frau Postmeisterin triumphierte. Sie zweifelte nun -nicht mehr, daß sie die Honoratioren der Stadt durch ihr -unerwartetes Eintreten für den alten Tuberozow verblüffen -werde, und daß infolgedessen alle sich notgedrungen ihr anschließen -würden, gleichsam als Chorus, als zweite Garnitur.</p> - -<p>Die Postmeisterin schwelgte in solcherlei süßen Träumen, -– bis endlich der Tag ihrer Erfüllung gekommen war.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_308">[308]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_4">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Hausfrau begrüßte die Gäste und war glückselig, als -sie merkte, daß keiner sich mit ernsten Gedanken trug, daß -das Schicksal des verbannten Priesters längst niemanden -mehr beschäftigte.</p> - -<p>Die Gäste waren sämtlich in fröhlichster Stimmung. Als -erster erschien der »Kreiskommandant«, Invalidenhauptmann -Powerdownia, ein rothaariger Offizier mit großen -runden Augen, der sich vom Proviantschreiber hinaufgedient -hatte.</p> - -<p>Die große, üppige Madame Mordokonaki überstrahlte die -ganze Gesellschaft und alles wirkte neben ihr matt und unbedeutend. -Sogar Daria Biziukina schien ganz klein geworden. -Die Hausfrau floß über von Schmeichelreden, führte -dem Gast die interessantesten Leute zu und bat den Hauptmann -Powerdownia und den Lehrer Warnawa Prepotenskij, -die Dame aufs beste zu unterhalten. Leute, die sich -zur Unterhaltung mit der Petersburgerin nicht eigneten, -wurden beiseite geschafft, wie der Bürgermeister, welcher die -Gewohnheit hatte, im Gespräch oftmals die Redensart anzuwenden: -»Da spuck mir einer ins Maul«, sowie ein alter -Major, der im Kaukasus gedient und die Veranlassung zur -Entstehung des schönen Vergleichs gegeben hatte: »Dumm -wie ein kaukasischer Major«, und schließlich der Diakon Achilla. -Diese drei Personen waren sehr glücklich in einer kühlen<span class="pagenum"><a id="Seite_309">[309]</a></span> -Kammer untergebracht, wo die Weine und kalten Speisen -bereitstanden. Sie waren über ihre Verbannung keineswegs -betrübt. Ganz ungeniert und in nächster Nähe der -Speisen führten sie äußerst lebhafte Gespräche und philosophierten -sogar. Der Major wollte wissen, »woher die -Frechheit komme«, und erklärte sie daraus, daß die Menschen -heutzutage sehr verwöhnt seien – was er durch eine ganze -Menge von Argumenten zu beweisen suchte. Achilla aber wollte -so viele Gründe nicht gelten lassen und sagte, die Frechheit -hätte zwei Ursachen: »den Zorn und noch häufiger den Wein.«</p> - -<p>Der Major dachte nach und meinte dann, es gebe allerdings -eine Frechheit, die vom Wein komme.</p> - -<p>»Glauben Sie mir, es ist so,« meinte der Diakon und -leerte ein großes Glas Likör. »Ich kann mich selbst als Beispiel -anführen. Im Dusel bin ich ein sehr netter Kerl, denn -ich werde weder wild, noch habe ich böse Gedanken; aber, -meine lieben Freunde, ich prahle im Dusel nur zu gerne. -Bei Gott! Und nicht, daß ich irgendeine Absicht damit verfolge, -nein, es ist, als ob meine Natur es verlangte.«</p> - -<p>Der Bürgermeister und der Major lachten.</p> - -<p>»Wahrhaftig!« fuhr der Diakon fort. »Ich fange zum -Beispiel an zu erzählen, die Gemeinde habe sich an den -Bischof gewandt mit der Bitte, mich zum Pfarrer zu ordinieren, -was ich selber nicht mal wünsche; oder ein andermal behaupte -ich, die Kaufmannschaft des Gouvernements petitioniere um -meine Ernennung zum Protodiakon; oder …« Der Diakon -sah sich ängstlich um und fuhr dann im Flüstertone fort: -»Einmal platzte ich heraus, ich wäre in jungen Jahren mit -der Tochter des Konsistorialsekretärs verlobt gewesen! Also, -ich sag' Ihnen, ich hätte mich am liebsten umgebracht, als -man mir später von dieser meiner bodenlosen Frechheit -erzählte.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_310">[310]</a></span></p> - -<p>»Wenn der Sekretär das erfahren hätte, hätte es schlimm -werden können,« bemerkte der Major.</p> - -<p>»Und wie schlimm! Ganz scheußlich!« bestätigte der Diakon -und kippte noch ein Gläschen.</p> - -<p>»Na, wenn wir schon mal davon reden, will ich Ihnen -noch etwas erzählen.« Und seine Stimme noch mehr dämpfend, -fuhr er fort: »Ich bin durch diese meine Flunkerei -einmal schon in eine so üble Lage gekommen, daß ich aufs -Haar einer öffentlichen Exekution unterworfen worden wäre. -Haben Sie nichts davon gehört?«</p> - -<p>»Nein, absolut nichts.«</p> - -<p>»Es war eine ganz böse Sache. Man hätte mich einfach -henken können – auf Grund des ersten Paragraphen im -Gesetz!«</p> - -<p>»Unmöglich!« rief der Major, ganz aufgeregt.</p> - -<p>»Warum unmöglich? Es hätte ganz leicht geschehen -können, wenn ein guter Mensch mich nicht gerettet hätte.«</p> - -<p>»So erzählt uns doch die Geschichte, Vater Diakon!«</p> - -<p>»Ja, sofort, ich will nur noch erst ein Schnäpschen nehmen.«</p> - -<p>Achilla leerte noch ein Gläschen und begann den Bericht -über sein Verbrechen gegen den ersten Gesetzesparagraphen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_311">[311]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_5">Fünftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Das kam alles daher,« fing der Diakon an, »daß ich vor -Ostern nach der Gouvernementsstadt fuhr – mit zwei -Pferden. Eins war meines und das andere gehörte dem -Subdiakon Serioga. Wir hatten sie beide vor einen Wagen -gespannt. Serioga wollte seine Kinder aus der Stadt abholen, -und was ich da zu suchen hatte, das mag der Teufel -wissen. Ich wollte wohl ein paar gute Bekannte wiedersehen. -Als wir nun vor die Stadt kamen, sahen wir, daß -die Brücke fort war und eine Fähre die Leute hinüberschaffte. -Am Ufer herrschte ein fürchterliches Gedränge; Kopf an Kopf -standen die Menschen da; im Zollhäuschen aber hatte ein -Soldat einen Branntweinausschank. Na, da die Reihe an -uns noch nicht so bald kommen konnte, gingen wir hinein -und tranken ein jeder zwei Gläschen, uns zu erwärmen. -Auch hier war alles voll von Leuten: Mönche und Fuhrleute -und Soldaten und Beamte – das sind die allerschlimmsten -– und auch einige Amtsbrüder. Es fanden sich auch ein -paar Bekannte aus unserer Gegend, und so mußte man, -anläßlich des frohen Wiedersehens, gleich noch zwei Gläschen -kippen. Ein Schreiber, ein ungeheuer freches Maul, fing an, -uns aufzuziehen. Ich sagte ihm: ›Geh hin, wo du hergekommen -bist. Du gehörst nicht zu uns.‹ Darauf er: ›Ich -bin ein Offizier meines Kaisers!‹ Und ich: ›Ich selbst bin -so gut wie ein Stabsoffizier, mein Bester!‹ – ›Stabsoffizier‹,<span class="pagenum"><a id="Seite_312">[312]</a></span> -sagt er drauf, ›ist der Pope, du bist aber sein Untergebener.‹ -Da sage ich, vor dem Throne Gottes stünde ich -allerdings unter dem Popen meinem Amte nach, in der -Politik aber seien wir beide gleich. Da ging der Streit los. -Ich wurde immer hitziger, infolge der vielen Gläschen, und -rief schließlich: ›Du Tintenseele, was verstehst denn du davon? -Du kannst doch die Heilige Schrift gar nicht verstehen, -denn du hast keine Gedärme im Kopf. Sag doch mal, hat -je ein Pope auf dem Zarenthron gesessen?‹ ›Nein,‹ sagt er. -›Na also! Ein Diakon aber ist Zar gewesen und hat die -Krone auf dem Haupt getragen!‹ – ›Wer war denn das?‹ -fragt er. ›Wann ist das gewesen?‹ – ›Ja, wann? Ich bin -kein Arithmetikus und hab' die Jahreszahlen nicht alle im -Kopf, aber nimm mal ein Buch zur Hand und lies nach, -was Grigorij Otrepiew war, bevor er als Demetrius Zar -wurde, dann wirst du sehen, was ein Diakon wert ist.‹ – -›Nu ja,‹ sagt er, ›das war Otrepiew, aber du, du bist eben -kein Otrepiew!‹ – Besoffen, wie ich bin, platz ich auf einmal -los: ›Woher kannst du denn das wissen? Vielleicht bin ich -noch viel mehr? Der sah dem Demetrius ähnlich, und ich -habe vielleicht ein Gesicht wie irgendein Franziskus Venezianus -oder ein Mahmud und werde auch König!‹ Kaum -hatt' ich das gesagt, meine Lieben, so erhebt dieser verfluchte -Federfuchser ein Geschrei, ruft Zeugen auf, bringt die Sache -zu Papier. Man packte mich, band mich, setzte mich in einen -Wagen, gab mir einen Polizisten mit und schaffte mich in die -Stadt. Na und dann – Gott schenke ihm Gesundheit und -langes Leben und nach dem Tode die ewige Seligkeit – -dem Gendarmenoberst Albert Kasimirowitsch, der damals -an der Spitze der Geheimpolizei stand! Am Morgen ließ -er mich zu sich kommen, rief seine Frau herbei und sagte: -›Da, sieh mal, Herzchen, so sieht ein Thronprätendent aus.<span class="pagenum"><a id="Seite_313">[313]</a></span>‹ -Und dann lachte er mich noch tüchtig aus und ließ mich laufen. -›Geh nur, Vater Mahmud,‹ sagte er, ›und in Zukunft zähle -die Gläser, die du leerst.‹ Gott schenke ihm ein langes Leben!« -wiederholte der Diakon noch einmal und hob sein Glas. -»Ich will auch heut noch auf sein Wohl trinken!«</p> - -<p>»Da seid Ihr noch glücklich aus der Klemme gekommen,« -sagte der Major langsam.</p> - -<p>»Und ob! Ich sag's ja: der Pole ist ein guter Kerl. Der -Pole liebt die Regierung nicht, und wo es gegen sie geht, -ist er immer nachsichtig.«</p> - -<p>Gegen Mitternacht wurde die Unterhaltung der drei Einsiedler -unterbrochen; denn die Stunde war gekommen, in -der auch sie sich der Gesellschaft anschließen durften: man -bat sie zu Tische.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_314">[314]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_6">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Das Fest sollte jetzt seinen Höhepunkt erreichen.</p> - -<p>Kaum hatten alle Platz genommen, so sprang auch schon -der Hauptmann Powerdownia wieder auf und apostrophierte -die Petersburger Dame folgendermaßen:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Die uns gesandt ein gütiger Himmel,<br /></span> -<span class="i0">Du Holde, Schöne!<br /></span> -<span class="i0">Dich grüßen aus dem irdischen Gewimmel<br /></span> -<span class="i0">Meiner Leier Töne!<br /></span> -<span class="i0">Steig hernieder zu uns aus des Äthers Bläue<br /></span> -<span class="i0">Und laß dich's nicht verdrießen<br /></span> -<span class="i0">Von dieses Festes Gaben zu genießen,<br /></span> -<span class="i0">Die wir dir spenden in Begeisterung und Treue!«<br /></span> -</div></div> - -<p>Die Aristokratin aus dem Geschlecht der Branntweinpächter -hörte dem Dichter mit lieblichem Erröten zu und -empfing aus seinen Händen ein Blättchen, auf dem, nicht -ganz orthographisch, aber mit kunstreichen Schnörkeln, das -Gedicht verewigt war.</p> - -<p>Die Hausfrau war entzückt, aber die Gäste waren sowohl -über das Gedicht, als auch über die Wahl des Augenblicks -für seinen Vortrag sehr verschiedener Meinung.</p> - -<p>Doch wie dem auch sei, die ganze Gesellschaft wurde ungemein -lustig, was der Postmeisterin gar nicht recht paßte. -Man redete so laut und lebhaft durcheinander, daß es der<span class="pagenum"><a id="Seite_315">[315]</a></span> -Hausfrau unmöglich wurde, eine etwa eintretende Pause zu -benutzen, um an den verbannten Propst zu erinnern. Die -Petersburgerin schien sich übrigens sehr gut zu unterhalten. -Sie wisse gar nicht, meinte sie zur Postmeisterin, wie sie ihr -danken solle für das Vergnügen, das ihre Gäste ihr verschafft, -und wenn ihr etwas leid tue, so sei es nur der Umstand, -den Diakon und den Hauptmann Powerdownia erst -so spät kennen gelernt zu haben. Als Powerdownia dieses -Urteil hörte, sprang er auf und machte der Dame eine tiefe -Verbeugung. Auch der Diakon nahm das Lob nicht gleichgültig -hin: er gab Prepotenskij einen Rippenstoß und sagte:</p> - -<p>»Siehst du wohl, du Schafskopf, wie hoch man uns schätzt! -Von dir sagt keiner was.«</p> - -<p>»Selber Schafskopf!« erwiderte der geärgerte Lehrer -ebenso leise.</p> - -<p>Powerdownia sann einen Augenblick nach, dann packte er -den Diakon fest am Arm, stand mit ihm zusammen auf und -sagte in beider Namen:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Wir wollen heilig dein Gedächtnis ehren,<br /></span> -<span class="i0">Und sollten Jahre vorübergehen.<br /></span> -<span class="i0">O lichter Geist, laß dich erflehen:<br /></span> -<span class="i0">Woll unserer Bitte Erhörung gewähren!«<br /></span> -</div></div> - -<p>Hierauf setzten sie sich wieder unter donnerndem Applaus.</p> - -<p>»Siehst du wohl? Und du weißt wieder nichts zu sagen,« -wandte sich Achilla vorwurfsvoll an den Lehrer. Powerdownia -aber war schon wieder aufgesprungen und redete die -Hausfrau also an:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Du bist genannt Matrona<br /></span> -<span class="i0">Und aller Frauen Krona!<br /></span> -<span class="i4">Hurra!«<br /></span> -</div></div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_316">[316]</a></span></p> -<p>»O dieser Hauptmann! Er ist die Seele der Gesellschaft,« -meinte die Postmeisterin geschmeichelt.</p> - -<p>»Und du bringst immer noch nichts fertig,« ließ der Diakon -dem Warnawa keine Ruhe.</p> - -<p>»Wollen wir alle Verse deklamieren!«</p> - -<p>»Ja, alle! Der Polizeichef muß anfangen!«</p> - -<p>»Warum nicht? Ich will's gerne versuchen!« sagte der -Polizeichef. »Ganz ungeniert: wer nichts weiß, braucht nicht -mitzumachen.«</p> - -<p>»Anfangen! Fix, Herr Rittmeister! Was soll das? Anfangen!«</p> - -<p>Der Rittmeister Porochontzew stand auf, hob sein Glas -bis zur Höhe seines Gesichtes, sah durch den Wein gegen -das Licht und fing an:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Als der Despot entsagte seinem Thron,<br /></span> -<span class="i0">Um so durch abgefeimte Lügen<br /></span> -<span class="i0">Sein Opfer, Rußland, in den Schlaf zu wiegen,<br /></span> -<span class="i0">Und es alsdann noch schlimmer zu bedrohn, –<br /></span> -<span class="i0">Da ließ die Freiheit ihre Stimm' erschallen,<br /></span> -<span class="i0">Und hätte Rußland drauf gehört,<br /></span> -<span class="i0">Ihm wär' ein neuer Tag beschert,<br /></span> -<span class="i0">Die Fesseln wären abgefallen.<br /></span> -<span class="i0">Doch gleich dem Diebe, den der Morgen schreckt,<br /></span> -<span class="i0">Hast schmählich du dich vor dem Freund versteckt!<br /></span> -<span class="i0">Der rief: Der Juden Greueltaten,<br /></span> -<span class="i0">Der schnöde Abfall der Uniaten,<br /></span> -<span class="i0">Und alle Sünden der Sarmaten, –<br /></span> -<span class="i0">Es komme alles auf mein Haupt,<br /></span> -<span class="i0">Ich trag' es ohne viel Bedenken,<br /></span> -<span class="i0">Könnt' ich dem Volk der Russen wieder schenken<br /></span> -<span class="i0">Die Freiheit, die man ihm geraubt!<br /></span> -<span class="i12">Hurra!«<br /></span> -</div></div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_317">[317]</a></span></p> -<p>»Alle tragen etwas vor, nur du nicht,« fing der Diakon, -sich an Prepotenskij wendend, wieder an.</p> - -<p>»Nein, Freundchen, sag was du willst, – wenn du trinkst -und nichts vorzutragen weißt, dann bist du kein Mensch, -sondern bloß eine Bütte voll Wein.«</p> - -<p>»Laßt mich mit Eurer Bütte in Frieden! Ihr seid selbst -eine!« antwortete der Lehrer.</p> - -<p>»Wa–a–as?!« schrie Achilla gekränkt. »Ich eine Bütte? -Und das wagst du mir ins Gesicht zu sagen! Ich eine Bütte?«</p> - -<p>»Ja, natürlich!«</p> - -<p>»Wa–a–as?!«</p> - -<p>»Ihr könnt ja selber nichts vortragen!«</p> - -<p>»Ich nichts vortragen? O du dreifacher Dummkopf! -Wenn ich bloß will, so trage ich dir so etwas vor, daß du -aufspringen und mir stehend zuhören mußt!«</p> - -<p>»Na, versucht es doch mal!«</p> - -<p>»Gleich werd ich's auch, damit du dich überzeugst, daß ich -tatsächlich auch den Oberkiefer bewegen kann!«</p> - -<p>Mit diesen Worten erhob sich Achilla, sah die ganze Gesellschaft -mit weitaufgerissenen Augen an, richtete den Blick -schließlich starr auf ein Salzfaß, das in der Mitte des Tisches -stand, und fing mit seinem tiefen weichen Baß an:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>»Ein geru–u–u–hig und friedli–i–i–ch Leben, Gesu–u–undheit -und Wo–o–ohlergehen … und heilsa–a–ames -Wirken und Scha–a–a–ffen … und Sieg -über die Feinde …« usw. usw.</p></div> - -<p>Achillas Stimme griff immer höher, Stirne, Kinnbacken, -Schläfe, die ganze obere Hälfte seines breiten Gesichtes waren -mit Schweiß bedeckt und glühten in feurigem Rot; die Augen -krochen aus ihren Höhlen, auf den Wangen und an den -Mundwinkeln zeigten sich weiße Flecke, der Mund war weit<span class="pagenum"><a id="Seite_318">[318]</a></span> -aufgerissen wie eine Trompete und mit Dröhnen und Krachen -entstieg ihm das »Heil und Segen«, das alle unbelebten -Wesen im Hause erzittern machte und die Lebendigen zwang, -sich von den Plätzen zu erheben und, ohne die erstaunten -Augen von dem geöffneten Munde des Diakons zu wenden, -gleich nachdem der letzte Ton verklungen, im Chor einzufallen: -»Heil und Segen! Heil und Se–e–egen!«</p> - -<p>Warnawa allein wollte bei seiner Beschäftigung bleiben -und gemächlich weiteressen, aber Achilla riß ihn mit Gewalt -in die Höhe und sang, ihn fest am Arm haltend: »Heil und -Se–e–e–gen! Heil und Se–e–e–egen!«</p> - -<p>Der Bürgermeister gab seinem Nachbar eine blaue Fünfrubelnote, -die er dem Diakon weitergeben sollte.</p> - -<p>»Was heißt denn das?« fragte Achilla.</p> - -<p>»Der ganzen Verwaltung. Sing noch ›der ganzen Verwaltung -und dem christlichen Heer‹,« bat der Bürgermeister.</p> - -<p>Der Diakon steckte die Note in die Tasche und stimmte -nochmals an:</p> - -<p>»Und der ganzen Verwaltung und dem chri–i–istlichen -Hee–e–e–ere Heil und Se–e–e–gen!«</p> - -<p>Hier übertraf Achilla sich selbst, und als er schloß, wagten -nur noch der Vater Zacharia, der an die Stimme des Diakons -gewöhnt war, und der Bürgermeister einzufallen: alle übrigen -Gäste waren auf ihre Stühle gesunken und hielten sich an -den Lehnen, dem Tisch oder ihren Nachbarn fest.</p> - -<p>Der Diakon war höchst befriedigt.</p> - -<p>»Sie haben einen wunderbaren Baß,« sagte die Petersburger -Dame, die zuerst wieder zu sich gekommen war.</p> - -<p>»Ach Gott, es war ja nicht deswegen, ich wollte nur zeigen, -daß ich kein Feigling bin und sehr gut etwas vortragen kann.«</p> - -<p>»Schau, schau, wer ist denn hier feige?« mischte sich Zacharia -ins Gespräch.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_319">[319]</a></span></p> - -<p>»Vor allem Ihr selber, Vater Zacharia! Ihr könnt ja -nicht mal mit den Vorgesetzten richtig sprechen: Ihr fangt -gleich an zu stottern.«</p> - -<p>»Das ist wahr,« bestätigte Zacharia, »ich komme leicht ins -Stottern, wenn ich mit einem Vorgesetzten rede. Aber du? -Du hast gar keinen Respekt vor Höherstehenden?«</p> - -<p>»Ich? Mir ist's ganz gleich, ob ich mit dem Bischof selber -oder mit einem einfachen Manne rede! Der Bischof sagt zu -mir: ›So und so, mein Bester,‹ – und ich antworte ihm gerade -so: ›Ganz recht, so und so, Eure Eminenz!‹ Weiter nichts.«</p> - -<p>»Ist das wahr, Vater Zacharia?« fragte der Arzt, der dem -Diakon gern etwas am Zeuge flicken wollte.</p> - -<p>»Er flunkert,« sagte Benefaktow mit der größten Seelenruhe, -ohne seine sanften Augen vom Diakon zu wenden.</p> - -<p>»Er knickt auch vor dem Bischof zusammen?«</p> - -<p>»Allerdings.«</p> - -<p>»Nie und nimmer! So was kommt bei mir nicht vor!« -rief der Diakon, sich in die Brust werfend. »Wie wäre das -auch möglich? Wollte ich mich um alle kümmern, ich wüßte -nicht, wo ich hin sollte. Was hat denn der Bischof so viel -zu bedeuten, wenn ich jetzt Tag für Tag von einer Person -beobachtet werde, die viel mehr zu sagen hat, als so ein -Bischof!«</p> - -<p>»Du meinst wohl mich?« sagte der Arzt.</p> - -<p>»Wie sollte ich denn darauf kommen? Nein, dich meine -ich nicht.«</p> - -<p>»Wen denn sonst?«</p> - -<p>»Hast du die neuesten Zeitungen gelesen?«</p> - -<p>»Was hat denn drin gestanden?« fragte die Petersburger -Dame, die sich wie ein Kind amüsierte.</p> - -<p>»Auf Befehl des Oberhofpredigers Baschanow ist der -kaiserliche Kirchenmusikdirektor auf Reisen geschickt worden,<span class="pagenum"><a id="Seite_320">[320]</a></span> -um in ganz Rußland Bässe für die Hofkapelle Seiner Majestät -anzuwerben. Er steht im Range eines Generals und hat -eine Unmenge Orden. Der Bischof ist nichts neben ihm, -denn bei Seiner Majestät ist ja schon der Kutscher, der auf -dem Bock sitzt, Oberst. Na, also dieser Musikmeister reist -nun unerkannt, als ganz einfacher Mann gekleidet, damit -die Bässe sich in seiner Gegenwart nicht absichtlich anstrengen, -denn er will wissen, was sie für gewöhnlich zu leisten imstande -sind.«</p> - -<p>Der Diakon wußte nicht, was er weiter sagen sollte, aber -der Arzt ließ nicht locker.</p> - -<p>»Nun, und was weiter?«</p> - -<p>»Was weiter? Der Herr Musikdirektor befindet sich jetzt -schon vier Wochen hier in der Stadt. Merkst du was? Ich -sehe ihn jeden Sonntag in seinem blauen Rock unter den -Kleinbürgern in der Kirche stehen. Er ist meinetwegen da, -aber wie verhalte ich mich dazu? Ein anderer würde sich rein -die Beine ausreißen, um dem kaiserlichen Abgesandten zu -gefallen, würde ihn zu sich einladen, ihm Schnaps und Tee -vorsetzen, – nicht wahr? Aber ich tue nichts dergleichen. -Mag er zehnmal kaiserlicher Musikus sein, mir ist's ganz -wurst! Ich halte mich ans Gesetz. Du hast mir nach dem -Gesetz zu handeln, mein Lieber, und magst du das nicht, dann -adieu! Glückliche Heimreise!«</p> - -<p>»Das ist natürlich alles Schwindel?« wandte sich der Arzt -an Zacharia.</p> - -<p>»Schwindel,« erwiderte dieser seelenruhig. »Er hat ein -wenig über den Durst getrunken, da hören wir bis morgen -kein wahres Wort mehr. Er wird jetzt ohne Ende phantasieren -und großtun.«</p> - -<p>Achilla war trotzdem gekränkt. Es schien ihm, als glaubte -man jetzt auch nicht mehr, daß er kein Feigling sei; was ihm<span class="pagenum"><a id="Seite_321">[321]</a></span> -unerträglich war. Daher fing er wieder von seiner Tapferkeit -an zu sprechen und wollte sofort auf die schwerste Probe -gestellt sein.</p> - -<p>»Ich will allen beweisen, daß ich hier der Tapferste bin, -und ich werde es!«</p> - -<p>»Prahlt lieber nicht damit, Vater Diakon,« sagte der -Major. »Manchmal wird auch der Tapferste von Angst gepackt, -und der Feigling leistet, was keiner von ihm erwartet -hätte.«</p> - -<p>»Da pfeif' ich drauf! Los!«</p> - -<p>»Ja, was soll denn eigentlich losgehen? Ich will Euch -lieber ein Beispiel vorführen.«</p> - -<p>»Auch gut! Nur immer zu!«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_322">[322]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_7">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Als ich aus dem Kaukasus nach Rußland zurückversetzt -wurde,« fing der Major an, »hatten wir einen Oberst, der -ein urfideler Herr und ein ausgezeichneter Soldat war. Er -besaß sogar einen goldenen Ehrensäbel. Unter ihm machte -ich anno Achtundvierzig den ungarischen Feldzug mit. In -einer Nacht mußten damals Freiwillige vorgeschickt werden, -als wir gerade beim Wein saßen. Der Oberst fragte: ›Wieviel -haben sich denn gemeldet?‹ ›Hundertzehn,‹ antwortet -der Adjutant. ›Oho!‹ meinte der Oberst und legte die Karten -hin, denn man hatte sich eben ans Preferance gemacht. -›Das ist ein bißchen viel. Sind gar keine Hasenfüße drunter?‹ -– ›Nein,‹ erwiderte der Adjutant. ›Na,‹ meint der Oberst, -›trommeln Sie mal die Kerls zusammen.‹ Das geschieht. -›Nun,‹ fängt der Oberst an, ›machen wir mal die Probe. Wer -ist der Tapferste? Wer gilt als Obmann?‹ Man nennt ihm -irgendeinen Iwanow oder Sergejew. ›Schafft ihn mir her! -Bist du der Obmann?‹ – ›Zu Befehl, Euer Hochwohlgeboren!‹ -– ›Bist du nicht feige?‹ – ›Nein, Euer Hochwohlgeboren!‹ -– ›Nicht ein bißchen?‹ – ›Ganz und gar nicht, -Euer Hochwohlgeboren!‹ – ›Wirklich nicht?‹ – ›Nein.‹ – -›Nun, wenn du nicht feige bist, so zupf' mich am Bart!‹ Der -Soldat steht da und rührt sich nicht und wagt's nicht. Man -ruft einen zweiten, – dieselbe Geschichte! Einen dritten, -vierten, fünften, zehnten – keiner wagt's. Alle erwiesen sie -sich als Feiglinge.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_323">[323]</a></span></p> - -<p>»Ach, hol ihn dieser und jener! Das war ein Spaß!« -rief Achilla hocherfreut. »Wenn du nicht feige bist, ei, so -zupf' mich am Bart! Ha–ha–ha! Das ist famos! Hauptmann, -alter Freund, laß dich mal vom Lehrer Warnawa -am Bart zupfen!«</p> - -<p>»Mit Vergnügen,« sagte der Hauptmann.</p> - -<p>Prepotenskij weigerte sich, aber da fing man so bösartig -über seine Feigheit zu spotten an, daß er ja sagen -mußte.</p> - -<p>Achilla stellte einen Stuhl in die Mitte des Zimmers, der -Hauptmann Powerdownia setzte sich drauf und stemmte die -Arme in die Hüften.</p> - -<p>Um ihn herum standen der Polizeichef, Zacharia, der -Bürgermeister und der Major.</p> - -<p>Der Lehrer pustete, krümmte und schüttelte sich, schlug -bald die Augen schüchtern nieder und riß sie bald weit auf, -machte einen Schritt vorwärts und trat wieder zurück.</p> - -<p>»Also du bist doch ein Feigling,« sagte Achilla, »aber denke -mal nach, Schafskopf: wovor fürchtest du dich denn eigentlich? -Es ist ja zum Lachen!«</p> - -<p>Warnawa dachte nach, wurde aber davon nur noch schwächer. -Powerdownia jedoch saß da wie ein Götzenbild, fühlte sich -als »Seele der Gesellschaft« und freute sich über die neue -Überraschung, die er im Schilde führte.</p> - -<p>»Du bist ein Feigling, mein Bester, ein ganz elender Feigling!« -flüsterte Achilla dem Lehrer ins Ohr.</p> - -<p>»Das geht doch nicht, die Gäste warten,« bemerkte der -Major.</p> - -<p>Prepotenskij zeigte mit dem Finger auf den Polizeichef und -sagte: »Ich will lieber Woin Wasiljewitsch am Bart zupfen.«</p> - -<p>»Nein, mich sollst du zupfen,« erklärte der Hauptmann -mit sehr ernstem Gesicht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_324">[324]</a></span></p> - -<p>»Feigling, Feigling,« flüstert es wieder von allen Seiten. -Warnawa hört es, kalter Schweiß läuft ihm übers Gesicht, -es kribbelt ihn am ganzen Körper; die Angst packt ihn, wie -eine unerträgliche, lähmende, quälende Krankheit, sein Ausdruck -bekommt etwas Starres, Schreckliches.</p> - -<p>Achilla, der ihn genau beobachtete, hatte das zuerst bemerkt. -Als er die Augen des Lehrers aufflammen sah, gab -er dem Polizeichef ein Zeichen, etwas zur Seite zu treten, -den Vater Zacharia aber nahm er ganz einfach beim Ärmel, -zog ihn zurück und sagte:</p> - -<p>»Steht nicht so dicht bei ihm, Vater Zacharia. Seht Ihr -nicht? Er träumt!«</p> - -<p>Warnawa tat einen Schritt vorwärts. Noch einen zweiten. -Die zitternde Hand des Feiglings gerät in Bewegung, sie -hebt sich langsam, bewegt sich vorwärts, – aber nicht nach -dem Barte des Hauptmanns, sondern geradewegs nach dem -Gesichte des Polizeichefs.</p> - -<p>»Der Teufel mag wissen, was in dem Kerl vorgeht!« rief -Achilla und winkte dem Polizeichef noch einmal zu. Geh -lieber fort, sollte das heißen, siehst du nicht, daß der Mann -von Sinnen ist?</p> - -<p>In diesem selben Augenblick jedoch hatte Prepotenskij, die -Augen zugekniffen, ganz von ferne den Schnurrbart Powerdownias -gestreift: sofort stieß der Hauptmann ein grimmiges -Knurren aus und fing dann an laut zu bellen.</p> - -<p>Das war dem armen Warnawa zu viel. Er schrie wild -auf, stürzte sich wie ein Panther auf den Polizeichef und schlug -sinnlos um sich.</p> - -<p>Hierauf war niemand gefaßt. Der Effekt war großartig. -Die umgestürzte Lampe, das aufflammende Petroleum, die -wild flüchtenden Gäste, das Entsetzen des Polizeichefs, das -Geheul Warnawas, der in einem Winkel sich mit wütenden<span class="pagenum"><a id="Seite_325">[325]</a></span> -Schlägen vor dem Gespenst, das ihn packen wollte, zu schützen -suchte, alles machte eine Fortsetzung des Festes unmöglich.</p> - -<p>Die Petersburger Dame verabschiedete sich, und Prepotenskij, -der alle Ein- und Ausgänge im Hause des Postmeisters -sehr gut kannte, benutzte diesen Augenblick, um in -den Korridor und ins Bureau zu schlüpfen, wo er sich hinter -einen Schrank verkroch …</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_326">[326]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_8">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Frau Postmeisterin hatte ihre Nachtjacke angezogen und -ging erregt in ihrem Zimmer auf und nieder. Ihre Gedanken -beschäftigten sich unablässig mit der einen Frage: Wer war -an dem gräßlichen Vorfall schuld? Wer hatte diesen Spaß -angezettelt?</p> - -<p>»Der Spaß war ja an sich nicht mal so übel,« dachte sie, -»aber wer hat den Prepotenskij eingeladen? Nein, auch das -ist nicht so wichtig … aber wer hat mich mit ihm bekannt -gemacht? Wer denn anders, als mein Herr Gemahl! Eines -Tages kam er: ›Hier, bitte, stelle ich dir Warnawa Wasiljewitsch -vor!‹ Na warte nur, ich will dir den Warnawa -Wasiljewitsch schon eintränken … Aber wo ist denn mein -Mann?« fragte sie sich und sah sich im Zimmer um. »Schläft -er schon? Er kann schlafen, nachdem so etwas geschehen! … -Nein, das geht nicht,« erklärte die Postmeisterin kategorisch -und stürzte ungeduldig in den Saal, wo ihr Gatte zu schlafen -pflegte, wenn er wegen irgendwelcher Familienzwistigkeiten aus -dem ehelichen Schlafgemach verbannt wurde. Aber zu ihrer nicht -geringen Verwunderung fand die Dame ihren Gatten hier nicht.</p> - -<p>»Aha, er versteckt sich vor mir. Er liegt jetzt auf dem Sofa -im Bureau und schnarcht … Ich will dich schnarchen lehren.«</p> - -<p>Und die Frau Postmeisterin begab sich nach dem Bureau.</p> - -<p>Ihre Vermutung war richtig: der Postmeister schlief tatsächlich -im Bureau, aber darin irrte sie, daß sie ihn auf dem -Sofa zu finden meinte. In Wirklichkeit lag er auf dem Tische.<span class="pagenum"><a id="Seite_327">[327]</a></span> -Auf dem Sofa aber schlief Prepotenskij, der nach allem, was -vorgefallen war, nicht nach Hause zu gehen wagte, weil er -fürchtete, Achilla könnte ihm an irgendeiner Straßenecke auflauern. -Deshalb hatte er den Postmeister um Erlaubnis -gebeten, seiner Sicherheit wegen im Hause übernachten zu -dürfen. Der Postmeister war um so lieber damit einverstanden, -als er die Erregung seiner Frau sehr wohl bemerkt -hatte und es auch ihm vorteilhaft erschien, unter diesen -Umständen noch jemand in seiner Nähe zu haben. Darum -stellte er dem Lehrer das Sofa im Bureau zur Verfügung -und machte es sich selbst auf dem großen Tisch bequem, an -dem sonst die Briefe sortiert wurden.</p> - -<p>Die Tür aus dem Korridor in das Bureau, in dem beide -schliefen, war geschlossen. Das brachte die energische Dame -erst recht auf, denn nach ihrem Hausgesetz durfte keine einzige -Innentür ohne ihre Genehmigung geschlossen werden, und -im Bureau fühlte sie sich ebenso als Herrin, wie in ihrem -Schlafgemach!</p> - -<p>Die Postmeisterin kochte vor Wut. Sie griff noch einmal -nach der Tür, sie ging nicht auf. Wohl knackte der Haken, -aber er saß fest. Und dabei hörte sie drinnen ganz deutlich -zwei Menschen atmen. Zwei! Man male sich das Entsetzen -der Ehefrau bei dieser plötzlichen Entdeckung aus!</p> - -<p>In ihren geheiligten Rechten als Gattin und Herrin des -Hauses gekränkt, rannte sie wieder durch den Korridor zurück, -stürzte in die Küche, geradewegs auf den Tisch los. Wühlte -lange im Dunkeln in der Schublade herum, in der es von -Schwaben wimmelte, bis sie endlich gefunden hatte, was sie -brauchte: Ein Messer!</p> - -<p>Die ungeheure Spannung, die diese Zeile entfesselt, zwingt -uns, hier haltzumachen, um dem Leser Zeit zu geben, sich -auf das Fürchterliche vorzubereiten, das nun kommen soll.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_328">[328]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_9">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Vor Erregung am ganzen Leibe zitternd, das riesige -Küchenmesser in der Hand, den rechten Ärmel der Nachtjacke -hinaufgeschoben, ging die Postmeisterin direkt auf die Tür -zum Bureau los und legte das Ohr noch einmal an den -Spalt. Es war kein Zweifel möglich: das unselige Paar lag -im süßesten Schlaf; man hörte ganz deutlich, wie das eine -stärkere Wesen tiefe Kehllaute von sich gab, während das -andere, zartere, sich auf ein ganz sanftes Pfeifen beschränkte.</p> - -<p>Die Postmeisterin steckte das Messer in den Türspalt, schob -den Haken zurück und die leichte Tür ging mit leisem Knarren -auf.</p> - -<p>Es war noch früh am Morgen, kaum hoben sich die Fenster -durch ihr mattes Grau von der Finsternis ab, doch das geübte -Auge der Postmeisterin erkannte sowohl den Tisch mit -der Postwage, als auch den zweiten langen Tisch in der Ecke -und das Sofa.</p> - -<p>Mit der linken Hand sich an der Wand entlang tastend, -bewegte sich die zürnende Dame direkt auf das Sofa zu -und erreichte ohne besondere Schwierigkeiten den Schnarcher, -der mit tief herabhängendem Kopfe ganz am Rande lag. -Er hatte nichts gehört, und als die Postmeisterin vor ihn -hintrat, schien er sogar mit ganz besonderem Eifer und Genuß -in den lieblichsten Säuseltönen zu schwelgen, als ob er ahnte, -daß die Sache bald ein Ende haben werde und daß es ihm<span class="pagenum"><a id="Seite_329">[329]</a></span> -heute nicht mehr vergönnt sein werde, sich diesem Vergnügen -hinzugeben.</p> - -<p>So kam es denn auch.</p> - -<p>Noch war der Schläfer mit seiner letzten Fioritur nicht -ganz fertig, als die Linke der Frau Postmeisterin ihn kräftig -an den Haaren emporriß und die Rechte, nachdem sie das -Messer fallen gelassen, ihm eine schallende Ohrfeige verabfolgte.</p> - -<p>»Mmmm … Warum denn? Warum?« brummte der -Erwachende, aber statt einer Antwort erhielt er eine zweite -Ohrfeige, dann eine dritte, eine fünfte, zehnte, eine immer -kräftiger und dröhnender als die andere.</p> - -<p>»Au, au, au,« schrie er und versuchte vergeblich, den aus -der Finsternis auf ihn herabhagelnden Backpfeifen auszuweichen, -bis diese plötzlich durch ein weniger lautes, aber -nicht minder schmerzhaftes Zausen und Schütteln ersetzt -wurden.</p> - -<p>»Herzchen! Was tust du denn, Herzchen! Das bin ja -gar nicht ich! Das ist doch Warnawa Wasiljewitsch!« kam -vom Tische her die Stimme des aufgeschreckten Postmeisters.</p> - -<p>Die Postmeisterin hielt verblüfft ein, ließ die Mähne Warnawas -los, schrie laut auf: »Was machst du mit mir, du -Ungeheuer!« – und stürzte sich auf ihren Gatten.</p> - -<p>»Ja, ja, das bin ich,« hörte Warnawa den Postmeister -rufen, und ohne etwas zu begreifen – außer der Notwendigkeit, -sich eiligst aus dem Staube zu machen – sprang er vom -Sofa auf und rannte, wie er war, in Unterhosen und -Strümpfen, durch die glücklich gefundene Tür auf die -Straße hinaus.</p> - -<p>Er war gründlich verdroschen worden, und als er sich das -Gesicht mit dem Ärmel wischte, bemerkte er, daß seine Nase -blutete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_330">[330]</a></span></p> - -<p>In demselben Augenblick ging die Tür leise auf und seine -Kleider fielen vor ihm hin. Er bückte sich, um sie aufzuheben, -als eine Minute später auch die Stiefel über den Zaun geflogen -kamen.</p> - -<p>Warnawa setzte sich auf den Boden und zog die Stiefel -an, fuhr, so gut es ging, in Hosen und Rock und trottete -nach Hause.</p> - -<p>Eine Woche darauf verließ der Lehrer Prepotenskij mit -einem Urlaubschein und einigen wenigen Spargroschen in -der Tasche die Stadt. Die Ursache dieser plötzlichen Flucht -war und blieb für alle ein ewiges Geheimnis.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_331">[331]</a></span></p> - -<h3 id="kap4_10">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>An demselben Tage, wo es in Stargorod so lustig herging, -spielte sich weit draußen in dem gelben Stübchen des verbannten -Propstes eine Szene anderer Art ab. Natalia -Nikolajewna bereitete sich zum Sterben.</p> - -<p>Gewissenhaft und sparsam, wie sie war, hatte die Pröpstin -während der ganzen Zeit ihres Aufenthaltes bei ihrem gemaßregelten -Gatten sich ohne Bedienung beholfen und allerlei -Arbeit auf sich genommen, an die sie nicht gewohnt war -und die ihre Kräfte weit überstieg. Als sie bei dem letzten -Fünfundzwanzigrubelschein in ihrer Schachtel angelangt war, -erschrak sie, daß sie bald ganz ohne Geld sein würde, und beschloß, -ihren Hauswirt, den Gendarm, zu bitten, ihnen die -Miete zu stunden, bis der Propst wieder begnadigt sei. Der -Gendarm ging darauf ein, Natalia Nikolajewna aber hielt -das vor ihrem Gatten streng geheim und suchte auf jede -Weise das Geld beim Hauswirt abzuverdienen: sie grub -mit seiner Magd Kartoffeln, hackte Kohl und spülte ihre -Wäsche selbst im Fluß.</p> - -<p>Jedoch das war zu viel für ihre Jahre und ihre schwache -Gesundheit. Sie erkrankte und mußte das Bett hüten.</p> - -<p>Der Propst machte ihr Vorwürfe wegen ihrer übergroßen -Sorgsamkeit.</p> - -<p>»Du glaubst, du hilfst mir,« sagte er, »aber als ich hörte, -was du getan hast, verdoppelte das meine Qualen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_332">[332]</a></span></p> - -<p>»Vergib,« flüsterte Natalia Nikolajewna.</p> - -<p>»Was heißt: vergib? Vergib du mir,« antwortete der -Propst und faßte ihre Hand, die er leidenschaftlich küßte. -»Ich habe dich mit meiner starren Unbotmäßigkeit so weit -gebracht, aber wenn du willst … sage nur ein Wort und ich -gehe und demütige mich dir zuliebe.«</p> - -<p>»Was fällt dir ein? Nie werde ich dieses Wort sagen! -Soll ich deine Lehrmeisterin sein, der du alles weißt und -alles zum Rechten wendest?«</p> - -<p>»Um meiner Ehre willen <em class="gesperrt">muß</em> ich dieses tragen, Liebste.«</p> - -<p>»Und Gott möge dir helfen, an mich aber sollst du nicht -denken.«</p> - -<p>Der Propst küßte noch einmal die Hände seiner Frau und -ging an sein Tagewerk, Natalia Nikolajewna aber wickelte -sich in ihre Decke und schlief ein. Und da sah sie im Traum -den Diakon Achilla, der zu ihr ins Zimmer trat und sprach: -»Warum betet Ihr denn nicht, daß der Vater Sawelij sein -Leid leichter trage?« – »Wie denn?« fragt Natalia Nikolajewna, -»lehre mich, wie ich zu beten habe.« – »Nun,« antwortet -Achilla, »Ihr sollt bloß sagen: Herr, hilf uns auf den -Wegen, die du kennst.« – »Herr, hilf uns auf den Wegen, -die du kennst,« wiederholte Natalia Nikolajewna andächtig, -und plötzlich war ihr, als nähme der Diakon sie auf seine -Arme und trüge sie in das Allerheiligste, – der Raum war -unendlich groß: Säule reihte sich an Säule, und der Altar -reckte sich bis zum Himmel empor und flammte in tausend -hellen Lichtern; hinter ihnen aber, von wo sie gekommen -waren, schien alles winzig klein, so klein, daß sie gelacht hätte, -wenn es sie nicht beunruhigt hätte, daß sie doch ein Weib sei, -das Allerheiligste also gar nicht betreten dürfe. »Bist du bei -Sinnen, Diakon!« sagte sie zu Achilla, »man wird dich deines -Amtes entsetzen, wenn man erfährt, daß du eine Frau ins<span class="pagenum"><a id="Seite_333">[333]</a></span> -Allerheiligste getragen hast.« Er aber erwiderte: »Ihr seid -keine Frau, sondern eine <em class="gesperrt">Kraft</em>!« Und mit einem Male -war Achilla und das Allerheiligste und der Altar und die -Lichter – alles, alles verschwunden, und Natalia Nikolajewna -schlief nicht mehr, sondern wunderte sich nur, warum -alles um sie herum immer noch so klein aussah: der Samowar -da drüben war gar kein richtiger Samowar, sondern ein -Spielzeug, und die Teekanne darauf war nur eine Eierschale …</p> - -<p>In diesem Augenblick kam Tuberozow aus dem Kloster -zurück und fing an, freundlich zu ihr zu sprechen, sie aber -wehrte mit beiden Händen ab.</p> - -<p>»Still,« sagte sie, »still: ich muß ja bald sterben.«</p> - -<p>Der Propst blickte sie ganz erstaunt an.</p> - -<p>»Was fällt dir ein, Natascha? Gott behüte uns in -Gnaden!«</p> - -<p>»Nein, Liebster, ich muß sterben. Ich lebe nur noch halb.«</p> - -<p>»Wer hat dir das gesagt?«</p> - -<p>»Wer mir's gesagt hat? Ich sehe alles nur halb.«</p> - -<p>Der Arzt kam, fühlte den Puls, besah die Zunge und sagte: -»Nichts Besonderes, Erkältung und Übermüdung.«</p> - -<p>Tuberozow wollte ihm sagen, daß die Kranke alles nur -halb sehe, aber er genierte sich.</p> - -<p>»Du hast sehr recht getan, es ihm nicht zu sagen,« meinte -Natalia Nikolajewna, als er es ihr erzählte.</p> - -<p>»Siehst du wirklich alle Gegenstände nur halb?«</p> - -<p>»Ja! Ist das droben am Himmel der Mond?«</p> - -<p>»Freilich ist es der Mond, der auf uns zwei Alte durchs -Fenster herabschaut!«</p> - -<p>»Und mir erscheint er wie ein Fischauge.«</p> - -<p>»Das kommt dir nur so vor, Natascha.«</p> - -<p>»Nein, es ist wirklich so, Vater Sawelij.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_334">[334]</a></span></p> - -<p>Um seine Frau von ihrem Irrtum zu überzeugen, nahm -Tuberozow den verhängnisvollen Fünfundzwanzigrubelschein -aus der Schachtel und zeigte ihn ihr.</p> - -<p>»Nun sag mal, was ist das?«</p> - -<p>»Zwölf und ein halber Rubel,« erwiderte Natalia Nikolajewna -sanft.</p> - -<p>Tuberozow erschrak. Das war ihm unbegreiflich. Natalia -Nikolajewna aber faßte lächelnd seine Hand und flüsterte, -indem sie die Augen schloß:</p> - -<p>»Du scherzest und ich scherze auch. Ich habe wohl gesehen, -daß das unser Schein war. Aber alles sieht winzig klein aus. -Doch sobald ich die Augen zumache, seh' ich alles groß, riesengroß. -Alle wachsen: du und Nikolai Afanasjewitsch, unser -Freund, und der liebe Diakon Achilla, und Vater Zacharia … -Mir ist so wohl, so wohl, weckt mich nicht.«</p> - -<p>Und Natalia Nikolajewna entschlief für immer.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_335">[335]</a></span></p> - -<h2 id="Fuenftes_Buch">Fünftes Buch.</h2> - -<h3 id="kap5_1">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nicht nur den Zwerg Nikolai Afanasjewitsch erschütterte -die schauerliche Ruhe des Gesichtsausdrucks und der wackelnde -Kopf Tuberozows, der langsam durch den tiefen Schlamm -der ungepflasterten Straßen hinter dem Sarge seiner entschlafenen -Gattin herging, sondern in dem großen und -stummen Schmerz tiefangelegter Menschen liegt unzweifelhaft -eine unwiderstehliche Kraft, die von allen empfunden wird -und bei kleinen Naturen, welche gewohnt sind, ihr Weh in -lauten Seufzern und Geschrei ausströmen zu lassen, Angst -und Grauen erweckt. Das fühlte jetzt jeder, der irgend etwas -mit dem verwaisten Greise zu tun gehabt hatte, dessen treue -Gefährtin dahingegangen war. Als die Erdschollen an den -Sargdeckel schlugen und der in den Bann getane Priester sich -umwandte, um von dem hohen Erdhaufen herabzusteigen, -traten alle Umstehenden zurück und gaben ihm den Weg -frei, den er nun auch ganz allein mit entblößtem Haupte -durch den ganzen Friedhof entlang schritt.</p> - -<p>Am Tor blieb er stehen, betete vor dem Heiligenbild der -Kapelle, setzte seinen Hut auf und wandte sich noch einmal -um. Erstaunt trat er zurück. Vor ihm stand der Zwerg<span class="pagenum"><a id="Seite_336">[336]</a></span> -Nikolai Afanasjewitsch, der von der Grabstätte an in einer -Entfernung von zwei Schritt hinter ihm hergegangen war.</p> - -<p>Etwas wie Freude zuckte über das Gesicht des Propstes. -Es tat ihm augenscheinlich wohl, seinem »alten Märchen« -in einem so trüben Augenblick zu begegnen. Er wandte sich -seitwärts den schwarzen Feldern zu, auf denen noch kümmerlich -und frierend die Wintersaat sproßte, und aus seinen -Augen fiel eine schwere Träne, einsam und schnell, wie ein -Tropfen Quecksilber, und verlor sich in seinem grauen Barte, -gleich einem im Walde verirrten Waisenkind.</p> - -<p>Der Zwerg bemerkte diese Träne. Er wußte, was sie bedeutete -und schlug still ein Kreuz. Sie machte Sawelijs vom -Übermaß des Schmerzes beengte Brust leicht. Er holte tief -Atem, und als der Zwerg ihn aufforderte, in seinen Wagen -zu steigen, erwiderte er:</p> - -<p>»Ja, Nikolascha, es ist gut, ich will mit dir fahren.«</p> - -<p>Schweigend fuhren sie dahin, bis der Wagen vor dem -Häuschen des Gendarmen in der Klostervorstadt hielt. Tuberozow -drückte dem Zwerg stumm die Hand und ging in -seine Wohnung.</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch folgte ihm nicht. Er empfand, daß -Tuberozow jetzt allein sein wollte. Erst am Abend besuchte -er den Witwer, und nachdem er eine Zeitlang dagesessen -hatte, bat er um Tee unter dem Vorwande, daß ihn friere; -in Wirklichkeit wollte er Sawelij von seinem Schmerz ablenken -und das Gespräch auf den eigentlichen Zweck seines -Besuchs bringen. Der Plan gelang vollkommen, und als -Tuberozow den dampfenden Samowar hineingetragen hatte, -die Tassen aus dem Schrank holte und sich anschickte, den Tee -zu bereiten, begann der Zwerg leise zu erzählen, was sich in -all der Zeit in Stargorod zugetragen. Schritt für Schritt -ging er vorwärts, ließ einen Tag nach dem andern vorüberziehen,<span class="pagenum"><a id="Seite_337">[337]</a></span> -bis zu dem Augenblick, wo er hier am Teetisch saß. -In diesem Bericht war natürlich sehr viel die Rede von der -Betrübnis der Städter über das Mißgeschick des Propstes, -den man so sehr vermißte und ganz zu verlieren fürchtete.</p> - -<p>Der Propst, der dem Zwerg anfangs ernst und ruhig, beinahe -teilnahmlos zugehört hatte, wurde aufmerksamer, als -die Rede auf das Verhalten der Gemeinde seiner Maßregelung -gegenüber kam. Und als der Zwerg, nachdem er sich erst umgesehen -hatte, mit gedämpfter Stimme zu erzählen fortfuhr, -sie hätten im Namen der ganzen Gemeinde ein Gesuch aufgesetzt -und unterzeichnet, und er, Nikolai Afanasjewitsch, hätte -es von Achilla empfangen und auf seiner Brust verborgen, -da zuckte die Unterlippe des Alten krampfhaft und er sagte:</p> - -<p>»Ein braves Volk. Ich danke.«</p> - -<p>»Ja, es ist brav, unser Volk, sogar sehr brav, aber es weiß -noch nicht recht, wie es eine Sache anfangen soll.«</p> - -<p>»Finsternis, Finsternis über dem Abgrund … doch über -allem schwebt der Geist des Herrn,« sagte der Propst, seufzte tief -und bat um das Papier, von dem der Zwerg gesprochen hatte.</p> - -<p>»Wozu braucht Ihr es denn, Vater Propst, dieses Papier?« -fragte der Zwerg schlau lächelnd. »Morgen wird es dem -überreicht, an den es gerichtet ist –«</p> - -<p>»Gib es mir, ich will es besehen.«</p> - -<p>Der Zwerg knöpfte seinen Rock auf, um seinen Brustbeutel -herauszuholen, schien sich aber plötzlich auf etwas zu besinnen.</p> - -<p>»Nun, so gib doch her,« bat Sawelij.</p> - -<p>»Aber werdet Ihr … werdet Ihr es nicht zerreißen, -Vater Propst?«</p> - -<p>»Nein,« sagte Tuberozow fest, und als der Kleine ihm -das Blatt hinreichte, das mit winzigen und riesengroßen, -deutlichen und ganz unleserlichen Unterschriften bedeckt war, -murmelte Sawelij andächtig:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_338">[338]</a></span></p> - -<p>»Zerreißen? Dieses kostbare Dokument zerreißen? Nein, -nein! Mit ihm ins Gefängnis; mit ihm ans Kreuz! In -den Sarg sollt ihr es mir legen!«</p> - -<p>Und zum nicht geringen Entsetzen des Zwerges rollte er -das Blatt schnell zusammen und verbarg es auf seiner Brust -unter dem Leibrock.</p> - -<p>»Aber, Vater Propst, das soll doch eingereicht werden!«</p> - -<p>»Nein, das soll es nicht!«</p> - -<p>Ihm das Papier jetzt fortzunehmen, war unmöglich. Man -konnte sicher sein, daß er sich eher von seinem Leben, als von -diesem Blatt mit den kostbaren Krakelfüßen seiner Gemeinde -trennen würde.</p> - -<p>Dies sah der Zwerg ein und versuchte vorsichtig, sich dem -Gedankengang Sawelijs anzupassen. Er fing an davon -zu reden, wie bedeutungsvoll und erfreulich dieses Eintreten -der Gemeinde für ihren Pfarrer sei, und wies weiter darauf -hin, daß der Wille der Gemeinde für jeden Einzelnen bindend -und heilig sein müsse.</p> - -<p>»Sie weinen und wehklagen jetzt, Vater Propst, daß sie -Euch nicht mehr sehen sollen.«</p> - -<p>»Das ist nicht zu ändern,« sagte der Propst seufzend. -»Meine Tage sind ohnedies schon gezählt.«</p> - -<p>»Aber ich, Vater Propst? Wie steh' ich da? Was hat die -Gemeinde mir anvertraut und womit kehr' ich zu ihr zurück?«</p> - -<p>Tuberozow stand auf, durchschritt ein paarmal sein enges -Zimmerchen, blieb in der Ecke vor dem Heiligenbilde stehen, -zog das Blatt wieder hervor, küßte es noch einmal und reichte -es dann dem Zwerg mit den Worten:</p> - -<p>»Du hast recht, mein lieber Freund, tu, wie die Gemeinde -dir befohlen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_339">[339]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_2">Zweites Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch hatte viel Mühe, um seinen Auftrag -auszuführen, aber er war ebenso unermüdlich wie geschickt. -Dieser kleine Abgesandte der großen Gemeinde kannte -weder Ermattung noch Überstürzung. Wie eine Klette hängte -er sich an alle, die ihm förderlich sein konnten, und ließ sie -nicht los. Den Propst besuchte er allabendlich, doch erzählte -er ihm nichts von seinen Bemühungen, und Sawelij selbst -dachte nicht daran, ihn zu fragen. Inzwischen rückte aber -die Sache so gut vorwärts, daß am neunten Tage nach dem -Tode Natalia Nikolajewnas, als der Propst vom Friedhof -gekommen war, der Zwerg zu ihm sagen konnte:</p> - -<p>»Nun, lieber Vater Propst, macht Euch zur Heimreise -fertig. Man entläßt Euch.«</p> - -<p>»Der Wille des Herrn sei über mir,« erwiderte Tuberozow -gleichgültig.</p> - -<p>»Man verlangt nur eines von Euch, Ihr sollt Euch schriftlich -verpflichten, dieses hinfort nicht mehr zu tun.«</p> - -<p>»Gut; ich will's nicht mehr tun … werde es nicht tun … -ich bin schwach und zu nichts mehr zu brauchen.«</p> - -<p>»Wollt Ihr Eure Unterschrift geben?«</p> - -<p>»Ja … ich will … ich bin bereit.«</p> - -<p>»Und dann bittet man noch … Ihr sollt Euch schuldig -bekennen und um Verzeihung bitten.«</p> - -<p>»Schuldig? Wessen beschuldigt man mich?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_340">[340]</a></span></p> - -<p>»Des Übermuts. Das heißt – sie nennen es so: Übermut.«</p> - -<p>»Übermut? Ich war nie übermütig und habe stets auch andere, -soviel ich vermochte, davon zurückgehalten. Ich kann mich also -nicht einer Sünde schuldig bekennen, die ich nicht begangen habe.«</p> - -<p>»Aber sie nennen es so.«</p> - -<p>»So sage ich ihnen, daß ich mir keines Übermuts bewußt bin.«</p> - -<p>Tuberozow blieb stehen, hob den Zeigefinger der rechten -Hand in die Höhe und rief:</p> - -<p>»Der Prophet ward nicht übermütig genannt, da er für -den Herrn eiferte. Geh hin und sage ihnen: der Priester, -den ihr in den Bann getan, läßt euch melden, daß der Eifer -des Herrn ihn getrieben, und daß er, wie er als Eiferer geboren, -so auch sterben werde. Und jetzt will ich kein Wort -von Vergebung mehr hören.«</p> - -<p>Mit dieser kategorischen Antwort mußte der Fürsprecher -sich entfernen, und wieder lief er von Tür zu Tür, bat, flehte, -drohte sogar mit dem menschlichen und göttlichen Gericht, -aber alles war vergeblich.</p> - -<p>Der Zwerg wurde krank und mußte sich zu Bett legen; -die Unmöglichkeit, die Sache zum Austrag zu bringen, die -er auf sich genommen, hatte die Kraft und die Geduld des -eigenartigen Anwalts gebrochen.</p> - -<p>Nun tauschten die beiden Alten ihre Rollen, und wie bisher -Nikolai Afanasjewitsch den Propst täglich besucht hatte, -so wanderte jetzt Sawelij, wenn er die vorgeschriebene Menge -Holz gesägt und die Vesper im Kloster mit angehört hatte, -nach dem großen Plodomasowschen Hause, wo der Kranke -in einem kleinen Hinterstübchen lag.</p> - -<p>Der arme Zwerg tat dem Propst unsagbar leid, er fühlte -alle seine Schmerzen mit ihm und sagte seufzend:</p> - -<p>»Das hatte noch gefehlt, daß du um meinetwillen leiden -mußtest.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_341">[341]</a></span></p> - -<p>»Ach, Vater Propst, was redet Ihr von mir altem Hasen? -Wozu bin ich denn überhaupt noch auf der Welt? Denkt -lieber an Euch, und an ihn, an Euren Hohepriester! Er -<em class="gesperrt">bittet</em> Euch doch, daß Ihr Euch demütigt! Tröstet ihn, -gebt nach, bittet um Vergebung.«</p> - -<p>»Ich kann nicht, Nikolai, ich kann nicht.«</p> - -<p>»Demütigt Euch.«</p> - -<p>»Ich demütige mich vor der Gewalt, aber was höher ist -als die irdische Gewalt, das hat mehr Macht über mich … -Ich stehe unter dem Gesetz. Sirach hat es uns zur Pflicht -gemacht, für die Ehre unseres Namens Sorge zu tragen, -und der Apostel Paulus protestierte gegen die Mißachtung -seiner Bürgerrechte; ich habe nicht das Recht, mich zu erniedrigen -um einer Abbitte willen.«</p> - -<p>Der Zwerg gab alle Hoffnung auf und begann, sich zur -Heimreise nach Stargorod zu rüsten. Sawelij widersetzte sich -dem nicht; im Gegenteil, er riet ihm selbst, schneller abzureisen -und gab ihm keinerlei Aufträge, was er daheim sagen -oder antworten sollte. Bis zum letzten Augenblick, als er -den Zwerg aus der Stadt hinaus bis zum Zollschlagbaum -begleitete, bestand er auf seinem Willen und kehrte ruhig -in die Stadt und auf den Klosterhof zurück, um sein Holz -zu sägen.</p> - -<p>Der Kummer des Zwerges war grenzenlos. Er hatte -ganz anders gehofft heimzukehren, und seine Gedanken umkreisten -unablässig denselben Gegenstand. Plötzlich jedoch -kam ihm Erleuchtung – ein einfacher, klarer, rettender, -glänzender Gedanke, wie sie dem Menschen nur selten -kommen und fast immer so unverhofft, als würden sie -ihm von oben gesandt.</p> - -<p>Etwa zehn Werst weit war der Zwerg gefahren, als er dem -Kutscher befahl, wieder nach der Stadt zurückzukehren. Sofort<span class="pagenum"><a id="Seite_342">[342]</a></span> -begab er sich zu Sawelijs Vorgesetzten und bat flehentlich, -man möge dem Propst <em class="gesperrt">befehlen</em>, Abbitte zu tun.</p> - -<p>Da man des halsstarrigen alten Mannes lange überdrüssig -war, erfüllte man seinen Wunsch ohne weiteres. Er -erschien daher wieder bei Tuberozow und erklärte:</p> - -<p>»Nun, stolzer Vater Propst, Ihr wolltet Euch nicht bestimmen -lassen, – jetzt habt Ihr's so weit gebracht, daß -Ihr Euch der Strenge fügen müßt. Ich bin beauftragt, -Euch mitzuteilen, daß die Obrigkeit Euch kraft der ihr zukommenden -Gewalt befiehlt, Abbitte zu tun.«</p> - -<p>»Wo soll ich denn den Kniefall tun: hier, oder auf dem -Marktplatz, oder in der Kirche?« fragte Tuberozow trocken. -»Mir ist es gleich. Was man mir befiehlt, muß ich tun.«</p> - -<p>Der Zwerg antwortete, daß kein Mensch eine derartige Demütigung -von ihm verlange; er habe schriftlich Abbitte zu leisten.</p> - -<p>Sofort setzte sich Tuberozow hin und schrieb das Gewünschte -nieder. Als Überschrift wählte er die Worte: »Befohlenes -ergebenstes Gesuch.«</p> - -<p>Der Zwerg bemerkte, daß das Wort »befohlen« hier ganz -unpassend sei, jedoch Sawelij wies ihn energisch zurück:</p> - -<p>»Ich hoffe, man hat dich nicht noch beauftragt, mir Unterricht -in der Logik zu erteilen. Ich habe genug davon im -Seminar gelernt. Du sagtest, es würde mir befohlen, und -also schreibe ich auch ›befohlenes Gesuch‹.«</p> - -<p>Die Sache endete damit, daß man den Vater Sawelij, -um ihn endlich einmal los zu sein, ziehen ließ, weil aber sein -ergebenstes Gesuch zugleich als »befohlenes« bezeichnet worden -war, so erfolgte darauf der Bescheid, daß der Propst noch ein -halbes Jahr lang keine Amtshandlungen ausüben dürfe.</p> - -<p>Sawelij nahm das sehr kühl auf, dankte allen, denen er -Dank zu schulden glaubte, und reiste mit dem Zwerge nach -Stargorod. Die lange, qualvolle Verbannung war vorüber.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_343">[343]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_3">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Unterwegs redeten sie nicht viel, und immer nur war es -der Zwerg, welcher anfing. Er wollte den Propst, der stumm -mit den in alten Wildlederhandschuhen über den Knien gefalteten -Händen dasaß, zerstreuen und erheitern. Nikolai -Afanasjewitsch fing bald von diesem, bald von jenem an, -Tuberozow jedoch schwieg oder gab nur ganz kurze Antworten. -Der Kleine erzählte, wie die Gemeinde um den -Propst geklagt und geweint hätte, wie die Postmeisterin ihren -Mann verprügeln wollte und statt dessen den Lehrer verprügelt -hätte, wie dieser, von der Biziukina verfolgt, aus der -Stadt geflohen sei, aber der Alte schwieg und schwieg.</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch sprach von Tuberozows Hause: es -werde baufällig und müsse repariert werden.</p> - -<p>Seufzend meinte der Propst:</p> - -<p>»Für mich ist das alles nur Staub, und es ekelt mich, -daß ich mein Herz daran hängen konnte.«</p> - -<p>Der Zwerg fing von Achilla an, der immer einen Zeitvertreib -zu finden wisse: jetzt habe er z. B. ein Hündchen -zu sich ins Haus genommen, das er noch blind am Flußufer -ausgesetzt gefunden, und triebe immer neuen Spaß -mit ihm.</p> - -<p>»Mag er doch, wenn es ihm Vergnügen macht,« sagte -der Propst leise.</p> - -<p>Nikolai Afanasjewitsch fuhr lebhafter fort:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_344">[344]</a></span></p> - -<p>»Ja, und es passieren ganz seltsame Geschichten mit diesem -Hündchen, Vater Propst. Er hat diesen Hund, wie schon -seine früheren, lachen gelehrt, und wenn er zu ihm sagt: -›Lache, mein Hündchen‹ – dann zeigt es gleich die Zähnchen. -Nun machte ihm aber der Gedanke Sorge, wie er das Tierchen -nennen sollte.«</p> - -<p>»Als ob es dem Vieh nicht ganz gleichgültig sei, wie man -es nennt,« sagte der Propst scheinbar gelangweilt.</p> - -<p>Aber der Zwerg hatte schon gemerkt, daß sein Gefährte -den Geschichten vom Diakon Achilla mehr Teilnahme entgegenbrachte -als seinen sonstigen Reden, und fuhr deshalb -fort:</p> - -<p>»Man sollte es meinen. Aber dem Vater Diakon ist es -nicht gleichgültig. Er ist nun mal so ein Charakter: hat er -sich was in den Kopf gesetzt, dann hat er auch keine Ruhe -mehr bei Tag und Nacht. ›Ich habe‹, sagt er, ›dies Hündlein -bei einer besondern Gelegenheit in sehr erregter Stimmung -heimgebracht, und ich will, daß es zur Erinnerung an diesen -Tag auch einen besondern Namen habe, einen Namen, wie -er sonst nicht vorkommt.‹«</p> - -<p>Der Propst lächelte.</p> - -<p>»So kam Vater Achilla eines Tages zu mir nach Plodomasowo -geritten, hielt auf seinem Rosse vor meinem und -meines Schwesterleins Fenstern an und rief mit Donnerstimme: -›Nikolascha! Heda, Nikolascha!‹ Ich dachte: ›Herrgott, -was ist denn da passiert?‹ schaute zum Fenster hinaus -und fragte: ›Ist am Ende dem Vater Sawelij noch etwas -Schlimmes widerfahren, Vater Diakon?‹ – ›Nein,‹ entgegnete -er, ›nichts dergleichen, aber ich habe ein wichtiges -Anliegen an dich, Nikolascha. Ich muß dich um Rat fragen.‹ -– ›Um was handelt sich's denn?‹ rief ich hinunter. ›Macht -schnell, wertester Herr, denn mir wird's kalt, wenn ich so<span class="pagenum"><a id="Seite_345">[345]</a></span> -lange am offenen Fenster stehe. Ich vertrage das nicht.‹ – -›Du hast dich‹, sagte er, ›von klein auf in herrschaftlichen -Häusern umgetan und mußt alle Hundenamen wissen.‹ – -›Da verlangt Ihr zu viel,‹ sagte ich. ›Ein jeder nennt seinen -Hund so, wie's ihm paßt.‹ – ›Na also,‹ schrie er zurück, -›dann leg mal los!‹ – Ich antwortete, der Name richte -sich doch meistens nach der Rasse. Die Windspiele nenne -man ›Mylord‹, unsere einfachen Hunde ›Barbos‹, die englischen -›Fanny‹, die kurländischen ›Charlotte‹ … ›Aber‹, -unterbrach mich der Vater Diakon, ›du sollst mir einen -Namen nennen, der sonst nirgends vorkommt. Du mußt -einen solchen wissen!‹ ›Herrgott, wie beruhige ich den Menschen -nur?‹ dachte ich.«</p> - -<p>»Nun, und was hast du schließlich gemacht?« fragte Tuberozow -neugierig.</p> - -<p>»Ich fror derart am offenen Fenster, daß ich, nur um ihn -schneller loszuwerden, meinte: ›Ich kenne noch einen Hundenamen, -werter Herr, aber ich habe nicht den Mut, ihn Euch -zu sagen.‹ – ›Tut nichts,‹ schrie er, ›sag ihn ruhig!‹ – ›Ich -kannte einen Herrn, dessen Hund hieß Wiesie.‹ Vater Achilla -machte ein ganz verdutztes Gesicht. ›Was ist das für Unsinn, -du bist wohl verrückt geworden?‹ – ›Nein,‹ sagte ich, ›verrückt -bin ich nicht, ich weiß nur ganz genau, daß in Moskau -ein Fürst einen Hund hatte, der hieß Wiesie.‹ Achilla Andrejewitsch -geriet nun in fürchterliche Wut, gab seinem Pferd -die Sporen, ritt hart an die Mauer heran und schrie: ›Wie -darfst du alter schamloser Kerl solche Dinge reden? Weißt -du nicht, daß ich einen christlichen Namen trage und daß ich -ein Diener des Altars bin?‹ Mit Müh und Not konnte ich -ihn beruhigen, Vater Propst, und ihm erklären, was es mit -dem Wiesie für eine Bewandtnis hatte. Darauf schwang er -sich auf sein Pferd, holte das Hündchen aus seinem Pelz,<span class="pagenum"><a id="Seite_346">[346]</a></span> -wo er es verborgen gehalten hatte, heraus und rief: ›Guten -Tag, Wiesiechen!‹ Und sprengte fröhlich von dannen.«</p> - -<p>»Das große Kind!« sagte Sawelij lächelnd.</p> - -<p>»Ja, er muß immer spaßen.«</p> - -<p>»Tadele ihn nicht. Das Kind muß sein Spielzeug haben, -damit es nicht weint. Er hat eine schwere Last zu tragen. -Rundherum liegt alles in tiefstem Schlaf und in ihm brennen -tausend Leben.«</p> - -<p>»Sehr richtig. Ich kann mir auch gar nicht denken, wie -er einmal sterben wird.«</p> - -<p>»Ich auch nicht,« meinte der Propst lächelnd. »Er ist die -verkörperte Verneinung des Todes. Was aber wurde weiter -aus dem Wiesie?«</p> - -<p>»Ja, was meint Ihr wohl? Seinetwegen gab es noch -Zank und Streit ohne Ende. Es konnte ja auch gar nicht -anders sein. Der Vater Diakon hatte sich nämlich folgendes -angewöhnt: Wenn er besonders große Sehnsucht nach Euch -bekam, nahm er sein Wiesiechen auf den Arm und begab -sich zur Poststation. Dort setzte er sich vor die Tür und wartete. -Kaum zeigte sich nun ein vornehmer Reisender oder eine -Dame, so sagte er gleich: ›Lache, mein Hündchen!‹ Und -das kleine Vieh lachte. Das machte den Reisenden Spaß -und sie fragten: ›Wie heißt denn das Hündchen, Herr Pfarrer?‹ -Er antwortete: ›Ich bin kein Pfarrer, sondern bloß Diakon, -meinen Pfarrer haben die Hunde gefressen.‹ ›Wie heißt denn -aber das Hündchen?‹ fragten sie erneut. ›Das Hündchen, -das heißt Wiesie.‹ Auf diese Weise geriet er mit allen in -Streit. ›Ich will sie so alle ins Gesicht Hunde nennen,‹ sagte -er, ›und der Friedensrichter kann mir doch nichts anhaben.‹ -So nimmt er Rache für Euch, Vater Sawelij; aber was er -eigentlich damit erreicht, das bedenkt er gar nicht. Dem -Vater Zacharia ist es seinetwegen schon einmal schlimm ergangen:<span class="pagenum"><a id="Seite_347">[347]</a></span> -der Propst sah den Hund bei ihm und fragte, wie -er hieße. ›Er heißt Wiesie, Hochwürden‹ – sagte Zacharia -und zog sich einen ernsten Verweis zu.«</p> - -<p>Sawelij lachte Tränen. »Dieser ehrliche Zacharia ist köstlich. -Ein Gefäß Gottes und ein Beter, wie ich keinen zweiten -gesehen. Ich sehne mich, ihn wieder zu umarmen.«</p> - -<p>Von der Anhöhe, welche die Reisenden jetzt erreichten, -ward plötzlich die ganze Stadt sichtbar, diese alte, eigentümliche -Stadt, die für Tuberozow so viele Erinnerungen barg; -sie überkamen den Alten mit einer solchen Macht, daß -er sich zurücklehnen und die Augen schließen mußte, als hätte -ihn zu grelles Sonnenlicht geblendet.</p> - -<p>Sie ließen den Kutscher langsamer fahren, denn erst, wenn -es dämmerte, wollten sie in der Stadt sein. Als sie im Halbdunkel -mit dem eisernen Ring gegen das wohlbekannte Tor -schlugen, ertönte von innen Achillas Stimme: »Wer da?« -Tuberozow wischte sich eine Träne aus dem Auge und bekreuzigte -sich.</p> - -<p>»Wer denn sonst als ich und Vater Sawelij,« antwortete -der Zwerg.</p> - -<p>Der Diakon schrie laut auf, flog die Verandastufen herunter, -öffnete das Tor weit, rollte wie eine Lawine in den -Wagen hinein und umklammerte den Hals des Propstes.</p> - -<p>So saßen beide umarmt im Wagen und schluchzten lange -und bitterlich, während der Zwerg daneben stand und seine -sanften, befreienden Tränen leise mit der kleinen, frosterstarrten -Faust wegwischte.</p> - -<p>Als der Diakon sich ausgeweint hatte, fing er an zu sprechen. -Beinahe hätte er nach Natalia Nikolajewna gefragt, aber er -besann sich noch im rechten Augenblick und gab dem Gespräch -schnell eine andere Wendung, indem er dem Propst das -Hündchen zeigte, das zu seinen Füßen spielte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_348">[348]</a></span></p> - -<p>»Das ist mein neuer Hund, Vater Propst, mein Wiesiechen. -Ein ganz famoses Vieh. Wir brauchen bloß zu befehlen, -dann lacht er. Was sollen wir wegen unnützer Dinge Trübsal -blasen!«</p> - -<p>»Wegen unnützer Dinge!« klang es unerträglich schmerzvoll -in Vater Sawelijs Herzen nach, aber er sprach die Worte -nicht aus, sondern drückte nur des Diakons Hand, so fest -er konnte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_349">[349]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_4">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Als der Propst sein Haus betreten hatte, dessen einziger -Bewohner und Herr so lange Zeit der Diakon Achilla gewesen -war, küßte er den wilden Riesen auf den trockenen -Scheitel seines Lockenkopfes, ging dann mit ihm durch alle -Zimmer, machte das Zeichen des Kreuzes über dem leeren, -verwaisten Bettchen Natalia Nikolajewnas und sprach:</p> - -<p>»Nun, alter Freund, jetzt hat es wohl keinen Sinn mehr, -daß wir uns wieder trennen? Bleiben wir zusammen.«</p> - -<p>»Mit tausend Freuden. Ich hatte es mir selbst auch schon -so gedacht,« entgegnete Achilla und schloß den Propst wieder -in seine Arme.</p> - -<p>So hausten sie denn zu zwei hier. Achilla sang in der -Kirche und sorgte für die Wirtschaft, Tuberozow saß zu Hause, -las seinen John Bunian, dachte und betete.</p> - -<p>Er lebte das intensive, konzentrierte Leben eines Geistes, -der mit sich selbst ins Reine zu kommen sucht.</p> - -<p>Achilla hielt ihm alle kleinen Alltagssorgen fern und gab -dem Alten die Möglichkeit, ganz und gar der innern Sammlung -zu leben.</p> - -<p>Aber dieses Glück sollte nicht lange dauern. Dem Diakon -ward eine große Ehre zuteil: der Bischof, der zur Session -des Heiligen Synods berufen war, nahm ihn mit nach -Petersburg, weil der Protodiakon der Gouvernementskathedrale -erkrankt war.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_350">[350]</a></span></p> - -<p>Der Abschied des Diakons von Tuberozow war rührend. -Achilla, der in seinem Leben noch keinen Brief geschrieben -hatte, nicht wußte, wie man einen schreibt noch absendet, -erklärte nicht nur, daß er dem Propst regelmäßig schreiben -werde, sondern er tat es auch wirklich.</p> - -<p>Seine Briefe waren ebenso eigenartig und seltsam wie -seine ganze Denk- und Lebensweise. Zuerst erhielt Tuberozow -einen Brief aus der Gouvernementsstadt, und in diesem -Brief, dessen Umschlag die Aufschrift trug: »An den Vater -Propst Tuberozow geheim und eigenhändig«, meldete Achilla, -daß er während seines Aufenthaltes im Kloster für Tuberozow -Rache an dem Zensor Troadij genommen habe: er habe -dem Kater des Zensors eine Wurst auf den Rücken gebunden -mit der Aufschrift:</p> - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Diese Wurst bring ich, der Kater,<br /></span> -<span class="i0">Meinem Herrn, dem frommen Vater«<br /></span> -</div></div> - -<p class="noind">und ihn in den Klosterhof laufen lassen.</p> - -<p>Einen Monat später schrieb Achilla aus Moskau, wie sehr -ihm die Stadt gefallen hätte; doch seien die Leute dort gar -arglistig, insbesondere die Kirchensänger, die ihn zweimal -aufgefordert hätten, mit ihnen Blachdnublach zu trinken, er -aber habe »aus der Praxis wohl wissend, was sothanes -Blachdnublach zu bedeuten habe, sich ob dieser ihrer Sängerfrechheit -nicht wenig verwundert«.</p> - -<p>Einige Zeit später schrieb er aus Petersburg:</p> - -<p>»Mein vielgeliebter Freund und Euer Hochwürden Vater -Sawelij. Freuet Euch. Ich lebe herrlich im Klostergasthof, -in dem es freilich an Versuchungen jeglicher Art nicht fehlt, -denn es geht hier fast ebenso zu, wie mitten im Lärm der -großen Stadt. Und doch sehne ich mich sehr nach Euch. -Wenn wir zusammen hier wären, könnten wir gemeinschaftlich -viel schöner und mit viel mehr Freude alles bewundern.<span class="pagenum"><a id="Seite_351">[351]</a></span> -Eure weisen Ratschläge habe ich mir wohl gemerkt und werde -von allen mit größter Achtung behandelt, was Euch ja das -Moskauer Blachdnublach beweist, welches mitzutrinken ich -mich weigerte. Ich trinke nur ganz wenig, und auch nur -deshalb, weil ich sonst fürchte, gute Bekanntschaft zu verlieren. -An Schönem ist hier kein Mangel, bloß einen richtigen -Diakon, wie man ihn sich bei uns wünscht, habe ich noch nicht -gefunden. Alle sind sie Tenöre, die nach unsern Begriffen -nur zu Friedhofsgottesdiensten zu brauchen wären, und obgleich -einige sich sehr aufspielen, so sind sie doch an Gestalt -im Vergleich zu uns gar jämmerlich und ihr Gesang ist ein -halbes Sprechen, wobei sie nicht mal die richtige Note treffen, -und die Sänger mit ihnen gar nicht ordentlich zurechtkommen -können. Ich aber, der ich mein Handwerk kenne, mache ihre -Mode nicht mit, sondern singe die Messe so, wie ich es gewohnt -bin, und, obgleich ich ein Fremder bin, hat mich die -Kaufmannschaft doch aufgefordert, beim Dankgottesdienst -vor der Markthalle mitzusingen, und ich habe dafür, außer -der Renumeration in barem Gelde, noch drei Tücher aus -Seidenfoulard erhalten, wie Ihr sie so gerne habt und welche -ich Euch als Gastgeschenk mitzubringen gedenke. Wohl bekomm's! -Langeweile habe ich oft. Man bekommt hier -meistens Kaffee vorgesetzt. Wegen der weiten Entfernungen -mache ich nur wenig Besuche. Fast alle wohnen in Nebenstraßen; -und da ich auf dem Imperial fahre, komme ich in -keine Nebenstraßen hinein. Doch Ihr als Provinzler werdet -das gar nicht verstehen: man sitzt wie auf einem Hause, -hoch oben auf dem Dache, und wenn man von da hinunter -will, so muß man sehr gewandt sein, um abspringen zu -können. Dem weiblichen Geschlecht ist dieses wegen seiner -Kleidung überhaupt nicht gestattet. Die Droschkenkutscher -aber sind hier, wie ich bemerke, große Spötter. Und wenn<span class="pagenum"><a id="Seite_352">[352]</a></span> -einer von uns geistlichen Personen einen mieten will und er -bietet einen niedrigen Preis, dann schreien gleich alle andern: -›Mit dem sollt Ihr nicht fahren, Vater, der hat erst gestern -einen Priester in den Schmutz fallen lassen.‹ Deshalb lasse -ich mich mit ihnen lieber nicht ein. Unsern Warnawa habe -ich einmal getroffen, sprach ihn aber nicht. Denn wir fuhren -aneinander im Imperial vorüber, und ich konnte ihm nur -von ferne drohen. Im übrigen sieht er halb krepiert aus. -Was Euer Unglück betrifft, daß Ihr noch unter dem Bann -steht und nicht für Euch in der Messe beten könnt, so grämt -Euch deshalb nicht. Ich habe das alles wohl überlegt und -eingerichtet und der Allmächtige sieht es. Seid getrost: -Wenn Ihr auch für Euch selbst im Kreisstadttempel nicht -beten könnt, in der Residenz ist ein Mann, durch den steigt -das Gebet für Euch zum Himmel empor, – aus der Kasankathedrale, -wo der Erretter des Vaterlandes, der durchlauchtigste -Fürst Kutusow, beigesetzt ist, und aus der Isaakskathedrale, -die von außen ganz von Marmor ist. Und dieser -Beter in der Residenz bin ich, denn sobald ich die große Fürbitte -verlesen habe, so verkünde ich laut die Namen, die mir -vorgeschrieben sind, aber heimlich flüsternd nenne ich still für -mich auch Deinen Namen, mein Freund Vater Sawelij, -und sende mein allerheißestes Gebet für Dich zum Höchsten -hinauf, und klage ihm, wie Du vor aller Welt von Deinen -Vorgesetzten gekränkt worden bist. Und ich bitte Euch noch -ganz besonders, nicht mehr an jenes Wort, Eure Tage seien -gezählt, zu denken, es nicht auszusprechen, denn das wäre für -mich und den Vater Zacharia über alle Maßen schmerzlich, und -ich würde Dich, auf Ehrenwort, nur ganz kurze Zeit überleben.«</p> - -<p>Unterzeichnet war der Brief: »Zeitweiliger Residenzstellvertreter -des Protodiakons seiner Parochie, Diakon am Dom -zu Stargorod Achilla Desnitzyn.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_353">[353]</a></span></p> - -<p>Es kam noch ein zweiter Brief von Achilla, in dem er berichtete, -daß er »durch einen glücklichen Zufall doch mit Prepotenskij -zusammengekommen sei und sich mit ihm wegen -der vergangenen Dinge habe schlagen wollen; daß die -Sache aber eine ganz andere Wendung genommen habe -und er sogar in seiner Redaktion gewesen sei.« Denn Warnawa -war jetzt Redakteur und Achilla hatte verschiedene -»Literaten« bei ihm getroffen und sich mit ihm ausgesöhnt. -Als Grund zu dieser Versöhnung wurde angegeben, Warnawa -(nach Achillas Behauptung) sei ein sehr unglücklicher -Mensch geworden, weil er sich kürzlich mit einer Petersburger -jungen Dame verheiratet hätte, die weit strenger wäre, als jede -ältere Frau, und immer gegen die Ehe spreche. Auch solle -sie Warnawa häufig prügeln. Er wäre gar nicht mehr so -wie früher: »Er hat mir selber offen eingestanden, wenn -er nicht eine solche große Angst vor seiner Frau hätte, so -würde er in seiner Zeitung sogar für den lieben Gott eintreten; -und dann schimpft er fürchterlich auf die Frau Biziukina -und insonderlich den Herrn Termosesow, der sich anfangs -hier sehr gut eingerichtet hatte und ein hohes Gehalt -bezog im Geheimdienst, indem er ehrliche Leute auszukundschaften -hatte. Aber der böse Feind verführte ihn durch seine -Habsucht: er fing an falsches Papiergeld in Umlauf zu -bringen, und nun sitzt er im Gefängnis.« Am meisten aber -rühmte Achilla sich dessen, daß er eine Theatervorstellung -mit angesehen habe. »Einmal (schrieb er) bin ich mit den -Kirchensängern in bürgerlichem Gewande auf die höchste -Galerie zur Oper ›Das Leben für den Zaren‹ gegangen, und -habe nachher von dem schönen Gesang fast die ganze Nacht -vor Entzücken weinen müssen. Ein andermal bin ich dann, -wiederum als Zivilist verkleidet, hingegangen, den König -Achilla selber zu sehen. Aber mit mir hatte er auch nicht die geringste<span class="pagenum"><a id="Seite_354">[354]</a></span> -Ähnlichkeit: Es kam ein Komödiant herausstolziert, -ganz in Gold gepanzert, und klagte über seine Ferse. Hätte -man mir solch eine Montur angezogen, ich hätte es viel -dröhnender gemacht. Das andere Spiel aber ist ganz heidnisch -mit einer Offenheit bis hierher, und auf einen Witwer -oder einzelnstehenden Mann wirkt das äußerst beunruhigend.«</p> - -<p>Und dann kam endlich noch ein dritter Brief, in dem Achilla -meldete, er käme jetzt bald zurück, und an einem trüben -Herbsttag erschien er plötzlich bei Tuberozow, strahlend, als -brächte er eine Freudenbotschaft.</p> - -<p>Sawelij begrüßte ihn und lief sofort auf die Straße, um -die Fensterläden zu schließen, weil kein Neugieriger von der -Heimkehr des Diakons erfahren sollte.</p> - -<p>Ihre Unterredung dauerte sehr lange. Achilla trank in -der Zeit einen ganzen Samowar leer, Vater Tuberozow -aber füllte seine Tasse immer von neuem und sagte:</p> - -<p>»Trink nur, Lieber, trink nur noch,« – und wenn Achilla -die Tasse geleert hatte, meinte der Propst: »Nun erzähle -weiter, Freund, was hast du noch alles gesehen und erlebt?«</p> - -<p>Und Achilla erzählte. Gott weiß, woher er das alles hatte, – -Wichtiges und Unwichtiges bunt durcheinander. Was aber -den Vater Sawelij am meisten wunderte, waren die vielen -seltsamen Worte, die Achilla erbarmungslos in seine Rede -mengte, mochten sie passen oder nicht, Ausdrücke, wie er sie -vor seiner Petersburger Reise nicht nur nie gebraucht, sondern -wohl auch gar nicht gekannt hatte.</p> - -<p>So fing er zum Beispiel plötzlich ganz unvermittelt an: -»Denk dir einmal, Vater Sawelij, diese Kumbination …« -(Das ›u‹ wurde unbarmherzig scharf betont.)</p> - -<p>Oder:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_355">[355]</a></span></p> - -<p>»Wie er mir das sagte, da sah ich ihn an und antwortete: -›Nein, mein Bester, <em class="antiqua">je vous perdu</em>! Das wäre mir gerade -der rechte Türlütütü!‹«</p> - -<p>Mit welch großer Teilnahme Vater Tuberozow auch -seinem Diakon zuhörte, – als diese und ähnliche Ausdrücke -sich immer häufiger wiederholten, runzelte er die Stirn und -rief endlich ungeduldig:</p> - -<p>»Was soll das eigentlich? Wo hast du all diese dummen -Redensarten gelernt?«</p> - -<p>Aber der begeisterte Achilla war so eifrig dabei, dem Propst -alle seine aus der Residenz mitgebrachten Herrlichkeiten zu -zeigen, daß er auch vor den tollsten Wortbildungen nicht -zurückschreckte.</p> - -<p>»Hab' nur keine Furcht, guter Vater Sawelij, solche -Worte haben nichts zu sagen – sie sind nicht verboten.«</p> - -<p>»Wieso nichts zu sagen? Sie klingen häßlich.«</p> - -<p>»Ihr seid sie nur nicht gewohnt. Mir kann man jetzt sagen, -was man will. Es ist alles Quatsch mit Sauce.«</p> - -<p>»Schon wieder!«</p> - -<p>»Was denn?«</p> - -<p>»Was hast du da wieder für ein gemeines Wort gebraucht?«</p> - -<p>»Quatsch mit Sauce!«</p> - -<p>»Pfui!«</p> - -<p>»Was ist denn dabei? Alle Literaten gebrauchen es.«</p> - -<p>»Mögen sie es tun, in der Residenz sind sie eben so feine -Herrschaften; da geht's nicht ohne Sauce. Wir einfachen -Leute aber haben an dem Quatsch allein schon mehr als -genug. Meinst du nicht?«</p> - -<p>»Sehr richtig,« sagte Achilla und fügte nach einigem Nachdenken -hinzu, er fände eigentlich auch, daß Quatsch ohne -Sauce viel besser klinge.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_356">[356]</a></span></p> - -<p>»Denkt einmal,« widerlegte er sich selbst, »wenn unsereins -einen Quatsch zum Besten gibt, dann lacht alles; aber die -Leute geben gleich auch noch eine scharfe Sauce hinzu – zum -Beispiel, es gebe keinen Gott oder ähnliche Torheiten, so daß -einem angst und bange wird, und nachher gibt's dann allemal -Zank und Streit.«</p> - -<p>»Es muß einem dabei immer angst werden,« flüsterte -Tuberozow.</p> - -<p>»So streng darf man auch nicht sein, Vater Sawelij. -Wenn sie's einem beweisen – wo soll man dann hin?«</p> - -<p>»Was beweisen? Was redest du da? Was hat man dir -bewiesen? Daß es keinen Gott gibt?«</p> - -<p>»Ja, Vater Sawelij, das hat man mir bewiesen …«</p> - -<p>»Was faselst du da, Achilla? Du bist doch ein ehrlicher -Kerl und Christ! Bekreuzige dich! Was hast du da gesagt?!«</p> - -<p>»Was soll man denn machen? Ich bin ja selbst nicht froh. -Aber gegen ein Faktum kann man nicht ankämpfen.«</p> - -<p>»Was für ein Faktum? Was hast du denn entdeckt?«</p> - -<p>»Ach, Vater Sawelij, was soll ich Euch ärgern? Lest Ihr nur -Euren Bunian und glaubt in Eurer Einfalt, wie Ihr bisher -geglaubt habt.«</p> - -<p>»Laß du meinen Bunian in Ruh und kümmere dich nicht -um meine Einfalt. Bedenke nur, wie du dich selbst bloßstellst!«</p> - -<p>»Was soll man machen? Es ist ein Faktum!« erwiderte -Achilla seufzend.</p> - -<p>Tuberozow stand erregt auf und verlangte, Achilla solle -ihm sofort das Faktum nennen, auf das sich sein Zweifel -an der Existenz Gottes gründe.</p> - -<p>»Dieses Faktum hüpft auf jedem Menschen herum,« antwortete -der Diakon und erklärte dann, er meine damit den -Floh. Einen Floh könne jeder aus Sägespänen hervorbringen,<span class="pagenum"><a id="Seite_357">[357]</a></span> -und also hätte auch die Welt von selbst entstehen -können.</p> - -<p>Auf dieses naive und offenherzige Geständnis wußte Tuberozow -zuerst gar nichts zu erwidern, Achilla aber begann -nun, nachdem das Gespräch einmal diese Wendung genommen -hatte, seine Petersburger Aufklärungsideen weiter zu -entwickeln.</p> - -<p>»Wozu arbeitet der Mensch? Um des Essens willen. Er -möchte satt sein und keinen Hunger leiden. Wenn wir nicht -essen müßten, würden wir überhaupt nichts tun. Man -nennt das den Kampf ums Dasein. Ohne den gäb' es -gar nichts.«</p> - -<p>»Nun sieh mal,« sagte Tuberozow, »Gott hat das alles -gar nicht nötig gehabt und hat doch die Welt geschaffen.«</p> - -<p>»Das ist wahr,« sagte der Diakon, »Gott hat sie geschaffen.«</p> - -<p>»Wie kannst du ihn dann aber leugnen?«</p> - -<p>»Ich leugne ja gar nicht,« antwortete Achilla, »ich sage -nur, daß, wenn man vom Faktum ausgeht, so kann, wie der -Floh aus Sägespänen, die Welt auch aus sich selbst heraus -entstanden sein. Ihr Gott ist, heißt es, der »Sauerstoff«. -Aber der Teufel mag wissen, was das wieder für ein Stoff -ist! Und nun seht einmal: wenn Ihr das wieder von der -andern Seite betrachtet habt, versteh ich rein gar nichts mehr.«</p> - -<p>»Wo ist denn dein Sauerstoff hergekommen?«</p> - -<p>»Ich weiß nicht … Lassen wir das lieber, Vater Sawelij.«</p> - -<p>»Nein, das kann ich nicht. Es muß wieder heraus aus dir. -Also sag' einmal: wo hat er seinen Anfang, dein Sauerstoff?«</p> - -<p>»Bei Gott, ich weiß es nicht, Vater Sawelij! Laßt es -doch, Liebster!«</p> - -<p>»Vielleicht ist dieser Sauerstoff ohne Anfang?«</p> - -<p>»Das mag der Teufel wissen! Der soll ihn überhaupt -holen!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_358">[358]</a></span></p> - -<p>»Und er hat auch kein Ende?«</p> - -<p>»Vater Sawelij! … Was geht uns dieser verfluchte -Sauerstoff an? Mag er doch ohne Anfang und ohne Ende -sein! Was kümmert's uns?«</p> - -<p>»Begreifst du, was das heißt: ohne Anfang und ohne -Ende?«</p> - -<p>Achilla erwiderte, er begreife es, und fuhr mit lauter -Stimme fort:</p> - -<p>»Es ist ein Gott, der in der Dreifaltigkeit angebetet wird, -der ewig ist, nicht Anfang noch Ende seines Seins hat, sondern -immer war, ist und sein wird.«</p> - -<p>»Amen,« sagte Sawelij lächelnd, und immer noch lächelnd -stand er auf, faßte freundlich Achillas Hand und sagte:</p> - -<p>»Komm, ich will dir etwas zeigen.«</p> - -<p>»Gerne,« erwiderte der Diakon.</p> - -<p>Und Hand in Hand gingen sie aus dem Zimmer, durchschritten -den ganzen Hof und blieben schließlich in der Mitte -des mit glänzendem frischen Schnee bedeckten Gemüsegartens -stehen. Der Alte zeigte dem Diakon das Kreuz des Doms, -wo sie so lange Zeit zusammen vor dem Altar gestanden -hatten; dann richtete er immer noch schweigend den Zeigefinger -abwärts und sagte streng:</p> - -<p>»Falle nieder und bete!«</p> - -<p>Achilla kniete nieder.</p> - -<p>»Sprich: Herr, reinige mich Sünder und sei mir gnädig,« -sagte Sawelij und beugte sich selbst als erster zur Erde.</p> - -<p>Achilla seufzte und folgte seinem Beispiel. In der feierlichen -Stille der Mitternacht, im weißen, monderhellten, einsamen -Garten stand er da und immer wieder schlug er mit -der heißen Stirn gegen den kalten Schnee, und tiefe Seufzer -wechselten mit der süßen Klage des Bußgebets: »Herr, -reinige mich Sünder und sei mir gnädig« – und dazwischen<span class="pagenum"><a id="Seite_359">[359]</a></span> -klang die Stimme des Propstes, der die zweite Bitte sprach: -»Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht.« Der -Prediger und der Büßer beteten zusammen.</p> - -<p>Wie groß war doch der Unterschied zwischen diesem Achilla -und jenem, den wir einst in der Morgenröte pfeifend auf -flammendem Roß durchs Wasser reiten sahen!</p> - -<p>Jener Achilla war wie ein frischer Morgen nach nächtlichem -Regen, dieser flimmert wie Sonnenuntergang nach einem -stürmischen Tage.</p> - -<p>Während Achilla betete, saß Tuberozow in seinem leichten -grauen Leibrock auf der Bank vor dem Badehause und zählte, -mit dem Kopfe wackelnd, die Verbeugungen Achillas. Als -er so viele abgezählt hatte, wie ihm nötig schien, stand er -auf, faßte den Diakon an der Hand und friedlich gingen sie -wieder in das Haus zurück. Aber ehe er sich zu Bett legte, -trat der Diakon noch einmal zu Tuberozow heran und sagte:</p> - -<p>»Wißt Ihr, Vater Propst, als ich betete …«</p> - -<p>»Nun?«</p> - -<p>»Da war es mir, als ob die Erde erbebte.«</p> - -<p>»Gesegnet sei der Herr, daß er dir ein solches Gebet gab! -Geh jetzt, leg dich nieder und schlafe in Frieden,« antwortete -der Propst und beide schliefen friedlich ein.</p> - -<p>Aber als Achilla am nächsten Morgen erwachte, da hatte -er ein Gefühl, als wäre er aus sich selbst herausgekommen, -als hätte er unversehens etwas fortgeworfen und etwas -anderes dafür gefunden. Etwas, das schwer zu tragen war -und wovon man sich doch nicht trennen konnte und nicht -wollte.</p> - -<p>Es war der Strom des lebendigen, rettenden Glaubens, -der die verwirrte, bebende Seele überflutete.</p> - -<p>Sie mußte krank werden und sterben, um auferstehen zu -können, und diese heilige Arbeit war in vollem Gange.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_360">[360]</a></span></p> - -<p>Der törichte Achilla war weise geworden, er suchte die -Stille, und eines Tages, als er sich schon etwas gefestigt -fühlte, fragte er den Propst:</p> - -<p>»Sage mir, du gewaltiger Greis, wie soll ich mit mir -zurechtkommen, wenn Gottes Wille es so fügt, daß ich, sei's -auch nur für kurze Zeit, allein bleibe? Bisher war ich stolz -auf meine Kraft, aber nun bin ich andern Sinnes geworden -und weiß, daß ich mich nicht auf sie verlassen kann.«</p> - -<p>»Ja, du warst groß und stark, aber auch dir naht die Stunde, -da nicht mehr du dich selbst, sondern da ein anderer dich -gürten wird,« erwiderte Sawelij.</p> - -<p>»Aber auf meine Vernunft ist noch weniger Verlaß als -auf die Kraft, denn Ihr wißt ja, wie leicht ich irre werde.«</p> - -<p>»Vertrau auf dein Herz, es schlägt treu und wahr.«</p> - -<p>»Was aber soll ich sagen, wenn ich einmal Rede stehen -muß? Mein Herz ist ja stumm.«</p> - -<p>»Lausche nur, so wirst du wohl hören, was es leise zu dir -flüstert. Aber die Flöhe, die von der schmutzigen Erde auf -dich hüpfen, die schüttle ab.«</p> - -<p>Achilla legte die Hand aufs Herz und ging. »Wie soll das -zugehen?« dachte er, und eine unbestimmte Ahnung sagte -ihm, daß er bald, sehr bald allein sein, daß all seine Kraft -ihn verlassen und »ein anderer ihn gürten« werde.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_361">[361]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_5">Fünftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die dunkeln, bangen Ahnungen des Diakons gingen in -Erfüllung: der schwächliche, durch die Ereignisse hart mitgenommene -alte Propst gehörte kaum noch dieser Welt an. -Er erkältete sich nachts beim Zählen der Verbeugungen, die -der Diakon auf seinen Befehl zu machen hatte, und wurde -krank. Er litt nur wenig Schmerzen, fühlte aber, daß der -Tod schon die Arme nach ihm ausstreckte.</p> - -<p>Und nur eins tat ihm weh: daß der Bann immer noch -nicht von ihm genommen war. Achilla verstand dies sehr -wohl und wußte auch, was den Alten dabei am meisten -betrübte.</p> - -<p>Tuberozow wollte nicht als Gemaßregelter sterben. Er -wollte vor den himmlischen Richter als ein von der irdischen -Gewalt Freigesprochener treten. Er diktierte dem Diakon -einen Brief, in dem er der geistlichen Behörde von seiner -Krankheit Mitteilung machte und in rührenden Worten bat, -man solle ihm die Gnade erweisen und die Frist des ihm -auferlegten Bannes verkürzen. Der Brief wurde abgesandt, -blieb aber unbeantwortet.</p> - -<p>All seine Kraft, alles, was ihm lieb und teuer war, hätte -Achilla freudig hingegeben, um diesen Schmerz von der -Seele Tuberozows zu nehmen, aber es lag nicht in seiner -Macht, auch war es schon zu spät. Der Todesengel schwebte -bereits zu Häupten seines Bettes, um die scheidende Seele -zu empfangen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_362">[362]</a></span></p> - -<p>Einige Tage später stand Achilla weinend in einer Ecke -des Krankenzimmers und blickte auf den Vater Zacharia, -der, tief über den Sterbenden gebeugt, dessen letzte geflüsterte -Beichte entgegennahm. Doch was bedeutete das? Was für -eine Sünde belastete das Gewissen des greisen Sawelij, daß -der Vater Benefaktow plötzlich in so große Aufregung geriet? -Er schien sogar völlig vergessen zu haben, daß er eine Sakramentshandlung -vollzog, die keinerlei Zeugen duldet, denn er -verlangte mit lauter Stimme, Vater Sawelij solle irgend -jemandem irgend etwas vergeben! Was machte den Vater -Sawelij am Rande des Grabes so unbeugsam?</p> - -<p>»Sei friedfertig! Sei friedfertig! Vergib!« drängte -Zacharia sanft, aber fest. »Wenn du nicht vergibst, kann ich -dir keine Absolution erteilen.«</p> - -<p>Der arme Achilla zitterte am ganzen Leibe und lauschte -mit stockendem Herzschlag auf jedes Wort.</p> - -<p>»Im Namen des lebendigen Gottes flehe ich dich an, solange -du noch am Leben …« rief Zacharia mit lauter Stimme -und stockte plötzlich, ohne den Satz zu Ende bringen zu -können.</p> - -<p>Der Sterbende richtete sich krampfhaft empor, fiel wieder -zurück, hob die Hand, um sich zu bekreuzigen, und nachdem -er dies getan, sprach er langsam und mit großer Anstrengung:</p> - -<p>»Als Christ … vergebe ich ihnen die Schmach, die sie mir -angetan … aber daß sie, nur auf den toten Buchstaben bedacht -… daß sie hier … Gottes lebendiges Werk zugrunde -richten …«</p> - -<p>Der Augenblick wurde immer ernster und feierlicher. Es -knackte etwas in der Gurgel Sawelijs, und er fuhr wie ein -im Fieber Phantasierender fort:</p> - -<p>»Diesen Schmerz will ich vor den Thron … des Königs -der Könige … und selbst dafür zeugen …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_363">[363]</a></span></p> - -<p>»Sei friedfertig. Vergib! Vergib ihnen alles!« rief -Zacharia händeringend.</p> - -<p>Sawelij zog die Brauen zusammen, seufzte und flüsterte: -»Wohl mir, daß ich mich gedemütigt habe« – und schloß -dann mit unerwartet fester Stimme:</p> - -<p>»Nach dem Gerichte derer, so Deinen Namen lieben, erleuchte -die Unwissenden und vergib dem blinden und verderbten -Geschlechte seine Herzenshärte.«</p> - -<p>Zacharia blickte mit seligem Lächeln zum Himmel und -machte das Zeichen des Kreuzes über Sawelijs Gesicht.</p> - -<p>Dieses Gesicht bewegte sich schon nicht mehr, die Augen -blickten starr in die Höhe und erloschen. Das Ende nahte.</p> - -<p>Achilla stürzte laut schluchzend zum Bette und warf sich -über den Sterbenden.</p> - -<p>Mit einer letzten Kraftanstrengung legte der Verscheidende -seine Hand auf den Kopf des Diakons. Dann aber fing er -auch schon laut zu röcheln an, und seltsam mischten sich diese -Töne mit den sanft rieselnden Worten des Sterbegebets, -das Zacharia mit tränenerstickter Stimme sprach. Das -Erdenwallen des Propstes Tuberozow war zu Ende.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_364">[364]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_6">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Wirkung dieses Todes auf Achilla war entsetzlich. -Er weinte und schluchzte nicht wie ein Mann, sondern wie -ein nervöses Weib, das einen Verlust beklagt, den es nicht -überleben zu können meint. Übrigens war das Hinscheiden -des Propstes Tuberozow auch für die ganze Stadt ein großes -Ereignis: es gab nicht ein Haus, in dem man nicht für den -Entschlafenen gebetet hätte.</p> - -<p>In dem Totenhause drängten sich die Menschen: die einen -kamen, um dem Verschiedenen ihr letztes Lebewohl zu sagen, -die andern, um zu sehen, wie der Priester im Sarge aussah. -In der Nacht, die dem Tode des Propstes folgte, kam vom -Konsistorium die Aufhebung des über den Verstorbenen verhängten -Banns, und so konnte Sawelij denn in vollem -Ornat bestattet werden. Riesengroß, lang lag er da, die -Scheitelkappe auf dem Haupte. Totenmessen wurden im -Hause unausgesetzt gelesen, und so viel eifrige Priester auch -kamen und die auf dem Betpult liegenden Gewänder und -Binden anlegten, um die Messe zu singen, – jeden bat der -Diakon Achilla um seinen Segen, daß er das Orarion anlegen -und mitsingen dürfe.</p> - -<p>Am zweiten Tage war der Sarg fertig, und nun begann, -nach einer alten örtlichen Sitte, die auch heute noch in einigen -Gegenden bei der Einsargung von Geistlichen ausgeübt wird, -eine feierliche und schauerliche Zeremonie. Die versammelte<span class="pagenum"><a id="Seite_365">[365]</a></span> -Geistlichkeit, mit Kerzen in den Händen, in Trauergewändern, -trug den toten Sawelij dreimal um den mächtigen -Sarg herum, und Achilla hielt in der Hand des Toten ein -rauchendes Weihrauchgefäß, so daß es aussah, als weihe -der Tote selbst seine letzte kalte Wohnstätte. Dann legte -man den entschlafenen Propst in den Sarg, und alle gingen -fort bis auf Achilla; er verweilte die ganze Nacht bei seinem -toten Freunde allein, und da geschah etwas, das Achilla -selbst nicht bemerkte; wohl aber sahen es die andern für ihn.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_366">[366]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_7">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Seit dem Hinscheiden Sawelijs hatte der Diakon sich nicht -mehr zu Bette gelegt und die drei schlaflosen Nächte nebst -der gespannten Aufmerksamkeit, die er unausgesetzt dem -Toten widmete, hatten die stahlharten Nerven Achillas in -einen Zustand äußerster Erregung versetzt.</p> - -<p>Die Instinkte und Leidenschaften, welche sonst vor allem -das Tun und Lassen des Diakons bestimmt hatten, schienen -jetzt völlig verstummt zu sein und an ihre Stelle traten -Seelenzustände, wie sie ihm bisher gar nicht eigentümlich -gewesen waren.</p> - -<p>Von seiner einstigen Zerfahrenheit und seinem Leichtsinn -war nichts mehr zu merken. Er war in sich gekehrt und ganz -im Banne schwerer Gedanken, von denen er sich nicht zu -befreien vermochte. Er war nicht bleich geworden und seine -Augen blickten nicht matt: im Gegenteil, über seiner gebräunten -Haut lag ein mattrosiger Schimmer. Er sah alles -mit einer Deutlichkeit und Schärfe, daß ihm die Augen -schmerzten. Jeden Ton hörte er, als käme er aus seinem -eigenen Innern, und vieles war ihm verständlich geworden, -woran er früher überhaupt nie mehr gedacht hatte.</p> - -<p>Er begriff jetzt alles, was der verstorbene Sawelij gewollt -und angestrebt hatte, und er nannte den Entschlafenen einen -Märtyrer.</p> - -<p>In den drei Nächten der Totenwache redete er wiederholt -mit dem Verstorbenen und wartete allen Ernstes darauf, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_367">[367]</a></span> -unter dem Brokattuch, das über das Antlitz des toten Propstes -gebreitet war, eine Antwort erschallen würde.</p> - -<p>»Väterchen!« sprach der Diakon leise, sich im Lesen des -Evangeliums unterbrechend und in der nächtlichen Stille an -den Sarg herantretend, – »stehe auf! Wie? Für mich -allein stehe auf! Du kannst nicht? Du liegst da wie Gras?«</p> - -<p>Und dann stand oder saß er einige Minuten stumm da, -um endlich das monotone Lesen wieder aufzunehmen.</p> - -<p>In der dritten und letzten Nacht war Achilla für einen -Augenblick eingeschlummert. Als er kurz vor Mitternacht erwachte, -löste er den Vorleser ab und schloß die Tür hinter -ihm zu.</p> - -<p>Nachdem er das Sticharion angelegt hatte, stellte er sich -vor das Pult, berührte die Schulter des Toten mit der Hand -und sagte:</p> - -<p>»Nun höre, Väterchen, heut lese ich zum letztenmal,« – -und dann fing er an, das Johannisevangelium zu lesen. -Vier Kapitel las er, und als er beim fünften angelangt war, -stockte er bei einem Vers, seufzte tief auf und wiederholte -die große Verheißung zweimal: »Denn es kommt die Stunde, -in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme -hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, -zur Auferstehung des Lebens.«</p> - -<p>Nachdem er diesen Satz zweimal laut gesprochen hatte, -wiederholte Achilla ihn in Gedanken noch einige Male, – -und kam nicht weiter.</p> - -<p>»Jetzt hat er doch schon die Stimme des Gottessohnes -gehört und ist zu neuem Leben erwacht … Ich sehe ihn -nur nicht, aber er ist hier.«</p> - -<p>Er merkte nicht, daß die Nacht schon vergangen war und -am Himmel der erste bleiche, bernsteinfarbene Streif der -Morgenröte aufleuchtete, die letzte Morgenröte, die auf Erden<span class="pagenum"><a id="Seite_368">[368]</a></span> -die sich auflösenden Reste dessen beleuchten sollte, der einst -Vater Sawelij war und die Stimme seiner heimischen Erde -so gerne hörte und so gut verstand.</p> - -<p>Als der Diakon sah, daß es hell geworden war, seufzte er, -trat vom Pult zum Sarge, stützte sich mit den Armen auf -die beiden Seitenwände, so daß die hohe Brust Sawelijs -unter seiner Brust lag, hob sachte mit zwei Fingern das -Brokattuch empor, das über dem Gesicht des Toten gebreitet -lag, und sprach:</p> - -<p>»Väterchen, Väterchen, wo ist jetzt dein Geist? Wo ist -dein flammendes Wort? Gib mir Unverständigem etwas -von deinem Geiste!«</p> - -<p>Achilla fiel an die Brust des Toten, zuckte plötzlich zusammen -und fuhr zurück: ein Schauer war ihm durch seine -Glieder gefahren. Er sah sich nach allen Seiten um: alles -war still, nur seine schwergewordenen Augenlider klebten -zusammen und eine große Müdigkeit zog seinen Kopf abwärts.</p> - -<p>Der Diakon raffte sich auf, warf sich zum Gebet nieder -und erschrak vor dem Laut seines fallenden Körpers: über -sich glaubte er ein Knacken zu vernehmen, und es schien ihm, -als sitze Sawelij aufrecht, das Brokattuch vor dem Gesicht -und das Evangelienbuch in den todesstarren Händen.</p> - -<p>Achilla sprang auf und flüsterte, die Arme vorstreckend:</p> - -<p>»Friede sei mit dir! Friede! Ich lasse dir keine Ruhe!«</p> - -<p>Nach diesen Worten nahm er wieder das Buch und wollte -weiterlesen, aber mit Staunen fand er dasselbe zugeschlagen. -Und er konnte sich nicht mehr entsinnen, wo er stehen geblieben -war.</p> - -<p>Er schlug das Buch aufs Geratewohl auf und las: »Er -war in der Welt und die Welt kannte ihn nicht …«</p> - -<p>»Was suche ich denn da?« dachte er. Sein Kopf war ganz -verwirrt. Er schlug eine andere Stelle auf. Dort stand:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_369">[369]</a></span></p> - -<p>»Und es werden ihn sehen alle Augen und die ihn zerstochen -haben.«</p> - -<p>Aber wie Achilla das Blatt umwenden will, merkt er, daß -seine Hand ganz schwer geworden ist und jemand ihn festhält.</p> - -<p>»Was will ich denn? Was suche ich eigentlich? Welche -Perikope? Was ist denn heute für ein Tag?« denkt Achilla -und kann es nicht herausbekommen, denn er ist ganz von -der Erde entrückt …</p> - -<p>In der strahlend erleuchteten Kirche steht Sawelij im -hellen, festlichen Meßgewand, mit der hohen violetten Scheitelkappe -vor dem Altar und liest mit voller runder Stimme, -jedes Wort wie eine leuchtende Kugel von sich stoßend: »Im -Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und -Gott war das Wort.«</p> - -<p>»Was ist das? Gott im Himmel! Und ich meinte, der -Vater Sawelij wäre gestorben! Ich habe den Introitus verschlafen! -Ich bin zu spät zur Frühmesse gekommen!«</p> - -<p>Achilla zuckte zusammen und öffnete die Augen. Er merkte, -daß er wirklich geschlafen hatte, und draußen heller Morgen -war. Das rote Leuchten der Begräbniskerzen erstarb in den -Strahlen der aufgehenden Sonne. Die Luft war dick vom -Qualm, trauriges Glockengeläute klang von draußen herüber -und an die Zimmertür wurde heftig gepocht.</p> - -<p>Achilla fuhr sich hastig mit der trockenen Hand über das -Gesicht und öffnete.</p> - -<p>»Eingeschlafen?« fragte ihn der eintretende Benefaktow -leise.</p> - -<p>»Ein wenig,« erwiderte der Diakon und trat zur Seite, um -den Priestern Platz zu machen, die dem Vater Zacharia folgten.</p> - -<p>»Aber ich … weißt du … ich habe nicht geschlafen: ich -habe die ganze Nacht an der Leichenrede gearbeitet,« flüsterte -Benefaktow dem Diakon zu.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_370">[370]</a></span></p> - -<p>»Nun, und ist sie fertig?«</p> - -<p>»Nein, es kommt nichts heraus.«</p> - -<p>»Ja, so geht es Euch allemal.«</p> - -<p>»Vielleicht könntest du etwas sagen?«</p> - -<p>»Ich, Vater Zacharia? Ich bin doch kein Gelehrter!«</p> - -<p>»Was denn? Du hast doch das Sticharion! Das Recht -hast du.«</p> - -<p>»Was hilft mir das Recht, Vater Zacharia, wenn ich weder -die Gabe noch den Verstand dafür besitze?«</p> - -<p>»So betet recht inbrünstig um die Gabe, werter Herr, -dann wird sie von selber kommen,« mischte sich flüsternd der -Zwerg ins Gespräch.</p> - -<p>»Beten? Nein, Freund Nikolascha, vielleicht betest du für -mich. Mich hat der Schmerz um den Verstand gebracht. -Ich habe selbst in wachem Zustande Gesichte.«</p> - -<p>»Gut, ich will beten, wenn Ihr es wünscht,« erwiderte -der Zwerg.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_371">[371]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_8">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Ganz Stargorod geleitete den Leichnam Tuberozows zur -Kirche. Der Trauergottesdienst wirkte infolge des Verhaltens -des Diakons grauenhaft. Jedesmal wenn Achilla -seinen Mund öffnete, versagte ihm die Stimme und er brach -in Tränen aus. Sein Schluchzen, das man in der ganzen -Kirche hörte, erfüllte aller Herzen mit tiefer Trauer.</p> - -<p>Nur während der Leichenrede, die einer der Priester hielt, -bezwang Achilla seinen Schmerz, hörte aufmerksam zu und -weinte nur ganz leise in sein Taschentuch. Als er jedoch aus -der Kirche heraustrat und all die Plätze sah, über welche er -so viele Jahre an der Seite Tuberozows gegangen war, da -fühlte Achilla das Bedürfnis, nicht nur zu weinen, sondern -zu heulen und zu schreien. Um dem Weh, das seine Brust -zu zersprengen drohte, einen Ausweg zu schaffen, sang er -»Heiliger, Unsterblicher, erbarme Dich unser«, aber mit einer -derartigen Stimmgewalt, daß eine blinde hundertjährige -Frau, die beim Herannahen des Trauerzuges von ihren -Enkeln vor das Tor geführt worden war, damit sie sich vor -dem Sarge neige, plötzlich die Hände zusammenschlug und -in die Knie sinkend rief:</p> - -<p>»O, er hört es, Gott der Herr hört es, wie Achilla zum -Himmel schreit!«</p> - -<p>Da war auch schon der von einem Graben und einer -Weidenhecke umgebene Friedhof, auf dem Tuberozow abends -so gerne spazieren gegangen und dessen Instandhaltung<span class="pagenum"><a id="Seite_372">[372]</a></span> -ihm so sehr am Herzen gelegen. Der Sarg wurde durch das -dunkle Tor getragen; die letzte Litanei war gesungen, die -weißen Leinenseile rollten den Erdhügel hinab und spannten -sich über den finstern Abgrund des Grabes. Noch einen -Augenblick und es ertönt das letzte Amen … der Sarg -sinkt in die Tiefe.</p> - -<p>Aber vorher sollte sich noch etwas ereignen, was niemand -erwartet hatte. Achilla, der schon so viele Male in seinem Leben -die Stargoroder in Staunen versetzt hatte, fühlte sich gedrungen, -es auch dieses Mal zu tun, und zwar auf eine ganz -neue Weise. Bleich und starr streckte er die Hand gegen einen -der Totengräber aus, welche die Seile festhielten, und rief, -wehmütig zu den Priestern hinüberblickend:</p> - -<p>»Ihr Väter, ich bitt' euch … wartet noch etwas … -Ich will nur ein paar Worte sprechen …«</p> - -<p>Der schluchzende Zacharia gab den Totengräbern hastig ein Zeichen, -streckte dem Diakon beide Hände entgegen und segnete ihn.</p> - -<p>Ganz in Tränen gebadet, wischte sich Achilla mit seinem -baumwollenen Taschentuche die mit roten Flecken bedeckte -Stirn und stammelte mit krampfhaft verzerrten Lippen: -»Er war in der Welt und die Welt kannte ihn nicht.« Und -dann fand er keine Worte mehr, wurde feuerrot und mit -einem wilden Blick aus seinen entzündeten Augen, der den -Worten nachzujagen schien, die für ihn in der Luft geschrieben -standen, rief er drohend: »Aber es werden ihn alle sehen, -die ihn zerstochen haben!« Und damit warf er eine Handvoll -Erde auf den Sarg, nahm hastig das Sticharion ab und -verließ den Friedhof.</p> - -<p>»Ihr habt sehr schön gesprochen, werter Vater Diakon,« -flüsterte ihm der Zwerg unter Tränen zu.</p> - -<p>»Der Geist Sawelijs war über ihn gekommen,« antwortete -ihm Zacharia, während er sein Meßgewand ablegte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_373">[373]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_9">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nach der Beerdigung Tuberozows wurde es im Hause des -Propstes unheimlich still. Achilla war nirgends zu erblicken. -Die Sonne geht auf und beleuchtet den vereinsamten Hof. -Öde ist er und tot; Wolken ziehen vorüber und spiegeln sich -in den Scheiben der Fenster, wie Schatten aus einer andern -Welt – aber drinnen regt sich nichts.</p> - -<p>Diese unheimliche Ruhe erfüllte die Nachbarn mit Angst. -Man fing an, sich ernstlich um den Diakon zu sorgen.</p> - -<p>Zacharia besuchte ihn. Lange ging der sanfte Alte aus -einem Zimmer ins andere und rief:</p> - -<p>»Diakon, wo bist du? Höre doch, Diakon!«</p> - -<p>Aber niemand antwortete. Endlich öffnete Vater Zacharia -die Tür zur kleinen Kammer, welche der Diakon bewohnt -hatte.</p> - -<p>»Was ruft Ihr so laut, Vater Zacharia?« kam aus der -Finsternis die Stimme Achillas.</p> - -<p>»Du fragst noch, mein Lieber? Wo steckst du die ganze -Zeit?«</p> - -<p>»Macht die Tür etwas weiter auf. Ich bin hier in der Ecke.«</p> - -<p>Benefaktow tat, wie Achilla ihm geheißen, und sah ihn -auf einer an der Wand befestigten schmalen bretternen Lagerstatt -ausgestreckt daliegen. Der Diakon trug ein grobes -Leinenhemd mit zurückgeschlagenem Kragen, das nach kleinrussischer -Art durch eine lange bunte Schnur zusammengehalten -wurde, und breite gestreifte Beinkleider.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_374">[374]</a></span></p> - -<p>»Was soll denn das, Diakon?« fragte Benefaktow und -sah sich nach einer Sitzgelegenheit um.</p> - -<p>»Ich will ein bißchen weiterrücken,« erwiderte Achilla und -schob sich auf das hart an die Wand stoßende Brett.</p> - -<p>»Was ist mit dir, Diakon?«</p> - -<p>»Gepeinigt,« brummte Achilla.</p> - -<p>»Was peinigt dich denn so?«</p> - -<p>»Lächerliche Frage! Was? Eben das! Der Tod des Vaters -Sawelij peinigt mich.«</p> - -<p>»Ja, was ist da zu machen? Der Tod … gewiß … er -ist der Natur zuwider … ist ein Hemmnis aller Gedanken … -aber er ist doch unvermeidlich … unentrinnbar …«</p> - -<p>»Eben dieses Hemmnis ist's, was mich peinigt.«</p> - -<p>»Was kommst du immer mit deinem ›peinigt, peinigt‹! -Das ist nicht gut, mein Lieber.«</p> - -<p>»Ja, was ist denn überhaupt noch gut? Nichts!«</p> - -<p>»Nun, wenn du selbst einsiehst, daß es nicht gut ist, so -mußt du auch Vernunft haben: gegen das Naturgesetz -kannst du nichts.«</p> - -<p>»Ach, was redet Ihr nun wieder vom ›Naturgesetz‹, Vater -Zacharia! Wenn mich nun eben dieses Naturgesetz peinigt!«</p> - -<p>»Ja, was willst du denn machen?«</p> - -<p>»O du grundgütiger himmlischer Vater! So laßt mich -doch mit Euren Gesetzen in Ruh', Vater Zacharia! Nichts -will ich machen!«</p> - -<p>»Ja, wirst du denn von nun ab immer so daliegen?«</p> - -<p>Der Diakon schwieg. Dann seufzte er und sagte ganz leise:</p> - -<p>»Ich trauere immer noch sehr und Ihr kommt und redet von -gleichgültigen Dingen. Was also wollt Ihr von mir haben?«</p> - -<p>»Raffe dich auf, denn bei all unserer Trauer sind wir -doch schwache Menschen, die ohne Essen und Trinken nicht -auskommen können.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_375">[375]</a></span></p> - -<p>»Gewiß, davon ist gar nicht zu reden. Essen und Trinken -werden wir schon, aber da eben steckt's!«</p> - -<p>»Was? Was steckt da? Wo steckt was?«</p> - -<p>»Darin steckt's, daß wir das, was gewesen ist, nach und -nach vergessen werden. Und wenn wir es eines schönen -Tages ganz vergessen haben – was dann?«</p> - -<p>»Ja, was ist da zu machen?«</p> - -<p>»Das ist zu machen, daß ich mit meinem Charakter ganz -und gar nicht damit einverstanden bin, ihn zu vergessen.«</p> - -<p>»Gewiß, lieber Freund, aber die Zeit vergeht und du vergißt -doch.«</p> - -<p>»Vater Zacharia, sagt mir solche Dinge nicht! Ihr wißt, -wie wild ich im Schmerz bin!«</p> - -<p>»Das fehlte auch noch! Nein, mein Bester, die Roheiten -laß du lieber beiseite!«</p> - -<p>»Ja, beiseite lassen! Wer kann mich jetzt noch im Zaume -halten?«</p> - -<p>»Wenn du willst, tu ich es.«</p> - -<p>»Ihr wäret mir gerade der Rechte!«</p> - -<p>»Warum sollte ich es nicht sein?«</p> - -<p>»Machen wir uns doch nichts vor! Ihr habt nicht die geringste -Gewalt über mich.«</p> - -<p>»Weißt du, Diakon, du bist einfach frech,« sagte Zacharia -gekränkt.</p> - -<p>»Gar nicht frech, denn ich hab' Euch lieb; wie könnt Ihr -aber Gewalt über mich haben, wo Ihr doch so schwach von -Charakter seid, daß sogar der Subdiakon Sergej Euch Grobheiten -sagt.«</p> - -<p>»Das tut er! Gegen mich sind alle grob! Deine Reden -aber sind einfach dumm!«</p> - -<p>»So zeigt jetzt, was Ihr über mich vermögt, und verhindert -mich, so zu reden.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_376">[376]</a></span></p> - -<p>»Ich will dich nicht verhindern, ich … ich will nicht, weil -ich als Freund zu dir kam und du gegen mich grob warst … -Lebe wohl!«</p> - -<p>»Wartet doch, Vater Zacharia! So war's nicht gemeint!«</p> - -<p>»Nein, nein, laß mich, du hast mir weh getan.«</p> - -<p>»So geht in Gottes Namen.«</p> - -<p>»Du bist ein Grobian, ein ganz schlimmer Grobian.«</p> - -<p>Und Zacharia ging in der Hoffnung, der Diakon werde -allgemach des Rekelns müde werden und von selber wieder -herauskommen; jedoch es verging noch eine ganze Woche -und Achilla zeigte sich nicht.</p> - -<p>»Sie werden vergessen,« sagte er immer wieder vor sich -hin, »bestimmt werden sie vergessen.« Und dieser Gedanke -ließ ihn nicht los, und vergeblich strengte er sein Hirn an, -wie er das Übel abwehren könnte.</p> - -<p>Um Achilla aus seiner Höhle ans Tageslicht zu locken, -bedurfte es eines ganz besondern Ereignisses.</p> - -<p>Eines Morgens wachte Achilla früh gegen sechs auf und -blickte nach den ersten Sonnenstrahlen, die durch das winzige -Fensterlein über der Tür in seine Kammer zu dringen versuchten, -– da kam Vater Zacharia in großer Hast gelaufen -und erzählte, daß an Stelle des verstorbenen Tuberozow ein -neuer Propst ernannt sei.</p> - -<p>Achilla wurde bleich vor Ärger.</p> - -<p>»Freut es dich denn nicht?« fragte Zacharia.</p> - -<p>»Was geht es mich an?«</p> - -<p>»Wieso geht es dich nichts an? Frag doch erst, wer ernannt -ist.«</p> - -<p>»Als ob mir das nicht ganz gleichgültig wäre!«</p> - -<p>»Ein Akademiker!«</p> - -<p>»Na ja, ein Akademiker! Und darüber freut Ihr Euch! -Nein, bei Gott, Ihr steckt noch voll Eitelkeit, Vater Zacharia!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_377">[377]</a></span></p> - -<p>»Wieso Eitelkeit? Ein Akademiker – das will sagen: ein -kluger Kopf!«</p> - -<p>»Wieder was Neues: ein kluger Kopf! Mag er doch klug -sein! Werden wir zwei davon etwa klüger?«</p> - -<p>»Du wirst wieder grob.«</p> - -<p>»Fällt mir gar nicht ein. Ihr denkt daran, wie Ihr den -Neuen empfangen sollt, und ich – daß ich den Alten nicht -vergesse. Wo steckt da die Grobheit?«</p> - -<p>»Es lohnt gar nicht, mit dir zu reden,« sagte Zacharia -und zog geärgert von dannen. Achilla aber erhob sich sofort, -wusch sich und lief zum Polizeichef mit der Bitte, dieser möchte -ihm behilflich sein, sobald wie möglich sein Haus und seine -beiden Pferde zu verkaufen.</p> - -<p>»Warum denn das?« fragte Porochontzew.</p> - -<p>»Sei nicht neugierig,« antwortete Achilla. »Später, wenn -ich's gemacht habe, wirst du alles erfahren.«</p> - -<p>»So sag' doch ungefähr, um was es sich handelt.«</p> - -<p>»Darum, daß Vater Sawelij nicht sobald vergessen wird.«</p> - -<p>»Dann soll doch Vater Zacharia in seinen Predigten öfter -auf ihn hinweisen.«</p> - -<p>»Was kann Vater Zacharia? Nein, der liebt heute schon -die Wissenschaften, ich aber … ich liebe nach altem Brauch -den Menschen.«</p> - -<p>Damit war die Unterredung zu Ende und Achillas Besitz -wurde seinem Wunsche entsprechend verkauft.</p> - -<p>Indessen war man gespannt, was er weiter unternehmen -würde.</p> - -<p>Der Diakon hatte für alles zweihundert Rubel bekommen -und steckte die beiden Scheine in die Tasche seines Nanking-Leibrocks; -er begebe sich in die Gouvernementsstadt, erklärte -er. Er hatte sich bereits einen Wanderstab aus einer langen -Latte zurechtgeschnitten, packte seine Sachen in ein kleines<span class="pagenum"><a id="Seite_378">[378]</a></span> -Bündel zusammen, kaufte sich auf dem Markt zwei große -Roggenmehlfladen mit Zwiebeln, die er in dieselbe Tasche -steckte, in der er sein Geld hatte, und wollte sich eben auf -die Wanderschaft begeben, als unerwartet der neue Propst -Irodion Grazianskij eintraf. Es war ein sehr wohlaussehender -Herr von schwer zu bestimmendem Alter. Seinem -Äußern nach konnte man ihm ebensogut sechsundzwanzig -als auch vierzig Jahre geben.</p> - -<p>Achilla ging dem neuen Vorgesetzten entgegen und wollte, -nachdem er den Segen von ihm empfangen hatte, seine Hand -küssen. Allein er zog sie zurück und schlug dem Diakon einen -brüderlichen Kuß vor. Und so küßten sie sich auf Mund -und Wangen.</p> - -<p>»Siehst du, wie gut er ist,« sagte nach einer Stunde, als -sie zusammen nach Hause gingen, Zacharia zum Diakon.</p> - -<p>»Wie habt Ihr denn in so kurzer Zeit so viel Güte entdeckt?« -fragte Achilla gleichgültig.</p> - -<p>»Wie denn? Er wollte sich nicht die Hand von dir küssen -lassen, sondern bot dir den Mund … das zeugt doch von -großer Güte.«</p> - -<p>»Ich meine, das ist nichts weiter als so eine Art von -Wichtigtuerei,« erwiderte Achilla.</p> - -<p>Er war bereits von einer wilden Eifersucht auf den neuen -Propst erfaßt und suchte allerlei schlechte Eigenschaften an -ihm zu entdecken, die jeden Vergleich mit dem verstorbenen -Tuberozow ausschließen mußten. Je mehr der neue Propst -allen Stargorodern gefiel, desto heißer mußte Achilla ihn -hassen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_379">[379]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_10">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Am Tage darauf zelebrierte der neue Propst zum erstenmal -die Messe und hielt eine Predigt, in der er seinen Vorgänger -mit Lobeserhebungen überschüttete und auf die Notwendigkeit -und Pflicht eines ständigen Gedenkens und einer Ehrung -seiner Verdienste hinwies.</p> - -<p>»Wozu das? Was beabsichtigt er damit?« zürnte der -Diakon, als er mit Zacharia aus der Kirche ging.</p> - -<p>Er fühlte selbst, daß er ungerecht war, aber er konnte sich -nicht beherrschen, und als Zacharia ihm zuzureden versuchte -und betonte, wie edel das ganze Verhalten Grazianskijs sei, -da zerbrach Achilla ungeduldig das Stöckchen, das er in der -Hand hielt, in zwei Stücke und sagte:</p> - -<p>»Das ist's ja gerade, was mich so ärgert.«</p> - -<p>»Wäre es denn besser, wenn er nicht so gut wäre?«</p> - -<p>»Natürlich … viel, viel besser wäre das,« unterbrach ihn -Achilla ungeduldig. »Wißt Ihr denn nicht, daß wer nicht -gesündigt hat, auch nicht Buße tut!«</p> - -<p>Zacharia machte nur eine abwehrende Handbewegung.</p> - -<p>Achillas Pilgerfahrt nach der Gouvernementsstadt wurde -von Tag zu Tag aufgeschoben: der Diakon wohnte noch der -Revision der Schatzkammer, der Bücher und der Kirchengelder -bei, immer schweigend und grollend. Zu seinem großen -Kummer bot sich ihm auch nicht die geringste Gelegenheit, -dem »Neuen« etwas am Zeuge zu flicken, – bis Grazianskij<span class="pagenum"><a id="Seite_380">[380]</a></span> -endlich davon zu reden begann, daß man auf dem Grabe -Tuberozows ein kleines Denkmal errichten müsse. Achilla -sprang wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe.</p> - -<p>»Warum denn ein ›kleines‹ Denkmal und kein großes? -Er hat sehr lange unter uns gewirkt und Verdienste errungen, -wie sie mancher andere nicht so leicht fertig brächte.«</p> - -<p>Grazianskij sah den Diakon unwillig an und schlug, ohne -ihm etwas zu erwidern, eine Subskription zum Bau eines -Denkmals für Sawelij vor.</p> - -<p>Durch die Subskription kamen zweiunddreißig Rubel zusammen.</p> - -<p>Der Diakon wollte überhaupt nichts zeichnen und fand den -ganzen Plan verkehrt.</p> - -<p>»Weshalb bist du dagegen?« fragte ihn Benefaktow.</p> - -<p>»Weil das alles eitel ist,« antwortete Achilla.</p> - -<p>»Worin seht Ihr die Eitelkeit?« warf Grazianskij trocken -dazwischen.</p> - -<p>»Wie kann man einem solchen Manne namens der ganzen -Gemeinde ein Denkmal für zweiunddreißig Rubel setzen? So -ein Denkmal ist nicht besser als eine Pistole für einen Groschen. -Nein, diese Kränkung will ich ihm nicht antun. Ich bitte, -mir das gütigst zu erlassen.«</p> - -<p>Am Abend erbat sich der Diakon vom neuen Propst einen -vierzehntägigen Urlaub nach der Gouvernementsstadt, der -ihm auch bewilligt wurde.</p> - -<p>So begab sich Achilla auf die Wanderschaft, die er schon -so lange zur Verwirklichung seiner großartigen Absichten -geplant hatte. Schon in jenen Tagen, als er noch in seinem -Kämmerlein auf der bretternen Bettstatt lag, war ihm der -Gedanke gekommen, dem Vater Tuberozow ein Denkmal zu -setzen, aber nicht für dreißig Rubel, sondern für all sein Geld, -für all die zweihundert Rubel, die er aus dem Verkauf seines<span class="pagenum"><a id="Seite_381">[381]</a></span> -durch die Arbeit eines ganzen Lebens erworbenen Gutes -gelöst hatte. Achilla hielt diese Summe für völlig ausreichend, -um ein Monument zu errichten, das allen Zeiten und Völkern -ein Wunder dünken müßte, ein so gewaltiges Monument, -daß sein idealer Entwurf sogar in seinem eigenen -Kopfe nicht Platz genug hatte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_382">[382]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_11">Elftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Kalt und trübe war die Oktobernacht. Hastige Wolken -krochen am Himmel entlang und der Wind brauste in den -nackten Zweigen der Weiden. Achilla schritt unermüdlich vorwärts -und als die späte Herbstmorgendämmerung graute, -hatte er den halben Weg bereits zurückgelegt und konnte -sich getrost etwas Ruhe gönnen.</p> - -<p>Er bog vom Wege ab, legte sich hinter einer großen Strohmiete, -die ihn vor dem Winde schützen sollte, auf den Boden, -deckte sich den Mantel übers Gesicht und schlief ein.</p> - -<p>Der Tag war genau so wie die Nacht: die kalte Sonne -tauchte bald auf, bald verzog sie sich wieder hinter grauen -Nebeln; der Wind heulte und brauste wild, um sich dazwischen -wieder, einer zischenden Schlange gleich, am Boden zu winden. -Das Ende des Mantels, welches der Diakon über seinen -Kopf gezogen hatte, war längst vom Winde emporgerissen -und flatterte hin und her, und wenn die Sonne hinter den -Wolken hervorschaute, fielen ihre grellen Strahlen gerade -auf das Heldenantlitz Achillas. Trotzdem erwachte er nicht. -Es war schon ganz warm geworden und auf dem zerstampften -Stoppelfeld, das Achilla sich zur Lagerstatt gewählt hatte, -zeigten sich die letzten verspäteten Bewohner des toten Kornfeldes: -über Achillas Stiefel kroch ein harter schwarzer Ohrwurm, -und seinen Bart entlang kletterte mühsam und zitternd -eine frosterstarrte Hummel. Das arme Insekt, das in dem<span class="pagenum"><a id="Seite_383">[383]</a></span> -dichten Barte des Diakons einen warmen Unterschlupf gefunden -hatte, fing bald an zu krabbeln und zu zappeln, wovon -der Diakon erwachte. Er prustete laut, reckte sich, sprang -auf, warf sein Bündel über die Schulter und schritt der -Stadt zu.</p> - -<p>Als der Abend dämmerte, hatte er auch die übriggebliebenen -fünfunddreißig Werst zurückgelegt, und angesichts der -Kreuze der städtischen Kirchen setzte er sich an den Rand des -Straßengrabens und beschloß, zum erstenmal, seit er ausgewandert, -etwas Speise zu sich zu nehmen. Die beiden -Fladen holte er aus seiner Tasche, welche sie rund eine Woche -beherbergt hatte, legte den einen auf den andern und begann -mit großem Appetit zu kauen. Aber die ganze Portion vermochte -er doch nicht zu zwingen und steckte den Rest wieder -in die Tasche, um zur Stadt zu wandern. Nachdem er bei -bekannten Seminaristen übernachtet hatte, ging er gleich -früh am nächsten Morgen zum Adelsmarschall Tuganow, -ließ sich bei ihm melden und setzte sich auf eine Bank im -Vorzimmer.</p> - -<p>Eine Stunde verging und noch eine. Niemand kümmerte -sich um Achilla. Mehrere Male schon hatte er den vorüberlaufenden -Diener gefragt:</p> - -<p>»Herr Haushofmeister, wann wird man mich denn -rufen?«</p> - -<p>Aber der Herr Haushofmeister würdigte den bäuerisch -aussehenden Diakon in der Nankingkutte nicht einmal einer -Antwort.</p> - -<p>Von der gestrigen Wanderung noch müde, wäre Achilla -fast eingeschlafen, doch besann er sich, daß es hier doch nicht -recht schicklich sei. So beschloß er, sich lieber die Zeit durch -Essen zu vertreiben, was ihm die von vorgestern übriggebliebenen -Stücke der Zwiebelfladen sehr gut ermöglichten.<span class="pagenum"><a id="Seite_384">[384]</a></span> -Kaum jedoch hatte er die Reste aus der Tasche seines Leibrocks -herausgeholt und sich darangemacht, den Staub von -ihnen zu blasen, als er plötzlich zur Salzsäule erstarrte, dann -emporsprang und, wie von einem giftigen Insekt gestochen, -durch die vornehmen Gemächer des Hauses zu rasen begann. -Zufälligerweise geriet er bald in das Arbeitszimmer des -Adelsmarschalls, und als er sich ihm von Angesicht zu Angesicht -gegenübersah, brüllte er los:</p> - -<p>»All ihr heiligen Väter! Wer an Gott glaubt, muß mir -helfen! Sehen Sie doch, was mir für ein Unglück passiert ist!«</p> - -<p>»Was denn? Was ist geschehen?« fragte Tuganow erstaunt.</p> - -<p>»Parmen Semenowitsch! Was hab' ich gemacht, ich Bösewicht!« -jammerte Achilla in wahnwitziger Verzweiflung.</p> - -<p>»Hast du jemanden ermordet?«</p> - -<p>»Nein, ich kam zu Fuß zu Ihnen gelaufen, damit Sie mir -einen guten Rat erteilen. Ich möchte dem Propst ein Denkmal -setzen für zweihundert Rubel.«</p> - -<p>»Nun und –? Hat man dir das Geld gestohlen?«</p> - -<p>»Nein, nein, etwas viel Schlimmeres!«</p> - -<p>»Hast du es verloren?«</p> - -<p>»Nein, ich hab's aufgegessen!«</p> - -<p>Und voller Verzweiflung streckte Achilla dem Adelsmarschall -die untere Rinde des nicht ganz aufgegessenen Fladens entgegen, -an der ein kleines Fetzchen eines Hundertrubelscheines -wie angebacken festklebte.</p> - -<p>Tuganow berührte den Fetzen mit seinen feinen Fingernägeln, -löste ihn von der Rinde und sah, daß unter dem -ersten Stückchen Papier ein zweites von derselben Art noch -fester klebte.</p> - -<p>Der Adelsmarschall konnte nicht anders, er mußte -lachen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_385">[385]</a></span></p> - -<p>»Ja, sehen Sie, ganz aufgefressen,« wiederholte der Diakon -und kaute vor Verlegenheit den Nagel seines Mittelfingers. -Dann wandte er sich plötzlich um und sagte kurz: »Nun also, -ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie gestört habe. Leben -Sie wohl.«</p> - -<p>Tuganow aber zeigte sich hilfsbereit.</p> - -<p>»Nicht gleich verzweifeln, mein Lieber,« sagte er. »Das -hat nichts zu bedeuten, man wird mir in der Bank deine -Papiere schon einwechseln, inzwischen gebe ich dir ein paar -andere, dann kannst du deinem Pfarrer Sawelij das Denkmal -setzen. Ich habe ihn ja auch sehr lieb gehabt.«</p> - -<p>Damit reichte er dem Diakon zwei neue Hundertrubelscheine -und legte die angekauten Fetzen beiseite, um sie später -in die Sammlung seiner Familienkuriositäten einzureihen.</p> - -<p>Diese Not war also behoben, aber eine neue nahte: es -galt ein Denkmal auszusinnen, wie Achilla es wünschte, -aber sich selbst nicht vorstellen konnte. Auch diese seine Sorge -beichtete er dem Adelsmarschall.</p> - -<p>»Ich möchte, Parmen Semenowitsch,« meinte er, »daß -das für mein Geld errichtete Denkmal möglichst groß und -schön sei.«</p> - -<p>»So laß doch eine Pyramide aus Granit aufrichten.«</p> - -<p>Tuganow ließ sich aus dem Schrank eine Mappe reichen -und nahm die Abbildung einer ägyptischen Pyramide heraus:</p> - -<p>»So in dieser Art.«</p> - -<p>Der Gedanke sagte dem Diakon ungemein zu, nur zweifelte -er, ob er mit seinem Gelde auskommen würde, worauf ihm -Tuganow erklärte, falls die zweihundert Rubel nicht reichen -sollten, so wolle er, Tuganow, aus Verehrung für den alten -Tuberozow, für den Überschuß eintreten.</p> - -<p>»Du aber«, sagte er, »sollst der Baumeister sein. Baue -ganz, wie es dir gefällt und was du willst.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_386">[386]</a></span></p> - -<p>»Das ist …« fing Achilla in höchster Verlegenheit an, -aber er kam nicht weiter, sondern machte nur eine tiefe Verbeugung -bis zur Erde und faßte dann plötzlich Tuganows -Hand und küßte sie.</p> - -<p>Tuganow war gerührt. Er nannte Achilla einen »braven -Kerl« und schlug ihm vor, bei ihm im Gartenhaus zu -logieren.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_387">[387]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_12">Zwölftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Diakon lief von einem Steinmetz zum andern, bis -schließlich seine Wahl auf den allerschlechtesten, einen Mühlsteinfabrikanten -namens Popygin fiel. Zwei deutsche Steinhauer -hatten den Diakon in hellen Zorn versetzt, weil sie -immer wissen wollten, ob »der Maßstab es gestatten werde«, -eine so große Pyramide aufzubauen, wie der Diakon sie haben -wollte, der die Fläche einfach durch Schritte und die Höhe -mit emporgereckten Armen bezeichnete.</p> - -<p>Meister Popygin als biederer Russe verstand ihn besser: -sie maßen alles nach Schritten und mit ausgestreckten Armen -ab und schlossen einen mündlichen Vertrag, den sie durch -Handschlag besiegelten. Damit war die Bestellung gemacht -und der Bau der Pyramide begann. Achilla sah zu, wie -man die riesigen Steine schob, wendete und glättete und war -über ihre Dimensionen entzückt.</p> - -<p>»So ohne Maßstab ist's viel besser,« sagte er, »wie es -uns paßt, so bauen wir.«</p> - -<p>Der russische Meister Popygin stimmte ihm durchaus bei.</p> - -<p>Tuganow ließ sich von Achilla über die Fortschritte der -Arbeit Bericht erstatten und widersprach ihm weder, noch -stritt er mit ihm. Er suchte den Recken durch das Denkmal -bei Laune zu erhalten, wie man einem betrübten Kinde ein -Spielzeug gibt.</p> - -<p>Nach einer Woche war sowohl die Pyramide als auch die -Inschrift fertig, und der Diakon kam zu Tuganow und bat<span class="pagenum"><a id="Seite_388">[388]</a></span> -ihn, das Wunderwerk seiner schöpferischen Phantasie in -Augenschein zu nehmen. Es erwies sich als furchtbar breite, -etwas plattgedrückte Pyramide, mit einem Kreuz oben und -je einem großen holzgeschnitzten, vergoldeten Cherub an -den vier Ecken.</p> - -<p>Tuganow betrachtete das Monument. »Das lebt!« sagte -er, und der Diakon war beglückt. Die Pyramide wurde auseinandergenommen -und ihre Teile auf neun Schlitten nach -Stargorod geschafft. Auf dem zehnten Schlitten, der die -Karawane beschloß, saß Achilla selbst, zusammengekauert, in -einem speckigen Schafpelz zwischen den vier vergoldeten, in -Matten gewickelten Cherubim. Er war immer noch ganz -entzückt von der Herrlichkeit des Denkmals, aber in dieses -Entzücken mischte sich eine gewisse Unruhe: er fürchtete, es -könnte jemandem einfallen, an seiner Pyramide Kritik zu -üben, an dieser einzigartigen Schöpfung seines Geistes und -Geschmacks, dem Zeugnis seiner Ergebenheit und Liebe zu -dem entschlafenen Sawelij. Um dem zu entgehen, beschloß -Achilla, den Aufbau möglichst im geheimen zu bewerkstelligen. -Als er daher Stargorod erreicht hatte, ging er -nachts nur zu Zacharia und erzählte ihm von allen Schwierigkeiten, -die er bei der Herstellung der Pyramide zu überwinden -gehabt hatte.</p> - -<p>Es gelang dem Diakon aber nicht, unbemerkt das Monument -zusammenzustellen. Die auf den Schlitten lagernden -Teile der Sawelij-Pyramide erregten gleich am nächsten -Morgen allgemeines Aufsehen. Die sich scharenweise herandrängenden -Städter interessierten sich besonders für die unter -den Matten hervorblinkenden Arme und Flügel der vergoldeten -Cherubim. Die Biederleute stritten heftig über die -Frage, was das wohl für Engel sein mochten: silberne oder -vergoldete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_389">[389]</a></span></p> - -<p>»Silbern und vergoldet und von innen mit Brillanten -gespickt,« erklärte Achilla und trieb die Mitbürger auseinander, -die sich um die Arbeiter drängten.</p> - -<p>Auch die feinen Herrschaften ärgerten den Diakon. Diese -schienen ihm eigens zum hämischen Kritteln gekommen zu sein.</p> - -<p>Der sonst so wenig selbstbewußte und ehrgeizige Achilla -wurde in seiner wachsenden Reizbarkeit zuletzt ganz unerträglich. -Er konnte kein Wort über Tuberozow mehr ruhig anhören. -Sogar wenn man den Seligen lobte, geriet er in -Wut: er fand all und jedes Lob unangebracht.</p> - -<p>»Was gibt's denn da zu loben?« sagte er zu Benefaktow. -»Ihr seid, nehmt mir's nicht übel, ein leichtsinniger Mensch, -Vater Zacharia. Ihr redet von ihm, wie man von Milch -redet, wenn man eine Kuh gesehen hat.«</p> - -<p>»Habe ich denn etwas Schlechtes über ihn gesagt?«</p> - -<p>»Man soll überhaupt nicht von ihm reden. Die Zeit ist -nicht danach, über die Glaubensstarken zu streiten.«</p> - -<p>Gegen andere war Achilla noch viel schroffer als gegen -Benefaktow, und als nach und nach alle, durch seine Empfindlichkeit -abgestoßen, ihn zu meiden anfingen, geriet er immer -mehr unter die Herrschaft eines Gedankens: der Vergänglichkeit -alles Irdischen und des Todes.</p> - -<p>»Sagt was ihr wollt,« philosophierte er, »das ist auch -keine Kleinigkeit, plötzlich so hinzusterben und dann Gott -weiß wo an einem ganz andern Ort wieder zu sich kommen.«</p> - -<p>»Darüber hast du noch Zeit genug nachzudenken,« tröstete -ihn Zacharia, »du stirbst nicht so bald.«</p> - -<p>»Woraus schließt Ihr das, Vater Zacharia?«</p> - -<p>»Aus deinem Körperbau und … dann hast du solche -Ohren … so feste …«</p> - -<p>»Ja, was meine Statur und meine Ohren betrifft, so -brauchte ich in hundert Jahren nicht zu sterben; man müßte<span class="pagenum"><a id="Seite_390">[390]</a></span> -mich rein mit einem Knüppel totschlagen. Aber, wißt Ihr, -das hängt doch auch von der Phantasie ab, und deswegen -muß der Mensch auch daran denken.«</p> - -<p>Und endlich verfiel der Diakon in eine ganz trübe Hypochondrie, -die auch den andern nicht entging. Man fing -an zu reden, daß er sich den Tod herbeirufe.</p> - -<p>Der Propst Grazianskij besuchte den Diakon und machte -ihm Vorwürfe wegen seines freiwilligen Exils; er sagte, es -wäre unvernünftig, die Menschen zu fliehen; Achilla aber erwiderte -ihm ruhig:</p> - -<p>»Den Vernünftigen sucht Ihr jetzt vergebens. Er liegt -im Grabe.«</p> - -<p>Dem Arzt Pugowkin, den der Diakon einst beim Baden -untergetaucht hatte und der trotzdem sein guter Freund geblieben -war und jetzt zu ihm kam, ihn zu trösten und ihm -einzureden, er sei krank und müsse sich ärztlich behandeln -lassen, erwiderte Achilla:</p> - -<p>»Du hast recht, mein Bester, alle meine Gedanken gehen -durcheinander … Ich grübele – ich weiß selber nicht -worüber … und immer quält mich … weißt du (Achilla -zog die Brauen zusammen und schloß im Flüstertone) die -Sehnsucht.«</p> - -<p>»Nun ja, man nennt das erhöhte Sensibilität, Reizbarkeit.«</p> - -<p>»Reizbarkeit, das ist es! Alles drückt mich. Weißt du, -es ist, als ob ein Pfahl in meiner Brust stäke, und nachts -sitze ich da und weiß lange nicht, weswegen ich mich quäle -und weine.«</p> - -<p>Da trat unerwartet ein Ereignis ein, das den Diakon -aufrüttelte: der Tod des Zwerges Nikolai Afanasjewitsch. In -seinem Testament hatte er verfügt, daß Vater Zacharia und -Achilla ihm das letzte Geleit geben sollten, jedem von den -beiden hatte er dafür fünf Rubel in bar, zwei Paar selbstgestrickte<span class="pagenum"><a id="Seite_391">[391]</a></span> -Strümpfe und eine baumwollene Nachtmütze -hinterlassen.</p> - -<p>Als man vom Begräbnis nach Hause ging, schien der -Diakon heiterer als sonst. Er scherzte sogar.</p> - -<p>»Seht ihr wohl, meine Lieben, wie Er unsere Gemeinschaft -auflöst?« sagte er, »einen nach dem andern holt Er sich: nun -ist auch Nikolai Afanasjewitsch hin. Und dann kommt die -Reihe an mich und Vater Zacharia.«</p> - -<p>Achilla täuschte sich nicht. Als er Seinen Besuch erwartete, -stand Er, der Milde und Unüberwindliche, schon hinter ihm -und breitete seine kühlen Flügel über ihn.</p> - -<p>Die Chronik muß eingehend über die letzten Taten des -Recken Achilla berichten, denn diese Taten waren seiner -durchaus würdig und gaben ihm die Möglichkeit, auf seine -eigene, ganz besondere Weise die Fahrt nach dem jenseitigen -Ufer des Lebensmeeres anzutreten.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_392">[392]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_13">Dreizehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Frühling kam und Stargorod erwachte zu neuem -Leben. Der Fluß wollte die starre Eisdecke abwerfen, blies -sich auf und wurde blau. Immer höher türmten sich an beiden -Ufern die Berge von Getreidesäcken, und schon wurden die -breiten Barken instand gesetzt.</p> - -<p>Aus den Dörfern, die den Winter hindurch gehungert -hatten, kamen täglich Scharen zerlumpter Bauern in Bastschuhen -und weißen Filzkappen in die Stadt. Sie ließen -sich als Schlepper dingen, gegen Bezahlung ihrer Steuern -und Beköstigung, und waren glücklich, das Getreide, das -ihnen daheim so mangelte, in entfernte Gegenden schaffen -zu können. Selbstverständlich wurden nicht alle dieses Glückes -teilhaftig. Das Angebot übertraf die Nachfrage ganz bedeutend. -Und um die Überflüssigen kümmerte sich kein Mensch.</p> - -<p>In einsamen und abgelegenen Gassen der Stadt begann -sich, ohne sichtliche Veranlassung, allerlei Teufelsspuk zu -zeigen. Ein solcher Teufel, in voller höllischer Ausrüstung, -mit Hörnern und Klauen, überfiel nacheinander zwei Weiber, -einen betrunkenen Schmied und einen völlig nüchternen -Kanzlisten, der zu einem nächtlichen Stelldichein mit einer -Kaufmannstochter pilgerte. Den Armen wurde alles abgenommen, -was sie bei sich hatten, und später sagten sie aus, -der Teufel, dessen Opfer sie geworden wären, hätte Stierhörner -gehabt und Klauen ganz wie jene Eisenhaken, mit -denen die Hafenarbeiter die Getreidesäcke auf die Barken -zerren. Niemand wagte mehr nach Sonnenuntergang durch<span class="pagenum"><a id="Seite_393">[393]</a></span> -die Stadt zu gehen; aber der Teufel trieb sein Unwesen ruhig -weiter. Einmal wurde er von den Wachtposten gesehen, die -vor dem Salzdepot und vor dem Gefängnis standen. Er -hatte sogar die Unverschämtheit, näher als auf Schußweite -an die Soldaten heranzukommen und sie mit kläglicher -Stimme um ein Stückchen Brot zu bitten. Man sandte daher -nachts Patrouillen aus; eine, vom Polizeichef, dem -uns längst wohlbekannten tapfern Rittmeister Porochontzew, -selbst geführt, begegnete dem Teufel tatsächlich und rief ihn -sogar an. Als er aber darauf: »Gut Freund« erwiderte – -bekamen die Leute Angst und rannten davon. Der Rittmeister, -welcher glaubte, sich auf die Polizei nicht mehr verlassen -zu können, wandte sich nun an den Hauptmann Powerdownia -und bat um den Beistand seines Invalidenkommandos -zur sofortigen Festnahme des die Stadt in so große Erregung -versetzenden Teufels. Aber der Hauptmann wollte -sich mit dem Höllenfürsten nicht einlassen, ohne vorher die -Genehmigung seiner unmittelbaren Vorgesetzten eingeholt zu -haben, und so spazierte der Teufel nach wie vor in der Stadt -herum, und das Entsetzen der Bürgerschaft wuchs von Tag -zu Tag. Endlich mischte sich der Propst Grazianskij hinein. -Er wandte sich an das Volk mit einer Predigt über den Aberglauben -und behauptete, Teufel, die den Leuten Mäntel -und Kopftücher fortnehmen, gäbe es überhaupt nicht. Der -nachts in der Stadt umgehende Teufel sei nichts weiter -als ein fauler Taugenichts, welcher glaube, die Leute leichter -um ihr Hab und Gut betrügen zu können, wenn er ihnen -durch seine Teufelsmaske vorher einen gehörigen Schreck -einjage. Diese Rede rief eine große Entrüstung hervor. Der -Vorsteher der altgläubigen Gemeinde erklärte, das sei wieder -einmal eine Ketzerei der neuen Kirche, und es gelang ihm -ohne alle Mühe, ein paar Schäflein aus der Domherde für<span class="pagenum"><a id="Seite_394">[394]</a></span> -seine Sekte zu gewinnen. Der Teufel aber nahm noch in -anderer Weise Rache an dem ungläubigen Grazianskij. Am -Tage, welcher seiner Predigt folgte, entdeckte man im Vorhause -der Grazianskijschen Wohnung an der Decke die Spuren -schmutziger Stiefel. Natürlich war alle Welt darüber erstaunt -und entsetzt; denn wer kann mit dem Kopf nach unten -an der Decke entlang laufen?! Man neigte daher zu der Ansicht, -nur der Teufel könne es gewesen sein, und selbst der -Propst war nicht imstande, seiner Frau dies auszureden. -Allen seinen Ermahnungen zum Trotz wuchs die Hochachtung -vor dem Teufel erst recht; kein Mensch wagte mehr, ihn zu erzürnen, -aber auch niemand ging in der Dämmerung mehr aus.</p> - -<p>Indessen, der Teufel hatte es doch zu toll getrieben und -das bekam ihm schließlich übel. In den Straßen gab es -für ihn schlechterdings nichts mehr zu erbeuten. Es begannen -infolgedessen die Messingkreuze, die Heiligenbilderschreine -und die Lämpchen auf dem Friedhofe zu verschwinden, -wo der Vater Sawelij unter seiner Pyramide ruhte.</p> - -<p>Die Stadt, durch die verschiedenen Teufelsstreiche in -Schrecken versetzt, schrieb auch diese neue Schändlichkeit ohne -weiteres demselben bösen Feinde zu.</p> - -<p>Bei der Untersuchung des Schadens bemerkte man, daß -auch das Denkmal des Vaters Sawelij gelitten hatte: das -Kreuz und der vergoldete Knopf, welche die Pyramide krönten, -waren mit Hilfe eines Brecheisens stark verbogen und -gelockert, einer der vergoldeten Cherubim abgerissen, erbarmungslos -mit dem Beil zerhackt und dann verächtlich -weggeworfen, da er keinen nennenswerten Marktwert besaß.</p> - -<p>Als Achilla davon Kenntnis erhielt, unterzog er das beschädigte -Monument einer genauen Besichtigung und meinte:</p> - -<p>»Und wenn du Beelzebub selber wärst, das wirst du mir -büßen müssen.«</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_395">[395]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_14">Vierzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>In der darauffolgenden Nacht, gegen elf Uhr, verließ -der Diakon, ohne vorher jemandem etwas gesagt zu haben, -leise das Haus und schlich sich nach dem Friedhof. Eine -lange Stange und eine starke Hanfschlinge trug er in der -Hand.</p> - -<p>Niemand kam ihm in den Weg, niemand bemerkte ihn. -Kurz vor halb zwölf erreichte er den Friedhof. Er betrachtete -das Tor: es war geschlossen und klapperte leise, vom -frischen Frühlingswind gerüttelt. Allem Anschein nach pflegte -der Teufel nicht durch dieses Tor zu gehen, sondern nahm -einen andern Weg.</p> - -<p>Achilla trat zur Seite und stieß mit der Stange in den -weichen Schnee, der den rund um den Friedhof gezogenen -Graben füllte. Die Stange durchbohrte die dünne Eisschicht -und drang etwa bis zur Hälfte ein. Der Graben war ungefähr -zwei und eine halbe Arschin tief. Auf der gegenüberliegenden -Seite bildete die abgegrabene Erde einen glitschigen, -von außen leicht befrorenen Lehmwall.</p> - -<p>Achilla stieß die Stange fester in den Boden, stützte sich -auf sie, flog drachengleich empor und gelangte glücklich hinüber. -Für die Stange, mit deren Hilfe er diesen gigantischen -Sprung allein hatte ausführen können, erwies sich die Wucht -seines massigen Leibes allerdings zu schwer: sie brach in demselben -Augenblick, in dem die Sohlen des Diakons den Wall<span class="pagenum"><a id="Seite_396">[396]</a></span> -berührten. Achilla kümmerte es nicht; er hoffte, auf dem Friedhof -irgend etwas anderes zu finden, das ihm auf dem Rückwege -denselben Dienst leisten könnte. Außerdem hatte ihn -jenes Gefühl erfaßt, das sich nachts auf dem Friedhof unser -so leicht bemächtigt. Nicht Furcht, sondern eine Art Spannung, -bei der alle fünf Sinne erregt und scharf arbeiten. Achilla -atmete tief auf, nahm das schwarze Tuchkäppchen vom Kopf, -schüttelte die grau gewordenen Locken und sah mit Vergnügen, -wie hell das silberne Licht des Mondes über den Gottesacker -floß. Wehmut erfaßte ihn, und doch fühlte er sich zugleich -so frisch, wie schon lange nicht; er gedachte der alten -Zeiten und ihrer Kämpfe und sandte dem Monde einen -scherzhaften Gruß hinauf:</p> - -<p>»Guten Abend, Kosakensonne!«</p> - -<p>Tiefe Stille ringsum! Ja, hier herrschte wirklich Frieden! …</p> - -<p>Der Diakon ging zum Grabe Sawelijs, setzte sich auf -den Hügel und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen der -Cherubim. Immer noch tiefe, durch nichts gestörte Stille, -nur die Wolkenschatten zogen lautlos dahin. Neue und -immer neue, ohne Ende.</p> - -<p>Der Diakon wurde schläfrig. Er lehnte sich fester gegen -die Pyramide und fiel in Halbschlaf. Nur für kurze Zeit; -denn plötzlich schien es ihm, als stampfte jemand kräftig auf. -Er öffnete die Augen: gleiche Stille ringsum, nur der -Himmel hatte sein Aussehen verändert, der Mond war blasser -geworden und längs der Pyramide lief ein einziger langer -und breiter Schatten. Wolken ballten sich zusammen und -die Luft wehte morgenkühl. Achilla erhob sich und wiederum -hatte er die Empfindung, als wandele jemand auf dem -Friedhof umher.</p> - -<p>Der Diakon ging hinter die Pyramide. Niemand war -zu sehen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_397">[397]</a></span></p> - -<p>Nur eine frische Spur. Aber auch sie konnte von früher -herstammen. Wie sollte man das unterscheiden, wenn der -Schnee schon zum dünnen Brei geworden war, in den der -Fuß riesige, fast formlose Gruben drückte? In der Stadt -krähten die Hähne ihren Morgengruß. Nein, heute kommt -der Teufel nicht mehr!</p> - -<p>Achilla wandte sich langsam zu der Stelle, wo er über -den Graben gesprungen war. Er fand sie ohne Schwierigkeit -und griff ohne Bedenken nach der aus dem Graben -emporragenden langen Stange, als er sich plötzlich erinnerte, -daß sie gebrochen war! … Wo kam da die unversehrte -Stange her?</p> - -<p>»Sonderbar!« dachte der Diakon, und nachdem er sich -überzeugt hatte, daß er sich nicht täusche, sondern tatsächlich -aus dem Graben eine tadellose Stange hervorragte, machte -er sich zum Sprung bereit, als sich von hinten plötzlich über -seine Schultern hinweg zwei mächtige Tatzen auf seine Brust -legten. Sie waren mit dicker, filziger schwarzer Wolle bekleidet -und hatten gewaltige Eisenklauen.</p> - -<p>Der Teufel!</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_398">[398]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_15">Fünfzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Achilla knickte augenblicklich unter dem ihn niederdrückenden -Teufel zusammen, packte ihn dann an den Pfoten und riß -dieselben so kräftig, daß das Kinn des Teufels dröhnend -gegen seinen Scheitel schlug und gleichsam daran kleben blieb. -Der Teufel, der darauf nicht gefaßt gewesen war, fing verzweifelt -an zu zappeln, sah aber die Vergeblichkeit seiner -Bemühungen bald ein, wurde still und blieb nach einem -dumpfen Seufzer auf dem Rücken des Diakons hängen. -Es war ihm nicht nur unmöglich, sich loszureißen, sondern -er vermochte sogar kein Wort herauszubringen, denn sein -Kiefer war wie mit einer Presse gegen den Schädel Achillas -gepreßt. Die einzige Bewegung, welche der böse Geist zu -machen vermochte, war das Strampeln mit den Beinen. -Diese Möglichkeit beutete er aber auch mit höllischer Lust und -Arglist aus.</p> - -<p>Achilla, der den Teufel ebenso leicht auf seinem Rücken -hielt, wie ein gesunder Bauer eine Garbe Erbsenstroh, tat -ein paar Schritte rückwärts, nahm einen Anlauf und sprang -über den Graben. Der gewandte Teufel benutzte diesen -Moment, seine Beine um die ausgespreizten des Diakons -zu schlingen, gerade als sie beide jenseits des Grabens angelangt -waren. Der so plötzlich in seiner Bewegung gehemmte -Achilla verlor das Gleichgewicht und stürzte mit seiner -Last in den mit kaltem, schneeigem Brei gefüllten Graben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_399">[399]</a></span></p> - -<p>Beinahe hätte die furchtbare Kälte ihn veranlaßt, seine -Hände zu öffnen und den Teufel loszulassen, doch überwand -er sich und hielt nach anderen Rettungsmöglichkeiten Umschau. -Doch schien es die nicht zu geben; die glatten Grabenwände -bedeckte eine Eisschicht, so daß es unmöglich war, -an ihnen emporzuklimmen, ohne sich der Hände zu bedienen. -Dazu aber hätte Achilla den Teufel loslassen müssen und -das wollte er durchaus nicht. Er versuchte zu schreien, doch -niemand hörte ihn, und wenn ihn auch jemand gehört hätte, -so würde er seine Tür nur noch fester verschlossen und gesagt -haben: »Da hat der Teufel schon wieder einen am -Wickel.«</p> - -<p>Der Diakon begriff, daß er von der geängstigten Bevölkerung -keine Hilfe zu erwarten habe. Trotzdem wollte er den -Teufel nicht loslassen, und so hockten beide im Graben und -froren. Sie waren fast völlig erstarrt und hätten vielleicht -hier ihren Tod gefunden, wenn nicht ein Zufall ihnen zu -Hilfe gekommen wäre.</p> - -<p>Frühmorgens zog ein Spiritustransport nach der Stadt. -Als er am Friedhof vorbeikam, bemerkten die Bauern im -Graben eine seltsame Gruppe. Sie machten Halt, ergriffen -aber entsetzt die Flucht, als sie das blaue Gesicht eines Mannes -erkannten, über dem sich die gehörnte Teufelsfratze emporreckte. -Der halberstarrte Achilla nahm seine letzte Kraft zusammen, -rief die Leute zurück, befahl ihnen, auf den Teufel -aufzupassen, zog die rechte Hand aus dem Graben heraus -und bekreuzigte sich.</p> - -<p>»Es ist ein Christenmensch, Kinder!« riefen die Bauern, -zogen den Diakon und den Teufel heraus, steckten einen -Strohhalm in das Spundloch eines der Fässer und setzten -Achilla davor. Den Teufel aber warfen sie vorn auf den -Schlitten und fuhren weiter zur Stadt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_400">[400]</a></span></p> - -<p>Nachdem er etwas Spiritus eingesogen hatte, zuckte der -Diakon zusammen und fiel der Länge nach auf den Schlitten. -Er befand sich in einem entsetzlichen Zustande. Ganz durchnäßt -und blau, wie ein Kessel, zitterte er so, daß er kaum -atmen konnte. Der Teufel aber lag da wie ein Eiszapfen. -So brachte man ihn in die Stadt, wo der Diakon das Fahrzeug -vor dem Polizeiamt halten ließ.</p> - -<p>Achilla hob den Teufel aus dem Schlitten, ließ ihn in die -Kanzlei tragen und schickte nach dem Polizeichef. Er selbst -ließ sich vom Polizeidiener ein trockenes Hemd und einen -Soldatenmantel geben und legte sich auf das Sofa.</p> - -<p>Trotz der frühen Stunde war bald die ganze Stadt von -dem großen Ereignis unterrichtet, und eine dichte Menschenmenge -wogte, wie Meereswellen um einen Felsen, um das -Gebäude des Polizeiamtes, wo auch der Rittmeister Porochontzew -seine Amtswohnung hatte. Trotz ihres Amtes und -ihrer Würde gelang es den einflußreichsten Persönlichkeiten -der Stadt, wie dem Propst Grazianskij, dem Vater Zacharia -und dem Hauptmann Powerdownia, nur mit großer Mühe, -sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, und auch nur -deshalb, weil die Menge die Anwesenheit der Geistlichkeit -bei der an dem Teufel vorzunehmenden Exekution für eine -religiöse Notwendigkeit hielt. Dem Hauptmann Powerdownia -aber kam sein Säbelgriff zugute, mit dem er kräftige -Hiebe und Püffe nach rechts und nach links austeilte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_401">[401]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_16">Sechzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Während draußen die Menge sich drängte und lärmte, -ging es im Hause nicht weniger erregt zu. Der Polizeichef, -Rittmeister Porochontzew, kam in Barchentunterhosen und -einer Flanelljacke in die Kanzlei gestürzt und sah tatsächlich -den Teufel mit Hörnern und Klauen kläglich zusammengekauert -am Boden hocken und ihm gegenüber auf dem -Sofa, das sonst die Bittsteller einzunehmen pflegten, eine -unförmliche zitternde Masse, bedeckt mit einem Soldatenmantel -und zwei Schafpelzen: der Diakon.</p> - -<p>Um den Teufel herum gruppierten sich in den verschiedensten -Stellungen sämtliche Stargoroder Honoratioren, auf -deren Gesichtern nichts von dem Grauen zu lesen war, das -die Nähe des bösen Geistes ihnen von Rechts wegen hätte -einflößen sollen. Jeder sah, daß dieser Teufel ein ganz -jämmerliches Geschöpf war, welches vor Kälte bebte und -schlecht und recht in die traurigen Reste eines Kosakenmantels -aus haarigem Filz gewickelt war, den der Diakon Achilla -einmal dem Kommissar Danilka geschenkt hatte, weil das -Kleidungsstück zu nichts sonst zu gebrauchen war. Auf des -Teufels Kopfe, den ein Fetzen desselben Mantels bedeckte, -ragten zwei mit einem schmutzigen Bindfaden ungeschickt -befestigte Kuhhörner empor, und an den Händen, die in ein -paar Stückchen Schaffell gewickelt waren, baumelten zwei -gewöhnliche Eisenhaken, wie man sie zum Aufwinden von<span class="pagenum"><a id="Seite_402">[402]</a></span> -Getreidesäcken verwendet. Das merkwürdigste aber war, daß -einer der Soldaten, als er mit der Hand unter den Anzug -des Teufels griff, eine Schnur zu packen bekam, an der ein -altes Messingkreuzchen mit der Aufschrift: »Es stehe Gott -auf, daß seine Feinde zerstreuet werden« hing.</p> - -<p>»Ich sagte doch, daß alles Betrug wäre,« bemerkte der -Propst Grazianskij.</p> - -<p>»Ja, ja, dem Kostüm nach ist es ein richtiger Teufel, aber -das Kreuzlein läßt auf anderes schließen,« stimmte Zacharia -ihm bei, trat auf das rätselhafte Geschöpf zu und fragte: -»Hör mal, mein Lieber, wer bist du? He? Hörst du, was ich -dir sage? … Lieber Freund! … Heda! … Hörst du? … -Sprich doch! … Sonst gibt es Prügel! … So rede doch!«</p> - -<p>Hier mischte sich der Polizeichef ein und fing selbst an, -den Teufel auszufragen, aber ebenso erfolglos.</p> - -<p>Der Teufel, der allmählich warm wurde und zu sich kam, -rückte nur sachte hin und her und verkroch sich wie eine Schildkröte -immer tiefer in seinen Mantel.</p> - -<p>Von den verschiedenen Seiten wurden allerlei Meinungen -darüber laut: was man jetzt mit diesem Teufel anfangen -sollte. Der Polizeichef neigte zu der Ansicht, man müsse ihn, -so wie er sei, zum Gouverneur schicken und berief sich dabei -auf das alte Gesetz über Ungeheuer und Mißgeburten. Aber -alle waren so neugierig, daß sie sich diesem Beschluß energisch -widersetzten und die mannigfaltigsten Gründe anführten, um -den Polizeichef zu überzeugen, daß der Dämon unbedingt -sofort entlarvt werden müsse, um die allgemeine, brennende -Neugier endlich zu stillen!</p> - -<p>Zwei der Anwesenden nahmen an den Debatten keinen -Anteil: der Bürgermeister und Vater Zacharia, denn beide -waren in Spezialuntersuchungen vertieft. Der Bürgermeister -schlich sich immer ganz leise an den Teufel heran,<span class="pagenum"><a id="Seite_403">[403]</a></span> -bald von der einen, bald von der anderen Seite, machte das -Zeichen des Kreuzes über ihn und sprang dann geschwind -wieder zur Seite, um nicht mit dem Bösen gemeinsam in -die Tiefe zu versinken. Zacharia aber riß ihn an den Hörnern -und flüsterte ihm zu:</p> - -<p>»Hör mal, mein Lieber, sag mir nur das eine: warst du -es, der beim Vater Propst die Decke entlang gelaufen ist? -Gesteh's und du bekommst keine Schläge.«</p> - -<p>»Ich war's,« stöhnte der Teufel dumpf.</p> - -<p>Diese ersten Worte des Dämons riefen unter den Anwesenden -eine unerwartete Panik hervor, welche durch das -wilde Geschrei des draußen stehenden Volkes noch verstärkt -wurde. Die Menge hatte die Geduld verloren und drängte -ins Haus mit der Forderung, der Teufel solle ihr ausgeliefert -werden, wobei ganz laut der Verdacht geäußert wurde, -die Polizei beabsichtige, sich vom Teufel »schmieren« zu lassen -und ihn dann unbehelligt in sein höllisches Reich heimzusenden. -Einige machten den Vorschlag, die Tür aufzubrechen -und den Teufel mit Gewalt den Händen der gesetzlichen -Obrigkeit zu entreißen. Dieser Drohung folgte ihre Verwirklichung -auf dem Fuße, denn man schlug donnernd gegen -die Türe. Jedoch der Rittmeister fand das richtige Gegenmittel. -Er gab dem Revieraufseher ein Zeichen, worauf -dieser sofort die Feuerspritze aus dem Schuppen zog, mit dem -Schlauch auf den Zaun kletterte und einen Strahl eiskalten -Wassers über die Menge ergoß. Hiermit war das Signal -zu einem wilden Tohuwabohu gegeben. Die Menge fuhr zurück, -schrie, pfiff, lachte, dann aber wurden die heiteren Gesichter -plötzlich ganz ernst, die Leute bissen die Zähne zusammen -und drängten von neuem vorwärts. Das kalte Sturzbad -hatte seine Schrecken verloren, die Tür krachte, Steine flogen -ins Fenster, der Aufseher wurde an den Beinen vom Zaun<span class="pagenum"><a id="Seite_404">[404]</a></span> -heruntergerissen, die Menge bemächtigte sich der Spritze und -besprengte nun den Aufseher vor den Augen seiner Vorgesetzten. -Der Polizeichef und die Honoratioren stürzten in -die innern Gemächer und schlossen die Türen hinter sich zu, -der Hauptmann Powerdownia aber, der ihnen nicht so schnell -hatte folgen können, rannte in der Kanzlei hin und her -und schrie:</p> - -<p>»Meine Herren! Keine Furcht! Gott mit uns! Wer -Waffen hat … rettet euch!«</p> - -<p>Sein Blick fiel auf den geöffneten Aktenschrank, er sprang -geschwind hinein und schlug die Tür hinter sich zu, durch die -zerschlagenen Fensterscheiben aber kamen immer mehr Steine -geflogen, und der Teufel selbst schrie laut auf vor Entsetzen -und Verzweiflung.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_405">[405]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_17">Siebzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der Augenblick war kritisch. Er harrte seines Helden, und -dieser kam. Die Pelze, mit denen der von allen vergessene -Diakon Achilla bedeckt war, gerieten in Bewegung, sie fielen -zu Boden, und er selbst, barfuß, im kurzen und engen Soldatenhemd, -stürzte auf das Wesen los, das man noch jüngst -für den Teufel gehalten hatte, und begann es heftig zu -schütteln.</p> - -<p>»Zieh dich aus!« kommandierte er, »zieh dich aus und -zeige, wer du bist, oder ich reiße dir das alles samt deinem -eigenen Fell vom Leibe!«</p> - -<p>Ein kurzer Moment – und der Teufel war verschwunden. -An seiner Statt zeigte sich den erstaunten Augen des Diakons -der frosterstarrte Kleinbürger Danilka.</p> - -<p>Achilla riß ihn ans Fenster, steckte den Kopf durch die zerbrochene -Scheibe hinaus und rief:</p> - -<p>»Ruhe, ihr Schafsköpfe! Das ist Danilka, der sich als -Teufel verkleidet hatte! Schaut her!«</p> - -<p>Und der Diakon hob den blaugefrorenen Danilka in die -Höhe und warf zu gleicher Zeit seine Teufelsausrüstung -Stück für Stück auf die Straße hinab:</p> - -<p>»Da habt ihr seine Klauen! Und seine Hörner! Und den -übrigen Kram! Und jetzt paßt auf: ich will ihn verhören.«</p> - -<p>Und der Diakon drehte den Danilka so herum, daß dieser -ihm ins Gesicht sehen mußte, und fragte ihn mit ungeheuchelter -Freundlichkeit:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_406">[406]</a></span></p> - -<p>»Warum hast du dich so scheußlich verkleidet, du Narr?«</p> - -<p>»Vor Hunger,« flüsterte der Kleinbürger.</p> - -<p>Achilla rief es dem Volke zu und fuhr dann mit seiner -gewaltigen Donnerstimme fort:</p> - -<p>»Und jetzt, ihr braven Christenleute, begebt euch nach -Hause, denn wenn die hohe Obrigkeit wieder Mut faßt, -läßt sie – was Gott verhüten möge – gleich schießen.«</p> - -<p>Lachend ging das Volk auseinander.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_407">[407]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_18">Achtzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Wirklich hatte die Obrigkeit »Mut« gefaßt, kam wieder -aus ihrem Schlupfwinkel heraus und begann Ordnung zu -stiften.</p> - -<p>Der nasse und kaum noch schnaufende Danilka wurde in -einen trockenen Arrestantenkittel gesteckt, und das peinliche -Verhör begann. Er gestand, daß er, von Hunger und Frost -geplagt, von allen wegen seines liederlichen Lebenswandels -gemieden, lange Zeit obdachlos umhergeirrt sei, bis ihm der -Gedanke gekommen sei, sich als Teufel zu verkleiden. Auf -diese Weise habe er den Leuten bei Nacht Angst eingejagt, -gemaust, was ihm irgendwie unter die Finger gekommen sei, -es den Juden verschachert und davon gelebt. Achilla hörte -aufmerksam zu. Als das Verhör beendet war, sah er immer -noch Danilka an und bemerkte plötzlich, wie die Gestalt des -Kommissars vor seinen Blicken sich bald ganz hoch emporhob, -bald tief senkte. Achilla zwinkerte ein paarmal mit den -Augen, denn ein neues Schauspiel begann: Danilka glänzte -jetzt wie blankes Gold, dann wie weißes Silber, dann wieder -schien er ganz in Flammen zu stehen, daß einem die Augen -schmerzten, wenn man ihn betrachtete, dann erlosch er mit -einemmal und war fort. Und er war doch da! Diesem -kaleidoskopartigen Wechsel der Erscheinungen zu folgen war -eine unerträgliche Marter; schloß man aber die Augen, so -wurde es noch bunter und tat erst recht weh.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_408">[408]</a></span></p> - -<p>»Was ist das nur!« dachte der Diakon und fuhr sich mit -der Hand über das Gesicht. Dabei bemerkte er, daß seine -Handfläche, wenn sie die Gesichtshaut berührte, knisterte und -hängen blieb, wie wenn man mit Tuch über Flanell streicht. -Dann war's ihm plötzlich, als liefe ein heißer Feuerstrom -durch sein Blut, stoße gegen den Scheitel und beraube ihn -des Gedächtnisses. Der Diakon wußte nicht mehr, warum -er hier war, weshalb dieser Danilka da stand wie ein gerupftes -Hühnchen und ungeniert erzählte, wie er den Leuten -Angst machte, wie er sie sich durch allerlei Künste vom Leibe -hielt und wie er unvermutet in die Gewalt des Vaters Diakon -geriet.</p> - -<p>»Nun erzähle mal,« fragte Zacharia wieder, »erzähle mal, -mein Lieber, wie bist du beim Vater Propst mit dem Kopf -nach unten die Decke entlang gelaufen?«</p> - -<p>»Ganz einfach, Vater Zacharia,« antwortete Danilka. -»Ich nahm meine Stiefel ab, steckte sie auf einen Stock und -stieß sie dann mit den Sohlen gegen die Decke.«</p> - -<p>»So laßt ihn doch endlich gehen, was quält ihr ihn immer -noch,« sagte endlich Achilla.</p> - -<p>Alle sahen ihn erstaunt an.</p> - -<p>»Was redet Ihr da? Wie kann man einen Kirchenschänder -ziehen lassen?« fiel ihm Grazianskij ins Wort.</p> - -<p>»Ach was, Kirchenschänder! Der Mann hatte Hunger. -Laßt ihn laufen um Christi willen.«</p> - -<p>Grazianskij bemerkte, ohne Achilla anzusehen, sein Eintreten -zugunsten des Verbrechers sei völlig unpassend.</p> - -<p>»Warum denn? So ein armer Kerl … er hungerte -doch … die Apostel rauften auch Ähren aus …«</p> - -<p>»Wie kommt Ihr dazu?« sagte der Propst streng -und drehte sich nach ihm um. »Ihr seid wohl gar Sozialist?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_409">[409]</a></span></p> - -<p>»Was weiß ich von Sozialisten! Die heiligen Apostel, sag -ich, gingen über Feld und rauften Ähren aus. Ihr städtischen -Pfarrerssöhne wißt nichts davon, aber wir Subdiakonskinder -vom Lande haben in der Schule auch manchmal Eßwaren -gemaust. Nein, laßt ihn gehen um Christi willen, -ich gebe ihn Euch ja doch nicht heraus.«</p> - -<p>»Ihr habt wohl den Verstand verloren? Wie könnt Ihr -Euch unterstehen?«</p> - -<p>Diese letzten Worte schienen dem Diakon eine so unerhörte -Kränkung, daß er feuerrot wurde, und seinen nassen Leibrock -überwerfend, aufschrie:</p> - -<p>»Ich geb' ihn Euch nicht heraus und damit Schluß! Er -ist mein Gefangener und ich habe ein Recht auf ihn!«</p> - -<p>Mit diesen Worten wankte der Diakon auf Danilka zu, -stieß ihn zur Tür hinaus, packte mit beiden Händen die Türpfosten, -um keinen Verfolger durchzulassen, und wollte noch -etwas sagen, als er sich plötzlich immer größer und breiter -werden, in feurigen Gluten aufgehen und verschwinden fühlte. -Er schloß die Augen und fiel bewußtlos nieder.</p> - -<p>Achillas Zustand war jener des seligen Vergessens, in den -das Fieber den Menschen versetzt. Er vernahm die Worte, -wie »Unfug«, »Protokoll«, »Schlag«, fühlte, daß man ihn -berührte, umdrehte, aufhob, hörte das Flehen und Jammern -des draußen wieder eingefangenen Danilka, aber er hörte -das alles nur wie im Traum, und dann wuchs er wieder -und dehnte sich unendlich weit und strömte süße Gluten aus -und zerschmolz in der läuternden Flamme der Krankheit. -Da kam es, das Ende des Lebens, der Tod!</p> - -<p>Achillas »Tat« wurde zu Protokoll gebracht, wobei der -alte Freund und Kamerad, Woin Porochontzew, sich die -größte Mühe gab, das Benehmen des Diakons in möglichst -harmlosem Lichte erscheinen zu lassen. Trotzdem wurde das<span class="pagenum"><a id="Seite_410">[410]</a></span> -Dokument betitelt: »Von dem frechen Unfug, den der Domdiakon -Achilla im Beisein der Stargoroder Polizeiverwaltung -angestiftet.«</p> - -<p>Der Rittmeister Porochontzew konnte nur das Wort »frech« -ausstreichen, der Unfug Achillas aber wurde zum Gegenstand -einer polizeilichen Akte, auf die früher oder später ein -strenges Urteil erfolgen mußte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_411">[411]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_19">Neunzehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Achilla wußte nichts von alledem: er glühte ruhig und -sorglos weiter in den Flammen seiner Krankheit. Der Arzt -hatte ihn ins Krankenhaus schaffen lassen und erklärt, es -handle sich um eine sehr schwere Form von Typhus, die gleich -mit Bewußtlosigkeit und hohem Fieber anfange und zu den -schlimmsten Befürchtungen Veranlassung gebe.</p> - -<p>Dem Rittmeister Porochontzew kam diese Äußerung des -Arztes sehr gelegen. Er fragte sofort, ob man das Benehmen -Achillas nicht durch seinen krankhaften Zustand erklären -könne. Der Arzt war durchaus dieser Meinung. Achilla -aber war schon fünf Tage ohne Bewußtsein und lebte immer -noch in denselben unklaren, aber süßen Vorstellungen und -in demselben Gefühl einer wohltuenden Hitze. Neben seinem -Bette saß auf einem wackeligen Stühlchen der Vater Zacharia -und hielt ein mit kaltem Wasser getränktes Handtuch dem -Kranken auf die Stirn. Gegen Abend kamen noch ein paar -Bekannte und der Arzt.</p> - -<p>Der mit geschlossenen Augen daliegende Diakon hörte, wie -der Arzt sagte, daß, wenn es jemandem um die Seele des -Kranken zu tun sei, er den ersten lichten Augenblick wahrnehmen -müsse, denn die Krisis nahe heran, von der nicht -viel Gutes zu erwarten sei.</p> - -<p>»Nehmt den Augenblick wahr,« sagte er, »der Puls ist -schon ganz unzuverlässig.« Dann fing der Arzt mit Porochontzew<span class="pagenum"><a id="Seite_412">[412]</a></span> -und den andern an zu reden, die es gar nicht begreifen -konnten, daß Achilla im Sterben liege und noch dazu -infolge einer Erkältung! Dieser Recke sollte sterben, und -Danilka, der mit ihm im kalten Bade gesessen hatte, befand -sich in seiner Gefängniszelle ganz wohl und munter. Der -Arzt erklärte es dadurch, daß Achilla schon seit längerer Zeit -angegriffen und leidend gewesen wäre.</p> - -<p>»Ja, ja, Sie sprachen davon … erhöhte Sensibilität,« -stammelte Zacharia.</p> - -<p>»Eine merkwürdige Krankheit,« bemerkte Porochontzew. -»Auch hier alles neu. Ich lebe nun schon so lange auf der -Welt und habe noch nie von so einer Krankheit gehört.«</p> - -<p>»Ja, ja, ja,« sagte Zacharia zustimmend, »die Lebensgewohnheiten -verfeinern sich und die Krankheiten werden -komplizierter.«</p> - -<p>Der Diakon öffnete leise die Augen und flüsterte:</p> - -<p>»Gebt mir zu trinken!«</p> - -<p>Man reichte ihm einen Metallkrug, an den er seine flammenden -Lippen preßte. Und während er das kühle Moosbeerengetränk -gierig herunterschlang, musterte er die Umstehenden -mit seinen entzündeten Augen.</p> - -<p>»Nun, wie geht es unserer lieben Orgel?« fragte der Bürgermeister -teilnehmend.</p> - -<p>»Dumpf, dumpf,« antwortete der Diakon schwer atmend -und fing nach einer Minute ganz unvermittelt in erzählendem -Tone an: »Nach meinem Hündchen Wiesie – als die Post -es überfahren hatte – wollte ich mir wieder eins zulegen … -Da seh' ich in Petersburg auf dem Newskij einen Hundejungen -… ›Verschaff mir‹, sagte ich … ›ein nettes Hündchen‹ -… Da antwortete er: ›Heutzutag – gibt's keine -Hunde mehr … Heutzutag gibt's nur noch Pointer und -Setter,‹ sagte er … ›Was sind denn das für Viecher?<span class="pagenum"><a id="Seite_413">[413]</a></span>‹ -fragte ich … ›Das‹ – sagte er – ›sind ebensolche Hunde, -bloß nennt man sie anders.‹«</p> - -<p>Der Diakon stockte.</p> - -<p>»Wie kommt Ihr auf diese Geschichte?« fragte ihn der -Arzt in freundlichem, aufmunterndem Tone, denn es schien -ihm, als phantasierte der Kranke.</p> - -<p>»Weil Sie vorhin von neuen Krankheiten redeten. Sie -alle – man mag sie nennen, wie man will – laufen doch -auf ein und dasselbe Ziel hinaus – auf den Tod.«</p> - -<p>Hier verlor der Diakon von neuem das Bewußtsein und -erwachte bis Mitternacht nicht mehr. Dann fing er plötzlich -wieder zu phantasieren an:</p> - -<p>»Arkebusier, Arkebusier … geh fort, Arkebusier!«</p> - -<p>Bei dem letzten Wort sprang er auf und setzte sich, völlig -wach, aufrecht im Bette hin.</p> - -<p>»Du solltest beichten, Diakon«, sagte Zacharia.</p> - -<p>»Ja, ja,« sagte Achilla, »nehmt meine Beichte entgegen … -Schneller … ich will beichten, um nichts zu vergessen … -In allem hab' ich gesündigt … Vergebt mir um Jesu -Christi willen …« Und mit einem Seufzer fügte er hinzu:</p> - -<p>»Schickt schnell nach dem Propst.«</p> - -<p>Grazianskij erschien sogleich.</p> - -<p>Achilla grüßte ihn von weitem mit den Augen, bat um -seinen Segen und küßte ihm zweimal die Hand.</p> - -<p>»Ich sterbe,« sagte er, »und ich wollte Euch um Vergebung -bitten. Gegen alle Gebote hab' ich gesündigt.«</p> - -<p>»Der Herr wird Euch vergeben,« antwortete Grazianskij.</p> - -<p>»Ich war ja nicht bösen Willens … aber ich redete oft -unverständlich.«</p> - -<p>»Laßt doch … Ihr habt ein edles Herz.«</p> - -<p>»Nein, nein, so sollt Ihr nicht reden,« unterbrach ihn der -Diakon. »Ich tat nicht immer das, was ich sollte … und<span class="pagenum"><a id="Seite_414">[414]</a></span> -zuletzt … zürnte ich wegen des Denkmals … Leere Phantasien: -Himmel und Erde werden verbrennen und alles -wird versinken … Was für ein Denkmal! Und alles meine -Unvernunft!«</p> - -<p>»Er ist schon weise,« flüsterte Zacharia, den Kopf senkend.</p> - -<p>Der Diakon warf sich auf seinem Bette hin und her.</p> - -<p>»Vergebt mir um Christi willen,« sagte er hastig, »und -zwingt Euch nicht, hier zu bleiben. Mich packt die Krankheit -schon wieder … Lebt wohl.«</p> - -<p>Der gelehrte Propst segnete den Sterbenden, worauf -Zacharia ihn hinausbegleitete. Als er in das Zimmer zurückkam, -blieb er entsetzt auf der Schwelle stehen.</p> - -<p>Achilla lag im Todeskampf und seine Agonie war ebenso -verblüffend wie grauenerregend. Einige Sekunden war er -ganz still, und wenn er genügend Luft eingesogen hatte, stieß -er sie plötzlich mit einem langgedehnten »Hu–u–u–u« -heraus; dabei fuchtelte er jedesmal mit den Armen in der -Luft herum und richtete sich auf, als ob er sich von etwas -befreie, etwas von sich werfe.</p> - -<p>Zacharia stand wie erstarrt, und die schwachen Bretter der -Bettstelle bogen sich und krachten immer stärker unter der -Last des Sterbenden, und schauerlich bebte die Wand, durch -die gleichsam die so lange gefesselt gewesene elementare Kraft -sich einen Weg bahnen wollte.</p> - -<p>»Geht es zu Ende?« erriet Zacharia plötzlich und stürzte -zum Fenster nach dem dort liegenden Gebetbuche, aber in -diesem Augenblick rief Achilla mit fest zusammengebissenen -Zähnen:</p> - -<p>»Wer bist du? Du mit dem Feuergesicht? Laß mich durch!«</p> - -<p>Zacharia sah sich ängstlich um und machte ein verblüfftes -Gesicht, denn kein feuriger Mann war zu sehen; aber in -seiner Angst war es ihm vorgekommen, als hätte Achilla<span class="pagenum"><a id="Seite_415">[415]</a></span> -sich von seinem eigenen Leibe gelöst und wäre hier in der -Stube auf jemand gestoßen, mit dem er gerungen und den -er dann überwunden hätte …</p> - -<p>Der ängstliche Alte bebte am ganzen Leibe, schloß die -Augen und lief hinaus. Einige Minuten später ertönte vom -Turme der Domkirche das traurige Geläut der Totenglocke -für den verstorbenen Diakon Achilla.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_416">[416]</a></span></p> - -<h3 id="kap5_20">Zwanzigstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Die Chronik von Stargorod geht zu Ende, und ihr letzter -Punkt soll der Nagel sein, der in den Sargdeckel des Vaters -Zacharia geschlagen ward.</p> - -<p>Der sanfte Greis überlebte Sawelij und Achilla nicht lange. -Er lebte nur noch bis zum großen Fest des Frühjahrs, dem -Ostersonntag, und entschlief ganz sacht während des Gottesdienstes.</p> - -<p>Für die Klerisei von Stargorod kam eine Zeit völliger -Erneuerung.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung -der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p> - -<p>Korrekturen:</p> -<div class="corr"> -<p> -S. 306: waren → wären<br /> -So, das <a href="#corr304">wären</a> sämtliche Neuigkeiten.</p> -</div></div> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Klerisei, by Nikolaus Leskow - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KLERISEI *** - -***** This file should be named 53757-h.htm or 53757-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/3/7/5/53757/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance -with this agreement, and any volunteers associated with the production, -promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, -harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, -that arise directly or indirectly from any of the following which you do -or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm -work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any -Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. - - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of computers -including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists -because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from -people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. -To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 -and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive -Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at -http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent -permitted by U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. -Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered -throughout numerous locations. Its business office is located at -809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email -business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact -information can be found at the Foundation's web site and official -page at http://pglaf.org - -For additional contact information: - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To -SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any -particular state visit http://pglaf.org - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. -To donate, please visit: http://pglaf.org/donate - - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic -works. - -Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm -concept of a library of electronic works that could be freely shared -with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project -Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. - - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. -unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily -keep eBooks in compliance with any particular paper edition. - - -Most people start at our Web site which has the main PG search facility: - - http://www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - -</pre> - -</body> -</html> diff --git a/old/53757-h/images/cover.jpg b/old/53757-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index b7fef64..0000000 --- a/old/53757-h/images/cover.jpg +++ /dev/null |
