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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59731 ***
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+
+
+ Kleine
+ Lebensgemälde
+
+ in
+ Erzählungen
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+ von
+ Julius von Voß.
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+ Berlin, 1821.
+ In der Sanderschen Buchhandlung.
+ Kurstraße No. 51.
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+
+ Der
+ Besuch nach zwanzig Jahren
+ in der Vaterstadt.
+
+ Ein Sittengemälde.
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+
+Der Besuch nach zwanzig Jahren.
+
+
+Zwanzig Jahre sind eben so viele Umläufe des Erdballs um die Sonne;
+regelmäßig ist die Wandlung, auf eine Minute voraus zu berechnen, in
+welchem Abstand er sich an diesem oder jenem Tage von der Sonne, auch von
+allen bisher entdeckten Planeten befinden wird. Es kann der Mensch stolz
+seyn, daß er so erhabner Berechnungen fähig ist; sie unterscheiden ihn von
+dem sprachlosen Thier. Stets kehren die Jahreszeiten regelmäßig wieder, und
+die veränderte Witterung hängt an atmosphärischen Ursachen, die genau der
+Mensch noch nicht ergründen konnte. Im Allgemeinen sind diese Abweichungen
+aber nicht bedeutend, und man wird doch ziemlich voraussagen können, welch
+ein Ansehn die Natur an diesem oder jenem Orte, in einem oder dem anderen
+Monate, haben wird.
+
+Nicht so ist es bei dem Menschen. Er verfolgt auch einen Gang, dem an sich
+Frühling, Sommer, Herbst und Winter zugetheilt sind; übrigens hat sein
+Leben aber so wenig Regelmäßigkeit, und die Zukunft läßt sich so ungewiß
+aus der Gegenwart bestimmen, daß oft eine ganz andere Erscheinung, als die
+gehoffte, eintreten wird. Nach einem Zeitraum von zwanzig Jahren darf nur
+-- wer so lange denken kann -- sich fragen: welche Bekannte hatte ich, als
+dieser Zeitraum anfing? Was ist aus ihnen geworden; und wie hofften und
+glaubten sie einst, daß ihrem Wünschen und Streben die Fügung entsprechen
+würde? Aus den vorhandenen Thatsachen werden nun die Beantwortungen
+hervorgehn, und nicht wenig in Erstaunen setzen.
+
+Auf die allmähligen Veränderungen, welche in zwanzig Jahren mit unsern
+Bekannten sich zutragen, achten wir bei dem Allen viel zu wenig, als daß
+uns die entstandnen Kontraste zwischen Ehedem und Jetzt recht deutlich
+ins Auge fielen. Wo die Farben nach und nach sich umwandeln, befremdet es
+endlich kaum noch, wenn aus dem Weiß ein Schwarz sich hervorgebildet hat;
+doch wer aus dem Mittag jähling in die Mitternacht träte, oder aus dem
+Julius in den Februar, könnte von auffallenden Gegensätzen der Ansicht
+reden.
+
+So auch, wenn wir die Bekannten in zwanzig Jahren nicht gesehn, auch
+während dieser Zeit nicht das Mindeste von ihnen gehört haben. Diese
+Erfahrung sollte ich machen, und ich entnahm daraus, wie viel merkwürdiger
+noch es seyn muß, wenn der Zeitabschnitt dreißig oder noch mehr Jahre
+beträgt.
+
+Ich wurde in einer Stadt mittlern Umfangs in Deutschland geboren. Mein
+Vater bekleidete das Amt eines Rathsherrn, und stand in ausgezeichnetem
+Ansehn; theils weil es seine Würde ihm gab, theils, weil er mit einem
+anerkannt redlichen Sinn eine ungemein scherzhafte Laune verband, die ihn
+jeden Zirkel, in den er trat, beseelen, und allenthalben Freunde gewinnen
+ließ. Eben so war meine Mutter, ihres gutmüthigen und feinen Betragens
+willen, in meiner Heimath geachtet.
+
+Ich hatte noch einen älteren Bruder Otto, welcher die Rechte studierte,
+wogegen ich auf einer Hochschule der Cameralwissenschaft oblag. Meine
+Schwester, Wilhelmine, zählte einige Jahre weniger als ich.
+
+Mit Otto stand ich von den Kinderjahren her nicht zum Beßten. Vater und
+Mutter gaben mir einigen Vorzug; dies machte ihn zu meinem Feind. Unsre
+Gemüthsweisen hatten eine große Verschiedenheit. Otto war einsilbig,
+trocken, mißlaunig, galt daher nicht bei den Knabenspielen in unserer
+Nachbarschaft für einen lustigen Gefährten; ein Lob, das mir hingegen ward,
+bei meiner natürlichen, in jenen Zeiten oft muthwilligen, Lebhaftigkeit.
+Man konnte Ottos Fleiß auf Schulen nicht tadeln; er zeigte vielmehr dort
+guten Eifer, trieb jedoch Alles mechanisch, konnte es nur zu langsamen
+Fortschritten bringen, und am Ende schien Alles bei ihm nur magres
+Gedächtnißwerk. Die Mitschüler nannten ihn einen Pinsel; bei den Lehrern
+aber galt er, weil er ihnen eine ungemein unterworfne Ehrerbietung bewies.
+Mein Streben war nicht so ernst, allein die Arbeit wurde mir leicht; ich
+konnte in einer Stunde mehr vor mich bringen, als Otto in einem halben
+Tage. Daher übertraf ich ihn nicht selten, und erregte oft die Verwunderung
+meiner Lehrer in Fragen, die von scharfsinnigem Nachdenken und treffendem
+Urtheil zeugten; oder in Einfällen, die ihnen witzig schienen. Allein ich
+trieb nebenbei auch manchen kleinen Unfug, war zu leichtsinnig die Gunst
+der Lehrer auf solchen Wegen zu suchen, wie Otto, an dem ich vielmehr eine
+kriechende, sklavische Höflichkeit bespöttelte. So gewann ich dort wenig
+Gunst.
+
+Als wir gemeinschaftlich die Hochschule bezogen hatten, blieb unser
+Verhältniß zu einander sich ähnlich. Otto galt mehr bei den Professoren,
+ich mehr bei den aufgeweckten Burschen, war bald in meiner Landsmannschaft,
+in meinem Orden ein strahlendes Licht. Otto wirthschaftete spärlich; weit
+mehr kostete ich dem Vater. Bei dem Allen war ich ihm doch lieber, als mein
+Bruder, nachdem wir von der Hochschule in die Vaterstadt zurückkamen. Meine
+Außenseite schien ihm vortheilhafter, meine Unterhaltung geistreicher.
+Unser Wissen dünkte ihm sich ungefähr die Wage zu halten; doch meinte er:
+ich würde mit meinem Pfund gescheidter zu wuchern verstehn, die Wege,
+auf denen man sein Glück macht, mit Scharfblick suchen, mit kluger
+Beharrlichkeit verfolgen, und so bald an einem namhaften Ziele stehn.
+Otto, pflegte er zu sagen, wird so ein sechs Jahre als Referendarius der
+Jurisprudenz mitlaufen, und dann sich zum Senator, oder, wenn es hoch
+kommt, zum Bürgermeister in einem Landstädtchen ernannt sehn, und damit
+wird seine Laufbahn geschlossen seyn. An Wilhelm denke ich hingegen noch zu
+erleben, daß er zum Geheimen-Finanz-Rath oder Präsidenten emporsteigt.
+
+Der gute Vater irrte, wie es die Folge zeigen wird. Ueberhaupt gehört es
+auch zu meinen gesammelten Erfahrungen, daß häufig die Eltern ihrer Kinder
+wahrscheinliches Loos unrichtig beurtheilen.
+
+Man stellte uns bei den zwei Collegien an, die in meiner Vaterstadt sich
+befanden. Otto glänzte auf seinem Standpunkt gar nicht; meine Talente
+wurden bald gepriesen. Doch hatte sich nach zwei Jahren da viel geändert.
+Otto griff mehr und mehr ein, und hatte die Zuneigung der Obern, in seinem
+höchst aufmerksamen Betragen, gewonnen. Die meinigen aber fanden an mir
+dies und das zu erinnern. Ich hätte zwar Talente, hieß es, wäre aber auch
+voreilig eitel darauf, ließe mir bald Nachlässigkeiten in der gebührenden
+Achtung gegen Höherstehende, bald in den amtlichen Verrichtungen, zu
+Schulden kommen, und wäre oft auch absprechend, anmaßend; wollte am Eingang
+der Laufbahn manches besser verstehen, als Männer, die größtentheils sie
+schon durchlaufen hätten.
+
+Doch ich will meine nächste Umgebung, in diesen zwei Jahren, beschreiben,
+um hernach darzuthun, welche seltsame Wechsel zwanzig Jahre in den
+Schicksalen der Menschen hervorzubringen fähig sind.
+
+Mein Vater hatte ein Einkommen, das für den Ort ansehnlich heißen durfte,
+und auch meine Mutter hatte ihm einiges Vermögen zugebracht. Dies setzte
+ihn in den Stand, oft Gäste einzuladen, oder, wie man es nennt, ein Haus
+zu machen. Es entsprach seinen Neigungen zu heitrer Geselligkeit, und er
+setzte auch eine Art Stolz in den Ruf: sein Haus könne ein Wohnsitz des
+guten Geschmacks heißen. Er traf auch deshalb eine sorgsame Auswahl unter
+den Leuten, mit welchen er vorzüglich umging; wenigstens mußten sie zur
+feinsten Welt des Ortes gehören, und es lag ihm mehr daran, zu bewirthen,
+als bewirthet zu werden. Daneben war gute, frohe Laune eine den
+Hausfreunden gemachte Bedingung. Sie wohnte ihm selbst in hohem Maße bei,
+und lange Weile floh er.
+
+Er liebte diesen Aufwand jedoch zu viel, erwog nicht genug, daß zwischen
+seinen Einnahmen und Ausgaben kein richtiges Verhältniß bestände. Wir Söhne
+hatten ihm auf der Hochschule auch nicht wenig gekostet, und durften in den
+nächsten Jahren noch keinem Amtsgehalt entgegen sehn. Deshalb war um die
+Zeit, als wir an den erwähnten Landesstühlen untergeordnete Plätze
+gefunden hatten, das Vermögen seiner Gattin schon mit aufgezehrt. Nichts
+destoweniger lebte mein Vater nach alter Weise, zum Theil einmal daran
+gewöhnt, zum Theil auch aus überdachten Gründen. Er meinte, wenn er die
+Obern seiner Söhne durch öftere Einladungen sich verbindlich machte, so
+würden sie um so geneigter seyn, Jenen zu einem besseren Fortkommen
+zu helfen. Zudem wuchs auch meine Schwester heran; eine glückliche
+Verheirathung derselben gehörte zu den sehnlichsten Wünschen meiner beiden
+Eltern. Die Mutter pflegte zu sagen: Ein Mädchen, das nicht gesehn wird,
+kann auch nicht begehrt werden. Und so munterte sie ihn zu dem noch auf,
+wovon ihn abzumahnen vielleicht rathsamer gewesen wäre.
+
+In der That mußte aber Wilhelmine nahe gesehn, nach ihren verschiednen
+Eigenthümlichkeiten beobachtet werden, wenn diese auf Männerherzen Eindruck
+machen sollten; es konnte dann jedoch ein namhafter seyn. Der Mitgift wegen
+ließen Freier sich nicht absehn, und Wilhelmine hatte keinen Mangel an
+Schönheit, zeichnete sich gleichwohl auch daran nicht aus. Sie hatte eine
+mittlere, feine Gestalt, ein nicht unregelmäßiges, und allerdings auf
+schönen inneren Sinn deutendes, aber wie gesagt, nicht ausgezeichnetes
+Gesicht. Es hätte sich daran mehr frische Blüthe, und schärferer Ausdruck
+in den Zügen wünschen lassen; sonst hingegen war es hold, freundlich und
+angenehm.
+
+Viel hatten die Eltern an Wilhelminens Erziehung gewandt, und sie war ihren
+Bemühungen stets mit regem Eifer entgegen getreten. Sie zählte nun achtzehn
+Jahre, und hatte ihren natürlichen Verstand ungemein durch nützliche
+Schriften, und vortheilhaft gewählte Freundinnen, ausgebildet. Der
+französischen und italiänischen Sprache war sie mächtig, und dehnte ihr
+Urtheil auf mannichfache Gegenstände im Gebiet der Wissenschaften und
+Künste aus. Vor Allem nannte sie Tonkunst ihr Lieblingsthum, und erregte
+in der That mit ihrem Gesang die Bewunderung der Kenner. Man sagte von ihr:
+sie eine die Fertigkeit einer Virtuosin mit dem Gefühl einer Dilettantin;
+und es war keine Schmeichelei. Sie wußte sich daneben mit einem edel
+einfachen Geschmack zu kleiden, und trat allenthalben mit Anmuth und feiner
+Darstellung auf.
+
+So mußte Wilhelminens Gesammtheit allerdings anziehend seyn, und in den
+Augen sinniger Männer blieben auch schönere, doch weniger gebildete Mädchen
+ihr weit nachgesetzt. Man feierte die Schwester auf eine ausgezeichnete
+Weise; namentlich glänzte sie, wo man sie veranlaßte, ihre Meinung über
+schönwissenschaftliche Gegenstände zu äußern, oder ihren Gesang tönen zu
+lassen.
+
+Ohne tadelhaft eitel zu seyn, fühlte aber Wilhelmine doch, daß man sie
+auszeichnete, und daß ihre geistigen und gemüthlichen Vorzüge ihr höhere
+Ansprüche gäben, als vielen Mädchen. Schon weil sie das Ideal eines sehr
+vollkommenen Mannes, einer höchst glücklichen Ehe, sich mit vielem Sinn und
+Geschmack zu entwerfen wußte, hoffte sie auch, einen Bräutigam zu finden,
+der geeignet wäre, ihre Wünsche -- dem größeren Theil nach mindestens -- zu
+erfüllen.
+
+Ich hatte ihr Vertrauen mehr, als Otto; daher theilte sie mir oft ihre
+Wünsche mit, und ich konnte das, ihr zartes Selbstgefühl Ehrende und
+Verständige darin, nicht abläugnen.
+
+Ihres Standes sollte der Bräutigam seyn, oder auch höheren; das Letzte
+würde, eben nicht aus stolzem Sinn, doch in dem Betracht, daß Wilhelmine
+durch ihre sich angeeigneten Vorzüge sich bereits erhoben hatte, ihr nicht
+unangemessen gedünckt haben. Reichthum gehörte nicht zu den Bedingungen,
+welche sie aufstellte; Ueberfluß, meinte sie, wäre unnöthig, doch
+unerläßlich nöthig auch, vor Nahrungssorgen und Mangel geschirmt zu seyn.
+Eine mittlere Wohlhabenheit -- auf ein darüber Hinausgehn würde sie
+auch nicht gezürnt haben -- stand hier also in Rede. Aber einen schönen
+jugendlichen Mann wünschte sie vorzüglich; wie hätte sie dem an ihr
+gerühmten feinen Geschmack sonst entsprechen können! Gleichwohl beschränkte
+sie noch ihre Forderungen mäßig. Ein Adonis, ein Antinous, sagte sie, thut
+g'rade nicht Noth, doch eine Gestalt, an der nichts Makelhaftes oder gar
+Lächerliches heraustritt, die eine wahrhaft männliche zu nennen ist. Nichts
+stelle ich mir kläglicher vor, als wenn ich an der Seite einer hagern,
+gebrechlichen, oder sonst verbildeten Mißgestalt einhergehn müßte; ich
+würde in Aller Augen Bespöttelung, und die Frage lesen: wie konnte sie aber
+mit einem solchen Mann zum Altar gehn? Geist und Fühlbarkeit, eine
+gewisse Romantik, Sinn für Poesie und Tonkunst durften in keinem Fall
+ausgeschlossen seyn: je höher die Gabe von dem Allen, je besser. Am meisten
+würde mein Fantasiebild jedoch erreicht seyn, fügte Wilhelmine hinzu, wenn
+der Bräutigam auch mit irgend einem Tonwerkzeug virtuosenhaft auftreten,
+mein Spiel am Pianoforte begleiten könnte, und wenn er daneben eine
+wohllautende Baß- oder Tenorstimme ausgebildet hätte. Eine Doppelsonate,
+ein Duett, müssen doch manche Stunden im langen Eheleben reitzend
+ausfüllen.
+
+Nun, pflegte sie zu enden, dies Alles heißt doch nicht übertrieben, nicht
+unbescheiden fordern. Es kann demungeachtet wohl seyn, daß ich es, nach
+vollem Wunsch, nicht beisammen finden werde. Mag indeß meinem Vorbild
+auch nur in den _Hauptzügen_ Wort gehalten seyn, der _Mehrzahl_ von meinen
+Bedingungen nach. Darunter -- lasse ich aber mich nicht ein, und werde mich
+hüten, leicht und voreilig meine Hand wegzugeben.
+
+Der Vater, sehr eingenommen für Wilhelminen, und selbst zum sanguinischen
+Hoffen geneigt, bestärkte sie in den hochfliegenden Ansprüchen; die Mutter
+hingegen schüttelte den Kopf, und sagte: einem Mädchen ohne Vermögen stände
+leider wenig Auswahl zu.
+
+Außer unsern schon genannten Obern lud mein Vater nun, in jener Absicht,
+häufig einen Baron von Lilienthal in sein Haus. Er hatte Wilhelminen an
+öffentlichen Versammlungsorten große Aufmerksamkeiten bewiesen; das weckte
+Aufmerksamkeit für ihn.
+
+Er stand als Offizier bei der Besatzung im Orte, und war in der That ein
+schöner, einnehmender Mann, von etwa fünf und zwanzig Jahren. Was man ein
+lustiges Betragen nennt, und an jungen Militärpersonen nicht eben selten
+findet, ließ sich ihm nicht vorwerfen. Er schien jetzt wenigstens darüber
+hinaus, mochte es auch früherhin ihm ein wenig eigen gewesen seyn. Er
+sprach mit Geist und richtigem Urtheil, äußerte ein feines Empfinden; seine
+Darstellung war höchst gefällig. Ueber seine Glücksumstände war man bei
+uns nicht unterrichtet, hegte aber glänzende Vermuthungen; denn Lilienthal
+zeigte sich stets in artiger Eleganz, hielt Reitpferde und Livreebedienten,
+und fehlte bei keinen Bällen oder anderen Lustfestlichkeiten, welche die
+sogenannte schöne Welt anordnete. In den Concerten, oder -- wenn reisende
+Mimen eintrafen -- im Theater, blieb er noch weniger aus, gab hier den
+Ton des Urtheils an, und mit sinnigem Geschmack. Er selbst blies die Flöte
+ziemlich, konnte Wilhelminen allenfalls eine Sonate begleiten.
+
+Es schmeichelte ihr nicht wenig, daß Lilienthal ihren Vorzügen, mit so
+vielem Sinn dafür, huldigte. Nicht allein, daß er nicht den mindesten
+Adelstolz in unserm Hause zeigte, auch an öffentlichen Orten achtete er
+auf keine Schönheit von Geburt mehr, so bald man Wilhelminen sah. Vieler
+Mädchen Antlitz umwölkte Neid; denn unter allen jungen Männern der hiesigen
+schönen Welt nahm Lilienthal, nach der gebildeten Schönheiten Anerkennung,
+eine der obersten Rangstufen ein.
+
+Es wurde auch in der Stadt mancherlei von ihm gesprochen, was die
+Theilnahme an ihm von Zeit zu Zeit erneute und erhöhte. Bald sagte man:
+er habe mächtige Gönner am Hofe, die ihm nächstens zu einer einträglichen
+Hauptmannsstelle helfen würden; bald: er habe einen reichen Oheim beerbt.
+
+Da wären nun die Hauptzüge von meiner Schwester Ideal so ziemlich vorhanden
+gewesen. Daß Lilienthal mehr für sie empfinde, als eine gewöhnliche
+Werthachtung ihrer ausgebildeten Talente, stellte sie in keinen Zweifel.
+Seine Blicke sprachen von heißer Liebe; auch manches hingeflogne Wort ließ
+diese ahnen. Zu einem unumwundenen Geständniß, einer netten Werbung um ihre
+Hand, kam es demungeachtet nicht, obschon Wilhelmine oft meinte, beides
+schwebe auf seinen Lippen. Als Jahr und Tag so entflohen waren, zweifelten
+die Eltern, ob es hier zum Ernst hingehn würde; die Tochter aber nicht.
+
+Ferner lud man einen jungen Referendarius fleißig ins Haus, der auch
+zu einem der Landesstühle gehörte, und sich mit uns auf der Hochschule
+befunden hatte. Es war ein Herr von Soldin, und von ihm bekannt, daß ihm
+sein Vater einst hunderttausend Thaler nachlassen würde. Seine übrigen
+Eigenschaften wichen indeß sehr in den Schatten zurück, wo Lilienthal sich
+zeigte. Soldin hatte eine zwar nicht verkrüppelte, aber doch unscheinbare
+Gestalt, und trug sie noch krumm und unbeholfen. Sein Gesicht drückte rohen
+Stumpfsinn aus, seine Gespräche verriethen überall Unwissenheit, seine
+Kleidung war vernachlässigt. Die Amtslaufbahn, worin er sich schleppend
+fortbewegte, hatte auch nur den Zweck, ihn seiner dörfischen Linkheit zu
+entwöhnen, und er empfand einst weder Lust zu den Studien, noch jetzt zur
+Dienstarbeit. Ist mein Vater todt, sagte er, nehme ich den Abschied, und
+ziehe auf meine Güter.
+
+Ueber diese Güter allein wußte er mit einiger Sachkenntniß zu sprechen, und
+zeigte auch hinsichtlich des Geldes und seines Werths richtige Begriffe.
+Sein Vater unterstützte ihn namhaft; doch übte der Referendarius eine so
+wirthliche Beschränkung, daß er mehr als die Hälfte davon sparte. Seine
+einzige Liebhaberei bestand in einem Pudel, den er mit in unser Haus
+bringen zu dürfen bat, auch dort mit großer Zuneigung streichelte und
+fütterte.
+
+Wilhelmine urtheilte: es sei ein geschmackloser, in hohem Grad ungebildeter
+Mensch -- häßlich wäre seine Gestalt aber doch nicht zu nennen. Ohne
+allen Verstand wäre Soldin auch nicht: er bewiese ihn ein seiner klugen
+Sparsamkeit; auch ein freundliches Gemüth lege er bei dem Pudel an den Tag.
+Es würde nur eine Schleifung des rohen Diamants bedingen.
+
+Die hunderttausend Thaler milderten wohl ihr Gutachten über ihn so.
+
+Zwei Umstände machten sie aber noch gespannt. Soldin kam oft, auch
+uneingeladen, zum Besuch; ihn mußte in unserm Hause folglich etwas anziehn.
+Auch sagte er einmal denkwürdig: bei seiner Heirath wolle er nicht auf
+Adel, nicht auf Reichthum sehn, vielmehr ganz nach Liebe wählen. Sein
+Vater ließe ihm darin Freiheit, und könne auch nicht füglich mit Einreden
+auftreten, weil auch er ein bürgerliches und ganz unbemitteltes Mädchen
+geehlicht habe.
+
+Wilhelmine fand nicht rathsam, die löblichen Grundsätze zu tadeln, wohl
+aber, so viel es thunlich sei, die anziehende Kraft zu erhöhen, die uns des
+jungen Mannes so wiederholten Zuspruch verschaffte. Namentlich wenn sie mit
+ihm allein sich befand -- was die Eltern so eifrig eben nicht hinderten --
+nahm sie an dem Pianoforte eine idealische Haltung an, und sang nicht wenig
+schmelzend. Doch seltsam! was Alle hinriß, brachte sein Gefühl nicht aus
+der Stelle. Soldin gähnte oft, schlief sogar etliche Mal ein; und wenn ihm
+meine Schwester das freundlich verwies, gestand er freimüthig: daß ihm ein
+Marsch, oder ein lustiges Stückchen, zum Beispiel, Freut Euch des Lebens,
+mehr gefallen würde. Sie meinte dann, über den Geschmack sei nicht zu
+streiten, und gab ihm das Verlangte zum Beßten. Doch wie sie auch Hände und
+Mund für ihn gefällig bewegte, ließ er Wilhelminen immer noch nicht hören,
+was sie gern vernommen hätte, zumal als es auch ihr zu scheinen begann:
+Herr von Lilienthal liebe sie zwar ungemein, habe gleichwohl keine
+Absichten auf ihre Hand.
+
+Es war, als ob eine Art Furcht ihm die Zunge bei Wilhelminen lähmte.
+Nicht einmal ein fortlaufendes Gespräch konnte er mit ihr führen. Nicht
+allenthalben ließ er eine ähnliche Zurückhaltung sehn. Mein Vater liebte
+Scherz; oft ging Soldin darauf ein, wenn schon auf eine ziemlich derbe
+Weise. Ueber Haushaltung richtete er oft ein Gespräch an die Mutter.
+Auch hatten meine Eltern eine junge arme Verwandte ins Haus genommen, die
+Charlotte hieß. Keinen Unterricht in Gegenständen, welche man zur feinen
+Bildung zählt, hatte sie bekommen; nur schlicht bürgerlich war sie in einer
+kleinen Landstadt erzogen. Sie führte meistens unsre häusliche Wirthschaft,
+kam selten ins Besuchzimmer, und, wenn es geschah, blieb sie entweder
+gänzlich unbeachtet, oder man blickte auch wohl befremdet und spöttisch auf
+sie hin; denn sie stand allerdings in einem auffallenden Gegensatz zu der
+so geistvollen, zarten, niedlichen, abgeglätteten Wilhelmine. Sie konnte
+nur von den alltäglichsten Hausdingen reden. Ihre Gestalt war lang,
+rund, derb; und wer noch das Beiwort plump beifügte, konnte es allenfalls
+verantworten. Nicht einen Zug in dem Gesicht hätte interessant nennen
+mögen, wer sich auf das Interessante verstand; unbedeutend, fade, selbst
+gemein, würden Kunstrichter des Schönen es bezeichnet haben. Gleichwohl
+konnte Soldin bisweilen sich eine gute halbe Stunde zu Charlotten in
+einen Winkel setzen, und mit ihr ein Gespräch über Nichtiges unterhalten.
+Wilhelmine, nach ihrer Gutmüthigkeit, legte ihm auch diesen Verstoß gegen
+ihren, doch so viel höheren, Werth zum beßten aus. Sie äußerte sich:
+auch dies sei ein Beleg guten Herzens an Soldin. Er fühle bei den
+Zurücksetzungen, die Charlotten widerführen, Mitleid, und wolle ihr zeigen,
+daß er keines Stolzes gegen übersehene Personen fähig sei.
+
+Indem sie aber zugleich urtheilte: die Gespräche von gewöhnlichem Stoff
+hätten für Soldin eine behagliche Seite, weil er die Seelenkräfte dabei
+nicht so zu spannen brauche, als wenn sie den Regionen der Wissenschaften
+und Künste entgegen eilte, und ihm dahin zu folgen ansann, -- wollte sie
+es ihm auch bequem machen, und fragte ihn bald um die Hühner, bald um die
+Gänse auf den väterlichen Gütern. Sie empfing zwar befriedigende Antworten;
+allein es schien demungeachtet, er könne das rechte Vertrauen zu ihr noch
+nicht gewinnen. Sie meinte nun, Alles würde mit der Zeit sich finden;
+auch hernach die allmählige Umbildung des jungen Mannes, welche ihn ihrem
+Vorbilde näher brächte.
+
+Außer diesen beiden, stellten noch zwei andere junge Leute sich häufig ein.
+Die Eltern bauten eben keine Entwürfe auf sie; es stand mit der Zeit, wo
+sie an eine Heirath würden gehn können, zu weit aussehend. Allein sie waren
+angenehm unterhaltende Gesellschafter, und hatten mit Otto und mir die
+Schule besucht. Allenfalls konnten Jene auch denken: gesetzt es fände sich
+für Wilhelminen nicht bald etwas Annehmlicheres und Einem oder dem Anderen
+glückten feine Absichten, so möchte er als Eidam nicht verwerflich seyn.
+
+Eduard war ein junger Kaufmann, stand jedoch erst im Begriff, sich
+anzusiedeln. Einige tausend Thaler hatte er zum Anfang; indem er gleichwohl
+einsah, es würde sich damit nichts von Bedeutung unternehmen lassen,
+wollte er zuvor nach Hamburg, Amsterdam, Bordeaux, Lion, Triest und
+anderen berühmten Handelsstädten reisen. Dies sollte ihn eignen, sich die
+vortheilhafteren Geschäfte auszuwählen, bedeutende Verbindungen anzuknüpfen
+und gleich im Großen seinen Kredit zu gründen; so ließe auch zur Stelle im
+Großen sich spekuliren und gewinnen. Eine Fabrikenanlage von Belang gehörte
+auch zu Eduards hochfliegenden Planen. Die Landesregierung, meinte er,
+würde ihm gewiß mit den dazu nöthigen Summen beistehn, wenn er ihr deutlich
+bewiesen hätte: seine Fabrik würde nicht allein Hunderttausende, welche ins
+Ausland flössen, zurückhalten, sondern noch Hunderttausende aus der Fremde
+hereinziehn, auch Tausende von Armen nützlich beschäftigen, und was dessen
+mehr war. Er behauptete: kluge Spekulationen, wie Unternehmungen von weitem
+Umfange, müßten den Kaufmann nach weniger Zeit reich machen; dies habe eine
+so einleuchtende Evidenz, wie das Einmaleins. Träfe es bei Vielen
+nicht ein, so läge es an ihrem Mangel an kühner Regsamkeit; der echte
+Handelsgeist beseele die Alltagsköpfe nicht. Er wußte auch von gar manchen
+Grossirern, Wechslern, Rhedern zu erzählen, die mit nichts angefangen, und
+doch Millionen vor sich gebracht hätten; und er fügte naiv hinzu: In so
+fern die Wege doch bekannt sind, auf denen es ihnen gelang, sehe ich nicht
+ein, warum ich sie nicht auch betreten sollte.
+
+Eduard war übrigens eine ganz hübsche Mannsperson, kleidete sich gut,
+sprach wie Leute von Ton, und ließ sich gern finden, wo Leute von Ton
+zusammenkamen. Er machte Wilhelminen so ehrerbietig als schmeichelhaft
+seine Aufwartung, zeigte, daß es ihm so wenig, als Herrn von Lilienthal, an
+Urtheil und Herz für hohe weibliche Vollkommenheit fehle. Ich zweifle auch
+gar nicht, daß ihm die Schwester ihre Hand würde gereicht haben, wenn
+er von seiner ersten Million vor der Hand nur den zwanzigsten Theil
+aufgewiesen hätte. Er trug einige Mal auf ein vorläufiges Versprechen an,
+und bewies dadurch wenigstens: er hege doch eine ernste Meinung. Wilhelmine
+beschied ihn nicht abschlägig, war aber doch zu klug, sich voreilig zu
+binden. Sie verwies ihn auf den Spruch des weisen Salomo: Jedes Ding hat
+seine Zeit.
+
+Die Eltern hatten es auch so gewollt. Man hörte, des jungen Mannes ererbtes
+Vermögen bestehe in drei- bis viertausend Thalern. Seit Vollendung seiner
+Lehrjahre beschäftigten ihn aber nur die Entwürfe künftiger Plane, und er
+lebte einstweilen, als ob schon gelungen sei, was erst späterhin gelingen
+sollte, hatte auch deshalb mit seinem Vormund, der auf eine baldige
+Ansiedlung in Kleinem drang, manchen Streit. Weil Eduard indeß bald darauf
+nach Hamburg reis'te, und von dort schrieb: er sei schon auf dem beßten
+Wege, seinen, gar nicht zu großen merkantilischen Ideen aufgelegten,
+Vormund zu beschämen, konnte man dem echten Handelsgeist doch auch nicht
+alles Glück absprechen wollen.
+
+Jetzt komme ich auf den genievollsten unter den vermeinten, und wirklichen,
+Aspiranten zu Wilhelminens Torus. Es war ein Ex-Kandidat der Theologie,
+sein Vorname August. Theils aus philosophischem Sinn, noch mehr aber, weil
+er ausschließlich der Tonkunst leben wollte, hatte er die Gottesgelahrtheit
+aufgegeben. Für Tonkunst, in Tonkunst lebte, webte und strebte sein Genius;
+und so verstand es sich von selbst, daß er mit Wilhelminen in eine innigere
+Wahlverwandtschaft treten konnte, als die Uebrigen. Er spielte Klavier
+und Geige, sang auch einen recht artigen Bariton. Da kam es folglich zu
+Doppelsonaten und Duetten, welche Andere mit Vergnügen hörten, wobei
+die Vollziehenden aber das süßere und erhebendere Vergnügen empfanden.
+Wilhelminens Notensammlung enthielt auch manches Lied, von Jenem in Töne
+gesetzt, und sie redete manches von einem darin wehenden Geist, von den
+neuen, eigenthümlichen Gedanken, welche diese Lieder enthielten.
+
+August wollte bei dem Allen höher hinaus. Es schien auch Noth zu thun,
+nachdem er auf ein Predigtamt Verzicht geleistet hatte; wozu aber auch
+-- der Sage nach -- das Consistorium seinen Genius wenig tüchtig erachtet
+haben sollte. Es schien, er habe über die Tonleiter die Himmelsleiter
+vergessen, oder gemeint: die Tonleiter führe auch zu Himmelsgefilden. Er
+sagte indeß vom hinderlichen Consistorium nichts.
+
+Dem sei wie ihm wolle, -- Vermögen, das geniale ausgenommen, besaß er
+keineswegs, und mußte kümmerlich von musikalischem Unterricht leben.
+Dagegen beschäftigte ihn seit einiger Zeit die Composition einer großen
+Oper, und er zweifelte im mindesten nicht, es würde auch dem Kunstwerth
+nach etwas Großes damit seyn. Denn nie hatte er solche Weihe im Genius
+empfunden, als bei dieser Arbeit. Es ist auch wahr, daß er sich höheren
+Aufflug gar sinnig zu bereiten verstand. Draußen in einem Garten der
+Vorstadt, und zwar in einem Lusthause desselben, das auf einer Höhe lag,
+und eine anmuthige Aussicht in die Umgegend öffnete, hatte er seine Wohnung
+aufgeschlagen. Maienblüthe, Jasminduft, Aurora, Sommerabendroth,
+helles Wintermondlicht übten begeisternde Einflüsse, und die heftig
+leidenschaftlichen Stellen fertigte August, während Aequinoctialstürme
+tobten. Nach Vollendung wollte er das geniale Singspiel den vorzüglichsten
+Bühnen in Deutschland verkaufen, und rechnete -- auf dem Papier -- die
+nöthige Summe zu einer Kunstwallfahrt ins gelobte Italien heraus. In
+Venedig, Mailand, Florenz, Rom, Neapel, Palermo dachte er Opern in Mozarts
+Styl zu schreiben, dann wie ein neuer Gluck in Paris, später in London
+wie ein Händel =redivivus= aufzutreten, und endlich, nach vorangegangener
+ansehnlichen Bereicherung, bei irgend einem deutschen Fürsten als
+Kapellmeister zu glänzen.
+
+Der Plan schien so übel nicht, und der Meinung nach, welche die Schwester
+von dem kunstsinnigen Jüngling hegte, mußte dessen Ausführung schier
+nothwendig gelingen. Sie bezog sich dabei auf Schillers:
+
+ Mit dem Genius steht die Matur im vertraulichsten Bunde;
+ Was der eine verspricht, leistet die andre gewiß.
+
+Mochten einige Kunstverständige auch sagen: es habe so gar viel mit dem
+Talent des jungen Mannes nicht auf sich; er sehe es mit überschätzendem,
+träumerischem Dünkel an, -- Wilhelmine sprach dagegen: das sei die Stimme
+des Neides. Am liebsten würde sie den ihr so kunstverwandten August
+geheirathet, für die -- ihm noch winkenden -- Honorare Soldins Reichthum
+vergessen haben, und lieber auch Frau Kapellmeisterin als Frau von
+Lilienthal gewesen seyn; weil in jenem Falle auch ihres Mannes berühmter
+Name in allen europäischen Notenhandlungen glänzen würde. August war nicht
+schön -- Alles ist nun einmal nie beisammen -- und Wilhelmine sagte: Eduard
+gefalle ihr, der Außenseite nach, ungemein, auch noch mehr als Lilienthal;
+dennoch galt ihr August, der genievollen Herrlichkeit wegen, den höheren
+Preis. Sie war auch nicht abgeneigt, die ganze Reihe von Jahren zu warten,
+in denen Italien, Frankreich und England des Geliebten Ruhm krönen sollten,
+um endlich diesen Ruhm mit ihm zu theilen.
+
+Aber -- und das ehrt Wilhelminens Verstand -- sie war von Liebe auch nicht
+so geblendet, daß sie, wenn eine andere anständige Heirath sich dargeboten
+hätte, sie würde abgelehnt haben. Wilhelmine kannte den Vorzug gewisser
+vor ungewissen Dingen. Doch -- dies stand ganz fest -- ihr Ideal sollte
+meistens erreicht seyn; sonst wollte sie ihre Hand gar nicht vergeben, und
+müßte sie auch lebelang unvermählt bleiben.
+
+Nach diesem flüchtigen Abbild meiner Schwester wird man gestehn, daß sie,
+für ihren hellen Geist und ihr schön fühlbares Herz, auch ihr löbliches
+Streben sich zu bilden, ein gutes Glück verdient hätte.
+
+Ich erwähne noch eines Advokaten, Namens Sauer, den man seltner, aber doch
+von Zeit zu Zeit, in unserm Familienkreise sah. Mein Vater hatte allerlei
+Geschäfte mit ihm, weshalb er denn aus Höflichkeit bisweilen eingeladen
+wurde.
+
+Seinen Namen führte er mit der That: er war ein recht sauertöpfiger Gesell,
+bei einer unvortheilhaften körperlichen Bildung. Sein Gesicht hatten die
+Blattern entstellt, daneben war es schwammicht und fahl. Verstand ließ sich
+ihm nicht absprechen, doch zeugte sein Urtheil von einem lieblosen Gemüth;
+die satirische Laune, in welche er zuweilen ausbrach, hatte einen finstern
+und hämischen Styl. Fühlloser gegen das Schöne konnte Niemand seyn. Lief
+das Gespräch um reitzende Mädchen, so blieb er nicht allein eiskalt,
+sondern wußte auch viel an den Gestalten zu tadeln, bis er sie völlig
+herabgewürdigt hatte. Ueber Poesie spottete er wie über eine Narrheit,
+Musik war ihm unleidlich. Deshalb, und wegen seiner ganzen Sinnesart, war
+er auch meiner Schwester unleidlich; sie konnte ihr Mißvergnügen nicht
+hehlen, wenn Sauer ins Zimmer trat, und wich den Unterhaltungen mit ihm
+gerne aus.
+
+Einst kam Wilhelminen jedoch zu Ohren: der Advokat hätte an einem dritten
+Orte gesagt: er ginge mit dem Vorhaben um, sie zu heirathen. Liebe, meinten
+die Hinterbringer, schiene dabei eben nicht sein Antrieb, vielmehr wohl der
+Umstand, daß man Wilhelminen, ihrer Talente wegen, so erhöbe; nun möchte
+er stolz mit einer beneideten Frau prunken. Bald, hatte er indeß noch
+erinnert, solle die Anwerbung nicht geschehn; in einigen Jahren erst, wenn
+seine Berufsgeschäfte mehr empor gekommen wären. Denn es gehörte noch zu
+dem Abstoßenden an diesem Ehrenmann, daß er wenig zu thun, und deshalb üble
+Vermögensumstände, neben manchen Schulden, hatte.
+
+Wilhelmine entsetzte sich zum Theil, als sie das hören mußte, zum Theil
+lachte sie hell auf. Ich würde vor ihm schaudern, sagte sie, und wenn er
+eine Tonne Goldes besäße; ja, ich würde ihn, möchte er daneben auch jung
+und schön seyn, seines verächtlichen Gemüths wegen, doch fliehn. Ha ha ha!
+so ein Mann wäre für mich! Also nach etlichen Jahren will er obenein erst
+kommen, und zählt jetzt schon mehr als dreißig. Zu meinen Bedingungen
+gehört auch ein Abstand von höchstens sechs Jahren, zwischen Mann und Frau.
+Und hier sollte ich -- -- Hu hu! Mögen ihm die Freunde sagen: er solle sich
+den Verdruß eines, nicht einmal zierlich geflochtenen, Korbes sparen. Indeß
+-- wird es auch nicht einmal dahinkommen. Der saubre Freier will ja noch
+etliche Jahre verziehn.
+
+Allerdings meinte Wilhelmine, sie würde, nach diesem Zeitraum, schon lange
+angemessen vermählt seyn. Ich theilte diese Hoffnung; auf Soldin oder
+Eduard rechnete ich am meisten, obwohl ich auch dachte: meiner Schwester
+nicht alltägliche Vorzüge könnten noch andere zuständige Bewerber finden.
+
+Meine Eltern hatten jedoch Wilhelminens Verheirathung nicht allein im Auge;
+ihre Söhne kamen daneben mit in Betracht. Keiner von jenen Vorgesetzten,
+die uns zu guten Aemtern helfen konnten, hatte eine mannbare Tochter; sonst
+dürften Jene vermuthlich hierauf einen Entwurf gebaut haben. Doch lebte
+ein gewisser Commerzienrath Hill in unserm Wohnorte, den mein Vater, schon
+seines aufgeweckten Humors wegen, gern sah. Hill sollte aber auch Reichthum
+besitzen, und der Aufwand in seinem Hause stritt gegen die allgemeine
+Sage nicht. Er hatte zwei Töchter, Emma und Minna, eben in der holdesten
+Blüthenzeit begriffen, und weiterhin noch so angethan, daß sie vor allen
+übrigen Mädchen in der Stadt glänzten. Beide waren ausgezeichnet schön: sie
+übertrafen Wilhelminen ohne Zweifel in diesem Betracht; und konnte dasselbe
+nicht von den ausgebildeten Talenten meiner Schwester gelten, so hatten
+Jene doch Manches, was, bei der Menge wenigstens, noch mehr in die Augen
+fiel. Dahin gehörte ein Studium des feineren Welttons, das sich kaum höher
+getrieben denken ließ. Sie wußten über Vieles zu sprechen, und geschah es
+nicht immer mit Gründlichkeit, so erwarben ihnen die einnehmende Weise, die
+lebhaften und treffenden Bemerkungen, der eingemengte und unbefangene Witz,
+Verehrer genug. Die Huldinnengestalten erschienen nicht bloß in den neusten
+Moden, sie wählten auch davon mit bewundertem geschmackvollem Sinn, und an
+_reicher_ Kleidung überschimmerten sie alle Nebenbuhlerinnen, wie man auch
+in gefälligem, bildlichen Tanz ihnen das Meisterinnenthum zuerkannte. Die
+jungen artigen Männer umflatterten sie emsig; von Bräutigamen verlautete
+dagegen noch nichts.
+
+Die Eltern meinten: wir Brüder würden nicht übel thun, wenn wir es auf
+Eroberung dieser Schönheiten anlegten. Reichen Mitgaben ließe sich bei
+ihnen entgegen sehn, und ein Mann, der eine schöne Frau habe, komme dadurch
+oft um so besser fort, weil er um so geachteter sei.
+
+Das ließ sich hören, und ich fühlte mich zudem aufgelegt, den elterlichen
+Rath zu befolgen, weil Emma, die Schönere mir dünkend, bereits lange
+einigen Eindruck auf mein Gefühl machte. Otto ging schwerer daran, hatte
+auch einen gewissen steifen Ernst, und eine nach dem Amtsberuf klingende
+Sprachweise, die ihm den Eingang zur Frauengunst wenig öffneten. Dennoch
+versuchte er einige Aufwartung bei Minna. Sie that aber schneidend fremd,
+und als sie erst seine wahre Absicht zu durchblicken schien, dergestalt
+hochfahrend, daß Otto wohl ahnen konnte, sie wolle ihm alle Bemühung um
+sie verleiden. Er stand nun auch gleich um so mehr davon ab, als er noch
+daneben ausgekundet haben wollte: es stehe mit Hills Vermögensumständen
+nicht so, wie die Eltern glaubten; Unterrichtete sprächen vielmehr
+zweideutig davon. Ich meinte dagegen: Otto rede dem Fuchs ähnlich, bei den
+Trauben, die er nicht erreichen konnte, und setzte meine schon begonnenen
+Annäherungen bei Emma fort. Zuerst wär' es mir beinahe so schlimm gegangen,
+wie dem Bruder. Emma trug das griechische Näschen ziemlich hoch, und that
+schnippisch, wenn ich sie eine bedeutendere Zuneigung wahrnehmen ließ, als
+die allgemeinen Huldigungen, welche sie erhielt. Der Widerstand entwaffnete
+meine Liebe jedoch nicht, erhöhte sie vielmehr, und ich strebte bei allen
+Gelegenheiten, ihr es darzuthun. Nach und nach schien es demungeachtet, als
+ob ich ihr nicht ganz mißfiele, sie aber noch manches Bedenken trüge.
+Oft ruhten die schönen tiefblauen Augen mit Theilnahme auf mir, ja, sie
+blinkten und strahlten dergestalt Gefühl, daß ich die Hieroglyphen der
+Gegenliebe entzifferte. Bei dem Allen suchte Emma näheren Erklärungen
+sich zu entziehen. Um desto heller flammte es in meiner Brust: meine Liebe
+erreichte einen hohen Grad heftiger Leidenschaft; Emma war es, nicht ihre
+Glücksgüter, um die es in meinem Herzen rief, und ich dachte: wenn ich nur
+genügendes Vermögen, oder ein Amt mit hinreichendem Einkommen besäße, so
+würde ich Emma, wäre sie auch eine Bettlerin, mit Entzücken heirathen.
+
+Einmal fügte es sich gleichwohl, daß ich meiner Geliebten dies Alles sagen
+konnte. Sie zuckte die Achseln. Mein Vater ist eigen, sagte sie, und Bitten
+ändern seine Grundsätze nicht. Wären Sie Geheimer Rath, so würde er Ja, und
+ich -- nicht Nein sagen.
+
+Geheimer Rath war ich aber nicht, und die Aussicht nach diesem Ziel
+durchlief eine weite Bahn.
+
+Ich hehlte meinem Vater nichts. Er sagte: Wenn Hill seiner Tochter
+zwanzigtausend Thaler Mitgift auszahlt, so könnt ihr einander bald
+heirathen, und die Beförderung zum Geheimen Rath abwarten. Er gab dem
+Commerzienrath dies zu verstehn; der schnitt jedoch den Faden kurz ab, und
+besuchte, von der Zeit an, unser Haus mit seinen Töchter nicht mehr. Ich
+hätte verzweifeln mögen.
+
+Noch manche Verdrießlichkeiten gesellten sich zum Schmerz meiner Liebe.
+Ich hatte den Präsidenten an meinem Landesstuhl in aufwallender Hitze
+beleidigt, weil er einen jüngeren Referendarius mir voranstellte. Um so
+weniger durfte ich nun Beförderung hoffen. Da Otto, um eben dieselbe Zeit,
+auf eine höhere Stufe in seinem Collegium erhoben ward, so demüthigte mich
+die Zurücksetzung noch mehr.
+
+Es lebte jedoch ein Oheim in Rußland, der ein wichtiges Amt bekleidete. Er
+hatte meinem Vater geschrieben: Schicke mir einen von deinen Söhnen; hat er
+Kenntnisse, so werde ich leicht sein Glück machen. Otto hatte keine Lust,
+in die Ferne zu gehn; ich hingegen überlegte nun, daß manche Deutsche
+in Rußland zu einem schnellen Fortkommen gelangt wären, und daß, bei dem
+mächtigen Einfluß des Oheims, mir eine um so größere Hoffnung winke. Den
+Ort zu verlassen, wo mir so vieles theuer war, kostete meinem Herzen viel;
+doch weil es am Ersten auch seine glühenden Wünsche zu stillen vermochte,
+ermannte ich mich.
+
+Zuvor schrieb ich an Emma, und befragte sie: ob ich hoffen könne, daß sie
+nach Rußland mir zu folgen geneigt seyn würde, sobald ich dort ein Amt von
+Bedeutung erlangt hätte. Sie antwortete zur Hälfte zärtlich, zur Hälfte mit
+kluger Vorsicht. Ihre Gegenliebe wurde so heiß geschildert, daß sie dadurch
+sich bewogen fühlen müsse, jedem Verlangen, das ich an sie richten würde,
+zu genügen; in so weit ihr Vater damit einverstanden sei. Wenn gleichwohl,
+ehe ich meinen Wunsch aussprechen könnte, dieser Vater anderweitig über
+ihre Hand zu gebieten veranlaßt werden sollte, dürfte sie -- freilich nicht
+ungehorsam seyn.
+
+Ich mußte mich hiermit begnügen, und eilte nach Rußland.
+
+Was mir dort begegnet ist, mag nur flüchtig berührt werden. Ich gelangte
+durch meinen Oheim in eine Laufbahn, auf der ich vermuthlich eine höhere
+Ehrenstelle würde erreicht haben, wenn sich nicht gewisse Umstände ereignet
+hätten. Auch schien es mir hier zu weit aussehend mit einer namhaften
+Beförderung; ich hoffte schneller emporzusteigen, wenn ich mich in eine
+geheime Verbindung einließe, deren eigentliches Ziel mir Anfangs nicht
+bekannt war. Allerdings war es jugendliche Unbesonnenheit, die mich in
+bedenkliche Umtriebe verwickelte. Es kam an den Tag; ich wurde abgesetzt,
+und nach Sibirien geschickt.
+
+Hier theilte ich das Loos aller Verwiesenen, hatte Zeit genug, über meine
+begangene Thorheit nachzudenken, und schleppte, zwischen Reue und Hoffnung,
+ein elendes Leben hin.
+
+Erst nach beinahe zwanzig Jahren schlug die Befreiungsstunde; ich hatte
+damals auf weiteres Hoffen bereits Verzicht gethan.
+
+Ich kam zurück nach St. Petersburg; mein Oheim war gestorben, hatte
+mich aber, auf den Fall, daß meine Verbannung enden sollte, zum Erben
+eingesetzt. Ein Vermögen von etwa dreißig tausend Rubeln wurde mir
+ausgehändigt.
+
+Mit diesem Eigenthum beschloß ich wieder in meine Heimath zu gehn. Zwanzig
+Jahre lang hatte ich nicht die mindeste Nachricht von dort erhalten, um so
+stärker sehnte sich mein Herz nach Wiedersehn.
+
+Auch die Stimme der Liebe war noch nicht darin verhallt. Auf jenen einsamen
+Schneegefilden hatte Emma nur zu oft meine Gedanken beschäftigt, und ihr
+Bild um so lebendiger vor meiner Fantasie gestanden, als mich dort kein
+Umgang mit anderen Frauenzimmern zerstreuen, oder in mir eine andere
+Neigung erwachen lassen konnte.
+
+Freilich dachte ich aber auch oft: Sie wird längst verheirathet seyn. Es
+ist nicht glaublich, daß so viel Liebenswürdigkeit ungesucht verblüht wäre.
+
+Auf dem Heimwege mußte ich zunehmend darauf gespannt seyn, in welchem
+Verhältniß ich Emma antreffen würde. Bisweilen dachte ich: Ganz unmöglich
+wäre es bei dem Allen nicht, sie noch ledigen Standes zu finden. Sie könnte
+mehr gezaudert haben, als ihr Brief es zusagte, und, selbst wenn sie von
+meinem Unglück Nachrichten bekommen hätte, einer nahen Befreiung davon
+entgegen gesehn haben. Denn schrieb mein Oheim seinem Bruder von den
+Ursachen meines Unglücks, so schilderte er mich gewiß auch weniger stafbar,
+als leichtsinnig, und vertröstete auf eine glückliche Wendung meiner
+Angelegenheit; die er selbst immer gehofft, und eifrig nachgesucht hatte,
+wie ich nach meiner Rückkunft aus Sibirien erfuhr. Noch ein Umstand machte
+es nicht ganz unwahrscheinlich, daß Emma unvermählt geblieben seyn könne,
+denn noch vor meiner Abreise aus der Vaterstadt gewann Otto's Behauptung,
+daß es um Hills Vermögen nicht am beßten stehe, Glaubwürdigkeit. So dachte
+ich denn jetzt: Selbst schöne Mädchen, wenn sie unbemittelt sind, bleiben
+zuweilen ohne Freier, und es könnte also hier auch so ergangen seyn.
+
+Vielleicht hatte sich Emma aber auch vermählt, und ich fand sie jetzt als
+Wittwe. In jenem und in diesem Falle wollte ich sie besitzen. Ich träumte
+mir noch die Reste ihrer ehemaligen Schönheit entzückend, und empfand, nur
+etwas über vierzig Jahre hinaus, in meiner Brust um so mehr liebende Gluth,
+als ich sie im nördlichen Asien nicht abgekühlt hatte.
+
+Daneben beschäftigte mich aber oft auch die Frage: Was mag aus den übrigen
+Lieben in dem langen Zeitraum geworden seyn? Von den Eltern ließ es sich
+kaum hoffen, daß sie noch lebten, wie heiß ich es auch wünschte; beide
+standen nahe an den Funfzigen, als ich von ihnen schied. Unmöglich war es
+demungeachtet nicht. Nächst ihnen lag mir die Schwester am Herzen. Vier
+junge Männer schienen Wilhelminen zu lieben, als ich mich entfernte. Kurz
+zuvor hatte es noch das Ansehn, als ob Lilienthal wirklich Ernst machen
+wollte. Man sprach neuerdings von einem Erbe, das ihm zugefallen sei, und
+einer ihm bevorstehenden Rangerhöhung. Ich konnte meinen: er habe räthlich
+gefunden, erst diese Umstände abzuwarten. Wo nicht, so hatte vielleicht
+Soldin bald nachher Entschlossenheit gewonnen, ihr sein Verlangen
+darzuthun. Oder fände ich etwa in Eduard oder August meinen Schwager?
+
+Die Letzten sowohl, als jene Beiden, waren übrigens meine vorzüglichsten
+Jugendfreunde; verwandt mit ihnen oder nicht, regten die Schicksale, welche
+sie erfahren haben konnten, meine warme Theilnahme an. Ich wünschte Jeden
+beim Wiedersehn glücklich zu finden, und es mangelte nicht an Gründen,
+es zu hoffen. Lilienthal, der junge Officier voll Geist und Kraft, dessen
+einnehmende Außenseite ihm allenthalben Freunde gewann, und der bei meiner
+Abreise glänzende Aussichten hatte, war vielleicht nun Oberst, vielleicht
+General; wenn er anders in den Kriegen, welche sich unterdessen
+ereignet hatten, nicht geblieben war. Soldin lebte vermuthlich als ein
+wohlbegüterter Landedelmann ruhig, und in wirthlich genossenem Ueberfluß.
+Eduard konnte leicht mit seinem klugen Unternehmungsgeist viel erworben
+haben; wenn auch nicht alle Erwartungen seiner jugendlichen Fantasie
+eingetroffen waren. Ich glaubte mit Ueberzeugung, daß ich ihn wenigstens
+als einen angesehenen, wohlbemittelten Kaufmann begrüßen würde. August
+hatte einst Genialität dargethan; ich bezweifelte sie weniger, als einige
+Andere, bei denen, wie ich meinte, wohl Neid im Spiele seyn konnte. Und
+mochte einst, dachte ich nun, der junge Mann einen zu hohen Glauben an
+sich nähren; das spornt den Strebeflug, ohne den nichts gelingen kann. Ich
+zweifle, daß seine Plane nach ihrem ganzen Umfang gelungen seyn werden; mag
+es aber auch nur ein bescheidner Kreis seyn, in welchem August mit Erfolg
+sich bewegt: dann finde ich immer einen berühmten Componisten an ihm, den
+mindestens auch einige Wohlhabenheit oder ein anständiges Auskommen in
+einem, seinen Neigungen entsprechenden, Beruf erfreut. Ich dachte noch:
+Wenn ich schon ein mittelmäßiges Vermögen besitze, werde ich vermuthlich
+doch gegen die alten Freunde zurückstehn; August hat wenigstens einen
+berühmten Namen in seinem Kunstgebiet, und ich habe den meinigen eben nicht
+bekannt gemacht. Ich gestehe, daß ich an Otto weniger hing, als an jenen
+Freunden, und deshalb sein Schicksal nicht so zum Gegenstand meiner Wünsche
+und Hoffnungen erhob. Zwar verwies ich mir das aus Pflichtgefühl, als
+unbrüderlich; allein es war nun einmal so. Unsere verschiedene Gemüthsweise
+hatte schon in den Knabenjahren ein enges Vertrauen gehindert; und vor
+meiner Abreise entzweite ich mich noch heftig mit ihm. Denn er gab mir auf
+eine hochtrabende Weise Lehren, tadelte mein Benehmen im Collegium, und
+verwies mit Stolz mich auf sein Beispiel und das schon erreichte höhere
+Amt. Uebles konnte ich indeß meinem Bruder deshalb unmöglich wünschen,
+und hielt übrigens dafür, Otto würde vermuthlich einigermaaßen seinen Weg
+gemacht, aber es doch nicht zu etwas Ausgezeichnetem gebracht haben. Seine
+trockne Engherzigkeit schien für diese Meinung zu sprechen.
+
+Auch unsere Verwandte, Charlotte, überging ich damal nicht, bei diesen,
+mir so viele Theilnahme erregenden, Betrachtungen. Es war ein unbedeutendes
+Ding, ohne Verstand und Schönheit, nur im Hauswesen tüchtig. Sicher glaubte
+ich, die Arme würde ohne Mann geblieben, und, wenn meine Eltern nicht
+mehr lebten, oder Wilhelmine sich ihrer nicht angenommen hätte, gezwungen
+gewesen seyn, irgendwo ein Unterkommen als Ausgeberin zu suchen. Denn ich
+urtheilte: ein Mann von Geschmack, selbst nur mit Charlotten in gleichem
+Standesverhältniß, hätte wohl eine Person nicht begehren können, die einer
+gewöhnlichen Magd -- die schönen darunter ausgenommen -- ähnlich sah. Und
+einem kleinen Bürgersmann, der platt genug empfunden, auf Schönheit gar
+nicht zu sehn, wohl aber eine rege Hauswirthin gesucht hätte, dürfte
+schwerlich auch das Wagstück eingefallen seyn, sich um die Verwandte
+eines Rathsherrn zu bemühen; und mein Vater _dann_ auch seine Einwilligung
+versagt haben. Ich beschloß aber, wenn es sich dergestalt verhielte,
+Charlottens Lage nach meinen Kräften zu verbessern.
+
+Endlich sah ich mit klopfender Brust die Thürme meiner Vaterstadt. Sie
+waren unverändert geblieben, bis auf den an der Hauptkirche. Seines
+baufälligen Zustandes wegen hatte man ihn bis zur Hälfte abgetragen,
+und mit einem kleinen stumpfen Dache versehn. Er prangte einst mit einer
+stattlichen Kuppel und Spitze; die Physiognomie der Stadt gewann durch ihn
+etwas heiter Aufstrebendes. Als Knabe hatte ich ihn mit einem erhebenden
+Wohlgefallen angesehn, und ihn oft bis zur sogenannten Haube erstiegen.
+Es verdroß mich, den alten Freund als einen Krüppel wiederzufinden; schier
+ahnte mir darin ein Zeichen übler Vorbedeutung.
+
+Als ich näher kam, lächelte mich eine neue, hoch empor gediehene, Pflanzung
+von Pappeln an. Es war eine Verschönerung; sie würde mir gleichwohl
+anderswo besser gefallen haben, als hier. Dem erinnernden Bilde in mir
+widersprach sie, und machte mir die Gegend vor dem Thore fremd.
+
+Ich stieg aus dem Wagen, mich desto bequemer umzusehn, und ließ den
+Postillon halten. Es war ein schöner Sommerabend; auf dem neuen Spaziergang
+lustwandelten Einwohner. Ich mengte mich unter sie, fand aber nicht einen
+der alten Bekannten hier. Auch das erregte mir Unmuth. Meinem Besuch
+nach zwanzig Jahren in der Vaterstadt, hob ich bei mir an, scheint wenig
+Freudiges entgegen treten zu wollen.
+
+Wenn auch nicht gerade schon trübe, war ich doch nicht so heiter, wie ich
+auf der langen Reise gehofft hatte, daß ich es am Eingange der Heimath seyn
+würde. Von dem geahnten traulich heiligen Empfinden wehte mich jetzt nichts
+an, und ich klagte heimlich, daß es so sei. Immer wollte ich einen von den
+Unbekannten anreden, ihn um meine Eltern, um Wilhelminen, um Emma fragen,
+hatte gleichwohl nicht den Muth dazu. Ebenso zauderte ich, in die Stadt zu
+gehn.
+
+Meine Blicke fielen auf die Thür des nahen Kirchhofs. Sie stand offen, und
+ich fühlte einen schwermüthigen Zug hineinzugehn. O wie viele neue
+Gräber! Doch auch viele neue Denkmähler, die von zugenommenem Luxus
+und verfeinertem Geschmack zeugten. Baumanlagen, sonst nicht vorhanden,
+Gitterwerke, die kleine Gärten umfingen, unter denen Todte ruhten, einzelne
+Hügel, mit Blumen geschmückt, konnten als liebliche Veredlungen des
+Anblicks trauernder Stille gelten. Aber sie riefen mir auch sehr lebhaft
+den Gedanken zu: daß Alles endet, wie schön es einst auch blühen und
+glänzen mochte.
+
+Ich schlich an den Gräbern hin, und las die mancherlei Inschriften der
+weißen Steine und Eisenplatten. O, hier traf ich Bekannte genug! Ein Mal
+über das andere stieß ich auf einen Namen, der mir einst wenigstens nicht
+ganz gleichgültig ins Ohr tönte. Und nicht bloß ältere Personen, die ich
+vor Zeiten werth hielt, auch jüngere sah ich nun lange schon der Verwesung
+übergeben. Es war ein Mädchen darunter, das ich ein wenig geliebt hatte,
+ehe noch Emma den bleibendern Eindruck auf mein Herz machte. Jene war im
+ein und zwanzigsten Jahre verstorben, und ein Gespiele meiner frühsten
+Kinderjahre hatte nur bis zum dreißigsten gelebt.
+
+Nun kann eine wahrhaft melancholische Stimmung über mich, und ich bebte,
+Namen zu sehn, die mich noch stärker rühren könnten. Des Gottesackers
+Hinterwand umliefen noch inwendig Begräbnißplätze in Gewölben. Mein Vater
+hatte sich dort einen erkauft, und den nöthigen Bau daran ordnen lassen.
+Als ich aus meiner Vaterstadt ging, hatten die Seinigen noch keine
+Anwendung von der neuen Ruhestätte machen dürfen. Ich gewahrte sie
+schaudernd, und nahte mich zitternd und wankend. Eine Steinplatte, mit
+Zeilen versehn, war in die Außenwand gemauert. Schon sah ich sie, eh ich
+die Zeilen noch lesen konnte. Ein Opfer also, dachte ich seufzend, hat sich
+der Tod aus unserm Kreis genommen. Mit grauenvoller Neugier eilte ich zu
+lesen, und vermochte es kaum. Es war die Mutter; sie schlief bereits zwölf
+Jahre hier. Der Kirchhof warf viel auf meine Brust!
+
+Ich starrte einige Zeit die Tafel an, und ging langsam weg. Es gelang mir
+nicht, durch die Vorstellungen mich zu trösten: daß es sich kaum anders
+habe erwarten lassen, und daß ich von Glück sagen dürfe, wenn ich meinen
+Vater noch unter den Lebenden antreffe. Ich fühlte in dem Augenblick, was
+die übrigen Verwandten zwölf Jahre früher an diesem Grabe empfanden.
+
+Wieder hinausgetreten, sah ich einen dürren bleichen Mann daher kommen. Er
+bewegte sich mit kleinen Schritten, und hustete im Gehen oft. Er trug ein
+schlechtes Oberkleid, und sein ganzer Anzug zeugte nicht von Wohlhabenheit.
+Mir war, als hätte ich ihn früher gesehn; doch besann ich mich auf Namen
+und Stand nicht. Es schien mir auch, als hätten Blässe und Falten das
+Gesicht merklich umgewandelt.
+
+Auch er faßte mich ins Auge, und ich war schon an ihm vorübergegangen, als
+wir Beide zugleich still standen und nach einander umblickten. Jetzt rief
+er meinen Namen. Auch die Stimme tönte mir bekannt, doch schwach und hohl.
+Ich ging zu ihm, und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr; ich soll die Ehre
+haben, Sie zu kennen, und besinne mich doch nicht gleich ...«
+
+Haben Sie Ihren alten Freund Lilienthal vergessen? Mit diesen Worten
+unterbrach er mich.
+
+Ich trat staunend zurück, und konnte kein Wort sagen.
+
+Ja, fing er lächelnd wieder an, ich habe mich wohl ziemlich verändert. Sie
+aber scheinen noch ganz munter. Noch nicht einmal, wie ich sehe, Ein graues
+Haar. (Das seinige war schon zur Hälfte bleich.)
+
+Ich umarmte ihn nun, und stotterte: »Nein -- das hätte ich nicht gedacht --
+und wie gehts? Mit welchem Titel hat man Sie anzureden?«
+
+Er antwortete: Es geht verdammt schlecht. Ich bin invalider, pensionirter
+Hauptmann.
+
+»Verwundet im Kriege?«
+
+Nein, die Gicht hat es mir gethan. Da muß ich mich nun mit dem schmalen
+Gnadengehalt hinstümpern. Und wenn ich ihn noch ganz bekäme! So wird mir
+aber noch für meine Gläubiger die Hälfte abgezogen.
+
+»Freund -- ich beklage unendlich, Sie nicht in einem glücklichern Zustande
+wiederzusehn.«
+
+So geht es nun schon einmal. Wenn man in der Jugend zu rasch gelebt hat,
+wird man früh alt.
+
+»Hm -- ich dachte, Sie besäßen außerdem ein ansehnliches Vermögen« --
+
+Wo bist Du Sonn' geblieben!
+
+»Ehe ich vor zwanzig Jahren abreis'te, hieß es, Sie hätten eine bedeutende
+Erbschaft« --
+
+Ach, wie man's denn im Leichtsinn treibt. Ich hatte ein Paar tausend
+Thaler; in ein Paar Jahren flogen sie aber hin. Einmal gewöhnt, auf einem
+artigen Fuß zu leben, nahm ich auf, und sprengte, um meinen Kredit zu
+befestigen, allerhand Mährchen aus. Eigentlich nicht ganz Mährchen. Ich
+hatte begründete Hoffnung, zu steigen, zu erben, nur kein Glück. Manche
+lebten wüster in den Tag hinein, als ich, und sind jetzt Obersten,
+Generale, und haben keine Gicht. Das Glück tut alles auf der Welt.
+
+»Sind Sie verheirathet?«
+
+O! wenn ich noch Frau und Kinder hätte, schösse ich gar mich todt. -- Die
+Abendluft wird kalt, ich muß unter Dach. Wir sehen uns wohl ein ander Mal.
+Leben Sie wohl!
+
+»Erlauben Sie mir, Sie noch einen Augenblick zu begleiten. Ich bin in
+zwanzig Jahren nicht hier gewesen, und möchte um Manches fragen.«
+
+Er that mir den Vorschlag, mit nach der Kegelbahn zu gehn, die er besuchen
+wollte; da könnten wir noch eins mit einander plaudern.
+
+Der öffentliche Garten lag nahe. Ich trat mit Lilienthal hinein, und sah,
+daß Einrichtungen und Gäste nur ein ziemlich mittelmäßiges Ansehn hatten,
+so daß ich mich wunderte, wie Lilienthal sich an einen solchen Ort begeben
+könnte.
+
+Unterweges fragte ich: »Lebt mein Vater noch?«
+
+Kann's wohl nicht recht sagen, hieß die Antwort; hab' ihn in langen Jahren
+nicht gesehn. --
+
+»Hm -- ein Rathsherr ist doch nicht so unbekannt« --
+
+Jetzt besinn' ich mich. Er soll noch leben, ist aber schon lange in den
+Ruhestand versetzt. Es geht ihm wie mir.
+
+»Wohnt er noch in seinem Hause?«
+
+Das ist schon lange verkauft. Irre ich nicht, so hält er sich bei der
+Tochter auf.
+
+»Und die?«
+
+Sie lebt, das weiß ich gewiß. Noch vor etlichen Wochen ist sie mir mit
+ihren Kindern begegnet.
+
+Ich wollte eben mit großer Spannung fragen, an wen sie verheirathet sei,
+als etwas Anderes dazwischen trat. Der Wirth des Gartens kam, und fragte,
+was uns beliebe. Ich wollte eine Flasche Wein geben lassen. Den habe ich
+nicht, sagte er mit Achselzucken. Lilienthal nahm das Wort mit Lachen: Hier
+giebt es nur diverse Biere und Aquavite.
+
+Ich hatte nach Jenem wenig gesehn; nun fiel mir auf, daß er seinen Mund an
+Lilienthals Ohr legte, und ihn um etwas fragte, wobei er mich ansah. Der
+invalide Hauptmann erwiederte: Ja, ja, er ists.
+
+Jetzt nahm ich den Wirth mit seinem Mützchen aus Sammet genauer ins Auge.
+Wieder ein nicht fremdes, aber ziemlich schmalbäckiges Gesicht. Kaum traute
+ich meinen Augen, und rief endlich: Eduard?
+
+Er gab mir die Hand. Ei, ei! Lange nicht gesehn. Eine dicke Stimme aus
+der Kegelgesellschaft rief jedoch: Herr Wirth, noch ein Glas Breslauer! Da
+eilte mein Jugendfreund schnell seinem Beruf nach.
+
+»Um Gottes willen, hob ich mit fast erstickter Rede zu Lilienthal an: _der_
+in einem Kegelgarten?«
+
+Der arme Teufel hat ihn gepachtet, wird aber auch nicht sonderlich bestehn;
+es kommen nur wenig Gäste.
+
+»Er war doch Kaufmann« ...
+
+Hat einen kleinen Bankrott gemacht. Und was sollte er dann thun? Frau und
+Kinder wollen ernährt seyn.
+
+Eduard hatte sein Geschäft besorgt. Ich nahm ihn bei der Hand, und führte
+ihn aus der Kegelbahn in einen Gang. »Freund, sagte ich, wie geht es zu?
+Dein spekulativer Sinn, Dein Unternehmungsgeist von ehedem! Ich dachte ...
+ich hoffte ...«
+
+Die Stimme, von der ich Bescheid bekam, tönte nicht mehr so leicht und
+hochfliegend; sie hatte etwas Schweres, neben dem Kleinlauten. Eduard schob
+die Sammtmütze, um sich hinterm Ohr zu kratzen, und sagte nun: Wer kann
+für Unglück! Ja hätte der Vormund mich nur in Hamburg gelassen, ich glaube
+immer noch ... er schickte mir aber kein Geld; ich mußte zurück, und hier
+meine Handlung mit Spezerei- und Materialwaaren antreten. Nun, ich habe
+mich viele Jahre dabei hingestümpert. Aber rechts und links etablirten sich
+Andere, verkauften um Spottpreis, die Consumption nahm in den schlechten
+Zeiten ab, Einquartierung und andere Kriegslasten dazu -- so ward ich
+endlich ruinirt.
+
+»Du wolltest ja eine große Fabrik anlegen.«
+
+Jung will man viel. Ohne große Mittel läßt sich aber nichts Großes
+anfangen.
+
+»Du wolltest Dich um Summen an die Regierung wenden.«
+
+Das will mächtige Fürsprache. Ich habe geschrieben, da- und dorthin. Rund
+abgeschlagen.
+
+»Armer Eduard!«
+
+Wären die Paar Tausend Thaler meiner guten Frau nur nicht mit darauf
+gegangen!
+
+»Wen hast Du denn geheirathet?«
+
+Die Tochter meines Vorgängers in der Handlung. Der Vormund wollte es so,
+hatte auch im Grunde nicht unrecht. Ich mochte mich in den ersten Jahren
+wohl nicht genug nach der Decke strecken, nicht genug um meine Handlung
+bekümmern; wie das so geht, wenn man denkt, es kann nicht fehlen. Man
+bereut es hernach, doch zu spät. -- Und der Herr Bruder? Ich hörte von
+Sibirien. Doch also wieder frei! Gratulire. Wie geht es sonst?
+
+»Schon darum übel, weil ich zwei alte Freunde nicht glücklich wiedersehe!«
+
+Was hilft's? Geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Hier ist ja noch ein
+Jugendfreund. He, Cantor, lieber Cantor!
+
+Ich sah den Mann herwatscheln, der mit einer dicken Stimme Breslauer Likör
+verlangt hatte. Die weitere Gestalt entsprach dem. Keine schmale Wange; ein
+ächtes Abend-Vollmondgesicht, denn es war mit Kupfer bestreut.
+
+Eduard nannte ihm meinen Namen. Ei, ei! rief er; lange nicht gesehn und
+doch noch gekannt. Er schloß mich so weit in die feisten Arme, als der
+Schmeerwanst es nicht hinderte, und sagte jovial: Darauf müssen wir gleich
+eins trinken. =Cantores amant humores!=
+
+Verlegen erkundigte ich mich: von wem ich die Ehre hätte, mich umarmt zu
+sehn?
+
+Karl! rief die fette Gestalt; und Du willst Deinen August nicht mehr
+kennen?
+
+Ich wand mich los, und starrte aufs höchste betroffen in das faunische
+Gesicht. In der That, es war August!
+
+Er kicherte: Nicht wahr, ich habe mir da einen runden Bauch angeschafft? Er
+kostet mir aber auch manchen runden Thaler. Ha ha ha!
+
+»Freut mich, Dich wenigstens vergnügt zu sehn. Ich hoffte indeß gerade
+nicht den Bauch zu finden ...«
+
+O, den laß mir in Ehren!
+
+»Bist Du nicht in Italien gewesen?«
+
+Was sollte ich da gethan haben! Und wo Geld hernehmen zur Reise!
+
+»Du hattest vor zwanzig Jahren doch gewisse geniale Ideen ...«
+
+Ja, Brüderchen, es gibt nur so vielen Widerstand.
+
+»Ich meinte, Du würdest gegen ihn ankämpfen, ihn besiegen.«
+
+Brüderchen, man wird denn ärgerlich, ist mitunter auch ein wenig faul ...
+
+»Du hattest damal die Composition einer Oper in Arbeit. Was ich davon
+hörte, fand ich ungemein ...«
+
+Erinnre mich nicht daran. Ich hatte Aerger die Menge dabei, und Schaden.
+Ließ zehn Abschriften machen, und schickte sie an deutsche Theater. Die
+meisten remittirten, unter höflichen Ausflüchten. Einige nahmen sie; nur
+von Einem bekam ich aber Geld, und das ersetzte mir die Kosten noch
+nicht. Kabalen steckten auch dahinter, Kunstneid, Hudelei. Wo man die
+Oper aufgeführt hatte, erschienen böse Kritiken, sprachen von entlehnten
+Gedanken, veraltetem Styl. Ich hätte die Hunde von Recensenten todt prügeln
+mögen. Hernach verschwor ich's mit den Opern. Aber ein Heft geistlicher
+Oden und vierstimmiger Motetten habe ich noch herausgegeben; die wurden
+ziemlich gut recensirt.
+
+»Darum kamst Du nicht nach Italien?«
+
+Italien, Italien! =Tempi passati=, sagen sie dort.
+
+»Und nach Frankreich, das einen Gluck =redivivus= in Dir sehn sollte?«
+
+Brüderchen, es taugt im Grunde den Teufel nicht, wenn man in der Jugend
+Genie hat, und sitzt nicht auch an der Quelle, und weiß die Kabalen nicht
+todtzumachen. Das Brotstudium wird darüber versäumt, man treibt =Allotria=,
+und macht Plänchen, die wie Seifenblasen an der Luft zerplatzen. Jetzt habe
+ich mir die angenehmen Träumereien abgewöhnt. =Non sum qualis eram.= Weißt
+Du, was ich thun würde, wenn ich etliche und zwanzig Jahre zurück hätte,
+oder was ich hätte thun sollen? Meine Theologie tüchtig treiben, mir
+Freunde machen, eine gute Pfarre verschaffen, und hernach das liebe Minchen
+heirathen. O, Minchen war mir gut, besonders am Klavier. Man schwärmte auch
+ein bischen mit Klopstock, Göthe und Schiller. Alles vorbei! Ich frage auch
+den Teufel mehr nach Amor; Vater Bacchus ist mein Mann.
+
+»Ei, ei! Und wie lebst Du denn sonst?«
+
+Nun, hier auf der Kegelbahn befinde ich mich ganz wohl, und dann geh ich
+zum Duchstein*). Die Composition hab' ich an den Nagel gehängt; es kommt
+nichts dabei heraus. Und, die Wahrheit zu sagen, ich bin auch zu faul, und
+habe mit meiner Singschule, meiner Kirchenmusik ohnehin so viel zu thun.
+Brüderchen, so viel kann ich Dir aber noch sagen: aus meinem Bariton ist,
+ohne Ruhm zu melden, ein Bierbaß geworden, der sich gewaschen hat. Komm
+nur den Sonntag in die Frühpredigt, Du wirst hören, daß alle Kirchenfenster
+klingen.
+
+ *) Ein Weißbier, das in Königslutter gebraut wird.
+
+Herr Cantor! rief man drinnen; Sie schieben.
+
+Eilig watschelte August davon, und ließ den Freund stehn. Eduard zuckte
+die Achseln, und sagte: Er ist nun einmal nicht anders, und muß schon so
+verbraucht werden.
+
+Lilienthal kam wieder zu mir. Es soll, nahm er das Wort, dem Cantor
+nicht an Geschicklichkeit fehlen; nur betrübt, daß er sich dem Trunk so
+leidenschaftlich ergeben hat! Es hieß schon einmal: er würde seine Stelle
+deshalb verlieren.
+
+Ich fragte: »Ist er verheirathet?«
+
+Gewesen, erwiederte Eduard; aber von seiner Frau geschieden. Sie war die
+Tochter des Rektors. Durch ihn kam er noch endlich zu dem Amt, das er sonst
+wohl nicht erlangt hätte.
+
+Ich empfahl mich den alten Bekannten, ohne weitere Fragen zu thun, weil
+ich vor der Hand genug hatte. Schwermüthig über Zeit und Menschenloos
+nachsinnend, ging ich nach meinem Wagen, und fuhr in die Stadt.
+
+Es sah artiger darin aus, als vordem. Einige neue, einige verschönerte
+Häuser, mehr Aufwand im Anzug der Bürgersleute, die mir auf der Straße zu
+Gesicht kamen, zeugten von vermehrter Wohlhabenheit. Doch späterhin erfuhr
+ich: es wäre nur mehr als sonst üblich, um schimmernde Außenseiten bemüht
+zu seyn; den alten ächteren Wohlstand habe der Krieg zerstört.
+
+Ich ließ vor einem Gasthof halten. Als ich aus dem Wagen stieg, kam der
+Advokat Sauer aus der Thür. Er hatte am wenigsten gealtert, auch sich
+sonst eben nicht verändert; nur noch etwas grämlicher war das stets düstre
+schwammichte Gesicht geworden. Augenblicklich erkannte ich ihn, sagte
+ihm indeß nur eine flüchtige, kühle Höflichkeit; weil er mir ehedem nicht
+gefallen hatte.
+
+Schwager, fiel er mir ins Wort; Schwager, kommt Ihr einmal wieder zu uns?
+Willkommen aus Sibirien.
+
+Ich stutzte über die Anrede und den vertraulichen Ton. Nach einem
+betroffenen Schweigen erwiederte ich: »Schwager?«
+
+Mein Gott, rief er, wißt Ihr denn nicht einmal, daß ich Eure Schwester
+geheirathet habe?
+
+Mit dürrem Staunen sagte ich: »Das ist mir ganz neu!«
+
+Schon vor funfzehn Jahren. Wir haben drei Jungen und zwei Mädchen. Also gar
+keine Nachricht von den Verwandten gehabt? Nun, in Sibirien, da wundert's
+mich nicht. Und meines Schwiegervaters Bruder in Rußland ist ja auch schon
+vor langer Zeit gestorben. Ihr wollt doch nicht im Gasthof logiren? Kommt
+zu mir. Es ist wohl enge da; doch wir müssen sehn, wie man sich behilft.
+Der Alte ist ja auch bei uns. Nur wieder in den Wagen; ich steige mit ein.
+
+Dies konnte ich nicht wohl ablehnen. Im Wagen fragte ich: Nun, wie lebt Ihr
+denn mit Wilhelminen?
+
+Je nun, war die Antwort, so so. In der Ehe giebt es nun einmal viel
+Aprilwetter. Anfangs hatte sie immer noch die eleganten Herrchen, die
+Genies, im Kopf; da stand es um unsere Eintracht nicht am beßten. Ich
+sagte: Das waren nichtige Courmacher, luftige Projektanten; ich bin ein
+solider Geschäftsmann, und habe es doch ernst gemeint. Also ziemt es sich,
+daß Madame so gütig ist, und mich liebt. Eine ätherische Liebe verlange
+ich gleichwohl nicht; bloß eine irdische, wie sie eine deutsche vernünftige
+Hausfrau kleidet. Wenn ich aber doch sah, daß Madame nicht so gütig seyn
+wollte, und aus dem angenommenen Schein nur Verstellung hervorblickte, ja
+dann hielt ich bisweilen eine Gardinenpredigt, und hatte Recht dazu.
+Mit der ewigen Musik, und den Musenalmanachen hatte ich erst auch meinen
+Verdruß, und ich gestehe, daß ich bisweilen ein Notenheft, oder ein
+Bändchen Poesien ins Feuer geworfen habe. Indeß hat es sich gegeben. Sind
+erst fünf Kinder im Hause, dann geht es prosaisch genug zu, und das liebe
+Fortepiano wird in Monaten nicht berührt. Im Anfang überlief mich auch der
+liederliche Cantor oft. Ich wies ihm die Thür; nun paßte er die Zeit ab,
+wo ich Geschäfte außer dem Hause hatte. Es wurde mir aber gesteckt; ich kam
+unvermuthet, und dies Mal warf ich ihn zur Thür hinaus. Ich kann's nicht
+leugnen, daß ich -- und wer an meiner Stelle hätte es nicht auch gethan? --
+daß ich in der Hitze meinem Minchen eine kleine Ohrfeige gab. Nun, das hat
+mich auch bei kaltem Blute nicht gereut; denn seitdem hat sich Minchen um
+vieles gebessert.
+
+Diese Mittheilung empörte mich so, daß ich eben ausholen und meinem
+Schwager eine große Ohrfeige appliziren wollte, als mir noch zur rechten
+Zeit einfiel, daß meine Schwester davon am meisten zu leiden haben würde.
+Fünf Kinder hatte sie zudem mit dem Unhold! So knirschte ich denn bloß mit
+den Zähnen.
+
+Gott, dachte ich heimlich, wäre mir in dem langen Zeitraum all dies Unheil
+nach und nach zu Ohren gekommen! Aber nun so auf Einmal! Und was mag mir
+noch bevorstehn!
+
+Wir langten in Sauers Wohnung an. Wilhelmine stieß vor Freude einen
+heftigen Schrei aus; ich hätte ihn vor Schrecken erwiedern mögen! O Himmel!
+wie bleich, abgezehrt, und daneben wie alltäglich, zeigte sich jetzt die
+einst so holde, einnehmende Schwester! Weder ihre Kleidung, noch der sie
+umgebende Hausrath, deuteten auf eine vortheilhafte Lage. Die Kinder,
+welche sie rief, den Oheim zu begrüßen, waren reinlich, aber ziemlich
+dürftig gekleidet. Mich befiel ein Kummer ohne Gleichen.
+
+Sauer holte meinen Vater aus seinem Zimmer. Fast Entsetzen erregte mir sein
+Anblick. Schneeweißes Haar, nichts als Runzeln, Kopf und Hände bebend. Und
+so erkaltet war ihm das Gemüth, daß er kaum noch einige Freude über den
+nach zwanzig Jahren wiedererscheinenden Sohn äußerte. Keine Spur mehr von
+jener alten Herzlichkeit und dem heitern, aufgeweckten Sinn.
+
+Wir setzten uns zum Abendessen. Ich mußte von meinen Schicksalen im Norden
+erzählen, wobei die Anderen meistens schwiegen, und ich so zu keinen Fragen
+gelangte. Ich mochte deren auch keine mehr thun. Hatte ich nicht schon
+freudenlose Antworten genug bekommen?
+
+Nachher schien es, als habe der Wein den Greis ein wenig aufgethaut,
+oder als habe er in dem schwach gewordenen Kopfe nun überdacht, was sich
+zugetragen hatte. Er schloß mich in die zitternden Arme, und weinte. Gott
+sei Dank, sagte er, daß Du noch kamst. Etwas später, so hättest Du mich
+nicht mehr gefunden. Ich werde bald zu Deiner Mutter gehn.
+
+O Gott! sagte ich, aufs Neue erschüttert; ich habe bereits an ihrem Grabe
+gestanden.
+
+Mein Vater ging zu Bette, der Schwager sammt den Kindern auch; Wilhelmine
+fragte mich: ob wir nicht noch ein halbes Stündchen plaudern wollten?
+
+Ich that das gern. Sie schilderte mir nun ihren häuslichen Zustand. Das
+Betragen ihres Mannes umging sie zart; außerdem hatte sie aber von nichts
+als Noth und Kummer zu erzählen. Sauer hatte wenig Freunde; nur Leute, die
+einen Erzrabulisten suchten, wendeten sich an ihn. Das Einkommen reichte
+bei fünf Kindern nicht zu; man steckte in peinlichen Schulden, und eben
+so der alte Vater noch. Die Kreuzträgerin endete: Was ist zu thun? Ich muß
+mich in Geduld fassen. Noch ein Glück für mein Mutterherz, daß meine Kinder
+gesund, auch sonst ziemlich wohlgeartet sind. Vielleicht erlebe ich an
+ihnen noch Freude.
+
+»Gute Schwester, erwiederte ich, einigermaaßen werde ich Deine Lage
+verbessern können. Doch sage mir: wie hast Du Dich entschließen können,
+Sauer'n zu heirathen?«
+
+Seufzend erklärte sie: Ja -- es ward mit den übrigen Aussichten nichts.
+
+»Ich dachte, Herr von Soldin ...«
+
+Schnell unterbrach sie mich: Auch nichts! und fuhr fort: Die Zeit ging hin;
+ich war schon drei und zwanzig Jahr. Die Eltern fühlten sich immer mehr
+bedrängt, und wollten mich versorgt sehn. Da kam mein Mann -- Es währte
+lange, eh ich mich überwinden konnte; doch -- was blieb mir ...
+
+»O Gott! sagte ich; Du hast so vielen Fleiß auf die Bildung Deiner schönen
+Talente gewandt! Was nützt es Dir nun!«
+
+Laß uns nicht mehr über das Vergangene reden, seufzte sie. Hin ist hin!
+Jetzt lebe ich nur in meinen Kindern.
+
+Ich ging stumm auf und nieder, warf mich dann in das Sopha, und stützte
+den Kopf auf die Hand; die Unruhe in meiner Brust war unbeschreiblich.
+Ich dachte an die Worte eines Dichters, welche mir auf der Reise von
+St. Petersburg hieher, mit einem süßen Anklang, oft einfielen:
+
+ Froh werd' ich die Altäre
+ Der heimatlichen Höh'n,
+ Und froh die Wonnezähre
+ Der Jugendfreunde sehn.
+ Und sie, die einst im Lenze
+ Der schönen Minnezeit,
+ Sich bis zur dunkeln Gränze
+ Des Lebens mir geweiht --
+
+Ach, so fand ich es nicht! -- Noch hatte ich nach Emma nicht gefragt. Was
+ich bis jetzt gehört, ließ mich die Geliebte vergessen, indeß nur auf eine
+kurze Zeit. Die Frage schwebte mir wieder auf der Zunge, doch immer
+gewann ich keinen Muth dazu; mein Herz fürchtete hier zu viel von einer
+niederwerfenden Botschaft.
+
+Endlich hob ich doch zu Wilhelminen stockend an:
+
+»Was ist denn aus dem Commerzienrath Hell geworden?«
+
+Schon zehn Jahre todt.
+
+»Das glaubte ich nicht; wenigstens fand ich seinen Namen auf keinem
+Leichenstein.«
+
+Er ist in der größten Dürftigkeit gestorben. Aufwand und mißlungene
+Spekulationen ...
+
+»Hm -- und Minna, seine Tochter?«
+
+Die hat schmählich geendet.
+
+»Geendet?«
+
+Nach des Vaters Tode waren die Mädchen noch unverheirathet --
+
+»Unverheirathet? Beide?«
+
+Ja! Minna wurde Gesellschafterin im Hause des Präsidenten Wernbach, ließ
+sich aber in einen sträflichen Umgang mit ihm ein -- es ward ruchtbar. --
+Noch ein Glück, daß sie mit dem Kinde im Wochenbette starb. Die Präsidentin
+ließ sich scheiden.
+
+»Das herrliche Mädchen und so ehrvergessen! In Gärten kann man aus der
+Blüthe die Frucht voraussehn, bei den Menschen nicht -- Und ... und ...?«
+
+Guter Bruder, ich ahne, was Du noch fragen willst.
+
+»Du hast mein ganzes Vertrauen. Und Emma?«
+
+Frage mich nicht. _Die_ hast Du geliebt --
+
+»Ich liebe sie noch, gute Wilhelmine! Hat sie keinen Mann -- wie auch ihre
+Schönheit verblüht seyn mag, ich gebe ihr meine Hand!«
+
+Dies -- kannst Du nicht!
+
+»Warum nicht? Ihre Armuth soll mich nicht zurückstoßen. Sie hat einst
+mein Herz reich an schönen Empfindungen gemacht, die im Zeitstrom nicht
+untergegangen sind. Ich habe kein andres Hoffen mehr, als Emma noch mein zu
+nennen.«
+
+Dies kannst Du ... nein, frage mich nicht. Erkundige Dich bei Andern.
+
+»Auch hier also warten entsetzliche Nachrichten auf mich? So gieb Du sie
+mir. Wen an Einem Tage schon so viele Dolche trafen, der ist auf Alles
+gefaßt.«
+
+Ich möchte nicht gern ... mache Dich frei von dieser unglücklichen Neigung!
+
+»Diese Neigung ist mein Glück. Ich will Emma mein nennen!«
+
+Dies kannst Du -- wenn Du es denn durchaus hören willst -- um einen mäßigen
+Preis --
+
+»Was sagst Du, Schwester! Ich hoffe doch nicht ...«
+
+Ihr blieb nach dem Tode ihres Vaters weiter nichts übrig, als sich mit
+Putzarbeiten zu ernähren. Doch, an Hochleben und Müßiggang gewöhnt, wollte
+sie sich in Spärlichkeit und Fleiß nicht fügen. -- Ihr Ruf ward zweideutig.
+
+»Gott!«
+
+Nach und nach sank Emma tiefer, und wurde zuletzt als öffentliche Buhlerin
+bekannt. Da zog sie den Sohn eines reichen Kaufmanns an sich, plünderte
+ihn aus, und verführte ihn, die Kasse seines Vaters um nahmhafte Summen zu
+bestehlen ...
+
+»Höre auf. Doch nein -- nein -- ende!«
+
+Es kam an den Tag. Emma wurde auf vier Jahre ins Zuchthaus geschickt --
+
+»Zu viel! zu viel!«
+
+Diese Strafe ist überstanden. Emma wurde wieder frei. Sie fing das alte
+Treiben aufs Neue an; doch -- wie man hört, und es ihre Jahre vermuthen
+lassen -- für sich mit schlechtem Erfolg. Dagegen hat sie eine Art von
+Pflanzschule um sich --
+
+»Genug! Beim Himmel, genug!« -- Ich riß mich von Wilhelminen weg, und
+eilte zu meinem Lager, wo ich aber die ganze Nacht keine Ruhe fand. Eine
+mehrtägige Krankheit folgte den Gemüthsbewegungen an dem schrecklichen Tag.
+
+Dann ergriff ich meinen Entschluß, und sagte der Schwester: »Meine Liebe
+ist dahin! Ohne Liebe noch zu heirathen, wäre Thorheit. -- Wie hoch
+belaufen sich die Schulden des Vaters und Deines Mannes?«
+
+Seufzend erwiederte sie: Wohl auf viertausend Thaler.
+
+»Die bezahle ich.«
+
+Bruder! -- O Bruder!
+
+»Von den Zinsen meines übrigen Vermögens will ich Deine Kinder erziehen
+helfen, sie mögen einst meine Erben seyn. Ich will mich auch um ein Amt
+hier bewerben, so kann ich desto mehr thun, und finde Zerstreuung in den
+Geschäften.«
+
+Wilhelmine umarmte mich mit Freudenthränen. Es wurde mir doch etwas
+leicht, daß ich solche Thränen fließen sah. Gott, rief ich, so frommen also
+Schönheit, Talente, Bildung und andre beneidete Vorzüge nicht, wenn das
+Glück nicht auch lächelt! O Jugend, auf das Unglück schicke Dich an, und
+wahrlich am meisten, wenn Dir solche Vorzüge eigen sind!
+
+Mit einer edlen Fühlbarkeit sagte Wilhelmine nach einigem Schweigen:
+
+Und -- Emma?
+
+»O die Verworfne!«
+
+Auch die am tiefsten gefallen sind -- bleiben Menschen.
+
+»O gute Schwester!«
+
+Du hast sie geliebt.
+
+»Ich gebe ihr ein kleines Jahrgeld.«
+
+Auf Eine Bedingung --
+
+»Versteht sich: daß sie dem ruchlosen Wandel entsagt, und sogleich diese
+Stadt verläßt.«
+
+Dies macht Deinem Herzen Ehre.
+
+Bei diesem Gespräch kam erst noch zur Aufhellung, woran zeither noch
+niemand gedacht hatte. Ich sagte: »Aber ist denn die ganze Menschheit in
+späteren Jahren zum Unheil verdammt? Die Jugendfreunde, die Verwandten,
+Alles muß ich unglücklich wiederfinden, und ...« Nicht Alles, fiel
+Wilhelmine ein. Seltsam, daß Du nach unserm Bruder Otto noch nicht gefragt
+hast. Zum Theil ist wohl Deine Krankheit Schuld daran, daß wir vergessen
+haben, von ihm zu reden; zum Theil auch -- wird bei den Seinigen nicht eben
+viel über ihn geredet --
+
+Ich begreife selbst nicht, fiel ich ein, wie es zugegangen ist, daß ich
+an Otto nicht gedacht habe. Von den übrigen bösen Zeitungen war mein
+Gedächtniß so vollgepfropft, daß ... nun, was macht Otto? Ich wünsche ihm
+alles Gute.
+
+Die Schwester antwortete: Er ist Minister des Herzogs.
+
+Es war sicherlich keine Mißgunst, was ich empfand; ich staunte nur, faltete
+die Hände, und schüttelte den Kopf ein wenig.
+
+Jene fuhr fort: Er ist zugleich in den Adelstand erhoben.
+
+»Ist es möglich! Aber ist es möglich!«
+
+Einige Jahre nach Deiner Abreise wurde er Rath, und nicht lange darauf
+Präsident eines anderen Collegiums; dann wurde er weiter empfohlen, und dem
+Herzoge näher bekannt. Schon manches Jahr bekleidet er die erste Stelle im
+Lande.
+
+Immer noch höchlich verwundert sagte ich: »Otto der trockne, engherzige
+Otto, Minister des Herzogs?«
+
+Lächelnd erwiederte meine Schwester: Wenn nun der Herzog trockne,
+engherzige Minister liebt? Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten.
+-- Dem Bruder gelang es auch noch weiter. Seine Würde verschaffte ihm
+Gelegenheit, sich mit einem Fräulein aus einem reichen Hause zu verbinden.
+
+»Nun -- ich gönne ihm Alles; er ist mein Bruder. So höre ich doch nicht
+lauter schlimme Nachrichten. Ei, ei! Es scheint also, als müßte
+eine Anweisung, hier Glück zu machen, so lauten: Fleiß, tüchtigen
+Geschäftsfleiß, wenn auch mehr dem Schein als der Wirklichkeit nach, und
+den Fleiß so geregelt, wie ihn jeder alltägliche Kopf zu zeigen vermag; das
+heißt: trocknen Schlendrian, immer Schlendrian, nie über das Gewöhnliche
+hinaus. Zweitens Kriecherei, ächte, wahre Kriecherei vor allem Rang.
+Endlich die so beliebte Engherzigkeit. Nun meinetwegen denn! Ich kann es
+nicht ändern. Aber sage mir nur, wie es zugeht, daß unser Vater nach so
+langjährigen, treuen Diensten eine so kärgliche Pension hat! Konnte sie
+Otto nicht billig erhöhen? Konnte er Deinem Mann nicht eine gute Bedienung
+verschaffen? Dein Mann mußte allenfalls ja auch sein Mann seyn.«
+
+Wilhelmine erwiederte: O, Se. Excellenz geruhen jetzt, sich Dero armer
+Verwandten zu schämen. Als wir uns im Anfang von Otto's Erhebung an ihn
+wandten, fertigte er uns mit kleinen demüthigenden Geschenken ab. Auf
+wiederholte Bitten, etwas für den Vater, und für meinen Mann zu thun, gab
+er zur Antwort: »Unmöglich könne er, auf seinem viel beobachteten Platze,
+sich Nepotismus vorwerfen lassen; vielmehr habe er, aus Consequenz,
+allenthalben zu vermeiden, daß er nicht für Angehörige und ältere Bekannte
+eintrete. Der Pensionsfond sei zudem erschöpft, und Sauer habe nur
+genügende Thätigkeit auf das Advociren zu verwenden, um bestehn zu
+können.« Nun machte ich selbst eine Reise zu ihm. Es währte lange, ehe ich
+vorgelassen wurde; und, als es endlich geschah, währte die gnädige
+Audienz, überhäufter Geschäfte wegen, nur kurze Zeit. Otto blieb auch jetzt
+unzugänglich, und sagte mir daneben: der Vater sowohl, als ich, hätten ihn
+immer dem Bruder nachgesetzt, und an diesem ein höheres Talent und manche
+andere Vorzüge erhoben. Nun, fügte er hinzu, das höhere Talent half
+ihm nach Sibirien. Mag er von da seinen Lieben Zobelpelze schicken! --
+Empfindlich, daß er über Dein Unglück noch spotten konnte, verwies ich ihm
+das, und sagte hernach: eben auch des unglücklichen Bruders wegen käme ich.
+Glaube er, dem Vater und meinem Manne keine Gunst erzeigen zu dürfen, so
+möchte er wenigstens den Herzog bewegen, sich am russischen Hofe mit einer
+Bitte für Dich zu verwenden. O, sagten Se. Excellenz, da würde ich bei
+Sr. Durchlaucht eine Fehlbitte thun, und noch Höchstihre Ungnade auf mich
+laden. Mit dem Hofe in St. Petersburg steht der hiesige nicht am beßten.
+Ich kann weiter nichts als den Unglücklichen bedauern. Seinem unbesonnenen
+Leichtsinn muß er übrigens sein Schicksal zuschreiben. -- Nun folgte ein
+stolz freundliches Entlassungszeichen. In den Gasthof schickte Otto mir
+noch ein trocknes Billet, mit einer Summe, die meine Reisekosten vergüten
+sollte. Ich sandte sie ihm, mit einem Briefchen in seinem eignen Styl,
+zurück. Seit dieser Zeit haben wir uns so wenig um ihn bekümmert, wie er
+sich um seine Verwandten.
+
+»Pfui,« rief ich aus; »pfui! -- Doch laß ihn! Er kann bei diesem unholden
+Sinn, trotz allem Ansehn und Vermögen, sich nicht glücklich fühlen. Ich
+danke um so mehr für Deine schwesterliche Liebe, die, so viel es anging,
+doch zu handeln versuchte. Aber -- damit nicht auch ich keine Theilnahme
+für arme Verwandten zeige -- ich habe noch nicht nach Charlotten gefragt.
+Lebt sie noch und in welchen Verhältnissen?«
+
+Wilhelmine biß sich ein wenig in die Lippen; es fiel ihr schwer,
+eine Antwort zu geben. Neid war nicht im Spiel; eines so gehässigen
+Charakterzuges war sie nicht fähig. Aber einige Spuren von verwundeter,
+weiblicher Eitelkeit las ich in ihren Augen, als sie über diesen Gegenstand
+reden sollte. Ihre widrige Empfindung unter einem Lächeln zu verbergen
+bemüht, hob sie endlich an: Charlotte ist lange verheirathet.
+
+»So hat sie doch einen Mann gefunden? Das freut, und -- wundert mich.«
+
+Glücklich verheirathet, wenigstens reich -- nein, in der That auch
+glücklich; die Gemüthsart ihres Mannes paßt zu der ihrigen.
+
+»Reich obenein? Das Mädchenglück hat auch seine Launen.«
+
+Und oft gar seltsame.
+
+»Wer ist denn Charlottens Mann? Habe ich ihn gekannt?«
+
+O ja! Du wirst Dich bei seinem Namen wundern. Herr von Soldin.
+
+»Ist das Scherz oder Ernst?«
+
+Warum sollte ich Scherz treiben!
+
+»Ich meinte -- es hatte so ein Ansehn, und man konnte es unmöglich anders
+deuten -- er habe Absichten auf Dich ...«
+
+Die häufigen Besuche galten Charlotten. Um _sie_ bemühte er sich, als wir
+glaubten ....
+
+»Wie konnte -- fast möcht' ich sagen, das platte Geschöpf ihn anziehn!«
+
+Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten.
+
+»Hm! -- Du nanntest ihn immer geschmacklos. Er hat diesen Ausspruch
+bestätigt.«
+
+Unbedeutende Mädchen finden oft leichter eine Heirath, als gebildete.
+
+»Wie geht das zu? Etwa, weil es so wenig gebildete Männer giebt? Das ist
+wohl gewiß nicht die Ursache. Der gebildeten Männer müssen ja viel mehr
+seyn, als der gebildeten Mädchen; denn die Männer haben mehr Gelegenheit
+sich zu bilden. Oder sollte Mädchenbildung mehr bewundert, als geliebt
+seyn, ernste Neigung mehr verscheuchen, als befördern? Dies kann ich auch
+nicht glauben.«
+
+Einen Grund findet man hier nicht leicht heraus; es bleibt nur dabei, daß
+nichts verschiedner als der Geschmack, und -- daß die Liebe blind ist.
+
+»Ach -- meine Liebe war nicht blind. Emma hatte Schönheit, Verstand, und
+ihrem Herzen ließ sich kein Vorwurf machen. Oder -- wäre meine Liebe in so
+fern doch blind gewesen, daß sie eine heimliche Anlage zur Verworfenheit
+nicht entdeckte? Hier fragt es sich gleichwohl immer noch: ob eine solche
+Anlage in der That vorhanden war, oder ob nur die Einflüsse eines dürftigen
+Zustands Emma zu dem hingezogen, was ihre Grundsätze einst verdammten. Zwar
+sollte man fast schließen, eine Anlage müsse vorhanden gewesen seyn; sonst
+wäre Emma nicht durch Armuth gefallen. Wohnen sonst doch Armuth und Tugend
+oft zusammen. Zwar vielleicht öfter, wenn Tugend zeitig an Armuth gewöhnt
+ist, als wenn sie sich erst dazu bequemen soll. Im letzten Falle wird
+Armuth auch oft eine gefährliche Klippe für die Tugend.«
+
+Desto edler ist sie aber auch, wenn sie, wie ein Fels, dem Drange der
+Armuth widersteht.
+
+»Freilich wohl. Will man indeß Entschuldigungen aufsuchen, so kann man es
+vorzüglich beredt, wo die Armuth zu nennen ist.«
+
+Dann aber auch standhaft gebliebne Tugend um so beredter loben.
+
+»Allerdings! O Emma, wärst Du tugendhaft geblieben!«
+
+Dann würde sie noch einen späten Lohn in Deiner Hand empfangen haben.
+
+»Die Thörin noch, bei ihrer Verworfenheit! Was soll man übrigens zu einer
+Anlage sagen, wie ich vorhin sie erwähnte? Ist sie natürlich, und können
+die Grundsätze, welche eine sorgsame Erziehung einflößt, sie nicht
+verdrängen, so entschuldigt das Verbrechen sich ja beinahe ganz.«
+
+Nein, da stimme ich Dir nicht bei.
+
+»Und eine Tugend, die nur in der Abwesenheit gewisser schlimmen Neigungen
+besteht, folglich nicht kämpfen darf, hat keinen Werth.«
+
+Freilich wird die Tugend erst edel, wenn sie, vom edlen Grundsatz
+begeistert, diesen in sich zu solcher Kraft erhebt, daß er die schlimme
+Anlage niederzuhalten vermag. Dies aber soll und muß die Tugend. Gänzliche
+Abwesenheit böser Neigungen ist wohl auch selten; die Umstände wecken sie,
+wenn sie auch schlummern.
+
+»Die Heftigkeit des Temperaments, welche den Umständen entgegen tritt, ist
+aber auch verschieden.«
+
+Wohl kein Phlegma ist so tief, daß nicht manche Lüste daraus hervorgerufen
+werden könnten.
+
+»Es kommt aber in jedem Fall noch auf die Umstände an, ob sie mehr oder
+weniger auf den Menschen eindringen. Die physische Gemüthsanlage bekommen
+wir aus den Händen der Natur, über ihre Entwickelung vermögen die
+Außendinge mehr, als wir. Manche sind glücklich genug, bei einem ruhigen
+Sinn noch solchen Umständen fern zu bleiben, die verlockend auf sie
+eindringen könnten.«
+
+Die Gemüthsanlage muß sich durch kräftigen Tugendwillen veredeln lassen.
+Umstände, welche uns zu verlocken geeignet sind, nahen sich uns so leicht
+nicht, wenn wir selbst vorsichtig davon entfernt bleiben.
+
+»Zum Theil gebe ich das zu, doch nur zum Theil. Immer wird auf dem
+ungestümen Lebensmeere das Glück einen weiten Spielraum behalten.«
+
+Tugend bleibt dennoch auf diesem Meere der sicherste Pilot. Und umfängt
+sie das Glück nicht, so wird sie doch am kräftigsten über das Entbehren
+desselben trösten und beruhigen.
+
+»Ja, diesen Satz muß ich ohne Einschränkung unterschreiben. -- Doch
+Schwester, ein Wort in Vertrauen. Dein Mann klagte über die öfteren
+Besuche, die August Dir gemacht hat. Jetzt wirst Du ihn ohne Zweifel
+verachten. Es geschah auch nur im Anfang Deiner Ehe, wo er noch nicht zum
+Trinker herabgesunken war. Offen -- hatte Dein Mann gerechte Ursache, zu
+fürchten?«
+
+Nein! Nur Wahlverwandtschaft unserer Ideen und Gefühle vereinigte mich mit
+August.
+
+»Es scheint mir -- Du hast ihn einst wirklich geliebt, so gut wie ich Emma,
+Und ihn so wenig richtig beurtheilt, wie ich die Geliebte.«
+
+Wenn ich das einräumte, so könnte ich getrost auch hinzufügen: daß ich
+diese Liebe doch nie über meine Vernunft und Pflicht Herrin werden ließ.
+
+»Hätte sie es aber -- durch Zeit und nähere Gelegenheit als im Vaterhause
+-- nicht werden können?«
+
+Ich -- glaube nicht.
+
+»Du liebtest Deinen Mann nicht, und empfandest doch ein mächtiges Bedürfniß
+zu lieben.«
+
+Eins will ich Dir gestehn. Als August sich nicht mehr bei mir einfand,
+schmerzte es mich tief; späterhin war es mir aber äußerst lieb, daß ihn
+mein Mann entfernt hatte.
+
+»Deine Tugend, gute Wilhelmine, hatte folglich -- Glück. O nicht allein
+andere Menschen bleiben uns Räthsel, auch das eigne Herz bleibt es. Laß uns
+aber nicht zu weit ins Feld der Moralphilosophie dringen. Erzähle mir von
+Charlotten das Nähere.«
+
+Eigentlich -- möcht' ich es doch nicht blinde Liebe nennen, was Herrn von
+Soldin an sie zog. Im Punkte der Schönheit empfand er einmal nicht wie
+Andere. Charlottens runde, derbe Formen -- mochten anders Urtheilende sie
+auch plump nennen -- hatten Reitz für ihn.
+
+»Ha ha ha! Er hatte den Geschmack der Algierer, welche ihre Mädchen zu
+mästen pflegen. Auf das Gesicht kömmt es nicht an; Schönheit wird durch die
+Fettigkeit bestimmt.«
+
+Soldin suchte eine wirthliche, anspruchlose, einfache Hausfrau; und weil
+er sie fand -- ließ, nach seinem Sinn, die Wahl sich auch klug nennen. Und
+soll man fremden oder eignem Sinn folgen? Bereuen durfte er seine Wahl auch
+nicht. Sein Vater ist lange todt; beide Eheleute wirthschaften gut; die
+Heimsuchung des Kriegs ist überstanden, und Soldin noch immer ein Mann von
+hunderttausend Thalern.
+
+»So finde ich wenigstens Einen der Jugendfreunde nicht unglücklich.«
+
+Charlotten muß ich nachrühmen, daß sie weder stolz, noch fremd gegen uns
+geworden ist. Sie schickt mir manches in Küche und Keller, und wenn die
+Noth hier zuweilen hoch stieg, suchte ich bei ihr auch anderweitige Hülfe
+nicht vergebens, ob sie gleich, wie ich, fünf Kinder hat.
+
+»Brav! ... Fortan sollst Du mit ähnlichen Bitten ihr nicht lästig
+werden.« --
+
+Ich that nun alles, was ich mir vorgenommen hatte, und fühlte mich im
+Kreise der geliebten Schwester und ihrer Kinder, die ich bald, als wären
+sie die meinigen, liebte, so glücklich als man es, über vierzig Jahre
+hinaus, und -- in diesem Leben, seyn kann. Die erlittene Sklaverei in
+Sibirien ließ mich das Glück der Freiheit um so höher achten und genießen.
+
+Auch Wilhelminens Ehe gewann nun, nach dem Verschwinden der Nahrungssorgen,
+mehr Eintracht, und meine Gegenwart nöthigte ihren Mann zu einem sanfteren
+Betragen. Auch Menschen von tadelhaftem Charakter bessern sich nach
+Umständen.
+
+Möchten junge Leser durch meine Erzählung sich bewogen fühlen, _zeitig_
+über die Veränderungen nachzudenken, welche die Zeit hervorbringt! Möchten
+sie, was ihnen das Glück gab, fest halten, da es launenhaft ist! Möchten
+sie ihre Ansprüche nicht übertreiben, da diese oft betriegen! Möchten sie
+im Schönheits-, im Talentgefühl, weniger Aufmunterungen zum Hoffen, als
+Warnungen vor Mißbrauch sehn! Und endlich, möchten sie an Wilhelminens Satz
+glauben: »Tugend ist der beßte Pilot auf dem Lebensmeer, und erhebt über
+ein feindliches Schicksal.«
+
+
+
+
+Der lustige Todesfall.
+
+Eine komische Erzählung.
+
+
+
+
+Der lustige Todesfall.
+
+
+Herr Lund, ein Kaufmann, der -- nach Börsentaxe -- hunderttausend Thaler,
+und wohl noch einige Tausend darüber, werth seyn mochte, starb, zur größten
+Verwunderung seiner Frau. Denn oft hatte sie gesagt: Mein Mann stirbt gewiß
+nicht; er ist ja einer von den reichsten Leuten in der Stadt, und so klug
+obenein! Er wird schon wissen, wie man es zu machen hat, daß man nicht zu
+sterben braucht. Sagten ihr Bekannte dagegen: der Tod sei so unhöflich,
+nicht Reichthum, nicht Klugheit zu achten; dann bemerkte Jene -- doch in
+Vertrauen --: so stürbe ihr Mann gewiß nicht _vor_ ihr, sondern werde sie
+überleben: sie habe kein Glück; was sie wünsche, treffe nie ein, das wisse
+sie schon.
+
+Demungeachtet rief Jenen der Tod ab, und noch früher, als seine bis
+dahin ziemlich feste Gesundheit es hätte erwarten lassen. Eine plötzliche
+Erkältung zog ihm einen Schlagfluß zu, der in wenigen Stunden eine Ladung
+für Charons Nachen aus ihm machte.
+
+Die Wittwe schlug ihre Hände zusammen. Da sieht man's, rief sie nun:
+unverhofft kömmt doch oft!
+
+Ist er auch gewiß todt? fragte sie den noch beschäftigten Arzt. Kann ich
+mich darauf verlassen? -- Der Arzt gab ihr die heiligsten Betheurungen, und
+bekam einen reichen Ehrensold für die vergebens angewandte Mühe.
+
+Die Wittwe vergaß auch dem Manne nicht, was er zuletzt für sie gethan
+hatte. Sie ordnete nicht nur eine stattliche Beerdigungsprozession an,
+sondern bewies ihm auch ihre Dankbarkeit noch durch einen marmornen
+Grabstein mit Urne und Todesengel. Unter den Lügen, welche die Inschrift
+enthielt, war die gröbste: daß Lunds _betrübte_ Wittwe ihm dieses Denkmahl
+errichtet habe.
+
+Prüfte man die Sache genau, so ließ es sich der Nachgebliebnen eben nicht
+verübeln, wenn sie über den Todesfall ihre Haare nicht ausraufte. Sie hatte
+über den Verstorbnen immer die -- auch nicht ungerechte -- Klage geführt,
+daß er ihr zu wenig Vergnügen mache. Wenn Alles im Hause bereits zur Ruhe
+gegangen war, saß er noch an den Büchern, und rechnete dem Buchhalter
+nach. Morgens stand er am frühsten auf, weckte seine Leute, sah in die
+Niederlagen, und schmälte arg, wenn er irgend etwas nicht so fand, wie
+er es finden wollte. Abends und Morgens bekümmerte sich Lund folglich gar
+nicht um seine Gattin, den Tag über hingegen desto mehr. Früh bekam sie
+Weisungen, die Köchin zu mehr Sparsamkeit anzuhalten, und darüber zu
+wachen, daß sie keine Provision am Markt-Einkauf nähme. Mittags gab es
+gewöhnlich Verweise, daß das Essen zu gut sei, was für die schlechten
+Zeiten nicht passe. Nachmittags empfahl er seiner Ehehälfte, als eine
+gesunde Motion, die Mörserkeule zu regen, und gegen Abend ward sie ersucht,
+den Ladendienern Corinthen, Mandeln, Reiß und andere Material-Waaren, von
+Unsauberkeiten reinigen zu helfen. Von Schauspiel, Gastereien, und was
+dahin gehört, war die Rede nie. Aeußerte Frau Lund bisweilen einen Wunsch
+nach Zerstreuung, dann hieß es: der sonntägliche Kirchengang zerstreue
+genug. Bei schöner Frühlings- und Sommerwitterung, nach vorsichtigem
+Aussehn, ob nicht etwa Regen die Kleidungsstücke mit Nachtheil bedrohe,
+ging Lund auch wohl mit Frau und Tochter am Sonntage vor's Thor. Da man
+sich dort in das weiche Gras setzte, und in die Anmuth der Gegend sah,
+würde es immer seine Idyllenwirkung nicht ganz verfehlt haben, wenn der
+Hausvater, von Landluft umweht, die Stadt vergessen hätte. So aber pflegte
+er diese Gelegenheiten zu nützen, seinen Frauenzimmern _ausführliche_
+Strafpredigten zu halten, weil die Geschäfte zu Hause ihm nur kurze
+vergönnten. Er bewies dann seiner Frau: daß sie bei weitem nicht mit so
+geringem Wirthschaftsgelde auszukommen verstehe, wie seine Mutter
+vor dreißig Jahren, und daß sie eine dumme Gans sei, die sich von den
+Köchinnen, so lange er sie zur Frau habe, Tag für Tag betriegen lasse. Er
+hatte nicht völlig unrecht; denn was man _Geist_ nennt, war an Frau Lund
+eben nicht zu erschaun: sie ließ es bei der _Seele_ bewenden. Wo hätte
+sie aber auch Geist hernehmen sollen? Ihr Vater hatte sich zwar einst mit
+Köpfen vielfach beschäftigt, doch für den Kopf seiner Tochter um so weniger
+etwas gethan, als er sehr geitzig war. Weiland Haarkräusler, gehörte er
+zu den kunstsinnigsten seiner Kunstgenossen, hatte deshalb auch die meiste
+Beschäftigung in der Stadt, und frisirte keine Braut unter einem Thaler.
+Vor zwanzig Jahren wollte Lund sich besetzen. Als Ladendiener hatte er nur
+hundert Thaler zusammensparen können; nun meinte er: wenn er eine Frau mit
+etlichen Tausenden nähme, und jene Hundert dazu fügte, so würde sich schon
+eine solide Materialhandlung gründen lassen. Er klopfte da und dort an, wo
+sich Tausende vermuthen ließen; doch nirgend wurde ihm aufgethan. Das
+hatte seine Gründe. Wer Tausende besaß, wollte ihnen auch etwas Namhaftes
+begegnen sehn; auch war Lund nicht eine schöne, sondern vielmehr eine
+häßliche Mannsperson, und hatte ein nicht _für_, sondern _gegen_ ihn
+einnehmendes Betragen. Nun spekulirte er endlich auf die Tochter des
+Haarkräuslers. Sie war das einzige Kind; der Vater lief mehr als den halben
+Tag in seinem gepuderten Rock umher; Präsidenten und Geheime Räthe, Damen
+vom ersten Rang, gehörten zu dem weiten Kreis seiner Praxis. Auch ging die
+Sage, daß es ihm gelungen wäre, zwei tausend Thaler zu sparen, die er in
+sichern Handlungen auf gute Zinsen untergebracht habe.
+
+Lund pochte also auch hier an. Auf Schönheit und Betragen wurde eben nicht
+gesehen, weil es bei der Friseurstochter um Beides auch nicht sonderlich
+stand. -- Einen Kaufmann zum Schwiegersohn zu haben -- schmeichelte der
+Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig; und auf sorgsame Erkundigung bei
+des jungen Mannes vorigem Principal, erfuhr er: Lund verstehe sich auf die
+italiänische doppelte Buchhaltung und die Waarenkunde ganz löblich, sei
+aber auch einem so schmutzigen Geitz ergeben, daß er nicht einmal ein Paar
+reputirliche Beinkleider habe.
+
+Nun meinte der Haarkräusler: _dem_ könne man schon eine Tochter anvertraun;
+habe er jetzt wenig, so werde er einst viel haben. Er gab daher sein _Ja_,
+sperrte sich aber im Punkte der Ausstattung ganz ungemein. So lange ich
+lebe, sagte er, gebe ich nichts; dafür aber auch Alles, was ich habe, wenn
+ich todt bin. Oh gehorsamer Diener, entgegnete Lund; da werde ich mich wohl
+hüten, die Jungfer Tochter zu lieben.
+
+Endlich verstand der Brautvater sich doch dazu, zwei hundert Thaler, die
+Kleider und Leibwäsche seiner verstorbenen Frau, sammt einigem Zinn und
+Messing, herauszurücken. Lund hatte auf mehr gerechnet; weil der Friseur
+indeß bleich und hager aussah, zuweilen auch hustete, ließ Jener sich
+die Mitgabe doch gefallen. Denn als ein guter Rechner mußte er theils den
+Husten ins Gewinn-Conto stellen, theils den Umstand ins Verlust-Conto:
+daß er, wenn es hier nichts würde, vermuthlich in der ganzen Stadt kein
+Mädchen, das nur hundert Thaler werth sei, bekommen würde. Ein
+kupferner Kessel hätte doch beinahe Alles zerschlagen. Diesen wollte der
+Schwiegersohn noch haben, und der Schwiegervater nicht geben. Den Kessel,
+sagte Lund, und ich liebe; wo nicht, so lieb' ich nicht. Erst antwortete
+man ihm zwar: So lassen Sie es bleiben! rief ihn aber doch von der Treppe
+noch wieder zurück.
+
+Mit drei hundert Thalern fing nun Lund seine Material- und Spezereihandlung
+an. Einiger Credit that freilich zu Anfang dabei Noth; er wurde indeß bald
+ansehnlich, als die Börse nicht mehr zweifelte: Lund strahle unter allen
+Filzen hiesigen Ortes wie ein Stern erster Größe hervor.
+
+Er füllte nach und nach seine Niederlagen mehr, und breitete seine
+Geschäfte nach kleinen Städten aus, wo er die untergeordneten Krämer mit
+Waaren versah. Bald discontirte er auch Wechsel, und handelte mit Papieren;
+doch Alles mit einer so behutsamen Vorsicht, mit einem so richtigen Takt,
+daß es zu den seltensten Erscheinungen gehörte, wenn es sich zeigte, daß
+Lund einmal einen Fehlgriff gethan hatte. Nach funfzehn Jahren war es dahin
+gekommen, daß Papiere, welche Lund kaufte, sogleich ein Procent stiegen,
+und die Gattung hingegen, welche er ausbot, um etliche Procent fiel. Er
+merkte sich das, und führte bisweilen die ganze Börse an. Einmal besonders,
+in den Kriegszeiten, schrieen die Juden Weh über ihn. So eben war
+eine Schlacht gewonnen, die auf den künftigen Preis der Papiere einen
+entschieden vortheilhaften Einfluß erwarten ließ. Lund hatte Mittel
+gefunden, von dem Ereigniß noch zeitiger unterrichtet zu seyn, als die
+Juden. Er wußte, daß sie einen Agenten im Hauptquartier hielten, der ihnen
+den Ausgang der nahe bevorstehenden Schlacht sogleich durch eine Estafette
+melden sollte. Aber auch Lund hatte seinen Schwiegervater dorthin gesandt,
+und, um viel zu gewinnen, etwas daran gewagt. Der Friseur mußte als Courier
+herbeifliegen, und obenein auf den Postämtern etliche Schaffner bestechen,
+daß sie die Juden-Depesche mit lahmen Pferden expedirten. Nun kam die
+hochwichtige Botschaft um zwölf Stunden früher zu Lunds Ohren, und in
+diese zwölf Stunden fiel gerade eine Börsenmorgenzeit. Er ließ heimlich
+aussprengen: eine Hauptschlacht wäre verloren gegangen. Die Juden stritten
+anfänglich; doch weil ihre Estafette nicht eintraf, so meinten sie: der
+Feind könnte wohl schon die Postenverbindung stören, und fingen an, Lunds
+Nachricht zu glauben. Lund kaufte nicht selbst, bot vielmehr emsig feil,
+was den Papieren, auf die bereits das üble Gerücht wirkte, noch mehr
+schadete. Seine Bevollmächtigten mußten dagegen zusammenkaufen, so viel sie
+nur konnten. Eilig schlugen auch die Juden los, weil sie meinten: wäre
+erst die officielle Nachricht da, dann könnte ein noch tieferes Fallen
+der Papiere nicht ausbleiben. Damal gewann Lund auf Einen Schlag zwanzig
+tausend Thaler; der arme schwindsüchtige Friseur hatte aber von seiner
+übermäßigen Anstrengung den Tod.
+
+Nun glaubte Lund, noch die Erbschaft von dem Schwiegervater zu heben. Schon
+lange sah er schmachtend danach aus; der Wohlselige aber blieb, bei seinem
+mäßigen Leben, trotz seiner Schwindsucht, immerfort, wie er seit zehn
+und mehr Jahren gewesen war. Nur der Couriergalopp hatte die Schwindsucht
+endlich zu einer galoppirenden gemacht.
+
+Dies Mal täuschte sich Lund aber in seinen Erwartungen. Der Wohlselige
+hatte in der That einst etliche Tausend Thaler beisammen; kaum war indeß
+seine Tochter verheirathet, als die Mode seine Kunst in einen solchen
+Verfall brachte, wie einst die Gothen und Vandalen alle Kunst und
+Wissenschaft zu Rom. Schwedenköpfe, Titusköpfe, altdeutsche Köpfe, machten
+den armen Friseuren die Köpfe so warm, daß sie damit gegen die Wände
+hätten laufen mögen. In den ersten Zeiten ging es noch hin; nur junge Leute
+dankten ihre Haarkräusler ab, obschon ältere sie Modenarren hießen. Doch
+als erst im Lauf der Jahre auch Präsidenten und Geheime Räthe Zöpfe und
+Locken abschafften, als erst auch die Weisen Modenarren wurden, und die
+Damen ihr ungepudertes Haar durch Kammermädchen in Flechten aufstecken
+ließen: da war bei den einst hochgeachteten Künstlern ihres Leides kein
+Ende zu sehn. In so fern Lunds Schwiegervater jetzt nicht viel mehr
+verdiente, mußte er sein Kapital angreifen und immer davon zusetzen.
+Ein Unglück gesellte sich zum andern; in Folge des Kriegs hörte das
+Handelshaus, worin er das meiste Vermögen niedergelegt hatte, zu zahlen
+auf. Er sagte dem Eidam nichts von diesem Unglück, damit es seine Tochter
+nicht in Klagen und Vorwürfen empfinden sollte. Des Schwiegervaters
+nunmehrige Muße benutzte der Eidam genug, und vortheilhaft, zum Ausspähen
+und Aussprengen dessen, was seinen spekulativen Absichten frommte. Er
+mußte dabei auch andere, jetzt unbeschäftigte, Kunstgenossen in Thätigkeit
+setzen, aber sie für ihre Mühe oft aus seiner eignen Tasche bezahlen.
+Denn Lund versprach wohl ansehnliche Vergütungen; was er gab, war hingegen
+unansehnlich genug: freilich nicht in Lunds Augen; denn _ihm_ galten schon
+etliche Groschen für etwas Ansehnliches. Noch ein schwerer Unfall traf den
+Verstorbenen. Wollte Lund durch fremde Hand kaufen lassen, so wurden des
+Schwiegervaters Freunde bevollmächtigt; er selbst mußte aber in der Nähe
+Acht haben, daß nicht Einer mit dem anvertrauten Gelde entwischte. Selbst
+ein Polizeibeamter, des Alten Vetter, mußte, schnellen Ergreifens
+wegen, bei der Hand seyn. Nichts destoweniger ging einmal ein Freund mit
+fünfhundert Thalern davon. Zu leichtfüßig spottete er alles Nacheilens,
+entkam aus der Stadt, und auch über die Landesgränze. Den Verlust hatte
+nun der Schwiegervater zu decken, und es kam mit ihm so weit, daß er, trotz
+seinem ehemaligen Vermögen und Geitz, doch wenig mehr als Puderbeutel,
+Brenneisen und Kämme nachließ, die, weniger Nachfrage halben, nicht einmal
+die Trödler kaufen wollten. Die übrige fahrende Habe reichte auch zu den
+Begräbnißkosten nicht hin, wie spärlich auch Lund dabei zu verfahren gebot.
+Er suchte für den Leichnam das Armenrecht in einem Gratissarg und Zubehör
+nach; die Obrigkeit wollte sich aber nicht zur Liberalität bei einem Todten
+verstehn, der einen reichen Schwiegersohn hinterließ. So mußte schon Lund
+zutreten; und wie er auch allen eitlen Aufwand vermied, so kostete es ihm
+doch um so mehr Aerger, als die an seines Schwiegervaters Ableben geknüpfte
+Hoffnung gänzlich zerrissen war.
+
+Bei jenen sonntäglichen Spaziergängen im Freien blieb auch seine Gattin nie
+mit Vorwürfen über die eben erzählten Umstände verschont. »Anstatt, daß
+ich hoffte,« sagte Lund, »von Deinem Vater zu erben, mußte ich ihn noch
+begraben lassen. Was habe ich nun von Dir gehabt, mein Kind? Zwei hundert
+Thaler! Denn Kleider, Wäsche, Zinn, Messing und den kupfernen Kessel kann
+ich doch nicht mitrechnen; _Du_ trägst sie, oder brauchst sie in der Küche.
+Zwei hundert Thaler sind immer nicht zu verachten, das weiß ich wohl; aber
+ich kann doch auch nicht einmal behaupten, daß sie mir zu Gute gekommen
+sind. Denn in den langen Jahren hast Du gewiß zwei hundert Thaler in Essen
+und Trinken verbraucht; ja, ich habe noch zulegen müssen; zu geschweigen,
+was die Tochter kostet: eine Last, die Du mir auch aufgebürdet hast.«
+
+Frau Lund erwiederte ihm zwar: Auf meinen zwei hundert Thalern hat doch ein
+ziemlicher Segen geruht, und mein verstorbener Vater brachte Dir auch noch
+manchen Thaler ein. Herr Lund bewies aber: _seine_ Spekulationen, sein
+saurer Fleiß und Schweiß hätten alles gethan. An dem Verlust, den ihr
+Vater einige Mal gelitten hatte, sollte auch Niemand schuld seyn, als die
+Tochter. »Du hättest ihn erinnern sollen,« sagte Herr Lund, »daß er sein
+Geld nicht bei Weber =et compagnie= lassen müsse; man sprach von diesem
+Hause schon lange nicht gut an der Börse. Mir wollte er immer nicht sagen,
+wo sein Geld stände; sonst hätte ich ihm längst ein =aviso= gegeben. Du
+hättest ihn auch vor dem spitzbübischen Friseur warnen können, der mit
+fünfhundert Thalern durchging. Als eine Friseurs-Tochter hättest Du den
+Spitzbuben wohl kennen sollen. Aber Du bist eine dumme Gans, von der ich
+alle mein Lebelang nur Schaden gehabt habe.«
+
+Auch seine Tochter Philippine, die gegen das Ende seines Lebens etwa
+neunzehn Jahre alt war, hatte bei den Spaziergängen ihre Noth. Der erste
+Vorwurf ging immer auf ihr ganzes Daseyn. Hätte ich Dich nicht, sagte er,
+o wie viel könnte ich sparen! Gewöhnlich folgten dann Verweise, daß seine
+Tochter eine Putznärrin sei. Lund pflegte noch hinzuzusetzen: »Und warum
+bist Du eine Putznärrin? Du denkst wohl einem Mann zu gefallen? Und das
+könnte am Ende wohl seyn; denn -- auch ein großer Fehler an Dir! -- ganz
+passabel siehst Du aus. Ah, gehorsamer Diener! Du sollst nicht heirathen,
+kannst ledig bleiben. Wenn ein Bräutigam kommt, so will er auch haben; und
+wo soll man's hernehmen bei den schlechten, nahrungslosen Zeiten, wo aller
+Handel und Wandel stockt!«
+
+Noch mehr Scheltworte mußte Philippine darüber hören, daß sie ein Mädchen
+war. Wärst Du ein Junge, hieß es, so könntest Du schon die Lehrjahre
+überstanden haben, und im Comptoir sitzen. Ich brauchte den Buchhalter
+nicht. Du könntest in ein Paar Jahren Dich nach einer gut bemittelten Frau
+umsehn, die so viel Fonds noch zubrächte, als das Haus Lund schon hat; etwa
+nach zwanzig Jahren änderte sich wohl die Firma, und zeichnete Gottfried
+Lund und Sohn. Und müßt' ich nach dreißig Jahren, oder später, einmal an
+meinen Tod denken, dann hätte ich doch die Aussicht, daß die Firma Lund,
+die an der Börse zu Ehren zu bringen mir so viel Mühe und Schweiß gekostet
+hat, nicht so bald aufhören würde. Da siehst Du, wie vielen Schaden es mir
+thut, daß Du ein Mädchen bist.
+
+Philippinens Mutter vertrat sie denn wohl, und erinnerte den Mann: sie
+doch nicht um etwas zu schelten, wofür sie nicht könne, ihr auch nicht
+vorzuwerfen, daß sie eine Putznärrin wäre, da dies ja völlig ungerecht sei.
+Nicht lange vor seinem Tode entstand hierüber ein heftiger Wortwechsel. Wie
+kann sie eine Putznärrin seyn! sagte die Mutter; sie hat ja keinen Putz!
+
+»Nennst Du das keinen Putz, was sie da trägt?«
+
+Nein! Ein Hauskleidchen von wohlfeilem Kattun.
+
+»Oho! ich soll wohl gar theuren kaufen! Und wenn das kein Putz ist, so
+möchte sie doch gern welchen haben. Ich seh' ihr ins Herz.«
+
+Mein Himmel, wär es denn auch gerade eine Sünde? Alle junge Mädchen putzen
+sich gern.
+
+»Braucht sie denn gerade jung zu thun? Kann sie sich nicht alt und ehrbar
+betragen? Ich habe so oft gesagt, die Kleider, welche Du ablegst, sollen
+ihr zurecht gemacht werden. Bring' ichs wohl dahin?«
+
+Wie kann ich denn Kleider ablegen? Ich habe selbst nur noch zwei, die
+so dünne sind, wie Spinnewebe, weil meine selige Mutter sie schon halb
+abgetragen hat.
+
+»Daß Du ein Reißteufel bist mit Deinen Kleidern, weiß ich schon lange, und
+Philippine tritt in Deine Fußstapfen. Erst vor drei Jahren habe ich ihr
+das neue Kleid anschaffen müssen; das alte, hieß es, wäre nicht mehr zu
+brauchen, und kam auf den Trödel.«
+
+Philippinchen hatte es so geschont, daß es der Trödler noch recht gut
+bezahlte. Aber es war ihr zu kurz geworden.
+
+»Warum hatte es der Schneider nicht eingelegt? Uebrigens auch einer von
+ihren Fehlern, daß sie so wächst. Sie braucht nicht allein so oft neue
+Sachen, sondern immer mehr Zeug dazu.«
+
+Du magst sagen, was Du willst, mein Kind: sie muß doch wieder ein Kleid
+haben.
+
+»Was? Schon wieder? Erst vor drei Jahren ...«
+
+Da war sie noch nicht sechzehn Jahre; seitdem ist sie erst recht
+aufgeschossen. Eingelegt war das Kleid; es ist schon einige Mal
+nachgelassen, nun geht es aber nicht mehr. Pinchen laß einmal das
+Blumenpflücken, und steh auf ... Da siehst Du? Kaum sind noch die Waden
+bedeckt.
+
+»Nun, ich sehe noch gar nicht, daß es so sehr zu kurz ist. Aber doch
+unverantwortlich, wie das Mädchen wächst. Daran bist Du wieder Schuld,
+sonst Niemand. Das kommt von dem Ueberfüttern.«
+
+In einem Vierteljahr werden vielleicht die Kniee zu sehen seyn. Bedenke
+doch, was der Wohlstand fordert!
+
+»Wohlstand, Wohlstand! Eben das Mädchen macht, daß ich nimmermehr zu
+einigem Wohlstand komme! ... Aus einem neuen Kleid wird nichts. Sie kann
+Sonntags zu Hause bleiben, und im Predigtbuch lesen.«
+
+Und, mein Kind, daß Du immer sagst, Philippinchen soll nicht heirathen,
+kommt mir auch wunderlich vor. Du wirst so bald nicht sterben. Ach, Gott!
+ich glaube, Du stirbst in Deinem Leben nicht. --
+
+»Ha ha ha! In meinem Leben freilich nicht, aber in meinem Tode. Du bist und
+bleibst doch eine dumme Gans! Wenn's aber noch lange damit ansteht, soll es
+mir lieb seyn.«
+
+O, es wird noch lange genug damit anstehn; Du bist ja gesund, wie ein Fisch
+im Wasser.
+
+»Das thut meine Mäßigkeit in allen Dingen.«
+
+Wirklich, Du bist allzu mäßig, könntest Dir hier und da wohl manches zu
+Gute thun, was nicht einmal Kosten verursachte. Aber weil Du selbst doch
+sagst, daß Du einmal, trotz all' Deinem Verstand und Gelde, wirst sterben
+müssen -- gerade darum sollte Philippine heirathen. Denn wer soll in der
+Folge erben, was wir haben?
+
+»Sag nur nicht: was _wir_ haben. Das Vermögen gehört mir. Hast Du mir
+zweihundert Thaler eingebracht, so hast Du mir wohl dreihundert gekostet.«
+
+Nun gut, _Dein_ Vermögen. Soll es denn in fremde Hände kommen? Ist denn
+Dein eignes Fleisch und Blut Dir nicht lieber, als weitläuftige Vettern und
+Muhmen?
+
+»Ei, daran werde ich denken, wenn ich dermaleinst dem Tode nahe bin.«
+
+Aber, Du meinst ja, erst in dreißig Jahren würde es dahin kommen. Dann wäre
+Philippinchen beinahe funfzig Jahre, und das Heirathen könnte auch nicht
+mehr helfen.
+
+»Im Grunde ist es unartig, Frau, daß Du so oft von meinem Tode sprichst.
+Das hört Niemand gern, und ich habe doch erst fünf und vierzig Jahre auf
+dem Nacken. Daß Du es übrigens lieber sehn würdest, wenn ich heute stürbe,
+als morgen, weiß ich sehr gut.«
+
+Das wohl nicht. Aber Du würdest Dich freun, wenn Du mich begraben lassen
+könntest; dann kostete ich Dir nichts mehr.
+
+»Ich werde mich aber hüten, daß ich Deinen Wunsch erfülle.«
+
+So viel an mir liegt, ich auch. Du kannst aber ruhig seyn; ich werde Dich
+nicht überleben, habe nun einmal kein Glück in der Welt.
+
+»Kein Glück? Sei nicht undankbar gegen den Himmel! Dein Vater lief mit dem
+Puderquast umher; und Du hast einen Mann, der nur Gottfried Lund zeichnen
+darf, so gilt es an der Börse wie baares Geld.«
+
+Was hab' ich von dem Mann, was hab' ich von dem Geld? Doch laß uns nicht
+von solchen verdrießlichen Dingen sprechen. Lieber wollen wir nachgerade an
+Philippinchens Heirath denken.
+
+»Da kömmst Du schon wieder mit Deinem _wir_! _Ich_ bin Mann, und werde
+sagen, wie ich's haben will; ihr müßt Order pariren. Bei dem Allen --
+wenn sich Einer fände, ein solider Mann bei Jahren, der keine Ausstattung
+verlangte, keinen Heller -- wer weiß, was ich thäte! So brauchte ich das
+Mädchen doch nicht länger zu ernähren.«
+
+Nach dieser Unterredung schien unsern Lund denn doch bisweilen ein Gedanke
+an die Verheirathung seiner Tochter zu beschäftigen. Er sagte einige Mal:
+»Ich hätte wohl einen Bräutigam für Philippinen; nur wird sie ihm zu hübsch
+seyn. Ich kenne ihn; das hat er nicht gern.« Wenn seine Gattin nun fragte,
+wer es sei, und ob sie den Auserwählten kenne; dann gab er zur Antwort:
+»Noch ist es nicht so weit; erst muß seine Frau sterben. Da sie aber an
+einem sogenannten Scirrhus leidet, so kann es damit höchstens noch ein Paar
+Jahre währen.«
+
+Es währte aber nur ein Paar Monate, und Herr Kauser (so hieß der von
+unserm Lund zum Schwiegersohn Erwählte), ebenfalls ein wohl renommirter
+Handelsmann in Material- und Spezerei-Waaren, sah sich in den Wittwerstand
+versetzt. Er galt an der Börse für gut, und daneben für Lunds Pylades oder
+Jonathan, indem Beide völlig gleichen Sinnes waren. Er mochte etwa funfzig
+Jahr alt seyn; aber für jedes konnte er auch wenigstens tausend Thaler auf
+den Tisch zählen, und war folglich ein nicht zu verachtender Liebhaber, was
+den einen Punkt betraf. Sollte in anderen Punkten auch etwas zu erinnern
+seyn, meinte Herr Lund, so müsse man über den Hauptpunkt die Nebenpunkte
+vergessen. Noch vor dem Ableben der Frau Kauser, hatte Lund den nunmehrigen
+Wittwer befragt: ob nach demselben Philippine wohl auf seine Hand rechnen
+dürfe, vorausgesetzt, daß sie nur eine leere Hand bringe, und alle Mitgabe
+à Conto gestellt sei, bis nach des Vaters Tode. Herr Kauser nahm die Sache
+in Bedenken, und bedachte heraus: daß es ja vollkommen einerlei wäre, ob
+Lund oder er Philippinens Geld im Handel umwendete; daß Jener damit eben so
+viel verdienen würde, wie er selbst, und auch eben so wenig unnütz verthun.
+Ein so edles Vertrauen zwischen Beiden konnte in der That an Orest und
+Pylades erinnern.
+
+Als die wohlselige Frau Kauser ihrer sanften Ruhestätte entgegen fuhr,
+mußte auch Herr Lund sie begleiten, und in der Kutsche des Leidtragenden,
+welche dem Trauerwagen zunächst folgte, seinen Ehrenplatz nehmen. Er hatte
+eine schwarze Kleidung dazu entlehnt, und zuvor seiner Ehehälfte gesagt:
+Philippine möchte sich bereit halten, ihren Bräutigam hernach zu empfangen:
+denn um nicht viele Zeit an den Geschäften zu verlieren, würde er mit
+demselben gleich hieher kommen. Auf diese Art könnten zwei Förmlichkeiten
+zugleich abgethan werden.
+
+Frau Lund hatte doch so viele Begriffe von Anstand, daß sie erinnerte:
+es würde an diesem Tage sich wenig ziemen, und solche Eil besonders dem
+Bräutigam übel gedeutet werden.
+
+Herr Lund erwiederte: Solide Geschäftsleute schöben nicht auf, was sie
+einmal thun wollten, und fragten nach dem Urtheil der Welt gar nicht.
+Uebrigens sollte es eben keine Verlobung vor Notar und Zeugen seyn, wovon
+er selbst einräume, daß sie für den Begräbnißtag nicht recht passend seyn
+würde; sondern bloß ein vorläufiges Versprechen, im Kreis der nächsten
+Verwandten. Es wäre zugleich eine Gelegenheit, daß Braut und Bräutigam
+einander kennen lernten.
+
+Frau Lund fragte: welches Kleid nun Philippine anziehen sollte. Wie sie
+bei dem Spaziergang vor etlichen Monaten vorausgesagt habe, sei durch
+Philippinens abermaliges Wachsthum das einzige Sonntagskleid nun so kurz
+geworden, daß wenigstens die Strumpfbänder zum Vorschein kämen. So könne
+Philippine sich doch einem Bräutigam nicht zeigen!
+
+Herr Lund stampfte mit beiden Füßen. Meinen Sürtout, rief er, den ich im
+Comptoir zu tragen pflege, habe ich nun zwölf Jahre. Warum kann Philippine
+nicht auch ein Kleid zwölf Jahre tragen? Ein Kleid, das sie obenein nur
+Sonntags anzieht! Eigentlich müßte es siebenmal so lange halten, als mein
+Sürtout, =ergo= vier und achtzig Jahre!
+
+Die Mutter wandte ihm ganz vernünftig ein: daß er in den verflossenen zwölf
+Jahren, die er den Sürtout besitze, auch nicht mehr gewachsen sei. Zugleich
+äußerte sie den Wunsch: aus einem Kleiderladen einen fertigen Anzug gekauft
+zu sehn, der sich für eine Brautbesichtigung zieme.
+
+Possen! rief Herr Lund; sie mag in dem alltäglichen Hausanzug von Damis
+erscheinen.
+
+Es ist ja nicht einmal Damis, sagte Jene; nur gefärbte schlechte Leinwand.
+Und auch schon alt, geflickt, unten ein breiter Saum angenäht, dessen Farbe
+absticht.
+
+»Thut nichts! Da sieht Freund Kauser, daß man hier nicht überflüßige
+Haushaltungskosten ins Cassa-Buch notirt, obwohl er sich das ohnehin
+vorstellen kann. Und Philippine -- auch einer von ihren Fehlern, daß sie
+nur allzu hübsch ist -- _soll_ ihm nicht gut ins Auge fallen. Er möchte
+sonst zurückziehn; es kömmt ihm auf das Netto bei einer Frau an, nicht aufs
+Brutto, und die Schönheit ist immer ein Brutto, wovon der Mann nur unnütze
+Last hat. Er muß sorgen, wachen, daß nicht Andere zu der Waare Lust
+bekommen, und je mehr eine Frau weiß, daß sie passabel aussieht, je ärger
+quält sie den Mann noch um hübsche Emballage. Ich habe oft gesagt, daß ich
+etwas darum gäbe, wenn Philippine häßlich wäre. Als Heirathsartikel ist es
+doch immer einerlei; der Mann gewöhnt sich an eine häßliche Frau, wie
+an eine hübsche; nach Jahr und Tag weiß er nicht mehr, wie seine Frau
+aussieht. Doch er kann bei den Geschäften ruhiger seyn, und braucht nicht
+an der Börse zu denken: jetzt ist ein Hausfreund bei meiner Frau; wenn er
+so klug gewesen ist, sich eine zu nehmen, die nicht hübsch ist.«
+
+Dabei hatte es sein Bewenden. Philippine erfuhr mit geheimen Grauen ihre
+Bestimmung. Nie hatte sie Herrn Kauser gesehn; aber es fehlte ihr nicht an
+natürlichem Verstande, um =a priori= zu schließen: der Vater würde ihr wohl
+eben nicht einen liebenswürdigen Mann aussuchen.
+
+Die Leser könnten mit Recht fragen: woher Philippine doch einen Begriff
+von Liebenswürdigkeit genommen habe? In der That war sie einst gar schlecht
+unterrichtet worden, kam nur bei den schon erwähnten Gelegenheiten aus, und
+sah weiter Niemanden, als die Hausgenossen. Denn hatte Jemand in Geschäften
+mit Lund zu reden, so mußten die Frauenzimmer sich entfernen, wenn sie
+nicht ohnehin häusliche Verrichtungen hatten.
+
+Bei dem Allen war Philippine nicht ganz ungebildet. Erstlich hatte sie
+einen lebhafteren natürlichen Verstand, als ihre Mutter. Zweitens ereignete
+sich aber auch ein Umstand, wodurch einige Entwickelung dieser Anlage
+entstehen konnte, und wirklich entstand.
+
+Vor Jahr und Tag hatten sich Lunds Geschäfte dergestalt erweitert, daß er,
+neben den gewöhnlichen Ladendienern, eines Buchhalters bedurfte. Er hatte
+zeither die Verrichtungen desselben theils allein besorgt, theils den
+ältesten seiner Ladendiener dazu gebraucht. Dieser ging nun von ihm ab;
+von den übrigen hatte keiner die nöthigen Kenntnisse, und überdem war, wie
+schon gesagt, der Kreis, in welchem man sich tummelte, bei weitem größer
+geworden.
+
+Als Lund damal einen Buchhalter suchte, war es nicht leicht, einen
+nach seinem Wunsch zu finden. Junge Handelsbeflissene von Erziehung und
+mannichfachen Kenntnissen pflegten ein gutes Gehalt, gute Beköstigung,
+und eine anderweitige gute Behandlung zu wollen. Lund verlangte nun mehr
+Kenntnisse, als er selbst hatte: der Buchhalter sollte in französischer,
+englischer und italiänischer Sprache Correspondenz führen, was Lund nicht
+verstand, was aber geschehen mußte, in so fern er die zeither nur auf
+Deutschland beschränkten Geschäfte über dessen Gränzen hin ausbreiten
+wollte. Disconto und Handel mit Papiergeld waren nicht mehr so lebhaft
+wie sonst; Lund hatte namhafte Summen liegen, und mußte sehn, wie er den
+größtmöglichen Ertrag davon zöge. Trieb er indeß auch manchen Großhandel,
+so lebte er doch immer noch auf dem Fuß eines Kleinkrämers; ja, selbst bei
+dem kleinsten unter den Kleinkrämern würde man wohl kaum eine so armselige
+Lebensweise gefunden haben. Unter diesen Umständen wollte er zwar bei
+seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse, aber ihn nur schlecht besolden
+und schlecht beköstigen. Auch sollte der Buchhalter sich -- mitunter
+wenigstens -- gefallen lassen, daß er schlecht behandelt würde; denn in
+dem, was man behandeln nennt, ging Lund mit seinen Ladendienern gar
+wenig zart um: sie mußten Rippenstöße und andere handgreifliche Weisungen
+hinnehmen, und wurden nicht allein in der dritten Person angeredet, sondern
+häufig auch in den Vocativen der Substantive Esel, Schlingel, Lümmel
+u. s. w. Dies hatte freilich die Folge, daß keiner so leicht ein halbes
+Jahr bei ihm aushielt.
+
+Als er sich jetzt an der Börse in seiner Absicht umthat, und die Mäkler um
+junge Handelsbeflissene mit vorzüglichen Kenntnissen befragte, gab es deren
+wohl, die ein Unterkommen suchten, doch nicht Einen, der es bei Lund finden
+wollte. Wurde ihnen nur der Name genannt, so hörten sie auch schon auf,
+von der Sache zu sprechen, und die Mäkler waren also nicht im Stande,
+Herrn Lund ein taugliches Subjekt nachzuweisen. Einige Monate blieb dessen
+Absicht unerfüllt; dann meldete sich aber ein hübscher junger Mensch von
+selbst bei Herrn Lund, mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle eines
+Buchhalters bekommen könne.
+
+Lund maß ihn vom Wirbel bis zu den Sohlen. Letztere waren etwas schadhaft,
+und dort die Haare ohne alle Zierlichkeit geordnet. Ein abgetragner
+Ueberrock von schlechtem Tuch kam hinzu. Dies Alles konnte dem Prüfenden
+schon gefallen. Der junge Mensch hielt, dem Ansehen nach, nicht auf windige
+Eleganz, und trug seine Kleidungsstücke so lange als möglich. Also konnte
+er sich auch mit wenigem Gehalt begnügen.
+
+Herrisch fragte ihn Lund: ob er Zeugnisse aufzuweisen habe. Jener nahm
+deren mehrere aus einem wurmstichigen Taschenbuch. Sie waren von namhaften
+Häusern in Hamburg, Wien und Leipzig ausgestellt, wo der Jüngling
+conditionirt hatte, und klangen sehr löblich.
+
+Lund hielt sie gegen das Fensterlicht, um zu sehen, ob auch nichts darin
+radirt und beliebig geändert sei. Dann fragte er barsch: »Aber warum blieb
+man nicht länger an einem Orte, und zieht umher, wie die Zigeuner?«
+
+Bescheiden wurde ihm geantwortet: Um an verschiedenen Orten meine
+Kenntnisse zu erweitern.
+
+Nun mußte der junge Mann zur Probe einige verwickelte Handelsrechnungen
+machen, oder lösen. Hierauf verstand sich Herr Lund; und er sah nun, daß
+es schnell, richtig, und mit einer saubern Handschrift vollzogen ward.
+Gleichwohl tadelte er Einiges daran.
+
+Nun führte er den jungen Mann in seine Speicher und Niederlagen. Dort mußte
+er die Waaren nennen, ihre Güte beurtheilen, und ihre Preise abschätzen.
+Auch hier bestand er wenigstens ziemlich.
+
+Lund schüttelte aber dennoch den Kopf, ging wieder mit ihm ins Comptoir,
+und verlangte Geschäftsbriefe in mehreren Sprachen, nach einem durch ihn
+bestimmten Inhalt.
+
+Sie waren bald vollendet, und hatten ein zierliches Ansehn. Selbst konnte
+Lund sie nicht beurtheilen, und beschied deshalb Jenen auf den folgenden
+Tag wieder zu sich.
+
+Unterdessen zeigte er die Briefe einigen Kaufleuten und Mäklern, die fremde
+Sprachen verstanden, und hörte, daß nichts daran zu tadeln sei.
+
+Ketter -- so hieß der junge Mann -- fand sich um die bestimmte Zeit wieder
+ein.
+
+Ganz bin ich zwar nicht zufrieden, sagte Lund; indeß -- ich will's
+versuchen. Was verlangt man an Gehalt?
+
+Zu seiner Befremdung ward nur eine höchst mäßige Summe vorgeschlagen. Lund
+bot demungeachtet nur die Hälfte. Der junge Mensch zuckte die Schultern,
+berief sich auf die theure Zeit, und den Umstand: daß er eine unvermögende
+Mutter habe, die er unterstützen müsse. Doch, setzte er hinzu, will ich für
+das nächste Vierteljahr einschlagen; auf die Bedingung, daß mir der Herr
+Principal Einiges zulegen, wenn meine Dienste Ihnen genehm sind.
+
+»Das kann vielleicht geschehn, erwiederte Herr Lund; doch muß ich erinnern,
+daß man nur Hausmannskost finden wird.«
+
+Daran bin ich in meiner Jugend gewöhnt worden, und sie ist mir die liebste.
+
+»Auch, daß man nicht zu empfindlich seyn darf. Ich habe ein etwas hitziges
+Naturell, meine es aber gut.«
+
+Ich werde mich stets um die Zufriedenheit des Herrn Principals bemühn; so
+darf ich keinen Unwillen fürchten.
+
+»Auch, daß man nicht auf einerlei Arbeit muß beschränkt seyn wollen. In
+meinem Hause kömmt mancherlei vor; und wer in meinem Lohn und Brot steht,
+muß überall mit angreifen, wo es Noth thut.«
+
+Gern werde ich Ihnen so viele Dienste leisten, als ich nur vermag.
+
+»Auch, daß man ordentlich seyn muß, nicht Abends und Sonntags auslaufen,
+keine junge lustige Bekannten in's Haus ziehn, die Unfug treiben.«
+
+Die Pflicht der Ordnung versteht sich von selbst; übrigens bin ich hier
+fremd, und habe keine Bekannten.
+
+»Noch Eins! Man hat nur eine Kammer; auf eine geheitzte Stube lasse ich
+mich nicht ein.«
+
+Ich bin jung und nicht frostig.
+
+»Am beßten auch, ein junger Mensch wärmt sich das Blut durch Arbeit. Nun --
+wann will man anziehn?«
+
+Noch heute; in diesem Augenblick, wenn Sie es befehlen.
+
+»Gut; so setz' Er sich gleich an den Schreibtisch.«
+
+In dem Augenblick, wo sich Lund in den wirklichen Principal des Buchhalters
+verwandelt hatte, verwandelte er auch das bisherige _man_ in die
+Anrede _Er_. Andere Buchhalter würden ihm die dritte Person mindestens
+zurückgegeben haben; Ketter hingegen war so bescheiden, daß er sich
+gefallen ließ, was Herrn Lund gefiel.
+
+Dieser hatte auch späterhin nicht die mindeste Ursache, Ketters Anstellung
+zu bereun. Er verrichtete die ihm aufgegebenen Geschäfte nicht allein
+pünktlich, sondern brachte auch, durch seinen klugen Rath, dem Brotherrn
+manchen namhaften Vortheil. Er aß und trank so mäßig, wie es ein Harpagon
+nur verlangen konnte; und waren am Abend die Comptoirgeschäfte vollendet,
+hatte er nichts dagegen, wenn Lund ihn anwies, mit seiner Frau und Tochter
+Spezereien zu verlesen, oder Düten zu kleistern. Ungemein selten ging er
+Sonntags aus, und immer kam er schon nach einer Stunde zurück. In allen
+Stücken konnte Lund sowohl auf die strengste Redlichkeit, als auf seinen
+treusten Eifer, den Nutzen der Handlung zu fördern, bauen.
+
+Hatte indeß der Kaufmann, bei so vielem Vortheil, keinesweges Ursache zur
+Reue, so ärgerte er sich dennoch über den Buchhalter; besonders, als das
+erste Vierteljahr zu Ende ging. Lund war so weit entfernt, ihm nun eine
+Gehaltszulage zu bewilligen, daß er vielmehr an einen Abzug dachte. Bei
+den Ladendienern pflegte das immer zu geschehn; sie hatten irgend etwas
+zerbrochen, das ihnen zu einem viel höheren, als dem wirklichen, Preise
+angerechnet wurde, oder es fehlte irgend etwas; genug, Herr Lund verkürzte
+ihnen den Lohn, und nicht selten bekamen sie gar nichts, oder mußten wohl
+noch zugeben. Einen ähnlichen Anlaß konnte nun der Principal bei seinem
+Buchhalter nicht auffinden, wie emsig er auch danach suchte; ja, nicht
+einmal eine Ursache, ihn zu schelten. So konnte er auch, wenn beim Ablauf
+des Vierteljahrs Ketter etwa an die ausbedungene Zulage erinnerte, ihm
+nicht das Mindeste vorwerfen, um die Anschuldigung zu begründen: er sei
+nicht zufrieden genug mit seinen Diensten, um sein Gehalt zu erhöhen.
+Deshalb brach er manche Gelegenheit vom Zaun, den jungen Menschen zu
+schelten. Doch auch hier wurde ihm nur Geduld entgegengesetzt, und als die
+ersten drei Monate verflossen waren, erinnerte ihn Ketter nicht an jene
+Bedingung, sondern ließ das kleine Gehalt auch ferner gelten.
+
+Die Abendstunden, wo Ketter sich mit den Frauenzimmern beschäftigen
+mußte, hatten indeß ihre Nebenwirkungen. Lund pflegte dann oben in eine
+wohlverwahrte Kammer zu gehn, die seine baaren Summen, und solche Papiere
+enthielt, wovon Andere nichts wissen sollten. Stundenlang schloß er sich
+dort ein, zählte, rechnete und schrieb. In seiner Gegenwart sprach Ketter
+von nichts als von Geschäften, und meistens nur, wenn er befragt wurde; an
+die Frauenzimmer richtete er nie ein Wort; es hatte das Ansehn, als wäre
+der junge Mann zu blöde und verlegen dazu.
+
+So verhielt es sich aber in der That nicht; denn sobald Lund sich entfernt
+hatte, erzählte Ketter Jenen Manches von den großen Städten, worin er sich
+aufgehalten hatte, oder knüpfte andere Gespräche an, in welchen er
+sich geistreich genug zeigte. Das unterhielt die so einsam gehaltenen
+Frauenzimmer angenehm; besonders merkte Philippine eifrig auf Ketters
+Reden, und zog manche Belehrung daraus. Ihre Mutter hatte nichts dagegen,
+und sie selbst schöpfte immer mehr Vertrauen zu dem jungen Mann. Er äußerte
+sich nun auch offen über den Umstand, daß Philippine so wenig Unterricht
+bekommen hätte, da, bei ihren vortrefflichen natürlichen Anlagen, ihr doch
+ein mannichfacher zu wünschen sei. Frau Lund sagte: Zu so etwas giebt
+der Alte kein Geld her; ich selbst sehe wohl ein, daß es Schade um
+Philippinchen ist, die hier ganz versauern muß, kann aber nichts dabei
+thun. Nun erbot sich Ketter, in den Abendstunden zuweilen aus einem guten
+Buche vorzulesen. Jene ließ das gern geschehn, hörte selbst mit großem
+Vergnügen zu, und willigte auch ein, daß Philippine solche Bücher mit in
+ihre Schlafkammer nehmen, und sich dort noch daraus belehren konnte. Der
+junge Mann schrieb ihr auch kleine Aufgaben nieder, mit denen sie sich
+einsam beschäftigen sollte. Daß man dies Alles vor Lund geheim halten
+mußte, versteht sich von selbst.
+
+So gelangte Philippine nach und nach zu verschiednen nützlich belehrenden
+Schriften. Ketter gab ihr Wilmsens Kinderfreund, Raffs Naturgeschichte,
+Campens Rath für seine Tochter, einige auserlesene Schauspiele, einige
+Romane von moralischer Tendenz, und mehr, was Geist und Herz bilden konnte.
+Je angenehmer Philippinen die neuen Beschäftigungen wurden; desto mehr Zeit
+wendete sie darauf, so viel sie es vor ihrem Vater konnte. Noch kein Jahr
+war verflossen, und man hätte sagen mögen: mit Philippinen habe sich ein
+halbes Wunder ereignet. Das sonst kalte, stumme, oder einsilbige Mädchen,
+an dem nur bisweilen ein lebhaftes Augenblitzen, oder hie und da eine
+wohl treffende, aber doch übel ausgedrückte Bemerkung ein nicht ganz
+gewöhnliches Geschöpf ahnen ließ, zeigte nun tiefes, warmes Gefühl, helles
+Urtheil, nicht selten gar muntern feinen Witz, und hatte im Gedächtniß
+mannichfache Kenntnisse aufgesammelt. Hatte das -- scheinbare -- Gänschen
+sich dergestalt umgewandelt, so konnte man auch bei der Mutter (die Lund
+eine wirkliche Gans nannte) einige auffallende Entwicklung nicht verkennen.
+Wenigstens hatte sie mehr Umsicht, als ehedem, wußte die Menschen richtiger
+zu beurtheilen, und vertraute den eignen Augen mehr.
+
+Daß Lund von den Veränderungen, die mit Beiden vorgegangen waren, wenig
+merkte, war natürlich. Einmal verbargen sie sich klug vor ihm, und zweitens
+hatte er den Kopf zu voll von Geschäften, als daß er auf die Frauenzimmer
+sorgsam hätte achten mögen. Auch sprach er mit ihnen immer nur vom
+Nöthigen, oder schalt über das Erste Beßte. Ließ man sich dort einmal
+unvorsichtig ein kluges Wort entfallen, so rief er: »Sehe doch Einer! die
+Philippine wird am Ende gar naseweis! Willst Du schweigen?« Oder auch: »Die
+Gans will noch auf ihre alten Tage klug thun.«
+
+Daß Philippine durch Ketters mündliche Unterhaltungen einen starken Impuls
+auf Gemüth und Verstand bekommen hatte, litt übrigens keinen Zweifel. In
+dem letzten Vierteljahre hatte sie oft auch Gelegenheit, ihn allein zu
+sprechen. Es geschah während der sonntäglichen Spaziergänge ihrer Eltern,
+welche sie, bei dem Mangel an einem neuen Kleide, nicht begleiten konnte.
+Indeß war Ketter viel zu rechtlich, Mißbrauch von diesen Annäherungen zu
+machen; er unterrichtete Philippinen nur um desto eifriger über moralische
+und andere nützliche Gegenstände.
+
+Philippine hatte jetzt auch einige Begriffe von männlicher
+Liebenswürdigkeit, und die mochte sie hauptsächlich wohl in dem letzten
+Vierteljahre bekommen haben. Ketters Gestalt war nicht unedel; er kleidete
+sich zwar ärmlich und wenig zierlich, Philippine hatte indeß nur selten
+wohlgekleidete junge Männer gesehn, da sie nirgend hinkam. Uebrigens hatte
+sie wenig natürlichen Hang zum Putz, und daher war ihr auch der Anzug eines
+Mannes ziemlich gleichgültig. So viel sah sie indeß wohl, daß Ketter, wenn
+er sich in eine elegante Kleidung würfe, andern artigen Männern keineswegs
+in _der_ äußern Anmuth nachstehn würde, die sie einer solchen Kleidung
+verdankten.
+
+Um so niedergeschlagner mußte sie aber seyn, als sie vernahm, daß ein von
+ihrem Vater gewählter Bräutigam sich ihr zeigen würde. Die Mutter war mit
+ihr besorgt, wußte ihr aber keinen Trost zu geben; denn Lund hörte auf
+keine Einreden, trat ihnen stets vielmehr mit Hitze und Härte entgegen, und
+setzte zuletzt immer despotisch seinen Willen durch.
+
+Nur Eine Hoffnung behielt Philippine noch, in dem Fall, daß sie dem
+Bräutigam etwa nicht gefiele. Es war ihr daher lieb, in schlechter
+Hauskleidung vor ihm erscheinen zu müssen; sie schwärzte diese Kleidung
+noch absichtlich am Küchenherd, und machte sich auch noch selbst einige
+Rußflecken in das Gesicht. Daneben beschloß sie, gebeugt und linkisch
+aufzutreten, und auf Alles, was der Bräutigam sie fragen würde, so dumm und
+albern als möglich zu antworten.
+
+Die Mutter sagte zwar: Ich kenne Herrn Kauser nicht, habe auch sonst nichts
+von ihm gehört; es wäre aber doch möglich, daß wir uns Beide irrten, und
+daß der Vater einen Mann ausgesucht hätte, der Dir gefallen könnte. Also
+ist es nicht klug gehandelt, wenn Du ihm zu mißfallen suchst.
+
+Nein, nein! sagte Philippine; er wird mir nicht gefallen! Das weiß ich, ehe
+ich ihn noch gesehn habe!
+
+Endlich rollte eine mit schwarzem Tuch überzogne Kutsche vor. Zwei schwarz
+gekleidete Männer stiegen aus, Herr Lund und Herr Kauser. Die Luft war
+durch Regen gerade sehr trübe, und die Wohnstube hinter dem Spezereiladen
+hatte nur Ein Fenster in den etwas engen Hof, so daß es auch an hellen
+Tagen hier ziemlich dunkel blieb; und vollend bei solchem Wetter, als
+heute.
+
+Philippinens ohnehin trübes und finstres Gesicht bekam folglich nur ein
+sehr mattes Licht; und da die Lilien und Rosen darin von den schwarzen
+Flecken entstellt wurden, so that ihre Schönheit so gut als gar keine
+Wirkung.
+
+Dazu kam auch noch, daß die kleine Stube, in welche die beiden schwarzen
+Männer jetzt traten, schon lange nicht mehr geweißt war.
+
+Anfangs redeten sie vom Börsencours, ohne sich um die übrigen Anwesenden zu
+kümmern. Nach einiger Zeit brachte Herr Kauser denn doch die Angelegenheit,
+welche ihn hieher führte, zur Sprache. Apropos, fing er an, wenn Ihr keine
+Ausstattung gebt, so müßt Ihr doch die Hochzeit ausrichten. »Das werd'
+ich wohl bleiben lassen,« erwiederte Herr Lund; »wer heirathet, der trägt
+billig auch die Kosten. Man braucht indeß keinen närrischen Aufwand zu
+machen. Ein Paar Zeugen, ein Paar Tassen Kaffee, und damit gut.«
+
+Herr Kauser dachte ein Weilchen nach, und erwiederte dann: Nun, es
+ist freilich, genau überlegt, am Ende gleichviel, ob Ihr die Hochzeit
+ausrichtet oder nicht. Das heißt, wenn es noch dazu kommt. Ihr wißt meine
+Bedingung. Wo ist die Tochter? Bei diesen Worten setzte er seine Brille auf
+die Nase.
+
+Lund dagegen brachte seine Ohren in Bewegung, indem er bald hinter dem
+einen, bald hinter dem andern kratzte. Das that er aus Verlegenheit und
+Besorgniß, daß der Handel zurückgehn könne.
+
+Kauser fing wieder an: Ist sie schön, und putzt sich gern, so nehm ich sie
+nicht. Dabei müßte ich mir den Schlag an den Hals ärgern. Ist sie das hier?
+Hm -- nun, es geht damit noch an. Mir wollte Jemand sagen, sie wäre schön.
+So arg ist es damit eben nicht. Nach ihrem Anzug scheint sie auch eine gute
+Wirthin zu seyn. Nun ja -- ich lass' es mir gefallen.
+
+Philippine, die erst heimlich darüber seufzte, daß sie keine Mühe angewandt
+hätte, reitzend zu erscheinen, fuhr bei den letzten Worten zusammen, als
+ergriffe sie ein Fieberfrost. Sie hatte jedoch, seitdem Herr Kauser
+ins Zimmer trat, nichts anderes empfunden als eine Reihe von kalten
+Fieberschauern. Der zugewiesene Geliebte war schindeldürr, hatte ein
+erdgelbes, vielgefaltetes Gesicht, eine lange dünne Habichtsnase, ein
+spitzes Kinn, und ein Paar weitgeöffnete gelbbraune Augen, die gewöhnlich
+zwar sehr matt aussahen, aber doch von einem gewissen Isegrimmsfeuer
+loderten, wenn ein Affekt sie anregte. Die schwarze Kleidung war ihnen
+günstig; ihr Leuchten trat nunmehr heraus.
+
+Bon jour, Mamsell, krächzte jetzt erst der Prüfende. Ich denke, wir wollen
+uns schon mit einander vertragen. Werden Sie eine gute Frau seyn, so bin
+ich ein guter Mann. So viel sag' ich Ihnen aber vorher, spaßen lass' ich
+mit mir nicht. Servitör, Madam Lund!
+
+Jetzt wandte er sich halb um, auf's Neue mit dem Vater des Mädchens zu
+sprechen, der jetzt viel leichter athmete, weil sich kein Hinderniß gezeigt
+hatte. Nun sah die Braut Herrn Kauser, der seine Brille, nach vollendeter
+Prüfung, wieder abnahm, von der Seite. Dies hatte sein Vortheilhaftes für
+die convexe Nase und das concave Kinn. Der Zufall ließ aber dem Profil der
+Gestalt noch einige malerische Ergänzungen angedeihen, welche der Fantasie
+der Braut ungemein zu Hülfe kamen. Die weitgeöffneten Augen hatten bei ihr
+den Effekt eines abgebildeten weitgeöffneten Höllenschlundes gethan. Die
+Wirkung des Profils entsprach jener Illusion, nur daß sie vom Reich zu dem
+Regenten überging. Das sollte nun der Fantasie noch über alle Erwartung
+leicht gemacht werden. Der Bräutigam hatte pechfarbne, mit grau
+durchmengte, struppige Haare, an deren Verschneidung lange nicht gedacht
+war. Nun sträubten sich am Scheitel zwei gekrümmte, spitz auslaufende
+Borsten auf, die, von der Seite gesehn, zwei mäßigen Hörnern glichen.
+Kauser hatte sich aber in den etwas kurzen Trauermantel dergestalt
+gewickelt, daß er sich bis nahe an die Mitte des Leibes heraufzog. Und
+weil er darunter seinen Hut einklemmte, so fügte es sich, daß eine Ecke
+desselben hinterwärts vorblickte, und zugleich einen rheinländischen Fuß
+lang den schwarzen Flor niederwallen ließ. Nichts konnte lebhafter an den
+Schweif erinnern, von dem man nicht weiß, ob ihn Lucifer wirklich hat, oder
+ob ihn die Maler nur freigebig damit beschenken.
+
+Philippine war indeß nun vom Grausen übermannt, sank ihrer Mutter halb
+ohnmächtig in die Arme, und rief zugleich, mit Wehmuth und Entsetzen zu
+gleichen Theilen in ihrer Stimme: Hu, der Teufel leibhaftig!
+
+Herrn Kauser gefiel das Compliment freilich schlecht, und Herr Lund wallte
+in dem grimmigsten Zorn darüber auf. Was Teufel, rief er, schickt es sich
+für eine Braut, den Bräutigam Teufel zu nennen? Daß ich Dir nicht mit der
+flachen Hand an das gottlose Maul komme! Du solltest wirklich meinen, der
+Teufel wär' es!
+
+Philippine stotterte: Beßter Vater, ich flehe Sie um Erbarmen an! Geben Sie
+mir den Tod, nur diesen Mann nicht. Ich kann ihn nicht heirathen! Mir graut
+und schaudert vor ihm --
+
+Jungfer Naseweis, fiel Herr Lund ein, wird Sie gefragt? Hat Sie auch eine
+Stimme?
+
+Jene fuhr fort: Ich eigne mich auch nicht für ihn.
+
+Donnernd gebot ihr der Vater, zu schweigen, und fügte hinzu: Will das Ei
+klüger seyn, als die Henne? Ich muß wissen, was zusammen paßt!
+
+Frau Lund, ihre Tochter im Arm haltend, brach nun in Thränen aus, und rief:
+Nein, lieber Mann, der Unterschied in den Jahren ist zu groß. Mache Dein
+Kind nicht unglücklich!
+
+Seht doch, entgegnete der liebe Mann; will die Gans auch drein schnattern?
+
+»Ich bin Mutter, und gebe meine Einwilligung nicht.«
+
+Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht um Deine Einwilligung gefragt,
+und werde es auch bis an mein seliges Ende nicht thun.
+
+Ei, fiel Herr Kauser ein, mein lieber Lund, das hätte ich nicht gedacht!
+Eure Frauenzimmer sind schlecht gezogen. Uebrigens thut bald, was Ihr thun
+wollt; ich habe Posttag, und verliere meine Zeit.
+
+Gut, entgegnete Herr Lund, ich werde Euch vorläufig mit dem Mädchen
+versprechen. Ein Zeuge muß wohl noch dabei seyn. Ich rufe meinen
+Buchhalter.
+
+Er ging, und der Bräutigam wandte sich unterdessen an Philippinen. Mamsell,
+sagte er, glauben Sie nicht etwa, daß ich so einfältig bin, Ihnen nicht
+in's Herz zu sehn. Es ist nur Verstellung und Ziererei. Sie heirathen für
+Ihr Leben gern, sind froh, daß ich gekommen bin. Man kennt die Jüngferchen,
+sie machen's alle so. Meine selige Frau wollte auch durchaus nicht, der
+Vater mußte Gewalt brauchen. Aber sie widersetzte sich nur zum Schein; die
+Gewalt wäre gar nicht nöthig gewesen. Aergern Sie doch Ihren Vater nicht
+unnützer Weise. Sie stellen sich, als wollten Sie das nicht, was Ihnen doch
+sehr lieb ist.
+
+Lund fand sich wieder ein; Ketter folgte. Hier ist ein Zeuge, fing Jener
+an; nun kein Sperren mehr, Jungfer Naseweis! Hingegangen zu Herrn Kauser,
+gesagt: lieber Bräutigam, ich freue mich, daß ich die Ehre haben soll,
+Ihre Frau zu werden. Dann ein Küßchen in Ehren gegeben. Allons, wie lange
+währt's?
+
+Ketter staunte. Herr Lund, rief er, um Gottes willen! was denken Sie zu
+thun!
+
+Mit großen Augen fragte dieser: Wa ... wa ... wa ... was ist das?
+
+»Sie könnten Ihre liebenswürdige Tochter so hinopfern?«
+
+Wa ... wa ... was geht Sie das an, junger Herr? Zeugen sollen Sie,
+die Ohren brauchen, nicht den Mund. Wie kann sich auch der Buchhalter
+unterstehn, seines Principals Verfahren zu tadeln! Da soll ja ...
+
+»Wie unedel muß ein Mann fühlen, der nicht allein an eben dem Tage, an
+welchem er die vorige Gattin begraben hat, sich abermal versprechen will,
+sondern auch ein Mädchen, das Grauen vor ihm einer Ohnmacht nahe bringt,
+durch Zwang an sich gefesselt kann sehn wollen!«
+
+Ich sage Ihnen meinen Dienst auf! -- Herr Kauser rief: Und dann muß es
+an der Börse öffentlich gesagt, ja selbst den Handelsfreunden weit umher
+geschrieben werden: daß er widerspenstig gegen seinen Principal gewesen
+ist, einen soliden angesehenen Kaufmann, dem er Respekt schuldig war, mit
+himmelschreiend unehrerbietigen Worten beleidigt hat. An keinem Orte muß er
+wieder eine Condition finden! Aber die Zeit vergeht. Macht fort, Lund!
+
+Der junge Mann rief: »Weigern Sie sich Philippine! Es gilt das Glück Ihres
+Lebens. Die Gesetze berechtigen Sie, da Ihren Gehorsam zu versagen, wo man
+Sie zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«
+
+Philippine hatte mehr Muth, seitdem Ketter eingetreten war. Feierlich
+schwör ich, sagte sie, daß ich diesem Mann nie meine Hand geben werde, und
+sollte ich darüber auch untergehn.
+
+Frau Lund küßte ihre Tochter, billigte, was sie gesagt hatte, und versprach
+ihren Beistand nach allen Kräften.
+
+Nun liefen die beiden Schwarzen in blindem Zorn mit den Köpfen an einander,
+und wurden durch den Schmerz noch wilder. Kauser trat mit eingestemmten
+Armen vor Philippinen hin, und sah ihr mit so strafenden und drohenden
+Blicken ins Gesicht, daß selbst die Tapferkeit davor hätte zittern mögen.
+Zu Worten gelangte sein Grimm dagegen nicht; Lunds Flüche hätten sie auch
+übertäubt.
+
+Seitdem ihm Ketters kluge Thätigkeit wichtige Vortheile gebracht, hatte
+Lund das Er doch in eine höflichere Anrede umgeändert, weil er meinte,
+das _Sie_ koste ja nichts, und der junge Mann könne es anstatt einer
+Gehaltszulage in Empfang nehmen. Jetzt aber rief er die Anrede mit _Er_
+zurück, nachdem schon Flüche vorhergegangen waren. Er packte den jungen
+Mann zugleich an der Brust, und schrie: Bu -- bu -- Bursche! Er will meine
+Tochter zum Ungehorsam verleiten? Wa -- wa -- was geht meine Tochter Ihn
+an?
+
+Kaltblütig hielt Jener ihn ab, und sagte: Viel geht sie mich an. Ich sage
+muthig, daß ich Philippinen liebe. Zuerst sah ich sie in der Kirche, wo
+ihre Schönheit mich bezauberte. Ich wünschte, ihr nahe zu seyn, um mir ihre
+Gegenliebe erwerben zu können. Darum kam ich in Ihr Haus, fügte mich in
+jede Ihrer wunderlichen Launen, suchte durch Redlichkeit und Fleiß meines
+Principals Wohlwollen zu verdienen. Schon manchen Jünglingen gelang unter
+solchen Umständen endlich, was sie Anfangs nimmer hoffen durften. Ich
+machte einen ähnlichen Entwurf, ob mich schon nicht Philippinens Reichthum,
+sondern ihre Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Daher bediente ich mich
+einer List, doch keiner Arglist, sondern einer schuldlosen, auch dem
+Redlichen erlaubten. Geben Sie mir Philippinen ohne alle Ausstattung.
+Ganz so unbemittelt, wie ich es vorgab, bin ich nicht, und traue mir
+hinreichende Geschicklichkeit zu, eine Frau zu ernähren.
+
+Philippine rief: Auch ich gestehe freimüthig, daß ich ihn liebe.
+
+Die beiden Schwarzen geberdeten sich, als wollten sie mit den Köpfen gegen
+die Wände laufen, Wände und Köpfe zugleich einstoßen. Doch besannen sie
+sich noch, und sprachen in dem heftigsten Zorne, beide zugleich. Herr Lund
+rief zitternd: Also hat Er sich wie ein Betrieger in mein Haus geschlichen,
+und obenein mir die Tochter verführt! Nicht genug, solchen Bösewicht
+fortzujagen; verhaften, einstecken lassen muß man ihn. Ich will auf der
+Stelle zu dem Polizeiamt!
+
+Er klemmte seinen Trauermantel in die Thür, als er beim Weggehn sie hinter
+sich zuwarf, und ließ ihn, wie Joseph, lieber fahren, als daß er noch
+zaudern mochte.
+
+Herr Kauser hatte mit ihm zugleich gesprochen: O, wenn es hier noch einen
+jungen Wildfang giebt, der einem soliden Geschäftsmann böse Tücke spielen
+könnte; wenn das Jüngferchen obenein in ihn vernarrt ist, so kann ich mich
+bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen. Ich hole einen Notar;
+gleich Schwarz auf Weiß, unterzeichnet und gehörig besiegelt.
+
+Er ging auch, blieb aber in den Mantel gewickelt; und dies kam ihm zu
+Statten, wie man sogleich hören wird.
+
+Nie, seitdem er lebte, hatte sich Lund so heftig geärgert, wie diesen
+Abend. Der Zorn hatte auch seinen ganzen Körper in den stärksten Schweiß
+gesetzt. In seiner blinden Wuth hatte er gar nicht bedacht, was jetzt
+das Klügste sei. Ihm, einem guten Rechner, mußte jeder Strich durch die
+Rechnung ein Dorn im Auge seyn. Der heutige lange aber brachte ihn fast
+ganz von Sinnen.
+
+So rannte er davon, und bemerkte nicht, daß sich der vorhin mäßige
+Herbstregen in einen Platzregen verwandelt hatte, den man beinahe einen
+Wolkenbruch hätte nennen mögen. Es war ziemlich weit nach dem Polizeiamt.
+Jupiter =pluvius= drang durch den schwarzen leichten Rock, und
+überschwemmte die Oberfläche des Körpers zum zweiten Male. Heiße und kalte
+Nässe vertrugen sich nun so schlecht, daß aus ihrem Zwiespalt ein Zwiespalt
+zwischen Lunds Leib und Seele entstand, dessen Natur gewiß irgend ein Arzt
+den Lesern gern erklären wird, wenn sie ihn höflich darum fragen.
+
+Genug, Lund erkältete sich plötzlich auf seinen glühenden Zorn, und fiel,
+ehe er noch das Polizeiamt erreicht hatte, auf der Straße nieder. Daß er
+gerade in einen Rinnstein fiel, und daß einige Zeit verging, ehe man ihn
+aufhob und ins Trockne brachte, vermehrte die Folgen der Erkältung bis zu
+einem sehr hohen Grade.
+
+Bei einem Platzregen gehen natürlicher Weise schon wenige Menschen aus dem
+Hause, und in einem Rinnstein kann man länger unbemerkt bleiben, als mitten
+auf dem Fahrdamm.
+
+Erst nach einer Viertelstunde wurde Lund gesehn, und erkannt, doch im
+Anfang für betrunken gehalten, bis verständige Leute bemerkten; _der_, bei
+seinem Geitze, habe sich gewiß nicht betrunken; ihm sei eine Ohnmacht, ein
+Krampf, wo nicht gar ein Schlagfluß, zu gestoßen.
+
+Endlich zog man den Röchelnden aus der Tiefe, und schaffte ihn mit einem
+Tragsessel in seine Wohnung. Ehe dies geschah, untersuchte noch ein
+vorbeigehender Chirurgus seinen Zustand.
+
+Als vorhin die beiden Schwarzen weggeeilt waren, thaten die
+zurückgebliebnen Frauenzimmer, was Frauenzimmer unter solchen Umständen zu
+thun pflegen: sie ließen Klagen auf Thränen folgen, und dann wieder Thränen
+auf Klagen. Dem Buchhalter fiel das Trösten anheim, obwohl er selbst Trost
+bedurfte. Er sagte indeß: Standhaft, gute Philippine; man kann und darf Sie
+nicht zwingen. Wenn Ihre Mutter sich nicht zur Einwilligung bewegen läßt,
+so muß ihr Wort doch auch gelten. Ich kann nun nicht mehr im Hause bleiben,
+ob ich es gleich mit Schmerz verlasse. Eine Verhaftung besorge ich zwar
+nicht, will auch vor jedem Richter vertreten, was ich gethan und gesagt
+habe; Herr Lund hat mir aber den Dienst aufgekündigt. Nun, meine Bücher
+sind in Ordnung. Nur eine kurze Anweisung für meinen Nachfolger, und ich
+kann noch heute gehn.
+
+Philippine bat ihn weinend, zu bleiben, und sie in der Noth nicht zu
+verlassen. So lange es möglich ist, soll es geschehn, erwiederte Ketter;
+allein Ihr Vater wird auf meine Entfernung dringen, wenn er weiter nichts
+vermag. O Philippine, ich weiß nun, daß Sie mich ein wenig lieben. Welche
+Glückseligkeit, und welches Entsetzen zugleich für mich, da meine Trennung
+von Ihnen jetzt nothwendig ist, und da ich nun überzeugt bin, von Ihrem
+Vater nie mein Glück hoffen zu dürfen!
+
+Ketter, sagte Philippine ermannt; ja, ich liebe Sie! Zu sehr haben Sie
+meine Achtung und meine Dankbarkeit gewonnen, als daß ich je einem Andern
+meine Hand geben könnte. Braucht mein Vater Gewalt, so sag ich noch am
+Altare Nein, und rufe die Gesetze zu Hülfe. Doch sagen Sie mir, Sie, der
+Sie mich mit so vielem Guten, Rechten, Edlen und Schönen bekannt gemacht
+haben: würde es in meiner Lage unrecht seyn, wenn ich zu entfliehn suchte?
+Als Kammerjungfer, vielleicht sogar als Lehrerin, fände ich wohl ein
+Unterkommen. Schwer würde es mir freilich seyn, mich von der guten Mutter
+zu trennen; das müßte ich aber ja auch, wenn ich den verhaßten Kauser
+heirathete. In jenem Fall wüßte sie mich doch vor dem schrecklichsten
+Unglück gesichert.
+
+In dem einzigen Fall, erwiederte Ketter, daß Ihr Vater seine Absicht mit
+Gewalt durchsetzen will, halte ich es für erlaubt, daß Sie entfliehn. Auf
+meinen -- anspruchlosen -- Beistand können Sie dann sicher zählen.
+
+Ich will selbst helfen, schluchzte die Mutter, allen Zorn meines Mannes
+tragen. --
+
+Der Buchhalter ging ins Comptoir; die Frauenzimmer blieben, und weinten
+ihre schmerzlichen Thränen fort.
+
+Da eilte, ehe noch der Tragsessel vor dem Hause war, jener Chirurgus
+herein. Erschrecken Sie nicht, Madame, fing er an; ich bringe eine üble
+Nachricht. Herrn Lund hat der Schlag gerührt. Er ist ohne alle Besinnung,
+und -- fassen Sie sich -- es ist keine Hülfe mehr.
+
+Mutter und Tochter erschraken in der That sehr heftig; doch ihre Thränen
+hörten sogleich auf zu fließen. Ist es möglich? rief Frau Lund; ist es
+möglich?
+
+Man trug den Sterbenden bereits in die Hausthür. Die Gattin eilte ihm
+entgegen, und wußte nicht, ob sie den eignen Augen trauen sollte. Doch that
+sie nach Pflicht und Gewissen, was nöthig schien. Der Kranke wurde in das
+Schlafzimmer gebracht, der nassen Kleidung entledigt, und in das gewärmte
+Bett gelegt. Der Chirurgus öffnete zwei Adern, sagte aber voraus, daß
+es unnütz seyn würde. Frau Lund befahl, daß noch ein Arzt geholt werden
+sollte, der berühmteste in der Stadt.
+
+Bis er kam, beschäftigte der Chirurgus sich mit andern Rettungsmitteln.
+Philippine, die ungemein verstört in die Küche geeilt war, half dem Mädchen
+Thee bereiten und Steine wärmen. Von Zeit zu Zeit kam Frau Lund zu ihr, und
+sagte: Er bleibt dabei, daß keine Hülfe ist. Wir müssen aber doch nichts
+versäumen, daß wir uns nichts vorzuwerfen haben.
+
+Philippine erwiederte jedes Mal: Freilich müssen wir das; sonst behielten
+wir ja kein gutes Gewissen.
+
+Der berühmte Arzt kam endlich, fand hier aber keine Gelegenheit mehr, noch
+berühmter zu werden. Lunds Gesicht war zur Hälfte blau; nur selten vernahm
+man ein Röcheln, und der Puls war kaum noch zu finden.
+
+Ist noch Hoffnung, Herr Doktor? fragte Frau Lund.
+
+Nur einige Minuten kann es noch währen, antwortete der Arzt, nach einem
+bedauernden Achselzucken.
+
+Frau Lund eilte wieder in die Küche, und schlug die Hände zusammen. Es
+ist bald aus, sagte sie; ich hätte es nie gedacht. Nun soll ich ihn doch
+überleben. Da sieht man: unverhofft kömmt doch oft!
+
+Aengstlich sagte ihr Philippine ins Ohr: sie möchte nicht vergessen, ja
+nicht vergessen -- was, das konnte sie nicht hervorbringen.
+
+Die Mutter eilte in die Wohnstube. Beide gingen neben einander auf und ab,
+ohne etwas zu sagen. Bald kam der Arzt: Madame, ich bezeuge mein Beileid;
+Ihr Mann hat geendet.
+
+Ist er auch gewiß todt? entfuhr der neuen Wittwe; kann ich mich darauf
+verlassen?
+
+Philippine zupfte sie wieder ängstlich am Kleide, und Jener erklärte die
+absolut tödtlichen Wirkungen einer solchen Apoplexie, wie die vorliegende.
+
+Er soll einen Grabstein von Marmor haben, sagte Frau Lund wieder, und
+dachte dabei dunkel: zum Dank für die große Wohlthat, die er mir durch
+seinen Tod erzeigt.
+
+Die Nichthülfe der Aerzte ward reichlich bezahlt, und Beide gingen ihres
+Weges.
+
+Mutter und Tochter flogen zum Todten, und schauderten. Die entseelten
+Züge schienen Trümmer von Geitz und Wuth. Lange war der Anblick nicht
+auszuhalten; Jene eilten in die Wohnstube zurück. Noch immer waren sie im
+Taumel einer Bestürzung, als kämen sie aus einem Kerker, und hätten noch
+dazu ein Loos von funfzig tausend Thalern gewonnen.
+
+Träum' ich auch nicht? sagte Frau Lund; ist es denn wirklich wahr?
+
+Wahr, erwiederte die Tochter. Nur fassen Sie sich; lassen Sie nicht
+merken ...
+
+Mein Gott, fiel die Mutter ein, hat er es denn danach gemacht, daß wir uns
+über seinen Tod grämen können? Ich hatte keine frohe Stunde bei ihm, und
+sein Kind wollte er auch noch ohne Erbarmen unglücklich machen.
+
+Hätte er noch einen letzten Willen abfassen können, sagte die Tochter, so
+würde er sicher darin verordnet haben, daß ich Kausern heirathen sollte.
+
+Oder er hätte Dich enterbt, fiel die Mutter ein.
+
+Nun, sagte die Tochter wieder, heirathe ich Kausern doch nicht, liebe
+Mutter? -- Und die Mutter umarmte sie.
+
+Ketter hatte von dem Allen nichts gehört. Jetzt trat er wehmüthig in die
+Stube. Herr Lund, fing er an, kömmt nicht wieder; so will ich denn gehn.
+
+Er kömmt nicht wieder, sagte Frau Lund; Sie gehn aber nicht. Wer sollte
+denn die Geschäfte meiner Handlung führen? Oder vielmehr: unsrer Handlung;
+denn sie gehört mir und Philippinen zur Hälfte.
+
+Der junge Mann verstand sie nicht, und gerieth in das höchste Erstaunen,
+als man ihm das Nähere sagte. Ungläubig ging er zu dem Leichnam, und kam
+bald in großer Bestürzung wieder. Jetzt erschien auch Herr Kauser, von
+einem Notar begleitet. Schwarz auf Weiß, rief er; Siegel und Zeichnung!
+
+Frau Lund sagte: Herr Kauser, ziemt es sich wohl, gleich nach einem
+Todesfall ein Verlöbniß zu halten?
+
+Warum nicht? antwortete er; über Vorurtheile muß man sich hinwegsetzen, wo
+es das Mein und Dein gilt.
+
+Gut, hob Frau Lund wieder an; nun habe ich zu reden. Herr Notar, ich
+verspreche meine Tochter mit meinem Buchhalter, und Herr Kauser ist wohl so
+gütig, als Zeuge sich zu unterschreiben.
+
+Herr Kauser rief: Was sind das für Possen! Wo ist mein Herzensfreund Lund?
+
+Man hinterbrachte ihm alles. O, wie würde ihn der Tod des Herzensfreundes
+entzückt haben, wenn er schon mit Philippinen verheirathet gewesen wäre!
+
+Seine Einreden halfen nicht, da er nicht Schwarz auf Weiß hatte. Ketter und
+Philippine wurden nach einigen Monaten ein frohes Paar. Der wurmstichige
+Hausrath wurde abgeschafft; man genoß, was der Geitz zusammengescharrt
+hatte, und freute sich des Lebens, doch mit Anstand und mäßig.
+
+Das Sonst und Jetzt waren im Lundschen Hause nun ziemlich verschieden.
+So geht es im weiten launigen Reiche der Schicksalsgöttin. Oft sinken die
+Freuden der Lebenden mit in ein Grab; bisweilen aber blühen ihnen auch
+Rosen daraus hervor.
+
+
+
+
+ Drei
+ Liebespaare in Einem.
+
+ Eine
+ romantische Kriegsbegebenheit.
+
+
+
+
+Drei Liebespaare in Einem.
+
+
+Der Sohn eines sächsischen, ziemlich bemittelten Landedelmanns wurde nach
+D*** auf eine Schule gesandt. Er war träge im Lernen, fleißig aber
+im Koboltschießen und Ballschlagen; oft vergaß er über einer glatten
+Schlitterbahn im Winter, oder einem steigenden Papierdrachen im Herbst, daß
+ihn eine Lehrstunde erwartete, und mußte daher ins Carcer. Die ihm jedes
+Vierteljahr ausgestellten Zeugnisse lauteten ungemein übel; er mußte sie
+jedes Mal in die Heimath schicken, von wo dann tüchtige Strafpredigten
+erfolgten. Sechzehn oder siebzehn Jahre mochte er alt seyn, als, nach einem
+ganz außerordentlich üblen Zeugniß, sein Vater in D*** anlangte, um einmal
+selbst nach dem ungerathenen Sohn zu sehn. Er fand dessen Wohnzimmer in
+solcher Unordnung, daß er die Hände über dem Kopf hätte zusammenschlagen
+mögen. Bälle und Flitzbogen lagen umher, die Schulbücher waren zerrissen,
+die Hefte voll Tintenflecke, und allerlei Fratzen darauf gezeichnet, so
+wie auch an den Wänden. Lisuart -- so hieß das Söhnchen -- hatte sich nicht
+gewaschen, nicht gekämmt; an Ellbogen und Knieen zeigten sich merklich
+schadhafte Gegenden.
+
+Aber Junge, rief der Vater, Du spielst noch mit Bällen und Flitzbogen? Und
+so liederlich sieht Alles neben und an Dir aus? Bist ein Edelmann, und hast
+nicht mehr Ambition? Gehst mit zerrissenen Hosen, und das Hemd kuckt Dir an
+den Ellbogen heraus? Wie lange ist es her, daß ich Geld zu neuen Kleidern
+geschickt habe?
+
+Ehe Lisuart zu einer Antwort gelangen konnte, bekam er zwei derbe
+Ohrfeigen; nun ward er tückisch, und antwortete gar nicht.
+
+Der Vater machte jedoch mit ihm eine Runde bei den Lehrern, um sich zu
+erkundigen, woran es doch mit dem Buben läge.
+
+Der Rektor sagte: Zwei Umstände sind es hauptsächlich, an denen es liegt,
+daß der junge Herr nichts lernt. Einmal schläft er zu lange, und kömmt
+immer zu spät in die Classe, wie sehr ich ihm auch das =Aurora musis
+amica= empfohlen, und ihn ermahnt habe, mit Tagesanbruch seine Uebungen
+vorzunehmen. Zweitens aber stecken seine Taschen immer voll Kuchen und
+Obst; er nascht während des Unterrichts in Einem weg verstohlen, und da
+gilt folglich das =plenus venter non studet libenter= auch in Einem weg bei
+ihm.
+
+Junge, hob der Vater wieder an, wo nimmst Du das Geld her? Ich habe Dir
+doch nur acht Groschen zu Kleinigkeiten monatlich ausgesetzt.
+
+Der Rektor faßte ihm während dessen in die Taschen; in der einen
+befand sich eine Mandel Abrikosen, in der andern ein Paket überzogner
+Gewürzkuchen.
+
+Lisuart mußte nun reden, und gestand in abgebrochnen Worten: daß er bei
+verschiednen Kuchenbäckern und Obsthökerinnen auf Borg nähme.
+
+Der Vater sagte zornig: Ich will in den Zeitungen bekannt machen lassen,
+daß Dir auch nicht eine gebrannte Mandel, nicht eine Pflaume, kreditirt
+werden soll.
+
+Der Conrektor und der Subrektor äußerten ebenfalls große Unzufriedenheit,
+und klagten, daß der junge Mensch sich durch einen gewissen
+erzschalkhaften, boshaften Sinn auszeichne. Es sollte damit, ihnen zufolge,
+so weit gehen, daß er die Ehrerbietung vor seinen Lehrern vergäße. Beide
+führten einige Beispiele an. Einer sagte: Wie oft ich es ihm auch schon
+verboten, ja, ihn darum ins Carcer geschickt habe, nennt er mich doch oft,
+anstatt Herr Conrektor, Herr _Kornrektor_, so daß alle Knaben lachen, und
+die Aufmerksamkeit verloren geht. Ich bin nicht zu übermäßiger Strenge
+geneigt; jung ist jung. Sollen aber zuweilen =allotria= getrieben werden,
+so gescheh' es in den Freistunden, nicht in der Klasse.
+
+Und mich, fiel der Andere ein, redet er oft, anstatt Herr Subrektor, Herr
+_Suppenrektor_ an. Man sagt wohl: =pueri puerilia tractant=; allein der
+Herr Sohn sollte nicht mehr zu den Knaben gehören wollen.
+
+Sein College nahm abermal das Wort: Daß er es gerade so übel meine,
+behaupte ich bei dem allen nicht. Die veränderte Silbe in Korn will sagen:
+ein Mann von ächtem Schroot und Korn. Er sollte gleichwohl bei der alten
+bleiben.
+
+Nein, hob Lisuart stotternd an; so habe ich es nicht gemeint ...
+
+Der Lehrer fragte: Wie denn sonst?
+
+Er bekam zur Antwort: Nun -- weil Sie so gerne Korn trinken.
+
+Hierüber gerieth der Conrektor fast außer sich, und wollte den Beleidiger
+nicht mehr in seiner Klasse dulden.
+
+Feuerroth wollte nun auch der Subrektor hören, weshalb denn sein Titel eine
+Veränderung erlitten habe. Der junge Mensch antwortete: es sei ihm zu
+Ohren gekommen, der Herr Subrektor habe einmal auf einem Schmaus eine ganze
+Terrine Suppe allein verzehrt.
+
+Nun wollte auch dieser ihn nicht mehr unterrichten. Wär' es noch
+klassischer Witz, sagte er, so behielt' ich ihn in meiner Klasse; Allein
+dieser Witz ist schal, trivial.
+
+Bei der Schule stand aber noch ein Quintus, der berühmt und berüchtigt
+zugleich war: jenes, weil er mehrere Schriften herausgegeben, die Aufsehn
+in der gelehrten Welt machten; dieses, weil er ehedem schon ein andres Amt
+bekleidet, aber von den jungen Mädchen, die er unterrichten sollte, zwei
+in einen Zustand versetzt hatte, nach welchem sie gesegnet zur Einsegnung
+kamen. Man hatte ihn weggejagt und noch anderweitig hart bestraft;
+ihn endlich aber, seiner trefflichen Kenntnisse wegen, doch wieder als
+Schulmann -- nur nicht bei Mädchen -- angestellt. Dieser Quintus trat nun
+für Lisuart ein. Er wollte bemerkt haben, daß der junge Mensch ein Genie
+sei. Nur Geduld! setzte er hinzu; es wird sich schon entfalten, und dann
+geht es auch mit den Studien über Hals und Kopf. Ich weiß, wie es bei mir
+gegangen ist.
+
+Schon wollte der Vater seinen ungerathenen Sohn wieder mit nach Hause
+nehmen; doch der kleine Schimmer von Hoffnung, auf welchen der Quintus
+deutete, bestimmte ihn anders. Er versprach dem Conrektor und Subrektor,
+ihnen ein Paar geräucherte Schinken in die Küche zu senden, wenn sie die
+Sache gut seyn ließen.
+
+Lisuart wohnte bis jetzt bei einem Bürger, dem der Vater eine Art von
+Aufsicht über ihn anvertraut hatte. Der Mann sagte aber: der junge Herr
+folge nicht, und richte auch im Hause nur allerlei Unfug an; darum wäre es
+ihm lieber, wenn der junge Herr auszöge.
+
+Dem Vater fiel nun ein, daß in D*** ein verabschiedeter Hauptmann lebe, der
+sein Freund und Herr Bruder sei. Er ging mit Lisuart zu ihm, und fragte: ob
+es anginge, und er ihm die Freundschaft erzeigen wollte, den Sohn in sein
+Haus zu nehmen? -- Von dessen übler Aufführung verschwieg er nichts, setzte
+aber hinzu: Strenge ist um so nöthiger; und kann Einer noch etwas aus ihm
+machen, so bist Du es, Herr Bruder.
+
+Warum nicht, Herr Bruder? entgegnete der Hauptmann; das will ich Dir schon
+zu Gefallen thun. Aber ich muß im Nothfall die Fuchtel brauchen dürfen.
+
+In Gottes Namen, erwiederte der Vater; brauche Sie nur recht oft! Er hat
+neun Häute; thu' Alles Dir Mögliche, ihm auch durch die letzte zu kommen.
+
+Nicht öfter, sagte der alte Officier, als wenn er nicht pariren will. Von
+Gelehrsamkeit versteh' ich den Teufel; aber daß er früh aufstehn und sich
+an die Bücher setzen soll, will ich schon machen. Und kömmst Du wieder, und
+er ist nicht in seinem Anzug, wie aus dem Ei geschält, so ... gerade soll
+er mir auch gehn, wie eine Kerze.
+
+Der Hauptmann erfüllte sein Versprechen. Kaum war Lisuart einige Monate in
+seinem Hause, als er in manchem Betracht sich gebessert hatte; aber doch
+nur ein wenig, und nicht in allen Stücken. Die Kleidung war sauber,
+stand ihm aber nicht gut; er ging gerade, doch steif, ohne Anmuth. Das
+Kinderspielzeug war verschwunden; Lisuart stand auch, in Rücksicht auf die
+schon einige Mal empfundenen Fuchtel, zeitig auf; doch an den Büchern wurde
+noch immer nicht viel gethan, ja, eigentlich noch weniger, als zuvor, wo
+er doch noch Gesichter mit langen Nasen hineingekritzelt hatte; was
+der Hauptmann nicht mehr zugab. Noch immer lauteten die Schulzeugnisse
+keineswegs rühmlich, und Lisuart saß noch in Quarta, obschon Manche, die
+jünger als er waren, sich in Tertia, ja in Secunda befanden.
+
+Der Hauptmann nahm ihm einen Fechtmeister und einen Tanzmeister an, daß
+sie ihm ein sogenanntes =air degagé= beibringen sollten. Bei Jenem machte
+Lisuart einige Fortschritte, zum Tanzen hingegen hatte er so wenig Lust als
+Geschicklichkeit.
+
+So kam sein achtzehntes Jahr heran, und auch der Winter, für den sein
+neuer Mentor in eine Gesellschaft trat, die sich wöchentlich zu einem Ball
+versammelte. Es geschah meistens um Lisuarts willen, der, wie Jener sagte,
+hier noch mehr den Bauer ablegen, und feinere Lebensart bekommen sollte.
+
+Doch es hinkte auch da genug. Er sollte eine Dame zum Tanz auffordern,
+weigerte sich aber aus Blödigkeit. Nur angedrohte Fuchtel konnten ihn
+endlich bestimmen. Nun tanzte er freilich, indeß mit so krummen Knieen und
+so verwirrt, daß man über ihn lachte. Beim Essen stopfte er dagegen so viel
+Kuchen und Obst in sich, daß man mit Fingern auf ihn wies. Der Hauptmann
+ärgerte sich sehr, und fuchtelte ihn noch um Mitternacht, als man wieder zu
+Hause war.
+
+Auf dem nächsten Ball zeigte er etwas mehr Geschick beim Tanz, und etwas
+weniger Naschgier an der Tafel; aber ganz unausgelacht kam er doch nicht
+davon. Sie sollten sich schämen, sagte der Hauptmann daheim; so ein
+hübscher junger Mensch, und beträgt sich -- hol mich der ...! -- so
+ungehobelt wie -- nun, ich mag's nicht sagen.
+
+Dies Mal war Lisuart doch so dreist, daß er sagte: Wenn aber Jemand so viel
+flucht, Herr Hauptmann, ist das gehobelt oder ungehobelt?
+
+Was? rief Jener, der junge Patron will noch auf mich sticheln? Das leid'
+ich, Gott straf mich, nicht! Ich vertrete Vatersstelle bei ihm, und habe
+Autorität.
+
+Um diese Autorität abermal thätig zu beweisen, zog er vom Leder; dies
+Mal aber, anstatt einer gewichtigen Klinge, eine leichte, beräucherte
+Gänsefeder, welche Lisuart aus einem Flederwisch gezogen und mit der Klinge
+vertauscht hatte. Es war das erste Mal, daß er dem Hauptmann einen Streich
+zu spielen wagte.
+
+Dieser rief: Wer hat das gethan?
+
+Ich nicht, antwortete Lisuart.
+
+»Können Sie schwören?«
+
+Hol mich der Teufel!
+
+»Können Sie auch Ihr Ehrenwort darauf geben?«
+
+Nein, das kann ich nicht! Ich hab' es gethan, weil ich dachte, eine Feder
+thäte doch nicht so weh.
+
+Nun fiel ihm der Hauptmann um den Hals. Sieh! rief er; bist doch ein
+tüchtiger Kerl, Junge! Schwörst wohl beim Teufel falsch, willst aber nicht
+Dein Ehrenwort geben. Bravo! Und hast doch einmal Raupen im Kopf, einen
+guten Einfall. Ich glaube, die zwei Bälle haben Dich schon etwas formirt.
+Das muß ich gleich meinem Herrn Bruder schreiben. O, ich will zum Teufel
+fahren, wenn nicht noch was aus Dir wird!
+
+Auf dem nächsten Ball setzte der Hauptmann sich neben eine ihm unbekannte
+Dame, und hob ein Gespräch mit ihr an. Nicht lange nachher kam ihre, etwa
+funfzehnjährige, Tochter aus den Reihen zurück, und nahm Platz bei der
+Mutter. Pfui, Luischen! sagte diese, wie schlecht hast Du getanzt! Und wir
+haben doch vier Monate einen Tanzmeister bei uns gehabt. Zwar bist Du zum
+ersten Mal auf einem Ball; ich hätte aber doch nicht geglaubt, daß es so
+schlecht gehn würde.
+
+O nur Uebung, gnädige Frau, sagte der Hauptmann; da wird das Fräulein
+dreist. Ich habe da einen Eleven, der soll sie gleich wieder auffordern.
+Lisuart, kommen Sie her!
+
+Schüchtern nahte sich dieser, und machte eine linkische Verbeugung.
+
+Fordern Sie das Fräulein auf, sagte der Hauptmann wieder; geschwind!
+
+Lisuart stammelte: Kann ich die Ehre haben ...?
+
+Die Dame nahm das Wort: Wird meiner Tochter viel Ehre seyn. Allons, Luise,
+folge!
+
+Luise stand bebend auf, schien ungern wieder in den Reihen zu gehn. Der
+Hauptmann sah zu. Es kam ihm vor, als nähme Lisuart sich dies Mal mehr
+zusammen, und hielte sich dreist, zierlicher.
+
+Lisuart wies auch das Fräulein in den sogenannten Touren zurecht. Als aber
+der Tanz vorüber war, liefen ihm große Tropfen Angstschweiß vom Gesicht.
+
+Der Hauptmann stand auf, lobte ihn, und sagte hernach leise: Nun setzen Sie
+sich ein wenig neben die junge Dame, mit der Sie getanzt haben; unterhalten
+Sie sich mit ihr.
+
+Lisuart wollte nicht, und suchte Ausflüchte. Sie sollen, ward ihm
+erwiedert, oder es giebt zu Hause Fuchtel. Die Klinge ist eingesetzt.
+
+Lisuart fragte zaudernd: Was soll ich denn mit ihr sprechen?
+
+Tausend Sapperment! entgegnete der Hauptmann, was das für eine dwatsche
+Frage ist! Eben da formirt sich ein junger Mensch, wenn er mit Damen
+spricht, und es muß sich ja wohl etwas finden, wovon man sprechen kann,
+in's Teufels Namen! Sprechen Sie, wovon Sie wollen, nur nichts Ungezognes!
+
+Lisuart nahm zagend neben dem Fräulein Platz, und hob an: Meine Gnädige --
+es ist heute schönes Wetter.
+
+Die Gnädige antwortete: So muß es eben erst schön geworden seyn. Als wir
+kamen, schneiete es.
+
+Sie hatte, wie man sieht, etwas mehr Fassung, als er; denn sie hörte doch,
+was er sagte, und daß es nicht ganz richtig schien. Er dagegen hatte so
+wenig recht gewußt, was er sagte, als er recht hörte, was sie antwortete.
+Beide dankten eigentlich dem Himmel, daß sie doch einige Worte
+hervorgebracht hatten, weil es die Schicklichkeit so gebot. Das Fräulein
+zeigte etwas mehr Gegenwart des Geistes im Reden, weil die weibliche Natur
+es so mit sich bringt. Daß Lisuart dagegen beim Tanz sie darin übertroffen
+hatte, rührte vielleicht davon her, daß er schon einige Mal öffentlich
+getanzt, Luise aber heute den ersten Versuch machte.
+
+Nach und nach kamen Beide doch mehr und mehr ins Gespräch. Luise erzählte,
+daß sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter in D*** sei, was sie bereits an
+schönen Sachen gesehn habe, und noch sehn werde, und mehr dergleichen. Ihr
+Vater, sagte sie auch, der zu Hause geblieben wäre, hätte ihr prophezeiet,
+sie würde sich recht wundern. Lisuarts Angst verlor sich auf einer Seite;
+denn er vernahm allmählig, was seine Nachbarin sagte, und konnte dazwischen
+erzählen: wie es ihm in D*** ergangen sei, und noch gehe; auf der anderen
+Seite aber stieg diese Angst. Denn er fing an, ein ihm bis dahin ganz
+unbekanntes wunderbares Vergnügen zu fühlen, als er so mit Luisen redete.
+Und weil er so oft über das, was ihm Vergnügen gemacht, Tadel, Scheltworte,
+selbst Ohrfeigen und Fuchtel bekommen hatte, fing er an zu fürchten: daß
+ihm dieses Vergnügen aller Vergnügen noch etwas viel Schlimmeres zuziehen
+würde.
+
+Zu seinem Erstaunen klopfte ihm aber der Hauptmann auf die Schulter, und
+betheuerte bei Ehre und Reputation: so wäre es recht!
+
+Er setzte bei der Abendtafel sich wieder zu jener Dame, und Lisuart
+mußte neben Luisen Platz nehmen. Der junge Mensch betrug sich fein und
+angemessen, tanzte hernach noch einmal mit dem kleinen schönen Fräulein,
+und Beiden ließ sich kein Fehler mehr vorwerfen. --
+
+Am nächsten Morgen kam sein Aufseher in seine Stuben: Was ist das!
+sagte er; Sie haben gewiß das Licht brennen lassen, und sind darüber
+eingeschlafen. Der Teufel! so kann ja Feuer entstehn.
+
+Das noch glimmende Licht war ganz herunter gebrannt, und der junge Mensch
+hatte noch die Kleidung von gestern Stück für Stück auf dem Leibe.
+
+Ich habe, erwiederte Lisuart verwirrt, ein nöthiges lateinisches Exercitium
+gemacht, und bin darüber nicht zu Bette gegangen. Es war ja schon zwei Uhr,
+als wir nach Hause kamen.
+
+Eigentlich verhielt sich die Sache so. Lisuart empfand, als er vom Ball
+nach Hause kam, auch nicht die mindeste Neigung zum Schlaf. Des Fräuleins
+Bild tanzte ihm unaufhörlich vor dem innern Auge: immer klangen ihre Worte,
+und die Musik der beiden mit ihr getanzten Tänze, ihm vor dem innern Ohr,
+und dies machte ihm wieder ein neues, so hohes Vergnügen, daß er sich
+ihm weit lieber, als dem Schlaf überließ. Es stand ein Klavier auf seinem
+Zimmer. Er bekam Unterricht in der Musik, hatte aber bis jetzt nur sehr
+geringe Fortschritte gemacht; theils, weil seine Neigung zu dieser
+Kunst nicht groß war, theils auch weil sein Lehrer darin nicht zu den
+vorzüglichsten gehörte. Dieser hatte seinem Schüler binnen einem Jahre eine
+alte sogenannte Klavierschule mit ganz leichten Anfangsstücken gebracht,
+etliche Sonaten der Art von Vanhal und Pleiel, auch eine Operette von
+Hiller, die Ouverture daraus zu lernen; allein der Schüler hatte bis jetzt
+sehr wenig begriffen.
+
+Nur die alte Operette hatte ihn gewissermaaßen angezogen, weil sie Lisuart
+und Dariolette hieß. Der Mensch ist nun einmal so, daß er seinen Namen gern
+gedruckt sieht. Ein Kupfer am Titelblatt, welches einen jungen stattlichen
+Ritter im Harnisch vorstellte, pflegte er oft anzusehn, und auch einige der
+leichten Gesangmelodieen aus dem Werk zu klimpern.
+
+Jetzt, indem er so im Zimmer umherging, und der eben entflohenen Stunden
+dachte, fiel ihm auch das Musikbuch in die Augen, und er betrachtete nun
+zum ersten Male mit Antheil die junge Dame, welche im Kupfer neben dem
+Ritter stand. Bald setzte er sich an das Klavier, und es schien ihm ganz
+anders zu klingen. Er schlug Einiges von dem auf, was der Ritter Lisuart
+von seiner Liebe singt, und es ergriff ihn gewaltig. Ihm dünkte, als wären
+es seine eignen Empfindungen; und viel geläufiger, als sonst, konnte er
+jetzt die Noten lesen, und die Finger rühren. Noch mehr hingerissen fühlte
+er sich bei dem Gesang der Dame in den Worten:
+
+ Reich Deine Hand als Bräut'gam mir,
+ Mein liebstes Gut auf Erden,
+ Und ich verspreche Dir dafür,
+ Nie ungetreu zu werden.
+
+Er konnte nicht aufhören, die einfache Melodie zu wiederholen und die
+einfachen Worte dabei zu lesen. Ihm war, als sänge das Luise -- zu ihm; und
+sterben hätte er mögen vor Entzücken über diese Vorstellung. Er beklagte
+nur, daß nicht Dariolette jenen Namen hatte. Bis an den hellen Morgen
+konnte er sich nicht von der süßen Beschäftigung losreißen.
+
+Und nun brachte er auch eine ganz veränderte Stimmung mit in die Schule.
+Die Wissenschaften hatten ihm eine höhere Bedeutung gewonnen; er meinte:
+was ihn so lange angeekelt habe, könne wohl hohes Vergnügen gewähren. Zum
+ersten Male schämte er sich, immerfort getadelt worden und gegen Andere
+zurückgeblieben zu seyn; es erwachte in ihm Ehrgeitz, das Verlangen, seinen
+Mitschülern gleich, ja zuvor zu kommen, und er dachte nun auch, das könne
+so schwer nicht seyn.
+
+Die ganze Woche hindurch zeigte er ungemeinen Fleiß, sowohl in den
+Lehrstunden, als zu Hause, und fragte den Quintus um vielerlei, der sich
+auch bereitwillig zeigte, ihm durch Winke und guten Rath fortzuhelfen.
+Schon am Ende dieser Woche wurde er in eine höhere Klasse versetzt. Hierzu
+trugen die Empfehlungen des Quintus das Meiste bei; dieser hatte nehmlich
+dem Rektor versichert: Lisuarts Genie fange nun an, sich zu entwickeln.
+
+Gerade an diesem Tage führte ihn sein Mentor wieder auf den Ball. Lisuart
+hatte sich recht sorgfältig und nett gekleidet, und war viel weniger
+verlegen, als zeither; einige ältliche Damen, die müßig auf ihren Stühlen
+die Versammlung musterten, machten die Bemerkung: der Lisuart staffire sich
+recht gut heraus, und werde ein ganz hübscher Mensch.
+
+Schon die heutige Versetzung in eine höhere Klasse hatte dem jungen
+Menschen mehr Muth gegeben; dazu kam aber noch, daß der Hauptmann
+ihn, theils darüber, theils auch über seinen heutigen Anzug und sein
+verbessertes Betragen gelobt hatte. Lob über ein gewisses Verdienst pflegt
+dies Verdienst zu erhöhn, namentlich in jüngeren Lebensjahren.
+
+Aus dieser Ursache trat er nicht mehr so scheu vor Luisen, nach der er sich
+die ganze Woche hindurch gesehnt hatte. Auch Luise war weniger betreten,
+und daneben vortheilhafter, als neulich, gekleidet. Beide tanzten und
+sprachen heute mehr mit einander, als vor acht Tagen, und menschenkundigen
+Beobachtern hätte es nicht entgehn können, daß Beide sich sehr glücklich
+fühlten, und daß sich in ihren Herzen die ersten Spuren der Liebe zeigten.
+
+Sonderbar übrigens, daß noch keins von Beiden des Anderen Namen wußte, und
+auch den Muth nicht hatte, danach zu fragen. Lisuart bediente sich nur der
+Anrede: meine Gnädige; und Luise war genöthigt, alle Anrede zu vermeiden.
+Der Hauptmann saß am Spieltisch, und kam dies Mal nicht zu ihnen.
+
+Luisens Mutter begegnete dem jungen Menschen darum freundlich, weil er sich
+immer zu ihr hielt; es war ihr ja daran gelegen, daß Luise, die bisher auf
+dem stillen Lande erzogen war, sich in der Welt darstellen lernen sollte.
+Und außer Lisuart kümmerte sich Niemand eben um Luisen; das noch halb
+kindische Fräulein war den jungen Herren von Ton zu unbedeutend, und auch
+in D*** nur wenig bekannt.
+
+Heute kam das Gespräch unter andern auf die Tonkunst. Lisuart erfuhr, das
+Fräulein habe auch darin Unterricht gehabt; und nach ihren Aeußerungen
+mußte sie viel größere Fortschritte darin gemacht haben, als er. Um so
+schöner und vortrefflicher schien ihm nun die Musik.
+
+Er brachte den Rest der Nacht abermal am Klaviere hin, und mit noch höher
+gesteigerten Empfindungen. Heute fand er in seinem alten Opernbuch eine
+Romanze des Inhalts:
+
+ Es war einmal ein Königssohn,
+ Ein Wüthrich, den die Menschen flohn.
+ Nicht bänger fliehn die Kinder,
+ Wenn Ruprecht kömmt, und nicht geschwinder.
+ Der Vater weinte bitterlich,
+ Und sprach vergebens: bessre Dich!
+ Die Lehrer zwang sein Fluchen,
+ Die Thore vom Pallast zu suchen.
+
+ Einst führet sein Geschick ihn hin,
+ Wo eine junge Schäferin,
+ Von Hitz' und Lauf ermattet,
+ Die Nacht des grünen Walds beschattet.
+ Sie ruht im Schlaf, ihr Antlitz lacht
+ Gleich einer heitern Sommernacht,
+ Und frei und immer freier
+ Spielt Zephyr mit des Busens Schleier.
+
+ Wie ward dem Wilden, der sie sah!
+ Wie eine Säule steht er da
+ Wohl eine ganze Stunde,
+ Mit starrem Blick und offnem Munde.
+ Doch sie erwacht, und eilt zu fliehn,
+ Die Ehrfurcht lehrt ihn niederknien;
+ Der Stolze ruft mit Thränen:
+ Verzeuch, o lieblichste der Schönen!
+
+ Umsonst, sie flieht mit trübem Blick,
+ und mit Gefühl kehrt er zurück,
+ Das nimmer sich gereget,
+ Seit ihm ein Herz im Busen schläget.
+ Des Herzens Drang, des Wissens Lust,
+ Entflammen plötzlich seine Brust;
+ Der Alte will vor Freuden
+ Im Arm des neuen Sohns verscheiden.
+
+ Er fragt: Wer hat Dich so bekehrt?
+ Der Jüngling sagts; der Alte schwört:
+ Ich rufe sie noch heute
+ Im Hochzeitschmuck an Deine Seite.
+ Sie reichen sich die frohe Hand.
+ Noch jetzt hört man im ganzen Land,
+ Vom Prinzen und der Schönen,
+ Ein Lob von allen Lippen tönen.
+
+Diese Verse setzten unsern Lisuart in Erstaunen, und gaben ihm noch
+Deutungen, Aufschlüsse über sein Innres. Ja, so konnte _des Herzens Drang_
+erwachen und _des Wissens Lust_; o, wäre der Alte da gewesen! Doch sah der
+junge Mensch wohl ein, daß davon bei einem Tertianer die Rede noch nicht
+seyn könne; aber, dachte er, einst, einst!
+
+Wußte er doch nun ganz klar, daß er Luisen liebte, und seine Liebe sollte
+eine ganze Ewigkeit dauern, keine Minute weniger.
+
+Verdoppelter Fleiß in der Schule und zu Hause, stets mit wachsendem
+Vergnügen begleitet, war die Folge seiner erwachten Gefühle. Auch der
+Conrektor und Subrektor lobten ihn nun; denn von einem Kornrektor und
+Suppenrektor ließ er nichts mehr hören, sondern zeichnete sich nur durch
+Wißbegierde aus, so wie durch leicht erworbene Kenntnisse und einen
+Scharfsinn, der oft in Verwunderung setzte. Der Subrektor selbst gab ihm
+das Lob: er habe jetzt zuweilen ächt witzige Einfälle.
+
+Ihm fiel aber auch ein, daß seine Kleidung ziemlich abgetragen, und gar
+nicht recht nach dem Schnitt gemacht sei, wie andere junge Edelleute in
+D*** sie trugen. Er bat den Hauptmann, ihm eine andere machen zu lassen.
+Das thue ich von Herzen gern, bekam er zur Antwort; ist doch noch Geld da,
+und mein Herr Bruder wird nicht geitzen, wenn er nur sieht, daß aus dem
+Sohn ein Kerl wird.
+
+Lisuart trieb, daß die neue Kleidung zum nächsten Ball fertig werden
+sollte. Als er darin vor den Spiegel trat, hatte er selbst einen kleinen
+Anfall von närrischer Eitelkeit; denn er fand, was er bis jetzt nie
+gefunden hatte, nehmlich, daß er doch ein ganz hübscher Mensch sei.
+
+Luise mußte das auch wohl finden; denn sie wurde, als sie ihn zuerst
+erblickte, röther, und war hernach freundlicher, als zuvor. Sie schien ihm
+aber auch heute bei Weitem reitzender; vielleicht, weil er, bei erhöhtem
+Selbstgefühl, besonnenern Muth gewonnen hatte, sie mehr als flüchtig
+anzusehn. Heute forderte Lisuart das Fräulein so oft zum Tanz auf, daß die
+Mutter besorgte, es könnte Aufsehn erregen, und daß sie Luisen befahl,
+die Aufforderungen nun abzulehnen. Sie vermied auch seine Nähe bei Tische,
+worüber denn Lisuart sich recht sehr betrübte.
+
+Doch in recht eigentliche Schwermuth sank er, als am nächsten Balltag Luise
+nicht mehr zu sehen war; auch späterhin nicht mehr kam. Endlich gewann
+er es, mit großer Mühe, über sich, den Hauptmann, als sie im Dunkeln nach
+Hause gingen, zu fragen: wo die fremde Dame geblieben seyn möchte -- von
+der Tochter sagte er doch nichts --, neben welcher er, der Hauptmann,
+neulich gesessen hätte.
+
+Ich weiß nicht, bekam er zur Antwort; vermuthlich ist sie abgereis't.
+
+Noch schwerer ging Lisuart an die Erkundigung: wie sie heißen, und wo sie
+wohnen möchte?
+
+Der Hauptmann betheuerte, von dem Allen kein Wort zu wissen, und fügte
+hinzu: Aha, junger Patron! Ich will des Teufels seyn, wenn Sie nicht in
+die Tochter verliebt sind. Nun, recht gut das. Wenn sich ein junger Mensch
+verliebt, fängt er auch an, etwas auf sich zu halten. Ich wette, nun werden
+die Fuchtel nicht mehr nöthig seyn.
+
+Behüte! rief Lisuart; wie kommen Sie darauf! Die Fuchtel anlangend -- nun,
+die werde ich mir künftig verbitten, Ihnen aber auch keine Gelegenheit dazu
+geben, Herr Hauptmann!
+
+Bravo, erwiederte dieser; das soll mir recht lieb seyn.
+
+Er schrieb dem Herrn Bruder nun auch: der Sohn fange recht ernstlich an,
+sich zu bessern; und schickte Zeugnisse von den Lehrern mit, die ungemein
+vortheilhaft klangen.
+
+Lisuart machte jetzt in der That Fortschritte, die man ihm nicht zugetraut
+hätte, und er selbst hatte mit jedem Tage eine höhere Freude daran. Auf der
+anderen Seite war es ihm aber so schmerzlich, Luisen nicht mehr zu sehn,
+und ihren Aufenthalt nicht zu wissen, daß eine merkliche Blässe im Gesicht
+seinen Gram offenbarte.
+
+So kam der Frühling heran, und nun erst fand er die schönen Umgebungen
+der Stadt sehr anziehend. Er schweifte oft darin umher, mit irgend einem
+Dichter in der Tasche, um ihn da oder dort, auf einem Felsen sitzend, zu
+lesen. Darüber entzündete sich in seiner eignen Brust poetisches Feuer.
+Er staunte, als er die ersten Versuche niedergeschrieben hatte, daß es ihm
+auch gelänge, Verse zu machen. Zum Theil enthielten sie Erinnerungen an
+jenes Beisammenseyn mit der geliebten Luise; zum Theil Sehnsucht nach
+Wiedersehn; doch einige enthielten nur Lob der schönen Natur. Die letzteren
+wies er dem Quintus vor, der sie verbesserte, und ihm aufmunternde Lehren,
+und Rath gab, was er zur ferneren Ausbildung seines Geschmacks lesen müsse;
+und mit den Worten endete: Sagt' ich es doch voraus, daß hier Genie wäre.
+
+Natürlicher Weise freute sich der Jüngling hierüber. Als er dann
+Shakespear, Schiller und Göthe las, verzweifelte er bald, Genie zu haben,
+bald glaubte er wieder, daß es ihm nicht ganz daran fehle. _Genie des
+Gefühls_, meinte er doch, könne man ihm nicht absprechen.
+
+Er kam nach Secunda, und ein halbes Jahr später nach Prima. Nun hatte
+er die meisten von seinen Mitschülern, die ihm vorangeeilt waren, wieder
+eingeholt. Freude hierüber, die zufriednen Briefe seines Vaters, und die
+süße Zerstreuung, welche ihm die Poesie gewährte, scheuchten nach und nach
+aus seinem Herzen den Gram der Liebe, doch keineswegs die Liebe selbst,
+welche sich vielmehr in seiner Brust immer stärker befestigte. Er machte
+allerlei Entwürfe, Luisen auszumitteln, und sich zu bestreben, daß er bald,
+wie sein Vater es wünschte, ein Amt erlangen möchte, um Luisen dann seine
+Hand anbieten zu können.
+
+Im Herbst erklärte man ihn fähig, die Hochschule zu beziehn, und Jena wurde
+für ihn ausgewählt.
+
+Ein neuer Lebenskreis, Freiheit, und Gelegenheit sich jugendlichem Frohsinn
+zu überlassen, wie zuvor nie! Lisuart hatte jedoch keine Neigung, wilden
+Ergötzlichkeiten nachzugehn, und suchte Freunde von ähnlichem Sinn. Außer
+den Rechtswissenschaften, trieb er philologische mit beinahe übermäßigem
+Eifer, und zeichnete sich sogar unter den fleißigern und musterhaften
+jungen Musensöhnen noch aus.
+
+Durch die mannichfachen, von ihm eingesammelten, Kenntnisse lernte er auch
+sich selbst mehr kennen. Jetzt sah er wohl ein, daß, wenn er Luisen nicht
+gesehn hätte, nie diese Neigung zu den Wissenschaften in ihm erwacht seyn,
+und daß er vielmehr leicht dahin gekommen seyn würde, auf eine ihm höchst
+nachtheilige Weise die akademische Freiheit zu mißbrauchen. Zu seiner Liebe
+gesellte sich noch Dankbarkeit für sein Erwachen zu einem edleren Leben,
+wodurch die Liebe noch mehr Nahrung bekam, und ihm in einem schönern Lichte
+erschien.
+
+In den nächsten Sommerferien machte er eine Fußreise; wie er vorgab, die
+schöneren Gegenden von Sachsen zu sehn, eigentlich aber, Luisens Wohnort zu
+entdecken. Sie hatte einmal in ihrer Unterhaltung mit ihm gesagt: In D***
+bin ich noch nicht gewesen, wohl aber schon einige Mal in Leipzig, weil
+dies nicht so weit von uns ist. Hieraus schloß nun Lisuart, ihr väterliches
+Gut müsse in der Gegend von Leipzig liegen, und nahm sich vor, eine solche
+Runde zu machen, daß er es nicht verfehlte.
+
+Die Mühe war indeß vergeblich. Wie sorgfältig er auch jedes Dorf besuchte,
+das einen Herrenhof hatte, wie genau er auch die Gestalten der Mutter
+und Tochter beschreiben mochte: es glückte ihm nicht, das Gewünschte zu
+erfahren, und er mußte endlich unverrichteter Sache nach Jena zurückkehren,
+was ihn denn tief betrübte.
+
+Als er neunzehn Jahre alt war, dachte er: nun ist Luise im sechzehnten; als
+er das zwanzigste antrat: nun wird sie in das siebzehnte treten -- O, Gott,
+wenn mir Jemand zuvorkäme!
+
+Er entschloß sich, an den Hauptmann zu schreiben, und ihm sein Geheimniß
+halb und halb zu entdecken. Es müsse sich ja, schrieb er weiter, in D***
+wohl erforschen lassen, wer jene Dame gewesen sei; der Vorsteher
+der Ballgesellschaft werde sie ohne Zweifel kennen. Er ließ die
+angelegentlichste Bitte folgen, daß sich der Hauptmann nach ihr erkundigen
+möchte.
+
+In der Antwort auf diesen Brief hieß es: Der Vorsteher aus jener Zeit sei
+gestorben, und alles anderweitige Nachfragen habe wenig gefruchtet.
+
+Lisuart besuchte im nächsten Jahr seinen Vater, der ihn mit großer Freude
+und Herzlichkeit empfing. Der Sohn ließ auch hier etwas von seinem innern
+Zustand merken; da sagte aber sein Vater: Oho! jetzt schon an eine Heirath
+zu denken, ist zu früh! Und ich habe übrigens halb und halb ... ein sehr
+wohlhabender alter Freund, der eine einzige Tochter hat, die auch recht
+schön und gebildet seyn soll ...
+
+Lisuart unterbrach ihn mit Betheurungen: er würde nie einem andern Mädchen
+seine Hand geben können. --
+
+Possen! sagte der Vater wieder; so reden alle junge Leute, und die Umstände
+ändern viel. Nichts mehr davon! kömmt Zeit, kömmt Rath.
+
+Lisuart mußte wieder nach Jena. Seine Poesien machten bei Kennern Aufsehn,
+und sie riethen ihm, eine Auswahl davon drucken zu lassen. Es geschah
+endlich, doch so, daß er auf dem Titel nur seinen Vornamen nannte. Die _an
+Luise_ überschriebenen Gedichte athmeten das meiste und stärkste Feuer.
+
+Doch jetzt, im Jahr 1813, loderte auch das Kriegsfeuer in Deutschland
+auf. Lisuart meinte, die politische Rolle des Königs von Sachsen wäre nur
+gezwungen; und, obschon dessen Unterthan, beschloß er doch in preussische
+Dienste zu gehn, um gegen Deutschlands Unterdrücker zu kämpfen. Er bat
+seinen Vater um Erlaubniß dazu, und dieser sagte: Thue, was Du willst; ich
+mag nichts davon wissen. Gieb Dir aber lieber einen andern Namen, daß es
+nicht heißen kann: Du habest gegen Dein sächsisches Vaterland gestritten.
+
+Lisuart ging nach Berlin, gab sich für einen Herrn von Breitenfeld aus, und
+bekam eine Lieutenantsstelle bei einem neu errichteten Corps von leichter
+Reiterei.
+
+Nichts von den Kriegsauftritten, denen er beiwohnte, außer, daß er durch
+seine Tapferkeit bald Rittmeister wurde.
+
+Als nach der Schlacht bei Leipzig Napoleons Flüchtlinge verfolgt wurden,
+und man sie theils zu ereilen, theils ihnen in die Seite zu kommen suchte,
+gehörte Lisuarts Corps zu denen, welche am thätigsten waren.
+
+Im Hessischen machte er eines Tages eine Seitenpatrulle, und traf auf eine
+Anzahl abgeschnittener französischer Husaren, die so eben einen Reisewagen
+plünderten. Ein Landedelmann der dortigen Gegend wollte darin mit seiner
+Tochter fliehn, und hatte das Unglück, in die Hände jener Unholden zu
+fallen, welche übrigens auch die Tochter reitzend fanden, und geneigt
+schienen, sie für eine gute Beute zu erklären.
+
+Lisuart, obgleich seine Mannschaft nur halb so stark war, stürzte sich in
+die Feinde, und so entstand ein hartnäckiger Kampf. Die Preußen siegten;
+ihren Rittmeister traf aber ein Säbelhieb in den Kopf, der ihn um alle
+Besinnung brachte.
+
+Man gab dem Edelmann das ihm Gehörende zurück, und hoch erfreut, die Ehre
+seiner Tochter gerettet zu sehn, dachte er durch die beste Verpflegung der
+Verwundeten seine Dankbarkeit zu beweisen. Man versicherte ihm, daß er nun
+nicht zu fliehen brauchte, weil die befreundeten Truppen schon nahe wären.
+So entschloß er sich denn, nach seinem Dorfe zurückzukehren, und nahm den
+halb todten Rittmeister in seinem Wagen mit sich, dem ein Feldarzt, der
+sich glücklicher Weise gefunden, sogleich den ersten Verband um den Kopf
+gelegt hatte.
+
+Lisuart galt sonst für einen schönen Officier; jetzt aber hätte sein
+Anblick Entsetzen erregen können. Man denke sich zu einem starken,
+dunkelbraunen Bart die bleiche Todtenfarbe und die bis an die Augen
+reichenden Binden!
+
+Der gerettete Gutsbesitzer ließ in seinem Hause ihm ein Zimmer zurecht
+machen, und einen Wundarzt aus der nächsten Stadt rufen, der um ihn bleiben
+mußte. Erst nach einigen Tagen bekam Lisuart einen Theil seines Bewußtseyns
+wieder, das indeß öftere Anfälle vom Wundfieber störten. Zusammenhängendes
+Denken ward ihm ungemein schwer; seine Ideen durchkreuzten sich, wie im
+Wahnsinn, denn der feindliche Säbel war sehr tief eingedrungen. Auch sah er
+nicht recht hell, und der Wundarzt verhehlte ihm nicht, daß sein Leben noch
+immer in Gefahr schwebe.
+
+Als die ersten Durchmärsche vorüber waren, herrschte in dem abgelegenen
+Dorf mehr Ruhe. Dies that ihm wohl, und an Pflege ließ sein dankbarer Wirth
+es nicht fehlen. Eines Abends hörte er im Nebenzimmer zu einem
+Pianoforte singen. Die Stimme dünkte ihm vorzüglich schön, die Fertigkeit
+ausgezeichnet. Es schien, als ob durch die Musik sein Fieber nachlasse,
+sein Schmerz sich vermindre, und sein Kopf freier würde.
+
+Als der Gutsbesitzer -- was oft geschah -- ihn besuchte, sagte Lisuart:
+Ich hörte da eben sehr schön spielen und singen; Musik ist mein größtes
+Vergnügen. Wenn ich des Vergnügen öfter hätte, so würde es viel zu meiner
+Genesung beitragen.
+
+Es war meine Tochter, erwiederte der Andere; so oft Sie es wünschen, soll
+sie singen und spielen. Was kann sie weniger für ihren edelmüthigen Retter
+thun!
+
+Von nun an spielte und sang das Fräulein oft; und, so wie Davids Harfe
+Sauls Melancholie vertrieb, so wirkte auch hier die Gewalt schöner Töne auf
+einen zerrütteten Seelenzustand. Mit jedem Tage besserte sich nun auch die
+Wunde, und freiwillig, obgleich befremdet, gestand der Arzt: er zweifle,
+ob, ohne Beihülfe einer so lieblichen Anregung der Lebenskräfte, der
+Rittmeister zu retten gewesen seyn würde.
+
+Nach einigen Wochen war des Kranken Bewußtseyn vollkommen deutlich, und das
+Wundfieber hatte sich verloren. Nur die Augen blieben noch schwach, weshalb
+der Arzt die Fenster dicht verhängen ließ.
+
+Zuweilen brachte der Herr vom Hause seine Tochter mit, welche dann jedes
+Mal dem Rittmeister für ihre Rettung dankte. Ihre Unterhaltungen schienen
+nicht minder zu wirken, als ihr Gesang und Spiel; Lisuart meinte: so
+geistvoll habe er noch keine Dame reden hören. Sie erbot sich auch, ihm
+bisweilen vorzulesen. Er lehnte das zwar, als zu gütig, ab; aber dennoch
+blieb sie dabei, ihren Retter auch auf diese Art zu unterhalten. Sie ging
+dazu in das Nebenzimmer, und ließ die Thür offen, weil sie in dem halb
+finstern Krankenzimmer nicht hätte sehen können.
+
+Eines Tages brachte sie einen Band Gedichte mit, und sagte ihm, daß diese
+zu ihrer Lieblingslectüre gehörten. Wie staunte der Rittmeister, als sie
+ihm nun aus _Lisuarts poetischen Versuchen_ vorlas. Die Empfindung, womit
+sie es that, erregte bei ihm Rührung, Stolz und -- Gewissensvorwürfe. O
+Gott! dachte er, sollt' ich dies Fräulein nicht lieben? nicht treulos an
+Luisen geworden seyn, der ich doch in meinem Herzen ewige Liebe geschworen
+habe?
+
+Doch bald dachte er auch: Luisen habe ich seit vier Jahren nicht gesehen,
+und vielleicht sehe ich sie nie wieder.
+
+Und späterhin: Diesem Fräulein verdanke ich mein Leben; und das ist doch
+noch mehr, als ich Luisen einst zu verdanken hatte.
+
+Nach gerade sah er heller, und so viel die herabgelassenen grünen Vorhänge
+es zuließen, prüfte er des Fräuleins Gestalt. Sie war höher als Luise, und
+ihr Ausdruck voll Adel und Anmuth. Die Gesichtszüge schienen ihm geistiger,
+bedeutender, aber nicht so heiter, wie er sich Luisens noch erinnerte;
+eine gewisse sanfte Schwermuth lag darin verbreitet, die er jedoch äußerst
+anziehend fand.
+
+Einmal sagte er: Den Dichter, von dem Lisuarts poetische Versuche sind,
+möchte ich beneiden, weil Sie ihm so viel Nachsicht schenken. Und doch --
+kann ich ihn nicht beneiden. Wissen Sie ihn?
+
+Sehr eilig rief Jene: Nein! Ist er Ihnen bekannt? Schon lange habe ich nach
+seinem Namen gefragt.
+
+Dies Mal klang die Stimme dem Rittmeister heitrer, als sonst, und schien
+ihm ein wenig bekannt. Nun faßte er auch die Gesichtszüge schärfer ins
+Auge.
+
+Mein Fräulein, hob er wieder an, sind ... sind Sie einmal in D***
+gewesen? --
+
+»Vor vier Jahren.«
+
+Auf dem Ball bei ***?
+
+»O Himmel!«
+
+Die Gedichte an Luise wurden -- an Sie geschrieben.
+
+»Meine Ahnung! Und Sie -- Sie retteten mich!«
+
+Sie retteten mein Leben!
+
+Nun konnte der Rittmeister aber nicht mehr zusammenhangend sprechen. Ein
+heftiger Rückfall vom Fieber, und nichts als Irrereden. Zu stark war die
+Erschütterung für seine nur erst schwach befestigte Gesundheit.
+
+Erst nach einigen Wochen kam er wieder so weit, als er schon gewesen war.
+Nun hatten aber das Fräulein und ihr Vater das Gut verlassen, und es war in
+andern Händen.
+
+Der neue Eigenthümer sagte: Schon lange wäre der Kaufvertrag abgeschlossen
+gewesen, und nun der Termin seines Antritts herangekommen; indeß sollte es
+dem Rittmeister an keiner Pflege fehlen.
+
+Lisuart fragte bestürzt: Wo ist denn der vorige Gutsherr geblieben?
+
+Er bekam zu Antwort: Genau weiß ich es nicht. Wie ich höre, ist er nach dem
+Brandenburgischen gezogen.
+
+»Und sein Name? Noch immer habe ich nicht danach gefragt.«
+
+Von Rothenfeld.
+
+Lisuart bat, sobald er wieder schreiben konnte, Bekannte in Berlin, sich
+nach dem Aufenthalt eines Herrn von Rothenfeld zu erkundigen. Welch ein
+glückliches Wiederfinden, dachte er, und Luise liebt mich! Sie hat mein
+Herz aus den Gedichten an sie errathen. Freilich reden einige deutlich
+genug vom ersten Anblick, und den mächtigen Wirkungen der ersten Liebe.
+
+Er genas nach einigen Wochen völlig, und eilte nun dem Heer in Frankreich
+nach. Aus Berlin bekam er jedoch keine günstige Antwort. Man wußte dort
+nichts von einem Herrn von Rothenfeld und seiner Tochter.
+
+Das ging so zu. Luise hatte aus D*** eine gewisse Schwermuth gebracht, die
+bei dem, zwei Jahre nachher erfolgenden, Tode ihrer Mutter sich mehrte.
+Ihr Vater meinte, eine baldige Heirath würde das beßte Heilmittel seyn.
+Er unterhandelte darüber mit einem alten Bekannten, einen Herrn von
+Buchenthal, Vater eines einzigen Sohnes, von dem man viel Gutes sagte. Doch
+die Kriegsunruhen kamen dazwischen.
+
+Luise gestand ihrem Vater: der Rittmeister von Breitenfeld sei schon lange
+der Gegenstand ihrer Liebe, und trage, wie sie vermuthet habe, auch _sie_
+im Herzen.
+
+Aber, antwortete der Vater, ich habe Dich bereits versprochen, und Du wirst
+auch zufrieden seyn. Dem Rittmeister müssen wir unsere Dankbarkeit auf
+andere Art beweisen.
+
+So wenig Luise damit auch zufrieden war, mußte sie doch mit dem Vater nach
+Sachsen reisen, wo er noch andere Güter hatte. Ein halbes Jahr nachher
+schrieb sein Freund: Mein Sohn wird nun aus dem Kriege heimkehren. Mögen
+die jungen Leute einander sehn. Können sie keine gegenseitige Neigung zu
+einander fassen, so muß ihnen kein Zwang angethan werden.
+
+Nach einem Monate reis'te Luise mit ihrem Vater -- auf ergangne Einladung
+-- zu dem Herrn von Buchenthal. Sie bat unterwegs sehr viel, und
+betheuerte: daß sie nur dem Rittmeister ihre Hand geben könne.
+
+Man langte an. Der Sohn war vor einer Stunde gekommen, und -- hatte seinem
+Vater betheuert: nur _Eine_ könne seine Gattin werden.
+
+Luise trat kalt mit ihrem Vater ein. Neben dem Herrn von Buchenthal stand
+ein schöner Officier. Sehr kalt verbeugte sie sich er auch. Er -- war
+nicht mehr bleich, Binden und Bart waren verschwunden. Er sah das Fräulein
+genauer an. Es war Luise!
+
+Sie ward vom Schrecken blaß. »Herr von Breitenfeld --«
+
+Ich heiße Buchenthal!
+
+Wie, rief Einer der beiden Väter, Ihr kennt einander? Und der Andere: Ei,
+Sie sind ja unser Retter!
+
+Nun gab es kein Sträuben mehr.
+
+
+
+
+ Nachricht für Besitzer von Leihbibliotheken und Freunde einer
+ unterhaltenden Lektüre.
+
+
+Die in der Verlagshandlung dieses Buches erschienene Sammlung von
+Lafontaineschen Schriften gehörten unstreitig zu denen, die den Verfasser
+zum Liebling des Publikums machten. Es sind folgende: Haus Bärburg --
+Barnek und Saldorf -- die beiden Bräute -- Eduard und Magaretha -- Emma
+-- Karl Engelmann -- Wenzel Falk -- Familienpapiere -- Fedor und Maria
+-- Gemäldesammlung -- Ida von Liburg -- Landprediger -- kleine Romane --
+Theodor. Zusammen 32 Bände, im Ladenpreis 48 Thlr.
+
+Um wiederholten Wünschen zu genügen, lassen wir diese ganze Sammlung bis zu
+Ostern 1821 für 30 Thlr.
+
+Vorzüglich möchte diese Sammlung auch für Familien auf dem Lande, die
+entfernt von Städten, eine angenehme Lectüre in den Winterabenden wünschen,
+sich eignen. Die Verlagshandlung liefert die ganze Sammlung _schön
+gebunden_, an solche für 6 Friedrichsd'or.
+
+ Sandersche Buchhandlung.
+
+
+ Gedruckt bei L. Wilhelm Krause in Berlin,
+ Adlerstraße No. 6.
+
+
+
+
+[ Hinweise zur Transkription
+
+
+Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
+
+Symbole für abweichende Schriftarten:
+
+ _gesperrt_ : =Antiqua= .
+
+Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
+uneinheitlicher Schreibweisen, mit folgenden Ausnahmen,
+
+ Seite 5:
+ "den" geändert in "dem"
+ (doch wer aus dem Mittag jähling in die Mitternacht träte)
+
+ Seite 5:
+ "den" geändert in "dem"
+ (oder aus dem Julius in den Februar)
+
+ Seite 5:
+ "habeu" geändert in "haben"
+ (nicht das Mindeste von ihnen gehört haben)
+
+ Seite 18:
+ "Absiche" geändert in "Absicht"
+ (lud mein Vater nun, in jener Absicht)
+
+ Seite 31:
+ "Plan" geändert in "Plane"
+ (künftiger Plane, und er lebte einstweilen)
+
+ Seite 60:
+ "das" geändert in "daß"
+ (daß es sich kaum anders habe erwarten lassen)
+
+ Seite 62:
+ "in" geändert in "kein"
+ (Ich trat staunend zurück, und konnte kein Wort sagen.)
+
+ Seite 75:
+ "erfnhr" geändert in "erfuhr"
+ (Doch späterhin erfuhr ich)
+
+ Seite 84:
+ "«" eingefügt
+ (»Was ist denn aus dem Commerzienrath Hell geworden?«)
+
+ Seite 94:
+ "»" eingefügt
+ (gab er zur Antwort: »Unmöglich könne er)
+
+ Seite 96:
+ "«" eingefügt
+ (Lebt sie noch und in welchen Verhältnissen?«)
+
+ Seite 101:
+ "Entwikelung" geändert in "Entwickelung"
+ (über ihre Entwickelung vermögen die Außendinge mehr)
+
+ Seite 117:
+ "Firseurs" geändert in "Friseurs"
+ (schmeichelte der Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig)
+
+ Seite 119:
+ "," eingefügt
+ (wurde indeß bald ansehnlich, als die Börse)
+
+ Seite 127:
+ "Vaten" geändert in "Vater"
+ (An dem Verlust, den ihr Vater einige Mal gelitten)
+
+ Seite 128:
+ "«" eingefügt
+ (wo aller Handel und Wandel stockt!«)
+
+ Seite 129:
+ "Comtoir" geändert in "Comptoir"
+ (Lehrjahre überstanden haben, und im Comptoir sitzen)
+
+ Seite 145:
+ "Kentnisse" geändert in "Kenntnisse"
+ (bei seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse)
+
+ Seite 146:
+ ";" geändert in ":"
+ (mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle)
+
+ Seite 147:
+ "." eingefügt
+ (wenigem Gehalt begnügen.)
+
+ Seite 148:
+ "dara" geändert in "daran"
+ (daß nichts daran zu tadeln sei)
+
+ Seite 171:
+ "«" eingefügt
+ (zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«)
+
+ Seite 174:
+ "Versprrchen" geändert in "Versprechen"
+ (ich mich bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen)
+
+ Seite 177:
+ "dedurfte" geändert in "bedurfte"
+ (obwohl er selbst Trost bedurfte)
+
+ Seite 197:
+ "Va-Vater" geändert in "Vater"
+ (In Gottes Namen, erwiederte der Vater)
+
+ Seite 200:
+ "beweiseu" geändert in "beweisen"
+ (thätig zu beweisen, zog er vom Leder)
+
+ Seite 208:
+ "jehr" geändert in "sehr"
+ (allein der Schüler hatte bis jetzt sehr wenig begriffen) ]
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by
+Julius von Voß
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59731 ***
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-Project Gutenberg's Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by Julius von Voß
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
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-this ebook.
-
-
-
-Title: Kleine Lebensgemälde in Erzählungen
-
-Author: Julius von Voß
-
-Release Date: June 11, 2019 [EBook #59731]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEINE LEBENSGEMÄLDE ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This transcription was produced from
-images generously made available by Bayerische
-Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
-
-
-
-
-
-
-
-
-
- Kleine
- Lebensgemälde
-
- in
- Erzählungen
-
- von
- Julius von Voß.
-
- Berlin, 1821.
- In der Sanderschen Buchhandlung.
- Kurstraße No. 51.
-
-
-
-
- Der
- Besuch nach zwanzig Jahren
- in der Vaterstadt.
-
- Ein Sittengemälde.
-
-
-
-
-Der Besuch nach zwanzig Jahren.
-
-
-Zwanzig Jahre sind eben so viele Umläufe des Erdballs um die Sonne;
-regelmäßig ist die Wandlung, auf eine Minute voraus zu berechnen, in
-welchem Abstand er sich an diesem oder jenem Tage von der Sonne, auch von
-allen bisher entdeckten Planeten befinden wird. Es kann der Mensch stolz
-seyn, daß er so erhabner Berechnungen fähig ist; sie unterscheiden ihn von
-dem sprachlosen Thier. Stets kehren die Jahreszeiten regelmäßig wieder, und
-die veränderte Witterung hängt an atmosphärischen Ursachen, die genau der
-Mensch noch nicht ergründen konnte. Im Allgemeinen sind diese Abweichungen
-aber nicht bedeutend, und man wird doch ziemlich voraussagen können, welch
-ein Ansehn die Natur an diesem oder jenem Orte, in einem oder dem anderen
-Monate, haben wird.
-
-Nicht so ist es bei dem Menschen. Er verfolgt auch einen Gang, dem an sich
-Frühling, Sommer, Herbst und Winter zugetheilt sind; übrigens hat sein
-Leben aber so wenig Regelmäßigkeit, und die Zukunft läßt sich so ungewiß
-aus der Gegenwart bestimmen, daß oft eine ganz andere Erscheinung, als die
-gehoffte, eintreten wird. Nach einem Zeitraum von zwanzig Jahren darf nur
--- wer so lange denken kann -- sich fragen: welche Bekannte hatte ich, als
-dieser Zeitraum anfing? Was ist aus ihnen geworden; und wie hofften und
-glaubten sie einst, daß ihrem Wünschen und Streben die Fügung entsprechen
-würde? Aus den vorhandenen Thatsachen werden nun die Beantwortungen
-hervorgehn, und nicht wenig in Erstaunen setzen.
-
-Auf die allmähligen Veränderungen, welche in zwanzig Jahren mit unsern
-Bekannten sich zutragen, achten wir bei dem Allen viel zu wenig, als daß
-uns die entstandnen Kontraste zwischen Ehedem und Jetzt recht deutlich
-ins Auge fielen. Wo die Farben nach und nach sich umwandeln, befremdet es
-endlich kaum noch, wenn aus dem Weiß ein Schwarz sich hervorgebildet hat;
-doch wer aus dem Mittag jähling in die Mitternacht träte, oder aus dem
-Julius in den Februar, könnte von auffallenden Gegensätzen der Ansicht
-reden.
-
-So auch, wenn wir die Bekannten in zwanzig Jahren nicht gesehn, auch
-während dieser Zeit nicht das Mindeste von ihnen gehört haben. Diese
-Erfahrung sollte ich machen, und ich entnahm daraus, wie viel merkwürdiger
-noch es seyn muß, wenn der Zeitabschnitt dreißig oder noch mehr Jahre
-beträgt.
-
-Ich wurde in einer Stadt mittlern Umfangs in Deutschland geboren. Mein
-Vater bekleidete das Amt eines Rathsherrn, und stand in ausgezeichnetem
-Ansehn; theils weil es seine Würde ihm gab, theils, weil er mit einem
-anerkannt redlichen Sinn eine ungemein scherzhafte Laune verband, die ihn
-jeden Zirkel, in den er trat, beseelen, und allenthalben Freunde gewinnen
-ließ. Eben so war meine Mutter, ihres gutmüthigen und feinen Betragens
-willen, in meiner Heimath geachtet.
-
-Ich hatte noch einen älteren Bruder Otto, welcher die Rechte studierte,
-wogegen ich auf einer Hochschule der Cameralwissenschaft oblag. Meine
-Schwester, Wilhelmine, zählte einige Jahre weniger als ich.
-
-Mit Otto stand ich von den Kinderjahren her nicht zum Beßten. Vater und
-Mutter gaben mir einigen Vorzug; dies machte ihn zu meinem Feind. Unsre
-Gemüthsweisen hatten eine große Verschiedenheit. Otto war einsilbig,
-trocken, mißlaunig, galt daher nicht bei den Knabenspielen in unserer
-Nachbarschaft für einen lustigen Gefährten; ein Lob, das mir hingegen ward,
-bei meiner natürlichen, in jenen Zeiten oft muthwilligen, Lebhaftigkeit.
-Man konnte Ottos Fleiß auf Schulen nicht tadeln; er zeigte vielmehr dort
-guten Eifer, trieb jedoch Alles mechanisch, konnte es nur zu langsamen
-Fortschritten bringen, und am Ende schien Alles bei ihm nur magres
-Gedächtnißwerk. Die Mitschüler nannten ihn einen Pinsel; bei den Lehrern
-aber galt er, weil er ihnen eine ungemein unterworfne Ehrerbietung bewies.
-Mein Streben war nicht so ernst, allein die Arbeit wurde mir leicht; ich
-konnte in einer Stunde mehr vor mich bringen, als Otto in einem halben
-Tage. Daher übertraf ich ihn nicht selten, und erregte oft die Verwunderung
-meiner Lehrer in Fragen, die von scharfsinnigem Nachdenken und treffendem
-Urtheil zeugten; oder in Einfällen, die ihnen witzig schienen. Allein ich
-trieb nebenbei auch manchen kleinen Unfug, war zu leichtsinnig die Gunst
-der Lehrer auf solchen Wegen zu suchen, wie Otto, an dem ich vielmehr eine
-kriechende, sklavische Höflichkeit bespöttelte. So gewann ich dort wenig
-Gunst.
-
-Als wir gemeinschaftlich die Hochschule bezogen hatten, blieb unser
-Verhältniß zu einander sich ähnlich. Otto galt mehr bei den Professoren,
-ich mehr bei den aufgeweckten Burschen, war bald in meiner Landsmannschaft,
-in meinem Orden ein strahlendes Licht. Otto wirthschaftete spärlich; weit
-mehr kostete ich dem Vater. Bei dem Allen war ich ihm doch lieber, als mein
-Bruder, nachdem wir von der Hochschule in die Vaterstadt zurückkamen. Meine
-Außenseite schien ihm vortheilhafter, meine Unterhaltung geistreicher.
-Unser Wissen dünkte ihm sich ungefähr die Wage zu halten; doch meinte er:
-ich würde mit meinem Pfund gescheidter zu wuchern verstehn, die Wege,
-auf denen man sein Glück macht, mit Scharfblick suchen, mit kluger
-Beharrlichkeit verfolgen, und so bald an einem namhaften Ziele stehn.
-Otto, pflegte er zu sagen, wird so ein sechs Jahre als Referendarius der
-Jurisprudenz mitlaufen, und dann sich zum Senator, oder, wenn es hoch
-kommt, zum Bürgermeister in einem Landstädtchen ernannt sehn, und damit
-wird seine Laufbahn geschlossen seyn. An Wilhelm denke ich hingegen noch zu
-erleben, daß er zum Geheimen-Finanz-Rath oder Präsidenten emporsteigt.
-
-Der gute Vater irrte, wie es die Folge zeigen wird. Ueberhaupt gehört es
-auch zu meinen gesammelten Erfahrungen, daß häufig die Eltern ihrer Kinder
-wahrscheinliches Loos unrichtig beurtheilen.
-
-Man stellte uns bei den zwei Collegien an, die in meiner Vaterstadt sich
-befanden. Otto glänzte auf seinem Standpunkt gar nicht; meine Talente
-wurden bald gepriesen. Doch hatte sich nach zwei Jahren da viel geändert.
-Otto griff mehr und mehr ein, und hatte die Zuneigung der Obern, in seinem
-höchst aufmerksamen Betragen, gewonnen. Die meinigen aber fanden an mir
-dies und das zu erinnern. Ich hätte zwar Talente, hieß es, wäre aber auch
-voreilig eitel darauf, ließe mir bald Nachlässigkeiten in der gebührenden
-Achtung gegen Höherstehende, bald in den amtlichen Verrichtungen, zu
-Schulden kommen, und wäre oft auch absprechend, anmaßend; wollte am Eingang
-der Laufbahn manches besser verstehen, als Männer, die größtentheils sie
-schon durchlaufen hätten.
-
-Doch ich will meine nächste Umgebung, in diesen zwei Jahren, beschreiben,
-um hernach darzuthun, welche seltsame Wechsel zwanzig Jahre in den
-Schicksalen der Menschen hervorzubringen fähig sind.
-
-Mein Vater hatte ein Einkommen, das für den Ort ansehnlich heißen durfte,
-und auch meine Mutter hatte ihm einiges Vermögen zugebracht. Dies setzte
-ihn in den Stand, oft Gäste einzuladen, oder, wie man es nennt, ein Haus
-zu machen. Es entsprach seinen Neigungen zu heitrer Geselligkeit, und er
-setzte auch eine Art Stolz in den Ruf: sein Haus könne ein Wohnsitz des
-guten Geschmacks heißen. Er traf auch deshalb eine sorgsame Auswahl unter
-den Leuten, mit welchen er vorzüglich umging; wenigstens mußten sie zur
-feinsten Welt des Ortes gehören, und es lag ihm mehr daran, zu bewirthen,
-als bewirthet zu werden. Daneben war gute, frohe Laune eine den
-Hausfreunden gemachte Bedingung. Sie wohnte ihm selbst in hohem Maße bei,
-und lange Weile floh er.
-
-Er liebte diesen Aufwand jedoch zu viel, erwog nicht genug, daß zwischen
-seinen Einnahmen und Ausgaben kein richtiges Verhältniß bestände. Wir Söhne
-hatten ihm auf der Hochschule auch nicht wenig gekostet, und durften in den
-nächsten Jahren noch keinem Amtsgehalt entgegen sehn. Deshalb war um die
-Zeit, als wir an den erwähnten Landesstühlen untergeordnete Plätze
-gefunden hatten, das Vermögen seiner Gattin schon mit aufgezehrt. Nichts
-destoweniger lebte mein Vater nach alter Weise, zum Theil einmal daran
-gewöhnt, zum Theil auch aus überdachten Gründen. Er meinte, wenn er die
-Obern seiner Söhne durch öftere Einladungen sich verbindlich machte, so
-würden sie um so geneigter seyn, Jenen zu einem besseren Fortkommen
-zu helfen. Zudem wuchs auch meine Schwester heran; eine glückliche
-Verheirathung derselben gehörte zu den sehnlichsten Wünschen meiner beiden
-Eltern. Die Mutter pflegte zu sagen: Ein Mädchen, das nicht gesehn wird,
-kann auch nicht begehrt werden. Und so munterte sie ihn zu dem noch auf,
-wovon ihn abzumahnen vielleicht rathsamer gewesen wäre.
-
-In der That mußte aber Wilhelmine nahe gesehn, nach ihren verschiednen
-Eigenthümlichkeiten beobachtet werden, wenn diese auf Männerherzen Eindruck
-machen sollten; es konnte dann jedoch ein namhafter seyn. Der Mitgift wegen
-ließen Freier sich nicht absehn, und Wilhelmine hatte keinen Mangel an
-Schönheit, zeichnete sich gleichwohl auch daran nicht aus. Sie hatte eine
-mittlere, feine Gestalt, ein nicht unregelmäßiges, und allerdings auf
-schönen inneren Sinn deutendes, aber wie gesagt, nicht ausgezeichnetes
-Gesicht. Es hätte sich daran mehr frische Blüthe, und schärferer Ausdruck
-in den Zügen wünschen lassen; sonst hingegen war es hold, freundlich und
-angenehm.
-
-Viel hatten die Eltern an Wilhelminens Erziehung gewandt, und sie war ihren
-Bemühungen stets mit regem Eifer entgegen getreten. Sie zählte nun achtzehn
-Jahre, und hatte ihren natürlichen Verstand ungemein durch nützliche
-Schriften, und vortheilhaft gewählte Freundinnen, ausgebildet. Der
-französischen und italiänischen Sprache war sie mächtig, und dehnte ihr
-Urtheil auf mannichfache Gegenstände im Gebiet der Wissenschaften und
-Künste aus. Vor Allem nannte sie Tonkunst ihr Lieblingsthum, und erregte
-in der That mit ihrem Gesang die Bewunderung der Kenner. Man sagte von ihr:
-sie eine die Fertigkeit einer Virtuosin mit dem Gefühl einer Dilettantin;
-und es war keine Schmeichelei. Sie wußte sich daneben mit einem edel
-einfachen Geschmack zu kleiden, und trat allenthalben mit Anmuth und feiner
-Darstellung auf.
-
-So mußte Wilhelminens Gesammtheit allerdings anziehend seyn, und in den
-Augen sinniger Männer blieben auch schönere, doch weniger gebildete Mädchen
-ihr weit nachgesetzt. Man feierte die Schwester auf eine ausgezeichnete
-Weise; namentlich glänzte sie, wo man sie veranlaßte, ihre Meinung über
-schönwissenschaftliche Gegenstände zu äußern, oder ihren Gesang tönen zu
-lassen.
-
-Ohne tadelhaft eitel zu seyn, fühlte aber Wilhelmine doch, daß man sie
-auszeichnete, und daß ihre geistigen und gemüthlichen Vorzüge ihr höhere
-Ansprüche gäben, als vielen Mädchen. Schon weil sie das Ideal eines sehr
-vollkommenen Mannes, einer höchst glücklichen Ehe, sich mit vielem Sinn und
-Geschmack zu entwerfen wußte, hoffte sie auch, einen Bräutigam zu finden,
-der geeignet wäre, ihre Wünsche -- dem größeren Theil nach mindestens -- zu
-erfüllen.
-
-Ich hatte ihr Vertrauen mehr, als Otto; daher theilte sie mir oft ihre
-Wünsche mit, und ich konnte das, ihr zartes Selbstgefühl Ehrende und
-Verständige darin, nicht abläugnen.
-
-Ihres Standes sollte der Bräutigam seyn, oder auch höheren; das Letzte
-würde, eben nicht aus stolzem Sinn, doch in dem Betracht, daß Wilhelmine
-durch ihre sich angeeigneten Vorzüge sich bereits erhoben hatte, ihr nicht
-unangemessen gedünckt haben. Reichthum gehörte nicht zu den Bedingungen,
-welche sie aufstellte; Ueberfluß, meinte sie, wäre unnöthig, doch
-unerläßlich nöthig auch, vor Nahrungssorgen und Mangel geschirmt zu seyn.
-Eine mittlere Wohlhabenheit -- auf ein darüber Hinausgehn würde sie
-auch nicht gezürnt haben -- stand hier also in Rede. Aber einen schönen
-jugendlichen Mann wünschte sie vorzüglich; wie hätte sie dem an ihr
-gerühmten feinen Geschmack sonst entsprechen können! Gleichwohl beschränkte
-sie noch ihre Forderungen mäßig. Ein Adonis, ein Antinous, sagte sie, thut
-g'rade nicht Noth, doch eine Gestalt, an der nichts Makelhaftes oder gar
-Lächerliches heraustritt, die eine wahrhaft männliche zu nennen ist. Nichts
-stelle ich mir kläglicher vor, als wenn ich an der Seite einer hagern,
-gebrechlichen, oder sonst verbildeten Mißgestalt einhergehn müßte; ich
-würde in Aller Augen Bespöttelung, und die Frage lesen: wie konnte sie aber
-mit einem solchen Mann zum Altar gehn? Geist und Fühlbarkeit, eine
-gewisse Romantik, Sinn für Poesie und Tonkunst durften in keinem Fall
-ausgeschlossen seyn: je höher die Gabe von dem Allen, je besser. Am meisten
-würde mein Fantasiebild jedoch erreicht seyn, fügte Wilhelmine hinzu, wenn
-der Bräutigam auch mit irgend einem Tonwerkzeug virtuosenhaft auftreten,
-mein Spiel am Pianoforte begleiten könnte, und wenn er daneben eine
-wohllautende Baß- oder Tenorstimme ausgebildet hätte. Eine Doppelsonate,
-ein Duett, müssen doch manche Stunden im langen Eheleben reitzend
-ausfüllen.
-
-Nun, pflegte sie zu enden, dies Alles heißt doch nicht übertrieben, nicht
-unbescheiden fordern. Es kann demungeachtet wohl seyn, daß ich es, nach
-vollem Wunsch, nicht beisammen finden werde. Mag indeß meinem Vorbild
-auch nur in den _Hauptzügen_ Wort gehalten seyn, der _Mehrzahl_ von meinen
-Bedingungen nach. Darunter -- lasse ich aber mich nicht ein, und werde mich
-hüten, leicht und voreilig meine Hand wegzugeben.
-
-Der Vater, sehr eingenommen für Wilhelminen, und selbst zum sanguinischen
-Hoffen geneigt, bestärkte sie in den hochfliegenden Ansprüchen; die Mutter
-hingegen schüttelte den Kopf, und sagte: einem Mädchen ohne Vermögen stände
-leider wenig Auswahl zu.
-
-Außer unsern schon genannten Obern lud mein Vater nun, in jener Absicht,
-häufig einen Baron von Lilienthal in sein Haus. Er hatte Wilhelminen an
-öffentlichen Versammlungsorten große Aufmerksamkeiten bewiesen; das weckte
-Aufmerksamkeit für ihn.
-
-Er stand als Offizier bei der Besatzung im Orte, und war in der That ein
-schöner, einnehmender Mann, von etwa fünf und zwanzig Jahren. Was man ein
-lustiges Betragen nennt, und an jungen Militärpersonen nicht eben selten
-findet, ließ sich ihm nicht vorwerfen. Er schien jetzt wenigstens darüber
-hinaus, mochte es auch früherhin ihm ein wenig eigen gewesen seyn. Er
-sprach mit Geist und richtigem Urtheil, äußerte ein feines Empfinden; seine
-Darstellung war höchst gefällig. Ueber seine Glücksumstände war man bei
-uns nicht unterrichtet, hegte aber glänzende Vermuthungen; denn Lilienthal
-zeigte sich stets in artiger Eleganz, hielt Reitpferde und Livreebedienten,
-und fehlte bei keinen Bällen oder anderen Lustfestlichkeiten, welche die
-sogenannte schöne Welt anordnete. In den Concerten, oder -- wenn reisende
-Mimen eintrafen -- im Theater, blieb er noch weniger aus, gab hier den
-Ton des Urtheils an, und mit sinnigem Geschmack. Er selbst blies die Flöte
-ziemlich, konnte Wilhelminen allenfalls eine Sonate begleiten.
-
-Es schmeichelte ihr nicht wenig, daß Lilienthal ihren Vorzügen, mit so
-vielem Sinn dafür, huldigte. Nicht allein, daß er nicht den mindesten
-Adelstolz in unserm Hause zeigte, auch an öffentlichen Orten achtete er
-auf keine Schönheit von Geburt mehr, so bald man Wilhelminen sah. Vieler
-Mädchen Antlitz umwölkte Neid; denn unter allen jungen Männern der hiesigen
-schönen Welt nahm Lilienthal, nach der gebildeten Schönheiten Anerkennung,
-eine der obersten Rangstufen ein.
-
-Es wurde auch in der Stadt mancherlei von ihm gesprochen, was die
-Theilnahme an ihm von Zeit zu Zeit erneute und erhöhte. Bald sagte man:
-er habe mächtige Gönner am Hofe, die ihm nächstens zu einer einträglichen
-Hauptmannsstelle helfen würden; bald: er habe einen reichen Oheim beerbt.
-
-Da wären nun die Hauptzüge von meiner Schwester Ideal so ziemlich vorhanden
-gewesen. Daß Lilienthal mehr für sie empfinde, als eine gewöhnliche
-Werthachtung ihrer ausgebildeten Talente, stellte sie in keinen Zweifel.
-Seine Blicke sprachen von heißer Liebe; auch manches hingeflogne Wort ließ
-diese ahnen. Zu einem unumwundenen Geständniß, einer netten Werbung um ihre
-Hand, kam es demungeachtet nicht, obschon Wilhelmine oft meinte, beides
-schwebe auf seinen Lippen. Als Jahr und Tag so entflohen waren, zweifelten
-die Eltern, ob es hier zum Ernst hingehn würde; die Tochter aber nicht.
-
-Ferner lud man einen jungen Referendarius fleißig ins Haus, der auch
-zu einem der Landesstühle gehörte, und sich mit uns auf der Hochschule
-befunden hatte. Es war ein Herr von Soldin, und von ihm bekannt, daß ihm
-sein Vater einst hunderttausend Thaler nachlassen würde. Seine übrigen
-Eigenschaften wichen indeß sehr in den Schatten zurück, wo Lilienthal sich
-zeigte. Soldin hatte eine zwar nicht verkrüppelte, aber doch unscheinbare
-Gestalt, und trug sie noch krumm und unbeholfen. Sein Gesicht drückte rohen
-Stumpfsinn aus, seine Gespräche verriethen überall Unwissenheit, seine
-Kleidung war vernachlässigt. Die Amtslaufbahn, worin er sich schleppend
-fortbewegte, hatte auch nur den Zweck, ihn seiner dörfischen Linkheit zu
-entwöhnen, und er empfand einst weder Lust zu den Studien, noch jetzt zur
-Dienstarbeit. Ist mein Vater todt, sagte er, nehme ich den Abschied, und
-ziehe auf meine Güter.
-
-Ueber diese Güter allein wußte er mit einiger Sachkenntniß zu sprechen, und
-zeigte auch hinsichtlich des Geldes und seines Werths richtige Begriffe.
-Sein Vater unterstützte ihn namhaft; doch übte der Referendarius eine so
-wirthliche Beschränkung, daß er mehr als die Hälfte davon sparte. Seine
-einzige Liebhaberei bestand in einem Pudel, den er mit in unser Haus
-bringen zu dürfen bat, auch dort mit großer Zuneigung streichelte und
-fütterte.
-
-Wilhelmine urtheilte: es sei ein geschmackloser, in hohem Grad ungebildeter
-Mensch -- häßlich wäre seine Gestalt aber doch nicht zu nennen. Ohne
-allen Verstand wäre Soldin auch nicht: er bewiese ihn ein seiner klugen
-Sparsamkeit; auch ein freundliches Gemüth lege er bei dem Pudel an den Tag.
-Es würde nur eine Schleifung des rohen Diamants bedingen.
-
-Die hunderttausend Thaler milderten wohl ihr Gutachten über ihn so.
-
-Zwei Umstände machten sie aber noch gespannt. Soldin kam oft, auch
-uneingeladen, zum Besuch; ihn mußte in unserm Hause folglich etwas anziehn.
-Auch sagte er einmal denkwürdig: bei seiner Heirath wolle er nicht auf
-Adel, nicht auf Reichthum sehn, vielmehr ganz nach Liebe wählen. Sein
-Vater ließe ihm darin Freiheit, und könne auch nicht füglich mit Einreden
-auftreten, weil auch er ein bürgerliches und ganz unbemitteltes Mädchen
-geehlicht habe.
-
-Wilhelmine fand nicht rathsam, die löblichen Grundsätze zu tadeln, wohl
-aber, so viel es thunlich sei, die anziehende Kraft zu erhöhen, die uns des
-jungen Mannes so wiederholten Zuspruch verschaffte. Namentlich wenn sie mit
-ihm allein sich befand -- was die Eltern so eifrig eben nicht hinderten --
-nahm sie an dem Pianoforte eine idealische Haltung an, und sang nicht wenig
-schmelzend. Doch seltsam! was Alle hinriß, brachte sein Gefühl nicht aus
-der Stelle. Soldin gähnte oft, schlief sogar etliche Mal ein; und wenn ihm
-meine Schwester das freundlich verwies, gestand er freimüthig: daß ihm ein
-Marsch, oder ein lustiges Stückchen, zum Beispiel, Freut Euch des Lebens,
-mehr gefallen würde. Sie meinte dann, über den Geschmack sei nicht zu
-streiten, und gab ihm das Verlangte zum Beßten. Doch wie sie auch Hände und
-Mund für ihn gefällig bewegte, ließ er Wilhelminen immer noch nicht hören,
-was sie gern vernommen hätte, zumal als es auch ihr zu scheinen begann:
-Herr von Lilienthal liebe sie zwar ungemein, habe gleichwohl keine
-Absichten auf ihre Hand.
-
-Es war, als ob eine Art Furcht ihm die Zunge bei Wilhelminen lähmte.
-Nicht einmal ein fortlaufendes Gespräch konnte er mit ihr führen. Nicht
-allenthalben ließ er eine ähnliche Zurückhaltung sehn. Mein Vater liebte
-Scherz; oft ging Soldin darauf ein, wenn schon auf eine ziemlich derbe
-Weise. Ueber Haushaltung richtete er oft ein Gespräch an die Mutter.
-Auch hatten meine Eltern eine junge arme Verwandte ins Haus genommen, die
-Charlotte hieß. Keinen Unterricht in Gegenständen, welche man zur feinen
-Bildung zählt, hatte sie bekommen; nur schlicht bürgerlich war sie in einer
-kleinen Landstadt erzogen. Sie führte meistens unsre häusliche Wirthschaft,
-kam selten ins Besuchzimmer, und, wenn es geschah, blieb sie entweder
-gänzlich unbeachtet, oder man blickte auch wohl befremdet und spöttisch auf
-sie hin; denn sie stand allerdings in einem auffallenden Gegensatz zu der
-so geistvollen, zarten, niedlichen, abgeglätteten Wilhelmine. Sie konnte
-nur von den alltäglichsten Hausdingen reden. Ihre Gestalt war lang,
-rund, derb; und wer noch das Beiwort plump beifügte, konnte es allenfalls
-verantworten. Nicht einen Zug in dem Gesicht hätte interessant nennen
-mögen, wer sich auf das Interessante verstand; unbedeutend, fade, selbst
-gemein, würden Kunstrichter des Schönen es bezeichnet haben. Gleichwohl
-konnte Soldin bisweilen sich eine gute halbe Stunde zu Charlotten in
-einen Winkel setzen, und mit ihr ein Gespräch über Nichtiges unterhalten.
-Wilhelmine, nach ihrer Gutmüthigkeit, legte ihm auch diesen Verstoß gegen
-ihren, doch so viel höheren, Werth zum beßten aus. Sie äußerte sich:
-auch dies sei ein Beleg guten Herzens an Soldin. Er fühle bei den
-Zurücksetzungen, die Charlotten widerführen, Mitleid, und wolle ihr zeigen,
-daß er keines Stolzes gegen übersehene Personen fähig sei.
-
-Indem sie aber zugleich urtheilte: die Gespräche von gewöhnlichem Stoff
-hätten für Soldin eine behagliche Seite, weil er die Seelenkräfte dabei
-nicht so zu spannen brauche, als wenn sie den Regionen der Wissenschaften
-und Künste entgegen eilte, und ihm dahin zu folgen ansann, -- wollte sie
-es ihm auch bequem machen, und fragte ihn bald um die Hühner, bald um die
-Gänse auf den väterlichen Gütern. Sie empfing zwar befriedigende Antworten;
-allein es schien demungeachtet, er könne das rechte Vertrauen zu ihr noch
-nicht gewinnen. Sie meinte nun, Alles würde mit der Zeit sich finden;
-auch hernach die allmählige Umbildung des jungen Mannes, welche ihn ihrem
-Vorbilde näher brächte.
-
-Außer diesen beiden, stellten noch zwei andere junge Leute sich häufig ein.
-Die Eltern bauten eben keine Entwürfe auf sie; es stand mit der Zeit, wo
-sie an eine Heirath würden gehn können, zu weit aussehend. Allein sie waren
-angenehm unterhaltende Gesellschafter, und hatten mit Otto und mir die
-Schule besucht. Allenfalls konnten Jene auch denken: gesetzt es fände sich
-für Wilhelminen nicht bald etwas Annehmlicheres und Einem oder dem Anderen
-glückten feine Absichten, so möchte er als Eidam nicht verwerflich seyn.
-
-Eduard war ein junger Kaufmann, stand jedoch erst im Begriff, sich
-anzusiedeln. Einige tausend Thaler hatte er zum Anfang; indem er gleichwohl
-einsah, es würde sich damit nichts von Bedeutung unternehmen lassen,
-wollte er zuvor nach Hamburg, Amsterdam, Bordeaux, Lion, Triest und
-anderen berühmten Handelsstädten reisen. Dies sollte ihn eignen, sich die
-vortheilhafteren Geschäfte auszuwählen, bedeutende Verbindungen anzuknüpfen
-und gleich im Großen seinen Kredit zu gründen; so ließe auch zur Stelle im
-Großen sich spekuliren und gewinnen. Eine Fabrikenanlage von Belang gehörte
-auch zu Eduards hochfliegenden Planen. Die Landesregierung, meinte er,
-würde ihm gewiß mit den dazu nöthigen Summen beistehn, wenn er ihr deutlich
-bewiesen hätte: seine Fabrik würde nicht allein Hunderttausende, welche ins
-Ausland flössen, zurückhalten, sondern noch Hunderttausende aus der Fremde
-hereinziehn, auch Tausende von Armen nützlich beschäftigen, und was dessen
-mehr war. Er behauptete: kluge Spekulationen, wie Unternehmungen von weitem
-Umfange, müßten den Kaufmann nach weniger Zeit reich machen; dies habe eine
-so einleuchtende Evidenz, wie das Einmaleins. Träfe es bei Vielen
-nicht ein, so läge es an ihrem Mangel an kühner Regsamkeit; der echte
-Handelsgeist beseele die Alltagsköpfe nicht. Er wußte auch von gar manchen
-Grossirern, Wechslern, Rhedern zu erzählen, die mit nichts angefangen, und
-doch Millionen vor sich gebracht hätten; und er fügte naiv hinzu: In so
-fern die Wege doch bekannt sind, auf denen es ihnen gelang, sehe ich nicht
-ein, warum ich sie nicht auch betreten sollte.
-
-Eduard war übrigens eine ganz hübsche Mannsperson, kleidete sich gut,
-sprach wie Leute von Ton, und ließ sich gern finden, wo Leute von Ton
-zusammenkamen. Er machte Wilhelminen so ehrerbietig als schmeichelhaft
-seine Aufwartung, zeigte, daß es ihm so wenig, als Herrn von Lilienthal, an
-Urtheil und Herz für hohe weibliche Vollkommenheit fehle. Ich zweifle auch
-gar nicht, daß ihm die Schwester ihre Hand würde gereicht haben, wenn
-er von seiner ersten Million vor der Hand nur den zwanzigsten Theil
-aufgewiesen hätte. Er trug einige Mal auf ein vorläufiges Versprechen an,
-und bewies dadurch wenigstens: er hege doch eine ernste Meinung. Wilhelmine
-beschied ihn nicht abschlägig, war aber doch zu klug, sich voreilig zu
-binden. Sie verwies ihn auf den Spruch des weisen Salomo: Jedes Ding hat
-seine Zeit.
-
-Die Eltern hatten es auch so gewollt. Man hörte, des jungen Mannes ererbtes
-Vermögen bestehe in drei- bis viertausend Thalern. Seit Vollendung seiner
-Lehrjahre beschäftigten ihn aber nur die Entwürfe künftiger Plane, und er
-lebte einstweilen, als ob schon gelungen sei, was erst späterhin gelingen
-sollte, hatte auch deshalb mit seinem Vormund, der auf eine baldige
-Ansiedlung in Kleinem drang, manchen Streit. Weil Eduard indeß bald darauf
-nach Hamburg reis'te, und von dort schrieb: er sei schon auf dem beßten
-Wege, seinen, gar nicht zu großen merkantilischen Ideen aufgelegten,
-Vormund zu beschämen, konnte man dem echten Handelsgeist doch auch nicht
-alles Glück absprechen wollen.
-
-Jetzt komme ich auf den genievollsten unter den vermeinten, und wirklichen,
-Aspiranten zu Wilhelminens Torus. Es war ein Ex-Kandidat der Theologie,
-sein Vorname August. Theils aus philosophischem Sinn, noch mehr aber, weil
-er ausschließlich der Tonkunst leben wollte, hatte er die Gottesgelahrtheit
-aufgegeben. Für Tonkunst, in Tonkunst lebte, webte und strebte sein Genius;
-und so verstand es sich von selbst, daß er mit Wilhelminen in eine innigere
-Wahlverwandtschaft treten konnte, als die Uebrigen. Er spielte Klavier
-und Geige, sang auch einen recht artigen Bariton. Da kam es folglich zu
-Doppelsonaten und Duetten, welche Andere mit Vergnügen hörten, wobei
-die Vollziehenden aber das süßere und erhebendere Vergnügen empfanden.
-Wilhelminens Notensammlung enthielt auch manches Lied, von Jenem in Töne
-gesetzt, und sie redete manches von einem darin wehenden Geist, von den
-neuen, eigenthümlichen Gedanken, welche diese Lieder enthielten.
-
-August wollte bei dem Allen höher hinaus. Es schien auch Noth zu thun,
-nachdem er auf ein Predigtamt Verzicht geleistet hatte; wozu aber auch
--- der Sage nach -- das Consistorium seinen Genius wenig tüchtig erachtet
-haben sollte. Es schien, er habe über die Tonleiter die Himmelsleiter
-vergessen, oder gemeint: die Tonleiter führe auch zu Himmelsgefilden. Er
-sagte indeß vom hinderlichen Consistorium nichts.
-
-Dem sei wie ihm wolle, -- Vermögen, das geniale ausgenommen, besaß er
-keineswegs, und mußte kümmerlich von musikalischem Unterricht leben.
-Dagegen beschäftigte ihn seit einiger Zeit die Composition einer großen
-Oper, und er zweifelte im mindesten nicht, es würde auch dem Kunstwerth
-nach etwas Großes damit seyn. Denn nie hatte er solche Weihe im Genius
-empfunden, als bei dieser Arbeit. Es ist auch wahr, daß er sich höheren
-Aufflug gar sinnig zu bereiten verstand. Draußen in einem Garten der
-Vorstadt, und zwar in einem Lusthause desselben, das auf einer Höhe lag,
-und eine anmuthige Aussicht in die Umgegend öffnete, hatte er seine Wohnung
-aufgeschlagen. Maienblüthe, Jasminduft, Aurora, Sommerabendroth,
-helles Wintermondlicht übten begeisternde Einflüsse, und die heftig
-leidenschaftlichen Stellen fertigte August, während Aequinoctialstürme
-tobten. Nach Vollendung wollte er das geniale Singspiel den vorzüglichsten
-Bühnen in Deutschland verkaufen, und rechnete -- auf dem Papier -- die
-nöthige Summe zu einer Kunstwallfahrt ins gelobte Italien heraus. In
-Venedig, Mailand, Florenz, Rom, Neapel, Palermo dachte er Opern in Mozarts
-Styl zu schreiben, dann wie ein neuer Gluck in Paris, später in London
-wie ein Händel =redivivus= aufzutreten, und endlich, nach vorangegangener
-ansehnlichen Bereicherung, bei irgend einem deutschen Fürsten als
-Kapellmeister zu glänzen.
-
-Der Plan schien so übel nicht, und der Meinung nach, welche die Schwester
-von dem kunstsinnigen Jüngling hegte, mußte dessen Ausführung schier
-nothwendig gelingen. Sie bezog sich dabei auf Schillers:
-
- Mit dem Genius steht die Matur im vertraulichsten Bunde;
- Was der eine verspricht, leistet die andre gewiß.
-
-Mochten einige Kunstverständige auch sagen: es habe so gar viel mit dem
-Talent des jungen Mannes nicht auf sich; er sehe es mit überschätzendem,
-träumerischem Dünkel an, -- Wilhelmine sprach dagegen: das sei die Stimme
-des Neides. Am liebsten würde sie den ihr so kunstverwandten August
-geheirathet, für die -- ihm noch winkenden -- Honorare Soldins Reichthum
-vergessen haben, und lieber auch Frau Kapellmeisterin als Frau von
-Lilienthal gewesen seyn; weil in jenem Falle auch ihres Mannes berühmter
-Name in allen europäischen Notenhandlungen glänzen würde. August war nicht
-schön -- Alles ist nun einmal nie beisammen -- und Wilhelmine sagte: Eduard
-gefalle ihr, der Außenseite nach, ungemein, auch noch mehr als Lilienthal;
-dennoch galt ihr August, der genievollen Herrlichkeit wegen, den höheren
-Preis. Sie war auch nicht abgeneigt, die ganze Reihe von Jahren zu warten,
-in denen Italien, Frankreich und England des Geliebten Ruhm krönen sollten,
-um endlich diesen Ruhm mit ihm zu theilen.
-
-Aber -- und das ehrt Wilhelminens Verstand -- sie war von Liebe auch nicht
-so geblendet, daß sie, wenn eine andere anständige Heirath sich dargeboten
-hätte, sie würde abgelehnt haben. Wilhelmine kannte den Vorzug gewisser
-vor ungewissen Dingen. Doch -- dies stand ganz fest -- ihr Ideal sollte
-meistens erreicht seyn; sonst wollte sie ihre Hand gar nicht vergeben, und
-müßte sie auch lebelang unvermählt bleiben.
-
-Nach diesem flüchtigen Abbild meiner Schwester wird man gestehn, daß sie,
-für ihren hellen Geist und ihr schön fühlbares Herz, auch ihr löbliches
-Streben sich zu bilden, ein gutes Glück verdient hätte.
-
-Ich erwähne noch eines Advokaten, Namens Sauer, den man seltner, aber doch
-von Zeit zu Zeit, in unserm Familienkreise sah. Mein Vater hatte allerlei
-Geschäfte mit ihm, weshalb er denn aus Höflichkeit bisweilen eingeladen
-wurde.
-
-Seinen Namen führte er mit der That: er war ein recht sauertöpfiger Gesell,
-bei einer unvortheilhaften körperlichen Bildung. Sein Gesicht hatten die
-Blattern entstellt, daneben war es schwammicht und fahl. Verstand ließ sich
-ihm nicht absprechen, doch zeugte sein Urtheil von einem lieblosen Gemüth;
-die satirische Laune, in welche er zuweilen ausbrach, hatte einen finstern
-und hämischen Styl. Fühlloser gegen das Schöne konnte Niemand seyn. Lief
-das Gespräch um reitzende Mädchen, so blieb er nicht allein eiskalt,
-sondern wußte auch viel an den Gestalten zu tadeln, bis er sie völlig
-herabgewürdigt hatte. Ueber Poesie spottete er wie über eine Narrheit,
-Musik war ihm unleidlich. Deshalb, und wegen seiner ganzen Sinnesart, war
-er auch meiner Schwester unleidlich; sie konnte ihr Mißvergnügen nicht
-hehlen, wenn Sauer ins Zimmer trat, und wich den Unterhaltungen mit ihm
-gerne aus.
-
-Einst kam Wilhelminen jedoch zu Ohren: der Advokat hätte an einem dritten
-Orte gesagt: er ginge mit dem Vorhaben um, sie zu heirathen. Liebe, meinten
-die Hinterbringer, schiene dabei eben nicht sein Antrieb, vielmehr wohl der
-Umstand, daß man Wilhelminen, ihrer Talente wegen, so erhöbe; nun möchte
-er stolz mit einer beneideten Frau prunken. Bald, hatte er indeß noch
-erinnert, solle die Anwerbung nicht geschehn; in einigen Jahren erst, wenn
-seine Berufsgeschäfte mehr empor gekommen wären. Denn es gehörte noch zu
-dem Abstoßenden an diesem Ehrenmann, daß er wenig zu thun, und deshalb üble
-Vermögensumstände, neben manchen Schulden, hatte.
-
-Wilhelmine entsetzte sich zum Theil, als sie das hören mußte, zum Theil
-lachte sie hell auf. Ich würde vor ihm schaudern, sagte sie, und wenn er
-eine Tonne Goldes besäße; ja, ich würde ihn, möchte er daneben auch jung
-und schön seyn, seines verächtlichen Gemüths wegen, doch fliehn. Ha ha ha!
-so ein Mann wäre für mich! Also nach etlichen Jahren will er obenein erst
-kommen, und zählt jetzt schon mehr als dreißig. Zu meinen Bedingungen
-gehört auch ein Abstand von höchstens sechs Jahren, zwischen Mann und Frau.
-Und hier sollte ich -- -- Hu hu! Mögen ihm die Freunde sagen: er solle sich
-den Verdruß eines, nicht einmal zierlich geflochtenen, Korbes sparen. Indeß
--- wird es auch nicht einmal dahinkommen. Der saubre Freier will ja noch
-etliche Jahre verziehn.
-
-Allerdings meinte Wilhelmine, sie würde, nach diesem Zeitraum, schon lange
-angemessen vermählt seyn. Ich theilte diese Hoffnung; auf Soldin oder
-Eduard rechnete ich am meisten, obwohl ich auch dachte: meiner Schwester
-nicht alltägliche Vorzüge könnten noch andere zuständige Bewerber finden.
-
-Meine Eltern hatten jedoch Wilhelminens Verheirathung nicht allein im Auge;
-ihre Söhne kamen daneben mit in Betracht. Keiner von jenen Vorgesetzten,
-die uns zu guten Aemtern helfen konnten, hatte eine mannbare Tochter; sonst
-dürften Jene vermuthlich hierauf einen Entwurf gebaut haben. Doch lebte
-ein gewisser Commerzienrath Hill in unserm Wohnorte, den mein Vater, schon
-seines aufgeweckten Humors wegen, gern sah. Hill sollte aber auch Reichthum
-besitzen, und der Aufwand in seinem Hause stritt gegen die allgemeine
-Sage nicht. Er hatte zwei Töchter, Emma und Minna, eben in der holdesten
-Blüthenzeit begriffen, und weiterhin noch so angethan, daß sie vor allen
-übrigen Mädchen in der Stadt glänzten. Beide waren ausgezeichnet schön: sie
-übertrafen Wilhelminen ohne Zweifel in diesem Betracht; und konnte dasselbe
-nicht von den ausgebildeten Talenten meiner Schwester gelten, so hatten
-Jene doch Manches, was, bei der Menge wenigstens, noch mehr in die Augen
-fiel. Dahin gehörte ein Studium des feineren Welttons, das sich kaum höher
-getrieben denken ließ. Sie wußten über Vieles zu sprechen, und geschah es
-nicht immer mit Gründlichkeit, so erwarben ihnen die einnehmende Weise, die
-lebhaften und treffenden Bemerkungen, der eingemengte und unbefangene Witz,
-Verehrer genug. Die Huldinnengestalten erschienen nicht bloß in den neusten
-Moden, sie wählten auch davon mit bewundertem geschmackvollem Sinn, und an
-_reicher_ Kleidung überschimmerten sie alle Nebenbuhlerinnen, wie man auch
-in gefälligem, bildlichen Tanz ihnen das Meisterinnenthum zuerkannte. Die
-jungen artigen Männer umflatterten sie emsig; von Bräutigamen verlautete
-dagegen noch nichts.
-
-Die Eltern meinten: wir Brüder würden nicht übel thun, wenn wir es auf
-Eroberung dieser Schönheiten anlegten. Reichen Mitgaben ließe sich bei
-ihnen entgegen sehn, und ein Mann, der eine schöne Frau habe, komme dadurch
-oft um so besser fort, weil er um so geachteter sei.
-
-Das ließ sich hören, und ich fühlte mich zudem aufgelegt, den elterlichen
-Rath zu befolgen, weil Emma, die Schönere mir dünkend, bereits lange
-einigen Eindruck auf mein Gefühl machte. Otto ging schwerer daran, hatte
-auch einen gewissen steifen Ernst, und eine nach dem Amtsberuf klingende
-Sprachweise, die ihm den Eingang zur Frauengunst wenig öffneten. Dennoch
-versuchte er einige Aufwartung bei Minna. Sie that aber schneidend fremd,
-und als sie erst seine wahre Absicht zu durchblicken schien, dergestalt
-hochfahrend, daß Otto wohl ahnen konnte, sie wolle ihm alle Bemühung um
-sie verleiden. Er stand nun auch gleich um so mehr davon ab, als er noch
-daneben ausgekundet haben wollte: es stehe mit Hills Vermögensumständen
-nicht so, wie die Eltern glaubten; Unterrichtete sprächen vielmehr
-zweideutig davon. Ich meinte dagegen: Otto rede dem Fuchs ähnlich, bei den
-Trauben, die er nicht erreichen konnte, und setzte meine schon begonnenen
-Annäherungen bei Emma fort. Zuerst wär' es mir beinahe so schlimm gegangen,
-wie dem Bruder. Emma trug das griechische Näschen ziemlich hoch, und that
-schnippisch, wenn ich sie eine bedeutendere Zuneigung wahrnehmen ließ, als
-die allgemeinen Huldigungen, welche sie erhielt. Der Widerstand entwaffnete
-meine Liebe jedoch nicht, erhöhte sie vielmehr, und ich strebte bei allen
-Gelegenheiten, ihr es darzuthun. Nach und nach schien es demungeachtet, als
-ob ich ihr nicht ganz mißfiele, sie aber noch manches Bedenken trüge.
-Oft ruhten die schönen tiefblauen Augen mit Theilnahme auf mir, ja, sie
-blinkten und strahlten dergestalt Gefühl, daß ich die Hieroglyphen der
-Gegenliebe entzifferte. Bei dem Allen suchte Emma näheren Erklärungen
-sich zu entziehen. Um desto heller flammte es in meiner Brust: meine Liebe
-erreichte einen hohen Grad heftiger Leidenschaft; Emma war es, nicht ihre
-Glücksgüter, um die es in meinem Herzen rief, und ich dachte: wenn ich nur
-genügendes Vermögen, oder ein Amt mit hinreichendem Einkommen besäße, so
-würde ich Emma, wäre sie auch eine Bettlerin, mit Entzücken heirathen.
-
-Einmal fügte es sich gleichwohl, daß ich meiner Geliebten dies Alles sagen
-konnte. Sie zuckte die Achseln. Mein Vater ist eigen, sagte sie, und Bitten
-ändern seine Grundsätze nicht. Wären Sie Geheimer Rath, so würde er Ja, und
-ich -- nicht Nein sagen.
-
-Geheimer Rath war ich aber nicht, und die Aussicht nach diesem Ziel
-durchlief eine weite Bahn.
-
-Ich hehlte meinem Vater nichts. Er sagte: Wenn Hill seiner Tochter
-zwanzigtausend Thaler Mitgift auszahlt, so könnt ihr einander bald
-heirathen, und die Beförderung zum Geheimen Rath abwarten. Er gab dem
-Commerzienrath dies zu verstehn; der schnitt jedoch den Faden kurz ab, und
-besuchte, von der Zeit an, unser Haus mit seinen Töchter nicht mehr. Ich
-hätte verzweifeln mögen.
-
-Noch manche Verdrießlichkeiten gesellten sich zum Schmerz meiner Liebe.
-Ich hatte den Präsidenten an meinem Landesstuhl in aufwallender Hitze
-beleidigt, weil er einen jüngeren Referendarius mir voranstellte. Um so
-weniger durfte ich nun Beförderung hoffen. Da Otto, um eben dieselbe Zeit,
-auf eine höhere Stufe in seinem Collegium erhoben ward, so demüthigte mich
-die Zurücksetzung noch mehr.
-
-Es lebte jedoch ein Oheim in Rußland, der ein wichtiges Amt bekleidete. Er
-hatte meinem Vater geschrieben: Schicke mir einen von deinen Söhnen; hat er
-Kenntnisse, so werde ich leicht sein Glück machen. Otto hatte keine Lust,
-in die Ferne zu gehn; ich hingegen überlegte nun, daß manche Deutsche
-in Rußland zu einem schnellen Fortkommen gelangt wären, und daß, bei dem
-mächtigen Einfluß des Oheims, mir eine um so größere Hoffnung winke. Den
-Ort zu verlassen, wo mir so vieles theuer war, kostete meinem Herzen viel;
-doch weil es am Ersten auch seine glühenden Wünsche zu stillen vermochte,
-ermannte ich mich.
-
-Zuvor schrieb ich an Emma, und befragte sie: ob ich hoffen könne, daß sie
-nach Rußland mir zu folgen geneigt seyn würde, sobald ich dort ein Amt von
-Bedeutung erlangt hätte. Sie antwortete zur Hälfte zärtlich, zur Hälfte mit
-kluger Vorsicht. Ihre Gegenliebe wurde so heiß geschildert, daß sie dadurch
-sich bewogen fühlen müsse, jedem Verlangen, das ich an sie richten würde,
-zu genügen; in so weit ihr Vater damit einverstanden sei. Wenn gleichwohl,
-ehe ich meinen Wunsch aussprechen könnte, dieser Vater anderweitig über
-ihre Hand zu gebieten veranlaßt werden sollte, dürfte sie -- freilich nicht
-ungehorsam seyn.
-
-Ich mußte mich hiermit begnügen, und eilte nach Rußland.
-
-Was mir dort begegnet ist, mag nur flüchtig berührt werden. Ich gelangte
-durch meinen Oheim in eine Laufbahn, auf der ich vermuthlich eine höhere
-Ehrenstelle würde erreicht haben, wenn sich nicht gewisse Umstände ereignet
-hätten. Auch schien es mir hier zu weit aussehend mit einer namhaften
-Beförderung; ich hoffte schneller emporzusteigen, wenn ich mich in eine
-geheime Verbindung einließe, deren eigentliches Ziel mir Anfangs nicht
-bekannt war. Allerdings war es jugendliche Unbesonnenheit, die mich in
-bedenkliche Umtriebe verwickelte. Es kam an den Tag; ich wurde abgesetzt,
-und nach Sibirien geschickt.
-
-Hier theilte ich das Loos aller Verwiesenen, hatte Zeit genug, über meine
-begangene Thorheit nachzudenken, und schleppte, zwischen Reue und Hoffnung,
-ein elendes Leben hin.
-
-Erst nach beinahe zwanzig Jahren schlug die Befreiungsstunde; ich hatte
-damals auf weiteres Hoffen bereits Verzicht gethan.
-
-Ich kam zurück nach St. Petersburg; mein Oheim war gestorben, hatte
-mich aber, auf den Fall, daß meine Verbannung enden sollte, zum Erben
-eingesetzt. Ein Vermögen von etwa dreißig tausend Rubeln wurde mir
-ausgehändigt.
-
-Mit diesem Eigenthum beschloß ich wieder in meine Heimath zu gehn. Zwanzig
-Jahre lang hatte ich nicht die mindeste Nachricht von dort erhalten, um so
-stärker sehnte sich mein Herz nach Wiedersehn.
-
-Auch die Stimme der Liebe war noch nicht darin verhallt. Auf jenen einsamen
-Schneegefilden hatte Emma nur zu oft meine Gedanken beschäftigt, und ihr
-Bild um so lebendiger vor meiner Fantasie gestanden, als mich dort kein
-Umgang mit anderen Frauenzimmern zerstreuen, oder in mir eine andere
-Neigung erwachen lassen konnte.
-
-Freilich dachte ich aber auch oft: Sie wird längst verheirathet seyn. Es
-ist nicht glaublich, daß so viel Liebenswürdigkeit ungesucht verblüht wäre.
-
-Auf dem Heimwege mußte ich zunehmend darauf gespannt seyn, in welchem
-Verhältniß ich Emma antreffen würde. Bisweilen dachte ich: Ganz unmöglich
-wäre es bei dem Allen nicht, sie noch ledigen Standes zu finden. Sie könnte
-mehr gezaudert haben, als ihr Brief es zusagte, und, selbst wenn sie von
-meinem Unglück Nachrichten bekommen hätte, einer nahen Befreiung davon
-entgegen gesehn haben. Denn schrieb mein Oheim seinem Bruder von den
-Ursachen meines Unglücks, so schilderte er mich gewiß auch weniger stafbar,
-als leichtsinnig, und vertröstete auf eine glückliche Wendung meiner
-Angelegenheit; die er selbst immer gehofft, und eifrig nachgesucht hatte,
-wie ich nach meiner Rückkunft aus Sibirien erfuhr. Noch ein Umstand machte
-es nicht ganz unwahrscheinlich, daß Emma unvermählt geblieben seyn könne,
-denn noch vor meiner Abreise aus der Vaterstadt gewann Otto's Behauptung,
-daß es um Hills Vermögen nicht am beßten stehe, Glaubwürdigkeit. So dachte
-ich denn jetzt: Selbst schöne Mädchen, wenn sie unbemittelt sind, bleiben
-zuweilen ohne Freier, und es könnte also hier auch so ergangen seyn.
-
-Vielleicht hatte sich Emma aber auch vermählt, und ich fand sie jetzt als
-Wittwe. In jenem und in diesem Falle wollte ich sie besitzen. Ich träumte
-mir noch die Reste ihrer ehemaligen Schönheit entzückend, und empfand, nur
-etwas über vierzig Jahre hinaus, in meiner Brust um so mehr liebende Gluth,
-als ich sie im nördlichen Asien nicht abgekühlt hatte.
-
-Daneben beschäftigte mich aber oft auch die Frage: Was mag aus den übrigen
-Lieben in dem langen Zeitraum geworden seyn? Von den Eltern ließ es sich
-kaum hoffen, daß sie noch lebten, wie heiß ich es auch wünschte; beide
-standen nahe an den Funfzigen, als ich von ihnen schied. Unmöglich war es
-demungeachtet nicht. Nächst ihnen lag mir die Schwester am Herzen. Vier
-junge Männer schienen Wilhelminen zu lieben, als ich mich entfernte. Kurz
-zuvor hatte es noch das Ansehn, als ob Lilienthal wirklich Ernst machen
-wollte. Man sprach neuerdings von einem Erbe, das ihm zugefallen sei, und
-einer ihm bevorstehenden Rangerhöhung. Ich konnte meinen: er habe räthlich
-gefunden, erst diese Umstände abzuwarten. Wo nicht, so hatte vielleicht
-Soldin bald nachher Entschlossenheit gewonnen, ihr sein Verlangen
-darzuthun. Oder fände ich etwa in Eduard oder August meinen Schwager?
-
-Die Letzten sowohl, als jene Beiden, waren übrigens meine vorzüglichsten
-Jugendfreunde; verwandt mit ihnen oder nicht, regten die Schicksale, welche
-sie erfahren haben konnten, meine warme Theilnahme an. Ich wünschte Jeden
-beim Wiedersehn glücklich zu finden, und es mangelte nicht an Gründen,
-es zu hoffen. Lilienthal, der junge Officier voll Geist und Kraft, dessen
-einnehmende Außenseite ihm allenthalben Freunde gewann, und der bei meiner
-Abreise glänzende Aussichten hatte, war vielleicht nun Oberst, vielleicht
-General; wenn er anders in den Kriegen, welche sich unterdessen
-ereignet hatten, nicht geblieben war. Soldin lebte vermuthlich als ein
-wohlbegüterter Landedelmann ruhig, und in wirthlich genossenem Ueberfluß.
-Eduard konnte leicht mit seinem klugen Unternehmungsgeist viel erworben
-haben; wenn auch nicht alle Erwartungen seiner jugendlichen Fantasie
-eingetroffen waren. Ich glaubte mit Ueberzeugung, daß ich ihn wenigstens
-als einen angesehenen, wohlbemittelten Kaufmann begrüßen würde. August
-hatte einst Genialität dargethan; ich bezweifelte sie weniger, als einige
-Andere, bei denen, wie ich meinte, wohl Neid im Spiele seyn konnte. Und
-mochte einst, dachte ich nun, der junge Mann einen zu hohen Glauben an
-sich nähren; das spornt den Strebeflug, ohne den nichts gelingen kann. Ich
-zweifle, daß seine Plane nach ihrem ganzen Umfang gelungen seyn werden; mag
-es aber auch nur ein bescheidner Kreis seyn, in welchem August mit Erfolg
-sich bewegt: dann finde ich immer einen berühmten Componisten an ihm, den
-mindestens auch einige Wohlhabenheit oder ein anständiges Auskommen in
-einem, seinen Neigungen entsprechenden, Beruf erfreut. Ich dachte noch:
-Wenn ich schon ein mittelmäßiges Vermögen besitze, werde ich vermuthlich
-doch gegen die alten Freunde zurückstehn; August hat wenigstens einen
-berühmten Namen in seinem Kunstgebiet, und ich habe den meinigen eben nicht
-bekannt gemacht. Ich gestehe, daß ich an Otto weniger hing, als an jenen
-Freunden, und deshalb sein Schicksal nicht so zum Gegenstand meiner Wünsche
-und Hoffnungen erhob. Zwar verwies ich mir das aus Pflichtgefühl, als
-unbrüderlich; allein es war nun einmal so. Unsere verschiedene Gemüthsweise
-hatte schon in den Knabenjahren ein enges Vertrauen gehindert; und vor
-meiner Abreise entzweite ich mich noch heftig mit ihm. Denn er gab mir auf
-eine hochtrabende Weise Lehren, tadelte mein Benehmen im Collegium, und
-verwies mit Stolz mich auf sein Beispiel und das schon erreichte höhere
-Amt. Uebles konnte ich indeß meinem Bruder deshalb unmöglich wünschen,
-und hielt übrigens dafür, Otto würde vermuthlich einigermaaßen seinen Weg
-gemacht, aber es doch nicht zu etwas Ausgezeichnetem gebracht haben. Seine
-trockne Engherzigkeit schien für diese Meinung zu sprechen.
-
-Auch unsere Verwandte, Charlotte, überging ich damal nicht, bei diesen,
-mir so viele Theilnahme erregenden, Betrachtungen. Es war ein unbedeutendes
-Ding, ohne Verstand und Schönheit, nur im Hauswesen tüchtig. Sicher glaubte
-ich, die Arme würde ohne Mann geblieben, und, wenn meine Eltern nicht
-mehr lebten, oder Wilhelmine sich ihrer nicht angenommen hätte, gezwungen
-gewesen seyn, irgendwo ein Unterkommen als Ausgeberin zu suchen. Denn ich
-urtheilte: ein Mann von Geschmack, selbst nur mit Charlotten in gleichem
-Standesverhältniß, hätte wohl eine Person nicht begehren können, die einer
-gewöhnlichen Magd -- die schönen darunter ausgenommen -- ähnlich sah. Und
-einem kleinen Bürgersmann, der platt genug empfunden, auf Schönheit gar
-nicht zu sehn, wohl aber eine rege Hauswirthin gesucht hätte, dürfte
-schwerlich auch das Wagstück eingefallen seyn, sich um die Verwandte
-eines Rathsherrn zu bemühen; und mein Vater _dann_ auch seine Einwilligung
-versagt haben. Ich beschloß aber, wenn es sich dergestalt verhielte,
-Charlottens Lage nach meinen Kräften zu verbessern.
-
-Endlich sah ich mit klopfender Brust die Thürme meiner Vaterstadt. Sie
-waren unverändert geblieben, bis auf den an der Hauptkirche. Seines
-baufälligen Zustandes wegen hatte man ihn bis zur Hälfte abgetragen,
-und mit einem kleinen stumpfen Dache versehn. Er prangte einst mit einer
-stattlichen Kuppel und Spitze; die Physiognomie der Stadt gewann durch ihn
-etwas heiter Aufstrebendes. Als Knabe hatte ich ihn mit einem erhebenden
-Wohlgefallen angesehn, und ihn oft bis zur sogenannten Haube erstiegen.
-Es verdroß mich, den alten Freund als einen Krüppel wiederzufinden; schier
-ahnte mir darin ein Zeichen übler Vorbedeutung.
-
-Als ich näher kam, lächelte mich eine neue, hoch empor gediehene, Pflanzung
-von Pappeln an. Es war eine Verschönerung; sie würde mir gleichwohl
-anderswo besser gefallen haben, als hier. Dem erinnernden Bilde in mir
-widersprach sie, und machte mir die Gegend vor dem Thore fremd.
-
-Ich stieg aus dem Wagen, mich desto bequemer umzusehn, und ließ den
-Postillon halten. Es war ein schöner Sommerabend; auf dem neuen Spaziergang
-lustwandelten Einwohner. Ich mengte mich unter sie, fand aber nicht einen
-der alten Bekannten hier. Auch das erregte mir Unmuth. Meinem Besuch
-nach zwanzig Jahren in der Vaterstadt, hob ich bei mir an, scheint wenig
-Freudiges entgegen treten zu wollen.
-
-Wenn auch nicht gerade schon trübe, war ich doch nicht so heiter, wie ich
-auf der langen Reise gehofft hatte, daß ich es am Eingange der Heimath seyn
-würde. Von dem geahnten traulich heiligen Empfinden wehte mich jetzt nichts
-an, und ich klagte heimlich, daß es so sei. Immer wollte ich einen von den
-Unbekannten anreden, ihn um meine Eltern, um Wilhelminen, um Emma fragen,
-hatte gleichwohl nicht den Muth dazu. Ebenso zauderte ich, in die Stadt zu
-gehn.
-
-Meine Blicke fielen auf die Thür des nahen Kirchhofs. Sie stand offen, und
-ich fühlte einen schwermüthigen Zug hineinzugehn. O wie viele neue
-Gräber! Doch auch viele neue Denkmähler, die von zugenommenem Luxus
-und verfeinertem Geschmack zeugten. Baumanlagen, sonst nicht vorhanden,
-Gitterwerke, die kleine Gärten umfingen, unter denen Todte ruhten, einzelne
-Hügel, mit Blumen geschmückt, konnten als liebliche Veredlungen des
-Anblicks trauernder Stille gelten. Aber sie riefen mir auch sehr lebhaft
-den Gedanken zu: daß Alles endet, wie schön es einst auch blühen und
-glänzen mochte.
-
-Ich schlich an den Gräbern hin, und las die mancherlei Inschriften der
-weißen Steine und Eisenplatten. O, hier traf ich Bekannte genug! Ein Mal
-über das andere stieß ich auf einen Namen, der mir einst wenigstens nicht
-ganz gleichgültig ins Ohr tönte. Und nicht bloß ältere Personen, die ich
-vor Zeiten werth hielt, auch jüngere sah ich nun lange schon der Verwesung
-übergeben. Es war ein Mädchen darunter, das ich ein wenig geliebt hatte,
-ehe noch Emma den bleibendern Eindruck auf mein Herz machte. Jene war im
-ein und zwanzigsten Jahre verstorben, und ein Gespiele meiner frühsten
-Kinderjahre hatte nur bis zum dreißigsten gelebt.
-
-Nun kann eine wahrhaft melancholische Stimmung über mich, und ich bebte,
-Namen zu sehn, die mich noch stärker rühren könnten. Des Gottesackers
-Hinterwand umliefen noch inwendig Begräbnißplätze in Gewölben. Mein Vater
-hatte sich dort einen erkauft, und den nöthigen Bau daran ordnen lassen.
-Als ich aus meiner Vaterstadt ging, hatten die Seinigen noch keine
-Anwendung von der neuen Ruhestätte machen dürfen. Ich gewahrte sie
-schaudernd, und nahte mich zitternd und wankend. Eine Steinplatte, mit
-Zeilen versehn, war in die Außenwand gemauert. Schon sah ich sie, eh ich
-die Zeilen noch lesen konnte. Ein Opfer also, dachte ich seufzend, hat sich
-der Tod aus unserm Kreis genommen. Mit grauenvoller Neugier eilte ich zu
-lesen, und vermochte es kaum. Es war die Mutter; sie schlief bereits zwölf
-Jahre hier. Der Kirchhof warf viel auf meine Brust!
-
-Ich starrte einige Zeit die Tafel an, und ging langsam weg. Es gelang mir
-nicht, durch die Vorstellungen mich zu trösten: daß es sich kaum anders
-habe erwarten lassen, und daß ich von Glück sagen dürfe, wenn ich meinen
-Vater noch unter den Lebenden antreffe. Ich fühlte in dem Augenblick, was
-die übrigen Verwandten zwölf Jahre früher an diesem Grabe empfanden.
-
-Wieder hinausgetreten, sah ich einen dürren bleichen Mann daher kommen. Er
-bewegte sich mit kleinen Schritten, und hustete im Gehen oft. Er trug ein
-schlechtes Oberkleid, und sein ganzer Anzug zeugte nicht von Wohlhabenheit.
-Mir war, als hätte ich ihn früher gesehn; doch besann ich mich auf Namen
-und Stand nicht. Es schien mir auch, als hätten Blässe und Falten das
-Gesicht merklich umgewandelt.
-
-Auch er faßte mich ins Auge, und ich war schon an ihm vorübergegangen, als
-wir Beide zugleich still standen und nach einander umblickten. Jetzt rief
-er meinen Namen. Auch die Stimme tönte mir bekannt, doch schwach und hohl.
-Ich ging zu ihm, und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr; ich soll die Ehre
-haben, Sie zu kennen, und besinne mich doch nicht gleich ...«
-
-Haben Sie Ihren alten Freund Lilienthal vergessen? Mit diesen Worten
-unterbrach er mich.
-
-Ich trat staunend zurück, und konnte kein Wort sagen.
-
-Ja, fing er lächelnd wieder an, ich habe mich wohl ziemlich verändert. Sie
-aber scheinen noch ganz munter. Noch nicht einmal, wie ich sehe, Ein graues
-Haar. (Das seinige war schon zur Hälfte bleich.)
-
-Ich umarmte ihn nun, und stotterte: »Nein -- das hätte ich nicht gedacht --
-und wie gehts? Mit welchem Titel hat man Sie anzureden?«
-
-Er antwortete: Es geht verdammt schlecht. Ich bin invalider, pensionirter
-Hauptmann.
-
-»Verwundet im Kriege?«
-
-Nein, die Gicht hat es mir gethan. Da muß ich mich nun mit dem schmalen
-Gnadengehalt hinstümpern. Und wenn ich ihn noch ganz bekäme! So wird mir
-aber noch für meine Gläubiger die Hälfte abgezogen.
-
-»Freund -- ich beklage unendlich, Sie nicht in einem glücklichern Zustande
-wiederzusehn.«
-
-So geht es nun schon einmal. Wenn man in der Jugend zu rasch gelebt hat,
-wird man früh alt.
-
-»Hm -- ich dachte, Sie besäßen außerdem ein ansehnliches Vermögen« --
-
-Wo bist Du Sonn' geblieben!
-
-»Ehe ich vor zwanzig Jahren abreis'te, hieß es, Sie hätten eine bedeutende
-Erbschaft« --
-
-Ach, wie man's denn im Leichtsinn treibt. Ich hatte ein Paar tausend
-Thaler; in ein Paar Jahren flogen sie aber hin. Einmal gewöhnt, auf einem
-artigen Fuß zu leben, nahm ich auf, und sprengte, um meinen Kredit zu
-befestigen, allerhand Mährchen aus. Eigentlich nicht ganz Mährchen. Ich
-hatte begründete Hoffnung, zu steigen, zu erben, nur kein Glück. Manche
-lebten wüster in den Tag hinein, als ich, und sind jetzt Obersten,
-Generale, und haben keine Gicht. Das Glück tut alles auf der Welt.
-
-»Sind Sie verheirathet?«
-
-O! wenn ich noch Frau und Kinder hätte, schösse ich gar mich todt. -- Die
-Abendluft wird kalt, ich muß unter Dach. Wir sehen uns wohl ein ander Mal.
-Leben Sie wohl!
-
-»Erlauben Sie mir, Sie noch einen Augenblick zu begleiten. Ich bin in
-zwanzig Jahren nicht hier gewesen, und möchte um Manches fragen.«
-
-Er that mir den Vorschlag, mit nach der Kegelbahn zu gehn, die er besuchen
-wollte; da könnten wir noch eins mit einander plaudern.
-
-Der öffentliche Garten lag nahe. Ich trat mit Lilienthal hinein, und sah,
-daß Einrichtungen und Gäste nur ein ziemlich mittelmäßiges Ansehn hatten,
-so daß ich mich wunderte, wie Lilienthal sich an einen solchen Ort begeben
-könnte.
-
-Unterweges fragte ich: »Lebt mein Vater noch?«
-
-Kann's wohl nicht recht sagen, hieß die Antwort; hab' ihn in langen Jahren
-nicht gesehn. --
-
-»Hm -- ein Rathsherr ist doch nicht so unbekannt« --
-
-Jetzt besinn' ich mich. Er soll noch leben, ist aber schon lange in den
-Ruhestand versetzt. Es geht ihm wie mir.
-
-»Wohnt er noch in seinem Hause?«
-
-Das ist schon lange verkauft. Irre ich nicht, so hält er sich bei der
-Tochter auf.
-
-»Und die?«
-
-Sie lebt, das weiß ich gewiß. Noch vor etlichen Wochen ist sie mir mit
-ihren Kindern begegnet.
-
-Ich wollte eben mit großer Spannung fragen, an wen sie verheirathet sei,
-als etwas Anderes dazwischen trat. Der Wirth des Gartens kam, und fragte,
-was uns beliebe. Ich wollte eine Flasche Wein geben lassen. Den habe ich
-nicht, sagte er mit Achselzucken. Lilienthal nahm das Wort mit Lachen: Hier
-giebt es nur diverse Biere und Aquavite.
-
-Ich hatte nach Jenem wenig gesehn; nun fiel mir auf, daß er seinen Mund an
-Lilienthals Ohr legte, und ihn um etwas fragte, wobei er mich ansah. Der
-invalide Hauptmann erwiederte: Ja, ja, er ists.
-
-Jetzt nahm ich den Wirth mit seinem Mützchen aus Sammet genauer ins Auge.
-Wieder ein nicht fremdes, aber ziemlich schmalbäckiges Gesicht. Kaum traute
-ich meinen Augen, und rief endlich: Eduard?
-
-Er gab mir die Hand. Ei, ei! Lange nicht gesehn. Eine dicke Stimme aus
-der Kegelgesellschaft rief jedoch: Herr Wirth, noch ein Glas Breslauer! Da
-eilte mein Jugendfreund schnell seinem Beruf nach.
-
-»Um Gottes willen, hob ich mit fast erstickter Rede zu Lilienthal an: _der_
-in einem Kegelgarten?«
-
-Der arme Teufel hat ihn gepachtet, wird aber auch nicht sonderlich bestehn;
-es kommen nur wenig Gäste.
-
-»Er war doch Kaufmann« ...
-
-Hat einen kleinen Bankrott gemacht. Und was sollte er dann thun? Frau und
-Kinder wollen ernährt seyn.
-
-Eduard hatte sein Geschäft besorgt. Ich nahm ihn bei der Hand, und führte
-ihn aus der Kegelbahn in einen Gang. »Freund, sagte ich, wie geht es zu?
-Dein spekulativer Sinn, Dein Unternehmungsgeist von ehedem! Ich dachte ...
-ich hoffte ...«
-
-Die Stimme, von der ich Bescheid bekam, tönte nicht mehr so leicht und
-hochfliegend; sie hatte etwas Schweres, neben dem Kleinlauten. Eduard schob
-die Sammtmütze, um sich hinterm Ohr zu kratzen, und sagte nun: Wer kann
-für Unglück! Ja hätte der Vormund mich nur in Hamburg gelassen, ich glaube
-immer noch ... er schickte mir aber kein Geld; ich mußte zurück, und hier
-meine Handlung mit Spezerei- und Materialwaaren antreten. Nun, ich habe
-mich viele Jahre dabei hingestümpert. Aber rechts und links etablirten sich
-Andere, verkauften um Spottpreis, die Consumption nahm in den schlechten
-Zeiten ab, Einquartierung und andere Kriegslasten dazu -- so ward ich
-endlich ruinirt.
-
-»Du wolltest ja eine große Fabrik anlegen.«
-
-Jung will man viel. Ohne große Mittel läßt sich aber nichts Großes
-anfangen.
-
-»Du wolltest Dich um Summen an die Regierung wenden.«
-
-Das will mächtige Fürsprache. Ich habe geschrieben, da- und dorthin. Rund
-abgeschlagen.
-
-»Armer Eduard!«
-
-Wären die Paar Tausend Thaler meiner guten Frau nur nicht mit darauf
-gegangen!
-
-»Wen hast Du denn geheirathet?«
-
-Die Tochter meines Vorgängers in der Handlung. Der Vormund wollte es so,
-hatte auch im Grunde nicht unrecht. Ich mochte mich in den ersten Jahren
-wohl nicht genug nach der Decke strecken, nicht genug um meine Handlung
-bekümmern; wie das so geht, wenn man denkt, es kann nicht fehlen. Man
-bereut es hernach, doch zu spät. -- Und der Herr Bruder? Ich hörte von
-Sibirien. Doch also wieder frei! Gratulire. Wie geht es sonst?
-
-»Schon darum übel, weil ich zwei alte Freunde nicht glücklich wiedersehe!«
-
-Was hilft's? Geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Hier ist ja noch ein
-Jugendfreund. He, Cantor, lieber Cantor!
-
-Ich sah den Mann herwatscheln, der mit einer dicken Stimme Breslauer Likör
-verlangt hatte. Die weitere Gestalt entsprach dem. Keine schmale Wange; ein
-ächtes Abend-Vollmondgesicht, denn es war mit Kupfer bestreut.
-
-Eduard nannte ihm meinen Namen. Ei, ei! rief er; lange nicht gesehn und
-doch noch gekannt. Er schloß mich so weit in die feisten Arme, als der
-Schmeerwanst es nicht hinderte, und sagte jovial: Darauf müssen wir gleich
-eins trinken. =Cantores amant humores!=
-
-Verlegen erkundigte ich mich: von wem ich die Ehre hätte, mich umarmt zu
-sehn?
-
-Karl! rief die fette Gestalt; und Du willst Deinen August nicht mehr
-kennen?
-
-Ich wand mich los, und starrte aufs höchste betroffen in das faunische
-Gesicht. In der That, es war August!
-
-Er kicherte: Nicht wahr, ich habe mir da einen runden Bauch angeschafft? Er
-kostet mir aber auch manchen runden Thaler. Ha ha ha!
-
-»Freut mich, Dich wenigstens vergnügt zu sehn. Ich hoffte indeß gerade
-nicht den Bauch zu finden ...«
-
-O, den laß mir in Ehren!
-
-»Bist Du nicht in Italien gewesen?«
-
-Was sollte ich da gethan haben! Und wo Geld hernehmen zur Reise!
-
-»Du hattest vor zwanzig Jahren doch gewisse geniale Ideen ...«
-
-Ja, Brüderchen, es gibt nur so vielen Widerstand.
-
-»Ich meinte, Du würdest gegen ihn ankämpfen, ihn besiegen.«
-
-Brüderchen, man wird denn ärgerlich, ist mitunter auch ein wenig faul ...
-
-»Du hattest damal die Composition einer Oper in Arbeit. Was ich davon
-hörte, fand ich ungemein ...«
-
-Erinnre mich nicht daran. Ich hatte Aerger die Menge dabei, und Schaden.
-Ließ zehn Abschriften machen, und schickte sie an deutsche Theater. Die
-meisten remittirten, unter höflichen Ausflüchten. Einige nahmen sie; nur
-von Einem bekam ich aber Geld, und das ersetzte mir die Kosten noch
-nicht. Kabalen steckten auch dahinter, Kunstneid, Hudelei. Wo man die
-Oper aufgeführt hatte, erschienen böse Kritiken, sprachen von entlehnten
-Gedanken, veraltetem Styl. Ich hätte die Hunde von Recensenten todt prügeln
-mögen. Hernach verschwor ich's mit den Opern. Aber ein Heft geistlicher
-Oden und vierstimmiger Motetten habe ich noch herausgegeben; die wurden
-ziemlich gut recensirt.
-
-»Darum kamst Du nicht nach Italien?«
-
-Italien, Italien! =Tempi passati=, sagen sie dort.
-
-»Und nach Frankreich, das einen Gluck =redivivus= in Dir sehn sollte?«
-
-Brüderchen, es taugt im Grunde den Teufel nicht, wenn man in der Jugend
-Genie hat, und sitzt nicht auch an der Quelle, und weiß die Kabalen nicht
-todtzumachen. Das Brotstudium wird darüber versäumt, man treibt =Allotria=,
-und macht Plänchen, die wie Seifenblasen an der Luft zerplatzen. Jetzt habe
-ich mir die angenehmen Träumereien abgewöhnt. =Non sum qualis eram.= Weißt
-Du, was ich thun würde, wenn ich etliche und zwanzig Jahre zurück hätte,
-oder was ich hätte thun sollen? Meine Theologie tüchtig treiben, mir
-Freunde machen, eine gute Pfarre verschaffen, und hernach das liebe Minchen
-heirathen. O, Minchen war mir gut, besonders am Klavier. Man schwärmte auch
-ein bischen mit Klopstock, Göthe und Schiller. Alles vorbei! Ich frage auch
-den Teufel mehr nach Amor; Vater Bacchus ist mein Mann.
-
-»Ei, ei! Und wie lebst Du denn sonst?«
-
-Nun, hier auf der Kegelbahn befinde ich mich ganz wohl, und dann geh ich
-zum Duchstein*). Die Composition hab' ich an den Nagel gehängt; es kommt
-nichts dabei heraus. Und, die Wahrheit zu sagen, ich bin auch zu faul, und
-habe mit meiner Singschule, meiner Kirchenmusik ohnehin so viel zu thun.
-Brüderchen, so viel kann ich Dir aber noch sagen: aus meinem Bariton ist,
-ohne Ruhm zu melden, ein Bierbaß geworden, der sich gewaschen hat. Komm
-nur den Sonntag in die Frühpredigt, Du wirst hören, daß alle Kirchenfenster
-klingen.
-
- *) Ein Weißbier, das in Königslutter gebraut wird.
-
-Herr Cantor! rief man drinnen; Sie schieben.
-
-Eilig watschelte August davon, und ließ den Freund stehn. Eduard zuckte
-die Achseln, und sagte: Er ist nun einmal nicht anders, und muß schon so
-verbraucht werden.
-
-Lilienthal kam wieder zu mir. Es soll, nahm er das Wort, dem Cantor
-nicht an Geschicklichkeit fehlen; nur betrübt, daß er sich dem Trunk so
-leidenschaftlich ergeben hat! Es hieß schon einmal: er würde seine Stelle
-deshalb verlieren.
-
-Ich fragte: »Ist er verheirathet?«
-
-Gewesen, erwiederte Eduard; aber von seiner Frau geschieden. Sie war die
-Tochter des Rektors. Durch ihn kam er noch endlich zu dem Amt, das er sonst
-wohl nicht erlangt hätte.
-
-Ich empfahl mich den alten Bekannten, ohne weitere Fragen zu thun, weil
-ich vor der Hand genug hatte. Schwermüthig über Zeit und Menschenloos
-nachsinnend, ging ich nach meinem Wagen, und fuhr in die Stadt.
-
-Es sah artiger darin aus, als vordem. Einige neue, einige verschönerte
-Häuser, mehr Aufwand im Anzug der Bürgersleute, die mir auf der Straße zu
-Gesicht kamen, zeugten von vermehrter Wohlhabenheit. Doch späterhin erfuhr
-ich: es wäre nur mehr als sonst üblich, um schimmernde Außenseiten bemüht
-zu seyn; den alten ächteren Wohlstand habe der Krieg zerstört.
-
-Ich ließ vor einem Gasthof halten. Als ich aus dem Wagen stieg, kam der
-Advokat Sauer aus der Thür. Er hatte am wenigsten gealtert, auch sich
-sonst eben nicht verändert; nur noch etwas grämlicher war das stets düstre
-schwammichte Gesicht geworden. Augenblicklich erkannte ich ihn, sagte
-ihm indeß nur eine flüchtige, kühle Höflichkeit; weil er mir ehedem nicht
-gefallen hatte.
-
-Schwager, fiel er mir ins Wort; Schwager, kommt Ihr einmal wieder zu uns?
-Willkommen aus Sibirien.
-
-Ich stutzte über die Anrede und den vertraulichen Ton. Nach einem
-betroffenen Schweigen erwiederte ich: »Schwager?«
-
-Mein Gott, rief er, wißt Ihr denn nicht einmal, daß ich Eure Schwester
-geheirathet habe?
-
-Mit dürrem Staunen sagte ich: »Das ist mir ganz neu!«
-
-Schon vor funfzehn Jahren. Wir haben drei Jungen und zwei Mädchen. Also gar
-keine Nachricht von den Verwandten gehabt? Nun, in Sibirien, da wundert's
-mich nicht. Und meines Schwiegervaters Bruder in Rußland ist ja auch schon
-vor langer Zeit gestorben. Ihr wollt doch nicht im Gasthof logiren? Kommt
-zu mir. Es ist wohl enge da; doch wir müssen sehn, wie man sich behilft.
-Der Alte ist ja auch bei uns. Nur wieder in den Wagen; ich steige mit ein.
-
-Dies konnte ich nicht wohl ablehnen. Im Wagen fragte ich: Nun, wie lebt Ihr
-denn mit Wilhelminen?
-
-Je nun, war die Antwort, so so. In der Ehe giebt es nun einmal viel
-Aprilwetter. Anfangs hatte sie immer noch die eleganten Herrchen, die
-Genies, im Kopf; da stand es um unsere Eintracht nicht am beßten. Ich
-sagte: Das waren nichtige Courmacher, luftige Projektanten; ich bin ein
-solider Geschäftsmann, und habe es doch ernst gemeint. Also ziemt es sich,
-daß Madame so gütig ist, und mich liebt. Eine ätherische Liebe verlange
-ich gleichwohl nicht; bloß eine irdische, wie sie eine deutsche vernünftige
-Hausfrau kleidet. Wenn ich aber doch sah, daß Madame nicht so gütig seyn
-wollte, und aus dem angenommenen Schein nur Verstellung hervorblickte, ja
-dann hielt ich bisweilen eine Gardinenpredigt, und hatte Recht dazu.
-Mit der ewigen Musik, und den Musenalmanachen hatte ich erst auch meinen
-Verdruß, und ich gestehe, daß ich bisweilen ein Notenheft, oder ein
-Bändchen Poesien ins Feuer geworfen habe. Indeß hat es sich gegeben. Sind
-erst fünf Kinder im Hause, dann geht es prosaisch genug zu, und das liebe
-Fortepiano wird in Monaten nicht berührt. Im Anfang überlief mich auch der
-liederliche Cantor oft. Ich wies ihm die Thür; nun paßte er die Zeit ab,
-wo ich Geschäfte außer dem Hause hatte. Es wurde mir aber gesteckt; ich kam
-unvermuthet, und dies Mal warf ich ihn zur Thür hinaus. Ich kann's nicht
-leugnen, daß ich -- und wer an meiner Stelle hätte es nicht auch gethan? --
-daß ich in der Hitze meinem Minchen eine kleine Ohrfeige gab. Nun, das hat
-mich auch bei kaltem Blute nicht gereut; denn seitdem hat sich Minchen um
-vieles gebessert.
-
-Diese Mittheilung empörte mich so, daß ich eben ausholen und meinem
-Schwager eine große Ohrfeige appliziren wollte, als mir noch zur rechten
-Zeit einfiel, daß meine Schwester davon am meisten zu leiden haben würde.
-Fünf Kinder hatte sie zudem mit dem Unhold! So knirschte ich denn bloß mit
-den Zähnen.
-
-Gott, dachte ich heimlich, wäre mir in dem langen Zeitraum all dies Unheil
-nach und nach zu Ohren gekommen! Aber nun so auf Einmal! Und was mag mir
-noch bevorstehn!
-
-Wir langten in Sauers Wohnung an. Wilhelmine stieß vor Freude einen
-heftigen Schrei aus; ich hätte ihn vor Schrecken erwiedern mögen! O Himmel!
-wie bleich, abgezehrt, und daneben wie alltäglich, zeigte sich jetzt die
-einst so holde, einnehmende Schwester! Weder ihre Kleidung, noch der sie
-umgebende Hausrath, deuteten auf eine vortheilhafte Lage. Die Kinder,
-welche sie rief, den Oheim zu begrüßen, waren reinlich, aber ziemlich
-dürftig gekleidet. Mich befiel ein Kummer ohne Gleichen.
-
-Sauer holte meinen Vater aus seinem Zimmer. Fast Entsetzen erregte mir sein
-Anblick. Schneeweißes Haar, nichts als Runzeln, Kopf und Hände bebend. Und
-so erkaltet war ihm das Gemüth, daß er kaum noch einige Freude über den
-nach zwanzig Jahren wiedererscheinenden Sohn äußerte. Keine Spur mehr von
-jener alten Herzlichkeit und dem heitern, aufgeweckten Sinn.
-
-Wir setzten uns zum Abendessen. Ich mußte von meinen Schicksalen im Norden
-erzählen, wobei die Anderen meistens schwiegen, und ich so zu keinen Fragen
-gelangte. Ich mochte deren auch keine mehr thun. Hatte ich nicht schon
-freudenlose Antworten genug bekommen?
-
-Nachher schien es, als habe der Wein den Greis ein wenig aufgethaut,
-oder als habe er in dem schwach gewordenen Kopfe nun überdacht, was sich
-zugetragen hatte. Er schloß mich in die zitternden Arme, und weinte. Gott
-sei Dank, sagte er, daß Du noch kamst. Etwas später, so hättest Du mich
-nicht mehr gefunden. Ich werde bald zu Deiner Mutter gehn.
-
-O Gott! sagte ich, aufs Neue erschüttert; ich habe bereits an ihrem Grabe
-gestanden.
-
-Mein Vater ging zu Bette, der Schwager sammt den Kindern auch; Wilhelmine
-fragte mich: ob wir nicht noch ein halbes Stündchen plaudern wollten?
-
-Ich that das gern. Sie schilderte mir nun ihren häuslichen Zustand. Das
-Betragen ihres Mannes umging sie zart; außerdem hatte sie aber von nichts
-als Noth und Kummer zu erzählen. Sauer hatte wenig Freunde; nur Leute, die
-einen Erzrabulisten suchten, wendeten sich an ihn. Das Einkommen reichte
-bei fünf Kindern nicht zu; man steckte in peinlichen Schulden, und eben
-so der alte Vater noch. Die Kreuzträgerin endete: Was ist zu thun? Ich muß
-mich in Geduld fassen. Noch ein Glück für mein Mutterherz, daß meine Kinder
-gesund, auch sonst ziemlich wohlgeartet sind. Vielleicht erlebe ich an
-ihnen noch Freude.
-
-»Gute Schwester, erwiederte ich, einigermaaßen werde ich Deine Lage
-verbessern können. Doch sage mir: wie hast Du Dich entschließen können,
-Sauer'n zu heirathen?«
-
-Seufzend erklärte sie: Ja -- es ward mit den übrigen Aussichten nichts.
-
-»Ich dachte, Herr von Soldin ...«
-
-Schnell unterbrach sie mich: Auch nichts! und fuhr fort: Die Zeit ging hin;
-ich war schon drei und zwanzig Jahr. Die Eltern fühlten sich immer mehr
-bedrängt, und wollten mich versorgt sehn. Da kam mein Mann -- Es währte
-lange, eh ich mich überwinden konnte; doch -- was blieb mir ...
-
-»O Gott! sagte ich; Du hast so vielen Fleiß auf die Bildung Deiner schönen
-Talente gewandt! Was nützt es Dir nun!«
-
-Laß uns nicht mehr über das Vergangene reden, seufzte sie. Hin ist hin!
-Jetzt lebe ich nur in meinen Kindern.
-
-Ich ging stumm auf und nieder, warf mich dann in das Sopha, und stützte
-den Kopf auf die Hand; die Unruhe in meiner Brust war unbeschreiblich.
-Ich dachte an die Worte eines Dichters, welche mir auf der Reise von
-St. Petersburg hieher, mit einem süßen Anklang, oft einfielen:
-
- Froh werd' ich die Altäre
- Der heimatlichen Höh'n,
- Und froh die Wonnezähre
- Der Jugendfreunde sehn.
- Und sie, die einst im Lenze
- Der schönen Minnezeit,
- Sich bis zur dunkeln Gränze
- Des Lebens mir geweiht --
-
-Ach, so fand ich es nicht! -- Noch hatte ich nach Emma nicht gefragt. Was
-ich bis jetzt gehört, ließ mich die Geliebte vergessen, indeß nur auf eine
-kurze Zeit. Die Frage schwebte mir wieder auf der Zunge, doch immer
-gewann ich keinen Muth dazu; mein Herz fürchtete hier zu viel von einer
-niederwerfenden Botschaft.
-
-Endlich hob ich doch zu Wilhelminen stockend an:
-
-»Was ist denn aus dem Commerzienrath Hell geworden?«
-
-Schon zehn Jahre todt.
-
-»Das glaubte ich nicht; wenigstens fand ich seinen Namen auf keinem
-Leichenstein.«
-
-Er ist in der größten Dürftigkeit gestorben. Aufwand und mißlungene
-Spekulationen ...
-
-»Hm -- und Minna, seine Tochter?«
-
-Die hat schmählich geendet.
-
-»Geendet?«
-
-Nach des Vaters Tode waren die Mädchen noch unverheirathet --
-
-»Unverheirathet? Beide?«
-
-Ja! Minna wurde Gesellschafterin im Hause des Präsidenten Wernbach, ließ
-sich aber in einen sträflichen Umgang mit ihm ein -- es ward ruchtbar. --
-Noch ein Glück, daß sie mit dem Kinde im Wochenbette starb. Die Präsidentin
-ließ sich scheiden.
-
-»Das herrliche Mädchen und so ehrvergessen! In Gärten kann man aus der
-Blüthe die Frucht voraussehn, bei den Menschen nicht -- Und ... und ...?«
-
-Guter Bruder, ich ahne, was Du noch fragen willst.
-
-»Du hast mein ganzes Vertrauen. Und Emma?«
-
-Frage mich nicht. _Die_ hast Du geliebt --
-
-»Ich liebe sie noch, gute Wilhelmine! Hat sie keinen Mann -- wie auch ihre
-Schönheit verblüht seyn mag, ich gebe ihr meine Hand!«
-
-Dies -- kannst Du nicht!
-
-»Warum nicht? Ihre Armuth soll mich nicht zurückstoßen. Sie hat einst
-mein Herz reich an schönen Empfindungen gemacht, die im Zeitstrom nicht
-untergegangen sind. Ich habe kein andres Hoffen mehr, als Emma noch mein zu
-nennen.«
-
-Dies kannst Du ... nein, frage mich nicht. Erkundige Dich bei Andern.
-
-»Auch hier also warten entsetzliche Nachrichten auf mich? So gieb Du sie
-mir. Wen an Einem Tage schon so viele Dolche trafen, der ist auf Alles
-gefaßt.«
-
-Ich möchte nicht gern ... mache Dich frei von dieser unglücklichen Neigung!
-
-»Diese Neigung ist mein Glück. Ich will Emma mein nennen!«
-
-Dies kannst Du -- wenn Du es denn durchaus hören willst -- um einen mäßigen
-Preis --
-
-»Was sagst Du, Schwester! Ich hoffe doch nicht ...«
-
-Ihr blieb nach dem Tode ihres Vaters weiter nichts übrig, als sich mit
-Putzarbeiten zu ernähren. Doch, an Hochleben und Müßiggang gewöhnt, wollte
-sie sich in Spärlichkeit und Fleiß nicht fügen. -- Ihr Ruf ward zweideutig.
-
-»Gott!«
-
-Nach und nach sank Emma tiefer, und wurde zuletzt als öffentliche Buhlerin
-bekannt. Da zog sie den Sohn eines reichen Kaufmanns an sich, plünderte
-ihn aus, und verführte ihn, die Kasse seines Vaters um nahmhafte Summen zu
-bestehlen ...
-
-»Höre auf. Doch nein -- nein -- ende!«
-
-Es kam an den Tag. Emma wurde auf vier Jahre ins Zuchthaus geschickt --
-
-»Zu viel! zu viel!«
-
-Diese Strafe ist überstanden. Emma wurde wieder frei. Sie fing das alte
-Treiben aufs Neue an; doch -- wie man hört, und es ihre Jahre vermuthen
-lassen -- für sich mit schlechtem Erfolg. Dagegen hat sie eine Art von
-Pflanzschule um sich --
-
-»Genug! Beim Himmel, genug!« -- Ich riß mich von Wilhelminen weg, und
-eilte zu meinem Lager, wo ich aber die ganze Nacht keine Ruhe fand. Eine
-mehrtägige Krankheit folgte den Gemüthsbewegungen an dem schrecklichen Tag.
-
-Dann ergriff ich meinen Entschluß, und sagte der Schwester: »Meine Liebe
-ist dahin! Ohne Liebe noch zu heirathen, wäre Thorheit. -- Wie hoch
-belaufen sich die Schulden des Vaters und Deines Mannes?«
-
-Seufzend erwiederte sie: Wohl auf viertausend Thaler.
-
-»Die bezahle ich.«
-
-Bruder! -- O Bruder!
-
-»Von den Zinsen meines übrigen Vermögens will ich Deine Kinder erziehen
-helfen, sie mögen einst meine Erben seyn. Ich will mich auch um ein Amt
-hier bewerben, so kann ich desto mehr thun, und finde Zerstreuung in den
-Geschäften.«
-
-Wilhelmine umarmte mich mit Freudenthränen. Es wurde mir doch etwas
-leicht, daß ich solche Thränen fließen sah. Gott, rief ich, so frommen also
-Schönheit, Talente, Bildung und andre beneidete Vorzüge nicht, wenn das
-Glück nicht auch lächelt! O Jugend, auf das Unglück schicke Dich an, und
-wahrlich am meisten, wenn Dir solche Vorzüge eigen sind!
-
-Mit einer edlen Fühlbarkeit sagte Wilhelmine nach einigem Schweigen:
-
-Und -- Emma?
-
-»O die Verworfne!«
-
-Auch die am tiefsten gefallen sind -- bleiben Menschen.
-
-»O gute Schwester!«
-
-Du hast sie geliebt.
-
-»Ich gebe ihr ein kleines Jahrgeld.«
-
-Auf Eine Bedingung --
-
-»Versteht sich: daß sie dem ruchlosen Wandel entsagt, und sogleich diese
-Stadt verläßt.«
-
-Dies macht Deinem Herzen Ehre.
-
-Bei diesem Gespräch kam erst noch zur Aufhellung, woran zeither noch
-niemand gedacht hatte. Ich sagte: »Aber ist denn die ganze Menschheit in
-späteren Jahren zum Unheil verdammt? Die Jugendfreunde, die Verwandten,
-Alles muß ich unglücklich wiederfinden, und ...« Nicht Alles, fiel
-Wilhelmine ein. Seltsam, daß Du nach unserm Bruder Otto noch nicht gefragt
-hast. Zum Theil ist wohl Deine Krankheit Schuld daran, daß wir vergessen
-haben, von ihm zu reden; zum Theil auch -- wird bei den Seinigen nicht eben
-viel über ihn geredet --
-
-Ich begreife selbst nicht, fiel ich ein, wie es zugegangen ist, daß ich
-an Otto nicht gedacht habe. Von den übrigen bösen Zeitungen war mein
-Gedächtniß so vollgepfropft, daß ... nun, was macht Otto? Ich wünsche ihm
-alles Gute.
-
-Die Schwester antwortete: Er ist Minister des Herzogs.
-
-Es war sicherlich keine Mißgunst, was ich empfand; ich staunte nur, faltete
-die Hände, und schüttelte den Kopf ein wenig.
-
-Jene fuhr fort: Er ist zugleich in den Adelstand erhoben.
-
-»Ist es möglich! Aber ist es möglich!«
-
-Einige Jahre nach Deiner Abreise wurde er Rath, und nicht lange darauf
-Präsident eines anderen Collegiums; dann wurde er weiter empfohlen, und dem
-Herzoge näher bekannt. Schon manches Jahr bekleidet er die erste Stelle im
-Lande.
-
-Immer noch höchlich verwundert sagte ich: »Otto der trockne, engherzige
-Otto, Minister des Herzogs?«
-
-Lächelnd erwiederte meine Schwester: Wenn nun der Herzog trockne,
-engherzige Minister liebt? Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten.
--- Dem Bruder gelang es auch noch weiter. Seine Würde verschaffte ihm
-Gelegenheit, sich mit einem Fräulein aus einem reichen Hause zu verbinden.
-
-»Nun -- ich gönne ihm Alles; er ist mein Bruder. So höre ich doch nicht
-lauter schlimme Nachrichten. Ei, ei! Es scheint also, als müßte
-eine Anweisung, hier Glück zu machen, so lauten: Fleiß, tüchtigen
-Geschäftsfleiß, wenn auch mehr dem Schein als der Wirklichkeit nach, und
-den Fleiß so geregelt, wie ihn jeder alltägliche Kopf zu zeigen vermag; das
-heißt: trocknen Schlendrian, immer Schlendrian, nie über das Gewöhnliche
-hinaus. Zweitens Kriecherei, ächte, wahre Kriecherei vor allem Rang.
-Endlich die so beliebte Engherzigkeit. Nun meinetwegen denn! Ich kann es
-nicht ändern. Aber sage mir nur, wie es zugeht, daß unser Vater nach so
-langjährigen, treuen Diensten eine so kärgliche Pension hat! Konnte sie
-Otto nicht billig erhöhen? Konnte er Deinem Mann nicht eine gute Bedienung
-verschaffen? Dein Mann mußte allenfalls ja auch sein Mann seyn.«
-
-Wilhelmine erwiederte: O, Se. Excellenz geruhen jetzt, sich Dero armer
-Verwandten zu schämen. Als wir uns im Anfang von Otto's Erhebung an ihn
-wandten, fertigte er uns mit kleinen demüthigenden Geschenken ab. Auf
-wiederholte Bitten, etwas für den Vater, und für meinen Mann zu thun, gab
-er zur Antwort: »Unmöglich könne er, auf seinem viel beobachteten Platze,
-sich Nepotismus vorwerfen lassen; vielmehr habe er, aus Consequenz,
-allenthalben zu vermeiden, daß er nicht für Angehörige und ältere Bekannte
-eintrete. Der Pensionsfond sei zudem erschöpft, und Sauer habe nur
-genügende Thätigkeit auf das Advociren zu verwenden, um bestehn zu
-können.« Nun machte ich selbst eine Reise zu ihm. Es währte lange, ehe ich
-vorgelassen wurde; und, als es endlich geschah, währte die gnädige
-Audienz, überhäufter Geschäfte wegen, nur kurze Zeit. Otto blieb auch jetzt
-unzugänglich, und sagte mir daneben: der Vater sowohl, als ich, hätten ihn
-immer dem Bruder nachgesetzt, und an diesem ein höheres Talent und manche
-andere Vorzüge erhoben. Nun, fügte er hinzu, das höhere Talent half
-ihm nach Sibirien. Mag er von da seinen Lieben Zobelpelze schicken! --
-Empfindlich, daß er über Dein Unglück noch spotten konnte, verwies ich ihm
-das, und sagte hernach: eben auch des unglücklichen Bruders wegen käme ich.
-Glaube er, dem Vater und meinem Manne keine Gunst erzeigen zu dürfen, so
-möchte er wenigstens den Herzog bewegen, sich am russischen Hofe mit einer
-Bitte für Dich zu verwenden. O, sagten Se. Excellenz, da würde ich bei
-Sr. Durchlaucht eine Fehlbitte thun, und noch Höchstihre Ungnade auf mich
-laden. Mit dem Hofe in St. Petersburg steht der hiesige nicht am beßten.
-Ich kann weiter nichts als den Unglücklichen bedauern. Seinem unbesonnenen
-Leichtsinn muß er übrigens sein Schicksal zuschreiben. -- Nun folgte ein
-stolz freundliches Entlassungszeichen. In den Gasthof schickte Otto mir
-noch ein trocknes Billet, mit einer Summe, die meine Reisekosten vergüten
-sollte. Ich sandte sie ihm, mit einem Briefchen in seinem eignen Styl,
-zurück. Seit dieser Zeit haben wir uns so wenig um ihn bekümmert, wie er
-sich um seine Verwandten.
-
-»Pfui,« rief ich aus; »pfui! -- Doch laß ihn! Er kann bei diesem unholden
-Sinn, trotz allem Ansehn und Vermögen, sich nicht glücklich fühlen. Ich
-danke um so mehr für Deine schwesterliche Liebe, die, so viel es anging,
-doch zu handeln versuchte. Aber -- damit nicht auch ich keine Theilnahme
-für arme Verwandten zeige -- ich habe noch nicht nach Charlotten gefragt.
-Lebt sie noch und in welchen Verhältnissen?«
-
-Wilhelmine biß sich ein wenig in die Lippen; es fiel ihr schwer,
-eine Antwort zu geben. Neid war nicht im Spiel; eines so gehässigen
-Charakterzuges war sie nicht fähig. Aber einige Spuren von verwundeter,
-weiblicher Eitelkeit las ich in ihren Augen, als sie über diesen Gegenstand
-reden sollte. Ihre widrige Empfindung unter einem Lächeln zu verbergen
-bemüht, hob sie endlich an: Charlotte ist lange verheirathet.
-
-»So hat sie doch einen Mann gefunden? Das freut, und -- wundert mich.«
-
-Glücklich verheirathet, wenigstens reich -- nein, in der That auch
-glücklich; die Gemüthsart ihres Mannes paßt zu der ihrigen.
-
-»Reich obenein? Das Mädchenglück hat auch seine Launen.«
-
-Und oft gar seltsame.
-
-»Wer ist denn Charlottens Mann? Habe ich ihn gekannt?«
-
-O ja! Du wirst Dich bei seinem Namen wundern. Herr von Soldin.
-
-»Ist das Scherz oder Ernst?«
-
-Warum sollte ich Scherz treiben!
-
-»Ich meinte -- es hatte so ein Ansehn, und man konnte es unmöglich anders
-deuten -- er habe Absichten auf Dich ...«
-
-Die häufigen Besuche galten Charlotten. Um _sie_ bemühte er sich, als wir
-glaubten ....
-
-»Wie konnte -- fast möcht' ich sagen, das platte Geschöpf ihn anziehn!«
-
-Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten.
-
-»Hm! -- Du nanntest ihn immer geschmacklos. Er hat diesen Ausspruch
-bestätigt.«
-
-Unbedeutende Mädchen finden oft leichter eine Heirath, als gebildete.
-
-»Wie geht das zu? Etwa, weil es so wenig gebildete Männer giebt? Das ist
-wohl gewiß nicht die Ursache. Der gebildeten Männer müssen ja viel mehr
-seyn, als der gebildeten Mädchen; denn die Männer haben mehr Gelegenheit
-sich zu bilden. Oder sollte Mädchenbildung mehr bewundert, als geliebt
-seyn, ernste Neigung mehr verscheuchen, als befördern? Dies kann ich auch
-nicht glauben.«
-
-Einen Grund findet man hier nicht leicht heraus; es bleibt nur dabei, daß
-nichts verschiedner als der Geschmack, und -- daß die Liebe blind ist.
-
-»Ach -- meine Liebe war nicht blind. Emma hatte Schönheit, Verstand, und
-ihrem Herzen ließ sich kein Vorwurf machen. Oder -- wäre meine Liebe in so
-fern doch blind gewesen, daß sie eine heimliche Anlage zur Verworfenheit
-nicht entdeckte? Hier fragt es sich gleichwohl immer noch: ob eine solche
-Anlage in der That vorhanden war, oder ob nur die Einflüsse eines dürftigen
-Zustands Emma zu dem hingezogen, was ihre Grundsätze einst verdammten. Zwar
-sollte man fast schließen, eine Anlage müsse vorhanden gewesen seyn; sonst
-wäre Emma nicht durch Armuth gefallen. Wohnen sonst doch Armuth und Tugend
-oft zusammen. Zwar vielleicht öfter, wenn Tugend zeitig an Armuth gewöhnt
-ist, als wenn sie sich erst dazu bequemen soll. Im letzten Falle wird
-Armuth auch oft eine gefährliche Klippe für die Tugend.«
-
-Desto edler ist sie aber auch, wenn sie, wie ein Fels, dem Drange der
-Armuth widersteht.
-
-»Freilich wohl. Will man indeß Entschuldigungen aufsuchen, so kann man es
-vorzüglich beredt, wo die Armuth zu nennen ist.«
-
-Dann aber auch standhaft gebliebne Tugend um so beredter loben.
-
-»Allerdings! O Emma, wärst Du tugendhaft geblieben!«
-
-Dann würde sie noch einen späten Lohn in Deiner Hand empfangen haben.
-
-»Die Thörin noch, bei ihrer Verworfenheit! Was soll man übrigens zu einer
-Anlage sagen, wie ich vorhin sie erwähnte? Ist sie natürlich, und können
-die Grundsätze, welche eine sorgsame Erziehung einflößt, sie nicht
-verdrängen, so entschuldigt das Verbrechen sich ja beinahe ganz.«
-
-Nein, da stimme ich Dir nicht bei.
-
-»Und eine Tugend, die nur in der Abwesenheit gewisser schlimmen Neigungen
-besteht, folglich nicht kämpfen darf, hat keinen Werth.«
-
-Freilich wird die Tugend erst edel, wenn sie, vom edlen Grundsatz
-begeistert, diesen in sich zu solcher Kraft erhebt, daß er die schlimme
-Anlage niederzuhalten vermag. Dies aber soll und muß die Tugend. Gänzliche
-Abwesenheit böser Neigungen ist wohl auch selten; die Umstände wecken sie,
-wenn sie auch schlummern.
-
-»Die Heftigkeit des Temperaments, welche den Umständen entgegen tritt, ist
-aber auch verschieden.«
-
-Wohl kein Phlegma ist so tief, daß nicht manche Lüste daraus hervorgerufen
-werden könnten.
-
-»Es kommt aber in jedem Fall noch auf die Umstände an, ob sie mehr oder
-weniger auf den Menschen eindringen. Die physische Gemüthsanlage bekommen
-wir aus den Händen der Natur, über ihre Entwickelung vermögen die
-Außendinge mehr, als wir. Manche sind glücklich genug, bei einem ruhigen
-Sinn noch solchen Umständen fern zu bleiben, die verlockend auf sie
-eindringen könnten.«
-
-Die Gemüthsanlage muß sich durch kräftigen Tugendwillen veredeln lassen.
-Umstände, welche uns zu verlocken geeignet sind, nahen sich uns so leicht
-nicht, wenn wir selbst vorsichtig davon entfernt bleiben.
-
-»Zum Theil gebe ich das zu, doch nur zum Theil. Immer wird auf dem
-ungestümen Lebensmeere das Glück einen weiten Spielraum behalten.«
-
-Tugend bleibt dennoch auf diesem Meere der sicherste Pilot. Und umfängt
-sie das Glück nicht, so wird sie doch am kräftigsten über das Entbehren
-desselben trösten und beruhigen.
-
-»Ja, diesen Satz muß ich ohne Einschränkung unterschreiben. -- Doch
-Schwester, ein Wort in Vertrauen. Dein Mann klagte über die öfteren
-Besuche, die August Dir gemacht hat. Jetzt wirst Du ihn ohne Zweifel
-verachten. Es geschah auch nur im Anfang Deiner Ehe, wo er noch nicht zum
-Trinker herabgesunken war. Offen -- hatte Dein Mann gerechte Ursache, zu
-fürchten?«
-
-Nein! Nur Wahlverwandtschaft unserer Ideen und Gefühle vereinigte mich mit
-August.
-
-»Es scheint mir -- Du hast ihn einst wirklich geliebt, so gut wie ich Emma,
-Und ihn so wenig richtig beurtheilt, wie ich die Geliebte.«
-
-Wenn ich das einräumte, so könnte ich getrost auch hinzufügen: daß ich
-diese Liebe doch nie über meine Vernunft und Pflicht Herrin werden ließ.
-
-»Hätte sie es aber -- durch Zeit und nähere Gelegenheit als im Vaterhause
--- nicht werden können?«
-
-Ich -- glaube nicht.
-
-»Du liebtest Deinen Mann nicht, und empfandest doch ein mächtiges Bedürfniß
-zu lieben.«
-
-Eins will ich Dir gestehn. Als August sich nicht mehr bei mir einfand,
-schmerzte es mich tief; späterhin war es mir aber äußerst lieb, daß ihn
-mein Mann entfernt hatte.
-
-»Deine Tugend, gute Wilhelmine, hatte folglich -- Glück. O nicht allein
-andere Menschen bleiben uns Räthsel, auch das eigne Herz bleibt es. Laß uns
-aber nicht zu weit ins Feld der Moralphilosophie dringen. Erzähle mir von
-Charlotten das Nähere.«
-
-Eigentlich -- möcht' ich es doch nicht blinde Liebe nennen, was Herrn von
-Soldin an sie zog. Im Punkte der Schönheit empfand er einmal nicht wie
-Andere. Charlottens runde, derbe Formen -- mochten anders Urtheilende sie
-auch plump nennen -- hatten Reitz für ihn.
-
-»Ha ha ha! Er hatte den Geschmack der Algierer, welche ihre Mädchen zu
-mästen pflegen. Auf das Gesicht kömmt es nicht an; Schönheit wird durch die
-Fettigkeit bestimmt.«
-
-Soldin suchte eine wirthliche, anspruchlose, einfache Hausfrau; und weil
-er sie fand -- ließ, nach seinem Sinn, die Wahl sich auch klug nennen. Und
-soll man fremden oder eignem Sinn folgen? Bereuen durfte er seine Wahl auch
-nicht. Sein Vater ist lange todt; beide Eheleute wirthschaften gut; die
-Heimsuchung des Kriegs ist überstanden, und Soldin noch immer ein Mann von
-hunderttausend Thalern.
-
-»So finde ich wenigstens Einen der Jugendfreunde nicht unglücklich.«
-
-Charlotten muß ich nachrühmen, daß sie weder stolz, noch fremd gegen uns
-geworden ist. Sie schickt mir manches in Küche und Keller, und wenn die
-Noth hier zuweilen hoch stieg, suchte ich bei ihr auch anderweitige Hülfe
-nicht vergebens, ob sie gleich, wie ich, fünf Kinder hat.
-
-»Brav! ... Fortan sollst Du mit ähnlichen Bitten ihr nicht lästig
-werden.« --
-
-Ich that nun alles, was ich mir vorgenommen hatte, und fühlte mich im
-Kreise der geliebten Schwester und ihrer Kinder, die ich bald, als wären
-sie die meinigen, liebte, so glücklich als man es, über vierzig Jahre
-hinaus, und -- in diesem Leben, seyn kann. Die erlittene Sklaverei in
-Sibirien ließ mich das Glück der Freiheit um so höher achten und genießen.
-
-Auch Wilhelminens Ehe gewann nun, nach dem Verschwinden der Nahrungssorgen,
-mehr Eintracht, und meine Gegenwart nöthigte ihren Mann zu einem sanfteren
-Betragen. Auch Menschen von tadelhaftem Charakter bessern sich nach
-Umständen.
-
-Möchten junge Leser durch meine Erzählung sich bewogen fühlen, _zeitig_
-über die Veränderungen nachzudenken, welche die Zeit hervorbringt! Möchten
-sie, was ihnen das Glück gab, fest halten, da es launenhaft ist! Möchten
-sie ihre Ansprüche nicht übertreiben, da diese oft betriegen! Möchten sie
-im Schönheits-, im Talentgefühl, weniger Aufmunterungen zum Hoffen, als
-Warnungen vor Mißbrauch sehn! Und endlich, möchten sie an Wilhelminens Satz
-glauben: »Tugend ist der beßte Pilot auf dem Lebensmeer, und erhebt über
-ein feindliches Schicksal.«
-
-
-
-
-Der lustige Todesfall.
-
-Eine komische Erzählung.
-
-
-
-
-Der lustige Todesfall.
-
-
-Herr Lund, ein Kaufmann, der -- nach Börsentaxe -- hunderttausend Thaler,
-und wohl noch einige Tausend darüber, werth seyn mochte, starb, zur größten
-Verwunderung seiner Frau. Denn oft hatte sie gesagt: Mein Mann stirbt gewiß
-nicht; er ist ja einer von den reichsten Leuten in der Stadt, und so klug
-obenein! Er wird schon wissen, wie man es zu machen hat, daß man nicht zu
-sterben braucht. Sagten ihr Bekannte dagegen: der Tod sei so unhöflich,
-nicht Reichthum, nicht Klugheit zu achten; dann bemerkte Jene -- doch in
-Vertrauen --: so stürbe ihr Mann gewiß nicht _vor_ ihr, sondern werde sie
-überleben: sie habe kein Glück; was sie wünsche, treffe nie ein, das wisse
-sie schon.
-
-Demungeachtet rief Jenen der Tod ab, und noch früher, als seine bis
-dahin ziemlich feste Gesundheit es hätte erwarten lassen. Eine plötzliche
-Erkältung zog ihm einen Schlagfluß zu, der in wenigen Stunden eine Ladung
-für Charons Nachen aus ihm machte.
-
-Die Wittwe schlug ihre Hände zusammen. Da sieht man's, rief sie nun:
-unverhofft kömmt doch oft!
-
-Ist er auch gewiß todt? fragte sie den noch beschäftigten Arzt. Kann ich
-mich darauf verlassen? -- Der Arzt gab ihr die heiligsten Betheurungen, und
-bekam einen reichen Ehrensold für die vergebens angewandte Mühe.
-
-Die Wittwe vergaß auch dem Manne nicht, was er zuletzt für sie gethan
-hatte. Sie ordnete nicht nur eine stattliche Beerdigungsprozession an,
-sondern bewies ihm auch ihre Dankbarkeit noch durch einen marmornen
-Grabstein mit Urne und Todesengel. Unter den Lügen, welche die Inschrift
-enthielt, war die gröbste: daß Lunds _betrübte_ Wittwe ihm dieses Denkmahl
-errichtet habe.
-
-Prüfte man die Sache genau, so ließ es sich der Nachgebliebnen eben nicht
-verübeln, wenn sie über den Todesfall ihre Haare nicht ausraufte. Sie hatte
-über den Verstorbnen immer die -- auch nicht ungerechte -- Klage geführt,
-daß er ihr zu wenig Vergnügen mache. Wenn Alles im Hause bereits zur Ruhe
-gegangen war, saß er noch an den Büchern, und rechnete dem Buchhalter
-nach. Morgens stand er am frühsten auf, weckte seine Leute, sah in die
-Niederlagen, und schmälte arg, wenn er irgend etwas nicht so fand, wie
-er es finden wollte. Abends und Morgens bekümmerte sich Lund folglich gar
-nicht um seine Gattin, den Tag über hingegen desto mehr. Früh bekam sie
-Weisungen, die Köchin zu mehr Sparsamkeit anzuhalten, und darüber zu
-wachen, daß sie keine Provision am Markt-Einkauf nähme. Mittags gab es
-gewöhnlich Verweise, daß das Essen zu gut sei, was für die schlechten
-Zeiten nicht passe. Nachmittags empfahl er seiner Ehehälfte, als eine
-gesunde Motion, die Mörserkeule zu regen, und gegen Abend ward sie ersucht,
-den Ladendienern Corinthen, Mandeln, Reiß und andere Material-Waaren, von
-Unsauberkeiten reinigen zu helfen. Von Schauspiel, Gastereien, und was
-dahin gehört, war die Rede nie. Aeußerte Frau Lund bisweilen einen Wunsch
-nach Zerstreuung, dann hieß es: der sonntägliche Kirchengang zerstreue
-genug. Bei schöner Frühlings- und Sommerwitterung, nach vorsichtigem
-Aussehn, ob nicht etwa Regen die Kleidungsstücke mit Nachtheil bedrohe,
-ging Lund auch wohl mit Frau und Tochter am Sonntage vor's Thor. Da man
-sich dort in das weiche Gras setzte, und in die Anmuth der Gegend sah,
-würde es immer seine Idyllenwirkung nicht ganz verfehlt haben, wenn der
-Hausvater, von Landluft umweht, die Stadt vergessen hätte. So aber pflegte
-er diese Gelegenheiten zu nützen, seinen Frauenzimmern _ausführliche_
-Strafpredigten zu halten, weil die Geschäfte zu Hause ihm nur kurze
-vergönnten. Er bewies dann seiner Frau: daß sie bei weitem nicht mit so
-geringem Wirthschaftsgelde auszukommen verstehe, wie seine Mutter
-vor dreißig Jahren, und daß sie eine dumme Gans sei, die sich von den
-Köchinnen, so lange er sie zur Frau habe, Tag für Tag betriegen lasse. Er
-hatte nicht völlig unrecht; denn was man _Geist_ nennt, war an Frau Lund
-eben nicht zu erschaun: sie ließ es bei der _Seele_ bewenden. Wo hätte
-sie aber auch Geist hernehmen sollen? Ihr Vater hatte sich zwar einst mit
-Köpfen vielfach beschäftigt, doch für den Kopf seiner Tochter um so weniger
-etwas gethan, als er sehr geitzig war. Weiland Haarkräusler, gehörte er
-zu den kunstsinnigsten seiner Kunstgenossen, hatte deshalb auch die meiste
-Beschäftigung in der Stadt, und frisirte keine Braut unter einem Thaler.
-Vor zwanzig Jahren wollte Lund sich besetzen. Als Ladendiener hatte er nur
-hundert Thaler zusammensparen können; nun meinte er: wenn er eine Frau mit
-etlichen Tausenden nähme, und jene Hundert dazu fügte, so würde sich schon
-eine solide Materialhandlung gründen lassen. Er klopfte da und dort an, wo
-sich Tausende vermuthen ließen; doch nirgend wurde ihm aufgethan. Das
-hatte seine Gründe. Wer Tausende besaß, wollte ihnen auch etwas Namhaftes
-begegnen sehn; auch war Lund nicht eine schöne, sondern vielmehr eine
-häßliche Mannsperson, und hatte ein nicht _für_, sondern _gegen_ ihn
-einnehmendes Betragen. Nun spekulirte er endlich auf die Tochter des
-Haarkräuslers. Sie war das einzige Kind; der Vater lief mehr als den halben
-Tag in seinem gepuderten Rock umher; Präsidenten und Geheime Räthe, Damen
-vom ersten Rang, gehörten zu dem weiten Kreis seiner Praxis. Auch ging die
-Sage, daß es ihm gelungen wäre, zwei tausend Thaler zu sparen, die er in
-sichern Handlungen auf gute Zinsen untergebracht habe.
-
-Lund pochte also auch hier an. Auf Schönheit und Betragen wurde eben nicht
-gesehen, weil es bei der Friseurstochter um Beides auch nicht sonderlich
-stand. -- Einen Kaufmann zum Schwiegersohn zu haben -- schmeichelte der
-Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig; und auf sorgsame Erkundigung bei
-des jungen Mannes vorigem Principal, erfuhr er: Lund verstehe sich auf die
-italiänische doppelte Buchhaltung und die Waarenkunde ganz löblich, sei
-aber auch einem so schmutzigen Geitz ergeben, daß er nicht einmal ein Paar
-reputirliche Beinkleider habe.
-
-Nun meinte der Haarkräusler: _dem_ könne man schon eine Tochter anvertraun;
-habe er jetzt wenig, so werde er einst viel haben. Er gab daher sein _Ja_,
-sperrte sich aber im Punkte der Ausstattung ganz ungemein. So lange ich
-lebe, sagte er, gebe ich nichts; dafür aber auch Alles, was ich habe, wenn
-ich todt bin. Oh gehorsamer Diener, entgegnete Lund; da werde ich mich wohl
-hüten, die Jungfer Tochter zu lieben.
-
-Endlich verstand der Brautvater sich doch dazu, zwei hundert Thaler, die
-Kleider und Leibwäsche seiner verstorbenen Frau, sammt einigem Zinn und
-Messing, herauszurücken. Lund hatte auf mehr gerechnet; weil der Friseur
-indeß bleich und hager aussah, zuweilen auch hustete, ließ Jener sich
-die Mitgabe doch gefallen. Denn als ein guter Rechner mußte er theils den
-Husten ins Gewinn-Conto stellen, theils den Umstand ins Verlust-Conto:
-daß er, wenn es hier nichts würde, vermuthlich in der ganzen Stadt kein
-Mädchen, das nur hundert Thaler werth sei, bekommen würde. Ein
-kupferner Kessel hätte doch beinahe Alles zerschlagen. Diesen wollte der
-Schwiegersohn noch haben, und der Schwiegervater nicht geben. Den Kessel,
-sagte Lund, und ich liebe; wo nicht, so lieb' ich nicht. Erst antwortete
-man ihm zwar: So lassen Sie es bleiben! rief ihn aber doch von der Treppe
-noch wieder zurück.
-
-Mit drei hundert Thalern fing nun Lund seine Material- und Spezereihandlung
-an. Einiger Credit that freilich zu Anfang dabei Noth; er wurde indeß bald
-ansehnlich, als die Börse nicht mehr zweifelte: Lund strahle unter allen
-Filzen hiesigen Ortes wie ein Stern erster Größe hervor.
-
-Er füllte nach und nach seine Niederlagen mehr, und breitete seine
-Geschäfte nach kleinen Städten aus, wo er die untergeordneten Krämer mit
-Waaren versah. Bald discontirte er auch Wechsel, und handelte mit Papieren;
-doch Alles mit einer so behutsamen Vorsicht, mit einem so richtigen Takt,
-daß es zu den seltensten Erscheinungen gehörte, wenn es sich zeigte, daß
-Lund einmal einen Fehlgriff gethan hatte. Nach funfzehn Jahren war es dahin
-gekommen, daß Papiere, welche Lund kaufte, sogleich ein Procent stiegen,
-und die Gattung hingegen, welche er ausbot, um etliche Procent fiel. Er
-merkte sich das, und führte bisweilen die ganze Börse an. Einmal besonders,
-in den Kriegszeiten, schrieen die Juden Weh über ihn. So eben war
-eine Schlacht gewonnen, die auf den künftigen Preis der Papiere einen
-entschieden vortheilhaften Einfluß erwarten ließ. Lund hatte Mittel
-gefunden, von dem Ereigniß noch zeitiger unterrichtet zu seyn, als die
-Juden. Er wußte, daß sie einen Agenten im Hauptquartier hielten, der ihnen
-den Ausgang der nahe bevorstehenden Schlacht sogleich durch eine Estafette
-melden sollte. Aber auch Lund hatte seinen Schwiegervater dorthin gesandt,
-und, um viel zu gewinnen, etwas daran gewagt. Der Friseur mußte als Courier
-herbeifliegen, und obenein auf den Postämtern etliche Schaffner bestechen,
-daß sie die Juden-Depesche mit lahmen Pferden expedirten. Nun kam die
-hochwichtige Botschaft um zwölf Stunden früher zu Lunds Ohren, und in
-diese zwölf Stunden fiel gerade eine Börsenmorgenzeit. Er ließ heimlich
-aussprengen: eine Hauptschlacht wäre verloren gegangen. Die Juden stritten
-anfänglich; doch weil ihre Estafette nicht eintraf, so meinten sie: der
-Feind könnte wohl schon die Postenverbindung stören, und fingen an, Lunds
-Nachricht zu glauben. Lund kaufte nicht selbst, bot vielmehr emsig feil,
-was den Papieren, auf die bereits das üble Gerücht wirkte, noch mehr
-schadete. Seine Bevollmächtigten mußten dagegen zusammenkaufen, so viel sie
-nur konnten. Eilig schlugen auch die Juden los, weil sie meinten: wäre
-erst die officielle Nachricht da, dann könnte ein noch tieferes Fallen
-der Papiere nicht ausbleiben. Damal gewann Lund auf Einen Schlag zwanzig
-tausend Thaler; der arme schwindsüchtige Friseur hatte aber von seiner
-übermäßigen Anstrengung den Tod.
-
-Nun glaubte Lund, noch die Erbschaft von dem Schwiegervater zu heben. Schon
-lange sah er schmachtend danach aus; der Wohlselige aber blieb, bei seinem
-mäßigen Leben, trotz seiner Schwindsucht, immerfort, wie er seit zehn
-und mehr Jahren gewesen war. Nur der Couriergalopp hatte die Schwindsucht
-endlich zu einer galoppirenden gemacht.
-
-Dies Mal täuschte sich Lund aber in seinen Erwartungen. Der Wohlselige
-hatte in der That einst etliche Tausend Thaler beisammen; kaum war indeß
-seine Tochter verheirathet, als die Mode seine Kunst in einen solchen
-Verfall brachte, wie einst die Gothen und Vandalen alle Kunst und
-Wissenschaft zu Rom. Schwedenköpfe, Titusköpfe, altdeutsche Köpfe, machten
-den armen Friseuren die Köpfe so warm, daß sie damit gegen die Wände
-hätten laufen mögen. In den ersten Zeiten ging es noch hin; nur junge Leute
-dankten ihre Haarkräusler ab, obschon ältere sie Modenarren hießen. Doch
-als erst im Lauf der Jahre auch Präsidenten und Geheime Räthe Zöpfe und
-Locken abschafften, als erst auch die Weisen Modenarren wurden, und die
-Damen ihr ungepudertes Haar durch Kammermädchen in Flechten aufstecken
-ließen: da war bei den einst hochgeachteten Künstlern ihres Leides kein
-Ende zu sehn. In so fern Lunds Schwiegervater jetzt nicht viel mehr
-verdiente, mußte er sein Kapital angreifen und immer davon zusetzen.
-Ein Unglück gesellte sich zum andern; in Folge des Kriegs hörte das
-Handelshaus, worin er das meiste Vermögen niedergelegt hatte, zu zahlen
-auf. Er sagte dem Eidam nichts von diesem Unglück, damit es seine Tochter
-nicht in Klagen und Vorwürfen empfinden sollte. Des Schwiegervaters
-nunmehrige Muße benutzte der Eidam genug, und vortheilhaft, zum Ausspähen
-und Aussprengen dessen, was seinen spekulativen Absichten frommte. Er
-mußte dabei auch andere, jetzt unbeschäftigte, Kunstgenossen in Thätigkeit
-setzen, aber sie für ihre Mühe oft aus seiner eignen Tasche bezahlen.
-Denn Lund versprach wohl ansehnliche Vergütungen; was er gab, war hingegen
-unansehnlich genug: freilich nicht in Lunds Augen; denn _ihm_ galten schon
-etliche Groschen für etwas Ansehnliches. Noch ein schwerer Unfall traf den
-Verstorbenen. Wollte Lund durch fremde Hand kaufen lassen, so wurden des
-Schwiegervaters Freunde bevollmächtigt; er selbst mußte aber in der Nähe
-Acht haben, daß nicht Einer mit dem anvertrauten Gelde entwischte. Selbst
-ein Polizeibeamter, des Alten Vetter, mußte, schnellen Ergreifens
-wegen, bei der Hand seyn. Nichts destoweniger ging einmal ein Freund mit
-fünfhundert Thalern davon. Zu leichtfüßig spottete er alles Nacheilens,
-entkam aus der Stadt, und auch über die Landesgränze. Den Verlust hatte
-nun der Schwiegervater zu decken, und es kam mit ihm so weit, daß er, trotz
-seinem ehemaligen Vermögen und Geitz, doch wenig mehr als Puderbeutel,
-Brenneisen und Kämme nachließ, die, weniger Nachfrage halben, nicht einmal
-die Trödler kaufen wollten. Die übrige fahrende Habe reichte auch zu den
-Begräbnißkosten nicht hin, wie spärlich auch Lund dabei zu verfahren gebot.
-Er suchte für den Leichnam das Armenrecht in einem Gratissarg und Zubehör
-nach; die Obrigkeit wollte sich aber nicht zur Liberalität bei einem Todten
-verstehn, der einen reichen Schwiegersohn hinterließ. So mußte schon Lund
-zutreten; und wie er auch allen eitlen Aufwand vermied, so kostete es ihm
-doch um so mehr Aerger, als die an seines Schwiegervaters Ableben geknüpfte
-Hoffnung gänzlich zerrissen war.
-
-Bei jenen sonntäglichen Spaziergängen im Freien blieb auch seine Gattin nie
-mit Vorwürfen über die eben erzählten Umstände verschont. »Anstatt, daß
-ich hoffte,« sagte Lund, »von Deinem Vater zu erben, mußte ich ihn noch
-begraben lassen. Was habe ich nun von Dir gehabt, mein Kind? Zwei hundert
-Thaler! Denn Kleider, Wäsche, Zinn, Messing und den kupfernen Kessel kann
-ich doch nicht mitrechnen; _Du_ trägst sie, oder brauchst sie in der Küche.
-Zwei hundert Thaler sind immer nicht zu verachten, das weiß ich wohl; aber
-ich kann doch auch nicht einmal behaupten, daß sie mir zu Gute gekommen
-sind. Denn in den langen Jahren hast Du gewiß zwei hundert Thaler in Essen
-und Trinken verbraucht; ja, ich habe noch zulegen müssen; zu geschweigen,
-was die Tochter kostet: eine Last, die Du mir auch aufgebürdet hast.«
-
-Frau Lund erwiederte ihm zwar: Auf meinen zwei hundert Thalern hat doch ein
-ziemlicher Segen geruht, und mein verstorbener Vater brachte Dir auch noch
-manchen Thaler ein. Herr Lund bewies aber: _seine_ Spekulationen, sein
-saurer Fleiß und Schweiß hätten alles gethan. An dem Verlust, den ihr
-Vater einige Mal gelitten hatte, sollte auch Niemand schuld seyn, als die
-Tochter. »Du hättest ihn erinnern sollen,« sagte Herr Lund, »daß er sein
-Geld nicht bei Weber =et compagnie= lassen müsse; man sprach von diesem
-Hause schon lange nicht gut an der Börse. Mir wollte er immer nicht sagen,
-wo sein Geld stände; sonst hätte ich ihm längst ein =aviso= gegeben. Du
-hättest ihn auch vor dem spitzbübischen Friseur warnen können, der mit
-fünfhundert Thalern durchging. Als eine Friseurs-Tochter hättest Du den
-Spitzbuben wohl kennen sollen. Aber Du bist eine dumme Gans, von der ich
-alle mein Lebelang nur Schaden gehabt habe.«
-
-Auch seine Tochter Philippine, die gegen das Ende seines Lebens etwa
-neunzehn Jahre alt war, hatte bei den Spaziergängen ihre Noth. Der erste
-Vorwurf ging immer auf ihr ganzes Daseyn. Hätte ich Dich nicht, sagte er,
-o wie viel könnte ich sparen! Gewöhnlich folgten dann Verweise, daß seine
-Tochter eine Putznärrin sei. Lund pflegte noch hinzuzusetzen: »Und warum
-bist Du eine Putznärrin? Du denkst wohl einem Mann zu gefallen? Und das
-könnte am Ende wohl seyn; denn -- auch ein großer Fehler an Dir! -- ganz
-passabel siehst Du aus. Ah, gehorsamer Diener! Du sollst nicht heirathen,
-kannst ledig bleiben. Wenn ein Bräutigam kommt, so will er auch haben; und
-wo soll man's hernehmen bei den schlechten, nahrungslosen Zeiten, wo aller
-Handel und Wandel stockt!«
-
-Noch mehr Scheltworte mußte Philippine darüber hören, daß sie ein Mädchen
-war. Wärst Du ein Junge, hieß es, so könntest Du schon die Lehrjahre
-überstanden haben, und im Comptoir sitzen. Ich brauchte den Buchhalter
-nicht. Du könntest in ein Paar Jahren Dich nach einer gut bemittelten Frau
-umsehn, die so viel Fonds noch zubrächte, als das Haus Lund schon hat; etwa
-nach zwanzig Jahren änderte sich wohl die Firma, und zeichnete Gottfried
-Lund und Sohn. Und müßt' ich nach dreißig Jahren, oder später, einmal an
-meinen Tod denken, dann hätte ich doch die Aussicht, daß die Firma Lund,
-die an der Börse zu Ehren zu bringen mir so viel Mühe und Schweiß gekostet
-hat, nicht so bald aufhören würde. Da siehst Du, wie vielen Schaden es mir
-thut, daß Du ein Mädchen bist.
-
-Philippinens Mutter vertrat sie denn wohl, und erinnerte den Mann: sie
-doch nicht um etwas zu schelten, wofür sie nicht könne, ihr auch nicht
-vorzuwerfen, daß sie eine Putznärrin wäre, da dies ja völlig ungerecht sei.
-Nicht lange vor seinem Tode entstand hierüber ein heftiger Wortwechsel. Wie
-kann sie eine Putznärrin seyn! sagte die Mutter; sie hat ja keinen Putz!
-
-»Nennst Du das keinen Putz, was sie da trägt?«
-
-Nein! Ein Hauskleidchen von wohlfeilem Kattun.
-
-»Oho! ich soll wohl gar theuren kaufen! Und wenn das kein Putz ist, so
-möchte sie doch gern welchen haben. Ich seh' ihr ins Herz.«
-
-Mein Himmel, wär es denn auch gerade eine Sünde? Alle junge Mädchen putzen
-sich gern.
-
-»Braucht sie denn gerade jung zu thun? Kann sie sich nicht alt und ehrbar
-betragen? Ich habe so oft gesagt, die Kleider, welche Du ablegst, sollen
-ihr zurecht gemacht werden. Bring' ichs wohl dahin?«
-
-Wie kann ich denn Kleider ablegen? Ich habe selbst nur noch zwei, die
-so dünne sind, wie Spinnewebe, weil meine selige Mutter sie schon halb
-abgetragen hat.
-
-»Daß Du ein Reißteufel bist mit Deinen Kleidern, weiß ich schon lange, und
-Philippine tritt in Deine Fußstapfen. Erst vor drei Jahren habe ich ihr
-das neue Kleid anschaffen müssen; das alte, hieß es, wäre nicht mehr zu
-brauchen, und kam auf den Trödel.«
-
-Philippinchen hatte es so geschont, daß es der Trödler noch recht gut
-bezahlte. Aber es war ihr zu kurz geworden.
-
-»Warum hatte es der Schneider nicht eingelegt? Uebrigens auch einer von
-ihren Fehlern, daß sie so wächst. Sie braucht nicht allein so oft neue
-Sachen, sondern immer mehr Zeug dazu.«
-
-Du magst sagen, was Du willst, mein Kind: sie muß doch wieder ein Kleid
-haben.
-
-»Was? Schon wieder? Erst vor drei Jahren ...«
-
-Da war sie noch nicht sechzehn Jahre; seitdem ist sie erst recht
-aufgeschossen. Eingelegt war das Kleid; es ist schon einige Mal
-nachgelassen, nun geht es aber nicht mehr. Pinchen laß einmal das
-Blumenpflücken, und steh auf ... Da siehst Du? Kaum sind noch die Waden
-bedeckt.
-
-»Nun, ich sehe noch gar nicht, daß es so sehr zu kurz ist. Aber doch
-unverantwortlich, wie das Mädchen wächst. Daran bist Du wieder Schuld,
-sonst Niemand. Das kommt von dem Ueberfüttern.«
-
-In einem Vierteljahr werden vielleicht die Kniee zu sehen seyn. Bedenke
-doch, was der Wohlstand fordert!
-
-»Wohlstand, Wohlstand! Eben das Mädchen macht, daß ich nimmermehr zu
-einigem Wohlstand komme! ... Aus einem neuen Kleid wird nichts. Sie kann
-Sonntags zu Hause bleiben, und im Predigtbuch lesen.«
-
-Und, mein Kind, daß Du immer sagst, Philippinchen soll nicht heirathen,
-kommt mir auch wunderlich vor. Du wirst so bald nicht sterben. Ach, Gott!
-ich glaube, Du stirbst in Deinem Leben nicht. --
-
-»Ha ha ha! In meinem Leben freilich nicht, aber in meinem Tode. Du bist und
-bleibst doch eine dumme Gans! Wenn's aber noch lange damit ansteht, soll es
-mir lieb seyn.«
-
-O, es wird noch lange genug damit anstehn; Du bist ja gesund, wie ein Fisch
-im Wasser.
-
-»Das thut meine Mäßigkeit in allen Dingen.«
-
-Wirklich, Du bist allzu mäßig, könntest Dir hier und da wohl manches zu
-Gute thun, was nicht einmal Kosten verursachte. Aber weil Du selbst doch
-sagst, daß Du einmal, trotz all' Deinem Verstand und Gelde, wirst sterben
-müssen -- gerade darum sollte Philippine heirathen. Denn wer soll in der
-Folge erben, was wir haben?
-
-»Sag nur nicht: was _wir_ haben. Das Vermögen gehört mir. Hast Du mir
-zweihundert Thaler eingebracht, so hast Du mir wohl dreihundert gekostet.«
-
-Nun gut, _Dein_ Vermögen. Soll es denn in fremde Hände kommen? Ist denn
-Dein eignes Fleisch und Blut Dir nicht lieber, als weitläuftige Vettern und
-Muhmen?
-
-»Ei, daran werde ich denken, wenn ich dermaleinst dem Tode nahe bin.«
-
-Aber, Du meinst ja, erst in dreißig Jahren würde es dahin kommen. Dann wäre
-Philippinchen beinahe funfzig Jahre, und das Heirathen könnte auch nicht
-mehr helfen.
-
-»Im Grunde ist es unartig, Frau, daß Du so oft von meinem Tode sprichst.
-Das hört Niemand gern, und ich habe doch erst fünf und vierzig Jahre auf
-dem Nacken. Daß Du es übrigens lieber sehn würdest, wenn ich heute stürbe,
-als morgen, weiß ich sehr gut.«
-
-Das wohl nicht. Aber Du würdest Dich freun, wenn Du mich begraben lassen
-könntest; dann kostete ich Dir nichts mehr.
-
-»Ich werde mich aber hüten, daß ich Deinen Wunsch erfülle.«
-
-So viel an mir liegt, ich auch. Du kannst aber ruhig seyn; ich werde Dich
-nicht überleben, habe nun einmal kein Glück in der Welt.
-
-»Kein Glück? Sei nicht undankbar gegen den Himmel! Dein Vater lief mit dem
-Puderquast umher; und Du hast einen Mann, der nur Gottfried Lund zeichnen
-darf, so gilt es an der Börse wie baares Geld.«
-
-Was hab' ich von dem Mann, was hab' ich von dem Geld? Doch laß uns nicht
-von solchen verdrießlichen Dingen sprechen. Lieber wollen wir nachgerade an
-Philippinchens Heirath denken.
-
-»Da kömmst Du schon wieder mit Deinem _wir_! _Ich_ bin Mann, und werde
-sagen, wie ich's haben will; ihr müßt Order pariren. Bei dem Allen --
-wenn sich Einer fände, ein solider Mann bei Jahren, der keine Ausstattung
-verlangte, keinen Heller -- wer weiß, was ich thäte! So brauchte ich das
-Mädchen doch nicht länger zu ernähren.«
-
-Nach dieser Unterredung schien unsern Lund denn doch bisweilen ein Gedanke
-an die Verheirathung seiner Tochter zu beschäftigen. Er sagte einige Mal:
-»Ich hätte wohl einen Bräutigam für Philippinen; nur wird sie ihm zu hübsch
-seyn. Ich kenne ihn; das hat er nicht gern.« Wenn seine Gattin nun fragte,
-wer es sei, und ob sie den Auserwählten kenne; dann gab er zur Antwort:
-»Noch ist es nicht so weit; erst muß seine Frau sterben. Da sie aber an
-einem sogenannten Scirrhus leidet, so kann es damit höchstens noch ein Paar
-Jahre währen.«
-
-Es währte aber nur ein Paar Monate, und Herr Kauser (so hieß der von
-unserm Lund zum Schwiegersohn Erwählte), ebenfalls ein wohl renommirter
-Handelsmann in Material- und Spezerei-Waaren, sah sich in den Wittwerstand
-versetzt. Er galt an der Börse für gut, und daneben für Lunds Pylades oder
-Jonathan, indem Beide völlig gleichen Sinnes waren. Er mochte etwa funfzig
-Jahr alt seyn; aber für jedes konnte er auch wenigstens tausend Thaler auf
-den Tisch zählen, und war folglich ein nicht zu verachtender Liebhaber, was
-den einen Punkt betraf. Sollte in anderen Punkten auch etwas zu erinnern
-seyn, meinte Herr Lund, so müsse man über den Hauptpunkt die Nebenpunkte
-vergessen. Noch vor dem Ableben der Frau Kauser, hatte Lund den nunmehrigen
-Wittwer befragt: ob nach demselben Philippine wohl auf seine Hand rechnen
-dürfe, vorausgesetzt, daß sie nur eine leere Hand bringe, und alle Mitgabe
-à Conto gestellt sei, bis nach des Vaters Tode. Herr Kauser nahm die Sache
-in Bedenken, und bedachte heraus: daß es ja vollkommen einerlei wäre, ob
-Lund oder er Philippinens Geld im Handel umwendete; daß Jener damit eben so
-viel verdienen würde, wie er selbst, und auch eben so wenig unnütz verthun.
-Ein so edles Vertrauen zwischen Beiden konnte in der That an Orest und
-Pylades erinnern.
-
-Als die wohlselige Frau Kauser ihrer sanften Ruhestätte entgegen fuhr,
-mußte auch Herr Lund sie begleiten, und in der Kutsche des Leidtragenden,
-welche dem Trauerwagen zunächst folgte, seinen Ehrenplatz nehmen. Er hatte
-eine schwarze Kleidung dazu entlehnt, und zuvor seiner Ehehälfte gesagt:
-Philippine möchte sich bereit halten, ihren Bräutigam hernach zu empfangen:
-denn um nicht viele Zeit an den Geschäften zu verlieren, würde er mit
-demselben gleich hieher kommen. Auf diese Art könnten zwei Förmlichkeiten
-zugleich abgethan werden.
-
-Frau Lund hatte doch so viele Begriffe von Anstand, daß sie erinnerte:
-es würde an diesem Tage sich wenig ziemen, und solche Eil besonders dem
-Bräutigam übel gedeutet werden.
-
-Herr Lund erwiederte: Solide Geschäftsleute schöben nicht auf, was sie
-einmal thun wollten, und fragten nach dem Urtheil der Welt gar nicht.
-Uebrigens sollte es eben keine Verlobung vor Notar und Zeugen seyn, wovon
-er selbst einräume, daß sie für den Begräbnißtag nicht recht passend seyn
-würde; sondern bloß ein vorläufiges Versprechen, im Kreis der nächsten
-Verwandten. Es wäre zugleich eine Gelegenheit, daß Braut und Bräutigam
-einander kennen lernten.
-
-Frau Lund fragte: welches Kleid nun Philippine anziehen sollte. Wie sie
-bei dem Spaziergang vor etlichen Monaten vorausgesagt habe, sei durch
-Philippinens abermaliges Wachsthum das einzige Sonntagskleid nun so kurz
-geworden, daß wenigstens die Strumpfbänder zum Vorschein kämen. So könne
-Philippine sich doch einem Bräutigam nicht zeigen!
-
-Herr Lund stampfte mit beiden Füßen. Meinen Sürtout, rief er, den ich im
-Comptoir zu tragen pflege, habe ich nun zwölf Jahre. Warum kann Philippine
-nicht auch ein Kleid zwölf Jahre tragen? Ein Kleid, das sie obenein nur
-Sonntags anzieht! Eigentlich müßte es siebenmal so lange halten, als mein
-Sürtout, =ergo= vier und achtzig Jahre!
-
-Die Mutter wandte ihm ganz vernünftig ein: daß er in den verflossenen zwölf
-Jahren, die er den Sürtout besitze, auch nicht mehr gewachsen sei. Zugleich
-äußerte sie den Wunsch: aus einem Kleiderladen einen fertigen Anzug gekauft
-zu sehn, der sich für eine Brautbesichtigung zieme.
-
-Possen! rief Herr Lund; sie mag in dem alltäglichen Hausanzug von Damis
-erscheinen.
-
-Es ist ja nicht einmal Damis, sagte Jene; nur gefärbte schlechte Leinwand.
-Und auch schon alt, geflickt, unten ein breiter Saum angenäht, dessen Farbe
-absticht.
-
-»Thut nichts! Da sieht Freund Kauser, daß man hier nicht überflüßige
-Haushaltungskosten ins Cassa-Buch notirt, obwohl er sich das ohnehin
-vorstellen kann. Und Philippine -- auch einer von ihren Fehlern, daß sie
-nur allzu hübsch ist -- _soll_ ihm nicht gut ins Auge fallen. Er möchte
-sonst zurückziehn; es kömmt ihm auf das Netto bei einer Frau an, nicht aufs
-Brutto, und die Schönheit ist immer ein Brutto, wovon der Mann nur unnütze
-Last hat. Er muß sorgen, wachen, daß nicht Andere zu der Waare Lust
-bekommen, und je mehr eine Frau weiß, daß sie passabel aussieht, je ärger
-quält sie den Mann noch um hübsche Emballage. Ich habe oft gesagt, daß ich
-etwas darum gäbe, wenn Philippine häßlich wäre. Als Heirathsartikel ist es
-doch immer einerlei; der Mann gewöhnt sich an eine häßliche Frau, wie
-an eine hübsche; nach Jahr und Tag weiß er nicht mehr, wie seine Frau
-aussieht. Doch er kann bei den Geschäften ruhiger seyn, und braucht nicht
-an der Börse zu denken: jetzt ist ein Hausfreund bei meiner Frau; wenn er
-so klug gewesen ist, sich eine zu nehmen, die nicht hübsch ist.«
-
-Dabei hatte es sein Bewenden. Philippine erfuhr mit geheimen Grauen ihre
-Bestimmung. Nie hatte sie Herrn Kauser gesehn; aber es fehlte ihr nicht an
-natürlichem Verstande, um =a priori= zu schließen: der Vater würde ihr wohl
-eben nicht einen liebenswürdigen Mann aussuchen.
-
-Die Leser könnten mit Recht fragen: woher Philippine doch einen Begriff
-von Liebenswürdigkeit genommen habe? In der That war sie einst gar schlecht
-unterrichtet worden, kam nur bei den schon erwähnten Gelegenheiten aus, und
-sah weiter Niemanden, als die Hausgenossen. Denn hatte Jemand in Geschäften
-mit Lund zu reden, so mußten die Frauenzimmer sich entfernen, wenn sie
-nicht ohnehin häusliche Verrichtungen hatten.
-
-Bei dem Allen war Philippine nicht ganz ungebildet. Erstlich hatte sie
-einen lebhafteren natürlichen Verstand, als ihre Mutter. Zweitens ereignete
-sich aber auch ein Umstand, wodurch einige Entwickelung dieser Anlage
-entstehen konnte, und wirklich entstand.
-
-Vor Jahr und Tag hatten sich Lunds Geschäfte dergestalt erweitert, daß er,
-neben den gewöhnlichen Ladendienern, eines Buchhalters bedurfte. Er hatte
-zeither die Verrichtungen desselben theils allein besorgt, theils den
-ältesten seiner Ladendiener dazu gebraucht. Dieser ging nun von ihm ab;
-von den übrigen hatte keiner die nöthigen Kenntnisse, und überdem war, wie
-schon gesagt, der Kreis, in welchem man sich tummelte, bei weitem größer
-geworden.
-
-Als Lund damal einen Buchhalter suchte, war es nicht leicht, einen
-nach seinem Wunsch zu finden. Junge Handelsbeflissene von Erziehung und
-mannichfachen Kenntnissen pflegten ein gutes Gehalt, gute Beköstigung,
-und eine anderweitige gute Behandlung zu wollen. Lund verlangte nun mehr
-Kenntnisse, als er selbst hatte: der Buchhalter sollte in französischer,
-englischer und italiänischer Sprache Correspondenz führen, was Lund nicht
-verstand, was aber geschehen mußte, in so fern er die zeither nur auf
-Deutschland beschränkten Geschäfte über dessen Gränzen hin ausbreiten
-wollte. Disconto und Handel mit Papiergeld waren nicht mehr so lebhaft
-wie sonst; Lund hatte namhafte Summen liegen, und mußte sehn, wie er den
-größtmöglichen Ertrag davon zöge. Trieb er indeß auch manchen Großhandel,
-so lebte er doch immer noch auf dem Fuß eines Kleinkrämers; ja, selbst bei
-dem kleinsten unter den Kleinkrämern würde man wohl kaum eine so armselige
-Lebensweise gefunden haben. Unter diesen Umständen wollte er zwar bei
-seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse, aber ihn nur schlecht besolden
-und schlecht beköstigen. Auch sollte der Buchhalter sich -- mitunter
-wenigstens -- gefallen lassen, daß er schlecht behandelt würde; denn in
-dem, was man behandeln nennt, ging Lund mit seinen Ladendienern gar
-wenig zart um: sie mußten Rippenstöße und andere handgreifliche Weisungen
-hinnehmen, und wurden nicht allein in der dritten Person angeredet, sondern
-häufig auch in den Vocativen der Substantive Esel, Schlingel, Lümmel
-u. s. w. Dies hatte freilich die Folge, daß keiner so leicht ein halbes
-Jahr bei ihm aushielt.
-
-Als er sich jetzt an der Börse in seiner Absicht umthat, und die Mäkler um
-junge Handelsbeflissene mit vorzüglichen Kenntnissen befragte, gab es deren
-wohl, die ein Unterkommen suchten, doch nicht Einen, der es bei Lund finden
-wollte. Wurde ihnen nur der Name genannt, so hörten sie auch schon auf,
-von der Sache zu sprechen, und die Mäkler waren also nicht im Stande,
-Herrn Lund ein taugliches Subjekt nachzuweisen. Einige Monate blieb dessen
-Absicht unerfüllt; dann meldete sich aber ein hübscher junger Mensch von
-selbst bei Herrn Lund, mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle eines
-Buchhalters bekommen könne.
-
-Lund maß ihn vom Wirbel bis zu den Sohlen. Letztere waren etwas schadhaft,
-und dort die Haare ohne alle Zierlichkeit geordnet. Ein abgetragner
-Ueberrock von schlechtem Tuch kam hinzu. Dies Alles konnte dem Prüfenden
-schon gefallen. Der junge Mensch hielt, dem Ansehen nach, nicht auf windige
-Eleganz, und trug seine Kleidungsstücke so lange als möglich. Also konnte
-er sich auch mit wenigem Gehalt begnügen.
-
-Herrisch fragte ihn Lund: ob er Zeugnisse aufzuweisen habe. Jener nahm
-deren mehrere aus einem wurmstichigen Taschenbuch. Sie waren von namhaften
-Häusern in Hamburg, Wien und Leipzig ausgestellt, wo der Jüngling
-conditionirt hatte, und klangen sehr löblich.
-
-Lund hielt sie gegen das Fensterlicht, um zu sehen, ob auch nichts darin
-radirt und beliebig geändert sei. Dann fragte er barsch: »Aber warum blieb
-man nicht länger an einem Orte, und zieht umher, wie die Zigeuner?«
-
-Bescheiden wurde ihm geantwortet: Um an verschiedenen Orten meine
-Kenntnisse zu erweitern.
-
-Nun mußte der junge Mann zur Probe einige verwickelte Handelsrechnungen
-machen, oder lösen. Hierauf verstand sich Herr Lund; und er sah nun, daß
-es schnell, richtig, und mit einer saubern Handschrift vollzogen ward.
-Gleichwohl tadelte er Einiges daran.
-
-Nun führte er den jungen Mann in seine Speicher und Niederlagen. Dort mußte
-er die Waaren nennen, ihre Güte beurtheilen, und ihre Preise abschätzen.
-Auch hier bestand er wenigstens ziemlich.
-
-Lund schüttelte aber dennoch den Kopf, ging wieder mit ihm ins Comptoir,
-und verlangte Geschäftsbriefe in mehreren Sprachen, nach einem durch ihn
-bestimmten Inhalt.
-
-Sie waren bald vollendet, und hatten ein zierliches Ansehn. Selbst konnte
-Lund sie nicht beurtheilen, und beschied deshalb Jenen auf den folgenden
-Tag wieder zu sich.
-
-Unterdessen zeigte er die Briefe einigen Kaufleuten und Mäklern, die fremde
-Sprachen verstanden, und hörte, daß nichts daran zu tadeln sei.
-
-Ketter -- so hieß der junge Mann -- fand sich um die bestimmte Zeit wieder
-ein.
-
-Ganz bin ich zwar nicht zufrieden, sagte Lund; indeß -- ich will's
-versuchen. Was verlangt man an Gehalt?
-
-Zu seiner Befremdung ward nur eine höchst mäßige Summe vorgeschlagen. Lund
-bot demungeachtet nur die Hälfte. Der junge Mensch zuckte die Schultern,
-berief sich auf die theure Zeit, und den Umstand: daß er eine unvermögende
-Mutter habe, die er unterstützen müsse. Doch, setzte er hinzu, will ich für
-das nächste Vierteljahr einschlagen; auf die Bedingung, daß mir der Herr
-Principal Einiges zulegen, wenn meine Dienste Ihnen genehm sind.
-
-»Das kann vielleicht geschehn, erwiederte Herr Lund; doch muß ich erinnern,
-daß man nur Hausmannskost finden wird.«
-
-Daran bin ich in meiner Jugend gewöhnt worden, und sie ist mir die liebste.
-
-»Auch, daß man nicht zu empfindlich seyn darf. Ich habe ein etwas hitziges
-Naturell, meine es aber gut.«
-
-Ich werde mich stets um die Zufriedenheit des Herrn Principals bemühn; so
-darf ich keinen Unwillen fürchten.
-
-»Auch, daß man nicht auf einerlei Arbeit muß beschränkt seyn wollen. In
-meinem Hause kömmt mancherlei vor; und wer in meinem Lohn und Brot steht,
-muß überall mit angreifen, wo es Noth thut.«
-
-Gern werde ich Ihnen so viele Dienste leisten, als ich nur vermag.
-
-»Auch, daß man ordentlich seyn muß, nicht Abends und Sonntags auslaufen,
-keine junge lustige Bekannten in's Haus ziehn, die Unfug treiben.«
-
-Die Pflicht der Ordnung versteht sich von selbst; übrigens bin ich hier
-fremd, und habe keine Bekannten.
-
-»Noch Eins! Man hat nur eine Kammer; auf eine geheitzte Stube lasse ich
-mich nicht ein.«
-
-Ich bin jung und nicht frostig.
-
-»Am beßten auch, ein junger Mensch wärmt sich das Blut durch Arbeit. Nun --
-wann will man anziehn?«
-
-Noch heute; in diesem Augenblick, wenn Sie es befehlen.
-
-»Gut; so setz' Er sich gleich an den Schreibtisch.«
-
-In dem Augenblick, wo sich Lund in den wirklichen Principal des Buchhalters
-verwandelt hatte, verwandelte er auch das bisherige _man_ in die
-Anrede _Er_. Andere Buchhalter würden ihm die dritte Person mindestens
-zurückgegeben haben; Ketter hingegen war so bescheiden, daß er sich
-gefallen ließ, was Herrn Lund gefiel.
-
-Dieser hatte auch späterhin nicht die mindeste Ursache, Ketters Anstellung
-zu bereun. Er verrichtete die ihm aufgegebenen Geschäfte nicht allein
-pünktlich, sondern brachte auch, durch seinen klugen Rath, dem Brotherrn
-manchen namhaften Vortheil. Er aß und trank so mäßig, wie es ein Harpagon
-nur verlangen konnte; und waren am Abend die Comptoirgeschäfte vollendet,
-hatte er nichts dagegen, wenn Lund ihn anwies, mit seiner Frau und Tochter
-Spezereien zu verlesen, oder Düten zu kleistern. Ungemein selten ging er
-Sonntags aus, und immer kam er schon nach einer Stunde zurück. In allen
-Stücken konnte Lund sowohl auf die strengste Redlichkeit, als auf seinen
-treusten Eifer, den Nutzen der Handlung zu fördern, bauen.
-
-Hatte indeß der Kaufmann, bei so vielem Vortheil, keinesweges Ursache zur
-Reue, so ärgerte er sich dennoch über den Buchhalter; besonders, als das
-erste Vierteljahr zu Ende ging. Lund war so weit entfernt, ihm nun eine
-Gehaltszulage zu bewilligen, daß er vielmehr an einen Abzug dachte. Bei
-den Ladendienern pflegte das immer zu geschehn; sie hatten irgend etwas
-zerbrochen, das ihnen zu einem viel höheren, als dem wirklichen, Preise
-angerechnet wurde, oder es fehlte irgend etwas; genug, Herr Lund verkürzte
-ihnen den Lohn, und nicht selten bekamen sie gar nichts, oder mußten wohl
-noch zugeben. Einen ähnlichen Anlaß konnte nun der Principal bei seinem
-Buchhalter nicht auffinden, wie emsig er auch danach suchte; ja, nicht
-einmal eine Ursache, ihn zu schelten. So konnte er auch, wenn beim Ablauf
-des Vierteljahrs Ketter etwa an die ausbedungene Zulage erinnerte, ihm
-nicht das Mindeste vorwerfen, um die Anschuldigung zu begründen: er sei
-nicht zufrieden genug mit seinen Diensten, um sein Gehalt zu erhöhen.
-Deshalb brach er manche Gelegenheit vom Zaun, den jungen Menschen zu
-schelten. Doch auch hier wurde ihm nur Geduld entgegengesetzt, und als die
-ersten drei Monate verflossen waren, erinnerte ihn Ketter nicht an jene
-Bedingung, sondern ließ das kleine Gehalt auch ferner gelten.
-
-Die Abendstunden, wo Ketter sich mit den Frauenzimmern beschäftigen
-mußte, hatten indeß ihre Nebenwirkungen. Lund pflegte dann oben in eine
-wohlverwahrte Kammer zu gehn, die seine baaren Summen, und solche Papiere
-enthielt, wovon Andere nichts wissen sollten. Stundenlang schloß er sich
-dort ein, zählte, rechnete und schrieb. In seiner Gegenwart sprach Ketter
-von nichts als von Geschäften, und meistens nur, wenn er befragt wurde; an
-die Frauenzimmer richtete er nie ein Wort; es hatte das Ansehn, als wäre
-der junge Mann zu blöde und verlegen dazu.
-
-So verhielt es sich aber in der That nicht; denn sobald Lund sich entfernt
-hatte, erzählte Ketter Jenen Manches von den großen Städten, worin er sich
-aufgehalten hatte, oder knüpfte andere Gespräche an, in welchen er
-sich geistreich genug zeigte. Das unterhielt die so einsam gehaltenen
-Frauenzimmer angenehm; besonders merkte Philippine eifrig auf Ketters
-Reden, und zog manche Belehrung daraus. Ihre Mutter hatte nichts dagegen,
-und sie selbst schöpfte immer mehr Vertrauen zu dem jungen Mann. Er äußerte
-sich nun auch offen über den Umstand, daß Philippine so wenig Unterricht
-bekommen hätte, da, bei ihren vortrefflichen natürlichen Anlagen, ihr doch
-ein mannichfacher zu wünschen sei. Frau Lund sagte: Zu so etwas giebt
-der Alte kein Geld her; ich selbst sehe wohl ein, daß es Schade um
-Philippinchen ist, die hier ganz versauern muß, kann aber nichts dabei
-thun. Nun erbot sich Ketter, in den Abendstunden zuweilen aus einem guten
-Buche vorzulesen. Jene ließ das gern geschehn, hörte selbst mit großem
-Vergnügen zu, und willigte auch ein, daß Philippine solche Bücher mit in
-ihre Schlafkammer nehmen, und sich dort noch daraus belehren konnte. Der
-junge Mann schrieb ihr auch kleine Aufgaben nieder, mit denen sie sich
-einsam beschäftigen sollte. Daß man dies Alles vor Lund geheim halten
-mußte, versteht sich von selbst.
-
-So gelangte Philippine nach und nach zu verschiednen nützlich belehrenden
-Schriften. Ketter gab ihr Wilmsens Kinderfreund, Raffs Naturgeschichte,
-Campens Rath für seine Tochter, einige auserlesene Schauspiele, einige
-Romane von moralischer Tendenz, und mehr, was Geist und Herz bilden konnte.
-Je angenehmer Philippinen die neuen Beschäftigungen wurden; desto mehr Zeit
-wendete sie darauf, so viel sie es vor ihrem Vater konnte. Noch kein Jahr
-war verflossen, und man hätte sagen mögen: mit Philippinen habe sich ein
-halbes Wunder ereignet. Das sonst kalte, stumme, oder einsilbige Mädchen,
-an dem nur bisweilen ein lebhaftes Augenblitzen, oder hie und da eine
-wohl treffende, aber doch übel ausgedrückte Bemerkung ein nicht ganz
-gewöhnliches Geschöpf ahnen ließ, zeigte nun tiefes, warmes Gefühl, helles
-Urtheil, nicht selten gar muntern feinen Witz, und hatte im Gedächtniß
-mannichfache Kenntnisse aufgesammelt. Hatte das -- scheinbare -- Gänschen
-sich dergestalt umgewandelt, so konnte man auch bei der Mutter (die Lund
-eine wirkliche Gans nannte) einige auffallende Entwicklung nicht verkennen.
-Wenigstens hatte sie mehr Umsicht, als ehedem, wußte die Menschen richtiger
-zu beurtheilen, und vertraute den eignen Augen mehr.
-
-Daß Lund von den Veränderungen, die mit Beiden vorgegangen waren, wenig
-merkte, war natürlich. Einmal verbargen sie sich klug vor ihm, und zweitens
-hatte er den Kopf zu voll von Geschäften, als daß er auf die Frauenzimmer
-sorgsam hätte achten mögen. Auch sprach er mit ihnen immer nur vom
-Nöthigen, oder schalt über das Erste Beßte. Ließ man sich dort einmal
-unvorsichtig ein kluges Wort entfallen, so rief er: »Sehe doch Einer! die
-Philippine wird am Ende gar naseweis! Willst Du schweigen?« Oder auch: »Die
-Gans will noch auf ihre alten Tage klug thun.«
-
-Daß Philippine durch Ketters mündliche Unterhaltungen einen starken Impuls
-auf Gemüth und Verstand bekommen hatte, litt übrigens keinen Zweifel. In
-dem letzten Vierteljahre hatte sie oft auch Gelegenheit, ihn allein zu
-sprechen. Es geschah während der sonntäglichen Spaziergänge ihrer Eltern,
-welche sie, bei dem Mangel an einem neuen Kleide, nicht begleiten konnte.
-Indeß war Ketter viel zu rechtlich, Mißbrauch von diesen Annäherungen zu
-machen; er unterrichtete Philippinen nur um desto eifriger über moralische
-und andere nützliche Gegenstände.
-
-Philippine hatte jetzt auch einige Begriffe von männlicher
-Liebenswürdigkeit, und die mochte sie hauptsächlich wohl in dem letzten
-Vierteljahre bekommen haben. Ketters Gestalt war nicht unedel; er kleidete
-sich zwar ärmlich und wenig zierlich, Philippine hatte indeß nur selten
-wohlgekleidete junge Männer gesehn, da sie nirgend hinkam. Uebrigens hatte
-sie wenig natürlichen Hang zum Putz, und daher war ihr auch der Anzug eines
-Mannes ziemlich gleichgültig. So viel sah sie indeß wohl, daß Ketter, wenn
-er sich in eine elegante Kleidung würfe, andern artigen Männern keineswegs
-in _der_ äußern Anmuth nachstehn würde, die sie einer solchen Kleidung
-verdankten.
-
-Um so niedergeschlagner mußte sie aber seyn, als sie vernahm, daß ein von
-ihrem Vater gewählter Bräutigam sich ihr zeigen würde. Die Mutter war mit
-ihr besorgt, wußte ihr aber keinen Trost zu geben; denn Lund hörte auf
-keine Einreden, trat ihnen stets vielmehr mit Hitze und Härte entgegen, und
-setzte zuletzt immer despotisch seinen Willen durch.
-
-Nur Eine Hoffnung behielt Philippine noch, in dem Fall, daß sie dem
-Bräutigam etwa nicht gefiele. Es war ihr daher lieb, in schlechter
-Hauskleidung vor ihm erscheinen zu müssen; sie schwärzte diese Kleidung
-noch absichtlich am Küchenherd, und machte sich auch noch selbst einige
-Rußflecken in das Gesicht. Daneben beschloß sie, gebeugt und linkisch
-aufzutreten, und auf Alles, was der Bräutigam sie fragen würde, so dumm und
-albern als möglich zu antworten.
-
-Die Mutter sagte zwar: Ich kenne Herrn Kauser nicht, habe auch sonst nichts
-von ihm gehört; es wäre aber doch möglich, daß wir uns Beide irrten, und
-daß der Vater einen Mann ausgesucht hätte, der Dir gefallen könnte. Also
-ist es nicht klug gehandelt, wenn Du ihm zu mißfallen suchst.
-
-Nein, nein! sagte Philippine; er wird mir nicht gefallen! Das weiß ich, ehe
-ich ihn noch gesehn habe!
-
-Endlich rollte eine mit schwarzem Tuch überzogne Kutsche vor. Zwei schwarz
-gekleidete Männer stiegen aus, Herr Lund und Herr Kauser. Die Luft war
-durch Regen gerade sehr trübe, und die Wohnstube hinter dem Spezereiladen
-hatte nur Ein Fenster in den etwas engen Hof, so daß es auch an hellen
-Tagen hier ziemlich dunkel blieb; und vollend bei solchem Wetter, als
-heute.
-
-Philippinens ohnehin trübes und finstres Gesicht bekam folglich nur ein
-sehr mattes Licht; und da die Lilien und Rosen darin von den schwarzen
-Flecken entstellt wurden, so that ihre Schönheit so gut als gar keine
-Wirkung.
-
-Dazu kam auch noch, daß die kleine Stube, in welche die beiden schwarzen
-Männer jetzt traten, schon lange nicht mehr geweißt war.
-
-Anfangs redeten sie vom Börsencours, ohne sich um die übrigen Anwesenden zu
-kümmern. Nach einiger Zeit brachte Herr Kauser denn doch die Angelegenheit,
-welche ihn hieher führte, zur Sprache. Apropos, fing er an, wenn Ihr keine
-Ausstattung gebt, so müßt Ihr doch die Hochzeit ausrichten. »Das werd'
-ich wohl bleiben lassen,« erwiederte Herr Lund; »wer heirathet, der trägt
-billig auch die Kosten. Man braucht indeß keinen närrischen Aufwand zu
-machen. Ein Paar Zeugen, ein Paar Tassen Kaffee, und damit gut.«
-
-Herr Kauser dachte ein Weilchen nach, und erwiederte dann: Nun, es
-ist freilich, genau überlegt, am Ende gleichviel, ob Ihr die Hochzeit
-ausrichtet oder nicht. Das heißt, wenn es noch dazu kommt. Ihr wißt meine
-Bedingung. Wo ist die Tochter? Bei diesen Worten setzte er seine Brille auf
-die Nase.
-
-Lund dagegen brachte seine Ohren in Bewegung, indem er bald hinter dem
-einen, bald hinter dem andern kratzte. Das that er aus Verlegenheit und
-Besorgniß, daß der Handel zurückgehn könne.
-
-Kauser fing wieder an: Ist sie schön, und putzt sich gern, so nehm ich sie
-nicht. Dabei müßte ich mir den Schlag an den Hals ärgern. Ist sie das hier?
-Hm -- nun, es geht damit noch an. Mir wollte Jemand sagen, sie wäre schön.
-So arg ist es damit eben nicht. Nach ihrem Anzug scheint sie auch eine gute
-Wirthin zu seyn. Nun ja -- ich lass' es mir gefallen.
-
-Philippine, die erst heimlich darüber seufzte, daß sie keine Mühe angewandt
-hätte, reitzend zu erscheinen, fuhr bei den letzten Worten zusammen, als
-ergriffe sie ein Fieberfrost. Sie hatte jedoch, seitdem Herr Kauser
-ins Zimmer trat, nichts anderes empfunden als eine Reihe von kalten
-Fieberschauern. Der zugewiesene Geliebte war schindeldürr, hatte ein
-erdgelbes, vielgefaltetes Gesicht, eine lange dünne Habichtsnase, ein
-spitzes Kinn, und ein Paar weitgeöffnete gelbbraune Augen, die gewöhnlich
-zwar sehr matt aussahen, aber doch von einem gewissen Isegrimmsfeuer
-loderten, wenn ein Affekt sie anregte. Die schwarze Kleidung war ihnen
-günstig; ihr Leuchten trat nunmehr heraus.
-
-Bon jour, Mamsell, krächzte jetzt erst der Prüfende. Ich denke, wir wollen
-uns schon mit einander vertragen. Werden Sie eine gute Frau seyn, so bin
-ich ein guter Mann. So viel sag' ich Ihnen aber vorher, spaßen lass' ich
-mit mir nicht. Servitör, Madam Lund!
-
-Jetzt wandte er sich halb um, auf's Neue mit dem Vater des Mädchens zu
-sprechen, der jetzt viel leichter athmete, weil sich kein Hinderniß gezeigt
-hatte. Nun sah die Braut Herrn Kauser, der seine Brille, nach vollendeter
-Prüfung, wieder abnahm, von der Seite. Dies hatte sein Vortheilhaftes für
-die convexe Nase und das concave Kinn. Der Zufall ließ aber dem Profil der
-Gestalt noch einige malerische Ergänzungen angedeihen, welche der Fantasie
-der Braut ungemein zu Hülfe kamen. Die weitgeöffneten Augen hatten bei ihr
-den Effekt eines abgebildeten weitgeöffneten Höllenschlundes gethan. Die
-Wirkung des Profils entsprach jener Illusion, nur daß sie vom Reich zu dem
-Regenten überging. Das sollte nun der Fantasie noch über alle Erwartung
-leicht gemacht werden. Der Bräutigam hatte pechfarbne, mit grau
-durchmengte, struppige Haare, an deren Verschneidung lange nicht gedacht
-war. Nun sträubten sich am Scheitel zwei gekrümmte, spitz auslaufende
-Borsten auf, die, von der Seite gesehn, zwei mäßigen Hörnern glichen.
-Kauser hatte sich aber in den etwas kurzen Trauermantel dergestalt
-gewickelt, daß er sich bis nahe an die Mitte des Leibes heraufzog. Und
-weil er darunter seinen Hut einklemmte, so fügte es sich, daß eine Ecke
-desselben hinterwärts vorblickte, und zugleich einen rheinländischen Fuß
-lang den schwarzen Flor niederwallen ließ. Nichts konnte lebhafter an den
-Schweif erinnern, von dem man nicht weiß, ob ihn Lucifer wirklich hat, oder
-ob ihn die Maler nur freigebig damit beschenken.
-
-Philippine war indeß nun vom Grausen übermannt, sank ihrer Mutter halb
-ohnmächtig in die Arme, und rief zugleich, mit Wehmuth und Entsetzen zu
-gleichen Theilen in ihrer Stimme: Hu, der Teufel leibhaftig!
-
-Herrn Kauser gefiel das Compliment freilich schlecht, und Herr Lund wallte
-in dem grimmigsten Zorn darüber auf. Was Teufel, rief er, schickt es sich
-für eine Braut, den Bräutigam Teufel zu nennen? Daß ich Dir nicht mit der
-flachen Hand an das gottlose Maul komme! Du solltest wirklich meinen, der
-Teufel wär' es!
-
-Philippine stotterte: Beßter Vater, ich flehe Sie um Erbarmen an! Geben Sie
-mir den Tod, nur diesen Mann nicht. Ich kann ihn nicht heirathen! Mir graut
-und schaudert vor ihm --
-
-Jungfer Naseweis, fiel Herr Lund ein, wird Sie gefragt? Hat Sie auch eine
-Stimme?
-
-Jene fuhr fort: Ich eigne mich auch nicht für ihn.
-
-Donnernd gebot ihr der Vater, zu schweigen, und fügte hinzu: Will das Ei
-klüger seyn, als die Henne? Ich muß wissen, was zusammen paßt!
-
-Frau Lund, ihre Tochter im Arm haltend, brach nun in Thränen aus, und rief:
-Nein, lieber Mann, der Unterschied in den Jahren ist zu groß. Mache Dein
-Kind nicht unglücklich!
-
-Seht doch, entgegnete der liebe Mann; will die Gans auch drein schnattern?
-
-»Ich bin Mutter, und gebe meine Einwilligung nicht.«
-
-Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht um Deine Einwilligung gefragt,
-und werde es auch bis an mein seliges Ende nicht thun.
-
-Ei, fiel Herr Kauser ein, mein lieber Lund, das hätte ich nicht gedacht!
-Eure Frauenzimmer sind schlecht gezogen. Uebrigens thut bald, was Ihr thun
-wollt; ich habe Posttag, und verliere meine Zeit.
-
-Gut, entgegnete Herr Lund, ich werde Euch vorläufig mit dem Mädchen
-versprechen. Ein Zeuge muß wohl noch dabei seyn. Ich rufe meinen
-Buchhalter.
-
-Er ging, und der Bräutigam wandte sich unterdessen an Philippinen. Mamsell,
-sagte er, glauben Sie nicht etwa, daß ich so einfältig bin, Ihnen nicht
-in's Herz zu sehn. Es ist nur Verstellung und Ziererei. Sie heirathen für
-Ihr Leben gern, sind froh, daß ich gekommen bin. Man kennt die Jüngferchen,
-sie machen's alle so. Meine selige Frau wollte auch durchaus nicht, der
-Vater mußte Gewalt brauchen. Aber sie widersetzte sich nur zum Schein; die
-Gewalt wäre gar nicht nöthig gewesen. Aergern Sie doch Ihren Vater nicht
-unnützer Weise. Sie stellen sich, als wollten Sie das nicht, was Ihnen doch
-sehr lieb ist.
-
-Lund fand sich wieder ein; Ketter folgte. Hier ist ein Zeuge, fing Jener
-an; nun kein Sperren mehr, Jungfer Naseweis! Hingegangen zu Herrn Kauser,
-gesagt: lieber Bräutigam, ich freue mich, daß ich die Ehre haben soll,
-Ihre Frau zu werden. Dann ein Küßchen in Ehren gegeben. Allons, wie lange
-währt's?
-
-Ketter staunte. Herr Lund, rief er, um Gottes willen! was denken Sie zu
-thun!
-
-Mit großen Augen fragte dieser: Wa ... wa ... wa ... was ist das?
-
-»Sie könnten Ihre liebenswürdige Tochter so hinopfern?«
-
-Wa ... wa ... was geht Sie das an, junger Herr? Zeugen sollen Sie,
-die Ohren brauchen, nicht den Mund. Wie kann sich auch der Buchhalter
-unterstehn, seines Principals Verfahren zu tadeln! Da soll ja ...
-
-»Wie unedel muß ein Mann fühlen, der nicht allein an eben dem Tage, an
-welchem er die vorige Gattin begraben hat, sich abermal versprechen will,
-sondern auch ein Mädchen, das Grauen vor ihm einer Ohnmacht nahe bringt,
-durch Zwang an sich gefesselt kann sehn wollen!«
-
-Ich sage Ihnen meinen Dienst auf! -- Herr Kauser rief: Und dann muß es
-an der Börse öffentlich gesagt, ja selbst den Handelsfreunden weit umher
-geschrieben werden: daß er widerspenstig gegen seinen Principal gewesen
-ist, einen soliden angesehenen Kaufmann, dem er Respekt schuldig war, mit
-himmelschreiend unehrerbietigen Worten beleidigt hat. An keinem Orte muß er
-wieder eine Condition finden! Aber die Zeit vergeht. Macht fort, Lund!
-
-Der junge Mann rief: »Weigern Sie sich Philippine! Es gilt das Glück Ihres
-Lebens. Die Gesetze berechtigen Sie, da Ihren Gehorsam zu versagen, wo man
-Sie zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«
-
-Philippine hatte mehr Muth, seitdem Ketter eingetreten war. Feierlich
-schwör ich, sagte sie, daß ich diesem Mann nie meine Hand geben werde, und
-sollte ich darüber auch untergehn.
-
-Frau Lund küßte ihre Tochter, billigte, was sie gesagt hatte, und versprach
-ihren Beistand nach allen Kräften.
-
-Nun liefen die beiden Schwarzen in blindem Zorn mit den Köpfen an einander,
-und wurden durch den Schmerz noch wilder. Kauser trat mit eingestemmten
-Armen vor Philippinen hin, und sah ihr mit so strafenden und drohenden
-Blicken ins Gesicht, daß selbst die Tapferkeit davor hätte zittern mögen.
-Zu Worten gelangte sein Grimm dagegen nicht; Lunds Flüche hätten sie auch
-übertäubt.
-
-Seitdem ihm Ketters kluge Thätigkeit wichtige Vortheile gebracht, hatte
-Lund das Er doch in eine höflichere Anrede umgeändert, weil er meinte,
-das _Sie_ koste ja nichts, und der junge Mann könne es anstatt einer
-Gehaltszulage in Empfang nehmen. Jetzt aber rief er die Anrede mit _Er_
-zurück, nachdem schon Flüche vorhergegangen waren. Er packte den jungen
-Mann zugleich an der Brust, und schrie: Bu -- bu -- Bursche! Er will meine
-Tochter zum Ungehorsam verleiten? Wa -- wa -- was geht meine Tochter Ihn
-an?
-
-Kaltblütig hielt Jener ihn ab, und sagte: Viel geht sie mich an. Ich sage
-muthig, daß ich Philippinen liebe. Zuerst sah ich sie in der Kirche, wo
-ihre Schönheit mich bezauberte. Ich wünschte, ihr nahe zu seyn, um mir ihre
-Gegenliebe erwerben zu können. Darum kam ich in Ihr Haus, fügte mich in
-jede Ihrer wunderlichen Launen, suchte durch Redlichkeit und Fleiß meines
-Principals Wohlwollen zu verdienen. Schon manchen Jünglingen gelang unter
-solchen Umständen endlich, was sie Anfangs nimmer hoffen durften. Ich
-machte einen ähnlichen Entwurf, ob mich schon nicht Philippinens Reichthum,
-sondern ihre Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Daher bediente ich mich
-einer List, doch keiner Arglist, sondern einer schuldlosen, auch dem
-Redlichen erlaubten. Geben Sie mir Philippinen ohne alle Ausstattung.
-Ganz so unbemittelt, wie ich es vorgab, bin ich nicht, und traue mir
-hinreichende Geschicklichkeit zu, eine Frau zu ernähren.
-
-Philippine rief: Auch ich gestehe freimüthig, daß ich ihn liebe.
-
-Die beiden Schwarzen geberdeten sich, als wollten sie mit den Köpfen gegen
-die Wände laufen, Wände und Köpfe zugleich einstoßen. Doch besannen sie
-sich noch, und sprachen in dem heftigsten Zorne, beide zugleich. Herr Lund
-rief zitternd: Also hat Er sich wie ein Betrieger in mein Haus geschlichen,
-und obenein mir die Tochter verführt! Nicht genug, solchen Bösewicht
-fortzujagen; verhaften, einstecken lassen muß man ihn. Ich will auf der
-Stelle zu dem Polizeiamt!
-
-Er klemmte seinen Trauermantel in die Thür, als er beim Weggehn sie hinter
-sich zuwarf, und ließ ihn, wie Joseph, lieber fahren, als daß er noch
-zaudern mochte.
-
-Herr Kauser hatte mit ihm zugleich gesprochen: O, wenn es hier noch einen
-jungen Wildfang giebt, der einem soliden Geschäftsmann böse Tücke spielen
-könnte; wenn das Jüngferchen obenein in ihn vernarrt ist, so kann ich mich
-bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen. Ich hole einen Notar;
-gleich Schwarz auf Weiß, unterzeichnet und gehörig besiegelt.
-
-Er ging auch, blieb aber in den Mantel gewickelt; und dies kam ihm zu
-Statten, wie man sogleich hören wird.
-
-Nie, seitdem er lebte, hatte sich Lund so heftig geärgert, wie diesen
-Abend. Der Zorn hatte auch seinen ganzen Körper in den stärksten Schweiß
-gesetzt. In seiner blinden Wuth hatte er gar nicht bedacht, was jetzt
-das Klügste sei. Ihm, einem guten Rechner, mußte jeder Strich durch die
-Rechnung ein Dorn im Auge seyn. Der heutige lange aber brachte ihn fast
-ganz von Sinnen.
-
-So rannte er davon, und bemerkte nicht, daß sich der vorhin mäßige
-Herbstregen in einen Platzregen verwandelt hatte, den man beinahe einen
-Wolkenbruch hätte nennen mögen. Es war ziemlich weit nach dem Polizeiamt.
-Jupiter =pluvius= drang durch den schwarzen leichten Rock, und
-überschwemmte die Oberfläche des Körpers zum zweiten Male. Heiße und kalte
-Nässe vertrugen sich nun so schlecht, daß aus ihrem Zwiespalt ein Zwiespalt
-zwischen Lunds Leib und Seele entstand, dessen Natur gewiß irgend ein Arzt
-den Lesern gern erklären wird, wenn sie ihn höflich darum fragen.
-
-Genug, Lund erkältete sich plötzlich auf seinen glühenden Zorn, und fiel,
-ehe er noch das Polizeiamt erreicht hatte, auf der Straße nieder. Daß er
-gerade in einen Rinnstein fiel, und daß einige Zeit verging, ehe man ihn
-aufhob und ins Trockne brachte, vermehrte die Folgen der Erkältung bis zu
-einem sehr hohen Grade.
-
-Bei einem Platzregen gehen natürlicher Weise schon wenige Menschen aus dem
-Hause, und in einem Rinnstein kann man länger unbemerkt bleiben, als mitten
-auf dem Fahrdamm.
-
-Erst nach einer Viertelstunde wurde Lund gesehn, und erkannt, doch im
-Anfang für betrunken gehalten, bis verständige Leute bemerkten; _der_, bei
-seinem Geitze, habe sich gewiß nicht betrunken; ihm sei eine Ohnmacht, ein
-Krampf, wo nicht gar ein Schlagfluß, zu gestoßen.
-
-Endlich zog man den Röchelnden aus der Tiefe, und schaffte ihn mit einem
-Tragsessel in seine Wohnung. Ehe dies geschah, untersuchte noch ein
-vorbeigehender Chirurgus seinen Zustand.
-
-Als vorhin die beiden Schwarzen weggeeilt waren, thaten die
-zurückgebliebnen Frauenzimmer, was Frauenzimmer unter solchen Umständen zu
-thun pflegen: sie ließen Klagen auf Thränen folgen, und dann wieder Thränen
-auf Klagen. Dem Buchhalter fiel das Trösten anheim, obwohl er selbst Trost
-bedurfte. Er sagte indeß: Standhaft, gute Philippine; man kann und darf Sie
-nicht zwingen. Wenn Ihre Mutter sich nicht zur Einwilligung bewegen läßt,
-so muß ihr Wort doch auch gelten. Ich kann nun nicht mehr im Hause bleiben,
-ob ich es gleich mit Schmerz verlasse. Eine Verhaftung besorge ich zwar
-nicht, will auch vor jedem Richter vertreten, was ich gethan und gesagt
-habe; Herr Lund hat mir aber den Dienst aufgekündigt. Nun, meine Bücher
-sind in Ordnung. Nur eine kurze Anweisung für meinen Nachfolger, und ich
-kann noch heute gehn.
-
-Philippine bat ihn weinend, zu bleiben, und sie in der Noth nicht zu
-verlassen. So lange es möglich ist, soll es geschehn, erwiederte Ketter;
-allein Ihr Vater wird auf meine Entfernung dringen, wenn er weiter nichts
-vermag. O Philippine, ich weiß nun, daß Sie mich ein wenig lieben. Welche
-Glückseligkeit, und welches Entsetzen zugleich für mich, da meine Trennung
-von Ihnen jetzt nothwendig ist, und da ich nun überzeugt bin, von Ihrem
-Vater nie mein Glück hoffen zu dürfen!
-
-Ketter, sagte Philippine ermannt; ja, ich liebe Sie! Zu sehr haben Sie
-meine Achtung und meine Dankbarkeit gewonnen, als daß ich je einem Andern
-meine Hand geben könnte. Braucht mein Vater Gewalt, so sag ich noch am
-Altare Nein, und rufe die Gesetze zu Hülfe. Doch sagen Sie mir, Sie, der
-Sie mich mit so vielem Guten, Rechten, Edlen und Schönen bekannt gemacht
-haben: würde es in meiner Lage unrecht seyn, wenn ich zu entfliehn suchte?
-Als Kammerjungfer, vielleicht sogar als Lehrerin, fände ich wohl ein
-Unterkommen. Schwer würde es mir freilich seyn, mich von der guten Mutter
-zu trennen; das müßte ich aber ja auch, wenn ich den verhaßten Kauser
-heirathete. In jenem Fall wüßte sie mich doch vor dem schrecklichsten
-Unglück gesichert.
-
-In dem einzigen Fall, erwiederte Ketter, daß Ihr Vater seine Absicht mit
-Gewalt durchsetzen will, halte ich es für erlaubt, daß Sie entfliehn. Auf
-meinen -- anspruchlosen -- Beistand können Sie dann sicher zählen.
-
-Ich will selbst helfen, schluchzte die Mutter, allen Zorn meines Mannes
-tragen. --
-
-Der Buchhalter ging ins Comptoir; die Frauenzimmer blieben, und weinten
-ihre schmerzlichen Thränen fort.
-
-Da eilte, ehe noch der Tragsessel vor dem Hause war, jener Chirurgus
-herein. Erschrecken Sie nicht, Madame, fing er an; ich bringe eine üble
-Nachricht. Herrn Lund hat der Schlag gerührt. Er ist ohne alle Besinnung,
-und -- fassen Sie sich -- es ist keine Hülfe mehr.
-
-Mutter und Tochter erschraken in der That sehr heftig; doch ihre Thränen
-hörten sogleich auf zu fließen. Ist es möglich? rief Frau Lund; ist es
-möglich?
-
-Man trug den Sterbenden bereits in die Hausthür. Die Gattin eilte ihm
-entgegen, und wußte nicht, ob sie den eignen Augen trauen sollte. Doch that
-sie nach Pflicht und Gewissen, was nöthig schien. Der Kranke wurde in das
-Schlafzimmer gebracht, der nassen Kleidung entledigt, und in das gewärmte
-Bett gelegt. Der Chirurgus öffnete zwei Adern, sagte aber voraus, daß
-es unnütz seyn würde. Frau Lund befahl, daß noch ein Arzt geholt werden
-sollte, der berühmteste in der Stadt.
-
-Bis er kam, beschäftigte der Chirurgus sich mit andern Rettungsmitteln.
-Philippine, die ungemein verstört in die Küche geeilt war, half dem Mädchen
-Thee bereiten und Steine wärmen. Von Zeit zu Zeit kam Frau Lund zu ihr, und
-sagte: Er bleibt dabei, daß keine Hülfe ist. Wir müssen aber doch nichts
-versäumen, daß wir uns nichts vorzuwerfen haben.
-
-Philippine erwiederte jedes Mal: Freilich müssen wir das; sonst behielten
-wir ja kein gutes Gewissen.
-
-Der berühmte Arzt kam endlich, fand hier aber keine Gelegenheit mehr, noch
-berühmter zu werden. Lunds Gesicht war zur Hälfte blau; nur selten vernahm
-man ein Röcheln, und der Puls war kaum noch zu finden.
-
-Ist noch Hoffnung, Herr Doktor? fragte Frau Lund.
-
-Nur einige Minuten kann es noch währen, antwortete der Arzt, nach einem
-bedauernden Achselzucken.
-
-Frau Lund eilte wieder in die Küche, und schlug die Hände zusammen. Es
-ist bald aus, sagte sie; ich hätte es nie gedacht. Nun soll ich ihn doch
-überleben. Da sieht man: unverhofft kömmt doch oft!
-
-Aengstlich sagte ihr Philippine ins Ohr: sie möchte nicht vergessen, ja
-nicht vergessen -- was, das konnte sie nicht hervorbringen.
-
-Die Mutter eilte in die Wohnstube. Beide gingen neben einander auf und ab,
-ohne etwas zu sagen. Bald kam der Arzt: Madame, ich bezeuge mein Beileid;
-Ihr Mann hat geendet.
-
-Ist er auch gewiß todt? entfuhr der neuen Wittwe; kann ich mich darauf
-verlassen?
-
-Philippine zupfte sie wieder ängstlich am Kleide, und Jener erklärte die
-absolut tödtlichen Wirkungen einer solchen Apoplexie, wie die vorliegende.
-
-Er soll einen Grabstein von Marmor haben, sagte Frau Lund wieder, und
-dachte dabei dunkel: zum Dank für die große Wohlthat, die er mir durch
-seinen Tod erzeigt.
-
-Die Nichthülfe der Aerzte ward reichlich bezahlt, und Beide gingen ihres
-Weges.
-
-Mutter und Tochter flogen zum Todten, und schauderten. Die entseelten
-Züge schienen Trümmer von Geitz und Wuth. Lange war der Anblick nicht
-auszuhalten; Jene eilten in die Wohnstube zurück. Noch immer waren sie im
-Taumel einer Bestürzung, als kämen sie aus einem Kerker, und hätten noch
-dazu ein Loos von funfzig tausend Thalern gewonnen.
-
-Träum' ich auch nicht? sagte Frau Lund; ist es denn wirklich wahr?
-
-Wahr, erwiederte die Tochter. Nur fassen Sie sich; lassen Sie nicht
-merken ...
-
-Mein Gott, fiel die Mutter ein, hat er es denn danach gemacht, daß wir uns
-über seinen Tod grämen können? Ich hatte keine frohe Stunde bei ihm, und
-sein Kind wollte er auch noch ohne Erbarmen unglücklich machen.
-
-Hätte er noch einen letzten Willen abfassen können, sagte die Tochter, so
-würde er sicher darin verordnet haben, daß ich Kausern heirathen sollte.
-
-Oder er hätte Dich enterbt, fiel die Mutter ein.
-
-Nun, sagte die Tochter wieder, heirathe ich Kausern doch nicht, liebe
-Mutter? -- Und die Mutter umarmte sie.
-
-Ketter hatte von dem Allen nichts gehört. Jetzt trat er wehmüthig in die
-Stube. Herr Lund, fing er an, kömmt nicht wieder; so will ich denn gehn.
-
-Er kömmt nicht wieder, sagte Frau Lund; Sie gehn aber nicht. Wer sollte
-denn die Geschäfte meiner Handlung führen? Oder vielmehr: unsrer Handlung;
-denn sie gehört mir und Philippinen zur Hälfte.
-
-Der junge Mann verstand sie nicht, und gerieth in das höchste Erstaunen,
-als man ihm das Nähere sagte. Ungläubig ging er zu dem Leichnam, und kam
-bald in großer Bestürzung wieder. Jetzt erschien auch Herr Kauser, von
-einem Notar begleitet. Schwarz auf Weiß, rief er; Siegel und Zeichnung!
-
-Frau Lund sagte: Herr Kauser, ziemt es sich wohl, gleich nach einem
-Todesfall ein Verlöbniß zu halten?
-
-Warum nicht? antwortete er; über Vorurtheile muß man sich hinwegsetzen, wo
-es das Mein und Dein gilt.
-
-Gut, hob Frau Lund wieder an; nun habe ich zu reden. Herr Notar, ich
-verspreche meine Tochter mit meinem Buchhalter, und Herr Kauser ist wohl so
-gütig, als Zeuge sich zu unterschreiben.
-
-Herr Kauser rief: Was sind das für Possen! Wo ist mein Herzensfreund Lund?
-
-Man hinterbrachte ihm alles. O, wie würde ihn der Tod des Herzensfreundes
-entzückt haben, wenn er schon mit Philippinen verheirathet gewesen wäre!
-
-Seine Einreden halfen nicht, da er nicht Schwarz auf Weiß hatte. Ketter und
-Philippine wurden nach einigen Monaten ein frohes Paar. Der wurmstichige
-Hausrath wurde abgeschafft; man genoß, was der Geitz zusammengescharrt
-hatte, und freute sich des Lebens, doch mit Anstand und mäßig.
-
-Das Sonst und Jetzt waren im Lundschen Hause nun ziemlich verschieden.
-So geht es im weiten launigen Reiche der Schicksalsgöttin. Oft sinken die
-Freuden der Lebenden mit in ein Grab; bisweilen aber blühen ihnen auch
-Rosen daraus hervor.
-
-
-
-
- Drei
- Liebespaare in Einem.
-
- Eine
- romantische Kriegsbegebenheit.
-
-
-
-
-Drei Liebespaare in Einem.
-
-
-Der Sohn eines sächsischen, ziemlich bemittelten Landedelmanns wurde nach
-D*** auf eine Schule gesandt. Er war träge im Lernen, fleißig aber
-im Koboltschießen und Ballschlagen; oft vergaß er über einer glatten
-Schlitterbahn im Winter, oder einem steigenden Papierdrachen im Herbst, daß
-ihn eine Lehrstunde erwartete, und mußte daher ins Carcer. Die ihm jedes
-Vierteljahr ausgestellten Zeugnisse lauteten ungemein übel; er mußte sie
-jedes Mal in die Heimath schicken, von wo dann tüchtige Strafpredigten
-erfolgten. Sechzehn oder siebzehn Jahre mochte er alt seyn, als, nach einem
-ganz außerordentlich üblen Zeugniß, sein Vater in D*** anlangte, um einmal
-selbst nach dem ungerathenen Sohn zu sehn. Er fand dessen Wohnzimmer in
-solcher Unordnung, daß er die Hände über dem Kopf hätte zusammenschlagen
-mögen. Bälle und Flitzbogen lagen umher, die Schulbücher waren zerrissen,
-die Hefte voll Tintenflecke, und allerlei Fratzen darauf gezeichnet, so
-wie auch an den Wänden. Lisuart -- so hieß das Söhnchen -- hatte sich nicht
-gewaschen, nicht gekämmt; an Ellbogen und Knieen zeigten sich merklich
-schadhafte Gegenden.
-
-Aber Junge, rief der Vater, Du spielst noch mit Bällen und Flitzbogen? Und
-so liederlich sieht Alles neben und an Dir aus? Bist ein Edelmann, und hast
-nicht mehr Ambition? Gehst mit zerrissenen Hosen, und das Hemd kuckt Dir an
-den Ellbogen heraus? Wie lange ist es her, daß ich Geld zu neuen Kleidern
-geschickt habe?
-
-Ehe Lisuart zu einer Antwort gelangen konnte, bekam er zwei derbe
-Ohrfeigen; nun ward er tückisch, und antwortete gar nicht.
-
-Der Vater machte jedoch mit ihm eine Runde bei den Lehrern, um sich zu
-erkundigen, woran es doch mit dem Buben läge.
-
-Der Rektor sagte: Zwei Umstände sind es hauptsächlich, an denen es liegt,
-daß der junge Herr nichts lernt. Einmal schläft er zu lange, und kömmt
-immer zu spät in die Classe, wie sehr ich ihm auch das =Aurora musis
-amica= empfohlen, und ihn ermahnt habe, mit Tagesanbruch seine Uebungen
-vorzunehmen. Zweitens aber stecken seine Taschen immer voll Kuchen und
-Obst; er nascht während des Unterrichts in Einem weg verstohlen, und da
-gilt folglich das =plenus venter non studet libenter= auch in Einem weg bei
-ihm.
-
-Junge, hob der Vater wieder an, wo nimmst Du das Geld her? Ich habe Dir
-doch nur acht Groschen zu Kleinigkeiten monatlich ausgesetzt.
-
-Der Rektor faßte ihm während dessen in die Taschen; in der einen
-befand sich eine Mandel Abrikosen, in der andern ein Paket überzogner
-Gewürzkuchen.
-
-Lisuart mußte nun reden, und gestand in abgebrochnen Worten: daß er bei
-verschiednen Kuchenbäckern und Obsthökerinnen auf Borg nähme.
-
-Der Vater sagte zornig: Ich will in den Zeitungen bekannt machen lassen,
-daß Dir auch nicht eine gebrannte Mandel, nicht eine Pflaume, kreditirt
-werden soll.
-
-Der Conrektor und der Subrektor äußerten ebenfalls große Unzufriedenheit,
-und klagten, daß der junge Mensch sich durch einen gewissen
-erzschalkhaften, boshaften Sinn auszeichne. Es sollte damit, ihnen zufolge,
-so weit gehen, daß er die Ehrerbietung vor seinen Lehrern vergäße. Beide
-führten einige Beispiele an. Einer sagte: Wie oft ich es ihm auch schon
-verboten, ja, ihn darum ins Carcer geschickt habe, nennt er mich doch oft,
-anstatt Herr Conrektor, Herr _Kornrektor_, so daß alle Knaben lachen, und
-die Aufmerksamkeit verloren geht. Ich bin nicht zu übermäßiger Strenge
-geneigt; jung ist jung. Sollen aber zuweilen =allotria= getrieben werden,
-so gescheh' es in den Freistunden, nicht in der Klasse.
-
-Und mich, fiel der Andere ein, redet er oft, anstatt Herr Subrektor, Herr
-_Suppenrektor_ an. Man sagt wohl: =pueri puerilia tractant=; allein der
-Herr Sohn sollte nicht mehr zu den Knaben gehören wollen.
-
-Sein College nahm abermal das Wort: Daß er es gerade so übel meine,
-behaupte ich bei dem allen nicht. Die veränderte Silbe in Korn will sagen:
-ein Mann von ächtem Schroot und Korn. Er sollte gleichwohl bei der alten
-bleiben.
-
-Nein, hob Lisuart stotternd an; so habe ich es nicht gemeint ...
-
-Der Lehrer fragte: Wie denn sonst?
-
-Er bekam zur Antwort: Nun -- weil Sie so gerne Korn trinken.
-
-Hierüber gerieth der Conrektor fast außer sich, und wollte den Beleidiger
-nicht mehr in seiner Klasse dulden.
-
-Feuerroth wollte nun auch der Subrektor hören, weshalb denn sein Titel eine
-Veränderung erlitten habe. Der junge Mensch antwortete: es sei ihm zu
-Ohren gekommen, der Herr Subrektor habe einmal auf einem Schmaus eine ganze
-Terrine Suppe allein verzehrt.
-
-Nun wollte auch dieser ihn nicht mehr unterrichten. Wär' es noch
-klassischer Witz, sagte er, so behielt' ich ihn in meiner Klasse; Allein
-dieser Witz ist schal, trivial.
-
-Bei der Schule stand aber noch ein Quintus, der berühmt und berüchtigt
-zugleich war: jenes, weil er mehrere Schriften herausgegeben, die Aufsehn
-in der gelehrten Welt machten; dieses, weil er ehedem schon ein andres Amt
-bekleidet, aber von den jungen Mädchen, die er unterrichten sollte, zwei
-in einen Zustand versetzt hatte, nach welchem sie gesegnet zur Einsegnung
-kamen. Man hatte ihn weggejagt und noch anderweitig hart bestraft;
-ihn endlich aber, seiner trefflichen Kenntnisse wegen, doch wieder als
-Schulmann -- nur nicht bei Mädchen -- angestellt. Dieser Quintus trat nun
-für Lisuart ein. Er wollte bemerkt haben, daß der junge Mensch ein Genie
-sei. Nur Geduld! setzte er hinzu; es wird sich schon entfalten, und dann
-geht es auch mit den Studien über Hals und Kopf. Ich weiß, wie es bei mir
-gegangen ist.
-
-Schon wollte der Vater seinen ungerathenen Sohn wieder mit nach Hause
-nehmen; doch der kleine Schimmer von Hoffnung, auf welchen der Quintus
-deutete, bestimmte ihn anders. Er versprach dem Conrektor und Subrektor,
-ihnen ein Paar geräucherte Schinken in die Küche zu senden, wenn sie die
-Sache gut seyn ließen.
-
-Lisuart wohnte bis jetzt bei einem Bürger, dem der Vater eine Art von
-Aufsicht über ihn anvertraut hatte. Der Mann sagte aber: der junge Herr
-folge nicht, und richte auch im Hause nur allerlei Unfug an; darum wäre es
-ihm lieber, wenn der junge Herr auszöge.
-
-Dem Vater fiel nun ein, daß in D*** ein verabschiedeter Hauptmann lebe, der
-sein Freund und Herr Bruder sei. Er ging mit Lisuart zu ihm, und fragte: ob
-es anginge, und er ihm die Freundschaft erzeigen wollte, den Sohn in sein
-Haus zu nehmen? -- Von dessen übler Aufführung verschwieg er nichts, setzte
-aber hinzu: Strenge ist um so nöthiger; und kann Einer noch etwas aus ihm
-machen, so bist Du es, Herr Bruder.
-
-Warum nicht, Herr Bruder? entgegnete der Hauptmann; das will ich Dir schon
-zu Gefallen thun. Aber ich muß im Nothfall die Fuchtel brauchen dürfen.
-
-In Gottes Namen, erwiederte der Vater; brauche Sie nur recht oft! Er hat
-neun Häute; thu' Alles Dir Mögliche, ihm auch durch die letzte zu kommen.
-
-Nicht öfter, sagte der alte Officier, als wenn er nicht pariren will. Von
-Gelehrsamkeit versteh' ich den Teufel; aber daß er früh aufstehn und sich
-an die Bücher setzen soll, will ich schon machen. Und kömmst Du wieder, und
-er ist nicht in seinem Anzug, wie aus dem Ei geschält, so ... gerade soll
-er mir auch gehn, wie eine Kerze.
-
-Der Hauptmann erfüllte sein Versprechen. Kaum war Lisuart einige Monate in
-seinem Hause, als er in manchem Betracht sich gebessert hatte; aber doch
-nur ein wenig, und nicht in allen Stücken. Die Kleidung war sauber,
-stand ihm aber nicht gut; er ging gerade, doch steif, ohne Anmuth. Das
-Kinderspielzeug war verschwunden; Lisuart stand auch, in Rücksicht auf die
-schon einige Mal empfundenen Fuchtel, zeitig auf; doch an den Büchern wurde
-noch immer nicht viel gethan, ja, eigentlich noch weniger, als zuvor, wo
-er doch noch Gesichter mit langen Nasen hineingekritzelt hatte; was
-der Hauptmann nicht mehr zugab. Noch immer lauteten die Schulzeugnisse
-keineswegs rühmlich, und Lisuart saß noch in Quarta, obschon Manche, die
-jünger als er waren, sich in Tertia, ja in Secunda befanden.
-
-Der Hauptmann nahm ihm einen Fechtmeister und einen Tanzmeister an, daß
-sie ihm ein sogenanntes =air degagé= beibringen sollten. Bei Jenem machte
-Lisuart einige Fortschritte, zum Tanzen hingegen hatte er so wenig Lust als
-Geschicklichkeit.
-
-So kam sein achtzehntes Jahr heran, und auch der Winter, für den sein
-neuer Mentor in eine Gesellschaft trat, die sich wöchentlich zu einem Ball
-versammelte. Es geschah meistens um Lisuarts willen, der, wie Jener sagte,
-hier noch mehr den Bauer ablegen, und feinere Lebensart bekommen sollte.
-
-Doch es hinkte auch da genug. Er sollte eine Dame zum Tanz auffordern,
-weigerte sich aber aus Blödigkeit. Nur angedrohte Fuchtel konnten ihn
-endlich bestimmen. Nun tanzte er freilich, indeß mit so krummen Knieen und
-so verwirrt, daß man über ihn lachte. Beim Essen stopfte er dagegen so viel
-Kuchen und Obst in sich, daß man mit Fingern auf ihn wies. Der Hauptmann
-ärgerte sich sehr, und fuchtelte ihn noch um Mitternacht, als man wieder zu
-Hause war.
-
-Auf dem nächsten Ball zeigte er etwas mehr Geschick beim Tanz, und etwas
-weniger Naschgier an der Tafel; aber ganz unausgelacht kam er doch nicht
-davon. Sie sollten sich schämen, sagte der Hauptmann daheim; so ein
-hübscher junger Mensch, und beträgt sich -- hol mich der ...! -- so
-ungehobelt wie -- nun, ich mag's nicht sagen.
-
-Dies Mal war Lisuart doch so dreist, daß er sagte: Wenn aber Jemand so viel
-flucht, Herr Hauptmann, ist das gehobelt oder ungehobelt?
-
-Was? rief Jener, der junge Patron will noch auf mich sticheln? Das leid'
-ich, Gott straf mich, nicht! Ich vertrete Vatersstelle bei ihm, und habe
-Autorität.
-
-Um diese Autorität abermal thätig zu beweisen, zog er vom Leder; dies
-Mal aber, anstatt einer gewichtigen Klinge, eine leichte, beräucherte
-Gänsefeder, welche Lisuart aus einem Flederwisch gezogen und mit der Klinge
-vertauscht hatte. Es war das erste Mal, daß er dem Hauptmann einen Streich
-zu spielen wagte.
-
-Dieser rief: Wer hat das gethan?
-
-Ich nicht, antwortete Lisuart.
-
-»Können Sie schwören?«
-
-Hol mich der Teufel!
-
-»Können Sie auch Ihr Ehrenwort darauf geben?«
-
-Nein, das kann ich nicht! Ich hab' es gethan, weil ich dachte, eine Feder
-thäte doch nicht so weh.
-
-Nun fiel ihm der Hauptmann um den Hals. Sieh! rief er; bist doch ein
-tüchtiger Kerl, Junge! Schwörst wohl beim Teufel falsch, willst aber nicht
-Dein Ehrenwort geben. Bravo! Und hast doch einmal Raupen im Kopf, einen
-guten Einfall. Ich glaube, die zwei Bälle haben Dich schon etwas formirt.
-Das muß ich gleich meinem Herrn Bruder schreiben. O, ich will zum Teufel
-fahren, wenn nicht noch was aus Dir wird!
-
-Auf dem nächsten Ball setzte der Hauptmann sich neben eine ihm unbekannte
-Dame, und hob ein Gespräch mit ihr an. Nicht lange nachher kam ihre, etwa
-funfzehnjährige, Tochter aus den Reihen zurück, und nahm Platz bei der
-Mutter. Pfui, Luischen! sagte diese, wie schlecht hast Du getanzt! Und wir
-haben doch vier Monate einen Tanzmeister bei uns gehabt. Zwar bist Du zum
-ersten Mal auf einem Ball; ich hätte aber doch nicht geglaubt, daß es so
-schlecht gehn würde.
-
-O nur Uebung, gnädige Frau, sagte der Hauptmann; da wird das Fräulein
-dreist. Ich habe da einen Eleven, der soll sie gleich wieder auffordern.
-Lisuart, kommen Sie her!
-
-Schüchtern nahte sich dieser, und machte eine linkische Verbeugung.
-
-Fordern Sie das Fräulein auf, sagte der Hauptmann wieder; geschwind!
-
-Lisuart stammelte: Kann ich die Ehre haben ...?
-
-Die Dame nahm das Wort: Wird meiner Tochter viel Ehre seyn. Allons, Luise,
-folge!
-
-Luise stand bebend auf, schien ungern wieder in den Reihen zu gehn. Der
-Hauptmann sah zu. Es kam ihm vor, als nähme Lisuart sich dies Mal mehr
-zusammen, und hielte sich dreist, zierlicher.
-
-Lisuart wies auch das Fräulein in den sogenannten Touren zurecht. Als aber
-der Tanz vorüber war, liefen ihm große Tropfen Angstschweiß vom Gesicht.
-
-Der Hauptmann stand auf, lobte ihn, und sagte hernach leise: Nun setzen Sie
-sich ein wenig neben die junge Dame, mit der Sie getanzt haben; unterhalten
-Sie sich mit ihr.
-
-Lisuart wollte nicht, und suchte Ausflüchte. Sie sollen, ward ihm
-erwiedert, oder es giebt zu Hause Fuchtel. Die Klinge ist eingesetzt.
-
-Lisuart fragte zaudernd: Was soll ich denn mit ihr sprechen?
-
-Tausend Sapperment! entgegnete der Hauptmann, was das für eine dwatsche
-Frage ist! Eben da formirt sich ein junger Mensch, wenn er mit Damen
-spricht, und es muß sich ja wohl etwas finden, wovon man sprechen kann,
-in's Teufels Namen! Sprechen Sie, wovon Sie wollen, nur nichts Ungezognes!
-
-Lisuart nahm zagend neben dem Fräulein Platz, und hob an: Meine Gnädige --
-es ist heute schönes Wetter.
-
-Die Gnädige antwortete: So muß es eben erst schön geworden seyn. Als wir
-kamen, schneiete es.
-
-Sie hatte, wie man sieht, etwas mehr Fassung, als er; denn sie hörte doch,
-was er sagte, und daß es nicht ganz richtig schien. Er dagegen hatte so
-wenig recht gewußt, was er sagte, als er recht hörte, was sie antwortete.
-Beide dankten eigentlich dem Himmel, daß sie doch einige Worte
-hervorgebracht hatten, weil es die Schicklichkeit so gebot. Das Fräulein
-zeigte etwas mehr Gegenwart des Geistes im Reden, weil die weibliche Natur
-es so mit sich bringt. Daß Lisuart dagegen beim Tanz sie darin übertroffen
-hatte, rührte vielleicht davon her, daß er schon einige Mal öffentlich
-getanzt, Luise aber heute den ersten Versuch machte.
-
-Nach und nach kamen Beide doch mehr und mehr ins Gespräch. Luise erzählte,
-daß sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter in D*** sei, was sie bereits an
-schönen Sachen gesehn habe, und noch sehn werde, und mehr dergleichen. Ihr
-Vater, sagte sie auch, der zu Hause geblieben wäre, hätte ihr prophezeiet,
-sie würde sich recht wundern. Lisuarts Angst verlor sich auf einer Seite;
-denn er vernahm allmählig, was seine Nachbarin sagte, und konnte dazwischen
-erzählen: wie es ihm in D*** ergangen sei, und noch gehe; auf der anderen
-Seite aber stieg diese Angst. Denn er fing an, ein ihm bis dahin ganz
-unbekanntes wunderbares Vergnügen zu fühlen, als er so mit Luisen redete.
-Und weil er so oft über das, was ihm Vergnügen gemacht, Tadel, Scheltworte,
-selbst Ohrfeigen und Fuchtel bekommen hatte, fing er an zu fürchten: daß
-ihm dieses Vergnügen aller Vergnügen noch etwas viel Schlimmeres zuziehen
-würde.
-
-Zu seinem Erstaunen klopfte ihm aber der Hauptmann auf die Schulter, und
-betheuerte bei Ehre und Reputation: so wäre es recht!
-
-Er setzte bei der Abendtafel sich wieder zu jener Dame, und Lisuart
-mußte neben Luisen Platz nehmen. Der junge Mensch betrug sich fein und
-angemessen, tanzte hernach noch einmal mit dem kleinen schönen Fräulein,
-und Beiden ließ sich kein Fehler mehr vorwerfen. --
-
-Am nächsten Morgen kam sein Aufseher in seine Stuben: Was ist das!
-sagte er; Sie haben gewiß das Licht brennen lassen, und sind darüber
-eingeschlafen. Der Teufel! so kann ja Feuer entstehn.
-
-Das noch glimmende Licht war ganz herunter gebrannt, und der junge Mensch
-hatte noch die Kleidung von gestern Stück für Stück auf dem Leibe.
-
-Ich habe, erwiederte Lisuart verwirrt, ein nöthiges lateinisches Exercitium
-gemacht, und bin darüber nicht zu Bette gegangen. Es war ja schon zwei Uhr,
-als wir nach Hause kamen.
-
-Eigentlich verhielt sich die Sache so. Lisuart empfand, als er vom Ball
-nach Hause kam, auch nicht die mindeste Neigung zum Schlaf. Des Fräuleins
-Bild tanzte ihm unaufhörlich vor dem innern Auge: immer klangen ihre Worte,
-und die Musik der beiden mit ihr getanzten Tänze, ihm vor dem innern Ohr,
-und dies machte ihm wieder ein neues, so hohes Vergnügen, daß er sich
-ihm weit lieber, als dem Schlaf überließ. Es stand ein Klavier auf seinem
-Zimmer. Er bekam Unterricht in der Musik, hatte aber bis jetzt nur sehr
-geringe Fortschritte gemacht; theils, weil seine Neigung zu dieser
-Kunst nicht groß war, theils auch weil sein Lehrer darin nicht zu den
-vorzüglichsten gehörte. Dieser hatte seinem Schüler binnen einem Jahre eine
-alte sogenannte Klavierschule mit ganz leichten Anfangsstücken gebracht,
-etliche Sonaten der Art von Vanhal und Pleiel, auch eine Operette von
-Hiller, die Ouverture daraus zu lernen; allein der Schüler hatte bis jetzt
-sehr wenig begriffen.
-
-Nur die alte Operette hatte ihn gewissermaaßen angezogen, weil sie Lisuart
-und Dariolette hieß. Der Mensch ist nun einmal so, daß er seinen Namen gern
-gedruckt sieht. Ein Kupfer am Titelblatt, welches einen jungen stattlichen
-Ritter im Harnisch vorstellte, pflegte er oft anzusehn, und auch einige der
-leichten Gesangmelodieen aus dem Werk zu klimpern.
-
-Jetzt, indem er so im Zimmer umherging, und der eben entflohenen Stunden
-dachte, fiel ihm auch das Musikbuch in die Augen, und er betrachtete nun
-zum ersten Male mit Antheil die junge Dame, welche im Kupfer neben dem
-Ritter stand. Bald setzte er sich an das Klavier, und es schien ihm ganz
-anders zu klingen. Er schlug Einiges von dem auf, was der Ritter Lisuart
-von seiner Liebe singt, und es ergriff ihn gewaltig. Ihm dünkte, als wären
-es seine eignen Empfindungen; und viel geläufiger, als sonst, konnte er
-jetzt die Noten lesen, und die Finger rühren. Noch mehr hingerissen fühlte
-er sich bei dem Gesang der Dame in den Worten:
-
- Reich Deine Hand als Bräut'gam mir,
- Mein liebstes Gut auf Erden,
- Und ich verspreche Dir dafür,
- Nie ungetreu zu werden.
-
-Er konnte nicht aufhören, die einfache Melodie zu wiederholen und die
-einfachen Worte dabei zu lesen. Ihm war, als sänge das Luise -- zu ihm; und
-sterben hätte er mögen vor Entzücken über diese Vorstellung. Er beklagte
-nur, daß nicht Dariolette jenen Namen hatte. Bis an den hellen Morgen
-konnte er sich nicht von der süßen Beschäftigung losreißen.
-
-Und nun brachte er auch eine ganz veränderte Stimmung mit in die Schule.
-Die Wissenschaften hatten ihm eine höhere Bedeutung gewonnen; er meinte:
-was ihn so lange angeekelt habe, könne wohl hohes Vergnügen gewähren. Zum
-ersten Male schämte er sich, immerfort getadelt worden und gegen Andere
-zurückgeblieben zu seyn; es erwachte in ihm Ehrgeitz, das Verlangen, seinen
-Mitschülern gleich, ja zuvor zu kommen, und er dachte nun auch, das könne
-so schwer nicht seyn.
-
-Die ganze Woche hindurch zeigte er ungemeinen Fleiß, sowohl in den
-Lehrstunden, als zu Hause, und fragte den Quintus um vielerlei, der sich
-auch bereitwillig zeigte, ihm durch Winke und guten Rath fortzuhelfen.
-Schon am Ende dieser Woche wurde er in eine höhere Klasse versetzt. Hierzu
-trugen die Empfehlungen des Quintus das Meiste bei; dieser hatte nehmlich
-dem Rektor versichert: Lisuarts Genie fange nun an, sich zu entwickeln.
-
-Gerade an diesem Tage führte ihn sein Mentor wieder auf den Ball. Lisuart
-hatte sich recht sorgfältig und nett gekleidet, und war viel weniger
-verlegen, als zeither; einige ältliche Damen, die müßig auf ihren Stühlen
-die Versammlung musterten, machten die Bemerkung: der Lisuart staffire sich
-recht gut heraus, und werde ein ganz hübscher Mensch.
-
-Schon die heutige Versetzung in eine höhere Klasse hatte dem jungen
-Menschen mehr Muth gegeben; dazu kam aber noch, daß der Hauptmann
-ihn, theils darüber, theils auch über seinen heutigen Anzug und sein
-verbessertes Betragen gelobt hatte. Lob über ein gewisses Verdienst pflegt
-dies Verdienst zu erhöhn, namentlich in jüngeren Lebensjahren.
-
-Aus dieser Ursache trat er nicht mehr so scheu vor Luisen, nach der er sich
-die ganze Woche hindurch gesehnt hatte. Auch Luise war weniger betreten,
-und daneben vortheilhafter, als neulich, gekleidet. Beide tanzten und
-sprachen heute mehr mit einander, als vor acht Tagen, und menschenkundigen
-Beobachtern hätte es nicht entgehn können, daß Beide sich sehr glücklich
-fühlten, und daß sich in ihren Herzen die ersten Spuren der Liebe zeigten.
-
-Sonderbar übrigens, daß noch keins von Beiden des Anderen Namen wußte, und
-auch den Muth nicht hatte, danach zu fragen. Lisuart bediente sich nur der
-Anrede: meine Gnädige; und Luise war genöthigt, alle Anrede zu vermeiden.
-Der Hauptmann saß am Spieltisch, und kam dies Mal nicht zu ihnen.
-
-Luisens Mutter begegnete dem jungen Menschen darum freundlich, weil er sich
-immer zu ihr hielt; es war ihr ja daran gelegen, daß Luise, die bisher auf
-dem stillen Lande erzogen war, sich in der Welt darstellen lernen sollte.
-Und außer Lisuart kümmerte sich Niemand eben um Luisen; das noch halb
-kindische Fräulein war den jungen Herren von Ton zu unbedeutend, und auch
-in D*** nur wenig bekannt.
-
-Heute kam das Gespräch unter andern auf die Tonkunst. Lisuart erfuhr, das
-Fräulein habe auch darin Unterricht gehabt; und nach ihren Aeußerungen
-mußte sie viel größere Fortschritte darin gemacht haben, als er. Um so
-schöner und vortrefflicher schien ihm nun die Musik.
-
-Er brachte den Rest der Nacht abermal am Klaviere hin, und mit noch höher
-gesteigerten Empfindungen. Heute fand er in seinem alten Opernbuch eine
-Romanze des Inhalts:
-
- Es war einmal ein Königssohn,
- Ein Wüthrich, den die Menschen flohn.
- Nicht bänger fliehn die Kinder,
- Wenn Ruprecht kömmt, und nicht geschwinder.
- Der Vater weinte bitterlich,
- Und sprach vergebens: bessre Dich!
- Die Lehrer zwang sein Fluchen,
- Die Thore vom Pallast zu suchen.
-
- Einst führet sein Geschick ihn hin,
- Wo eine junge Schäferin,
- Von Hitz' und Lauf ermattet,
- Die Nacht des grünen Walds beschattet.
- Sie ruht im Schlaf, ihr Antlitz lacht
- Gleich einer heitern Sommernacht,
- Und frei und immer freier
- Spielt Zephyr mit des Busens Schleier.
-
- Wie ward dem Wilden, der sie sah!
- Wie eine Säule steht er da
- Wohl eine ganze Stunde,
- Mit starrem Blick und offnem Munde.
- Doch sie erwacht, und eilt zu fliehn,
- Die Ehrfurcht lehrt ihn niederknien;
- Der Stolze ruft mit Thränen:
- Verzeuch, o lieblichste der Schönen!
-
- Umsonst, sie flieht mit trübem Blick,
- und mit Gefühl kehrt er zurück,
- Das nimmer sich gereget,
- Seit ihm ein Herz im Busen schläget.
- Des Herzens Drang, des Wissens Lust,
- Entflammen plötzlich seine Brust;
- Der Alte will vor Freuden
- Im Arm des neuen Sohns verscheiden.
-
- Er fragt: Wer hat Dich so bekehrt?
- Der Jüngling sagts; der Alte schwört:
- Ich rufe sie noch heute
- Im Hochzeitschmuck an Deine Seite.
- Sie reichen sich die frohe Hand.
- Noch jetzt hört man im ganzen Land,
- Vom Prinzen und der Schönen,
- Ein Lob von allen Lippen tönen.
-
-Diese Verse setzten unsern Lisuart in Erstaunen, und gaben ihm noch
-Deutungen, Aufschlüsse über sein Innres. Ja, so konnte _des Herzens Drang_
-erwachen und _des Wissens Lust_; o, wäre der Alte da gewesen! Doch sah der
-junge Mensch wohl ein, daß davon bei einem Tertianer die Rede noch nicht
-seyn könne; aber, dachte er, einst, einst!
-
-Wußte er doch nun ganz klar, daß er Luisen liebte, und seine Liebe sollte
-eine ganze Ewigkeit dauern, keine Minute weniger.
-
-Verdoppelter Fleiß in der Schule und zu Hause, stets mit wachsendem
-Vergnügen begleitet, war die Folge seiner erwachten Gefühle. Auch der
-Conrektor und Subrektor lobten ihn nun; denn von einem Kornrektor und
-Suppenrektor ließ er nichts mehr hören, sondern zeichnete sich nur durch
-Wißbegierde aus, so wie durch leicht erworbene Kenntnisse und einen
-Scharfsinn, der oft in Verwunderung setzte. Der Subrektor selbst gab ihm
-das Lob: er habe jetzt zuweilen ächt witzige Einfälle.
-
-Ihm fiel aber auch ein, daß seine Kleidung ziemlich abgetragen, und gar
-nicht recht nach dem Schnitt gemacht sei, wie andere junge Edelleute in
-D*** sie trugen. Er bat den Hauptmann, ihm eine andere machen zu lassen.
-Das thue ich von Herzen gern, bekam er zur Antwort; ist doch noch Geld da,
-und mein Herr Bruder wird nicht geitzen, wenn er nur sieht, daß aus dem
-Sohn ein Kerl wird.
-
-Lisuart trieb, daß die neue Kleidung zum nächsten Ball fertig werden
-sollte. Als er darin vor den Spiegel trat, hatte er selbst einen kleinen
-Anfall von närrischer Eitelkeit; denn er fand, was er bis jetzt nie
-gefunden hatte, nehmlich, daß er doch ein ganz hübscher Mensch sei.
-
-Luise mußte das auch wohl finden; denn sie wurde, als sie ihn zuerst
-erblickte, röther, und war hernach freundlicher, als zuvor. Sie schien ihm
-aber auch heute bei Weitem reitzender; vielleicht, weil er, bei erhöhtem
-Selbstgefühl, besonnenern Muth gewonnen hatte, sie mehr als flüchtig
-anzusehn. Heute forderte Lisuart das Fräulein so oft zum Tanz auf, daß die
-Mutter besorgte, es könnte Aufsehn erregen, und daß sie Luisen befahl,
-die Aufforderungen nun abzulehnen. Sie vermied auch seine Nähe bei Tische,
-worüber denn Lisuart sich recht sehr betrübte.
-
-Doch in recht eigentliche Schwermuth sank er, als am nächsten Balltag Luise
-nicht mehr zu sehen war; auch späterhin nicht mehr kam. Endlich gewann
-er es, mit großer Mühe, über sich, den Hauptmann, als sie im Dunkeln nach
-Hause gingen, zu fragen: wo die fremde Dame geblieben seyn möchte -- von
-der Tochter sagte er doch nichts --, neben welcher er, der Hauptmann,
-neulich gesessen hätte.
-
-Ich weiß nicht, bekam er zur Antwort; vermuthlich ist sie abgereis't.
-
-Noch schwerer ging Lisuart an die Erkundigung: wie sie heißen, und wo sie
-wohnen möchte?
-
-Der Hauptmann betheuerte, von dem Allen kein Wort zu wissen, und fügte
-hinzu: Aha, junger Patron! Ich will des Teufels seyn, wenn Sie nicht in
-die Tochter verliebt sind. Nun, recht gut das. Wenn sich ein junger Mensch
-verliebt, fängt er auch an, etwas auf sich zu halten. Ich wette, nun werden
-die Fuchtel nicht mehr nöthig seyn.
-
-Behüte! rief Lisuart; wie kommen Sie darauf! Die Fuchtel anlangend -- nun,
-die werde ich mir künftig verbitten, Ihnen aber auch keine Gelegenheit dazu
-geben, Herr Hauptmann!
-
-Bravo, erwiederte dieser; das soll mir recht lieb seyn.
-
-Er schrieb dem Herrn Bruder nun auch: der Sohn fange recht ernstlich an,
-sich zu bessern; und schickte Zeugnisse von den Lehrern mit, die ungemein
-vortheilhaft klangen.
-
-Lisuart machte jetzt in der That Fortschritte, die man ihm nicht zugetraut
-hätte, und er selbst hatte mit jedem Tage eine höhere Freude daran. Auf der
-anderen Seite war es ihm aber so schmerzlich, Luisen nicht mehr zu sehn,
-und ihren Aufenthalt nicht zu wissen, daß eine merkliche Blässe im Gesicht
-seinen Gram offenbarte.
-
-So kam der Frühling heran, und nun erst fand er die schönen Umgebungen
-der Stadt sehr anziehend. Er schweifte oft darin umher, mit irgend einem
-Dichter in der Tasche, um ihn da oder dort, auf einem Felsen sitzend, zu
-lesen. Darüber entzündete sich in seiner eignen Brust poetisches Feuer.
-Er staunte, als er die ersten Versuche niedergeschrieben hatte, daß es ihm
-auch gelänge, Verse zu machen. Zum Theil enthielten sie Erinnerungen an
-jenes Beisammenseyn mit der geliebten Luise; zum Theil Sehnsucht nach
-Wiedersehn; doch einige enthielten nur Lob der schönen Natur. Die letzteren
-wies er dem Quintus vor, der sie verbesserte, und ihm aufmunternde Lehren,
-und Rath gab, was er zur ferneren Ausbildung seines Geschmacks lesen müsse;
-und mit den Worten endete: Sagt' ich es doch voraus, daß hier Genie wäre.
-
-Natürlicher Weise freute sich der Jüngling hierüber. Als er dann
-Shakespear, Schiller und Göthe las, verzweifelte er bald, Genie zu haben,
-bald glaubte er wieder, daß es ihm nicht ganz daran fehle. _Genie des
-Gefühls_, meinte er doch, könne man ihm nicht absprechen.
-
-Er kam nach Secunda, und ein halbes Jahr später nach Prima. Nun hatte
-er die meisten von seinen Mitschülern, die ihm vorangeeilt waren, wieder
-eingeholt. Freude hierüber, die zufriednen Briefe seines Vaters, und die
-süße Zerstreuung, welche ihm die Poesie gewährte, scheuchten nach und nach
-aus seinem Herzen den Gram der Liebe, doch keineswegs die Liebe selbst,
-welche sich vielmehr in seiner Brust immer stärker befestigte. Er machte
-allerlei Entwürfe, Luisen auszumitteln, und sich zu bestreben, daß er bald,
-wie sein Vater es wünschte, ein Amt erlangen möchte, um Luisen dann seine
-Hand anbieten zu können.
-
-Im Herbst erklärte man ihn fähig, die Hochschule zu beziehn, und Jena wurde
-für ihn ausgewählt.
-
-Ein neuer Lebenskreis, Freiheit, und Gelegenheit sich jugendlichem Frohsinn
-zu überlassen, wie zuvor nie! Lisuart hatte jedoch keine Neigung, wilden
-Ergötzlichkeiten nachzugehn, und suchte Freunde von ähnlichem Sinn. Außer
-den Rechtswissenschaften, trieb er philologische mit beinahe übermäßigem
-Eifer, und zeichnete sich sogar unter den fleißigern und musterhaften
-jungen Musensöhnen noch aus.
-
-Durch die mannichfachen, von ihm eingesammelten, Kenntnisse lernte er auch
-sich selbst mehr kennen. Jetzt sah er wohl ein, daß, wenn er Luisen nicht
-gesehn hätte, nie diese Neigung zu den Wissenschaften in ihm erwacht seyn,
-und daß er vielmehr leicht dahin gekommen seyn würde, auf eine ihm höchst
-nachtheilige Weise die akademische Freiheit zu mißbrauchen. Zu seiner Liebe
-gesellte sich noch Dankbarkeit für sein Erwachen zu einem edleren Leben,
-wodurch die Liebe noch mehr Nahrung bekam, und ihm in einem schönern Lichte
-erschien.
-
-In den nächsten Sommerferien machte er eine Fußreise; wie er vorgab, die
-schöneren Gegenden von Sachsen zu sehn, eigentlich aber, Luisens Wohnort zu
-entdecken. Sie hatte einmal in ihrer Unterhaltung mit ihm gesagt: In D***
-bin ich noch nicht gewesen, wohl aber schon einige Mal in Leipzig, weil
-dies nicht so weit von uns ist. Hieraus schloß nun Lisuart, ihr väterliches
-Gut müsse in der Gegend von Leipzig liegen, und nahm sich vor, eine solche
-Runde zu machen, daß er es nicht verfehlte.
-
-Die Mühe war indeß vergeblich. Wie sorgfältig er auch jedes Dorf besuchte,
-das einen Herrenhof hatte, wie genau er auch die Gestalten der Mutter
-und Tochter beschreiben mochte: es glückte ihm nicht, das Gewünschte zu
-erfahren, und er mußte endlich unverrichteter Sache nach Jena zurückkehren,
-was ihn denn tief betrübte.
-
-Als er neunzehn Jahre alt war, dachte er: nun ist Luise im sechzehnten; als
-er das zwanzigste antrat: nun wird sie in das siebzehnte treten -- O, Gott,
-wenn mir Jemand zuvorkäme!
-
-Er entschloß sich, an den Hauptmann zu schreiben, und ihm sein Geheimniß
-halb und halb zu entdecken. Es müsse sich ja, schrieb er weiter, in D***
-wohl erforschen lassen, wer jene Dame gewesen sei; der Vorsteher
-der Ballgesellschaft werde sie ohne Zweifel kennen. Er ließ die
-angelegentlichste Bitte folgen, daß sich der Hauptmann nach ihr erkundigen
-möchte.
-
-In der Antwort auf diesen Brief hieß es: Der Vorsteher aus jener Zeit sei
-gestorben, und alles anderweitige Nachfragen habe wenig gefruchtet.
-
-Lisuart besuchte im nächsten Jahr seinen Vater, der ihn mit großer Freude
-und Herzlichkeit empfing. Der Sohn ließ auch hier etwas von seinem innern
-Zustand merken; da sagte aber sein Vater: Oho! jetzt schon an eine Heirath
-zu denken, ist zu früh! Und ich habe übrigens halb und halb ... ein sehr
-wohlhabender alter Freund, der eine einzige Tochter hat, die auch recht
-schön und gebildet seyn soll ...
-
-Lisuart unterbrach ihn mit Betheurungen: er würde nie einem andern Mädchen
-seine Hand geben können. --
-
-Possen! sagte der Vater wieder; so reden alle junge Leute, und die Umstände
-ändern viel. Nichts mehr davon! kömmt Zeit, kömmt Rath.
-
-Lisuart mußte wieder nach Jena. Seine Poesien machten bei Kennern Aufsehn,
-und sie riethen ihm, eine Auswahl davon drucken zu lassen. Es geschah
-endlich, doch so, daß er auf dem Titel nur seinen Vornamen nannte. Die _an
-Luise_ überschriebenen Gedichte athmeten das meiste und stärkste Feuer.
-
-Doch jetzt, im Jahr 1813, loderte auch das Kriegsfeuer in Deutschland
-auf. Lisuart meinte, die politische Rolle des Königs von Sachsen wäre nur
-gezwungen; und, obschon dessen Unterthan, beschloß er doch in preussische
-Dienste zu gehn, um gegen Deutschlands Unterdrücker zu kämpfen. Er bat
-seinen Vater um Erlaubniß dazu, und dieser sagte: Thue, was Du willst; ich
-mag nichts davon wissen. Gieb Dir aber lieber einen andern Namen, daß es
-nicht heißen kann: Du habest gegen Dein sächsisches Vaterland gestritten.
-
-Lisuart ging nach Berlin, gab sich für einen Herrn von Breitenfeld aus, und
-bekam eine Lieutenantsstelle bei einem neu errichteten Corps von leichter
-Reiterei.
-
-Nichts von den Kriegsauftritten, denen er beiwohnte, außer, daß er durch
-seine Tapferkeit bald Rittmeister wurde.
-
-Als nach der Schlacht bei Leipzig Napoleons Flüchtlinge verfolgt wurden,
-und man sie theils zu ereilen, theils ihnen in die Seite zu kommen suchte,
-gehörte Lisuarts Corps zu denen, welche am thätigsten waren.
-
-Im Hessischen machte er eines Tages eine Seitenpatrulle, und traf auf eine
-Anzahl abgeschnittener französischer Husaren, die so eben einen Reisewagen
-plünderten. Ein Landedelmann der dortigen Gegend wollte darin mit seiner
-Tochter fliehn, und hatte das Unglück, in die Hände jener Unholden zu
-fallen, welche übrigens auch die Tochter reitzend fanden, und geneigt
-schienen, sie für eine gute Beute zu erklären.
-
-Lisuart, obgleich seine Mannschaft nur halb so stark war, stürzte sich in
-die Feinde, und so entstand ein hartnäckiger Kampf. Die Preußen siegten;
-ihren Rittmeister traf aber ein Säbelhieb in den Kopf, der ihn um alle
-Besinnung brachte.
-
-Man gab dem Edelmann das ihm Gehörende zurück, und hoch erfreut, die Ehre
-seiner Tochter gerettet zu sehn, dachte er durch die beste Verpflegung der
-Verwundeten seine Dankbarkeit zu beweisen. Man versicherte ihm, daß er nun
-nicht zu fliehen brauchte, weil die befreundeten Truppen schon nahe wären.
-So entschloß er sich denn, nach seinem Dorfe zurückzukehren, und nahm den
-halb todten Rittmeister in seinem Wagen mit sich, dem ein Feldarzt, der
-sich glücklicher Weise gefunden, sogleich den ersten Verband um den Kopf
-gelegt hatte.
-
-Lisuart galt sonst für einen schönen Officier; jetzt aber hätte sein
-Anblick Entsetzen erregen können. Man denke sich zu einem starken,
-dunkelbraunen Bart die bleiche Todtenfarbe und die bis an die Augen
-reichenden Binden!
-
-Der gerettete Gutsbesitzer ließ in seinem Hause ihm ein Zimmer zurecht
-machen, und einen Wundarzt aus der nächsten Stadt rufen, der um ihn bleiben
-mußte. Erst nach einigen Tagen bekam Lisuart einen Theil seines Bewußtseyns
-wieder, das indeß öftere Anfälle vom Wundfieber störten. Zusammenhängendes
-Denken ward ihm ungemein schwer; seine Ideen durchkreuzten sich, wie im
-Wahnsinn, denn der feindliche Säbel war sehr tief eingedrungen. Auch sah er
-nicht recht hell, und der Wundarzt verhehlte ihm nicht, daß sein Leben noch
-immer in Gefahr schwebe.
-
-Als die ersten Durchmärsche vorüber waren, herrschte in dem abgelegenen
-Dorf mehr Ruhe. Dies that ihm wohl, und an Pflege ließ sein dankbarer Wirth
-es nicht fehlen. Eines Abends hörte er im Nebenzimmer zu einem
-Pianoforte singen. Die Stimme dünkte ihm vorzüglich schön, die Fertigkeit
-ausgezeichnet. Es schien, als ob durch die Musik sein Fieber nachlasse,
-sein Schmerz sich vermindre, und sein Kopf freier würde.
-
-Als der Gutsbesitzer -- was oft geschah -- ihn besuchte, sagte Lisuart:
-Ich hörte da eben sehr schön spielen und singen; Musik ist mein größtes
-Vergnügen. Wenn ich des Vergnügen öfter hätte, so würde es viel zu meiner
-Genesung beitragen.
-
-Es war meine Tochter, erwiederte der Andere; so oft Sie es wünschen, soll
-sie singen und spielen. Was kann sie weniger für ihren edelmüthigen Retter
-thun!
-
-Von nun an spielte und sang das Fräulein oft; und, so wie Davids Harfe
-Sauls Melancholie vertrieb, so wirkte auch hier die Gewalt schöner Töne auf
-einen zerrütteten Seelenzustand. Mit jedem Tage besserte sich nun auch die
-Wunde, und freiwillig, obgleich befremdet, gestand der Arzt: er zweifle,
-ob, ohne Beihülfe einer so lieblichen Anregung der Lebenskräfte, der
-Rittmeister zu retten gewesen seyn würde.
-
-Nach einigen Wochen war des Kranken Bewußtseyn vollkommen deutlich, und das
-Wundfieber hatte sich verloren. Nur die Augen blieben noch schwach, weshalb
-der Arzt die Fenster dicht verhängen ließ.
-
-Zuweilen brachte der Herr vom Hause seine Tochter mit, welche dann jedes
-Mal dem Rittmeister für ihre Rettung dankte. Ihre Unterhaltungen schienen
-nicht minder zu wirken, als ihr Gesang und Spiel; Lisuart meinte: so
-geistvoll habe er noch keine Dame reden hören. Sie erbot sich auch, ihm
-bisweilen vorzulesen. Er lehnte das zwar, als zu gütig, ab; aber dennoch
-blieb sie dabei, ihren Retter auch auf diese Art zu unterhalten. Sie ging
-dazu in das Nebenzimmer, und ließ die Thür offen, weil sie in dem halb
-finstern Krankenzimmer nicht hätte sehen können.
-
-Eines Tages brachte sie einen Band Gedichte mit, und sagte ihm, daß diese
-zu ihrer Lieblingslectüre gehörten. Wie staunte der Rittmeister, als sie
-ihm nun aus _Lisuarts poetischen Versuchen_ vorlas. Die Empfindung, womit
-sie es that, erregte bei ihm Rührung, Stolz und -- Gewissensvorwürfe. O
-Gott! dachte er, sollt' ich dies Fräulein nicht lieben? nicht treulos an
-Luisen geworden seyn, der ich doch in meinem Herzen ewige Liebe geschworen
-habe?
-
-Doch bald dachte er auch: Luisen habe ich seit vier Jahren nicht gesehen,
-und vielleicht sehe ich sie nie wieder.
-
-Und späterhin: Diesem Fräulein verdanke ich mein Leben; und das ist doch
-noch mehr, als ich Luisen einst zu verdanken hatte.
-
-Nach gerade sah er heller, und so viel die herabgelassenen grünen Vorhänge
-es zuließen, prüfte er des Fräuleins Gestalt. Sie war höher als Luise, und
-ihr Ausdruck voll Adel und Anmuth. Die Gesichtszüge schienen ihm geistiger,
-bedeutender, aber nicht so heiter, wie er sich Luisens noch erinnerte;
-eine gewisse sanfte Schwermuth lag darin verbreitet, die er jedoch äußerst
-anziehend fand.
-
-Einmal sagte er: Den Dichter, von dem Lisuarts poetische Versuche sind,
-möchte ich beneiden, weil Sie ihm so viel Nachsicht schenken. Und doch --
-kann ich ihn nicht beneiden. Wissen Sie ihn?
-
-Sehr eilig rief Jene: Nein! Ist er Ihnen bekannt? Schon lange habe ich nach
-seinem Namen gefragt.
-
-Dies Mal klang die Stimme dem Rittmeister heitrer, als sonst, und schien
-ihm ein wenig bekannt. Nun faßte er auch die Gesichtszüge schärfer ins
-Auge.
-
-Mein Fräulein, hob er wieder an, sind ... sind Sie einmal in D***
-gewesen? --
-
-»Vor vier Jahren.«
-
-Auf dem Ball bei ***?
-
-»O Himmel!«
-
-Die Gedichte an Luise wurden -- an Sie geschrieben.
-
-»Meine Ahnung! Und Sie -- Sie retteten mich!«
-
-Sie retteten mein Leben!
-
-Nun konnte der Rittmeister aber nicht mehr zusammenhangend sprechen. Ein
-heftiger Rückfall vom Fieber, und nichts als Irrereden. Zu stark war die
-Erschütterung für seine nur erst schwach befestigte Gesundheit.
-
-Erst nach einigen Wochen kam er wieder so weit, als er schon gewesen war.
-Nun hatten aber das Fräulein und ihr Vater das Gut verlassen, und es war in
-andern Händen.
-
-Der neue Eigenthümer sagte: Schon lange wäre der Kaufvertrag abgeschlossen
-gewesen, und nun der Termin seines Antritts herangekommen; indeß sollte es
-dem Rittmeister an keiner Pflege fehlen.
-
-Lisuart fragte bestürzt: Wo ist denn der vorige Gutsherr geblieben?
-
-Er bekam zu Antwort: Genau weiß ich es nicht. Wie ich höre, ist er nach dem
-Brandenburgischen gezogen.
-
-»Und sein Name? Noch immer habe ich nicht danach gefragt.«
-
-Von Rothenfeld.
-
-Lisuart bat, sobald er wieder schreiben konnte, Bekannte in Berlin, sich
-nach dem Aufenthalt eines Herrn von Rothenfeld zu erkundigen. Welch ein
-glückliches Wiederfinden, dachte er, und Luise liebt mich! Sie hat mein
-Herz aus den Gedichten an sie errathen. Freilich reden einige deutlich
-genug vom ersten Anblick, und den mächtigen Wirkungen der ersten Liebe.
-
-Er genas nach einigen Wochen völlig, und eilte nun dem Heer in Frankreich
-nach. Aus Berlin bekam er jedoch keine günstige Antwort. Man wußte dort
-nichts von einem Herrn von Rothenfeld und seiner Tochter.
-
-Das ging so zu. Luise hatte aus D*** eine gewisse Schwermuth gebracht, die
-bei dem, zwei Jahre nachher erfolgenden, Tode ihrer Mutter sich mehrte.
-Ihr Vater meinte, eine baldige Heirath würde das beßte Heilmittel seyn.
-Er unterhandelte darüber mit einem alten Bekannten, einen Herrn von
-Buchenthal, Vater eines einzigen Sohnes, von dem man viel Gutes sagte. Doch
-die Kriegsunruhen kamen dazwischen.
-
-Luise gestand ihrem Vater: der Rittmeister von Breitenfeld sei schon lange
-der Gegenstand ihrer Liebe, und trage, wie sie vermuthet habe, auch _sie_
-im Herzen.
-
-Aber, antwortete der Vater, ich habe Dich bereits versprochen, und Du wirst
-auch zufrieden seyn. Dem Rittmeister müssen wir unsere Dankbarkeit auf
-andere Art beweisen.
-
-So wenig Luise damit auch zufrieden war, mußte sie doch mit dem Vater nach
-Sachsen reisen, wo er noch andere Güter hatte. Ein halbes Jahr nachher
-schrieb sein Freund: Mein Sohn wird nun aus dem Kriege heimkehren. Mögen
-die jungen Leute einander sehn. Können sie keine gegenseitige Neigung zu
-einander fassen, so muß ihnen kein Zwang angethan werden.
-
-Nach einem Monate reis'te Luise mit ihrem Vater -- auf ergangne Einladung
--- zu dem Herrn von Buchenthal. Sie bat unterwegs sehr viel, und
-betheuerte: daß sie nur dem Rittmeister ihre Hand geben könne.
-
-Man langte an. Der Sohn war vor einer Stunde gekommen, und -- hatte seinem
-Vater betheuert: nur _Eine_ könne seine Gattin werden.
-
-Luise trat kalt mit ihrem Vater ein. Neben dem Herrn von Buchenthal stand
-ein schöner Officier. Sehr kalt verbeugte sie sich er auch. Er -- war
-nicht mehr bleich, Binden und Bart waren verschwunden. Er sah das Fräulein
-genauer an. Es war Luise!
-
-Sie ward vom Schrecken blaß. »Herr von Breitenfeld --«
-
-Ich heiße Buchenthal!
-
-Wie, rief Einer der beiden Väter, Ihr kennt einander? Und der Andere: Ei,
-Sie sind ja unser Retter!
-
-Nun gab es kein Sträuben mehr.
-
-
-
-
- Nachricht für Besitzer von Leihbibliotheken und Freunde einer
- unterhaltenden Lektüre.
-
-
-Die in der Verlagshandlung dieses Buches erschienene Sammlung von
-Lafontaineschen Schriften gehörten unstreitig zu denen, die den Verfasser
-zum Liebling des Publikums machten. Es sind folgende: Haus Bärburg --
-Barnek und Saldorf -- die beiden Bräute -- Eduard und Magaretha -- Emma
--- Karl Engelmann -- Wenzel Falk -- Familienpapiere -- Fedor und Maria
--- Gemäldesammlung -- Ida von Liburg -- Landprediger -- kleine Romane --
-Theodor. Zusammen 32 Bände, im Ladenpreis 48 Thlr.
-
-Um wiederholten Wünschen zu genügen, lassen wir diese ganze Sammlung bis zu
-Ostern 1821 für 30 Thlr.
-
-Vorzüglich möchte diese Sammlung auch für Familien auf dem Lande, die
-entfernt von Städten, eine angenehme Lectüre in den Winterabenden wünschen,
-sich eignen. Die Verlagshandlung liefert die ganze Sammlung _schön
-gebunden_, an solche für 6 Friedrichsd'or.
-
- Sandersche Buchhandlung.
-
-
- Gedruckt bei L. Wilhelm Krause in Berlin,
- Adlerstraße No. 6.
-
-
-
-
-[ Hinweise zur Transkription
-
-
-Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
-
-Symbole für abweichende Schriftarten:
-
- _gesperrt_ : =Antiqua= .
-
-Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
-uneinheitlicher Schreibweisen, mit folgenden Ausnahmen,
-
- Seite 5:
- "den" geändert in "dem"
- (doch wer aus dem Mittag jähling in die Mitternacht träte)
-
- Seite 5:
- "den" geändert in "dem"
- (oder aus dem Julius in den Februar)
-
- Seite 5:
- "habeu" geändert in "haben"
- (nicht das Mindeste von ihnen gehört haben)
-
- Seite 18:
- "Absiche" geändert in "Absicht"
- (lud mein Vater nun, in jener Absicht)
-
- Seite 31:
- "Plan" geändert in "Plane"
- (künftiger Plane, und er lebte einstweilen)
-
- Seite 60:
- "das" geändert in "daß"
- (daß es sich kaum anders habe erwarten lassen)
-
- Seite 62:
- "in" geändert in "kein"
- (Ich trat staunend zurück, und konnte kein Wort sagen.)
-
- Seite 75:
- "erfnhr" geändert in "erfuhr"
- (Doch späterhin erfuhr ich)
-
- Seite 84:
- "«" eingefügt
- (»Was ist denn aus dem Commerzienrath Hell geworden?«)
-
- Seite 94:
- "»" eingefügt
- (gab er zur Antwort: »Unmöglich könne er)
-
- Seite 96:
- "«" eingefügt
- (Lebt sie noch und in welchen Verhältnissen?«)
-
- Seite 101:
- "Entwikelung" geändert in "Entwickelung"
- (über ihre Entwickelung vermögen die Außendinge mehr)
-
- Seite 117:
- "Firseurs" geändert in "Friseurs"
- (schmeichelte der Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig)
-
- Seite 119:
- "," eingefügt
- (wurde indeß bald ansehnlich, als die Börse)
-
- Seite 127:
- "Vaten" geändert in "Vater"
- (An dem Verlust, den ihr Vater einige Mal gelitten)
-
- Seite 128:
- "«" eingefügt
- (wo aller Handel und Wandel stockt!«)
-
- Seite 129:
- "Comtoir" geändert in "Comptoir"
- (Lehrjahre überstanden haben, und im Comptoir sitzen)
-
- Seite 145:
- "Kentnisse" geändert in "Kenntnisse"
- (bei seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse)
-
- Seite 146:
- ";" geändert in ":"
- (mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle)
-
- Seite 147:
- "." eingefügt
- (wenigem Gehalt begnügen.)
-
- Seite 148:
- "dara" geändert in "daran"
- (daß nichts daran zu tadeln sei)
-
- Seite 171:
- "«" eingefügt
- (zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«)
-
- Seite 174:
- "Versprrchen" geändert in "Versprechen"
- (ich mich bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen)
-
- Seite 177:
- "dedurfte" geändert in "bedurfte"
- (obwohl er selbst Trost bedurfte)
-
- Seite 197:
- "Va-Vater" geändert in "Vater"
- (In Gottes Namen, erwiederte der Vater)
-
- Seite 200:
- "beweiseu" geändert in "beweisen"
- (thätig zu beweisen, zog er vom Leder)
-
- Seite 208:
- "jehr" geändert in "sehr"
- (allein der Schüler hatte bis jetzt sehr wenig begriffen) ]
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by
-Julius von Voß
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEINE LEBENSGEMÄLDE ***
-
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-received the work on a physical medium, you must return the medium
-with your written explanation. The person or entity that provided you
-with the defective work may elect to provide a replacement copy in
-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
-or entity providing it to you may choose to give you a second
-opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
-
-For additional contact information:
-
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit www.gutenberg.org/donate
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
diff --git a/59731-h/59731-h.htm b/59731-h/59731-h.htm
index 3dc556a..ada0bda 100644
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@@ -72,46 +72,7 @@ a[title].pagenum:after {
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-<pre>
-
-Project Gutenberg's Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by Julius von Voß
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll
-have to check the laws of the country where you are located before using
-this ebook.
-
-
-
-Title: Kleine Lebensgemälde in Erzählungen
-
-Author: Julius von Voß
-
-Release Date: June 11, 2019 [EBook #59731]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEINE LEBENSGEMÄLDE ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This transcription was produced from
-images generously made available by Bayerische
-Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59731 ***</div>
@@ -6221,380 +6182,7 @@ einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen, mit folgenden Ausnahmen,</p>
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by
-Julius von Voß
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEINE LEBENSGEMÄLDE ***
-
-***** This file should be named 59731-h.htm or 59731-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/9/7/3/59731/
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This transcription was produced from
-images generously made available by Bayerische
-Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
-States without permission and without paying copyright
-royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
-of this license, apply to copying and distributing Project
-Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
-and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
-specific permission. If you do not charge anything for copies of this
-eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
-for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
-performances and research. They may be modified and printed and given
-away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
-not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
-trademark license, especially commercial redistribution.
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-START: FULL LICENSE
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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-distribution of electronic works, by using or distributing this work
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-Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
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-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
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-electronic works. See paragraph 1.E below.
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-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
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-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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-claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
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-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
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-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
-copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
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-Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
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-electronic work, or any part of this electronic work, without
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-Gutenberg-tm License.
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-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
-any word processing or hypertext form. However, if you provide access
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-other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
-version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
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-to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
-of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
-Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
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-* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
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- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
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-
-* You comply with all other terms of this agreement for free
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-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
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-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
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-For additional contact information:
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- Dr. Gregory B. Newby
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-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
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-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
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-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
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-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
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-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59731 ***</div>
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