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-The Project Gutenberg EBook of Dahinten in der Haide, by Hermann Löns
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Dahinten in der Haide
-
-Author: Hermann Löns
-
-Release Date: October 5, 2019 [EBook #60428]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAHINTEN IN DER HAIDE ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
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- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original in Antiqua
- gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
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-
-Hermann Löns / Dahinten in der Haide
-
-
-
-
- Dieses Werk ist in der Auswahlreihe des Volksverbandes der
- Bücherfreunde erschienen und wir nur an dessen Mitglieder
- abgegeben. Der Druck erfolgte in der Jaeckerfraktur durch die
- Buchdruckerei Bär & Hermann in Leipzig.
-
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-
- Dahinten in der Haide
-
- Roman
-
- von
-
- Hermann Löns
-
- [Illustration]
-
- Volksverband der Bücherfreunde
- Wegweiser-Verlag G. m. b. H.
- Berlin
-
-
-
-
- Nachdruck verboten
- Copyright 1912 by Adolf Sponholtz Verlag G. m. b. H.
- Hannover
-
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-
-Der Ortolan.
-
-
-Der Südwind strich warm über den Kopf des hohen Haidbrinkes und bewegte
-die Zweige der Hängebirke, die voll von Blütenkätzchen und jungen
-Blättern waren, hin und her.
-
-Lüder Volkmann lag längelangs auf dem Rücken, lehnte sich gegen den
-großen Findelstein und hörte zu, wie der Ortolan in der Birke sang.
-
-Er hielt seine Pfeife abseits und atmete den Geruch der blühenden
-Postbüsche, den der Wind aus dem Bruche mitbrachte, und den
-Juchtenduft, der aus dem Birkenlaube kam, tief ein, und ihm war, als
-sei er noch in den Wäldern von Kanada, wo es im April auch nach Post-
-und Birkenlaub roch; aber der Ortolan sang da nicht; dort, wo Volkmann
-getrappt und gefischt hatte, gab es keine Landstraßen.
-
-Er stopfte sich eine neue Pfeife aus dem ledernen Tabaksbeutel, auf
-dem mit Glasperlen ein Kranz von braunen Bibern und schwarzen Raben
-gestickt war.
-
-Eine rote Mordwespe, die über seine Hose kroch, zog seine Blicke auf
-seine Kleidung. »Noch vier Wochen Landstraße und die Tippelkundenkluft
-ist fertig,« dachte er und lächelte, denn ihm fiel ein lustiger Abend
-in Berlin ein. Er hatte mit einer großen Gesellschaft in der vornehmen
-Weinwirtschaft zusammengesessen, die Männer im Frack, die Frauen und
-Mädchen in ausgeschnittenen Kleidern, und mitten zwischen ihnen war
-jener sonderbare Mann in dem alten Gehrock, Peter Hille, der Dichter,
-und der hatte, indem er seine Austern aß, im Gange der Unterhaltung zu
-seiner Nachbarin gesagt: »Ganz wohl fühlt man sich erst, Exzellenz,
-wenn man gesellschaftlich nichts mehr zu verlieren hat, sagt Böcklin.«
-
-Lüder Volkmann sah sein Zeug an; er hatte es in Omaha gekauft und
-die Stiefel in Chikago, und zwar an dem Tage, als er in einer
-Singspielhalle dem französischen Pferdehändler, der über Deutschland
-einen schlechten Witz machte, die Champagnerflasche in die Zähne warf,
-daß der Mann für tot fortgetragen wurde, und als drei andere Franzosen
-ihm an den Balg wollten, boxte er ihnen das Mittagessen aus dem Leibe.
-Dann hatte er der Musik zehn Dollar hingelegt, einen Freitrunk für
-jeden Mann, der eine Gurgel im Leibe hat, bestellt, und die Wacht am
-Rhein, Heil dir im Siegerkranz und Deutschland, Deutschland über alles
-spielen lassen, und alle mußten mitsingen, ganz gleich unter welcher
-Flagge sie geboren waren.
-
-Er mußte hell auflachen, als er daran dachte, welche dummen Gesichter
-die beiden Engländer gemacht hatten, als er mit ihnen anstieß und rief:
-»Trinkt, Jungs, auf die deutsche Flott'!« Dann hatte er fünf Dollar
-hingelegt und gerufen: »Das Flottenlied!« Aber in derselben Nacht hatte
-sich zuerst das Heimweh an seinen Arm gehängt und ihn nicht eher wieder
-losgelassen, als bis er an Bord der Anna Rickmers war. Als Kohlenzieher
-hatte er die Fahrt gemacht; seine tausend Dollar, die er sich in zwei
-Jahren zusammengetrappt und beieinandergefischt hatte, waren auf dem
-Asphalt der großen Stadt kleben geblieben.
-
-Er sah auf seine große Hand. Arbeiten, ja, das konnte die, aber sparen,
-nein! »Herr Doktor, Sie haben eine Ritterhand,« hatte auf dem Hofballe
-die Herzoginmutter gesagt, »und ich verstehe nicht, daß Sie mit der
-Feder fechten, statt mit dem Säbel.« Ihre guten alten Augen hatten ihn
-lange angesehen und dann meinte sie: »Daß Sie nicht von Adel sind!«
-Er hatte gelächelt. »Bin ich, Euer Hoheit, tausche mit keinem von den
-Prominenzen hier in dieser Richtung, die fürstlichen Herrschaften
-ausgenommen; die Volkmanns saßen wohl schon auf ihrem Haidhofe, als
-Exzellenz Drusus über die mangelhaften Chausseen in Germanien bei
-Seiner Majestät Augustus submissest Klage führte.« Da hatte sie so
-herzlich aufgelacht, daß der Leibarzt dem Herzoge sagte: »Hoheit müßten
-veranlassen, daß der Doktor Volkmann öfter mit Ihrer Hoheit zusammen
-ist; sie liebt ihn und lachen ist die beste Medizin für ein müdes Herz.«
-
-Lüder Volkmann sah auf das silbergraue Renntiermoos. So hatte das Haar
-der alten Herzogin ausgesehen. Sie war aus jenen Kreisen der einzige
-Mensch gewesen, der ihm nach seinem Falle geschrieben hatte. Er wußte
-den Brief halb auswendig; die eine Stelle lautete: »Sie kennen mich,
-lieber Herr Doktor; wenn ich später noch lebe, vergessen Sie nicht, daß
-Sie an mir immer eine Freundin haben.«
-
-Er drehte einen blanken Mistkäfer, der hilflos im Sande auf dem Rücken
-lag, um, sah, daß es die dreihörnige Art war, aber ein Weibchen, denn
-die Hörner fehlten ihm, und dann fiel ihm das Indianermädchen ein, das
-ein und ein halbes Jahr in seinem Blockhause gewohnt hatte, und das
-jeden Schmetterling aus dem Spinnennetze nahm. Ihre Seele war klein,
-aber ihr Herz war groß, in ihrem letzten Hauche flüsterte sie: »Lhütär«
-und dann nahm der Schneesturm ihre weiße Seele mit und wirbelte sie zum
-großen Geiste hin.
-
-Acht Wochen lang hatte ihr Leib, in glänzende Bärenfelle gehüllt, im
-Windfange gelegen; dann erweichte der Tauwind den Boden, Lüder begrub
-die Gefährtin seiner Einsamkeit, und die indianischen Holzarbeiter
-kamen alle, sangen gurgelnd ein verschollenes Lied und errichteten
-einen hohen Steinhaufen über dem Grabe, der Wölfe wegen und weil
-Margerit aus edlem Blute war.
-
-»Adel bleibt Adel, wenn es wirklich welcher ist,« dachte Lüder
-Volkmann, der Landstreicher, und vor ihm stand die Frau, an der er
-gescheitert war. Warum hatte er geglaubt, daß er sie liebte? In den
-Brombeerbüschen am Fuße des Brinkes sang der Goldammer; es war fast
-dasselbe Lied, das der Ortolan sang, aber des Goldammers Lied war
-klarer Frieden und in des Ortolans Sang war unstete Unklarheit.
-
-Er schüttelte den Kopf über sich selber. Also darum, darum hatte er
-sein Leben auf die Landstraße geworfen, darum! Er hatte die Frau gar
-nicht geliebt. Als er noch die bunte Mütze trug und jede Woche frische
-Schmisse hatte, da hatte er die Frau seines liebsten Lehrers lieb
-gewonnen und hatte sofort die Exmatrikel genommen. Ein Jahr später
-war die totgetretene Liebe aus ihrem Grabe auferstanden, hatte vor
-ihm gestanden und die Hände gerungen. Und jene andere Frau, an der
-sein Leben strandete, eine Volksausgabe der Frau des Professors war es
-gewesen, die neben jener in seiner Erinnerung stand, wie der dunkle,
-krankhaft süße Gesang des Ortolans neben dem lieben starken Liede des
-Goldammers.
-
-Früher hatte er sich oft gefragt, warum grade ihm das Schicksal die
-Schlinge über den Weg gelegt hatte. Er lachte nun darüber; warum lähmte
-die rote Wespe grade diese lustige Spinne mit ihrem Giftstachel und
-schleppte sie in ihre Höhle, wo sie sich so lange hinquälen mußte,
-bis die Wespenbrut sie bei lebendigem Leibe auffraß? Und er war groß,
-stark und gesund; also konnte ihm das Schicksal etwas mehr zumuten,
-als den Skrälingern mit dem dünnen Blute und dem weichen Fleische.
-Außerdem: was war, und war es auch hart und bitter, es sah von weitem
-eigentlich nur noch interessant aus. Er hatte sich daran gewöhnt, sein
-Unglück mit dem umgedrehten Pürschglase zu betrachten, und klein und
-lustig sah dann aus, was anfangs riesig und schrecklich erschien. Und
-nun wollte er Post- und Maibaumduft riechen und sich sattsehen an der
-braunen Haide und den gelben Wegen und den weißen Wolken, die über den
-schwarzen Wäldern standen, und wo irgendwo der Bauernhof lag, der
-Hilgenhof, der heilige Hof, dem sein Geschlecht entstammte.
-
-Wie schön es sich in dem Haidkraute lag! Er ließ den weißen Sand durch
-seine braunen Finger fließen und freute sich an den dichten Polstern
-der Krähenbeere, die den roten Stein umspannen. Vor ihm trippelte eine
-Haidlerche umher, ein grüner Sandkäfer blitzte auf, hoch oben kreiste
-der Bussard, bald wie Silber, bald wie Gold leuchtend, und nun rief
-sogar Wodes heiliger Vogel über ihm ein lautes Wort, das wie eine alte
-Rune war, und machte einen Bogen, als er den Mann äugte.
-
-Und dann der rotlodernde Post in der Grund, und die goldgrünen
-Machangeln auf dem Anberge, und die weißen Birkenstämme in der braunen
-Haide, und der silberne Bach und das goldene Risch, ein Tag war es,
-an dem die Gefühle des Menschen, der gut erhaltene Sinne hat, leicht
-und lustig tanzen müssen, wie helle Schmetterlinge, auch wenn er zum
-heimlosen Straßenläufer ward.
-
-»Aber nun wäre es Zeit,« dachte er, »daß Ruloff Ramaker käme; vom Sehen
-wird kein Mensch satt.« Volkmann legte sich auf die rechte Seite und
-deckte sein linkes Ohr mit dem Lodenhute zu, wie er es schon als ganz
-kleiner Junge mit der Bettdecke gemacht hatte, und wohlig schnurrte er,
-als die Besinnung ihn verließ, wie er es stets zu tun pflegte, wenn er
-sein Bewußtsein zu Bett brachte.
-
-Über ihm in der Hängebirke aber sang der Ortolan immer und immer
-wieder: »Ich bin müde.«
-
-
-
-
-Der Goldammer.
-
-
-Schwer und tief war der Schlaf des Mannes, und doch sprang er klaräugig
-auf die Füße, als Tritte im Haidkraute knisterten. Der Gendarm stand
-vor ihm und musterte ihn vom Hute bis zu den Stiefeln.
-
-Er sah gut aus, der Beamte; er war einen knappen Zoll kleiner als
-Volkmann: er hatte ein offenes Gesicht, einen prachtvollen blonden
-Bart und helle blaue Augen. Und da er inwendig so war wie außen, so
-stellte er sich erst recht barsch an und fragte mit rauher Stimme:
-»Zeig mal Deine Papiere!« Er zog die Augenbrauen hoch, als der Stromer
-antwortete: »Erstens habe ich keine und zweitens möchte ich Sie
-höflichst ersuchen, mich nicht zu duzen. Sie sind wohl noch nicht lange
-von der Front fort?«
-
-Der Gendarm bekam einen roten Kopf; er sah ein, daß er eine Dummheit
-gemacht hatte. Der Mann trug schäbige, aber gutsitzende Kleidung, und
-das Schuhzeug, das waren hochfeine Jagdschuhe von braunem genarbten
-Leder mit ausgenähtem Rand und Schnellschnürung, und, Donnerja, er
-hatte das ganze Gesicht voller Schmisse, und ein Benehmen, wie der
-Herr Amtsrichter. Köllner lenkte ein: »Entschuldigen Sie, es war
-nicht so schlimm gemeint. Und ich sehe, daß ich mich irrte; eine
-Steckbriefbeschreibung paßte ungefähr auf Sie, bis auf die Schmisse.
-Und einen krummen Zeigefinger haben Sie rechts auch nicht. Aber Sie
-werden doch Papiere haben?« Der andere schüttelte den Kopf: »Nein, sie
-sind mir vor vierzehn Tagen in Hamburg gestohlen.« Der Beamte wiegte
-den Kopf hin und her: »Ja, dann müssen Sie mich schon begleiten.«
-
-Er brach seine Rede mitten im Worte ab und sah in die Haide hinunter.
-Auf dem weißen Pattwege kam ein barhäuptiger Mann angelaufen; er schrie
-und winkte zu dem Hügel hinauf und zeigte nach einem Wachholderbusche
-hinter sich, wo ein weißer Frauenhut leuchtete. Es war Ruloff Ramaker;
-er war in Schweiß gebadet und keuchte: »Komm schnell, schnell, das
-Fräulein ist von einer Adder gebissen.«
-
-Mit großen Sätzen sprang Volkmann den Hügel hinab und war eher bei
-dem Machangel, als Ramaker und Köllner, denn jener war außer Atem und
-dieser mußte erst sein Pferd abbinden.
-
-Einen Blick warf Volkmann auf das junge Mädchen, als er tief den Hut
-zog. Er sah Erstaunen in ihrem Gesicht und das Blut schoß ihm in den
-Kopf; aber schon kniete er nieder, nahm den schmalen, kräftigen Fuß
-in die Hand und fragte: »Wo?« Eine Stimme, die ihm süßer klang als
-das Lied des Goldammers, trotz der Angst, die darin klirrte, oder
-vielleicht um so mehr noch, antwortete: »Hier!« und die schmale, leicht
-gebräunte Hand zeigte nach der großen Zehe. »Das ist gut,« meinte der
-Mann. »Wie lange ist es her?« fragte er dann, indem er einen Bindfaden
-hervorholte: »Eben.« Er nickte. »Keine Angst; Sie sind gesund und der
-Biß sitzt gut. Aber nun muß ich Ihnen weh tun.«
-
-Er schlang den Bindfaden um die Zehe, schnürte ihn fest, steckte einen
-Haidstengel darunter, wirbelte ihn zweimal herum, und tat einen
-schnellen Schnitt in die Zehe. »Hat es sehr weh getan?« fragte er dann.
-Das Mädchen schüttelte den Kopf und lächelte aus ihrer Blässe heraus.
-
-»Soll ich etwas Alkohol besorgen?« fragte der Gendarm, »in zehn
-Minuten bin ich bei der Wirtschaft.« Volkmann nickte: »Besser ist
-besser. Reiten Sie los; ich und er, wir wollen das Fräulein Ihnen
-entgegentragen. Gehen ist nicht gut; die Hauptsache ist Ruhe und kaltes
-Blut. So, mein Fräulein, nun ziehen Sie bitte den Strumpf über und
-legen Sie Ihre Hände auf unsere Schultern. Sie brauchen keine Angst zu
-haben; von hundert Otterbissen geht kaum einer schlimm aus und auch
-meist nur bei Kindern.«
-
-Mit schnellen Schritten gingen die beiden Männer die Landstraße
-entlang, auf ihren verschränkten Händen das Mädchen tragend, das ihre
-Arme um die Schultern der Männer gelegt hatte. Ruloff Ramakers Gesicht
-glühte vor Verlegenheit; Lüder Volkmann aber sah düster aus.
-
-»Es ist doch nicht gleich,« dachte er, »ob man noch ein anständiger
-Kerl vor der Welt ist, oder nicht.« Er wünschte, er wäre alt und
-häßlich gewesen, aber ohne den Sprung in seinem Rufe; dann hätte er mit
-dem Mädchen sprechen dürfen, mit ihr, die an Wuchs und Angesicht und
-Stimme ganz so war wie jene Frau in Göttingen, vor der er floh, weil er
-sie so lieb gehabt hatte.
-
-Viel schöner war diese hier noch, viel adliger von Gestalt, und noch
-süßer hatte ihre Stimme geklungen, viel, viel süßer. Und der Duft ihrer
-goldenen Flechten war köstlich. Wie gern hätte er zu ihr gesprochen;
-aber sollte er, der Strolch, den jeder Gendarm stellen durfte, dieses
-Weib hier anreden? Zu Fürstinnen spricht man nicht ungefragt. Rot
-schlug ihm die Scham in das Gesicht, und tief seufzte er auf.
-
-»Ich bin Ihnen wohl sehr schwer?« fragte die klare Stimme an seiner
-Schulter. Er schüttelte den Kopf; er wollte weiter schweigen, aber die
-Stimme öffnete seine Lippen. »Wie ist das gekommen, mein Fräulein?« Sie
-lächelte: »Ich laufe so gern barfuß in dem reinen Sande und auf der
-trockenen Haide; an die Schlangen hatte ich nicht gedacht.« Sie schwieg
-und wartete auf eine Gegenrede.
-
-Mit scheuen Blicken streifte sie sein Gesicht. Daß es noch solche
-Männer gab! Das war ja eine Gestalt aus dem Nibelungensang, trotz des
-schäbigen Rockes, trotz des Halbwochenbartes.
-
-Was er wohl sein mochte? Wie er wohl auf die Landstraße gekommen war?
-Auf der linken Backe hatte er drei lange Schmisse und einen rechts
-unter der Lippe. Wie schön der Mund dieses Mannes war, ein stolzer
-Knabenmund. Mitleid stieg in ihr auf und feuchtete ihre blauen Augen.
-
-»Da kommt der Gendarm«, sagte der Mann und sah sie an, und dann wurde
-er rot wie ein Weib, denn er sah in ihren Augen, daß sie Anteil an ihm
-nahm, und sie wandte den Kopf ab, denn auch ihr war das Blut in das
-Gesicht geschossen.
-
-»Es ist guter Portwein,« sagte der Beamte, als er die Flasche
-hervorzog, »das gnädige Fräulein können ihn ruhig trinken. An den
-Doktor ist schon telephoniert; er ist unterwegs.« Er sah die Männer an.
-»Soll ich einen von Ihnen ablösen?« Volkmann und Ramaker schüttelten
-die Köpfe und setzten sich in Bewegung.
-
-Als sie nach einer Weile bei der Wirtschaft waren, stand Doktor
-Hellweger schon da. Er sah Volkmann erstaunt an, untersuchte den Fuß,
-nickte mit dem Kopfe und sagte, als er die Wunde ausgewaschen und statt
-des Bindfadens einen Gummiring um die Zehe gelegt hatte: »Wie lange
-nach dem Biß ist der Schnitt gemacht?« und als das Mädchen sagte: »Nach
-höchstens fünf Minuten«, fuhr er fort: »Dann ist keine Gefahr da;
-es ist nur eine ganz kleine örtliche Schwellung vorhanden. Noch ein
-Gläschen Portwein, ehe der Wagen kommt! Das hält das Herz frisch.«
-
-Volkmann sah den Arzt an: »Das ist eine veraltete Theorie, Herr Doktor;
-das Schlangengift geht durch die Blutbahn in den Verdauungstraktus.
-Alkohol ist gutes Gegengift, doch nur, weil er das Gift im Magen
-bindet. Versuche an Hunden, bei denen ich zugegen war, haben das
-ergeben.« Der Arzt machte runde Augen und fragte: »Sind Sie Mediziner?«
-Der Strolch schüttelte den Kopf und ging in das Haus; Ramaker folgte
-ihm.
-
-»Da kommt mein Wagen, liebes Fräulein,« rief Hellweger. »Wo ist der
-Herr, der mir geholfen hat?« fragte das Mädchen; »ich muß ihm danken.«
-Der Arzt trat auf die Deele und sah sich um. »Sie haben sich nur ein
-Glas Milch geben lassen und sind schon weiter«, antwortete die Frau.
-Der Doktor schüttelte den Kopf: »Merkwürdig!« Holde Rotermund wurde
-blaß, als er ihr sagte, daß die Fremden schon fort wären.
-
-Als der Arzt sie nach dem Pfarrhause von Hülsingen fuhr, dachte er
-darüber nach, wo er den Mann schon gesehen hatte, denn daß er ihn
-kannte, das wußte er. Diesen Prachtkopf und den zackigen Schmiß auf der
-rechten Backe vergaß man nicht. Der Arzt blätterte in seiner Erinnerung
-hin und her, fand aber die richtige Stelle nicht.
-
-Der Wagen hielt vor der Pfarre. Ein Jägeroffizier trat an den Schlag,
-küßte Holde beide Hände, grüßte den Arzt, machte sich bekannt, und
-sagte: »Urlaub bekommen; der Alte brummte zwar, ging aber nicht anders.
-Zu große Sehnsucht!«
-
-Er lachte, daß die weißen Zähne in seinem hübschen Gesicht blitzten;
-aber als seine Braut aus dem Wagen stieg, zog er die Stirne kraus, denn
-er sah, daß sie nur einen Schuh anhatte. »Ja,« erklärte sie lächelnd,
-»mich hat eine Schlange gebissen. Ich war ein bißchen barfuß im Sande
-herumgelaufen.«
-
-Der Leutnant sagte nichts, aber seine Lippen schlossen sich fest
-zusammen und seine Stimme klang kalt, als er der Magd zurief, sie solle
-Hausschuhe bringen.
-
-Bevor er Holde in das Haus geleitete, dankte er in verbindlicher,
-gemessener Weise dem Arzte. Als dieser sagte, daß ein fremder Mann,
-allem Anscheine nach ein verbummeltes Genie, die erste Hilfe geleistet
-und die Bißstelle ausgesaugt hatte, fuhr Leutnant von Zollin zurück und
-machte ein Gesicht, als hätte er ein Haar in der Zigarre gefunden. Er
-lud den Arzt ein, am Frühstück teilzunehmen, der aber dankte kühl und
-fuhr los.
-
-Das Frühstück verlief laut, aber es war keine Laune dabei. Holde
-Rotermund lag auf dem Sofa, aß fast nichts und hatte ein nachdenkliches
-Gesicht, so daß ihre Vatersschwester solange ihrer Angst Ausdruck gab,
-bis das Mädchen sagte: »Aber, Tantchen liebes, Gefahr ist gar nicht;
-mir ist der Portwein in die Glieder gefahren.«
-
-Zerstreut hörte sie zu, wie ihr Verlobter vom Dienst, von der Jagd und
-von den Rennen sprach und daß die Prinzessin Mathilde sich nach ihr
-erkundigt und gesagt hatte: »Frau Leutnant von Zollin schlägt uns noch
-einmal alle tot mit ihrem Gesicht;« er lachte seiner Braut zu und hob
-das Glas gegen sie.
-
-Die aber sagte: »Ich glaube, ich muß erst ein bißchen schlafen« und
-hielt dem Bräutigam die Backe hin. »Nicht mehr?« fragte der und küßte
-sie fest auf den Mund und mit purpurrotem Gesicht machte sie sich los.
-
-In ihrem Schlafzimmer stand sie vor dem Waschtische und sah in den
-Spiegel. Dann fuhr sie sich mit dem Schwamm über das heiße Gesicht und
-dreimal über ihre brennenden Lippen.
-
-Sie lag auf dem Bette und sah gegen die weißen Deckenbalken; Dienst,
-Jagd, Rennen, der Hof, das war alles, wovon Wladslaw sprach, heute und
-morgen und übermorgen.
-
-Wovon der fremde Mann wohl sprach? Wer mochte er sein und wo mochte er
-jetzt sein? Ihr war es, als hörte sie seine Stimme immer noch, diese
-warme, gute, reine, volle Stimme. Draußen lachte ihr Bräutigam. Ach ja,
-er war ja ein netter Kerl, und hübsch war er und schnittig gewachsen
-und artig und aufmerksam; aber, aber, an dem, was sie rührte, ging
-er gleichgültig vorbei; wenn am Himmelsrande das rote Licht und das
-schwarze Gewölk Hochzeit machten, sah er nur die Rehe in den Wiesen,
-und in der Haide erblickte er nichts als Ödland. Was sie schon bald
-gedacht hatte, jetzt wurde es ihr klar: sie paßten nicht zusammen.
-
-Im Garten sang der Goldammer; heute früh hatte er gesungen: »Wie, wie
-hab ich dich lieb!« Aber nun sang er: »Mein Nest ist weit, weit, weit!«
-
-
-
-
-Der Täuber.
-
-
-Wenn Lüder Volkmann geahnt hätte, daß Holde Rotermunds geheimste
-Gedanken hinter ihm herflatterten, so hätte er sein Haupt wohl noch
-tiefer auf die Brust hängen lassen.
-
-Ruloff Ramaker wußte nicht, was in den anderen gefahren war; Lüders
-Augen hafteten auf dem Boden und seine Lippen waren nicht zu sehen.
-Ramaker war nur ein Bauernknecht, aber er liebte seinen Genossen und es
-betrübte ihn, daß der im Schatten ging.
-
-Es war so wundervoll da in der wilden Wohld; das Sonnenlicht fiel durch
-die Zweige der Fuhren, das Farrenkraut reckte sich aus dem Boden, die
-gelben Kohmolken blühten im Graben und unter dem Buschwerk die weißen
-Windröschen; viele Vögel sangen und der Täuber rief.
-
-In der Nacht hatten die beiden Männer in der Ochsenhütte vor dem Bruche
-geschlafen; Volkmann hatte bis gegen Mitternacht vor der Türe gesessen
-und dem Brummen der Rohrdommel und dem Meckern der Himmelsziege
-zugehört. Er schlief noch, als der Vormorgen kam, und als Ramaker wach
-wurde, hörte er, wie der andere stöhnte und murmelte, und er sah, wie
-er sich hin und her warf.
-
-Nun lag er mit dunklem Gesicht da und lächelte kein bißchen, als zwei
-verliebte Eichkatzen auf dem Knüppeldamm hin und her sprangen, fauchten
-und schnalzten und auf alberne Art mit den Schwänzen wippten.
-
-Sein Blick bekam noch nicht einmal Leben, als aus dem Unterholze der
-Schwarzstorch heraustrat; wie Flammen leuchtete der Schnabel und wie
-Edelerz funkelte das Gefieder, als er in die Sonne kam.
-
-Volkmanns Stirn wurde noch krauser, als er den Waldstorch sah. Er
-erblickte ein Gleichnis in ihm. Ein adelig Tier war es, stolz und
-schön, alter deutscher Urwaldheimlichkeit letztes Vermächtnis, und in
-Acht und Aberacht erklärt von einer herzlosen, seelenarmen Zeit, die
-es ihm, dem Adewar, dem Otternwehrer, nicht vergab, daß er die Forelle
-und den Junghasen nicht verschmähte.
-
-Kerle, die sich Jäger nannten, aber zu der Schinderzunft gehören
-müßten, knallen das vornehme Geflügel nieder, wann und wo sie es
-antreffen, Leute, die statt des Herzens eine Geldbörse im Leibe haben.
-
-Ruloff machte eine hastige Bewegung, als der Waldstorch aus dem Gebüsch
-trat; drei Sprünge tat der Vogel, schwang sein Gefieder und verschwand.
-»Was war das?« fragte Ruloff seinen Genossen; »solch ein Tier habe ich
-meinen Tag noch nicht gesehen!«
-
-Dumpf klang Volkmanns Antwort: »Der schwarze Storch«, denn er dachte
-grade daran, daß er selber auch in Acht und Aberacht war, wie jener
-Vogel, und nur, weil er das Gesetz in seiner Brust über das papierne
-Recht gestellt hatte.
-
-»Das Leben ist eine traurige Posse für ernste Menschen«, dachte er;
-das Weib, das er schützte, indem er seinen ehrlichen Namen auf den
-Richtblock legte, war nicht wert gewesen, daß er ihretwegen ein
-Fingerglied opferte; aber damals hatte er sie geliebt, weil sie
-das matte Spiegelbild jener schönen Frau war, der sein junges Herz
-entgegengeblüht hatte.
-
-Und die war wieder nur ein Vorspuk der Tausendschönen gewesen, deren
-Stimme gestern sein Herz gerührt hatte. Wie sie wohl gerufen wurde?
-Ein Name mußte es sein, wie die hellichte Morgensonne, warm und voller
-Kraft.
-
-Mit Freuden würde er sein Leben unter ihre Füße legen, und seinen
-ehrlichen Namen, hätte er noch einen, und kein Dankeswort würde er
-dafür begehren. Seine Liebe schwang sich über den Wald und über das
-Moor und flog zu dem Hause, in dem ihre Stimme klang.
-
-Ernst klang sie und Pfarrer Behrmann machte ein ganz unglückliches
-Gesicht und rauchte, wie unklug vor Aufregung seine lange Pfeife.
-»Nein, lieber Ohm,« sprach seine Nichte, »nein, ich liebe ihn nicht.
-Ich war ein Kind, als ich mich mit ihm verlobte. Ein Leutnant, ein
-hübscher Leutnant, du lieber Himmel, ich war so selig, wie damals, als
-ich die Schreipuppe zum Weihnachtsfeste bekam, als ich zum ersten Male
-mit ihm über die Straße ging.
-
-Aber weißt du, liebes Öhmchen, ich mochte eigentlich nie, daß er mich
-küßte. Jaja, ich weiß, was du sagen willst, aber du gehst irre, wenn
-du glaubst, die Ehe würde die Liebe vertiefen. Das Gegenteil wird
-der Fall sein. Bedenke: ich bin nicht adelig, habe nur ein kleines
-Vermögen; ich kann dir sagen, die Sammetaugen der schönen Panna Zollin,
-geborene von Mielczewska, waren kalt wie Eis, als ich ihr die Hand
-küßte.
-
-Und Wladslaw? Er liebt das an mir, was am wenigsten Wert ist; mein
-Inneres versteht er nicht. Sein Gott ist die Gesellschaft, seine Moral
-das Herkommen. Er ist klug, aber ich glaube, er hat ein unterernährtes
-Herz. Es wird ihm wohl nicht abwelken, wenn er morgen meinen Brief
-liest, und seiner Laufbahn wird die Aufhebung des Verlöbnisses auch
-nicht schaden, eher nützt sie ihm bei Hofe.«
-
-Sie gab dem alten Herrn einen Kuß auf die faltenreiche Backe und ging
-in den Garten.
-
-In dem Wirrwarr des Bocksdornbusches in der Mauerecke saß der Goldammer
-und sang seine Weise, die man auf Lust und auf Leid deuten konnte.
-
-Holdes helle Augen beschatteten sich; sie dachte an den fremden Mann
-im schäbigen Rock, an das stolze Gesicht unter dem abgetragenen
-Lodenhut, an die Stimme, so rund und so voll, wie ferner Täuberruf, an
-die großen, schönen, braunen, langfingrigen Hände, die so sicher und so
-zart zufaßten.
-
-Ihr ganzes Leben lang würde sie an diesen Mann denken müssen, und
-niemals würde sie es sich verzeihen, daß er gegangen war, ohne daß sie
-ihm dankend die Hand gedrückt hatte.
-
-Sie fühlte, wie ihr Gesicht aufflammte; von diesem Manne würde sie sich
-gern auf den Mund küssen lassen, ohne zu fragen: wer bist du und was
-geschah dir, daß auf deinen Schuhen der Staub der Landstraße liegt?
-
-Sie hatte ihm mehr zu danken, als die Hilfe, die er ihr brachte; er
-hatte ihre Seele gerettet. Wäre er ihr nicht entgegengetreten, so hätte
-sie wohl nicht den Mut gefunden, den goldenen Reif von ihrer Linken zu
-streifen, der sie dem Manne eignete, vor dem ihre Seele sich verkrochen
-hatte, wenn sie seine Stimme hörte.
-
-Mit klingendem Schwingenschlage schwang sich ein Ringeltäuber in die
-Eiche und sang sein dunkles Lied: »Du, du, du, du, du,« hörte Holde
-Rotermund heraus, und dasselbe dachte ihr Herz.
-
-Es dachten noch mehr Leute an den Fremdling, vor allem Doktor
-Hellweger. Er kegelte mit dem Amtsrichter, dem Lehrer, dem Pastor aus
-Deipenwohle und dem Oberförster. Was er tat, der dicke Doktor, das tat
-er ganz; aber heute war er nicht bei der Sache. Noch nie hatte er so
-viele Pudel geschoben.
-
-Gedankenlos sah er der Kugel nach, sah alle Kegel außer dem ersten
-fallen, und anstatt, wie er sonst tat, wenn er gut warf, das Lied
-vom gerechten Heuschreck zu pfeifen, sah er in die Luft, als die
-Kegeljungen sangen: »Acht und acht ums Vordereck, ist so rar wie
-Ziegenspeck.« Er mußte immer daran denken, wo er den Landstreicher
-schon einmal gesehen hatte.
-
-In diesem Augenblicke ging der Gendarm vorüber. Der Amtsrichter, dem
-der Arzt seine Begegnung mit dem fremden Manne erzählt hatte, rief den
-Beamten heran: »Schenken Sie sich ein Glas Bier ein, Herr Wachtmeister.
-Sagen Sie, wie hießen denn die beiden Leute, die Fräulein Rotermund zum
-Kruge trugen; oder haben Sie sich die Namen nicht angemerkt?«
-
-Köllner zog sein Taschenbuch hervor: »Doch, Herr Amtsrichter,
-hinterher fiel es mir ein, daß ich das über der Aufregung ganz
-vergessen hatte, und ich ritt ihnen nach. Der eine, der ohne Schmisse,
-ist ein ehemaliger Knecht namens Ruloff Ramaker; der andere heißt
-Lüder Volkmann und sagte, er wäre früher Schriftsteller gewesen und
-sei kürzlich von Amerika zurückgekommen. Ich mochte ihn nicht dem
-Amtsgerichte zuführen; er sah nicht so aus, als ob er irgendwie
-verdächtig wäre, und der andere auch nicht; der hatte übrigens Papiere.«
-
-»Volkmann, Volkmann?« murmelte der Amtsrichter; »das ist ja ein
-hiesiger Name; und Lüder? wenn die Angabe stimmt, dann ist der Mann ja
-der Erbe von dem Hilgenhofe. Vielleicht weiß er das noch gar nicht.
-Wissen Sie was, Herr Wachtmeister? Stecken Sie sich das Amtsblatt mit
-dem Aufrufe ein, in dem Lüder Volkmann aufgefordert wird, sich zu
-melden. Vielleicht treffen Sie ihn noch einmal bei Ihren Dienstritten
-und können dem Mann zu seinem Eigentum verhelfen. Wie der Herr
-Doktor sagt, hat er ja einen sehr guten Eindruck gemacht trotz der
-abgerissenen Kleidung und auf Sie auch. Lüder Volkmann! Es ist mir,
-als ob ich den Namen sonst schon gehört hätte.«
-
-Wie gewöhnlich, setzten sich die Kegelfreunde noch eine Weile in das
-Vereinszimmer. »Wie sah der Fremde aus?« fragte Pastor Meyer den Arzt,
-und als der die Beschreibung gegeben hatte, sagte der Pastor: »Dann
-stimmt das. Meine Frau kam gestern nach Hause und erzählte: denke dir
-nur, Karl, bei der neuen Mühle begegnen mir zwei arme Reisende; der
-eine hatte Schmisse und sah aus, wie Armin der Cherusker in Zivil. Das
-ist augenscheinlich dieser Mann gewesen. Wie mag der auf die Walze
-gekommen sein?«
-
-Sonst ging es nach dem Kegeln immer lustig her; der Arzt hatte einen
-trockenen Humor und der Amtsrichter lachte gern; dieses Mal kam aber
-so recht keine Stimmung auf. Sie dachten alle an Lüder Volkmann, den
-Landstreicher.
-
-Am meisten beschäftigte sich Doktor Hellweger mit ihm. »Wo habe ich das
-Gesicht doch schon gesehen?« dachte er in einem fort, als er in seinem
-Wagen durch die Abendhaide fuhr, in der die Himmelsziegen meckerten und
-die Mooreulen riefen.
-
-Plötzlich wußte er es. Richtig! Göttingen, das Paukzimmer, die
-gemeine Korpshatz zwischen den Kölnern und den Longobarden. In einem
-fort hatten die Kölner angefragt: »Herr Unparteiischer, drüben mit
-Kopf zurückgegangen?« Da hatte schließlich auch der Sekundant der
-Longobarden angefragt, und immer hieß es: »Nichts bemerkt!« Endlich
-hatte er gesagt: »Bitte darauf zu achten.« Und wieder hieß es auf seine
-Anfrage: »Nichts bemerkt!« Da hatte er sich umgedreht, gewinkt, und
-hinter ihn trat der Ersatzsekundant, und da fragte er lächelnd: »Herr
-Unparteiischer, zu was sind Se eigentlich bloß da?«
-
-Das gab einen gewaltigen Krach; hier Wutgezisch, da Hohngelächter, und
-der Sekundant mußte abtreten. Ein ganzes Semester lang war er eine
-Berühmtheit, der lange schöne Fechtwart der Longobarden, der cand. rer.
-nat. Lüder Volkmann.
-
-
-
-
-Das Käuzchen.
-
-
-Der Wachtmeister ritt am nächsten Tage nach Quelingen. Als er so
-dahinritt, hörte er die Kiebitze rufen; er stellte sich in die Bügel,
-denn er dachte, daß da ein Fuchs wäre, und sah die beiden Landstreicher
-über die Wiesen kommen. Er wartete, bis sie an der Straße waren,
-schwang sich aus dem Sattel und rief: »Guten Tag, Herr Volkmann!«
-
-Lüder Volkmann grüßte wieder. »Ich habe immer noch keine Papiere.« Der
-Wachtmeister lachte und griff in die Tasche: »Aber ich habe eins für
-Sie; das hier soll ich Ihnen im Auftrage des Herrn Amtsrichters zeigen.«
-
-Volkmann las, aber seine Züge veränderten sich kaum, als er Ramaker die
-Anzeige wies. »Merkwürdig!« sagte er, »wir wollten grade dahin; ich bin
-als Kind dort oft bei meinem Oheim gewesen.«
-
-Ramaker schüttelte Volkmann die Hand: »Wie mich das freut, wie mich das
-freut!« Aber dann setzte er hinzu: »Jetzt hat unsere Freundschaft wohl
-ein Ende?«
-
-Der andere schüttelte den Kopf: »Da kennst du mich schlecht, Ruloff.
-Aber nun müssen wir wohl auf Reethagen zu. Wie weit ist das?«
-
-Der Wachtmeister überlegte: »So Stücker drei bis vier Stunden.«
-Volkmann reichte ihm das Blatt zurück und zog den Hut: »Sie sollen auch
-bedankt sein, Herr Wachtmeister, und Ihr Herr Amtsrichter auch.«
-
-Er wollte sich zum Gehen wenden, aber Köllner gab ihm die Hand: »Ich
-wünsche Ihnen viel Glück, Herr Volkmann,« und als er sah, daß der
-andere errötete, warf er noch hinterher, indem er in den Steigbügel
-trat: »In Reethagen kehren Sie im Weißen Roß ein; grüßen Sie den Wirt
-Nordhoff von mir.« Er legte die Hand an den Helm und ritt weiter.
-
-»Mensch, Mensch,« schrie Ramaker und schlug sich auf den Schenkel, »das
-Glück, das Glück!«
-
-Der andere sah ihn ernst an: »Ob es eins ist? Wer weiß? Theodor
-Volkmann, der mir den Hof verschrieb, oder Ohm Töde, wie ich ihn
-nannte, war Naturforscher; es hieß von ihm, er sei überspönig, weil er
-ein gelehrter Mann war, sich aber wie ein Bauer trug. Er hatte damals
-schön geschimpft, als ich studieren wollte. ›Bauer mußt du werden, dann
-hat dir kein Mensch was zu sagen‹, knurrte er.«
-
-Es war um die Ulenflucht, als die beiden Männer in Reethagen ankamen
-und sich nach dem Weißen Rosse hinfragten. Das war eine Wirtschaft nach
-alter Art mit einem Strohdache, aus dessen Giebelloch der Herdrauch
-herauskam.
-
-Als sie über die Deele gingen, sah der Wirt sie erst von der Seite an.
-Er war ein mittelgroßer Mann mit ernstem Gesicht und ruhigen Augen;
-wenn er sprach, sah es aus, als täte es ihm leid, daß er den Mund
-aufmachen müsse; darum sprach er durch die Zähne.
-
-Er setzte Volkmann und Ramaker Brot, Wurst, Butter und Bier hin und
-sagte: »Laßt es Euch schmecken!«
-
-Als sie gegessen hatten, fragte Volkmann, ob sie über Nacht bleiben
-könnten. Der Wirt nickte: »Ja, wenn ihr beide in einem Bette liegen
-gehen wollt? Die andere Kammer hat der Jagdpächter.« Volkmann nickte
-und brannte sich seine Pfeife an. Dann fragte er: »Ist der Vorsteher
-wohl heute noch zu sprechen?« »Ja,« sagte Nordhoff, »der kömmt gleich;
-er hat mit dem Jäger allerlei zu besprechen.«
-
-Draußen gingen Schritte, die Tür klinkte auf und der Jäger trat herein.
-Er bot die Tageszeit und sagte: »Nordhoff, gebt mir schnell eine
-Flasche Bier; ich bin ganz dröge im Halse. Es ist doch ein Ende hin vom
-Donnermoore bis hierher. Und heute will ich durchschlafen; habe jetzt
-drei Nächte wegen der Birkhähne um die Ohren geschlagen. Sieh, da ist
-ja auch der Vorsteher! Guten Abend, Garberding! Freimut läßt grüßen; er
-schimpfte Mord und Brand, daß er nicht mitkonnte, aber er hat viel zu
-tun und morgen eine Verteidigung in einer schweren Sache. Na, die Sache
-mit Engelkens Apfelbäumen können wir beide ja auch abmachen.«
-
-Während er aß, besprach er mit dem Vorsteher, wieviel der Anbauer
-Engelke wohl für den Schaden haben müsse, den die Hasen ihm im
-Nachwinter gemacht hatten, und dann ging er in seine Schlafkammer.
-
-Da trat Volkmann an den Vorsteher heran: »Ich würde Sie gern in einer
-Sache sprechen, wenn Sie Zeit haben.« Vollmeier Garberding sah ihn an
-und nickte.
-
-»Dann geh du man in die Kammer, Ruloff«, sagte Volkmann, »und wenn Sie
-es nicht übelnehmen, Herr Wirt, am liebsten wäre es mir, wenn ich dem
-Herrn Vorsteher meine Angelegenheit unter vier Augen vortragen könnte.«
-
-Als er allein mit Garberding war, nannte er seinen Namen. Der Vorsteher
-sah ihn groß an: »Dann gehört Ihnen ja der Hilgenhof.« Der andere
-nickte und erzählte, wie es ihm gegangen war, denn der Vorsteher, das
-sah er dem langen hageren Mann am Gesichte an, war ein Mensch, der
-das nicht weiter herumbrachte. So schlug er denn die Hauptstellen aus
-seinem Lebensbuch vor ihm auf.
-
-Der Vorsteher verzog keine Miene, aber als Volkmann das Buch zuschlug,
-gab er ihm die Hand und sagte: »Daß Sie kein schlechter Mann sind, weiß
-ich von Ihrem Oheim, der mir Ihre Sache seinerzeit verklarte, als in
-den Zeitungen darüber geschrieben wurde. Nun Ihnen der Hof auf dem
-Hilgenberge zu eigen ist, gehören Sie zu uns, denn der Hof gehört noch
-zu Reethagen. Das meiste Land hatte der alte Volkmann verpachtet; es
-ist in guten Händen; für sich hatte er bloß so viel zurückbehalten, als
-er Bedarf dafür hatte. Nach alle dem, was Sie mir erzählten, glaube
-ich, daß Sie mit der Zeit selber den Bauern spielen können. Ich glaube
-auch, daß Sie dadurch am besten von Ihren Gedanken abkommen.«
-
-Er sah Volkmann an und fuhr fort: »Die anderen brauchen von Ihrem
-Vorleben nichts zu wissen; kommt es später rund und haben Sie Verdruß
-davon, dann wenden Sie sich nur an mich. Klatschen und Neidböcke
-wachsen auf jedem Boden, aber die mehrsten Leute hier sind anständiger
-Art. Wenn Sie sich in die hiesige Art schicken und sich zu den
-Leuten zu stellen wissen, fragt kein einer danach, was Ihnen draußen
-zugestoßen ist.
-
-So, eins noch: Das meiste Bargeld hat der alte Volkmann für Stiftungen
-hingegeben; der Rest, der Ihnen zugeschrieben ist, liegt auf dem Amte.
-Sie werden doch noch jemanden haben, der Sie als Erbberechtigten
-ausweisen kann? Da Sie ja keine Papiere haben, ist das das nächste,
-was Sie tun müssen. Morgen früh bei Klocke achte will ich mit Ihnen
-nach dem Hilgenhofe gehen. Und nun: Gute Nacht; lassen Sie sich was
-Schönes träumen.«
-
-Er stand auf und gab Volkmann die Hand. In der Türe drehte er sich
-noch um: »Unter uns: Das halbe Haus ist vermietet, aber da ist doch
-noch Platz genug für Sie. Die eine Hälfte hat der Pächter und die, wo
-Ihr Ohm lebte, hat seine Haushältersche, eine Frau Grimpe, ein ganz
-tüchtiges Frauenzimmer, die auf Hochzeiten und so als Köksche ihren
-Mann steht.«
-
-Er biß an seiner Zigarre herum: »Ob es das Richtige ist, daß Sie mit
-ihr zusammenleben, das ist eine andere Sache. Die Frau ist nicht von
-hier; sie soll alles mögliche gewesen sein, wird erzählt. Hier hält
-sie sich ganz anständig, aber immerhin, für ganz voll wird sie nicht
-genommen. Dem alten Volkmann hat sie zwei Jahre die Wirtschaft geführt,
-aber das war ein alter Mann. Na, es ist ja Ihre Sache, wie Sie sich zu
-ihr stellen. Also: bis morgen.«
-
-Als Ramaker und Volkmann in dem breiten Bette in der Fremdendönze
-lagen, sagte Ramaker: »So ein Bett, das ist doch etwas Gutes!« und
-Volkmann erwiderte: »Na, du kannst ja nun immer in einem richtigen
-Bette schlafen.«
-
-Er hatte es sich vorgenommen, den Mann zu behalten. Er war ein
-Bauernknecht aus der Grafschaft Bentheim; Lüder hatte ihn wintertags
-im Emsemoore angetroffen, als der Mann, der halb verhungert und ganz
-ausgefroren war, sich grade aufhängen wollte, hatte ihm zu essen
-gegeben und ihm die dummen Gedanken aus dem Kopfe geredet, denn Ramaker
-war das Leben leid geworden, weil er nirgends in Arbeit behalten wurde.
-
-Er hatte nämlich in der Trunkenheit einen Totschlag begangen, mehr aus
-Zufall, denn aus Absicht, aber durch die Zeugenaussagen wurde der Fall
-so gedreht, daß er mehrere Jahre bekam. Das hing ihm überall nach.
-
-Nun aber hatte die Not ein Ende: »Bauer,« sagte er zu Volkmann, »du
-sollst sehen, wie ich arbeiten kann; ich sage dir, wenn ich erst den
-Pflugsterz in der Hand habe, kennst du mich nicht wieder. Nein, so ein
-Glück, so ein Glück!« hatte er noch im Halbschlafe gemurmelt.
-
-Lüder Volkmann lag noch lange wach. Er hatte erst keine große Lust, den
-Hof zu behalten; er dachte, er wollte ihn verkaufen und mit Ramaker
-zusammen in Südafrika anfangen, denn er wußte, selbst hier hinten in
-der Haide würde er doch ab und an gegen seine Vergangenheit anlaufen.
-
-Anderseits: der Haidhunger, der ihn aus Kanada forttrieb, der würde
-sich auch in Afrika neben ihn stellen; er stammte aus der Haide,
-wenn auch sein Vater und sein Ahne Stadtleute gewesen waren. Was man
-ein Leben nennen konnte, gab es für ihn nur in der Haide; nur, wenn
-er früher in seiner Haidjagd waidwerkte und Pürschstiege schlug und
-Kanzeln baute, hatte er sich wohl gefühlt; in der Stadt war er sich
-eigentlich immer albern vorgekommen zwischen dem lauten, unruhigen
-Volk, das sich wie die Spatzen benahm: immer in hellen Haufen und
-ständig den Schnabel offen.
-
-Draußen rief das Käuzchen; Lüder schien es im Anschlafe, als riefe es:
-»Bliw hier, bliw hier!«
-
-
-
-
-Die Rabenkrähe.
-
-
-Das erste, was er hörte, als er aufwachte, war wieder das Käuzchen, und
-es rief immer noch: »Bliw hier, bliw hier!«
-
-Er ging in den Hof und wusch sich am Sood; als der Morgenwind ihm
-das Gesicht abtrocknete, machte ihm die Eule vom Speicherdache einen
-Diener, rief noch einmal: »Bliw hier!« und verschwand im Uhlenloche.
-
-Ein gelbbunter Schäferhund kam aus dem Hause, sah den Fremden erst
-mißtrauisch an und umging ihn, aber so wie er unter Wind kam, wedelte
-er, kam heran und ließ sich abliebeln.
-
-Nordhoff, der grade aus der großen Türe trat, machte runde Augen, als
-er das sah, denn Strom ging sonst ganz selten zu fremden Leuten, und
-es war dem Wirte immer ein Zeichen, wie er einen Menschen einschätzen
-sollte, je nachdem der Hund sich dazu stellte.
-
-Darum machte er die Lippen auf und sagte: »Na, gut geschlafen?«
-Volkmann nickte und der Krüger fuhr fort: »Denn haben Sie wohl auch
-Hunger; wollen Sie Kaffee oder Grütze? Wir sind hier nämlich noch
-von der altväterischen Art.« Sein Gast lachte: »Ich auch; ich habe
-früher gar nichts anderes zur Morgenzeit gegessen,« antwortete er im
-Haidjerplatt. »Na, dann essen Sie mit uns,« kam es zurück.
-
-»Er spricht platt, also gehört er zu unserer Art«, dachte Nordhoff, und
-als nachher Lieschen, seine jüngste Tochter, ein scheues Kind, ohne
-sich zu zieren dem Fremden das Händchen gab und sich auf den Schoß
-nehmen ließ, sah er seinen Gast mit ganz anderen Augen an, als am Abend
-vorher.
-
-Schlag acht war Volkmann auf Tormanns Hof. Er hatte sich den Bart
-abgenommen, sich gründlich abgebürstet, seine Schuhe geputzt und sah
-wieder ganz anständig aus. Als er auf die Deele trat, kam ihm eine
-riesenhafte Frau von gewaltigem Leibesumfang entgegen, die aber ein
-Gesicht hatte, wie die liebe Güte selber.
-
-»Herzlich willkommen,« rief sie mit einer so dünnen Stimme, daß
-Volkmann erst dachte, jemand anders hätte das gerufen: »Garberding
-kommt gleich; setzen Sie sich so lange.«
-
-Gleich darauf kam der Vorsteher, begrüßte seinen Gast und ging mit ihm
-in die Dönze; »Schade, daß Sie nicht etwas besser im Zeuge sind; der
-Hut ist ziemlich alle.« Er langte in den Schrank. »Der paßt wohl; er
-ist noch ganz neu. Und hier ist ein reines Halstuch; das sieht gleich
-ordentlicher aus, und da ist ein Handstock. Übrigens: meiner Frau habe
-ich so ungefähr Bescheid gesagt; aus der kommt nichts wieder heraus.
-Ein bißchen frühstücken wollen wir aber erst einmal. Hier ist Feder und
-Tinte; da können Sie an den schreiben, der vor Gericht aussagen kann,
-daß Sie der richtige Erbe sind.«
-
-Volkmann setzte sich an den Schreibtisch und überlegte. Der
-Rechtsanwalt Freimut fiel ihm ein. Als er am Abend vorher den Namen
-hörte, hatte er sich bei dem Vorsteher danach erkundigt. Er hatte mit
-dem Baumeister Schönewolf die Reethagener Jagd.
-
-Volkmann kannte ihn aus einem Verein; näher war er ihm aber nicht
-gekommen. Das geschah erst an dem Tage, als das Urteil gesprochen
-wurde. Volkmann sah es noch, als wenn es erst drei Tage her gewesen
-wäre, wie der lange Mann quer durch den Schwurgerichtssaal storchte,
-daß sein blonder Bart nur so flog, und ihm mit Tränen in den Augen die
-Hand schüttelte.
-
-Er wußte, wenn einer, so würde der ihm in jeder Weise beistehen, und so
-schrieb er ihm in diesem Sinne.
-
-»Du lieber Himmel,« sagte Frau Garberding draußen zu ihrem Manne; »es
-geht doch nirgendswo toller her, als auf der Welt! Was für Takelzeug
-läuft auf freiem Fuße herum, und diesem Manne da mußte es so gehen.«
-
-Sie stellte das Frühstück hin, und obzwar es erst zwei Stunden her war,
-daß Volkmann gegessen hatte, so konnte die Bäuerin so gutherzig bitten,
-zuzulangen, daß ihr Gast herzhaft einhieb.
-
-Der Bauer stellte ihm Zigarren und Streichhölzer hin, zog sich die
-bessere Jacke an, langte seinen Stock her und sagte: »So, von mir aus
-kann es losgehen!«
-
-Es war ein schöner Vormittag; die Luft war rein und der Himmel blau und
-weiß, die Vögel sangen und die Hähne krähten vor Wähligkeit. Der Weg
-führte zwischen den Wiesen und der Haide hin, so daß Feldlerchen und
-Dullerchen durcheinander sangen.
-
-Eine Viertelstunde waren sie gegangen, da machte der Vorsteher halt,
-zeigte auf den Graben vor ihnen und sagte: »Hier hört mein Besitz auf
-und da fängt Ihrer an, und das ist der Hilgenhof.« Dabei wies er auf
-einen Busch, der auf dem Berge lag, und aus dessen Bäumen ein weißes
-Fachwerkhaus mit schwarzen Balken hervorsah, und auf das der Weg zulief.
-
-»Es sind alles zusammen vierhundert Morgen ohne den Anteil am Moore;
-früher waren es noch mehr, aber es ist allerlei davon in andere Hände
-gekommen, als Ihr Urgroßvater gestorben war. Es ist aber noch mehr als
-genug und der drittgrößte Hof in der Gemeinde.«
-
-Volkmann wurde die Brust eng; daß er einen so großen Besitz antreten
-sollte, daran hatte er nicht gedacht, denn er hatte ganz vergessen zu
-fragen, wie viel Morgen der Hof habe.
-
-War es auch ein Glück zu nennen, daß er ihn erbte, er konnte dessen so
-recht nicht froh werden; immer und immer wieder klang ihm die Stimme
-des schönen Mädchens durch den Sinn, und wo er ging und stand, sah er
-ihr gutes Gesicht und ihr goldenes Haar.
-
-Nicht einmal hatte er daran gedacht, daß er ihr etwas sein könnte,
-zumal sie ja mit einem anderen versprochen war, denn sie trug einen
-Ring an der Hand; sein Wunsch ging nicht weiter, als daß er mit Ehren
-vor ihr stehen könnte.
-
-Immer, wenn sie ihm in den Sinn kam, in ihrem hellen Leinenkleide,
-frisch und rein und rosig, dann sah er sich mit kahl geschorenem Kopf
-und bartlosem, blassem Gesichte, angetan mit dem grauen Linnen des
-Zuchthäuslers und ihm war, er müsse sich schämen, daß er an sie dachte,
-er, der Mann mit dem hingerichteten Namen.
-
-Und nun waren sie vor dem Hilgenhofe. Da lag sein Haus und lachte ihm
-in der hellen Sonne durch die rauhen Stämme der Hofeichen zu. Ein Hahn
-krähte zum Willkommen, die Finken schlugen, die Hülsenbüsche hinter
-der klobigen Findlingsmauer, aus der die Farne heraushingen, blitzten
-in der Sonne, gleich als wollten sie den angrünenden Machangeln, die
-sich zwischen sie quälten, und den blühenden Schlehbüschen, die sich
-über die Mauer rekelten, den Platz streitig machen und den Efeu von den
-moosigen Steinen fortdrängen und es nicht zugeben, daß die Wildrosen
-und die Brummelbeeren ihr Recht behielten und die Hundsveilchen,
-die Grasnelken, die Windröschen und die Goldnesseln, die da überall
-blühten. Eine Elster schnatterte in der Pappel, Dohlen lärmten hin und
-her und über dem Hausbusche riefen ein paar Turmfalken. Lüder Volkmann
-tat einen tiefen Atemzug.
-
-»Ja,« sagte sein Begleiter, »der Hof liegt man einmal schön. Nun
-wollen wir Frau Grimpe Bescheid sagen. Na, die wird Augen machen! Und
-passen Sie auf, die redet einem ein Loch in den Strumpf und wenn man
-Kniestiefel anhat. Da ist sie ja schon!«
-
-Eine untersetzte Frau von rundlicher Gestalt mit dicken weißen Armen
-kam aus der Türe; sie mochte so in den dreißiger Jahren sein, sah
-freundlich und sauber aus, hatte aber einen unsteten Blick.
-
-Sie schoß auf Garberding zu: »Guten Morgen, Herr Vorsteher; wo komme
-ich zu die Ehre? Wollen Sie nicht ein büschen näher treten? Sie haben
-doch noch nicht gefrühstückt? Doch! Schade! He, Pollo! Der Hund kann
-sich immer noch nicht an die Katze gewöhnen, so viele Schläge er darum
-auch schon gekriegt hat. Ein Glück, daß Sie erst jetzt kommen; bis
-Uhre sechse haben wir gewuracht; die eine Sau hat Junge gekriegt, acht
-Stück. Wollen Sie sie mal sehen? Das eine hat, mit Respekt zu sagen,
-keine Leibesöffnung. Was macht man bloßig damit? Die Ferkel haben ja
-jetzt gute Preise; vielleicht kann der Tierarzt da was an machen. Oder
-was meinen Sie, ob 'ne Opratschon Sweck hat? Das arme Tierchen! Es
-säuft aber trotz alledem. Ja, wer kann vor Malheur!«
-
-»Das ist der Besitzer vom Hilgenhofe, Herr Volkmann«, mit diesen Worten
-hackte der Vorsteher ihr das Wort vor dem Munde ab.
-
-»Aurelie Grimpe,« stellte sich die Frau mit einem Knixe vor,
-der Volkmann an den erinnerte, den seine Wirtin, die dicke
-Hofbäckermeisterfrau, zu machen pflegte, wenn die Herzoginmutter ihr
-vom Wagen aus zunickte. Einen Augenblick war Frau Grimpe verdutzt, dann
-aber zog sie die Schleuse wieder auf.
-
-»Meinen ergebensten Glückwunsch, geehrter Herr! Das ist man gut, daß
-hier wieder ein Mann hinkommt. So weit es ging, habe ich ja alles in
-Stande gehalten, aber eine schwache Frau kann nicht das, was ein Mann
-kann, und so'n Pächter, na, man weiß ja!«
-
-Der Vorsteher machte lustige Augen und sah ihre Schultern und ihre
-Arme an, sie aber polterte weiter durch dick und dünn: »Ihrem seligen
-Herrn Onkel habe ich zwei Jahre die Wirtschaft geführt; eine Seele von
-Mann war das. Natürlich hatte er seine Grappen; sehen Sie mal da!« sie
-zeigte nach der Miststatt, »da wachsen an die zweihundert Königskerzen,
-daß man fast nicht mehr heran kann. Glauben Sie, daß die wegdurften?
-Ordentlich verniensch ist er geworden, als ich darauf zuschlug und er
-sagte: ›Das ist das Schönste am ganzen Hofe.‹ Na ja, es sieht ja ganz
-ramantisch aus, wenn sie ihre Blüten entfalten, aber die Propertät
-leidet darunter.
-
-Das Schlimmste war, er machte sich aus dem Essen gar nichts. Wenn ich
-ihn fragte: ›Herr Volkmann‹, fragte ich, ›was soll ich kochen?‹ Dann
-sagte er: ›Das ist meine Sache nicht.‹ So war er. Ach, du meine Güte,
-sind doch wahrhaftig wieder die Hühner im Garten! Hscht! Wollt ihr
-wohl! Ja, und wenn ein Swein geslachtet werden sollte, dann machte er,
-daß er wege kam, so'n Herz hatte der Mann! Und keinmal habe ich ein
-Huhn vor ihm braten dürfen und eine Taube schon gar nicht.
-
-In anderer Weise konnte er dagegen wie ein Stein sein; keinem armen
-Reisenden gab er auch man zwei Pfennige. ›Bleibt auf dem Lande und
-arbeitet bei den Bauern!‹ sagte er einen jeden, wo hier fechten kam.
-Und wenn auf die Franzosen die Rede kam, denn, wenn der Herr Paster und
-der Herr Dokter kam, dann wurde sehr politisch geredet, dann sagte er:
-›Kaput getrammpt muß die Bande werden!‹ Ja, so war er.
-
-Aber nun sehen Sie sich bitte das Haus an; es ist meist allens wie es
-war. Die Sammlungen sind an das Museum in Bremen gekommen, Käfer und
-Bienen und Steine und andere Wissenschaftlichkeiten, denn darin war
-er groß. Denken Sie bloßig, der pflanzte allerhand wilde Blumens an,
-bloßig damit die wilden Bienen danach kamen. Den ganzen Tag konnte er
-bei seinen Büchern und Kästen sitzen, und wenn ich ihm sagte, daß das
-Essen da ist, dann wurde er falsch. Hscht! Ist mir das Viehzeug von
-Spatzen bei die jungen Erbsen. Ja, man hat seine liebe Not!«
-
-So ging es in einem Strange fort. Volkmann hörte nur mit einem halben
-Ohre hin; er sah sich das alte Haus an, den Garten mit den gut
-gepflegten Obstbäumen und Beerensträuchern, die große Alpenanlage,
-die zwischen dem Hause und dem Grasgarten lag, in der zwischen und
-auf den Tuffsteinen viele hundert Blumen und Kräuter wuchsen und sich
-in den kleinen und großen Wasserkübeln spiegelten, die in den Boden
-eingelassen waren und in denen allerlei Wasserpflanzen gediehen, die
-Hainbuchenlaube mit dem Steintische und der grünen Bank, von der
-man einen Blick über die Haide bis zu dem blauen Walde hatte, die
-sechs Fischteiche, die hinter dem Grasgarten lagen, die Stallungen
-und den Rest von dem Vieh, das noch geblieben war; er hörte auf die
-verständigen Worte, die Garberding an ihn richtete, und dachte, daß es
-vielleicht doch ein Glück wäre, daß der Hof nun sein Eigentum sei.
-
-Vor ihm, neben ihm und hinter ihm, je nachdem, was sie zu zeigen
-hatte, witschte Aurelie Grimpe hin und redete Korn und Kaff
-durcheinander.
-
-Er aber hörte nicht mehr darauf, als auf das, was die schwarze Krähe
-quarrte, die über den Hof wegflog.
-
-
-
-
-Die Schwalbe.
-
-
-Es kamen nun zwei graue Regentage, legten sich auf das Land und
-drückten des Hilgenhoferben Stimmung zu Boden.
-
-Mit ernstem Gesichte half er Nordhoff bei der Arbeit auf dem Hofe, denn
-der Krüger hatte die Wirtschaft und den Kramladen nur so nebenbei, und
-Ramaker arbeitete auf dem Felde mit, weil der Knecht eine schlimme Hand
-hatte. Den beiden Männern kam das sehr zu Passe, denn Volkmanns letzter
-Taler war verzehrt und so konnten sie Kost und Nachtlager mit ihrer
-Hände Arbeit bezahlen.
-
-Als am Sonnabend Nachmittag Feierabend gemacht wurde, kam die Sonne
-durch. Lüder setzte sich in den Garten und machte dem kleinen Lieschen
-eine Puppe, und Strom, der immer bei ihm war, sah zu. Im blühenden
-Kirschbaume sang die Schwarzdrossel. Die Grauartschen schwatzten auf
-der Hecke und von dem Windbrette zwitscherten die Schwalben.
-
-»So,« sagte Volkmann, »nun ist sie fertig, die Puppe. Und jetzt geh
-nach Deiner Mutter; es ist Abendbrotzeit für Dich.« Das Kind nahm ihn
-in den Arm und gab ihm einen Kuß auf die Backe, bei dem es dem Manne
-warm um das Herz wurde; dann lief es mit glänzenden Augen in das Haus
-und Strom schwänzelte hinterher.
-
-Volkmann steckte sich eine Zigarre an und sah nach den gelben
-Osterblumen hin, die in dicken Horsten aus dem Rasen kamen und um die
-ein Ackermännchen herumsprang und nach Fliegen schnappte. Über ihm
-zwitscherte die Schwalbe in einem fort.
-
-Seine Stirn hellte sich auf: ja, er wollte es wagen, wollte den Hof
-auf dem Hilgenberge antreten, wollte da hinten in der Haide ein Bauer
-werden, von dessen Giebel die Schwalbe lustig zwitscherte, und nicht
-wieder staubige Straßen fahren, an denen der Ortolan sein müdes Lied
-sang.
-
-Die Welt der Stadtleute lag abseits von seinem Wege; das Schicksal
-hatte ihn nach harter Buße dahin gestellt, wo er hingehörte, in die
-Haide; es hatte ihm den Pflugsterz in die Hand gegeben und er wollte
-ihn festhalten. Und das Geschick hatte ihm einen Gehilfen gegeben
-in dem heimatlosen Knecht, so daß er nicht ganz alleine mit sich und
-seiner Erinnerung war.
-
-Ein Wagen hielt vor der Wirtschaft und eine tiefe Männerstimme, die
-Lüder bekannt vorkam, rief die Tageszeit. Dann kamen Schritte über den
-Gang, ein Schatten fiel über das Gras, und als Volkmann aufsah, stand
-der lange Freimut vor ihm. Bis auf einige graue Haare war er noch
-derselbe Mann wie vordem; seine Augen hatten noch denselben Kinderblick
-und der blonde Bart bedeckte die ganze Oberbrust. Er war in Jagdkittel
-und Manchesterhosen und trug Schmierstiefel.
-
-Er stand vor Volkmann, lächelte und schüttelte den Kopf: »Da schlag
-doch Gott den Deubel dot! Sagt bloß, wo kommt Ihr eigentlich her? Wir
-lauern und lauern, aber kein Volkmann läßt sich sehen. Einen Preis
-haben wir auf Euer edles Haupt gesetzt, bestehend in zwölf Pullen
-Forster Kirchenstück Auslese; aber selbst das half nicht. Schließlich
-hieß es, Wodan habe eine seiner Schwertjungfern losgeschickt und Euch
-zu einem längeren Abendschoppen gebeten.
-
-Doch Spaß beiseite. Jetzt wollen wir einmal ernsthaft reden: was trinkt
-Ihr lieber, weiß oder rot? denn ich habe meinen eigenen Wein hier.
-Die Sache ist nämlich die: Baumeister Schönewolf, auch einer von uns
-Niefelheimern, und ich, wir haben die Jagd hier, fünfzehntausend Morgen
-zusammenhängend, uneingerechnet das große Moor, denn da weiß kein
-Deubel die Grenze, und der Hilgenhof gehört mit dazu.
-
-Eine Frage noch: wer kennt Eure Verhältnisse hier? Der Vorsteher!
-Bonus, wie der Küchenlateiner sagt; dann sind wir unser vier: ~tres
-faciunt collegium~, alleine vier ist auch nicht dumm.«
-
-Er rief in das Haus hinein: »Deern, lauf mal nach dem Vorsteher, er
-möchte sofort kommen; eine wichtige Angelegenheit harret seiner.
-Kriegst auch nachher 'n Söten!«
-
-Das Mädchen quiekte und lief los. »Und nun an die Gewehre! Ich habe
-einen Schmacht, daß ich Mazzes fressen könnte.«
-
-In der besseren Stube saß der Baumeister und streckte Volkmann die Hand
-hin. Freimut sagte: »Unser Freund weiß Bescheid; er hat Euretwegen
-einen Lümmel einmal backgepfiffen und ihm nachher eine tadellose Terz
-in die Rippen gesetzt. So, nun wollen wir der selbstgeschlachteten
-Wurst die gebührende Ehre antun. Da ist ja auch der Vorsteher! Guten
-Abend, Vatter Garberding, ~comment vous portemonnez-vous~? Und nun, ihr
-deutschen Männer,« er füllte vier Gläschen mit altem Korn, »erhebet
-euch und die Stimmen zum uralten germanischen Weihegesang: Wenn alle
-eenen hebbt, will eck ook eenen hebben! denn so ist es der Brauch bei
-den Mannen, so im Rheinischen Hof in Niefelheim, der Stätte der Gräuel,
-nächtlicherweile tagen.
-
-Und ich soll euch grüßen von der ganzen Schwefelbande, vor allem vom
-kleinen Doktor, der mitgekommen wäre, wenn er nicht zufällig grade
-heute freite, und von Knüppel, dem Kunstmaler aus Deutschland, der ein
-Weib genommen hat und sich nur noch Sonnabends betrinken darf, aber nur
-ein ganz bißchen. Und hallo, das Wichtigste; als ich grade in die Bahn
-stieg, sah ich Herrn Mehls; er hat sein ganzes Geld in Kuxen verjuxt
-und ich führe fünf Prozesse gegen ihn, und an dem Tage, wo er so weit
-ist, daß er sich sein Mittag aus dem Mülleimer sucht, da will ich dem
-heiligen Hubertus eine Kerze stiften für hundert Reichsmark.«
-
-Lüder schwoll die Brust, als er den Namen Mehls hörte. Das war der
-Mann, der ihn zu Tode gehetzt hatte, einst sein Freund, und dann sein
-Todfeind, den seine politischen Gegner auf seine Wundfährte gelegt
-hatten, um ihn zur Strecke zu bringen.
-
-»Ja,« sprach der Rechtsanwalt und warf seinem Hunde eine Hand voll
-Wursthäute hin, »auf dem Bauche soll er kriechen und Staub fressen,
-der Schweinehund. Ich habe jetzt ein paar Wechsel von ihm in der Hand,
-damit bringe ich ihn an den Galgen. Seine zweite Frau, wenn es nicht
-schon die dritte ist, ist ihm ausgerückt, sein Haus ist ihm verkauft,
-keinen Kredit hat er ooch nicht mehr. Kinder, das Leben ist doch schön!
-Es lebe das edle Waidwerk und die Jagd auf das Raubzeug! Horüdhoh, do,
-do, do, do!«
-
-Es wurde ein gemütlicher Abend; der Vorsteher, der sich sonst sehr
-zurückhielt, taute auf, denn er mochte den langen Rechtsanwalt gern und
-den Baumeister auch.
-
-Als der Tisch abgeräumt war, wurden Volkmanns Angelegenheiten
-besprochen. Garberding und Schönewolf waren der Meinung, daß Volkmann
-den Hof selbst bewirtschaften sollte; Freimut sagte nichts dazu.
-Nachdem Garberding sich verabschiedet hatte und Schönewolf, der vor
-Tau und Tag zur Birkhahnbalz in das Moor wollte, zu Bett gegangen war,
-sagte er:
-
-»Das mit dem Hofe halte ich für Duffsin. Zum ersten, weil Ihr von
-der dicken Kartoffelzucht nichts versteht, zum zweiten, weil es ein
-bethlehemitischer Kindesmord wäre, wenn Ihr Euch hier verkriechen
-wolltet. Freunde habt Ihr genug; ich würde kaltlächelnd wieder die
-Feder in die Faust nehmen und darauf loshauen. Wir haben damals bei
-der ganzen befreundeten Presse angefragt, ob sie ferner von Euch
-Leitartikel und Kunstbesprechungen nehmen würde, und überall hieß es:
-›Nun grade!‹ Verpachtet den Hof gut, behaltet Euch eine Stube vor,
-damit Ihr mit uns jagen könnt, oder noch besser zwei, dann sind wir
-gleich mitten drin in der Jagd, denn dem guten Nordhoff liegt an Bett-
-und Mittagsgästen scheußlich wenig und er ist froh, wenn wir ihm sein
-Bitterbier austrinken und ihn sonst in Frieden lassen. Ihr gehört vorne
-an, Mann, und nicht hinten in die Haide. Das ist meine Meinung.«
-
-Volkmann schüttelte den Kopf: »Nein, lieber Freimut, ich bleibe hier.
-Erstens ekelt mich die Parteipolitik an; denn ob schwarz, blau oder
-rot, mit Wasser wird überall gekocht, mit sehr trübem Wasser oft.
-Selbst bei meiner Niedersächsischen Bauernzeitung, bei der ich doch
-alle Parteiklüngelei ausließ, habe ich mich oft drehen und wenden
-müssen. Und meine anderen Schreibereien? Du lieber Himmel, das, was
-ich als Kunstkritiker und im Feuilleton leistete, das können hundert
-andere auch und manche viel besser. Überhaupt ist mir alles, was nach
-Luxus und Asphalt riecht, in die Seele verhaßt; am wohlsten habe ich
-mich gefühlt, als ich im Blockhause lebte und keine andere Gesellschaft
-hatte als meine Margerit, meinen Schweißhund und den Homer.
-
-Unsere Parteipolitik, unsere Kunst, unser Feuilleton, lieber Mann, es
-ist wie der Asphalt; es sieht glatt und sauber aus, und besieht man
-es in der Sonne, dann klebt es und stinkt. Ich danke ergebenst! Ich
-will das werden, was meine Ahnen waren: ein Bauer und von dem ganzen
-Stadtkrempel mit seiner Talmikultur keinen Schwanzzipfel mehr sehen.
-Habe ich mich in Kanada, wo doch das Wort gilt: ~Trapping for sport
-very well, for Life damned~, bequem durchgebracht und noch einen
-Rucksack voll Dollarnoten dabei übrig gehabt, so werde ich hier auch
-schon durchkommen. Und ich habe ja Ruloff Ramaker bei mir. Ich weiß,
-Ihr meint das gut mit mir, aber ich habe mit allem abgeschlossen, was
-außerhalb meines Ichs liegt.«
-
-Gellendes Hasenquäken weckte ihn am anderen Morgen. Er fuhr im Bette
-in die Höhe, das er jetzt allein hatte, da Ramaker bei dem Knechte
-schlief, und sah Freimut vor sich stehen.
-
-»Auf! sprach der Fuchs zum Hasen; hörst du nicht den Jäger blasen?«
-schrie der und warf ihm einen Jagdanzug auf das Bett: »Host Euch damit
-an, Hochedler, denn Eure Kluft ist mehr interessant, als sonntagsgemäß.
-Wir wollen dem Amtsrichter auf die Bude rücken; ich bin gestern bei ihm
-vorgefahren und er erwartet uns. Wir duzen uns beide; er war mit mir
-in Berlin im V. d. St. und mit seiner Frau bin ich so auf Umwegen auch
-noch verwandt, denn sie ist eine Hasselmann, Schwester von unserem
-Hasselmann, der jetzt in Deutschsüdwest herumtobt.
-
-Donnerhagel, sitzt Euch das Zeug fein, besser als mir! Hier ist ein
-Hut, und hier ein Wanderstab, wie es sich für den deutschen Mann
-gehört. Der Vorsteher schickt ihn; Ihr sollt ihn behalten. Seht, da hat
-er die Volkmannsche Hausmarke hineingeschnitten.«
-
-Hell leuchtete aus dem dunklen Schlehenstocke die alte Eigenrune der
-Hilgenbauern heraus, und Volkmann wurde seltsam zumute, als er den
-Stock in die Hand nahm; ihm war es, als träte er damit das Erbe an.
-
-Sie frühstückten und fuhren los. Die Birkenstämme an der Straße
-blitzten in der Sonne und wehten mit ihrem grünen Gezweige, die Wiesen
-waren weiß vom Schaumkraut, die Grabenufer leuchteten von den gelben
-Kohmolken, überall stelzten die Störche umher, und die Luft war voll
-von Lerchengesang und Krähengequarre.
-
-Das ganze Land sah aus, als wenn es frisch aus der Wäsche gekommen
-wäre, alle Leute, die ihnen begegneten, hatten blanke Augen, und vor
-jedem Hause war Hundegekläff und hinter allen Hahnengekrähe.
-
-Der Anwalt schlug Volkmann auf den Schenkel: »Mann, ich glaube, Ihr
-habt recht; ist das hier schön! Ich wollte verdammt auch lieber hinter
-dem Pfluge gehen, als Akten durchwurzeln und Verteidigungsreden
-herausrasseln. Hol's der Deuwel!«
-
-Amtsrichter Ketel Frerksen winkte mit der langen Pfeife, als der Wagen
-herankam. Er war lang und schlank und man sah ihm den Reserveleutnant
-an, aber sein Benehmen war das des frohen Burschen, der auf der hohen
-Schule gewesen war.
-
-»Freut mich von Herzen, Sie kennen zu lernen,« rief er und drückte
-Volkmann die Hand; »kommen Sie, erst will ich Sie meiner Familie
-vorstellen.« Er schob seine Gäste in den Garten, wo ein zierliches
-Frauchen, einen anderthalbjährigen Blondkopf an der linken Hand, mit
-dem Spargelstecher zwischen den Beeten herumspähte.
-
-»Hier, Lottchen, das ist Herr Volkmann, genannt der Hilgenbur, und das
-ist mein ältester Sohn, Ubbe Ketelsen; wir sind nämlich Friesen. Und da
-ist das Frühstück: selbstgeschlachtete Radieschen, selbstgesäte Würste
-und Spargelsalat gibt es auch, und der Handkäse läuft weg, wenn wir
-ihn nicht schlachten. Aber was hat denn der Junge? Du willst zu dem
-fremden Onkel auf den Arm? Das ist doch sonst deine Art nicht? Komm,
-Väterchen will dich nehmen! Nicht? Na, das ist die Höhe!«
-
-Volkmann nahm das Kind hin, das ihm die Backen strich, ihn fest in
-den Arm nahm und ihm einen Kuß auf das Haar gab. Die hübsche Frau des
-Amtsrichters schlug die Hände zusammen: »Das hat er noch nie bei einem
-Fremden getan, noch nicht einmal bei seiner Minna. Bitte, Minna, nehmen
-Sie das Kind.«
-
-Das Mädchen kam, aber der Junge fing gefährlich an zu brüllen, als er
-von Volkmann fort sollte, er klammerte sich fest an ihn an und jubelte
-auf, als Lüder der Magd abwinkte, und er jauchzte vor Wonne, als er aus
-der braunen Hand ein Butterbrötchen bekam.
-
-Das Ehepaar saß ganz verwundert da. Dem Hilgenbauer aber war zumute,
-als streichelte die kleine weiche Hand, die ihm über die Backen fuhr,
-jede Erinnerung an die graue Zeit fort.
-
-In der Linde vor der Laube zwitscherte die Schwalbe.
-
-
-
-
-Der Wendehals.
-
-
-Lüder Volkmann hatte die Erbschaft angetreten; es gereute ihn
-keineswegs.
-
-Zuerst wußte er nicht, was er so recht anfangen sollte, da Lembke, der
-das Ackerland und einen Teil der Wiesen in Pacht hatte, vorderhand
-allein mit der Arbeit fertig wurde, zumal Ramaker ihm von früh bis spät
-half, ohne mehr zu verlangen als Essen und Trinken und freien Tabak.
-
-Freimut und Schönewolf hatten Volkmann gebeten, die Aufsicht über die
-Jagd zu übernehmen und ihm freie Flinte dafür gewährt, und so lag er
-die meiste Zeit draußen, weniger, um zu waidwerken, als um die Zeit
-totzuschlagen.
-
-Auf die Dauer wurde ihm das aber langweilig und er suchte sich Arbeit.
-In Reethagen hatte er einen ganzen Vormittag dem Strohdecker zugesehen,
-und da das Hausdach auf der Wetterseite schadhaft geworden war, so
-lieh er sich von ihm die Dachstühle, das Dachmesser, die Dachnadel und
-das Dachholz, ließ sich Bindedraht besorgen und machte sich mit Ramaker
-daran, das Dach zu flicken.
-
-Anfangs hatte er vor, nur eine kleine Ecke auszubessern, aber dann fand
-er, daß die ganze Dachkante undicht war, und da Stroh genug da war für
-die Schoofe, so ließ er nicht eher nach, als bis keine Fehlstelle mehr
-an dem ganzen Dache war.
-
-Sodann sah er sich nach anderem Tagewerk um. Der Zaun zwischen dem Hofe
-und dem Grasgarten war morsch; er sägte Ständer und Latten zurecht und
-setzte einen Zaun hin, daß Frau Grimpe die Hände zusammenschlug und
-rief: »Nein, Herr Volkmann, aber über Ihnen aber auch! an Sie ist ja
-ein Tischlermeister verloren gegangen.«
-
-Die Fischteiche waren arg verschlammt, denn davon hatte Lembke keinen
-Verstand; so ließ der Bauer einen nach dem anderen ab, reinigte und
-vertiefte ihn, düngte ihn und ließ ihn sich begrünen und besetzte ihn.
-
-Je mehr er sich umsah, um so mehr fand er, was nicht in der Reihe war;
-hier fehlte ein Brett, da stockte ein Graben, dort sackte ein Weg weg;
-Lüder hatte allmählich so viel zu tischlern, zu graben und zu dämmen,
-daß ihm kein Tag mehr lang wurde.
-
-Der alte Immenschauer fiel fast um; er baute an einer besseren Stelle
-einen neuen, der doppelt so viel Stöcke aufnahm, und acht Tage lang
-quälte er sich damit ab, die Bohlen auf dem Heuboden, von denen mehrere
-recht schlecht waren, auszuflicken oder zu ersetzen, und Frau Grimpe
-sah bewundernd zu und rief: »Nein, Herr Volkmann, als wenn Sie auf
-Zimmermann studiert hätten!«
-
-Aurelie Grimpes Herz hatte allerlei Liebe aushalten müssen, aber sie
-fühlte sich frisch genug, es noch einmal damit zu versuchen.
-
-Je länger der Bauer auf dem Hofe war, um so heißer wurde es ihr unter
-dem Schürzenlatze, der jetzt immer schlohweiß war, wie sie denn auch
-seitdem am Kopfe und an den Füßen stets herumging, wie aus der Beilade
-genommen.
-
-Das Haus hielt sie so sauber, daß es eine Freude war, und obzwar sie
-wieder angefangen hatte, im stillen Kämmerlein mit Feile, Rosawachs
-und Wildleder ihre Hände so zu pflegen wie damals, als sie noch
-Dreimarkchampagner für vier Taler an ihre Gäste verkaufte, wenn die
-Mädchen ihnen die Köpfe heiß gemacht hatten, den Garten hielt sie so
-schnicker wie vordem.
-
-Dumm war sie nicht; sie hatte es sofort herausbekommen, daß der Bauer
-keiner von den Männern war, die man leicht einfängt; so sparte sie ihre
-runden Armbewegungen und ihre einladenden Blicke, legte in ihr Lächeln
-so viel Mütterlichkeit, wie sie auftreiben konnte, und ließ ihre Zunge
-Schritt laufen, so schwer ihr das auch wurde.
-
-Sie wollte den großen schönen Mann langsam an sich herangewöhnen, ihn
-leinenführig machen und ihn soweit bringen, daß er sich sagen mußte:
-»Aurelie Grimpe oder keine!«
-
-Vorläufig schien es damit allerdings noch gute Weile zu haben, denn
-der Bauer sah weder die krausen Nackenlocken und die weißen Arme, noch
-den innigen Augenaufschlag und das mütterliche Lächeln; er ging und
-kam mit kurzem Gruße, und wenn er mit der Frau sprach, dann war es um
-alltägliche Dinge und geschah in derselben trockenen Art, mit der er zu
-dem Pächter sprach.
-
-Aurelie Grimpe stellte sich oft genug in ihrer Dönze vor den Spiegel,
-knetete sich die Krähenfüße von den Schläfen weg, zupfte die
-Stirnlöckchen zurecht und fragte ihr Widerbild ganz erstaunt, wie es
-wohl möglich wäre, daß ein so strammer Kerl, der rein nichts an der
-Hand habe, an einer so schieren und molligen Frau, wie sie war, Aurelie
-Grimpe, geborene und so weiter, vorbeisehen könne, als wenn sie die
-Altmutter Lembke mit dem kahlen Scheitel und dem leeren Mund wäre.
-
-Alles mögliche hatte sie angestellt, um dem Bauern zu beweisen, daß sie
-Verständnis für höhere Bildung habe; sie hatte ihn gefragt, ob sie sich
-aus dem Rest der Bücher, die der alte Volkmann zurückgelassen hatte,
-Leselektüre holen dürfe, aber der Bauer hatte nur »Bitte schön« gesagt,
-und als sie ihn fragte, was dies oder jenes in dem Buche bedeute, da
-hatte er, ohne eine Miene zu verziehen, gesagt: »Das verstehen Sie doch
-nicht!« und war an seine Arbeit gegangen.
-
-Dann hatte sie eine Zeitung, in der das Allerneueste zu finden war,
-bestellt, und nun ging es ab und zu: »Herr Volkmann, haben Sie schon
-gehört?« oder »Herr Volkmann, denken Sie sich bloßig?« Er aber sagte:
-»Tun Sie mir den einzigen Gefallen und lassen Sie mich mit solchen
-Geschichten in Frieden!« Er sagte das ganz freundlich, aber es betrübte
-sie doch sehr, daß es ihr nicht gelingen wollte, einen Weg von ihrem zu
-seinem Herzen zu finden.
-
-Obzwar sie anfangs nur an die gute Versorgung gedacht hatte, mit der
-Zeit fing sie an zu brennen wie eine alte Scheune und stellte mit
-Besorgnis fest, daß sie, wenn sie nicht ihren Zweck erreichte, auf
-dem besten Wege wäre, den Glanz ihrer Augen und die Frische ihrer
-Farbe loszuwerden, und so beugte sie dem mit Antimon und Karmin vor,
-das der geheimnisvolle Kasten enthielt, den sie in den Tiefen ihres
-großmächtigen Reisekorbes verborgen hielt.
-
-Das Allerbetrüblichste aber war, daß der alte Spruch, der da sagt, daß
-die Liebe durch den Magen gehe, auf Volkmann durchaus nicht zutraf.
-Sie hatte sich alle Mühe gegeben, um herauszubringen, was wohl seine
-Leibgerichte wären, aber immer und immer wieder hatte sie in die
-Brennessel gefaßt, wenn sie danach fragte.
-
-Er aß Morgen für Morgen seinen steifen Buchweizenbrei mit einer
-dreizolldicken Hausbrotschnitte, er war zufrieden, wenn es zum
-Frühstück acht Tage dieselbe langweilige Wurst oder ein und denselben
-gemeinen Käse gab, er fragte nicht danach, ob die Kartoffeln kroß mit
-Speck oder mit Butter weich gebraten waren, ob die dicke Milch alt oder
-jung, ob das Rauchfleisch herzlich schmeckte oder streng.
-
-»Die reine Dranktonne,« dachte Aurelie Grimpe mit Wehmut und
-verzweifelte immer mehr, wenn sie sah, daß er den einen Tag die
-halbkalten Pellkartoffeln mit dem alten Speck ebenso gleichgültig
-hinunteraß wie Tags zuvor die schöne Gemüsesuppe mit dem zarten
-Schinkenende darin. Das gefiel ihr nicht an dem Manne.
-
-Eines Sonntagnachmittags, als Lembkes in das Dorf gegangen waren,
-beschloß sie, drei Pferde vor den Wagen zu spannen, um durch den Sand
-zu kommen.
-
-Der Bauer schlief, denn er war um zwei Uhr in der Nacht aufgestanden
-und mit dem Drilling und Söllmann, dem Schweißhunde Freimuts,
-losgegangen, weil er vermutete, daß hinten im Moor gewildert wurde.
-Er war erst gegen Mittag nach Hause gekommen und hatte sich dann lang
-gemacht.
-
-Aurelie sagte sich, daß die Gelegenheit günstig wäre, die dicken
-Trümpfe auszuspielen.
-
-Sie zog ihre süßesten Strümpfe und ihre zuckrigsten Schuhe an, ein
-Spitzenhemd und ein Korsett, wie es das weit und breit nicht gab, und
-einen Unterrock, der gerade so lang war, wie er sein sollte, machte
-sich ihr Haar so hübsch wie möglich, gab ihren Augen durch ein wenig
-Antimon noch mehr Feuer, sah sich lange im Spiegel an, machte sich
-einen Knix, langte ihren Handspiegel her, besah sich von hinterwärts,
-und dann setzte sie sich auf den Bettrand und wartete.
-
-Sie mußte sehr lange warten, so lange, daß ihr allerlei dumme Gedanken
-kamen, Gedanken, die nicht gerade geeignet waren, ihren Augen helleren
-Glanz und ihren Backen mehr Farbe zu geben. Sie wurde müde, aber sie
-wagte nicht zu schlafen, einmal der wunderbaren Haaraufmachung wegen,
-und dann überhaupt und so.
-
-Sie sah ihr Photographiealbum durch, in dem meistens aufgedonnerte
-Mädchen mit weit aufgerissenen Augen zu sehen waren, und Männer
-unterschiedlicher Art, ordnete den Inhalt ihres Reisekorbes, in den
-sie niemals einen Menschen hineinsehen ließ, und las schließlich zum
-soundsovielten Male in den gelben Heften, auf deren Vorderblatt ein
-Männerkopf mit rabenschwarzen Locken zu sehen war, worunter die Worte
-standen: Memoiren eines Scharfrichters oder das Geheimnis der Gräfin
-Olga.
-
-Auf einmal sprang sie auf; sie hatte gehört, daß im Fleet Schritte
-gingen. Sie trällerte ein Liedchen vor sich hin, warf einen Blick
-in den Spiegel, rumpelte einen Stuhl hin und her, zupfte sich eine
-Locke zurecht, rieb sich unter den Augen umher, die vom langen Warten
-Fensterladen bekommen hatten, warf noch einen Blick in den Spiegel,
-übte schnell einen züchtigen Augenaufschlag ein, ergriff die Blechkanne
-und schoß in demselben Augenblick, als die Schritte des Mannes ihrer
-Tür gegenüber waren, heraus und Volkmann mitten vor den Leib.
-
-Die Kanne fallen lassen, einen gellenden Jungfernschrei ausstoßen
-und gleich hinterher den Atem anhalten, so daß etwas ähnliches wie
-Schamröte ihr Gesicht färbte, die runde Hand an das Korsett pressen,
-doch so, daß die schöne Hemdenspitze nicht verdeckt wurde, und dann mit
-wildem Busengewoge nach Atem ringen und schmachtend jappend: »O, Herr
-Volkmann, wie hab' ich mir doch verschrocken; daß Sie mir auch so sehen
-müssen!« das war alles eins.
-
-Der Bauer aber änderte sein Gesicht kein bißchen und liebelte nur den
-Hund ab, der vor Schreck zurückgefahren war, als ihm die Kanne vor
-der Nase hinknallte; gleichgültig sah der Mann auf die sorgfältig
-hergestellte Pracht, und während Aurelie Grimpe in ihre Kammer
-zurückschoß, schnitt er für sich und den Hund Brot und Speck ab,
-wickelte es ein, steckte es in die Tasche, langte den Drilling von dem
-Rehgehörn am Türrahmen und ging über den Hof.
-
-Als er im Grasgarten war, blieb er stehen, denn im Apfelbaum saß der
-Wendehals, schrie nach der Schwierigkeit und drehte den Hals wie
-albern. Und da mußte der Bauer im Halse lachen, denn es fiel ihm ein,
-welche Mühe die gute Aurelie sich seit Wochen um ihn mit Augenverdrehen
-und Halsverrenken gegeben hatte, just so wie der Wendehals, der in dem
-Apfelbaume saß.
-
-Aber dann ging das Lächeln aus seinem Gesichte fort. Das Weibsstück
-war ihm längst zuwider, einmal wegen ihrer schwarzen Kraushaare, dann
-wegen ihrer Anschummelei, und außerdem wußte er, was mit ihr los war,
-denn als Freimut sie das erstemal sah, hatte er hinterher in der
-Haide gesagt: »Mann, wie kommt dieses Besteck hierher? Ich dachte,
-die hätte der Satan längst lotweise geholt. Aurelie Grimpe, geborene
-Sziembowska aus Filehne, eheverlassene Juckenack und eheentlaufene
-Grimpe, unter dem Übelnamen die Gräwin weit bekannt an den Stätten,
-wo die Orchideen der Nacht wachsen, mehrfach wegen Begünstigung der
-Kuppelei hineingerasselt und wegen schweren Kuppelpelzhandels leider
-freigesprochen. Backt ihr eine Zehnpfennigmarke auf und schickt sie als
-Muster ohne jeglichen Wert dahin, wo der spanische Pfeffer wächst, denn
-das Weibsbild taugt in dem Grund nichts!«
-
-Volkmann hatte derartiges schon immer geahnt, aber nicht recht gewußt,
-wie er es anstellen sollte, um die Person loszuwerden; jetzt, nach
-dem Bajonettangriff, den sie auf ihn verübt hatte, wollte er ihr aber
-aufsagen.
-
-Während er das bei seinem Gange über die Haide mit sich abmachte, lag
-Aurelie auf ihrem Bette, biß in die Kissen, strampelte mit den Beinen,
-daß die Lackspitzen an ihren Schuhen Sprünge kriegten, sauste dann
-auf die Deele, schmiß einen Teller auseinander, gab der Katze, die
-entsetzt unter dem Brennholze hervorschoß, einen Tritt, warf sich in
-den Spinnstuhl, heulte ihre feine Hemdenspitze naß, und dann ermannte
-sie sich, ging an den Schrank und trank drei Schnäpse.
-
-Als Lembkes zurückkehrten, saß sie in einem ehrbaren Kleide und in
-biederen Strümpfen vor der Tür und strickte, wie es sich für eine gute
-Haushälterin gehört.
-
-Neben sich hatte sie das Gesangbuch liegen.
-
-
-
-
-Der Kuckuck.
-
-
-Es war außer Aurelie Grimpe noch jemand auf dem Hofe, oder vielmehr, es
-waren zwei, die mit Lüder Volkmann nicht zufrieden waren, nämlich der
-Pächter Lembke und seine Ehefrau.
-
-Lembke stammte aus der Lüchower Gegend; er war ein Mann mit
-zerknittertem Gesicht und einem Benehmen wie eine Birke bei Sturmwind;
-seine Frau blühte wie eine Pfingstrose, und wo sie ging, da stand das
-Gras so bald nicht wieder auf.
-
-Es war dem Pächter schlecht zu Passe gekommen, als Volkmann plötzlich
-da war wie der Habicht zwischen den Hühnern, aber als er ihn reden
-hörte, die Schmisse sah und bemerkte, wie der Rechtsanwalt und der
-Baumeister sich zu ihm stellten, da meinte Lembke zu seiner Frau:
-
-»Kaline, ich glaube, wir brauchen keine Bange nicht zu haben, brauchen
-wir nicht, daß es anders werden tut; das ist ein studierter Herr, ist
-er, wenn er jetzt auch man wie ein Pracher aussehen tut. Der wird sich
-die Hände nicht schwarz machen, wird er nicht. Wenn er das Pachtgeld
-hat, wird er in die Stadt fahren und es verwichsen, wird er, und wenn
-er keins hat, wird er hier bleiben und auf die Jagd gehen, wird er.
-Und so wird er mit der Zeit mehr Geld brauchen, wird er, als der Hof
-abwirft, glaube ich, und wir werden ihm etwas vorschießen, werden wir,
-oder Land abkaufen, und so bei kleinem wird der Hof unser werden, wird
-er.«
-
-Karoline hatte genickt und von der krummbeinigen Gestalt ihres Mannes
-zu dem Bauern hingesehen, der lang und schlank über den Hof ging.
-
-Lembkes merkten aber bald, daß Volkmann nicht daran dachte, sich selber
-das Wasser abzugraben; zwar ging er anfangs viel mit dem Gewehre los,
-aber als das Geld vom Gerichte kam, fuhr er damit nicht in die Stadt,
-sondern gab das meiste dem Vorsteher, der es auf die Kreissparkasse
-brachte.
-
-Auch feine Kleider kaufte er sich nicht und weder gute Zigarren noch
-dergleichen; er trug sich wie die Bauern und Knechte, rauchte seine
-Pfeife und Sonntags wohl einmal eine Zigarre von Nordhoff, der ein ganz
-gutes Kraut führte, das ihm der Baumeister besorgt hatte; im Essen und
-Trinken war er nicht anders als der gemeine Mann, obzwar er dreist mehr
-dafür anlegen konnte, wenn er gewollt hätte.
-
-Nach vier Wochen sagte Lembke zu seiner Frau: »Wenn das so beibleibt,
-Kaline, dann wird der Hof nicht unser, wird er nicht!«
-
-Als der Bauer dann anfing, das Strohdach zu flicken und den neuen Zaun
-hinstellte und das Immenschauer baute und den Heuboden zurecht machte,
-da ließ Lembke die Ohren immer mehr hängen, und als Volkmann hier den
-Graben und dort den Weg ausbesserte, die Fischteiche austiefte und
-alles in die Reihe brachte, was nicht ganz eben war, da sah Lembke
-immer scheeläugiger, achtete auf alles, was nicht ganz in der Ordnung
-war, und machte es schnell selber zurecht, damit der Bauer sich das
-Arbeiten nicht noch mehr angewöhnen solle.
-
-Die Folge davon war, daß der Hof wie abgeleckt aussah, so daß der
-Vorsteher, der ab und zu kam, die Augenbrauen hochnahm und sagte: »Bei
-mir sieht es doch auch ordentlich aus, Hilgenbur, aber bei dir, das ist
-ja, als wenn jedweden Tag Wochenabend ist.«
-
-»Kaline,« sagte eines Abends Jochen Lembke, als er im Bette lag,
-»Kaline, was ich dir sagen will, sage ich dir, wie fangen wir es an?
-Gestern hat er mir beis Torfriegeln geholfen, hat er, und dann sagte
-er, beis Heumachen will er auch helfen, will er. Und ich sage dir,
-Kaline, sage ich, er hat das Kleemähen raus, hat er, und wenn die Ernte
-hin ist, dann kann er mähen als wie ich, kann er. Wo er das man gelernt
-hat, das Umgehen mit die Axt und die Säge, als wie ein gelernter
-Zimmermann kann er es, Kaline, kann er.«
-
-Aber Frau Lembke sagte: »Drähn nicht so viel, ich will schlafen!« und
-damit drehte sie sich um und dachte daran, wie glatt es ausgesehen
-hatte, als der Bauer den Vormittag in Hemd und Hose Holz klein gemacht
-hatte und sein Haar in der Sonne aussah wie eitel Gold. Jochens Haar
-sah aus wie altes Dachstroh.
-
-Aber wenn sie ihren Jochen auch nur genommen hatte, weil es klapperte
-und klingelte, wenn er sich auf die Tasche schlug, deswegen blieb er
-doch ihr Mann, und wenn sie ihm auch nicht so nachsah wie dem Bauern,
-so gehörte sie dennoch zu ihm.
-
-Sie hatte es längst gemerkt, daß Aurelie Grimpe dem Bauern Blumen und
-Buntpapier auf den Weg warf, daß ihm aber so wenig daran lag, als wenn
-es Häcksel gewesen wäre, und daß er der Haushälterin nicht mehr, als
-nötig war, Rede und Antwort stand und dabei meistens anderswohin sah.
-
-Dagegen, wenn er mit ihr selber sprach, sah er ihr voll in die Augen,
-stand auch gern bei ihr, wenn sie beim Melken war oder das Federvieh
-fütterte, und es kam ihr manchesmal so vor, als wenn er hinter ihr
-hersah, vorzüglich, wenn sie in bloßen Armen war oder die Röcke
-aufgesteckt hatte. Und so machte sie sich einen Plan zurecht, bei dem
-sowohl sie selber wie Jochen auf seine Kosten kommen sollte.
-
-Den ganzen nächsten Tag dachte sie darüber nach, und da es sich gerade
-traf, daß der Bauer die Türe vor ihr aufmachte, als sie in jeder Hand
-eine Satte Dickmilch hatte und der Zug die Türe zuschmiß, so erblickte
-sie darin eine Liebeserklärung deutlichster Art; als er ihr zudem
-hinterher beim Futteraufschütten half und ihr das Wasserholen abnahm,
-da stand es bei ihr fest, daß ihr Plan nicht uneben war.
-
-»Jochen,« sagte sie, als sie abends im Bette lag, »Jochen, hör' zu;
-ich glaube, ich weiß, wie wir ihn herumkriegen. Es ist doch gegen die
-Natur, daß so ein Kerl, wie er, keine Frau und auch sonst nichts hat,
-denn was die Grimpesche ist, und wenn sie ihm auch noch so viel mit
-ihren Locken und weißen Schürzen unter die Augen geht, so macht er sich
-noch nicht einmal so viel aus ihr wie aus unserer Mutter.
-
-Nun hör' zu, Jochen, und versteh' mich auch recht: auf mich hat er ein
-Auge, an mir sieht er nicht vorbei, wenn er zu mir redet, und ich kann
-es ohne Hoffärtigkeit sagen, er sieht manches liebe Mal hinter mir her,
-wenn ich bei ihm vorbei muß. Und denn: alle Augenblicke geht er mir
-zur Hand, im Garten oder beim Vieh; gestern hat er die Türe vor mir
-aufgemacht und mir Wasser getragen.«
-
-Sie hielt einen Augenblick an und spann dann weiter: »Jochen, nun mein
-ich, du verstehst doch, wie ich es meine? Ich kann ja so tun, als wenn
-mir auch was an ihm gelegen ist, bis er mich mal anfaßt oder sowas. Und
-dann können wir uns das besprechen, daß du und die Grimpesche beide
-nicht da seid, das heißt, du mußt doch da sein, bloß so, daß er dich
-nicht spitz kriegt, und zusehen, was er anfängt; na, und wenn er dann
-an mich heran will, dann kannst du ja von ungefähr dazukommen, und denn
-haben wir ihn da, wo er hin soll.
-
-Ich glaube, Jochen, auf eine andere Art geht es nicht; er geht darauf
-aus, uns hier rauszuschmeißen, sonst würde er nicht wie ein Knecht
-arbeiten; im Weedergrund hat er ja wohl einen ganzen Morgen abgeplaggt,
-weil er da Fuhren anpflanzen will, und für umsonst hat er nicht ein
-neues Stück im Meinsbruche eingehachelt. Also, Jochen, was sagst du
-dazu?«
-
-Jochen richtete sich im Bette auf, sah seine Frau an, nickte dreimal
-mit dem Kopfe und sagte: »Kaline, ich sage dir, sage ich, das ist ein
-Plan, ist er, das hast du großartig ausklamüsert, hast du, und ich
-glaube wahrhaftig, glaube ich, auf die Art kommen wir doch noch dahin,
-wo wir hin wollen, kommen wir.«
-
-Dann drehte er sich um, und seine Frau dachte: »Wenn es glückt, haben
-wir beide etwas davon.«
-
-Es glückte aber nicht, so langsam und bedächtig Frau Lembke auch
-vorging, indem sie, wenn sie mit dem Bauern allein war, mit ihren
-runden Schultern oder ihren breiten Hüften an ihn herankam, wenn es
-sich unauffällig machen ließ; Volkmann stellte sich an wie ein Kind und
-wollte mit Gewalt nichts merken.
-
-Wenn Jochen abends fragte: »Kaline, wo weit bist du mit ihm, bist du?«
-Dann sagte sie: »Jochen, jedes Werk muß seine Zeit haben; laß mich man
-machen!« Aber ihr war es selbst verwunderlich, daß der Bauer sich wie
-ein Stock anstellte.
-
-Sie stopfte ihm seine Strümpfe mit Wolle, die sie aus ihren eigenen
-Strümpfen gerewwelt hatte, sie nötigte ihm eine Frühbirne in den Mund,
-die sie seit drei Tagen in der Kleidertasche getragen, drei Nächte
-unter ihrem Kopfkissen gehabt und drei Tage in ihre Schürze gewickelt
-hatte, aber auch das wollte nicht einschlagen.
-
-Als sie aber anfing, wenn er mit ihr sprach und lustig wurde,
-vertraulich zu ihm zu werden, ihn auf den Arm oder auf das Bein zu
-schlagen, da hatte sie ganz ausgespielt, denn von da ab ging er um sie
-genau so herum wie um die andere, und wenn er zu ihr sprechen mußte,
-sah er nach der Wand oder aus dem Fenster.
-
-Als Jochen sie eines Abends wieder fragte: »Kaline, wo weit bist du nun
-mit ihm, bist du?« Da schnauzte sie ihn an, daß er auf den Gedanken
-kam, mit ihr und dem Bauern stehe die Sache nicht so, wie es ihm passen
-könne, denn es war ihm schon lange verdächtig, daß Volkmann jetzt ganz
-anders zu ihr war, was er für Verstellung hielt.
-
-Alle Augenblicke, wenn er im Stalle oder auf dem Felde zu tun hatte,
-kam er in das Haus geschossen, weil er bald dieses, bald jenes
-vergessen hatte, und als er eines Mittags sah, daß seine Frau bei dem
-Bauern stand, machte er ihr hinterher eine große Schande.
-
-Ganz unglücklich wurde ihm aber zu Sinne, als der Bauer ihn eines Tages
-in den Garten rief und sagte, indem er auf einen Stachelbeerbusch
-hinwies: »Hast du schon so etwas gesehen, Lembke? Da hat eine Grasmücke
-ihr Nest gebaut und nun sitzt ein junger Kuckuck darin und hat die
-kleinen Grasmücken herausgeschmissen, so daß sie elend haben umkommen
-müssen. Ja, man soll sehen, wen man bei sich aufnimmt.«
-
-Lembke hatte ihn mit einem halben Auge angesehen und war dann an seine
-Arbeit gegangen, abends im Bette aber sagte er zu seiner Frau: »Ich
-sage dir, Kaline, sage ich, er hat was gemerkt, hat er.«
-
-
-
-
-Die Bachstelze.
-
-
-Es war Aurelie Grimpe nicht verborgen geblieben, daß Karoline Lembke um
-den Bauern herumschlich wie der Fuchs um den Hühnerstall.
-
-Sie war sehr falsch darüber, und während es bisher immer »liebe Frau
-Lembke« hier und »liebe Frau Lembke« da geheißen hatte, hielt sie die
-Nase jetzt so hoch wie der Hund in den Nesseln und ging mit einem
-Gesicht wie sauer Bier an ihr vorbei.
-
-Da nun bei Frau Lembke in der letzten Zeit die Wolken tief hingen, so
-sah es im Hause nach Regen aus, und eines Vormittags, als die beiden
-Frauen allein zu Hause waren, ging das Wetter nieder.
-
-Als das Gewitter auf der Höhe war, wurde die Obertüre aufgestoßen und
-der Bauer sah hinein. Er sagte gar nichts, aber nach dem Mittag sagte
-er Lembke, er solle den Kastenwagen anspannen. Dann legte er Frau
-Grimpe ihren Lohn für den nächsten Monat auf den Tisch und sagte ihr,
-sie könne gehen, und zwar sofort.
-
-Er ging in das Bruch, und als er am Abend wiederkam, war sie fort.
-Frau Lembke wollte ihm erzählen, wie sie sich angestellt habe, aber er
-winkte ab.
-
-Nachdem er gemerkt hatte, wie wenig es Lembke passe, daß er ihm bei der
-Feldarbeit und beim Heumachen half, hatte er entweder für sich Haide
-oder Moor zu Land gemacht oder er hatte Peter Suput bei der Arbeit
-geholfen, der bei Garberdings Häusling war.
-
-Frau Suput segnete den Tag, an dem Volkmann gekommen war, denn nun
-konnte sie sich besser der Kinder annehmen und brauchte sich nicht so
-sehr abzuhetzen.
-
-So standen sich beide Teile gut, denn Suput kannte die Arbeit aus dem
-Grunde und hatte einen anschlägigen Kopf, so daß bei wichtigen Sachen
-der Vorsteher meist fragte: »Peter, was meinst du dazu?«
-
-Da nun der Hilgenbauer sich für keine Arbeit zu gut hielt und Suput bei
-allem half, so kam er in alles, was zu Hof- und Feldarbeit gehört, gut
-hinein, und mehr als einmal sagte ihm der Vorsteher: Ȇbers Jahr, wenn
-Lembke aufhört, kannst du das Leit selber in die Hand nehmen.«
-
-Während der Erntezeit aß Volkmann meist bei Garberdings, und da ihm
-Lembkes von Tag zu Tag weniger gefielen, so saß er späterhin, als
-die schlimmste Arbeit vorbei war, abends meist bei Suput, mit dem er
-sich gut unterhalten konnte, denn der Häusling ging immer nach seinem
-eigenen Kopfe und trat sich überall Richtewege.
-
-Manchesmal glückte ihm das und Volkmann wunderte sich oft, wie
-selbständig der Mann über politische Dinge urteilte; hier und da lief
-Suput aber auch ins Moor und mußte einen großen Umweg machen, bis er
-wieder auf einen festen Weg kam.
-
-Er kannte seine Bibel so gut wie der Pastor oder, wie er meinte, noch
-besser, und da darin nur von einem Sabbat, aber von keinem Sonntag die
-Rede war, so verlangte er von dem Pastor, er solle den Sonnabend zum
-Ruhetage machen. Das konnte und wollte der nicht und da erklärte ihm
-der Häusling: »Dann werde ich mich an das Wort halten, Herr Pastor,«
-zog am Sonnabend sein Kirchenzeug an und setzte sich mit der Bibel
-hinter das Haus, und am Sonntag ging er hin und haute Haide.
-
-Auch sonst hatte er seine Eigenheiten; wenn er zu Pferde war oder
-fuhr, grüßte er keinen Menschen, mochte es sein, wer es wolle, zuerst;
-an seinem ganzen Zeuge war kein Knopfloch und kein Knopf, sondern
-nur Haken und Ösen, und er konnte es nicht leiden, wenn man Blumen
-abschnitt und auf den Tisch stellte.
-
-Er hatte zwei Feldzüge mitgemacht, war dreizehnmal im Feuer gewesen und
-besaß das eiserne Kreuz, trug es aber niemals, weil er nicht hoffärtig
-erscheinen wollte. Er hatte einen Bruder, der in Amerika eine gute
-Farm besaß, und der hatte so lange gequält, bis er auch nach drüben
-ging; nach einem Jahre aber war er wieder da. »Es konnte mir da nicht
-gefallen,« sagte er; das war aber auch alles.
-
-Mit diesem Manne unterhielt sich Volkmann liebendgern, anfangs über
-Bodenbestellung und Viehzucht, dann über Politik und Religion, und
-durch vernünftiges Vorstellen brachte er es dahin, daß Suput zum
-Pastor ging und sagte: »Herr Pastor, ich will es jetzt wieder nach der
-gebräuchlichen Art machen; ich glaube, ich hatte mich verbiestert.«
-
-Das war dem Geistlichen sehr lieb, denn der Häusling war einer der
-tüchtigsten Männer in der Gemeinde, und der Vorsteher war es erst recht
-zufrieden, denn in der hillen Zeit war es ihm oft sehr störend gewesen,
-wenn sein Lehnsmann am Sonnabend ausgeblieben war.
-
-Suput hatte bei dem Zusammenarbeiten mit Volkmann herausgefunden, daß
-dieser jedes Getier und alle Kräuter mit Namen zu nennen wußte, und
-da er von klein auf an draußen gearbeitet und auf alles ein achtsames
-Auge gehabt hatte, so kam er Volkmann fortwährend mit Fragen, die dazu
-beitrugen, daß die Unterhaltung zwischen ihnen nicht abriß.
-
-So sagte er ihm eines Tages: »Als Engelke sich vor dem Moore hier
-anbaute als junger Kerl, da war hier bloß Haide. Da gab es Dullerchen
-und nach dem Moore zu Moormännchen, und in der großen Sandkuhle
-Lochschwalben. Nachher, als das Haus eben fertig war, bauten gleich
-Schwalben, und mit der Zeit kamen auch Spatzen, und als hier Land
-unter den Pflug kam oder zu Wiesen gemacht wurde, da war mit eins auch
-die Singlerche da, alles Vögel, die man auf Ödland doch nicht antrifft.
-Nun bedünkt mich, daß alle diese Vögel, und noch andere, als wie der
-Storch und der Kiebitz und der gelbe Wippsteert, daß sie alle früher
-hier nicht waren und erst zugereist sind, nachdem die alten Deutschen,
-wie es in den Büchern zu lesen ist, hier an die Herrschaft kamen und
-Viehzucht und Feldwirtschaft hier einführten, denn anders kann ich mir
-das nicht erklären. Aber das ist bloß so meine dumme Meinung, weil ich
-davon doch keinen rechten Verstand habe.«
-
-Volkmann mußte lächeln, als der Mann so redete. Ihm, dem Fachzoologen,
-war diese Tatsache, daß die deutsche Tierwelt aus zwei ziemlich scharf
-getrennten Schichten, der des Urlandes und der des Baulandes und der
-Siedelung, bestehe, wohl aufgefallen, aber nachgedacht hatte er darüber
-noch nicht weiter.
-
-Nun saß dieser Häusling da, Peter Suput, rauchte seinen Rippenkanaster
-und stellte eine Theorie auf, die, wenn sie irgendein Gelehrter
-gefunden hätte, wohl Veranlassung gewesen wäre, daß dieser wer weiß wie
-hoch gesprungen wäre, die Theorie von der Quintärfauna; und das hätte
-ein dickes Buch mit vielen Karten und Tafeln und einen großen Aufstand
-in der Zoogeographie gegeben.
-
-Aber Peter Suput hatte noch etwas anderes: »Diesen Sommer hat bei der
-Mühle ein Vogel gebaut, aus dem ich mir nicht klug werden kann. Er
-sieht aus wie ein Wippsteert, ist aber unten gelb. Es ist aber nicht
-der, der auf den Wiesen im Grase brütet und dem Vieh das Ungeziefer
-absucht, sondern er benimmt sich ganz so wie der weiße Wippsteert, und
-was der Hahn ist, der ist schwarz am Halse und das Nest stand unter dem
-hohlen Ufer.«
-
-Der Hilgenbauer war neugierig, ging mit dem Häusling nach der Mühle und
-stellte fest, daß der Vogel die Bergbachstelze war, die er sonst nur im
-Berglande gefunden hatte. Aber als er daraufhin die Augen aufmachte,
-fand er, daß der Vogel weit und breit bei Mühlen und Stauwehren
-brütete, und er schüttelte bei sich den Kopf über Peter Suput und seine
-Beobachtungen.
-
-Durch den Häusling erfuhr er auch, daß der Schulmeister Owerhaide
-für solche Dinge ein Auge habe und allerlei Sachen sammele, die er
-den Kindern zeigte, Steine, Baumfrüchte, Schlangen in Spiritus und
-dergleichen.
-
-Der Lehrer bekam einen roten Kopf, als Volkmann ihn bei Gelegenheit
-bat, ihm die Sammlung zu zeigen, weil er, wie er sagte, davon auf dem
-Seminare so gut wie nichts gelernt hätte, und so war es auch, denn
-er hatte Korn und Kaff durcheinander gesammelt und die Hälfte falsch
-bestimmt.
-
-Um so froher war er, als Volkmann Flachs und Hede auseinanderbrachte,
-jedem Dinge seinen wahren Namen gab und die richtige Reihenfolge
-herstellte.
-
-Drei Dinge aber nahm er heraus: eine alte Münze, deren Ränder wie
-Messing glänzten, eine grüne Schwertklinge und ein schwarzes Steinbeil,
-die alle beim Torfmachen gefunden und dem vorigen Lehrer gebracht
-waren, und sagte:
-
-»Diese drei sind zu schade für eine Dorfsammlung; sie gehören in ein
-großes Museum. Schicken Sie sie versichert an das Bremer Museum und
-bieten Sie sie zum Ankauf an. Sie bekommen dann sicher soviel, daß Sie
-einen Sammlungsschrank für die Schule und einige gute Bücher anschaffen
-können.«
-
-Da der Lehrer und der Schulvorstand damit einverstanden waren, wurde
-die Sache so gemacht, und es kam auch einige Zeit darauf die Antwort,
-daß die Sachen angekommen wären; das Nähere sollte mündlich abgemacht
-werden.
-
-Vierzehn Tage später kam ein Herr mit greisem Bart und jungen Augen
-angefahren, sah sich die Sammlungen an und machte dem Schulvorstande
-folgenden Vorschlag:
-
-Die Schule bekommt zwei Sammlungsschränke, Präparatengläser, gestopfte
-Tiere, eine kleine Heimatbücherei, Nachbildungen der drei Gegenstände
-und tausend Mark bar.
-
-Der Schulvorstand fiel beinahe um, als er das vernahm, und der
-Schulmeister stieg mächtig in Achtung, und Volkmann, von dem man wußte,
-daß er zu dem Angebot geraten hatte, erst recht.
-
-Als er abends mit dem Bremer Museumsleiter bei dem Lehrer saß, erzählte
-er von den Beobachtungen Peter Suputs, und der Professor sagte: »Sie
-sind ja Zoologe; schreiben Sie uns doch darüber. Viel zahlen wir grade
-nicht, aber immerhin etwas.«
-
-Es gab einen großen Aufstand, als die Schränke ankamen, denn sie
-waren so groß, daß sie in der Schule keinen Platz hatten; und da
-die Schulbehörde nichts dawider hatte, so wurde auf Vorschlag des
-Schulmeisters, dem Volkmann das eingeblasen hatte, ein eigener Anbau
-dafür gemacht, der ganz in der alten Art gehalten wurde und in der
-Mitte durchgeteilt war, so daß in dem einen Zimmer die Schränke mit
-den Tieren und Steinen und Heidentöpfen und Büchern untergebracht
-wurden; das andere wurde ganz wie eine alte Dönze gehalten, und es
-dauerte keine acht Tage, da wußte der Lehrer nicht, wo er mit dem
-Urväterhausrat, der ihm zugebracht wurde, bleiben sollte, denn jedes
-Gemeindeglied wollte mit einem Stück darin vertreten sein.
-
-Das Dorf war sehr stolz auf sein Museum, zumal von weit und breit
-Männer kamen, die es sich ansahen und photographierten und die
-Bilder in »Niedersachsen« herausbrachten, und Lehrer Owerhaide wurde
-ein vielgenannter Mann, denn der Hilgenbauer hatte ihm das Wort
-abgenommen, daß von ihm selber nicht die Rede sein sollte.
-
-Er kümmerte sich auch weiter nicht darum, da er dabei war, die Jagd mit
-einem Netz von Pürschsteigen und mit Hochständen zu versehen; er machte
-das ganz heimlich, um den Rechtsanwalt und den Baumeister damit zu
-überraschen, wenn die Jagd auf den Rehbock aufging.
-
-
-
-
-Die Winterkrähe.
-
-
-Damit hatte es aber noch lange Zeit, denn mittlerweile war es Dezember
-geworden. Es war ein harter Winter und der Bauer mußte mit dem
-Steigemachen in der Wohld und durch die Dickungen aufhören, denn die
-Tage waren zu kurz und die Wege zu weit.
-
-Auf dem Felde und im Hofe gab es nichts zu tun, Lembkes ging er aus dem
-Wege, Suput war den ganzen Tag beim Vorsteher, weil der Knecht beim
-Holzabfahren Unglück gehabt hatte und mit einem Gipsverband liegen
-mußte, der Schulmeister hatte sich eine Frau genommen und saß vor dem
-Honigtopfe, Freimut kam ganz selten, da er mehr zu tun hatte, als ihm
-lieb war, und der Baumeister reiste in Ägypten umher.
-
-So war Volkmann meist allein, und wenn er auch ab und zu losging,
-um für den Anwalt einen Küchenhasen zu schießen oder einen Marder
-auszutreten und an der Beeke die Enten zu beschleichen, er hatte doch
-mehr freie Zeit, als ihm gut war. Er packte die Bücherkisten des alten
-Volkmann aus und stellte die Bücher wieder auf, aber zum Lesen hatte er
-wenig Lust.
-
-Wie die grauen Winterkrähen mit den schwarzen Flügeln, die aus dem
-Osten kamen, sich längs der Landstraßen in der Haide umhertrieben und
-über den Dächern des Dorfes quarrten, so flogen aus den entlegenen
-Gegenden seiner Erinnerung, in die die gute Jahreszeit kaum anders als
-im Traume gekommen war, die grauen Gedanken herbei und schlugen mit
-ihren schwarzen Flügeln um ihn her.
-
-Stundenlang konnte er dann, wie er es von drüben gewohnt war, mit dem
-Kopfe auf der Hand auf dem Bette liegen, rauchen und in den Beilegeofen
-sehen, der seine Dönze erwärmte. Als er im Blockhause lag, waren
-Lebleu, der alte Indianer, und Quivive, der Schweißhund, bei ihm
-gewesen.
-
-Gesprochen hatte Lebleu wenig, wenn er, den Kopf mit den spärlichen
-Kinnhaaren auf den Knien, dasaß, rauchte und in das offene Feuer sah,
-während draußen die Uhus schrien und die Wölfe vor Hunger heulten, bis
-Quivive zur Türe hinausfuhr und sie fortbrachte; aber er hatte doch ein
-Herz neben sich gehabt, das an ihm hing.
-
-Denn der Alte liebte ihn, liebte ihn mehr als sein Weib und seine
-vierzehn Söhne, die als Holzhauer, Flößer und Fallensteller sich und
-die Ihren durchbrachten, denn er, den die Händler und Wirte siebenzig
-Jahre um den Ertrag seiner Jagdbeute betrogen hatten, hatte in Volkmann
-zum ersten Male einen weißen Mann gesehen, der Halbpart mit ihm machte.
-
-Er war hungrig und müde in das Blockhaus gekommen, hatte sich, ohne
-ein Wort zu sagen, neben das Feuer gekauert, hatte seine kalten Hände
-gewärmt und kein Auge auf das Wildpret geworfen, das in dem Kessel
-schmorte. Als aber der Trapper die Hirschkeule in zwei Teile schnitt
-und die eine Holzschüssel Lebleu hinschob, ihm Schiffszwieback hinlegte
-und Tee eingoß, da hatte der alte Mann gegessen, bis nichts mehr da war.
-
-Dann setzte ihm Volkmann den hohlen Baumknorren hin, in dem er seinen
-Tabak aufhegte, und der Indianer nahm und rauchte und blies den Rauch
-durch die Nase. Endlich sah er seinen Gastgeber an, zeigte auf das
-kleine scharfe Beil, das er beim Eintreten aus dem Strick genommen
-hatte, mit dem er die alte Soldatenhose auf seinen dürren Lenden
-festhielt, und sagte:
-
-»Ich armes Indianer, du reiches Allemand. Ich wissen Bär, du nicht. Ich
-Baum abhauen, du Bär schießen. Jetzt Lebleu schlafen.« Damit hatte er
-sich in ein paar alte Decken gewickelt.
-
-Am anderen Morgen hatte er gegessen, als hätte er drei Tage nichts
-gehabt; dann waren sie mit dem Schlitten nach einem Bruche gegangen,
-bis der Indianer vor einem hohlen Ahorn stehenblieb, den Stamm ansah
-und sprach: »Ich Beil, du Gewehr, da Bär!«
-
-Dann hatte er Schlag um Schlag getan, daß jedesmal ein breiter Span in
-den Schnee sprang, bis der Baum fiel, der Baribal seinen Kopf aus dem
-Loche steckte und Lüder ihm die Kugel antrug.
-
-Von den vielen Dollarscheinen, die der Wirt des Holzfällerlagers für
-die Haut und einen Teil des Wildprets zahlte, gab der Trapper die
-Hälfte dem Indianer. Der sah ihn erst fassungslos an, steckte dann das
-Geld in seinen Tabaksbeutel und sagte: »Du gutes Freund; armes Indianer
-jetzt reiches Mann.«
-
-Dann verschwand er und als er nach acht Tagen wiederkam, hatte er
-ein Mädchen bei sich, das ein Gesicht hatte, so freundlich, wie der
-Indianersommer, und dessen schwarze, mit Glasperlen durchflochtene
-Zöpfe ihm bis in die Kniekehlen hingen, und er hatte gesagt: »Altes
-Indianer schlechtes Gesellschaft für junges Mann; junges Weib besser.
-Altes Indianer jetzt Biber suchen und Skunks.« Und er war in dem
-Schneegeriesel untergetaucht.
-
-Margerit aber hatte das Feuer geschürt, Schnee zum Tee geschmolzen,
-Wildpret in Scheiben geschnitten und abwechselnd mit Speckfladen auf
-einen Stab gezogen, die Holzteller abgewaschen, die Messer geputzt,
-Brot hingelegt, und dann hatte sie sich vor das Feuer gekauert und
-den Bratspieß so lange über der Glut gewendet, bis Fleischschnitte
-um Fleischschnitte sich krümmte, und jede, die gar war, streifte sie
-herunter und legte sie dem Trapper vor. Als er ihr sagte, sie solle
-auch essen, sah sie ihn groß an und bediente ihn weiter.
-
-Erst, als er gesättigt war, und sie ihm die Pfeife gestopft und einen
-glühenden Zweig gereicht hatte, kauerte sie sich mit dem Gesichte
-gegen die dunkle Ecke des Blockhauses, aß lautlos den Rest von Braten
-und Brot und trank ohne einen Laut eine Tasse Tee durch das Stückchen
-Kandis, das sie zwischen den Lippen hielt.
-
-Anderthalb Jahre war sie die Gefährtin des einsamen Mannes mit der
-verregneten Vergangenheit und der ausgewinterten Zukunft gewesen; wie
-sein Schatten war sie.
-
-Wenn die schwarzen Gedanken um seine Stirne flogen und er auf den
-Hirschdecken lag und rauchend vor sich hinbrütete, dann kauerte sie bei
-ihrer Näharbeit und sah durch ihre langen Augenwimpern mitleidig auf
-ihn; flog aber das schwarze Geflügel von dannen, pfiff er ein Lied und
-nahm das Schnitzmesser her, und sah er sie dann an, dann färbten sich
-ihre Backen rot und ihre Augen waren voll von demutsvoller Zärtlichkeit.
-
-Wenn er sie auf seine Knie zog, dann bebte sie, und wenn er morgens
-erwachte und sich den Nachtschlaf fortgähnte, dann stand sie schon
-neben dem Block, auf dem die Waschbütte mit dem stubenwarmen Wasser
-stand, hatte den aufgetrennten Brotsack in der Hand, der ihm als
-Handtuch diente, und auf dem Feuer kochte die Wildsuppe. Wenn er ihr
-dann lächelnd zunickte und sie heranwinkte, dann glühte ihr Gesicht und
-der Kuß, der seine Stirne streifte, war wie der Hauch des Südwindes,
-der im Mai über das blumige Ufer kam.
-
-»Margerit, meine kleine Margerit!« dachte er und sah auf die
-Ofenplatte, in der das springende Pferd schwarz auf glührotem Grunde
-stand. »Ich war dein Glück und du bist mein Trost gewesen.«
-
-Eines Tages im Mai, als der Waldboden bunt wurde, war ein Handelsjude
-mit seinem Planwagen angefahren gekommen und hatte allerlei Tand
-feilgeboten; Lüder hatte Stoff zu zwei Kleidern für das Mädchen
-gekauft, blitzende Ohrringe und eine funkelnde Brosche, bunte
-Glasperlenschnüre für ihr Haar und allerlei Schürzen und Tücher, eines
-immer greller als das andere.
-
-Margerit hatte durcheinander gelacht und geweint und ihm die Hände
-küssen wollen, wie man es sie als Kind in der Schule gelehrt hatte. Er
-aber hatte sich aus dem Kasten des Händlers noch zwei silberne Ringe
-herausgesucht, an denen keine Steine waren, einen weiten und einen
-engen, und war mit ihr und Quivive nach dem Lager gegangen, wo, wie der
-Jude erzählt hatte, ein Wanderprediger das bißchen Halbchristentum der
-indianischen Holzfäller auffrischte.
-
-Margerit hatte erst gar nicht begriffen, was es heißen sollte, daß sie
-in dem kleinen Zelte vor dem Mann mit dem schwarzen Rocke und den hohen
-Stiefeln neben Lüder hinknien sollte, aber als der fremde Mann sie
-fragte, ob sie des Trappers Lüder Volkmann christliches Eheweib werden
-wollte, da hatte sie ein Gesicht gemacht, als spräche die Stimme des
-großen Geistes zu ihr und hatte am ganzen Leibe gezittert, als sie den
-Ring an den Finger bekam.
-
-Als ihre Brüder und die anderen Holzfäller, die Lüder zu einem
-Festmahle geladen hatte, sie mit einem »Vive 'sjö, vive m'dame«
-begrüßten, ein altes indianisches Hochzeitslied herausgurgelten und
-weiße Waldblumen vor ihre Füße warfen, hatte sie die Augen nicht
-aufgeschlagen und geweint, daß ihr die Tränen über das Gesicht liefen,
-bis Lüder sie oben an den Tisch führte, wo für sie und den Prediger ein
-weißes Tischtuch aufgelegt war; da endlich hatte sie aufgesehen und
-ihre rechte Hand neben seine gelegt, mit der linken Hand über beide
-Ringe gestrichen und ihren Kopf auf einen Augenblick an seine Schulter
-gelegt.
-
-Da hatte plötzlich auch Lebleu dagestanden, zitternd vor Erregung,
-Lüder die Hand gegeben, sich unten an den Tisch gesetzt und so gern
-er sich auch sonst voll und toll trank, keinen Schnaps angerührt, ehe
-Lüder und Margerit aufbrachen; dann aber hatte er sich so voll gesogen,
-daß er drei Tage schlief.
-
-Ein und ein halbes Jahr war Margerit Lüders Frau gewesen; in der
-ganzen Zeit hatte sie ihm nicht ein einziges Mal eine Minute Verdruß
-bereitet, keinmal hatte er sich ihrer zu schämen brauchen, trotzdem sie
-die Tochter eines trunksüchtigen Fallenstellers war und ihre Brüder
-arme Holzarbeiter waren, denn das Stammeshäuptlingsblut, das sie von
-ihrer Mutter her hatte, war stark in ihr geblieben, und seitdem sie des
-deutschen Mannes Ehefrau geworden war, zeigte sie vor der Welt eine
-Würde, als hätte sie nie Waldbeeren in den Lagern feilgeboten.
-
-Eines Tages war ein ganzer Trupp englischer Lachsangler vor dem
-Blockhause erschienen, die Herren in karrierten Anzügen und ihre Damen
-mit seidenen Schleiern an den Panamas, um sich den deutschen Trapper
-anzusehen, der mit einem indianischen Weibe verheiratet war. Margerit
-hatte sie mit Tee, Gebäck und Honig bewirtet und mit so liebenswürdigem
-Hochmute darüber hinweggesehen, daß die Engländerinnen mit Lüder, der
-frisch rasiert war und eine reine Bluse anhatte, recht unverschämt
-liebäugelten, sehr zum Ärger der Männer, daß Volkmann sich das Lachen
-kaum verbeißen konnte.
-
-Die Engländer hatten ihn und sie eingeladen, sie in ihrem Zeltlager am
-Flußeinlaufe der Seebucht zu besuchen, doch hatte er abgelehnt, worüber
-Margerit sehr froh war.
-
-Eine Lungenentzündung hatte sie ihm genommen, sie und das Kind, das sie
-erwartete.
-
-Er hatte so manches Mal, wenn er die Sohlen durch den Staub der
-Landstraße schleppte, gedacht, daß das das beste für sie beide war,
-nun aber war er anderer Meinung.
-
-Sie, die Frau, die in ihm alles sah, was es auf der Welt für sie
-gab, die nichts wollte, als daß es ihm schmeckte und er sie dafür
-anlächelte, die im Blockhause seine demütige Magd war, die erst aß,
-wenn er satt war, sie war das Weib für ihn, den verlorenen Mann.
-
-Das Mädchen mit dem goldenen Haare und der Stimme, wie Rotkehlchensang
-im frühtaufrischen Walde, deren rotes Blut unter seinem Messer auf
-ihren weißen Fuß geperlt war, was war sie ihm anders, denn ein heller
-Traum in dunkler Nacht, der vor dem scharfen Tageslichte dahinschwand,
-wie der Tau auf der Flur.
-
-Schwarze Fittiche schlugen gegen seine Stirne, und laut quarrten die
-Winterkrähen.
-
-
-
-
-Die Meise.
-
-
-Es war wie ein Gewitterregen nach dürren Wochen für den Bauern, als
-Ende Januar eines Vormittags Freimut auf dem Hilgenhofe auftauchte,
-zwei große Koffer abladen ließ und lostrompetete:
-
-»Sintemalen und alldieweil Aurelie Grimpe geborene Sziembowska,
-geschiedene Juckenack und entlaufene Grimpe durch Abwesenheit glänzt,
-ist ja für mich wohl auf vierzehn Tage Platz. Jetzt ist die Zeit, wo
-die Betze rennt, jetzt wird auf den Fuchs gepirscht und die wilde Aante
-beschlichen. Mann, ich bringe den Vorfrühling mit. Hört, kaum bin ich
-da, so singt die Speckmeise schon im saueren Appelbaum!
-
-Und Mehls ist auf der Strecke. Ha la lit! Da ligget dat Schinneaas
-in'n Graben! Zwei und ein halbes Jährchen wegen qualifizierter
-Qualifiziertheiten in idealer Konkurrenz mit höherer Gemeinerei.
-
-Was gibt es zu Mittag? Weiße Bohnen mit 'nen Schinkenknochen mit was
-daran? Gestern habe ich mich durch acht Gänge durchgehungert und mein
-Trost waren meine Nachbarinnen, die aufgebrochen jede ihre zwei Zentner
-wogen.«
-
-Er legte Volkmann die Hände auf die Schultern, sah ihn an, schüttelte
-den Kopf und sprach: »Stark abgekommen seit dem Spätherbst! Zu
-eintönige Äsung! Zu regelmäßig gelebt! Ist keine Sache für unsereins,
-nur für das Stallvieh, die Philister; wir kriegen die Mauke, geht es
-uns andauernd gut.
-
-Schönewolf läßt grüßen; elende Jagd im Pharaonenlande: Schakale nennen
-sie's, räudige Dorffixe sind es; Nilkrokodile gibt es bloß im Berliner
-Zoologischen Garten lebendig, da unten nur als Mumjen. Hyänen nur im
-Kellnerfrack; alles Schwindel bis auf das, was Cheops und seine blassen
-Nachkommen mimten.
-
-Aber, Mann, Ihr gefallt mir mies; seht ebenso bleich- wie süchtig aus.
-Ja, man soll heiraten; ich tät's auch gern, bin bloß noch zu rüstig.
-Und dann, wer weiß, ob nicht das dicke Ende nachgehinkt kommt. Meine
-liebe Frau Mutter sagt immer: ›Jochimchen, sieh doch bloß zu, daß du
-von der Straße kommst!‹ Ist nicht so einfach, wie es aussieht; ist man
-erst aus dem Schneider, dann sieht man nicht bloß auf die Hübschigkeit.
-Und dann hab' ich so viel zu tun! Weiß der Deuwel, warum die Menschen
-sich nicht vertragen können, daß ich gar keine Zeit habe, mich zu
-verschießen. Hurra, da kommt die Suppe; Mutter, meinen großen Löffel!«
-
-So redete er, indem er Aurelies Dönze mit dem Inhalte seiner Koffer
-verschönte. »Dieses hier wollen wir alles austrinken«, sagte er und
-zeigte auf eine stattliche Reihe blankhäuptiger Flaschen, »und hiervon
-nehme ich nichts wieder mit,« und er wies auf die Zigarrenkisten und
-Konservenbüchsen.
-
-»Und mein Jagdzeug bleibt alles hier; was noch bei Vatter Nordhoff ist,
-das bringen wir heute abend mit. Mann, so tut doch endlich einmal das
-Geäse auf! Sagt nichts und grient, wie ein Honigkuchenpferd! Jawollja,
-Frau Lembke, wir sind da!«
-
-Er setzte sich an den Tisch, schlug eine Klinge wie ein Drescher und
-stöhnte, als er aufhörte, indem er seinen Barbarossabart strich: »Ein
-Segen, daß ich hier nicht immer esse, Frau Lembke, ich paßte sonst in
-keinen Sarg mehr,« und er schlug sie zwischen die Blätter, daß alles an
-ihr wabbelte und Jochen Lembke ein Gesicht machte, wie ein Hund vor der
-Terpentinflasche.
-
-Aber als Volkmann sagte: »Wir wollen nach dem Kronsbruche, denn da
-stecken seit drei Wochen Sauen,« da juchzte der Anwalt los, daß Hund
-und Katz machten, daß sie aus dem Hause kamen, und im Handumdrehen
-hatte er das weiße Zeug übergezogen und storchte los.
-
-Am dritten Tage schoß er einen überlaufenden Frischling und vier
-Tage hinterher eine grobe Sau, zwischendurch ein Dutzend Enten, eine
-Wildgans und drei Füchse, und da er die schlimmsten Prozesse hinter
-sich hatte und mit einem jungen Anwalt zusammenarbeitete, so blieb er
-drei Wochen, ließ den Bauern keine Stunde aus den Fingern und als er
-abfuhr, rief er:
-
-»So, nun seht Ihr doch wieder wie ein deutscher Mann und nicht wie eine
-anämische höhere Tochter aus, und wenn ich zur Balz und zur Murke
-wiederkomme, wünsche ich keinen Rückfall zu erleben, ansonsten ich Euch
-alle Verzierungen abdrehe.«
-
-Seine Kur hatte angeschlagen, oder die längeren Tage hatten schuld, daß
-Lüder das Krächzen der Winterkrähen nicht mehr hörte; jeden Tag schlug
-die Speckmeise im Garten, die Stare schickten ihre Vorboten, an der
-Südwand des Hauses hatte der Haselbusch geflaggt und an der Beeke die
-Eller; es wehte eine andere Luft über dem Bauern, und wenn über seine
-helle Laune auch einmal dunkles Gewölk zog und Schlackerschnee auf
-seine Saaten fiel, im ganzen war er gut zuwege und lag nicht mehr halbe
-Tage da, rauchte und sah auf die Ofenplatte.
-
-Er arbeitete sich in die höhere Tierwelt wieder hinein und schrieb
-sich aus dem Gedächtnisse alles Getier auf, das er über Sommer bei
-Wege angetroffen hatte; als der März kam, der Wald lebendig und die
-Büsche laut wurden, da hatte er genug anzumerken, so daß er, als die
-Feldbestellung wieder anfing und er bei Garberding mithalf, was es nur
-gab, einen zolldicken Stoß Papier mit Beobachtungen gefüllt hatte.
-
-Kam er müde nach Hause, so trug er auf lose Zettel ein, was er hier und
-da gesehen und aus alten Leuten herausgefragt hatte über Vögel, die
-seitdem verschwunden oder selten geworden waren.
-
-So war er nie müßig und eines Tages waren die Winterkrähen nicht nur
-von der Straße, sondern auch aus seiner Erinnerung verschwunden. Es
-machte ihm Freude, daß die Pflugschar ihm immer mehr zu willen wurde,
-er streute den Kunstdünger fast so ebenmäßig wie Suput, der ihm oftmals
-sagte: »Noch ein Jahr, dann kann ich dir nichts mehr lernen.«
-
-Um diese Zeit reiste ein Berliner in der Gegend umher, der großartig
-auftrat und so viel Bier und Wein ausgab, als jeder trinken wollte; er
-hieß Ludwig Neumann und war Bohrunternehmer.
-
-Von Hause aus war er Ingenieur, hatte Glück im Kauf und Verkauf von
-Kuxen gehabt und eine Gesellschaft zusammengebracht, die Öl und Kali in
-der Haide suchte.
-
-Aus allerlei Anzeichen hatte er geschlossen, daß bei Reethagen
-Aussichten vorhanden wären, daß man fündig würde; so steckte er sich
-hinter einzelne Leute und die bearbeiteten andere und die wieder
-noch welche, so daß er fast von zwei Dritteln der Gemeindemitglieder
-Vorverträge in den Händen hatte.
-
-Er kam auch auf den Hilgenhof, trat sehr bescheiden auf, versprach
-goldene Berge, richtete aber vorläufig bei dem Bauern nichts aus, weil
-der den Vorvertrag nicht unterschrieb. Volkmann ging vielmehr sofort zu
-dem Vorsteher, bei dem der Berliner noch nicht gewesen war, weil ihm
-gesagt wurde, das wäre ein ganz altmodischer Mann und nicht anders für
-das Unternehmen zu haben, als wenn ihm das Feuer von drei Seiten käme.
-
-»Hm,« brummte Garberding, »soll die Schweinerei hier auch losgehen?
-Wenn hier erst Bohrtürme stehen, dann haben wir das Leit aus der Hand
-gegeben. Zu leben haben wir alle, und die nichts haben, die stehen sich
-dann noch schlechter, dieweil das Werk doch bloß lauter Pollacken,
-Krabatten und anderes Tatternvolk heranzieht.«
-
-Als der Unternehmer abgereist war, berief der Vorsteher eine allgemeine
-Gemeindeversammlung, zu der jeder seinen Vorvertrag mitbrachte, und
-da stellte es sich heraus, daß die Verträge sehr verschieden waren,
-je nachdem das Land lag und auch insofern, als Neumann mit einem
-hellen Manne oder mit einem zu tun hatte, der sich in die Sache nicht
-hineinfinden konnte.
-
-Das ärgerte diejenigen, die dabei nicht so gut gefahren waren, ganz
-gewaltig; als der Berliner nun wieder ankam, merkte er bald, daß jetzt
-der Wind von Mitternacht wehte.
-
-Nun hatte er den Krüger Fürbotter in Schedensen, dem ein kleines
-Anwesen in Reethagen gehörte, ganz auf seiner Seite, zum ersten, weil
-er dort viel verzehrte und oft über Nacht blieb, dann aber auch, weil
-der Krüger sich für seine Wirtschaft viel Gewinn aus dem Unternehmen
-versprach.
-
-Dieser Mann hatte es ihm hinterbracht, daß der Hilgenbauer es war,
-der es herausbekommen hatte, daß die Verträge so ungleich waren.
-Deshalb hing sich Neumann nun an Volkmann und suchte ihn zu sich
-herüberzuholen; als er damit kein Glück hatte, ging er daran, ihm die
-Wurzeln abzugraben.
-
-Er wohnte nämlich in Hannover, wo er sein Hauptquartier hatte, bei
-Aurelie Grimpe, die sich mit Abvermieten durchschlug, und die hatte ihm
-über die Leute in Reethagen manchen nützlichen Wink gegeben und auch
-über den Hilgenbauer, dessen Vorleben sie mittlerweile in Erfahrung
-gebracht hatte.
-
-Volkmann merkte nach und nach, daß ihn einzelne, dann immer mehr Leute
-von der Seite ansahen, glaubte aber, da er seine Anforstungen im Kopfe
-hatte, das seien nur die Bauern, die wegen des Bohrvertrages anderer
-Meinung waren als der Vorsteher und er; so gab er darauf nichts.
-
-Mit der Zeit wurde es aber doch auffällig, und schließlich rückte
-Nordhoff damit heraus, was im Dorfe erzählt würde.
-
-Der Hilgenbauer war von dem Tage an, da er das Erbe antrat, darauf
-gefaßt gewesen, daß sein Unglück sich wieder zu ihm hinfinden werde,
-aber es biß ihm doch in das Herz, daß Leute, denen er vielfach gefällig
-gewesen, ihm aus dem Wege gingen oder die Zähne nicht auseinander
-bekamen, wenn sie an ihm vorbeigingen.
-
-Sogar Suput und seine Frau waren anders als vordem, denn als er sich
-dazu erbot, dem Häusling wieder Arbeit abzunehmen, wußte der immer
-einen Ausweg zu finden.
-
-Lüder hatte es im Sinne behalten, daß er sich an den Vorsteher wenden
-sollte, wenn es soweit kam, aber den wollte er darum nicht angehen,
-weil es Garberding nicht gut ging, indem er eine schwere Erkältung
-nicht loswerden konnte.
-
-So tat er, als sei ihm alles gleich, ging an jedem, der nicht so war
-wie früher, ohne Gruß vorbei, plaggte Haide ab, warf im Bruche Gräben
-aus und sagte sich, daß die Leute schon zu Vernunft kommen würden,
-zumal mehrere unter ihnen waren, die auch kein reines Hemd anhatten.
-
-Um diese Zeit kam Lembke ihm etliche Male von hintenherum mit einer
-Verlängerung der Pacht, doch schlug der Bauer darauf nicht zu, und
-nun hängte erst Lembke und dann andere Besitzer den Jagdpächtern
-Wildschadenklagen an den Hals, und was früher keinmal vorgekommen
-war, Jagdstörungen und Vergrämen des Wildes, das begab sich von da ab
-fortwährend.
-
-Da aber die Jagd groß genug war, so ließen sich die Pächter in der
-abgelegensten Ecke eine Jagdbude bauen. Eines Tages brannte sie ab und
-acht Morgen Haide und Fuhren mit ihr, und obzwar es augenscheinlich
-war, daß böswillige Brandstiftung vorlag, setzte Fürbotter es doch
-durch, daß die Gemeinde Schedensen, zu der das ausgebrannte Stück
-Haidland gehörte, gegen Schönewolf und Freimut auf Schadenersatz
-klagte, wobei allerdings nichts anderes herauskam, als daß die
-Gemeindekasse ein gutes Stück Geld dabei zusetzte.
-
-Da nun der Baumeister und der Rechtsanwalt, so überlegte Fürbotter,
-durch ihren Verkehr mit Volkmann diesem immer noch bei vielen Leuten
-von Nutzen waren, so mußte ihnen die Jagd auf andere Weise verekelt
-werden.
-
-Im Kruge zu Schedensen, der an der Landstraße lag, kehrte allerlei Volk
-ein und da der Berliner gesagt hatte: »Der Kerl muß von dem Hilgenberg
-herunter, und wenn es tausend Mark kostet,« so stand bald kein Hochsitz
-mehr, alle guten Wechsel waren verstänkert, alle Dickungen lagen voll
-von Zeitungspapier, und schließlich verlangte erst Schedensen, dann
-Breeden und schließlich auch Reethagen, da Garberding in Andreasberg
-war, weil seine Lunge nicht so wollte, wie sie sollte, und die
-Kalipartei auf diese Art die Hand am Henkel hatte, die Jagdpächter
-sollten den Wildstand auf ein Zehntel verringern, widrigenfalls sie
-nicht darauf rechnen könnten, daß sie die Jagden wieder bekämen.
-
-Volkmann tat es in der Seele weh, daß die beiden Männer seinetwegen
-soviel Mißgunst ausstehen mußten, und er erklärte eines Abends, er
-wolle wieder in die Welt.
-
-Aber da ging Freimut in die Luft: »Das fehlte noch gerade! Nun erst
-recht nicht! Und wenn ich die Büchse für immer an den Nagel hängen
-soll; so bin ich nun doch nicht gebaut, daß ich vor dieser Berliner
-Quadratschnauze und diesem Pottekel von Fürbotter über den Zaun gehe.
-
-Ihr habt mir ja einmal erzählt, wie Euer Freund Lebleu es mit den
-Stinktieren machte. Skunk gut, wenn Mann zu Skunk gut. So sagte er,
-ging hin, verrammelte den Bau mit Schnee, goß warmes Wasser darauf und
-ließ es überfrieren, und am anderen Tage fiel es keinem Skunk mehr ein,
-sich übel zu benehmen; tot waren sie alle. Stinktiere muß man sachte
-behandeln, damit sie erst gar nicht dazu kommen, sich penetrant zu
-benehmen.
-
-Laßt mich nur machen. Wenn Euch in der nächsten Woche ein kleiner
-Mann, der einen roten Bart und ein Schmetterlingsnetz hat, über die
-Kleewiese läuft, so schnauzt ihn vor allen Leuten so grob wie möglich
-an, denn das ist unser Bureauvorsteher, Herr Meisel, der früher
-Kriminalschutzmannsanwärter war, aber hinausflog, weil er einmal in
-Gedanken eine seltene Motte fing, unterdessen ihm ein ganz gemeiner
-Taschendieb unter dem Hute fortflog. Er sollte sowieso Urlaub haben;
-nun kann er das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden.«
-
-Der Plan war nicht schlecht; Meisel kam, lief Volkmann durch die
-Kleewiese; wurde angeschnauzt, rannte nach Schedensen zu Fürbotter, bei
-dem er wohnte, schimpfte Mord und Brand über den groben Kerl auf dem
-Hilgenberge, machte die Bekanntschaft von Neumann und Lembke und von
-jedem, der auf Volkmann nicht gut zu sprechen war, gab fleißig Runden
-aus, schwatzte so viel Unsinn, daß ihn Fürbotters Gäste für dümmer
-als eine Kuh hielten und sich vor ihm kein bißchen in acht nahmen,
-steckte der Magd ab und zu einen Groschen in die Hand und reiste mit
-dem Versprechen, bald von sich hören zu lassen, ab.
-
-Acht Tage später fuhr Freimut bei Fürbotter vor, ging in das
-Vereinszimmer, bestellte sich Rehbraten und Rotwein, aß und trank und
-bat den Wirt, mitzuhalten, und dann sagte er ihm: »Herr Meisel ist mein
-Bureauvorsteher; bitte, behalten Sie gehorsamst Platz! und Sie sind ein
-großer Schweinehund. Laufen Sie bitte nicht fort! Ich habe noch mehr in
-der Tüte.
-
-Sie haben veranlaßt, daß gewisse Leute, die Namen habe ich alle im
-Taschenbuche, die Hochsitze abgerissen haben; Sie werden auch wissen,
-wer das Jagdhaus angesteckt hat. Nein? Na, vielleicht hilft der
-Staatsanwalt Ihrem Gedächtnis nach.
-
-Sie haben ferner durch Ihre Leute uns bei Ausübung der Jagd gestört;
-in drei Fällen kann ich den Nachweis führen, macht Summa Summarum
-hundertachtzig Mark. Sie haben gesagt, ich sei ein Säufer, und
-Garberding halte es mit seiner Magd, und haben von dem Baumeister
-erzählt, er habe übergejagt, und außerdem haben Sie seit Jahren
-gewilderte Rehe gekauft, und das ist Hehlerei und darauf steht
-Zuchthaus!
-
-Und wenn Sie nun nicht herumgehen und alles wieder in die Reihe
-bringen, erstens die Rederei über Volkmann und das mit der Jagd, dann
-ziehen Sie bitte gleich fünf Groschen mehr ab, damit Sie sich einen
-Strick kaufen können, denn so wahr ich Joachim Freimut heiße und in
-Kolberg an der Persante geboren bin, ich werde dafür sorgen, daß Sie
-auf einige Jahre auf Staatskosten in Celle verpflegt werden.
-
-So, und nun bringen Sie mir ein Glas Bier mit, aber ein großes, denn
-nach solcher schönen Rede wird man durstig. Der Wein war übrigens gut
-und der Rehbraten auch; ich glaube, das kommt daher, weil er in meiner
-Jagd gewachsen ist.«
-
-Genau so wie bei Fürbotter, ging Freimut mit Lembke und noch einigen
-anderen Leuten um; nach einigen Tagen wehte der Wind anders in den drei
-Dörfern.
-
-Als der Anwalt abfuhr, trank er bei Fürbotter ein Glas Bier, gab ihm
-die Hand und sagte: »Halten Sie sich munter; auf Wiedersehen!«
-
-
-
-
-Der Markwart.
-
-
-Nachdem die Kalipartei es wieder für angemessen hielt, dem Hilgenbauern
-Gruß und Handschlag zu bieten, tat dieser, als wäre nichts vorgefallen,
-hielt sich aber von diesen Leuten zurück, soweit es eben ging.
-
-Zu Herzen hatte er sich nur das Benehmen des Ehepaares Suput genommen,
-und wenn der Häusling auch versuchte, wieder an ihn heranzukommen,
-Volkmann ließ ihn höchstens über die Halbtüre reden.
-
-Das war für Suput besonders ärgerlich, weil Lüder für die nächste Zeit
-Herr über ihn war. Der ging alle paar Tage bei Frau Garberding vor,
-teils um zu fragen, wie es dem Vorsteher gehe, anderseits, weil er sich
-gern mit ihr etwas erzählte, denn sie war wie eine Mutter zu ihm.
-
-Als er ihr klagte, daß er manchmal nicht genug zu tun hätte, weil
-Lembke ihn aus guten Gründen nicht an die Arbeit heranließ, meinte sie
-mehr aus Scherz denn im Ernst: »Ja, mein Jung', dann kannst du ja hier
-so lange den Bauern spielen, bis Garberding wieder da ist; mir wird
-das zuviel, wo ich so schlecht auf den Füßen bin, und es geht allerlei
-verkehrt, wenn man nicht überall selbst dabei ist.«
-
-Er schlug sofort ein, ließ noch am selben Tage seine und Ramakers
-Sachen holen, denn Frau Garberding räumte ihm die Gastdönze ein und
-stellte den Knecht für den Sommer an, weil sehr viel zu tun war. Nun
-gab es eine fröhliche Zeit für ihn. Er stand als erster auf dem Hofe
-auf, sah überall nach dem Rechten, verteilte die Arbeit, faßte mit an,
-wo es nötig war, und lernte in dieser Zeit mehr als bisher.
-
-Suput ging mit scheuen Augen an ihm vorbei und machte sich wegen seiner
-Schlechtigkeit allerhand Vorwürfe.
-
-Die Erntezeit war für den Hilgenbauer ein Fest; er war von früh bis
-spät im Gange, arbeitete wie im Stundenlohn, aber je mehr er schanzte,
-um so heller wurden seine Augen, um so leichter sein Gang.
-
-Ramaker sah ihm oft bewundernd nach und sagte zu Suput: »Es ist
-gerade, als wenn das, was anderen Leuten die Knochen krumm macht, ihn
-aufrichtet.« Suput nickte nur, denn vor Ramaker hatte er Angst.
-
-In der Zeit, als über den Hilgenbauer im Kruge einmal dreckig geredet
-wurde, hatte Ramaker ihm auf dem Heimwege gesagt: »Du bist auch so'n
-Ducknackscher; die halbe Arbeit hat er für dich getan, und jetzt
-sitzest du da und sagst nichts dagegen, was die andern reden. Mit dem
-Munde bist du ja mehr als fromm, aber das macht es nicht allein. Und
-für solche Leute bedanke ich mich schönstens.«
-
-Aber nicht allein die Arbeit machte den Hilgenbauer frisch und
-fröhlich, sondern zumeist der Umstand, daß er sich zu einer Frau
-aussprechen konnte, der er zugetan war.
-
-So lächerlich die riesige Frau mit dem gewaltigen Leibe und dem
-winzigen Haarknoten auch auf den ersten Blick wirkte, zumal, wenn sie
-mit ihrer dünnen Kinderstimme anfing zu sprechen, sie hatte ein Herz
-von Gold und Verstand für dreie.
-
-Nichts machte ihr mehr Vergnügen, als aufzutischen; ihre größte Freude
-war, wenn sie irgendwo helfen konnte, und bei jedem Wochenbette und in
-jedem Krankenzimmer war sie anzutreffen.
-
-Mut hatte sie wie ein Mann. Damals, als das Gerede über Volkmann im
-Kirchspiele umging, hatten nach der Kirche in der Wirtschaft mehrere
-Bauernfrauen auf ihre Männer gewartet, die wegen des Moorkanals noch
-eine Besprechung hatten, und da war es über Volkmann hergegangen.
-
-Mit einem Male hatte Frau Garberding gesagt: »Es war bislang hier nicht
-Landesbrauch, gleich nach der Kirche seinem Nächsten gegen den Rock zu
-spucken. Und was den Hilgenbauer anbetrifft: hätte der Herr mir Kinder
-beschert und es wäre eine mannbare Deern dabei, und der Hilgenbauer
-würde sie zur Frau verlangen, Garberding und ich würden mit Freuden
-unser Jawort dazugeben.
-
-Ich weiß ganz genau, was es mit ihm für ein Bewenden gehabt hat, aber
-deswegen freue ich mich doch jedes einzige Mal, wenn er bei uns kommt.«
-Als man in sie drang, sie solle erzählen, was sie wisse, sagte sie:
-»Das tu' ich nicht; deswegen hat Garberding mich das nicht wissen
-lassen.«
-
-Da Volkmann irgendeine Entschädigung für seine Hilfe ablehnen würde,
-wie sie annahm, strickte sie ihm Strümpfe, ließ ihm Hemden und
-Unterzeug machen, woran es ihm fehlte, und er nahm das dankend an, denn
-es war ihm, als käme es von seiner Mutter.
-
-Wenn sie beide allein waren, erzählte er ihr von seinem Leben in den
-kanadischen Wäldern und sie weinte still vor sich hin, als sie die
-Geschichte von der kleinen Margerit vernahm.
-
-Als dann eines Abends Lüder ihr sein Herz ganz ausschüttete und ihr
-haarklein erzählte, warum er keinen heilen Namen mehr habe, wuchs er
-ihr vollends in das Herz, und ihr war, als wenn es ihr eigener Sohn
-wäre.
-
-Da er in Kleidung und Gebaren ganz zum Bauern geworden war, sah sie
-sich im Kirchspiele nach einer Frau für ihn um und ließ sich bald auf
-diesen, bald auf jenen Hof fahren, setzte es durch, daß Lüder sie dabei
-begleitete und freute sich, wenn sie bemerkte, daß manches wohlhabende
-Bauernmädchen auf ihn mit Wohlgefallen sah.
-
-Als sie aber einmal ganz von weitem die Rede darauf brachte, daß es
-an der Zeit wäre, daß er sich eine Frau nähme, und er nicht darauf
-zuschlug, nahm sie vorläufig davon Abstand.
-
-Zu Jakobi hörte Volkmanns Pachtzeit auf, und nun zogen Volkmann und
-Ramaker wieder auf den Hilgenhof; anfangs führte eine Witfrau mit ihrer
-fünfzehnjährigen Tochter ihm den Haushalt.
-
-Im Januar kam Ramaker nach langem Drucksen damit zutage, daß er ein
-Mädchen an der Hand habe, eine Kätnertochter aus Breeden, und wenn der
-Bauer nichts dawider habe und ihn dann noch behalten wollte, so möchten
-sie wohl bald heiraten.
-
-Lüder paßte das sehr gut, besonders, als er das Mädchen kennengelernt
-hatte, denn Frau Könnecke war mürrischer Art und nicht gewöhnt, abseits
-vom Dorfe zu leben.
-
-So richtete denn Volkmann das Häuslingshaus her, in dem bislang die
-alten Lembkes gewohnt hatten, Frau Garberding steuerte aus ihrem
-Wäscheschrank Ramaker aus, und Ende Februar konnte gefreit werden.
-
-Die junge Frau war freundlich und fleißig und nahm es mit Freuden
-an, daß sie das Wohnhaus mit in Ordnung hielt und dort gleich für
-alle kochte und der Einfachheit wegen aßen die drei Leute da meist
-miteinander. Auch abends blieben sie oft zusammen, falls Volkmann nicht
-Frau Garberding besuchte, und er las dann seinen Leuten aus irgendeinem
-guten Buche vor, bis es Schlafenszeit war.
-
-So verging der Winter in Ruhe und Frieden und der Bauer hörte keinmal
-mehr das Fuchteln der schwarzen Flügel vor seiner Stirn, zumal er in
-seiner freien Zeit an einer naturwissenschaftlichen Arbeit schrieb und
-nebenher die Geschichte der alten Bauerngeschlechter von Reethagen,
-Breeden und Schedensen zusammensuchte.
-
-An einem schönen Sonntag vormittag im April saß der Bauer mit einem
-Buche in der Hainbuchenlaube und sah dem Eichelhäher zu, der zwischen
-dem Holze und dem Grasgarten hin und her flog, weil er im Garten
-Hühnerfedern suchte; er hatte den Vogel gern, der im Walde zwar das
-Wild vor dem Jäger warnte, dafür diesem aber auch den Fuchs und den
-Bock meldete und dem die Bauern deshalb den Namen Markwart gegeben
-hatten. Er ergötzte sich an dem bunten Narren, der mit gesträubter
-Holle auf dem Rasen umherhüpfte und sich fortwährend scheu umsah, als
-wären ihm die Federn nicht gegönnt.
-
-Plötzlich duckte er sich, kreischte auf und strich ab. Schritte kamen
-über den Steinweg, die Pforte klinkte auf, und als der Bauer aufsah,
-kam der Vorsteher mit freudigem Gesichte auf ihn zu und streckte ihm
-beide Hände entgegen:
-
-»Du sollst auch vielmals bedankt sein, Lüder,« rief er und schüttelte
-Volkmann die Hände, »für den vielen Beistand, den du mir geleistet
-hast. Das muß ich sagen: es ist alles so in der Reihe, als wenn ich
-selber da war. Suput sagte: »Ja, der, der ist jetzt ein ganzer Bauer.«
-Na, und Suput macht schon allerlei Ansprüche.
-
-Na, und dir geht es gut, das sehe ich, und mir auch, wenn ich auch
-wohl niemals wieder der Kerl von früher werde. Jetzt heißt es Schritt
-fahren, wenn ich über den Berg kommen soll. Mein seliger Vater hat es
-auch an der Lunge gehabt, und hat mit vierzig von uns fort müssen.
-
-So, und wenn du kein besseres Mittag hast, dann möchtest du zu uns
-kommen; ich habe aus Hannover einen ganz gefährlichen Kalbsbraten
-mitgebracht, und Trina sagt, den kriegen wir allein nicht auf.
-
-Hier hast du übrigens auch alles gut im Stande; nun fehlt bloß noch
-eine glatte Frau und denn ist alles richtig.«
-
-Lüder nahm mit Dank an, und dann gingen sie langsam durch die Haide.
-Als sie an dem Graben waren, der die Grenze zwischen der Hilgenhofer
-Haide und der des Vorstehers war, blieb Garberding stehen, sah Volkmann
-an und sagte: »Weißt du, was heute für ein Tag ist? Vor zwei Jahren
-standen wir zum ersten Male hier.«
-
-Als er weiterging, setzte er hinzu: »Du hast mir damals gleich gefallen
-und meiner Trina auch. Junge, wenn die nicht auf die sechzig ginge, ich
-könnte es wahrhaftig mit dem Übelnehmen kriegen: sie redet von nichts
-weiter, als von dir; ich bin jetzt man Handpferd geworden.«
-
-Er sah sich in der Haide um: »Ja, es ist doch man einmal schön hier bei
-uns. Da oben auf dem Harze, ich weiß nicht, schön ist es da ja wohl,
-und auch die Leute können mir ganz gut gefallen, und gesund ist es da
-auch für die Lunge, aber leben möchte ich da nicht. Man stößt mit den
-Augen meist überall gegen die Berge und denn redet mir das Volk auch
-zuviel. Und die Unruhe, die Unruhe! Selbst im Winter ist da alles voll
-von Stadtleuten, die vor Langerweile mit Kinderschlitten die Berge
-herunterrutschen oder sich mit den unklugen Schneeschuhen abmarachen,
-als wenn sie dafür bezahlt werden. Da ist es hier doch besser. Wie
-schön der Post riecht und das Birkenlaub! Der Doktor meinte, ich sollte
-noch dableiben, aber ich sagte ihm: Dann werde ich wieder krank.«
-
-Er blieb wieder stehen und atmete mühsam: »Nun erzähl du; gehen und
-sprechen zusammen kann ich nicht mehr.«
-
-Volkmann teilte ihm alles Wichtige mit, auch über das Kesseltreiben,
-das man gegen ihn veranstaltet hatte, und auf welche Weise Freimut sich
-dabei benommen hatte. Der Vorsteher lachte im Halse; einen Teil hatte
-er von seiner Frau schon vernommen, und er freute sich, daß Volkmann so
-gut dabei abgeschnitten hatte.
-
-Nach dem Mittag ließ Garberding sich den Liegestuhl, den er sich
-mitgebracht hatte, in den Garten stellen und sagte: »Da liegt man nun
-zugedeckt, als wie ein Wiegenkind, und sieht ein Loch in den Himmel.
-So, nun schmök mir was vor; ich habe es mir abgewöhnen müssen; es geht
-auch so.
-
-Jetzt wollen wir einmal die alte Bohrgeschichte besprechen. Der
-Mann, Neumann heißt er ja wohl, läßt nicht locker und hat hier einen
-Vorvertrag geschickt, der für die politische und für die Realgemeinde
-gültig sein soll, damit ich ihn in der Gemeindeversammlung vorlegen
-kann. Ich habe ihn zehnmal und mehr durchgelesen, und ich glaube, so
-ganz uneben ist er gerade nicht. Hier ist er!«
-
-Volkmann las die dreißig Abschnitte des Vertrages durch, fand aber
-bald mehrere Stellen, die für die Gemeinde gefährlich werden konnten,
-und deshalb schlug er vor, die Landwirtschaftskammer in Hannover solle
-über den Vertrag erst ein Gutachten abgeben. Nach acht Tagen kam der
-Vertrag zurück und ein anderer dabei, der auf den von der Kammer
-entworfenen Mustervertrag zugeschnitten war, und mit dem sich die
-Gemeindeversammlung zufrieden erklärte.
-
-Der Berliner machte ein Gesicht, wie der Hund zu dem Zaunigel, als ihm
-gesagt wurde: So oder überhaupt nicht! reiste ab, um den Vorvertrag
-seiner Gesellschaft vorzulegen, und nach vierzehn Tagen fand die
-Versammlung statt, in der die Annahme erfolgen sollte.
-
-Der Wind hatte drei Tage von Morgen geweht, und die Luft war voller
-Staub; das war günstig für Neumann, denn so wurde von Anfang an scharf
-getrunken. Er hatte seine Getreuen schon die Tage vorher aufgesucht und
-die hatten die anderen bearbeitet.
-
-Als der Vorsteher und der Hilgenbauer in den Krug kamen, war der Saal
-blau von Tabaksdampf und viele Köpfe waren rot. Neumann schmiß einen
-kalten Blick nach den beiden Männern, stürzte dann auf sie zu, lächelte
-süß, drückte ihnen die Hände und sprudelte los: »Wir müssen noch ein
-Augenblickchen warten, es sind noch nicht alle da.«
-
-Garberding sah nach der Uhr: »In zehn Minuten fange ich an; auf drei
-Uhr ist angesetzt. Danke,« fuhr er fort, als ihm der Ingenieur ein
-Glas Wein hinstellen wollte, »ich bin um diese Zeit Kaffee gewöhnt und
-Alkohol darf ich überhaupt nicht mehr.«
-
-Auch Volkmann bestellte sich Kaffee, und die großen Bauern riefen einer
-nach dem anderen: »Nordhoff, mir auch,« und sie setzten hinzu: »Es geht
-um Tausende und da ist es besser, man bleibt bei Verstand.« Schließlich
-trank alles Kaffee, und Neumann sah grün im Gesichte aus.
-
-»Bevor ich den Vertrag verlesen lasse, frage ich an, ob jemand vorher
-einen Antrag zu stellen hat?« rief der Vorsteher.
-
-Volkmann stand auf: »Ich beantrage zweimalige Lesung; in der zweiten
-Lesung Einzelabstimmung über jeden Abschnitt.« Der Berliner lächelte
-gezwungen, als der Antrag gegen drei Stimmen durchging.
-
-»Hat noch jemand einen Antrag?«
-
-Wieder stand Volkmann auf. »Ich beantrage, daß die Versammlung
-beschließen möge, daß die Bohrungen nicht in der Feldmark und auf den
-alten Wiesen, sondern nur in der Haide unter dem Dorfe, im Bruche und
-im Moore stattfinden sollen.«
-
-Die Bohrgarde murrte, aber Volkmann fuhr fort: »Ich war letzte Woche in
-Wietze-Steinförde; da sieht es bunt aus; der Bauer hat da gar nichts
-mehr zu sagen; vor dem Wohnhause hat er den Fallmeißel und dahinter
-die Sonde. Ich will gegen den Wert der Bohrungen im allgemeinen nichts
-sagen, aber Segen bringen sie uns nicht. Zu leben hat jeder von uns
-hier, und Geld, das einem so zufällt und nicht erworben wird, das
-bleibt nicht.
-
-Wo ist der Ölheimer geblieben? Vor die Hunde ist er gegangen mitsamt
-seinem Gelde. Was ist aus der Familie Janke geworden? Der Alte ist über
-dem vielen Gelde verrückt geworden, und der Junge hat sich scheiden
-lassen von seiner Frau und lebt mit so einem Weibsstück.
-
-Ihr sollt sehen, steht hier erst alles voller Bohrtürme, dann müßt ihr
-tanzen, wie die Gesellschaft flötjet!
-
-Und ob eure Frauen und Töchter dann noch alleine über die Landstraße
-gehen können, das ist sehr die Frage. Es ist jetzt schon schlimm genug
-in der Haide; Messerstechereien sind jetzt an der Tagesordnung, und
-Raubanfälle und Einbrüche auch.
-
-Hier,« er holte eine Zeitung heraus und ließ sie rund gehen, »das
-ist der dritte Lustmord in zwei Jahren bei uns! Früher wußte man von
-solchen Greueltaten hier nichts; aber seitdem Pollacken und Kroaten
-und Italiener hier herumlaufen, ist kein Frauensmensch seines Lebens
-mehr sicher.
-
-Und deswegen haben der Vorsteher und ich es uns vorgenommen: Wir beide
-schließen nicht ab.«
-
-Ehe er sich noch gesetzt hatte, sprang Neumann auf und wollte
-lospoltern, doch der Vorsteher winkte ab: »Herr Neumann, Ihre Ansicht
-kommt hier nicht in Frage. Wir wollen jetzt die Abschnitte verlesen.
-Ihr seid es wohl zufrieden, daß Volkmann das tut; mir ist das viele
-Reden nicht gut.«
-
-Neumann biß sich auf die Lippen; er hatte geglaubt, daß man ihm das
-Vorlesen überlassen werde. Die Abschnitte eins, zwei und drei waren
-verlesen, als Volkmann aber den vierten verlesen hatte, bat er um
-das Wort: »In dem Vorvertrage steht, daß jeder Besitzer für jeden
-angebrochenen Morgen entschädigt wird; hier aber ist zu lesen: für
-jeden Morgen.«
-
-Neumann wurde blaß, denn die Bauern stießen sich an und sahen kalt
-zu ihm hin. Volkmann fuhr fort: »Der Unterschied ist sehr wichtig,
-denn nach der neuen Schreibart sind wir die Dummen, indem wir, wenn
-ein Bohrloch oder sonst etwas nicht so viel Platz einnimmt, daß es
-einen Morgen ausmacht, wir keinen blanken Pfennig bekommen. Und solche
-Sachen stehen mehr in dem neuen Vertrage, trotzdem Herr Neumann sagte,
-seine Gesellschaft habe nur hier und da die Schreibweise ein bißchen
-verfeinert.
-
-Kurz und gut: wir sollen hier über den Löffel balbiert werden, denn wir
-sind ja man bloß dumme Haidbauern und das da in Berlin sind vornehme
-Herren. Sehr vornehme Herren sind es, denn sie wollen ja nur unser
-Bestes, nämlich unser Geld.«
-
-Ein Hohngelächter schallte durch den Saal und sogar Nordhoff meckerte
-laut los.
-
-»Ist richtig!« »So ist es!« »Das ist die Wahrheit!« »Schwindel!«
-»Betrügerei!« so schrie es, und selbst die Neumannsche Leibwache
-stimmte mit in das Hohngelächter und das Entrüstungsgepolter ein.
-
-Der Berliner, der vor Aufregung zu hastig getrunken hatte, sprang auf
-und kreischte: »Ist das eine Art und Weise von 'ner Sache! Einen hier
-erst herlotsen und dann zum Narren halten? Und wer ist denn der Herr,
-der Sie um die schöne Entschädigung bringen will? Ist es ein Bauer,
-ist es einer von Ihnen? Fragen Sie im Celler Zuchthause an, wer es ist!«
-
-Weiter kam er nicht. Alle Bauern bis auf den Vorsteher und Volkmann
-sprangen auf und es war ein Gebrüll, daß Frau Nordhoff in der Küche
-schrie: »Herr im hohen Himmel, das gibt Mallör!«
-
-Nordhoff schloß schnell die kleine Tür auf und als der Agent noch reden
-wollte, schob er ihn ziemlich unsachte hinaus.
-
-»I so 'n Lümmel,« sagte der Vollmeier Röpke; »so 'n Lümmel! Nordhoff,
-nun aber schnell Bier. Es ist man ein Segen, daß der Klabautermann sich
-dünne gemacht hat, denn mir fing die Hand schon an zu jucken.«
-
-Als jeder Bier hatte, rief der lange junge Mann: »Unser Freund
-Volkmann, der uns vor schwerem Schaden bewahrt hat, er soll leben vivat
-hoch und abermals hoch und zum dritten Male hoch.«
-
-Während alle mit dem Hilgenbauer anstießen, hub der Schneider Fricke,
-der kein Freibier vertragen konnte, mit seinem verschossenen Tenor zu
-singen an: »Er lebe hoch, hoch, hoch!« denn er war Mitbegründer des
-Gesangvereins Reethagen.
-
-
-
-
-Die Nachtigall.
-
-
-Weiter in der Umgegend hatte der Agent mehr Glück gehabt. Von
-Schedensen und Breeden aus konnte man die schwarzen Bohrtürme in den
-grünen Feldern sehen.
-
-Wenn die Bauern aus den Nachbardörfern nach der Kirche erzählten,
-welche Einnahmen sie jetzt schon aus den Bohrverträgen hätten,
-dann kauten die Bauern von Schedensen und Breeden taub und manche
-Reethagener auch; aber der Berliner hatte von Reethagen ein so
-schlechtes Bild gemacht, daß sich dort kein Agent mehr sehen ließ.
-
-Eines Tages hieß es im Weißen Rosse: »Nordhoff, hast du all gehört?
-Fürbotter hat sich aufgehängt; er hat sich in Bohrkuxen verspekuliert.«
-
-So war es auch und er war nicht der einzige, der sich bei den Papieren
-einen Bruch gehoben hatte.
-
-Hier schlug ein Bauer lang hin, da kippte ein Ziegeleibesitzer um, dort
-lag ein Kaufmann auf der Nase; alle hatte das Bohrfieber umgeworfen.
-Sie hatten Kuxe gekauft, wenn eine Gesellschaft fündig geworden war und
-hinterher kamen die Zubußen.
-
-Hier hatte bei der Anwendung des Gefrierverfahrens der Magnesiumzement
-sich entmischt und der Schwemmsand sprengte die Tubbings des Schachtes;
-da war man auf hundertfünfzig Meter niedergegangen, erlebte einen
-Wassereinbruch und der Schacht ersoff rettungslos; da kam es gar nicht
-zum Abteufen, denn auf sechzig Meter trieb der Sand und knickte die
-Mannesmannstahlrohre wie Stroh.
-
-An einer anderen Stelle hatten sich ölige Schichten auf den Moorgräben
-gezeigt; eine Gesellschaft riß alles Land, das sie kriegen konnte, zu
-hohen Preisen an sich und bezahlte zum Teil mit Kuxen, worüber die
-Verkäufer sehr froh waren. Dann kam ein Geologe von der Königlichen
-Landesanstalt und stellte fest, daß das kein Öl, sondern humussaures
-Eisenoxyd war. Da nun schon eine Straße gebaut und ein Schienengeleise
-gelegt, Dampfmaschinen hingebracht, Bohrtürme und Schuppen gebaut
-waren, so mußten die Kuxeninhaber nachzahlen, daß ihnen die Augen
-bluteten.
-
-Aber die Krankheit ließ trotzdem nicht nach, denn kaum stieß man
-weiterhin auf Kali, so stürzte sich alles, was etwas bar Geld liegen
-hatte, auf die Kuxe, wie die Bremsen auf die Heugespanne, und als es
-sich herausstellte, daß dort kein abbaufähiges Lager, sondern nur eine
-Linse stand, da hatte mancher Mann alles verloren, was er in zwanzig
-Jahren zusammengebracht hatte.
-
-Dazu kam noch, daß es überall dort, wo gebohrt oder gar gefördert
-wurde, immer ungemütlicher ward.
-
-Die fremden Arbeiter, die gut verdienten, saßen in den Wirtschaften
-vornan und es verging keine Woche, ohne daß es eine böse Schlägerei
-zwischen ihnen und den jungen Leuten aus dem Dorfe gab; dem Wirt in
-Hülsingen wurde das halbe Haus zerschlagen, in Kronshagen wurde einem
-Anbauernsohne ein Auge ausgestochen, in Altmühlen kam es zu einer
-wahren Völkerschlacht, wobei es acht Schwerverwundete und einen Toten
-gab, und bei Schütthusen wurde die Frau des Schneiders Mögebier
-ermordet und beraubt im Busche gefunden.
-
-Bald hier, bald da wurde eingebrochen, Vieh verschwand von der Weide,
-Wäsche von der Bleiche, überall wurde gewildert, die Brandstiftungen
-nahmen kein Ende, denn die Landstraßen waren lebendig voll von
-verdächtigem Volke, und wer nicht gab, der hatte den Schaden.
-
-So dankten die Reethagener es ihrem Schöpfer, daß der Hilgenbauer sie
-vor dem Abschlusse bewahrt hatte, denn bei ihnen war noch ein ruhiges
-Leben möglich.
-
-Da nun Volkmann bis auf die Schmisse in seinem Gesichte ganz so wie
-ein richtiger Bauer war, auch ursprünglich aus der Gegend stammte
-und jedem gefällig war mit Rat und Abfassen von Schriftsätzen an die
-Behörden, und die Leute, denen daran lag, ihn in den Graben zu werfen,
-verschwunden waren, so stand er im Herbste anders da, als das Jahr
-vorher, und er hätte überall anklopfen können, wo eine Tochter war.
-
-Der Vorsteher und seine Frau ließen es an Anspielungen nicht fehlen,
-und er selbst sah ein, daß er nicht länger ledig bleiben dürfe; aber
-wenn er auch hier und da eine Bauerntochter antraf, die ihm ganz gut
-gefiel, sowie sie den Mund auftat, sah er einen Graben zwischen sich
-und ihr, denn dann fiel ihm die Stimme ein, die an jenem Vormittag
-im April an seiner Schulter gefragt hatte: »Ich bin Ihnen wohl recht
-schwer?«
-
-Nicht, daß er mit Hoffnung an das schöne Mädchen, das wohl längst
-Frau und Mutter war, dachte, aber sie war ihm der Maßstab, den er
-überall anlegte, wo er mit einem Mädchen zusammenkam, die auf den
-Hilgenhof gepaßt hätte. Da er nun schwer arbeitete, dem Vorsteher alle
-Schreibereien abnahm und alle weiten Wege, so daß er abends meist schon
-einschlief, ehe er beide Beine unter der Decke hatte, so kam es ihm
-wenig in den Sinn, daß er ein einsamer Mann war.
-
-Hatte er das Bedürfnis, mit einem Frauenzimmer zu reden, so ging
-er in das Häuslingshaus und freute sich an der fixen Frau Ramaker,
-die Zwillinge zu versorgen hatte und doch mit der vielen Arbeit zu
-Gange kam, oder er saß bei Garberdings und schnackte mit der Bäuerin
-oder er blieb eine Stunde im Kruge und erzählte sich etwas mit den
-Frauensleuten, denn Nordhoff ging nur in die Gaststube, wenn er mußte.
-
-Mit dem Vorsteher wurde es wieder schlechter, als es auf den Winter
-zuging, und so entbot er die sechs Vollmeier zu sich, sagte ihnen, er
-könne nicht mehr länger Vorsteher sein und fragte sie, wer der Gemeinde
-wohl am besten anstehe.
-
-»Am besten wäre Volkmann,« meinte Röpke, »wenn die Regierung nur keine
-Bedenken hat.«
-
-Der Vorsteher schüttelte den Kopf: »Das hat sie nicht; was ihm
-zugestoßen ist, gilt mehr als ein Unglück, als eine, ja, na, als etwas,
-das nicht ehrenhaft ist. Ich habe mit dem Landrate lang und breit
-darüber gesprochen. Und meine Meinung ist: einen besseren Vorsteher
-kriegen wir nicht; er steht gut da, hat mehr gelernt, als wir alle
-zusammen, reibt es aber keinem unter die Nase, er schickt sich ganz in
-unsere Art, ist gefällig, wie nur einer, und er hat die Gemeinde vor
-großem Schaden bewahrt. Und da ihr ja alle meiner Meinung seid, ist
-es das beste, ihr beredet euch mit den anderen, damit er einstimmig
-gewählt wird, denn ohne das, glaube ich, nimmt er nicht an.«
-
-Der Plan lief nach Wunsch aus; Garberding legte sein Amt nieder, und
-der Hilgenbauer wurde einstimmig zu seinem Nachfolger gewählt. Volkmann
-wurde erst blaß und dann rot, als er gewählt wurde, und er wußte erst
-nicht, ob er annehmen sollte. Da stand Garberding auf und sprach:
-
-»Ich weiß, warum unser Freund sich bedenkt, und viele, ja wohl die
-meisten von uns, werden es auch wissen. Es steht mancher Mann hoch in
-Ansehen, dessen Hand ich nicht in meiner haben will, und mancher Mann
-gilt nicht für ehrenhaft vor der Welt, zu dem ich mich liebendgern
-an den Tisch setze. Was bedarf es noch vieler Worte? Wir haben unser
-eigenes Recht, das älter ist als die Gesetze, die in den Büchern stehen
-und manches Mal gar nicht auf unsere Art passen. Unser erstes Gesetz
-heißt die Gemeinde, das ist das Haupt; alles andere liegt weit weg.
-Und wenn ich, der ich meinen Freund durch und durch kenne, keinen
-lieber, als ihn, hier sehe, wo ich jetzt bin, und wenn der Herr Landrat
-ebenfalls der Ansicht ist, daß wir keinen besseren Vorsteher kriegen,
-so kannst du,« und damit drehte er sich nach Volkmann und gab ihm die
-Hand, »meinen Glückwunsch getrost annehmen.«
-
-Als Vorsteher Volkmann aus der Versammlung nach Hause ging, mußte
-er immer an den Tag denken, an dem er auf dem Haidberge lag und dem
-Ortolan zuhörte, der in der Birke saß und sang.
-
-Ein Landstreicher war er damals gewesen, ein heimatloser Mann, den
-jeder Gendarm stellen und nach seinen Papieren fragen durfte; jetzt
-hatte ihm die ganze Bauernschaft eine Ehre angetan, die er, der Bauern
-kannte, nach ihrem vollen Werte einschätzen konnte.
-
-Als er auf den Hof trat, ging ihm Ramaker entgegen; die Augen des
-Häuslings glänzten, und er stotterte vor Aufregung, als er dem Bauern
-Glück wünschte, denn als er in der Haide Plaggen haute, war der
-Briefträger mit dem Rade den Pattweg heruntergekommen und hatte ihm
-zugerufen: »Den Bauern haben sie zum Vorsteher gemacht!«
-
-Auch Frau Ramaker lachte über ihr ganzes rundes Gesicht, gab ihm die
-Hand, sagte: »Viel Glück auch!« und warf hinterher: »Wie sagt man denn
-jetzt: Bauer oder Herr Vorsteher?«, und als Volkmann antwortete: »Es
-bleibt alles so, wie es ist,« schüttelte sie den Kopf, daß ihr eine
-Flechte losging, und indem sie die feststeckte, rief sie: »Das will ich
-nicht hoffen, denn jetzt muß hier eine Frau her! Was ist denn das für
-ein Werk! Ein lediger Vorsteher? Das habe ich meinen Tag noch nicht
-erlebt. Und mir wird es mit der Arbeit zuviel: einen Mann, zwei kleine
-Kinder, das Vieh und zwei Haushaltungen, das halte ich nicht lange mehr
-aus.«
-
-Am anderen Tage kam Freimut angefahren: »Mann,« schrie er über den Hof,
-daß die Schruthähne an zu kullern fingen, »siehst du mir nichts an?«
-
-Volkmann lachte: »Bist du Justizrat geworden?«
-
-Der Anwalt schnaubte: »Sehe ich denn schon so bresthaft aus?« Er hielt
-ihm seine linke Hand vor die Augen, die so groß war, daß ein junges
-Mädchen ihn einst bat: »Ach bitte, Herr Referendar, halten Sie doch
-Ihre Hand vor die Tür, es zieht so.«
-
-Der Anwalt lachte: »Ja, die Liebe, sie hat mich zur Strecke gebracht,
-mich, den letzten der Mannen von Niefelheim, der die alte gute Sitte
-hochhielt und als dreimal destillierter Junggeselle einsam hinter
-dem Biertopf saß, wenn die anderen den Hausschlüssel nicht bekommen
-konnten. Nun barst auch diese letzte Säule, verödet ist die Stätte, wo
-das schöne Lied von den Brummelbeeren so oft erklang, denn jedweden
-Abend mache ich jetzt bei meiner Braut hübsch.
-
-Hier ist sie.« Er zog ein Bild aus der Tasche. »Hildegard heißt sie,
-hat ein Haus mit einem Garten drum herum und auch sonst noch Vorzüge
-mannigfacher Art, vor allem den, daß sie beinahe so lang wie Schreiber
-Diese ist.
-
-Mensch, nun mußt du auch noch heiraten, und ein Mädel, das auch
-von deinem Kaliber ist, und dann können wir singen: Deutschland,
-Deutschland über alles, über alles in der Welt!
-
-Bis Montag habe ich Urlaub, denn meine Hilde ist nach ihrer Tante
-gefahren, und ich will jetzt einige Hasen erschlagen.«
-
-Als er von Ramaker hörte, daß sein Freund Vorsteher geworden war,
-schlug er auf den Tisch, daß es knallte, küßte Lüder ab und schrie:
-»Bei meinem Barte! Die Bauern hier sind noch klüger, als ich dachte.
-Donnerhagel noch einmal, werde ich aber mit dir protzen; mein
-Duzfreund, der Vorsteher!
-
-Denn, mein Lieber, wenn du dich auch sträubst, wie ein Borgfarken, zu
-meiner Hochzeit mußt du kommen. Es werden nur tüchtige Kerle und schöne
-Frauen und Mädchen eingeladen, und die Kirche soll voll von Maibäumen
-sein, daß es darin aussieht wie in der Lüneburger Haide, wenn die
-Dullerchen singen. Und meine zukünftige Hausehre hat dir schon eine
-Tischnachbarin ausgesucht, die schönste, die es auf der Welt geben soll
-von allen, was seine Haare in Flechten trägt.
-
-So, und nun wollen wir los; mir kribbelt es im Drückefinger und ich
-will morgen Hasenpfeffer so essen, wie es sich gehört, und nicht
-solchen labberigen Bratenabfall, den sie einem in den lackierten
-Herbergen als das auftischen.« Und er sang mit seinem Bierbasse: »Auf
-und an, spannt den Hahn, lustig ist der Jägersmann!«
-
-Die Wintermonate sprangen Volkmann unter den Fingern fort, soviel
-Arbeit brachte ihm das Vorsteheramt. Die Arbeit machte ihm aber Freude,
-denn er lernte viel dabei und konnte allerlei Gutes wirken.
-
-Ohne daß sie es merkten, brachte er den Bauern Verständnis für die
-Schönheiten der Landschaft bei, rettete den alten Wahrbaum vor dem
-Dorfe, der der Straßenverbreiterung weichen sollte, ließ die beiden
-Steingräber in der Haide, die zu Brückensteinen zerschossen werden
-sollten, für ewige Zeit schützen und verhinderte es, daß allerlei
-überflüssige Vereine sich bildeten und das dörfliche Leben städtisch
-machten.
-
-Da die Vorarbeiten für die Bruchentwässerung in Angriff genommen
-wurden und eine Nachverkopplung notwendig wurde, die viel Lauferei und
-Schreibarbeit mit sich brachte, so war es mit einem Male mitten im
-Frühling, und es war ihm, als er die erste Lerche über der grünen Saat
-hörte, als wäre sie den Tag zuvor erst fortgezogen.
-
-An einem Aprilabend, als er aus dem Bruche kam und an dem Ellernbusche
-vorbeiging, der zu beiden Seiten der Beeke lag, hörte er einen fremden
-Ton und sofort sagte er sich: »Das ist ja eine Nachtigall.«
-
-Er blieb stehen und wartete, bis sie weiterschlug, und dann mußte er
-lachen, denn an seine naturgeschichtliche Arbeit hatte er den ganzen
-Winter nicht denken können und an vieles andere auch nicht.
-
-Ganz selten einmal, wenn er im Schummern am Herdfeuer saß und rauchend
-in die roten Flammen sah, hatte er an das große, schöne Mädchen mit
-der hellen, reinen Stimme gedacht, und nur so, wie man an einen Traum
-denkt, den man nicht vergessen kann und nicht vergessen will.
-
-Nun aber, als er abends allein bei dem Feuer saß und an den einen
-Laut dachte, der aus dem Ellernbusche kam, war es ihm, als hätte er
-tags zuvor erst ihre Stimme an seiner Schulter gefühlt, und als der
-Spinnstuhl sich meldete, bedünkte es ihm, als hätte die Allerschönste
-dort eben gesessen und müsse im Augenblicke wieder hereinkommen, ihn
-anlächeln und ihre Stimme ihm entgegenflattern lassen.
-
-Als er dann in der Dönze saß und noch einige Zahlen aus seinem
-Taschenbuche eintrug, da schrieb er, fast ohne zu wissen, was er
-tat, ein Dutzend Zeilen auf einen leeren Streifen Papier, und dann
-schüttelte er den Kopf über sich selber, denn seit seiner Burschenzeit
-hatte er kein Gedicht mehr geschrieben.
-
-Er las es durch und nickte zustimmend, als hätte jemand anders es
-geschrieben, das Liedchen, das in zwölf Zeilen die Empfindung
-ausdrückt, die ein Mensch hat, der tief im braunen Bruche einen
-einzigen verlorenen Nachtigallenlaut vernimmt.
-
-Er las es noch einmal, lächelte und dachte, daß es wirklich gar kein
-schlechtes Gedicht wäre, und als er im Bette lag, war es ihm, als sei
-es nicht die Nachtigall gewesen, sondern eine andere Stimme, die ihn
-gezwungen hatte, stehenzubleiben.
-
-Freimut hatte seine Hochzeit auf den ersten Mai, »den Tag der
-Odinsfreite,« wie er schrieb, angesetzt und dabei bemerkt: Frack
-brauchst du nicht; wir kommen alle im Gevatterrock, dieweil wir nicht
-den Ehrgeiz haben, wie Kellner auszusehen. Einen Polterabend kann ich
-mir nicht leisten; ich habe an dem Tage eine Verteidigung.
-
-So packte Volkmann den Kirchenrock und den hohen Hut in den Reisekorb,
-den Freimut dagelassen hatte, und fuhr los. Seine Gabe, eine sehr
-schöne alte Beilade mit reicher Schnitzerei, die er hatte zurechtmachen
-lassen, hatte er durch den Baumeister schon in das Heim der Brautleute
-schicken lassen.
-
-Als er in der großen Stadt war, suchte er sich ein ruhiges Gasthaus,
-ging dann durch die Straßen, kaufte sich Handschuhe und leichte Schuhe
-und ließ sie nach dem Gasthofe schicken. Dann setzte er sich an der
-Hauptstraße in ein Kaffeehaus, um hinter der Efeuwand her das bunte
-Leben zu betrachten.
-
-Alle Leute blickten auf, als der bäuerlich angezogene lange, schöne
-Mann mit dem braunen, bartlosen Gesichte zwischen den Marmortischen
-einherging. Die Männer lächelten spöttisch, die Frauen aber reckten
-sich die Hälse nach ihm aus und mehr als eine flüsterte: »Wie
-interessant; ein Bauer mit Schmissen!«
-
-Als er sich gesetzt hatte und dem Kellner winkte, dachte er so bei
-sich: Was für unverschämte Augen die Frauensleute hier doch machen!
-denn er hatte sich schon ganz an die dörfliche Art gewöhnt.
-
-Er fand, daß er an dem städtischen Leben gar keinen Anteil mehr hatte;
-so manches Gesicht kannte er noch von früher her, sah fein angezogene
-Leute, die damals einfach gingen, und andere, denen es nicht so gut zu
-gehen schien wie vordem.
-
-Der Lärm, die Rastlosigkeit, die Reklame, der abscheuliche Gegensatz
-zwischen Protzerei und Elend, alles das widerte ihn an, und als der
-Kellner einen vor Nervenschwäche am ganzen Leibe fliegenden Mann, der
-Ansichtspostkarten feilbot, hinausweisen wollte, stand der Bauer auf,
-kaufte drei Karten und gab dem armen Menschen ein Zweimarkstück.
-
-Grade war er dabei, die Aufschriften abzufassen, denn er wollte die
-Karten an Garberding, Ramaker und Nordhoffs Lieschen schicken, da fuhr
-er in die Höhe, denn eine Stimme, die er nur einmal und nicht wieder in
-seinem Leben gehört hatte, erklang jenseits der Efeuwand.
-
-Der Bleistift fiel ihm aus den Fingern, er sprang auf und trat auf die
-Straße, sah aber nur noch den Lohnwagen im Gewühl verschwinden.
-
-Wie vor den Kopf geschlagen fiel er auf den Stuhl, trank einen Schluck
-von dem Bier, bezahlte und ging, ohne seine Postkarten mitzunehmen.
-
-Er wanderte von der Hauptstraße nach den Anlagen und von da wieder in
-das Gewühl, ohne etwas zu sehen, ohne daran zu denken, daß er noch
-essen und sich umziehen müsse.
-
-Mit knapper Not kam er in seinen Kirchenrock, ließ sich einen Wagen
-kommen und drängte sich durch den Kreis der Zuschauer in dem
-Augenblick in die Kirche, als die Orgel losjubelte und das Brautpaar
-zum Altare schritt.
-
-Er sah nichts, er hörte nichts, denn alle seine Sinne waren bei seinem
-Erlebnisse an jenem Vormittage im April, als der Ortolan in der
-Hängebirke sang und die Luft nach Post und Juchten roch.
-
-Die Kirche war voll von Juchtenduft, denn sie war mit grünen Maibäumen
-ausgeziert, und der Geruch der Heimathaide legte sich so eng um den
-Mann, daß er den Altar und den Priester und das Brautpaar wie ein Bild
-sah, das ihn kein bißchen anging, und die Traurede hörte sich für ihn
-nur an, wie das Rauschen von Laub im Winde.
-
-Dann aber machte sein Herz einen Satz, seine Augen wurden groß und er
-tat einen Schritt voran, besann sich aber und sah nur, indem ihm das
-Blut umschichtig zum Kopfe und zum Herzen schoß, dahin, wo die stand,
-deren Stimme er an jenem Apriltage und heute jenseits der Efeuwand
-vernommen hatte.
-
-Er kannte sie auf den ersten Blick, trotzdem ihr Gesicht und ihre
-Gestalt etwas voller waren als damals, und obgleich sie ihm in dem
-ausgeschnittenen Kleide und den bloßen Armen ein wenig fremd vorkam.
-Er fühlte viel Glück in sich, und ein jähes Durstgefühl machte seine
-Lippen trocken, dann aber ging ihm ein Stich durch das Herz; sie war
-schon lange eines anderen Frau. Er trat auf dem Läufer leise näher,
-um die Gesichter der Männer zu sehen und zu erraten, wer es wohl sein
-könnte, der zu ihr gehörte.
-
-Die Traurede war nur kurz, ihm aber deuchte sie, kein Ende zu haben,
-und als das Brautpaar an ihm vorüberging, der junge Ehemann ihm
-zunickte und die junge Frau ihn anlächelte, starrte er sie an, als wenn
-er sie nicht kenne.
-
-Dann aber kam der Baumeister auf ihn zu, nahm ihn beim Arm und,
-indem er sagte: »Kommt her, ich muß Euch Eurer Tischdame vorstellen,
-Ihr Bummler, der Ihr seid«, führte er ihn zu jener, der er dereinst
-dahinten in der Haide Beistand leistete.
-
-Es waren nur zehn Schritte, die der Bauer zu machen hatte, aber er war
-todmüde und elend vor Aufregung, als er sie hinter sich hatte, und
-erst, als Schönewolf gesagt hatte: »Ihr Tischherr, Fräulein Rotermund,
-der Vorsteher Volkmann, genannt Hilgenbur aus Reethagen«, da bekam er
-wieder Kraft und sah sie an.
-
-Als sie mit glührotem Gesicht ihren Arm unter seinen schob und er sie
-zum Wagen führte, kam er sich vor, als machte er selber heute Hochzeit.
-
-
-
-
-Die Haidlerche.
-
-
-Auf dem Hilgenhofe gab es einen großen Aufstand an diesem Abend, denn
-um acht Uhr kam der Briefträger angeradelt und brachte eine dringende
-Depesche für Ramaker.
-
-Der drehte das Papier unschlüssig in der Hand um, denn er hatte noch
-nie eine Depesche gesehen, und schließlich mußte der Briefträger es
-aufmachen und vorlesen, was darin stand, und der Häusling, die Frau und
-die Magd standen da, hielten die Hände im Schoß zusammen und machten
-Gesichter, als ginge es auf Leben und Sterben.
-
-Aber es stand bloß darin: »Ich bleibe noch drei Tage hier. Sagt
-Garberding Bescheid und haltet euch munter. Volkmann.« Da atmeten sie
-alle auf.
-
-Um drei Uhr nachts war der Bauer in seinen Gasthof gekommen; als es
-fünf war, lag er noch wach. Er stand auf, zog sich an, ließ sich von
-der Magd, die das Gastzimmer aufwusch, Frühstück geben und schenkte ihr
-einen blanken Taler, so daß sie ihm ganz verdutzt nachsah, denn sein
-Benehmen war nicht so, als ob er Unrechtes mit ihr im Sinne habe.
-
-Volkmann ging durch die Straßen, in deren Vorgärten die Tulpen unter
-den blühenden Bäumen in allen Farben leuchteten und über deren Dächern
-die Mauersegler vor Wähligkeit schrien, denn es war ein prachtvoller
-Morgen und der Himmel war hoch und hell.
-
-Hoch und hell sah es auch in dem Bauern aus, als er leichten Schrittes
-dahinging, und manches niedliche Dienstmädchen, das mit dem Korbe zum
-Bäcker wippte, machte ihm runde Augen, denn er sah aus, als ob er die
-ganze Welt in den Arm nehmen wollte.
-
-Das hätte er auch am liebsten getan, denn zuviel Glück war in ihm. Er
-ging in den Stadtwald, in dem das Sonnenlicht mit dem Nebel spielte und
-der voll von Vogelliedern war, und suchte in dem Teil, wo die hohen
-Fuhren ragten, eine Bank auf, die ganz versteckt an einem Graben lag.
-
-Dort war früher sein Lieblingsplatz gewesen, wenn er, abgespannt von
-der Arbeit bei der Zeitung und dem Parteikampfe, Erholung gesucht
-hatte, und wo er an dem Morgen des Tages saß, in dessen Verlaufe ihm
-das Genick gebrochen wurde.
-
-Vor ihm öffnete sich der Wald zu einer Lichtung, die bunt von vielerlei
-Blumen war und von wo Efeuranken, silbern in der Sonne blitzend, an den
-roten Fuhrenstämmen emporkrochen.
-
-Volkmann zog seine Uhr heraus und seufzte; es war erst sieben und vor
-zehn Uhr konnte er doch nicht gut dahin gehen, wohin es ihn zog. Er
-nahm den Hut ab und zog die Jacke aus, so heiß war ihm, nicht aber vom
-schnellen Gehen und von der Sonne, sondern vor Seligkeit.
-
-Wie war das eigentlich alles gekommen? Er saß im Wagen und sie ihm
-gegenüber; sie hielt seine braune Hand in ihren weißen Händen und es
-war, als wenn viele, viele kleine rosige Kinderhände ihn streichelten,
-als sie sagte: »So habe ich doch noch Gelegenheit, Ihnen meinen Dank
-für das zu sagen, was Sie an mir taten.«
-
-Er hatte gestottert, wie ein Schuljunge, als er abwehrte: »Das ist
-doch nicht der Rede wert!« Aber sie war rot geworden, hatte reizend
-gelächelt und gesagt: »Sie wissen ja gar nicht, was ich meine,« und
-als er sie verwundert fragte, was das sei, da war sie rot geworden
-bis auf die Brust und hatte mit niedergeschlagenen Augen geflüstert:
-»Vielleicht später.«
-
-Seine Tischnachbarin zur Linken war von ihrem Herrn so in Anspruch
-genommen, daß Lüder sich um sie nicht zu kümmern brauchte, und es
-dauerte gar nicht lange, da stieß die junge Frau Freimut ihren Mann
-an und sagte: »Sieh die beiden an; ich glaube, die kennen sich schon
-lange. Herr Gott, gäbe das ein schönes Paar!«, worauf ihr Mann
-erwiderte: »Dann würde ich nicht bedauern, an diesem Feste teilgenommen
-zu haben,« und dann rief er »Au!«, denn seine Frau hatte ihn auf den
-Fuß getreten und »Ekel!« gesagt.
-
-Lüder und Holde aber vergaßen Essen und Trinken, und mehr als einmal
-stand der Oberkellner mit seinem Gehilfen achselzuckend hinter dem
-Paare und sah hilfeflehend zu Freimut hin, bis der über den Tisch
-rief: »Volkmann, magst du keine Forellen? Es sind Haidjerinnen aus
-Bienenbüttel!«
-
-Und Volkmann sah verwirrt um sich, nahm, vergaß zu essen und sprach
-oder hörte zu, denn viele Abschnitte ihrer Lebensbücher lasen sie
-zusammen, und als Pastor Wunderlich eine so lustige Rede auf die
-Schwiegermütter im allgemeinen und die in diesem Falle vorzüglich in
-Betracht kommenden hielt, daß aller Augen an seinem Munde hingen, da
-drückten Lüder und Holde sich unter dem Tische die Hände und sie schob
-ihm ihren Ring an den kleinen Finger der linken Hand.
-
-Ein goldener Schein flammte über die Lichtung hin; der Pirol war es.
-Er sah mit seinen rubinroten Augen nach dem Bauern, schwang sich
-empor und ließ aus der Krone der Fuhre einen goldenen Jubelruf zu dem
-Manne herabklingen, verstummte und jauchzte aus der Ferne weiter,
-während rund umher Fink und Meise, Amsel und Drossel und alle die
-anderen vielen Vögel ihre Lieder ineinanderflochten und die gelben
-Zitronenfalter so lustig über die hellen Blumen tanzten, wie Lüders
-Erinnerungen über dem Abend, der hinter ihm lag.
-
-»Ich bin der allerglücklichste Mensch auf der Welt,« sagte er vor sich
-hin. »Wäre ich wohl so glücklich, wenn ich nicht so lange Jahre im
-Schatten gegangen wäre?« dachte er. »Sicher nicht. Ich wäre bei dem
-unruhigen Leben in der großen Stadt verflacht, hätte mein Herz nach und
-nach verzettelt und wäre schließlich ein Geldjäger und Bierphilister
-geworden.
-
-Den Staub, den ich auf der Seele hatte, habe ich mit Unglück und
-Einsamkeit abgewaschen, und nun stehe ich rein da, wenn auch nicht vor
-der Welt, so doch vor ihr, die mir von Anbeginn bestimmt war, und darf
-ihren roten Mund küssen, soviel ich lustig bin.«
-
-Ein Zaunkönig setzte sich drei Schritte vor ihm auf eine moosige Wurzel
-am Grabenbord, machte ihm einen Diener und sang ihm sein lautestes Lied
-vor.
-
-Lüder lächelte; er hätte auch singen mögen, so laut singen, daß der
-ganze Wald schallte, und ein Gebet wäre das Lied, das zum Himmel
-steigen müßte.
-
-Nun war er nicht mehr allein auf dem Hilgenhofe; ein Kamerad würde bei
-ihm sein, der im Hause das Leit in der Hand hielt, wenn er hinter dem
-Pfluge ging, und der abends, wenn die Arbeit getan war, dafür Sorge
-trug, daß seine Seele nicht auf die Erde fiel und am Boden kleben
-blieb, wie die bunte Motte, die vor seinen Füßen lag.
-
-Alles, alles hatte er ihr gesagt, als er gestern neben ihr saß. Das
-Wichtigste hatte ihr schon Freimut gesagt. Er hatte ihr von der kleinen
-Margerit mit dem großen Herzen erzählt und von der Frau, in die er
-sich als froher Bursche verliebte und der sie, Holde Rotermund, so
-sehr ähnlich sähe. Und da hatte sie gefragt: »Wie hieß sie?«, und als
-er sagte: »Frau Professor Rödiger,« da sagte sie leise: »Es war meine
-älteste Schwester; sie starb vor vier Jahren.«
-
-Und als er ihr erzählte, daß er dann den schlechten Abklatsch der
-Toten, Frau Mehls, zu lieben vermeint hatte, und daß er, als ihr Mann
-sie los sein wollte, nachdem er sie abscheulich behandelt und dadurch
-dem Hausfreund in die Arme getrieben hatte, in der Scheidungsklage
-unter Eid bestritt, Umgang mit ihr gehabt zu haben.
-
-»Sie stehen für mich fleckenlos da,« hatte Holde gesagt; »verweigerten
-Sie den Eid, so war die Frau gerichtet, und da Sie sie zu lieben
-glaubten, blieb Ihnen nichts anderes übrig.«
-
-Da hatte er solchen Mut bekommen, daß er, als der Geistliche die
-Schwiegermütter als lichte Engel abmalte, ihr gestand, daß er seit
-dem Tage, da er ihre Stimme vernahm, kein Weib mehr habe schön
-finden können, und sie flüsterte ihm zu, daß auch ihr seine Stimme
-nachgeklungen wäre, wo sie auch war. Und da hatten sich ihre Hände
-unter dem Tische Treue gelobt.
-
-Er sah nach der Uhr; es war noch immer viel zu früh. Da hatte er noch
-Zeit, zum Gasthof zurückzugehen; er wollte Garberdings schreiben, daß
-er eine Braut gefunden habe.
-
-Im Hausflur sagte ihm die Magd, es sei ein großes Paket für ihn
-abgegeben worden, sie habe es auf sein Zimmer gelegt. Dabei sah sie
-ihn so an, daß er dachte: »Hier hast du mit deinem Taler ein kleines
-Unglück angerichtet.«
-
-Als er den großen Karton aufmachte, sah er zu oberst auf der Verpackung
-einen Brief liegen; die Aufschrift war von Freimut; er schrieb:
-
-»Noch einmal, liebster Lüder, unseren herzlichsten Glückwunsch! In
-Anbetracht der veränderten Umstände nehme ich an, daß du für deinen
-hiesigen Aufenthalt die Rustikalität ein wenig ablegen mußt. Sintemalen
-und alldieweil ich mir nun denke, daß es dir ebenso gehen wird wie
-mir, indem ich niemals einen fertigen Anzug bekommen kann, denn die
-Nummer Enak ist heutigen Tages aus der Mode gekommen, gestatte ich
-mir kurzhändig und ergebenst, dir die anbeiige Kluft zu verehren, die
-für eine elegantere Gestalt mehr geeignet ist als für die mirige. Er
-hängt schon seit einem Jahre im Schranke. Verzehre ihn in Gesundheit,
-desgleichen die Anlagen. In vier Wochen will ich auf der Osterwiese den
-Bock schießen; stelle ihn solange kalt. Frau Rechtsanwalt Freimut kommt
-mit nach dem Hilgenberge. Handschlag! Jochen.«
-
-Volkmann packte aus und schüttelte den Kopf: Alles war da, wie es sich
-für einen Stadtmenschen gehört, ein voller Anzug, drei Hemden, Kragen,
-Halsbinden, Manschettenknöpfe und sogar farbige Strümpfe.
-
-Der liebe Kerl! Volkmann war ganz gerührt, denn so wie er ging, ganz
-bäuerlich, paßte er allerdings schlecht neben Holde auf den Asphalt,
-und einen Anzug, der ihm saß, fand er in dem ganzen Nest nicht, das
-konnte er sich denken.
-
-Er zog sich schnell um, fand, daß er trotz des bartlosen
-Bauerngesichtes vortrefflich aussah, und ging barhaupt die Treppe
-hinunter, denn ein Hutgeschäft war nebenan.
-
-In der Gastzimmertür stand die Magd und sperrte die Augen weit auf; der
-Mann war ihr rätselhaft: als Bauer kam er und als Graf ging er. Denn
-so sah er aus bis auf den Schwarzdornstock mit dem sonderbaren gelben
-Zeichen darin, das ihr, als sie das Bett machte, schon aufgefallen war.
-
-Auch der Kellner in dem Kaffeehause, in dem der Bauer tags vorher
-eingekehrt war, riß die Augen sperrangelweit auf, holte die
-Ansichtskarten heraus, die Volkmann hatte liegen lassen und sagte, als
-er am Tresen die Bestellung ausführte: »Mir ist schon viel passiert,
-aber so wat noch nich, Fräulein Frida; der Herr da mit den drei
-Durchziehern kam gestern als Bauer an und heute sieht er aus wie ein
-richtigjehender Jraf. Haben Sie Wörter?«
-
-An einem Tische saß ein Ehepaar, das auch am Tage vorher dagewesen war.
-Er, ein dürftiges Männlein von einfacher Eleganz, las im Börsenkourier
-die Kurse, und sie, ein überüppiges, protzig gekleidetes Weib, sah
-sich die Männer an.
-
-»Siegfried,« sagte sie, »sieh mal, der Bauer von gestern, der mit
-den Schmissen, du weißt doch, elegant ist er heute, sag' ich dir!«
-Siegfried knurrte: »Nu, wenn schon! Mathildenhall sind schon wieder
-gefallen. Der verfluchte Kali!«
-
-Als Volkmann an der Tür des Hauses, in dem Frau Konsistorialrat Freimut
-wohnte, klingelte, lächelte das alte Dienstmädchen etwas schelmisch.
-»Herr Volkmann?« Er nickte. »Ich wünsche auch viel Glück! Sie möchten
-im Garten hinter dem Hause doch ein wenig warten!«
-
-Er ging um das Haus herum und sah in der Laube einen Tisch gedeckt.
-Dann hörte er hinter den Büschen eine Harke im Kiese kratzen, und
-als er seine Augen dahin brachte, sah er einen blauen Rock, um den
-eine weiße Schürze wehte, darunter Holzpantoffeln und darüber blaue
-Wollstrümpfe mit weißen Hacken, ein rotes Leibchen, kurze weiße
-Hemdsärmel und einen geblümten Helgoländer. So gingen die Mädchen in
-der Haide zum Heuen.
-
-Die Sache kam ihm verdächtig vor; er ging näher und da drehte sich die
-Haidjerin um, juchte leise auf, warf die Harke fort, nahm ihn um den
-Hals und rief:
-
-»Nun hat man sich angezogen, um neben seinen Jungen hinzupassen und
-da kommt er als Stadtjapper an! Ist das rücksichtsvoll? Ist das
-zartfühlend? Ist das nett?«
-
-Sie sah an sich herunter. »Seh' ich nicht fein aus?« Er lachte
-glücklich. »Ja, heute morgen um halb acht habe ich schon zu Frau
-Schönewolf geschickt und mir die Sachen holen lassen; sie hat sie
-zu einem Maskenfeste getragen. Nun komm aber in die Laube. Unsere
-Gardemama schläft noch; sie hat einen kleinen Brummer von gestern.
-
-Wie haben Sie denn geschlafen, mein Herr und Gebieter? Gar nicht? Ich
-prachtvoll, nämlich auch nicht; ich habe immer an einen Vagelbunden von
-Gemeindevorsteher denken müssen.
-
-Auf deinem Schoß soll ich sitzen? Ja, schickt sich das auch? Und
-wo haben wir uns denn von fünf bis jetzt herumgetrieben? Und ich
-sitze hier seit sieben Uhr und hungere mir Kringel unter die schönen
-blauen Augen. Aber jetzt hört der Unsinn auf; jetzt wird anständig
-gefrühstückt. Keine Faulheit vorgeschützt, das gibt es nicht.«
-
-Lüder ließ sie aber so bald nicht los, bis sie ernst machte. Dann
-aß er und hörte zu, wie ihre Stimme um ihn war, und ihr fröhliches
-Kinderlachen, und ließ sich nötigen, denn das verstand sie, wie eine
-Bäuerin. »Na, dann hiervon wenigstens noch ein bißchen; die Wurst ist
-ganz frisch. Oder vielleicht Schinken? Aber ein paar Radieschen doch
-noch? Wie wäre es mit etwas Kräuterkäse? Oder ist dir Rahmkäse lieber?
-Von der Knackwurst hast du noch gar nichts genommen! Und der Lachs ist
-großartig. Ach, Bengel, wenn du gar nichts ißt, dann macht das ganze
-Verloben keinen Spaß.« Und sie saß wieder auf seinem Schoße und ließ
-sich küssen.
-
-»Weißt du,« flüsterte sie, »eigentlich darf ich es gar nicht sagen,
-denn es ist zu unpassend: ich habe sehr oft gedacht, wie es wohl wäre,
-wenn du mich küssen würdest. Und nun sprich, daß ich deine Stimme
-höre, die ich nicht wieder vergessen konnte, und um derentwillen ich
-einen Gutsbesitzer, Witwer mit zwei Kindern, aber sonst noch ganz gut
-erhalten, samt seinem Rittergute habe abfahren lassen. Und daß ein
-königlich preußischer Regierungsrat acht Tage lang an Weltschmerz
-bettlägerig war, daran hat dieser Bauer hier auch schuld.
-
-Junge, ist das eine merkwürdige Geschichte mit uns: ich denke an dich
-und du an mich die ganzen drei Jahre; er fährt Mist und pflügt, und ich
-hacke vor Elend Kartoffeln und füttere das Federvieh, und so richtet
-sich der eine nach dem anderen und kein einer weiß etwas davon.
-
-So, hier hast du eine Zigarre; ich ziehe mich um und dann gehen wir zum
-Promenadenkonzert. Hast du mir auch einen Veilchenstrauß mitgebracht?
-Ohne Veilchenstrauß geht hier keine anständige Braut zum ersten Male
-mit ihrem Bräutigam über die Straße.«
-
-Sie klapperte mit ihren Holzpantoffeln den Steinweg hinunter, und
-Lüder sah ihr nach, bis sie hinter dem dunklen Eibenbusch verschwand.
-Dann sah er seine Schuhe an, seinen Anzug, seinen Hut und schüttelte
-den Kopf, denn er meinte immer noch, daß er träumte. Er fütterte die
-Buchfinken mit Krümchen, streute den Goldfischen zerriebene Brotrinde
-in das Becken und ging schließlich ungeduldig auf und ab, bis ihm ein
-langer Aktenumschlag vor die Füße flog, auf dem zu lesen war: »An
-den Herrn Gemeindevorsteher Volkmann, genannt Hilgenbur zu Hilgenhof
-bei Reethagen dahinten in der Haide,« und in der linken Ecke stand
-»Kußpflichtige Dienstsache«, und in dem Briefe »Im Rosengarten will ich
-deiner warten, im grünen Klee, im weißen Schnee.« Da ging er um das
-Haus und sah sie ganz in weiß auf dem Rasen zwischen den Rosenstöcken
-stehen.
-
-Er gab ihr den Arm und ging mit ihr erst in einen Blumenladen, denn auf
-ihren Veilchenstrauß bestand sie, und dann am Promenadenkonzert vorbei
-zum Walde; und alle Leute sahen ihnen nach, ihm die Frauen und ihr die
-Männer.
-
-Aber sie sahen von den Menschen nichts und von der Musik hörten sie
-auch nicht viel, denn Lüder sagte: »Weißt du, Holde, wie mir zu Sinne
-ist? Als gingen wir über die Haide und alle Haidlerchen sängen.«
-
-Sie nickte: »Übermorgen sollen sie das: ich will den Hilgenhof sehen!«
-
-
-
-
-Der Fasan.
-
-
-Die Hochzeit fand am Tage der Sommersonnenwende statt; sie wurde bei
-Garberding gefeiert.
-
-Die beiden alten Leute hatten sich erst ein bißchen verjagt, als Lüder
-mit Holde vorgefahren kam, denn sie meinten, sie würde sich nicht in
-die bäuerische Art schicken.
-
-Nach einer Stunde aber waren sie schon anderer Ansicht; sie fanden bald
-heraus, daß das Mädchen das ländliche Hauswesen gut kannte, denn sie
-war auf dem Dorfe groß geworden und hatte auch späterhin viel auf dem
-Lande gelebt.
-
-»Weißt du was,« sagte Garberding, der ordentlich auflebte, seitdem sie
-auf dem Hofe war, am dritten Tage, »was ich dir vorschlagen möchte? Du
-hast nach keinem Menschen was zu fragen; bringe alles, was du hast, zu
-uns, bis ihr freit. Das ist für Volkmann gut und für dich auch, denn
-von unserer Mutter lernst du dann, wie es hier zugeht. Jedes Land hat
-seine Eigenheiten, und wo einer wohnt, da muß er sich nach dem andern
-richten. Du lernst dann auch so nach und nach die Leute hier kennen,
-besser noch, als wenn du erst da hinten auf dem Hilgenhofe bist. Platz
-ist eine Masse für dich da, und du kannst es dir einrichten, wie du es
-gewohnt bist.«
-
-»Mit tausend Freuden nehme ich das an, Vatter Garberding,« sagte das
-Mädchen, »ich hatte das gleich gewünscht. Vor Oktober wollte ich ja
-sowieso keine Stelle wieder annehmen, sondern bei einer Freundin
-bleiben, die mich schon lange eingeladen hat. Daraus kann nun nichts
-werden, denn es ist mir zu wichtig, zu lernen, wie man sich hier zu den
-Leuten stellen muß. Ich war erst auf einem Gute in Westfalen, wo die
-Frau kränklich war; da war ganz leicht mit den Diensten umzugehen, wenn
-sie auch etwas dickköpfig waren; nur freundlich mußte man sein, nicht
-befehlen, sondern anordnen. Dann, als das Gut verkauft wurde, ging ich
-nach dem Posenschen; da war es ganz anders: mit Freundlichkeit kam
-man mit dem Volke da nicht aus; da mußte man kurz sein und den Herrn
-zeigen, sonst blieb die Arbeit liegen.«
-
-Sie reiste ab und kam nach ein paar Tagen wieder. »So,« rief sie, »nun
-kann die Nähersche kommen; ich habe mir alles besorgt, wie es sich
-für eine richtige Bauersfrau gehört. Aber ich sage euch, Augen haben
-sie gemacht beim Kaufmann! Beinahe so, wie in der Stadt, denn bei
-Frau Freimut klingelte es den ganzen Tag und dann ging es los: Liebes
-Fräulein, haben Sie sich das auch überlegt? Sie mit Ihrer Bildung und
-ein gewöhnlicher Bauer. Das tut nicht gut.«
-
-Wie Volkmann im vorigen Sommer, so war sie jetzt morgens die erste, die
-aus dem Bette sprang, und wenn Frau Garberding in die Küche kam, war
-der Kaffee schon fertig. »Mädchen,« sagte die alte Frau, »du bist unser
-Besuch und arbeitest wie eine Magd?«
-
-Holde hielt ihr die Hände vor das Gesicht: »Sieht man es ihnen an?
-So laß mir mein Vergnügen; wenn ich nicht überall zufasse, lerne ich
-nichts.«
-
-Sie ging mit auf die Weide und melkte zur Verwunderung der Mägde, als
-wenn sie nie etwas anderes getan hätte, sie half im weißen Fluckerhut,
-roten Leibchen und blauen Rock beim Heumachen, sie hackte das Gemüse im
-Garten und wandte die Wäsche auf der Bleiche und abends saß sie mit dem
-Strickstrumpfe in der Hand mit Lüder und dem Bauern vor der Türe, denn
-Lüder kam jedweden Abend.
-
-»Junge,« sagte der alte Bauer zu ihm, »Junge, du kannst lachen. So 'ne
-Frau wie die!«
-
-Ob Volkmann wollte oder nicht, die Hochzeit wurde bei Garberding
-gefeiert. »Wir haben nicht Kind und Kegel und wollen auch unser
-Vergnügen haben,« meinte Frau Garberding.
-
-Es war keine große Hochzeit, denn es war in der Heuezeit und die
-Brautleute hatten keinen Anhang im Dorfe, und außer Freimut und
-seiner Frau waren keine Fremden eingeladen, aber es war eine lustige
-Hochzeit, darüber waren alle einer Meinung, und noch wochenlang nachher
-gnickerte mancher sauertöpfische Bauer vor sich hin, wenn er an die
-Rede dachte, die der lange Rechtsanwalt gehalten hatte. So eine Rede
-hatte noch keiner gehört, denn was er von Bauernart und Bauernstolz
-und Bauernarbeit sagte, das ging den Leuten glatt herunter.
-
-»Mein Lieber,« stöhnte der Anwalt einige Zeit später, »mit meiner Rede
-auf deiner Hochzeit habe ich mir schön was an die Hacken gehängt!
-Ich habe schon sowieso genug zu tun, und nun kommt mir noch euer
-ganzes Kirchspiel mit seinen Prozessen. Wenn das so fortgeht, muß ich
-wahrhaftig die Jagd zur nebenamtlichen Beschäftigung machen.«
-
-Er kam jetzt meist mit seiner Frau. »Weißt du,« sagte sie eines Tages
-zu Holde, »das, was man Flitterwochen nennt, das hast du nicht kennen
-gelernt. Na, ich ja auch nicht. Ganze acht Tage waren wir im Harz,
-da hatte Jochen es satt, das heißt, das Gasthausleben. Und wer weiß,
-wozu es gut ist. Ich habe eine Freundin, die leistete sich ein ganzes
-Flittervierteljahr, denn sie hatte es dazu. Na, die haben auf Vorrat
-geküßt, denn jetzt ist er das ebenso leid wie sie. Ihr Bauern seid
-darin vernünftiger. Weißt du, was Jochen neulich sagte? Wenn es ein
-Junge wird, und das will ich hoffen, dann soll er nicht auf dem Asphalt
-hinter dem dreckigen Groschen herlaufen; Bauer soll er werden.«
-
-Als Freimut ankam, legte er seiner Frau die Hände auf die Schultern und
-sagte: »Rate einmal, was du heute geworden bist?«
-
-Sie sah ihn verwundert an und er lachte: »Anbauersfrau! Ich habe
-Garberding das dumme Stück Abland, wie er immer sagt, da zwischen
-Bruch und Haide abgekauft. Wie stehe ich jetzt da? Nun wird da eine
-Häuslingswohnung hingebaut und da verleben wir hinfüro die Zeit, in
-der ich keine Männerreden vor Gericht zu schmettern und zu Hause keine
-Akten durchzuwurzeln habe.
-
-Die Sache ist nämlich die: solange ich lebe und eine Knarre schleppen
-kann, behalte ich Garberdings und Lüders Jagd und die andere
-hoffentlich auch noch. Nun wird erst höchst eigenhändig der Busch
-gerodet und ein Obstgarten angelegt und Forellen- und Karpfenteiche
-gebuddelt und so nach und nach wird das dann deine Sommerfrische, und
-dann habe ich doch immer einen vernünftigen Grund, zur Jagd zu gehen,
-und Oldwig kann zu Hause Aktenstaub schlucken.
-
-Im April geht die Bauerei los, und die Grundsteinlegung wird
-schauderhaft festlich mit Flaschenbier und selbstgeschlachteten
-Würsten gefeiert. Und auf meine Namenskarte lasse ich jetzt drucken:
-Jochen Freimut, Anbauer, Jagdidiot und im Nebenamt Rechtsverdreher.«
-
-Es wurde auch eine sehr lustige Feier, aber der Hilgenbauer war nur
-eine Stunde dabei und seine Frau gar nicht, denn sie hatte ihm am
-Morgen dieses Tages Zwillinge geschenkt, einen Jungen und ein Mädchen.
-
-»Hochgeöhrte Anwesende, geliebte Festgenossen, werte Gäste,«
-hatte Freimut seine Rede angefangen, »der augenblickliche Tag ist
-bedeutungsvoll für uns. Zum ersten, weil wir hier den Grundstein zu
-dem Hause legen, in dem hoffentlich einst mein ältester und vorläufig
-einziger Sohn Lüder etwas Vernünftigeres treiben wird als sein die
-Natur mit Pulverdampf erfüllender Vater; zum zweiten besteht die
-Familie Volkmann seit fünf Uhr dreißig Minuten heute früh aus vier
-Köpfen, sintemal und alldieweil der Adebar zweimal geflogen kam,
-wie das, wie man bei Ramakers gesehen hat, dort das übliche zu sein
-scheint. Gehet hin und tuet desgleichen, so daß man nach zehntausend
-Jahren noch singen kann, Musik!!: Deutschland, Deutschland über alles!«
-
-Als Freimut hinterher zum Hilgenhofe ging, denn er mußte den Abend
-noch abreisen, fand er Garberdings da. Die alten Leute waren selig,
-und besonders die Bäuerin lachte und weinte durcheinander und sagte in
-einem fort: »Jetzt bin ich doch noch Großmutter geworden!«
-
-Und sie wurde die Großmutter, und es verging kaum ein Tag, daß der
-Garberdingsche Wagen nicht angefahren kam, und war das Wetter schön, so
-konnte man darauf rechnen, daß auch Garberding mitkam, denn der Bauer
-mußte sich sehr vorsehen.
-
-»Mit mir ist nicht mehr viel Staat zu machen,« sagte er zu Volkmann,
-»wenn ich den Winter noch überstehe, so ist es ein Wunder. Es schadet
-auch nichts; ich kann mit meinem Leben zufrieden sein; fünfundsechzig
-bin ich, das ist ein schönes Ende.
-
-Und nun will ich dir was sagen, mein Junge: sieh mal, Kinder haben wir
-beide nicht, Trina und ich, und was wir an Verwandtschaft haben, das
-ist so weitläufiger Art, daß wir da nichts von wissen, und wir beide
-sind ja auch noch verwandt miteinander. Deswegen habe ich das mit
-unserer Mutter so abgemacht: du sollst meinen ganzen Hof haben mit
-allem, was drum und dran ist, und das bare Geld, das nicht ganz wenig
-ist, kann bis auf einiges, das ich anderer Weise verwenden will, die
-Verwandtschaft kriegen.
-
-Ich bin noch nicht fertig; hör zu; der Tormannshof, auf den ich
-geheiratet habe, hat ein großes Stück von dem Hilgenhofe zu sich
-herübergezogen, denn als dein Großvater starb und hinterher der Anerbe,
-verkaufte dein Oheim, weil er doch in der Stadt sein Geschäft hatte,
-dreihundert Morgen an meinen Schwiegervater, während dein anderer Ohm,
-der Professor, das andere bekam. Unsere Mutter und ich sind beide in
-demselben Augenblick auf diesen Gedanken gekommen.«
-
-Der Hilgenbauer hatte einen ganz roten Kopf bekommen. »Ich kann das
-so ohne weiteres nicht annehmen, Garberding,« versetzte er, »ein
-solches Geschenk. Einmal wird mir das Mißgunst schaffen im Dorfe, und
-dann, ob Ihr mit Eurer Verwandtschaft auch noch so weit auseinander
-seid, Verwandtschaft bleibt Verwandtschaft. Bedenke, sie könnte mir
-Erbschleicherei vorwerfen.
-
-Und schließlich, meine politischen Ansichten stehen dem auch entgegen.
-Ich hätte dann weit über tausend Morgen, und das ist zu viel.
-Großgrundbesitzer haben wir mehr als genug, was uns fehlt, das sind
-Bauern. Ein Musterwirt von Gutsbesitzer ist nicht so viel wert für die
-Erhaltung der deutschen Volkskraft als zehn Kleinbauern, die nach der
-alten Art wirtschaften. Er kann zehn Kinder haben meinetwegen, dann
-haben aber die zehn Bauern hundert.
-
-Wenn du mir etwas Land schenken willst von unserem alten Besitz, so
-danke ich dir herzlichst im Namen meines Jungen; aber alles kann ich
-nicht annehmen.«
-
-Acht Tage später kam der Großknecht vom Garberdingschen Hofe
-angeritten; der Bauer war in der Nacht gestorben. Ganz sanft war er
-hinübergegangen. Die Bäuerin war sehr gefaßt: »Es ist hart für mich,«
-seufzte sie, »aber ich sah es ja kommen. Zu guter Letzt sagte er noch:
-›Mutter, nun bist du doch nicht allein, wo du die Kinder hast.‹ Und das
-ist auch mein Trost.«
-
-Sie gab den Hof in Pacht und zog auf den Hilgenhof. »Verzieh mir die
-Kinder nicht so, Großmutter,« mußte Frau Volkmann jeden Tag wohl
-dreimal sagen, denn den ganzen Tag war Frau Garberding mit den Kleinen
-zu Gange, und als nach zwei Jahren noch ein Junge da war, da war sie
-ganz glücklich.
-
-»Wenn das unser Vater noch erlebt hätte,« rief sie, lachte listig in
-sich hinein und fuhr, sobald Holde sich wieder helfen konnte, zur Stadt.
-
-Fünf Jahre lebte sie noch auf dem Hofe, bis ihr an einem Maiabend die
-Luft wegblieb. »Die Kinder,« stöhnte sie, und man brachte sie zu ihr.
-
-Sie strich jedem über den Kopf und lächelte müde. Noch einmal hob sie
-den Kopf: »In der Beilade!« Um ihren Mund stand ein verschmitztes
-Lächeln, ehe sie verschied.
-
-Als nach dem Begräbnis Frau Volkmann die Beilade der Toten
-aufschloß, fand sie oben auf dem Sonntagszeuge einen Brief, dessen
-Aufschrift lautete: An Lüder Volkmann; er enthielt eine Abschrift
-der Erbverschreibung, wonach Katharina Hermine Magdalene Garberding
-vormalige Tormann nach dem Willen ihres Mannes ihren gesamten Besitz
-und was dazugehörig war an Lüder Volkmann vermachte. »Doch,« so hieß es
-am Schlusse, »soll er nicht gehalten sein, alles zu behalten, vielmehr
-darf er mit Ausnahme der dreihundert Morgen, die vordem beim Hilgenhofe
-waren, darüber frei verfügen.«
-
-Frau Volkmann wurde blaß, als sie das Schriftstück las. »Lieber
-Lüder,« sagte sie, »das geht doch nicht. Wer weiß, ob nicht unter den
-Verwandten von unserer Großmutter Leute sind, die es sehr nötig haben.«
-
-Ihr Mann nahm sie in den Arm: »Das freut mich, Holde, daß du auch
-so denkst; genau dasselbe habe ich zu Garberding gesagt, als er mir
-kundgab, daß er uns seinen Hof hinterlassen wolle. Wir wollen uns nach
-der Verwandtschaft umsehen; vielleicht ist einer darunter, der auf den
-Hof paßt.«
-
-Als es im Dorfe bekannt wurde, daß der Vorsteher den ganzen
-Tormannschen Hof geerbt habe, gab es erst ein großes Gerede, aber als
-es sich herumsprach, daß Volkmann nur die dreihundert Morgen behalten
-wolle, das andere aber bis auf ein Stück, das der Rechtsanwalt Freimut
-zukaufen wollte, an einen aus der Garberdingschen Verwandtschaft
-hingeben wolle, da war das Gerede noch größer, und hatten etliche Leute
-erst angedeutet, daß Volkmann es schlau angefangen habe, um das Erbe
-zu bekommen, so taten dieselben Männer jetzt so, als wenn er nicht alle
-fünf Sinne beieinander habe.
-
-Er aber kümmerte sich weder um die feindlichen noch um die mitleidigen
-Blicke und beauftragte Freimut, Erkundigungen über die Verwandtschaft
-einzuziehen.
-
-Über ein Jahr ging darauf hin; schließlich fand der Anwalt heraus, daß
-am Rhein eine Fuhrmannswitwe Tormann lebte, deren ältester Sohn ein
-tüchtiger Bauernknecht sein sollte.
-
-Sobald er konnte, reiste Freimut hin, und als er wiederkam, meinte
-er: »Das ist der richtige; ein Kerl wie ein Baum, Augen wie ein Kind,
-Fäuste wie ein Hausknecht und ein Herz wie ungemünztes Gold. Die Leute
-können eben leben; es sind noch zwei Mädchen da, eine von vierzehn und
-eine von siebzehn Jahren, ganz prächtige Mädels, und die Mutter ist
-auch so. Ich habe natürlich nicht gesagt, um was es sich handelt, ich
-sagte nur, daß sie von dem baren Gelde geerbt hätten; wieviel es wäre,
-wüßte ich nicht. Da sagte der älteste, Hermann heißt er: ›So viel ist
-es wohl nicht, daß wir uns ein paar Morgen Land kaufen könnten; hier
-ist billig etwas zu kriegen.‹ Den Mann nimm, Lüder. So, und wo ist der
-Bock, den du mir währenddem ausmachen wolltest?«
-
-Volkmann meinte, das ließe sich wohl hören, es sei nur fraglich, ob
-ein Rheinländer sich bei ihnen eingewöhnen werde. Als er nachher
-mit Freimut durch das Bruch ging, um ihm zu zeigen, wo der Bock
-stand, traten sie ein beflogenes Gesperre Fasanen heraus, und da
-sagte Freimut: »Siehst du, du meintest zuerst, die Fasanen würden
-verstreichen; dieses hier aber ist das sechste Gesperre, das wir jetzt
-haben. Meinst du noch, daß Hermann Tormann sich hier nicht hineinfinden
-wird?«
-
-Er behielt recht; Hermann Tormann kam angereist, als ihm geschrieben
-wurde, er solle unter Umständen den Hof haben, doch müsse er erst
-ein Jahr Knecht auf dem Hilgenhofe sein, was er ganz richtig fand.
-Er war allerhand anders gewöhnt, aber er fand sich schnell in die
-landesübliche Weise, und da er freundlich und von sinniger Art war,
-stellte er sich gut mit den jungen Leuten aus dem Orte, mit denen er
-aber nicht viel zusammenkam, da er von sich aus keine Wirtschaften
-besuchte.
-
-Als das Jahr um war, rief der Bauer ihn in die Dönze. »Du bist mir ein
-guter Knecht gewesen, Hermann,« sagte er, »dein Jahr ist um und hier
-ist der Lohn, den du noch zu bekommen hast. Morgen fährst du nach Hause
-und holst deine Mutter und deine Schwestern; unterdessen trete ich dir
-den Tormannschen Hof ab, das heißt nicht ganz. Du weißt, die Koppeln im
-Rodewischen sind so abgelegen, daß sie immer verpachtet werden mußten;
-die will ich Ramaker als Anbauerstelle geben. Er hat die Jahre so viel
-für mich getan, daß ich das mit Geld gar nicht gutmachen kann. Und
-jetzt, Tormannsbur, hier ist der Stock vom alten Garberding, den er
-immer trug und den ihm sein Schwiegervater gab; der ist jetzt dein, und
-das Zeichen darin, das ist jetzt deine Hausmarke. Und nun reise gut und
-grüße deine Mutter und die Schwestern.«
-
-Es dauerte einen Monat, ehe Tormann zurückkam, denn, wie er schrieb,
-mußte seine Mutter erst ihr Häuschen mit dem bißchen Land und den
-Hausrat zu Geld machen, ohne es zu verschleudern. Es war so, wie
-Freimut gesagt hatte; die Frau und ihre Töchter gefielen Volkmann von
-Anbeginn; sie machten keine großen Worte, aber man sah es ihnen an den
-Augen an, wie glücklich sie waren.
-
-Am allerseligsten aber waren Ramakers. Der Häusling sagte gar nichts,
-als ihm der Bauer den Besitzschein für die Anbauerstelle übergab; er
-wurde weiß um die Nase und setzte sich auf den Hackklotz. Aber als er
-sich etwas erholt hatte, war sein erstes, daß er fragte: »Wo willst du
-jetzt aber einen neuen Häusling herkriegen?«
-
-Seine Frau saß auf der Deele auf der Eimerbank und lachte und weinte
-durcheinander. »Denn,« sagte sie, »mit Lustigkeit alleine komme ich
-darüber nicht weg.«
-
-
-
-
-Die Lerche.
-
-
-Seitdem Frau Holde auf dem Hilgenhofe war, hatte sich der Bauer in
-der schlechten Jahreszeit wieder an seine Arbeit gemacht und seine
-Quintärfauna von Deutschland in einer wissenschaftlichen Zeitung
-erscheinen lassen.
-
-Die Arbeit machte großes Aufsehen, und in dem führenden Fachblatte
-wurde sie die wichtigste zoo-geographische Arbeit aus der deutschen
-Fauna genannt, die in den letzten fünfzig Jahren erschienen wäre.
-
-Neben der Beschäftigung mit dieser Arbeit hatte der Bauer den Stoff für
-eine andere gesammelt, in der er die Veränderungen darstellen wollte,
-die die höhere Tierwelt des Gaues von den ältesten Zeiten bis auf seine
-Tage erfahren hatte, doch kam er davon ab, als er die Einzelheiten aus
-der Literatur, die ihm der naturwissenschaftliche Verein zu Bremen
-beschaffte, und aus allerlei Akten zusammensuchte, und aus den alten
-Leuten in der Gegend herausfragte, und auf einen anderen Gedanken.
-
-Der Name seines Hofes und die Tatsache, daß die gewaltige Eiche, die
-mit den dreihundert anderen dort stand, nicht unter die Axt gekommen
-war, hatten ihn auf die Vermutung gebracht, daß es mit dem Hilgenhofe
-eine besondere Bewandtnis haben müsse.
-
-Als er Thöde Volkmanns Bücher durchsuchte, fand er darunter einen
-mühsam zusammengebrachten Stammbaum der Hilgenbauern, der zwar einige
-kahle Stellen aufwies, aber weit zurückreichte, und in demselben
-Hefte eine Menge Aufzeichnungen über die Geschichte des Hofes und der
-Besitzer, sowie in einem Fache des Schrankes alle Literatur, in denen
-der Hilgenhof und Reethagen vorkamen.
-
-Der Hilgenbauer fühlte sich mit seinem Hofe so sehr verwachsen, daß
-er selbst schon allerlei über ihn und seine Besitzer zusammengetragen
-hatte; er forschte weiter nach, wo er irgendwelche Urkunden, Akten und
-Aufzeichnungen vermutete und trug alles in das grüne Heft seines Ohms
-ein; dann zog er daraus den Stammbaum und trug ihn in einen starken
-Band mit Lederdeckel ein, den er eigens zu diesem Zwecke gekauft hatte
-und der das Hausbuch der Hilgenbauern werden sollte und davor in
-knapper Fassung die Geschichte des Hilgenhofes und seiner Besitzer, und
-die Bäuerin, die sehr gut zeichnete und malte, fügte Bilder von dem
-Hause, dem alten Wahrbaume, dem Hilgenberge, dem Grasgarten und dem
-Fleet hinzu und ihre, ihres Mannes und der Kinder Abbildungen.
-
-Lüder hatte schon auf der Lateinschule sehr viel gelesen und auf der
-Hochschule und später noch mehr; jetzt las er nur ganz selten noch und
-eigentlich nur solche Bücher, die sich mit der Geschichte der Heimat
-und ihrem Volke beschäftigten, schöne Literatur dagegen gar nicht.
-
-Dadurch kam er ganz zu sich selbst und lenkte seine Gestaltungskraft,
-die fortwährend in ihm arbeitete und die in den letzten Jahren ganz
-von der Arbeit für den Hof mit Beschlag belegt war, nicht ab, sondern
-speicherte einen großen Vorrat davon in sich auf.
-
-Als ihm nun beim Holzabfahren in der Wohld ein Stamm den rechten Fuß
-so schwer gequetscht hatte, daß der Arzt ihm für lange Wochen Liegen
-verordnete, fühlte er sich sehr unbequem, denn mit dem Lesen von
-Büchern konnte er seiner Unruhe nicht Herr werden.
-
-»Schreibe deine Gaufauna fertig,« riet ihm seine Frau, und sie
-beschaffte ihm ein Pult, das an das Bett geschraubt wurde. Er begann
-zu schreiben, aber während er bei der Einleitung war, in der er das
-Land schilderte, wie es zu den Zeiten ausgesehen haben mochte, als noch
-Urochs, Bär, Adler und Uhu dort lebten, traten, je weiter er kam, immer
-mehr die Menschen vor ihn, während das Getier zurückwich.
-
-Er klagte seiner Frau sein Leid, aber sie sagte ihm: »Die Hauptsache
-ist, daß du dir die Zeit vertreibst. Die Tiere laufen dir nicht fort,
-und wenn sich die Menschen vordrängen, so werden sie wohl ihre Ursache
-dazu haben. Das, was du bis jetzt geschrieben hast, ist sehr schön.«
-
-So tat er, was er mußte, ließ den Hilgenhof entstehen, schilderte
-die Schicksale der Leute, die darauf saßen, und als er in kurzen
-Zügen die alte Zeit dargestellt hatte, langte er bei Helmold Hilgen
-an, der während des Dreißigjahreskrieges lebte und dessen zweiter
-Sohn Hennecke, der herzoglicher Amtsschreiber war, ein Heft mit
-Aufzeichnungen über das, was ihm sein Vater erzählt hatte, hinterließ.
-
-Dadurch bekam Lüder Boden unter die Füße, so daß er weiterkommen konnte
-bis zu Henning Volkmann, der auf den Hilgenhof heiratete und zur Zeit
-des ersten Napoleon lebte. Das war ein ausnehmend gescheiter Mann; er
-hatte ein Tagebuch über alle wichtigen Geschehnisse auf dem Hofe und im
-Kirchspiele geführt und immer die großen Zeitereignisse dabei bemerkt,
-soweit sie Einfluß auf den Hof hatten, auch seine eigenen Gedanken
-dabei nicht vergessen, die er sich darüber gemacht hatte.
-
-Da nun ein Schillscher Offizier, der lange mit einer schweren Wunde auf
-dem Hilgenhofe lag, sowohl den Bauern als die Bäuerin und die Kinder
-als Schattenrisse in das Heft hineingezeichnet hatte, auch auf zehn
-Seiten in trefflicher Weise das Leben auf dem Hofe beschrieben hatte,
-so hatte Lüder diesen seinen Ahnen sichtbar vor Augen und konnte nicht
-eher von ihm fortkommen, als bis er in zehn Schreibheften das ganze
-Leben dieses ausgezeichneten Bauern, der ein Mehrer des Hofes und
-fünfzig Jahre lang Bauernvogt war, beschrieben hatte.
-
-In vier weiteren Heften schloß sich der Niedergang des Hofes an, bis
-im fünfzehnten und letzten Hefte die beiden letzten Volkmanns, der
-weltflüchtige Gelehrte Thöde und Lüder, der Landstreicher, den Beschluß
-bildeten.
-
-Es war Ende Februar, als der Bauer mit der Geschichte des Hofes zu
-Rande war. Sein Fuß hatte sich sehr gebessert, zumal er sich während
-des Schreibens ruhig verhalten hatte, denn je mehr er schrieb, um so
-ruhiger wurde es in ihm.
-
-Er gab die fünfzehn Hefte der Bäuerin; sie las sie trotz der engen
-Schrift in einem Zuge durch, faßte seinen Kopf mit beiden Händen,
-gab ihm einen Kuß und sagte: »Das kannst du mir schenken, es ist
-wundervoll.« Er nickte, und als sie weiter fragte: »Darf ich damit
-machen, was ich will?« nickte er wieder und sagte: »Gewiß, Holde, was
-du willst!«
-
-Da die Sonne warm schien, hatte er Lust, nach draußen zu gehen, denn
-bis dahin war er nur im Hause auf und ab gegangen. Die Bäuerin gab ihm
-den Arm und führte ihn in den Garten, wo in der Alpenanlage, die Thöde
-Volkmann angelegt hatte, allerlei frühe Blumen blühten, und von da bis
-zum Ende des Grasgartens, weil dort die Vormittagssonne am wärmsten war.
-
-Als sie auf die Saat sahen, die vortrefflich durch den Winter gekommen
-war, flog aus dem dichten Grün die erste Lerche hoch, stieg auf und
-sang. »Ich habe es gut getroffen, Holde,« sagte der Bauer, »gleich
-beim ersten Schritte vor das Haus singt mir die Lerche zu.« Seine Frau
-nickte lächelnd; sie hatte ihre eigenen Gedanken.
-
-In der Folge, als Lüder wieder mehr draußen war, um nach den Knechten
-zu sehen, denn er hatte jetzt drei Knechte außer dem neuen Häusling
-Lüdeke, mit dem er es gut getroffen hatte, saß die Bäuerin jeden Tag
-und schrieb die Geschichte des Hilgenhofes sauber ab, und wenn ihr Mann
-sie dabei antraf und sie fragte, warum sie sich soviel Mühe gäbe, dann
-sagte sie lächelnd: »Du hast gesagt, ich kann damit machen, was ich
-will.«
-
-Wenn aber Freimut zur Jagd da war und sich auf dem Hofe sehen ließ,
-dann hatte sie immer Wichtiges mit ihm zu reden; manchmal steckte er
-ihr auch einen Brief zu, und als Lüder das einmal bemerkte, lächelte
-seine Frau ganz so, wie damals Mutter Garberding gelächelt hatte, als
-sie sich zur Kreisstadt fahren ließ, um ihre Erbverschreibung aufsetzen
-zu lassen.
-
-»Es ist ein gesegnetes Jahr,« meinte der Bauer, als sie die Deele zum
-Erntebier rüsteten.
-
-Die Frau stimmte ihm mit den Augen zu, aber sie dachte nicht an die
-Ernte, die auf dem Felde gewachsen war, und nicht an die Gartenfrüchte
-und an die Obstbäume, die sich alle tief bückten, noch weniger.
-
-Zuzeiten fragte Lüder sie, was sie habe, denn wenn sie auch immer
-heiteren Sinnes war, in ihren Augen war seit einiger Zeit ein ganz
-eigenes Leuchten, und noch nie hatte sie soviel gesungen und gelacht,
-wie zu dieser Zeit, und war sie früher schon schön, so wurde sie es
-jetzt noch viel mehr, trotzdem sie von früh bis spät mit dem Haushalte
-zu tun hatte und außerdem noch auf die Kinder, deren es mit der Zeit
-vier geworden waren, zu achten hatte.
-
-So kam der Weihnachtsabend heran. Lüder saß in der großen Wohnstube in
-dem Anbau, in dem jetzt die Familie lebte, da das alte Haus zu klein
-geworden war, und hatte das jüngste Kind auf dem Schoße, während die
-anderen mit gemachter Ruhe die Bilder in einem Tierbuche besahen. Die
-Geschenke für seine Frau hatte er der Großmagd gegeben.
-
-Um sieben Uhr kam die Bäuerin herein; sie hatte, wie die anderen
-auch, ihr bestes Zeug an, und in ihren Augen war eine heimliche
-Ausgelassenheit, so daß ihr Töchterchen sagte: »Mutter, du siehst heute
-wirklich zu schön aus!«
-
-Bald darauf läutete es; die Bäuerin faßte ihren Mann an die Hand und
-führte ihn auf die Deele, wo der Lichterbaum brannte; um ihn herum
-standen das Gesinde und der Häusling mit seiner Familie.
-
-Nachdem die Kinder mit klaren Stimmen das Weihnachtslied gesungen
-hatten, wurden erst Lüdekens beschert, dann das Gesinde, worauf
-schließlich die Kinder zu ihren Gaben gewiesen wurden; zuletzt führte
-Lüder seine Frau dahin, wo seine Geschenke lagen, alltägliche Dinge,
-die ihr fehlten und die er sich im Verlaufe des Jahres gemerkt
-hatte, und einiges, das nicht so notwendig war und von liebevoller
-Aufmerksamkeit Zeugnis gab.
-
-»Du, lieber Lüder,« sagte die Bäuerin, nachdem das Gesinde mit seinen
-Geschenken in die Leutestube gegangen war, »du bekommst wie gewöhnlich
-das wenigste; da sind zwölf Paar Strümpfe, sechs für den Sommer und
-sechs aus Schnuckenwolle für wintertags, und zwei Kisten Räucherwerk
-und natürlich einen Weihnachtskuß, weil du bis auf die Dummheit mit
-dem gequetschten Fuß dich das ganze Jahr gut betragen hast. Gern hätte
-ich dir noch ein besseres Angebinde verehrt, aber du hast ja so wenig
-Bedürfnisse, daß man nie weiß, was man dir schenken soll. Unter den
-Strümpfen liegt noch eine Kleinigkeit, die dir vielleicht Freude macht.«
-
-Neugierig packte er die Strümpfe fort und fand darunter ein Heft einer
-vornehmen Zeitschrift liegen, auf dessen aufgeschlagener Seite eine
-Stelle blau bezeichnet war. Er las und wurde ganz rot im Gesicht, denn
-da stand:
-
-»Im Verlage des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrt- und
-Heimatpflege ist ein Buch erschienen, das in der Weihnachtsliteratur
-dasteht wie eine Eiche im Felde. Es heißt »Der hohe Hof« und behandelt
-die Geschichte einer bäuerlichen Familie der Lüneburger Haide. Sein
-Verfasser nennt sich Lüder Volkmann; wir wissen nicht, wer das ist,
-aber wir wissen, daß er ein großer Künstler ist. Seine Sprache ist
-rein und klar, wie die Luft in der Haide; da stäubt kein überflüssiges
-Wort, da fliegt kein falscher Ausdruck. Sein Satzbau ist von jener
-Natürlichkeit, die so schwer zu treffen ist, und seine Bilder sind
-ungesucht und neu. Das Buch wird demnächst ausführlicher besprochen;
-für heute sagen wir nur: es ist ein köstliches Werk.«
-
-Als Lüder aufsah, warf sich Holde an seine Brust. »Ich habe nur die
-Namen etwas geändert; alles andere blieb, wie es war. Du sagtest, ich
-könnte damit anfangen, was ich wollte, da habe ich es drucken lassen.«
-
-Sie schlug die weißleinene Decke zurück, und zwei Bücher kamen zum
-Vorschein, das eine in kostbarer, das andere in einfacher Ausstattung.
-
-»Das, Lüder, ist die Volksausgabe. Dein Buch muß in recht viele Hände
-kommen, darum ist gleich eine ganz billige Ausgabe herausgegeben.
-Inhaltlich sind beide Ausgaben gleich, nur kostet dieses Buch zwei,
-jenes sechs Mark.
-
-Und nun gib mir einen Kuß, damit ich weiß, daß du mir nicht böse bist.«
-
-Sie lehnte sich an ihn und sah mit Augen zu ihm auf, die vor Glück und
-Stolz feucht glänzten.
-
-Ihr Mann küßte sie auf die Stirne: »Du!« sagte er und weiter nichts.
-
-
-
-
-Der Brachvogel.
-
-
-Am Altjahrsabend dröhnte die Stimme Freimuts über die Deele: »Mann,«
-trompetete er, »die Welt ist deines Ruhmes voll, und was das beste ist,
-sie schimpfen sogar schon über dich in den Zeitungen, die an pikante
-Gerichte, wie Rollmops mit Vanillesauce gewöhnt sind. Mann, ich werde
-von jetzt ab Sie zu dir sagen und dich nur noch in der dritten Person
-anreden.
-
-Haben Euer Gnaden das schon gelesen?«, er holte eine Zeitung aus
-der Tasche, »und das und das und das? Lasse dich schleunsamst
-photographieren und schaffe dir einen Mann an, oder besser deren
-drei, die gerade solche Haarfarbe haben wie du, und lege dir einen
-Schreibknecht bei, denn ich sage dir, wenn die Haide blüht, wird die
-Wallfahrerei zum Hilgenhofe losgehen und dann kannst du Widmungen
-schreiben, dein Kunterfei an flötende und hold lächelnde Mägdeleins
-verschenken und deine Locken wirst du sänftlich los!
-
-Nun ergreif dein Glas; sobald die Glocke das neue Jahr ansagt, wollen
-wir auf das nächste Buch trinken, von dem ich hoffe, daß darin ein
-gewisser Jochen Freimut eine große Rolle spielt, und auf deine liebe
-Frau, denn ohne die wäre aus dir nichts Vernünftiges geworden.«
-
-Lüder lachte: »Das stimmt,« sagte er und nickte seiner Frau zu.
-
-In diesem Winter stellte er seine große naturwissenschaftliche Arbeit
-fertig, in der er erzählte, wie sich im Laufe von Jahrhunderten je
-nach der Art der Pflanzenwelt und der Kultur die wilde Tierwelt
-zusammensetzte, von der Zeit an, als noch mongoloide Fischer und Jäger
-dort hausten, bis die blonden Weidebauern sie von dannen trieben, die
-Fichten und Fuhren zurückdrängten und die Eiche begünstigten, wodurch
-eine ganz andere Tierwelt aufkam. Dann wurde aus dem Weide- ein
-Ackerbauer und wieder änderte sich die Tierwelt; die Lüneburger Saline
-und der schreckliche Krieg nahmen die alten Eichen fort und abermals
-traten Fichten und Fuhren und mit ihnen andere Tiere vorn hin; die
-Vorderlader, die Eisenbahn, die Vergrößerung des Landstraßennetzes,
-die Ablösung der Waldhutung in den Staatsforsten, die zunehmende
-Entwässerung und Urbarmachung gaben der Zusammensetzung der Fauna
-wieder ein anderes Gesicht, und so zeigte er in seiner klaren, ruhigen
-Schreibart, warum Blauracke und Wiedehopf verschwinden mußten und
-weshalb Haubenlerche und Grauammer in die Haide einwanderten, und als
-das Buch erschien, fand es überall Lob.
-
-Vielerlei Leute suchten den Hilgenbauer auf, Forscher und Künstler,
-aber nur wenige kamen an ihn heran. Die Bäuerin hatte helle Augen,
-und wenn sie erkannte, daß nur Neugier oder Geschäftsmacherei einen
-Menschen auf den Hof trieben, dann blieb ihr Mann damit verschont, denn
-obzwar er jetzt wußte, daß er mehr war als nur ein Bauer, so wollte er
-im Grunde nichts als ein Bauer sein.
-
-Nur in der stillen Zeit, wenn das Feld und die Wiese eingeschlafen
-waren, nahm er die Feder in die Hand, aber auch nur dann, wenn die
-viele Kraft, die in ihm war, Frucht angesetzt hatte.
-
-Da er nicht dem Ruhme nachlief und nicht hinter dem Gelde her war,
-mähte er seine Gedanken nicht, bevor ihr Jakobstag da war, und trieb
-keinen Raubbau mit seiner Seele. So wurde jedes Buch, das er schrieb,
-reif und nahrhaft.
-
-An dem Tage, als sein ältester Sohn aus der Dorfschule kam, hatte er
-ihn gefragt, was er werden wolle, denn der Junge hatte nebenbei bei dem
-Pastor Unterricht in den alten Sprachen, in Geschichte und Erdkunde
-bekommen. »Ich will die Lateinschule besuchen,« hatte der Junge gesagt,
-»bis ich damit zu Ende bin.«
-
-Lüder dünkte das sonderbar, denn Dettmer hatte viel Freude an der
-Landwirtschaft, und so fragte er: »Willst du denn studieren?« Da hatte
-der Junge ihn groß angesehen: »Studieren? Wo ich doch Hoferbe bin!
-Aber ich will überall mitreden können, denn der Pastor sagt, was einer
-lernt, ist gleich, wenn er nur etwas lernt; wer gut Latein kann, der
-wird auch seinen Hof gut im Stande halten.«
-
-Am andern Tage fuhr der Bauer mit seiner Frau nach Hülsingen; sie aßen
-in demselben Kruge, wo sie an dem Tage gewesen waren, als die Schlange
-sie zusammengeführt hatte.
-
-Der Haidbrink, auf dem Lüder, der Landstreicher, damals gelegen hatte,
-als er auf Ramaker wartete, war fast noch so, wie an jenem Tage, nur
-daß die Haide höher war und die Zweige der Birke bis auf die Erde
-hingen. Der Ortolan sang nicht, denn er war noch nicht wieder da, aber
-auf dem Brombeerbusche unten an dem Brinke saß der Goldammer und sang
-sein friedliches Lied, und über dem Postbruche kreiste der Brachvogel
-und rief laut.
-
-Holde ging zu dem Machangelbusche, bei dem sie Lüder zuerst gesehen
-hatte; sie wollte sich einen Zweig zum Andenken mitnehmen. Der Bauer
-sah dorthin, wo der Brachvogel sich mit abnehmendem Rufe niederließ.
-
-Die Füße fest auf der Heimaterde, aber die Gedanken darüber; so soll es
-sein, dachte er. Und dann sah er dorthin, wo vor dem dunklen Busche das
-blonde Haar der Bäuerin in der Sonne leuchtete, und er dachte daran,
-was er gewesen war, ehe er sie gesehen hatte, und was er jetzt war.
-
-Er dachte an seine Verfehlung und die Strafe, die dafür über ihn
-gekommen war und daß er ohne beide sich wohl niemals auf sich selber
-besonnen hätte, sondern mit der Zeit abgestanden und schal geworden
-wäre, wie so mancher treffliche Mann in dem Wirrwarr der großen Stadt.
-
-Seine Frau kam den Hügel hinauf, hing sich in seinen Arm und sagte,
-indem sie den Geruch des Machangelzweiges einatmete, den sie in der
-Hand hielt: »Man sagt, Kreuzottern seien böse Tiere; die mich damals
-gebissen hat, war gut; Ramaker hätte sie nicht totschlagen sollen.«
-
-»Ja, Holde,« pflichtete ihr Mann ihr bei, indem er sie an sich zog,
-»das ist wohl so, es sieht manches wie ein Unglück aus und nachher wird
-es uns zum Segen!«
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
- Originalschreibweise wurde, soweit nicht unten aufgeführt,
- beibehalten. Das Cover wurde aus dem Originalcover und der
- Titelseite kombiniert und unter die Public-Domain-Lizenz gestellt.
-
- Korrekturen:
-
- S. 50: einen → einem
- die redet {einem} ein Loch in den Strumpf
-
- S. 81: Karline → Karoline
- {Karoline} hatte genickt
-
- S. 152: Niffelheim → Niefelheim
- letzten der Mannen von {Niefelheim}
-
- S. 188: belebt → erlebt
- Wenn das unser Vater noch {erlebt} hätte
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Dahinten in der Haide, by Hermann Löns
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAHINTEN IN DER HAIDE ***
-
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-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
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-Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
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-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
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- The Project Gutenberg eBook of Dahinten in der Haide, by Hermann Löns.
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-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Dahinten in der Haide, by Hermann Löns
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Dahinten in der Haide
-
-Author: Hermann Löns
-
-Release Date: October 5, 2019 [EBook #60428]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAHINTEN IN DER HAIDE ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p></div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Hermann Löns / Dahinten in der Haide</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="blockquot">Dieses Werk ist in der Auswahlreihe des Volksverbandes
-der Bücherfreunde erschienen und wir nur an dessen
-Mitglieder abgegeben. Der Druck erfolgte in der Jaeckerfraktur
-durch die Buchdruckerei Bär &amp; Hermann in Leipzig.</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h1>Dahinten in der Haide</h1>
-
-<p class="center larger">Roman</p>
-
-<p class="center smaller">von</p>
-
-<p class="h2">Hermann Löns</p>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/signet.png" alt="Signet" />
-</div>
-
-<p class="center">Volksverband der Bücherfreunde<br />
-Wegweiser-Verlag G. m. b. H.<br />
-Berlin
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">
-Nachdruck verboten<br />
-Copyright 1912 by Adolf Sponholtz Verlag G. m. b. H.<br />
-Hannover
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_5">[5]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Ortolan">Der Ortolan.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Der Südwind strich warm über den Kopf
-des hohen Haidbrinkes und bewegte die
-Zweige der Hängebirke, die voll von Blütenkätzchen
-und jungen Blättern waren, hin und
-her.</p>
-
-<p>Lüder Volkmann lag längelangs auf dem
-Rücken, lehnte sich gegen den großen Findelstein
-und hörte zu, wie der Ortolan in der
-Birke sang.</p>
-
-<p>Er hielt seine Pfeife abseits und atmete den
-Geruch der blühenden Postbüsche, den der
-Wind aus dem Bruche mitbrachte, und den
-Juchtenduft, der aus dem Birkenlaube kam,
-tief ein, und ihm war, als sei er noch in den
-Wäldern von Kanada, wo es im April auch
-nach Post- und Birkenlaub roch; aber der
-Ortolan sang da nicht; dort, wo Volkmann<span class="pagenum"><a id="Page_6">[6]</a></span>
-getrappt und gefischt hatte, gab es keine Landstraßen.</p>
-
-<p>Er stopfte sich eine neue Pfeife aus dem
-ledernen Tabaksbeutel, auf dem mit Glasperlen
-ein Kranz von braunen Bibern und
-schwarzen Raben gestickt war.</p>
-
-<p>Eine rote Mordwespe, die über seine Hose
-kroch, zog seine Blicke auf seine Kleidung.
-»Noch vier Wochen Landstraße und die Tippelkundenkluft
-ist fertig,« dachte er und lächelte,
-denn ihm fiel ein lustiger Abend in Berlin
-ein. Er hatte mit einer großen Gesellschaft
-in der vornehmen Weinwirtschaft zusammengesessen,
-die Männer im Frack, die Frauen
-und Mädchen in ausgeschnittenen Kleidern,
-und mitten zwischen ihnen war jener sonderbare
-Mann in dem alten Gehrock, Peter Hille,
-der Dichter, und der hatte, indem er seine
-Austern aß, im Gange der Unterhaltung zu
-seiner Nachbarin gesagt: »Ganz wohl fühlt
-man sich erst, Exzellenz, wenn man gesellschaftlich
-nichts mehr zu verlieren hat, sagt
-Böcklin.«</p>
-
-<p>Lüder Volkmann sah sein Zeug an; er hatte
-es in Omaha gekauft und die Stiefel in
-Chikago, und zwar an dem Tage, als er in<span class="pagenum"><a id="Page_7">[7]</a></span>
-einer Singspielhalle dem französischen Pferdehändler,
-der über Deutschland einen schlechten
-Witz machte, die Champagnerflasche in die
-Zähne warf, daß der Mann für tot fortgetragen
-wurde, und als drei andere Franzosen ihm
-an den Balg wollten, boxte er ihnen das
-Mittagessen aus dem Leibe. Dann hatte er
-der Musik zehn Dollar hingelegt, einen Freitrunk
-für jeden Mann, der eine Gurgel im
-Leibe hat, bestellt, und die Wacht am Rhein,
-Heil dir im Siegerkranz und Deutschland,
-Deutschland über alles spielen lassen, und alle
-mußten mitsingen, ganz gleich unter welcher
-Flagge sie geboren waren.</p>
-
-<p>Er mußte hell auflachen, als er daran
-dachte, welche dummen Gesichter die beiden
-Engländer gemacht hatten, als er mit ihnen
-anstieß und rief: »Trinkt, Jungs, auf die
-deutsche Flott'!« Dann hatte er fünf Dollar
-hingelegt und gerufen: »Das Flottenlied!«
-Aber in derselben Nacht hatte sich zuerst das
-Heimweh an seinen Arm gehängt und ihn
-nicht eher wieder losgelassen, als bis er an Bord
-der Anna Rickmers war. Als Kohlenzieher
-hatte er die Fahrt gemacht; seine tausend
-Dollar, die er sich in zwei Jahren zusammengetrappt<span class="pagenum"><a id="Page_8">[8]</a></span>
-und beieinandergefischt hatte, waren
-auf dem Asphalt der großen Stadt kleben geblieben.</p>
-
-<p>Er sah auf seine große Hand. Arbeiten, ja,
-das konnte die, aber sparen, nein! »Herr
-Doktor, Sie haben eine Ritterhand,« hatte
-auf dem Hofballe die Herzoginmutter gesagt,
-»und ich verstehe nicht, daß Sie mit der Feder
-fechten, statt mit dem Säbel.« Ihre guten
-alten Augen hatten ihn lange angesehen und
-dann meinte sie: »Daß Sie nicht von Adel
-sind!« Er hatte gelächelt. »Bin ich, Euer
-Hoheit, tausche mit keinem von den Prominenzen
-hier in dieser Richtung, die fürstlichen
-Herrschaften ausgenommen; die Volkmanns
-saßen wohl schon auf ihrem Haidhofe, als
-Exzellenz Drusus über die mangelhaften
-Chausseen in Germanien bei Seiner Majestät
-Augustus submissest Klage führte.« Da hatte
-sie so herzlich aufgelacht, daß der Leibarzt
-dem Herzoge sagte: »Hoheit müßten veranlassen,
-daß der Doktor Volkmann öfter mit
-Ihrer Hoheit zusammen ist; sie liebt ihn und
-lachen ist die beste Medizin für ein müdes Herz.«</p>
-
-<p>Lüder Volkmann sah auf das silbergraue
-Renntiermoos. So hatte das Haar der alten<span class="pagenum"><a id="Page_9">[9]</a></span>
-Herzogin ausgesehen. Sie war aus jenen
-Kreisen der einzige Mensch gewesen, der ihm
-nach seinem Falle geschrieben hatte. Er wußte
-den Brief halb auswendig; die eine Stelle
-lautete: »Sie kennen mich, lieber Herr Doktor;
-wenn ich später noch lebe, vergessen Sie
-nicht, daß Sie an mir immer eine Freundin
-haben.«</p>
-
-<p>Er drehte einen blanken Mistkäfer, der
-hilflos im Sande auf dem Rücken lag, um,
-sah, daß es die dreihörnige Art war, aber
-ein Weibchen, denn die Hörner fehlten ihm,
-und dann fiel ihm das Indianermädchen ein,
-das ein und ein halbes Jahr in seinem Blockhause
-gewohnt hatte, und das jeden Schmetterling
-aus dem Spinnennetze nahm. Ihre Seele
-war klein, aber ihr Herz war groß, in ihrem
-letzten Hauche flüsterte sie: »Lhütär« und dann
-nahm der Schneesturm ihre weiße Seele mit
-und wirbelte sie zum großen Geiste hin.</p>
-
-<p>Acht Wochen lang hatte ihr Leib, in glänzende
-Bärenfelle gehüllt, im Windfange gelegen;
-dann erweichte der Tauwind den Boden,
-Lüder begrub die Gefährtin seiner Einsamkeit,
-und die indianischen Holzarbeiter kamen
-alle, sangen gurgelnd ein verschollenes Lied<span class="pagenum"><a id="Page_10">[10]</a></span>
-und errichteten einen hohen Steinhaufen über
-dem Grabe, der Wölfe wegen und weil Margerit
-aus edlem Blute war.</p>
-
-<p>»Adel bleibt Adel, wenn es wirklich welcher
-ist,« dachte Lüder Volkmann, der Landstreicher,
-und vor ihm stand die Frau, an der er gescheitert
-war. Warum hatte er geglaubt, daß
-er sie liebte? In den Brombeerbüschen am
-Fuße des Brinkes sang der Goldammer; es
-war fast dasselbe Lied, das der Ortolan sang,
-aber des Goldammers Lied war klarer Frieden
-und in des Ortolans Sang war unstete
-Unklarheit.</p>
-
-<p>Er schüttelte den Kopf über sich selber. Also
-darum, darum hatte er sein Leben auf die
-Landstraße geworfen, darum! Er hatte die
-Frau gar nicht geliebt. Als er noch die bunte
-Mütze trug und jede Woche frische Schmisse
-hatte, da hatte er die Frau seines liebsten
-Lehrers lieb gewonnen und hatte sofort die
-Exmatrikel genommen. Ein Jahr später war
-die totgetretene Liebe aus ihrem Grabe auferstanden,
-hatte vor ihm gestanden und die
-Hände gerungen. Und jene andere Frau, an
-der sein Leben strandete, eine Volksausgabe
-der Frau des Professors war es gewesen, die<span class="pagenum"><a id="Page_11">[11]</a></span>
-neben jener in seiner Erinnerung stand, wie
-der dunkle, krankhaft süße Gesang des Ortolans
-neben dem lieben starken Liede des
-Goldammers.</p>
-
-<p>Früher hatte er sich oft gefragt, warum
-grade ihm das Schicksal die Schlinge über
-den Weg gelegt hatte. Er lachte nun darüber;
-warum lähmte die rote Wespe grade
-diese lustige Spinne mit ihrem Giftstachel und
-schleppte sie in ihre Höhle, wo sie sich so lange
-hinquälen mußte, bis die Wespenbrut sie bei
-lebendigem Leibe auffraß? Und er war groß,
-stark und gesund; also konnte ihm das Schicksal
-etwas mehr zumuten, als den Skrälingern
-mit dem dünnen Blute und dem weichen
-Fleische. Außerdem: was war, und war es
-auch hart und bitter, es sah von weitem
-eigentlich nur noch interessant aus. Er hatte
-sich daran gewöhnt, sein Unglück mit dem
-umgedrehten Pürschglase zu betrachten, und
-klein und lustig sah dann aus, was anfangs
-riesig und schrecklich erschien. Und nun wollte
-er Post- und Maibaumduft riechen und sich
-sattsehen an der braunen Haide und den
-gelben Wegen und den weißen Wolken, die
-über den schwarzen Wäldern standen, und<span class="pagenum"><a id="Page_12">[12]</a></span>
-wo irgendwo der Bauernhof lag, der Hilgenhof,
-der heilige Hof, dem sein Geschlecht entstammte.</p>
-
-<p>Wie schön es sich in dem Haidkraute lag!
-Er ließ den weißen Sand durch seine braunen
-Finger fließen und freute sich an den
-dichten Polstern der Krähenbeere, die den
-roten Stein umspannen. Vor ihm trippelte
-eine Haidlerche umher, ein grüner Sandkäfer
-blitzte auf, hoch oben kreiste der Bussard, bald
-wie Silber, bald wie Gold leuchtend, und
-nun rief sogar Wodes heiliger Vogel über
-ihm ein lautes Wort, das wie eine alte Rune
-war, und machte einen Bogen, als er den
-Mann äugte.</p>
-
-<p>Und dann der rotlodernde Post in der
-Grund, und die goldgrünen Machangeln auf
-dem Anberge, und die weißen Birkenstämme
-in der braunen Haide, und der silberne Bach
-und das goldene Risch, ein Tag war es, an
-dem die Gefühle des Menschen, der gut erhaltene
-Sinne hat, leicht und lustig tanzen
-müssen, wie helle Schmetterlinge, auch wenn
-er zum heimlosen Straßenläufer ward.</p>
-
-<p>»Aber nun wäre es Zeit,« dachte er, »daß
-Ruloff Ramaker käme; vom Sehen wird kein<span class="pagenum"><a id="Page_13">[13]</a></span>
-Mensch satt.« Volkmann legte sich auf die
-rechte Seite und deckte sein linkes Ohr mit
-dem Lodenhute zu, wie er es schon als ganz
-kleiner Junge mit der Bettdecke gemacht
-hatte, und wohlig schnurrte er, als die Besinnung
-ihn verließ, wie er es stets zu tun
-pflegte, wenn er sein Bewußtsein zu Bett
-brachte.</p>
-
-<p>Über ihm in der Hängebirke aber sang der
-Ortolan immer und immer wieder: »Ich bin
-müde.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_14">[14]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Goldammer">Der Goldammer.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Schwer und tief war der Schlaf des Mannes,
-und doch sprang er klaräugig auf die Füße,
-als Tritte im Haidkraute knisterten. Der Gendarm
-stand vor ihm und musterte ihn vom
-Hute bis zu den Stiefeln.</p>
-
-<p>Er sah gut aus, der Beamte; er war einen
-knappen Zoll kleiner als Volkmann: er hatte
-ein offenes Gesicht, einen prachtvollen blonden
-Bart und helle blaue Augen. Und da er inwendig
-so war wie außen, so stellte er sich
-erst recht barsch an und fragte mit rauher
-Stimme: »Zeig mal Deine Papiere!« Er zog
-die Augenbrauen hoch, als der Stromer antwortete:
-»Erstens habe ich keine und zweitens
-möchte ich Sie höflichst ersuchen, mich nicht zu
-duzen. Sie sind wohl noch nicht lange von
-der Front fort?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_15">[15]</a></span></p>
-
-<p>Der Gendarm bekam einen roten Kopf; er
-sah ein, daß er eine Dummheit gemacht hatte.
-Der Mann trug schäbige, aber gutsitzende
-Kleidung, und das Schuhzeug, das waren
-hochfeine Jagdschuhe von braunem genarbten
-Leder mit ausgenähtem Rand und Schnellschnürung,
-und, Donnerja, er hatte das ganze
-Gesicht voller Schmisse, und ein Benehmen,
-wie der Herr Amtsrichter. Köllner lenkte
-ein: »Entschuldigen Sie, es war nicht so
-schlimm gemeint. Und ich sehe, daß ich mich
-irrte; eine Steckbriefbeschreibung paßte ungefähr
-auf Sie, bis auf die Schmisse. Und
-einen krummen Zeigefinger haben Sie rechts
-auch nicht. Aber Sie werden doch Papiere
-haben?« Der andere schüttelte den Kopf:
-»Nein, sie sind mir vor vierzehn Tagen in
-Hamburg gestohlen.« Der Beamte wiegte
-den Kopf hin und her: »Ja, dann müssen Sie
-mich schon begleiten.«</p>
-
-<p>Er brach seine Rede mitten im Worte ab
-und sah in die Haide hinunter. Auf dem
-weißen Pattwege kam ein barhäuptiger Mann
-angelaufen; er schrie und winkte zu dem
-Hügel hinauf und zeigte nach einem Wachholderbusche
-hinter sich, wo ein weißer Frauenhut<span class="pagenum"><a id="Page_16">[16]</a></span>
-leuchtete. Es war Ruloff Ramaker; er
-war in Schweiß gebadet und keuchte: »Komm
-schnell, schnell, das Fräulein ist von einer Adder
-gebissen.«</p>
-
-<p>Mit großen Sätzen sprang Volkmann den
-Hügel hinab und war eher bei dem Machangel,
-als Ramaker und Köllner, denn jener war außer
-Atem und dieser mußte erst sein Pferd abbinden.</p>
-
-<p>Einen Blick warf Volkmann auf das junge
-Mädchen, als er tief den Hut zog. Er sah
-Erstaunen in ihrem Gesicht und das Blut
-schoß ihm in den Kopf; aber schon kniete er
-nieder, nahm den schmalen, kräftigen Fuß in
-die Hand und fragte: »Wo?« Eine Stimme,
-die ihm süßer klang als das Lied des Goldammers,
-trotz der Angst, die darin klirrte,
-oder vielleicht um so mehr noch, antwortete:
-»Hier!« und die schmale, leicht gebräunte Hand
-zeigte nach der großen Zehe. »Das ist gut,«
-meinte der Mann. »Wie lange ist es her?«
-fragte er dann, indem er einen Bindfaden hervorholte:
-»Eben.« Er nickte. »Keine Angst;
-Sie sind gesund und der Biß sitzt gut. Aber
-nun muß ich Ihnen weh tun.«</p>
-
-<p>Er schlang den Bindfaden um die Zehe,
-schnürte ihn fest, steckte einen Haidstengel darunter,<span class="pagenum"><a id="Page_17">[17]</a></span>
-wirbelte ihn zweimal herum, und tat
-einen schnellen Schnitt in die Zehe. »Hat es
-sehr weh getan?« fragte er dann. Das Mädchen
-schüttelte den Kopf und lächelte aus ihrer Blässe
-heraus.</p>
-
-<p>»Soll ich etwas Alkohol besorgen?« fragte
-der Gendarm, »in zehn Minuten bin ich bei
-der Wirtschaft.« Volkmann nickte: »Besser ist
-besser. Reiten Sie los; ich und er, wir wollen
-das Fräulein Ihnen entgegentragen. Gehen
-ist nicht gut; die Hauptsache ist Ruhe und kaltes
-Blut. So, mein Fräulein, nun ziehen Sie bitte
-den Strumpf über und legen Sie Ihre Hände
-auf unsere Schultern. Sie brauchen keine Angst
-zu haben; von hundert Otterbissen geht kaum
-einer schlimm aus und auch meist nur bei
-Kindern.«</p>
-
-<p>Mit schnellen Schritten gingen die beiden
-Männer die Landstraße entlang, auf ihren verschränkten
-Händen das Mädchen tragend, das
-ihre Arme um die Schultern der Männer gelegt
-hatte. Ruloff Ramakers Gesicht glühte
-vor Verlegenheit; Lüder Volkmann aber sah
-düster aus.</p>
-
-<p>»Es ist doch nicht gleich,« dachte er, »ob
-man noch ein anständiger Kerl vor der Welt<span class="pagenum"><a id="Page_18">[18]</a></span>
-ist, oder nicht.« Er wünschte, er wäre alt und
-häßlich gewesen, aber ohne den Sprung in
-seinem Rufe; dann hätte er mit dem Mädchen
-sprechen dürfen, mit ihr, die an Wuchs und
-Angesicht und Stimme ganz so war wie jene
-Frau in Göttingen, vor der er floh, weil er
-sie so lieb gehabt hatte.</p>
-
-<p>Viel schöner war diese hier noch, viel adliger
-von Gestalt, und noch süßer hatte ihre
-Stimme geklungen, viel, viel süßer. Und der
-Duft ihrer goldenen Flechten war köstlich. Wie
-gern hätte er zu ihr gesprochen; aber sollte
-er, der Strolch, den jeder Gendarm stellen
-durfte, dieses Weib hier anreden? Zu Fürstinnen
-spricht man nicht ungefragt. Rot schlug
-ihm die Scham in das Gesicht, und tief seufzte
-er auf.</p>
-
-<p>»Ich bin Ihnen wohl sehr schwer?« fragte
-die klare Stimme an seiner Schulter. Er
-schüttelte den Kopf; er wollte weiter schweigen,
-aber die Stimme öffnete seine Lippen.
-»Wie ist das gekommen, mein Fräulein?« Sie
-lächelte: »Ich laufe so gern barfuß in dem
-reinen Sande und auf der trockenen Haide;
-an die Schlangen hatte ich nicht gedacht.«
-Sie schwieg und wartete auf eine Gegenrede.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_19">[19]</a></span></p>
-
-<p>Mit scheuen Blicken streifte sie sein Gesicht.
-Daß es noch solche Männer gab! Das war
-ja eine Gestalt aus dem Nibelungensang,
-trotz des schäbigen Rockes, trotz des Halbwochenbartes.</p>
-
-<p>Was er wohl sein mochte? Wie er wohl
-auf die Landstraße gekommen war? Auf der
-linken Backe hatte er drei lange Schmisse
-und einen rechts unter der Lippe. Wie schön
-der Mund dieses Mannes war, ein stolzer
-Knabenmund. Mitleid stieg in ihr auf und
-feuchtete ihre blauen Augen.</p>
-
-<p>»Da kommt der Gendarm«, sagte der Mann
-und sah sie an, und dann wurde er rot wie
-ein Weib, denn er sah in ihren Augen, daß
-sie Anteil an ihm nahm, und sie wandte den
-Kopf ab, denn auch ihr war das Blut in das
-Gesicht geschossen.</p>
-
-<p>»Es ist guter Portwein,« sagte der Beamte,
-als er die Flasche hervorzog, »das gnädige
-Fräulein können ihn ruhig trinken. An den
-Doktor ist schon telephoniert; er ist unterwegs.«
-Er sah die Männer an. »Soll ich
-einen von Ihnen ablösen?« Volkmann und
-Ramaker schüttelten die Köpfe und setzten sich
-in Bewegung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_20">[20]</a></span></p>
-
-<p>Als sie nach einer Weile bei der Wirtschaft
-waren, stand Doktor Hellweger schon da. Er
-sah Volkmann erstaunt an, untersuchte den
-Fuß, nickte mit dem Kopfe und sagte, als er
-die Wunde ausgewaschen und statt des Bindfadens
-einen Gummiring um die Zehe gelegt
-hatte: »Wie lange nach dem Biß ist der
-Schnitt gemacht?« und als das Mädchen
-sagte: »Nach höchstens fünf Minuten«, fuhr
-er fort: »Dann ist keine Gefahr da; es ist
-nur eine ganz kleine örtliche Schwellung vorhanden.
-Noch ein Gläschen Portwein, ehe
-der Wagen kommt! Das hält das Herz frisch.«</p>
-
-<p>Volkmann sah den Arzt an: »Das ist eine
-veraltete Theorie, Herr Doktor; das Schlangengift
-geht durch die Blutbahn in den Verdauungstraktus.
-Alkohol ist gutes Gegengift,
-doch nur, weil er das Gift im Magen
-bindet. Versuche an Hunden, bei denen ich
-zugegen war, haben das ergeben.« Der Arzt
-machte runde Augen und fragte: »Sind Sie
-Mediziner?« Der Strolch schüttelte den Kopf
-und ging in das Haus; Ramaker folgte ihm.</p>
-
-<p>»Da kommt mein Wagen, liebes Fräulein,«
-rief Hellweger. »Wo ist der Herr, der mir
-geholfen hat?« fragte das Mädchen; »ich muß<span class="pagenum"><a id="Page_21">[21]</a></span>
-ihm danken.« Der Arzt trat auf die Deele
-und sah sich um. »Sie haben sich nur ein
-Glas Milch geben lassen und sind schon weiter«,
-antwortete die Frau. Der Doktor schüttelte
-den Kopf: »Merkwürdig!« Holde Rotermund
-wurde blaß, als er ihr sagte, daß die Fremden
-schon fort wären.</p>
-
-<p>Als der Arzt sie nach dem Pfarrhause von
-Hülsingen fuhr, dachte er darüber nach, wo
-er den Mann schon gesehen hatte, denn daß
-er ihn kannte, das wußte er. Diesen Prachtkopf
-und den zackigen Schmiß auf der rechten
-Backe vergaß man nicht. Der Arzt blätterte
-in seiner Erinnerung hin und her, fand aber
-die richtige Stelle nicht.</p>
-
-<p>Der Wagen hielt vor der Pfarre. Ein
-Jägeroffizier trat an den Schlag, küßte Holde
-beide Hände, grüßte den Arzt, machte sich
-bekannt, und sagte: »Urlaub bekommen; der
-Alte brummte zwar, ging aber nicht anders.
-Zu große Sehnsucht!«</p>
-
-<p>Er lachte, daß die weißen Zähne in seinem
-hübschen Gesicht blitzten; aber als seine Braut
-aus dem Wagen stieg, zog er die Stirne
-kraus, denn er sah, daß sie nur einen Schuh
-anhatte. »Ja,« erklärte sie lächelnd, »mich<span class="pagenum"><a id="Page_22">[22]</a></span>
-hat eine Schlange gebissen. Ich war ein
-bißchen barfuß im Sande herumgelaufen.«</p>
-
-<p>Der Leutnant sagte nichts, aber seine Lippen
-schlossen sich fest zusammen und seine Stimme
-klang kalt, als er der Magd zurief, sie solle
-Hausschuhe bringen.</p>
-
-<p>Bevor er Holde in das Haus geleitete,
-dankte er in verbindlicher, gemessener Weise
-dem Arzte. Als dieser sagte, daß ein fremder
-Mann, allem Anscheine nach ein verbummeltes
-Genie, die erste Hilfe geleistet und die Bißstelle
-ausgesaugt hatte, fuhr Leutnant von
-Zollin zurück und machte ein Gesicht, als
-hätte er ein Haar in der Zigarre gefunden.
-Er lud den Arzt ein, am Frühstück teilzunehmen,
-der aber dankte kühl und fuhr los.</p>
-
-<p>Das Frühstück verlief laut, aber es war
-keine Laune dabei. Holde Rotermund lag
-auf dem Sofa, aß fast nichts und hatte ein
-nachdenkliches Gesicht, so daß ihre Vatersschwester
-solange ihrer Angst Ausdruck gab,
-bis das Mädchen sagte: »Aber, Tantchen
-liebes, Gefahr ist gar nicht; mir ist der Portwein
-in die Glieder gefahren.«</p>
-
-<p>Zerstreut hörte sie zu, wie ihr Verlobter vom
-Dienst, von der Jagd und von den Rennen<span class="pagenum"><a id="Page_23">[23]</a></span>
-sprach und daß die Prinzessin Mathilde sich
-nach ihr erkundigt und gesagt hatte: »Frau
-Leutnant von Zollin schlägt uns noch einmal
-alle tot mit ihrem Gesicht;« er lachte seiner
-Braut zu und hob das Glas gegen sie.</p>
-
-<p>Die aber sagte: »Ich glaube, ich muß erst
-ein bißchen schlafen« und hielt dem Bräutigam
-die Backe hin. »Nicht mehr?« fragte der und
-küßte sie fest auf den Mund und mit purpurrotem
-Gesicht machte sie sich los.</p>
-
-<p>In ihrem Schlafzimmer stand sie vor dem
-Waschtische und sah in den Spiegel. Dann
-fuhr sie sich mit dem Schwamm über das
-heiße Gesicht und dreimal über ihre brennenden
-Lippen.</p>
-
-<p>Sie lag auf dem Bette und sah gegen die
-weißen Deckenbalken; Dienst, Jagd, Rennen,
-der Hof, das war alles, wovon Wladslaw
-sprach, heute und morgen und übermorgen.</p>
-
-<p>Wovon der fremde Mann wohl sprach?
-Wer mochte er sein und wo mochte er jetzt
-sein? Ihr war es, als hörte sie seine Stimme
-immer noch, diese warme, gute, reine, volle
-Stimme. Draußen lachte ihr Bräutigam. Ach
-ja, er war ja ein netter Kerl, und hübsch war
-er und schnittig gewachsen und artig und aufmerksam;<span class="pagenum"><a id="Page_24">[24]</a></span>
-aber, aber, an dem, was sie rührte,
-ging er gleichgültig vorbei; wenn am Himmelsrande
-das rote Licht und das schwarze
-Gewölk Hochzeit machten, sah er nur die
-Rehe in den Wiesen, und in der Haide erblickte
-er nichts als Ödland. Was sie schon
-bald gedacht hatte, jetzt wurde es ihr klar:
-sie paßten nicht zusammen.</p>
-
-<p>Im Garten sang der Goldammer; heute
-früh hatte er gesungen: »Wie, wie hab ich
-dich lieb!« Aber nun sang er: »Mein Nest ist
-weit, weit, weit!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_25">[25]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Tauber">Der Täuber.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Wenn Lüder Volkmann geahnt hätte,
-daß Holde Rotermunds geheimste Gedanken
-hinter ihm herflatterten, so hätte er
-sein Haupt wohl noch tiefer auf die Brust
-hängen lassen.</p>
-
-<p>Ruloff Ramaker wußte nicht, was in den
-anderen gefahren war; Lüders Augen hafteten
-auf dem Boden und seine Lippen waren nicht
-zu sehen. Ramaker war nur ein Bauernknecht,
-aber er liebte seinen Genossen und es
-betrübte ihn, daß der im Schatten ging.</p>
-
-<p>Es war so wundervoll da in der wilden
-Wohld; das Sonnenlicht fiel durch die Zweige
-der Fuhren, das Farrenkraut reckte sich aus
-dem Boden, die gelben Kohmolken blühten
-im Graben und unter dem Buschwerk die
-weißen Windröschen; viele Vögel sangen und
-der Täuber rief.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_26">[26]</a></span></p>
-
-<p>In der Nacht hatten die beiden Männer in
-der Ochsenhütte vor dem Bruche geschlafen;
-Volkmann hatte bis gegen Mitternacht vor
-der Türe gesessen und dem Brummen der
-Rohrdommel und dem Meckern der Himmelsziege
-zugehört. Er schlief noch, als der Vormorgen
-kam, und als Ramaker wach wurde,
-hörte er, wie der andere stöhnte und murmelte,
-und er sah, wie er sich hin und her
-warf.</p>
-
-<p>Nun lag er mit dunklem Gesicht da und
-lächelte kein bißchen, als zwei verliebte Eichkatzen
-auf dem Knüppeldamm hin und her
-sprangen, fauchten und schnalzten und auf
-alberne Art mit den Schwänzen wippten.</p>
-
-<p>Sein Blick bekam noch nicht einmal Leben,
-als aus dem Unterholze der Schwarzstorch
-heraustrat; wie Flammen leuchtete der Schnabel
-und wie Edelerz funkelte das Gefieder,
-als er in die Sonne kam.</p>
-
-<p>Volkmanns Stirn wurde noch krauser, als
-er den Waldstorch sah. Er erblickte ein Gleichnis
-in ihm. Ein adelig Tier war es, stolz
-und schön, alter deutscher Urwaldheimlichkeit
-letztes Vermächtnis, und in Acht und Aberacht
-erklärt von einer herzlosen, seelenarmen<span class="pagenum"><a id="Page_27">[27]</a></span>
-Zeit, die es ihm, dem Adewar, dem Otternwehrer,
-nicht vergab, daß er die Forelle und
-den Junghasen nicht verschmähte.</p>
-
-<p>Kerle, die sich Jäger nannten, aber zu der
-Schinderzunft gehören müßten, knallen das
-vornehme Geflügel nieder, wann und wo sie
-es antreffen, Leute, die statt des Herzens
-eine Geldbörse im Leibe haben.</p>
-
-<p>Ruloff machte eine hastige Bewegung, als
-der Waldstorch aus dem Gebüsch trat; drei
-Sprünge tat der Vogel, schwang sein Gefieder
-und verschwand. »Was war das?« fragte
-Ruloff seinen Genossen; »solch ein Tier habe
-ich meinen Tag noch nicht gesehen!«</p>
-
-<p>Dumpf klang Volkmanns Antwort: »Der
-schwarze Storch«, denn er dachte grade daran,
-daß er selber auch in Acht und Aberacht war,
-wie jener Vogel, und nur, weil er das Gesetz
-in seiner Brust über das papierne Recht gestellt
-hatte.</p>
-
-<p>»Das Leben ist eine traurige Posse für ernste
-Menschen«, dachte er; das Weib, das er
-schützte, indem er seinen ehrlichen Namen auf
-den Richtblock legte, war nicht wert gewesen,
-daß er ihretwegen ein Fingerglied opferte;
-aber damals hatte er sie geliebt, weil sie das<span class="pagenum"><a id="Page_28">[28]</a></span>
-matte Spiegelbild jener schönen Frau war, der
-sein junges Herz entgegengeblüht hatte.</p>
-
-<p>Und die war wieder nur ein Vorspuk der
-Tausendschönen gewesen, deren Stimme gestern
-sein Herz gerührt hatte. Wie sie wohl gerufen
-wurde? Ein Name mußte es sein, wie
-die hellichte Morgensonne, warm und voller
-Kraft.</p>
-
-<p>Mit Freuden würde er sein Leben unter ihre
-Füße legen, und seinen ehrlichen Namen, hätte
-er noch einen, und kein Dankeswort würde
-er dafür begehren. Seine Liebe schwang sich
-über den Wald und über das Moor und flog
-zu dem Hause, in dem ihre Stimme klang.</p>
-
-<p>Ernst klang sie und Pfarrer Behrmann
-machte ein ganz unglückliches Gesicht und
-rauchte, wie unklug vor Aufregung seine lange
-Pfeife. »Nein, lieber Ohm,« sprach seine Nichte,
-»nein, ich liebe ihn nicht. Ich war ein Kind,
-als ich mich mit ihm verlobte. Ein Leutnant,
-ein hübscher Leutnant, du lieber Himmel, ich
-war so selig, wie damals, als ich die Schreipuppe
-zum Weihnachtsfeste bekam, als ich
-zum ersten Male mit ihm über die Straße ging.</p>
-
-<p>Aber weißt du, liebes Öhmchen, ich mochte
-eigentlich nie, daß er mich küßte. Jaja, ich<span class="pagenum"><a id="Page_29">[29]</a></span>
-weiß, was du sagen willst, aber du gehst irre,
-wenn du glaubst, die Ehe würde die Liebe
-vertiefen. Das Gegenteil wird der Fall sein.
-Bedenke: ich bin nicht adelig, habe nur ein
-kleines Vermögen; ich kann dir sagen, die
-Sammetaugen der schönen Panna Zollin, geborene
-von Mielczewska, waren kalt wie
-Eis, als ich ihr die Hand küßte.</p>
-
-<p>Und Wladslaw? Er liebt das an mir, was
-am wenigsten Wert ist; mein Inneres versteht
-er nicht. Sein Gott ist die Gesellschaft,
-seine Moral das Herkommen. Er ist klug,
-aber ich glaube, er hat ein unterernährtes
-Herz. Es wird ihm wohl nicht abwelken,
-wenn er morgen meinen Brief liest, und seiner
-Laufbahn wird die Aufhebung des Verlöbnisses
-auch nicht schaden, eher nützt sie ihm
-bei Hofe.«</p>
-
-<p>Sie gab dem alten Herrn einen Kuß auf
-die faltenreiche Backe und ging in den Garten.</p>
-
-<p>In dem Wirrwarr des Bocksdornbusches
-in der Mauerecke saß der Goldammer und
-sang seine Weise, die man auf Lust und auf
-Leid deuten konnte.</p>
-
-<p>Holdes helle Augen beschatteten sich; sie
-dachte an den fremden Mann im schäbigen<span class="pagenum"><a id="Page_30">[30]</a></span>
-Rock, an das stolze Gesicht unter dem abgetragenen
-Lodenhut, an die Stimme, so rund
-und so voll, wie ferner Täuberruf, an die
-großen, schönen, braunen, langfingrigen Hände,
-die so sicher und so zart zufaßten.</p>
-
-<p>Ihr ganzes Leben lang würde sie an diesen
-Mann denken müssen, und niemals würde sie
-es sich verzeihen, daß er gegangen war, ohne
-daß sie ihm dankend die Hand gedrückt hatte.</p>
-
-<p>Sie fühlte, wie ihr Gesicht aufflammte; von
-diesem Manne würde sie sich gern auf den
-Mund küssen lassen, ohne zu fragen: wer bist
-du und was geschah dir, daß auf deinen
-Schuhen der Staub der Landstraße liegt?</p>
-
-<p>Sie hatte ihm mehr zu danken, als die Hilfe,
-die er ihr brachte; er hatte ihre Seele gerettet.
-Wäre er ihr nicht entgegengetreten, so hätte
-sie wohl nicht den Mut gefunden, den goldenen
-Reif von ihrer Linken zu streifen, der sie dem
-Manne eignete, vor dem ihre Seele sich verkrochen
-hatte, wenn sie seine Stimme hörte.</p>
-
-<p>Mit klingendem Schwingenschlage schwang
-sich ein Ringeltäuber in die Eiche und sang
-sein dunkles Lied: »Du, du, du, du, du,« hörte
-Holde Rotermund heraus, und dasselbe dachte
-ihr Herz.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_31">[31]</a></span></p>
-
-<p>Es dachten noch mehr Leute an den Fremdling,
-vor allem Doktor Hellweger. Er kegelte
-mit dem Amtsrichter, dem Lehrer, dem Pastor
-aus Deipenwohle und dem Oberförster. Was
-er tat, der dicke Doktor, das tat er ganz;
-aber heute war er nicht bei der Sache. Noch
-nie hatte er so viele Pudel geschoben.</p>
-
-<p>Gedankenlos sah er der Kugel nach, sah
-alle Kegel außer dem ersten fallen, und anstatt,
-wie er sonst tat, wenn er gut warf, das
-Lied vom gerechten Heuschreck zu pfeifen, sah
-er in die Luft, als die Kegeljungen sangen:
-»Acht und acht ums Vordereck, ist so rar wie
-Ziegenspeck.« Er mußte immer daran denken,
-wo er den Landstreicher schon einmal gesehen
-hatte.</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke ging der Gendarm
-vorüber. Der Amtsrichter, dem der Arzt seine
-Begegnung mit dem fremden Manne erzählt
-hatte, rief den Beamten heran: »Schenken Sie
-sich ein Glas Bier ein, Herr Wachtmeister.
-Sagen Sie, wie hießen denn die beiden Leute,
-die Fräulein Rotermund zum Kruge trugen;
-oder haben Sie sich die Namen nicht angemerkt?«</p>
-
-<p>Köllner zog sein Taschenbuch hervor: »Doch,<span class="pagenum"><a id="Page_32">[32]</a></span>
-Herr Amtsrichter, hinterher fiel es mir ein,
-daß ich das über der Aufregung ganz vergessen
-hatte, und ich ritt ihnen nach. Der
-eine, der ohne Schmisse, ist ein ehemaliger
-Knecht namens Ruloff Ramaker; der andere
-heißt Lüder Volkmann und sagte, er wäre
-früher Schriftsteller gewesen und sei kürzlich
-von Amerika zurückgekommen. Ich mochte
-ihn nicht dem Amtsgerichte zuführen; er sah
-nicht so aus, als ob er irgendwie verdächtig
-wäre, und der andere auch nicht; der hatte
-übrigens Papiere.«</p>
-
-<p>»Volkmann, Volkmann?« murmelte der
-Amtsrichter; »das ist ja ein hiesiger Name;
-und Lüder? wenn die Angabe stimmt, dann
-ist der Mann ja der Erbe von dem Hilgenhofe.
-Vielleicht weiß er das noch gar nicht.
-Wissen Sie was, Herr Wachtmeister? Stecken
-Sie sich das Amtsblatt mit dem Aufrufe
-ein, in dem Lüder Volkmann aufgefordert
-wird, sich zu melden. Vielleicht treffen Sie
-ihn noch einmal bei Ihren Dienstritten und
-können dem Mann zu seinem Eigentum verhelfen.
-Wie der Herr Doktor sagt, hat er ja
-einen sehr guten Eindruck gemacht trotz der
-abgerissenen Kleidung und auf Sie auch.<span class="pagenum"><a id="Page_33">[33]</a></span>
-Lüder Volkmann! Es ist mir, als ob ich den
-Namen sonst schon gehört hätte.«</p>
-
-<p>Wie gewöhnlich, setzten sich die Kegelfreunde
-noch eine Weile in das Vereinszimmer. »Wie
-sah der Fremde aus?« fragte Pastor Meyer
-den Arzt, und als der die Beschreibung gegeben
-hatte, sagte der Pastor: »Dann stimmt
-das. Meine Frau kam gestern nach Hause
-und erzählte: denke dir nur, Karl, bei der
-neuen Mühle begegnen mir zwei arme Reisende;
-der eine hatte Schmisse und sah aus,
-wie Armin der Cherusker in Zivil. Das ist
-augenscheinlich dieser Mann gewesen. Wie
-mag der auf die Walze gekommen sein?«</p>
-
-<p>Sonst ging es nach dem Kegeln immer lustig
-her; der Arzt hatte einen trockenen Humor
-und der Amtsrichter lachte gern; dieses Mal
-kam aber so recht keine Stimmung auf. Sie
-dachten alle an Lüder Volkmann, den Landstreicher.</p>
-
-<p>Am meisten beschäftigte sich Doktor Hellweger
-mit ihm. »Wo habe ich das Gesicht
-doch schon gesehen?« dachte er in einem fort,
-als er in seinem Wagen durch die Abendhaide
-fuhr, in der die Himmelsziegen meckerten und
-die Mooreulen riefen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_34">[34]</a></span></p>
-
-<p>Plötzlich wußte er es. Richtig! Göttingen,
-das Paukzimmer, die gemeine Korpshatz
-zwischen den Kölnern und den Longobarden.
-In einem fort hatten die Kölner angefragt:
-»Herr Unparteiischer, drüben mit Kopf zurückgegangen?«
-Da hatte schließlich auch der
-Sekundant der Longobarden angefragt, und
-immer hieß es: »Nichts bemerkt!« Endlich
-hatte er gesagt: »Bitte darauf zu achten.«
-Und wieder hieß es auf seine Anfrage: »Nichts
-bemerkt!« Da hatte er sich umgedreht, gewinkt,
-und hinter ihn trat der Ersatzsekundant,
-und da fragte er lächelnd: »Herr Unparteiischer,
-zu was sind Se eigentlich bloß da?«</p>
-
-<p>Das gab einen gewaltigen Krach; hier Wutgezisch,
-da Hohngelächter, und der Sekundant
-mußte abtreten. Ein ganzes Semester lang
-war er eine Berühmtheit, der lange schöne
-Fechtwart der Longobarden, der cand. rer.
-nat. Lüder Volkmann.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_35">[35]</a></span></p>
-
-<h2 id="Das_Kauzchen">Das Käuzchen.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Der Wachtmeister ritt am nächsten Tage
-nach Quelingen. Als er so dahinritt, hörte
-er die Kiebitze rufen; er stellte sich in die Bügel,
-denn er dachte, daß da ein Fuchs wäre, und
-sah die beiden Landstreicher über die Wiesen
-kommen. Er wartete, bis sie an der Straße
-waren, schwang sich aus dem Sattel und rief:
-»Guten Tag, Herr Volkmann!«</p>
-
-<p>Lüder Volkmann grüßte wieder. »Ich habe
-immer noch keine Papiere.« Der Wachtmeister
-lachte und griff in die Tasche: »Aber ich habe
-eins für Sie; das hier soll ich Ihnen im Auftrage
-des Herrn Amtsrichters zeigen.«</p>
-
-<p>Volkmann las, aber seine Züge veränderten
-sich kaum, als er Ramaker die Anzeige
-wies. »Merkwürdig!« sagte er, »wir wollten
-grade dahin; ich bin als Kind dort oft bei
-meinem Oheim gewesen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_36">[36]</a></span></p>
-
-<p>Ramaker schüttelte Volkmann die Hand:
-»Wie mich das freut, wie mich das freut!«
-Aber dann setzte er hinzu: »Jetzt hat unsere
-Freundschaft wohl ein Ende?«</p>
-
-<p>Der andere schüttelte den Kopf: »Da kennst
-du mich schlecht, Ruloff. Aber nun müssen
-wir wohl auf Reethagen zu. Wie weit ist
-das?«</p>
-
-<p>Der Wachtmeister überlegte: »So Stücker
-drei bis vier Stunden.« Volkmann reichte
-ihm das Blatt zurück und zog den Hut: »Sie
-sollen auch bedankt sein, Herr Wachtmeister,
-und Ihr Herr Amtsrichter auch.«</p>
-
-<p>Er wollte sich zum Gehen wenden, aber
-Köllner gab ihm die Hand: »Ich wünsche
-Ihnen viel Glück, Herr Volkmann,« und als
-er sah, daß der andere errötete, warf er noch
-hinterher, indem er in den Steigbügel trat:
-»In Reethagen kehren Sie im Weißen Roß
-ein; grüßen Sie den Wirt Nordhoff von mir.«
-Er legte die Hand an den Helm und ritt
-weiter.</p>
-
-<p>»Mensch, Mensch,« schrie Ramaker und schlug
-sich auf den Schenkel, »das Glück, das Glück!«</p>
-
-<p>Der andere sah ihn ernst an: »Ob es eins
-ist? Wer weiß? Theodor Volkmann, der<span class="pagenum"><a id="Page_37">[37]</a></span>
-mir den Hof verschrieb, oder Ohm Töde, wie
-ich ihn nannte, war Naturforscher; es hieß
-von ihm, er sei überspönig, weil er ein gelehrter
-Mann war, sich aber wie ein Bauer
-trug. Er hatte damals schön geschimpft, als
-ich studieren wollte. ›Bauer mußt du werden,
-dann hat dir kein Mensch was zu sagen‹,
-knurrte er.«</p>
-
-<p>Es war um die Ulenflucht, als die beiden
-Männer in Reethagen ankamen und sich nach
-dem Weißen Rosse hinfragten. Das war eine
-Wirtschaft nach alter Art mit einem Strohdache,
-aus dessen Giebelloch der Herdrauch
-herauskam.</p>
-
-<p>Als sie über die Deele gingen, sah der Wirt
-sie erst von der Seite an. Er war ein mittelgroßer
-Mann mit ernstem Gesicht und ruhigen
-Augen; wenn er sprach, sah es aus, als täte
-es ihm leid, daß er den Mund aufmachen
-müsse; darum sprach er durch die Zähne.</p>
-
-<p>Er setzte Volkmann und Ramaker Brot,
-Wurst, Butter und Bier hin und sagte: »Laßt
-es Euch schmecken!«</p>
-
-<p>Als sie gegessen hatten, fragte Volkmann,
-ob sie über Nacht bleiben könnten. Der Wirt
-nickte: »Ja, wenn ihr beide in einem Bette<span class="pagenum"><a id="Page_38">[38]</a></span>
-liegen gehen wollt? Die andere Kammer hat
-der Jagdpächter.« Volkmann nickte und brannte
-sich seine Pfeife an. Dann fragte er: »Ist der
-Vorsteher wohl heute noch zu sprechen?« »Ja,«
-sagte Nordhoff, »der kömmt gleich; er hat mit
-dem Jäger allerlei zu besprechen.«</p>
-
-<p>Draußen gingen Schritte, die Tür klinkte
-auf und der Jäger trat herein. Er bot die
-Tageszeit und sagte: »Nordhoff, gebt mir schnell
-eine Flasche Bier; ich bin ganz dröge im Halse.
-Es ist doch ein Ende hin vom Donnermoore
-bis hierher. Und heute will ich durchschlafen;
-habe jetzt drei Nächte wegen der Birkhähne
-um die Ohren geschlagen. Sieh, da ist ja
-auch der Vorsteher! Guten Abend, Garberding!
-Freimut läßt grüßen; er schimpfte Mord
-und Brand, daß er nicht mitkonnte, aber er
-hat viel zu tun und morgen eine Verteidigung
-in einer schweren Sache. Na, die Sache mit
-Engelkens Apfelbäumen können wir beide
-ja auch abmachen.«</p>
-
-<p>Während er aß, besprach er mit dem Vorsteher,
-wieviel der Anbauer Engelke wohl
-für den Schaden haben müsse, den die Hasen
-ihm im Nachwinter gemacht hatten, und dann
-ging er in seine Schlafkammer.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_39">[39]</a></span></p>
-
-<p>Da trat Volkmann an den Vorsteher heran:
-»Ich würde Sie gern in einer Sache sprechen,
-wenn Sie Zeit haben.« Vollmeier Garberding
-sah ihn an und nickte.</p>
-
-<p>»Dann geh du man in die Kammer, Ruloff«,
-sagte Volkmann, »und wenn Sie es nicht
-übelnehmen, Herr Wirt, am liebsten wäre
-es mir, wenn ich dem Herrn Vorsteher meine
-Angelegenheit unter vier Augen vortragen
-könnte.«</p>
-
-<p>Als er allein mit Garberding war, nannte
-er seinen Namen. Der Vorsteher sah ihn
-groß an: »Dann gehört Ihnen ja der Hilgenhof.«
-Der andere nickte und erzählte, wie
-es ihm gegangen war, denn der Vorsteher,
-das sah er dem langen hageren Mann am
-Gesichte an, war ein Mensch, der das nicht
-weiter herumbrachte. So schlug er denn die
-Hauptstellen aus seinem Lebensbuch vor ihm
-auf.</p>
-
-<p>Der Vorsteher verzog keine Miene, aber
-als Volkmann das Buch zuschlug, gab er
-ihm die Hand und sagte: »Daß Sie kein schlechter
-Mann sind, weiß ich von Ihrem Oheim, der
-mir Ihre Sache seinerzeit verklarte, als in
-den Zeitungen darüber geschrieben wurde.<span class="pagenum"><a id="Page_40">[40]</a></span>
-Nun Ihnen der Hof auf dem Hilgenberge zu
-eigen ist, gehören Sie zu uns, denn der Hof
-gehört noch zu Reethagen. Das meiste Land
-hatte der alte Volkmann verpachtet; es ist
-in guten Händen; für sich hatte er bloß so
-viel zurückbehalten, als er Bedarf dafür hatte.
-Nach alle dem, was Sie mir erzählten, glaube
-ich, daß Sie mit der Zeit selber den Bauern
-spielen können. Ich glaube auch, daß Sie
-dadurch am besten von Ihren Gedanken abkommen.«</p>
-
-<p>Er sah Volkmann an und fuhr fort: »Die
-anderen brauchen von Ihrem Vorleben nichts
-zu wissen; kommt es später rund und haben
-Sie Verdruß davon, dann wenden Sie sich
-nur an mich. Klatschen und Neidböcke wachsen
-auf jedem Boden, aber die mehrsten Leute
-hier sind anständiger Art. Wenn Sie sich
-in die hiesige Art schicken und sich zu den
-Leuten zu stellen wissen, fragt kein einer danach,
-was Ihnen draußen zugestoßen ist.</p>
-
-<p>So, eins noch: Das meiste Bargeld hat
-der alte Volkmann für Stiftungen hingegeben;
-der Rest, der Ihnen zugeschrieben ist, liegt
-auf dem Amte. Sie werden doch noch jemanden
-haben, der Sie als Erbberechtigten ausweisen<span class="pagenum"><a id="Page_41">[41]</a></span>
-kann? Da Sie ja keine Papiere haben,
-ist das das nächste, was Sie tun müssen.
-Morgen früh bei Klocke achte will ich mit
-Ihnen nach dem Hilgenhofe gehen. Und nun:
-Gute Nacht; lassen Sie sich was Schönes
-träumen.«</p>
-
-<p>Er stand auf und gab Volkmann die Hand.
-In der Türe drehte er sich noch um: »Unter
-uns: Das halbe Haus ist vermietet, aber da
-ist doch noch Platz genug für Sie. Die eine
-Hälfte hat der Pächter und die, wo Ihr Ohm
-lebte, hat seine Haushältersche, eine Frau
-Grimpe, ein ganz tüchtiges Frauenzimmer,
-die auf Hochzeiten und so als Köksche ihren
-Mann steht.«</p>
-
-<p>Er biß an seiner Zigarre herum: »Ob es das
-Richtige ist, daß Sie mit ihr zusammenleben,
-das ist eine andere Sache. Die Frau ist nicht
-von hier; sie soll alles mögliche gewesen sein,
-wird erzählt. Hier hält sie sich ganz anständig,
-aber immerhin, für ganz voll wird sie nicht
-genommen. Dem alten Volkmann hat sie
-zwei Jahre die Wirtschaft geführt, aber das
-war ein alter Mann. Na, es ist ja Ihre
-Sache, wie Sie sich zu ihr stellen. Also: bis
-morgen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_42">[42]</a></span></p>
-
-<p>Als Ramaker und Volkmann in dem breiten
-Bette in der Fremdendönze lagen, sagte Ramaker:
-»So ein Bett, das ist doch etwas
-Gutes!« und Volkmann erwiderte: »Na, du
-kannst ja nun immer in einem richtigen Bette
-schlafen.«</p>
-
-<p>Er hatte es sich vorgenommen, den Mann
-zu behalten. Er war ein Bauernknecht aus
-der Grafschaft Bentheim; Lüder hatte ihn
-wintertags im Emsemoore angetroffen, als
-der Mann, der halb verhungert und ganz
-ausgefroren war, sich grade aufhängen wollte,
-hatte ihm zu essen gegeben und ihm die
-dummen Gedanken aus dem Kopfe geredet,
-denn Ramaker war das Leben leid geworden,
-weil er nirgends in Arbeit behalten
-wurde.</p>
-
-<p>Er hatte nämlich in der Trunkenheit einen
-Totschlag begangen, mehr aus Zufall, denn
-aus Absicht, aber durch die Zeugenaussagen
-wurde der Fall so gedreht, daß er mehrere
-Jahre bekam. Das hing ihm überall nach.</p>
-
-<p>Nun aber hatte die Not ein Ende: »Bauer,«
-sagte er zu Volkmann, »du sollst sehen, wie
-ich arbeiten kann; ich sage dir, wenn ich erst
-den Pflugsterz in der Hand habe, kennst du<span class="pagenum"><a id="Page_43">[43]</a></span>
-mich nicht wieder. Nein, so ein Glück, so ein
-Glück!« hatte er noch im Halbschlafe gemurmelt.</p>
-
-<p>Lüder Volkmann lag noch lange wach. Er
-hatte erst keine große Lust, den Hof zu behalten;
-er dachte, er wollte ihn verkaufen
-und mit Ramaker zusammen in Südafrika
-anfangen, denn er wußte, selbst hier hinten
-in der Haide würde er doch ab und an gegen
-seine Vergangenheit anlaufen.</p>
-
-<p>Anderseits: der Haidhunger, der ihn aus
-Kanada forttrieb, der würde sich auch in Afrika
-neben ihn stellen; er stammte aus der Haide,
-wenn auch sein Vater und sein Ahne Stadtleute
-gewesen waren. Was man ein Leben
-nennen konnte, gab es für ihn nur in der
-Haide; nur, wenn er früher in seiner Haidjagd
-waidwerkte und Pürschstiege schlug und Kanzeln
-baute, hatte er sich wohl gefühlt; in der
-Stadt war er sich eigentlich immer albern
-vorgekommen zwischen dem lauten, unruhigen
-Volk, das sich wie die Spatzen benahm: immer
-in hellen Haufen und ständig den Schnabel
-offen.</p>
-
-<p>Draußen rief das Käuzchen; Lüder schien
-es im Anschlafe, als riefe es: »Bliw hier,
-bliw hier!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_44">[44]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Rabenkrahe">Die Rabenkrähe.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Das erste, was er hörte, als er aufwachte,
-war wieder das Käuzchen, und es rief
-immer noch: »Bliw hier, bliw hier!«</p>
-
-<p>Er ging in den Hof und wusch sich am Sood;
-als der Morgenwind ihm das Gesicht abtrocknete,
-machte ihm die Eule vom Speicherdache
-einen Diener, rief noch einmal: »Bliw
-hier!« und verschwand im Uhlenloche.</p>
-
-<p>Ein gelbbunter Schäferhund kam aus dem
-Hause, sah den Fremden erst mißtrauisch an
-und umging ihn, aber so wie er unter Wind
-kam, wedelte er, kam heran und ließ sich abliebeln.</p>
-
-<p>Nordhoff, der grade aus der großen Türe
-trat, machte runde Augen, als er das sah,
-denn Strom ging sonst ganz selten zu fremden
-Leuten, und es war dem Wirte immer
-ein Zeichen, wie er einen Menschen einschätzen
-sollte, je nachdem der Hund sich dazu stellte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_45">[45]</a></span></p>
-
-<p>Darum machte er die Lippen auf und sagte:
-»Na, gut geschlafen?« Volkmann nickte und
-der Krüger fuhr fort: »Denn haben Sie wohl
-auch Hunger; wollen Sie Kaffee oder Grütze?
-Wir sind hier nämlich noch von der altväterischen
-Art.« Sein Gast lachte: »Ich auch;
-ich habe früher gar nichts anderes zur Morgenzeit
-gegessen,« antwortete er im Haidjerplatt.
-»Na, dann essen Sie mit uns,« kam es zurück.</p>
-
-<p>»Er spricht platt, also gehört er zu unserer
-Art«, dachte Nordhoff, und als nachher Lieschen,
-seine jüngste Tochter, ein scheues Kind,
-ohne sich zu zieren dem Fremden das Händchen
-gab und sich auf den Schoß nehmen
-ließ, sah er seinen Gast mit ganz anderen
-Augen an, als am Abend vorher.</p>
-
-<p>Schlag acht war Volkmann auf Tormanns
-Hof. Er hatte sich den Bart abgenommen,
-sich gründlich abgebürstet, seine Schuhe geputzt
-und sah wieder ganz anständig aus.
-Als er auf die Deele trat, kam ihm eine
-riesenhafte Frau von gewaltigem Leibesumfang
-entgegen, die aber ein Gesicht hatte,
-wie die liebe Güte selber.</p>
-
-<p>»Herzlich willkommen,« rief sie mit einer
-so dünnen Stimme, daß Volkmann erst dachte,<span class="pagenum"><a id="Page_46">[46]</a></span>
-jemand anders hätte das gerufen: »Garberding
-kommt gleich; setzen Sie sich so lange.«</p>
-
-<p>Gleich darauf kam der Vorsteher, begrüßte
-seinen Gast und ging mit ihm in die Dönze;
-»Schade, daß Sie nicht etwas besser im Zeuge
-sind; der Hut ist ziemlich alle.« Er langte in
-den Schrank. »Der paßt wohl; er ist noch
-ganz neu. Und hier ist ein reines Halstuch;
-das sieht gleich ordentlicher aus, und da ist
-ein Handstock. Übrigens: meiner Frau habe
-ich so ungefähr Bescheid gesagt; aus der
-kommt nichts wieder heraus. Ein bißchen
-frühstücken wollen wir aber erst einmal. Hier
-ist Feder und Tinte; da können Sie an den
-schreiben, der vor Gericht aussagen kann,
-daß Sie der richtige Erbe sind.«</p>
-
-<p>Volkmann setzte sich an den Schreibtisch
-und überlegte. Der Rechtsanwalt Freimut
-fiel ihm ein. Als er am Abend vorher den
-Namen hörte, hatte er sich bei dem Vorsteher
-danach erkundigt. Er hatte mit dem Baumeister
-Schönewolf die Reethagener Jagd.</p>
-
-<p>Volkmann kannte ihn aus einem Verein;
-näher war er ihm aber nicht gekommen.
-Das geschah erst an dem Tage, als das Urteil
-gesprochen wurde. Volkmann sah es<span class="pagenum"><a id="Page_47">[47]</a></span>
-noch, als wenn es erst drei Tage her gewesen
-wäre, wie der lange Mann quer durch
-den Schwurgerichtssaal storchte, daß sein blonder
-Bart nur so flog, und ihm mit Tränen
-in den Augen die Hand schüttelte.</p>
-
-<p>Er wußte, wenn einer, so würde der ihm
-in jeder Weise beistehen, und so schrieb er
-ihm in diesem Sinne.</p>
-
-<p>»Du lieber Himmel,« sagte Frau Garberding
-draußen zu ihrem Manne; »es geht doch
-nirgendswo toller her, als auf der Welt!
-Was für Takelzeug läuft auf freiem Fuße
-herum, und diesem Manne da mußte es so
-gehen.«</p>
-
-<p>Sie stellte das Frühstück hin, und obzwar
-es erst zwei Stunden her war, daß Volkmann
-gegessen hatte, so konnte die Bäuerin
-so gutherzig bitten, zuzulangen, daß ihr Gast
-herzhaft einhieb.</p>
-
-<p>Der Bauer stellte ihm Zigarren und Streichhölzer
-hin, zog sich die bessere Jacke an, langte
-seinen Stock her und sagte: »So, von mir
-aus kann es losgehen!«</p>
-
-<p>Es war ein schöner Vormittag; die Luft
-war rein und der Himmel blau und weiß,
-die Vögel sangen und die Hähne krähten vor<span class="pagenum"><a id="Page_48">[48]</a></span>
-Wähligkeit. Der Weg führte zwischen den
-Wiesen und der Haide hin, so daß Feldlerchen
-und Dullerchen durcheinander sangen.</p>
-
-<p>Eine Viertelstunde waren sie gegangen, da
-machte der Vorsteher halt, zeigte auf den
-Graben vor ihnen und sagte: »Hier hört mein
-Besitz auf und da fängt Ihrer an, und das
-ist der Hilgenhof.« Dabei wies er auf einen
-Busch, der auf dem Berge lag, und aus
-dessen Bäumen ein weißes Fachwerkhaus mit
-schwarzen Balken hervorsah, und auf das
-der Weg zulief.</p>
-
-<p>»Es sind alles zusammen vierhundert Morgen
-ohne den Anteil am Moore; früher waren
-es noch mehr, aber es ist allerlei davon in
-andere Hände gekommen, als Ihr Urgroßvater
-gestorben war. Es ist aber noch mehr
-als genug und der drittgrößte Hof in der
-Gemeinde.«</p>
-
-<p>Volkmann wurde die Brust eng; daß er
-einen so großen Besitz antreten sollte, daran
-hatte er nicht gedacht, denn er hatte ganz
-vergessen zu fragen, wie viel Morgen der
-Hof habe.</p>
-
-<p>War es auch ein Glück zu nennen, daß
-er ihn erbte, er konnte dessen so recht nicht<span class="pagenum"><a id="Page_49">[49]</a></span>
-froh werden; immer und immer wieder klang
-ihm die Stimme des schönen Mädchens durch
-den Sinn, und wo er ging und stand, sah er
-ihr gutes Gesicht und ihr goldenes Haar.</p>
-
-<p>Nicht einmal hatte er daran gedacht, daß
-er ihr etwas sein könnte, zumal sie ja mit
-einem anderen versprochen war, denn sie
-trug einen Ring an der Hand; sein Wunsch
-ging nicht weiter, als daß er mit Ehren vor
-ihr stehen könnte.</p>
-
-<p>Immer, wenn sie ihm in den Sinn kam,
-in ihrem hellen Leinenkleide, frisch und rein
-und rosig, dann sah er sich mit kahl geschorenem
-Kopf und bartlosem, blassem Gesichte,
-angetan mit dem grauen Linnen des Zuchthäuslers
-und ihm war, er müsse sich schämen,
-daß er an sie dachte, er, der Mann mit dem
-hingerichteten Namen.</p>
-
-<p>Und nun waren sie vor dem Hilgenhofe.
-Da lag sein Haus und lachte ihm in der
-hellen Sonne durch die rauhen Stämme der
-Hofeichen zu. Ein Hahn krähte zum Willkommen,
-die Finken schlugen, die Hülsenbüsche
-hinter der klobigen Findlingsmauer, aus der
-die Farne heraushingen, blitzten in der Sonne,
-gleich als wollten sie den angrünenden Machangeln,<span class="pagenum"><a id="Page_50">[50]</a></span>
-die sich zwischen sie quälten, und den
-blühenden Schlehbüschen, die sich über die
-Mauer rekelten, den Platz streitig machen und
-den Efeu von den moosigen Steinen fortdrängen
-und es nicht zugeben, daß die Wildrosen
-und die Brummelbeeren ihr Recht behielten
-und die Hundsveilchen, die Grasnelken,
-die Windröschen und die Goldnesseln, die da
-überall blühten. Eine Elster schnatterte in
-der Pappel, Dohlen lärmten hin und her und
-über dem Hausbusche riefen ein paar Turmfalken.
-Lüder Volkmann tat einen tiefen
-Atemzug.</p>
-
-<p>»Ja,« sagte sein Begleiter, »der Hof liegt
-man einmal schön. Nun wollen wir Frau
-Grimpe Bescheid sagen. Na, die wird Augen
-machen! Und passen Sie auf, die redet <span id="corr050">einem</span>
-ein Loch in den Strumpf und wenn man
-Kniestiefel anhat. Da ist sie ja schon!«</p>
-
-<p>Eine untersetzte Frau von rundlicher Gestalt
-mit dicken weißen Armen kam aus der
-Türe; sie mochte so in den dreißiger Jahren
-sein, sah freundlich und sauber aus, hatte
-aber einen unsteten Blick.</p>
-
-<p>Sie schoß auf Garberding zu: »Guten Morgen,
-Herr Vorsteher; wo komme ich zu die Ehre?<span class="pagenum"><a id="Page_51">[51]</a></span>
-Wollen Sie nicht ein büschen näher treten?
-Sie haben doch noch nicht gefrühstückt? Doch!
-Schade! He, Pollo! Der Hund kann sich
-immer noch nicht an die Katze gewöhnen, so
-viele Schläge er darum auch schon gekriegt
-hat. Ein Glück, daß Sie erst jetzt kommen;
-bis Uhre sechse haben wir gewuracht; die
-eine Sau hat Junge gekriegt, acht Stück.
-Wollen Sie sie mal sehen? Das eine hat,
-mit Respekt zu sagen, keine Leibesöffnung.
-Was macht man bloßig damit? Die Ferkel
-haben ja jetzt gute Preise; vielleicht kann der
-Tierarzt da was an machen. Oder was meinen
-Sie, ob 'ne Opratschon Sweck hat? Das
-arme Tierchen! Es säuft aber trotz alledem.
-Ja, wer kann vor Malheur!«</p>
-
-<p>»Das ist der Besitzer vom Hilgenhofe, Herr
-Volkmann«, mit diesen Worten hackte der
-Vorsteher ihr das Wort vor dem Munde ab.</p>
-
-<p>»Aurelie Grimpe,« stellte sich die Frau mit
-einem Knixe vor, der Volkmann an den erinnerte,
-den seine Wirtin, die dicke Hofbäckermeisterfrau,
-zu machen pflegte, wenn die Herzoginmutter
-ihr vom Wagen aus zunickte.
-Einen Augenblick war Frau Grimpe verdutzt,
-dann aber zog sie die Schleuse wieder auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_52">[52]</a></span></p>
-
-<p>»Meinen ergebensten Glückwunsch, geehrter
-Herr! Das ist man gut, daß hier wieder ein
-Mann hinkommt. So weit es ging, habe ich ja
-alles in Stande gehalten, aber eine schwache
-Frau kann nicht das, was ein Mann kann,
-und so'n Pächter, na, man weiß ja!«</p>
-
-<p>Der Vorsteher machte lustige Augen und
-sah ihre Schultern und ihre Arme an, sie aber
-polterte weiter durch dick und dünn: »Ihrem
-seligen Herrn Onkel habe ich zwei Jahre die
-Wirtschaft geführt; eine Seele von Mann war
-das. Natürlich hatte er seine Grappen; sehen
-Sie mal da!« sie zeigte nach der Miststatt, »da
-wachsen an die zweihundert Königskerzen,
-daß man fast nicht mehr heran kann. Glauben
-Sie, daß die wegdurften? Ordentlich verniensch
-ist er geworden, als ich darauf zuschlug
-und er sagte: ›Das ist das Schönste
-am ganzen Hofe.‹ Na ja, es sieht ja ganz
-ramantisch aus, wenn sie ihre Blüten entfalten,
-aber die Propertät leidet darunter.</p>
-
-<p>Das Schlimmste war, er machte sich aus
-dem Essen gar nichts. Wenn ich ihn fragte:
-›Herr Volkmann‹, fragte ich, ›was soll ich
-kochen?‹ Dann sagte er: ›Das ist meine Sache
-nicht.‹ So war er. Ach, du meine Güte, sind<span class="pagenum"><a id="Page_53">[53]</a></span>
-doch wahrhaftig wieder die Hühner im Garten!
-Hscht! Wollt ihr wohl! Ja, und wenn ein
-Swein geslachtet werden sollte, dann machte
-er, daß er wege kam, so'n Herz hatte der
-Mann! Und keinmal habe ich ein Huhn
-vor ihm braten dürfen und eine Taube schon
-gar nicht.</p>
-
-<p>In anderer Weise konnte er dagegen wie
-ein Stein sein; keinem armen Reisenden gab
-er auch man zwei Pfennige. ›Bleibt auf dem
-Lande und arbeitet bei den Bauern!‹ sagte
-er einen jeden, wo hier fechten kam. Und
-wenn auf die Franzosen die Rede kam, denn,
-wenn der Herr Paster und der Herr Dokter
-kam, dann wurde sehr politisch geredet, dann
-sagte er: ›Kaput getrammpt muß die Bande
-werden!‹ Ja, so war er.</p>
-
-<p>Aber nun sehen Sie sich bitte das Haus
-an; es ist meist allens wie es war. Die
-Sammlungen sind an das Museum in Bremen
-gekommen, Käfer und Bienen und Steine
-und andere Wissenschaftlichkeiten, denn darin
-war er groß. Denken Sie bloßig, der pflanzte
-allerhand wilde Blumens an, bloßig damit
-die wilden Bienen danach kamen. Den ganzen
-Tag konnte er bei seinen Büchern und Kästen<span class="pagenum"><a id="Page_54">[54]</a></span>
-sitzen, und wenn ich ihm sagte, daß das Essen
-da ist, dann wurde er falsch. Hscht! Ist mir
-das Viehzeug von Spatzen bei die jungen
-Erbsen. Ja, man hat seine liebe Not!«</p>
-
-<p>So ging es in einem Strange fort. Volkmann
-hörte nur mit einem halben Ohre hin;
-er sah sich das alte Haus an, den Garten
-mit den gut gepflegten Obstbäumen und
-Beerensträuchern, die große Alpenanlage, die
-zwischen dem Hause und dem Grasgarten
-lag, in der zwischen und auf den Tuffsteinen
-viele hundert Blumen und Kräuter wuchsen
-und sich in den kleinen und großen Wasserkübeln
-spiegelten, die in den Boden eingelassen
-waren und in denen allerlei Wasserpflanzen
-gediehen, die Hainbuchenlaube mit dem Steintische
-und der grünen Bank, von der man
-einen Blick über die Haide bis zu dem blauen
-Walde hatte, die sechs Fischteiche, die hinter
-dem Grasgarten lagen, die Stallungen und
-den Rest von dem Vieh, das noch geblieben
-war; er hörte auf die verständigen Worte,
-die Garberding an ihn richtete, und dachte,
-daß es vielleicht doch ein Glück wäre, daß
-der Hof nun sein Eigentum sei.</p>
-
-<p>Vor ihm, neben ihm und hinter ihm, je<span class="pagenum"><a id="Page_55">[55]</a></span>
-nachdem, was sie zu zeigen hatte, witschte
-Aurelie Grimpe hin und redete Korn und
-Kaff durcheinander.</p>
-
-<p>Er aber hörte nicht mehr darauf, als auf
-das, was die schwarze Krähe quarrte, die
-über den Hof wegflog.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_56">[56]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Schwalbe">Die Schwalbe.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Es kamen nun zwei graue Regentage, legten
-sich auf das Land und drückten des Hilgenhoferben
-Stimmung zu Boden.</p>
-
-<p>Mit ernstem Gesichte half er Nordhoff bei
-der Arbeit auf dem Hofe, denn der Krüger
-hatte die Wirtschaft und den Kramladen nur
-so nebenbei, und Ramaker arbeitete auf dem
-Felde mit, weil der Knecht eine schlimme Hand
-hatte. Den beiden Männern kam das sehr
-zu Passe, denn Volkmanns letzter Taler war
-verzehrt und so konnten sie Kost und Nachtlager
-mit ihrer Hände Arbeit bezahlen.</p>
-
-<p>Als am Sonnabend Nachmittag Feierabend
-gemacht wurde, kam die Sonne durch. Lüder
-setzte sich in den Garten und machte dem
-kleinen Lieschen eine Puppe, und Strom, der
-immer bei ihm war, sah zu. Im blühenden
-Kirschbaume sang die Schwarzdrossel. Die
-Grauartschen schwatzten auf der Hecke und von
-dem Windbrette zwitscherten die Schwalben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_57">[57]</a></span></p>
-
-<p>»So,« sagte Volkmann, »nun ist sie fertig,
-die Puppe. Und jetzt geh nach Deiner Mutter;
-es ist Abendbrotzeit für Dich.« Das Kind
-nahm ihn in den Arm und gab ihm einen
-Kuß auf die Backe, bei dem es dem Manne
-warm um das Herz wurde; dann lief es mit
-glänzenden Augen in das Haus und Strom
-schwänzelte hinterher.</p>
-
-<p>Volkmann steckte sich eine Zigarre an und
-sah nach den gelben Osterblumen hin, die in
-dicken Horsten aus dem Rasen kamen und
-um die ein Ackermännchen herumsprang und
-nach Fliegen schnappte. Über ihm zwitscherte
-die Schwalbe in einem fort.</p>
-
-<p>Seine Stirn hellte sich auf: ja, er wollte es
-wagen, wollte den Hof auf dem Hilgenberge
-antreten, wollte da hinten in der Haide ein
-Bauer werden, von dessen Giebel die Schwalbe
-lustig zwitscherte, und nicht wieder staubige
-Straßen fahren, an denen der Ortolan sein
-müdes Lied sang.</p>
-
-<p>Die Welt der Stadtleute lag abseits von
-seinem Wege; das Schicksal hatte ihn nach
-harter Buße dahin gestellt, wo er hingehörte,
-in die Haide; es hatte ihm den Pflugsterz in
-die Hand gegeben und er wollte ihn festhalten.<span class="pagenum"><a id="Page_58">[58]</a></span>
-Und das Geschick hatte ihm einen Gehilfen
-gegeben in dem heimatlosen Knecht, so daß
-er nicht ganz alleine mit sich und seiner Erinnerung
-war.</p>
-
-<p>Ein Wagen hielt vor der Wirtschaft und
-eine tiefe Männerstimme, die Lüder bekannt
-vorkam, rief die Tageszeit. Dann kamen
-Schritte über den Gang, ein Schatten fiel
-über das Gras, und als Volkmann aufsah,
-stand der lange Freimut vor ihm. Bis auf
-einige graue Haare war er noch derselbe
-Mann wie vordem; seine Augen hatten noch
-denselben Kinderblick und der blonde Bart bedeckte
-die ganze Oberbrust. Er war in Jagdkittel
-und Manchesterhosen und trug Schmierstiefel.</p>
-
-<p>Er stand vor Volkmann, lächelte und schüttelte
-den Kopf: »Da schlag doch Gott den Deubel
-dot! Sagt bloß, wo kommt Ihr eigentlich
-her? Wir lauern und lauern, aber kein Volkmann
-läßt sich sehen. Einen Preis haben
-wir auf Euer edles Haupt gesetzt, bestehend
-in zwölf Pullen Forster Kirchenstück Auslese;
-aber selbst das half nicht. Schließlich hieß
-es, Wodan habe eine seiner Schwertjungfern
-losgeschickt und Euch zu einem längeren Abendschoppen
-gebeten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_59">[59]</a></span></p>
-
-<p>Doch Spaß beiseite. Jetzt wollen wir einmal
-ernsthaft reden: was trinkt Ihr lieber,
-weiß oder rot? denn ich habe meinen eigenen
-Wein hier. Die Sache ist nämlich die: Baumeister
-Schönewolf, auch einer von uns Niefelheimern,
-und ich, wir haben die Jagd hier,
-fünfzehntausend Morgen zusammenhängend,
-uneingerechnet das große Moor, denn da
-weiß kein Deubel die Grenze, und der Hilgenhof
-gehört mit dazu.</p>
-
-<p>Eine Frage noch: wer kennt Eure Verhältnisse
-hier? Der Vorsteher! Bonus, wie
-der Küchenlateiner sagt; dann sind wir unser
-vier: <em class="antiqua">tres faciunt collegium</em>, alleine vier ist
-auch nicht dumm.«</p>
-
-<p>Er rief in das Haus hinein: »Deern, lauf
-mal nach dem Vorsteher, er möchte sofort
-kommen; eine wichtige Angelegenheit harret
-seiner. Kriegst auch nachher 'n Söten!«</p>
-
-<p>Das Mädchen quiekte und lief los. »Und
-nun an die Gewehre! Ich habe einen Schmacht,
-daß ich Mazzes fressen könnte.«</p>
-
-<p>In der besseren Stube saß der Baumeister
-und streckte Volkmann die Hand hin. Freimut
-sagte: »Unser Freund weiß Bescheid; er hat
-Euretwegen einen Lümmel einmal backgepfiffen<span class="pagenum"><a id="Page_60">[60]</a></span>
-und ihm nachher eine tadellose Terz in
-die Rippen gesetzt. So, nun wollen wir der
-selbstgeschlachteten Wurst die gebührende Ehre
-antun. Da ist ja auch der Vorsteher! Guten
-Abend, Vatter Garberding, <em class="antiqua">comment vous
-portemonnez-vous</em>? Und nun, ihr deutschen
-Männer,« er füllte vier Gläschen mit altem
-Korn, »erhebet euch und die Stimmen zum
-uralten germanischen Weihegesang: Wenn alle
-eenen hebbt, will eck ook eenen hebben! denn
-so ist es der Brauch bei den Mannen, so im
-Rheinischen Hof in Niefelheim, der Stätte der
-Gräuel, nächtlicherweile tagen.</p>
-
-<p>Und ich soll euch grüßen von der ganzen
-Schwefelbande, vor allem vom kleinen Doktor,
-der mitgekommen wäre, wenn er nicht zufällig
-grade heute freite, und von Knüppel,
-dem Kunstmaler aus Deutschland, der ein
-Weib genommen hat und sich nur noch Sonnabends
-betrinken darf, aber nur ein ganz
-bißchen. Und hallo, das Wichtigste; als ich
-grade in die Bahn stieg, sah ich Herrn Mehls;
-er hat sein ganzes Geld in Kuxen verjuxt
-und ich führe fünf Prozesse gegen ihn, und
-an dem Tage, wo er so weit ist, daß er sich
-sein Mittag aus dem Mülleimer sucht, da will<span class="pagenum"><a id="Page_61">[61]</a></span>
-ich dem heiligen Hubertus eine Kerze stiften
-für hundert Reichsmark.«</p>
-
-<p>Lüder schwoll die Brust, als er den Namen
-Mehls hörte. Das war der Mann, der ihn
-zu Tode gehetzt hatte, einst sein Freund, und
-dann sein Todfeind, den seine politischen Gegner
-auf seine Wundfährte gelegt hatten, um ihn
-zur Strecke zu bringen.</p>
-
-<p>»Ja,« sprach der Rechtsanwalt und warf
-seinem Hunde eine Hand voll Wursthäute
-hin, »auf dem Bauche soll er kriechen und
-Staub fressen, der Schweinehund. Ich habe
-jetzt ein paar Wechsel von ihm in der Hand,
-damit bringe ich ihn an den Galgen. Seine
-zweite Frau, wenn es nicht schon die dritte
-ist, ist ihm ausgerückt, sein Haus ist ihm verkauft,
-keinen Kredit hat er ooch nicht mehr.
-Kinder, das Leben ist doch schön! Es lebe
-das edle Waidwerk und die Jagd auf das
-Raubzeug! Horüdhoh, do, do, do, do!«</p>
-
-<p>Es wurde ein gemütlicher Abend; der Vorsteher,
-der sich sonst sehr zurückhielt, taute
-auf, denn er mochte den langen Rechtsanwalt
-gern und den Baumeister auch.</p>
-
-<p>Als der Tisch abgeräumt war, wurden Volkmanns
-Angelegenheiten besprochen. Garberding<span class="pagenum"><a id="Page_62">[62]</a></span>
-und Schönewolf waren der Meinung,
-daß Volkmann den Hof selbst bewirtschaften
-sollte; Freimut sagte nichts dazu. Nachdem
-Garberding sich verabschiedet hatte und Schönewolf,
-der vor Tau und Tag zur Birkhahnbalz
-in das Moor wollte, zu Bett gegangen war,
-sagte er:</p>
-
-<p>»Das mit dem Hofe halte ich für Duffsin.
-Zum ersten, weil Ihr von der dicken Kartoffelzucht
-nichts versteht, zum zweiten, weil es ein
-bethlehemitischer Kindesmord wäre, wenn Ihr
-Euch hier verkriechen wolltet. Freunde habt
-Ihr genug; ich würde kaltlächelnd wieder die
-Feder in die Faust nehmen und darauf loshauen.
-Wir haben damals bei der ganzen
-befreundeten Presse angefragt, ob sie ferner
-von Euch Leitartikel und Kunstbesprechungen
-nehmen würde, und überall hieß es: ›Nun
-grade!‹ Verpachtet den Hof gut, behaltet
-Euch eine Stube vor, damit Ihr mit uns
-jagen könnt, oder noch besser zwei, dann sind
-wir gleich mitten drin in der Jagd, denn dem
-guten Nordhoff liegt an Bett- und Mittagsgästen
-scheußlich wenig und er ist froh, wenn
-wir ihm sein Bitterbier austrinken und ihn
-sonst in Frieden lassen. Ihr gehört vorne an,<span class="pagenum"><a id="Page_63">[63]</a></span>
-Mann, und nicht hinten in die Haide. Das
-ist meine Meinung.«</p>
-
-<p>Volkmann schüttelte den Kopf: »Nein, lieber
-Freimut, ich bleibe hier. Erstens ekelt mich
-die Parteipolitik an; denn ob schwarz, blau
-oder rot, mit Wasser wird überall gekocht,
-mit sehr trübem Wasser oft. Selbst bei meiner
-Niedersächsischen Bauernzeitung, bei der ich
-doch alle Parteiklüngelei ausließ, habe ich
-mich oft drehen und wenden müssen. Und meine
-anderen Schreibereien? Du lieber Himmel,
-das, was ich als Kunstkritiker und im Feuilleton
-leistete, das können hundert andere auch
-und manche viel besser. Überhaupt ist mir
-alles, was nach Luxus und Asphalt riecht,
-in die Seele verhaßt; am wohlsten habe ich
-mich gefühlt, als ich im Blockhause lebte und
-keine andere Gesellschaft hatte als meine
-Margerit, meinen Schweißhund und den Homer.</p>
-
-<p>Unsere Parteipolitik, unsere Kunst, unser
-Feuilleton, lieber Mann, es ist wie der Asphalt;
-es sieht glatt und sauber aus, und besieht
-man es in der Sonne, dann klebt es und
-stinkt. Ich danke ergebenst! Ich will das
-werden, was meine Ahnen waren: ein Bauer
-und von dem ganzen Stadtkrempel mit seiner<span class="pagenum"><a id="Page_64">[64]</a></span>
-Talmikultur keinen Schwanzzipfel mehr sehen.
-Habe ich mich in Kanada, wo doch das Wort
-gilt: <em class="antiqua">Trapping for sport very well, for Life
-damned</em>, bequem durchgebracht und noch einen
-Rucksack voll Dollarnoten dabei übrig gehabt,
-so werde ich hier auch schon durchkommen.
-Und ich habe ja Ruloff Ramaker bei mir.
-Ich weiß, Ihr meint das gut mit mir, aber
-ich habe mit allem abgeschlossen, was außerhalb
-meines Ichs liegt.«</p>
-
-<p>Gellendes Hasenquäken weckte ihn am anderen
-Morgen. Er fuhr im Bette in die Höhe,
-das er jetzt allein hatte, da Ramaker bei
-dem Knechte schlief, und sah Freimut vor sich
-stehen.</p>
-
-<p>»Auf! sprach der Fuchs zum Hasen; hörst
-du nicht den Jäger blasen?« schrie der und
-warf ihm einen Jagdanzug auf das Bett:
-»Host Euch damit an, Hochedler, denn Eure
-Kluft ist mehr interessant, als sonntagsgemäß.
-Wir wollen dem Amtsrichter auf die Bude
-rücken; ich bin gestern bei ihm vorgefahren
-und er erwartet uns. Wir duzen uns beide;
-er war mit mir in Berlin im V. d. St. und
-mit seiner Frau bin ich so auf Umwegen auch
-noch verwandt, denn sie ist eine Hasselmann,<span class="pagenum"><a id="Page_65">[65]</a></span>
-Schwester von unserem Hasselmann, der jetzt
-in Deutschsüdwest herumtobt.</p>
-
-<p>Donnerhagel, sitzt Euch das Zeug fein, besser
-als mir! Hier ist ein Hut, und hier ein
-Wanderstab, wie es sich für den deutschen
-Mann gehört. Der Vorsteher schickt ihn; Ihr
-sollt ihn behalten. Seht, da hat er die Volkmannsche
-Hausmarke hineingeschnitten.«</p>
-
-<p>Hell leuchtete aus dem dunklen Schlehenstocke
-die alte Eigenrune der Hilgenbauern
-heraus, und Volkmann wurde seltsam zumute,
-als er den Stock in die Hand nahm; ihm
-war es, als träte er damit das Erbe an.</p>
-
-<p>Sie frühstückten und fuhren los. Die Birkenstämme
-an der Straße blitzten in der Sonne
-und wehten mit ihrem grünen Gezweige, die
-Wiesen waren weiß vom Schaumkraut, die
-Grabenufer leuchteten von den gelben Kohmolken,
-überall stelzten die Störche umher,
-und die Luft war voll von Lerchengesang und
-Krähengequarre.</p>
-
-<p>Das ganze Land sah aus, als wenn es frisch
-aus der Wäsche gekommen wäre, alle Leute,
-die ihnen begegneten, hatten blanke Augen,
-und vor jedem Hause war Hundegekläff und
-hinter allen Hahnengekrähe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_66">[66]</a></span></p>
-
-<p>Der Anwalt schlug Volkmann auf den Schenkel:
-»Mann, ich glaube, Ihr habt recht; ist
-das hier schön! Ich wollte verdammt auch
-lieber hinter dem Pfluge gehen, als Akten
-durchwurzeln und Verteidigungsreden herausrasseln.
-Hol's der Deuwel!«</p>
-
-<p>Amtsrichter Ketel Frerksen winkte mit der
-langen Pfeife, als der Wagen herankam. Er
-war lang und schlank und man sah ihm den
-Reserveleutnant an, aber sein Benehmen war
-das des frohen Burschen, der auf der hohen
-Schule gewesen war.</p>
-
-<p>»Freut mich von Herzen, Sie kennen zu
-lernen,« rief er und drückte Volkmann die
-Hand; »kommen Sie, erst will ich Sie meiner
-Familie vorstellen.« Er schob seine Gäste in
-den Garten, wo ein zierliches Frauchen, einen
-anderthalbjährigen Blondkopf an der linken
-Hand, mit dem Spargelstecher zwischen den
-Beeten herumspähte.</p>
-
-<p>»Hier, Lottchen, das ist Herr Volkmann,
-genannt der Hilgenbur, und das ist mein
-ältester Sohn, Ubbe Ketelsen; wir sind nämlich
-Friesen. Und da ist das Frühstück: selbstgeschlachtete
-Radieschen, selbstgesäte Würste
-und Spargelsalat gibt es auch, und der Handkäse<span class="pagenum"><a id="Page_67">[67]</a></span>
-läuft weg, wenn wir ihn nicht schlachten.
-Aber was hat denn der Junge? Du willst
-zu dem fremden Onkel auf den Arm? Das ist
-doch sonst deine Art nicht? Komm, Väterchen
-will dich nehmen! Nicht? Na, das ist die Höhe!«</p>
-
-<p>Volkmann nahm das Kind hin, das ihm
-die Backen strich, ihn fest in den Arm nahm
-und ihm einen Kuß auf das Haar gab. Die
-hübsche Frau des Amtsrichters schlug die
-Hände zusammen: »Das hat er noch nie bei
-einem Fremden getan, noch nicht einmal bei
-seiner Minna. Bitte, Minna, nehmen Sie das
-Kind.«</p>
-
-<p>Das Mädchen kam, aber der Junge fing
-gefährlich an zu brüllen, als er von Volkmann
-fort sollte, er klammerte sich fest an ihn
-an und jubelte auf, als Lüder der Magd abwinkte,
-und er jauchzte vor Wonne, als er aus
-der braunen Hand ein Butterbrötchen bekam.</p>
-
-<p>Das Ehepaar saß ganz verwundert da.
-Dem Hilgenbauer aber war zumute, als
-streichelte die kleine weiche Hand, die ihm
-über die Backen fuhr, jede Erinnerung an
-die graue Zeit fort.</p>
-
-<p>In der Linde vor der Laube zwitscherte die
-Schwalbe.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_68">[68]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Wendehals">Der Wendehals.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Lüder Volkmann hatte die Erbschaft angetreten;
-es gereute ihn keineswegs.</p>
-
-<p>Zuerst wußte er nicht, was er so recht anfangen
-sollte, da Lembke, der das Ackerland
-und einen Teil der Wiesen in Pacht hatte,
-vorderhand allein mit der Arbeit fertig wurde,
-zumal Ramaker ihm von früh bis spät half,
-ohne mehr zu verlangen als Essen und
-Trinken und freien Tabak.</p>
-
-<p>Freimut und Schönewolf hatten Volkmann
-gebeten, die Aufsicht über die Jagd zu übernehmen
-und ihm freie Flinte dafür gewährt,
-und so lag er die meiste Zeit draußen, weniger,
-um zu waidwerken, als um die Zeit
-totzuschlagen.</p>
-
-<p>Auf die Dauer wurde ihm das aber langweilig
-und er suchte sich Arbeit. In Reethagen
-hatte er einen ganzen Vormittag dem
-Strohdecker zugesehen, und da das Hausdach<span class="pagenum"><a id="Page_69">[69]</a></span>
-auf der Wetterseite schadhaft geworden war,
-so lieh er sich von ihm die Dachstühle, das
-Dachmesser, die Dachnadel und das Dachholz,
-ließ sich Bindedraht besorgen und machte sich
-mit Ramaker daran, das Dach zu flicken.</p>
-
-<p>Anfangs hatte er vor, nur eine kleine Ecke
-auszubessern, aber dann fand er, daß die
-ganze Dachkante undicht war, und da Stroh
-genug da war für die Schoofe, so ließ er nicht
-eher nach, als bis keine Fehlstelle mehr an
-dem ganzen Dache war.</p>
-
-<p>Sodann sah er sich nach anderem Tagewerk
-um. Der Zaun zwischen dem Hofe und dem
-Grasgarten war morsch; er sägte Ständer
-und Latten zurecht und setzte einen Zaun hin,
-daß Frau Grimpe die Hände zusammenschlug
-und rief: »Nein, Herr Volkmann, aber über
-Ihnen aber auch! an Sie ist ja ein Tischlermeister
-verloren gegangen.«</p>
-
-<p>Die Fischteiche waren arg verschlammt, denn
-davon hatte Lembke keinen Verstand; so ließ
-der Bauer einen nach dem anderen ab, reinigte
-und vertiefte ihn, düngte ihn und ließ
-ihn sich begrünen und besetzte ihn.</p>
-
-<p>Je mehr er sich umsah, um so mehr fand
-er, was nicht in der Reihe war; hier fehlte<span class="pagenum"><a id="Page_70">[70]</a></span>
-ein Brett, da stockte ein Graben, dort sackte
-ein Weg weg; Lüder hatte allmählich so viel
-zu tischlern, zu graben und zu dämmen, daß
-ihm kein Tag mehr lang wurde.</p>
-
-<p>Der alte Immenschauer fiel fast um; er
-baute an einer besseren Stelle einen neuen,
-der doppelt so viel Stöcke aufnahm, und acht
-Tage lang quälte er sich damit ab, die Bohlen
-auf dem Heuboden, von denen mehrere recht
-schlecht waren, auszuflicken oder zu ersetzen,
-und Frau Grimpe sah bewundernd zu und
-rief: »Nein, Herr Volkmann, als wenn Sie
-auf Zimmermann studiert hätten!«</p>
-
-<p>Aurelie Grimpes Herz hatte allerlei Liebe
-aushalten müssen, aber sie fühlte sich frisch
-genug, es noch einmal damit zu versuchen.</p>
-
-<p>Je länger der Bauer auf dem Hofe war, um
-so heißer wurde es ihr unter dem Schürzenlatze,
-der jetzt immer schlohweiß war, wie sie
-denn auch seitdem am Kopfe und an den
-Füßen stets herumging, wie aus der Beilade
-genommen.</p>
-
-<p>Das Haus hielt sie so sauber, daß es eine
-Freude war, und obzwar sie wieder angefangen
-hatte, im stillen Kämmerlein mit Feile,
-Rosawachs und Wildleder ihre Hände so<span class="pagenum"><a id="Page_71">[71]</a></span>
-zu pflegen wie damals, als sie noch Dreimarkchampagner
-für vier Taler an ihre Gäste
-verkaufte, wenn die Mädchen ihnen die Köpfe
-heiß gemacht hatten, den Garten hielt sie so
-schnicker wie vordem.</p>
-
-<p>Dumm war sie nicht; sie hatte es sofort
-herausbekommen, daß der Bauer keiner von
-den Männern war, die man leicht einfängt;
-so sparte sie ihre runden Armbewegungen und
-ihre einladenden Blicke, legte in ihr Lächeln
-so viel Mütterlichkeit, wie sie auftreiben konnte,
-und ließ ihre Zunge Schritt laufen, so schwer
-ihr das auch wurde.</p>
-
-<p>Sie wollte den großen schönen Mann langsam
-an sich herangewöhnen, ihn leinenführig
-machen und ihn soweit bringen, daß er sich
-sagen mußte: »Aurelie Grimpe oder keine!«</p>
-
-<p>Vorläufig schien es damit allerdings noch
-gute Weile zu haben, denn der Bauer sah
-weder die krausen Nackenlocken und die weißen
-Arme, noch den innigen Augenaufschlag und
-das mütterliche Lächeln; er ging und kam mit
-kurzem Gruße, und wenn er mit der Frau
-sprach, dann war es um alltägliche Dinge und
-geschah in derselben trockenen Art, mit der er
-zu dem Pächter sprach.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_72">[72]</a></span></p>
-
-<p>Aurelie Grimpe stellte sich oft genug in ihrer
-Dönze vor den Spiegel, knetete sich die Krähenfüße
-von den Schläfen weg, zupfte die Stirnlöckchen
-zurecht und fragte ihr Widerbild ganz
-erstaunt, wie es wohl möglich wäre, daß ein
-so strammer Kerl, der rein nichts an der Hand
-habe, an einer so schieren und molligen Frau,
-wie sie war, Aurelie Grimpe, geborene und
-so weiter, vorbeisehen könne, als wenn sie die
-Altmutter Lembke mit dem kahlen Scheitel
-und dem leeren Mund wäre.</p>
-
-<p>Alles mögliche hatte sie angestellt, um dem
-Bauern zu beweisen, daß sie Verständnis für
-höhere Bildung habe; sie hatte ihn gefragt,
-ob sie sich aus dem Rest der Bücher, die der
-alte Volkmann zurückgelassen hatte, Leselektüre
-holen dürfe, aber der Bauer hatte nur
-»Bitte schön« gesagt, und als sie ihn fragte,
-was dies oder jenes in dem Buche bedeute,
-da hatte er, ohne eine Miene zu verziehen,
-gesagt: »Das verstehen Sie doch nicht!« und
-war an seine Arbeit gegangen.</p>
-
-<p>Dann hatte sie eine Zeitung, in der das
-Allerneueste zu finden war, bestellt, und nun
-ging es ab und zu: »Herr Volkmann, haben Sie
-schon gehört?« oder »Herr Volkmann, denken<span class="pagenum"><a id="Page_73">[73]</a></span>
-Sie sich bloßig?« Er aber sagte: »Tun Sie mir
-den einzigen Gefallen und lassen Sie mich
-mit solchen Geschichten in Frieden!« Er sagte
-das ganz freundlich, aber es betrübte sie
-doch sehr, daß es ihr nicht gelingen wollte,
-einen Weg von ihrem zu seinem Herzen zu
-finden.</p>
-
-<p>Obzwar sie anfangs nur an die gute Versorgung
-gedacht hatte, mit der Zeit fing sie an
-zu brennen wie eine alte Scheune und stellte
-mit Besorgnis fest, daß sie, wenn sie nicht
-ihren Zweck erreichte, auf dem besten Wege
-wäre, den Glanz ihrer Augen und die Frische
-ihrer Farbe loszuwerden, und so beugte sie
-dem mit Antimon und Karmin vor, das der
-geheimnisvolle Kasten enthielt, den sie in den
-Tiefen ihres großmächtigen Reisekorbes verborgen
-hielt.</p>
-
-<p>Das Allerbetrüblichste aber war, daß der
-alte Spruch, der da sagt, daß die Liebe durch
-den Magen gehe, auf Volkmann durchaus nicht
-zutraf. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, um
-herauszubringen, was wohl seine Leibgerichte
-wären, aber immer und immer wieder hatte
-sie in die Brennessel gefaßt, wenn sie danach
-fragte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_74">[74]</a></span></p>
-
-<p>Er aß Morgen für Morgen seinen steifen
-Buchweizenbrei mit einer dreizolldicken Hausbrotschnitte,
-er war zufrieden, wenn es zum
-Frühstück acht Tage dieselbe langweilige Wurst
-oder ein und denselben gemeinen Käse gab,
-er fragte nicht danach, ob die Kartoffeln
-kroß mit Speck oder mit Butter weich gebraten
-waren, ob die dicke Milch alt oder jung,
-ob das Rauchfleisch herzlich schmeckte oder
-streng.</p>
-
-<p>»Die reine Dranktonne,« dachte Aurelie
-Grimpe mit Wehmut und verzweifelte immer
-mehr, wenn sie sah, daß er den einen Tag
-die halbkalten Pellkartoffeln mit dem alten
-Speck ebenso gleichgültig hinunteraß wie Tags
-zuvor die schöne Gemüsesuppe mit dem zarten
-Schinkenende darin. Das gefiel ihr nicht an
-dem Manne.</p>
-
-<p>Eines Sonntagnachmittags, als Lembkes
-in das Dorf gegangen waren, beschloß sie,
-drei Pferde vor den Wagen zu spannen, um
-durch den Sand zu kommen.</p>
-
-<p>Der Bauer schlief, denn er war um zwei
-Uhr in der Nacht aufgestanden und mit dem
-Drilling und Söllmann, dem Schweißhunde
-Freimuts, losgegangen, weil er vermutete,<span class="pagenum"><a id="Page_75">[75]</a></span>
-daß hinten im Moor gewildert wurde. Er
-war erst gegen Mittag nach Hause gekommen
-und hatte sich dann lang gemacht.</p>
-
-<p>Aurelie sagte sich, daß die Gelegenheit
-günstig wäre, die dicken Trümpfe auszuspielen.</p>
-
-<p>Sie zog ihre süßesten Strümpfe und ihre
-zuckrigsten Schuhe an, ein Spitzenhemd und
-ein Korsett, wie es das weit und breit nicht
-gab, und einen Unterrock, der gerade so lang
-war, wie er sein sollte, machte sich ihr Haar
-so hübsch wie möglich, gab ihren Augen durch
-ein wenig Antimon noch mehr Feuer, sah sich
-lange im Spiegel an, machte sich einen Knix,
-langte ihren Handspiegel her, besah sich von
-hinterwärts, und dann setzte sie sich auf den
-Bettrand und wartete.</p>
-
-<p>Sie mußte sehr lange warten, so lange, daß
-ihr allerlei dumme Gedanken kamen, Gedanken,
-die nicht gerade geeignet waren, ihren
-Augen helleren Glanz und ihren Backen mehr
-Farbe zu geben. Sie wurde müde, aber sie
-wagte nicht zu schlafen, einmal der wunderbaren
-Haaraufmachung wegen, und dann
-überhaupt und so.</p>
-
-<p>Sie sah ihr Photographiealbum durch, in
-dem meistens aufgedonnerte Mädchen mit weit<span class="pagenum"><a id="Page_76">[76]</a></span>
-aufgerissenen Augen zu sehen waren, und
-Männer unterschiedlicher Art, ordnete den Inhalt
-ihres Reisekorbes, in den sie niemals
-einen Menschen hineinsehen ließ, und las
-schließlich zum soundsovielten Male in den gelben
-Heften, auf deren Vorderblatt ein Männerkopf
-mit rabenschwarzen Locken zu sehen war,
-worunter die Worte standen: Memoiren eines
-Scharfrichters oder das Geheimnis der Gräfin
-Olga.</p>
-
-<p>Auf einmal sprang sie auf; sie hatte gehört,
-daß im Fleet Schritte gingen. Sie trällerte
-ein Liedchen vor sich hin, warf einen Blick in
-den Spiegel, rumpelte einen Stuhl hin und
-her, zupfte sich eine Locke zurecht, rieb sich
-unter den Augen umher, die vom langen
-Warten Fensterladen bekommen hatten, warf
-noch einen Blick in den Spiegel, übte schnell
-einen züchtigen Augenaufschlag ein, ergriff die
-Blechkanne und schoß in demselben Augenblick,
-als die Schritte des Mannes ihrer Tür
-gegenüber waren, heraus und Volkmann
-mitten vor den Leib.</p>
-
-<p>Die Kanne fallen lassen, einen gellenden
-Jungfernschrei ausstoßen und gleich hinterher
-den Atem anhalten, so daß etwas ähnliches<span class="pagenum"><a id="Page_77">[77]</a></span>
-wie Schamröte ihr Gesicht färbte, die runde
-Hand an das Korsett pressen, doch so, daß
-die schöne Hemdenspitze nicht verdeckt wurde,
-und dann mit wildem Busengewoge nach Atem
-ringen und schmachtend jappend: »O, Herr
-Volkmann, wie hab' ich mir doch verschrocken;
-daß Sie mir auch so sehen müssen!« das war
-alles eins.</p>
-
-<p>Der Bauer aber änderte sein Gesicht kein
-bißchen und liebelte nur den Hund ab, der
-vor Schreck zurückgefahren war, als ihm die
-Kanne vor der Nase hinknallte; gleichgültig
-sah der Mann auf die sorgfältig hergestellte
-Pracht, und während Aurelie Grimpe in ihre
-Kammer zurückschoß, schnitt er für sich und
-den Hund Brot und Speck ab, wickelte es
-ein, steckte es in die Tasche, langte den Drilling
-von dem Rehgehörn am Türrahmen und
-ging über den Hof.</p>
-
-<p>Als er im Grasgarten war, blieb er stehen,
-denn im Apfelbaum saß der Wendehals, schrie
-nach der Schwierigkeit und drehte den Hals
-wie albern. Und da mußte der Bauer im
-Halse lachen, denn es fiel ihm ein, welche
-Mühe die gute Aurelie sich seit Wochen um
-ihn mit Augenverdrehen und Halsverrenken<span class="pagenum"><a id="Page_78">[78]</a></span>
-gegeben hatte, just so wie der Wendehals,
-der in dem Apfelbaume saß.</p>
-
-<p>Aber dann ging das Lächeln aus seinem
-Gesichte fort. Das Weibsstück war ihm längst
-zuwider, einmal wegen ihrer schwarzen Kraushaare,
-dann wegen ihrer Anschummelei, und
-außerdem wußte er, was mit ihr los war,
-denn als Freimut sie das erstemal sah, hatte
-er hinterher in der Haide gesagt: »Mann, wie
-kommt dieses Besteck hierher? Ich dachte, die
-hätte der Satan längst lotweise geholt. Aurelie
-Grimpe, geborene Sziembowska aus Filehne,
-eheverlassene Juckenack und eheentlaufene
-Grimpe, unter dem Übelnamen die Gräwin
-weit bekannt an den Stätten, wo die Orchideen
-der Nacht wachsen, mehrfach wegen Begünstigung
-der Kuppelei hineingerasselt und
-wegen schweren Kuppelpelzhandels leider
-freigesprochen. Backt ihr eine Zehnpfennigmarke
-auf und schickt sie als Muster ohne
-jeglichen Wert dahin, wo der spanische Pfeffer
-wächst, denn das Weibsbild taugt in dem
-Grund nichts!«</p>
-
-<p>Volkmann hatte derartiges schon immer geahnt,
-aber nicht recht gewußt, wie er es anstellen
-sollte, um die Person loszuwerden; jetzt,<span class="pagenum"><a id="Page_79">[79]</a></span>
-nach dem Bajonettangriff, den sie auf ihn
-verübt hatte, wollte er ihr aber aufsagen.</p>
-
-<p>Während er das bei seinem Gange über
-die Haide mit sich abmachte, lag Aurelie auf
-ihrem Bette, biß in die Kissen, strampelte mit
-den Beinen, daß die Lackspitzen an ihren
-Schuhen Sprünge kriegten, sauste dann auf
-die Deele, schmiß einen Teller auseinander,
-gab der Katze, die entsetzt unter dem Brennholze
-hervorschoß, einen Tritt, warf sich in den
-Spinnstuhl, heulte ihre feine Hemdenspitze naß,
-und dann ermannte sie sich, ging an den
-Schrank und trank drei Schnäpse.</p>
-
-<p>Als Lembkes zurückkehrten, saß sie in einem
-ehrbaren Kleide und in biederen Strümpfen
-vor der Tür und strickte, wie es sich für eine
-gute Haushälterin gehört.</p>
-
-<p>Neben sich hatte sie das Gesangbuch liegen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_80">[80]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Kuckuck">Der Kuckuck.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Es war außer Aurelie Grimpe noch jemand
-auf dem Hofe, oder vielmehr, es waren
-zwei, die mit Lüder Volkmann nicht zufrieden
-waren, nämlich der Pächter Lembke und seine
-Ehefrau.</p>
-
-<p>Lembke stammte aus der Lüchower Gegend;
-er war ein Mann mit zerknittertem Gesicht
-und einem Benehmen wie eine Birke bei
-Sturmwind; seine Frau blühte wie eine Pfingstrose,
-und wo sie ging, da stand das Gras so
-bald nicht wieder auf.</p>
-
-<p>Es war dem Pächter schlecht zu Passe gekommen,
-als Volkmann plötzlich da war wie
-der Habicht zwischen den Hühnern, aber als
-er ihn reden hörte, die Schmisse sah und bemerkte,
-wie der Rechtsanwalt und der Baumeister
-sich zu ihm stellten, da meinte Lembke
-zu seiner Frau:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_81">[81]</a></span></p>
-
-<p>»Kaline, ich glaube, wir brauchen keine
-Bange nicht zu haben, brauchen wir nicht,
-daß es anders werden tut; das ist ein studierter
-Herr, ist er, wenn er jetzt auch man
-wie ein Pracher aussehen tut. Der wird sich
-die Hände nicht schwarz machen, wird er nicht.
-Wenn er das Pachtgeld hat, wird er in die
-Stadt fahren und es verwichsen, wird er, und
-wenn er keins hat, wird er hier bleiben und
-auf die Jagd gehen, wird er. Und so wird
-er mit der Zeit mehr Geld brauchen, wird er,
-als der Hof abwirft, glaube ich, und wir
-werden ihm etwas vorschießen, werden wir,
-oder Land abkaufen, und so bei kleinem wird
-der Hof unser werden, wird er.«</p>
-
-<p><span id="corr081">Karoline</span> hatte genickt und von der krummbeinigen
-Gestalt ihres Mannes zu dem Bauern
-hingesehen, der lang und schlank über den
-Hof ging.</p>
-
-<p>Lembkes merkten aber bald, daß Volkmann
-nicht daran dachte, sich selber das Wasser abzugraben;
-zwar ging er anfangs viel mit dem
-Gewehre los, aber als das Geld vom Gerichte
-kam, fuhr er damit nicht in die Stadt,
-sondern gab das meiste dem Vorsteher, der
-es auf die Kreissparkasse brachte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_82">[82]</a></span></p>
-
-<p>Auch feine Kleider kaufte er sich nicht und
-weder gute Zigarren noch dergleichen; er trug
-sich wie die Bauern und Knechte, rauchte
-seine Pfeife und Sonntags wohl einmal eine
-Zigarre von Nordhoff, der ein ganz gutes
-Kraut führte, das ihm der Baumeister besorgt
-hatte; im Essen und Trinken war er nicht
-anders als der gemeine Mann, obzwar er
-dreist mehr dafür anlegen konnte, wenn er
-gewollt hätte.</p>
-
-<p>Nach vier Wochen sagte Lembke zu seiner
-Frau: »Wenn das so beibleibt, Kaline, dann
-wird der Hof nicht unser, wird er nicht!«</p>
-
-<p>Als der Bauer dann anfing, das Strohdach
-zu flicken und den neuen Zaun hinstellte und
-das Immenschauer baute und den Heuboden
-zurecht machte, da ließ Lembke die Ohren
-immer mehr hängen, und als Volkmann hier
-den Graben und dort den Weg ausbesserte,
-die Fischteiche austiefte und alles in die Reihe
-brachte, was nicht ganz eben war, da sah
-Lembke immer scheeläugiger, achtete auf alles,
-was nicht ganz in der Ordnung war, und
-machte es schnell selber zurecht, damit der
-Bauer sich das Arbeiten nicht noch mehr
-angewöhnen solle.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_83">[83]</a></span></p>
-
-<p>Die Folge davon war, daß der Hof wie abgeleckt
-aussah, so daß der Vorsteher, der ab
-und zu kam, die Augenbrauen hochnahm und
-sagte: »Bei mir sieht es doch auch ordentlich
-aus, Hilgenbur, aber bei dir, das ist ja, als
-wenn jedweden Tag Wochenabend ist.«</p>
-
-<p>»Kaline,« sagte eines Abends Jochen Lembke,
-als er im Bette lag, »Kaline, was ich dir
-sagen will, sage ich dir, wie fangen wir es an?
-Gestern hat er mir beis Torfriegeln geholfen,
-hat er, und dann sagte er, beis Heumachen
-will er auch helfen, will er. Und ich sage dir,
-Kaline, sage ich, er hat das Kleemähen raus,
-hat er, und wenn die Ernte hin ist, dann
-kann er mähen als wie ich, kann er. Wo
-er das man gelernt hat, das Umgehen mit
-die Axt und die Säge, als wie ein gelernter
-Zimmermann kann er es, Kaline, kann er.«</p>
-
-<p>Aber Frau Lembke sagte: »Drähn nicht so
-viel, ich will schlafen!« und damit drehte sie
-sich um und dachte daran, wie glatt es ausgesehen
-hatte, als der Bauer den Vormittag
-in Hemd und Hose Holz klein gemacht hatte
-und sein Haar in der Sonne aussah wie eitel
-Gold. Jochens Haar sah aus wie altes Dachstroh.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_84">[84]</a></span></p>
-
-<p>Aber wenn sie ihren Jochen auch nur genommen
-hatte, weil es klapperte und klingelte,
-wenn er sich auf die Tasche schlug, deswegen
-blieb er doch ihr Mann, und wenn sie ihm
-auch nicht so nachsah wie dem Bauern, so
-gehörte sie dennoch zu ihm.</p>
-
-<p>Sie hatte es längst gemerkt, daß Aurelie
-Grimpe dem Bauern Blumen und Buntpapier
-auf den Weg warf, daß ihm aber so wenig
-daran lag, als wenn es Häcksel gewesen wäre,
-und daß er der Haushälterin nicht mehr, als
-nötig war, Rede und Antwort stand und dabei
-meistens anderswohin sah.</p>
-
-<p>Dagegen, wenn er mit ihr selber sprach,
-sah er ihr voll in die Augen, stand auch gern
-bei ihr, wenn sie beim Melken war oder das
-Federvieh fütterte, und es kam ihr manchesmal
-so vor, als wenn er hinter ihr hersah,
-vorzüglich, wenn sie in bloßen Armen war
-oder die Röcke aufgesteckt hatte. Und so
-machte sie sich einen Plan zurecht, bei dem
-sowohl sie selber wie Jochen auf seine Kosten
-kommen sollte.</p>
-
-<p>Den ganzen nächsten Tag dachte sie darüber
-nach, und da es sich gerade traf, daß
-der Bauer die Türe vor ihr aufmachte, als<span class="pagenum"><a id="Page_85">[85]</a></span>
-sie in jeder Hand eine Satte Dickmilch hatte
-und der Zug die Türe zuschmiß, so erblickte
-sie darin eine Liebeserklärung deutlichster
-Art; als er ihr zudem hinterher beim Futteraufschütten
-half und ihr das Wasserholen abnahm,
-da stand es bei ihr fest, daß ihr Plan
-nicht uneben war.</p>
-
-<p>»Jochen,« sagte sie, als sie abends im Bette
-lag, »Jochen, hör' zu; ich glaube, ich weiß,
-wie wir ihn herumkriegen. Es ist doch gegen
-die Natur, daß so ein Kerl, wie er, keine Frau
-und auch sonst nichts hat, denn was die
-Grimpesche ist, und wenn sie ihm auch noch
-so viel mit ihren Locken und weißen Schürzen
-unter die Augen geht, so macht er sich noch
-nicht einmal so viel aus ihr wie aus unserer
-Mutter.</p>
-
-<p>Nun hör' zu, Jochen, und versteh' mich auch
-recht: auf mich hat er ein Auge, an mir sieht
-er nicht vorbei, wenn er zu mir redet, und
-ich kann es ohne Hoffärtigkeit sagen, er
-sieht manches liebe Mal hinter mir her, wenn
-ich bei ihm vorbei muß. Und denn: alle
-Augenblicke geht er mir zur Hand, im Garten
-oder beim Vieh; gestern hat er die Türe vor
-mir aufgemacht und mir Wasser getragen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_86">[86]</a></span></p>
-
-<p>Sie hielt einen Augenblick an und spann
-dann weiter: »Jochen, nun mein ich, du verstehst
-doch, wie ich es meine? Ich kann ja
-so tun, als wenn mir auch was an ihm gelegen
-ist, bis er mich mal anfaßt oder sowas.
-Und dann können wir uns das besprechen,
-daß du und die Grimpesche beide
-nicht da seid, das heißt, du mußt doch da
-sein, bloß so, daß er dich nicht spitz kriegt,
-und zusehen, was er anfängt; na, und wenn
-er dann an mich heran will, dann kannst du
-ja von ungefähr dazukommen, und denn
-haben wir ihn da, wo er hin soll.</p>
-
-<p>Ich glaube, Jochen, auf eine andere Art
-geht es nicht; er geht darauf aus, uns hier
-rauszuschmeißen, sonst würde er nicht wie ein
-Knecht arbeiten; im Weedergrund hat er ja
-wohl einen ganzen Morgen abgeplaggt, weil
-er da Fuhren anpflanzen will, und für umsonst
-hat er nicht ein neues Stück im Meinsbruche
-eingehachelt. Also, Jochen, was sagst
-du dazu?«</p>
-
-<p>Jochen richtete sich im Bette auf, sah seine
-Frau an, nickte dreimal mit dem Kopfe und
-sagte: »Kaline, ich sage dir, sage ich, das ist
-ein Plan, ist er, das hast du großartig ausklamüsert,<span class="pagenum"><a id="Page_87">[87]</a></span>
-hast du, und ich glaube wahrhaftig,
-glaube ich, auf die Art kommen wir
-doch noch dahin, wo wir hin wollen, kommen
-wir.«</p>
-
-<p>Dann drehte er sich um, und seine Frau
-dachte: »Wenn es glückt, haben wir beide
-etwas davon.«</p>
-
-<p>Es glückte aber nicht, so langsam und bedächtig
-Frau Lembke auch vorging, indem sie,
-wenn sie mit dem Bauern allein war, mit
-ihren runden Schultern oder ihren breiten
-Hüften an ihn herankam, wenn es sich unauffällig
-machen ließ; Volkmann stellte sich
-an wie ein Kind und wollte mit Gewalt nichts
-merken.</p>
-
-<p>Wenn Jochen abends fragte: »Kaline, wo
-weit bist du mit ihm, bist du?« Dann sagte
-sie: »Jochen, jedes Werk muß seine Zeit
-haben; laß mich man machen!« Aber ihr war
-es selbst verwunderlich, daß der Bauer sich
-wie ein Stock anstellte.</p>
-
-<p>Sie stopfte ihm seine Strümpfe mit Wolle,
-die sie aus ihren eigenen Strümpfen gerewwelt
-hatte, sie nötigte ihm eine Frühbirne in
-den Mund, die sie seit drei Tagen in der
-Kleidertasche getragen, drei Nächte unter ihrem<span class="pagenum"><a id="Page_88">[88]</a></span>
-Kopfkissen gehabt und drei Tage in ihre
-Schürze gewickelt hatte, aber auch das wollte
-nicht einschlagen.</p>
-
-<p>Als sie aber anfing, wenn er mit ihr sprach
-und lustig wurde, vertraulich zu ihm zu werden,
-ihn auf den Arm oder auf das Bein zu
-schlagen, da hatte sie ganz ausgespielt, denn
-von da ab ging er um sie genau so herum
-wie um die andere, und wenn er zu ihr
-sprechen mußte, sah er nach der Wand oder
-aus dem Fenster.</p>
-
-<p>Als Jochen sie eines Abends wieder fragte:
-»Kaline, wo weit bist du nun mit ihm, bist
-du?« Da schnauzte sie ihn an, daß er auf den
-Gedanken kam, mit ihr und dem Bauern
-stehe die Sache nicht so, wie es ihm passen
-könne, denn es war ihm schon lange verdächtig,
-daß Volkmann jetzt ganz anders zu
-ihr war, was er für Verstellung hielt.</p>
-
-<p>Alle Augenblicke, wenn er im Stalle oder
-auf dem Felde zu tun hatte, kam er in das
-Haus geschossen, weil er bald dieses, bald
-jenes vergessen hatte, und als er eines Mittags
-sah, daß seine Frau bei dem Bauern
-stand, machte er ihr hinterher eine große
-Schande.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_89">[89]</a></span></p>
-
-<p>Ganz unglücklich wurde ihm aber zu Sinne,
-als der Bauer ihn eines Tages in den Garten
-rief und sagte, indem er auf einen Stachelbeerbusch
-hinwies: »Hast du schon so etwas
-gesehen, Lembke? Da hat eine Grasmücke
-ihr Nest gebaut und nun sitzt ein junger
-Kuckuck darin und hat die kleinen Grasmücken
-herausgeschmissen, so daß sie elend
-haben umkommen müssen. Ja, man soll sehen,
-wen man bei sich aufnimmt.«</p>
-
-<p>Lembke hatte ihn mit einem halben Auge
-angesehen und war dann an seine Arbeit gegangen,
-abends im Bette aber sagte er zu
-seiner Frau: »Ich sage dir, Kaline, sage ich,
-er hat was gemerkt, hat er.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_90">[90]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Bachstelze">Die Bachstelze.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Es war Aurelie Grimpe nicht verborgen geblieben,
-daß Karoline Lembke um den
-Bauern herumschlich wie der Fuchs um den
-Hühnerstall.</p>
-
-<p>Sie war sehr falsch darüber, und während
-es bisher immer »liebe Frau Lembke« hier
-und »liebe Frau Lembke« da geheißen hatte,
-hielt sie die Nase jetzt so hoch wie der Hund
-in den Nesseln und ging mit einem Gesicht
-wie sauer Bier an ihr vorbei.</p>
-
-<p>Da nun bei Frau Lembke in der letzten Zeit
-die Wolken tief hingen, so sah es im Hause
-nach Regen aus, und eines Vormittags, als
-die beiden Frauen allein zu Hause waren,
-ging das Wetter nieder.</p>
-
-<p>Als das Gewitter auf der Höhe war, wurde
-die Obertüre aufgestoßen und der Bauer sah
-hinein. Er sagte gar nichts, aber nach dem<span class="pagenum"><a id="Page_91">[91]</a></span>
-Mittag sagte er Lembke, er solle den Kastenwagen
-anspannen. Dann legte er Frau Grimpe
-ihren Lohn für den nächsten Monat auf den
-Tisch und sagte ihr, sie könne gehen, und
-zwar sofort.</p>
-
-<p>Er ging in das Bruch, und als er am
-Abend wiederkam, war sie fort. Frau Lembke
-wollte ihm erzählen, wie sie sich angestellt
-habe, aber er winkte ab.</p>
-
-<p>Nachdem er gemerkt hatte, wie wenig es
-Lembke passe, daß er ihm bei der Feldarbeit
-und beim Heumachen half, hatte er entweder
-für sich Haide oder Moor zu Land gemacht
-oder er hatte Peter Suput bei der Arbeit
-geholfen, der bei Garberdings Häusling war.</p>
-
-<p>Frau Suput segnete den Tag, an dem Volkmann
-gekommen war, denn nun konnte sie
-sich besser der Kinder annehmen und brauchte
-sich nicht so sehr abzuhetzen.</p>
-
-<p>So standen sich beide Teile gut, denn Suput
-kannte die Arbeit aus dem Grunde und hatte
-einen anschlägigen Kopf, so daß bei wichtigen
-Sachen der Vorsteher meist fragte: »Peter,
-was meinst du dazu?«</p>
-
-<p>Da nun der Hilgenbauer sich für keine Arbeit
-zu gut hielt und Suput bei allem half,<span class="pagenum"><a id="Page_92">[92]</a></span>
-so kam er in alles, was zu Hof- und Feldarbeit
-gehört, gut hinein, und mehr als einmal
-sagte ihm der Vorsteher: Ȇbers Jahr,
-wenn Lembke aufhört, kannst du das Leit
-selber in die Hand nehmen.«</p>
-
-<p>Während der Erntezeit aß Volkmann meist
-bei Garberdings, und da ihm Lembkes von
-Tag zu Tag weniger gefielen, so saß er
-späterhin, als die schlimmste Arbeit vorbei
-war, abends meist bei Suput, mit dem er sich
-gut unterhalten konnte, denn der Häusling
-ging immer nach seinem eigenen Kopfe und
-trat sich überall Richtewege.</p>
-
-<p>Manchesmal glückte ihm das und Volkmann
-wunderte sich oft, wie selbständig der
-Mann über politische Dinge urteilte; hier und
-da lief Suput aber auch ins Moor und mußte
-einen großen Umweg machen, bis er wieder
-auf einen festen Weg kam.</p>
-
-<p>Er kannte seine Bibel so gut wie der Pastor
-oder, wie er meinte, noch besser, und da
-darin nur von einem Sabbat, aber von keinem
-Sonntag die Rede war, so verlangte er von
-dem Pastor, er solle den Sonnabend zum
-Ruhetage machen. Das konnte und wollte der
-nicht und da erklärte ihm der Häusling: »Dann<span class="pagenum"><a id="Page_93">[93]</a></span>
-werde ich mich an das Wort halten, Herr
-Pastor,« zog am Sonnabend sein Kirchenzeug
-an und setzte sich mit der Bibel hinter
-das Haus, und am Sonntag ging er hin und
-haute Haide.</p>
-
-<p>Auch sonst hatte er seine Eigenheiten; wenn
-er zu Pferde war oder fuhr, grüßte er keinen
-Menschen, mochte es sein, wer es wolle, zuerst;
-an seinem ganzen Zeuge war kein Knopfloch
-und kein Knopf, sondern nur Haken und
-Ösen, und er konnte es nicht leiden, wenn
-man Blumen abschnitt und auf den Tisch stellte.</p>
-
-<p>Er hatte zwei Feldzüge mitgemacht, war
-dreizehnmal im Feuer gewesen und besaß das
-eiserne Kreuz, trug es aber niemals, weil er
-nicht hoffärtig erscheinen wollte. Er hatte
-einen Bruder, der in Amerika eine gute Farm
-besaß, und der hatte so lange gequält, bis er
-auch nach drüben ging; nach einem Jahre
-aber war er wieder da. »Es konnte mir da
-nicht gefallen,« sagte er; das war aber auch
-alles.</p>
-
-<p>Mit diesem Manne unterhielt sich Volkmann
-liebendgern, anfangs über Bodenbestellung
-und Viehzucht, dann über Politik und Religion,
-und durch vernünftiges Vorstellen<span class="pagenum"><a id="Page_94">[94]</a></span>
-brachte er es dahin, daß Suput zum Pastor
-ging und sagte: »Herr Pastor, ich will es
-jetzt wieder nach der gebräuchlichen Art
-machen; ich glaube, ich hatte mich verbiestert.«</p>
-
-<p>Das war dem Geistlichen sehr lieb, denn
-der Häusling war einer der tüchtigsten Männer
-in der Gemeinde, und der Vorsteher war es
-erst recht zufrieden, denn in der hillen Zeit
-war es ihm oft sehr störend gewesen, wenn sein
-Lehnsmann am Sonnabend ausgeblieben war.</p>
-
-<p>Suput hatte bei dem Zusammenarbeiten mit
-Volkmann herausgefunden, daß dieser jedes
-Getier und alle Kräuter mit Namen zu nennen
-wußte, und da er von klein auf an
-draußen gearbeitet und auf alles ein achtsames
-Auge gehabt hatte, so kam er Volkmann
-fortwährend mit Fragen, die dazu beitrugen,
-daß die Unterhaltung zwischen ihnen
-nicht abriß.</p>
-
-<p>So sagte er ihm eines Tages: »Als Engelke
-sich vor dem Moore hier anbaute als junger
-Kerl, da war hier bloß Haide. Da gab es
-Dullerchen und nach dem Moore zu Moormännchen,
-und in der großen Sandkuhle
-Lochschwalben. Nachher, als das Haus eben
-fertig war, bauten gleich Schwalben, und mit<span class="pagenum"><a id="Page_95">[95]</a></span>
-der Zeit kamen auch Spatzen, und als hier
-Land unter den Pflug kam oder zu Wiesen
-gemacht wurde, da war mit eins auch die
-Singlerche da, alles Vögel, die man auf Ödland
-doch nicht antrifft. Nun bedünkt mich,
-daß alle diese Vögel, und noch andere, als
-wie der Storch und der Kiebitz und der gelbe
-Wippsteert, daß sie alle früher hier nicht
-waren und erst zugereist sind, nachdem die
-alten Deutschen, wie es in den Büchern zu
-lesen ist, hier an die Herrschaft kamen und
-Viehzucht und Feldwirtschaft hier einführten,
-denn anders kann ich mir das nicht erklären.
-Aber das ist bloß so meine dumme Meinung,
-weil ich davon doch keinen rechten Verstand
-habe.«</p>
-
-<p>Volkmann mußte lächeln, als der Mann so
-redete. Ihm, dem Fachzoologen, war diese
-Tatsache, daß die deutsche Tierwelt aus zwei
-ziemlich scharf getrennten Schichten, der des
-Urlandes und der des Baulandes und der
-Siedelung, bestehe, wohl aufgefallen, aber
-nachgedacht hatte er darüber noch nicht weiter.</p>
-
-<p>Nun saß dieser Häusling da, Peter Suput,
-rauchte seinen Rippenkanaster und stellte eine
-Theorie auf, die, wenn sie irgendein Gelehrter<span class="pagenum"><a id="Page_96">[96]</a></span>
-gefunden hätte, wohl Veranlassung gewesen
-wäre, daß dieser wer weiß wie hoch
-gesprungen wäre, die Theorie von der Quintärfauna;
-und das hätte ein dickes Buch mit
-vielen Karten und Tafeln und einen großen
-Aufstand in der Zoogeographie gegeben.</p>
-
-<p>Aber Peter Suput hatte noch etwas anderes:
-»Diesen Sommer hat bei der Mühle
-ein Vogel gebaut, aus dem ich mir nicht klug
-werden kann. Er sieht aus wie ein Wippsteert,
-ist aber unten gelb. Es ist aber nicht
-der, der auf den Wiesen im Grase brütet und
-dem Vieh das Ungeziefer absucht, sondern er
-benimmt sich ganz so wie der weiße Wippsteert,
-und was der Hahn ist, der ist schwarz
-am Halse und das Nest stand unter dem hohlen
-Ufer.«</p>
-
-<p>Der Hilgenbauer war neugierig, ging mit
-dem Häusling nach der Mühle und stellte
-fest, daß der Vogel die Bergbachstelze war,
-die er sonst nur im Berglande gefunden hatte.
-Aber als er daraufhin die Augen aufmachte,
-fand er, daß der Vogel weit und breit bei
-Mühlen und Stauwehren brütete, und er
-schüttelte bei sich den Kopf über Peter Suput
-und seine Beobachtungen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_97">[97]</a></span></p>
-
-<p>Durch den Häusling erfuhr er auch, daß
-der Schulmeister Owerhaide für solche Dinge
-ein Auge habe und allerlei Sachen sammele,
-die er den Kindern zeigte, Steine, Baumfrüchte,
-Schlangen in Spiritus und dergleichen.</p>
-
-<p>Der Lehrer bekam einen roten Kopf, als
-Volkmann ihn bei Gelegenheit bat, ihm die
-Sammlung zu zeigen, weil er, wie er sagte,
-davon auf dem Seminare so gut wie nichts
-gelernt hätte, und so war es auch, denn er
-hatte Korn und Kaff durcheinander gesammelt
-und die Hälfte falsch bestimmt.</p>
-
-<p>Um so froher war er, als Volkmann Flachs
-und Hede auseinanderbrachte, jedem Dinge
-seinen wahren Namen gab und die richtige
-Reihenfolge herstellte.</p>
-
-<p>Drei Dinge aber nahm er heraus: eine
-alte Münze, deren Ränder wie Messing glänzten,
-eine grüne Schwertklinge und ein schwarzes
-Steinbeil, die alle beim Torfmachen gefunden
-und dem vorigen Lehrer gebracht
-waren, und sagte:</p>
-
-<p>»Diese drei sind zu schade für eine Dorfsammlung;
-sie gehören in ein großes Museum.
-Schicken Sie sie versichert an das Bremer
-Museum und bieten Sie sie zum Ankauf an.<span class="pagenum"><a id="Page_98">[98]</a></span>
-Sie bekommen dann sicher soviel, daß Sie
-einen Sammlungsschrank für die Schule und
-einige gute Bücher anschaffen können.«</p>
-
-<p>Da der Lehrer und der Schulvorstand damit
-einverstanden waren, wurde die Sache
-so gemacht, und es kam auch einige Zeit
-darauf die Antwort, daß die Sachen angekommen
-wären; das Nähere sollte mündlich
-abgemacht werden.</p>
-
-<p>Vierzehn Tage später kam ein Herr mit
-greisem Bart und jungen Augen angefahren,
-sah sich die Sammlungen an und machte dem
-Schulvorstande folgenden Vorschlag:</p>
-
-<p>Die Schule bekommt zwei Sammlungsschränke,
-Präparatengläser, gestopfte Tiere,
-eine kleine Heimatbücherei, Nachbildungen
-der drei Gegenstände und tausend Mark bar.</p>
-
-<p>Der Schulvorstand fiel beinahe um, als er
-das vernahm, und der Schulmeister stieg
-mächtig in Achtung, und Volkmann, von dem
-man wußte, daß er zu dem Angebot geraten
-hatte, erst recht.</p>
-
-<p>Als er abends mit dem Bremer Museumsleiter
-bei dem Lehrer saß, erzählte er von
-den Beobachtungen Peter Suputs, und der
-Professor sagte: »Sie sind ja Zoologe; schreiben<span class="pagenum"><a id="Page_99">[99]</a></span>
-Sie uns doch darüber. Viel zahlen wir
-grade nicht, aber immerhin etwas.«</p>
-
-<p>Es gab einen großen Aufstand, als die
-Schränke ankamen, denn sie waren so groß,
-daß sie in der Schule keinen Platz hatten; und
-da die Schulbehörde nichts dawider hatte,
-so wurde auf Vorschlag des Schulmeisters,
-dem Volkmann das eingeblasen hatte, ein
-eigener Anbau dafür gemacht, der ganz in
-der alten Art gehalten wurde und in der
-Mitte durchgeteilt war, so daß in dem einen
-Zimmer die Schränke mit den Tieren und
-Steinen und Heidentöpfen und Büchern untergebracht
-wurden; das andere wurde ganz
-wie eine alte Dönze gehalten, und es dauerte
-keine acht Tage, da wußte der Lehrer nicht,
-wo er mit dem Urväterhausrat, der ihm zugebracht
-wurde, bleiben sollte, denn jedes Gemeindeglied
-wollte mit einem Stück darin
-vertreten sein.</p>
-
-<p>Das Dorf war sehr stolz auf sein Museum,
-zumal von weit und breit Männer kamen,
-die es sich ansahen und photographierten und
-die Bilder in »Niedersachsen« herausbrachten,
-und Lehrer Owerhaide wurde ein vielgenannter
-Mann, denn der Hilgenbauer hatte<span class="pagenum"><a id="Page_100">[100]</a></span>
-ihm das Wort abgenommen, daß von ihm
-selber nicht die Rede sein sollte.</p>
-
-<p>Er kümmerte sich auch weiter nicht darum,
-da er dabei war, die Jagd mit einem Netz
-von Pürschsteigen und mit Hochständen zu
-versehen; er machte das ganz heimlich, um
-den Rechtsanwalt und den Baumeister damit
-zu überraschen, wenn die Jagd auf den Rehbock
-aufging.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_101">[101]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Winterkrahe">Die Winterkrähe.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Damit hatte es aber noch lange Zeit, denn
-mittlerweile war es Dezember geworden.
-Es war ein harter Winter und der Bauer
-mußte mit dem Steigemachen in der Wohld
-und durch die Dickungen aufhören, denn die
-Tage waren zu kurz und die Wege zu weit.</p>
-
-<p>Auf dem Felde und im Hofe gab es nichts
-zu tun, Lembkes ging er aus dem Wege,
-Suput war den ganzen Tag beim Vorsteher,
-weil der Knecht beim Holzabfahren Unglück
-gehabt hatte und mit einem Gipsverband
-liegen mußte, der Schulmeister hatte sich eine
-Frau genommen und saß vor dem Honigtopfe,
-Freimut kam ganz selten, da er mehr
-zu tun hatte, als ihm lieb war, und der Baumeister
-reiste in Ägypten umher.</p>
-
-<p>So war Volkmann meist allein, und wenn
-er auch ab und zu losging, um für den Anwalt<span class="pagenum"><a id="Page_102">[102]</a></span>
-einen Küchenhasen zu schießen oder einen
-Marder auszutreten und an der Beeke die
-Enten zu beschleichen, er hatte doch mehr
-freie Zeit, als ihm gut war. Er packte die
-Bücherkisten des alten Volkmann aus und
-stellte die Bücher wieder auf, aber zum Lesen
-hatte er wenig Lust.</p>
-
-<p>Wie die grauen Winterkrähen mit den
-schwarzen Flügeln, die aus dem Osten kamen,
-sich längs der Landstraßen in der Haide
-umhertrieben und über den Dächern des
-Dorfes quarrten, so flogen aus den entlegenen
-Gegenden seiner Erinnerung, in die die gute
-Jahreszeit kaum anders als im Traume gekommen
-war, die grauen Gedanken herbei
-und schlugen mit ihren schwarzen Flügeln um
-ihn her.</p>
-
-<p>Stundenlang konnte er dann, wie er es
-von drüben gewohnt war, mit dem Kopfe
-auf der Hand auf dem Bette liegen, rauchen
-und in den Beilegeofen sehen, der seine Dönze
-erwärmte. Als er im Blockhause lag, waren
-Lebleu, der alte Indianer, und Quivive, der
-Schweißhund, bei ihm gewesen.</p>
-
-<p>Gesprochen hatte Lebleu wenig, wenn er,
-den Kopf mit den spärlichen Kinnhaaren auf<span class="pagenum"><a id="Page_103">[103]</a></span>
-den Knien, dasaß, rauchte und in das offene
-Feuer sah, während draußen die Uhus schrien
-und die Wölfe vor Hunger heulten, bis Quivive
-zur Türe hinausfuhr und sie fortbrachte; aber
-er hatte doch ein Herz neben sich gehabt,
-das an ihm hing.</p>
-
-<p>Denn der Alte liebte ihn, liebte ihn mehr
-als sein Weib und seine vierzehn Söhne, die
-als Holzhauer, Flößer und Fallensteller sich
-und die Ihren durchbrachten, denn er, den
-die Händler und Wirte siebenzig Jahre um
-den Ertrag seiner Jagdbeute betrogen hatten,
-hatte in Volkmann zum ersten Male einen
-weißen Mann gesehen, der Halbpart mit ihm
-machte.</p>
-
-<p>Er war hungrig und müde in das Blockhaus
-gekommen, hatte sich, ohne ein Wort
-zu sagen, neben das Feuer gekauert, hatte
-seine kalten Hände gewärmt und kein Auge
-auf das Wildpret geworfen, das in dem Kessel
-schmorte. Als aber der Trapper die Hirschkeule
-in zwei Teile schnitt und die eine Holzschüssel
-Lebleu hinschob, ihm Schiffszwieback
-hinlegte und Tee eingoß, da hatte der alte
-Mann gegessen, bis nichts mehr da war.</p>
-
-<p>Dann setzte ihm Volkmann den hohlen Baumknorren<span class="pagenum"><a id="Page_104">[104]</a></span>
-hin, in dem er seinen Tabak aufhegte,
-und der Indianer nahm und rauchte
-und blies den Rauch durch die Nase. Endlich
-sah er seinen Gastgeber an, zeigte auf
-das kleine scharfe Beil, das er beim Eintreten
-aus dem Strick genommen hatte, mit
-dem er die alte Soldatenhose auf seinen dürren
-Lenden festhielt, und sagte:</p>
-
-<p>»Ich armes Indianer, du reiches Allemand.
-Ich wissen Bär, du nicht. Ich Baum abhauen,
-du Bär schießen. Jetzt Lebleu schlafen.« Damit
-hatte er sich in ein paar alte Decken gewickelt.</p>
-
-<p>Am anderen Morgen hatte er gegessen, als
-hätte er drei Tage nichts gehabt; dann waren
-sie mit dem Schlitten nach einem Bruche gegangen,
-bis der Indianer vor einem hohlen
-Ahorn stehenblieb, den Stamm ansah und
-sprach: »Ich Beil, du Gewehr, da Bär!«</p>
-
-<p>Dann hatte er Schlag um Schlag getan,
-daß jedesmal ein breiter Span in den Schnee
-sprang, bis der Baum fiel, der Baribal seinen
-Kopf aus dem Loche steckte und Lüder ihm
-die Kugel antrug.</p>
-
-<p>Von den vielen Dollarscheinen, die der Wirt
-des Holzfällerlagers für die Haut und einen<span class="pagenum"><a id="Page_105">[105]</a></span>
-Teil des Wildprets zahlte, gab der Trapper die
-Hälfte dem Indianer. Der sah ihn erst fassungslos
-an, steckte dann das Geld in seinen Tabaksbeutel
-und sagte: »Du gutes Freund;
-armes Indianer jetzt reiches Mann.«</p>
-
-<p>Dann verschwand er und als er nach acht
-Tagen wiederkam, hatte er ein Mädchen bei
-sich, das ein Gesicht hatte, so freundlich, wie
-der Indianersommer, und dessen schwarze, mit
-Glasperlen durchflochtene Zöpfe ihm bis in
-die Kniekehlen hingen, und er hatte gesagt:
-»Altes Indianer schlechtes Gesellschaft für
-junges Mann; junges Weib besser. Altes
-Indianer jetzt Biber suchen und Skunks.« Und
-er war in dem Schneegeriesel untergetaucht.</p>
-
-<p>Margerit aber hatte das Feuer geschürt,
-Schnee zum Tee geschmolzen, Wildpret in
-Scheiben geschnitten und abwechselnd mit
-Speckfladen auf einen Stab gezogen, die Holzteller
-abgewaschen, die Messer geputzt, Brot
-hingelegt, und dann hatte sie sich vor das
-Feuer gekauert und den Bratspieß so lange
-über der Glut gewendet, bis Fleischschnitte
-um Fleischschnitte sich krümmte, und jede, die
-gar war, streifte sie herunter und legte sie
-dem Trapper vor. Als er ihr sagte, sie solle<span class="pagenum"><a id="Page_106">[106]</a></span>
-auch essen, sah sie ihn groß an und bediente
-ihn weiter.</p>
-
-<p>Erst, als er gesättigt war, und sie ihm die
-Pfeife gestopft und einen glühenden Zweig
-gereicht hatte, kauerte sie sich mit dem Gesichte
-gegen die dunkle Ecke des Blockhauses,
-aß lautlos den Rest von Braten und Brot
-und trank ohne einen Laut eine Tasse Tee
-durch das Stückchen Kandis, das sie zwischen
-den Lippen hielt.</p>
-
-<p>Anderthalb Jahre war sie die Gefährtin
-des einsamen Mannes mit der verregneten
-Vergangenheit und der ausgewinterten Zukunft
-gewesen; wie sein Schatten war sie.</p>
-
-<p>Wenn die schwarzen Gedanken um seine
-Stirne flogen und er auf den Hirschdecken lag
-und rauchend vor sich hinbrütete, dann kauerte
-sie bei ihrer Näharbeit und sah durch ihre
-langen Augenwimpern mitleidig auf ihn; flog
-aber das schwarze Geflügel von dannen, pfiff
-er ein Lied und nahm das Schnitzmesser her,
-und sah er sie dann an, dann färbten sich
-ihre Backen rot und ihre Augen waren voll
-von demutsvoller Zärtlichkeit.</p>
-
-<p>Wenn er sie auf seine Knie zog, dann bebte
-sie, und wenn er morgens erwachte und sich<span class="pagenum"><a id="Page_107">[107]</a></span>
-den Nachtschlaf fortgähnte, dann stand sie
-schon neben dem Block, auf dem die Waschbütte
-mit dem stubenwarmen Wasser stand,
-hatte den aufgetrennten Brotsack in der Hand,
-der ihm als Handtuch diente, und auf dem
-Feuer kochte die Wildsuppe. Wenn er ihr
-dann lächelnd zunickte und sie heranwinkte,
-dann glühte ihr Gesicht und der Kuß, der
-seine Stirne streifte, war wie der Hauch des
-Südwindes, der im Mai über das blumige
-Ufer kam.</p>
-
-<p>»Margerit, meine kleine Margerit!« dachte
-er und sah auf die Ofenplatte, in der das
-springende Pferd schwarz auf glührotem Grunde
-stand. »Ich war dein Glück und du bist mein
-Trost gewesen.«</p>
-
-<p>Eines Tages im Mai, als der Waldboden
-bunt wurde, war ein Handelsjude mit seinem
-Planwagen angefahren gekommen und hatte
-allerlei Tand feilgeboten; Lüder hatte Stoff
-zu zwei Kleidern für das Mädchen gekauft,
-blitzende Ohrringe und eine funkelnde Brosche,
-bunte Glasperlenschnüre für ihr Haar und
-allerlei Schürzen und Tücher, eines immer
-greller als das andere.</p>
-
-<p>Margerit hatte durcheinander gelacht und<span class="pagenum"><a id="Page_108">[108]</a></span>
-geweint und ihm die Hände küssen wollen,
-wie man es sie als Kind in der Schule gelehrt
-hatte. Er aber hatte sich aus dem Kasten
-des Händlers noch zwei silberne Ringe herausgesucht,
-an denen keine Steine waren, einen
-weiten und einen engen, und war mit ihr und
-Quivive nach dem Lager gegangen, wo, wie
-der Jude erzählt hatte, ein Wanderprediger
-das bißchen Halbchristentum der indianischen
-Holzfäller auffrischte.</p>
-
-<p>Margerit hatte erst gar nicht begriffen, was
-es heißen sollte, daß sie in dem kleinen Zelte
-vor dem Mann mit dem schwarzen Rocke
-und den hohen Stiefeln neben Lüder hinknien
-sollte, aber als der fremde Mann sie
-fragte, ob sie des Trappers Lüder Volkmann
-christliches Eheweib werden wollte, da hatte
-sie ein Gesicht gemacht, als spräche die Stimme
-des großen Geistes zu ihr und hatte am ganzen
-Leibe gezittert, als sie den Ring an den Finger
-bekam.</p>
-
-<p>Als ihre Brüder und die anderen Holzfäller,
-die Lüder zu einem Festmahle geladen hatte,
-sie mit einem »Vive 'sjö, vive m'dame« begrüßten,
-ein altes indianisches Hochzeitslied
-herausgurgelten und weiße Waldblumen vor<span class="pagenum"><a id="Page_109">[109]</a></span>
-ihre Füße warfen, hatte sie die Augen nicht
-aufgeschlagen und geweint, daß ihr die Tränen
-über das Gesicht liefen, bis Lüder sie oben
-an den Tisch führte, wo für sie und den Prediger
-ein weißes Tischtuch aufgelegt war; da
-endlich hatte sie aufgesehen und ihre rechte
-Hand neben seine gelegt, mit der linken Hand
-über beide Ringe gestrichen und ihren Kopf
-auf einen Augenblick an seine Schulter gelegt.</p>
-
-<p>Da hatte plötzlich auch Lebleu dagestanden,
-zitternd vor Erregung, Lüder die Hand gegeben,
-sich unten an den Tisch gesetzt und so
-gern er sich auch sonst voll und toll trank,
-keinen Schnaps angerührt, ehe Lüder und
-Margerit aufbrachen; dann aber hatte er sich
-so voll gesogen, daß er drei Tage schlief.</p>
-
-<p>Ein und ein halbes Jahr war Margerit
-Lüders Frau gewesen; in der ganzen Zeit
-hatte sie ihm nicht ein einziges Mal eine
-Minute Verdruß bereitet, keinmal hatte er
-sich ihrer zu schämen brauchen, trotzdem sie
-die Tochter eines trunksüchtigen Fallenstellers
-war und ihre Brüder arme Holzarbeiter waren,
-denn das Stammeshäuptlingsblut, das sie
-von ihrer Mutter her hatte, war stark in ihr geblieben,
-und seitdem sie des deutschen Mannes<span class="pagenum"><a id="Page_110">[110]</a></span>
-Ehefrau geworden war, zeigte sie vor der
-Welt eine Würde, als hätte sie nie Waldbeeren
-in den Lagern feilgeboten.</p>
-
-<p>Eines Tages war ein ganzer Trupp englischer
-Lachsangler vor dem Blockhause erschienen,
-die Herren in karrierten Anzügen
-und ihre Damen mit seidenen Schleiern an
-den Panamas, um sich den deutschen Trapper
-anzusehen, der mit einem indianischen Weibe
-verheiratet war. Margerit hatte sie mit Tee,
-Gebäck und Honig bewirtet und mit so liebenswürdigem
-Hochmute darüber hinweggesehen,
-daß die Engländerinnen mit Lüder, der frisch
-rasiert war und eine reine Bluse anhatte,
-recht unverschämt liebäugelten, sehr zum Ärger
-der Männer, daß Volkmann sich das Lachen
-kaum verbeißen konnte.</p>
-
-<p>Die Engländer hatten ihn und sie eingeladen,
-sie in ihrem Zeltlager am Flußeinlaufe
-der Seebucht zu besuchen, doch hatte er abgelehnt,
-worüber Margerit sehr froh war.</p>
-
-<p>Eine Lungenentzündung hatte sie ihm genommen,
-sie und das Kind, das sie erwartete.</p>
-
-<p>Er hatte so manches Mal, wenn er die
-Sohlen durch den Staub der Landstraße<span class="pagenum"><a id="Page_111">[111]</a></span>
-schleppte, gedacht, daß das das beste für sie
-beide war, nun aber war er anderer Meinung.</p>
-
-<p>Sie, die Frau, die in ihm alles sah, was
-es auf der Welt für sie gab, die nichts wollte,
-als daß es ihm schmeckte und er sie dafür
-anlächelte, die im Blockhause seine demütige
-Magd war, die erst aß, wenn er satt war,
-sie war das Weib für ihn, den verlorenen
-Mann.</p>
-
-<p>Das Mädchen mit dem goldenen Haare
-und der Stimme, wie Rotkehlchensang im
-frühtaufrischen Walde, deren rotes Blut unter
-seinem Messer auf ihren weißen Fuß geperlt
-war, was war sie ihm anders, denn ein heller
-Traum in dunkler Nacht, der vor dem scharfen
-Tageslichte dahinschwand, wie der Tau auf
-der Flur.</p>
-
-<p>Schwarze Fittiche schlugen gegen seine Stirne,
-und laut quarrten die Winterkrähen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_112">[112]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Meise">Die Meise.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Es war wie ein Gewitterregen nach dürren
-Wochen für den Bauern, als Ende Januar
-eines Vormittags Freimut auf dem Hilgenhofe
-auftauchte, zwei große Koffer abladen ließ
-und lostrompetete:</p>
-
-<p>»Sintemalen und alldieweil Aurelie Grimpe
-geborene Sziembowska, geschiedene Juckenack
-und entlaufene Grimpe durch Abwesenheit
-glänzt, ist ja für mich wohl auf vierzehn Tage
-Platz. Jetzt ist die Zeit, wo die Betze rennt,
-jetzt wird auf den Fuchs gepirscht und die
-wilde Aante beschlichen. Mann, ich bringe
-den Vorfrühling mit. Hört, kaum bin ich da,
-so singt die Speckmeise schon im saueren Appelbaum!</p>
-
-<p>Und Mehls ist auf der Strecke. Ha la lit!
-Da ligget dat Schinneaas in'n Graben! Zwei
-und ein halbes Jährchen wegen qualifizierter<span class="pagenum"><a id="Page_113">[113]</a></span>
-Qualifiziertheiten in idealer Konkurrenz mit
-höherer Gemeinerei.</p>
-
-<p>Was gibt es zu Mittag? Weiße Bohnen
-mit 'nen Schinkenknochen mit was daran?
-Gestern habe ich mich durch acht Gänge durchgehungert
-und mein Trost waren meine Nachbarinnen,
-die aufgebrochen jede ihre zwei
-Zentner wogen.«</p>
-
-<p>Er legte Volkmann die Hände auf die Schultern,
-sah ihn an, schüttelte den Kopf und sprach:
-»Stark abgekommen seit dem Spätherbst! Zu
-eintönige Äsung! Zu regelmäßig gelebt! Ist
-keine Sache für unsereins, nur für das Stallvieh,
-die Philister; wir kriegen die Mauke,
-geht es uns andauernd gut.</p>
-
-<p>Schönewolf läßt grüßen; elende Jagd im
-Pharaonenlande: Schakale nennen sie's, räudige
-Dorffixe sind es; Nilkrokodile gibt es
-bloß im Berliner Zoologischen Garten lebendig,
-da unten nur als Mumjen. Hyänen nur im
-Kellnerfrack; alles Schwindel bis auf das, was
-Cheops und seine blassen Nachkommen mimten.</p>
-
-<p>Aber, Mann, Ihr gefallt mir mies; seht
-ebenso bleich- wie süchtig aus. Ja, man soll
-heiraten; ich tät's auch gern, bin bloß noch
-zu rüstig. Und dann, wer weiß, ob nicht<span class="pagenum"><a id="Page_114">[114]</a></span>
-das dicke Ende nachgehinkt kommt. Meine
-liebe Frau Mutter sagt immer: ›Jochimchen,
-sieh doch bloß zu, daß du von der Straße
-kommst!‹ Ist nicht so einfach, wie es aussieht;
-ist man erst aus dem Schneider, dann
-sieht man nicht bloß auf die Hübschigkeit.
-Und dann hab' ich so viel zu tun! Weiß der
-Deuwel, warum die Menschen sich nicht vertragen
-können, daß ich gar keine Zeit habe,
-mich zu verschießen. Hurra, da kommt die
-Suppe; Mutter, meinen großen Löffel!«</p>
-
-<p>So redete er, indem er Aurelies Dönze
-mit dem Inhalte seiner Koffer verschönte.
-»Dieses hier wollen wir alles austrinken«,
-sagte er und zeigte auf eine stattliche Reihe
-blankhäuptiger Flaschen, »und hiervon nehme
-ich nichts wieder mit,« und er wies auf die
-Zigarrenkisten und Konservenbüchsen.</p>
-
-<p>»Und mein Jagdzeug bleibt alles hier; was
-noch bei Vatter Nordhoff ist, das bringen
-wir heute abend mit. Mann, so tut doch
-endlich einmal das Geäse auf! Sagt nichts
-und grient, wie ein Honigkuchenpferd! Jawollja,
-Frau Lembke, wir sind da!«</p>
-
-<p>Er setzte sich an den Tisch, schlug eine Klinge
-wie ein Drescher und stöhnte, als er aufhörte,<span class="pagenum"><a id="Page_115">[115]</a></span>
-indem er seinen Barbarossabart strich: »Ein
-Segen, daß ich hier nicht immer esse, Frau
-Lembke, ich paßte sonst in keinen Sarg mehr,«
-und er schlug sie zwischen die Blätter, daß
-alles an ihr wabbelte und Jochen Lembke
-ein Gesicht machte, wie ein Hund vor der
-Terpentinflasche.</p>
-
-<p>Aber als Volkmann sagte: »Wir wollen
-nach dem Kronsbruche, denn da stecken seit
-drei Wochen Sauen,« da juchzte der Anwalt
-los, daß Hund und Katz machten, daß sie
-aus dem Hause kamen, und im Handumdrehen
-hatte er das weiße Zeug übergezogen
-und storchte los.</p>
-
-<p>Am dritten Tage schoß er einen überlaufenden
-Frischling und vier Tage hinterher eine
-grobe Sau, zwischendurch ein Dutzend Enten,
-eine Wildgans und drei Füchse, und da er
-die schlimmsten Prozesse hinter sich hatte und
-mit einem jungen Anwalt zusammenarbeitete,
-so blieb er drei Wochen, ließ den Bauern
-keine Stunde aus den Fingern und als er
-abfuhr, rief er:</p>
-
-<p>»So, nun seht Ihr doch wieder wie ein
-deutscher Mann und nicht wie eine anämische
-höhere Tochter aus, und wenn ich zur Balz<span class="pagenum"><a id="Page_116">[116]</a></span>
-und zur Murke wiederkomme, wünsche ich
-keinen Rückfall zu erleben, ansonsten ich Euch
-alle Verzierungen abdrehe.«</p>
-
-<p>Seine Kur hatte angeschlagen, oder die
-längeren Tage hatten schuld, daß Lüder das
-Krächzen der Winterkrähen nicht mehr hörte;
-jeden Tag schlug die Speckmeise im Garten,
-die Stare schickten ihre Vorboten, an der
-Südwand des Hauses hatte der Haselbusch
-geflaggt und an der Beeke die Eller; es
-wehte eine andere Luft über dem Bauern,
-und wenn über seine helle Laune auch einmal
-dunkles Gewölk zog und Schlackerschnee
-auf seine Saaten fiel, im ganzen war er gut
-zuwege und lag nicht mehr halbe Tage da,
-rauchte und sah auf die Ofenplatte.</p>
-
-<p>Er arbeitete sich in die höhere Tierwelt
-wieder hinein und schrieb sich aus dem Gedächtnisse
-alles Getier auf, das er über Sommer
-bei Wege angetroffen hatte; als der
-März kam, der Wald lebendig und die Büsche
-laut wurden, da hatte er genug anzumerken,
-so daß er, als die Feldbestellung wieder anfing
-und er bei Garberding mithalf, was es
-nur gab, einen zolldicken Stoß Papier mit
-Beobachtungen gefüllt hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_117">[117]</a></span></p>
-
-<p>Kam er müde nach Hause, so trug er auf
-lose Zettel ein, was er hier und da gesehen
-und aus alten Leuten herausgefragt hatte
-über Vögel, die seitdem verschwunden oder
-selten geworden waren.</p>
-
-<p>So war er nie müßig und eines Tages
-waren die Winterkrähen nicht nur von der
-Straße, sondern auch aus seiner Erinnerung
-verschwunden. Es machte ihm Freude, daß
-die Pflugschar ihm immer mehr zu willen
-wurde, er streute den Kunstdünger fast so
-ebenmäßig wie Suput, der ihm oftmals sagte:
-»Noch ein Jahr, dann kann ich dir nichts
-mehr lernen.«</p>
-
-<p>Um diese Zeit reiste ein Berliner in der
-Gegend umher, der großartig auftrat und
-so viel Bier und Wein ausgab, als jeder
-trinken wollte; er hieß Ludwig Neumann und
-war Bohrunternehmer.</p>
-
-<p>Von Hause aus war er Ingenieur, hatte
-Glück im Kauf und Verkauf von Kuxen gehabt
-und eine Gesellschaft zusammengebracht,
-die Öl und Kali in der Haide suchte.</p>
-
-<p>Aus allerlei Anzeichen hatte er geschlossen,
-daß bei Reethagen Aussichten vorhanden
-wären, daß man fündig würde; so steckte er<span class="pagenum"><a id="Page_118">[118]</a></span>
-sich hinter einzelne Leute und die bearbeiteten
-andere und die wieder noch welche, so daß
-er fast von zwei Dritteln der Gemeindemitglieder
-Vorverträge in den Händen hatte.</p>
-
-<p>Er kam auch auf den Hilgenhof, trat sehr
-bescheiden auf, versprach goldene Berge, richtete
-aber vorläufig bei dem Bauern nichts
-aus, weil der den Vorvertrag nicht unterschrieb.
-Volkmann ging vielmehr sofort zu
-dem Vorsteher, bei dem der Berliner noch
-nicht gewesen war, weil ihm gesagt wurde,
-das wäre ein ganz altmodischer Mann und
-nicht anders für das Unternehmen zu haben,
-als wenn ihm das Feuer von drei Seiten
-käme.</p>
-
-<p>»Hm,« brummte Garberding, »soll die
-Schweinerei hier auch losgehen? Wenn hier
-erst Bohrtürme stehen, dann haben wir das
-Leit aus der Hand gegeben. Zu leben haben
-wir alle, und die nichts haben, die stehen sich
-dann noch schlechter, dieweil das Werk doch
-bloß lauter Pollacken, Krabatten und anderes
-Tatternvolk heranzieht.«</p>
-
-<p>Als der Unternehmer abgereist war, berief
-der Vorsteher eine allgemeine Gemeindeversammlung,
-zu der jeder seinen Vorvertrag<span class="pagenum"><a id="Page_119">[119]</a></span>
-mitbrachte, und da stellte es sich heraus, daß
-die Verträge sehr verschieden waren, je nachdem
-das Land lag und auch insofern, als
-Neumann mit einem hellen Manne oder mit
-einem zu tun hatte, der sich in die Sache nicht
-hineinfinden konnte.</p>
-
-<p>Das ärgerte diejenigen, die dabei nicht so
-gut gefahren waren, ganz gewaltig; als der
-Berliner nun wieder ankam, merkte er bald,
-daß jetzt der Wind von Mitternacht wehte.</p>
-
-<p>Nun hatte er den Krüger Fürbotter in
-Schedensen, dem ein kleines Anwesen in Reethagen
-gehörte, ganz auf seiner Seite, zum
-ersten, weil er dort viel verzehrte und oft über
-Nacht blieb, dann aber auch, weil der Krüger
-sich für seine Wirtschaft viel Gewinn aus dem
-Unternehmen versprach.</p>
-
-<p>Dieser Mann hatte es ihm hinterbracht,
-daß der Hilgenbauer es war, der es herausbekommen
-hatte, daß die Verträge so ungleich
-waren. Deshalb hing sich Neumann
-nun an Volkmann und suchte ihn zu sich
-herüberzuholen; als er damit kein Glück
-hatte, ging er daran, ihm die Wurzeln abzugraben.</p>
-
-<p>Er wohnte nämlich in Hannover, wo er<span class="pagenum"><a id="Page_120">[120]</a></span>
-sein Hauptquartier hatte, bei Aurelie Grimpe,
-die sich mit Abvermieten durchschlug, und die
-hatte ihm über die Leute in Reethagen manchen
-nützlichen Wink gegeben und auch über
-den Hilgenbauer, dessen Vorleben sie mittlerweile
-in Erfahrung gebracht hatte.</p>
-
-<p>Volkmann merkte nach und nach, daß ihn
-einzelne, dann immer mehr Leute von der
-Seite ansahen, glaubte aber, da er seine Anforstungen
-im Kopfe hatte, das seien nur die
-Bauern, die wegen des Bohrvertrages anderer
-Meinung waren als der Vorsteher und
-er; so gab er darauf nichts.</p>
-
-<p>Mit der Zeit wurde es aber doch auffällig,
-und schließlich rückte Nordhoff damit heraus,
-was im Dorfe erzählt würde.</p>
-
-<p>Der Hilgenbauer war von dem Tage an,
-da er das Erbe antrat, darauf gefaßt gewesen,
-daß sein Unglück sich wieder zu ihm hinfinden
-werde, aber es biß ihm doch in das
-Herz, daß Leute, denen er vielfach gefällig
-gewesen, ihm aus dem Wege gingen oder die
-Zähne nicht auseinander bekamen, wenn sie
-an ihm vorbeigingen.</p>
-
-<p>Sogar Suput und seine Frau waren anders
-als vordem, denn als er sich dazu erbot, dem<span class="pagenum"><a id="Page_121">[121]</a></span>
-Häusling wieder Arbeit abzunehmen, wußte
-der immer einen Ausweg zu finden.</p>
-
-<p>Lüder hatte es im Sinne behalten, daß er
-sich an den Vorsteher wenden sollte, wenn es
-soweit kam, aber den wollte er darum nicht
-angehen, weil es Garberding nicht gut ging,
-indem er eine schwere Erkältung nicht loswerden
-konnte.</p>
-
-<p>So tat er, als sei ihm alles gleich, ging an
-jedem, der nicht so war wie früher, ohne Gruß
-vorbei, plaggte Haide ab, warf im Bruche
-Gräben aus und sagte sich, daß die Leute
-schon zu Vernunft kommen würden, zumal
-mehrere unter ihnen waren, die auch kein
-reines Hemd anhatten.</p>
-
-<p>Um diese Zeit kam Lembke ihm etliche
-Male von hintenherum mit einer Verlängerung
-der Pacht, doch schlug der Bauer darauf
-nicht zu, und nun hängte erst Lembke
-und dann andere Besitzer den Jagdpächtern
-Wildschadenklagen an den Hals, und was
-früher keinmal vorgekommen war, Jagdstörungen
-und Vergrämen des Wildes, das
-begab sich von da ab fortwährend.</p>
-
-<p>Da aber die Jagd groß genug war, so
-ließen sich die Pächter in der abgelegensten<span class="pagenum"><a id="Page_122">[122]</a></span>
-Ecke eine Jagdbude bauen. Eines Tages
-brannte sie ab und acht Morgen Haide und
-Fuhren mit ihr, und obzwar es augenscheinlich
-war, daß böswillige Brandstiftung vorlag,
-setzte Fürbotter es doch durch, daß die
-Gemeinde Schedensen, zu der das ausgebrannte
-Stück Haidland gehörte, gegen Schönewolf
-und Freimut auf Schadenersatz klagte,
-wobei allerdings nichts anderes herauskam,
-als daß die Gemeindekasse ein gutes Stück
-Geld dabei zusetzte.</p>
-
-<p>Da nun der Baumeister und der Rechtsanwalt,
-so überlegte Fürbotter, durch ihren
-Verkehr mit Volkmann diesem immer noch
-bei vielen Leuten von Nutzen waren, so mußte
-ihnen die Jagd auf andere Weise verekelt
-werden.</p>
-
-<p>Im Kruge zu Schedensen, der an der Landstraße
-lag, kehrte allerlei Volk ein und da
-der Berliner gesagt hatte: »Der Kerl muß
-von dem Hilgenberg herunter, und wenn es
-tausend Mark kostet,« so stand bald kein Hochsitz
-mehr, alle guten Wechsel waren verstänkert,
-alle Dickungen lagen voll von Zeitungspapier,
-und schließlich verlangte erst Schedensen,
-dann Breeden und schließlich auch Reethagen,<span class="pagenum"><a id="Page_123">[123]</a></span>
-da Garberding in Andreasberg war,
-weil seine Lunge nicht so wollte, wie sie sollte,
-und die Kalipartei auf diese Art die Hand
-am Henkel hatte, die Jagdpächter sollten den
-Wildstand auf ein Zehntel verringern, widrigenfalls
-sie nicht darauf rechnen könnten, daß
-sie die Jagden wieder bekämen.</p>
-
-<p>Volkmann tat es in der Seele weh, daß die
-beiden Männer seinetwegen soviel Mißgunst
-ausstehen mußten, und er erklärte eines
-Abends, er wolle wieder in die Welt.</p>
-
-<p>Aber da ging Freimut in die Luft: »Das
-fehlte noch gerade! Nun erst recht nicht! Und
-wenn ich die Büchse für immer an den Nagel
-hängen soll; so bin ich nun doch nicht gebaut,
-daß ich vor dieser Berliner Quadratschnauze
-und diesem Pottekel von Fürbotter über den
-Zaun gehe.</p>
-
-<p>Ihr habt mir ja einmal erzählt, wie Euer
-Freund Lebleu es mit den Stinktieren machte.
-Skunk gut, wenn Mann zu Skunk gut. So
-sagte er, ging hin, verrammelte den Bau mit
-Schnee, goß warmes Wasser darauf und ließ
-es überfrieren, und am anderen Tage fiel es
-keinem Skunk mehr ein, sich übel zu benehmen;
-tot waren sie alle. Stinktiere muß man<span class="pagenum"><a id="Page_124">[124]</a></span>
-sachte behandeln, damit sie erst gar nicht dazu
-kommen, sich penetrant zu benehmen.</p>
-
-<p>Laßt mich nur machen. Wenn Euch in
-der nächsten Woche ein kleiner Mann, der
-einen roten Bart und ein Schmetterlingsnetz
-hat, über die Kleewiese läuft, so schnauzt ihn
-vor allen Leuten so grob wie möglich an,
-denn das ist unser Bureauvorsteher, Herr
-Meisel, der früher Kriminalschutzmannsanwärter
-war, aber hinausflog, weil er einmal
-in Gedanken eine seltene Motte fing, unterdessen
-ihm ein ganz gemeiner Taschendieb
-unter dem Hute fortflog. Er sollte sowieso
-Urlaub haben; nun kann er das Nützliche
-mit dem Angenehmen verbinden.«</p>
-
-<p>Der Plan war nicht schlecht; Meisel kam,
-lief Volkmann durch die Kleewiese; wurde
-angeschnauzt, rannte nach Schedensen zu Fürbotter,
-bei dem er wohnte, schimpfte Mord
-und Brand über den groben Kerl auf dem
-Hilgenberge, machte die Bekanntschaft von
-Neumann und Lembke und von jedem, der
-auf Volkmann nicht gut zu sprechen war, gab
-fleißig Runden aus, schwatzte so viel Unsinn,
-daß ihn Fürbotters Gäste für dümmer als
-eine Kuh hielten und sich vor ihm kein bißchen<span class="pagenum"><a id="Page_125">[125]</a></span>
-in acht nahmen, steckte der Magd ab
-und zu einen Groschen in die Hand und reiste
-mit dem Versprechen, bald von sich hören zu
-lassen, ab.</p>
-
-<p>Acht Tage später fuhr Freimut bei Fürbotter
-vor, ging in das Vereinszimmer, bestellte sich
-Rehbraten und Rotwein, aß und trank und
-bat den Wirt, mitzuhalten, und dann sagte
-er ihm: »Herr Meisel ist mein Bureauvorsteher;
-bitte, behalten Sie gehorsamst Platz!
-und Sie sind ein großer Schweinehund.
-Laufen Sie bitte nicht fort! Ich habe noch
-mehr in der Tüte.</p>
-
-<p>Sie haben veranlaßt, daß gewisse Leute,
-die Namen habe ich alle im Taschenbuche,
-die Hochsitze abgerissen haben; Sie werden
-auch wissen, wer das Jagdhaus angesteckt
-hat. Nein? Na, vielleicht hilft der Staatsanwalt
-Ihrem Gedächtnis nach.</p>
-
-<p>Sie haben ferner durch Ihre Leute uns
-bei Ausübung der Jagd gestört; in drei Fällen
-kann ich den Nachweis führen, macht Summa
-Summarum hundertachtzig Mark. Sie haben
-gesagt, ich sei ein Säufer, und Garberding
-halte es mit seiner Magd, und haben von dem
-Baumeister erzählt, er habe übergejagt, und<span class="pagenum"><a id="Page_126">[126]</a></span>
-außerdem haben Sie seit Jahren gewilderte
-Rehe gekauft, und das ist Hehlerei und darauf
-steht Zuchthaus!</p>
-
-<p>Und wenn Sie nun nicht herumgehen und
-alles wieder in die Reihe bringen, erstens die
-Rederei über Volkmann und das mit der
-Jagd, dann ziehen Sie bitte gleich fünf
-Groschen mehr ab, damit Sie sich einen Strick
-kaufen können, denn so wahr ich Joachim
-Freimut heiße und in Kolberg an der Persante
-geboren bin, ich werde dafür sorgen,
-daß Sie auf einige Jahre auf Staatskosten
-in Celle verpflegt werden.</p>
-
-<p>So, und nun bringen Sie mir ein Glas
-Bier mit, aber ein großes, denn nach solcher
-schönen Rede wird man durstig. Der Wein
-war übrigens gut und der Rehbraten auch;
-ich glaube, das kommt daher, weil er in meiner
-Jagd gewachsen ist.«</p>
-
-<p>Genau so wie bei Fürbotter, ging Freimut
-mit Lembke und noch einigen anderen Leuten
-um; nach einigen Tagen wehte der Wind
-anders in den drei Dörfern.</p>
-
-<p>Als der Anwalt abfuhr, trank er bei Fürbotter
-ein Glas Bier, gab ihm die Hand und sagte:
-»Halten Sie sich munter; auf Wiedersehen!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_127">[127]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Markwart">Der Markwart.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Nachdem die Kalipartei es wieder für angemessen
-hielt, dem Hilgenbauern Gruß
-und Handschlag zu bieten, tat dieser, als wäre
-nichts vorgefallen, hielt sich aber von diesen
-Leuten zurück, soweit es eben ging.</p>
-
-<p>Zu Herzen hatte er sich nur das Benehmen
-des Ehepaares Suput genommen, und wenn
-der Häusling auch versuchte, wieder an ihn
-heranzukommen, Volkmann ließ ihn höchstens
-über die Halbtüre reden.</p>
-
-<p>Das war für Suput besonders ärgerlich,
-weil Lüder für die nächste Zeit Herr über ihn
-war. Der ging alle paar Tage bei Frau
-Garberding vor, teils um zu fragen, wie es
-dem Vorsteher gehe, anderseits, weil er sich
-gern mit ihr etwas erzählte, denn sie war
-wie eine Mutter zu ihm.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_128">[128]</a></span></p>
-
-<p>Als er ihr klagte, daß er manchmal nicht
-genug zu tun hätte, weil Lembke ihn aus
-guten Gründen nicht an die Arbeit heranließ,
-meinte sie mehr aus Scherz denn im Ernst:
-»Ja, mein Jung', dann kannst du ja hier so
-lange den Bauern spielen, bis Garberding
-wieder da ist; mir wird das zuviel, wo ich
-so schlecht auf den Füßen bin, und es geht
-allerlei verkehrt, wenn man nicht überall selbst
-dabei ist.«</p>
-
-<p>Er schlug sofort ein, ließ noch am selben
-Tage seine und Ramakers Sachen holen, denn
-Frau Garberding räumte ihm die Gastdönze
-ein und stellte den Knecht für den Sommer
-an, weil sehr viel zu tun war. Nun gab es
-eine fröhliche Zeit für ihn. Er stand als erster
-auf dem Hofe auf, sah überall nach dem Rechten,
-verteilte die Arbeit, faßte mit an, wo es
-nötig war, und lernte in dieser Zeit mehr als
-bisher.</p>
-
-<p>Suput ging mit scheuen Augen an ihm vorbei
-und machte sich wegen seiner Schlechtigkeit
-allerhand Vorwürfe.</p>
-
-<p>Die Erntezeit war für den Hilgenbauer ein
-Fest; er war von früh bis spät im Gange,
-arbeitete wie im Stundenlohn, aber je mehr<span class="pagenum"><a id="Page_129">[129]</a></span>
-er schanzte, um so heller wurden seine Augen,
-um so leichter sein Gang.</p>
-
-<p>Ramaker sah ihm oft bewundernd nach und
-sagte zu Suput: »Es ist gerade, als wenn
-das, was anderen Leuten die Knochen krumm
-macht, ihn aufrichtet.« Suput nickte nur, denn
-vor Ramaker hatte er Angst.</p>
-
-<p>In der Zeit, als über den Hilgenbauer im
-Kruge einmal dreckig geredet wurde, hatte
-Ramaker ihm auf dem Heimwege gesagt: »Du
-bist auch so'n Ducknackscher; die halbe Arbeit
-hat er für dich getan, und jetzt sitzest du da und
-sagst nichts dagegen, was die andern reden.
-Mit dem Munde bist du ja mehr als fromm,
-aber das macht es nicht allein. Und für
-solche Leute bedanke ich mich schönstens.«</p>
-
-<p>Aber nicht allein die Arbeit machte den
-Hilgenbauer frisch und fröhlich, sondern zumeist
-der Umstand, daß er sich zu einer Frau
-aussprechen konnte, der er zugetan war.</p>
-
-<p>So lächerlich die riesige Frau mit dem gewaltigen
-Leibe und dem winzigen Haarknoten
-auch auf den ersten Blick wirkte, zumal, wenn
-sie mit ihrer dünnen Kinderstimme anfing zu
-sprechen, sie hatte ein Herz von Gold und
-Verstand für dreie.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_130">[130]</a></span></p>
-
-<p>Nichts machte ihr mehr Vergnügen, als
-aufzutischen; ihre größte Freude war, wenn
-sie irgendwo helfen konnte, und bei jedem
-Wochenbette und in jedem Krankenzimmer
-war sie anzutreffen.</p>
-
-<p>Mut hatte sie wie ein Mann. Damals, als
-das Gerede über Volkmann im Kirchspiele
-umging, hatten nach der Kirche in der Wirtschaft
-mehrere Bauernfrauen auf ihre Männer
-gewartet, die wegen des Moorkanals noch
-eine Besprechung hatten, und da war es über
-Volkmann hergegangen.</p>
-
-<p>Mit einem Male hatte Frau Garberding
-gesagt: »Es war bislang hier nicht Landesbrauch,
-gleich nach der Kirche seinem Nächsten
-gegen den Rock zu spucken. Und was den
-Hilgenbauer anbetrifft: hätte der Herr mir
-Kinder beschert und es wäre eine mannbare
-Deern dabei, und der Hilgenbauer würde sie
-zur Frau verlangen, Garberding und ich
-würden mit Freuden unser Jawort dazugeben.</p>
-
-<p>Ich weiß ganz genau, was es mit ihm für
-ein Bewenden gehabt hat, aber deswegen
-freue ich mich doch jedes einzige Mal, wenn
-er bei uns kommt.« Als man in sie drang,
-sie solle erzählen, was sie wisse, sagte sie:<span class="pagenum"><a id="Page_131">[131]</a></span>
-»Das tu' ich nicht; deswegen hat Garberding
-mich das nicht wissen lassen.«</p>
-
-<p>Da Volkmann irgendeine Entschädigung für
-seine Hilfe ablehnen würde, wie sie annahm,
-strickte sie ihm Strümpfe, ließ ihm Hemden
-und Unterzeug machen, woran es ihm fehlte,
-und er nahm das dankend an, denn es war
-ihm, als käme es von seiner Mutter.</p>
-
-<p>Wenn sie beide allein waren, erzählte er
-ihr von seinem Leben in den kanadischen
-Wäldern und sie weinte still vor sich hin, als
-sie die Geschichte von der kleinen Margerit
-vernahm.</p>
-
-<p>Als dann eines Abends Lüder ihr sein Herz
-ganz ausschüttete und ihr haarklein erzählte,
-warum er keinen heilen Namen mehr habe,
-wuchs er ihr vollends in das Herz, und ihr
-war, als wenn es ihr eigener Sohn wäre.</p>
-
-<p>Da er in Kleidung und Gebaren ganz zum
-Bauern geworden war, sah sie sich im Kirchspiele
-nach einer Frau für ihn um und ließ
-sich bald auf diesen, bald auf jenen Hof fahren,
-setzte es durch, daß Lüder sie dabei begleitete
-und freute sich, wenn sie bemerkte, daß
-manches wohlhabende Bauernmädchen auf
-ihn mit Wohlgefallen sah.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_132">[132]</a></span></p>
-
-<p>Als sie aber einmal ganz von weitem die
-Rede darauf brachte, daß es an der Zeit wäre,
-daß er sich eine Frau nähme, und er nicht
-darauf zuschlug, nahm sie vorläufig davon
-Abstand.</p>
-
-<p>Zu Jakobi hörte Volkmanns Pachtzeit auf,
-und nun zogen Volkmann und Ramaker
-wieder auf den Hilgenhof; anfangs führte
-eine Witfrau mit ihrer fünfzehnjährigen
-Tochter ihm den Haushalt.</p>
-
-<p>Im Januar kam Ramaker nach langem
-Drucksen damit zutage, daß er ein Mädchen
-an der Hand habe, eine Kätnertochter aus
-Breeden, und wenn der Bauer nichts dawider
-habe und ihn dann noch behalten
-wollte, so möchten sie wohl bald heiraten.</p>
-
-<p>Lüder paßte das sehr gut, besonders, als
-er das Mädchen kennengelernt hatte, denn
-Frau Könnecke war mürrischer Art und nicht
-gewöhnt, abseits vom Dorfe zu leben.</p>
-
-<p>So richtete denn Volkmann das Häuslingshaus
-her, in dem bislang die alten Lembkes
-gewohnt hatten, Frau Garberding steuerte
-aus ihrem Wäscheschrank Ramaker aus, und
-Ende Februar konnte gefreit werden.</p>
-
-<p>Die junge Frau war freundlich und fleißig<span class="pagenum"><a id="Page_133">[133]</a></span>
-und nahm es mit Freuden an, daß sie das
-Wohnhaus mit in Ordnung hielt und dort
-gleich für alle kochte und der Einfachheit
-wegen aßen die drei Leute da meist miteinander.
-Auch abends blieben sie oft zusammen,
-falls Volkmann nicht Frau Garberding besuchte,
-und er las dann seinen Leuten aus
-irgendeinem guten Buche vor, bis es Schlafenszeit
-war.</p>
-
-<p>So verging der Winter in Ruhe und Frieden
-und der Bauer hörte keinmal mehr das
-Fuchteln der schwarzen Flügel vor seiner Stirn,
-zumal er in seiner freien Zeit an einer naturwissenschaftlichen
-Arbeit schrieb und nebenher
-die Geschichte der alten Bauerngeschlechter
-von Reethagen, Breeden und Schedensen zusammensuchte.</p>
-
-<p>An einem schönen Sonntag vormittag im
-April saß der Bauer mit einem Buche in der
-Hainbuchenlaube und sah dem Eichelhäher zu,
-der zwischen dem Holze und dem Grasgarten
-hin und her flog, weil er im Garten Hühnerfedern
-suchte; er hatte den Vogel gern, der
-im Walde zwar das Wild vor dem Jäger
-warnte, dafür diesem aber auch den Fuchs
-und den Bock meldete und dem die Bauern<span class="pagenum"><a id="Page_134">[134]</a></span>
-deshalb den Namen Markwart gegeben
-hatten. Er ergötzte sich an dem bunten Narren,
-der mit gesträubter Holle auf dem Rasen umherhüpfte
-und sich fortwährend scheu umsah,
-als wären ihm die Federn nicht gegönnt.</p>
-
-<p>Plötzlich duckte er sich, kreischte auf und strich
-ab. Schritte kamen über den Steinweg, die
-Pforte klinkte auf, und als der Bauer aufsah,
-kam der Vorsteher mit freudigem Gesichte
-auf ihn zu und streckte ihm beide Hände
-entgegen:</p>
-
-<p>»Du sollst auch vielmals bedankt sein, Lüder,«
-rief er und schüttelte Volkmann die Hände,
-»für den vielen Beistand, den du mir geleistet
-hast. Das muß ich sagen: es ist alles so in
-der Reihe, als wenn ich selber da war. Suput
-sagte: »Ja, der, der ist jetzt ein ganzer
-Bauer.« Na, und Suput macht schon allerlei
-Ansprüche.</p>
-
-<p>Na, und dir geht es gut, das sehe ich, und
-mir auch, wenn ich auch wohl niemals wieder
-der Kerl von früher werde. Jetzt heißt es
-Schritt fahren, wenn ich über den Berg kommen
-soll. Mein seliger Vater hat es auch an
-der Lunge gehabt, und hat mit vierzig von
-uns fort müssen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_135">[135]</a></span></p>
-
-<p>So, und wenn du kein besseres Mittag
-hast, dann möchtest du zu uns kommen; ich
-habe aus Hannover einen ganz gefährlichen
-Kalbsbraten mitgebracht, und Trina sagt, den
-kriegen wir allein nicht auf.</p>
-
-<p>Hier hast du übrigens auch alles gut im
-Stande; nun fehlt bloß noch eine glatte Frau
-und denn ist alles richtig.«</p>
-
-<p>Lüder nahm mit Dank an, und dann gingen
-sie langsam durch die Haide. Als sie an dem
-Graben waren, der die Grenze zwischen der
-Hilgenhofer Haide und der des Vorstehers
-war, blieb Garberding stehen, sah Volkmann
-an und sagte: »Weißt du, was heute für ein
-Tag ist? Vor zwei Jahren standen wir zum
-ersten Male hier.«</p>
-
-<p>Als er weiterging, setzte er hinzu: »Du hast
-mir damals gleich gefallen und meiner Trina
-auch. Junge, wenn die nicht auf die sechzig
-ginge, ich könnte es wahrhaftig mit dem Übelnehmen
-kriegen: sie redet von nichts weiter, als
-von dir; ich bin jetzt man Handpferd geworden.«</p>
-
-<p>Er sah sich in der Haide um: »Ja, es ist
-doch man einmal schön hier bei uns. Da oben
-auf dem Harze, ich weiß nicht, schön ist es da
-ja wohl, und auch die Leute können mir ganz<span class="pagenum"><a id="Page_136">[136]</a></span>
-gut gefallen, und gesund ist es da auch für
-die Lunge, aber leben möchte ich da nicht.
-Man stößt mit den Augen meist überall gegen
-die Berge und denn redet mir das Volk auch
-zuviel. Und die Unruhe, die Unruhe! Selbst
-im Winter ist da alles voll von Stadtleuten,
-die vor Langerweile mit Kinderschlitten die
-Berge herunterrutschen oder sich mit den unklugen
-Schneeschuhen abmarachen, als wenn
-sie dafür bezahlt werden. Da ist es hier doch
-besser. Wie schön der Post riecht und das
-Birkenlaub! Der Doktor meinte, ich sollte noch
-dableiben, aber ich sagte ihm: Dann werde
-ich wieder krank.«</p>
-
-<p>Er blieb wieder stehen und atmete mühsam:
-»Nun erzähl du; gehen und sprechen zusammen
-kann ich nicht mehr.«</p>
-
-<p>Volkmann teilte ihm alles Wichtige mit, auch
-über das Kesseltreiben, das man gegen ihn
-veranstaltet hatte, und auf welche Weise Freimut
-sich dabei benommen hatte. Der Vorsteher
-lachte im Halse; einen Teil hatte er von
-seiner Frau schon vernommen, und er freute sich,
-daß Volkmann so gut dabei abgeschnitten
-hatte.</p>
-
-<p>Nach dem Mittag ließ Garberding sich den<span class="pagenum"><a id="Page_137">[137]</a></span>
-Liegestuhl, den er sich mitgebracht hatte, in
-den Garten stellen und sagte: »Da liegt man
-nun zugedeckt, als wie ein Wiegenkind, und
-sieht ein Loch in den Himmel. So, nun schmök
-mir was vor; ich habe es mir abgewöhnen
-müssen; es geht auch so.</p>
-
-<p>Jetzt wollen wir einmal die alte Bohrgeschichte
-besprechen. Der Mann, Neumann
-heißt er ja wohl, läßt nicht locker und hat
-hier einen Vorvertrag geschickt, der für die
-politische und für die Realgemeinde gültig
-sein soll, damit ich ihn in der Gemeindeversammlung
-vorlegen kann. Ich habe ihn zehnmal
-und mehr durchgelesen, und ich glaube,
-so ganz uneben ist er gerade nicht. Hier ist er!«</p>
-
-<p>Volkmann las die dreißig Abschnitte des
-Vertrages durch, fand aber bald mehrere
-Stellen, die für die Gemeinde gefährlich werden
-konnten, und deshalb schlug er vor, die Landwirtschaftskammer
-in Hannover solle über den
-Vertrag erst ein Gutachten abgeben. Nach
-acht Tagen kam der Vertrag zurück und ein
-anderer dabei, der auf den von der Kammer
-entworfenen Mustervertrag zugeschnitten war,
-und mit dem sich die Gemeindeversammlung
-zufrieden erklärte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_138">[138]</a></span></p>
-
-<p>Der Berliner machte ein Gesicht, wie der
-Hund zu dem Zaunigel, als ihm gesagt wurde:
-So oder überhaupt nicht! reiste ab, um den
-Vorvertrag seiner Gesellschaft vorzulegen, und
-nach vierzehn Tagen fand die Versammlung
-statt, in der die Annahme erfolgen sollte.</p>
-
-<p>Der Wind hatte drei Tage von Morgen
-geweht, und die Luft war voller Staub; das
-war günstig für Neumann, denn so wurde
-von Anfang an scharf getrunken. Er hatte
-seine Getreuen schon die Tage vorher aufgesucht
-und die hatten die anderen bearbeitet.</p>
-
-<p>Als der Vorsteher und der Hilgenbauer in
-den Krug kamen, war der Saal blau von
-Tabaksdampf und viele Köpfe waren rot.
-Neumann schmiß einen kalten Blick nach den
-beiden Männern, stürzte dann auf sie zu,
-lächelte süß, drückte ihnen die Hände und
-sprudelte los: »Wir müssen noch ein Augenblickchen
-warten, es sind noch nicht alle da.«</p>
-
-<p>Garberding sah nach der Uhr: »In zehn Minuten
-fange ich an; auf drei Uhr ist angesetzt.
-Danke,« fuhr er fort, als ihm der Ingenieur
-ein Glas Wein hinstellen wollte, »ich bin um
-diese Zeit Kaffee gewöhnt und Alkohol darf
-ich überhaupt nicht mehr.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_139">[139]</a></span></p>
-
-<p>Auch Volkmann bestellte sich Kaffee, und die
-großen Bauern riefen einer nach dem anderen:
-»Nordhoff, mir auch,« und sie setzten hinzu:
-»Es geht um Tausende und da ist es besser,
-man bleibt bei Verstand.« Schließlich trank
-alles Kaffee, und Neumann sah grün im Gesichte
-aus.</p>
-
-<p>»Bevor ich den Vertrag verlesen lasse, frage
-ich an, ob jemand vorher einen Antrag zu
-stellen hat?« rief der Vorsteher.</p>
-
-<p>Volkmann stand auf: »Ich beantrage zweimalige
-Lesung; in der zweiten Lesung Einzelabstimmung
-über jeden Abschnitt.« Der Berliner
-lächelte gezwungen, als der Antrag gegen
-drei Stimmen durchging.</p>
-
-<p>»Hat noch jemand einen Antrag?«</p>
-
-<p>Wieder stand Volkmann auf. »Ich beantrage,
-daß die Versammlung beschließen möge,
-daß die Bohrungen nicht in der Feldmark und
-auf den alten Wiesen, sondern nur in der
-Haide unter dem Dorfe, im Bruche und im
-Moore stattfinden sollen.«</p>
-
-<p>Die Bohrgarde murrte, aber Volkmann fuhr
-fort: »Ich war letzte Woche in Wietze-Steinförde;
-da sieht es bunt aus; der Bauer hat
-da gar nichts mehr zu sagen; vor dem Wohnhause<span class="pagenum"><a id="Page_140">[140]</a></span>
-hat er den Fallmeißel und dahinter die
-Sonde. Ich will gegen den Wert der Bohrungen
-im allgemeinen nichts sagen, aber Segen
-bringen sie uns nicht. Zu leben hat jeder von
-uns hier, und Geld, das einem so zufällt und
-nicht erworben wird, das bleibt nicht.</p>
-
-<p>Wo ist der Ölheimer geblieben? Vor die
-Hunde ist er gegangen mitsamt seinem Gelde.
-Was ist aus der Familie Janke geworden?
-Der Alte ist über dem vielen Gelde verrückt
-geworden, und der Junge hat sich scheiden
-lassen von seiner Frau und lebt mit so einem
-Weibsstück.</p>
-
-<p>Ihr sollt sehen, steht hier erst alles voller
-Bohrtürme, dann müßt ihr tanzen, wie die
-Gesellschaft flötjet!</p>
-
-<p>Und ob eure Frauen und Töchter dann noch
-alleine über die Landstraße gehen können,
-das ist sehr die Frage. Es ist jetzt schon
-schlimm genug in der Haide; Messerstechereien
-sind jetzt an der Tagesordnung, und Raubanfälle
-und Einbrüche auch.</p>
-
-<p>Hier,« er holte eine Zeitung heraus und
-ließ sie rund gehen, »das ist der dritte Lustmord
-in zwei Jahren bei uns! Früher wußte
-man von solchen Greueltaten hier nichts; aber<span class="pagenum"><a id="Page_141">[141]</a></span>
-seitdem Pollacken und Kroaten und Italiener
-hier herumlaufen, ist kein Frauensmensch
-seines Lebens mehr sicher.</p>
-
-<p>Und deswegen haben der Vorsteher und
-ich es uns vorgenommen: Wir beide schließen
-nicht ab.«</p>
-
-<p>Ehe er sich noch gesetzt hatte, sprang Neumann
-auf und wollte lospoltern, doch der Vorsteher
-winkte ab: »Herr Neumann, Ihre Ansicht
-kommt hier nicht in Frage. Wir wollen
-jetzt die Abschnitte verlesen. Ihr seid es wohl
-zufrieden, daß Volkmann das tut; mir ist das
-viele Reden nicht gut.«</p>
-
-<p>Neumann biß sich auf die Lippen; er hatte
-geglaubt, daß man ihm das Vorlesen überlassen
-werde. Die Abschnitte eins, zwei und
-drei waren verlesen, als Volkmann aber den
-vierten verlesen hatte, bat er um das Wort:
-»In dem Vorvertrage steht, daß jeder Besitzer
-für jeden angebrochenen Morgen entschädigt
-wird; hier aber ist zu lesen: für jeden Morgen.«</p>
-
-<p>Neumann wurde blaß, denn die Bauern
-stießen sich an und sahen kalt zu ihm hin.
-Volkmann fuhr fort: »Der Unterschied ist sehr
-wichtig, denn nach der neuen Schreibart sind
-wir die Dummen, indem wir, wenn ein Bohrloch<span class="pagenum"><a id="Page_142">[142]</a></span>
-oder sonst etwas nicht so viel Platz einnimmt,
-daß es einen Morgen ausmacht, wir
-keinen blanken Pfennig bekommen. Und
-solche Sachen stehen mehr in dem neuen
-Vertrage, trotzdem Herr Neumann sagte, seine
-Gesellschaft habe nur hier und da die Schreibweise
-ein bißchen verfeinert.</p>
-
-<p>Kurz und gut: wir sollen hier über den
-Löffel balbiert werden, denn wir sind ja man
-bloß dumme Haidbauern und das da in Berlin
-sind vornehme Herren. Sehr vornehme Herren
-sind es, denn sie wollen ja nur unser Bestes,
-nämlich unser Geld.«</p>
-
-<p>Ein Hohngelächter schallte durch den Saal
-und sogar Nordhoff meckerte laut los.</p>
-
-<p>»Ist richtig!« »So ist es!« »Das ist die Wahrheit!«
-»Schwindel!« »Betrügerei!« so schrie es,
-und selbst die Neumannsche Leibwache stimmte
-mit in das Hohngelächter und das Entrüstungsgepolter
-ein.</p>
-
-<p>Der Berliner, der vor Aufregung zu hastig
-getrunken hatte, sprang auf und kreischte:
-»Ist das eine Art und Weise von 'ner Sache!
-Einen hier erst herlotsen und dann zum Narren
-halten? Und wer ist denn der Herr, der Sie
-um die schöne Entschädigung bringen will?<span class="pagenum"><a id="Page_143">[143]</a></span>
-Ist es ein Bauer, ist es einer von Ihnen?
-Fragen Sie im Celler Zuchthause an, wer es ist!«</p>
-
-<p>Weiter kam er nicht. Alle Bauern bis auf
-den Vorsteher und Volkmann sprangen auf
-und es war ein Gebrüll, daß Frau Nordhoff
-in der Küche schrie: »Herr im hohen Himmel,
-das gibt Mallör!«</p>
-
-<p>Nordhoff schloß schnell die kleine Tür auf
-und als der Agent noch reden wollte, schob
-er ihn ziemlich unsachte hinaus.</p>
-
-<p>»I so 'n Lümmel,« sagte der Vollmeier
-Röpke; »so 'n Lümmel! Nordhoff, nun aber
-schnell Bier. Es ist man ein Segen, daß der
-Klabautermann sich dünne gemacht hat, denn
-mir fing die Hand schon an zu jucken.«</p>
-
-<p>Als jeder Bier hatte, rief der lange junge
-Mann: »Unser Freund Volkmann, der uns vor
-schwerem Schaden bewahrt hat, er soll leben
-vivat hoch und abermals hoch und zum dritten
-Male hoch.«</p>
-
-<p>Während alle mit dem Hilgenbauer anstießen,
-hub der Schneider Fricke, der kein
-Freibier vertragen konnte, mit seinem verschossenen
-Tenor zu singen an: »Er lebe hoch,
-hoch, hoch!« denn er war Mitbegründer des
-Gesangvereins Reethagen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_144">[144]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Nachtigall">Die Nachtigall.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Weiter in der Umgegend hatte der Agent
-mehr Glück gehabt. Von Schedensen
-und Breeden aus konnte man die schwarzen
-Bohrtürme in den grünen Feldern sehen.</p>
-
-<p>Wenn die Bauern aus den Nachbardörfern
-nach der Kirche erzählten, welche Einnahmen
-sie jetzt schon aus den Bohrverträgen hätten,
-dann kauten die Bauern von Schedensen und
-Breeden taub und manche Reethagener auch;
-aber der Berliner hatte von Reethagen ein
-so schlechtes Bild gemacht, daß sich dort kein
-Agent mehr sehen ließ.</p>
-
-<p>Eines Tages hieß es im Weißen Rosse:
-»Nordhoff, hast du all gehört? Fürbotter hat
-sich aufgehängt; er hat sich in Bohrkuxen
-verspekuliert.«</p>
-
-<p>So war es auch und er war nicht der
-einzige, der sich bei den Papieren einen Bruch
-gehoben hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_145">[145]</a></span></p>
-
-<p>Hier schlug ein Bauer lang hin, da kippte
-ein Ziegeleibesitzer um, dort lag ein Kaufmann
-auf der Nase; alle hatte das Bohrfieber umgeworfen.
-Sie hatten Kuxe gekauft, wenn
-eine Gesellschaft fündig geworden war und
-hinterher kamen die Zubußen.</p>
-
-<p>Hier hatte bei der Anwendung des Gefrierverfahrens
-der Magnesiumzement sich entmischt
-und der Schwemmsand sprengte die Tubbings
-des Schachtes; da war man auf hundertfünfzig
-Meter niedergegangen, erlebte einen
-Wassereinbruch und der Schacht ersoff rettungslos;
-da kam es gar nicht zum Abteufen,
-denn auf sechzig Meter trieb der Sand und
-knickte die Mannesmannstahlrohre wie Stroh.</p>
-
-<p>An einer anderen Stelle hatten sich ölige
-Schichten auf den Moorgräben gezeigt; eine
-Gesellschaft riß alles Land, das sie kriegen
-konnte, zu hohen Preisen an sich und bezahlte
-zum Teil mit Kuxen, worüber die Verkäufer
-sehr froh waren. Dann kam ein Geologe
-von der Königlichen Landesanstalt und stellte
-fest, daß das kein Öl, sondern humussaures
-Eisenoxyd war. Da nun schon eine Straße
-gebaut und ein Schienengeleise gelegt, Dampfmaschinen
-hingebracht, Bohrtürme und Schuppen<span class="pagenum"><a id="Page_146">[146]</a></span>
-gebaut waren, so mußten die Kuxeninhaber
-nachzahlen, daß ihnen die Augen
-bluteten.</p>
-
-<p>Aber die Krankheit ließ trotzdem nicht nach,
-denn kaum stieß man weiterhin auf Kali, so
-stürzte sich alles, was etwas bar Geld liegen
-hatte, auf die Kuxe, wie die Bremsen auf die
-Heugespanne, und als es sich herausstellte,
-daß dort kein abbaufähiges Lager, sondern
-nur eine Linse stand, da hatte mancher Mann
-alles verloren, was er in zwanzig Jahren
-zusammengebracht hatte.</p>
-
-<p>Dazu kam noch, daß es überall dort, wo
-gebohrt oder gar gefördert wurde, immer
-ungemütlicher ward.</p>
-
-<p>Die fremden Arbeiter, die gut verdienten,
-saßen in den Wirtschaften vornan und es
-verging keine Woche, ohne daß es eine böse
-Schlägerei zwischen ihnen und den jungen
-Leuten aus dem Dorfe gab; dem Wirt in
-Hülsingen wurde das halbe Haus zerschlagen,
-in Kronshagen wurde einem Anbauernsohne
-ein Auge ausgestochen, in Altmühlen kam
-es zu einer wahren Völkerschlacht, wobei es
-acht Schwerverwundete und einen Toten gab,
-und bei Schütthusen wurde die Frau des<span class="pagenum"><a id="Page_147">[147]</a></span>
-Schneiders Mögebier ermordet und beraubt
-im Busche gefunden.</p>
-
-<p>Bald hier, bald da wurde eingebrochen,
-Vieh verschwand von der Weide, Wäsche von
-der Bleiche, überall wurde gewildert, die
-Brandstiftungen nahmen kein Ende, denn
-die Landstraßen waren lebendig voll von verdächtigem
-Volke, und wer nicht gab, der hatte
-den Schaden.</p>
-
-<p>So dankten die Reethagener es ihrem
-Schöpfer, daß der Hilgenbauer sie vor dem
-Abschlusse bewahrt hatte, denn bei ihnen war
-noch ein ruhiges Leben möglich.</p>
-
-<p>Da nun Volkmann bis auf die Schmisse in
-seinem Gesichte ganz so wie ein richtiger Bauer
-war, auch ursprünglich aus der Gegend
-stammte und jedem gefällig war mit Rat und
-Abfassen von Schriftsätzen an die Behörden,
-und die Leute, denen daran lag, ihn in den
-Graben zu werfen, verschwunden waren, so
-stand er im Herbste anders da, als das Jahr
-vorher, und er hätte überall anklopfen können,
-wo eine Tochter war.</p>
-
-<p>Der Vorsteher und seine Frau ließen es an
-Anspielungen nicht fehlen, und er selbst sah
-ein, daß er nicht länger ledig bleiben dürfe;<span class="pagenum"><a id="Page_148">[148]</a></span>
-aber wenn er auch hier und da eine Bauerntochter
-antraf, die ihm ganz gut gefiel, sowie
-sie den Mund auftat, sah er einen Graben
-zwischen sich und ihr, denn dann fiel ihm die
-Stimme ein, die an jenem Vormittag im April
-an seiner Schulter gefragt hatte: »Ich bin
-Ihnen wohl recht schwer?«</p>
-
-<p>Nicht, daß er mit Hoffnung an das schöne
-Mädchen, das wohl längst Frau und Mutter
-war, dachte, aber sie war ihm der Maßstab,
-den er überall anlegte, wo er mit einem Mädchen
-zusammenkam, die auf den Hilgenhof
-gepaßt hätte. Da er nun schwer arbeitete,
-dem Vorsteher alle Schreibereien abnahm und
-alle weiten Wege, so daß er abends meist
-schon einschlief, ehe er beide Beine unter der
-Decke hatte, so kam es ihm wenig in den
-Sinn, daß er ein einsamer Mann war.</p>
-
-<p>Hatte er das Bedürfnis, mit einem Frauenzimmer
-zu reden, so ging er in das Häuslingshaus
-und freute sich an der fixen Frau
-Ramaker, die Zwillinge zu versorgen hatte
-und doch mit der vielen Arbeit zu Gange
-kam, oder er saß bei Garberdings und schnackte
-mit der Bäuerin oder er blieb eine Stunde
-im Kruge und erzählte sich etwas mit den<span class="pagenum"><a id="Page_149">[149]</a></span>
-Frauensleuten, denn Nordhoff ging nur in
-die Gaststube, wenn er mußte.</p>
-
-<p>Mit dem Vorsteher wurde es wieder schlechter,
-als es auf den Winter zuging, und so entbot
-er die sechs Vollmeier zu sich, sagte ihnen,
-er könne nicht mehr länger Vorsteher sein
-und fragte sie, wer der Gemeinde wohl am
-besten anstehe.</p>
-
-<p>»Am besten wäre Volkmann,« meinte Röpke,
-»wenn die Regierung nur keine Bedenken hat.«</p>
-
-<p>Der Vorsteher schüttelte den Kopf: »Das
-hat sie nicht; was ihm zugestoßen ist, gilt mehr
-als ein Unglück, als eine, ja, na, als etwas,
-das nicht ehrenhaft ist. Ich habe mit dem
-Landrate lang und breit darüber gesprochen.
-Und meine Meinung ist: einen besseren Vorsteher
-kriegen wir nicht; er steht gut da, hat
-mehr gelernt, als wir alle zusammen, reibt
-es aber keinem unter die Nase, er schickt sich
-ganz in unsere Art, ist gefällig, wie nur einer,
-und er hat die Gemeinde vor großem Schaden
-bewahrt. Und da ihr ja alle meiner
-Meinung seid, ist es das beste, ihr beredet
-euch mit den anderen, damit er einstimmig
-gewählt wird, denn ohne das, glaube ich,
-nimmt er nicht an.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_150">[150]</a></span></p>
-
-<p>Der Plan lief nach Wunsch aus; Garberding
-legte sein Amt nieder, und der Hilgenbauer
-wurde einstimmig zu seinem Nachfolger
-gewählt. Volkmann wurde erst blaß und
-dann rot, als er gewählt wurde, und er wußte
-erst nicht, ob er annehmen sollte. Da stand
-Garberding auf und sprach:</p>
-
-<p>»Ich weiß, warum unser Freund sich bedenkt,
-und viele, ja wohl die meisten von
-uns, werden es auch wissen. Es steht mancher
-Mann hoch in Ansehen, dessen Hand ich nicht
-in meiner haben will, und mancher Mann
-gilt nicht für ehrenhaft vor der Welt, zu dem
-ich mich liebendgern an den Tisch setze. Was
-bedarf es noch vieler Worte? Wir haben
-unser eigenes Recht, das älter ist als die
-Gesetze, die in den Büchern stehen und manches
-Mal gar nicht auf unsere Art passen. Unser
-erstes Gesetz heißt die Gemeinde, das ist das
-Haupt; alles andere liegt weit weg. Und
-wenn ich, der ich meinen Freund durch und
-durch kenne, keinen lieber, als ihn, hier sehe,
-wo ich jetzt bin, und wenn der Herr Landrat
-ebenfalls der Ansicht ist, daß wir keinen besseren
-Vorsteher kriegen, so kannst du,« und damit
-drehte er sich nach Volkmann und gab ihm<span class="pagenum"><a id="Page_151">[151]</a></span>
-die Hand, »meinen Glückwunsch getrost annehmen.«</p>
-
-<p>Als Vorsteher Volkmann aus der Versammlung
-nach Hause ging, mußte er immer
-an den Tag denken, an dem er auf dem Haidberge
-lag und dem Ortolan zuhörte, der in
-der Birke saß und sang.</p>
-
-<p>Ein Landstreicher war er damals gewesen,
-ein heimatloser Mann, den jeder Gendarm
-stellen und nach seinen Papieren fragen durfte;
-jetzt hatte ihm die ganze Bauernschaft eine
-Ehre angetan, die er, der Bauern kannte,
-nach ihrem vollen Werte einschätzen konnte.</p>
-
-<p>Als er auf den Hof trat, ging ihm Ramaker
-entgegen; die Augen des Häuslings glänzten,
-und er stotterte vor Aufregung, als er dem
-Bauern Glück wünschte, denn als er in der
-Haide Plaggen haute, war der Briefträger
-mit dem Rade den Pattweg heruntergekommen
-und hatte ihm zugerufen: »Den Bauern haben
-sie zum Vorsteher gemacht!«</p>
-
-<p>Auch Frau Ramaker lachte über ihr ganzes
-rundes Gesicht, gab ihm die Hand, sagte: »Viel
-Glück auch!« und warf hinterher: »Wie sagt
-man denn jetzt: Bauer oder Herr Vorsteher?«,
-und als Volkmann antwortete: »Es bleibt<span class="pagenum"><a id="Page_152">[152]</a></span>
-alles so, wie es ist,« schüttelte sie den Kopf,
-daß ihr eine Flechte losging, und indem sie
-die feststeckte, rief sie: »Das will ich nicht
-hoffen, denn jetzt muß hier eine Frau her!
-Was ist denn das für ein Werk! Ein lediger
-Vorsteher? Das habe ich meinen Tag noch
-nicht erlebt. Und mir wird es mit der Arbeit
-zuviel: einen Mann, zwei kleine Kinder, das
-Vieh und zwei Haushaltungen, das halte ich
-nicht lange mehr aus.«</p>
-
-<p>Am anderen Tage kam Freimut angefahren:
-»Mann,« schrie er über den Hof, daß die Schruthähne
-an zu kullern fingen, »siehst du mir nichts
-an?«</p>
-
-<p>Volkmann lachte: »Bist du Justizrat geworden?«</p>
-
-<p>Der Anwalt schnaubte: »Sehe ich denn schon
-so bresthaft aus?« Er hielt ihm seine linke
-Hand vor die Augen, die so groß war, daß
-ein junges Mädchen ihn einst bat: »Ach bitte,
-Herr Referendar, halten Sie doch Ihre Hand
-vor die Tür, es zieht so.«</p>
-
-<p>Der Anwalt lachte: »Ja, die Liebe, sie hat
-mich zur Strecke gebracht, mich, den letzten
-der Mannen von <span id="corr152">Niefelheim</span>, der die alte gute
-Sitte hochhielt und als dreimal destillierter<span class="pagenum"><a id="Page_153">[153]</a></span>
-Junggeselle einsam hinter dem Biertopf saß,
-wenn die anderen den Hausschlüssel nicht bekommen
-konnten. Nun barst auch diese letzte
-Säule, verödet ist die Stätte, wo das schöne
-Lied von den Brummelbeeren so oft erklang,
-denn jedweden Abend mache ich jetzt bei
-meiner Braut hübsch.</p>
-
-<p>Hier ist sie.« Er zog ein Bild aus der
-Tasche. »Hildegard heißt sie, hat ein Haus mit
-einem Garten drum herum und auch sonst noch
-Vorzüge mannigfacher Art, vor allem den, daß
-sie beinahe so lang wie Schreiber Diese ist.</p>
-
-<p>Mensch, nun mußt du auch noch heiraten,
-und ein Mädel, das auch von deinem Kaliber
-ist, und dann können wir singen: Deutschland,
-Deutschland über alles, über alles in der Welt!</p>
-
-<p>Bis Montag habe ich Urlaub, denn meine
-Hilde ist nach ihrer Tante gefahren, und ich
-will jetzt einige Hasen erschlagen.«</p>
-
-<p>Als er von Ramaker hörte, daß sein Freund
-Vorsteher geworden war, schlug er auf den
-Tisch, daß es knallte, küßte Lüder ab und
-schrie: »Bei meinem Barte! Die Bauern hier
-sind noch klüger, als ich dachte. Donnerhagel
-noch einmal, werde ich aber mit dir protzen;
-mein Duzfreund, der Vorsteher!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_154">[154]</a></span></p>
-
-<p>Denn, mein Lieber, wenn du dich auch
-sträubst, wie ein Borgfarken, zu meiner Hochzeit
-mußt du kommen. Es werden nur tüchtige
-Kerle und schöne Frauen und Mädchen eingeladen,
-und die Kirche soll voll von Maibäumen
-sein, daß es darin aussieht wie in
-der Lüneburger Haide, wenn die Dullerchen
-singen. Und meine zukünftige Hausehre hat
-dir schon eine Tischnachbarin ausgesucht, die
-schönste, die es auf der Welt geben soll von
-allen, was seine Haare in Flechten trägt.</p>
-
-<p>So, und nun wollen wir los; mir kribbelt
-es im Drückefinger und ich will morgen Hasenpfeffer
-so essen, wie es sich gehört, und nicht
-solchen labberigen Bratenabfall, den sie einem
-in den lackierten Herbergen als das auftischen.«
-Und er sang mit seinem Bierbasse: »Auf und
-an, spannt den Hahn, lustig ist der Jägersmann!«</p>
-
-<p>Die Wintermonate sprangen Volkmann
-unter den Fingern fort, soviel Arbeit brachte
-ihm das Vorsteheramt. Die Arbeit machte
-ihm aber Freude, denn er lernte viel dabei
-und konnte allerlei Gutes wirken.</p>
-
-<p>Ohne daß sie es merkten, brachte er den
-Bauern Verständnis für die Schönheiten der<span class="pagenum"><a id="Page_155">[155]</a></span>
-Landschaft bei, rettete den alten Wahrbaum
-vor dem Dorfe, der der Straßenverbreiterung
-weichen sollte, ließ die beiden Steingräber in
-der Haide, die zu Brückensteinen zerschossen
-werden sollten, für ewige Zeit schützen und
-verhinderte es, daß allerlei überflüssige Vereine
-sich bildeten und das dörfliche Leben städtisch
-machten.</p>
-
-<p>Da die Vorarbeiten für die Bruchentwässerung
-in Angriff genommen wurden und eine
-Nachverkopplung notwendig wurde, die viel
-Lauferei und Schreibarbeit mit sich brachte,
-so war es mit einem Male mitten im Frühling,
-und es war ihm, als er die erste Lerche über
-der grünen Saat hörte, als wäre sie den Tag
-zuvor erst fortgezogen.</p>
-
-<p>An einem Aprilabend, als er aus dem Bruche
-kam und an dem Ellernbusche vorbeiging,
-der zu beiden Seiten der Beeke lag, hörte er
-einen fremden Ton und sofort sagte er sich:
-»Das ist ja eine Nachtigall.«</p>
-
-<p>Er blieb stehen und wartete, bis sie weiterschlug,
-und dann mußte er lachen, denn an
-seine naturgeschichtliche Arbeit hatte er den
-ganzen Winter nicht denken können und an
-vieles andere auch nicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_156">[156]</a></span></p>
-
-<p>Ganz selten einmal, wenn er im Schummern
-am Herdfeuer saß und rauchend in die roten
-Flammen sah, hatte er an das große, schöne
-Mädchen mit der hellen, reinen Stimme gedacht,
-und nur so, wie man an einen Traum
-denkt, den man nicht vergessen kann und
-nicht vergessen will.</p>
-
-<p>Nun aber, als er abends allein bei dem
-Feuer saß und an den einen Laut dachte, der
-aus dem Ellernbusche kam, war es ihm, als
-hätte er tags zuvor erst ihre Stimme an seiner
-Schulter gefühlt, und als der Spinnstuhl sich
-meldete, bedünkte es ihm, als hätte die Allerschönste
-dort eben gesessen und müsse im Augenblicke
-wieder hereinkommen, ihn anlächeln und
-ihre Stimme ihm entgegenflattern lassen.</p>
-
-<p>Als er dann in der Dönze saß und noch
-einige Zahlen aus seinem Taschenbuche eintrug,
-da schrieb er, fast ohne zu wissen, was
-er tat, ein Dutzend Zeilen auf einen leeren
-Streifen Papier, und dann schüttelte er den
-Kopf über sich selber, denn seit seiner Burschenzeit
-hatte er kein Gedicht mehr geschrieben.</p>
-
-<p>Er las es durch und nickte zustimmend,
-als hätte jemand anders es geschrieben, das
-Liedchen, das in zwölf Zeilen die Empfindung<span class="pagenum"><a id="Page_157">[157]</a></span>
-ausdrückt, die ein Mensch hat, der tief im
-braunen Bruche einen einzigen verlorenen
-Nachtigallenlaut vernimmt.</p>
-
-<p>Er las es noch einmal, lächelte und dachte,
-daß es wirklich gar kein schlechtes Gedicht
-wäre, und als er im Bette lag, war es ihm,
-als sei es nicht die Nachtigall gewesen, sondern
-eine andere Stimme, die ihn gezwungen hatte,
-stehenzubleiben.</p>
-
-<p>Freimut hatte seine Hochzeit auf den ersten
-Mai, »den Tag der Odinsfreite,« wie er schrieb,
-angesetzt und dabei bemerkt: Frack brauchst
-du nicht; wir kommen alle im Gevatterrock,
-dieweil wir nicht den Ehrgeiz haben, wie
-Kellner auszusehen. Einen Polterabend kann
-ich mir nicht leisten; ich habe an dem Tage eine
-Verteidigung.</p>
-
-<p>So packte Volkmann den Kirchenrock und
-den hohen Hut in den Reisekorb, den Freimut
-dagelassen hatte, und fuhr los. Seine Gabe,
-eine sehr schöne alte Beilade mit reicher
-Schnitzerei, die er hatte zurechtmachen lassen,
-hatte er durch den Baumeister schon in das
-Heim der Brautleute schicken lassen.</p>
-
-<p>Als er in der großen Stadt war, suchte er
-sich ein ruhiges Gasthaus, ging dann durch<span class="pagenum"><a id="Page_158">[158]</a></span>
-die Straßen, kaufte sich Handschuhe und leichte
-Schuhe und ließ sie nach dem Gasthofe schicken.
-Dann setzte er sich an der Hauptstraße in ein
-Kaffeehaus, um hinter der Efeuwand her das
-bunte Leben zu betrachten.</p>
-
-<p>Alle Leute blickten auf, als der bäuerlich
-angezogene lange, schöne Mann mit dem
-braunen, bartlosen Gesichte zwischen den Marmortischen
-einherging. Die Männer lächelten
-spöttisch, die Frauen aber reckten sich die Hälse
-nach ihm aus und mehr als eine flüsterte:
-»Wie interessant; ein Bauer mit Schmissen!«</p>
-
-<p>Als er sich gesetzt hatte und dem Kellner
-winkte, dachte er so bei sich: Was für unverschämte
-Augen die Frauensleute hier doch
-machen! denn er hatte sich schon ganz an die
-dörfliche Art gewöhnt.</p>
-
-<p>Er fand, daß er an dem städtischen Leben
-gar keinen Anteil mehr hatte; so manches
-Gesicht kannte er noch von früher her, sah
-fein angezogene Leute, die damals einfach
-gingen, und andere, denen es nicht so gut zu
-gehen schien wie vordem.</p>
-
-<p>Der Lärm, die Rastlosigkeit, die Reklame,
-der abscheuliche Gegensatz zwischen Protzerei
-und Elend, alles das widerte ihn an, und als<span class="pagenum"><a id="Page_159">[159]</a></span>
-der Kellner einen vor Nervenschwäche am
-ganzen Leibe fliegenden Mann, der Ansichtspostkarten
-feilbot, hinausweisen wollte, stand
-der Bauer auf, kaufte drei Karten und gab
-dem armen Menschen ein Zweimarkstück.</p>
-
-<p>Grade war er dabei, die Aufschriften abzufassen,
-denn er wollte die Karten an Garberding,
-Ramaker und Nordhoffs Lieschen schicken,
-da fuhr er in die Höhe, denn eine Stimme,
-die er nur einmal und nicht wieder in seinem
-Leben gehört hatte, erklang jenseits der Efeuwand.</p>
-
-<p>Der Bleistift fiel ihm aus den Fingern, er
-sprang auf und trat auf die Straße, sah aber
-nur noch den Lohnwagen im Gewühl verschwinden.</p>
-
-<p>Wie vor den Kopf geschlagen fiel er auf
-den Stuhl, trank einen Schluck von dem Bier,
-bezahlte und ging, ohne seine Postkarten mitzunehmen.</p>
-
-<p>Er wanderte von der Hauptstraße nach den
-Anlagen und von da wieder in das Gewühl,
-ohne etwas zu sehen, ohne daran zu denken,
-daß er noch essen und sich umziehen müsse.</p>
-
-<p>Mit knapper Not kam er in seinen Kirchenrock,
-ließ sich einen Wagen kommen und<span class="pagenum"><a id="Page_160">[160]</a></span>
-drängte sich durch den Kreis der Zuschauer
-in dem Augenblick in die Kirche, als die Orgel
-losjubelte und das Brautpaar zum Altare
-schritt.</p>
-
-<p>Er sah nichts, er hörte nichts, denn alle
-seine Sinne waren bei seinem Erlebnisse an
-jenem Vormittage im April, als der Ortolan
-in der Hängebirke sang und die Luft nach
-Post und Juchten roch.</p>
-
-<p>Die Kirche war voll von Juchtenduft, denn
-sie war mit grünen Maibäumen ausgeziert,
-und der Geruch der Heimathaide legte sich so
-eng um den Mann, daß er den Altar und
-den Priester und das Brautpaar wie ein Bild
-sah, das ihn kein bißchen anging, und die
-Traurede hörte sich für ihn nur an, wie das
-Rauschen von Laub im Winde.</p>
-
-<p>Dann aber machte sein Herz einen Satz,
-seine Augen wurden groß und er tat einen
-Schritt voran, besann sich aber und sah nur,
-indem ihm das Blut umschichtig zum Kopfe
-und zum Herzen schoß, dahin, wo die stand,
-deren Stimme er an jenem Apriltage und
-heute jenseits der Efeuwand vernommen hatte.</p>
-
-<p>Er kannte sie auf den ersten Blick, trotzdem
-ihr Gesicht und ihre Gestalt etwas voller<span class="pagenum"><a id="Page_161">[161]</a></span>
-waren als damals, und obgleich sie ihm in
-dem ausgeschnittenen Kleide und den bloßen
-Armen ein wenig fremd vorkam. Er fühlte
-viel Glück in sich, und ein jähes Durstgefühl
-machte seine Lippen trocken, dann aber ging
-ihm ein Stich durch das Herz; sie war schon
-lange eines anderen Frau. Er trat auf dem
-Läufer leise näher, um die Gesichter der
-Männer zu sehen und zu erraten, wer es
-wohl sein könnte, der zu ihr gehörte.</p>
-
-<p>Die Traurede war nur kurz, ihm aber
-deuchte sie, kein Ende zu haben, und als das
-Brautpaar an ihm vorüberging, der junge
-Ehemann ihm zunickte und die junge Frau
-ihn anlächelte, starrte er sie an, als wenn er
-sie nicht kenne.</p>
-
-<p>Dann aber kam der Baumeister auf ihn
-zu, nahm ihn beim Arm und, indem er sagte:
-»Kommt her, ich muß Euch Eurer Tischdame
-vorstellen, Ihr Bummler, der Ihr seid«, führte
-er ihn zu jener, der er dereinst dahinten in
-der Haide Beistand leistete.</p>
-
-<p>Es waren nur zehn Schritte, die der Bauer
-zu machen hatte, aber er war todmüde und
-elend vor Aufregung, als er sie hinter sich
-hatte, und erst, als Schönewolf gesagt hatte:<span class="pagenum"><a id="Page_162">[162]</a></span>
-»Ihr Tischherr, Fräulein Rotermund, der Vorsteher
-Volkmann, genannt Hilgenbur aus
-Reethagen«, da bekam er wieder Kraft und
-sah sie an.</p>
-
-<p>Als sie mit glührotem Gesicht ihren Arm
-unter seinen schob und er sie zum Wagen
-führte, kam er sich vor, als machte er selber
-heute Hochzeit.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_163">[163]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Haidlerche">Die Haidlerche.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Auf dem Hilgenhofe gab es einen großen
-Aufstand an diesem Abend, denn um acht
-Uhr kam der Briefträger angeradelt und
-brachte eine dringende Depesche für Ramaker.</p>
-
-<p>Der drehte das Papier unschlüssig in der
-Hand um, denn er hatte noch nie eine Depesche
-gesehen, und schließlich mußte der Briefträger
-es aufmachen und vorlesen, was darin
-stand, und der Häusling, die Frau und die
-Magd standen da, hielten die Hände im Schoß
-zusammen und machten Gesichter, als ginge
-es auf Leben und Sterben.</p>
-
-<p>Aber es stand bloß darin: »Ich bleibe noch
-drei Tage hier. Sagt Garberding Bescheid
-und haltet euch munter. Volkmann.« Da
-atmeten sie alle auf.</p>
-
-<p>Um drei Uhr nachts war der Bauer in
-seinen Gasthof gekommen; als es fünf war,<span class="pagenum"><a id="Page_164">[164]</a></span>
-lag er noch wach. Er stand auf, zog sich an,
-ließ sich von der Magd, die das Gastzimmer
-aufwusch, Frühstück geben und schenkte ihr
-einen blanken Taler, so daß sie ihm ganz verdutzt
-nachsah, denn sein Benehmen war nicht
-so, als ob er Unrechtes mit ihr im Sinne habe.</p>
-
-<p>Volkmann ging durch die Straßen, in deren
-Vorgärten die Tulpen unter den blühenden
-Bäumen in allen Farben leuchteten und über
-deren Dächern die Mauersegler vor Wähligkeit
-schrien, denn es war ein prachtvoller
-Morgen und der Himmel war hoch und hell.</p>
-
-<p>Hoch und hell sah es auch in dem Bauern
-aus, als er leichten Schrittes dahinging, und
-manches niedliche Dienstmädchen, das mit dem
-Korbe zum Bäcker wippte, machte ihm runde
-Augen, denn er sah aus, als ob er die ganze
-Welt in den Arm nehmen wollte.</p>
-
-<p>Das hätte er auch am liebsten getan, denn
-zuviel Glück war in ihm. Er ging in den
-Stadtwald, in dem das Sonnenlicht mit dem
-Nebel spielte und der voll von Vogelliedern
-war, und suchte in dem Teil, wo die hohen
-Fuhren ragten, eine Bank auf, die ganz versteckt
-an einem Graben lag.</p>
-
-<p>Dort war früher sein Lieblingsplatz gewesen,<span class="pagenum"><a id="Page_165">[165]</a></span>
-wenn er, abgespannt von der Arbeit bei der
-Zeitung und dem Parteikampfe, Erholung gesucht
-hatte, und wo er an dem Morgen des
-Tages saß, in dessen Verlaufe ihm das Genick
-gebrochen wurde.</p>
-
-<p>Vor ihm öffnete sich der Wald zu einer Lichtung,
-die bunt von vielerlei Blumen war und von
-wo Efeuranken, silbern in der Sonne blitzend,
-an den roten Fuhrenstämmen emporkrochen.</p>
-
-<p>Volkmann zog seine Uhr heraus und seufzte;
-es war erst sieben und vor zehn Uhr konnte
-er doch nicht gut dahin gehen, wohin es ihn
-zog. Er nahm den Hut ab und zog die
-Jacke aus, so heiß war ihm, nicht aber vom
-schnellen Gehen und von der Sonne, sondern
-vor Seligkeit.</p>
-
-<p>Wie war das eigentlich alles gekommen?
-Er saß im Wagen und sie ihm gegenüber; sie
-hielt seine braune Hand in ihren weißen Händen
-und es war, als wenn viele, viele kleine
-rosige Kinderhände ihn streichelten, als sie
-sagte: »So habe ich doch noch Gelegenheit,
-Ihnen meinen Dank für das zu sagen, was
-Sie an mir taten.«</p>
-
-<p>Er hatte gestottert, wie ein Schuljunge, als
-er abwehrte: »Das ist doch nicht der Rede<span class="pagenum"><a id="Page_166">[166]</a></span>
-wert!« Aber sie war rot geworden, hatte
-reizend gelächelt und gesagt: »Sie wissen ja
-gar nicht, was ich meine,« und als er sie verwundert
-fragte, was das sei, da war sie rot
-geworden bis auf die Brust und hatte mit
-niedergeschlagenen Augen geflüstert: »Vielleicht
-später.«</p>
-
-<p>Seine Tischnachbarin zur Linken war von
-ihrem Herrn so in Anspruch genommen, daß
-Lüder sich um sie nicht zu kümmern brauchte,
-und es dauerte gar nicht lange, da stieß die
-junge Frau Freimut ihren Mann an und sagte:
-»Sieh die beiden an; ich glaube, die kennen
-sich schon lange. Herr Gott, gäbe das ein
-schönes Paar!«, worauf ihr Mann erwiderte:
-»Dann würde ich nicht bedauern, an diesem
-Feste teilgenommen zu haben,« und dann rief
-er »Au!«, denn seine Frau hatte ihn auf den
-Fuß getreten und »Ekel!« gesagt.</p>
-
-<p>Lüder und Holde aber vergaßen Essen und
-Trinken, und mehr als einmal stand der Oberkellner
-mit seinem Gehilfen achselzuckend
-hinter dem Paare und sah hilfeflehend zu
-Freimut hin, bis der über den Tisch rief:
-»Volkmann, magst du keine Forellen? Es sind
-Haidjerinnen aus Bienenbüttel!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_167">[167]</a></span></p>
-
-<p>Und Volkmann sah verwirrt um sich, nahm,
-vergaß zu essen und sprach oder hörte zu,
-denn viele Abschnitte ihrer Lebensbücher
-lasen sie zusammen, und als Pastor Wunderlich
-eine so lustige Rede auf die Schwiegermütter
-im allgemeinen und die in diesem
-Falle vorzüglich in Betracht kommenden hielt,
-daß aller Augen an seinem Munde hingen,
-da drückten Lüder und Holde sich unter dem
-Tische die Hände und sie schob ihm ihren Ring
-an den kleinen Finger der linken Hand.</p>
-
-<p>Ein goldener Schein flammte über die
-Lichtung hin; der Pirol war es. Er sah mit
-seinen rubinroten Augen nach dem Bauern,
-schwang sich empor und ließ aus der Krone
-der Fuhre einen goldenen Jubelruf zu dem
-Manne herabklingen, verstummte und jauchzte
-aus der Ferne weiter, während rund umher
-Fink und Meise, Amsel und Drossel und alle
-die anderen vielen Vögel ihre Lieder ineinanderflochten
-und die gelben Zitronenfalter
-so lustig über die hellen Blumen tanzten, wie
-Lüders Erinnerungen über dem Abend, der
-hinter ihm lag.</p>
-
-<p>»Ich bin der allerglücklichste Mensch auf der
-Welt,« sagte er vor sich hin. »Wäre ich wohl<span class="pagenum"><a id="Page_168">[168]</a></span>
-so glücklich, wenn ich nicht so lange Jahre im
-Schatten gegangen wäre?« dachte er. »Sicher
-nicht. Ich wäre bei dem unruhigen Leben in
-der großen Stadt verflacht, hätte mein Herz
-nach und nach verzettelt und wäre schließlich
-ein Geldjäger und Bierphilister geworden.</p>
-
-<p>Den Staub, den ich auf der Seele hatte,
-habe ich mit Unglück und Einsamkeit abgewaschen,
-und nun stehe ich rein da, wenn
-auch nicht vor der Welt, so doch vor ihr, die
-mir von Anbeginn bestimmt war, und darf
-ihren roten Mund küssen, soviel ich lustig bin.«</p>
-
-<p>Ein Zaunkönig setzte sich drei Schritte vor
-ihm auf eine moosige Wurzel am Grabenbord,
-machte ihm einen Diener und sang ihm sein
-lautestes Lied vor.</p>
-
-<p>Lüder lächelte; er hätte auch singen mögen,
-so laut singen, daß der ganze Wald schallte,
-und ein Gebet wäre das Lied, das zum Himmel
-steigen müßte.</p>
-
-<p>Nun war er nicht mehr allein auf dem Hilgenhofe;
-ein Kamerad würde bei ihm sein,
-der im Hause das Leit in der Hand hielt,
-wenn er hinter dem Pfluge ging, und der
-abends, wenn die Arbeit getan war, dafür
-Sorge trug, daß seine Seele nicht auf die<span class="pagenum"><a id="Page_169">[169]</a></span>
-Erde fiel und am Boden kleben blieb, wie
-die bunte Motte, die vor seinen Füßen lag.</p>
-
-<p>Alles, alles hatte er ihr gesagt, als er gestern
-neben ihr saß. Das Wichtigste hatte ihr schon
-Freimut gesagt. Er hatte ihr von der kleinen
-Margerit mit dem großen Herzen erzählt und
-von der Frau, in die er sich als froher Bursche
-verliebte und der sie, Holde Rotermund, so
-sehr ähnlich sähe. Und da hatte sie gefragt:
-»Wie hieß sie?«, und als er sagte: »Frau
-Professor Rödiger,« da sagte sie leise: »Es war
-meine älteste Schwester; sie starb vor vier
-Jahren.«</p>
-
-<p>Und als er ihr erzählte, daß er dann den
-schlechten Abklatsch der Toten, Frau Mehls,
-zu lieben vermeint hatte, und daß er, als ihr
-Mann sie los sein wollte, nachdem er sie abscheulich
-behandelt und dadurch dem Hausfreund
-in die Arme getrieben hatte, in der
-Scheidungsklage unter Eid bestritt, Umgang
-mit ihr gehabt zu haben.</p>
-
-<p>»Sie stehen für mich fleckenlos da,« hatte
-Holde gesagt; »verweigerten Sie den Eid, so
-war die Frau gerichtet, und da Sie sie zu lieben
-glaubten, blieb Ihnen nichts anderes übrig.«</p>
-
-<p>Da hatte er solchen Mut bekommen, daß er,<span class="pagenum"><a id="Page_170">[170]</a></span>
-als der Geistliche die Schwiegermütter als
-lichte Engel abmalte, ihr gestand, daß er seit
-dem Tage, da er ihre Stimme vernahm, kein
-Weib mehr habe schön finden können, und
-sie flüsterte ihm zu, daß auch ihr seine Stimme
-nachgeklungen wäre, wo sie auch war. Und
-da hatten sich ihre Hände unter dem Tische
-Treue gelobt.</p>
-
-<p>Er sah nach der Uhr; es war noch immer
-viel zu früh. Da hatte er noch Zeit, zum
-Gasthof zurückzugehen; er wollte Garberdings
-schreiben, daß er eine Braut gefunden
-habe.</p>
-
-<p>Im Hausflur sagte ihm die Magd, es sei
-ein großes Paket für ihn abgegeben worden, sie
-habe es auf sein Zimmer gelegt. Dabei sah
-sie ihn so an, daß er dachte: »Hier hast du mit
-deinem Taler ein kleines Unglück angerichtet.«</p>
-
-<p>Als er den großen Karton aufmachte, sah
-er zu oberst auf der Verpackung einen Brief
-liegen; die Aufschrift war von Freimut; er schrieb:</p>
-
-<p>»Noch einmal, liebster Lüder, unseren herzlichsten
-Glückwunsch! In Anbetracht der veränderten
-Umstände nehme ich an, daß du für
-deinen hiesigen Aufenthalt die Rustikalität
-ein wenig ablegen mußt. Sintemalen und<span class="pagenum"><a id="Page_171">[171]</a></span>
-alldieweil ich mir nun denke, daß es dir
-ebenso gehen wird wie mir, indem ich niemals
-einen fertigen Anzug bekommen kann,
-denn die Nummer Enak ist heutigen Tages
-aus der Mode gekommen, gestatte ich mir
-kurzhändig und ergebenst, dir die anbeiige
-Kluft zu verehren, die für eine elegantere
-Gestalt mehr geeignet ist als für die mirige.
-Er hängt schon seit einem Jahre im Schranke.
-Verzehre ihn in Gesundheit, desgleichen die
-Anlagen. In vier Wochen will ich auf der
-Osterwiese den Bock schießen; stelle ihn solange
-kalt. Frau Rechtsanwalt Freimut kommt
-mit nach dem Hilgenberge. Handschlag!
-Jochen.«</p>
-
-<p>Volkmann packte aus und schüttelte den
-Kopf: Alles war da, wie es sich für einen
-Stadtmenschen gehört, ein voller Anzug, drei
-Hemden, Kragen, Halsbinden, Manschettenknöpfe
-und sogar farbige Strümpfe.</p>
-
-<p>Der liebe Kerl! Volkmann war ganz gerührt,
-denn so wie er ging, ganz bäuerlich,
-paßte er allerdings schlecht neben Holde auf
-den Asphalt, und einen Anzug, der ihm saß,
-fand er in dem ganzen Nest nicht, das konnte
-er sich denken.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_172">[172]</a></span></p>
-
-<p>Er zog sich schnell um, fand, daß er trotz
-des bartlosen Bauerngesichtes vortrefflich aussah,
-und ging barhaupt die Treppe hinunter,
-denn ein Hutgeschäft war nebenan.</p>
-
-<p>In der Gastzimmertür stand die Magd und
-sperrte die Augen weit auf; der Mann war
-ihr rätselhaft: als Bauer kam er und als
-Graf ging er. Denn so sah er aus bis auf
-den Schwarzdornstock mit dem sonderbaren
-gelben Zeichen darin, das ihr, als sie das
-Bett machte, schon aufgefallen war.</p>
-
-<p>Auch der Kellner in dem Kaffeehause, in
-dem der Bauer tags vorher eingekehrt war,
-riß die Augen sperrangelweit auf, holte die
-Ansichtskarten heraus, die Volkmann hatte
-liegen lassen und sagte, als er am Tresen die
-Bestellung ausführte: »Mir ist schon viel
-passiert, aber so wat noch nich, Fräulein Frida;
-der Herr da mit den drei Durchziehern kam
-gestern als Bauer an und heute sieht er aus
-wie ein richtigjehender Jraf. Haben Sie
-Wörter?«</p>
-
-<p>An einem Tische saß ein Ehepaar, das auch
-am Tage vorher dagewesen war. Er, ein
-dürftiges Männlein von einfacher Eleganz,
-las im Börsenkourier die Kurse, und sie, ein<span class="pagenum"><a id="Page_173">[173]</a></span>
-überüppiges, protzig gekleidetes Weib, sah sich
-die Männer an.</p>
-
-<p>»Siegfried,« sagte sie, »sieh mal, der Bauer
-von gestern, der mit den Schmissen, du weißt
-doch, elegant ist er heute, sag' ich dir!« Siegfried
-knurrte: »Nu, wenn schon! Mathildenhall
-sind schon wieder gefallen. Der verfluchte
-Kali!«</p>
-
-<p>Als Volkmann an der Tür des Hauses, in
-dem Frau Konsistorialrat Freimut wohnte,
-klingelte, lächelte das alte Dienstmädchen
-etwas schelmisch. »Herr Volkmann?« Er
-nickte. »Ich wünsche auch viel Glück! Sie
-möchten im Garten hinter dem Hause doch
-ein wenig warten!«</p>
-
-<p>Er ging um das Haus herum und sah in
-der Laube einen Tisch gedeckt. Dann hörte
-er hinter den Büschen eine Harke im Kiese
-kratzen, und als er seine Augen dahin brachte,
-sah er einen blauen Rock, um den eine weiße
-Schürze wehte, darunter Holzpantoffeln und
-darüber blaue Wollstrümpfe mit weißen Hacken,
-ein rotes Leibchen, kurze weiße Hemdsärmel
-und einen geblümten Helgoländer. So gingen
-die Mädchen in der Haide zum Heuen.</p>
-
-<p>Die Sache kam ihm verdächtig vor; er ging<span class="pagenum"><a id="Page_174">[174]</a></span>
-näher und da drehte sich die Haidjerin um,
-juchte leise auf, warf die Harke fort, nahm
-ihn um den Hals und rief:</p>
-
-<p>»Nun hat man sich angezogen, um neben
-seinen Jungen hinzupassen und da kommt er
-als Stadtjapper an! Ist das rücksichtsvoll?
-Ist das zartfühlend? Ist das nett?«</p>
-
-<p>Sie sah an sich herunter. »Seh' ich nicht
-fein aus?« Er lachte glücklich. »Ja, heute
-morgen um halb acht habe ich schon zu Frau
-Schönewolf geschickt und mir die Sachen
-holen lassen; sie hat sie zu einem Maskenfeste
-getragen. Nun komm aber in die Laube.
-Unsere Gardemama schläft noch; sie hat einen
-kleinen Brummer von gestern.</p>
-
-<p>Wie haben Sie denn geschlafen, mein Herr
-und Gebieter? Gar nicht? Ich prachtvoll,
-nämlich auch nicht; ich habe immer an einen
-Vagelbunden von Gemeindevorsteher denken
-müssen.</p>
-
-<p>Auf deinem Schoß soll ich sitzen? Ja, schickt
-sich das auch? Und wo haben wir uns denn
-von fünf bis jetzt herumgetrieben? Und ich
-sitze hier seit sieben Uhr und hungere mir
-Kringel unter die schönen blauen Augen. Aber
-jetzt hört der Unsinn auf; jetzt wird anständig<span class="pagenum"><a id="Page_175">[175]</a></span>
-gefrühstückt. Keine Faulheit vorgeschützt, das
-gibt es nicht.«</p>
-
-<p>Lüder ließ sie aber so bald nicht los, bis
-sie ernst machte. Dann aß er und hörte zu,
-wie ihre Stimme um ihn war, und ihr fröhliches
-Kinderlachen, und ließ sich nötigen, denn das
-verstand sie, wie eine Bäuerin. »Na, dann
-hiervon wenigstens noch ein bißchen; die Wurst
-ist ganz frisch. Oder vielleicht Schinken? Aber
-ein paar Radieschen doch noch? Wie wäre
-es mit etwas Kräuterkäse? Oder ist dir Rahmkäse
-lieber? Von der Knackwurst hast du noch
-gar nichts genommen! Und der Lachs ist großartig.
-Ach, Bengel, wenn du gar nichts ißt,
-dann macht das ganze Verloben keinen Spaß.«
-Und sie saß wieder auf seinem Schoße und ließ
-sich küssen.</p>
-
-<p>»Weißt du,« flüsterte sie, »eigentlich darf ich
-es gar nicht sagen, denn es ist zu unpassend:
-ich habe sehr oft gedacht, wie es wohl wäre,
-wenn du mich küssen würdest. Und nun sprich,
-daß ich deine Stimme höre, die ich nicht wieder
-vergessen konnte, und um derentwillen ich einen
-Gutsbesitzer, Witwer mit zwei Kindern, aber
-sonst noch ganz gut erhalten, samt seinem Rittergute
-habe abfahren lassen. Und daß ein königlich<span class="pagenum"><a id="Page_176">[176]</a></span>
-preußischer Regierungsrat acht Tage lang an
-Weltschmerz bettlägerig war, daran hat dieser
-Bauer hier auch schuld.</p>
-
-<p>Junge, ist das eine merkwürdige Geschichte
-mit uns: ich denke an dich und du an mich
-die ganzen drei Jahre; er fährt Mist und
-pflügt, und ich hacke vor Elend Kartoffeln
-und füttere das Federvieh, und so richtet sich
-der eine nach dem anderen und kein einer
-weiß etwas davon.</p>
-
-<p>So, hier hast du eine Zigarre; ich ziehe
-mich um und dann gehen wir zum Promenadenkonzert.
-Hast du mir auch einen Veilchenstrauß
-mitgebracht? Ohne Veilchenstrauß geht
-hier keine anständige Braut zum ersten Male
-mit ihrem Bräutigam über die Straße.«</p>
-
-<p>Sie klapperte mit ihren Holzpantoffeln den
-Steinweg hinunter, und Lüder sah ihr nach,
-bis sie hinter dem dunklen Eibenbusch verschwand.
-Dann sah er seine Schuhe an, seinen
-Anzug, seinen Hut und schüttelte den Kopf,
-denn er meinte immer noch, daß er träumte.
-Er fütterte die Buchfinken mit Krümchen,
-streute den Goldfischen zerriebene Brotrinde
-in das Becken und ging schließlich ungeduldig
-auf und ab, bis ihm ein langer Aktenumschlag<span class="pagenum"><a id="Page_177">[177]</a></span>
-vor die Füße flog, auf dem zu lesen war:
-»An den Herrn Gemeindevorsteher Volkmann,
-genannt Hilgenbur zu Hilgenhof bei Reethagen
-dahinten in der Haide,« und in der linken Ecke
-stand »Kußpflichtige Dienstsache«, und in dem
-Briefe »Im Rosengarten will ich deiner warten,
-im grünen Klee, im weißen Schnee.« Da ging
-er um das Haus und sah sie ganz in weiß auf
-dem Rasen zwischen den Rosenstöcken stehen.</p>
-
-<p>Er gab ihr den Arm und ging mit ihr erst
-in einen Blumenladen, denn auf ihren Veilchenstrauß
-bestand sie, und dann am Promenadenkonzert
-vorbei zum Walde; und alle Leute
-sahen ihnen nach, ihm die Frauen und ihr die
-Männer.</p>
-
-<p>Aber sie sahen von den Menschen nichts und
-von der Musik hörten sie auch nicht viel, denn
-Lüder sagte: »Weißt du, Holde, wie mir zu
-Sinne ist? Als gingen wir über die Haide
-und alle Haidlerchen sängen.«</p>
-
-<p>Sie nickte: Ȇbermorgen sollen sie das: ich
-will den Hilgenhof sehen!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_178">[178]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Fasan">Der Fasan.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Die Hochzeit fand am Tage der Sommersonnenwende
-statt; sie wurde bei Garberding
-gefeiert.</p>
-
-<p>Die beiden alten Leute hatten sich erst ein
-bißchen verjagt, als Lüder mit Holde vorgefahren
-kam, denn sie meinten, sie würde
-sich nicht in die bäuerische Art schicken.</p>
-
-<p>Nach einer Stunde aber waren sie schon
-anderer Ansicht; sie fanden bald heraus, daß
-das Mädchen das ländliche Hauswesen gut
-kannte, denn sie war auf dem Dorfe groß
-geworden und hatte auch späterhin viel auf
-dem Lande gelebt.</p>
-
-<p>»Weißt du was,« sagte Garberding, der
-ordentlich auflebte, seitdem sie auf dem Hofe
-war, am dritten Tage, »was ich dir vorschlagen
-möchte? Du hast nach keinem Menschen<span class="pagenum"><a id="Page_179">[179]</a></span>
-was zu fragen; bringe alles, was du hast,
-zu uns, bis ihr freit. Das ist für Volkmann
-gut und für dich auch, denn von unserer
-Mutter lernst du dann, wie es hier zugeht.
-Jedes Land hat seine Eigenheiten, und wo
-einer wohnt, da muß er sich nach dem andern
-richten. Du lernst dann auch so nach und nach
-die Leute hier kennen, besser noch, als wenn
-du erst da hinten auf dem Hilgenhofe bist.
-Platz ist eine Masse für dich da, und du kannst
-es dir einrichten, wie du es gewohnt bist.«</p>
-
-<p>»Mit tausend Freuden nehme ich das an,
-Vatter Garberding,« sagte das Mädchen, »ich
-hatte das gleich gewünscht. Vor Oktober
-wollte ich ja sowieso keine Stelle wieder annehmen,
-sondern bei einer Freundin bleiben,
-die mich schon lange eingeladen hat. Daraus
-kann nun nichts werden, denn es ist mir zu
-wichtig, zu lernen, wie man sich hier zu den
-Leuten stellen muß. Ich war erst auf einem
-Gute in Westfalen, wo die Frau kränklich
-war; da war ganz leicht mit den Diensten
-umzugehen, wenn sie auch etwas dickköpfig
-waren; nur freundlich mußte man sein, nicht
-befehlen, sondern anordnen. Dann, als das
-Gut verkauft wurde, ging ich nach dem<span class="pagenum"><a id="Page_180">[180]</a></span>
-Posenschen; da war es ganz anders: mit
-Freundlichkeit kam man mit dem Volke da
-nicht aus; da mußte man kurz sein und den
-Herrn zeigen, sonst blieb die Arbeit liegen.«</p>
-
-<p>Sie reiste ab und kam nach ein paar Tagen
-wieder. »So,« rief sie, »nun kann die Nähersche
-kommen; ich habe mir alles besorgt, wie es
-sich für eine richtige Bauersfrau gehört. Aber
-ich sage euch, Augen haben sie gemacht beim
-Kaufmann! Beinahe so, wie in der Stadt,
-denn bei Frau Freimut klingelte es den ganzen
-Tag und dann ging es los: Liebes Fräulein,
-haben Sie sich das auch überlegt? Sie mit
-Ihrer Bildung und ein gewöhnlicher Bauer.
-Das tut nicht gut.«</p>
-
-<p>Wie Volkmann im vorigen Sommer, so war
-sie jetzt morgens die erste, die aus dem Bette
-sprang, und wenn Frau Garberding in die
-Küche kam, war der Kaffee schon fertig.
-»Mädchen,« sagte die alte Frau, »du bist unser
-Besuch und arbeitest wie eine Magd?«</p>
-
-<p>Holde hielt ihr die Hände vor das Gesicht:
-»Sieht man es ihnen an? So laß mir mein
-Vergnügen; wenn ich nicht überall zufasse,
-lerne ich nichts.«</p>
-
-<p>Sie ging mit auf die Weide und melkte zur<span class="pagenum"><a id="Page_181">[181]</a></span>
-Verwunderung der Mägde, als wenn sie nie
-etwas anderes getan hätte, sie half im weißen
-Fluckerhut, roten Leibchen und blauen Rock
-beim Heumachen, sie hackte das Gemüse im
-Garten und wandte die Wäsche auf der Bleiche
-und abends saß sie mit dem Strickstrumpfe
-in der Hand mit Lüder und dem Bauern
-vor der Türe, denn Lüder kam jedweden
-Abend.</p>
-
-<p>»Junge,« sagte der alte Bauer zu ihm, »Junge,
-du kannst lachen. So 'ne Frau wie die!«</p>
-
-<p>Ob Volkmann wollte oder nicht, die Hochzeit
-wurde bei Garberding gefeiert. »Wir haben
-nicht Kind und Kegel und wollen auch unser
-Vergnügen haben,« meinte Frau Garberding.</p>
-
-<p>Es war keine große Hochzeit, denn es war
-in der Heuezeit und die Brautleute hatten
-keinen Anhang im Dorfe, und außer Freimut
-und seiner Frau waren keine Fremden eingeladen,
-aber es war eine lustige Hochzeit,
-darüber waren alle einer Meinung, und noch
-wochenlang nachher gnickerte mancher sauertöpfische
-Bauer vor sich hin, wenn er an die
-Rede dachte, die der lange Rechtsanwalt gehalten
-hatte. So eine Rede hatte noch keiner
-gehört, denn was er von Bauernart und<span class="pagenum"><a id="Page_182">[182]</a></span>
-Bauernstolz und Bauernarbeit sagte, das ging
-den Leuten glatt herunter.</p>
-
-<p>»Mein Lieber,« stöhnte der Anwalt einige
-Zeit später, »mit meiner Rede auf deiner
-Hochzeit habe ich mir schön was an die
-Hacken gehängt! Ich habe schon sowieso
-genug zu tun, und nun kommt mir noch euer
-ganzes Kirchspiel mit seinen Prozessen. Wenn
-das so fortgeht, muß ich wahrhaftig die Jagd
-zur nebenamtlichen Beschäftigung machen.«</p>
-
-<p>Er kam jetzt meist mit seiner Frau. »Weißt
-du,« sagte sie eines Tages zu Holde, »das,
-was man Flitterwochen nennt, das hast du
-nicht kennen gelernt. Na, ich ja auch nicht.
-Ganze acht Tage waren wir im Harz, da
-hatte Jochen es satt, das heißt, das Gasthausleben.
-Und wer weiß, wozu es gut ist. Ich
-habe eine Freundin, die leistete sich ein ganzes
-Flittervierteljahr, denn sie hatte es dazu. Na,
-die haben auf Vorrat geküßt, denn jetzt ist
-er das ebenso leid wie sie. Ihr Bauern seid
-darin vernünftiger. Weißt du, was Jochen
-neulich sagte? Wenn es ein Junge wird, und
-das will ich hoffen, dann soll er nicht auf dem
-Asphalt hinter dem dreckigen Groschen herlaufen;
-Bauer soll er werden.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_183">[183]</a></span></p>
-
-<p>Als Freimut ankam, legte er seiner Frau
-die Hände auf die Schultern und sagte: »Rate
-einmal, was du heute geworden bist?«</p>
-
-<p>Sie sah ihn verwundert an und er lachte:
-»Anbauersfrau! Ich habe Garberding das
-dumme Stück Abland, wie er immer sagt, da
-zwischen Bruch und Haide abgekauft. Wie
-stehe ich jetzt da? Nun wird da eine Häuslingswohnung
-hingebaut und da verleben
-wir hinfüro die Zeit, in der ich keine Männerreden
-vor Gericht zu schmettern und zu Hause
-keine Akten durchzuwurzeln habe.</p>
-
-<p>Die Sache ist nämlich die: solange ich lebe
-und eine Knarre schleppen kann, behalte ich
-Garberdings und Lüders Jagd und die andere
-hoffentlich auch noch. Nun wird erst höchst
-eigenhändig der Busch gerodet und ein Obstgarten
-angelegt und Forellen- und Karpfenteiche
-gebuddelt und so nach und nach wird
-das dann deine Sommerfrische, und dann
-habe ich doch immer einen vernünftigen Grund,
-zur Jagd zu gehen, und Oldwig kann zu
-Hause Aktenstaub schlucken.</p>
-
-<p>Im April geht die Bauerei los, und die
-Grundsteinlegung wird schauderhaft festlich
-mit Flaschenbier und selbstgeschlachteten Würsten<span class="pagenum"><a id="Page_184">[184]</a></span>
-gefeiert. Und auf meine Namenskarte
-lasse ich jetzt drucken: Jochen Freimut, Anbauer,
-Jagdidiot und im Nebenamt Rechtsverdreher.«</p>
-
-<p>Es wurde auch eine sehr lustige Feier, aber
-der Hilgenbauer war nur eine Stunde dabei
-und seine Frau gar nicht, denn sie hatte ihm
-am Morgen dieses Tages Zwillinge geschenkt,
-einen Jungen und ein Mädchen.</p>
-
-<p>»Hochgeöhrte Anwesende, geliebte Festgenossen,
-werte Gäste,« hatte Freimut seine Rede
-angefangen, »der augenblickliche Tag ist bedeutungsvoll
-für uns. Zum ersten, weil wir
-hier den Grundstein zu dem Hause legen, in
-dem hoffentlich einst mein ältester und vorläufig
-einziger Sohn Lüder etwas Vernünftigeres
-treiben wird als sein die Natur mit Pulverdampf
-erfüllender Vater; zum zweiten besteht
-die Familie Volkmann seit fünf Uhr dreißig
-Minuten heute früh aus vier Köpfen, sintemal
-und alldieweil der Adebar zweimal geflogen
-kam, wie das, wie man bei Ramakers gesehen
-hat, dort das übliche zu sein scheint. Gehet
-hin und tuet desgleichen, so daß man nach zehntausend
-Jahren noch singen kann, Musik!!:
-Deutschland, Deutschland über alles!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_185">[185]</a></span></p>
-
-<p>Als Freimut hinterher zum Hilgenhofe ging,
-denn er mußte den Abend noch abreisen, fand
-er Garberdings da. Die alten Leute waren
-selig, und besonders die Bäuerin lachte und
-weinte durcheinander und sagte in einem fort:
-»Jetzt bin ich doch noch Großmutter geworden!«</p>
-
-<p>Und sie wurde die Großmutter, und es verging
-kaum ein Tag, daß der Garberdingsche
-Wagen nicht angefahren kam, und war das
-Wetter schön, so konnte man darauf rechnen,
-daß auch Garberding mitkam, denn der Bauer
-mußte sich sehr vorsehen.</p>
-
-<p>»Mit mir ist nicht mehr viel Staat zu machen,«
-sagte er zu Volkmann, »wenn ich den Winter
-noch überstehe, so ist es ein Wunder. Es
-schadet auch nichts; ich kann mit meinem Leben
-zufrieden sein; fünfundsechzig bin ich, das ist
-ein schönes Ende.</p>
-
-<p>Und nun will ich dir was sagen, mein
-Junge: sieh mal, Kinder haben wir beide nicht,
-Trina und ich, und was wir an Verwandtschaft
-haben, das ist so weitläufiger Art, daß
-wir da nichts von wissen, und wir beide sind
-ja auch noch verwandt miteinander. Deswegen
-habe ich das mit unserer Mutter so
-abgemacht: du sollst meinen ganzen Hof haben<span class="pagenum"><a id="Page_186">[186]</a></span>
-mit allem, was drum und dran ist, und das
-bare Geld, das nicht ganz wenig ist, kann bis
-auf einiges, das ich anderer Weise verwenden
-will, die Verwandtschaft kriegen.</p>
-
-<p>Ich bin noch nicht fertig; hör zu; der Tormannshof,
-auf den ich geheiratet habe, hat
-ein großes Stück von dem Hilgenhofe zu sich
-herübergezogen, denn als dein Großvater
-starb und hinterher der Anerbe, verkaufte
-dein Oheim, weil er doch in der Stadt sein
-Geschäft hatte, dreihundert Morgen an meinen
-Schwiegervater, während dein anderer Ohm,
-der Professor, das andere bekam. Unsere
-Mutter und ich sind beide in demselben Augenblick
-auf diesen Gedanken gekommen.«</p>
-
-<p>Der Hilgenbauer hatte einen ganz roten
-Kopf bekommen. »Ich kann das so ohne
-weiteres nicht annehmen, Garberding,« versetzte
-er, »ein solches Geschenk. Einmal wird
-mir das Mißgunst schaffen im Dorfe, und dann,
-ob Ihr mit Eurer Verwandtschaft auch noch so
-weit auseinander seid, Verwandtschaft bleibt
-Verwandtschaft. Bedenke, sie könnte mir Erbschleicherei
-vorwerfen.</p>
-
-<p>Und schließlich, meine politischen Ansichten
-stehen dem auch entgegen. Ich hätte dann<span class="pagenum"><a id="Page_187">[187]</a></span>
-weit über tausend Morgen, und das ist zu viel.
-Großgrundbesitzer haben wir mehr als genug,
-was uns fehlt, das sind Bauern. Ein Musterwirt
-von Gutsbesitzer ist nicht so viel wert
-für die Erhaltung der deutschen Volkskraft
-als zehn Kleinbauern, die nach der alten Art
-wirtschaften. Er kann zehn Kinder haben
-meinetwegen, dann haben aber die zehn
-Bauern hundert.</p>
-
-<p>Wenn du mir etwas Land schenken willst
-von unserem alten Besitz, so danke ich dir herzlichst
-im Namen meines Jungen; aber alles
-kann ich nicht annehmen.«</p>
-
-<p>Acht Tage später kam der Großknecht vom
-Garberdingschen Hofe angeritten; der Bauer
-war in der Nacht gestorben. Ganz sanft war
-er hinübergegangen. Die Bäuerin war sehr
-gefaßt: »Es ist hart für mich,« seufzte sie,
-»aber ich sah es ja kommen. Zu guter Letzt
-sagte er noch: ›Mutter, nun bist du doch nicht
-allein, wo du die Kinder hast.‹ Und das ist
-auch mein Trost.«</p>
-
-<p>Sie gab den Hof in Pacht und zog auf den
-Hilgenhof. »Verzieh mir die Kinder nicht so,
-Großmutter,« mußte Frau Volkmann jeden
-Tag wohl dreimal sagen, denn den ganzen<span class="pagenum"><a id="Page_188">[188]</a></span>
-Tag war Frau Garberding mit den Kleinen
-zu Gange, und als nach zwei Jahren noch ein
-Junge da war, da war sie ganz glücklich.</p>
-
-<p>»Wenn das unser Vater noch <span id="corr188">erlebt</span> hätte,«
-rief sie, lachte listig in sich hinein und fuhr,
-sobald Holde sich wieder helfen konnte, zur
-Stadt.</p>
-
-<p>Fünf Jahre lebte sie noch auf dem Hofe,
-bis ihr an einem Maiabend die Luft wegblieb.
-»Die Kinder,« stöhnte sie, und man brachte
-sie zu ihr.</p>
-
-<p>Sie strich jedem über den Kopf und lächelte
-müde. Noch einmal hob sie den Kopf: »In
-der Beilade!« Um ihren Mund stand ein verschmitztes
-Lächeln, ehe sie verschied.</p>
-
-<p>Als nach dem Begräbnis Frau Volkmann
-die Beilade der Toten aufschloß, fand sie oben
-auf dem Sonntagszeuge einen Brief, dessen
-Aufschrift lautete: An Lüder Volkmann; er
-enthielt eine Abschrift der Erbverschreibung,
-wonach Katharina Hermine Magdalene
-Garberding vormalige Tormann nach dem
-Willen ihres Mannes ihren gesamten Besitz
-und was dazugehörig war an Lüder Volkmann
-vermachte. »Doch,« so hieß es am
-Schlusse, »soll er nicht gehalten sein, alles zu<span class="pagenum"><a id="Page_189">[189]</a></span>
-behalten, vielmehr darf er mit Ausnahme der
-dreihundert Morgen, die vordem beim Hilgenhofe
-waren, darüber frei verfügen.«</p>
-
-<p>Frau Volkmann wurde blaß, als sie das
-Schriftstück las. »Lieber Lüder,« sagte sie, »das
-geht doch nicht. Wer weiß, ob nicht unter
-den Verwandten von unserer Großmutter
-Leute sind, die es sehr nötig haben.«</p>
-
-<p>Ihr Mann nahm sie in den Arm: »Das
-freut mich, Holde, daß du auch so denkst;
-genau dasselbe habe ich zu Garberding gesagt,
-als er mir kundgab, daß er uns seinen Hof
-hinterlassen wolle. Wir wollen uns nach der
-Verwandtschaft umsehen; vielleicht ist einer
-darunter, der auf den Hof paßt.«</p>
-
-<p>Als es im Dorfe bekannt wurde, daß der
-Vorsteher den ganzen Tormannschen Hof
-geerbt habe, gab es erst ein großes Gerede,
-aber als es sich herumsprach, daß Volkmann
-nur die dreihundert Morgen behalten wolle,
-das andere aber bis auf ein Stück, das der
-Rechtsanwalt Freimut zukaufen wollte, an
-einen aus der Garberdingschen Verwandtschaft
-hingeben wolle, da war das Gerede
-noch größer, und hatten etliche Leute erst angedeutet,
-daß Volkmann es schlau angefangen<span class="pagenum"><a id="Page_190">[190]</a></span>
-habe, um das Erbe zu bekommen, so taten
-dieselben Männer jetzt so, als wenn er nicht
-alle fünf Sinne beieinander habe.</p>
-
-<p>Er aber kümmerte sich weder um die feindlichen
-noch um die mitleidigen Blicke und
-beauftragte Freimut, Erkundigungen über die
-Verwandtschaft einzuziehen.</p>
-
-<p>Über ein Jahr ging darauf hin; schließlich
-fand der Anwalt heraus, daß am Rhein eine
-Fuhrmannswitwe Tormann lebte, deren
-ältester Sohn ein tüchtiger Bauernknecht sein
-sollte.</p>
-
-<p>Sobald er konnte, reiste Freimut hin, und
-als er wiederkam, meinte er: »Das ist der
-richtige; ein Kerl wie ein Baum, Augen wie
-ein Kind, Fäuste wie ein Hausknecht und
-ein Herz wie ungemünztes Gold. Die Leute
-können eben leben; es sind noch zwei Mädchen
-da, eine von vierzehn und eine von siebzehn
-Jahren, ganz prächtige Mädels, und die
-Mutter ist auch so. Ich habe natürlich nicht
-gesagt, um was es sich handelt, ich sagte nur,
-daß sie von dem baren Gelde geerbt hätten;
-wieviel es wäre, wüßte ich nicht. Da sagte
-der älteste, Hermann heißt er: ›So viel ist es
-wohl nicht, daß wir uns ein paar Morgen<span class="pagenum"><a id="Page_191">[191]</a></span>
-Land kaufen könnten; hier ist billig etwas zu
-kriegen.‹ Den Mann nimm, Lüder. So, und
-wo ist der Bock, den du mir währenddem
-ausmachen wolltest?«</p>
-
-<p>Volkmann meinte, das ließe sich wohl hören,
-es sei nur fraglich, ob ein Rheinländer sich
-bei ihnen eingewöhnen werde. Als er nachher
-mit Freimut durch das Bruch ging, um ihm
-zu zeigen, wo der Bock stand, traten sie ein
-beflogenes Gesperre Fasanen heraus, und da
-sagte Freimut: »Siehst du, du meintest zuerst,
-die Fasanen würden verstreichen; dieses hier
-aber ist das sechste Gesperre, das wir jetzt
-haben. Meinst du noch, daß Hermann Tormann
-sich hier nicht hineinfinden wird?«</p>
-
-<p>Er behielt recht; Hermann Tormann kam
-angereist, als ihm geschrieben wurde, er solle
-unter Umständen den Hof haben, doch müsse
-er erst ein Jahr Knecht auf dem Hilgenhofe
-sein, was er ganz richtig fand. Er war allerhand
-anders gewöhnt, aber er fand sich schnell
-in die landesübliche Weise, und da er freundlich
-und von sinniger Art war, stellte er sich gut
-mit den jungen Leuten aus dem Orte, mit
-denen er aber nicht viel zusammenkam, da
-er von sich aus keine Wirtschaften besuchte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_192">[192]</a></span></p>
-
-<p>Als das Jahr um war, rief der Bauer ihn
-in die Dönze. »Du bist mir ein guter Knecht
-gewesen, Hermann,« sagte er, »dein Jahr ist
-um und hier ist der Lohn, den du noch zu
-bekommen hast. Morgen fährst du nach Hause
-und holst deine Mutter und deine Schwestern;
-unterdessen trete ich dir den Tormannschen
-Hof ab, das heißt nicht ganz. Du weißt, die
-Koppeln im Rodewischen sind so abgelegen, daß
-sie immer verpachtet werden mußten; die
-will ich Ramaker als Anbauerstelle geben.
-Er hat die Jahre so viel für mich getan, daß
-ich das mit Geld gar nicht gutmachen kann.
-Und jetzt, Tormannsbur, hier ist der Stock
-vom alten Garberding, den er immer trug
-und den ihm sein Schwiegervater gab; der
-ist jetzt dein, und das Zeichen darin, das ist
-jetzt deine Hausmarke. Und nun reise gut
-und grüße deine Mutter und die Schwestern.«</p>
-
-<p>Es dauerte einen Monat, ehe Tormann zurückkam,
-denn, wie er schrieb, mußte seine
-Mutter erst ihr Häuschen mit dem bißchen
-Land und den Hausrat zu Geld machen,
-ohne es zu verschleudern. Es war so, wie
-Freimut gesagt hatte; die Frau und ihre Töchter
-gefielen Volkmann von Anbeginn; sie machten<span class="pagenum"><a id="Page_193">[193]</a></span>
-keine großen Worte, aber man sah es ihnen
-an den Augen an, wie glücklich sie waren.</p>
-
-<p>Am allerseligsten aber waren Ramakers.
-Der Häusling sagte gar nichts, als ihm der
-Bauer den Besitzschein für die Anbauerstelle
-übergab; er wurde weiß um die Nase und
-setzte sich auf den Hackklotz. Aber als er sich
-etwas erholt hatte, war sein erstes, daß er
-fragte: »Wo willst du jetzt aber einen neuen
-Häusling herkriegen?«</p>
-
-<p>Seine Frau saß auf der Deele auf der Eimerbank
-und lachte und weinte durcheinander.
-»Denn,« sagte sie, »mit Lustigkeit alleine komme
-ich darüber nicht weg.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_194">[194]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Lerche">Die Lerche.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Seitdem Frau Holde auf dem Hilgenhofe
-war, hatte sich der Bauer in der schlechten
-Jahreszeit wieder an seine Arbeit gemacht
-und seine Quintärfauna von Deutschland in
-einer wissenschaftlichen Zeitung erscheinen
-lassen.</p>
-
-<p>Die Arbeit machte großes Aufsehen, und in
-dem führenden Fachblatte wurde sie die wichtigste
-zoo-geographische Arbeit aus der deutschen
-Fauna genannt, die in den letzten fünfzig
-Jahren erschienen wäre.</p>
-
-<p>Neben der Beschäftigung mit dieser Arbeit
-hatte der Bauer den Stoff für eine andere
-gesammelt, in der er die Veränderungen darstellen
-wollte, die die höhere Tierwelt des
-Gaues von den ältesten Zeiten bis auf seine
-Tage erfahren hatte, doch kam er davon ab,
-als er die Einzelheiten aus der Literatur,<span class="pagenum"><a id="Page_195">[195]</a></span>
-die ihm der naturwissenschaftliche Verein zu
-Bremen beschaffte, und aus allerlei Akten
-zusammensuchte, und aus den alten Leuten
-in der Gegend herausfragte, und auf einen
-anderen Gedanken.</p>
-
-<p>Der Name seines Hofes und die Tatsache,
-daß die gewaltige Eiche, die mit den dreihundert
-anderen dort stand, nicht unter die
-Axt gekommen war, hatten ihn auf die Vermutung
-gebracht, daß es mit dem Hilgenhofe
-eine besondere Bewandtnis haben müsse.</p>
-
-<p>Als er Thöde Volkmanns Bücher durchsuchte,
-fand er darunter einen mühsam zusammengebrachten
-Stammbaum der Hilgenbauern,
-der zwar einige kahle Stellen
-aufwies, aber weit zurückreichte, und in demselben
-Hefte eine Menge Aufzeichnungen über
-die Geschichte des Hofes und der Besitzer,
-sowie in einem Fache des Schrankes alle
-Literatur, in denen der Hilgenhof und Reethagen
-vorkamen.</p>
-
-<p>Der Hilgenbauer fühlte sich mit seinem Hofe
-so sehr verwachsen, daß er selbst schon allerlei
-über ihn und seine Besitzer zusammengetragen
-hatte; er forschte weiter nach, wo er irgendwelche
-Urkunden, Akten und Aufzeichnungen<span class="pagenum"><a id="Page_196">[196]</a></span>
-vermutete und trug alles in das grüne Heft
-seines Ohms ein; dann zog er daraus den
-Stammbaum und trug ihn in einen starken
-Band mit Lederdeckel ein, den er eigens zu
-diesem Zwecke gekauft hatte und der das
-Hausbuch der Hilgenbauern werden sollte und
-davor in knapper Fassung die Geschichte des
-Hilgenhofes und seiner Besitzer, und die
-Bäuerin, die sehr gut zeichnete und malte,
-fügte Bilder von dem Hause, dem alten Wahrbaume,
-dem Hilgenberge, dem Grasgarten
-und dem Fleet hinzu und ihre, ihres Mannes
-und der Kinder Abbildungen.</p>
-
-<p>Lüder hatte schon auf der Lateinschule sehr
-viel gelesen und auf der Hochschule und später
-noch mehr; jetzt las er nur ganz selten noch
-und eigentlich nur solche Bücher, die sich mit
-der Geschichte der Heimat und ihrem Volke
-beschäftigten, schöne Literatur dagegen gar nicht.</p>
-
-<p>Dadurch kam er ganz zu sich selbst und
-lenkte seine Gestaltungskraft, die fortwährend
-in ihm arbeitete und die in den letzten Jahren
-ganz von der Arbeit für den Hof mit Beschlag
-belegt war, nicht ab, sondern speicherte einen
-großen Vorrat davon in sich auf.</p>
-
-<p>Als ihm nun beim Holzabfahren in der<span class="pagenum"><a id="Page_197">[197]</a></span>
-Wohld ein Stamm den rechten Fuß so schwer
-gequetscht hatte, daß der Arzt ihm für lange
-Wochen Liegen verordnete, fühlte er sich sehr
-unbequem, denn mit dem Lesen von Büchern
-konnte er seiner Unruhe nicht Herr werden.</p>
-
-<p>»Schreibe deine Gaufauna fertig,« riet ihm
-seine Frau, und sie beschaffte ihm ein Pult,
-das an das Bett geschraubt wurde. Er begann
-zu schreiben, aber während er bei der
-Einleitung war, in der er das Land schilderte,
-wie es zu den Zeiten ausgesehen haben mochte,
-als noch Urochs, Bär, Adler und Uhu dort
-lebten, traten, je weiter er kam, immer mehr
-die Menschen vor ihn, während das Getier
-zurückwich.</p>
-
-<p>Er klagte seiner Frau sein Leid, aber sie
-sagte ihm: »Die Hauptsache ist, daß du dir
-die Zeit vertreibst. Die Tiere laufen dir nicht
-fort, und wenn sich die Menschen vordrängen,
-so werden sie wohl ihre Ursache dazu haben.
-Das, was du bis jetzt geschrieben hast, ist
-sehr schön.«</p>
-
-<p>So tat er, was er mußte, ließ den Hilgenhof
-entstehen, schilderte die Schicksale der Leute,
-die darauf saßen, und als er in kurzen Zügen
-die alte Zeit dargestellt hatte, langte er bei<span class="pagenum"><a id="Page_198">[198]</a></span>
-Helmold Hilgen an, der während des Dreißigjahreskrieges
-lebte und dessen zweiter Sohn
-Hennecke, der herzoglicher Amtsschreiber war,
-ein Heft mit Aufzeichnungen über das, was
-ihm sein Vater erzählt hatte, hinterließ.</p>
-
-<p>Dadurch bekam Lüder Boden unter die Füße,
-so daß er weiterkommen konnte bis zu Henning
-Volkmann, der auf den Hilgenhof heiratete
-und zur Zeit des ersten Napoleon lebte. Das
-war ein ausnehmend gescheiter Mann; er
-hatte ein Tagebuch über alle wichtigen Geschehnisse
-auf dem Hofe und im Kirchspiele
-geführt und immer die großen Zeitereignisse
-dabei bemerkt, soweit sie Einfluß auf den Hof
-hatten, auch seine eigenen Gedanken dabei
-nicht vergessen, die er sich darüber gemacht
-hatte.</p>
-
-<p>Da nun ein Schillscher Offizier, der lange
-mit einer schweren Wunde auf dem Hilgenhofe
-lag, sowohl den Bauern als die Bäuerin und
-die Kinder als Schattenrisse in das Heft hineingezeichnet
-hatte, auch auf zehn Seiten in
-trefflicher Weise das Leben auf dem Hofe beschrieben
-hatte, so hatte Lüder diesen seinen
-Ahnen sichtbar vor Augen und konnte nicht
-eher von ihm fortkommen, als bis er in zehn<span class="pagenum"><a id="Page_199">[199]</a></span>
-Schreibheften das ganze Leben dieses ausgezeichneten
-Bauern, der ein Mehrer des
-Hofes und fünfzig Jahre lang Bauernvogt
-war, beschrieben hatte.</p>
-
-<p>In vier weiteren Heften schloß sich der
-Niedergang des Hofes an, bis im fünfzehnten
-und letzten Hefte die beiden letzten Volkmanns,
-der weltflüchtige Gelehrte Thöde und Lüder,
-der Landstreicher, den Beschluß bildeten.</p>
-
-<p>Es war Ende Februar, als der Bauer mit
-der Geschichte des Hofes zu Rande war. Sein
-Fuß hatte sich sehr gebessert, zumal er sich während
-des Schreibens ruhig verhalten hatte,
-denn je mehr er schrieb, um so ruhiger wurde
-es in ihm.</p>
-
-<p>Er gab die fünfzehn Hefte der Bäuerin; sie
-las sie trotz der engen Schrift in einem Zuge
-durch, faßte seinen Kopf mit beiden Händen,
-gab ihm einen Kuß und sagte: »Das kannst
-du mir schenken, es ist wundervoll.« Er nickte,
-und als sie weiter fragte: »Darf ich damit
-machen, was ich will?« nickte er wieder und
-sagte: »Gewiß, Holde, was du willst!«</p>
-
-<p>Da die Sonne warm schien, hatte er Lust,
-nach draußen zu gehen, denn bis dahin war
-er nur im Hause auf und ab gegangen. Die<span class="pagenum"><a id="Page_200">[200]</a></span>
-Bäuerin gab ihm den Arm und führte ihn in
-den Garten, wo in der Alpenanlage, die Thöde
-Volkmann angelegt hatte, allerlei frühe Blumen
-blühten, und von da bis zum Ende des Grasgartens,
-weil dort die Vormittagssonne am
-wärmsten war.</p>
-
-<p>Als sie auf die Saat sahen, die vortrefflich
-durch den Winter gekommen war, flog aus
-dem dichten Grün die erste Lerche hoch, stieg
-auf und sang. »Ich habe es gut getroffen,
-Holde,« sagte der Bauer, »gleich beim ersten
-Schritte vor das Haus singt mir die Lerche
-zu.« Seine Frau nickte lächelnd; sie hatte ihre
-eigenen Gedanken.</p>
-
-<p>In der Folge, als Lüder wieder mehr draußen
-war, um nach den Knechten zu sehen, denn
-er hatte jetzt drei Knechte außer dem neuen
-Häusling Lüdeke, mit dem er es gut getroffen
-hatte, saß die Bäuerin jeden Tag und schrieb
-die Geschichte des Hilgenhofes sauber ab, und
-wenn ihr Mann sie dabei antraf und sie fragte,
-warum sie sich soviel Mühe gäbe, dann sagte
-sie lächelnd: »Du hast gesagt, ich kann damit
-machen, was ich will.«</p>
-
-<p>Wenn aber Freimut zur Jagd da war und
-sich auf dem Hofe sehen ließ, dann hatte sie<span class="pagenum"><a id="Page_201">[201]</a></span>
-immer Wichtiges mit ihm zu reden; manchmal
-steckte er ihr auch einen Brief zu, und als
-Lüder das einmal bemerkte, lächelte seine Frau
-ganz so, wie damals Mutter Garberding gelächelt
-hatte, als sie sich zur Kreisstadt fahren
-ließ, um ihre Erbverschreibung aufsetzen zu
-lassen.</p>
-
-<p>»Es ist ein gesegnetes Jahr,« meinte der
-Bauer, als sie die Deele zum Erntebier rüsteten.</p>
-
-<p>Die Frau stimmte ihm mit den Augen zu,
-aber sie dachte nicht an die Ernte, die auf
-dem Felde gewachsen war, und nicht an die
-Gartenfrüchte und an die Obstbäume, die sich
-alle tief bückten, noch weniger.</p>
-
-<p>Zuzeiten fragte Lüder sie, was sie habe,
-denn wenn sie auch immer heiteren Sinnes
-war, in ihren Augen war seit einiger Zeit ein
-ganz eigenes Leuchten, und noch nie hatte sie
-soviel gesungen und gelacht, wie zu dieser
-Zeit, und war sie früher schon schön, so wurde
-sie es jetzt noch viel mehr, trotzdem sie von
-früh bis spät mit dem Haushalte zu tun hatte
-und außerdem noch auf die Kinder, deren es
-mit der Zeit vier geworden waren, zu achten
-hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_202">[202]</a></span></p>
-
-<p>So kam der Weihnachtsabend heran. Lüder
-saß in der großen Wohnstube in dem Anbau,
-in dem jetzt die Familie lebte, da das alte
-Haus zu klein geworden war, und hatte das
-jüngste Kind auf dem Schoße, während die
-anderen mit gemachter Ruhe die Bilder in
-einem Tierbuche besahen. Die Geschenke für
-seine Frau hatte er der Großmagd gegeben.</p>
-
-<p>Um sieben Uhr kam die Bäuerin herein;
-sie hatte, wie die anderen auch, ihr bestes Zeug
-an, und in ihren Augen war eine heimliche
-Ausgelassenheit, so daß ihr Töchterchen sagte:
-»Mutter, du siehst heute wirklich zu schön aus!«</p>
-
-<p>Bald darauf läutete es; die Bäuerin faßte
-ihren Mann an die Hand und führte ihn auf
-die Deele, wo der Lichterbaum brannte; um
-ihn herum standen das Gesinde und der Häusling
-mit seiner Familie.</p>
-
-<p>Nachdem die Kinder mit klaren Stimmen
-das Weihnachtslied gesungen hatten, wurden
-erst Lüdekens beschert, dann das Gesinde,
-worauf schließlich die Kinder zu ihren Gaben
-gewiesen wurden; zuletzt führte Lüder seine
-Frau dahin, wo seine Geschenke lagen, alltägliche
-Dinge, die ihr fehlten und die er sich
-im Verlaufe des Jahres gemerkt hatte, und<span class="pagenum"><a id="Page_203">[203]</a></span>
-einiges, das nicht so notwendig war und von
-liebevoller Aufmerksamkeit Zeugnis gab.</p>
-
-<p>»Du, lieber Lüder,« sagte die Bäuerin, nachdem
-das Gesinde mit seinen Geschenken in
-die Leutestube gegangen war, »du bekommst
-wie gewöhnlich das wenigste; da sind zwölf
-Paar Strümpfe, sechs für den Sommer und
-sechs aus Schnuckenwolle für wintertags,
-und zwei Kisten Räucherwerk und natürlich
-einen Weihnachtskuß, weil du bis auf die
-Dummheit mit dem gequetschten Fuß dich das
-ganze Jahr gut betragen hast. Gern hätte
-ich dir noch ein besseres Angebinde verehrt,
-aber du hast ja so wenig Bedürfnisse, daß man
-nie weiß, was man dir schenken soll. Unter
-den Strümpfen liegt noch eine Kleinigkeit, die
-dir vielleicht Freude macht.«</p>
-
-<p>Neugierig packte er die Strümpfe fort und
-fand darunter ein Heft einer vornehmen Zeitschrift
-liegen, auf dessen aufgeschlagener Seite
-eine Stelle blau bezeichnet war. Er las und
-wurde ganz rot im Gesicht, denn da stand:</p>
-
-<p>»Im Verlage des Deutschen Vereins für
-ländliche Wohlfahrt- und Heimatpflege ist ein
-Buch erschienen, das in der Weihnachtsliteratur
-dasteht wie eine Eiche im Felde. Es<span class="pagenum"><a id="Page_204">[204]</a></span>
-heißt »Der hohe Hof« und behandelt die Geschichte
-einer bäuerlichen Familie der Lüneburger
-Haide. Sein Verfasser nennt sich Lüder
-Volkmann; wir wissen nicht, wer das ist, aber
-wir wissen, daß er ein großer Künstler ist.
-Seine Sprache ist rein und klar, wie die Luft
-in der Haide; da stäubt kein überflüssiges
-Wort, da fliegt kein falscher Ausdruck. Sein
-Satzbau ist von jener Natürlichkeit, die so
-schwer zu treffen ist, und seine Bilder sind
-ungesucht und neu. Das Buch wird demnächst
-ausführlicher besprochen; für heute sagen wir
-nur: es ist ein köstliches Werk.«</p>
-
-<p>Als Lüder aufsah, warf sich Holde an seine
-Brust. »Ich habe nur die Namen etwas geändert;
-alles andere blieb, wie es war. Du
-sagtest, ich könnte damit anfangen, was ich
-wollte, da habe ich es drucken lassen.«</p>
-
-<p>Sie schlug die weißleinene Decke zurück, und
-zwei Bücher kamen zum Vorschein, das eine
-in kostbarer, das andere in einfacher Ausstattung.</p>
-
-<p>»Das, Lüder, ist die Volksausgabe. Dein
-Buch muß in recht viele Hände kommen,
-darum ist gleich eine ganz billige Ausgabe
-herausgegeben. Inhaltlich sind beide Ausgaben<span class="pagenum"><a id="Page_205">[205]</a></span>
-gleich, nur kostet dieses Buch zwei,
-jenes sechs Mark.</p>
-
-<p>Und nun gib mir einen Kuß, damit ich
-weiß, daß du mir nicht böse bist.«</p>
-
-<p>Sie lehnte sich an ihn und sah mit Augen
-zu ihm auf, die vor Glück und Stolz feucht
-glänzten.</p>
-
-<p>Ihr Mann küßte sie auf die Stirne: »Du!«
-sagte er und weiter nichts.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_206">[206]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_Brachvogel">Der Brachvogel.</h2>
-</div>
-
-<p class="drop">Am Altjahrsabend dröhnte die Stimme Freimuts
-über die Deele: »Mann,« trompetete
-er, »die Welt ist deines Ruhmes voll, und was
-das beste ist, sie schimpfen sogar schon über
-dich in den Zeitungen, die an pikante Gerichte,
-wie Rollmops mit Vanillesauce gewöhnt sind.
-Mann, ich werde von jetzt ab Sie zu dir
-sagen und dich nur noch in der dritten Person
-anreden.</p>
-
-<p>Haben Euer Gnaden das schon gelesen?«,
-er holte eine Zeitung aus der Tasche, »und
-das und das und das? Lasse dich schleunsamst
-photographieren und schaffe dir einen
-Mann an, oder besser deren drei, die gerade
-solche Haarfarbe haben wie du, und lege dir
-einen Schreibknecht bei, denn ich sage dir,
-wenn die Haide blüht, wird die Wallfahrerei
-zum Hilgenhofe losgehen und dann kannst<span class="pagenum"><a id="Page_207">[207]</a></span>
-du Widmungen schreiben, dein Kunterfei an
-flötende und hold lächelnde Mägdeleins verschenken
-und deine Locken wirst du sänftlich
-los!</p>
-
-<p>Nun ergreif dein Glas; sobald die Glocke
-das neue Jahr ansagt, wollen wir auf das
-nächste Buch trinken, von dem ich hoffe, daß
-darin ein gewisser Jochen Freimut eine große
-Rolle spielt, und auf deine liebe Frau, denn
-ohne die wäre aus dir nichts Vernünftiges
-geworden.«</p>
-
-<p>Lüder lachte: »Das stimmt,« sagte er und
-nickte seiner Frau zu.</p>
-
-<p>In diesem Winter stellte er seine große
-naturwissenschaftliche Arbeit fertig, in der er
-erzählte, wie sich im Laufe von Jahrhunderten
-je nach der Art der Pflanzenwelt und der
-Kultur die wilde Tierwelt zusammensetzte, von
-der Zeit an, als noch mongoloide Fischer und
-Jäger dort hausten, bis die blonden Weidebauern
-sie von dannen trieben, die Fichten
-und Fuhren zurückdrängten und die Eiche begünstigten,
-wodurch eine ganz andere Tierwelt
-aufkam. Dann wurde aus dem Weide-
-ein Ackerbauer und wieder änderte sich die
-Tierwelt; die Lüneburger Saline und der<span class="pagenum"><a id="Page_208">[208]</a></span>
-schreckliche Krieg nahmen die alten Eichen fort
-und abermals traten Fichten und Fuhren und
-mit ihnen andere Tiere vorn hin; die Vorderlader,
-die Eisenbahn, die Vergrößerung des
-Landstraßennetzes, die Ablösung der Waldhutung
-in den Staatsforsten, die zunehmende
-Entwässerung und Urbarmachung gaben der
-Zusammensetzung der Fauna wieder ein anderes
-Gesicht, und so zeigte er in seiner klaren,
-ruhigen Schreibart, warum Blauracke und
-Wiedehopf verschwinden mußten und weshalb
-Haubenlerche und Grauammer in die Haide
-einwanderten, und als das Buch erschien, fand
-es überall Lob.</p>
-
-<p>Vielerlei Leute suchten den Hilgenbauer
-auf, Forscher und Künstler, aber nur wenige
-kamen an ihn heran. Die Bäuerin hatte helle
-Augen, und wenn sie erkannte, daß nur Neugier
-oder Geschäftsmacherei einen Menschen
-auf den Hof trieben, dann blieb ihr Mann
-damit verschont, denn obzwar er jetzt wußte,
-daß er mehr war als nur ein Bauer, so
-wollte er im Grunde nichts als ein Bauer sein.</p>
-
-<p>Nur in der stillen Zeit, wenn das Feld und
-die Wiese eingeschlafen waren, nahm er die
-Feder in die Hand, aber auch nur dann,<span class="pagenum"><a id="Page_209">[209]</a></span>
-wenn die viele Kraft, die in ihm war, Frucht
-angesetzt hatte.</p>
-
-<p>Da er nicht dem Ruhme nachlief und nicht
-hinter dem Gelde her war, mähte er seine
-Gedanken nicht, bevor ihr Jakobstag da war,
-und trieb keinen Raubbau mit seiner Seele.
-So wurde jedes Buch, das er schrieb, reif
-und nahrhaft.</p>
-
-<p>An dem Tage, als sein ältester Sohn aus
-der Dorfschule kam, hatte er ihn gefragt, was
-er werden wolle, denn der Junge hatte nebenbei
-bei dem Pastor Unterricht in den alten
-Sprachen, in Geschichte und Erdkunde bekommen.
-»Ich will die Lateinschule besuchen,«
-hatte der Junge gesagt, »bis ich damit zu
-Ende bin.«</p>
-
-<p>Lüder dünkte das sonderbar, denn Dettmer
-hatte viel Freude an der Landwirtschaft, und
-so fragte er: »Willst du denn studieren?« Da
-hatte der Junge ihn groß angesehen: »Studieren?
-Wo ich doch Hoferbe bin! Aber ich
-will überall mitreden können, denn der Pastor
-sagt, was einer lernt, ist gleich, wenn er nur
-etwas lernt; wer gut Latein kann, der wird
-auch seinen Hof gut im Stande halten.«</p>
-
-<p>Am andern Tage fuhr der Bauer mit seiner<span class="pagenum"><a id="Page_210">[210]</a></span>
-Frau nach Hülsingen; sie aßen in demselben
-Kruge, wo sie an dem Tage gewesen waren,
-als die Schlange sie zusammengeführt hatte.</p>
-
-<p>Der Haidbrink, auf dem Lüder, der Landstreicher,
-damals gelegen hatte, als er auf
-Ramaker wartete, war fast noch so, wie an
-jenem Tage, nur daß die Haide höher war
-und die Zweige der Birke bis auf die Erde
-hingen. Der Ortolan sang nicht, denn er war
-noch nicht wieder da, aber auf dem Brombeerbusche
-unten an dem Brinke saß der
-Goldammer und sang sein friedliches Lied,
-und über dem Postbruche kreiste der Brachvogel
-und rief laut.</p>
-
-<p>Holde ging zu dem Machangelbusche, bei
-dem sie Lüder zuerst gesehen hatte; sie wollte
-sich einen Zweig zum Andenken mitnehmen.
-Der Bauer sah dorthin, wo der Brachvogel
-sich mit abnehmendem Rufe niederließ.</p>
-
-<p>Die Füße fest auf der Heimaterde, aber
-die Gedanken darüber; so soll es sein, dachte
-er. Und dann sah er dorthin, wo vor dem
-dunklen Busche das blonde Haar der Bäuerin
-in der Sonne leuchtete, und er dachte daran,
-was er gewesen war, ehe er sie gesehen hatte,
-und was er jetzt war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_211">[211]</a></span></p>
-
-<p>Er dachte an seine Verfehlung und die
-Strafe, die dafür über ihn gekommen war
-und daß er ohne beide sich wohl niemals
-auf sich selber besonnen hätte, sondern mit
-der Zeit abgestanden und schal geworden
-wäre, wie so mancher treffliche Mann in dem
-Wirrwarr der großen Stadt.</p>
-
-<p>Seine Frau kam den Hügel hinauf, hing
-sich in seinen Arm und sagte, indem sie den
-Geruch des Machangelzweiges einatmete,
-den sie in der Hand hielt: »Man sagt, Kreuzottern
-seien böse Tiere; die mich damals gebissen
-hat, war gut; Ramaker hätte sie nicht
-totschlagen sollen.«</p>
-
-<p>»Ja, Holde,« pflichtete ihr Mann ihr bei,
-indem er sie an sich zog, »das ist wohl so, es
-sieht manches wie ein Unglück aus und nachher
-wird es uns zum Segen!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="transnote chapter" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
-Originalschreibweise wurde, soweit nicht unten aufgeführt, beibehalten.
-Das Cover wurde aus dem Originalcover und der Titelseite kombiniert und
-unter die Public-Domain-Lizenz gestellt.
-</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-
-<div class="corr">
-<p>
-S. 50: einen → einem<br />
-die redet <a href="#corr050">einem</a> ein Loch in den Strumpf</p>
-<p>
-S. 81: Karline → Karoline<br />
-<a href="#corr081">Karoline</a> hatte genickt</p>
-<p>
-S. 152: Niffelheim → Niefelheim<br />
-letzten der Mannen von <a href="#corr152">Niefelheim</a></p>
-<p>
-S. 188: belebt → erlebt<br />
-Wenn das unser Vater noch <a href="#corr188">erlebt</a> hätte</p>
-</div></div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Dahinten in der Haide, by Hermann Löns
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAHINTEN IN DER HAIDE ***
-
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- gbnewby@pglaf.org
-
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To
-SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
-particular state visit http://pglaf.org
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations.
-To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
-
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
-works.
-
-Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
-with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
-
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
-unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
-keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
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-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
-
- http://www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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