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-The Project Gutenberg EBook of Leibniz, by Wilhelm Wundt
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Leibniz
- Zu seinem zweihunderjährigen Todestag 14. November 1916
-
-Author: Wilhelm Wundt
-
-Release Date: December 8, 2019 [EBook #60879]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEIBNIZ ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
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-
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
- ist _so markiert_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so
- ausgezeichnet~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
-
-
-
- Leibniz
-
- Zu seinem zweihundertjährigen Todestag
-
- 14. November 1916
-
- Von
-
- Wilhelm Wundt
-
- [Illustration]
-
- Alfred Kröner Verlag in Leipzig
- 1917
-
-
-
-
- Copyright 1916
- by Alfred Kröner Verlag in Leipzig
-
-
- Druck von Metzger & Wittig in Leipzig
-
-
-
-
-Vorwort.
-
-
-Der Verfasser dieser kleinen Schrift hat sich vor sehr vielen Jahren
-einmal mit dem kühnen, vielleicht phantastischen Plan getragen,
-eine wissenschaftliche Leibniz-Biographie zu schreiben. Natürlich
-ist nichts aus dem Plan geworden, er ist nicht einmal bis zu den
-Anfängen seiner Ausführung gediehen. Aber als ich infolge meines
-späteren Lehrberufs von Zeit zu Zeit immer wieder veranlaßt war, zur
-Beschäftigung mit diesem merkwürdigen Manne zurückzukehren, sammelte
-sich mir im Lauf der Jahre eine Anzahl von Bemerkungen an, die mir in
-mancher Beziehung das Bild dieser Persönlichkeit in etwas verändertem
-Lichte gegenüber dem überlieferten erscheinen ließen. Diese Schrift
-beabsichtigt daher nicht, mit den verschiedenen Interpretationen der
-Leibnizschen Philosophie in Wettstreit zu treten, und sie hat deshalb
-auch nirgends Anlaß gehabt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich bin
-überhaupt nicht von seiner Philosophie, sondern zunächst von seinen
-mathematisch-physikalischen Arbeiten ausgegangen, die mich dann, so
-weit dies möglich war, zu gelegentlichen Beschäftigungen mit seinen
-sonstigen wissenschaftlichen und praktischen Interessen geführt haben.
-Von hier aus suchte ich endlich den Wegen nachzugehen, auf denen er
-zu seinen philosophischen Ideen gelangt ist. Er selbst ist ja, wie
-bekannt, im wesentlichen diesen Weg gegangen und darum, hierin nicht
-unähnlich seinem großen Nachfolger Kant, erst spät zu der Reihe von
-Gedanken gelangt, die man sein System zu nennen pflegt, und die doch
-eigentlich mehr den Charakter einer phantasievollen Verknüpfung seiner
-wissenschaftlichen Ideen als den eines strengen logischen Systems
-besitzen. Ich bekenne, daß mir im Zusammenhang mit dieser Betrachtung
-vieles in der Kultur seiner eigenen und der folgenden Zeit sowie in der
-weiteren Geschichte der deutschen Philosophie verständlicher geworden
-ist, als es zuvor war.
-
-Ich veröffentliche diese Studie zum zweihundertjährigen Todestag des
-Mannes, mit dem die neue deutsche Philosophie begonnen hat. Möge dieser
-Tag daran erinnern, daß die deutsche Philosophie, mehr als manche
-unserer Zeitgenossen Wort haben wollen, aus eigener Kraft entstanden
-ist, und daß sie zu einer Zeit geboren wurde, da die deutsche Nation
-ungleich mehr als heute einer ungewissen Zukunft entgegensah.
-
- Leipzig, im September 1916.
-
- =W. Wundt.=
-
-
-
-
-Inhalt.
-
-
- Seite
-
- I. Leibniz und seine Zeit 1
-
- II. Leibniz und die Scholastik 20
-
- ~a.~ Leibniz als Mathematiker 24
-
- ~b.~ Die dynamische Naturphilosophie 36
-
- ~c.~ Die Aktualität der Seele 57
-
- ~d.~ Die Einheit der Wissenschaften 66
-
- III. Leibniz und die neue Wissenschaft 73
-
- ~a.~ Der Wandel der Substanzbegriffe 79
-
- ~b.~ Die ~Lex continuitatis~ 90
-
- ~c.~ Der neue Idealismus 103
-
- ~d.~ Philosophie und Theologie 114
-
- IV. Leibniz und die Zukunft der deutschen Philosophie 121
-
- Anmerkungen 130
-
-
-
-
-I.
-
-Leibniz und seine Zeit.
-
-
-Daß der gegenwärtige Krieg der größte und furchtbarste sei, den die
-Welt jemals gesehen, ist ein in den letzten Monaten oft gehörtes Wort.
-Doch für uns Deutsche trifft dieses Wort nicht zu. Das deutsche Volk
-hat einen Krieg erlebt, furchtbarer und zerstörender als diesen. Das
-war jener Krieg, in welchem dreißig Jahre lang der deutsche Boden zum
-Kriegstheater geworden war, auf dem die Völker Europas ihre Kämpfe
-ausfochten und der schließlich nur deshalb zu Ende ging, weil die
-Söldnerscharen, die hier aus aller Welt zusammenströmten, in den
-niedergebrannten Dörfern und verarmten Städten nichts mehr zu plündern
-fanden. Unter den Trümmern der von ihr angerichteten Verwüstung hatte
-die Kriegsfurie zuletzt sich selber begraben. Zurückgelassen aber hatte
-sie an der Stelle einer zuvor blühenden Kultur eine durch Hunger,
-Seuchen und Gewalttaten dezimierte, um den kümmerlichen Aufbau ihres
-zerstörten Besitzes sich abmühende Bevölkerung. Über ein Jahrhundert,
-in manchen Gegenden das Doppelte dieser Zeit, soll nach der Schätzung
-der Wirtschaftsstatistik verflossen sein, bis der Wohlstand der Nation
-annähernd wieder auf der gleichen Höhe angelangt war, die er vor dem
-Kriege erreicht hatte. Doch wer könnte schätzen, was das deutsche
-Volk in diesem halben Jahrhundert der Friedlosigkeit versäumt hatte!
-Denn auch für ein Volk gilt in gewissem Sinne, was für den einzelnen
-Menschen gilt: eine verlorene Lebenszeit läßt sich nicht wieder
-ersetzen. Und was für eine gewaltige Zeit europäischer Kultur ist
-gerade diese erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gewesen! Es
-ist das Zeitalter, in dem sich England zur ersten Seemacht der Welt
-zu erheben begann, in dem Frankreich zur unbestritten herrschenden
-Landmacht Europas geworden war, und in dem mit dem politischen
-Aufschwung in beiden Ländern die Blüte der Kunst und der Wissenschaft
-sich verband. Wohl kann man nicht ohne Rührung dessen gedenken, daß
-selbst in dieser trostlosen Zeit des deutschen Niedergangs neben den
-Nachfolgern Shakespeares und den großen französischen Klassikern
-die Stimmen der deutschen Dichtung ihren eigenen Reiz besitzen. Um
-so mehr lastete auf einem andern Gebiet geistigen Schaffens, das
-mehr als der Ausdruck seelischer Stimmungen in Poesie und Musik von
-der Gunst äußerer Bedingungen abhängt, das schwere Schicksal dieses
-Krieges. Es ist die _neue Wissenschaft_, die in diesem Jahrhundert
-den glänzenden Abschluß des Zeitalters der Renaissance bildet. Zwar
-die große Umwälzung der Himmelskunde, die ihr den Weg bereitete, war
-vorangegangen. Noch reichte das Leben des großen deutschen Forschers,
-der durch die Entdeckung der Gesetze der Planetenbewegungen dem neuen
-Weltsystem die Herrschaft gesichert hatte, in die Zeit der Schrecken
-des Krieges hinein. Doch Kepler fristete, unstet von Ort zu Ort
-wandernd, notdürftig sein Dasein und starb schließlich im Elend. An
-jenem Aufschwung auf allen Gebieten der Forschung, der vornehmlich in
-diese erste Hälfte des Jahrhunderts fällt, und von dem mit Recht gesagt
-worden ist, er sei nicht bloß eine Wiedergeburt, sondern eine völlige
-Neuschöpfung, an ihm hat die deutsche Wissenschaft keinen nennenswerten
-Anteil genommen.
-
-Indes die deutschen Universitäten zumeist in der ödesten Spätscholastik
-befangen geblieben waren, hatte Richelieu die Pariser Akademie
-gegründet, die sich rasch zu einer Art obersten Tribunals der
-Wissenschaften erhob. Ihr folgte bald die Königliche Gesellschaft zu
-London. Eine Reihe hervorragender Mathematiker und Physiker sammelte
-sich um diese neuen Pflanzstätten der Wissenschaft, die auch aus der
-Ferne die hervorragendsten Gelehrten in ihren Kreis zogen. Neben den
-exakten Wissenschaften sind es die Fragen des Staats- und Völkerrechts,
-die in dieser bewegten Zeit besonders die Geister beschäftigen. Vor
-allem aber erhebt sich unter dem mächtigen Impuls der Naturwissenschaft
-und in grundsätzlicher Abkehr von der aristotelischen Scholastik die
-neue Philosophie. Um die Zeit, in der der deutsche Krieg zu einem
-Weltkrieg zu werden begann, entwarf Francis Bacon sein großes Werk
-»Über den Wert und die Fortschritte der Wissenschaften«, in welchem er
-seine Übersicht über alles, was die neue Wissenschaft geleistet und
-was sie noch zu leisten habe, mit einer begeisterten Lobpreisung ihres
-Wertes für den Fortschritt der Menschheit begleitete. Und zwanzig Jahre
-später, als sich das zerstörende Werk des Krieges seinem Ende zuneigte,
-verfaßte Descartes jene Reihe seiner Schriften, die seinem und noch dem
-größten Teil des folgenden Jahrhunderts als die unbestritten größten
-Schöpfungen der Philosophie galten.
-
-Zwei Jahre vor dem Ende des Krieges ist Leibniz geboren. Seine Jugend
-fällt in eine Zeit, in die wir uns heute schwer hineindenken können.
-Wie anders mußte doch die Welt einem Geschlecht erscheinen, in welchem
-die jugendlichere Hälfte der Lebenden den Frieden noch niemals gesehen
-hatte, die ältere aber diesen Frieden nur noch in dem verklärenden
-Licht jugendlicher Erinnerungen erblickte, das durch den Kontrast
-gegen die Schrecken des seither Erlebten um so heller strahlte. So
-falsch es darum wäre, zu meinen, dieses Geschlecht habe nun sofort
-sich bemüht, auf dem geradesten Wege nachzuholen, was es bis dahin
-verabsäumt, so sehr würde man fehlgehen, wollte man vermuten, dieses
-so lange Jahre ohnmächtig der äußeren Gewalt fügsam gewordene Volk sei
-auf lange hinaus zu einer Wiedererhebung nicht mehr fähig gewesen. Das
-letztere würde womöglich noch irriger sein als das erste. Dies zeigt
-vor allem die Literatur dieser Jahre nach dem Krieg. Insbesondere
-ist es _eine_ Eigenschaft, die die Menschen dieser Restaurationszeit
-auszeichnet: das ist das rastlose Streben, die alten glücklichen
-Zustände wiederherzustellen, die den religiösen und politischen
-Wirren, auf die man diesen unseligen Krieg zurückführte, vorangegangen
-waren. So war denn dieses Geschlecht vor allem praktischen Interessen
-zugewandt. Es ist erstaunlich zu sehen, wie sehr in der Literatur
-dieser Zeit die politischen Fragen und die Verhandlungen über die
-religiösen Streitpunkte und ihre mögliche Ausgleichung vorherrschen.
-Der Krieg war ja zu einem guten Teil ein Religionskrieg gewesen. Konnte
-man nicht hoffen, daß fernerhin für alle Zeit Friede bleiben werde,
-wenn nur erst der Glaubenszwiespalt beseitigt sei? In den weitesten
-Volkskreisen gingen Gerüchte um, die von einem nahe bevorstehenden
-ewigen Religionsfrieden zu erzählen wußten. Der Erzkanzler Johann
-Philipp von Schönborn zu Mainz, ein den Protestanten geneigter Fürst,
-und sein Minister Boineburg, der selbst von der protestantischen
-zur katholischen Kirche übergetreten war, sollten sich, nach der
-Volkssage, mit dem Papste bereits über die wechselseitigen Konzessionen
-verständigt haben, unter denen die große Vereinigung der Religionen
-ins Werk zu setzen sei. Nicht weniger wie die Kirchenspaltung empfand
-man aber die politische Zerklüftung Deutschlands als eine Hauptursache
-des hereingebrochenen Unheils. In der Wiederaufrichtung des deutschen
-Reichs in alter Herrlichkeit, gefestigt durch ein unauflösliches, jede
-fremde Einmischung von den deutschen Grenzen künftighin fernhaltendes
-Bündnis der Fürsten, sah man die sichere Bürgschaft eines dauernden
-Friedens. Das lebendige Nationalgefühl und sein Widerspiel, der Kampf
-gegen welsche Mode und fremden Übermut, die uns bei den Dichtern des
-dreißigjährigen Krieges in so erfreuendem Kontrast zur Not dieser
-Zeit anmuten, sie setzen sich jetzt, wo der ersehnte Friede wirklich
-erreicht ist, in hoffnungsreiche Pläne einer politischen und nationalen
-Wiedergeburt um, die sich freilich allzu leicht über die äußeren
-Schwierigkeiten und die inneren Hemmungen hinwegtäuschen, denen diese
-patriotischen Wünsche begegnen.
-
-Um die Stellung, die Leibniz in seiner Zeit einnimmt, richtig zu
-würdigen, muß man diesen Charakter der Zeit selbst in Betracht
-ziehen. Je weniger wir uns aber heute mehr in jene hochgehenden und
-schließlich getäuschten Erwartungen zurückdenken können, um so mehr
-sind wir geneigt, einen Mann wie diesen, der mit dem, was er Bleibendes
-geschaffen, weit über sie hinausreicht, nach seinem Verhältnis zu uns,
-nicht nach dem zu seiner eigenen Umgebung und nach denjenigen Seiten
-seines Wirkens zu beurteilen, in denen er selbst die Hauptaufgabe
-seines Lebens gesehen hat. Wer Leibniz heute liest, der liest seine
-philosophischen, zum Teil wohl auch seine mathematischen Schriften,
-falls er sich hier nicht mit dem mehr oder weniger oberflächlichen
-Bericht in einer Geschichte der Mathematik begnügt. Selten wirft wohl
-einmal ein Jurist seinen Blick in die juristischen oder ein Historiker
-in die politischen Schriften. So bleibt denn nur der allgemeine
-Eindruck, daß wir hier einem Wissen und Können gegenüberstehen,
-das überhaupt, um möglich zu sein, nicht bloß einer erstaunlichen
-persönlichen Begabung, sondern vielleicht auch einer außerordentlichen
-Zeit bedurfte, in der die Kräfte der Nation nach langem Siechtum wieder
-zu neuem Leben erwacht waren. Fast ein Jahrhundert lang war ja die
-deutsche Wissenschaft nahezu stehen geblieben. Die Traditionen der
-älteren Zeit waren verloren gegangen, die deutschen Vorläufer der neuen
-Weltanschauung, ein Nikolaus von Kues, ein Paracelsus sind viel später
-erst, als das Interesse an ihnen ein rein historisches geworden war, in
-ihrer philosophischen Bedeutung wieder entdeckt worden.
-
-So hatte an der Begründung der neuen Philosophie die deutsche
-Wissenschaft bis dahin keinen Anteil genommen. Da ist es denn in der
-Tat, als habe der Geist der Nation in dieser einen Persönlichkeit
-nachholen wollen, was er bis dahin verabsäumt hatte. Der Reihe der
-hervorragenden Denker, die in England und Frankreich von verschiedenen
-Seiten, die einen von der empirischen Naturforschung, die anderen
-von der abstrakten Mathematik, noch andere von der Theologie oder
-der Staatswissenschaft ausgehend, das Gebäude der neuen Philosophie
-errichten halfen, tritt dieser deutsche Philosoph als ein einziger,
-ganz auf sich selbst gestellt, gegenüber. Er ist ihnen allen überlegen.
-Ihm scheinen die Hilfsmittel sämtlich zu Gebote zu stehen, über die
-jene nur teilweise verfügen. Er ist Jurist, Historiker und Philologe,
-Mathematiker, Physiker, Geologe, wohl bewandert in den verschiedenen
-Gebieten der Biologie, daneben unermüdlich bemüht um die theologischen
-Streitfragen der Zeit, endlich ein politischer Schriftsteller von
-unerreichter Virtuosität juristischer Beweisführung und von einer
-Kenntnis konkreter staatsrechtlicher Fragen, in der ihn keiner seiner
-Zeitgenossen erreicht. Und seine Philosophie besteht nicht etwa in
-beiläufigen Gedanken, die ebensogut unabhängig von diesen mannigfachen
-anderen Arbeiten entstanden sein könnten. Einer solchen Meinung hat
-Leibniz selbst mehrfach auf das Nachdrücklichste widersprochen. Ihr
-widerstreitet zudem seine Überzeugung von dem allgemeinen Zusammenhang
-der Wissenschaften, wie er denn auch verhältnismäßig erst spät zu
-seinen endgültigen philosophischen Anschauungen gelangt ist. Die
-Jurisprudenz und die Mathematik erklärt er für einander nahe verwandte
-Gebiete. Jene ist ihm geradezu eine Art Kalkül mit Begriffen, von dem
-mathematischen nur dadurch verschieden, daß es bei ihm mehr auf die
-Qualität als auf die quantitativen Verhältnisse ankommt. Auch meint er
-von der Jurisprudenz, von der seine eigenen Studien ausgingen und mit
-der er zeitlebens in enger Fühlung geblieben ist, sie führe zugleich
-bei allen ihren Aufgaben von dem abstrakten Begriff zu dem konkreten
-Inhalt der Wirklichkeit, so daß der wahre Jurist eigentlich ebensogut
-in der Naturwissenschaft wie in der Geschichte und Politik zu Hause
-sein müßte. Wie die Idee der Harmonie alles Seins und Geschehens
-schließlich das leitende Motiv seiner Philosophie geworden ist, so
-gehörte daher der Gedanke einer Harmonie der Wissenschaften, in
-der jede berufen sei, die andere zu ergänzen und, wo es nötig sei,
-zu erleuchten, zu seinen bleibendsten Überzeugungen. Darum hat es
-schwerlich einen Gelehrten gegeben, der mehr gewußt, sicherlich aber
-auch keinen, der auf bloße Vielwisserei einen geringeren Wert gelegt
-hätte wie Leibniz.
-
-Schon seine erste Schrift, die »~Dissertatio de arte combinatoria~«,
-mit der er als Zwanzigjähriger seine philosophische Magisterwürde
-erwarb, ist dafür bezeichnend. Sie behandelt, nach der Sitte der
-deutschen Hochschulen jener Zeit mit allerlei scholastischen Exkursen
-belastet, im wesentlichen die Aufgaben der heute noch sogenannten
-Kombinationsrechnung, allerdings, wie ihr Autor selbst später bemerkt
-hat, lückenhaft und unzulänglich. Aber wenn sie ihrem Inhalt nach
-eine bloß mathematische zu sein scheint, so ist sie dies doch ihrem
-Zweck nach durchaus nicht. Vielmehr möchte der jugendliche Autor die
-Grundlagen einer systematischen Methode der Ordnung und Gliederung
-der Begriffe überhaupt gewinnen. So ist die Arbeit ein erster Anlauf
-zur Verwirklichung jenes Planes einer allgemeinen Begriffsrechnung,
-der ihn unter dem Namen einer »~Charakteristica universalis~« sein
-Leben lang beschäftigt hat. Mit diesem Plan einer über die Gesamtheit
-der Wissenschaften sich ausbreitenden Methode der Forschung stehen
-dann noch zwei andere, von ihm von frühe an verfolgte, auf die
-äußere Systematisierung der Wissenschaft gerichtete Pläne in engem
-Zusammenhang. Der eine, die Gründung gelehrter Gesellschaften, der
-an die in Paris und London bereits bestehenden Vorbilder anknüpfte,
-ist bekannt. Er ist in der Gründung der Berliner Akademie noch zu
-seinen Lebzeiten, in den Akademien zu Wien und Petersburg bald nach
-seinem Tode zur Verwirklichung gelangt. Weniger pflegt bekannt zu
-sein, daß diese Gründungen von ihm von Anfang an als internationale,
-planmäßig zusammenarbeitende Assoziationen gedacht waren und namentlich
-auch praktische, volks- und staatswirtschaftliche Zwecke verfolgen
-sollten. Hier stehen sie daher zugleich mit seinen politischen und
-religiösen Friedensbestrebungen in nahem Zusammenhang. Der zweite,
-ebenfalls schon in seine Jugendzeit zurückreichende Plan ist vollends
-ganz in Vergessenheit geraten. Es war der Plan einer enzyklopädischen
-Vereinheitlichung der Literatur, den man wohl als eine Art Vorausnahme
-des Gedankens der neuerlichen Gründung der »Deutschen Bücherei«
-bezeichnen kann. An Stelle der vorhandenen Zersplitterung der Literatur
-sollte nach seinem Vorschlag der gesamte deutsche Büchermarkt in
-_einer_ Stadt, in Mainz, konzentriert, außerdem aber halbjährig ein
-vollständiger Katalog aller erschienenen Schriften herausgegeben
-werden, zu dessen Herstellung sich Leibniz selbst erbot.
-
-Überschritten schon diese wissenschaftlichen Pläne weit den
-gewöhnlichen Umfang der Wirksamkeit eines Gelehrten, so kamen nun
-aber dazu andere, für ihn noch zwingendere Motive, die es erklärlich
-machen, daß er nicht erst durch zufällige Begegnungen in die, wie
-man denken könnte, seiner Erziehung und Jugendbildung fernliegende
-Laufbahn des Staatsmannes und Diplomaten gedrängt wurde, sondern daß
-eben dies in der Tat sein früh erstrebter und frei gewählter Beruf war.
-Schwerlich würde er auch sonst den ehrenvollen Antrag einer Professur,
-den die damals eine angesehene Stellung unter den deutschen Hochschulen
-einnehmende Universität Altdorf ihrem zwanzigjährigen Doktoranden
-machte, abgelehnt und sich statt dessen vorläufig mit dem etwas
-fragwürdigen Amt des Sekretärs eines Nürnberger Rosenkreuzervereins
-begnügt haben. Wer die nach den verschiedenen Richtungen seiner
-Tätigkeit noch immer vollständigste Ausgabe Leibnizscher Schriften
-von Dutens durchblättert, nicht etwa bloß seine philosophischen oder
-mathematischen zu Rate zieht, dem muß sofort in die Augen springen:
-dieser Autor ist aus eigenstem Antrieb Jurist und Politiker gewesen,
-und er hat diesen Beruf mit jener Hingabe auf sich genommen, die nur
-da möglich ist, wo freie Wahl und Beruf zusammentreffen. Wer auch nur
-probeweise irgendeine seiner Staatsschriften liest, wie die unter dem
-Pseudonym »~Caesarinus Fürstenerius~« erschienene über die Souveränität
-der deutschen Fürsten und ihr Verhältnis zur Oberhoheit des Kaisers
-oder, um ein noch gleichgültigeres, wenn auch heute vielleicht wieder
-aktuell gewordenes Beispiel zu nehmen, seine Denkschrift über die Wahl
-eines Königs von Polen, dem tritt hier eine so erstaunliche Virtuosität
-juristischer und praktisch-politischer Dialektik entgegen, wie einer
-solchen niemand fähig ist, der nicht neben einer eminenten Sachkenntnis
-und einer unerreichten logischen Begabung zugleich das scharfe Schwert
-dieser Logik mit Begeisterung handhabt. Doch selbst die Frage, die
-Leibniz als »~Caesarinus Fürstenerius~« behandelt, hat heute auch für
-den Historiker nur noch ein mäßiges Interesse; sie gehört einer uns
-gleichgültig gewordenen Vergangenheit an. Das bedeutendste dieser
-Aktenstücke, die Denkschrift, die er, diesmal sogar ausnahmsweise unter
-Nennung seines Namens, im Auftrage des Kurfürsten von Mainz für Ludwig
-XIV. ausarbeitete und im Jahre 1672 selbst nach Paris brachte, ist
-nicht nur ungedruckt, sondern bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts,
-wo sie als Manuskript im Archiv zu Hannover entdeckt wurde, unbekannt
-geblieben: es ist die merkwürdige Denkschrift, in der dem französischen
-König eine Expedition nach Ägypten zur Bekämpfung der Türkenmacht
-vorgeschlagen wird. Der Plan ist wahrscheinlich in Leibniz' eigenem
-Kopf entstanden, doch hatte er dem Kurfürsten eingeleuchtet und dieser
-ihn daher mit den notwendigen Reisegeldern für einen mehrjährigen
-Aufenthalt in der französischen Hauptstadt ausgerüstet. Aber in so
-verlockenden Farben der Verfasser den Erfolg eines solchen Feldzugs
-schildert, den Frankreich im Namen der gesamten Christenheit führen
-und durch den sich der französische König zum unbestrittenen Oberhaupt
-der christlichen Fürsten Europas erheben würde, der Vorschlag blieb
-nicht weniger erfolglos wie der zur polnischen Königswahl. Ludwig XIV.
-empfing den Abgesandten nicht einmal, sondern ließ ihm durch seinen
-Minister sagen, seit Ludwig dem Heiligen seien die heiligen Kriege
-aus der Mode gekommen. Kurze Zeit nachher aber nahm er Lothringen
-weg, und einige Jahre später überfiel er Straßburg. Die Beraubung des
-durch den vorangegangenen Krieg erschöpften Deutschen Reichs galt ihm
-also zwar nicht, wie den heutigen Franzosen die nochmalige Eroberung
-der von ihnen geraubten Provinzen, als ein heiliger Krieg, jedenfalls
-hielt er sie aber für gewinnbringender als die ihn vielleicht etwas
-phantastisch anmutende Expedition nach Ägypten. Auch mag es sein, daß
-den französischen Staatsmännern die geheime Absicht des Autors, die
-Eroberungsgelüste ihres Königs von Deutschland abzulenken, nicht ganz
-verborgen blieb.
-
-Konnten diese zum Teil umfangreichen politischen Schriften im Hinblick
-auf ihre Erfolglosigkeit leicht in Vergessenheit geraten, um wie
-viel mehr gilt das nun aber von der Jahrzehnte sich hinziehenden
-Korrespondenz, in der Leibniz über die Frage verhandelte, die ihm mehr
-als jede andere, ja anscheinend mehr als seine wissenschaftlichen
-Interessen am Herzen lag, die der Wiedervereinigung der beiden
-christlichen Kirchen, an deren Stelle dann, als er schließlich auch
-hier notgedrungen auf einen Erfolg verzichten mußte, gegen Ende seines
-Lebens die andre einer Vereinigung der protestantischen Bekenntnisse
-trat. In diesen Unionsbestrebungen ist er eben der hervorragendste
-Repräsentant einer der mächtigsten geistigen Strömungen seiner Zeit.
-Zugleich galt ihm aber, wie manchen namentlich der weitersehenden
-seiner Zeitgenossen, die religiöse als ein wichtiges Mittel zur
-politischen Einigung der deutschen Stämme, und in diesem patriotischen
-Interesse war er daher, da nun einmal eine Verständigung nur auf dem
-Wege des Kompromisses geschehen konnte, überall bemüht, eine solche
-durch wechselseitige Zugeständnisse zu erzielen. Das war es aber
-schließlich, woran auch hier seine Bemühungen scheiterten und notwendig
-scheitern mußten. Wenn ihm der angesehenste Vertreter des französischen
-Katholizismus, Bossuet, am Ende eines mit ihm geführten Briefwechsels
-bemerkte, Glaubensdifferenzen seien nicht auf diplomatischem Wege zu
-beseitigen, so war diese Antwort in der Tat so treffend wie möglich. So
-ist es denn auch beinahe tragisch zu nennen, daß gerade die wirksamste
-seiner politischen Schriften keine diplomatische, sondern eher das
-Gegenteil einer solchen gewesen ist: es ist die kurz nach der mitten im
-Frieden erfolgten räuberischen Wegnahme Straßburgs durch die Franzosen
-unter dem Titel »~Mars christianissimus~« erschienene Streitschrift
-gegen Ludwig XIV. Mit beißendem Spott kennzeichnet ihr Verfasser den
-Charakter der Franzosen nicht weniger wie den ihres, wie er sich selbst
-nennt, »allerchristlichsten Königs«. Nach jedem der Raubzüge, die
-dieser König durch seine Generäle ausführen läßt, errichten ihm die
-Pariser Triumphbogen mit der Inschrift »Dem großen Ludwig«, obgleich
-sie wohl wissen, daß das einzige, was dieser Große während der Feldzüge
-getan hat, darin bestand, daß er sich in Paris amüsierte. Seine
-Qualität als allerchristlichster König bekundet er aber dadurch, daß er
-seine Feldherren in den eroberten Ländern wie die Mordbrenner hausen
-läßt. Leibniz hat damit der aus Empörung und Verachtung gemischten
-Volksstimmung Ausdruck gegeben, die noch bis vor wenig Jahrzehnten,
-ja vielleicht bis zum heutigen Tage in den süddeutschen Grenzlanden
-nachgewirkt hat. Aber auch dieser wirkungsvollsten seiner politischen
-Schriften ist nur eine kurze Lebensdauer beschieden gewesen, da sie
-durch ihr gelehrtes lateinisches Gewand von vornherein auf engere
-Kreise beschränkt blieb.
-
-Vergeblich getane Arbeit ist aber gerade darum, weil sie vergeblich
-ist, nicht selten mühseliger und zeitraubender als fruchtbringende. Das
-berühmte Problem der Brachystochrone, der Linie des kürzesten Falls, um
-das sich sein Freund Johann Bernoulli vergeblich bemüht hatte, löste
-Leibniz auf einer Spazierfahrt von Hannover nach Wolfenbüttel, und das
-Resultat dieser Leistung ist noch heute im Gedächtnis der Mathematiker
-erhalten geblieben. Die persönlichen Unterredungen, die Reisen und die
-Briefe, die er der Frage der Vereinigung der Kirchen gewidmet, haben
-Jahrzehnte lang einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch genommen;
-doch sie sind so gut wie die ergebnislos gebliebenen politischen
-Schriften aus dem Gedächtnis der Nachwelt fast ganz verschwunden.
-Schon die nächste Generation hat in Leibniz fast nur noch den großen
-Philosophen und Mathematiker erblickt. Man hat dabei meist nicht
-beachtet, daß dadurch immerhin das Bild, das wir uns auch von dem
-Philosophen und Mathematiker machen, der Wirklichkeit nicht entspricht.
-Sein Leben ist nicht in erster Linie diesen abstrakten Wissenschaften
-gewidmet gewesen, während er nebenbei den Fürsten, an deren Hof er
-tätig war, mit seinem Rat an die Hand ging, sondern das Umgekehrte ist
-zutreffend: er ist, dem Drang der Zeit und eigenstem Bedürfnis folgend,
-Politiker gewesen, er hat sich aus diesem Bedürfnis heraus vor allem
-die juristische und staatswissenschaftliche Bildung der Zeit angeeignet
-und die äußere Stellung gesucht und gefunden, die ihm die Ausübung
-dieses politischen Berufs ermöglichte, ihn aber auch mit einer Last
-von Arbeit überhäufte, die für sich allein schon eine ungewöhnliche
-geistige Kraft in Anspruch nahm. Die Meisterschaft in der Behandlung
-der Fragen des Staats- und besonders des Fürstenrechts, über die er
-verfügte, hatte ihn frühe schon zur obersten Autorität nicht nur im
-Gebiet des letzteren, sondern in den die Zeit bewegenden politischen
-Fragen überhaupt gemacht. Die Verhandlungen über die geplante
-Kirchenvereinigung, die teils unter seiner persönlichen Assistenz zu
-Hannover, teils durch den von ihm geführten Briefwechsel stattfanden,
-haben ihn in den wechselnden Formen zuerst der Reunion der Katholiken
-und Protestanten, dann der Union der protestantischen Konfessionen sein
-Leben lang beschäftigt. Und daneben fehlte es nicht an fürstlichen
-Sukzessions- oder Erbfolgefragen sowie an den damals bei den deutschen
-Fürsten leider nicht selten vorkommenden Eheirrungen, bei deren
-Ausgleich Leibniz nicht selten als Rechtskonsulent tätig war. Daneben
-beschäftigten ihn von früh an allgemeinere Aufgaben des öffentlichen
-und privaten Rechts: so schon in Mainz ein nicht zur Vollendung
-gelangter »~Codex diplomaticus~«, der die wichtigsten Staatsverträge
-zusammenfassen sollte, ein systematisches Kompendium des ~Corpus
-juris~, der Entwurf einer Reform des juristischen Studiums und vieles
-andere. Wenn Leibniz seine wissenschaftlichen Ergebnisse, insbesondere
-die mathematischen und philosophischen, nicht in größeren Werken,
-sondern durchgängig in kurzen Mitteilungen und Briefen niederlegte,
-so hat man das zuweilen als ein Zeugnis dafür angesehen, daß es ihm
-nur um die Sache, wenig um die Geltendmachung seiner Autorschaft zu
-tun gewesen sei. Näher liegt es aber doch, daß sein politischer und
-diplomatischer Beruf neben den mit diesem zusammenhängenden praktischen
-Bestrebungen und privaten Konsultationen seine Zeit allzu sehr in
-Anspruch nahm. In Briefen an Freunde klagt er wiederholt, er müsse
-eine Menge mathematischer Probleme unerledigt lassen. »Ich wünschte
-mir,« sagt er gelegentlich, »um die Aufgaben zu lösen, die mir durch
-den Kopf gehen, zehn weitere Köpfe oder mindestens zwölf hilfreiche
-Freunde«, ein Ausspruch, der nebenbei zeigt, daß er sich seiner
-überragenden Fähigkeiten wohl bewußt war. Sein eigentlicher, den
-Hauptinhalt seines Lebens bildender Beruf ist eben der des praktischen
-Politikers gewesen. Und darin ist er ein Kind seiner Zeit. Der
-Gedanke der Wiederherstellung des Friedens in Staat und Kirche, fand
-in ihm ihren genialsten Vertreter. Die sonstigen Arbeiten, besonders
-die philosophischen und mathematischen, waren mehr Produkte seiner
-Mußestunden, die sich seinem eigentlichen Lebensberuf unterordneten.
-Nur zweimal, beidemal bezeichnenderweise auf der Reise, hat er sich
-mathematischen und physikalischen Studien in größerer Konzentration der
-Arbeit gewidmet. Seine Pariser Mission war nach zwei Jahren bereits
-endgültig gescheitert. Er konnte nach Hause zurückkehren; aber er blieb
-noch weitere zwei Jahre. In der höheren Mathematik war ihm eine neue
-Welt aufgegangen. In ihr völlig heimisch zu werden, empfand er als ein
-dringendes Bedürfnis, und er mochte überzeugt sein, daß ihm das nur
-hier, an der damals ersten Stätte mathematischer Forschung, möglich
-sei. Die Frucht dieser Jahre außerhalb des diplomatischen Dienstes ist
-die Erfindung der Differentialrechnung. Zehn Jahre später unternahm
-er im Auftrage des Kurfürsten von Hannover eine zweite mehrjährige
-Reise. Sie führte ihn nach Wien und Italien, wo er die Archive nach
-den Urkunden der Geschichte des Welfischen Hauses durchforschte. Hier
-begann er ein großes systematisches Werk über Dynamik, dem er einen
-kürzeren Essai bereits vorausgeschickt hatte. Dieses systematische Werk
-sollte seine jahrelangen Studien über dieses Gebiet zusammenfassen.
-Aber auch dieses Werk ist Fragment geblieben. Die archivalischen
-Arbeiten, um derentwillen er die Reise angetreten, mögen doch allzu
-sehr seine Zeit in Anspruch genommen haben.
-
-So hat über seinen wissenschaftlichen Werken das Verhängnis
-gewaltet, daß, abgesehen von kleineren Aufsätzen und Briefen,
-gerade von den philosophischen nur zwei von ihm vollendet worden
-sind. Von ihnen ist noch dazu das eine, die »Theodizee«, die er für
-die Königin Sophie Charlotte von Preußen schrieb, vielleicht zu
-gleichen Teilen seinen konziliatorischen religiösen Bestrebungen
-wie seinen philosophischen Arbeiten zuzurechnen. Wie er in der
-jahrelangen Korrespondenz mit dem Jesuitenpater Des Bosses in
-Hildesheim diesem einleuchtend zu machen sucht, daß, nötigenfalls
-mit einigen ergänzenden Hypothesen, die den Grundgedanken unberührt
-lassen sollten, das monadologische System mit dem katholischen
-Dogma in Einklang zu bringen sei, so will die Theodizee der für die
-kirchlichen Unionsbestrebungen lebhaft interessierten Königin die
-vollkommene Übereinstimmung seiner Philosophie mit dem Christentum
-überhaupt, besonders mit den der katholischen und protestantischen
-Kirche gemeinsamen Glaubensüberzeugungen dartun. Das zweite größere
-Werk, die »~Nouveaux Essais sur l'entendement humain~«, eine in
-Dialogform niedergeschriebene fortlaufende Kritik der Sätze des in
-jenen Tagen einen großen Einfluß ausübenden Werkes von Locke, trägt
-durchaus den Charakter von Notizen, die sich der Autor zu persönlichem
-Gebrauch gemacht hat. Leibniz soll die Veröffentlichung unterlassen
-haben, weil Locke während der Abfassung dieser Notizen starb. Aber
-die Anhänger Lockes lebten so gut wie die Schüler Descartes', den
-Leibniz, obgleich er längst gestorben war, zeitlebens bekämpfte. Es
-ist daher viel wahrscheinlicher, daß er die zu eigener Belehrung
-geschriebene Arbeit nicht geeignet zur Veröffentlichung fand. Daß ein
-halbes Jahrhundert nach seinem Tode das Manuskript dennoch gedruckt
-wurde, war sicherlich ein großer Gewinn für das Verständnis seiner
-Philosophie. Dennoch blieb es ein Verhängnis für diese, daß bis über
-die Hälfte des 18. Jahrhunderts hinaus die Theodizee sozusagen für
-die offizielle Darstellung seiner Philosophie galt. Dies bewirkte
-nicht nur, daß die Philosophie des 18. Jahrhunderts unter dem Schein
-des Anschlusses an Leibniz in Wahrheit weit hinter diesen zurückging,
-sondern daß selbst noch Kant nur ein mangelhaftes Verständnis seiner
-Philosophie besaß. Wenn Leibniz, wie nicht zu leugnen ist, durch die
-auch in seinen religiösen Unionsbestrebungen hervortretende allzu große
-Geneigtheit zu Kompromissen daran zum Teil selber die Schuld trägt,
-so hängt das mit zwei Eigenschaften zusammen, die, sonst in der Regel
-einander widerstrebend, bei ihm in seltener Weise vereinigt sind: er
-ist im höchsten Grade rezeptiv und produktiv zugleich. Er ist stets
-geneigt, einen ihm entgegentretenden neuen Gedanken sich anzueignen.
-Sagt er doch selbst von sich, in der Diskussion sei er mehr bereit,
-anderen zuzustimmen, als ihnen zu widersprechen. Aber seine Zustimmung
-ist gewissermaßen immer zugleich ein Widerspruch: er dreht und wendet
-den fremden Gedanken so lange, bis er sein eigener, damit aber auch
-ein anderer geworden ist. Eigentlich ist das ja nur eine besondere
-Anwendung der in den juristischen und politischen so gut wie in den
-philosophischen und theologischen Arbeiten zutage tretenden Virtuosität
-seiner Dialektik. Aber ohne Gefahr ist natürlich diese dialektische
-Gewandtheit nicht. Sie hat ihn gelegentlich zu Konzessionen getrieben,
-die er im letzten Augenblick wieder zurücknehmen mußte. So machten
-ihn seine katholischen Freunde darauf aufmerksam, nach allem, was
-er zugunsten der Wiedervereinigung der Kirchen sage, bleibe ihm
-eigentlich nichts übrig als selbst katholisch zu werden. Trotzdem hat
-er dreimal der in verlockender Form an ihn herantretenden Versuchung
-widerstanden. In Paris konnte er um den Preis des Konfessionswechsels
-Mitglied der Akademie, in Rom Bibliothekar beim Vatikan werden, in
-Wien eine einflußreiche Stellung am kaiserlichen Hof gewinnen: er
-widerstand der Versuchung in allen drei Fällen. »Ich würde,« das
-war die charakteristische Antwort, »ich würde, wenn ich katholisch
-wäre, nicht Protestant werden, eben darum werde ich aber auch, da ich
-Protestant bin, nicht katholisch.« Darum war er nicht bloß genial auf
-allen den mannigfaltigen Gebieten der Wissenschaft, denen er sich
-zuwandte, sondern er war auch ein genialer Diplomat; aber er war kein
-Mann aus dem Holze, aus dem Reformatoren geschnitzt werden. Auch seiner
-Philosophie ist diese Eigenschaft verhängnisvoll geworden. Sie hat
-nicht nur über seine wirklichen Überzeugungen, über das, was man seine
-»esoterische« Philosophie nennen kann, Mißverständnisse erweckt, die
-bis zum heutigen Tage nachwirken, sondern sie mag ihn auch bisweilen
-veranlaßt haben, Begriffe, die verschiedenen Entwicklungsstufen seines
-Denkens angehörten, zu verbinden oder je nach Umständen abwechselnd
-zu gebrauchen. So konnte der Schein der Mehrdeutigkeit um so leichter
-entstehen, als er vor andern zu den Philosophen gehört, die nur
-allmählich zu ihren endgültigen Überzeugungen gelangt sind.
-
-So vieles man nun aber von allem dem der persönlichen Eigenart
-zuschreiben mag, die ja besonders bei einer so hervorragenden
-Persönlichkeit stets zugleich einzig in ihrer Art ist, so ist es doch
-wiederum der Charakter der Zeit, der in diesem ihrem größten Sohne zum
-Ausdruck kommt. Das gilt schließlich auch von derjenigen Eigenschaft,
-die dem oberflächlichen Betrachter zunächst auffällt, bei der aber
-auch derjenige, der sich die geistige Physiognomie dieses Mannes näher
-zu vergegenwärtigen sucht, immer wieder als der bewundernswertesten
-und unbegreiflichsten stehen bleibt: von der Universalität seines
-Wissens und Könnens. So sehr in der Tat das deutsche Volk zu Leibniz'
-Zeit unter der Nachwirkung des furchtbaren Krieges hinter den
-Fortschritten, die indessen anderwärts die Wissenschaften gemacht
-hatten, zurückgeblieben war, die Spuren der tiefen geistigen Erregung,
-die die Reformation ausgeübt, waren ebensowenig erloschen, wie die
-Eigenart des deutschen Geistes verloren gegangen war, in der sich
-schon innerhalb der scholastischen Theologie und Philosophie die
-Reformation vorbereitet hatte, und die zum Teil abseits von der
-sonstigen scholastischen Tradition lag. Leibniz war in dieser deutschen
-Scholastik aufgewachsen. Als die neue Wissenschaft, vor allem die
-neue Naturwissenschaft, auf ihn einzuwirken begann, war er schon
-ausgestattet mit einem umfassenden Wissen; doch dieses Wissen war
-nach Umfang und Methode das der Scholastik. Und universell nach ihrem
-Umfang, einheitlich nach ihrer Methode war die Scholastik von Anfang
-an. Wenn Leibniz mit einer gründlichen scholastischen Jugendbildung
-der neuen Wissenschaft gegenübertrat, so kam er daher nicht mit
-leeren Händen. Was die Scholastik errungen, für die neue Wissenschaft
-fruchtbar zu machen, das war sein erstes, die Scholastik durch die neue
-Wissenschaft endgültig zu überwinden, das wurde sein letztes Ziel.
-
-
-
-
-II.
-
-Leibniz und die Scholastik.
-
-
-In einem seiner späteren Briefe klagt Leibniz, in seiner Jugendzeit
-habe in Deutschland noch die Scholastik geherrscht, während anderwärts
-bereits überall die neue Wissenschaft sich verbreitet hatte. Gleichwohl
-würde es irrig sein, wollte man daraus schließen, Leibniz stimme
-dem absprechenden Urteil zu, das zuerst die Humanisten und dann die
-Vertreter der neuen Naturwissenschaft gefällt hatten. Dem würde
-schon die unbegrenzte Hochachtung widersprechen, mit der er überall
-des Aristoteles gedenkt, der doch allezeit der Vater der Scholastik
-gewesen ist. Aber auch gegen die eigentliche Scholastik verhält er
-sich durchaus nicht ablehnend. Vielmehr kommt jene Neigung, die er
-selbst sich zuschreibt, lieber zuzustimmen als zu widersprechen,
-auch ihr gegenüber zur Geltung, und den Spuren seiner scholastischen
-Jugendbildung begegnet man überall in seinen späteren Schriften. Von
-Kindheit auf waren ihm Aristoteles und die Scholastik vertraut, bereits
-zu einer Zeit, als ihm nach seinem eigenen Bekenntnis die neuere
-Naturwissenschaft und Philosophie noch fremd geblieben. Mochte er
-auch, wie er später erzählt, als er auf der Universität mit der damals
-auf der Höhe ihres Ansehens stehenden Cartesianischen Philosophie
-bekannt wurde, eine Zeitlang schwanken, ob er den »substantiellen
-Formen« der Scholastiker oder den mechanischen Prinzipien Descartes'
-den Vorzug geben solle, bereits seine akademische Erstlingsschrift
-bewegt sich ganz in den Gedankenkreisen der Scholastik. Behandelt sie
-doch die damals hauptsächlich den Zankapfel zwischen den sogenannten
-Realisten und Nominalisten bildende echt scholastische Streitfrage,
-ob die individuellen Unterschiede der Dinge von der Form oder von der
-Materie herrührten. Diese scholastische Jugendbildung hat sein Leben
-lang in ihm nachgewirkt. Doch die Scholastik ist keine einheitliche
-Philosophie. Wir sind heute allzu sehr geneigt, den Eindruck, den
-besonders in den späteren Jahrhunderten der formalistische Betrieb der
-scholastischen Logik, die Herrschaft eines blinden Autoritätsglaubens
-und die Neigung zu leeren Begriffs- und Wortstreitigkeiten erwecken,
-auf die Wissenschaft dieses ganzen Zeitalters zu übertragen. Vor allem
-aber steht unser heutiges Urteil unter dem Einfluß der vernichtenden,
-natürlich einseitig orientierten Polemik der Humanisten und der
-bahnbrechenden Philosophen der Neuzeit, die, ähnlich wie dies dereinst
-Plato mit der Sophistik getan hatte, nach den abschreckenden Beispielen
-scholastischer Wort- und Begriffsklauberei eigentlich erst jenes
-typische Bild der Scholastik geschaffen haben, das heute noch das
-geläufige ist. Doch so treffend die Satire sein mag, in der schon die
-Erfurter Humanisten in den »Briefen der Dunkelmänner« gegen die Kölner
-und Leipziger Magister zu Felde zogen, diese Satire trifft eigentlich
-nur den vulgären Schulbetrieb einiger Hochschulen, während die
-Verfasser jener satirischen Briefe selbst und ihre Gesinnungsgenossen
-in wissenschaftlicher Beziehung noch ebenso wie die Reformatoren dem
-Gedankenkreis der Scholastik angehören. So hat denn noch über ein
-Jahrhundert später Leibniz Jena, Marburg und Helmstädt als die drei
-fortgeschrittensten Universitäten gerühmt, und er bekennt dankbar,
-daß ihm erst während des kurzen Semesters seiner Studienzeit in Jena
-durch Erhard Weigel ein neues Licht aufgegangen sei. Das will aber
-nicht bedeuten, daß auf jenen drei Universitäten die Scholastik nicht
-geherrscht hätte, oder daß Erhard Weigel ein Vertreter der modernen
-Philosophie gewesen wäre. Vielmehr ging das Bestreben gerade dieses
-Mannes vornehmlich dahin, die Scholastik mit der neuen Wissenschaft zu
-versöhnen, und wenn in irgend einer Richtung er auf Leibniz gewirkt
-hat, so ist es in der Tendenz gewesen, die durch die Scholastik
-geschaffenen Denkmittel, so weit er ihnen einen bleibenden Wert
-zuerkannte, für diese neue Wissenschaft fruchtbar zu machen.
-
-Außerdem aber gab es in der Scholastik selbst eine Richtung, die
-der herrschenden, streng an Aristoteles sich anschließenden fremd
-gegenüberstand, und in der ältere gnostische und neuplatonische
-Strömungen nachwirkten. Gerade ihr stand auch jener Erhard Weigel,
-der sich sein Leben lang mancherlei pythagoreisierenden Spekulationen
-und andern phantastischen Plänen hingab, nicht allzu fern. Weit mehr
-als in den Gegensätzen der Realisten und Nominalisten, die sich in
-ihrem wissenschaftlichen Lehrbetrieb meist wenig unterschieden, sind
-es diese mehr von einzelnen Persönlichkeiten ausgehenden mystischen
-Richtungen, die der Scholastik niemals fehlten und die besonders auch
-in den gelehrten Mönchsorden des 13. Jahrhunderts bedeutende Vertreter
-fanden, die sichtlich auf Leibniz in seiner Jugendzeit gewirkt haben.
-Zu ihnen gehören Meister Eckhard, der deutsche Dominikaner, zu ihnen
-Roger Bacon, der irische Franziskaner. Beide sind die hervorragendsten
-Repräsentanten zweier im ganzen heterogener Strömungen, die in dem
-Zeitalter der klassischen Scholastik nebeneinander hergehen. In
-der Predigt des Meister Eckhard überwiegt die von dem Gedanken der
-unmittelbaren Selbstoffenbarung der Gottheit getragene rein religiöse
-Mystik; in Roger Bacon verbindet sich dieser mystische Zug mit dem
-in dem intellektuellen Universalismus der klassischen Scholastik
-wurzelnden Streben nach einer vornehmlich von der wunderbaren Macht
-der Mathematik erhofften Welterkenntnis. In der zweiten dieser
-Richtungen beginnt sich daher zugleich der Geist der künftigen neuen
-Naturwissenschaft und ihres mächtigen Werkzeuges, einer über die
-Grenzen der bisherigen Rechenkunst hinausführenden höheren Mathematik,
-zu regen. Es ist eine eigenartige, seitdem nie wieder ganz erloschene
-Abzweigung der Mystik, die uns hier begegnet. Ein Hauptvertreter dieser
-teils mit dem Aberglauben der Zeit, teils mit dem allmählich sich
-regenden Gedanken einer neuen Naturerkenntnis sich berührenden Richtung
-ist ein zweiter Zeitgenosse des Meister Eckhard, der Spanier Raimundus
-Lullus, der vielleicht gerade deshalb, weil in ihm phantastische Mystik
-und mathematische Spekulation besonders innig verwebt sind, am längsten
-nachgewirkt hat. Noch Jahrhunderte nach ihm galt die »Lullische Kunst«
--- so nach dem Titel »~Ars magna~« seines Werkes genannt -- ähnlich der
-Alchemie als eine Art wissenschaftlicher Zauberei. Wie die Alchemie
-zum Experiment, so verhielt sich diese mystische Zahlenkunst zur
-wissenschaftlichen Mathematik. Der überraschende Eindruck, den das
-unerwartete Ergebnis einer Rechenoperation auf den Rechnenden selbst
-hervorbringen kann, macht es wohl begreiflich, daß dem mathematischen
-Denken dieser Zug zur Mystik eigen geblieben ist, und daß sich vollends
-in jenen Tagen, in denen der uralte Zahlzauber im Volksglauben noch
-eine größere Rolle spielte als heute, die Wissenschaft gelegentlich
-auch auf diesem Gebiet sich zur Magie steigerte. Schon der Astrologie
-hatte ja die mathematische Beihilfe, deren sie bedurfte, zum Teil
-ihr Übergewicht über die anderen sogenannten Geheimwissenschaften
-verschafft. So lag die Übertragung dieser Mystik der Zahlen auf die
-mathematischen Operationen selbst, wie sie den spezifischen Charakter
-der Lullischen Kunst und verwandter Bestrebungen ausmachte, nahe genug,
-während zudem der in der Scholastik herrschende logische Formalismus
-dieser Tendenz zu Hilfe kam.
-
-
-~a.~ Leibniz als Mathematiker.
-
-In der Tat ist es durchaus diese Richtung der mathematischen Mystik,
-die uns in der Schrift entgegentritt, mit der Leibniz die Reihe
-seiner mathematischen Arbeiten eröffnete, in der »~Dissertatio de
-arte combinatoria~«. Nach dem Titel ist man geneigt, in ihr eine
-Kombinationslehre im heutigen Sinne zu vermuten, und teilweise ist
-dies auch zutreffend. Aber ihr eigentlicher Zweck ist ein höherer.
-Er ist im wesentlichen der gleiche, den dereinst Raimund Lull mit
-seiner »~Ars magna~« verfolgt hatte; und nicht nur der Zweck, sondern
-auch die Mittel, ihn zu erreichen, sind im ganzen die nämlichen.
-Auch Raimund Lulls Werk war eine Art Kombinatorik gewesen. In der
-Verbindung einfacher zu komplexen Begriffen sah er eine »~Ars
-inveniendi~«, eine Erfindungskunst, die der theoretischen Erkenntnis
-wie ihrer praktischen Anwendung dienen und alle Wissenschaften zu einer
-großen Einheit verbinden sollte. Genau so schildert Leibniz später
-im Rückblick auf seine eigene Entwicklung die Gedanken, die ihm bei
-jener mathematischen Erstlingsschrift vorschwebten. Sein Plan sei
-gewesen, die »zusammengesetzten Begriffe der ganzen Welt in wenige
-einfache, gleichsam als deren Alphabet, zu zerlegen« und dann durch
-deren systematische Kombinationen zu verbinden. Dazu sollte außerdem
-ein zweckmäßiges Zeichensystem für die Charakteristik der Begriffe
-dienen. Danach ist die »~Ars combinatoria~« ein erster Versuch zur
-Ausführung jener »~Charakteristica universalis~«, deren Plan Leibniz
-sein Leben lang beschäftigt hat. Sie ist aber zugleich eine Erneuerung
-des Unternehmens von Raimund Lull. Ein wesentlicher Unterschied besteht
-allerdings zwischen beiden. Mag auch in den Hoffnungen, die Leibniz
-an seine ~Charakteristica universalis~ geknüpft hat, noch ein leiser
-Hauch mathematischer Mystik zu verspüren sein, von der phantastischen
-Mystik eines Raimund Lull, der unter anderem in der Kombinatorik
-ein Mittel sah, die Ungläubigen zum Christentum zu bekehren, ist er
-vollkommen frei. Er erkennt ihr nur insoweit den Charakter einer
-»Erfindungskunst« zu, als die Zerlegung und Verbindung der Begriffe
-der systematischen Ordnung derselben dienen kann. Darum bleibt nun
-aber auch das Resultat seiner »~Ars combinatoria~« im wesentlichen
-ein rein formales; und sie ist später ihrem Urheber selbst höchstens
-als eine Art Einleitung zu jener von ihm gesuchten »~Ars inventiva~«
-erschienen. Um so mehr ist gerade die Kombinatorik ein echtes Erzeugnis
-des scholastischen Formalismus, wie denn auch ihr Verfasser die
-Variationen der Urteilsformen in den syllogistischen Figuren als
-ein Hauptbeispiel gewählt hat. Gleichwohl spiegeln sich in dieser
-mathematischen Erstlingsschrift des Philosophen bereits die in ihm zur
-höchsten Ausbildung gelangten Seiten der Scholastik: ihre Universalität
-und das mit dieser zusammenhängende Streben nach einer streng logischen
-und zugleich einheitlichen Methode. Auf der einen Seite erblickt er in
-der Anwendbarkeit der Kombinatorik auf alle möglichen Begriffe eine
-Eigenschaft, die sie zu einer universellen Methode geeignet macht; auf
-der andern ist ihm ihr mathematischer Charakter eine Bürgschaft ihrer
-logischen Exaktheit.
-
-Doch als die Hoffnungen scheiterten, die Leibniz auf die Kombinatorik
-gesetzt hatte, verzichtete er darum noch keineswegs auf den Plan, zu
-dessen Verwirklichung sie ihm um ihrer universellen Anwendbarkeit
-willen zunächst dienen sollte. Aber man gewinnt den Eindruck, daß nun
-dieser Plan eine andere Gestalt annahm. Hatte die »~Ars combinatoria~«
-das ungeheure Problem einer universellen Methode mit einem Mal
-zu lösen versucht, so sollte nun eine stückweise Bewältigung der
-einzelnen mathematischen Aufgaben im Sinne einer die verschiedenen
-Gebiete in engere Beziehung zu einander bringenden Behandlung treten.
-Sehr bezeichnend tritt uns dieser mutmaßliche Wandel des Planes
-der »~Charakteristica universalis~« in einigen die mathematische
-Behandlung der Logik betreffenden Blättern entgegen, die J. E. Erdmann
-in der Bibliothek zu Hannover aufgefunden und in seiner Ausgabe der
-philosophischen Werke veröffentlicht hat. Sie enthalten einen Entwurf,
-in dem zum ersten Male der Versuch einer Darstellung der Logik in
-der Form eines dem arithmetischen nachgebildeten Algorithmus gemacht
-wird. Die Stellung dieser Aufgabe ist sichtlich aus der von Leibniz
-des öfteren ausgesprochenen Überzeugung entsprungen, die gesamte
-Mathematik sei eigentlich nichts anderes als eine erweiterte Logik.
-Er sucht demnach vornehmlich die veränderte Bedeutung festzustellen,
-welche den arithmetischen Fundamentaloperationen angewiesen werden
-muß, wenn man sie, statt speziell auf Größenbegriffe, auf irgendwelche
-logische Begriffe überhaupt anwendet. Ohne von diesem Leibnizschen
-Unternehmen etwas zu wissen, haben in neuester Zeit namentlich
-englische und amerikanische Mathematiker dasselbe Problem einer
-»symbolischen Logik« auf verschiedenen Wegen in Angriff genommen. Aber
-der Standpunkt der Behandlung ist dabei durchgängig ein diametral
-entgegengesetzter gewesen. Während Leibniz unmittelbar aus den
-logischen Denkformen selbst den ihnen eigentümlichen Algorithmus
-entwickelt, gehen jene neueren Forscher umgekehrt von der Mathematik
-aus, indem sie unter der Voraussetzung der Allgemeingültigkeit der
-arithmetischen Operationen einen zur Lösung spezifisch logischer
-Aufgaben geeigneten mathematischen Kalkül zu entwickeln suchen. Der
-Unterschied zwischen Leibniz und ihnen besteht also darin, daß diese
-lediglich den praktischen Zweck einer Gewinnung von mathematischen
-Methoden zur Lösung mehr oder weniger verwickelter syllogistischer
-Aufgaben verfolgen, ohne sich um die Frage nach dem Verhältnis der
-allgemein logischen zu den spezifisch mathematischen Denkoperationen
-zu kümmern, wogegen Leibniz ausschließlich diese theoretische
-Frage behandelt, ohne sich auf praktische Anwendungen einzulassen.
-Gerade dies rein theoretische Interesse an der Frage ist offenbar
-von der auf die Anregungen seiner scholastischen Jugendbildung
-zurückgehenden Hochschätzung der formalen Logik getragen, die bei
-den modernen Bearbeitern des gleichen Themas vielmehr dem Bestreben
-Platz gemacht hat, die unvollkommenen logischen Hilfsmittel durch
-vollkommenere mathematische zu ersetzen. Diese Wendung des Problems
-würde Leibniz wahrscheinlich als einen Versuch betrachtet haben,
-die allgemeinen Gesetze des logischen Denkens nicht zu erleuchten,
-sondern zu verdunkeln. Dagegen entspricht seine Behandlung durchaus
-dem aus der Beziehung zwischen Logik und Mathematik sich ergebenden
-theoretischen Problem, und sie liegt außerdem in der Richtung der von
-der Scholastik gepflegten Verwendung der aristotelischen Syllogistik
-in Geometrie und Arithmetik. Diese Verbindung hatte die Scholastik aus
-dem Altertum übernommen; die Elemente des Euklid blieben aber nicht
-zum wenigsten deshalb das führende und fast das einzige Lehrgebäude
-der Mathematik, weil bei ihnen bereits die aristotelische Syllogistik
-Pate gestanden und wesentlich mitgewirkt hatte, in der Wissenschaft
-des Abendlandes den Aristoteles jahrhundertelang zur unbestritten
-obersten Autorität zu erheben. Wie jedoch die »~Charakteristica
-universalis~« bei Leibniz von Anfang an ein Ideal ist, das in
-der Logik ihr zugleich die Sicherheit der Mathematik verbürgendes
-Vorbild hat, so legt dies den weiteren Gedanken nahe, den Maßstab der
-mathematischen Evidenz wiederum an die allgemeinen Operationen des
-logischen Denkens anzulegen und damit, wie bisher durch die Syllogistik
-eine Stütze für den mathematischen Beweis, so nun umgekehrt aus den auf
-eine exakte mathematische Form gebrachten Grundsätzen der logischen
-Denkoperationen ein Mittel für die Nachweisung wissenschaftlicher
-Wahrheiten überhaupt zu gewinnen. Der Versuch einer solchen in das
-Gewand einer mathematischen Symbolik gekleideten Logik erscheint so als
-eine Verallgemeinerung jener oben erwähnten Behauptung, Jurisprudenz
-und Mathematik seien einander verwandte Wissenschaften.
-
-Noch bewegten sich jedoch diese Pläne einer die Logik mit der
-Mathematik zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfassenden
-Universalwissenschaft im wesentlichen auf dem Boden der
-Elementarmathematik und der überlieferten Logik. Neue und zugleich
-fruchtbarere Ausblicke in dieser Richtung eröffneten sich, als Leibniz,
-wie er selbst bekennt, zum erstenmal in Paris in den Geist der höheren
-Mathematik eindrang. Wenn er Descartes' Geometrie und Pascals Briefe
-über die Zykloide als die beiden Werke bezeichnet, deren Studium er
-die ersten Anregungen verdankt habe, so geschah dies hier freilich
-fast mehr in negativem als in positivem Sinne. Die Lektüre jener Werke
-regte ihn an, die Lösung der in ihnen behandelten Probleme auf einer
-neuen Grundlage zu versuchen. Dabei zeigt sich aber auch gerade in
-diesem Fall, daß er selbst jenen Problemen keineswegs mit leeren Händen
-entgegenkommt, sondern daß diejenigen Ideen, die deren ganze Behandlung
-auf eine neue Basis stellen sollten, tief in seiner scholastischen
-Jugendbildung wurzeln. Doch während seine bisherigen Bemühungen auf
-die Herstellung einer engeren Beziehung zwischen Mathematik und Logik
-gerichtet sind, veranlassen ihn die schwierigeren Probleme der höheren
-Mathematik, tiefer in den Vorrat überlieferter philosophischer Begriffe
-zurückzugreifen. Die Logik genügt dazu nicht mehr, die Mathematik
-muß zu Hilfe gerufen werden. Da sind es zwei Lücken, die ihm bei dem
-Studium der neueren mathematischen Arbeiten begegnen: die eine läßt
-ihn Descartes' analytische Geometrie als unzulänglich erkennen; die
-andere zeigt sich bei dem in jenen Tagen viel verhandelten Problem
-der Quadratur des Kreises, bei dem man immer noch im wesentlichen
-auf die alte Archimedische Exhaustionsmethode zurückging. Um diesen
-Mängeln abzuhelfen, dazu genügten die Hilfsmittel der in fest begrenzte
-Begriffsverhältnisse eingeschlossenen Logik nicht mehr. Wohl aber fand
-sich in dem Arsenal der aristotelisch-scholastischen Metaphysik ein
-bedeutsamer Begriff, den zwar die Mathematik gelegentlich gestreift,
-von dem sie aber nirgends eine folgerichtige Anwendung gemacht hatte.
-Das war der Begriff des _Unendlichen_. Fast könnte man sagen: es war
-eine Art ~Horror vacui~, der bis dahin die Mathematik wie die Logik
-von der Verwendung des Unendlichkeitsbegriffs ferngehalten hatte.
-Eine um so wichtigere Rolle hatte er in der Metaphysik gespielt.
-Ausgehend von der Voraussetzung einer Unendlichkeit der Zeit, die
-Aristoteles für das »Automaton«, jenen ersten Beweger, der für ihn
-einerseits mit der Gottesidee, anderseits mit dem Begriff einer
-unaufhörlich wirksamen Ursache des kosmischen Geschehens zusammenfiel,
-angenommen hatte, war die scholastische Theologie in ihrem Streben,
-die Gottesidee über alle denkbaren Grenzen zu erhöhen, zu dem Begriff
-einer absoluten Unendlichkeit fortgeschritten, der eben darum
-nicht mehr positiv bestimmt, sondern nur durch die Negation aller
-endlichen Eigenschaften definiert werden konnte. So entstand aus der
-ursprünglich der empirischen Wirklichkeit angehörenden aristotelischen
-Substanz (~ousia~), die in dem Einzelding ihre unmittelbare Grundlage
-hatte, der Begriff einer _absoluten_ unendlichen Substanz, der bis
-tief in die neuere Philosophie hinein fortgewirkt hat. Da dieser
-Begriff des Unendlichen von uns zwar als ein notwendiger erkannt
-wird, an sich aber die Fähigkeiten unserer begrenzten Erkenntnis
-überschreitet, so nennt ihn die Scholastik einen _transzendenten_.
-Dieses von ihr geschaffene Wort hat zuerst Leibniz von der Metaphysik
-in die Mathematik hinübergetragen, und die Anregung dazu gab ihm das
-Studium von Descartes' Geometrie. Descartes hatte in seinem Werk
-nur diejenigen geometrischen Gebilde analytisch behandelt, deren
-Gleichungen bloß einer begrenzten Zahl arithmetischer Operationen
-zu ihrer Lösung bedürfen. Kurven, bei denen diese algebraischen
-Hilfsmittel nicht zureichen, nannte er »mechanische Kurven«, insofern
-man sie sich gleichwohl durch eine nach irgendeinem Gesetz erfolgende
-Bewegung erzeugt denken kann. Sein Werk war also nicht eine analytische
-Geometrie im heutigen Sinne des Wortes, obgleich man es meist so zu
-bezeichnen pflegt, sondern eine algebraische Geometrie oder, wie man
-es vielleicht treffender nennen könnte, eine Theorie der algebraischen
-Funktionen und ihrer geometrischen Anwendungen. Dazu muß freilich
-bemerkt werden, daß der mathematische Begriff der Funktion, der unter
-diesem Namen erst später durch Johann Bernoulli eingeführt wurde,
-zu Descartes' Zeit noch nicht oder doch nur latent existierte. Hier
-erkannte nun Leibniz sofort in dieser Beschränkung einen Mangel, dem
-er durch die Forderung einer analytischen Behandlung auch dieser,
-die Hilfsmittel der gewöhnlichen mathematischen Elementaroperationen
-überschreitenden Funktionen zu begegnen suchte. Um diese neue,
-eine einheitliche Betrachtung aller analytischen Funktionen
-vermittelnde Aufgabe auch äußerlich zu kennzeichnen, greift er
-aber in den Begriffsschatz der scholastischen Metaphysik, indem er
-die »mechanischen Kurven« Descartes', eben weil sie die Grenzen der
-bisherigen Arithmetik überschreiten, als transzendente bezeichnet.
-Dabei ist freilich ein wichtiger Bedeutungswandel dieses Begriffes
-eingetreten. Transzendent in dem metaphysischen Sinne der Scholastik
-ist das unendliche, darum dem endlichen Erkennen unzugängliche
-Sein; transzendent im mathematischen Sinne ist seit Leibniz eine
-Aufgabe, deren Lösung neue, über die Hilfsmittel der gewöhnlichen
-Arithmetik hinausreichende mathematische Operationen fordert. Dort
-entzieht sich das transzendente Objekt endgültig unserer Erkenntnis,
-hier weist der Ausdruck umgekehrt auf neue Hilfsmittel hin, die
-das bisher Unerkennbare erkennbar machen. Im Hintergrund steht in
-beiden Fällen der Begriff des Unendlichen. Damit ist die Einführung
-des neuen Begriffs der transzendenten Funktion zugleich gebunden an
-die neue Rechnungsmethode, die man wohl auch eine ins Unendliche
-fortgeführte Arithmetik nennen kann, an die Differentialrechnung,
-oder, wie Leibniz selbst sie im Hinblick auf die Hilfe, die ihm
-dabei der Unendlichkeitsbegriff geleistet, genannt hat, an die
-_Infinitesimalrechnung_.
-
-Hier greift aber in diese von der Beschäftigung mit der Geometrie
-ausgehende Erweiterung des Funktionsbegriffs außerdem jenes andere
-Problem ein, um das sich zu dieser Zeit wiederholt die Mathematiker
-bemühten: die Quadratur des Kreises. Bis dahin ging man von dem uralten
-Prinzip der praktischen Feldmessung aus, eine krummlinig begrenzte
-ebene Fläche durch parallele Ordinaten in kleine Quadrate zerlegt zu
-denken, deren Summe dann das der betreffenden Fläche entsprechende
-Quadrat ergab. Je kleiner man sich diese Quadrate denkt, um so näher
-kommt natürlich das Resultat der Wirklichkeit. Doch eine bestimmte
-Grenze gibt dieses metrische Prinzip nicht an die Hand, und die
-Methode bleibt daher unbefriedigend. Leibniz suchte nun nach einem
-andern Verfahren, das ein solches absolutes Minimum ergebe. Er hoffte
-es zu finden, indem er, statt von dem relativen Unterschied des Großen
-und Kleinen, von dem absoluten Gegensatz des unendlich Großen und
-des unendlich Kleinen ausging. Dazu mußte vor allem als Maßelement
-ein solches gewählt werden, das seinem allgemeinen Begriff nach der
-Forderung der Einfachheit entsprach. Die in diesem Sinne einfachste
-Figur in der Ebene ist aber das Dreieck als die von der kleinsten Zahl
-von Geraden umschlossene Ebene. Leibniz, ohnehin überall geneigt,
-bei der Behandlung bestimmter Aufgaben neue Wege einzuschlagen,
-versuchte daher, durch die Zerlegung in Dreiecke statt in Quadrate
-dieses Ziel zu erreichen. So gelangte er zu der berühmten unendlichen
-Reihe 1 – 1/3 + 1/5 – 1/7 ... für den Flächeninhalt des Kreises vom
-Durchmesser 1. Indem zur Konstruktion der Dreiecke, die bei dieser
-»Arithmetisierung des Kreises«, wie er sein Verfahren nannte, die auf
-die Punkte des Kreisumfangs gelegten Tangenten und Sekanten benutzt
-wurden, führte aber diese Methode, auf Kurven von beliebiger Gestalt
-übertragen, unmittelbar zu dem Gedanken, das Dreieck zur Lösung der
-allgemeineren Aufgabe einer solchen Arithmetisierung des Verlaufs
-einer Kurve zu verwenden. Er dachte sich also ein zu diesem Zweck
-rechtwinkliges Dreieck aus den zu den zwei einander nächsten Punkten
-der Kurve gehörigen Koordinaten als Katheten und der für diesen Fall
-mit der Kurve selbst zusammenfallenden Tangente als Hypothenuse
-gebildet. Dieses Dreieck nannte er das »~Triangulum charakteristicum~«.
-Gewiß ist es kein Zufall, daß der Name an die ~Charakteristica
-universalis~ erinnert. Eine universelle, den Umkreis der überlieferten
-arithmetischen Operationen überschreitende Arithmetik hat Leibniz zu
-jeder Zeit unter ihr verstanden. Die Differentialrechnung ist aber
-tatsächlich eine solche: sie ist es mehr als alle vorangegangenen
-Bemühungen in ähnlicher Richtung, die zumeist erst durch sie ihre
-Erledigung fanden. Von der Differentialrechnung kann man darum wohl
-sagen: mit ihrer Erfindung hat er im wesentlichen erreicht, was er
-in seiner ~Charakteristica universalis~ erstrebt hatte. Wenn er das
-selbst nicht direkt anerkannt hat, so mag dies wohl darin seinen
-Grund haben, daß er nirgends eingestehen wollte, ein Problem könne
-jemals abgeschlossen sein, besonders aber darin, daß zur Anerkennung
-der Universalität der Methode ein notwendiges Desiderat fehlte: die
-Anwendung auf andere Wissenschaften, die er im Hinblick auf den von ihm
-behaupteten Zusammenhang alles Wissens forderte.
-
-Die Umwandlung, die der Unendlichkeitsbegriff auf seinem Wege von
-der aristotelischen Scholastik zu Leibniz und von diesem zur neueren
-Mathematik erfahren hat, ist übrigens zugleich eines der bedeutsamsten
-Stücke moderner Begriffsgeschichte. Der Scholastik galt, wie noch
-jetzt dem populären Bewußtsein, in welchem die scholastische Theologie
-heute noch nachwirkt, das Unendliche als oberster Grenzbegriff alles
-Denkbaren. Aber latent war darin vermöge des die Wissenschaft seit
-Aristoteles beherrschenden Prinzips der Antithetik, nach welchem
-jeder selbständige Begriff seinen Gegensatzbegriff fordert, auch der
-unterste Grenzbegriff des unendlich Kleinen bereits vorausgesetzt. Wir
-werden auf dieses Prinzip unten bei dem direkt auf ihm aufgebauten
-Begriffssystem der scholastischen wie der Leibnizschen Naturlehre
-zurückkommen. Dabei besteht nun die Selbständigkeit der Begriffe
-wesentlich darin, daß jeder unvermischt mit andern gedacht werde,
-weil er dann erst in seinem reinen Gegensatz zu dem ihn antithetisch
-ergänzenden erscheint. Darum sind solche Begriffe _absolute_
-Gegensätze, nicht bloß relative, und jedes Glied des Gegensatzes
-ist selbst ein absoluter Begriff. Dies gilt für das Unendliche in
-seinen beiden Formen, für das unendlich Große wie für das unendlich
-Kleine. So ist denn auch das »~Triangulum charakteristicum~« in den
-ersten Begründungen, die Leibniz der Differentialrechnung gab, das
-absolut, nicht das relativ kleinste Dreieck, das man zur Ausmessung
-einer Kurve verwendet. Daß es außerhalb dem absolut Kleinsten noch
-ein kleineres gebe, ist ihm hier eine widersprechende Annahme. Das
-charakteristische Dreieck ist also nicht eines neben andern, sondern
-ein einziges. Es ist, wie das Unendliche überhaupt, niemals in der
-Anschauung gegeben, wohl aber begrifflich das denkbar kleinste Dreieck
-an dem betreffenden Punkt der Kurve. Hier ist die Fluxionsmethode
-Newtons der Leibnizschen Infinitesimalmethode von vornherein überlegen.
-Indem jene nicht an das geometrische Bild der Funktion, sondern an
-das andere einer im gleichförmigen Flusse der Zeit veränderlichen
-Geschwindigkeit anknüpft, liegt ihr zwar in der gleichförmig fließenden
-Zeit eine metaphysische Voraussetzung zugrunde, die nämliche, deren
-sich Newton auch in seiner Naturphilosophie bedient hat; aber das Bild
-der Bewegung eines räumlichen Punktes führt doch ohne weiteres zu dem
-der Geschwindigkeitsänderung hinüber. Dagegen bietet der Leibnizsche
-geometrisch fundierte Differentialbegriff in dem aus dem Verhältnis
-der Koordinatenabschnitte des charakteristischen Dreiecks gebildeten
-Differentialquotienten von vornherein einen für die Gewinnung eines
-konsequent durchgeführten Algorithmus weit geeigneteren Ausgangspunkt.
-Dabei erwies sich gerade dieser Begriff eines absoluten, unveränderlich
-gedachten Minimums deshalb hilfreich, weil sich von ihm aus um so
-zwingender mittels der so eingeführten Symbolik ein Fortschritt zu
-weiteren, entsprechend gebildeten Differentialfunktionen ergab. Hierzu
-mußte dann freilich die absolute Bedeutung des unendlich Kleinen
-beseitigt, und durch die Feststellung einer allzeit nur _relativen_
-ersetzt werden. Das ergab sich aber mit Notwendigkeit aus der weiteren
-Aufgabe, einen entsprechenden Ausdruck für die _Richtungsänderung_
-einer Kurve zu finden. Und da konnte es nicht zweifelhaft sein, daß
-ein solcher Ausdruck aus einer Wiederholung desselben Verfahrens
-bestehen mußte, das zu dem ersten Differentialquotienten als dem
-arithmetischen Ausdruck der _Richtung_ geführt hatte. Sobald Leibniz
-die Richtungsänderung der Funktion als die reale Bedeutung des
-zweiten Differentialquotienten erkannte, konnte er sich aber auch
-der Möglichkeit einer unbegrenzten weiteren Fortsetzung der gleichen
-Operation nicht mehr entziehen. So verwandelte sich der Begriff des
-absoluten in den des _relativen Minimums_, das übrigens immerhin seinen
-Zusammenhang mit jenem absoluten Grenzbegriff darin bewahrte, daß die
-Grenze, bis zu welcher in der Bildung der Differentialfunktion zu gehen
-ist, durch die Natur des Problems jedesmal fest bestimmt wird, was im
-Erfolg der Feststellung eines absoluten Minimums gleichkommt. Damit
-hat Leibniz selbst schon den Übergang zur sogenannten Grenzmethode
-vollzogen, der später Maclaurin und d'Alembert nur eine anschaulichere
-Form gaben, und die noch heute, soweit man sich überhaupt auf eine
-Begründung der Differentialrechnung einläßt, als die bevorzugte gelten
-kann.
-
-Für Leibniz aber wurde die Erkenntnis der realen Bedeutung des
-zweiten Differentialquotienten ein epochemachendes Ereignis, ja sie
-ist in ihren Folgen vielleicht das epochemachendste gewesen, das er
-überhaupt in seinem Denken erlebt hat. Der Übergang vom absoluten zum
-relativen Unendlichkeitsbegriff bezeichnet für ihn eine Katastrophe,
-die durchaus nicht auf die Mathematik beschränkt bleibt, sondern sich
-von hier aus auf alle Gebiete der Wissenschaft und nicht zum wenigsten
-auf seine philosophische Weltanschauung erstreckt. Als das oberste
-Prinzip alles Wirklichen gilt ihm von da an die »~Lex continuitatis~«,
-das Gesetz der Stetigkeit, das, folgerichtig zu Ende gedacht, alle
-absoluten Gegensätze in relative umwandelt, indem es die Starrheit
-der alten Substanzbegriffe durch den Fluß aller tätigen Kräfte der
-Welt ersetzt. Dies ist der Punkt, bei dem zugleich die Entwicklung der
-Naturphilosophie an diesen Wandel der mathematischen Begriffe sich
-anschließt.
-
-
-~b.~ Die dynamische Naturphilosophie.
-
-Es ist eine oft gemachte Bemerkung, daß die späteren epochemachenden
-Leistungen bedeutender Männer ihrer allgemeinen Richtung nach nicht
-selten in ihren, oft an sich höchst unvollkommenen Erstlingsarbeiten
-bereits angedeutet sind. Von wenigen gilt das vielleicht mehr als von
-Leibniz und seiner »~Ars combinatoria~«. Wie in ihr zum erstenmal
-die »~Charakteristica universalis~« mit der hinter ihr stehenden
-Entwicklung seines mathematischen Denkens leise anklingt, so verrät
-sie, wenn auch mehr in einzelnen Abschweifungen als in wirklichen
-Ausführungen, den Einfluß der Scholastik auf seine Naturphilosophie.
-Während aber die Anfänge seines mathematischen Denkens an die
-Bestrebungen jener mathematischen Mystik anknüpfen, die namentlich
-seit dem 13. Jahrhundert eine Nebenströmung der klassischen Scholastik
-gebildet haben, ist es eine andere Seite der in der gleichen Zeit
-verbreiteten Bestrebungen, die in jenem Jugendwerk zur Geltung kommt:
-es ist der vielfach im Gegensatz zu der vorangegangenen Philosophie
-sich regende Versuch, die herrschende Scholastik durch den Rückgang
-auf ihre Quelle, die Aristotelische Philosophie, zu reformieren. In
-zwei merkwürdigen Beilagen zu jener Schrift tritt dies deutlich
-zutage: in einem vorausgeschickten Exkurs über den Beweis des Daseins
-Gottes, und in einem als Titelbild beigegebenen Schema der bekannten
-vier aristotelischen Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erde. Der
-Gottesbeweis sucht an Stelle der in der Scholastik aufgekommenen
-ontologischen und kosmologischen Beweise wieder den aristotelischen
-aus dem »Automaton« zu erneuern. Leibniz erklärt ihn für den einzigen,
-dem mathematische Evidenz innewohne, weil die Reihe der Bewegungen
-in der Natur notwendig einen ersten Beweger voraussetze, der selbst
-unbewegt sei. Dieser Versuch, in der Ableitung des Gottesbegriffs
-auf Aristoteles zurückzugehen, knüpft zwar an die bereits in der
-gleichzeitigen Scholastik herrschende Bevorzugung des sogenannten
-kosmologischen Beweises an, aber er entfernt aus ihm die Beziehungen
-zur Theologie, um ihn als eine rein naturphilosophische Voraussetzung
-bestehen zu lassen. Noch bedeutsamer ist die zweite Beigabe: das
-Schema der vier Elemente. Es ist weniger der Begriff der Elemente
-selbst als die Methode, durch die Aristoteles die Notwendigkeit ihrer
-Unterscheidung zu begründen gesucht hatte, worauf es dem Verfasser
-offenbar bei diesem Titelbild ankommt. Um die Bedeutung desselben zu
-würdigen, muß man sich vor allem die Stellung vergegenwärtigen, die
-die Aristotelische Deduktion der vier Elemente in der Geschichte der
-Naturphilosophie einnimmt. Nicht die Unterscheidung der Elemente selbst
-ist ja die entscheidende Tat, durch die er ihnen bis tief in die neuere
-Zeit zuerst eine fast ausschließliche Herrschaft und dann, nachdem die
-chemische Atomistik entstanden war, wenigstens eine Art Nebenherrschaft
-gesichert hat, sondern ihre logische Ableitung. In der älteren
-jonischen Naturphilosophie waren sie als makrokosmische Bestandteile
-der Welt schon vorgebildet. Der äußersten, den Gestirnen entsprechenden
-Feuersphäre folgt die Luft, dann das Wasser und endlich die feste
-Erde. Empedokles hatte sie in mikrokosmische Elemente verwandelt, aus
-denen sich die Einzeldinge zusammensetzen sollten. Was Aristoteles
-hinzubrachte, das war die logische Deduktion, nach der diese Elemente
-selbst wieder aus der Mischung von Urqualitäten hervorgehen sollten,
-die aus den allgemeinsten Eigenschaften der Dinge abstrahiert und nach
-Gegensätzen geordnet waren: fest und flüssig, kalt und warm. So ergab
-sich das Schema:
-
- Trocken Flüssig
-
- Kalt _Erde_ _Wasser_
- Warm _Feuer_ _Luft_
-
-Dieses Schema ist wohl das glänzendste Beispiel für die Aristotelische
-Behandlung der Erfahrungsbegriffe. Das empirisch Gegebene bildet die
-Grundlage einer Begriffsscheidung, die nach gegensätzlichen Merkmalen
-ausgeführt und, wenn nötig, durch Synthese der zu einander passenden
-Teilbegriffe zu einem logisch geschlossenen System geordnet wird. Die
-Erfahrung bildet das Material, die dialektische Begriffsgliederung
-das Mittel, um die empirischen Begriffe zugleich als logisch
-notwendige erscheinen zu lassen. Diese Methode der dualistischen
-Begriffsgliederung, welcher jedesmal von dem Philosophen gleichzeitig
-logische Notwendigkeit und metaphysische Gültigkeit zugesprochen
-wird, wiederholt sich in den mannigfaltigsten Gestaltungen in der
-Philosophie des Aristoteles. Sie bildet ein Seitenstück und eine
-Ergänzung zu der Methode der Begriffssubsumtion, die das ganze
-System des Philosophen beherrscht, und die überall darauf ausgeht,
-das Erfahrungsmäßige zugleich als ein begrifflich Notwendiges zu
-erweisen. Logisch notwendig ist aber derjenige Begriff, der durch
-einen anderen als sein Gegensatz gefordert wird. Hieraus entspringt
-jenes Prinzip dualer Begriffsgliederung, das auch anderwärts bei
-Aristoteles in der besonders wirkungsvollen Form der Viergliederung
-vorkommt: so in der Einteilung der Urteilsformen in bejahende und
-verneinende, allgemeine und besondere, oder in der Psychologie in
-der Einteilung der Erinnerungsformen in solche nach Ähnlichkeit und
-Gegensatz, Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge des Erinnerten. Ihren
-Vorzug für das systematische Denken gewinnen diese aus zwei logischen
-Zweigliederungen synthetisch gewonnenen Vierteilungen sichtlich eben
-dadurch, daß durch die Verflechtung der beiden Komponenten zu einem
-Ganzen nochmals das Prinzip der Dualität wiederkehrt. Wo eine solche
-Kombination zweier logischer Zweiteilungen zur Vierzahl nicht möglich
-ist, da kann dann auch eine unmittelbar einsetzende Verbindung der
-Gegensätze dem Bedürfnis nach logischer Einheit entgegenkommen: so bei
-der Aristotelischen Ableitung der Tugendbegriffe aus dem Prinzip der
-richtigen Mitte aus entgegengesetzten Fehlern, wie der Freigebigkeit
-aus Geiz und Verschwendung usw., oder bei den grundlegenden
-metaphysischen Begriffen Stoff und Form, die ebensowohl als Gegensätze
-wie als sich ergänzende Begriffe gedacht werden.
-
-Dieses Prinzip der dualen Gliederung beherrscht nun die Leibnizsche
-Naturphilosophie in ihrer ganzen Entwicklung. Den Ausgangspunkt bildet
-hier der bei ihm früh sich regende Zweifel an der Haltbarkeit des
-Cartesianischen Begriffs der Materie, mit dem seine Opposition gegen
-die Cartesianische Naturphilosophie begonnen hat. In einer bis zu
-einem gewissen Grade bereits ausgereifteren Gestalt begegnet uns jenes
-Schema zuerst in seiner für die ganze Entwicklung seiner Philosophie
-überaus bedeutsamen Schrift vom Jahre 1671 »~Hypothesis physica
-nova~«. Sie zeigt uns ihren Verfasser mitten auf dem Wege zwischen
-der unumschränkten Annahme der Cartesianischen Prinzipien, denen
-er sich in einem früheren Stadium zugeneigt hatte, und der vollen
-Abwendung von diesen in seinen späteren Arbeiten über Dynamik. In
-jener Schrift schließt er sich in der Erklärung der Himmelsbewegungen
-noch im wesentlichen an Descartes an, aber dessen Auffassung der
-Materie als des durch die einzige Eigenschaft der Ausdehnung im
-Raume gekennzeichneten Substrates der Naturerscheinungen bekämpft
-er als eine unmögliche. Die Ausdehnung kann, wie er erklärt, nur
-aus einer ausdehnenden Kraft begriffen werden, und nur sie macht
-jene passiven Eigenschaften der Materie verständlich, die zu Raum
-und Bewegung hinzukommen müssen, um den Widerstand eines Körpers
-gegenüber einem andern und das Beharren einer ihm mitgeteilten
-Bewegung zu erklären. So gelangt er hier bereits zu jener Aufstellung
-des Kraftbegriffs als des Grundbegriffs für die Interpretation der
-gesamten Naturerscheinungen und zugleich zu einer doppelten Gliederung
-dieses Begriffs: zunächst scheidet sich die Kraft in die passive,
-die den Körpern fortwährend innewohnt, und in die aktive, die in der
-Bewegung sich äußert; die passive Kraft aber scheidet sich wieder
-in die Festigkeit (Undurchdringlichkeit) und in die Trägheit, die
-Galileische ~Vis inertiae~. Von diesem ersten Entwurf an schreitet
-dann in den nach dem Jahr 1680 ausgeführten Arbeiten zur Dynamik diese
-Einteilung in folgerichtiger Weiterführung der begonnenen Subsumtion
-der Begriffspaare zu dem folgenden endgültigen Schema fort:
-
- { ~vis primitiva~ = ∞
- ~Vis = vera~ {
- ~Substantia~ { { { ~antitypia~
- { ~vis~ { ~vis passiva~ {
- { ~derivativa~ { { ~inertia~
- {
- { ~vis activa~ { ~vis mortua~
- { ~= const.~ {
- { { ~vis viva~
-
-Die Analogie dieses Schemas mit den Aristotelischen
-Begriffsgliederungen springt in die Augen. Dennoch ist die Beziehung
-der Begriffsglieder zu einander offenbar eine wesentlich andere
-geworden, und hinter diesem Wandel verbirgt sich der mächtige
-Einfluß, den die seit dem Galileischen Zeitalter eingetretene
-Umwälzung der Naturanschauungen selbst da hervorgebracht hat, wo man
-die neue Anschauung in die alten scholastischen Formen umzuprägen
-sucht. In der Tat ist das Schema, in welchem Leibniz seine gesamte
-Naturphilosophie zum Ausdruck bringt, ein deutliches Zeugnis dafür,
-daß diese Philosophie selbst gewissermaßen eine Resultante aus den
-zwei Weltanschauungen ist, die sich hier zu einem Ganzen vereinigen.
-In der Form ist dieses System noch in der scholastischen Denkweise
-befangen, in seinem Inhalt ist es ganz von den Anschauungen der
-neuen mechanischen Naturwissenschaft erfüllt, und es ist zugleich
-ein bedeutsamer, zweifellos der Cartesianischen Naturwissenschaft
-überlegener Versuch, diese Anschauung in ein einheitliches, von einem
-einzigen Grundbegriff, dem der Kraft, getragenes System zu bringen.
-Der wesentliche Unterschied in der Anwendung des Prinzips der dualen
-Gliederung bei Leibniz gegenüber der aristotelisch-scholastischen,
-wie ihn am ausgeprägtesten das von Leibniz selbst dereinst an die
-Spitze seiner ~Ars combinatoria~ gestellte Beispiel der vier Elemente
-zeigt, besteht darin, daß die Begriffsgliederung der Scholastik auf
-dem Prinzip der Subsumtion unter einen Oberbegriff beruht, während
-sie bei Leibniz stets zugleich eine kausale Beziehung der einander
-gegenübergestellten Begriffe in sich schließt. So sind trocken und
-flüssig unter dem allgemeinen Begriff des Aggregatzustandes enthalten,
-ohne über die Bedingungen, unter denen etwa die eine in die andere
-dieser Eigenschaften übergeht, etwas auszusagen. Die ~Vis primitiva~
-und ~derivativa~, die ~Vis viva~ und ~mortua~ sind dagegen derart in
-Beziehung zueinander gesetzt, daß die wegen der im Fortschritt der
-Zeit ins Unendliche sich erstreckende Summe aller vorangegangenen,
-gegenwärtigen und zukünftigen Kraftwirkungen als die an sich unendlich
-zu denkende Quelle der jeweils in der Natur vorhandenen Kräfte
-betrachtet wird; ebenso sind die ~Vis viva~ und ~mortua~ durch die
-Voraussetzung der Konstanz ihrer Summe nicht bloß Teilbegriffe der ~Vis
-activa~, sondern sie stehen derart in kausaler Beziehung, daß sie stets
-nur in äquivalenten Werten ineinander übergehen können.
-
-Aber dieses Schema des Kraftbegriffs enthält nicht bloß, wenngleich
-in äußerlich rein subsumierender Form, ~in nuce~ die reichen
-Wechselbeziehungen der Naturerscheinungen, die Leibniz durch die
-Modifikation seines Kraftbegriffs auszudrücken sucht, sondern es
-weist zugleich über das naturwissenschaftliche Gebiet hinaus auf die
-universelle philosophische Bedeutung hin, die bei ihm der Kraftbegriff
-gewinnt. Dies tritt vor allem in der dem Ganzen vorangestellten
-Begriffsbestimmung der Kraft als der »wahren Substanz« hervor. Eine
-eigentliche Definition enthält freilich dieses Attribut nicht, oder es
-weist doch höchstens indirekt auf eine solche hin, indem es die Kraft
-als den Grundbegriff bezeichnet, der künftighin an die Stelle der
-bisherigen Substanz zu treten habe. Nun reicht aber der Substanzbegriff
-über das Gebiet der Naturphilosophie hinaus. Er hatte sich in der
-bisherigen Philosophie zu dem Begriff eines beharrenden Seins
-entwickelt, das bald als allgemeines Substrat der Erscheinungswelt,
-bald als unendliches göttliches Sein oder auch als beides zugleich, wie
-in der Cartesianischen Dreiteilung der Substanzen in Seele, Körperwelt
-und Gott, gedacht wurde. Indem Leibniz die Kraft die wahre Substanz
-nennt, gibt er also seinem Kraftbegriff von vornherein ebenfalls
-eine universelle metaphysische Bedeutung. Da er anderwärts das Wesen
-der Kraft, im Gegensatz zu jenem Begriff der beharrenden Substanz,
-in die Tätigkeit und, wo diese nicht zur Wirkung gelangt, in das
-Streben nach Tätigkeit verlegt, so ist dieser Ersatz der beharrenden
-Substanz durch die tätige Kraft wiederum ein wesentlicher Punkt in
-seiner fortschreitenden Abkehr von Descartes. So überaus weittragend
-dieser neue Substanzbegriff ist, -- er kommt, wie wir sehen werden,
-der Aufhebung des Substanzbegriffs überhaupt gleich --, so hat er
-jedoch für die Prinzipien der Naturphilosophie auf den ersten Anschein
-keine allzu schwer wiegenden Folgen. Da Leibniz immerhin an der
-räumlichen Ausdehnung als der unmittelbar in der Anschauung gegebenen
-Eigenschaft der Körper festhält, so gilt auch für ihn der Satz, daß
-alles Geschehen in der Natur auf Bewegungen der Materie zurückzuführen
-ist, und es scheint zunächst wenig zu bedeuten, ob diese Bewegungen
-selbst als das Ursprüngliche angesehen werden oder ob man sie auf eine
-hinter ihnen stehende tätige Kraft zurückführt. Hat doch das erstere
-den Vorteil den, wie sich später d'Alembert ausdrückte, »mystischen«
-Kraftbegriff zu vermeiden, indem man sich nur an die Erscheinungen
-selbst hält. Auch muß man zugestehen, daß Descartes schwerlich ohne
-seine Voraussetzung der Identität von Raum und Materie auf den
-Gedanken gekommen wäre, die Eigenschaft der Unveränderlichkeit des
-Raumes auf die Bewegungen im Raum anzuwenden und so zur Aufstellung
-seines Prinzips der Erhaltung der Quantität der Bewegung zu gelangen,
-eines Prinzips, das zwar falsch war, aber immerhin das Verdienst
-hatte, den Gedanken der Konstanz von der Materie als dem Substrat der
-Naturvorgänge auf diese selbst zu übertragen. Dennoch offenbarte sich
-in dem über diese Frage entstandenen Streit zwischen Leibniz und den
-Cartesianern bald der gewaltige Unterschied, der zwischen beiden Formen
-der mechanischen Naturanschauung, jener eigentlich rein phoronomischen
-Betrachtung Descartes' und seiner Schüler und dieser dynamischen
-bestand, und der eben darin seinen tieferen Grund hatte, daß das System
-der Kraftbegriffe, wie es das obige Schema darstellt, in allen seinen
-Gliedern auf kausalen Beziehungen beruht.
-
-Die bedeutsamsten dieser Beziehungen sind nun die zwischen passiver
-und aktiver Kraft und vor allem die zwischen toter und lebendiger
-Kraft. Beide Unterscheidungen hängen aber auf das engste zusammen.
-Denn die passiven Kräfte, die der Materie außer ihrem Dasein im Raume
-zukommen, bewirken, daß die Bewegung Widerstände findet, die die
-aktuelle in eine potentielle, in ein bloßes Streben nach Bewegung
-umwandeln können, daher denn auch nicht, wie das Cartesianische
-Konstanzprinzip voraussetzt, die gesamte Quantität der Bewegung,
-sondern nur die _ganze_ ~Vis activa~, also die Summe der toten und der
-lebendigen Kräfte, konstant bleibt. Das ist das berühmte Prinzip der
-»Erhaltung der Kraft« beinah in demselben Sinne, in dem es fast zwei
-Jahrhunderte später von Robert Mayer formuliert wurde. Es ist durch
-eine merkwürdige Konfusion der ~Vis viva~ mit der ~Vis activa~ in dem
-System der Leibnizschen Kraftbegriffe als eine Vorausnahme und zugleich
-unberechtigte Verallgemeinerung des unter gewissen Voraussetzungen
-geltenden mechanischen Prinzips der »Erhaltung der lebendigen
-Kräfte« gedeutet worden. Das ist falsch, wie ein Blick auf das obige
-Schema ohne weiteres zeigt. Leibniz ist bereits im vollen Besitz des
-Erhaltungsprinzips, wie es die heutige Physik voraussetzt, wenn er
-auch selbstverständlich nach dem damaligen Zustand der Wissenschaft
-von den sogenannten Transformationen der Naturkräfte nichts wissen
-konnte, die erst durch die Nachweisung der Äquivalenz der Naturkräfte
-seine umfassendere empirische Bestätigung und Anwendung möglich
-gemacht haben. Jenes Mißverständnis ist aber hauptsächlich dadurch
-entstanden, daß der Folgezeit bis zu seiner Wiederentdeckung an der
-Hand des Äquivalenzgesetzes der Sinn des Streites, den Leibniz mit
-den Cartesianern kämpfte, verlorengegangen war. Man stritt im ganzen
-18. Jahrhundert nicht mehr um die Frage der Konstanz der Naturkräfte,
-sondern um die andere, ob diese nach Cartesius durch die Quantität der
-Bewegung ~m . v~ oder nach Leibniz durch die lebendige Kraft ~m . v²~
-zu messen seien. So kam es, daß im allgemeinen die Mathematiker es
-schließlich, der Autorität d'Alemberts folgend, für gleichgültig
-erklärten, welchen der beiden Ausdrücke man wähle, da diese Wahl nur
-davon abhänge, ob man unter den Gleichungen für die Bewegung schwerer
-Körper diejenige bevorzuge, die die Zeit der Bewegung, oder diejenige,
-die den zurückgelegten Weg enthalte. Auf die Physiker dagegen machte
-im allgemeinen der von Leibniz erbrachte Nachweis der Übereinstimmung
-seines Prinzips mit den Galileischen Fallgesetzen den größeren
-Eindruck. Da in diesem Beispiel das allgemeine Prinzip der Erhaltung
-der Kraft mit dem beschränkteren der »Erhaltung der lebendigen
-Kräfte« zusammenfiel, so befestigte sich aber dadurch um so mehr die
-Meinung, ~Vis viva~ und ~Vis activa~ bedeuteten eins und dasselbe.
-So ereignete es sich, daß die »lebendige Kraft« ein dauernder Besitz
-der Physik blieb, die »tote Kraft« dagegen geriet in Vergessenheit,
-bis sie unter verschiedenen andern Namen, wie »potentielle Energie«,
-»Spannkraft«, »Energie der Lage« durch die neuere Energetik wieder
-erweckt wurde. Unter diesen neuen Ausdrücken ist besonders die
-»potentielle Energie« bemerkenswert. Das Wort hängt mit dem Bestreben
-zusammen, das gute deutsche Wort Kraft wegen der mancherlei außerhalb
-der exakten Mechanik und Physik liegenden Bedeutungen, in denen es
-gelegentlich gebraucht wird, wie Lebenskraft, Denkkraft, ganz aus der
-Wissenschaft auszumerzen und durch ein anderes, in dieser Beziehung
-unverfänglicheres zu ersetzen. Damit hat die Geschichte dieses
-Begriffs einen merkwürdigen Kreislauf zurückgelegt. Leibniz hatte den
-alten Kraftbegriff nach dem Vorbild der Aristotelischen »Energeia«
-umgeformt, indem er als sein wesentliches Merkmal die Tätigkeit, oder,
-wie wir es modern ausdrücken können, die Leistung, für die mechanischen
-Kräfte also, da auch nach Leibniz alle Naturkräfte mechanische
-Kräfte sind, die _Arbeitsleistung_, betrachtete. Demgegenüber war
-natürlich die Aristotelische Energeia weit vieldeutiger gewesen, wie
-es denn noch heute das Wort Energie in der Mannigfaltigkeit seiner
-Bedeutungen mindestens mit der Kraft aufnehmen kann. Es dürfte also
-fraglich sein, ob der Begriff bei diesem Rückgang von Leibniz zu
-Aristoteles etwas gewonnen hat, vollends wenn man ihn außerdem in der
-Gegenüberstellung der potentiellen und aktuellen Energie den Umweg
-über die aristotelische Scholastik nehmen läßt, in der er mehr als bei
-Aristoteles selbst zur formelhaften Begriffsschablone geworden war.
-Demgegenüber sind die Ausdrücke tote und lebendige Kraft freilich nur
-veranschaulichende Metaphern, nicht abstrakte Begriffe wie ~Potentia~
-und ~Actus~, aber sie besitzen eben deshalb den Vorzug, nur eine
-Veranschaulichung der Begriffe, nicht, wie die Ausdrücke Spannkraft,
-Lageenergie, Veranschaulichungen und Beispiele zugleich zu sein.
-
-Immerhin ist der Rückgang der modernen Physik auf die alte
-Aristotelische Begriffsgliederung in doppelter Beziehung bedeutsam.
-Auf der einen Seite zeigt er, daß jene Neigung zu dualer Gliederung,
-mögen die Begriffe nun aus der Erfahrung abstrahiert oder logisch
-postuliert oder, wie gewöhnlich, aus einem Zusammenwirken apriorischer
-und empirischer Motive hervorgegangen sein, keineswegs mit der
-Scholastik verschwunden ist, auch in solchen Fällen, wo man nicht,
-wie bei Leibniz, an eine direkte Nachwirkung denken wird. Mag es auch
-sein, daß das scholastische Begriffspaar ~Potentia~ und ~Actus~
-durch schwache Fäden unbestimmter Erinnerung noch in die heutige
-Naturwissenschaft herabreicht; ein starker Antrieb, der in den Dingen
-selbst liegt, mußte doch hinzukommen, wenn solche längst für begraben
-gehaltene logischen Produkte wieder lebendig werden sollten. Denn
-logische Produkte, wenn nicht Artefakte, sind ja alle derartige nach
-dem Prinzip des dualen Gegensatzes ausgeführte Begriffsgliederungen.
-Daß sie in der Natur selbst existieren, ist jedenfalls im höchsten
-Grad unwahrscheinlich, denn, wo immer die Analyse der Erscheinungen
-in die Tiefe zu dringen vermag, da pflegen zahlreiche Vermittlungen
-von dem einen Glied des Gegensatzes zum andern zu führen, wie dies für
-die ethischen Gegensätze Aristoteles selbst bereits bemerkt hat. Aber
-als ein treffliches Hilfsmittel vorläufiger Ordnung der Erscheinungen
-bewährt sich tatsächlich jene Scheidung überall. Es ist eben der erste
-Schritt zur Ausführung einer begrifflichen Ordnung, wie er freilich
-auch niemals der letzte bleiben darf. Indem die aristotelische
-Scholastik dieses Prinzip zwar in einseitiger und schließlich zu einem
-äußeren Schematismus erstarrender Weise durchgeführt hat, bezeichnet
-sie daher nicht, wie noch jetzt, im Zeitalter historischer Würdigung
-der Zeiten und Zustände, von manchen geglaubt wird, eine Verirrung
-der Wissenschaft, die höchstens durch ihre Dauer bemerkenswert sei,
-sondern, geschichtlich betrachtet, ganz wie unsere eigene Zeit, eine
-in der vorangegangenen Entwicklung begründete und auf die folgende zum
-Teil bis zum heutigen Tage nachwirkende Stufe der Geistesgeschichte.
-Für Leibniz aber, der selbst noch aus der Schule der Scholastik
-hervorging, war sie mehr: sie bedeutete ihm eine der in seiner
-eigenen Zeit einander gegenüberstehenden Richtungen, aus der, wie aus
-allen andern, das Gute und Brauchbare zu übernehmen und das Irrige
-auszuscheiden sei.
-
-Wie die von der Scholastik in übertriebenem Maße geübte Distinktion
-der Begriffe unter geeigneten Umständen die empirische Analyse der
-Erscheinungen fördern kann, dafür bietet nun gerade die Geschichte des
-Erhaltungsprinzips einen sprechenden Beleg. Wenn Leibniz wiederholt
-hervorhebt, daß seine Formulierung desselben durch die Galileischen
-Fallgesetze bestätigt werde, während die Cartesianische diesen
-widerstreite, so würde es zunächst irrig sein, wollte man daraus
-entnehmen, sein Prinzip sei aus diesen Gesetzen selbst abstrahiert
-worden. Sie waren ihm vielmehr nur eine willkommene Bestätigung eines
-auf weit zurückgehende Überlegungen gegründeten Schlusses. In der Tat
-war Descartes selbst nicht einmal der erste, der die Idee der Konstanz
-der bewegenden Kräfte in die Naturbetrachtung einführte, sondern
-auch sie hatte sich bereits in der Scholastik und noch weiter zurück
-in dem Aristotelischen »Automaton« vorbereitet. Und anknüpfend an
-diesen Begriff eines ersten Bewegers und an den der Unveränderlichkeit
-der Himmelsbewegungen war schon in der scholastischen Theologie der
-Gedanke aufgetaucht, die Schöpfung sei nicht bloß einmal entstanden,
-sondern sie wiederhole sich fortwährend in der Unveränderlichkeit des
-Wirkens der Gottheit in der Natur. Hier trat nun Descartes in dem
-Bestreben, alle Erscheinungen aus mechanischen Ursachen abzuleiten,
-dieser Anschauung entgegen, um sich auf die Seite derer zu stellen,
-die die Schöpfung als einen _einmaligen_ Akt betrachteten. Gott hat
-nach ihm im Anfang der Dinge allen Teilen der Materie die Bewegung
-mitgeteilt, die sich nun unverändert in ihr erhält. So war, indem
-er die Immanenz Gottes in der Natur wieder in seine Transzendenz
-umwandelte, und den Gedanken der Unveränderlichkeit nun von Gott auf
-die Natur selbst übertrug, sein Prinzip der Konstanz der Quantität der
-Bewegung entstanden. Den allgemeinen Gedanken nahm Leibniz auf, aber
-er erkannte, daß er in der ihm von Descartes gegebenen Form unhaltbar
-sei, weil dieser die Hemmungen übersehen hatte, die die materiellen
-Teile durch ihre Wechselwirkung erfahren müßten. So half er sich
-denn mit einer jener scholastischen Unterscheidungen, die sich ihm
-sonst schon fruchtbar erwiesen hatten: er stellte den aktuellen die
-potentiellen Wirkungen gegenüber. Diese Auskunft nötigte ihn aber zu
-einem weiteren Schritt: auch der Anfang der Bewegung mußte in die Natur
-selbst verlegt werden, wenn jenes Streben nach Bewegung, das in den im
-Gleichgewicht miteinander stehenden materiellen Teilen erhalten blieb,
-möglich sein sollte. Dazu half ihm sein universeller Kraftbegriff mit
-seiner Scheidung in tote und lebendige Kräfte, wodurch sich von selbst
-das Cartesianische Prinzip der Erhaltung der Quantität der Bewegung
-in das neue der Erhaltung der Summe der toten und der lebendigen
-Kräfte verwandelte. Damit schloß aber dieses zugleich ein Prinzip der
-_Selbsterhaltung der Natur_ in sich, machte also jene erste Mitteilung
-aller Bewegung durch die Gottheit überflüssig. Hat auch Leibniz
-selbst diese Folgerung nicht ausdrücklich gezogen, so hat er doch in
-ihrem Sinne prinzipiell die Aufgabe der mechanischen Naturphilosophie
-folgerichtig zum erstenmal gelöst. So ist, wie man wohl sagen darf, das
-Prinzip der Erhaltung der Kraft an sich rein aus logischen Überlegungen
-hervorgegangen, ganz so wie Galilei sein Trägheitsprinzip ursprünglich
-lediglich auf solche gegründet hatte, um es dann erst durch seine
-Fallversuche zu bestätigen. Und ähnlich hat nun Leibniz sein
-Erhaltungsprinzip, nachdem er es durch Spekulation gefunden, durch den
-Nachweis der Übereinstimmung mit den Galileischen Gesetzen empirisch
-bestätigt.
-
-Noch blieb aber in der Ableitung des Prinzips eine Lücke, die
-die Einheit der Weltbetrachtung beeinträchtigte, und die
-bemerkenswerterweise zum Teil noch jetzt besteht, so daß die duale
-Begriffsgliederung nach dem Vorbild der Scholastik in der Wissenschaft
-noch heute fortlebt. Gleichwohl erkannte schon Leibniz in der späteren
-Periode seines Lebens, daß jene Unterscheidung toter und lebendiger
-Kräfte eigentlich nur einen provisorischen Wert besitze, da sie auf die
-Frage, wie tote in lebendige Kraft übergehen könne, natürlich keine
-Antwort gibt. Doch auch darüber, in welcher Richtung die künftige
-Lösung dieses Problems liegen müsse, hat er keinen Zweifel gelassen.
-Sie erscheint ihm vorgezeichnet durch das Prinzip der Kontinuität,
-dessen strenge Anwendung auf alle Gebiete der Erkenntnis ihm im Gefolge
-seiner mathematischen Studien als ein unerläßliches Postulat erschien.
-In diesem Sinne ist die Ruhe nicht ein Gegensatz zur Bewegung, sondern
-eine unendlich kleine Bewegung. Nicht um einen Wechsel absolut
-verschiedener Zustände kann es sich also handeln, sondern immer nur
-um Transformationen der Bewegung, wobei er sich die toten Kräfte als
-Formen einander wechselseitig aufhebender Molekularbewegungen zu denken
-scheint, wenn er sie gelegentlich »unsichtbare Bewegungen« nennt.
-Indem aber außerdem der Kraftbegriff selbst jene universelle Bedeutung
-gewinnt, vermöge deren die Materie überhaupt nur eine Erscheinungsweise
-der Kraft ist, greift derselbe Gesichtspunkt auf die sogenannten
-passiven Kräfte des obigen Schemas über. Auch die Undurchdringlichkeit
-und die Trägheit sind nicht ruhende Eigenschaften der Körper, sondern
-Resultanten innerer Bewegungen, wie der Widerstand beweist, den sie
-äußeren bewegenden Kräften entgegensetzen. Dies sind Gedanken, die
-in der Tat neuere physikalische Spekulationen in gewissem Sinne
-vorausnehmen, in denen versucht wird, diese von Leibniz sogenannten
-passiven Kräfte nicht als ursprüngliche und darum nicht weiter zu
-erklärende Eigenschaften der Materie aufzufassen, sondern sie aus den
-allgemeinen Bewegungsgleichungen materieller Systeme abzuleiten.
-
-In der späteren Entwicklung der Leibnizschen Naturphilosophie ist zu
-diesen Studien über die Grundbegriffe der Dynamik noch ein anderes,
-davon scheinbar weit abliegendes Problem hinzugetreten, das in
-der zweiten Hälfte des Jahrhunderts mehr und mehr die allgemeine
-Aufmerksamkeit gefesselt hatte, das aber den Hilfsmitteln der
-mechanischen Naturerklärung völlig unzulänglich zu sein schien: das
-_biologische_ der Entwicklung lebender Wesen. Wenn sich hier noch auf
-lange hinaus die Physiologie mit der Annahme einer zu den mechanischen
-Naturkräften hinzukommenden spezifischen Lebenskraft begnügte, als
-deren Teilkräfte nach dem Vorbild der Aristotelischen Vermögensbegriffe
-die einzelnen Lebensäußerungen betrachtet wurden, so ließ Leibniz
-zwar diese Lebenskräfte als höhere Formen der allgemeinen Naturkräfte
-gelten; dennoch hielt er die verbreitete Auffassung, die sie in einen
-Gegensatz zu den mechanischen Kräften brachte, für ausgeschlossen.
-Widersprach sie doch von vornherein dem Gesetz der Kontinuität.
-Hatte Aristoteles schon in der Reihe Pflanze, Tier, Mensch eine
-aufsteigende Entwicklung erblickt, so ergänzte daher Leibniz diese
-nach unten, indem er als deren letzte Glieder die in den leblosen
-Körpern wirkenden mechanischen Kräfte voraussetzte, in denen jene
-höheren potentiell bereits vorgebildet seien: und auch hier bot ihm
-Aristoteles in seiner Gliederung des Formbegriffs um so mehr einen
-Anhalt, als der Kraftbegriff ja selbst eigentlich eine Fortbildung
-dieses Aristotelischen Formbegriffs war. Gerade in diesem Punkt hatte
-die Scholastik die Grundbegriffe der Aristotelischen Metaphysik
-mehr verdunkelt als weitergebildet, indem sie beide zu der »~Forma
-substantialis~« vereinigte, aus der sich dann der Substanzbegriff der
-modernen Metaphysik entwickelt hat. Demgegenüber ging Leibniz auch
-hier auf Aristoteles selbst zurück, der in den beiden Begriffen der
-Energeia und der Entelecheia, von denen der erste ihm zugleich als
-der allgemeinere, den zweiten einschließende, dieser aber als die
-höhere Form galt, dem Gedanken der Einheit der Naturkräfte und ihrer
-Wertabstufung vorgearbeitet hatte. Auch für Leibniz sind danach die
-allgemeinen Naturkräfte Energien, diejenigen Kräfte dagegen, die ihren
-Ausdruck in den Lebenserscheinungen finden, Entelechien. Zugleich
-aber sieht er sich durch eben jenes Prinzip der Kontinuität, nach
-welchem er die Lebenskräfte der Reihe der allgemeinen Naturkräfte
-einordnet, genötigt, den in dem Begriff der Entelechie liegenden
-Zweckgedanken wieder nach rückwärts auf das Gebiet der allgemeinen
-Energien auszudehnen. So sind ihm die Naturkräfte auf ihren höheren
-Stufen in der organischen Welt aktuell zwecktätige, in den allgemeinen
-Naturerscheinungen latent zwecktätige. Hieraus entspringt für ihn
-aber das Motiv, den so geforderten Charakter der Zweckmäßigkeit, der
-sich bei den Lebenskräften den Wirkungen entnehmen läßt, hier, in der
-toten Natur, in die Ursachen, d. h. in die _Gesetze_ zu verlegen,
-durch die die Erscheinungen bestimmt sind. Dazu bietet dann wieder
-die scholastische Gliederung des Begriffs der Ursache in die ~Causa
-efficiens~ und in die ~Causa finalis~ einen willkommenen Anhalt. Die
-Naturkräfte sind allgemein ~Causae efficientes~, diese aber gewinnen
-auf ihren höchsten Stufen zugleich den Charakter von ~Causae finales~.
-Leibniz mag sich diese letzteren als komplexe Resultanten gedacht
-haben, -- ausgesprochen hat er sich hierüber nicht. Um so mehr betont
-er, daß allen Naturerscheinungen der Zweck insofern immanent sei, als
-die Prinzipien der Naturerklärung sämtlich den Zweckbegriff in sich
-schließen. Er beschränkt diese Prinzipien auf _drei_ von universeller
-und von axiomatischer Bedeutung, weil sie aus andern nicht abgeleitet
-werden können: das der Kontinuität, der Erhaltung der Kraft, der
-Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung. Es ist die Dreizahl der
-»~Leges naturae~«, die in verschiedener Form bei den Naturphilosophen
-des 17. Jahrhunderts, bei Descartes, Leibniz, Newton, wiederkehrt. Bei
-Leibniz sind die beiden ersten Gesetze von überwiegender Bedeutung:
-das Kontinuitätsprinzip ist eines der fruchtbarsten Denkmittel
-seiner gesamten Philosophie, das Erhaltungsprinzip beherrscht seine
-Naturphilosophie. Den Zweckgedanken tragen aber diese Prinzipien in
-sich selbst: das gilt in der Tat für das Leibnizsche Kraftprinzip
-so gut wie noch für das wesentlich mit ihm identische moderne
-Energieprinzip. Rein empirisch betrachtet ist es eine Hypothese, deren
-Geltung darauf beruht, daß, soweit unsere Erfahrung reicht, diese mit
-ihm übereinstimmt. Logisch betrachtet, ist es aber ein teleologisches
-Prinzip, da der Begriff des Beharrens eine Regel angibt, nach der
-künftige Zustände mit den gegenwärtigen und vorangegangenen verbunden
-sind.
-
-Für Leibniz liefert diese doppelte Erscheinungsform der Teleologie den
-Beweis für die Oberherrschaft, die dem Begriff des Zwecks überhaupt
-in den allgemeinsten Naturgesetzen und in den höchsten Erzeugnissen
-der Naturkausalität zukommt. Denn in dieser Übereinstimmung des ersten
-und des letzten Gliedes der Reihe der Entwicklungen liegt nach ihm
-ein Zwang, der uns nötigt, auch alle zwischenliegenden Glieder dem
-Zweckgedanken unterzuordnen. Darum, wenn er seine Übereinstimmung mit
-Aristoteles betont, so ist es vorzugsweise der Begriff der Entelechie,
-auf den er hinweist. Hierin liegt aber eine doppelte Übereinstimmung:
-die eine besteht in der Auffassung der Natur als einer _aufsteigenden
-Stufenfolge_, die andere in der _Einheit der physischen und der
-geistigen Welt_, wobei auf den niederen Stufen dieser Einheit
-vornehmlich die physische, auf den höheren Stufen die geistige Seite
-in die Erscheinung tritt. In beiden Momenten offenbart sich zugleich
-der tiefe Gegensatz gegen Descartes, der sich schon in den dynamischen
-Arbeiten vorbereitet hatte. Die Cartesianische Philosophie ist
-entwicklungslos, eine tiefe Kluft trennt den Menschen von der nur dem
-allgemeinen Mechanismus der Natur unterworfenen Tierwelt; sie ist
-dualistisch, die menschliche Seele ist nur äußerlich und vorübergehend
-mit dem Körper verbunden. Für Leibniz sind körperliches und geistiges
-Sein im letzten Grund eins und dasselbe, sie sind Äußerungen einer
-allbeherrschenden Kraft, die von Anfang an zwecktätige Kraft ist und
-als solche sich ebenso in den Gesetzen der Natur wie in denen des
-menschlichen Denkens offenbart. Damit erneuert er den Aristotelischen
-Begriff der Seele als der Lebenskraft, zu dem schon, freilich in
-mannigfach unter dem Einfluß des religiösen Dogmas veränderter Form,
-die Scholastik zurückgekehrt war.
-
-Wenn nun aber Leibniz überall bemüht war, die rein philosophische
-Begründung seiner Anschauungen mit einer religiösen Betrachtung der
-Dinge in Einklang zu bringen, so konnte er sich kaum verhehlen, daß
-in diesem Punkte der moderne Seelenbegriff Descartes' anscheinend dem
-religiösen Bedürfnisse besser gerecht werde als das Aristotelische
-Lebensprinzip. Da geschah eine Entdeckung, die die damalige
-wissenschaftliche Welt in die größte Aufregung versetzte, weil sie
-hier plötzlich eine neue Situation zu schaffen schien: es war die
-Entdeckung der sogenannten Spermatozoen durch den Holländer Leuwenhoek.
-Sie überraschte um so mehr, als kurz zuvor William Harvey durch
-seine sorgfältigen Beobachtungen über die Entwicklung des Hühnchens
-im Ei die ohnehin nächstliegende Annahme, daß das Ei der Träger der
-Entwicklungsvorgänge sei, vollauf zu bestätigen schien und daher
-zu dieser als selbstverständlich bereits geltenden Ansicht bloß
-die allerdings wichtige Ergänzung hinzufügte, daß organische Wesen
-überhaupt nur aus einem vorhandenen Ei hervorgehen könnten, nach dem
-Satze: »~Omne vivum ex ovo!~« Dem stellte nun Leuwenhoek auf Grund
-seiner Entdeckung der Spermatozoen, in denen er, wie die meisten
-seiner Zeitgenossen, wegen ihrer Bewegung kleinste lebende Tiere sah,
-den andern Satz gegenüber: »~Omne vivum ex animalculo!~« So entstand
-der berühmte Streit der Ovulisten und der Animalkulisten. Für Leibniz
-war aber dieser Streit mehr als eine bloß biologische Frage. Die
-Entdeckung der Spermatozoen bedeutete für ihn die Errettung aus einer
-schweren philosophischen Verlegenheit. In jenen schien ihm die Einheit
-von Seele und Körper augenfällig erwiesen zu sein. Aber es schien
-ihm auch, wie manchen andern, im höchsten Grade wahrscheinlich, daß
-damit das Problem der organischen Entwicklung überhaupt gelöst sei.
-Lag es doch nahe, anzunehmen, in dem Animalkulum sei das künftige
-Tier oder der künftige Mensch nicht bloß präformiert wie im Ei das
-individuelle künftige Hühnchen, sondern jenes sei das Tier selbst in
-einem noch unausgewachsenen Zustande. Damit konnte die Frage nach
-dem Ursprung des Lebens für gelöst gelten: das Leben, so lautete
-die Antwort, ist überhaupt nicht entstanden, sondern es bewegt sich
-für jedes Individuum nur zwischen den Stadien der Involution und
-Evolution, und die Entwicklungsgeschichte des individuellen Wesens ist
-nicht ein einmaliger, sondern ein periodischer, ins Unendliche sich
-wiederholender Vorgang. Wichtiger aber noch war eine weitere Folgerung,
-die dieser Anschauung ihre Anhänger schaffte. Der Cartesianischen
-Lehre von der bloß äußeren Verbindung von Seele und Körper, die der
-ersteren ihre Fortdauer nach dem Tode des Körpers sichere, hatte ihre
-Übereinstimmung mit dem religiösen Unsterblichkeitsglauben nicht zum
-wenigsten ihren Erfolg verschafft. Begreiflich daher, daß Leibniz die
-Hilfe willkommen war, die sich ihm in der Theorie der Animalkulisten
-bot, um so willkommener, als ihr die empirische Beobachtung zur Seite
-stand. Die Cartesianische Seele konnte niemand sehen, sie war eine
-bloß metaphysische Annahme. Die Spermatozoen konnte man jedermann
-unter dem Mikroskop demonstrieren. So war es Leibniz, der schließlich
-dieser Lehre ihren entscheidenden philosophischen Ausdruck gab: »~Non
-solum animae sed animalia sunt immortalia!~« Der Unsterblichkeit war
-anscheinend ein empirisches Argument zur Seite getreten, das den
-religiösen Glauben selbst zu einer Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis
-erhob. Für uns, die wir wissen, daß die Spermatozoen keine Tiere,
-sondern bewegliche Formelemente sind, wie deren noch unzählig viele
-andere im Organismus vorkommen, ist natürlich die animalkulistische
-Evolutionshypothese und mit ihr womöglich noch mehr der Leibnizsche
-Satz von der Unsterblichkeit der Tiere längst hinfällig geworden.
-Dennoch wäre es verfehlt, anzunehmen, Leibniz würde, wenn er seinen
-Irrtum erkannt hätte, deshalb seinen Cartesianischen Gegnern das Feld
-geräumt haben. Seine Weltanschauung -- und das Verhältnis von Geist
-und Körper gehörte zu den wesentlichsten Bestandteilen derselben --
-stand nicht auf den gebrechlichen Füßen der damaligen mikroskopischen
-Beobachtung. Es waren ganz andere Stützen, auf die er seine neue
-Auffassung vom Wesen der Materie gegründet hatte, dieselben, die
-ihm seine dynamischen Untersuchungen an die Hand gaben. Sie sind es
-zugleich, die mit seinem neuen Aufbau der Psychologie auf das engste
-zusammenhängen.
-
-
-~c.~ Die Aktualität der Seele.
-
-An zwei Stellen pflegt man sich über Leibniz' psychologische
-Anschauungen Rat zu holen: in seiner Monadologie und in seiner
-Erkenntnistheorie. In so nahen Beziehungen beide aber auch zu
-jenen stehen mögen, so wenig geben sie Aufschluß über den Ursprung
-seines psychologischen Denkens. Will man die Ausgangspunkte seiner
-mehr und mehr über alle Gebiete sich erstreckenden psychologischen
-Überzeugungen erkennen, so muß man vielmehr auf seine physikalischen
-Studien zurückgehen, aus denen sich ihm zuerst der Begriff der
-Kraft als ein an sich gleichzeitig die physische und die geistige
-Welt umfassender Grundbegriff ergab. Da hierauf schließlich vor
-allem sein für die ganze neuere Philosophie entscheidend gewordener
-Gegensatz zu Descartes beruht, so ist es erforderlich, sich die auf
-die antike Philosophie zurückreichenden Quellen dieses Zwiespalts zu
-vergegenwärtigen. Dies ist um so nötiger, als durch einen merkwürdigen
-Wandel der Begriffe der Gegensatz selbst eine völlig veränderte
-Bedeutung gewonnen hat. Der Cartesianische Seelenbegriff hat seinen
-Ausgangspunkt in der Platonischen Ideenlehre, mit der ja auch die
-Lehre von den »angeborenen Ideen« zusammenhängt. Bei Plato war die
-Seele ein zwischen der übersinnlichen Welt der Ideen als der Urbilder
-der Begriffe und der Sinnenwelt vermittelndes Wesen, das als solches
-zugleich an der Unvergänglichkeit der Ideen teilnahm. Unter dem
-Einfluß der christlichen Gottesidee verwandelten sich bei dem großen
-Platoniker unter den Kirchenlehrern, dem heil. Augustinus, die Ideen
-in Schöpfungsgedanken Gottes, zu denen nun auch die menschliche Seele
-selbst gehörte. Alle Dinge hat Gott, ehe er sie schuf, vorausgedacht,
-unter ihnen ist aber die Seele dasjenige Wesen, das allein befähigt
-ist, sie nachzudenken: »Gott denkt die Dinge, ehe sie sind, unsere
-Seele denkt sie, nachdem sie sind.« Demnach ist die Seele ein denkendes
-Wesen und als solches befähigt, auch die Gottheit und die Dinge der
-Außenwelt zu erkennen. Das ist die Quelle der drei Substanzen der
-Cartesianischen Philosophie: Seele, Welt, Gott. Mit ihnen hat sich der
-Platonische Idealismus in einen dualistischen Realismus umgewandelt,
-zu dem als transzendente Ergänzung der Gottesbegriff hinzutritt. Für
-Leibniz ist auch hier Aristoteles der führende Philosoph. Dem neuen
-von Descartes unter der Leitung der neuen kirchlichen Philosophie
-aufgestellten Begriff der Seele als der denkenden Substanz gegenüber
-geht er auf den aristotelisch-scholastischen Begriff der Seele zurück:
-sie ist ihm das Prinzip des Lebens überhaupt und die Anlage zu ihren
-Fähigkeiten ruhen daher bereits in der allgemeinen Materie. Darum
-sagt er schon in seiner ~Hypothesis physica nova~: »Die Körper sind
-momentane Geister.« So haben sich anscheinend die Begriffe völlig
-umgekehrt: Descartes ist, vom Platonischen Idealismus ausgehend, zum
-Realisten, Leibniz, vom Aristotelischen Realismus ausgehend, zum
-Idealisten geworden. Freilich hat sich damit zugleich der Charakter des
-Idealismus selbst gewandelt: der moderne Idealismus ist nicht mehr der
-antike. Den ersten Versuch, diesen modernen Idealismus wissenschaftlich
-zu begründen, hat aber ohne Frage Leibniz gemacht. Doch es ist nicht
-die Monadologie, diese abschließende Darstellung seiner Metaphysik, und
-nicht die Erkenntnislehre der Essays über den Verstand, in denen wir
-Aufschluß über die Leibnizsche Psychologie suchen müssen, sondern seine
-Naturphilosophie. Denn, wie bei Aristoteles die Untersuchung über die
-Seele als »Entelechie des lebenden Körpers« der Physik als ihr letzter
-Teil sich anschließt, so führt bei Leibniz die Untersuchung über die
-Grundlagen der Physik unmittelbar zu dem Postulat einer idealistischen
-Naturauffassung und damit zu einer neuen Grundlegung der Psychologie.
-
-Das für diese Psychologie und den auf sie gegründeten Idealismus vor
-allen andern bedeutsame Werk ist nun jene »~Hypothesis physica nova~«
-mit einigen sie vorbereitenden kleineren Aufsätzen. Sie ist sein
-abschließendes Jugendwerk. In wesentlichen Punkten steht es noch auf
-dem Standpunkt der Cartesianischen Naturphilosophie, aber in dem, worin
-es von ihr abweicht, in dem Begriff der Materie, enthält es vieles, was
-bereits Gedanken der späteren dynamischen Schriften vorausnimmt, und in
-der Rolle, die in diesen Ausführungen der Begriff des unendlich Kleinen
-spielt, klingt leise schon die Infinitesimalrechnung an, obgleich die
-Probleme, die ihm in den folgenden Jahren seines Pariser Aufenthalts zu
-dieser geführt haben, ihm damals noch fern lagen. Die Unmöglichkeit,
-die Materie als Ausdehnung im Raum zu definieren, sucht er hier
-daraus zu beweisen, daß jedes noch so kleine Teilchen derselben in
-andere noch kleinere teilbar gedacht werden könne, so daß schließlich
-nichts übrig bleibe. Die Ausdehnung selbst setze daher eine Bewegung
-voraus, die sich in einer unendlich kleinen Zeit bereits über mehrere
-Teilchen erstrecke, so daß diese Bewegung nicht als ein räumlicher
-Vorgang, sondern nur als ein Streben nach Bewegung, als »~Conatus~«,
-gedeutet werden könne. Aus diesem Streben erkläre sich einerseits die
-Widerstandskraft, anderseits die Kohäsion der Teilchen der Materie.
-So entwickelt hier schon Leibniz eine Hypothese, die die geläufigen
-korpuskularen und atomistischen Vorstellungen zurückweist, um an ihre
-Stelle ein Kontinuum bewegender Kräfte zu setzen, das die selbständige
-Existenz einer diese Kräfte tragenden ausgedehnten Substanz
-ausschließt. Es erinnert, von der physikalischen Seite betrachtet,
-einigermaßen an die Faradayschen »Kraftfelder«. Wichtiger aber ist die
-weitere Folgerung, daß die Ausdehnung eine _Erscheinung_ der Materie,
-nicht die Materie selbst sei, die vielmehr als ein bloßes Streben nach
-Bewegung, demnach eigentlich als ein immaterielles Sein gedacht werden
-müsse. Das eben drückt jener Satz aus: »Die Körper sind momentane
-Geister!« Sie würden -- so können wir wohl diesen Satz interpretieren
--- Geister im vollen Sinne des Wortes sein, wenn die strebenden
-Kräfte, aus denen sie bestehen, ein Gedächtnis in sich trügen, das
-Vorangehendes und Folgendes verbände. Diese Eigenschaft unseres eigenen
-Geistes fehlt den leblosen Körpern. Aber da das Gedächtnis eine
-besondere, weitere Bedingungen voraussetzende Eigenschaft ist, so sind
-wir berechtigt, die Körper überhaupt als geistige Wesen, freilich,
-sofern ihnen die Eigenschaft abgeht, Vorangegangenes mit Zukünftigem
-zu verknüpfen, nur als momentane Geister aufzufassen, womit zugleich
-die Möglichkeit gegeben ist, die höheren geistigen Vorgänge aus ihnen
-entstanden zu denken.
-
-Diese Auffassung, die bereits deutlich auf das universelle Prinzip
-der Kontinuität alles Geschehens hinweist, schließt jedoch noch
-eine andere Folgerung ein. Descartes' Psychologie leitet aus dem
-Denken die Gesamtheit der geistigen Vorgänge ab. Sie ist nach dem
-vorangestellten Begriff der Seele durch und durch intellektualistisch.
-Auch die Leidenschaften der Seele beruhen, ebenso wie die Hilfsmittel
-zu ihrer Überwindung, im letzten Grunde halb auf logischen halb auf
-physischen Vorgängen. Leibniz überträgt hier, treu den Aristotelischen
-Begriffen von der Energie und Entelechie in ihrer physisches und
-geistiges Leben umfassenden Bedeutung, unmittelbar die leitenden
-naturphilosophischen Gesichtspunkte auch auf das Seelenleben. Alles
-geistige Geschehen ist ihm immerwährende Tätigkeit, diese wird aber
-in der Wechselwirkung ihrer Faktoren zugleich zu einem Streben, das
-neben jener Tätigkeit den Gesamtverlauf der psychischen Vorgänge
-bestimmt. So ist es die _Aktualität_ des Seelenbegriffs, die sich
-bei ihm gegenüber der Cartesianischen Seelensubstanz durchsetzt.
-Damit tritt dem Doppelbegriff Tätigkeit und Leiden bei Descartes ein
-neuer, Tätigkeit und Streben, gegenüber, -- ein Unterschied, der,
-so gering er auf den ersten Blick erscheinen mag, in Wahrheit einen
-völligen Wandel der Lebensanschauung in sich schließt. Tätigkeit und
-Leiden sind Wechselbegriffe, die beide auf die an sich der Außenwelt
-gegenüberstehende, von ihr spezifisch verschiedene, aber fortwährend
-ihren Einwirkungen unterworfene Seelensubstanz zurückführen.
-Tätigkeit und Streben sind psychische Begriffe, die den allgemeinen
-Naturbegriffen durchaus entsprechen, nur daß sie sich im Menschen
-zu klarem Bewußtsein erheben, während sie in der allgemeinen Natur
-noch latent bleiben und nur aus dem Zusammenhang der Naturvorgänge zu
-erschließen sind. In diesem Sinne finden sie in dem späteren, strenger
-durchgeführten Dualismus der naturphilosophischen Begriffe in der
-Unterscheidung der toten und der lebendigen Kräfte ihren Ausdruck.
-Sind doch die toten Kräfte nichts anderes als ein Streben nach
-Bewegung, das aber nun unter Zuhilfenahme des Prinzips der Konstanz der
-Naturkräfte mit der Tätigkeit selbst oder den lebendigen Kräften in
-einem gesetzmäßigen Zusammenhang steht. Von diesem Prinzip der Konstanz
-ist nun in der Leibnizschen Psychologie nicht die Rede: da widerstrebt
-ihm offenbar das Prinzip der Entelechie als der höheren bewußten Form
-der Naturkräfte, welches zugleich das Prinzip der Entwicklung der
-niederen zu den höheren, zwecktätigen Kräften in sich schließt. Hier
-durchkreuzt sich also sichtlich jenes allgemeine Naturgesetz, welches
-für die gesamte physische Welt und damit auch für die allgemeinen
-Naturgrundlagen des geistigen Lebens gilt, mit dem Prinzip der dieses
-Leben selbst beherrschenden schöpferischen Kausalität des geistigen
-Geschehens. Leibniz hat sich freilich über diesen scheinbaren
-Widerspruch seines psychologischen Entwicklungsgedankens mit seinen
-allgemeinen Naturgesetzen, ebenso wie über den Weg, der über diesen
-scheinbaren Widerspruch hinausführt, keine Rechenschaft gegeben.
-
-Dagegen ist es ein anderer Punkt, der ihn den Cartesianischen
-Intellektualismus vermeiden läßt, und in dem seine Auffassung
-des geistigen Lebens schließlich bestimmend geworden ist für die
-ganze moderne Psychologie. Es ist nicht das Denken, das ihm als
-ausschließliche Tätigkeit der Seele gilt, sondern, wie für ihn zwischen
-dem Seelenbegriff und dem Naturbegriff überhaupt keine strenge Grenze
-zu ziehen ist, so sind es, nur auf einer höheren Stufe, dieselben
-Grundkräfte, die die geistigen Vorgänge beherrschen, wie sie in den
-materiellen Erscheinungen vorgebildet sind. Unter jenen ist aber das
-Denken zwar eine eminent wichtige Äußerung, aber sie ist nicht mehr die
-einzige und sie ist vor allem nicht die grundlegende, sondern, wie ihr
-als ihre Vorstufen die lebendigen und toten Naturkräfte vorausgehen,
-so schließt sie jene einfacheren psychischen Vorgänge ein, die wir
-als bewußte Tätigkeit und als Streben unmittelbar in uns wahrnehmen.
-Das Bewußtsein, das uns zu dieser Selbstauffassung verhilft, ist aber
-hier wieder jene bewußte Kontinuität des psychischen Geschehens, die
-wir unter dem Begriff des Gedächtnisses zusammenfassen, während die
-leblosen Körper demgegenüber eben als »momentane Geister« betrachtet
-werden können. Indem Leibniz die Vorstellung als die Tätigkeit der
-Seele, das Begehren als ein Streben nach dieser Tätigkeit auffaßt,
-gilt ihm nicht, wie manchen Abirrungen der späteren Psychologie, die
-Vorstellung als eine Art subjektiven Spiegelbildes der wirklichen
-Dinge, sondern sie ist ihm, wie er wiederholt versichert, selbst
-immerwährende Tätigkeit, ebenso wie das Streben und Begehren, das
-von den gegebenen Vorstellungen fortwährend zu neuen hindrängt.
-Diese völlig veränderte Auffassung des geistigen Lebens ist aber in
-doppelter Weise epochemachend geworden für die kommende Psychologie.
-Auf der einen Seite ist aus ihr jener Gedanke eines Mechanismus des
-Vorstellungsverlaufs entstanden, der an sich gänzlich außerhalb des
-durch bestimmte logische Motive geleiteten Denkens liegt, und der von
-der Assoziationspsychologie an bis auf Herbart und seine Schule die
-Psychologie in weitem Umfang beherrscht hat. Auf der andern Seite
-enthält sie die Anfänge jenes »Voluntarismus«, der zu einer bald
-bewußt ausgebildeten, bald latent bleibenden Signatur der modernen
-Psychologie geworden ist. Denn indem alles Vorstellen mit bestimmten
-Gefühlen und in ihnen mit einem Streben nach einem Ziel der seelischen
-Tätigkeit verbunden ist, tritt uns bei Leibniz nunmehr bereits der
-Wille als der alle andern Seelentätigkeiten zusammenfassende Vorgang
-entgegen. Freilich hat er diesen sein psychologisches Denken überall
-beherrschenden voluntaristischen Gedanken nicht zu einem klaren
-Ausdruck gebracht, sondern, wie sein Aktualitätsprinzip von dem
-überlieferten Begriff der Substanz durchkreuzt wird, so hat er seinen
-Voluntarismus von der intellektualistischen Gedankenströmung der Zeit
-nicht völlig zu befreien vermocht. Wirkten doch hier der scholastische
-und der Cartesianische Intellektualismus zusammen, um ihn zum Teil in
-widersprechenden Gedanken festzuhalten, die in diesen neuen Zug seines
-Denkens als eiserner Bestand der Tradition mit eingehen. Bedenkt man
-diese entgegenwirkenden Motive, so ist es in der Tat erstaunlich genug,
-daß er, geleitet durch seine scharfe Beobachtungsgabe für die Zustände
-des Seelenlebens, trotzdem durch die bis zum heutigen Tage noch
-nicht überwundenen Irrungen einer Logik und Psychologie vermengenden
-Reflexion so wenig sich irre machen ließ. Im Verein mit dieser
-Abkehr von einem in die Wirklichkeit hinübergetragenen künstlichen
-Begriffssystem ist es ein anderer, noch bedeutsamerer Gegensatz, der
-hier Leibniz ebenso von den Cartesianern wie von Aristoteles und der
-Scholastik trennt. Descartes hatte das menschliche Seelenleben ganz,
-Aristoteles hatte es wenigstens in seinen höchsten Äußerungen dem der
-übrigen lebenden Wesen gegenübergestellt. Descartes hatte zwar eine
-Erklärung der physiologischen Funktionen aus den mechanischen Gesetzen
-gefordert, hinter den letzteren aber stand doch gerade in diesem Fall
-die schöpferische Macht Gottes, die jedem Naturwesen seine, eben in
-dem Mechanismus der Lebensvorgänge gesicherten Zwecke gesetzt habe.
-Für Aristoteles dagegen bestand zwischen der leblosen und der lebenden
-Natur eine Kluft, die das Prinzip der Entwicklung nur auf die letztere
-anwendbar machte, während sich ihm die übrigen Naturerscheinungen
-einer Anzahl verschiedener allgemeiner Ursachen unterordneten, die
-ein buntes Gemisch aus der oberflächlichen Erfahrung geschöpfter
-Begriffe gewesen waren, wie die des natürlichen Orts der Körper für die
-Fallerscheinungen, der gewaltsamen Bewegungen für den Wurf, endlich
-der zufälligen Bewegungen. Hier suchte nun Leibniz wiederum nach einer
-Vermittlung zwischen Descartes und der Scholastik. Mit dieser ist
-ihm die gesamte Natur bis herauf zum Menschen eine kontinuierliche
-Zweckreihe, die sich einem einzigen Prinzip unterordnet, das
-schließlich im menschlichen zwecktätigen Handeln seinen bewußten
-Ausdruck findet. In dieser universellen Kausalität der Erscheinungen
-wiederholt sich die allumfassende mechanische Gesetzmäßigkeit
-Descartes'. Nur fordert diese eine ihr entsprechende geistige
-Gesetzmäßigkeit, die sich über alle Naturreiche von ihren niederen bis
-zu ihren höchsten Formen erstreckt. Hier mag dann zugleich jener oft
-wiedergekehrte mystische Gedanke hereinspielen, der Leibniz in seiner
-scholastischen Jugendzeit nahegetreten war, und nach dem in seiner
-naturphilosophischen Umdeutung ein Jahrhundert vorher Giordano Bruno
-die Materie die »schwangere Mutter« der Formen genannt hatte, aus der
-die ganze Welt als eine einzige Stufenfolge von Wesen entsprungen sei.
-Es ist derselbe universelle Entwicklungsgedanke, von dem auch Leibniz
-erfüllt ist, aber er sucht ihn auf der Grundlage der neuen Dynamik und
-Biologie als das innere Wesen der Naturvorgänge überhaupt nachzuweisen.
-So entnimmt er das Prinzip der Universalität der Naturgesetze
-Descartes, aber es umfaßt ihm Natur und Geist zugleich; in dem Prinzip
-der »Entelechie« schließt er sich an Aristoteles an, aber er überträgt
-es von der lebenden Natur auf die gesamte geistige und physische Welt.
-Doch hieraus entspringt ihm eine neue Auffassung des geistigen Lebens
-und mit ihm der Natur. Beide, Natur und Geist, sind in Wahrheit eins
-und dasselbe: sie sind weder verschiedene Substanzen noch verschiedene
-Attribute einer Substanz, sondern sie sind einander ergänzende
-Standpunkte in der Auffassung der Welt. Unter ihnen ist an sich der
-nach innen gerichtete, der psychologische, der entscheidende. Denn
-er umfaßt den Inhalt der uns unmittelbar gegebenen Wirklichkeit, der
-damit ebenso für das geistige Leben, das außerhalb des Fokus unserer
-eigenen seelischen Erlebnisse liegt, wie für die äußere Natur, die sich
-in unserem Bewußtsein spiegelt, die Formen und Gesetze des Geschehens
-bestimmt. So führt ihn folgerichtig die psychologische Betrachtung
-vom Aristotelischen Realismus zu einem Idealismus, der dem objektiven
-Idealismus Platos eine neue Gestalt gibt. Den Cartesianischen Dualismus
-aber wandelt er in einen Monismus um, welchem die Natur selbst nichts
-anderes als der Geist in seiner Entwicklung ist.
-
-
-~d.~ Die Einheit der Wissenschaften.
-
-Das Wort »Geisteswissenschaften« ist bekanntlich eine neue, nicht über
-das 19. Jahrhundert hinaufreichende Schöpfung der Gelehrtensprache.
-Leibniz kennt also das Wort nicht. Aber er verfügt über einen
-Begriff, der noch darüber hinausreicht: das ist die _Einheit der
-Wissenschaften_. Er umfaßt nicht bloß die zu jener Zeit bereits
-konsolidierten Naturwissenschaften, sondern auch jene Gebiete, die wir
-heute Geisteswissenschaften nennen, und zu denen noch die abstrakten
-Disziplinen hinzukommen, die als allgemeine Grundlagen des Denkens dort
-wie hier die methodischen Hilfsmittel der Forschung darbieten: die
-Logik und die Mathematik. Beide gehören zusammen; denn die Mathematik
-ist nur eine erweiterte Logik, und insofern beide in übereinstimmender
-Weise in allen Wissenschaften vorkommen, vermitteln sie zugleich,
-abgesehen von den realen Beziehungen, in denen die Bestandteile
-unserer Erkenntnis durchgängig zueinander stehen, die Einheit der
-Wissenschaften.
-
-Leibniz hat diesen Gedanken, wie bereits oben bemerkt, vornehmlich
-für die Rechtswissenschaft in doppelter Beziehung durchgeführt:
-erstens ist sie nach ihm in hohem Grade logisch ausgebildet, darum der
-Mathematik nahe verwandt; und zweitens fordert er von dem Juristen eine
-gründliche Kenntnis der empirischen Wirklichkeit, wozu ihn das Studium
-der Naturwissenschaften vornehmlich anleiten soll. Denn gerade die
-Rechtswissenschaft und besonders ihre praktische Anwendung läßt nach
-ihm eine fremde Beihilfe in der Regel nicht zu. Hier muß schon in den
-Fällen des Zivil- und Kriminalrechts nicht selten der Einzelrichter auf
-Grund seiner Kenntnis der Gesetze nicht nur, sondern der sorgfältigen
-Erwägung der Tatsachen eine Entscheidung treffen. »~De casibus
-perplexis~« lautet schon das Thema der Abhandlung, über die er zur
-Erlangung der Doktorwürde in Altdorf disputierte, und es mag daher sein,
-daß ihm die Schwierigkeit der Beantwortung komplizierter juristischer
-Streitfragen die Vergleichung mit der Lösung mathematischer Probleme
-nicht minder wie den andern scheinbar paradoxen Ausspruch nahelegte:
-»Je spekulativer eine Wissenschaft ist, desto praktischer ist sie!«
-Ist doch die Wirklichkeit der Dinge durchweg verwickelter als unsere
-willkürliche Konstruktion, mögen die Dinge nun Rechtsfälle sein, wie
-die des Juristen, oder Naturerscheinungen, wie die des mathematischen
-Physikers. Was Leibniz juristischen Schriften noch ein besonderes
-Interesse verleiht, ist aber dies, daß sie augenfälliger als andere
-seiner Arbeiten von der Scholastik ausgehen, um dann später mehr und
-mehr aus ihrem Bannkreis herauszutreten. So ist bei der genannten
-Schrift über die perplexen Fälle schon die Wahl des Themas bezeichnend.
-Die Lust zu zwecklosem Disputieren, wie sie in der alten Hochschule
-heimisch war, die Neigung, dem Gegner Fallen zu stellen oder ihn ~ad
-absurdum~ zu führen, sie klingen deutlich in dieser Schrift an, deren
-Glanzleistung darin besteht, daß sie in dem berühmten Prozeß zwischen
-Protagoras und seinem Schüler Euathlos über das von dem letzteren
-zu zahlende Honorar eine neue Entscheidung zu geben sucht. Es ist
-derselbe Formalismus, der im wesentlichen in den andern juristischen
-Jugendschriften nach dem Vorbild der Literatur der Zeit wiederkehrt.
-Wo er sich gegen die seitherige Wissenschaft wendet, da ist es weniger
-die Scholastik als die Schule der »Ramisten«, die er wegen ihrer
-Häufung leerer Begriffsunterscheidungen und scholastischer Dichotomien
-bekämpft. Aber auch die Leibnizsche Schrift über die perplexen Fälle
-ist ein wahres Musterstück scholastischer Gelehrsamkeit. Schon das
-Thema ist kennzeichnend. Es sind nicht sowohl wirkliche Rechtsfälle
-als Beispiele jener Dilemmen, die bereits in der antiken Dialektik
-halb als scherzhafte logische Aufgaben, halb als ernste Probleme
-eine Rolle gespielt haben. Die Form des Rechtsstreites ist auch
-sonst für sie als eine besonders geeignete gewählt worden. Schon
-die Einleitung ist echt scholastisch. Zuerst wird der Begriff des
-Kasus definiert und in seiner Anwendung durch die verschiedenen
-Wissenschaften verfolgt, dann der Begriff der ~Perplexitas~, um endlich
-festzustellen, was ein ~Casus perplexus~ sei. So ist das Ganze mehr
-eine dialektische Verstandesübung als eine juristische Untersuchung.
-Nicht viel anders verhält es sich mit den »~Quaestiones philosophicae
-amoeniores ex jure~« und andern Arbeiten. Da glaubt man denn mit
-der dem Kurfürsten von Mainz zum Willkomm überreichten Schrift über
-die notwendige Reform des juristischen Studiums (~Methodus nova
-discendae docendaeque jurisprudentiae~, 1668) in eine andere Welt zu
-treten. Man fühlt sich in akademische Reformversuche neuester Zeit
-versetzt, wenn Leibniz hier den Vorschlag macht, den juristischen
-Lehrvortrag dadurch anregender zu gestalten, daß der Rechtslehrer,
-indem er die Rollen des Klägers, des Angeklagten, des Sachwalters
-und des Richters unter seine Schüler verteilt, eine Art dramatischer
-Nachbildung des öffentlichen Gerichtsverfahrens veranstaltet. Freilich
-wird man sich bei diesem originellen Vorschlag erinnern dürfen, daß
-auch der scholastische Lehrbetrieb beide Seiten vereinigte, ein ödes
-Diktieren und Auswendiglernen neben Kolloquien und Disputationen,
-die zugleich eine Art Rollenverteilung mit sich führten. Und es war
-neben der theologischen vorzugsweise die Artistenfakultät, in der
-diese Disputationen geübt wurden, während bei den Juristen wohl der
-dogmatische Lehrvortrag ausschließlich herrschend war, wie denn
-gerade in der Zeit nach dem großen Krieg die Umständlichkeit des
-schriftlichen Rechtsverfahrens ihren äußersten Grad erreicht zu haben
-scheint. So mochte Leibniz diesen von ihm selbst vielfach beklagten
-Mängeln am wirksamsten zu steuern meinen, wenn er das Übel bei der
-Wurzel, bei dem Studium der Rechtswissenschaft, anfaßte.
-
-Damit bezeichnet aber diese Schrift allerdings einen wichtigen
-Wendepunkt auch auf diesem Gebiete einer eigentlichen Fachwissenschaft,
-nicht unähnlich demjenigen, den er ungefähr um die gleiche Zeit in
-seinem naturwissenschaftlichen Denken erlebte. Es ist der Eintritt
-in das öffentliche Leben, die in den folgenden Jahren beginnende
-politische Tätigkeit, die diese Wendung von den einzelnen, ihn zum
-Teil mehr um ihres logischen Interesses als um ihrer nützlichen Zwecke
-willen fesselnden Problemen zu den allgemeinen Fragen des öffentlichen
-Rechts und der Gesetzgebung hinüberführt. So beschäftigt ihn vor allem
-die Reform des römischen Rechts, dessen logische Ordnung und als
-letztes Ziel die Schaffung eines neuen Gesetzbuchs, das die deutschen
-Rechtsquellen mit dem römischen Recht in ein der Zeit angemessenes Werk
-vereinige. Auch bei der ausführlichsten seiner politischen Schriften,
-dem »~Caesarinus Fuerstenerius~«, steht trotz des einzelnen Anlasses im
-Hintergrund das große Problem der Verfassung des deutschen oder, wie
-Leibniz, der Anhänger des alten Reichsgedankens mit Vorliebe es nennt,
-des Römischen Reichs, die Frage der Vereinbarkeit der vollen Autarkie
-der Einzelstaaten mit der Unterordnung unter das Reichsoberhaupt,
-dieser »~Casus perplexus~« des Staatsrechts damaliger Zeit.
-
-Zwei Gedanken sind es, die bei allen diesen späteren Arbeiten mehr
-und mehr in den Vordergrund treten. Der eine ist die Erkenntnis der
-geschichtlichen Bedingtheit des Rechts, den er gegen die unter dem
-Einfluß des angesehensten deutschen Juristen der Zeit zur Herrschaft
-gelangende Naturrechtstheorie in die Schranken führt. Wohl gibt es
-auch für ihn ein natürliches Recht, das in der sittlichen Natur
-des Menschen seine Quellen hat. Wirklichkeit hat aber zunächst das
-überlieferte Recht, das seinerseits geschichtlich bedingt ist, also
-nicht für alle Zeiten und Völker dasselbe sein kann. Der zweite
-leitende Gedanke ist der Zusammenhang des Rechts mit der Gesamtheit der
-Lebensinteressen, vor allem mit Moral und Religion. Daß sie Recht und
-Staat loszulösen gesucht von diesen höchsten menschlichen Gütern, daß
-sie die Selbstsucht zu ihrer Ursache und den äußeren Nutzen zu ihrem
-Zweck erhoben, das ist es, worin er vor allem seine Zeitgenossen Thomas
-Hobbes und Samuel Pufendorf bekämpft. Auch hier geht er auf Aristoteles
-zurück, mit dessen Ethik er die berühmten Rechtsideen der großen
-römischen Juristen schon in seiner Jugendschrift über die Methode des
-juristischen Studiums zu einer Dreiheit von Normen verbindet, die er
-dann noch einmal beinahe dreißig Jahre später in seinem Kodex des
-Völkerrechts in ihrer Vereinigung als die Grundlagen alles Rechts
-bezeichnet. »~Nemimem laedere, suum cuique tribuere, honeste vivere~«:
-der ersten und zweiten dieser Regeln entspricht die Aristotelische
-Dichotomie des Begriffs der Gerechtigkeit in die »ausgleichende«
-(~commutativa~) und in die »verteilende« (~distributiva~); die dritte
-aber verwandelt Leibniz aus dem ~honeste~ in ein »~pie vivere~«.
-So ergeben sich ihm _drei_ Grade des natürlichen Rechts, die er in
-jenen drei Rechtsregeln angedeutet sieht: das strenge Recht (~Jus
-strictum~), die Billigkeit (~Aequitas~) und die Frömmigkeit (~Pietas~).
-Führt man sie auf die ihnen entsprechenden Tugendbegriffe zurück, so
-entspricht aber dem ~Jus strictum~ die Gerechtigkeit im engeren Sinne
-des Wortes, der Billigkeit die Liebe. Die Frömmigkeit endlich ist
-die Liebe zu Gott, die als solche auch die andern Tugenden in sich
-schließt und auf diese Weise die vorangehenden Stufen zur Einheit
-verbindet. Gewiß entbehrt diese Zurückführung der Rechtsregeln auf
-die Tugendbegriffe nicht eines gewissen Zwangs, und vollends ist
-die Umwandlung des »~honeste vivere~« in das »~pie vivere~« eine
-geflissentliche Steigerung. Doch so kennzeichnend diese Anlehnung an
-das Überlieferte für die Leibnizsche Denkweise überhaupt ist, so wenig
-kommt sie hier für die Sache selbst in Betracht; ja vielleicht würde
-diese eindringlicher zur Geltung gelangen, wenn er sie als sein eigenes
-Werk hinstellte, was sie im Grunde ist, statt sich an Aristoteles und
-die alten Juristen anzulehnen. Worauf es ankommt, das ist doch nur,
-daß für ihn Recht und Moral eine untrennbare Einheit sind, und daß sie
-mit der Religion zusammen eine einzige sittliche Weltordnung bilden.
-Eben darum ist ihm aber auch der Staat, wie er in dem »~Monitum~« zu
-seinem ~Codex diplomaticus~ ausführt, kein bloßer Schutzvertrag zur
-Sicherung von Leben und Eigentum der einzelnen, sondern eine sittliche
-Lebensgemeinschaft zur Förderung der Glückseligkeit aller. Deshalb
-beziehen sich denn auch die allgemeinen Begriffe der Rechtsordnung
-ebenso auf die Staaten selbst wie auf die einzelnen Staatsbürger.
-Das Gebot, niemanden zu verletzen wird dort zur Pflicht, den Frieden
-zu bewahren, das Gebot, jedem das Seine zu gewähren zur Pflicht der
-Berücksichtigung der Interessen anderer Staaten im Verkehr mit ihnen.
-Dazu kommt endlich als die Grundlage aller dieser internationalen
-Regeln die Frömmigkeit, die in dem christlichen Gebot der allgemeinen
-Menschenliebe die Quelle findet, aus der die Pflichten der Staaten
-in ihrem wechselseitigen Verkehr entspringen. So verbinden sich
-in diesen Gedanken über Völkerrecht die Hauptmotive, die der
-Leibnizschen Weltanschauung ihr Gepräge geben. Den Eudämonismus der
-Zeit verleugnet auch sie nicht, aber sie vertieft ihn, indem sie das
-Glück des einzelnen an die sittliche Gemeinschaft der Menschen und
-diese wieder an die religiöse Bestimmung des Menschen bindet. Aus der
-sittlich-religiösen Richtung dieses Eudämonismus entspringt der durch
-keinerlei Mängel und Schmerzen des Daseins zu trübende Optimismus, und
-zu beiden gesellt sich das aus der mathematischen Betrachtung der Dinge
-entspringende Vertrauen auf eine gesetzmäßige Weltordnung.
-
-
-
-
-III.
-
-Leibniz und die neue Wissenschaft.
-
-
-»~Scienza nuova~«, neue Wissenschaft, hatte Galilei seine Mechanik
-und seine Lehre von den Fallgesetzen genannt. ~Scienza nuova~ nannte
-noch ein Jahrhundert später Giambattista Vico, Leibnizens jüngerer
-Zeitgenosse, seine Philosophie der Geschichte. »~Instauratio magna
-scientiarum~« hatte Francis Baron die Sammlung der Werke überschrieben,
-in denen er seine neue Philosophie darstellen wollte. ~Instauratio~ --
-nicht ~Restauratio~! Nicht um eine Verbesserung und Fortbildung des
-Überlieferten, um eine völlige Neuschöpfung handelte es sich dieser
-Zeit. Darin schied sich die Wissenschaft von der vorangegangenen
-Erneuerung der Kunst, die sich mit dem bescheideneren Titel einer
-»Wiedergeburt« begnügte. War es doch die Kunst des Altertums gewesen,
-die der neuen zuerst ihren Weg zurück zur Natur gewiesen hatte. Die
-neue Wissenschaft glaubte der überlieferten Weisheit völlig entraten
-zu sollen. Die Scholastik samt ihrem Meister Aristoteles erschien
-den Jüngern dieser Zeit als ein Hindernis, nicht als eine Förderung
-auf dem Wege zur Wahrheit. Eher mochten noch, so meinte Bacon, ein
-Plato und der schmählich vergessene Demokrit bisweilen das Richtige
-erkannt haben. Die Logik des Aristoteles, der diese seine Vorgänger
-in den Hintergrund gedrängt, und vollends die Scholastik war eine
-leere Wortkunst ohne theoretischen Wert und ohne praktischen Nutzen
-gewesen. So hat das Wort »Neue Wissenschaft« eine weit über jene
-einzelnen Werke hinausreichende Bedeutung. Es ist der Jubelruf der
-neuen Zeit, eine Absage an die Vergangenheit, die Verkündigung einer
-mit den großen Entdeckungen der Naturforschung endlich herangekommenen
-wahren Wissenschaft. So selbstbewußt aber die Naturforscher des
-Zeitalters diese durch ihre eigene Arbeit herbeigeführte Wendung der
-Dinge verkünden, so sind es doch vornehmlich die Philosophen, bei denen
-sich der Ruhm der neuen Zeit von jenem abfälligen Urteil über die
-Vergangenheit wirksam abhebt. Wie höflich behandelt Galilei in seinen
-~Discorsi~ den Aristoteliker Simplicio, wenn man seine rein sachlichen
-Richtigstellungen mit den Schmähungen vergleicht, mit denen Bacon
-den Aristoteles überhäuft, oder mit den gemäßigteren, aber, soweit
-es sich um die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der bisherigen
-Philosophie handelt, nicht minder geringschätzigen Bemerkungen
-Descartes'. Und soweit auch diese Männer in ihren eigenen Anschauungen
-auseinandergehen, in dem Preis der neuen Wissenschaft stimmen sie
-derart überein, daß man sich des Gedankens einer Beeinflussung des
-jüngeren durch den älteren der beiden Schriftsteller kaum erwehren
-kann. »~Antiquitas saeculi juventus mundi~,« sagt Bacon. Das Altertum
-ist das Jugendalter der Menschheit. In Wahrheit ist die neuere Zeit
-die ältere, die reifere an Wissen und Einsicht. »Die Schriften der
-Alten«, sagt Descartes, »erschienen mir zuerst wie prächtige Paläste,
-aber ich fand sie auf Sand gebaut.« Darum, nicht einen Fortschritt auf
-dem bisherigen Wege, sondern eine völlige Umkehr, einen neuen Anfang
-fordern beide, an der Stelle der bisherigen leeren Begriffsgliederungen
-neue fruchtbare Methoden. »Der Krüppel auf dem rechten Wege wird es
-dem Wettläufer auf dem falschen zuvortun,« oder, wie Descartes dieses
-Baconische Bild wiedergibt: »wer auf der richtigen Straße langsam
-geht, kommt weiter, als wer auf einem Irrpfade sich beeilt.« Nun
-würde es freilich ein Irrtum sein, wollte man hieraus schließen, diese
-Philosophen seien wirklich von der Vergangenheit unabhängig gewesen.
-Das trifft für Bacon, der es, trotz der tiefen Blicke, die er in
-das Wesen der experimentellen Methode getan hat, an scholastischen
-Begriffsspaltungen nicht fehlen läßt, so wenig zu wie für Descartes,
-der die Grundlagen seiner Metaphysik ebenso wie sein berühmtes »~cogito
-ergo sum~« dem Augustin, seinen Gottesbeweis dem Anselm von Canterbury
-verdankt. Niemand kann sich eben von der Vergangenheit lösen. Aber die
-Berufung auf Autoritäten lag nicht im Sinn einer Generation, die sich
-selbst als die Trägerin einer völligen Erneuerung der Wissenschaften
-fühlte.
-
-Wie anders steht hier Leibniz der vorangegangenen Zeit gegenüber! Wohl
-hat auch er nicht versäumt den Nutzen zu rühmen, den der Fortschritt
-der Wissenschaften der Menschheit gebracht habe. Aber wann wäre es
-ihm beigefallen, die neue Wissenschaft als die einzige zu preisen,
-die diesen Namen wahrhaft verdiene? Freilich war das vor allem eine
-Folge seiner in der Scholastik wurzelnden Jugendbildung. Konnte
-er sich auch, als er später mit der neuen Naturwissenschaft näher
-bekannt wurde, dem imponierenden Eindruck dieser nicht entziehen, so
-stellte sich doch, vornehmlich infolge der Bedenken, die sich gegen
-die Cartesianische Naturphilosophie in ihm regten, allmählich ein
-gewisses Gleichgewicht ein, das ihn mehr und mehr an dem ohnehin
-seiner Denkweise entsprechenden Grundsatze festhalten ließ, aus
-allem, was Vergangenheit oder Gegenwart Wertvolles bieten mochten,
-das Beste zu behalten. So wurde er in einer Zeit, die im ganzen an
-einem merkwürdigen Mangel an historischem Sinn litt, unterstützt durch
-seine ausgebreitete Literaturkenntnis, bei aller Selbständigkeit des
-Denkens ein Eklektiker im höchsten Sinne des Wortes. Rühmt er sich
-doch selbst dieser Eigenschaft, wenn er sagt, es sei sein Bestreben
-gewesen, die Atomistik mit den vernünftigen Samen der Stoiker und mit
-den Entelechien des Aristoteles zu verbinden. Fast steht er darum auch
-in der historischen Würdigung des jeweiligen Zustandes der Wissenschaft
-einsam da, nicht nur in seiner eigenen, sondern auch in der folgenden
-Zeit. Staunen wir doch noch bei der Lektüre Kants nicht selten über
-die merkwürdig oberflächliche Kenntnis, die dieser große Denker von
-den bedeutendsten Werken der vorangegangenen Philosophie besitzt. Wenn
-der Eifer, mit dem Leibniz eine Zeitlang gerade den Hauptvertretern
-der neuen Wissenschaft unter den Philosophen, einem Bacon, Descartes
-und Gassendi sich zuwandte, später einer ablehnenden Kritik Platz
-machte, um in Naturphilosophie und Psychologie dem Aristoteles, in der
-Theologie der Scholastik einen überwiegenden Einfluß zu gestatten,
-so war aber sichtlich nicht zum wenigsten die Tatsache schuld, daß
-jene begeisterten Verkünder der neuen Naturwissenschaft selbst nicht
-zu den führenden Naturforschern gehört und zum Teil sogar mit den
-neuen Ergebnissen nur mangelhaft vertraut waren. Dies gilt selbst von
-Descartes, der, ein so hervorragender Mathematiker er war, doch dem
-gewaltigen Umschwung, den Galileis epochemachende Arbeit in der Physik
-hervorbrachte, fremd gegenüberstand. Seine Naturphilosophie trägt daher
-ganz das Gepräge eines über die Naturerscheinungen spekulierenden
-Geometers. Es konnte nicht ausbleiben, daß dieser Mangel einem Manne,
-der, wie Leibniz, die Entwicklung der neueren Dynamik mit dem größten
-Interesse verfolgte, auf die Dauer nicht verborgen blieb und daß er
-in dem allgemeinen Begriffsschematismus der Aristotelischen Physik
-bald ein passenderes Mittel fand, die neuen Resultate ihm einzuordnen,
-als in den Hypothesen Descartes'. So traten denn in seiner Würdigung
-der Zeitgenossen mehr und mehr an die Stelle jener Naturphilosophen
-die Naturforscher, die durch ihre Entdeckungen die neue Wissenschaft
-begründet hatten. In Galilei verehrte er vor andern den Entdecker
-des Prinzips der Trägheit und der Fallgesetze, der damit zugleich
-den empirischen Beweis für die Richtigkeit des wahren Gesetzes der
-Erhaltung der Kraft bereits vor der Aufstellung desselben geliefert
-hatte; in Kepler den Entdecker der Gesetze der Planetenbewegungen.
-Meinte er doch, in diesem Fall wohl nicht ganz gerecht, das eigentliche
-Verdienst der Gravitationstheorie gebühre Kepler, nicht Newton, der
-sie durch den unmöglichen Gedanken der Wirkung in die Ferne gefälscht
-habe, während Kepler, indem er sie aus der Fortpflanzung durch ein
-kontinuierliches Medium abzuleiten suchte, auf dem richtigen Wege
-gewesen sei. So bewegt sich seine Schätzung der Vertreter der neuen
-Wissenschaft einigermaßen parallel der Stellung, die er gleichzeitig
-der Scholastik gegenüber einnimmt. Hier war er von dem an seiner
-heimischen Universität vorherrschenden, auch von seinem Lehrer Jacob
-Thomasius vertretenen Nominalismus ausgegangen. Dann trat in seinen
-naturphilosophischen Arbeiten Aristoteles selbst an die Stelle der
-Scholastik, um, wo es sich um ethische und theologische Fragen
-handelte, durch die ältere klassische Scholastik ergänzt zu werden.
-Unter den Vertretern der neuen Wissenschaft sind es zuerst die
-mehr als Herolde denn als Forscher wirkenden Philosophen, die sein
-Interesse fesseln, dann wendet er sich dem Zweigestirn der beiden
-großen Forscher zu, die uns noch heute als die Hauptbegründer der
-neuen Naturwissenschaft gelten. Ihr Einfluß kreuzt sich aber mit dem
-ihm zeitlebens eigen gebliebenen Aristotelischen Begriffssystem. So
-ereignet sich das Merkwürdige, daß, nachdem Galilei die Aristotelische
-Physik aus der Naturwissenschaft verwiesen hatte, die Leibnizsche
-Dynamik beide verbindet, um das allgemeinste Prinzip der modernen
-Naturwissenschaft, das der Erhaltung der Kraft, zu gewinnen. Die
-Methode der aristotelischen Begriffsgliederung ergibt ihm die
-brauchbare Form dieses Prinzips, aus den Galileischen Fallgesetzen
-beweist er seine Übereinstimmung mit der Erfahrung. Je mehr ihn
-aber die rechtsphilosophischen und theologischen Probleme zu einem
-Abschluß drängen, um so mehr wendet sich sein Blick zur klassischen
-Scholastik zurück, die hier vornehmlich in den Werken ihres größten
-Vertreters, des heil. Thomas, das Aristotelische System in einer dem
-christlichen Glauben entsprechenden Weise zu ergänzen versucht hatte.
-So mischen sich in der Leibnizschen Philosophie Gedankenströmungen der
-Vergangenheit und Gegenwart, wie sich dies weder früher noch später
-jemals wiederholt hat. Eben dadurch spiegelt dieser Philosoph den
-Charakter dieser ganzen von so mannigfaltigen geistigen Strömungen
-bewegten Zeit in einer Weise, die einzigartig mindestens in der
-Geschichte der neueren Wissenschaft dasteht. In nichts aber spricht
-sich dies deutlicher aus als in der besonderen Ausprägung, die er
-den die Entwicklung der Philosophie beherrschenden Grundbegriffen
-gegeben hat. In dieser, der eigentlich philosophischen Seite seiner
-Lebensarbeit, die erst in dem letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts
-eine festere Gestalt gewinnt, tritt dann zugleich immer offener die
-kritische Wendung zutage, die sein Auftreten in der Entwicklung des
-neueren Denkens bezeichnet. Wie diese im engeren Sinne philosophische
-Periode seines Lebens spät erst begonnen hat, so ist sie freilich
-niemals ganz zu Ende gelangt. Der Widerstreit der Motive, die sein
-Denken bewegen, ist zu gewaltig, als daß ein abschließendes Ergebnis
-möglich wäre. Dem widerstrebt überdies allzusehr sein konziliatorischer
-Charakter. So bleiben denn nur zu oft Begriffe nebeneinander
-stehen, die sich nicht miteinander vertragen. Neue Gedanken werden
-in ein Gewand gekleidet, das eigentlich einer überwundenen Periode
-seines eigenen Denkens angehört. Religiöse Einflüsse durchkreuzen
-wissenschaftliche Überzeugungen auch da, wo wir heute einen
-zureichenden Grund zum Konflikt durchaus nicht mehr sehen können. So
-wird es, wollen wir uns der vollen Bedeutung der Wendung, die sich hier
-vollzogen hat, bewußt werden, unerläßlich sein, auch den Schwankungen
-und Widersprüchen der Begriffe nachzugehen, wenn wir ein Bild der
-letzten entscheidenden Grundanschauungen dieses, die Wissenschaft
-seiner Zeit wie kein anderer beherrschenden Denkers gewinnen wollen.
-
-
-~a.~ Der Wandel der Substanzbegriffe.
-
-Das Zeitalter Leibnizens könnte, wenn man die Perioden der Philosophie
-nach einzelnen Begriffen, nicht nach Systemen oder ihren Urhebern
-benennen wollte, wohl auch das kritische Zeitalter des Substanzbegriffs
-genannt werden. Kant hat von diesem Begriff gesagt, er sei zu jeder
-Zeit schon von dem gemeinen Verstand als der eines beharrlichen, sogar
-in seiner Quantität unverändert bleibenden Trägers der Erscheinungen
-gedacht worden. Diese Äußerung ist gewiß eines der merkwürdigsten
-Zeugnisse für die Macht, welche Denkgewohnheiten auf uns ausüben;
-gleichwohl ist es nicht minder gewiß, daß den Tatsachen gegenüber
-diese Behauptung nicht bestehen kann, so oft man auch noch immer,
-wenn auch vielleicht nicht dem gemeinen Menschenverstand, so doch
-mindestens den alten jonischen Physikern den Besitz des Satzes von der
-Konstanz der Materie zuschreibt. Was diese Denker die »Archē«, den
-Anfang, nannten, das war sichtlich durchaus nicht das, woraus alles
-dauernd besteht, sondern das, woraus alles _ent_steht und in was es
-wieder _ver_geht. Wenn z. B. Thales behauptete, das Wasser sei die
-Archē der Dinge, so spricht nichts dafür, daß er gemeint habe, die
-Erde, das Feuer usw. bestünden aus Wasser. Die Verwandlung eines
-Dings in ein anderes ist für ein naiveres Bewußtsein durchaus nichts
-Wunderbares, wohl aber würde es einem solchen wahrscheinlich wunderbar
-vorkommen, wenn man ihm zumuten wollte, zu glauben, ein Gegenstand
-sei ein anderer geworden und doch eigentlich derselbe geblieben. Die
-ersten Spuren jenes Gedankens der Konstanz finden sich wohl in der
-Empedokleischen Lehre von den vier Elementen und namentlich in der
-Atomistik. Wenn aber Kant in der Anschauungsform der Zeit die Quelle
-jenes Prinzips sah, da, wie er meinte, der unablässige Fluß der Zeit
-ein unveränderliches Beharren fordere, an dem dieses Fließen gemessen
-werde, so zeigt gerade die Atomistik, daß das beharrende Substratum
-zu dieser fließenden Zeit nicht nochmals die Zeit, sondern der Raum
-ist, ohne den es in der Anschauung auch keine Zeit gibt. Darum behält
-der Satz Kants, daß der Begriff an die Anschauung gebunden ist, seine
-Geltung. Nur ist die Form dieser Anschauung nirgends die Zeit allein
-und nirgends der Raum allein, sondern sie besteht aus der Vereinigung
-beider, und diese räumlich-zeitliche Anschauung ist nur deshalb die
-Form, in die wir alle Inhalte unserer Erfahrung kleiden, weil sie
-die Form ist, die bei aller Abstraktion von dem wechselnden Inhalt
-unserer Erfahrung immer wieder zurückbleibt. In ihren sich ergänzenden
-Eigenschaften trägt aber schließlich diese räumlich-zeitliche
-Anschauung das Motiv zur Bildung zweier Gegensatzbegriffe in sich,
-die sich ebenso begrifflich ergänzen wie Zeit und Raum anschaulich:
-Veränderung und Beharren. Nun gibt es in der empirischen Wirklichkeit
-nur ein relatives Beharren und nur eine relative Veränderung, ein
-Bleibendes im Wechsel und ein Wechselndes gegenüber dem Bleibenden.
-Indem jedoch die aristotelisch-scholastische Naturphilosophie in einer
-rein begrifflichen Ordnung der Naturerscheinungen besteht, verzichtet
-sie auf die Bedingungen der Anschaulichkeit und setzt demnach die
-Begriffe als selbständige und doch überall verbundene Bestandteile
-der Dinge einander gegenüber: jeder Gegenstand ist nach ihr beharrend
-und veränderlich zugleich. Darum bezeichnet schon Aristoteles das
-einzelne Ding als die Substanz in der eigentlichen Bedeutung des
-Worts, und die Scholastik vereinigt in dem Begriff der »substantiellen
-Form« eben diese Dualität von Beharren und Veränderung, die jedem
-Wirklichen zukommt. In diesem Sinne definiert sie die Substanz auch
-als das »~Ens perdurabile atque modificabile~«. Nirgends ist hier von
-einem absoluten Beharren die Rede, darauf kommt es aber dieser rein
-logischen Naturbetrachtung überhaupt nicht an: sie konstatiert nur, daß
-beiden Begriffen gleichzeitig jedes wirkliche Ding subsumiert werden
-kann. Bei Kant hat sich infolge der Erkenntnis, daß alle Begriffe an
-Anschauungen gebunden seien, dieses Verhältnis derart verschoben, daß
-er die Veränderlichkeit der Dinge für die Anschauung zurückbehält und
-das Beharren in einen apriorischen Begriff umwandelt, dem er mit Hilfe
-seines Schemas einer beharrenden Zeit Anschaulichkeit zuschreibt.
-Die wirkliche Entstehung des Begriffs der beharrenden Substanz
-ist aber nicht auf dem Wege dieser von ihm schon dem natürlichen
-Bewußtsein zugeschriebenen künstlichen Konstruktion erfolgt, sondern
-sie ist, wie die Geschichte lehrt, im Altertum zunächst in jenen
-naturphilosophischen Theorien vorausgenommen worden, die, wie
-besonders die Atomistik, von den qualitativen Eigenschaften der Dinge
-abstrahierend, die Naturerscheinungen auf ein rein räumlich-zeitliches
-Geschehen zurückführten. Dabei ist es offenbar keinerlei apriorische
-Notwendigkeit, sondern lediglich der Vorzug der Einfachheit der
-Betrachtung gewesen, der die Atomistiker zu dieser der Verbindung
-der Begriffe Beharren und Veränderung ein anschauliches Substrat
-bietenden Hypothese geführt hat. Dagegen ist die ganze folgende
-Entwicklung der Wissenschaft bei der Aristotelischen Definition der
-Substanz stehen geblieben, die in dem scholastischen gleichzeitig
-beharrenden und veränderlichen Sein ihren treffendsten Ausdruck findet.
-Auch haben die mittelalterlichen Alchimisten bei ihren Bemühungen,
-wertlose Metalle in Gold zu verwandeln, offenbar in der Materie vor
-allem ein »~Ens modificabile~« gesehen. Erst die Renaissance hat der
-Substanz als einem nach Begriff und Anschauung beharrenden Substrat
-der Naturerscheinungen zum Siege verholfen. Dies ist aber zunächst
-durch die Rückkehr zu atomistischen oder in dieser Beziehung ihnen
-gleichwertigen korpuskularen Anschauungen geschehen, und hier ist es
-vor andern Descartes, der in doppelter Weise die Entwicklung dieses
-modernen Substanzbegriffs zu Ende geführt hat. Erstens bringt er in
-seinem Satz von der Ausdehnung als der einzigen Eigenschaft der Materie
-jene Übertragung der Konstanz des Raumes auf die der Gegenstände im
-Raum zu klarem Ausdruck. Zweitens stattet er nun nach dem Vorbild
-dieses materiellen Substanzbegriffs auch die zwei andern Substanzen,
-die er mit jenem in seinem System vereinigt, die Seele und Gott,
-mit dem gleichen Attribut des absoluten Beharrens aus, womit dann
-freilich diesen die Anschaulichkeit verloren geht. Dadurch entsteht
-aber bei ihnen das Bedürfnis nach einem Ersatz, der wiederum nur in
-Eigenschaften gesucht werden kann, mit denen der gleiche Begriff des
-Beharrens verbunden gedacht wird, wie bei der materiellen Substanz
-mit dem Raum. Das ist bei der Seelensubstanz das Denken, bei Gott die
-Unendlichkeit mit allem, was sie in sich schließt. Darum bleibt dieser
-vom Raum ausgegangene Substanzbegriff schließlich bei Spinoza, der
-diese Übertragung von den, wie Descartes sie schon nannte, endlichen
-oder »geschaffenen« Substanzen zu Ende führt, schließlich bei der
-_einen_ absoluten Substanz stehen, die Gott, Denken und Ausdehnung
-zugleich ist. So endet der in seinem Anfang in der sinnlichen
-Anschauung wurzelnde Begriff schließlich im völlig Transzendenten,
-das nur im Begriff, niemals in der Anschauung erfaßt werden kann. Das
-ist der Punkt gewesen, bei dem zuerst David Hume und dann Kant, indem
-sie sich auf die Forderung der Veranschaulichung besannen, vom Ende
-dieser Entwicklung wieder zu ihren beiden Ausgangspunkten zurückkehren
-mußten: Hume zu dem des Dings, Kant zu dem eines beharrenden Substrats
-der Naturerscheinungen, während für die Seele und Gott beide den
-Substanzbegriff ablehnten.
-
-Wie verhält sich nun Leibniz, der der Zeit nach zwischen Descartes
-und Hume, jenem näher als diesem steht, zu diesem im Wandel seiner
-Gestaltungen die gesamte Entwicklung der neueren Philosophie
-bestimmenden zentralen Begriff? Die gewöhnliche Antwort lautet:
-den Substanzbegriffen Descartes' und Spinozas hat er einen dritten
-gegenübergestellt, der in andere Attribute als beide das Wesen
-der Substanz verlegt, nämlich, statt in Ausdehnung und Denken, in
-_Selbständigkeit_ und _Einfachheit_. Die Monaden sind einfache Wesen,
-also Substanzen, und sie sind überdies selbständige Wesen. Zunächst
-springt in die Augen, daß die hier neu eingeführten Attribute reine
-Begriffe sind, nicht, wie bei den dogmatischen Begründern der neueren
-Philosophie, Tatsachen der äußeren und inneren Erfahrung, die, über
-jede Anschauung gesteigert, mit den transzendenten unendlichen
-Attributen der Substanz ausgestattet werden. Demgegenüber ist die
-Dreiheit der Leibnizschen Attribute, Einfachheit, Selbständigkeit
-und Beharrlichkeit, eine rein begriffliche. Wie man sie anschaulich
-zu denken habe, bleibt vorläufig ganz dahingestellt. Aber es kommt
-ein psychologischer Gesichtspunkt hinzu, der diese Lücke ausfüllt.
-Er beruht auf der unmittelbaren Gewißheit unserer inneren Erfahrung.
-Doch auch diese wird nicht ohne weiteres in der Form des Denkens
-vorausgesetzt, sondern in den allgemeinsten Formen des Verlaufs
-seelischer Vorgänge: im Vorstellen und Streben. Damit ist die
-gesamte lebende Welt gleichzeitig mit dem Menschen dem Seelenbegriff
-untergeordnet, und ihr fügt sich von selbst jener Satz an, den Leibniz
-schon in seiner »~Hypothesis physica nova~« ausgesprochen: die Körper
-sind momentane Geister. Mit diesem Satz hatte er bereits den Weg zum
-Idealismus beschritten, der sich in der Übertragung des seelischen
-Lebens auf die Substanz überhaupt vollendete. Darin liegt sein
-wesentlicher Gegensatz gegen die von der Naturanschauung ausgehende
-Substanzlehre der Cartesianer und Spinozas. Richtet sich doch auch bei
-diesem in dem berühmten Satz »die Ordnung und Verbindung der Ideen
-ist dasselbe wie die Ordnung und Verbindung der Dinge« die Idee nach
-dem Ding, nicht das Ding nach der Idee. Hier hätte Leibniz den Satz
-umgekehrt fassen können: die Dinge richten sich nach den Ideen. Damit
-verwandeln sich ihm die Dinge in eine Erscheinungswelt, die, wenn sie
-als objektive Wirklichkeit bestehen soll, einer philosophischen Prüfung
-bedarf: dann erst ist sie nach Leibniz' Ausspruch ein »~Phänomenon bene
-fundatum~«.
-
-Aber ist nicht der Leibnizsche Substanzbegriff willkürlich und
-widerspruchsvoll? Wenn seine Monaden einfache Wesen sind, so ist
-es undenkbar, daß sie zugleich Spiegel der Welt sind, daß sich in
-jeder, auch in der niedersten Monade, nur mit abgestufter Klarheit,
-das Universum spiegelt. Der Vorwurf ist so augenfällig, daß man ihn
-einem Leibniz eigentlich nicht machen sollte. Auch ist ja »einfach«
-kein eindeutiger Begriff, sondern er richtet sich nach dem Gegensatz,
-dem er gegenübergestellt ist. Dieser Gegensatz ist aber hier nicht
-sowohl das Zusammengesetzte als das Ganze. Nun ist die Monade an sich
-unteilbar: sie ist also jedenfalls das Einfachste, was dem Makrokosmos
-gegenübersteht. Auch die alten Atomistiker hatten die Atome wegen
-ihrer Einfachheit unteilbar genannt, obgleich, da sie räumliche
-Gestalten besaßen, an sich eine Teilung denkbar war. Die Monaden, die
-ideale Einheiten sind, besitzen überhaupt keine Ausdehnung: der Raum
-ist für Leibniz eine Erscheinung geworden, die zu den von ihm bildlich
-so genannten Spiegelungen der Welt in der Monade gehört. Es würde ihm
-vielleicht absurd erschienen sein, hätte man in die Seele außer ihrem
-eigenen Vorstellen und Streben auch noch die Eigenschaften der Welt
-außer ihr verlegen wollen. In diesem Sinne konnte er wohl mit größerem
-Recht, als die Atomistiker ihre Atome einfach nannten, so seine Monaden
-als die letzten unteilbaren Einheiten der Bewußtseinswelt bezeichnen.
-Und wenn außerdem noch der Satz »die Monaden haben keine Fenster« so
-oft bei ihm wiederkehrt, so hat dies wohl seinen guten Grund darin, daß
-er mit diesem Bild jede Annahme eines sogenannten ~Influxus physicus~
-so energisch wie möglich zurückweisen will. Die Monaden würden eben
-nicht geistige, an sich selbst unräumliche, aber das räumliche
-Vorstellungsbild der Welt erzeugende Wesen, sondern sie würden Atome
-sein, wenn sie solchen äußeren Einflüssen ausgesetzt wären. Darum eben
-bleibt nichts anderes übrig, als daß die Stufenordnung der Wesen, die
-nach dem Kontinuitätsprinzip in stetigen Übergängen vor sich geht,
-die ursprünglichste Weltordnung selbst ist. Die empirische Stütze
-hierfür findet er aber, wie für die Einfachheit der Wesen in der
-Unteilbarkeit, so für die Stufenordnung der Welt in der Stufenordnung
-der organischen Natur. Hier liegt dann der große Fortschritt des
-deutschen Philosophen gegenüber seinen Vorgängern: es ist der Übergang
-zum Entwicklungsgedanken, freilich noch nicht in der Form des
-Werdens, sondern, ähnlich wie ein Jahrhundert später in der deutschen
-Naturphilosophie, in der Form des _Gewordenseins_. Nach ihm gibt es
-nicht _eine_ Substanz und nicht neben der einen ungeschaffenen,
-der Gottheit, eine Vielheit von geschaffenen Substanzen, Seelen und
-Körpern, sondern alle Substanzen sind einander gleichartige geistige
-Wesen, und sie bilden eine stetige Aufeinanderfolge von den niedersten
-mit unendlich kleinen bis zu den höchsten mit unendlich großen
-seelischen Eigenschaften. Diese Philosophie ist echte transzendente
-Metaphysik. Aber den Vorwurf, einfach und zusammengesetzt zu
-verwechseln, kann man ihr nicht machen. Herbartsche »Reale« können
-und wollen diese Monaden nicht sein, ebensowenig wie Monaden im Sinne
-Giordano Brunos oder beseelte Atome. Vielmehr sind sie durchaus
-einheitlich als geistige Wesen gedacht, deren Vorstellung die Außenwelt
-ist, und die eine kontinuierliche Entwicklungsfolge bilden, in denen
-jedes von dem andern verschieden und doch jedes dem andern ähnlich ist.
-
-Wie verhält es sich nun mit der zweiten Eigenschaft der Leibnizschen
-Substanz, mit der _Selbständigkeit_? Gewiß kann hier von keiner
-absoluten Selbständigkeit die Rede sein, sondern eben nur von jener
-relativen, die beim Menschen an das Selbstbewußtsein gebunden, und
-vermöge deren eine Teilung dieses Selbstbewußtseins in einem und
-demselben Augenblick undenkbar ist. Es ist der lichte Punkt in
-unserer Seele, der diese selbst beleuchtet, jenes später von Fichte
-sogenannte »Ich bin Ich«. Für Leibniz ist das Selbstbewußtsein das
-Merkmal des Geistes. Er ist der erste, der den Satz der Identität als
-das oberste Axiom des Denkens hinstellt. Aber indem sich dasselbe
-im Fluß der Entwicklung befindet, setzt es niedrigere Stufen des
-Bewußtseins voraus, aus denen es sich entwickelt, und läßt auf höhere
-schließen, denen es zustrebt. Metaphysisch bilden daher das unendlich
-dunkle und das unendlich klare Bewußtsein die beiden Grenzpunkte der
-Weltharmonie. Indem jedes Einzelwesen in dieser unendlichen Reihe
-ein Glied bildet, nimmt es seine selbständige Stellung ein. Jenes
-»~Principium indiscernibilium~«, welches dereinst schon Nicolaus
-von Cues als Grundgesetz der Weltordnung hingestellt hatte, weil
-nicht zu unterscheidende Dinge dasselbe Ding sein würden, kommt
-hier dem Selbständigkeitsprinzip der Monade zu Hilfe. Es gehört
-zu den Bestandteilen mystischer Logik, deren so manche in das
-Leibnizsche System aus älterer Überlieferung übergegangen sind.
-Demnach ist das metaphysische Selbständigkeitsaxiom ein zunächst auf
-das Selbstbewußtsein gegründetes und von ihm aus auf die Gesamtheit
-der unter oder über der selbstbewußten Seele vorauszusetzenden
-Wesen übertragenes Postulat. Dieses Postulat führt aber seinerseits
-wieder auf dasjenige Prinzip zurück, das Leibniz am frühesten und am
-dauerndsten unter allen Bestandteilen seines Systems festgehalten hat:
-auf das Prinzip der Harmonie und mit diesem auf das große Gesetz der
-Kontinuität, das er als das Grundgesetz alles Seins und Geschehens
-betrachtet. Darum ist das Prinzip der Selbständigkeit eine in der
-gesamten Weltanschauung des Philosophen verankerte Überzeugung. Das
-menschliche Selbstbewußtsein liefert den empirischen Ausgangspunkt,
-der Entwicklungsgedanke den nach unten wie oben ins Unbegrenzte
-führenden Aufbau, endlich die Idee der Harmonie die letzte Grundlage.
-So trägt das Ganze auch hier durchaus den Charakter der metaphysischen
-Hypothese. Aber vor den Systemen der Zeitgenossen besitzt es zweifellos
-den Vorzug der Folgerichtigkeit. Ihn verdankt sie den zwei Gedanken,
-die es zum erstenmal in die neuere Philosophie einführt: der strengen
-Durchführung der ~Lex continuitatis~ und dem neuen Idealismus.
-
-Fremdartiger erscheint die dritte Eigenschaft der Substanz, diejenige,
-in deren Forderung Leibniz allem Anscheine nach mehr der Tradition,
-wie sie sich in seinem Zeitalter entwickelt hatte, als der Konsequenz
-seines Systems folgt: die _Beharrlichkeit_. Es ist bemerkenswert,
-daß gerade die zu dieser Zeit vorherrschende Philosophie, die
-Cartesianische, sich am widerspruchslosesten mit dieser Eigenschaft
-abfinden konnte. Die Materie, das Ausgedehnte, ist vermöge der
-Eigenschaften des Raumes absolut beharrlich; die Seele kann, da sie nur
-in ihren Erscheinungen erkennbar ist, trotz des Wechsels der letzteren
-an sich als beharrend vorausgesetzt werden, indem hierbei die Analogie
-mit dem Menschen und seinen Handlungen zu Hilfe kommt. Denn da wir nach
-dieser Philosophie die Seele selbst nicht kennen, sondern nur ihre
-Lebensäußerungen, so steht es natürlich frei, ob man sie beharrend
-denken will oder nicht. Anders die Leibnizsche Monade. Sie ist uns
-unmittelbar in unserem eigenen Bewußtsein gegeben. Mögen auch in diesem
-unendlich viele Strebungen und Vorstellungen, wenngleich zumeist nur
-unendlich dunkel, vorhanden sein, unser Selbstbewußtsein bietet uns
-klar das eigenste Wesen der Seele. Dieses Wesen ist fortwährende
-Tätigkeit, ein unaufhörliches Fließen der geistigen Vorgänge, niemals
-und nirgends ein Beharren. Mit dem Satze »~Vis est Substantia~« ist
-streng genommen der überlieferten Substanzlehre der Krieg erklärt.
-Denn der idealistische Grundgedanke bringt es mit sich, daß nicht etwa
-die Kraft an einem spezifischen Träger haftet, sondern, mag dies auch
-für die äußere Erscheinungswelt zutreffen, das seelische Geschehen hat
-nach Leibniz den Vorzug, daß es das wirkliche Geschehen selbst ist,
-so daß hier die Kraft und ihre Wirkung in eins zusammenfallen. Die
-Naturerscheinungen dagegen sind nach ihm nicht wirkliche Vorgänge im
-Sinne unserer Wahrnehmungen, sondern Erscheinungen. Zwar läßt er im
-allgemeinen dahingestellt, wie diese Erscheinungen auf ein hinter ihnen
-stehendes wirkliches Geschehen zurückzuführen seien; aber es steht
-nichts im Wege, anzunehmen, daß er die Hypothesen der Naturforschung,
-sofern sie zureichend durch Beobachtungen und Experimente begründet
-sind, als erste Annäherungen an die Lösung dieser Aufgabe betrachtet
-habe. Doch, wie er auch sein »~bene fundatum~« gemeint haben mag, fest
-steht jedenfalls, daß er das Dogma von der transzendenten beharrenden
-Substanz, das in dieser Zeit den Höhepunkt seiner Herrschaft erreicht
-hatte, wieder aufhob. Diese scheinbare Umkehr bedeutete freilich in
-Wahrheit keine Umkehr. Statt des widerspruchsvollen Mischbegriffs eines
-»~Ens perdurabile atque modificabile~«, eines Dings, das gleichzeitig
-beharrt und sich verändert, beschreitet er zum erstenmal den Weg, der
-auf den einzig unangreifbaren Standpunkt führt: dem eigenen geistigen
-Geschehen sind die Urbilder des Wirklichen zu entnehmen, unmittelbar,
-nicht auf Grund einer Phantasmagorie transzendenter Substanzen,
-sondern in der unaufhörlichen, in keinem Augenblick unseres wachen
-Bewußtseins stillehaltenden Tätigkeit, in der die Kraft selbst und ihre
-Wirkung in einem einzigen Geschehen zusammenfallen. Indem Leibniz den
-Übergang in einen neuen Idealismus vollbringt, wandelt er die Dinge der
-Erscheinungswelt wieder in das zurück, was sie vor der Umwandlung aus
-relativ in absolut beharrende Substanzen gewesen waren. Er entdeckt
-in der geistigen Welt die wirkliche Welt. Für sie gilt ihm aber in
-Wahrheit das Prinzip der _Aktualität_, nicht der Substantialität.
-Doch Leibniz konnte sich der Herrschaft, die sich der Substanzbegriff
-errungen, nicht entziehen. War diese Herrschaft dadurch entstanden,
-daß zuerst von dem körperlichen Ding der Begriff des Beharrens auf die
-hypothetischen Elemente der Körper und damit aus einem relativen in
-einen absoluten Begriff übertragen wurde, so wäre es wohl an der Zeit
-gewesen, diesen aus jener über alles, Geistiges und Körperliches und
-selbst über die Gottesidee sich ausbreitenden und so schließlich ins
-Unbestimmte zerfließenden Stellung zu beseitigen. Aber Leibniz hielt
-trotz seinem Idealismus an ihm fest. Nachdem nun einmal die Substanz
-die allgemeinere Bedeutung eines letzten Grundes der Dinge angenommen
-hatte, ohne daß man den Eigenschaften näher nachfragte, denen sie
-diese Bedeutung verdankte, glaubte er auch den Wert der Monaden nicht
-eindringlicher hervorheben zu können, als wenn er sie die »wahren
-Substanzen« nannte. Doch mag es wohl sein, wie gerade das Wort »wahr«
-andeutet, daß sie ihm eben doch nicht eigentliche Substanzen, sondern
-vielmehr, wie er sie häufiger nennt, Kräfte, Entelechien, Seelen sind.
-Das Wort Substanz hatte, das kam schon bei der Cartesianischen Seele
-zum Ausdruck, mit der Übertragung von der Körperwelt auf das geistige
-Leben einen Bedeutungswandel erlebt, der an der Stelle der ehemaligen
-Attribute nur noch den unbestimmten Begriff einer letzten, nicht weiter
-zurückzuverfolgenden Grundlage angenommen hatte. Darum hat sich erst in
-dem späteren Idealismus der Gedanke durchgesetzt, daß Substanzbegriff
-und geistiges Wirken inadäquate Begriffe seien. So zunächst bei
-Kant, der in seiner Erkenntnistheorie die Substanz sogar für die
-Naturwissenschaft als einen apriorischen Begriff beansprucht, für die
-Psychologie aber ihn gänzlich negiert, um ihn schließlich doch als
-religiöses Postulat abermals zuzulassen. Erst Fichte hat die Substanz
-als einen dogmatischen Begriff vergangener Zeiten erkannt, der sich
-vom Standpunkt des kritischen Idealismus aus in einen hypothetischen
-Hilfsbegriff der Naturwissenschaft umwandle.
-
-
-~b.~ Die ~Lex continuitatis~.
-
-Unter den drei »~Leges naturae~«, die Leibniz nach der Sitte der Zeit
-an die Spitze seiner Naturphilosophie stellt, ist das Gesetz der
-Stetigkeit das erste und wichtigste. Kein anderer der Zeitgenossen hat
-ihm diese beherrschende Stellung gegeben. Bei Leibniz schließt es die
-andern Prinzipien in gewissem Sinne als seine notwendigen Ergänzungen
-ein. An den stetigen Zusammenhang aller Kräftewirkungen schließt sich
-als seine quantitative Anwendung das Prinzip der Erhaltung der Kraft,
-an dieses der Satz von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung als
-seine nächste Folgerung. Nicht minder greift die ~Lex continuitatis~
-auf die geistige Welt über, die sich schließlich zusammen mit dem auch
-dieses Gesetz erfüllenden Zweckgedanken als seine eigentliche Heimat
-erweist. Von den beiden Quellen, aus denen Leibniz die frühesten
-Anregungen seines selbständigen Denkens schöpfte, ist es aber nicht
-die Neue Philosophie, aus der ihm dieser Gedanke zufloß. Wohl waren
-es hier alte Emanationsideen gewesen, die in der Mystik nachklangen
-und durch den Entwicklungsgedanken ihre Verwandtschaft mit dem
-Kontinuitätsprinzip bekundeten. Dagegen fehlte einem Descartes und
-Spinoza so gut wie einem Bacon und Newton jede ausgebildete Kosmogonie,
-und es fehlte ihnen noch mehr eine Vorstellung von der Entwicklung
-der lebenden Welt. Hier war es gerade Aristoteles gewesen, der in
-seiner die Biologie mit der Psychologie verbindenden Auffassung des
-Lebens das Schema einer aufsteigenden Entwicklung bot. Der Scholastik
-ist dieser Zug nicht verloren gegangen, sie hat ihn aber nicht bloß
-naturphilosophisch nach dem Vorbild des Aristoteles, sondern vorwiegend
-im theologischen Interesse verwertet. Die Stufenfolge der Wesen
-setzt sich ihr über den Menschen hinaus auf die himmlischen Wesen
-fort, oder die Naturkräfte steigern sich nach der Lehre des heil.
-Thomas zu übernatürlichen Kräften. Doch diese Ideen bleiben bei einer
-willkürlichen Stufenordnung stehen, die von einer Kontinuität der
-Entwicklung weit entfernt ist.
-
-Dies ist nun der große Schritt, den Leibniz getan hat, daß er, wenn
-auch vielleicht angeregt durch jene Gedanken, das Kontinuitätsprinzip
-folgerichtig auszubauen und exakt durchzuführen versuchte. Das
-Hilfsmittel dazu ist ihm aber die Mathematik in ihrer Ausbildung zur
-Infinitesimalmethode gewesen. Von ihr aus hat er jenen scholastischen
-Begriffsdualismus, der anfänglich sein Denken beherrschte, Schritt für
-Schritt überwunden. Die Ruhe wird ihm zur unendlich kleinen Bewegung,
-das Gleichgewicht zur Oszillation um eine Gleichgewichtslage, die
-bewußtlose Vorstellung zu einer dunkel bewußten, der Körper zum
-momentanen Geist. Aber gehören denn nicht -- so könnte man fragen
--- diese Begriffe in verschiedene Kontinua, die nicht miteinander
-vergleichbar und auf keine Weise aufeinander zurückzuführen sind?
-Mag es mit Hilfe der Auffassung der Ruhe oder des Gleichgewichts als
-unendlich kleiner Bewegung möglich sein, die dynamischen Begriffe in
-ein einziges Kontinuum zu ordnen, die psychologischen Begriffe stehen
-jenen anscheinend völlig fremd gegenüber. Heißt das also nicht, den
-Cartesianischen Dualismus auf einem Umweg wieder einführen? Doch
-Leibniz hat die ~Lex continuitatis~ so oft und so nachdrücklich nicht
-bloß als ein allgemeines Naturgesetz, sondern als ein universelles
-Weltgesetz in Anspruch genommen, daß es unmöglich ist, ihm einen
-so groben Widerspruch aufzubürden. Es scheint unabweisbar, er
-denkt sich alles Wirkliche als ein einziges großes Kontinuum, in
-dem man von jedem Punkt aus zu jedem beliebigen andern in stetigem
-Übergang gelangen kann. Doch für ihn hat, wie wir uns erinnern, der
-Unterschied zwischen Sein und Erscheinung ebensogut seine Geltung
-wie für Kant. Nur in _einem_, allerdings wesentlichen Punkt trennen
-sich beide: Leibniz verlegt das Sein, in der Sprache Kants das »Ding
-an sich«, in das geistige Leben, Kant erklärt das Sein überhaupt für
-unerkennbar. Und daran ist ein folgenreicher Unterschied geknüpft:
-auch das uns unmittelbar gegebene geistige Sein zählt Kant unter
-die »Erscheinungen«. So sehen wir uns rettungslos einer reinen
-Erscheinungswelt gegenüber, aus der nirgends ein Weg zum Sein führt.
-Die Idee dieses Seins ist in uns gelegt, niemand weiß, woher sie
-gekommen. Nur in dem Sittengesetz, das sich hier auf den Widerstreit
-gegen die sinnliche Natur des Menschen berufen kann, ist das Licht
-zu erblicken, das in die übersinnliche ideale Welt des Seins einen
-Ausblick eröffnet. Für Kant ist die sinnliche Welt ein gesetzmäßig
-geordneter Schein, für Leibniz ist sie ein »~Phaenomenon bene
-fundatum~«.
-
-Die zwei kleinen bedeutungsschweren Worte »~bene fundatum~« bezeichnen
-hier deutlich die Kluft zwischen Leibniz und Kant. Die Außenwelt ist
-auch nach Leibniz eine gesetzmäßig verbundene Kette von Erscheinungen,
-die unter unserer Mitwirkung entstehen, darum nicht die Dinge selbst
-sind, jedoch schon um des Gesetzes der Kontinuität willen als ihr
-wahres Wesen ein geistiges Sein annehmen lassen, ähnlich dem, das wir
-in uns selber finden. Gleichwohl kann uns in seinem wirklichen Sein
-nur der Inhalt unserer eigenen Seele gegeben sein, nicht irgendein
-fremdes Sein, das uns mit allem, was aus dem Makrokosmos in den
-Mikrokosmos der Seele eingeht, als eine Welt bloßer Erscheinungen
-gegenübersteht. Als eine solche weist sie hin auf ein Sein, aber sie
-ist nicht selbst dieses Sein. Bis dahin begegnen sich Leibniz und
-Kant. Beide unterscheiden Schein und Erscheinung. Alle Erkenntnis
-bleibt ein System unter Gesetze geordneter Erscheinungen. Diese Gesetze
-samt den Begriffen und Anschauungsformen, die sie voraussetzen,
-liegen ~a priori~ in uns, wenn auch erst der uns in der Empfindung
-gegebene Inhalt der Erfahrung die Wirksamkeit dieser Formen auslöst.
-So ist die Erscheinung für Kant das Mischergebnis eines gegebenen
-Stoffs und der diesen Stoff gestaltenden Formen. Es ist der alte
-Aristotelische Begriffsschematismus, der sich hier in strengerer
-logischer Umarbeitung wieder erneuert. Die Wissenschaften, die sich
-seitdem um die Probleme der Erscheinungswelt bemüht haben, bleiben
-beiseite. In die rein begriffliche Analyse der Erfahrung haben sie
-nicht dreinzureden. Ganz anders Leibniz. Ihm ist das seelische Erleben
-das wirkliche Sein. Vorstellende und strebende Kräfte sind die
-allgemeinen Formen dieses Erlebens, und die Vorstellungen von einer
-Außenwelt sind unlöslich an dieses unser eigenes Sein gebunden. Damit
-wird jedoch das Sein, das hinter den zu Inhalten unseres Vorstellens
-gewordenen Objekten steht, weder zu einem Schein noch auch zu einem
-unerkennbaren Ding an sich, sondern der erscheinende Gegenstand ist,
-wie Leibniz wiederholt versichert, ein »wohlbegründetes Phänomen«! Was
-will dieser Ausdruck sagen? Sollte auch er nur eine transzendente Idee
-bedeuten? Diese Vermutung ist schlechthin ausgeschlossen. Begleitet
-er doch so regelmäßig den Begriff des Phänomens, daß Leibniz ohne
-Frage einen bestimmten Sinn damit verbunden haben muß. Und kann es
-zweifelhaft sein, welches dieser Sinn gewesen ist? Es war _nicht_, wie
-man wohl gewöhnlich annimmt, das System der Monaden, an das er dabei
-dachte. Daß die Naturerscheinungen direkt aus der monadologischen
-Hypothese abgeleitet werden sollten, das wäre in der Tat ein so
-phantastischer Plan gewesen, daß man einen Leibniz, der inmitten der
-physikalisch-mathematischen Forschung seiner Zeit stand, dessen nicht
-für fähig halten sollte. Auch ist zu bedenken, daß die Monadologie
-in ihrer ausgebildeten Form den dynamischen Arbeiten, in denen er
-die festen Grundlagen für den Aufbau der Naturerkenntnis gewonnen
-zu haben glaubte, nachgefolgt, nicht vorangegangen ist. Es war aber
-schlechterdings unmöglich, daß er sein sorgfältig ausgearbeitetes
-System der Dynamik samt dem an seine Spitze gestellten universellen
-Prinzip der Kontinuität aus den Voraussetzungen der Monadenlehre
-ableitete. Vielmehr bestand der wirkliche Unterschied zwischen ihm und
-der späteren Lehre Kants eben darin, daß dieser unbewußt Aristoteliker
-blieb, indem er in der Spaltung der Begriffe nach dem Schema der
-Anschauungsformen und der Kategorien die spezifische Aufgabe der
-Erkenntnistheorie sah, während für Leibniz diese hier direkt _in die
-positive wissenschaftliche Aufgabe einmündete_. Für einen Mann, der
-insbesondere die von ihm selbst begründete Dynamik als die Vorschule
-der Erkenntnislehre schätzen gelernt hatte, konnte das Wort, die Welt
-außer uns sei nicht die Welt des Seins selbst, sondern nur eine Welt
-»wohlbegründeter Erscheinungen« keinen andern Sinn haben, als eben den,
-jede dieser Erscheinungen sei, ehe sie als wirklich angenommen werde,
-in ihrer objektiven Wirklichkeit wissenschaftlich sicherzustellen.
-Hier eröffnete ihm aber der _Kraftbegriff_ die Pforte, die ihn von
-der Physik zur Metaphysik führte. Suchte er doch schon in seiner
-»~Hypothesis physica nova~« zu erweisen, daß die Kraft jenes tote
-Substrat nach dem Bild der Cartesianischen Materie hinfällig mache,
-und daß der Zweckcharakter der Naturgesetze auf den geistigen, den
-Naturerscheinungen selbst immanenten Ursprung dieser Gesetze hinweise.
-Wenn er aber in der Erscheinungswelt die bewegenden, in der geistigen
-Welt die vorstellenden Kräfte als die Grundlagen der Weltordnung
-betrachtet, so muß man sich erinnern, daß er auch in Raum, Zeit und
-Bewegung Phänomene sieht, hinter denen als das Wirkliche die Kraft
-steht. Nicht die Erscheinung gewordene Kraft ist darum das Wirkliche,
-sondern das, was in gleicher Weise in der phänomenalen wie in der
-geistigen oder wirklichen Welt das Wesen der Kraft ausmacht: die
-Gesetze, die für beide Welten zugleich gelten. Denn es sind dieselben
-_Gesetze unseres Denkens_, nach denen in der äußeren Anschauung die
-bewegenden Kräfte wirken, und die die in uns liegenden geistigen
-Kräfte regieren. Hier ist daher der Punkt, wo die Erscheinungswelt und
-die Seinswelt, die körperliche und die geistige Welt zu einer Einheit
-zusammenfließen. Hier wie dort gelten die Prinzipien der Identität
-und des Widerspruchs und für einen großen Teil der Erscheinungswelt
-wegen der notwendigen Schranken unserer Erkenntnis das Prinzip des
-zureichenden Grundes. Auch dieses ist ein apriorisches Gesetz, aber
-infolge der Zuhilfenahme empirischer Erwägungen, deren es zu seinen
-Anwendungen bedarf, ist es das empirische Grundgesetz der Erfahrung,
-also der Erscheinungswelt. Auch kann es nicht, wie die beiden ersten
-jener logischen Gesetze, selbst wieder zu apriorischen, sondern nur
-zu empirischen Gesetzen von mehr oder minder großer Allgemeinheit
-verhelfen. Daraus, daß es die gleichen Denkgesetze sind, nach denen
-wir unsere eigene geistige Tätigkeit, und diejenigen, nach denen wir
-die Naturerscheinungen ordnen, wird es nun aber auch verständlich,
-daß alle Naturgesetze Zweckgesetze sind, das allgemeine Gesetz der
-Erhaltung der Kraft ebenso wie die Gesetze der Lebenserscheinungen.
-Hier, wo physische und geistige Welt einander berühren, trägt eben
-das Naturgesetz am deutlichsten das Gepräge eines geistigen Gesetzes
-an sich, das die von ihm beherrschte Erscheinung durch eine weite
-Kluft scheidet von dem Scheine. Wurde darum Leibniz zunächst durch die
-Dynamik und dann durch die Biologie in seiner Überzeugung befestigt,
-daß die geistige Welt die wirkliche Welt sei, so betrachtet er
-schließlich doch als den endgültigen Beweis für diese Auffassung die,
-wie er meinte, unmittelbar einleuchtende Tatsache, daß die Gesetze des
-logischen Denkens überhaupt die allgemeinsten Gesetze seien, die das
-Universum beherrschen. In dieser Überzeugung kommt bei ihm der gleiche
-Rationalismus zum Durchbruch, dessen rücksichtslosester Vertreter im
-gleichen Zeitalter Spinoza ist. Aber wie wenig im ganzen mit solchen
-Schlagwörtern gesagt wird, das zeigt sein Gegensatz zu diesem. Wie weit
-ab liegt hier insbesondere der Begriff des wohlbegründeten Phänomens
-von Spinozas »inadäquater Erkenntnis«! Diese ist nichts als Schein,
-schlimmer als der Irrtum, weil sie der wahren Erkenntnis im Wege steht.
-Bei Leibniz ist die Erscheinung auf die gleiche Denknotwendigkeit
-gegründet wie das Sein, ja sie gehört im Grunde als ein wesentlicher
-Bestandteil zu diesem. Denn in ihr kommt nur die niemals aufzuhebende
-Tatsache zum Ausdruck, daß das denkende Subjekt sich verschieden weiß
-von der es umgebenden Welt, daß aber diese Welt ebenso notwendig
-zu ihm wie es zu ihr gehört. Darum hat nun aber auch die rohe
-sinnliche Wahrnehmung, die das Läuterungsfeuer der wissenschaftlichen
-Prüfung noch nicht bestanden hat, keinen Anspruch auf den Begriff
-der Erscheinung im Leibnizschen Sinne. Sie ist nur Schein. Zur
-Erscheinung wird sie erst, wenn sie in dem kausalen Zusammenhang
-des Einzelnen und in der logischen Ordnung des Ganzen erkannt ist.
-Da übrigens diese gleichzeitig empirische und logische Ordnung der
-empirischen Wirklichkeit selbstverständlich eine niemals vollendbare
-Aufgabe ist, so liegt die Erscheinung in fortwährendem Kampf mit dem
-Schein. Sicheres scheidet sich innerhalb der Erscheinungswelt von dem
-Zweifelhaften, und der Fortschritt des Wissens bringt es mit sich, daß
-es auch an Zurücknahme von Irrtümern niemals fehlt.
-
-Leibniz hat dieses Prinzip der Relativität des Erkennens die
-»_Schranke_« genannt, die dem Einzelnen vermöge der allgemeinen
-Weltordnung zukommt. In dieser unabänderlich an das Wesen des Menschen
-gebundenen Schranke liegt ihm ebensosehr das unbegrenzte Streben nach
-ihrer Überwindung begründet, wie die Unmöglichkeit, dieses Ziel je ganz
-zu erreichen. Gäbe es überall nur ein beschränktes Erkennen, also nur
-Erscheinungen, so würde uns auch der Begriff eines Seins versagt sein.
-Aber in dem vollkommen klar Erkannten, in den Wahrheiten, die an und
-für sich einleuchten, wie in dem Satze ~A = A~ und in andern logischen
-und mathematischen Axiomen, sind uns unbedingte, also schrankenlose
-Wahrheiten zugänglich. Doch sie sind uns nicht als äußere Erfahrungen,
-sondern rein auf Grund unserer unmittelbaren inneren Erfahrung
-als an sich evidente Wahrheiten gegeben. Indem aus ihnen durch
-Verbindung und Schlußfolgerung andere abgeleitet werden, erweitert
-sich dann das Gebiet dieser notwendigen Wahrheiten und damit das des
-unbedingten Seins. Immerhin bleibt es ein beschränktes gegenüber
-der unerschöpflichen Erscheinungswelt, die mit jenen apriorischen
-Wahrheiten in mannigfaltiger Weise in Wechselwirkung tritt. Die beiden
-Sätze der Identität und des Widerspruchs betrachtet Leibniz als die
-letzten Grundsätze, auf denen die apriorischen Wissenschaften, in
-erster Linie die Logik und Mathematik in ihrer reinen, von empirischen
-Anwendungen unabhängigen Form beruhen. Doch er geht weit darüber
-hinaus, indem er selbst die Moral und die Metaphysik apriorische
-Wissenschaften nennt. Natürlich will er damit nicht sagen, diese
-gehörten in den Anwendungen auf das praktische Leben oder in ihren
-mit den empirischen Lebensverhältnissen zusammenhängenden Problemen
-zur Welt des reinen Seins. Das hat er ebensowenig geglaubt, wie er
-daran denken konnte, die konkreten mathematischen Aufgaben, mit denen
-er sich beschäftigte, in eine überempirische Welt zu verweisen. Nur
-die letzten Grundsätze des sittlichen Handelns sind nach ihm nicht
-aus der Erfahrung abzuleiten. Sie liegen in uns, wenn sie auch immer
-erst im Zusammenwirken mit den Eindrücken der Außenwelt in Aktion
-treten können. Hier sind es dann jene eine innere Einheit bildenden
-Tugenden der Gerechtigkeit, der Liebe und der Frömmigkeit, die er
-als absolute Sittengebote betrachtet. Sie sind ganz in dem Sinne,
-in dem später Kant das allgemeine Sittengesetz auffaßte, Normen, die
-ein Sollen, nicht Gesetze, die ein Sein oder Geschehen bedeuten,
-anders ausgedrückt: sie sind _Willensgesetze_, die die Möglichkeit
-der Unterlassung in sich schließen, nicht Seinsgesetze. Es ist Kants
-Verdienst, diese doppelte Form der Apriorität klar geschieden zu
-haben. Aber schon bei Leibniz ist sie stillschweigend vorausgesetzt.
-Nur daß er das Sittengesetz zugleich im Anschluß an die überlieferte
-Sittenlehre auf ein System von Tugendbegriffen zurückführt. Kant
-löst es erst aus dieser eine empirische Verursachung vortäuschenden
-Verbindung, um es in das innere Pflichtgebot, in die reine Form des
-»Du sollst« zu verlegen. Es ist ein bedeutsamer Wandel, den dieser im
-Laufe des 18. Jahrhunderts erfolgte Übergang von einer eudämonistischen
-und optimistischen Tugendlehre zu einer rigorosen und pessimistischen
-Pflichtenlehre bezeichnet. Er ist charakteristisch für die Zeit selbst,
-in der er sich in seinem Fortschritt von Leibniz über Wolff und seine
-Schule bis zu Kant verfolgen läßt. Aber nicht der ethische Gehalt
-ist es, der sich dabei geändert hat: auf das strenge Pflichtgebot
-ist diese ganze Ethik gegründet; es bildet das auszeichnende Merkmal
-der deutschen Moralphilosophie gegenüber dem in dieser Zeit bei den
-andern europäischen Nationen zur Herrschaft gelangten englischen
-Individualismus und Utilitarismus. Jene Ethik der Pflicht ist es,
-die sich bei Leibniz noch in die Form einer weltliche und religiöse
-Motive verbindenden Tugendlehre gekleidet hat. Die Lösung aus dieser
-Verbindung hat ihr dann bei Kant jene Macht eines sittlichen Pathos
-verliehen, das diesen zu ihrem eindrucksvollsten Verkünder erhob. Dazu
-war aber auch außerdem die ganze Folgerichtigkeit einer strengen, jeder
-Paktierung mit Selbstsucht und Neigungsmotiven abholden sittlichen
-Lebensauffassung erforderlich, wie sie Kant vertrat. Hier war daher
-die Größe Kants gebunden an seine einseitig moralische Wertung der
-Dinge.
-
-Befremdlicher mag es scheinen, daß Leibniz nicht bloß die Moral,
-sondern schließlich auch die _Metaphysik_ zu den apriorischen
-Wissenschaften zählt. Dennoch wird man zugestehen müssen, daß ihm kaum
-eine andere Wahl blieb. War es doch noch weniger zulässig, sie auf die
-Seite der von ihm sogenannten »tatsächlichen Wahrheiten« zu stellen.
-Hier zeigt es sich eben, daß es zwischen dem »Notwendigen« und dem
-»Tatsächlichen« noch eine Region gibt, die keines von beiden ist und
-gleichwohl an der Apriorität der sogenannten notwendigen Wahrheiten
-teilnimmt. Das ist die Region des ~a priori~ _Möglichen_. In der
-Tat ist eben dies überall der Charakter metaphysischer Hypothesen,
-sofern sie überhaupt ein Recht für sich in Anspruch nehmen können.
-Sie stützen sich auf apriorische Gründe, aber diese Gründe sind nicht
-objektiv zwingend, sondern hypothetischer Art. Auch findet man, so
-überzeugt sich Leibniz selbst an vielen Stellen zu seiner Monadologie
-bekennt, in dem Briefwechsel, den er über sie geführt, Belege genug
-dafür, daß er ihr eine andere als eine solche hypothetische Apriorität
-eigentlich nicht beigelegt hat. Bezeichnend ist in dieser Beziehung
-seine Hilfshypothese eines »~Vinculum substantiale~«, die er in
-der Korrespondenz mit den ihm befreundeten katholischen Theologen
-entwickelt, um diesen die Vereinbarkeit des Systems der Monaden mit
-dem Dogma der Transsubstantiation plausibel zu machen, und besonders
-bezeichnend ist seine beiläufige Äußerung, man könnte sich vielleicht
-auch die Monaden selbst durch ein substantielles Band ersetzt denken,
-das alle Teile der Welt potentiell miteinander verbinde. An Stelle der
-Monaden, die »keine Fenster haben«, würde dann ein einziges geistiges
-Kontinuum treten, ein Universum, das eigentlich _nur_ Fenster wäre,
-weil es in allen seinen Teilen zusammenhinge. So labil denkt sich
-Leibniz metaphysische Hypothesen, trotz ihrer Apriorität. Das Rätsel
-löst sich dadurch, daß für ihn die monadologische, wie jede andere
-Hypothese, nicht an sich, sondern nur insofern Bedeutung besitzt, als
-sie ein geeigneter Ausdruck für das universelle Weltgesetz selbst ist.
-Dieses Weltgesetz ist aber die _~Lex continuitatis~_. Auf sie kommt
-es an, nicht darauf, ob die Monaden das einzige denkbare Substrat für
-die Verwirklichung dieses Gesetzes sind oder nicht. Leibniz hält sie
-allerdings im Hinblick auf die seelische Natur der Monade für das am
-besten begründete. Ihren Hauptwert hat aber doch die monadologische
-Hypothese darin, daß sie ein anschauliches Bild des Gesetzes der
-Kontinuität selbst ist, sobald man das geistige Geschehen als den
-letzten Inhalt dieses Gesetzes ansieht. Unter diesem Gesichtspunkt
-tritt dann aber auch das Bild von der fensterlosen Monade in die
-richtige Beleuchtung. Gerade die Kontinuität des Systems bringt es
-mit sich, daß jedes einzelne Glied seine fest bestimmte Stelle in
-diesem Kontinuum einnimmt: nicht als stabiles Gebilde, sondern als
-immerwährende Kraftäußerung, als solche aber verschieden von jeder
-anderen und doch in gesetzmäßigem Zusammenhang mit jeder andern. Die
-Monaden oder Seelen haben keine Fenster, das bedeutet also: jede ist
-mit allen gesetzmäßig verbunden und außerhalb dieses Zusammenhangs der
-allgemeinen Weltordnung gibt es keinen ~Influxus physicus~, der von
-irgendeinem einzelnen Teil dieser Ordnung auf einen anderen übergehen
-könnte.
-
-Bewegt sich auf diese Weise das Gebiet der apriorischen Erkenntnis,
-mit den apodiktischen Sätzen der Logik und Mathematik beginnend, über
-die normativen der Moral schließlich bis zu den hypothetischen der
-Metaphysik, so umfaßt nun demgegenüber die empirische Erkenntnis die
-_Erscheinungswelt_. Leibniz nennt sie geradezu auch das Gebiet des
-»Zufälligen«. Damit ist natürlich nicht ein Zufall im objektiven Sinne
-des Wortes gemeint, sondern in jenem subjektiven Sinne, in welchem
-uns eine Erscheinung tatsächlich gegeben sein muß, wenn sie als wahr
-anerkannt werden soll. Darin ist schon ausgesprochen, daß hier jene
-apriorischen Axiome versagen, die nur aus uns selbst stammen, darum
-aber auch ursprünglich nur auf die in uns selbst liegenden Inhalte
-des Denkens angewiesen sind. Nichtsdestoweniger erstreckt sich der in
-unserem logischen Denken wurzelnde Erkenntnistrieb auf _alle_ Inhalte
-des Bewußtseins, also auch auf jene rein tatsächlichen. So entspringt
-hier eine Aufgabe, die in einem _dritten_ Prinzip ihren Ausdruck
-findet, das den beiden ersten der Identität und des Widerspruchs als
-das empirische oder phänomenologische an die Seite tritt: das Prinzip
-des _zureichenden Grundes_. Das Wort »zureichend« ist mit Vorbedacht
-gewählt. Es soll aussprechen, daß es sich hier um eine Maxime der
-Verknüpfung der Tatsachen handelt, der keine Notwendigkeit innewohnt,
-und die daher jederzeit einer Berichtigung zugänglich ist. Es ist,
-abweichend von dem in den rein spekulativen Systemen der Philosophie
-angewandten Begriff des Grundes, etwa von der »~ratio sive causa~«
-des Spinoza, ein empirisches Kausalprinzip, das Leibniz hier den
-Gesetzen des apriorischen Denkens gegenüberstellt. Zugleich ist aber
-ersichtlich, daß diese Scheidung der Prinzipien auf das engste mit
-der Scheidung von Sein und Erscheinung, von Seinswissenschaften und
-empirischen Wissenschaften zusammenhängt, die dieser neue Idealismus
-entwickelt. Insofern hat Leibniz hier einen Gedanken vorausgenommen,
-den später Schopenhauer gegen das Kantische Kategoriensystem einwandte:
-die einzige unter den zwölf Kategorien, die ihre Stellung behaupte, sei
-die Kausalität.
-
-
-~c.~ Der neue Idealismus.
-
-Zweimal hat die Geschichte der Philosophie die Begründung eines
-eigenartigen, auf lange hinaus die Wissenschaft beherrschenden
-Idealismus erlebt: in der Platonischen Ideenlehre und in dem
-Leibnizschen System. Für Plato bilden die Ideen eine rein geistige
-übersinnliche Welt, bei Leibniz ist diese geistige Welt der sinnlichen
-immanent. Dem antiken Idealismus ist die Sinnlichkeit eine Trübung der
-Ideen durch die Materie; dem neuen ist die Sinnlichkeit die Erscheinung
-des Geistes selbst. Der Platonische Idealismus ist dualistisch,
-der moderne ist monistisch. An diesen Gegensatz ist ein anderer
-folgenreicher geknüpft: die Platonische Seele ist ein Mittelwesen
-zwischen Ideen- und Sinnenwelt, das, in die Sinnlichkeit verstrickt,
-der Erhebung zu den Ideen und damit der Rückkehr zu diesen, von denen
-sie ausging, fähig ist. Die Leibnizsche Seele oder Monade gehört
-selbst zur Ideenwelt. Die Seelen oder Monaden umfassen die geistige
-Welt in ihrer ganzen unendlichen Totalität, aber beschränkt, weil sie
-als endliche vorstellende und strebende Kräfte nur einzelne unter den
-zahllosen Lichtpunkten sind, die das Universum in der unendlichen
-Stufenfolge jener Kräfte bilden. So wird der moderne Idealismus zum
-Pluralismus und an die Stelle der Zweiheit von Idee und Materie
-tritt die andere von Sein und Erscheinung. In dieser Einsetzung
-der Erscheinungswelt in ihre Rechte besteht der große Schritt, den
-dieser neue Idealismus getan hat, und der in doppelter Beziehung als
-die bedeutsamste philosophische Errungenschaft des Zeitalters der
-Erneuerung der Wissenschaften gelten kann. Auf der einen Seite ist
-es die volle Anerkennung der Erscheinungswelt als der Stätte des
-menschlichen Erkennens und Handelns, die sich hier durchgesetzt hat.
-Auf der andern Seite ist es die Erkenntnis, daß das geistige Leben
-selbst, nicht eine ihm äußerlich gegenüberstehende Welt transzendenter
-Ideen, Sein und Erscheinung aneinander bindet. Darum sind beide,
-Sein und Erscheinung, gleich wirklich. Wie das Sein die Wirklichkeit
-unseres eigenen Geistes, so ist die Erscheinung diejenige Wirklichkeit,
-die das Universum für uns besitzt. Damit wird aber auch erst die
-wissenschaftliche Erkenntnis, nicht die unmittelbare Wahrnehmung zum
-Maß der erscheinenden Wirklichkeit.
-
-Die neuere Philosophie hat nach Leibniz noch manche Versuche
-unternommen, auf der Basis jener Selbstgewißheit des Denkens, die zu
-jeder Zeit dem Idealismus seine Stütze gegeben hat, diesen in einer
-der modernen Wissenschaft entsprechenden Weise auszubilden. Sie alle
-berühren sich irgendwie mit dem Leibnizschen Idealismus. Er aber hat
-vor allen andern das Schicksal gehabt, in seiner wahren Bedeutung
-verkannt zu werden. Der Zeit nach am nächsten steht ihm Berkeley.
-Er stellt nur das eine der beiden idealistischen Argumente in den
-Vordergrund: das psychologische, und damit allerdings dasjenige,
-das am unmittelbarsten und einleuchtendsten wirkt. Wir können
-nicht aus unserer Seele hinaus, es sind immer nur unsere eigenen
-Vorstellungen, nicht die Dinge außer uns, die wir wahrnehmen. Ein
-Ding außer uns zu sein, ist selbst nur eine Vorstellung in uns.
-Das ist das unwiderlegbare Berkeleysche Argument. Aber es liefert
-die Welt restlos dem Schein aus. Es verwandelt nicht die Dinge in
-subjektive Täuschungen -- dagegen konnte Berkeley mit Recht Verwahrung
-einlegen --, aber es macht die Erkenntnis einer von uns unabhängigen
-Außenwelt illusorisch und stellt den Wert unseres praktischen Handelns
-und Strebens in Frage. Auf Berkeley folgte Kant. Er hat das Verhältnis
-von Schein und Erscheinung scharf herausgearbeitet, und sein Nachweis
-der Verbindung von Anschauung und Begriff in den Grundgesetzen
-der Erfahrungserkenntnis gehört zu den wenigen epochemachenden
-Entdeckungen der spekulativen Erkenntnistheorie. Im übrigen liegt
-jedoch der Schwerpunkt seiner Leistung in seinem ethischen Idealismus,
-in welchem er dem dualistischen Idealismus Platos verwandter ist als
-dem theoretisch folgerichtigeren, den Leibniz begründet hat. Eben
-deshalb hat aber Kant hier eine Bahn beschritten, die einen zunehmenden
-Zwiespalt zwischen Philosophie und positiver Wissenschaft herbeiführen
-mußte. Denn statt von der von der positiven Wissenschaft geleisteten
-Analyse der Erfahrung auszugehen, legte er die Synthese der sinnlichen
-Wahrnehmung mit allen Widersprüchen und subjektiven Täuschungen
-zugrunde, die dieser Analyse vorausgehen. So wurde ihm die Außenwelt
-nicht zu einer berechtigten und bis zu der jeweils erreichbaren Grenze
-auf ihr reales Substrat zurückführbaren Erscheinungswelt, sondern sie
-blieb ihm derselbe Schein, der sie gewesen, bevor sich die Wissenschaft
-um sie bemüht hatte. Daher denn auch die Grundgesetze, von denen nach
-Kant die Sinnenwelt beherrscht wird, mittels der Anschauungs- und
-logischen Denkformen ~a priori~ gegeben sind: sie werden von jeder
-Wissenschaft auf den Inhalt jeder beliebigen Erfahrung angewandt, auf
-den Sinnenschein ebensogut wie auf die Ergebnisse wissenschaftlicher
-Analyse.
-
-Dies ist zugleich der Punkt, wo Kants Vorbild auf die folgende
-Entwicklung des deutschen Idealismus trübend eingewirkt hat. Hatte
-sich Kant selbst noch vorwiegend in der Schule Newtons eine tiefe,
-nur etwas einseitig der mechanischen Naturlehre zugewandte Achtung
-vor der positiven Wissenschaft bewahrt, so rückte unter dem Einfluß
-der großen politischen Umwälzungen um die Wende der Jahrhunderte
-der Schwerpunkt der philosophischen Interessen auf die Seite der
-geschichtlichen Wissenschaften. Die nun kommende Generation betrachtete
-daher fortan, hierin weit über Kant hinausgehend, einen der
-Gesamtheit der Wissenschaften gegenübertretenden spekulativen Aufbau
-der Philosophie als ihre eigenste Domäne. Dieser Zwiespalt offenbarte
-sich zunächst in der Naturphilosophie, dehnte sich aber allmählich
-auch auf die historischen Wissenschaften aus. Die Scheidung hat sich
-nicht ausnahmslos durchgesetzt. An Anleihen der einen bei der andern
-Seite hat es wohl niemals gefehlt. Nachdem um die Mitte des vorigen
-Jahrhunderts die Entfremdung ihr Maximum erreicht haben dürfte,
-mag aber die Zeit nicht mehr allzu fern sein, in der der deutsche
-Idealismus wieder in die Bahnen ihres Begründers einmündet.
-
-Zu Leibniz' Zeit war in der Tat im Gegensatz zu dieser späteren
-Wendung der Dinge das Einheitsbewußtsein der exakten Wissenschaft
-und der Philosophie auf seinem Höhepunkt angelangt. Für Leibniz
-selbst standen Mathematik und Naturphilosophie im Vordergrund des
-wissenschaftlichen Interesses, und auf beiden Gebieten waren für ihn
-die allgemeineren Probleme zugleich philosophische Probleme. Galt das
-für dieses ganze Zeitalter, so trennte sich aber Leibniz in einem
-sehr wesentlichen Punkte von der vorangegangenen und gleichzeitigen
-Philosophie der andern Länder Europas. Die Cartesianische Philosophie
-war von der Geometrie, die Newtonsche Naturphilosophie von der Mechanik
-ausgegangen: das verlieh beiden einen stark realistischen Zug. Bei
-Leibniz verbanden sich vornehmlich die Analysis des Unendlichen und die
-Dynamik, um die einzigartige Schöpfung einer idealistischen Philosophie
-hervorzubringen, _die selbst von der Naturwissenschaft ausging_. Im
-Lichte der Infinitesimalmethode wandelte sich ihm die ausgedehnte
-Welt in die Erscheinungsform einer unendlichen Vielheit tätiger
-Kräfte um. Die Grundbegriffe der Dynamik gaben diesen Kräften ihren
-zwecktätigen Charakter und ließen in ihnen geistige Kräfte erkennen;
-und im Hinblick auf die unmittelbare Gewißheit unseres denkenden
-Selbstbewußtseins konnten diese geistigen Kräfte nicht wohl anders
-denn nach Analogie unseres eigenen Seelenlebens als strebende und
-vorstellende Tätigkeiten gedacht werden.
-
-Wie dieser Idealismus in seiner Eigenart von den früheren wie
-den späteren Formen dieser Denkweise abweicht, so auch in seiner
-Begründung. Die Natur ist für Leibniz nicht, wie für Plato, eine
-Trübung der rein geistigen, in einem übersinnlichen Jenseits
-liegenden Ideenwelt, und sie ist für ihn nicht, wie für Kant, eine
-gesetzmäßig geordnete, aber niemals innerhalb des sinnlichen Daseins
-zu überschreitende Erscheinungswelt, sondern beides zugleich: sie
-ist eine gesetzmäßig geordnete Welt, aber ihre Gesetze sind geistige
-Gesetze, und sie ist daher mit Notwendigkeit an unser eigenes geistiges
-Sein gebunden. Als Erscheinung ist sie aber auf ein System von
-Bewegungsgesetzen zurückzuführen, die den Prinzipien der Kontinuität
-und der Erhaltung untergeordnet sind. Auch die Begriffe des Raumes
-und der Zeit, nicht weniger wie die der Zahl sind daher nicht
-unabhängig von uns vorhandene Formen, sondern, wie Leibniz mehrfach
-hervorhebt, _ideale_ Formen, in die wir die Dinge ordnen. Demnach
-ist ein nach Denkgesetzen und Zweckprinzipien geordnetes System von
-Bewegungen offenbar im Sinne von Leibniz das notwendige Substrat der
-Erscheinungswelt: es ist nicht das Sein selbst, aber das »~Phänomenon
-bene fundatum~«. Dabei nimmt die Bewegung in ihrer räumlich-zeitlichen
-Gesetzmäßigkeit schon bei Leibniz eine von den ordnenden Begriffen
-und Gesetzen wesentlich verschiedene Stellung ein. Wenn er Raum und
-Zeit die Formen nennt, nach denen wir die Dinge im Raum ordnen und in
-der Zeit zählen, so ist damit dasselbe ausgedrückt, wofür Kant das
-treffende Wort »Anschauungsformen« gebraucht hat. Mit jenem Ordnen im
-Raum und jenem Zählen in der Zeit kennzeichnet er eine Tätigkeit des
-anschauenden Denkens im Gegensatz zu dem unanschaulichen abstrakten
-Begriff. Auch steht er schon auf der Schwelle der Erkenntnis der
-Zusammengehörigkeit beider Funktionen, der begrifflichen und der
-anschaulichen. In einem aber geht er über Kant hinaus: ihm ist die
-objektive Welt ein System nach Zweckgesetzen geordneter Bewegungen ohne
-ein anderes Substrat als das der tätigen Kräfte selbst. Das ist der
-Unterschied seines »wohlbegründeten Phänomens« von den nach Anleitung
-der Urteilsfunktionen geordneten Kategorien Kants.
-
-Daß Leibniz den neuen Idealismus nicht auf die Psychologie, wie nach
-ihm Berkeley, und nicht auf ein logisches Begriffssystem, wie der
-spätere spekulative Idealismus, noch endlich auf den Widerstreit
-zwischen Naturgesetz und sittlicher Norm gegründet hat, wie Kant,
-sondern auf diejenige Wissenschaft, die nach der bisherigen Meinung
-vom Idealismus am weitesten entfernt war, auf die Naturwissenschaft,
-dies bildet die große, allen andern Richtungen der gleichen Denkweise
-überlegene Macht dieses Idealismus. Auch ist sie es, die ihn eigentlich
-zum einzigen folgerichtig durchgeführten macht und ihm zu dem
-unschätzbaren Vorzug verhilft, daß er nicht außerhalb der positiven
-Wissenschaft steht, sondern sich auf diese selbst stützt. Wenn dieser
-Sachverhalt zumeist verkannt wird, so liegt das offenbar daran, daß man
-sich von der engen Zugehörigkeit der mathematischen und dynamischen
-Arbeiten zu seiner Philosophie keine zureichende Rechenschaft zu geben
-pflegt. Man orientiert seine Philosophie ganz nach der Monadologie und
-nebenbei nach den Essays über den Verstand. Doch die Monadologie gibt
-eigentlich nur ein ansprechendes Bild für das Prinzip der Kontinuität.
-An die Bedeutung dieses Prinzips selbst reicht sie nicht heran. Kann
-ihm, der von der engen Beziehung seiner mathematisch-physischen
-zu seinen philosophischen Arbeiten durchdrungen war, an diesem
-Mißverständnis kaum die Schuld aufgebürdet werden, so verhält es sich
-aber zum Teil anders mit dem Gebiet der _Moral_. Hier bildete später
-die Rückkehr zu Plato für Kant einen Vorzug, der ihm Vorgängern wie
-Nachfolgern gegenüber eine überragende Stellung gibt. Hier trat aber
-auch zutage, daß der gewaltige Umschwung, den als der erste Begründer
-des neuen Idealismus Leibniz gegenüber der transzendenten Ideenlehre
-bewirkt hatte, unvermeidlich zugleich mit einer Abschwächung des
-sittlichen Idealismus verbunden war, der dem Platonischen Gedanken
-seine dauernde Macht gegeben hatte. Der neue Idealismus, der das
-Geistige und Übersinnliche in ein dem Sinnlichen immanentes Sein
-verwandelte, mußte darauf verzichten, zwischen dem Sittlichen und
-Sinnlichen jene Kluft bestehen zu lassen, die dem Sittengesetz seinen
-höchsten, durch nichts mehr zu steigernden Wert verlieh. Diesen
-höchsten Wert brachte Kant zum Ausdruck, indem er das Sittengesetz
-selbst zur Gottesidee erhob. Wohl hatte schon Plato die Gottheit der
-Idee des Guten gleichgesetzt. Aber Kant erst verband beide zur vollen
-Einheit, als er seinen moralischen Gottesbeweis, im Gegensatz zu den
-von ihm als unhaltbar erkannten ontologischen und kosmologischen
-Beweisen, für den einzigen erklärte, so daß, wie dies später Fichte
-offen aussprach, an Stelle der bei Plato der übersinnlichen Welt
-angehörigen Idee des Guten das der Welt immanente Sittengesetz trat,
-eine Folgerung, die freilich Kant selbst nicht Wort haben wollte. Doch,
-wie dem auch sein mochte, dieses auf das Höchste gesteigerte sittliche
-Selbstbewußtsein war um so mehr bereit, auf die Erkennbarkeit der
-Sinnenwelt zu verzichten, je mehr es mit Plato wiederum darin einig
-war, daß die unbedingte Herrschaft des Sittengesetzes nur in einer
-idealen übersinnlichen Welt möglich sei. Hier war der Standpunkt
-Leibnizens in doppelter Beziehung ein anderer gewesen. Einerseits
-war ihm die Begründung der Gottesidee eine metaphysische Aufgabe. Er
-glaubte sie in einer Weise gelöst zu haben, die zugleich die Erkenntnis
-Gottes als des höchsten moralischen Gesetzgebers in sich schloß.
-Anderseits ist nach ihm das Sittengesetz dem Menschen selbst zugleich
-mit seinen sinnlichen und intellektuellen Trieben eingepflanzt.
-Darin lag für ihn auch das Motiv, dieses Gesetz mit den überkommenen
-Tugendbegriffen in Verbindung zu bringen. Darum formuliert er die
-Gerechtigkeit, Liebe und Frömmigkeit gleichzeitig als Tugenden und als
-Normen, letzteres in Anlehnung an die drei Rechtsnormen der römischen
-Jurisprudenz, denen er mit Hilfe jener Tugendbegriffe einen tieferen
-ethischen Wert gibt. Entfernt er sich schon darin von dem Eudämonismus
-der alten Tugendlehre, so geschieht dies noch weiter durch die die
-Strenge des ~Jus strictum~ nicht bloß mildernde ~Aequitas~, sondern
-durch die den Menschen an den Menschen bindende Liebe, deren letzte
-Wurzel die auf dem Gefühl der Einheit des Menschen mit Gott beruhende
-Frömmigkeit ist.
-
-Man hat es als einen Vorzug der Kantischen Ethik gerühmt, daß sie
-das Sittengesetz auf sich selbst stellt. Hat man dabei die vom
-scholastischen Nominalismus ausgegangene und bis in die neuere
-Orthodoxie sich forterstreckende heteronome Moral im Auge, so kann
-dem sicherlich nicht widersprochen werden. Aber die Gerechtigkeit
-fordert es doch hervorzuheben, daß die Leibnizsche ~Pietas~ mit diesem
-»statutarischen Kirchenglauben«, wie ihn Kant später nannte, nichts
-zu tun hat. Gerade diese Veräußerlichung des Sittlichen, wie sie die
-unmittelbar vorangegangene theologische Ethik vertreten hatte, wird
-bei ihm durch die Verbindung der drei Tugendnormen in ihr Gegenteil
-verkehrt, indem diese Einheit von ihm als eine ebenso an das eigene
-Wesen des Menschen wie an die göttliche Weltordnung gebundene gedacht
-wird. Außerdem muß man sich aber, um die Stellung dieser Ethik in
-ihrer Zeit richtig zu würdigen, ihr Verhältnis zu den im allgemeinen
-außerhalb dieser kirchlichen Strömungen sich bewegenden politischen
-und rechtsphilosophischen Gegensätze des Zeitalters vergegenwärtigen.
-Hier hatte zuerst in England der moderne Staatsgedanke Wurzel
-geschlagen. Seine Vertreter, mochten sie sonst den verschiedensten
-politischen Richtungen zugetan sein, waren in dem Widerstreben gegen
-die Gebundenheit des alten Autoritätsglaubens, außerdem aber auch in
-der Begründung von Sitte und Recht auf Maximen des äußeren Nutzens,
-also im letzten Grunde des Egoismus einig. Leibnizens angesehenster
-juristischer Zeitgenosse, Samuel Pufendorf, hatte auch in Deutschland
-diesen auf das Prinzip des egoistischen Interesses aufgebauten
-Standpunkt zur Geltung gebracht, und in dem überwuchernden Formalismus
-der deutschen Jurisprudenz nach dem großen Krieg hatte diese äußerliche
-Auffassung des Rechtsstaats eine fruchtbare Stätte gefunden. Da ist
-es Leibniz, der dieser Veräußerlichung von Recht und Moral energisch
-entgegentritt. Er geht zurück auf die in ihrer sittlichen Bedeutung
-verkannte römische Jurisprudenz, vornehmlich aber stützt er sich auf
-die in der klassischen Scholastik des 13. Jahrhunderts bereits zur
-Herrschaft gelangte Lehre von der Einheit von Recht und Sittlichkeit,
-um darauf eine normative Ethik zu gründen, die, mag sie auch von jenen
-vorangegangenen Gedankenrichtungen ihre Anregungen empfangen haben,
-im wesentlichen doch das eigenste Erzeugnis dieses neuen Idealismus
-ist. Eben darum, weil der Mensch ein geistiges und als solches allein
-ein sittliches Wesen ist, widerspricht es der eigensten Natur des
-Menschen, aus seinen sinnlichen Eigenschaften die sittlichen Motive
-und die Grundlagen der Rechtsordnung ableiten zu wollen. Indem sich
-so bei ihm der das römische Recht erfüllende Gedanke der Autonomie des
-Rechtsstaats mit der religiösen Gesinnung der klassischen Scholastik
-verbindet, erhebt sich seine Ethik zugleich über diese, da sie von
-der kirchlichen Gebundenheit der Scholastik frei ist. Ihm beruht das
-sittliche Wesen der Rechtsordnung nicht wie dieser darauf, daß die
-Kirche zu ihrer Aufrechterhaltung dem Staat das weltliche Schwert
-übergeben hat, sondern auf dem sittlichen Geist der Rechtsordnung
-und demnach auch des Staates selbst, dessen Auffassung als einer dem
-Einzelnen übergeordneten sittlichen Gesamtpersönlichkeit in dieser
-Leibnizschen Ethik zum erstenmal wieder zum vollen Ausdruck kommt.
-
-So beginnt mit Leibniz in doppelter Beziehung eine Reform der Ethik.
-Aus dem neuen Idealismus entspringt eine neue normative Ethik, und
-diese wird durch den Normgedanken zur Grundlage einer von sittlichem
-Geiste erfüllten Rechtswissenschaft. Leibniz hat kein System der Ethik
-geschrieben. Er hat nur an spärlichen Stellen seine ethischen Gedanken
-ausgesprochen, aber seine reiferen juristischen Werke sind überall
-von diesem Geiste beseelt. Im Hinblick hierauf kann von ihm gesagt
-werden, daß er nicht tiefer, aber umfassender das Problem einer reinen
-Ethik der Pflicht aufgenommen, als es später Kant zu Ende geführt
-hat. Während dieser sein Sittengesetz als eine durchaus individuell
-beschränkte Norm hinstellt, fließen in der Dreieinigkeit der Normen
-bei Leibniz individuelle Pflicht und sittliche Gebundenheit an die
-Gemeinschaft zusammen, und jedes von beiden Pflichtgebieten ordnet sich
-dem andern nach dem Wert seiner Bedeutung unter. Mag daher immerhin
-Kants »Metaphysische Rechtslehre« als ein Altersprodukt betrachtet
-werden, das der Vergangenheit des großen Ethikers kaum würdig ist,
-bezeichnend bleibt es doch, daß Kant hier durchaus den Spuren des
-alten individualistischen Naturrechts gefolgt ist, während Leibniz
-gerade in seinen Äußerungen über das Verhältnis des Einzelnen zur
-Gemeinschaft bereits kommende Zeiten vorausverkündet. Dieser Rückgang
-der auf Leibniz zunächst folgenden Zeit wird aber daraus verständlich,
-daß nicht bloß Kant, sondern dem ganzen Zeitalter, dem er angehörte,
-die Ethik und Rechtstheorie Leibnizens beinahe ein verschlossenes Buch
-war. Die mangelhafte Kenntnis, die das 18. Jahrhundert von Leibniz
-besaß, wie die allgemeine Geistesrichtung dieser Verstandesaufklärung
-brachte es mit sich, daß die Idee der Pflicht nur in ihrer individuell
-gerichteten Form auf Christian Wolff und seine Schule überging und in
-dieser Beschränkung wieder in die Bahnen der alten eudämonistischen
-Tugend- und Wohlfahrtsmoral einmündete. Hier hing dann dieser Wandel
-des Normbegriffs mit dem andern, folgeschweren des Zweckbegriffs auf
-das engste zusammen. Die Leibnizsche Teleologie war eine _immanente_
-gewesen. Jeder Teil des Universums, jedes lebende Wesen hat seinen
-Zweck in sich selbst. Liegt doch dieser Zweck unmittelbar ausgedrückt
-in den Gesetzen aller Erscheinungen von dem Mechanismus der leblosen
-Natur bis herauf zu dem Sittengesetz. Bei Wolff und seinen Schülern
-hat sich der Zweck in eine den Bedürfnissen des Menschen angepaßte
-Weltordnung umgewandelt. Eine solche anthropozentrische Teleologie
-war natürlich nur mit einer ebenso ausschließlich individualistischen
-Ethik vereinbar, und es bildet gegenüber dieser Veräußerlichung der
-deutschen Aufklärungsmoral immerhin ein Verdienst, daß sie sich auch
-in ihrer Beschränkung so ernst um das Problem der Pflicht bemüht, das
-in ihr mehr und mehr als die Zentralfrage der Philosophie hervortritt.
-Wenn Wolff auf das eindringlichste die »Selbstvervollkommnung« als
-die höchste aller Pflichten hinstellt, so liegt darin ebenso das
-Verdienst wie die Schranke dieser individualistischen Pflichtmoral
-ausgesprochen. Auch brachte es die Orientierung des Zwecks nach den
-Bedürfnissen des Menschen mit sich, daß diese Teleologie wieder in die
-Bahnen der theologischen Moral der Scholastik einlenkte, die Leibniz
-im Prinzip überwunden hatte. Hier setzt dann Kant ein. Er kehrt zur
-Idee des immanenten Zwecks zurück und gründet damit nicht mehr die
-Moral auf die Pflicht gegen Gott, sondern den Glauben an Gott auf das
-Sittengesetz. Doch rein individualistisch bleibt die Ethik Kants wie
-die des ganzen Zeitalters, in welchem die deutsche Pflichtmoral nur
-eine ihn vorbereitende Nebenströmung der über ganz Europa verbreiteten
-eudämonistischen Nützlichkeitsmoral gewesen war. Den zweiten großen
-Schritt, in welchem sich die mit Leibniz beginnende Entwicklung
-fortsetzt, den der Gemeinschaftsmoral, hat erst der mit Fichte
-beginnende neueste deutsche Idealismus getan.
-
-
-~d.~ Philosophie und Theologie.
-
-In keinem Jahrhundert ist wohl das Verhältnis der Philosophie zur
-Theologie ein vielgestaltigeres gewesen als in dem des großen
-Religionskrieges. Mit dem Opfertod Giordano Brunos auf dem
-Scheiterhaufen der Inquisition beginnt es, mit dem Auftreten des
-englischen Freidenkertums schließt es. Zwiespältig zwischen beiden
-stehen die im Lauf des Jahrhunderts auftretenden führenden Philosophen.
-Die Schriftsteller, denen Leibniz seine erste Kenntnis der neuen
-Philosophie verdankte, Descartes und Gassendi, legten sich in der
-Darstellung ihrer materialistischen Naturphilosophie keinen Zwang
-auf, aber sie versäumten selten zu versichern, daß sie jederzeit
-bereit seien zurückzunehmen, was in ihren Lehren etwa der Kirche
-mißfallen sollte. Wohl waren im ganzen die Zeiten vorüber, in denen
-das Verhältnis zur Kirche das Schicksal der Philosophen bestimmte,
-aber die Macht der Theologie war der Philosophie gegenüber immer noch
-die größere. Darum, wer seinen inneren und äußeren Frieden bewahren
-wollte, der folgte der Losung Pierre Bayles, des berühmten Skeptikers,
-in dem Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen dem Glauben zu folgen
-und auf das Wissen zu verzichten, da es eine volle Gewißheit ohnehin
-nicht gebe. Freilich, was einmal vorüber ist, das läßt sich nicht
-unverändert erneuern, im Glauben so wenig wie im Wissen. Die Wahl, die
-Bayle stellt, ist selbst schon auf dem Boden der neuen Wissenschaft
-entstanden. Hinter ihr liegt bereits weit jener andere Standpunkt,
-auf dem es überhaupt keine Wahl gibt: das ist der der klassischen
-Scholastik, für den Theologie und Philosophie eins sind, weil die
-Philosophie, soweit man sie als ein gesondertes Gebiet anerkennen
-will, nur den Beruf hat, die Glaubenswahrheiten für die Vernunft
-einleuchtend zu machen und sie durch die bereits dem natürlichen
-Verstande zugänglichen Erkenntnisse zu ergänzen. Für Pierre Bayle gibt
-es, nachdem sich nun einmal die neue Wissenschaft gebildet hat, nur
-_eine_ Gewißheit: die wissenschaftliche; der Glaube ist ein Werk der
-Offenbarung. So ist der Standpunkt Bayles der auf dem Boden der neuen
-Wissenschaft folgerichtig zu Ende geführte Nominalismus der Scholastik.
-Auch Leibniz war von diesem Nominalismus ausgegangen. Hatte er doch
-in seiner Jugendschrift über die Kombinatorik den Aufbau der alten
-scholastischen Theologie zur Seite gelassen, um zum rein kosmologischen
-Gottesbegriff des Aristoteles zurückzukehren. Ganz anders, nachdem
-er auf dem Höhepunkt seiner durch Mathematik und Naturwissenschaft
-vermittelten idealistischen Denkweise angelangt ist. Jetzt wird ihm
-gerade in der Theologie die klassische Scholastik des 13. Jahrhunderts
-zur Führerin, und keine Autorität nennt er häufiger und mit größerer
-Anerkennung als die des heil. Thomas. Ja fast geht er in der strengen
-Durchführung des Systems der Gottesbeweise weiter als dieser. Es ist
-die ganze Skala der scholastischen Kausalbegriffe, die er durchmißt, um
-aus jedem eine besondere Grundlage für den Gottesbegriff zu gewinnen.
-Vor allem hilft ihm die »~Causa formalis~« zu derjenigen Gestalt des
-ontologischen Beweises, in deren rein logischer Fassung er sowohl den
-alten Anselmus wie Descartes hinter sich läßt. Jener hatte immerhin
-nebenbei, dieser sogar ausschließlich dem psychologischen Motiv der
-in uns lebenden Gottesidee seine Bedeutung gewahrt. Leibniz operiert
-im Sinne seiner Metaphysik als einer ~a priori~ möglichen Auffassung
-des Universums ganz mit den Begriffen des Möglichen und Wirklichen.
-Er definiert Gott als den Inbegriff aller Möglichkeiten, dem eben
-damit auch Wirklichkeit zukommen müsse. Das ist die berühmte Form
-des ontologischen Gottesbeweises, die später Kant benutzt, und von
-der man mit Recht gesagt hat, sie sei gar nicht die wirkliche. Kant
-hat sie in der Tat weder dem Anselm noch Descartes, sondern Leibniz
-entnommen, der sie erst durch ihre völlige Loslösung von dem denkenden
-Subjekt zu ihrer abstrakten Höhe erhoben hatte. Neben die »~Causa
-formalis~« stellt sich sodann die »~Causa efficiens~«, nach der Gott
-als die wirkende Ursache aller Dinge gedacht werden müsse. Es ist
-der kosmologische Beweis, den auch noch die Scholastik, selbst der
-Nominalismus, fast bis zuletzt neben dem Glaubensprinzip festgehalten
-hatte. Der dritte, für Leibniz wichtigste Beweis entspringt aber
-aus der »~Causa finalis~«: die Welt ist nach Zwecken geordnet, und
-nur ein höchstes geistiges Wesen kann als eine letzte Zweckursache
-angenommen werden. »Gott regiert«, so faßt er diesen teleologischen
-Beweis zusammen, »die Körper wie ein Techniker seine Maschine nach
-den Gesetzen der Mechanik, die Menschen aber wie ein Fürst seine
-Bürger nach den Gesetzen der Moral.« Er weist damit auf die beiden
-großen Zweckgebiete hin, die er in seiner Philosophie einander
-gegenüberstellt: die Naturgesetze und die sittlichen Normen. Er sucht
-den kennzeichnenden Unterschied beider durch diese Bilder zu beleuchten
-und dabei doch als eine unter dem religiösen Gesichtspunkt einheitliche
-Gesetzgebung aufzufassen. Diesen drei Argumenten stellt er endlich,
-als eine Art Abwandlung des dritten, das auf die Beziehung zu seiner
-Metaphysik hinweist, das der »Harmonie der Welt« zur Seite. Die Welt
-ist nicht nur zweckmäßig, sondern sie ist harmonisch, weil jedes
-Einzelne nicht bloß seiner eigenen Bestimmung, sondern auch der aller
-andern angepaßt ist. Hier liegt die hauptsächlichste Bereicherung, die
-Leibniz dem teleologischen Gottesbeweis gegeben, und um derentwillen
-noch Kant diesen den ehrwürdigsten genannt hat. Er ist in dieser Form
-im 18. Jahrhundert besonders verbreitet gewesen, hat aber auch die
-Wurzel jener Abirrung in eine äußerliche anthropozentrische Teleologie
-gebildet, die später in der Wolffschen Schule um sich griff, bis sie
-durch Kant wieder beseitigt wurde.
-
-Könnte Leibniz angesichts dieses Systems der Gottesbeweise als der
-bloße Wiedererneuerer der gesamten vorangegangenen scholastischen
-Theologie, insbesondere der klassischen Scholastik angesehen werden, so
-gewinnt nun aber diese Behandlung des Gottesproblems eine wesentlich
-tiefere Bedeutung im Hinblick auf seine Philosophie. Hier kommt bei
-ihm in bevorzugter Weise ein Prinzip zur Geltung, wenn auch freilich
-nicht zur folgerichtigen Durchführung, das auch sonst in seinem
-Denken eine bedeutende Rolle spielt: wir können es wohl das Prinzip
-der _Gleichberechtigung einander ergänzender Standpunkte_ nennen. Es
-sind vor allem der philosophische und der theologische Standpunkt,
-die bei der Betrachtung der Natur wie des sittlichen Lebens in
-diesem Sinne einander ergänzen, zugleich aber auch als Gegensätze
-erscheinen können, die erst bei einer tieferen Betrachtung der Dinge
-sich aufheben. Nirgends offenbart sich dieses Prinzip deutlicher
-als in der Monadologie. Denn aus diesem Ergänzungsprinzip ist das
-letzte, vielleicht das entscheidende Motiv des monadologischen
-Denkens hervorgegangen. Wohl haben der Infinitesimalbegriff, das
-Prinzip der tätigen Kraft, das Selbstbewußtsein als seelische Einheit
-ebenfalls wirksame philosophische Motive gebildet, aber entscheidend
-für Leibniz war doch, daß kein System so wie das monadologische die
-Zusammengehörigkeit des Ganzen zu einer höchsten, die Gottesidee
-befriedigenden Einheit in sich schloß. Darum gibt es für den
-Grundgedanken, die Harmonie des Universums, zwei Ausdrücke, die
-einander gegenüberstehen und doch dasselbe bedeuten: universelle
-Harmonie heißt das System philosophisch betrachtet, prästabilierte
-heißt es theologisch betrachtet. In streng philosophischen Erörterungen
-zieht Leibniz den ersten, in theologischen und in populär religiösen
-Schriften den zweiten Ausdruck vor. Dort entschlüpft ihm wohl
-gelegentlich das Wort »~Harmonia universalis id est Deus~«, hier
-gewinnt durch die Beziehung alles Geschehens auf eine göttliche Fügung
-das Universum die Bedeutung eines Schauplatzes unablässiger Tätigkeit
-Gottes. In dieser Doppelheit des Ausdrucks lag dann freilich auch der
-Anlaß zu einer Abweichung von jenem Prinzip der Gleichwertigkeit, da
-unter dem Begriff der prästabilierten Harmonie leicht den Ansprüchen
-der Theologie Zugeständnisse gemacht werden konnten, die über das
-vom philosophischen Gesichtspunkt der universellen Harmonie aus
-Erlaubte weit hinausgingen. Dafür bieten sowohl die Theodizee wie der
-theologische Briefwechsel zahlreiche Beweise. Die Neigung, andern
-Zugeständnisse zu machen, namentlich in religiösen Dingen, wie nicht
-minder die Virtuosität, fremde Gedanken den eigenen anzupassen,
-spielen hier nicht selten eine bedenkliche Rolle. Dazu leistet die
-Methode der scholastischen Begriffsspaltung eine weitere Hilfe.
-Sehen wir aber ab von den Dogmen der Trinität, der Ewigkeit der
-Höllenstrafen, der Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl u. a., die
-zum Teil bis auf Lessing und Kant herab nach dem Vorbild von Leibniz
-Gegenstände philosophischer Erörterungen gebildet haben, so sind es
-hier besonders zwei Gesichtspunkte, die unter diesen Zugeständnissen
-an die dogmatische Theologie eine gewisse Wirkung auf die Folgezeit
-geübt haben: der eine besteht in der aus der Scholastik überkommenen
-Unterscheidung des »Widervernünftigen« und des »Übervernünftigen«
-zur Erklärung des Wunders, der andere in der wohl von Leibniz selbst
-herrührenden Unterscheidung der »metaphysischen« und der »moralischen«
-Notwendigkeit zur Erklärung des Übels. Was den ersteren betrifft, so
-hat Leibniz höchstens das Verdienst, diese scholastische Distinktion
-durch seine Analogie mit einer mathematischen Funktion, die innerhalb
-bestimmter Grenzen einen gewissen Verlauf nimmt, darüber hinaus aber
-davon abweicht, verdeutlicht, damit aber freilich den Begriff des
-Wunders eigentlich überhaupt beseitigt zu haben. Der zweite Gedanke
-stammt aus der scholastischen Mystik. Doch durch die Verbindung mit der
-ebenfalls echt scholastischen Unterscheidung der metaphysischen und der
-moralischen Notwendigkeit hat auch er mehr verloren als gewonnen. Die
-Mystiker hatten das Übel als einen zum Heil des Menschen notwendigen
-Bestandteil der göttlichen Weltordnung angesehen, da der Weg zum Heil
-nur durch Leiden und Prüfungen führen könne. Sie hatten sich damit
-vollkommen naiv auf den Boden der Wirklichkeit gestellt, auf dem auch
-der Mensch mit den Vorzügen und Mängeln vorausgesetzt werden muß, die
-er tatsächlich besitzt. Die Theodizee, die den Schöpfer deshalb glaubt
-rechtfertigen zu sollen, weil er den Menschen nicht von vornherein ohne
-Fehl geschaffen hat, gehört bereits einer Zeit reflektierender Skepsis
-an, die besser täte daran zu zweifeln, ob eine nach menschlichem
-Ermessen absolut vollkommene Welt überhaupt einen ethischen Wert haben
-würde. Gleichwohl blieb bei Leibniz jenes Prinzip der Harmonie zwischen
-Theologie und Philosophie, nach welchem zwar der Gesichtspunkt der
-Betrachtung für jede von beiden ein anderer sei, darum aber doch keiner
-dem des anderen widersprechen dürfe, der herrschende Gedanke, und nach
-Analogie der Übereinstimmung der universellen und der prästabilierten
-Harmonie dachte er sich das Verhältnis von Religion und Wissenschaft
-überhaupt. Er ist diesem Programm keineswegs selbst nachgekommen, und
-noch mehr ist der Scheinrationalismus der folgenden Zeit infolge der
-überhandnehmenden theologisierenden Teleologie ihm untreu geworden.
-Doch verlorengegangen ist auch hier der Leibnizsche Gedanke nicht. In
-wesentlich anderer Form, aber vielleicht am ehesten in gleichem Geiste
-hat Hegel das gleiche Prinzip zu einer leitenden Idee seines Systems
-gemacht, wenn er die Religion im Reich der Vorstellungen dasselbe
-nannte, was die Philosophie im Reich der Begriffe sei.
-
-
-
-
-IV.
-
-Leibniz und die Zukunft der deutschen Philosophie.
-
-
-Die deutsche Philosophie ist von Leibniz ausgegangen. Was vor ihm lag,
-war nahezu der Vergessenheit anheimgefallen. Wenn er selbst es dereinst
-beklagte, in seiner Jugend sei die deutsche Wissenschaft noch in der
-Scholastik befangen gewesen, so ist dieses Schicksal vielleicht an
-ihm selbst zum Segen geworden. Er ist tiefer als irgend einer seiner
-Zeitgenossen wie Nachfolger in die Vergangenheit eingedrungen und hat
-aus ihr der neuen Wissenschaft verlorene Schätze wieder zuzuführen
-gewußt. So ist seine Philosophie eklektisch und schöpferisch im
-höchsten Sinne des Wortes. Niemand wird heute mehr daran denken, seine
-Weltanschauung unverändert erneuern zu wollen. Dazu trägt sie allzu
-sehr die Spuren seines Zeitalters an sich. Um so mehr lohnt es sich
-vielleicht, von diesem kurzen Überblick seiner reichen Gedankenarbeit
-ausgehend, noch einmal sich die Hauptmotive zu vergegenwärtigen, die
-in ihr zutage treten, und zu deren Fortbildung teils die folgende Zeit
-beigetragen, teils aber auch noch Wege offengelassen hat, die weiter
-zu verfolgen eine Aufgabe der Zukunft deutscher Philosophie sein
-wird. Hier steht in erster Linie seine Neubegründung des Idealismus.
-Sie ist in ihrem Aufbau auf der Naturphilosophie und auf der exakten
-mathematischen Naturwissenschaft einzig in ihrer Art, und, wenn
-nicht alle Anzeichen trügen, so wird ihr noch eine reiche Zukunft
-bevorstehen. Ein zweiter für die Zeit epochemachende Gedanke ist die
-Idee der Einheit und Harmonie des Universums. Er ist nicht vollkommen
-neu wie der vorige, aber Leibniz hat ihn tiefer erfaßt als irgend einer
-seiner Vorgänger, und er hat ihm in seinem Gesetz der Kontinuität
-eine festere Basis zu geben und ihn dadurch mit dem Grundgedanken
-seines Idealismus in Verbindung zu bringen gesucht. Eine Frucht dieser
-Verbindung war der Entwicklungsgedanke in seiner Anwendung auf die
-organische Natur, die er auf die im letzten Grunde überall gleichzeitig
-als mechanische Gesetze und als Zweckgesetze aufzufassenden allgemeinen
-Naturgesetze zurückzuführen sucht. Er hat diese Idee in einer
-Form theoretisch gestaltet, die an den mangelhaften biologischen
-Erkenntnissen des Jahrhunderts scheiterte, aber den Weg zu einer
-natürlichen Entwicklungstheorie hat er dem Prinzip nach eingeschlagen.
-Über diese Grenze hinaus hat er dann das geistige Leben als ein eng
-an das körperliche, das selbst eine Manifestation des geistigen Seins
-sei, gebundenes gedacht, um so die Prinzipien zu finden, die, beiden
-gemeinsam, notwendig zugleich übereinstimmende sein müßten. Er hat dem
-unvermeidlichen Intellektualismus der Zeit seinen Tribut gezollt, indem
-er als diese Prinzipien zunächst die logischen Denkgesetze betrachtete,
-deren universelle Gültigkeit von niemandem bestritten werde, sodann
-aber auf jene großen Zweckgesetze der unorganischen wie der organischen
-Welt hinwies, in denen sich die Harmonie des Universums bewähre.
-
-Die zweite, oft übersehene und an sich doch vielleicht noch
-bedeutsamere Leistung ist seine Begründung der Moral- und
-Rechtsphilosophie. Hier ist er der Schöpfer der kommenden deutschen
-Ethik der Pflicht nicht nur, sondern einer auf diese Ethik gegründeten
-Auffassung von Recht und Staat. Nicht als ob auch diese Ideen völlig
-neue gewesen wären, aber Leibniz hat als der erste die Fundamente
-einer weltlichen, auf die eigenste sittliche Natur des Menschen
-gegründeten Moral- und Rechtsphilosophie gelegt. Wenn dies übersehen
-worden ist, so beruht es zumeist wohl darauf, daß er die damit
-verbundene religiöse Betrachtungsweise durchaus in ihrer Berechtigung
-anerkennt, daß er sie aber nicht, wie der vorangegangene scholastische
-Nominalismus, für die einzige hält, sondern in der Natur des Menschen
-selbst ihre unmittelbaren Quellen zu finden sucht. Wenn darum
-irgendein Denker den theoretischen Egoismus und seine Nebenform, den
-Utilitarismus der Aufklärungszeit, im Prinzip überwunden hat, so ist es
-Leibniz gewesen.
-
-Der folgenden deutschen Philosophie sind zunächst unter dem
-überwiegenden Einfluß, den die englisch-französische Aufklärung auf
-das 18. Jahrhundert und seine populäre Philosophie ausübte, diese von
-Leibniz gestreuten fruchtbaren Keime zum großen Teil verlorengegangen.
-Nur die Pflichtmoral ist so weit erhalten geblieben, daß in Kant
-ihr ein Erneuerer erstehen konnte, der, indem er das Sittengesetz
-selbst zum höchsten Gesetz einer übersinnlichen Welt erhob, nach
-dieser ethischen Seite den Leibnizschen Gedanken in strengerer, aber
-auch beschränkterer Form wieder aufnahm. Schritt für Schritt sind
-sodann in der Folgezeit zu einem großen Teil die weiteren Motive des
-Leibnizschen Denkens hervorgetreten. Der deutsche Idealismus des
-19. Jahrhunderts hat so, ohne freilich selbst davon zu wissen, und
-zumeist in veränderter Gestalt die Ideen erneuert, die Leibniz in
-seinem Prinzip der universellen Harmonie vereinigt hatte. So ist vor
-allem der Gedanke, daß die logischen Gesetze die Welt regieren, in der
-späteren Geschichtsphilosophie dieses Idealismus wieder zur Herrschaft
-gelangt. Damit ist aber auch die Ethik und Rechtsphilosophie der
-Romantik abermals in die Bahnen eingelenkt, die Leibniz beschritten.
-Daneben sind schließlich in den positiven Wissenschaften in vielen
-Fällen Gedanken wieder lebendig geworden, die in ihm zuerst als
-allgemeine Konzeptionen in ihren Anfängen entstanden waren. Das
-Prinzip der Erhaltung der Kraft ist das glänzendste, die Einlenkung
-naturwissenschaftlicher Hypothesen in eine idealistische Weltanschauung
-das interessanteste dieser Beispiele.
-
-Daß ein Gedankensystem, das nach so vielen Seiten mannigfache,
-weit über sein eigenes Zeitalter hinausreichende fruchtbare Ideen
-hervorbrachte, ein in sich folgerichtiges und widerspruchsloses sei,
-wäre auch dann unmöglich, wenn es nicht, wie das Leibnizsche, zumeist
-in zerstreuten und zu verschiedenen Zeiten entstandenen Bruchstücken
-überliefert, und wenn nicht sein Urheber allzu oft geneigt gewesen
-wäre, dem Standpunkt seiner Leser sich anzupassen. Aber auch davon
-abgesehen war es unvermeidlich, daß der allgemeine Charakter der
-Zeit in den Schriften ihres größten Sohnes seinen Ausdruck fand. So
-folgenreich, weit dieser Zeit vorausgreifend der Gedanke war, den
-neuen Idealismus auf den Grundlagen der mathematisch-physikalischen
-Forschung, dieser seiner früher wie später zumeist hartnäckigsten
-Gegnerin, zu errichten, so sah sich doch in den Gesetzen des geistigen
-Geschehens, die er als die universellen Weltgesetze nachzuweisen bemüht
-war, Leibniz auf die sein Zeitalter beherrschenden Gedanken angewiesen,
-und dies waren und blieben schließlich die logischen Denkgesetze. So
-wurden ihm einerseits die allgemeinen logischen Axiome, nach denen wir
-unsere Begriffe ordnen, anderseits die Zweckprinzipien, unter denen
-wir die Erscheinungen der Wirklichkeit zusammenfassen, zu objektiven
-Weltgesetzen. Aber woher nahm er, so kann man fragen, die Gewißheit,
-daß die Regeln unseres Denkens die Gesetze der Gegenstände selbst sind,
-und woraus schöpfte er die Überzeugung, daß diese allgemeinen Denk-
-und Zweckprinzipien die unendliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen
-erschöpfen? Mag man zugeben, jenes Postulat der Übereinstimmung der
-Normen des Denkens mit den allgemeinen Bedingungen der Wirklichkeit
-sei ein notwendiges, weil auf ihm ebenso die subjektive Entstehung
-der Denkgesetze wie die Möglichkeit ihrer objektiven Geltung beruhen
-muß, so gehört doch die ganze Einseitigkeit des Intellektualismus
-dieser Zeit dazu, um auf die abstrakten Sätze der Identität und des
-Widerspruchs und auf ihre Ergänzung durch den »zureichenden Grund« die
-ungeheure Mannigfaltigkeit alles Seins und aller Erscheinung begründen
-zu wollen. Auch bilden hier die weiter hinzutretenden Zweckbegriffe
-um so weniger eine volle Ergänzung, als wiederum dahingestellt
-bleibt, ob solche Sätze wie der der Kontinuität oder der Erhaltung
-der Kraft wirklich ~a priori~ notwendig sind oder nicht doch erst der
-Bestätigung durch die Erfahrung bedürfen. So fruchtbar ferner jene
-zum erstenmal von Leibniz einleuchtend dargestellte, der späteren
-Kantischen Auffassung ohne Frage überlegene Scheidung der Begriffe
-Sein und Erscheinung auch sein mag, so hat ihn doch offenbar wieder
-diese Scheidung dazu verführt, auch die allgemeinen Prinzipien des
-Denkens und die auf sie gegründeten Wissenschaften in einen Gegensatz
-zu bringen, den die wissenschaftliche Logik nicht aufrechterhalten
-kann. Es ist der Gegensatz der im engeren Sinne logischen Prinzipien
-der Identität und des Widerspruchs und des nach Leibniz die
-Erscheinungswelt beherrschenden Satzes vom Grunde. Daß die ersteren
-auch für die Erscheinungen gelten, erkennt er selbst an. Dagegen sollen
-die apriorischen Gebiete von der Logik und Mathematik an bis herauf
-zur Moral und Metaphysik nur von den logischen Axiomen, nicht vom
-Prinzip des Grundes beherrscht werden. Und doch kann es keinem Zweifel
-unterliegen, daß die Verknüpfung nach Grund und Folge nicht minder eine
-unerläßliche Aufgabe der sogenannten apriorischen Gebiete ist, daher
-er denn auch des begrenzenden Beisatzes »zureichend« bedarf, um das
-Prinzip unzweideutig auf seine empirische Verwendung einzuschränken.
-So verdienstlich es daher war, daß er der sonst in dem Rationalismus
-der Zeit verbreiteten völligen Vermengung von Erkenntnisgrund und
-Ursache zu steuern suchte, so hat ihn doch gerade seine epochemachende
-Festlegung des Begriffs der »wohlbegründeten Erscheinung« dazu
-verführt, hier noch einmal eine jener scholastischen Gliederungen
-einzuführen, die er im Prinzip selbst schon überwunden hatte.
-
-Aber noch in einer andern Beziehung treten die verschiedenen
-grundlegenden Voraussetzungen seines Idealismus miteinander in
-Widerstreit. Die logischen, kausalen und finalen Grundsätze bilden
-nicht die einzige Basis seines Gedankensystems, sondern neben diesen
-alten, wenn auch in neuer Form zu einem Ganzen gefügten Grundlagen
-des Rationalismus tritt ein neues Motiv hervor, das eigentlich ganz
-jenseits der Sphäre der intellektualistischen Denkweise der Zeit liegt.
-Auch ist es direkt von ihm gar nicht mit ihnen in Beziehung gebracht
-worden, und es gehört deshalb um so mehr einer neuen Gedankenwelt
-an. Es ist merkwürdigerweise gerade die Monadologie, die diese
-fremdartigen, an sich der Starrheit der rationalistischen Prinzipien
-widerstreitenden Elemente enthält. In ihr wird unaufhörlich betont,
-daß Streben und Vorstellen in ihrer fortwährenden Tätigkeit das wahre
-Wesen der Dinge selbst seien. Hier tritt dem scharfsinnigen Logiker
-der tiefblickende Psychologe zur Seite. Aber diese Bestandteile
-seines Denkens sind nicht gegeneinander ausgeglichen, Rationalismus
-und Psychologismus durchkreuzen sich, und man kann zweifeln, welche
-dieser Seiten, die intellektuale oder die im tiefsten Grunde
-emotionale, die überwiegende gewesen sei. Jedenfalls ist die letztere
-später hervorgetreten, und es duldet keinen Zweifel, daß neben der
-unmittelbaren psychologischen Beobachtung die Dynamik, also wiederum
-die naturwissenschaftliche Betrachtung, ihn nach dieser Seite gedrängt
-hat. Gerade dadurch aber ist seine abschließende philosophische
-Schöpfung, die Monadologie, am allermeisten ein aus heterogenen
-und widerspruchsvollen Bestandteilen gemischtes System geworden.
-Die Monadologie unternimmt es, den Begriff der Substanz in seiner
-abstraktesten Form zu entwickeln, aber in Wirklichkeit führt sie ihn
-in das Prinzip einer reinen Aktualität über, das den vollen Gegensatz
-zur beharrenden Substanz bildet. Sie will eine apriorische, also auf
-die allgemeinen logischen Axiome gegründete metaphysische Wissenschaft
-sein, und in Wirklichkeit ist sie doch unter allen spekulativen
-Systemen dieses Zeitalters dasjenige, das die rationalistischen
-Motive am meisten zurückdrängt, um an ihrer Stelle das unmittelbare
-seelische Erleben zum Urbild alles geistigen wie kosmischen Geschehens
-zu erheben. Dieser Wendung entspricht es, wenn schließlich nicht
-die Weltvernunft, sondern die Weltharmonie, also im Grunde eine
-ethisch-ästhetische Idee als der letzte Inhalt des Gottesbegriffs
-erscheint.
-
-In diesem Lichte gesehen gewinnt nun auch die von Leibniz unternommene
-Erneuerung der scholastischen Gottesbeweise eine wesentlich veränderte
-Bedeutung. Wir alle stehen heute noch unter dem Eindruck der Kritik,
-die Kant an diesen Beweisen geübt hat. Wenn dieser zeigte, daß die
-Möglichkeit eines Wesens noch nicht seine Wirklichkeit beweist, so wird
-dem niemand mehr widersprechen wollen, und wenn er weiterhin ausführte,
-daß der kosmologische und der teleologische Gottesbeweis nur besondere
-Anwendungen dieses ontologischen seien, so ist auch dieser Bemerkung
-unbedingt zuzustimmen. Denn auch bei ihnen handelt es sich um die
-Umwandlung einer möglichen in eine wirkliche Weltursache und eines
-möglichen in einen wirklichen Weltordner. In Wahrheit gewinnen aber
-die drei Beweise durch die Hinzunahme des Leibnizschen Prinzips der
-Anwendung verschiedener Standpunkte der Betrachtung auf den gleichen
-Gedankeninhalt einen andern Sinn. Es handelt sich bei ihnen überhaupt
-nicht um Beweise, sondern um die Betrachtung philosophischer Begriffe
-unter religiösen Gesichtspunkten. Wenn Leibniz sein Weltprinzip
-»~Harmonia universalis id est Deus~« nennt, so soll die Harmonie
-kein Beweis für das Dasein Gottes sein, sondern Harmonie und Gott
-sind nur verschiedene Ausdrücke für ein und dieselbe Sache. Harmonie
-ist der philosophische Begriff, Gott die ihm entsprechende religiöse
-Vorstellung. In dieser Bedeutung bleibt aber die Gottesidee bestehen,
-trotz der Kantischen Widerlegung des ontologischen Beweises. Nicht
-anders verhält es sich mit dem kosmologischen Beweis. Die Harmonie als
-Einheit aller Weltursachen gedacht ist das philosophische Prinzip, der
-Weltschöpfer die dem religiösen Gemüt sich aufdrängende persönliche
-Vorstellung dieser Ursache. Endlich die Harmonie als zweckvolle
-Ordnung des Universums ist der teleologische Begriff, unter dem die
-Philosophie auf Grund des inneren Zusammenhangs der Naturgesetze
-und der Geistesgesetze die Welt denken muß, ein weltordnender Gott
-ist die Vorstellung, in die die Religion diesen Begriff kleidet. Im
-Hinblick hierauf darf man wohl zweifeln, ob die Beibehaltung der drei
-Gestaltungen der Gottesidee in dieser dem Prinzip der Einheit von
-philosophischer und religiöser Weltbetrachtung entsprechenden Form
-die tiefere und befriedigendere sei, oder die Kantische Beschränkung
-auf den sogenannten moralischen Gottesbeweis, die sich auf einen Teil
-der Weltordnung beschränkt, für diesen aber an dem scholastischen
-Prinzip des logischen Beweises festhält. Wenn übrigens Kant nebenbei
-den sittlichen Imperativ eine »Erkenntnis aller unserer Pflichten
-als göttlicher Gebote« nennt, so ist es augenfällig, daß er damit
-für dieses besondere Gebiet zu dem gleichen Prinzip der doppelten
-Betrachtung zurückkehrt, dessen sich Leibniz zuerst bedient hatte. In
-Wahrheit ist es die einzige Form, in der Wissenschaft und Religion
-nebeneinander bestehen können, weil es die einzige ist, in der
-weder die Religion in die Geschäfte der Wissenschaft noch diese in
-die Bedürfnisse jener sich einmischt. Hier besteht aber der Wert
-der drei alten in die sogenannten Gottesbeweise gekleideten Formen
-der Gottesidee darin, daß sie sich auf die letzten Grundlagen des
-religiösen Glaubens beziehen, in denen sie nichts anderes als
-Grundlagen der Wissenschaft selbst in ihrer dem religiösen Bewußtsein
-adäquaten Form sind. Auch Leibniz hat allerdings ebenso wie später Kant
-dem Zeitalter seinen Tribut gezollt, indem er weit über die durch seine
-Deutung der Gottesbeweise gezogenen Grenzen hinaus die dogmatischen
-Inhalte der verschiedenen christlichen Religionen zu rechtfertigen
-unternahm. Hätte er sich dieser Ausschreitungen enthalten, so würde
-freilich seine Theodizee ungeschrieben geblieben sein.
-
-
-
-
-Anmerkungen.
-
-
-I. S. 4. Vgl. hierzu den Kritischen Exkurs G. E. Guhrauers in der
-Beilage zu Bd. 1 seiner Ausgabe von Leibniz' Deutschen Schriften. 1839.
-S. 5. Am ehesten darf wohl unter den Vertretern der Einzelgebiete,
-neben einigen Mathematikern, den Juristen nachgerühmt werden, daß
-einzelne Gelehrte begonnen haben, sich eindringender mit Leibniz zu
-beschäftigen. Vgl. besonders Gustav Hartmann, Leibniz als Jurist und
-Rechtsphilosoph. 1892. S. 8. Die Schriften zur Vereinheitlichung des
-Bücherwesens (1668) bei K. Prantl. Art. Leibniz in der Allg. deutschen
-Biographie. Daß der Plan der Konzentration des gesamten deutschen
-Buchhandels in einer einzigen Stadt und der andere der Herausgabe eines
-Halbjahrskatalogs sämtlicher erschienener Schriften zusammen dasselbe
-bezweckten, was durch die vor kurzem begründete »Deutsche Bücherei«
-in Leipzig erstrebt wird, ist einleuchtend. Wenn L. Mainz als Ort
-dieser enzyklopädischen Vereinigung vorschlug, so meinte er vielleicht,
-für den Ursprungsort der Buchdruckerkunst am ehesten die maßgebenden
-Persönlichkeiten gewinnen zu können. Außerdem hatte er in der gleichen
-Zeit bereits Beziehungen zu Mainz angeknüpft, die ihm die Aussicht
-eröffneten, hier selbst seinen dauernden Wohnsitz zu nehmen. S. 9. Die
-politischen Schriften finden sich am vollständigsten in der Ausgabe
-von Onno Klopp. 1864--66, die wichtigeren nebst den juristischen
-bei Dutens, ~Opera omnia, Tom. IV.~ 1768. Ausführlich behandelt die
-politische und sonstige öffentliche Tätigkeit L.' Edmund Pfleiderer in
-seinem Werk: Leibniz als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger. 1870.
-Ich wundere mich, daß noch niemand auf den Gedanken gekommen ist, den
-»~Mars christianissimus~«, mit den nötigen historischen Bemerkungen
-versehen, ins Deutsche zu übertragen. S. 11. Der theologische
-Briefwechsel, der für die Unionsbestrebungen von besonderem Interesse
-ist, findet sich in ~Tom. I~ der Werke von Dutens.
-
-II. S. 22. Über Leibniz' Beziehungen zu Erhard Weigel vgl. Brucker
-~Vita Leibnitii, p. LXI~, Dutens, ~Tom. 1~. Einen kurzen Auszug aus
-Weigels Hauptschriften gibt F. Bartholomäi, Zeitschr. f. exakte Philos.
-Bd. 9, 250. Über Raimund Lull vgl. K. Prantl, Geschichte der Logik,
-III, 145. S. 26. J. E. Erdmann, ~Leibnitii opera philos.~, Nr. XVIII
-(~Fundamenta Calculi ratiocinatoris~). Als modernes Gegenbeispiel
-vgl. das Werk von G. Boole, ~The Laws of thought~, 1854. S. 27.
-~Dissertatio de Arte combinatoria~, Leibnizens Mathem. Schriften von
-Gerhardt, Bd. 1. Weitere Fragmente zur ~Characteristica universalis~
-Gerhardt, L.' Philos. Schriften, Bd. 7, 215. S. 28. ~De Quadratura
-arithmetica Circuli etc.~, Math. Schriften, Bd. 1, 80. Hauptschriften
-zur ~Analysis Infinitesimorum~ ebenda, 229. Dazu der Briefwechsel mit
-Joh. und Jac. Bernoulli, ebenda, Bd. 3, Abt. 1 und 2. Äußerungen L.'
-aus späterer Zeit (1712) zum Begriff des unendlich Kleinen im Sinne der
-Relativitätstheorie, ebenda 387. Vgl. dazu meine Logik II^3 241 ff.
-Eine Anzahl der wichtigeren mathematischen Schriften sowie der Briefe
-haben mit Recht Buchenau und Cassirer auch in ihre Sammlung von L.'
-ausgewählten Schriften in deutscher Übersetzung (Bd. 1 und 2) in der
-Kirchmannschen Bibliothek aufgenommen. S. 39 ff. ~Hypothesis physica
-nova.~ 1671. Gerhardt, Math. Schriften, Bd. 2. Philos. Schriften, Bd.
-4. (~Theoria Motus abstracti~, 61). ~De Causis gravitatis~, Math.
-Schriften, Bd. 2, 193. ~De Legibus Naturae~, 204. Als abschließende
-Schriften zur Dynamik: ~Essay de Dynamique~, 215. ~Specimen dynamicum
-pars I et II~, 234. ~Dynamica~, 284. Zur Geschichte der L.'schen
-Dynamik vgl. meine Schrift über die »Physikalischen Axiome« (1866), 2.
-Aufl. u. d. T.: »Die Prinzipien der mechanischen Naturlehre«, 1910. S.
-53. Zur Entwicklungstheorie: ~Principes de la Nature et de la Grace~,
-14. Briefe bei Dutens, ~Tom. II~, 32, 84, 330. Buchenau-Cassirer, L.'
-Hauptschr. II, 63, 74. S. 57. L.' Psychologie: ~Hypothesis physica
-nova~, Math. Werke, Bd. 2. S. 67. Über die Ramisten in Deutschland:
-Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 1, 145.
-S. 70. Über Pufendorf und sein Verhältnis zu Leibniz, Landsberg
-(Stintzing), ebenda, Abt. III, 1. Der ~Caesarinus Fuerstenerius~
-vereinigt wohl mit seinen andern Tendenzen auch die einer Gegenschrift
-gegen die vernichtende Kritik, die Pufendorf in einer pseudonymen
-Schrift an der Verfassung des deutschen Reichs geübt hatte. Vor
-allem hat aber die Gegnerschaft gegen P.s einseitige Betonung der
-Rechtsidee für Leibniz die Anregung zu seiner für die folgende Ethik
-epochemachenden Pflichtmoral gegeben. Wenn die abfällige Beurteilung
-des individualistischen Naturrechts eines Hobbes und Pufendorf den
-springenden Punkt in den rechtsphilosophischen Schriften bildet, so
-ist es übrigens nicht das Naturrecht überhaupt, gegen das er sich
-wendet, sondern auch ihm steht über allem positiven und historischen
-ein natürliches Recht, als notwendige Voraussetzung und Ergänzung des
-ersteren im Sinne seiner Definition der Gerechtigkeit als der durch die
-Pietas vermittelten »Einheit von Güte und Weisheit«. Bezeichnend für
-diese neue, erst in weit späterer Zeit ihre Früchte tragende Richtung
-des Naturrechts ist es, daß er die noch lange bei seinen Nachfolgern
-herrschende Vertragstheorie bereits gänzlich aus dem Naturrecht
-beseitigen will. So bilden überhaupt das Streben nach exakter
-Behandlung der Probleme und nach ethischer Begründung der allgemeinen
-Rechtsbegriffe, daneben die Verbindung geschichtlicher und logischer
-Betrachtung die hervorstechenden Züge der juristischen Arbeiten. Ein
-interessantes Beispiel dafür, wie er sich die mathematische Behandlung
-juristischer Probleme dachte, bietet eine unter den Manuskripten
-gefundene »~Meditatio juridico-mathematica~« über Zinseszinsrechnung
-und Rabatt (Mathem. Werke, Bd. 3, 125). Die für die ethische Begründung
-des Rechts bedeutsamsten Arbeiten sind die beiden Dissertationen zum
-Völkerrecht, Dutens ~Tom. IV, Pars III~, 287. Dazu die ~Observationes
-de Principiis Juris~, ebenda, 270. Diese Schriften sollten in keiner
-Ausgabe der philosophischen Werke fehlen, sie fehlen aber durchgehends.
-Gerhardt hat dagegen in Bd. 7 seiner Ausgabe, 73, eine Sammlung von
-Definitionen moralischer Begriffe veröffentlicht, mit ihnen zum Teil
-übereinstimmende Guhrauer in Leibniz' deutschen Schriften. Sie sind
-ausgeprägt eudämonistisch und rationalistisch gehalten und könnten
-ebensogut von Christian Wolff oder einem andern der späteren Aufklärer
-geschrieben sein. Leibniz' wirkliche Ethik ist eben nicht diesen
-schulmäßigen Definitionen im Stil der Zeit zu entnehmen, sondern den
-rechtsphilosophischen Ausführungen zum Kodex des Völkerrechts.
-
-III. S. 75. J. Jasper hat in seiner Dissert. Leibniz und die Scholastik
-(Münster i. W. 1898/99) eine Zusammenstellung zahlreicher Urteile L.'
-über die Scholastik gesammelt. Sie bilden äußerlich betrachtet ein
-ziemlich buntes Gemisch ablehnender und anerkennender Aussprüche.
-Wenn man die Zeiten, denen sie angehören, und die Fragen, auf die sie
-sich beziehen, beachtet, so entsprechen sie aber wohl ziemlich treu
-dem im Text angegebenen Verhältnis. S. 79. Zur Orientierung über die
-Entwicklung des Leibnizschen Idealismus mag folgende chronologische
-Aufzählung der wichtigeren hierher gehörigen Schriften dienen:
-~Hypothesis physica nova.~ 1671. ~Specimen dynamicum.~ ~Essay de
-dynamique.~ ~Dynamica.~ 1685--89. ~De motuum coelestium causis.~
-1689. ~De primae philosophiae emendatione et notione substantiae.~
-1694. ~Nouveaux Essais sur l'entendement humain.~ (Um 1704.) ~Essai
-de Théodicée.~ 1710. Monadologie. 1714. ~Principes de la nature et de
-la grâce.~ 1714. Aus dieser Chronologie erkennt man unmittelbar eine
-Entwicklung, die im wesentlichen in drei Perioden verläuft: einer
-naturphilosophischen, einer erkenntnistheoretisch-psychologischen,
-einer metaphysisch-ethischen. Unter den Briefen sind nach der Seite
-der Naturphilosophie vornehmlich der Briefwechsel mit den Cartesianern
-(Gerhardt, Phil. Schriften. Bd. 4) beachtenswert, für die Metaphysik
-und Theologie der mit Bayle und dem Pater Des Bosses (ebenda, Bd.
-2). Zu S. 112. ~Observationes de principio juris.~ Dutens ~Op.
-Tom. IV, P. III~, 270. ~De Actorum publicorum Usu etc.~ 287. S.
-114. An die theologischen Schriften schließt sich der umfangreiche
-Briefwechsel in Sachen der Reunion der beiden Kirchen und der Union
-der protestantischen Konfessionen bei Dutens, ~Tom. I.~ Mit welcher
-Vorsicht übrigens der theologische Briefwechsel benutzt werden muß,
-dafür legt, wie ich glaube, das Buch von Ed. Dillmann, Eine neue
-Darstellung der Monadenlehre, 1891, ein beredtes Zeugnis ab. Der
-Verf. hat unleugbar mit großem Scharfsinn aus der in den Briefen
-an katholische Theologen, besonders an Des Bosses, entwickelten
-Hilfshypothese über das »~Vinculum substantiale~« zur Erklärung des
-Wunders der Transsubstantiation eine Auffassung der Monadologie
-entwickelt, die jenen Begriff eigentlich zur Grundlage des ganzen
-Systems macht. Immerhin kann die Möglichkeit einer solchen Umdeutung
-zugleich als eine Art Bestätigung der oben gemachten Bemerkung dienen,
-daß die Monadologie für Leibniz selbst keineswegs das dogmatische
-System gewesen ist, für das man sie zu nehmen pflegt. Das ausführliche
-Werk von A. Pichler, Die Theologie des Leibniz, 2 Bde. 1869--70, ist
-für das Thema selbst wenig ergiebig, da die Zeiten und Anlässe, denen
-L.' Äußerungen angehören, wohl allzuwenig beachtet sind, wie denn auch
-der Verf. durch die Rücksicht auf die kirchlichen Parteiungen seiner
-eigenen Zeit vielleicht allzu sehr beeinflußt ist.
-
-
-
-
-Alfred Kröner Verlag in Leipzig
-
-
-Schriften von Wilhelm Wundt
-
- =Über die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart.=
- Rede, gehalten zum Antritt des öffentl. Lehramtes der
- Philosophie an der Hochschule in Zürich, am 31. Okt.
- 1874. gr. 8.
-
- ℳ --.60.
-
- =Über den Einfluß der Philosophie= auf die
- Erfahrungswissenschaften. Akademische Antrittsrede,
- gehalten zu Leipzig, am 20. November 1875. gr. 8.
-
- ℳ --.60.
-
- =Der Spiritismus=, eine sogenannte wissenschaftliche
- Frage. Offener Brief an Herrn Prof. Hermann Ulrici in
- Halle. gr. 8.
-
- ℳ --.50.
-
- =Essays.= Zweite Auflage. Mit Zusätzen u. Anmerk. gr. 8.
-
- ℳ 9.--;
- in Leinen geb. ℳ 10.50;
- in Halbfranz geb. ℳ 12.--.
-
- =Zur Moral der literarischen Kritik.= Eine
- moralphilosophische Streitschrift. gr. 8.
-
- ℳ 1.20.
-
- =System der Philosophie.= Dritte, umgearbeitete
- Auflage. 2 Bde. gr. 8.
-
- ℳ 14.--;
- in 2 Leinenbänden ℳ 16.--;
- in 1 Halbfranzband ℳ 17.--.
-
- =Hypnotismus und Suggestion.= Zweite, durchgesehene
- Auflage. 8.
-
- ℳ 1.40;
- in Leinen geb. ℳ 2.15.
-
- =Gustav Theodor Fechner.= Rede zur Feier seines
- hundertjährigen Geburtstages. Mit Beilagen und einer
- Abbildung des Fechner-Denkmals. 8.
-
- ℳ 2.--.
-
- =Sprachgeschichte und Sprachpsychologie.= Mit Rücksicht
- auf B. Delbrücks Grundfragen der Sprachforschung. gr.
- 8.
-
- ℳ 2.--.
-
- =Grundzüge der physiologischen Psychologie.= _Erster
- Band_: Sechste, umgearbeitete Auflage. Mit 161
- Figuren sowie Sach- und Namenregister. gr. 8.
-
- ℳ 13.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 16.--.
-
- -- -- _Zweiter Band_: Sechste, umgearbeitete Auflage.
- Mit 167 Figuren sowie Sach- und Namenregister. gr. 8.
-
- ℳ 15.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 18.--.
-
- -- -- _Dritter Band_: Sechste, umgearbeitete Auflage.
- Mit 71 Figuren sowie Sach- und Namenregister. gr. 8.
-
- ℳ 16.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 19.--.
-
- =Naturwissenschaft und Psychologie.= Zweite Auflage.
- Sonderausgabe des Schlußabschnitts zur sechsten
- Auflage der physiologischen Psychologie. gr. 8.
-
- ℳ 2.40;
- in Leinen geb. ℳ 2.90.
-
- =Festrede zur fünfhundertjährigen Jubelfeier der
- Universität Leipzig.= Mit einem Anhang: Die Leipziger
- Immatrikulationen und die Organisation der alten
- Hochschule. 8.
-
- ℳ 1.50.
-
- =Grundriß der Psychologie.= Zwölfte Auflage. Mit 23
- Figuren. gr. 8.
-
- ℳ 7.--;
- in Leinen geb. ℳ 8.--.
-
- =Völkerpsychologie.= Eine Untersuchung der
- Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte.
- _Erster Band: Die Sprache. Erster Teil._ Dritte,
- neubearbeitete Auflage. Mit 40 Abbildungen. gr. 8.
-
- ℳ 14.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 17.--.
-
-
- -- _Zweiter Band: Die Sprache. Zweiter Teil._ Dritte,
- neubearbeitete Auflage. Mit 6 Abbildungen. gr. 8.
-
- ℳ 13.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 16.--.
-
- -- _Dritter Band: Die Kunst._ Zweite, neubearbeitete
- Auflage. Mit 59 Abbildungen. gr. 8.
-
- ℳ 12.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 15.--.
-
- -- _Vierter Band: Mythus und Religion. Erster Teil._
- Zweite, neubearbeitete Auflage. Mit 8 Abbildungen.
- gr. 8.
-
- ℳ 13.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 16.--.
-
- -- _Fünfter Band: Mythus und Religion. Zweiter Teil._
- Zweite, neubearbeitete Auflage. gr. 8.
-
- ℳ 11.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 14.--.
-
- -- _Sechster Band: Mythus und Religion. Dritter Teil._
- Zweite, neubearbeitete Auflage. gr. 8.
-
- ℳ 12.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 15.--.
-
- -- _Siebenter Band: Die Gesellschaft. Erster Teil._ gr. 8.
-
- ℳ 11.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 14.--.
-
-
- -- _Achter Band: Die Gesellschaft. Zweiter Teil._ gr. 8.
-
- ℳ 9.--;
- in Halbfranz geb. ℳ 12.--.
-
- =Kleine Schriften.= 2 Bände. 8.
-
- ℳ 26.--;
- in Leinen geb. ℳ 28.40.
-
- =Einleitung in die Philosophie.= Sechste Auflage. 8.
-
- ℳ 8.--;
- in Leinen geb. ℳ 9.--.
-
- =Elemente der Völkerpsychologie.= _Grundlinien
- einer psychologischen Entwicklungsgeschichte der
- Menschheit._ Zweite Auflage. gr. 8.
-
- ℳ 12.--;
- in Leinen geb. ℳ 14.--.
-
- =Reden und Aufsätze.= Zweite Auflage. 8.
-
- ℳ 7.--;
- in Leinen geb. ℳ 8.--.
-
- =Die Psychologie im Kampf ums Dasein.= Zweite Auflage. 8.
-
- ℳ 1.--.
-
- =Sinnliche und übersinnliche Welt.= 8.
-
- ℳ 8.--;
- in Leinen geb. ℳ 9.--.
-
- =Über den wahrhaften Krieg.= Rede, gehalten in der
- Alberthalle zu Leipzig am 10. September 1914. kl. 8.
-
- ℳ --.50.
-
- =Die Nationen und ihre Philosophie.= Ein Kapitel zum
- Weltkrieg. Zweite Auflage. 8.
-
- ℳ 3.--;
- in Leinen geb. ℳ 4.--.
-
- -- " -- Taschenausgabe
-
- in Leinen geb. ℳ 1.20.
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- =Leibniz.= Zu seinem zweihundertjährigen Todestag. 8.
-
- ℳ 3.--;
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-
-Friedrich Nietzsches Werke
-
-Taschen-Ausgabe
-
-=11 Bände.= In Leinwand gebunden 55 Mark.
-
-
- Band I. Homer-Rede. =Die Geburt der Tragödie.=
- Der griechische Staat. Das griechische Weib.
- Musik und Wort. Homers Wettkampf. Zukunft
- unserer Bildungsanstalten. Das Verhältnis der
- Schopenhauerschen Philosophie zu einer deutschen
- Kultur. Philosophie im tragischen Zeitalter der
- Griechen. Über Wahrheit und Lüge.
-
- Band II. =Unzeitgemäße Betrachtungen.= Aus dem Nachlaß
- (1874/75).
-
- Band III. =Menschliches, Allzumenschliches I.= Aus dem
- Nachlaß (1874/77).
-
- Band IV. =Menschliches, Allzumenschliches II.=
- Vermischte Meinungen und Sprüche. Der Wanderer und
- sein Schatten. Aus dem Nachlaß (1877/79).
-
- Band V. =Morgenröthe.= Aus dem Nachlaß (1880/86).
-
- Band VI. Die ewige Wiederkunft. =Die fröhliche
- Wissenschaft.= Lieder des Prinzen Vogelfrei. Aus dem
- Nachlaß. Dichtungen (1871/88).
-
- Band VII. =Also sprach Zarathustra.= Aus dem Nachlaß
- (1882/85).
-
- Band VIII. =Jenseits von Gut und Böse.= =Genealogie der
- Moral.= Aus dem Nachlaß (1885/86).
-
- Band IX. =Der Wille zur Macht.= Versuch einer
- Umwerthung aller Werthe (1884/88).
-
- Band X. =Der Wille zur Macht= (Fortsetzung).
- =Götzen-Dämmerung.= =Der Antichrist.=
- =Dionysos-Dithyramben= (1884/88).
-
- Band XI. Aus dem Nachlaß (1883/88). =Der Fall Wagner.=
- =Nietzsche contra Wagner.= =~Ecce homo.~=
-
-
-Friedrich Nietzsche
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-Neue, billigere Miniatur-Ausgaben
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-Also sprach Zarathustra
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- Geheftet ℳ 5.--.
- In Leinen gebunden ℳ 6.--.
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-Gedichte und Sprüche
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- Geheftet ℳ 3.--.
- In Leinen gebunden ℳ 4.--.
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-Schriften von Ernst Haeckel
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- =Die Welträtsel.= Gemeinverständliche Studien über
- monistische Philosophie. 10. Auflage
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- ℳ 8.--;
- gebunden ℳ 9.--.
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- =Die Welträtsel.= Volksausgabe
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- kartoniert ℳ 1.20.
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- =Die Welträtsel.= Taschenausgabe
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- gebunden ℳ 1.20.
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- =Die Lebenswunder.= Gemeinverständliche Studien über
- biologische Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche
- über die Welträtsel. 4. Auflage
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- ℳ 8.--;
- gebunden ℳ 9.--.
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- =Die Lebenswunder.= Volksausgabe
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- kartoniert ℳ 1.20.
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- =Gott-Natur= (Theophysis) Studien über monistische
- Religion. 2. Auflage
-
- ℳ 1.--.
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- =Gemeinverständliche Vorträge und Abhandlungen aus dem
- Gebiete der Entwicklungslehre.= 2 Auflage. 2 Bände
- mit 81 Abbildungen im Text und 2 Tafeln in Farbendruck
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- ℳ 12.--;
- gebunden ℳ 13.50.
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- =Aus Insulinde.= Malayische Reisebriefe. 2. Auflage.
- Mit 72 Abbildungen, 4 Karten und 8 Einschaltbildern
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- gebunden ℳ 6.--.
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- =Arbeitsteilung in Natur und Menschenleben=
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- ℳ 1.--.
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- =Der Monismus als Band zwischen Religion und
- Wissenschaft.= Glaubensbekenntnis eines
- Naturforschers. Altenburger Vortrag. 15. Auflage
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- ℳ 1.--.
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- =Freie Wissenschaft und freie Lehre.= Eine Entgegnung
- auf Rudolf Virchows Münchener Rede über »Die Freiheit
- der Wissenschaft im modernen Staat«. 2. Auflage
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- ℳ 1.60.
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- =Das Protistenreich.= Eine populäre Übersicht über
- das Formengebiet der niedersten Lebewesen. Mit 58
- Abbildungen
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- =Über den Ursprung des Menschen.= Cambridge Vortrag.
- 12. Aufl.
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- ℳ 1.--.
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- =Das Weltbild von Darwin und Lamarck.= 2. Auflage
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- ℳ 1.--.
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- =Zellseelen und Seelenzellen.= (Concordia)
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-Zu beziehen durch alle Buchhandlungen
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-
-[Illustration: =KVA=]
-
-[Illustration: =KVA=]
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-Kröners Volksausgabe
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-Jeder Band kartoniert 1 Mark 20 Pf.
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-
- Die Entstehung der Arten
-
- Von =Charles Darwin=
-
-
- Abstammung des Menschen
-
- Von =Charles Darwin=
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-
- Geschlechtliche Zuchtwahl
-
- Von =Charles Darwin=
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-
- Reise um die Welt
-
- Von =Charles Darwin=
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-
- Wesen des Christentums
-
- Von =Ludwig Feuerbach=
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-
- Das Wesen der Religion
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- Von =Ludwig Feuerbach=
-
-
- Die Welträtsel
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- Von =Ernst Haeckel=
-
-
- Die Lebenswunder
-
- Von =Ernst Haeckel=
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-
- Philosophie des Unbewußten
-
- Von =Eduard von Hartmann=
-
-
- Über den Verstand
-
- Von =David Hume=
-
-
- Kritik der reinen Vernunft
-
- Von =Immanuel Kant=
-
-
- Zoologische Philosophie
-
- Von =Jean Lamarck=
-
-
- Die Arbeiterfrage
-
- Von =F. A. Lange=
-
-
- Geschichte des Materialismus
-
- Von =F. A. Lange=
-
-
- Emil oder Über die Erziehung
-
- Von =J. J. Rousseau=
-
-
- Aphorismen z. Lebensweisheit
-
- Von =Arthur Schopenhauer=
-
-
- Welt als Wille u. Vorstellung
-
- Von =Arthur Schopenhauer=
-
-
- Der Reichtum der Nationen
-
- Von =Adam Smith=
-
-
- Die Ethik
-
- Von =Baruch Spinoza=
-
-
- Voltaire
-
- Von =David Friedrich Strauß=
-
-
- Das Leben Jesu
-
- Von =David Friedrich Strauß=
-
-
- Der alte und der neue Glaube
-
- Von =David Friedrich Strauß=
-
-
-Alfred Kröner Verlag in Leipzig
-
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-[Illustration: =KTA=]
-
-[Illustration: =KTA=]
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-Kröners Taschenausgabe
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-Jedes Bändchen gebunden 1 Mark 20 Pf.
-
-
- Der moderne Mensch
-
- Von =B. Carneri=
-
-
- Handbüchlein der Moral
-
- Von =Epiktet=
-
-
- Epikurs Philosophie
-
- der Lebensfreude
-
-
- Die vier Evangelien
-
- Deutsch von =Heinrich Schmidt=
-
-
- Goethes Faust
-
- Erster und zweiter Teil
-
-
- Gracians Handorakel
-
- und Kunst der Weltklugheit
-
-
- Die Welträtsel
-
- Von =Ernst Haeckel=
-
-
- Die italienische Renaissance
-
- Von =K. P. Hasse=
-
-
- Die deutsche Dichtung
-
- Von =Karl Heinemann=
-
-
- Dichtung der Griechen
-
- Von =Karl Heinemann=
-
-
- Dichtung der Römer
-
- Von =Karl Heinemann=
-
-
- Selbstbetrachtungen
-
- Von =Mark Aurel=
-
-
- Philosophisches Wörterbuch
-
- Von =Heinrich Schmidt=
-
-
- Vom glückseligen Leben
-
- Von =Seneca=
-
-
- Der Charakter
-
- Von =Samuel Smiles=
-
-
- Die Erziehung
-
- Von =Herbert Spencer=
-
-
- Die Nationen und ihre Philosophie
-
- Von =Wilhelm Wundt=
-
-
-Alfred Kröner Verlag in Leipzig
-
-
-
-
-Alfred Kröner Verlag in Leipzig
-
-
-Elemente der Völkerpsychologie
-
-Grundlinien einer psychologischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit
-
-Von
-
-Wilhelm Wundt
-
-Zweite Auflage. Geheftet 12 Mark. Gebunden 14 Mark
-
-Inhalt:
-
- =Einleitung.= Geschichte und Aufgabe der
- Völkerpsychologie. Ihr Verhältnis zur Völkerkunde.
- Analytische und synthetische Darstellung.
- Die Völkerpsychologie als psychologische
- Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Einteilung in
- vier Hauptperioden.
-
-Erstes Kapitel. Der primitive Mensch.
-
- 1. Die Entdeckung des primitiven Menschen. 2. Die
- äußere Kultur des primitiven Menschen. 3. Der
- Ursprung der Ehe und der Familie. 4. Die primitive
- Gesellschaft. 5. Die Anfänge der Sprache. 6. Das
- Denken des primitiven Menschen. 7. Die Urformen
- des Zauber- und Dämonenglaubens. 8. Die Anfänge
- der Kunst. 9. Die intellektuellen und moralischen
- Eigenschaften des Primitiven.
-
-Zweites Kapitel. Das totemistische Zeitalter.
-
- 1. Allgemeiner Charakter des Totemismus. 2. Die
- Kulturkreise des totemistischen Zeitalters. 3. Die
- totemistische Stammesgliederung. 4. Die Entstehung
- der Exogamie. 5. Die Formen der Eheschließung. 6.
- Die Ursachen der totemistischen Exogamie. 7. Die
- Formen der Polygamie. 8. Die Entwicklungsformen
- des Totemglaubens. 9. Der Ursprung der
- Totemvorstellungen. 10. Die Tabugesetze. 11. Der
- Seelenglaube im totemistischen Zeitalter. 12. Der
- Ursprung des Fetisch. 13. Tierahne und menschlicher
- Ahne. 14. Die totemistischen Kulte. 15. Die Kunst des
- totemistischen Zeitalters.
-
-Drittes Kapitel. Das Zeitalter der Helden und Götter.
-
- 1. Allgemeiner Charakter des Heldenzeitalters. 2.
- Die äußere Kultur des Heldenzeitalters. 3. Die
- Entwicklung der politischen Gesellschaft 4. Die
- Familie innerhalb der politischen Gesellschaft.
- 5. Die Ständescheidung. 6. Die Berufsscheidung.
- 7. Der Ursprung der Städte. 8. Die Anfänge der
- Rechtsordnung. 9. Die Entwicklung des Strafrechts.
- 10. Die Sonderung der Rechtsgebiete. 11. Die
- Entstehung der Götter. 12. Die Heldensage. 13.
- Die kosmogonischen und theogonischen Mythen. 14.
- Der Seelenglaube und die jenseitige Welt. 15.
- Der Ursprung der Götterkulte. 16. Die Formen der
- Kulthandlungen. 17. Die Kunst des Heldenzeitalters.
-
-Viertes Kapitel. Die Entwicklung zur Humanität.
-
- 1. Der Begriff der Humanität 2. Die Weltreiche. 3.
- Die Weltkultur. 4. Die Weltreligionen. 5. Die
- Weltgeschichte.
-
-
-Zu beziehen durch alle Buchhandlungen
-
-
-Metzger & Wittig, Leipzig.
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
- Unterschiedliche Schreibweisen, insbesondere der lateinischen
- Werkbezeichnungen, wurden beibehalten.
-
- Die vorderen Werbeseiten wurden ans Buchende verschoben.
-
- Korrekturen:
-
- S. 27: überkommen → übernommen
- hatte die Scholastik aus dem Altertum {übernommen}
-
- S. 40: Diagramm wurde gedreht
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Leibniz, by Wilhelm Wundt
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEIBNIZ ***
-
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-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions
-will be renamed.
-
-Creating the works from public domain print editions means that no
-one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
-(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
-works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
-Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
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-are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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-whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
-phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
-Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
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- The Project Gutenberg eBook of Leibniz, by Wilhelm Wundt.
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-<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Leibniz, by Wilhelm Wundt
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Leibniz
- Zu seinem zweihunderjährigen Todestag 14. November 1916
-
-Author: Wilhelm Wundt
-
-Release Date: December 8, 2019 [EBook #60879]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEIBNIZ ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so markiert</em>.
-Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so ausgezeichnet</em>.
-</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h1>Leibniz</h1>
-<p class="center">
-Zu seinem zweihundertjährigen Todestag<br />
-14. November 1916</p>
-<p class="center">
-Von</p>
-<p class="h2">Wilhelm Wundt</p>
-<div class="figcenter">
-<img src="images/signet.png" alt="Signet" />
-</div>
-<p class="center smaller p2">
-Alfred Kröner Verlag in Leipzig<br />
-1917
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">
-Copyright 1916<br />
-by Alfred Kröner Verlag in Leipzig
-</p>
-<p class="center smaller p2">
-Druck von Metzger &amp; Wittig in Leipzig
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_iii">[iii]</a></span></p>
-
-<h2 id="Vorwort">Vorwort.</h2>
-</div>
-
-<p>Der Verfasser dieser kleinen Schrift hat sich vor sehr
-vielen Jahren einmal mit dem kühnen, vielleicht phantastischen
-Plan getragen, eine wissenschaftliche Leibniz-Biographie
-zu schreiben. Natürlich ist nichts aus dem Plan geworden,
-er ist nicht einmal bis zu den Anfängen seiner Ausführung
-gediehen. Aber als ich infolge meines späteren
-Lehrberufs von Zeit zu Zeit immer wieder veranlaßt war,
-zur Beschäftigung mit diesem merkwürdigen Manne zurückzukehren,
-sammelte sich mir im Lauf der Jahre eine Anzahl
-von Bemerkungen an, die mir in mancher Beziehung das Bild
-dieser Persönlichkeit in etwas verändertem Lichte gegenüber
-dem überlieferten erscheinen ließen. Diese Schrift
-beabsichtigt daher nicht, mit den verschiedenen Interpretationen
-der Leibnizschen Philosophie in Wettstreit zu treten,
-und sie hat deshalb auch nirgends Anlaß gehabt, sich mit
-ihnen auseinanderzusetzen. Ich bin überhaupt nicht von
-seiner Philosophie, sondern zunächst von seinen mathematisch-physikalischen
-Arbeiten ausgegangen, die mich dann, so weit
-dies möglich war, zu gelegentlichen Beschäftigungen mit
-seinen sonstigen wissenschaftlichen und praktischen Interessen
-geführt haben. Von hier aus suchte ich endlich den
-Wegen nachzugehen, auf denen er zu seinen philosophischen
-Ideen gelangt ist. Er selbst ist ja, wie bekannt, im wesentlichen
-diesen Weg gegangen und darum, hierin nicht unähnlich<span class="pagenum"><a id="Page_iv">[iv]</a></span>
-seinem großen Nachfolger Kant, erst spät zu der Reihe
-von Gedanken gelangt, die man sein System zu nennen
-pflegt, und die doch eigentlich mehr den Charakter einer
-phantasievollen Verknüpfung seiner wissenschaftlichen Ideen
-als den eines strengen logischen Systems besitzen. Ich bekenne,
-daß mir im Zusammenhang mit dieser Betrachtung
-vieles in der Kultur seiner eigenen und der folgenden Zeit
-sowie in der weiteren Geschichte der deutschen Philosophie
-verständlicher geworden ist, als es zuvor war.</p>
-
-<p>Ich veröffentliche diese Studie zum zweihundertjährigen
-Todestag des Mannes, mit dem die neue deutsche Philosophie
-begonnen hat. Möge dieser Tag daran erinnern,
-daß die deutsche Philosophie, mehr als manche unserer Zeitgenossen
-Wort haben wollen, aus eigener Kraft entstanden
-ist, und daß sie zu einer Zeit geboren wurde, da die deutsche
-Nation ungleich mehr als heute einer ungewissen Zukunft
-entgegensah.</p>
-
-<p class="p2">
-Leipzig, im September 1916.
-</p>
-
-<p class="right">
-<b>W. Wundt.</b>
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_v">[v]</a></span></p>
-
-<h2 id="Inhalt">Inhalt.</h2>
-
-<table summary="Inhalt">
-<tr>
-<td></td><td class="tdr">Seite</td>
-</tr>
-<tr>
-<td>I. Leibniz und seine Zeit</td>
- <td class="tdr"><a href="#I">1</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>II. Leibniz und die Scholastik</td>
- <td class="tdr"><a href="#II">20</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">a.</em> Leibniz als Mathematiker</td>
- <td class="tdr"><a href="#IIa">24</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">b.</em> Die dynamische Naturphilosophie</td>
- <td class="tdr"><a href="#IIb">36</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">c.</em> Die Aktualität der Seele</td>
- <td class="tdr"><a href="#IIc">57</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">d.</em> Die Einheit der Wissenschaften</td>
- <td class="tdr"><a href="#IId">66</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>III. Leibniz und die neue Wissenschaft</td>
- <td class="tdr"><a href="#III">73</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">a.</em> Der Wandel der Substanzbegriffe</td>
- <td class="tdr"><a href="#IIIa">79</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">b.</em> Die <em class="antiqua">Lex continuitatis</em></td>
- <td class="tdr"><a href="#IIIb">90</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">c.</em> Der neue Idealismus</td>
- <td class="tdr"><a href="#IIIc">103</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2"><em class="antiqua">d.</em> Philosophie und Theologie</td>
- <td class="tdr"><a href="#IIId">114</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>IV. Leibniz und die Zukunft der deutschen Philosophie</td>
- <td class="tdr"><a href="#IV">121</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td>Anmerkungen</td>
- <td class="tdr"><a href="#Anmerkungen">130</a></td>
-</tr>
-</table>
-
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_1">[1]</a></span></p>
-
-<h2 id="I">I.<br />
-Leibniz und seine Zeit.</h2>
-</div>
-
-<p>Daß der gegenwärtige Krieg der größte und furchtbarste
-sei, den die Welt jemals gesehen, ist ein in den letzten
-Monaten oft gehörtes Wort. Doch für uns Deutsche trifft
-dieses Wort nicht zu. Das deutsche Volk hat einen Krieg
-erlebt, furchtbarer und zerstörender als diesen. Das war
-jener Krieg, in welchem dreißig Jahre lang der deutsche
-Boden zum Kriegstheater geworden war, auf dem die Völker
-Europas ihre Kämpfe ausfochten und der schließlich nur deshalb
-zu Ende ging, weil die Söldnerscharen, die hier aus aller
-Welt zusammenströmten, in den niedergebrannten Dörfern und
-verarmten Städten nichts mehr zu plündern fanden. Unter
-den Trümmern der von ihr angerichteten Verwüstung hatte
-die Kriegsfurie zuletzt sich selber begraben. Zurückgelassen
-aber hatte sie an der Stelle einer zuvor blühenden Kultur
-eine durch Hunger, Seuchen und Gewalttaten dezimierte,
-um den kümmerlichen Aufbau ihres zerstörten Besitzes sich
-abmühende Bevölkerung. Über ein Jahrhundert, in manchen
-Gegenden das Doppelte dieser Zeit, soll nach der Schätzung
-der Wirtschaftsstatistik verflossen sein, bis der Wohlstand
-der Nation annähernd wieder auf der gleichen Höhe angelangt
-war, die er vor dem Kriege erreicht hatte. Doch wer könnte
-schätzen, was das deutsche Volk in diesem halben Jahrhundert
-der Friedlosigkeit versäumt hatte! Denn auch für ein Volk
-gilt in gewissem Sinne, was für den einzelnen Menschen<span class="pagenum"><a id="Page_2">[2]</a></span>
-gilt: eine verlorene Lebenszeit läßt sich nicht wieder ersetzen.
-Und was für eine gewaltige Zeit europäischer Kultur ist
-gerade diese erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gewesen!
-Es ist das Zeitalter, in dem sich England zur ersten Seemacht
-der Welt zu erheben begann, in dem Frankreich zur unbestritten
-herrschenden Landmacht Europas geworden war,
-und in dem mit dem politischen Aufschwung in beiden Ländern
-die Blüte der Kunst und der Wissenschaft sich verband. Wohl
-kann man nicht ohne Rührung dessen gedenken, daß selbst
-in dieser trostlosen Zeit des deutschen Niedergangs neben
-den Nachfolgern Shakespeares und den großen französischen
-Klassikern die Stimmen der deutschen Dichtung ihren eigenen
-Reiz besitzen. Um so mehr lastete auf einem andern Gebiet
-geistigen Schaffens, das mehr als der Ausdruck seelischer
-Stimmungen in Poesie und Musik von der Gunst äußerer
-Bedingungen abhängt, das schwere Schicksal dieses Krieges.
-Es ist die <em class="gesperrt">neue Wissenschaft</em>, die in diesem Jahrhundert
-den glänzenden Abschluß des Zeitalters der Renaissance
-bildet. Zwar die große Umwälzung der Himmelskunde,
-die ihr den Weg bereitete, war vorangegangen. Noch reichte
-das Leben des großen deutschen Forschers, der durch die Entdeckung
-der Gesetze der Planetenbewegungen dem neuen
-Weltsystem die Herrschaft gesichert hatte, in die Zeit der
-Schrecken des Krieges hinein. Doch Kepler fristete, unstet
-von Ort zu Ort wandernd, notdürftig sein Dasein und starb
-schließlich im Elend. An jenem Aufschwung auf allen Gebieten
-der Forschung, der vornehmlich in diese erste Hälfte
-des Jahrhunderts fällt, und von dem mit Recht gesagt worden
-ist, er sei nicht bloß eine Wiedergeburt, sondern eine völlige
-Neuschöpfung, an ihm hat die deutsche Wissenschaft keinen
-nennenswerten Anteil genommen.</p>
-
-<p>Indes die deutschen Universitäten zumeist in der ödesten
-Spätscholastik befangen geblieben waren, hatte Richelieu die<span class="pagenum"><a id="Page_3">[3]</a></span>
-Pariser Akademie gegründet, die sich rasch zu einer Art obersten
-Tribunals der Wissenschaften erhob. Ihr folgte bald
-die Königliche Gesellschaft zu London. Eine Reihe hervorragender
-Mathematiker und Physiker sammelte sich um diese
-neuen Pflanzstätten der Wissenschaft, die auch aus der Ferne
-die hervorragendsten Gelehrten in ihren Kreis zogen. Neben
-den exakten Wissenschaften sind es die Fragen des Staats-
-und Völkerrechts, die in dieser bewegten Zeit besonders die
-Geister beschäftigen. Vor allem aber erhebt sich unter dem
-mächtigen Impuls der Naturwissenschaft und in grundsätzlicher
-Abkehr von der aristotelischen Scholastik die neue Philosophie.
-Um die Zeit, in der der deutsche Krieg zu einem
-Weltkrieg zu werden begann, entwarf Francis Bacon sein
-großes Werk »Über den Wert und die Fortschritte der Wissenschaften«,
-in welchem er seine Übersicht über alles, was die
-neue Wissenschaft geleistet und was sie noch zu leisten habe,
-mit einer begeisterten Lobpreisung ihres Wertes für den Fortschritt
-der Menschheit begleitete. Und zwanzig Jahre später,
-als sich das zerstörende Werk des Krieges seinem Ende zuneigte,
-verfaßte Descartes jene Reihe seiner Schriften, die
-seinem und noch dem größten Teil des folgenden Jahrhunderts
-als die unbestritten größten Schöpfungen der Philosophie
-galten.</p>
-
-<p>Zwei Jahre vor dem Ende des Krieges ist Leibniz geboren.
-Seine Jugend fällt in eine Zeit, in die wir uns heute schwer
-hineindenken können. Wie anders mußte doch die Welt einem
-Geschlecht erscheinen, in welchem die jugendlichere Hälfte
-der Lebenden den Frieden noch niemals gesehen hatte, die
-ältere aber diesen Frieden nur noch in dem verklärenden
-Licht jugendlicher Erinnerungen erblickte, das durch den
-Kontrast gegen die Schrecken des seither Erlebten um so heller
-strahlte. So falsch es darum wäre, zu meinen, dieses Geschlecht
-habe nun sofort sich bemüht, auf dem geradesten<span class="pagenum"><a id="Page_4">[4]</a></span>
-Wege nachzuholen, was es bis dahin verabsäumt, so sehr würde
-man fehlgehen, wollte man vermuten, dieses so lange Jahre
-ohnmächtig der äußeren Gewalt fügsam gewordene Volk
-sei auf lange hinaus zu einer Wiedererhebung nicht mehr
-fähig gewesen. Das letztere würde womöglich noch irriger
-sein als das erste. Dies zeigt vor allem die Literatur dieser
-Jahre nach dem Krieg. Insbesondere ist es <em class="gesperrt">eine</em> Eigenschaft,
-die die Menschen dieser Restaurationszeit auszeichnet: das
-ist das rastlose Streben, die alten glücklichen Zustände wiederherzustellen,
-die den religiösen und politischen Wirren, auf
-die man diesen unseligen Krieg zurückführte, vorangegangen
-waren. So war denn dieses Geschlecht vor allem praktischen
-Interessen zugewandt. Es ist erstaunlich zu sehen, wie sehr
-in der Literatur dieser Zeit die politischen Fragen und die
-Verhandlungen über die religiösen Streitpunkte und ihre
-mögliche Ausgleichung vorherrschen. Der Krieg war ja zu
-einem guten Teil ein Religionskrieg gewesen. Konnte man
-nicht hoffen, daß fernerhin für alle Zeit Friede bleiben werde,
-wenn nur erst der Glaubenszwiespalt beseitigt sei? In den
-weitesten Volkskreisen gingen Gerüchte um, die von einem
-nahe bevorstehenden ewigen Religionsfrieden zu erzählen
-wußten. Der Erzkanzler Johann Philipp von Schönborn
-zu Mainz, ein den Protestanten geneigter Fürst, und sein
-Minister Boineburg, der selbst von der protestantischen zur
-katholischen Kirche übergetreten war, sollten sich, nach der
-Volkssage, mit dem Papste bereits über die wechselseitigen
-Konzessionen verständigt haben, unter denen die große Vereinigung
-der Religionen ins Werk zu setzen sei. Nicht weniger
-wie die Kirchenspaltung empfand man aber die politische
-Zerklüftung Deutschlands als eine Hauptursache des hereingebrochenen
-Unheils. In der Wiederaufrichtung des deutschen
-Reichs in alter Herrlichkeit, gefestigt durch ein unauflösliches,
-jede fremde Einmischung von den deutschen Grenzen<span class="pagenum"><a id="Page_5">[5]</a></span>
-künftighin fernhaltendes Bündnis der Fürsten, sah man
-die sichere Bürgschaft eines dauernden Friedens. Das lebendige
-Nationalgefühl und sein Widerspiel, der Kampf gegen welsche
-Mode und fremden Übermut, die uns bei den Dichtern
-des dreißigjährigen Krieges in so erfreuendem Kontrast zur
-Not dieser Zeit anmuten, sie setzen sich jetzt, wo der ersehnte
-Friede wirklich erreicht ist, in hoffnungsreiche Pläne einer
-politischen und nationalen Wiedergeburt um, die sich freilich
-allzu leicht über die äußeren Schwierigkeiten und die inneren
-Hemmungen hinwegtäuschen, denen diese patriotischen Wünsche
-begegnen.</p>
-
-<p>Um die Stellung, die Leibniz in seiner Zeit einnimmt,
-richtig zu würdigen, muß man diesen Charakter der Zeit
-selbst in Betracht ziehen. Je weniger wir uns aber heute
-mehr in jene hochgehenden und schließlich getäuschten Erwartungen
-zurückdenken können, um so mehr sind wir geneigt,
-einen Mann wie diesen, der mit dem, was er Bleibendes
-geschaffen, weit über sie hinausreicht, nach seinem Verhältnis
-zu uns, nicht nach dem zu seiner eigenen Umgebung und
-nach denjenigen Seiten seines Wirkens zu beurteilen, in
-denen er selbst die Hauptaufgabe seines Lebens gesehen
-hat. Wer Leibniz heute liest, der liest seine philosophischen,
-zum Teil wohl auch seine mathematischen Schriften, falls
-er sich hier nicht mit dem mehr oder weniger oberflächlichen
-Bericht in einer Geschichte der Mathematik begnügt. Selten
-wirft wohl einmal ein Jurist seinen Blick in die juristischen
-oder ein Historiker in die politischen Schriften. So bleibt denn
-nur der allgemeine Eindruck, daß wir hier einem Wissen und
-Können gegenüberstehen, das überhaupt, um möglich zu sein,
-nicht bloß einer erstaunlichen persönlichen Begabung, sondern
-vielleicht auch einer außerordentlichen Zeit bedurfte, in der
-die Kräfte der Nation nach langem Siechtum wieder zu
-neuem Leben erwacht waren. Fast ein Jahrhundert lang<span class="pagenum"><a id="Page_6">[6]</a></span>
-war ja die deutsche Wissenschaft nahezu stehen geblieben.
-Die Traditionen der älteren Zeit waren verloren gegangen,
-die deutschen Vorläufer der neuen Weltanschauung, ein
-Nikolaus von Kues, ein Paracelsus sind viel später erst, als
-das Interesse an ihnen ein rein historisches geworden war,
-in ihrer philosophischen Bedeutung wieder entdeckt worden.</p>
-
-<p>So hatte an der Begründung der neuen Philosophie die
-deutsche Wissenschaft bis dahin keinen Anteil genommen.
-Da ist es denn in der Tat, als habe der Geist der Nation in
-dieser einen Persönlichkeit nachholen wollen, was er bis dahin
-verabsäumt hatte. Der Reihe der hervorragenden Denker,
-die in England und Frankreich von verschiedenen Seiten,
-die einen von der empirischen Naturforschung, die anderen
-von der abstrakten Mathematik, noch andere von der Theologie
-oder der Staatswissenschaft ausgehend, das Gebäude
-der neuen Philosophie errichten halfen, tritt dieser deutsche
-Philosoph als ein einziger, ganz auf sich selbst gestellt, gegenüber.
-Er ist ihnen allen überlegen. Ihm scheinen die Hilfsmittel
-sämtlich zu Gebote zu stehen, über die jene nur teilweise
-verfügen. Er ist Jurist, Historiker und Philologe, Mathematiker,
-Physiker, Geologe, wohl bewandert in den verschiedenen
-Gebieten der Biologie, daneben unermüdlich
-bemüht um die theologischen Streitfragen der Zeit, endlich
-ein politischer Schriftsteller von unerreichter Virtuosität juristischer
-Beweisführung und von einer Kenntnis konkreter
-staatsrechtlicher Fragen, in der ihn keiner seiner Zeitgenossen
-erreicht. Und seine Philosophie besteht nicht etwa in beiläufigen
-Gedanken, die ebensogut unabhängig von diesen mannigfachen
-anderen Arbeiten entstanden sein könnten. Einer
-solchen Meinung hat Leibniz selbst mehrfach auf das Nachdrücklichste
-widersprochen. Ihr widerstreitet zudem seine Überzeugung
-von dem allgemeinen Zusammenhang der Wissenschaften,
-wie er denn auch verhältnismäßig erst spät zu seinen<span class="pagenum"><a id="Page_7">[7]</a></span>
-endgültigen philosophischen Anschauungen gelangt ist. Die
-Jurisprudenz und die Mathematik erklärt er für einander
-nahe verwandte Gebiete. Jene ist ihm geradezu eine Art
-Kalkül mit Begriffen, von dem mathematischen nur dadurch
-verschieden, daß es bei ihm mehr auf die Qualität als auf die
-quantitativen Verhältnisse ankommt. Auch meint er von
-der Jurisprudenz, von der seine eigenen Studien ausgingen
-und mit der er zeitlebens in enger Fühlung geblieben ist,
-sie führe zugleich bei allen ihren Aufgaben von dem abstrakten
-Begriff zu dem konkreten Inhalt der Wirklichkeit, so daß
-der wahre Jurist eigentlich ebensogut in der Naturwissenschaft
-wie in der Geschichte und Politik zu Hause sein müßte.
-Wie die Idee der Harmonie alles Seins und Geschehens
-schließlich das leitende Motiv seiner Philosophie geworden
-ist, so gehörte daher der Gedanke einer Harmonie der Wissenschaften,
-in der jede berufen sei, die andere zu ergänzen
-und, wo es nötig sei, zu erleuchten, zu seinen bleibendsten
-Überzeugungen. Darum hat es schwerlich einen Gelehrten
-gegeben, der mehr gewußt, sicherlich aber auch keinen, der
-auf bloße Vielwisserei einen geringeren Wert gelegt hätte
-wie Leibniz.</p>
-
-<p>Schon seine erste Schrift, die »<em class="antiqua">Dissertatio de arte combinatoria</em>«,
-mit der er als Zwanzigjähriger seine philosophische
-Magisterwürde erwarb, ist dafür bezeichnend. Sie behandelt,
-nach der Sitte der deutschen Hochschulen jener Zeit mit
-allerlei scholastischen Exkursen belastet, im wesentlichen die
-Aufgaben der heute noch sogenannten Kombinationsrechnung,
-allerdings, wie ihr Autor selbst später bemerkt hat, lückenhaft
-und unzulänglich. Aber wenn sie ihrem Inhalt nach eine
-bloß mathematische zu sein scheint, so ist sie dies doch ihrem
-Zweck nach durchaus nicht. Vielmehr möchte der jugendliche
-Autor die Grundlagen einer systematischen Methode der
-Ordnung und Gliederung der Begriffe überhaupt gewinnen.<span class="pagenum"><a id="Page_8">[8]</a></span>
-So ist die Arbeit ein erster Anlauf zur Verwirklichung jenes
-Planes einer allgemeinen Begriffsrechnung, der ihn unter
-dem Namen einer »<em class="antiqua">Charakteristica universalis</em>« sein Leben
-lang beschäftigt hat. Mit diesem Plan einer über die Gesamtheit
-der Wissenschaften sich ausbreitenden Methode der Forschung
-stehen dann noch zwei andere, von ihm von frühe
-an verfolgte, auf die äußere Systematisierung der Wissenschaft
-gerichtete Pläne in engem Zusammenhang. Der eine,
-die Gründung gelehrter Gesellschaften, der an die in Paris
-und London bereits bestehenden Vorbilder anknüpfte, ist
-bekannt. Er ist in der Gründung der Berliner Akademie
-noch zu seinen Lebzeiten, in den Akademien zu Wien und
-Petersburg bald nach seinem Tode zur Verwirklichung gelangt.
-Weniger pflegt bekannt zu sein, daß diese Gründungen
-von ihm von Anfang an als internationale, planmäßig zusammenarbeitende
-Assoziationen gedacht waren und namentlich
-auch praktische, volks- und staatswirtschaftliche Zwecke
-verfolgen sollten. Hier stehen sie daher zugleich mit seinen
-politischen und religiösen Friedensbestrebungen in nahem
-Zusammenhang. Der zweite, ebenfalls schon in seine Jugendzeit
-zurückreichende Plan ist vollends ganz in Vergessenheit
-geraten. Es war der Plan einer enzyklopädischen Vereinheitlichung
-der Literatur, den man wohl als eine Art Vorausnahme
-des Gedankens der neuerlichen Gründung der
-»Deutschen Bücherei« bezeichnen kann. An Stelle der vorhandenen
-Zersplitterung der Literatur sollte nach seinem
-Vorschlag der gesamte deutsche Büchermarkt in <em class="gesperrt">einer</em> Stadt,
-in Mainz, konzentriert, außerdem aber halbjährig ein vollständiger
-Katalog aller erschienenen Schriften herausgegeben
-werden, zu dessen Herstellung sich Leibniz selbst erbot.</p>
-
-<p>Überschritten schon diese wissenschaftlichen Pläne weit den
-gewöhnlichen Umfang der Wirksamkeit eines Gelehrten,
-so kamen nun aber dazu andere, für ihn noch zwingendere<span class="pagenum"><a id="Page_9">[9]</a></span>
-Motive, die es erklärlich machen, daß er nicht erst durch zufällige
-Begegnungen in die, wie man denken könnte, seiner
-Erziehung und Jugendbildung fernliegende Laufbahn des
-Staatsmannes und Diplomaten gedrängt wurde, sondern
-daß eben dies in der Tat sein früh erstrebter und frei gewählter
-Beruf war. Schwerlich würde er auch sonst den ehrenvollen
-Antrag einer Professur, den die damals eine angesehene
-Stellung unter den deutschen Hochschulen einnehmende Universität
-Altdorf ihrem zwanzigjährigen Doktoranden machte,
-abgelehnt und sich statt dessen vorläufig mit dem etwas
-fragwürdigen Amt des Sekretärs eines Nürnberger Rosenkreuzervereins
-begnügt haben. Wer die nach den verschiedenen
-Richtungen seiner Tätigkeit noch immer vollständigste
-Ausgabe Leibnizscher Schriften von Dutens durchblättert,
-nicht etwa bloß seine philosophischen oder mathematischen
-zu Rate zieht, dem muß sofort in die Augen springen: dieser
-Autor ist aus eigenstem Antrieb Jurist und Politiker gewesen,
-und er hat diesen Beruf mit jener Hingabe auf sich
-genommen, die nur da möglich ist, wo freie Wahl und Beruf
-zusammentreffen. Wer auch nur probeweise irgendeine
-seiner Staatsschriften liest, wie die unter dem Pseudonym
-»<em class="antiqua">Caesarinus Fürstenerius</em>« erschienene über die Souveränität
-der deutschen Fürsten und ihr Verhältnis zur Oberhoheit
-des Kaisers oder, um ein noch gleichgültigeres, wenn auch
-heute vielleicht wieder aktuell gewordenes Beispiel zu nehmen,
-seine Denkschrift über die Wahl eines Königs von Polen,
-dem tritt hier eine so erstaunliche Virtuosität juristischer und
-praktisch-politischer Dialektik entgegen, wie einer solchen
-niemand fähig ist, der nicht neben einer eminenten Sachkenntnis
-und einer unerreichten logischen Begabung zugleich
-das scharfe Schwert dieser Logik mit Begeisterung handhabt.
-Doch selbst die Frage, die Leibniz als »<em class="antiqua">Caesarinus
-Fürstenerius</em>« behandelt, hat heute auch für den Historiker<span class="pagenum"><a id="Page_10">[10]</a></span>
-nur noch ein mäßiges Interesse; sie gehört einer uns gleichgültig
-gewordenen Vergangenheit an. Das bedeutendste
-dieser Aktenstücke, die Denkschrift, die er, diesmal sogar ausnahmsweise
-unter Nennung seines Namens, im Auftrage
-des Kurfürsten von Mainz für Ludwig XIV. ausarbeitete
-und im Jahre 1672 selbst nach Paris brachte, ist nicht nur ungedruckt,
-sondern bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts,
-wo sie als Manuskript im Archiv zu Hannover entdeckt wurde,
-unbekannt geblieben: es ist die merkwürdige Denkschrift,
-in der dem französischen König eine Expedition nach Ägypten
-zur Bekämpfung der Türkenmacht vorgeschlagen wird. Der
-Plan ist wahrscheinlich in Leibniz' eigenem Kopf entstanden,
-doch hatte er dem Kurfürsten eingeleuchtet und dieser ihn
-daher mit den notwendigen Reisegeldern für einen mehrjährigen
-Aufenthalt in der französischen Hauptstadt ausgerüstet.
-Aber in so verlockenden Farben der Verfasser den
-Erfolg eines solchen Feldzugs schildert, den Frankreich im
-Namen der gesamten Christenheit führen und durch den sich
-der französische König zum unbestrittenen Oberhaupt der
-christlichen Fürsten Europas erheben würde, der Vorschlag
-blieb nicht weniger erfolglos wie der zur polnischen Königswahl.
-Ludwig XIV. empfing den Abgesandten nicht einmal,
-sondern ließ ihm durch seinen Minister sagen, seit Ludwig
-dem Heiligen seien die heiligen Kriege aus der Mode gekommen.
-Kurze Zeit nachher aber nahm er Lothringen weg,
-und einige Jahre später überfiel er Straßburg. Die Beraubung
-des durch den vorangegangenen Krieg erschöpften
-Deutschen Reichs galt ihm also zwar nicht, wie den heutigen
-Franzosen die nochmalige Eroberung der von ihnen geraubten
-Provinzen, als ein heiliger Krieg, jedenfalls hielt er sie
-aber für gewinnbringender als die ihn vielleicht etwas phantastisch
-anmutende Expedition nach Ägypten. Auch mag es
-sein, daß den französischen Staatsmännern die geheime Absicht<span class="pagenum"><a id="Page_11">[11]</a></span>
-des Autors, die Eroberungsgelüste ihres Königs von Deutschland
-abzulenken, nicht ganz verborgen blieb.</p>
-
-<p>Konnten diese zum Teil umfangreichen politischen Schriften
-im Hinblick auf ihre Erfolglosigkeit leicht in Vergessenheit
-geraten, um wie viel mehr gilt das nun aber von der
-Jahrzehnte sich hinziehenden Korrespondenz, in der Leibniz
-über die Frage verhandelte, die ihm mehr als jede andere,
-ja anscheinend mehr als seine wissenschaftlichen Interessen
-am Herzen lag, die der Wiedervereinigung der beiden christlichen
-Kirchen, an deren Stelle dann, als er schließlich auch
-hier notgedrungen auf einen Erfolg verzichten mußte, gegen
-Ende seines Lebens die andre einer Vereinigung der protestantischen
-Bekenntnisse trat. In diesen Unionsbestrebungen
-ist er eben der hervorragendste Repräsentant einer der mächtigsten
-geistigen Strömungen seiner Zeit. Zugleich galt
-ihm aber, wie manchen namentlich der weitersehenden seiner
-Zeitgenossen, die religiöse als ein wichtiges Mittel zur politischen
-Einigung der deutschen Stämme, und in diesem
-patriotischen Interesse war er daher, da nun einmal eine
-Verständigung nur auf dem Wege des Kompromisses geschehen
-konnte, überall bemüht, eine solche durch wechselseitige
-Zugeständnisse zu erzielen. Das war es aber schließlich,
-woran auch hier seine Bemühungen scheiterten und
-notwendig scheitern mußten. Wenn ihm der angesehenste
-Vertreter des französischen Katholizismus, Bossuet, am Ende
-eines mit ihm geführten Briefwechsels bemerkte, Glaubensdifferenzen
-seien nicht auf diplomatischem Wege zu beseitigen,
-so war diese Antwort in der Tat so treffend wie
-möglich. So ist es denn auch beinahe tragisch zu nennen,
-daß gerade die wirksamste seiner politischen Schriften keine
-diplomatische, sondern eher das Gegenteil einer solchen gewesen
-ist: es ist die kurz nach der mitten im Frieden erfolgten
-räuberischen Wegnahme Straßburgs durch die Franzosen<span class="pagenum"><a id="Page_12">[12]</a></span>
-unter dem Titel »<em class="antiqua">Mars christianissimus</em>« erschienene
-Streitschrift gegen Ludwig XIV. Mit beißendem Spott
-kennzeichnet ihr Verfasser den Charakter der Franzosen nicht
-weniger wie den ihres, wie er sich selbst nennt, »allerchristlichsten
-Königs«. Nach jedem der Raubzüge, die dieser König
-durch seine Generäle ausführen läßt, errichten ihm die Pariser
-Triumphbogen mit der Inschrift »Dem großen Ludwig«,
-obgleich sie wohl wissen, daß das einzige, was dieser Große
-während der Feldzüge getan hat, darin bestand, daß er sich
-in Paris amüsierte. Seine Qualität als allerchristlichster
-König bekundet er aber dadurch, daß er seine Feldherren
-in den eroberten Ländern wie die Mordbrenner hausen läßt.
-Leibniz hat damit der aus Empörung und Verachtung gemischten
-Volksstimmung Ausdruck gegeben, die noch bis vor
-wenig Jahrzehnten, ja vielleicht bis zum heutigen Tage in
-den süddeutschen Grenzlanden nachgewirkt hat. Aber auch
-dieser wirkungsvollsten seiner politischen Schriften ist nur
-eine kurze Lebensdauer beschieden gewesen, da sie durch
-ihr gelehrtes lateinisches Gewand von vornherein auf engere
-Kreise beschränkt blieb.</p>
-
-<p>Vergeblich getane Arbeit ist aber gerade darum, weil
-sie vergeblich ist, nicht selten mühseliger und zeitraubender
-als fruchtbringende. Das berühmte Problem der Brachystochrone,
-der Linie des kürzesten Falls, um das sich sein Freund
-Johann Bernoulli vergeblich bemüht hatte, löste Leibniz
-auf einer Spazierfahrt von Hannover nach Wolfenbüttel,
-und das Resultat dieser Leistung ist noch heute im Gedächtnis
-der Mathematiker erhalten geblieben. Die persönlichen
-Unterredungen, die Reisen und die Briefe, die er der Frage
-der Vereinigung der Kirchen gewidmet, haben Jahrzehnte
-lang einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch genommen;
-doch sie sind so gut wie die ergebnislos gebliebenen politischen
-Schriften aus dem Gedächtnis der Nachwelt fast ganz<span class="pagenum"><a id="Page_13">[13]</a></span>
-verschwunden. Schon die nächste Generation hat in Leibniz
-fast nur noch den großen Philosophen und Mathematiker
-erblickt. Man hat dabei meist nicht beachtet, daß dadurch
-immerhin das Bild, das wir uns auch von dem Philosophen
-und Mathematiker machen, der Wirklichkeit nicht entspricht.
-Sein Leben ist nicht in erster Linie diesen abstrakten Wissenschaften
-gewidmet gewesen, während er nebenbei den Fürsten,
-an deren Hof er tätig war, mit seinem Rat an die Hand ging,
-sondern das Umgekehrte ist zutreffend: er ist, dem Drang
-der Zeit und eigenstem Bedürfnis folgend, Politiker gewesen,
-er hat sich aus diesem Bedürfnis heraus vor allem die juristische
-und staatswissenschaftliche Bildung der Zeit angeeignet
-und die äußere Stellung gesucht und gefunden, die
-ihm die Ausübung dieses politischen Berufs ermöglichte,
-ihn aber auch mit einer Last von Arbeit überhäufte, die für
-sich allein schon eine ungewöhnliche geistige Kraft in Anspruch
-nahm. Die Meisterschaft in der Behandlung der
-Fragen des Staats- und besonders des Fürstenrechts, über
-die er verfügte, hatte ihn frühe schon zur obersten Autorität
-nicht nur im Gebiet des letzteren, sondern in den die Zeit
-bewegenden politischen Fragen überhaupt gemacht. Die Verhandlungen
-über die geplante Kirchenvereinigung, die teils
-unter seiner persönlichen Assistenz zu Hannover, teils durch
-den von ihm geführten Briefwechsel stattfanden, haben ihn
-in den wechselnden Formen zuerst der Reunion der Katholiken
-und Protestanten, dann der Union der protestantischen
-Konfessionen sein Leben lang beschäftigt. Und daneben
-fehlte es nicht an fürstlichen Sukzessions- oder Erbfolgefragen
-sowie an den damals bei den deutschen Fürsten leider
-nicht selten vorkommenden Eheirrungen, bei deren Ausgleich
-Leibniz nicht selten als Rechtskonsulent tätig war.
-Daneben beschäftigten ihn von früh an allgemeinere Aufgaben
-des öffentlichen und privaten Rechts: so schon in<span class="pagenum"><a id="Page_14">[14]</a></span>
-Mainz ein nicht zur Vollendung gelangter »<em class="antiqua">Codex diplomaticus</em>«,
-der die wichtigsten Staatsverträge zusammenfassen
-sollte, ein systematisches Kompendium des <em class="antiqua">Corpus
-juris</em>, der Entwurf einer Reform des juristischen Studiums
-und vieles andere. Wenn Leibniz seine wissenschaftlichen
-Ergebnisse, insbesondere die mathematischen und philosophischen,
-nicht in größeren Werken, sondern durchgängig in
-kurzen Mitteilungen und Briefen niederlegte, so hat man
-das zuweilen als ein Zeugnis dafür angesehen, daß es ihm
-nur um die Sache, wenig um die Geltendmachung seiner
-Autorschaft zu tun gewesen sei. Näher liegt es aber doch,
-daß sein politischer und diplomatischer Beruf neben den mit
-diesem zusammenhängenden praktischen Bestrebungen und
-privaten Konsultationen seine Zeit allzu sehr in Anspruch
-nahm. In Briefen an Freunde klagt er wiederholt, er müsse
-eine Menge mathematischer Probleme unerledigt lassen.
-»Ich wünschte mir,« sagt er gelegentlich, »um die Aufgaben
-zu lösen, die mir durch den Kopf gehen, zehn weitere Köpfe
-oder mindestens zwölf hilfreiche Freunde«, ein Ausspruch,
-der nebenbei zeigt, daß er sich seiner überragenden Fähigkeiten
-wohl bewußt war. Sein eigentlicher, den Hauptinhalt
-seines Lebens bildender Beruf ist eben der des praktischen
-Politikers gewesen. Und darin ist er ein Kind seiner Zeit.
-Der Gedanke der Wiederherstellung des Friedens in Staat
-und Kirche, fand in ihm ihren genialsten Vertreter. Die
-sonstigen Arbeiten, besonders die philosophischen und mathematischen,
-waren mehr Produkte seiner Mußestunden, die
-sich seinem eigentlichen Lebensberuf unterordneten. Nur
-zweimal, beidemal bezeichnenderweise auf der Reise, hat
-er sich mathematischen und physikalischen Studien in größerer
-Konzentration der Arbeit gewidmet. Seine Pariser Mission
-war nach zwei Jahren bereits endgültig gescheitert. Er
-konnte nach Hause zurückkehren; aber er blieb noch weitere<span class="pagenum"><a id="Page_15">[15]</a></span>
-zwei Jahre. In der höheren Mathematik war ihm eine neue
-Welt aufgegangen. In ihr völlig heimisch zu werden, empfand
-er als ein dringendes Bedürfnis, und er mochte überzeugt
-sein, daß ihm das nur hier, an der damals ersten Stätte
-mathematischer Forschung, möglich sei. Die Frucht dieser
-Jahre außerhalb des diplomatischen Dienstes ist die Erfindung
-der Differentialrechnung. Zehn Jahre später unternahm
-er im Auftrage des Kurfürsten von Hannover eine
-zweite mehrjährige Reise. Sie führte ihn nach Wien und
-Italien, wo er die Archive nach den Urkunden der Geschichte
-des Welfischen Hauses durchforschte. Hier begann er ein
-großes systematisches Werk über Dynamik, dem er einen
-kürzeren Essai bereits vorausgeschickt hatte. Dieses systematische
-Werk sollte seine jahrelangen Studien über dieses
-Gebiet zusammenfassen. Aber auch dieses Werk ist Fragment
-geblieben. Die archivalischen Arbeiten, um derentwillen
-er die Reise angetreten, mögen doch allzu sehr seine
-Zeit in Anspruch genommen haben.</p>
-
-<p>So hat über seinen wissenschaftlichen Werken das Verhängnis
-gewaltet, daß, abgesehen von kleineren Aufsätzen
-und Briefen, gerade von den philosophischen nur zwei von
-ihm vollendet worden sind. Von ihnen ist noch dazu das eine,
-die »Theodizee«, die er für die Königin Sophie Charlotte
-von Preußen schrieb, vielleicht zu gleichen Teilen seinen
-konziliatorischen religiösen Bestrebungen wie seinen philosophischen
-Arbeiten zuzurechnen. Wie er in der jahrelangen
-Korrespondenz mit dem Jesuitenpater Des Bosses in Hildesheim
-diesem einleuchtend zu machen sucht, daß, nötigenfalls
-mit einigen ergänzenden Hypothesen, die den Grundgedanken
-unberührt lassen sollten, das monadologische System mit
-dem katholischen Dogma in Einklang zu bringen sei, so will
-die Theodizee der für die kirchlichen Unionsbestrebungen
-lebhaft interessierten Königin die vollkommene Übereinstimmung<span class="pagenum"><a id="Page_16">[16]</a></span>
-seiner Philosophie mit dem Christentum überhaupt,
-besonders mit den der katholischen und protestantischen
-Kirche gemeinsamen Glaubensüberzeugungen dartun.
-Das zweite größere Werk, die »<em class="antiqua">Nouveaux Essais sur
-l'entendement humain</em>«, eine in Dialogform niedergeschriebene
-fortlaufende Kritik der Sätze des in jenen Tagen einen großen
-Einfluß ausübenden Werkes von Locke, trägt durchaus den
-Charakter von Notizen, die sich der Autor zu persönlichem
-Gebrauch gemacht hat. Leibniz soll die Veröffentlichung
-unterlassen haben, weil Locke während der Abfassung dieser
-Notizen starb. Aber die Anhänger Lockes lebten so gut wie
-die Schüler Descartes', den Leibniz, obgleich er längst gestorben
-war, zeitlebens bekämpfte. Es ist daher viel wahrscheinlicher,
-daß er die zu eigener Belehrung geschriebene
-Arbeit nicht geeignet zur Veröffentlichung fand. Daß ein
-halbes Jahrhundert nach seinem Tode das Manuskript dennoch
-gedruckt wurde, war sicherlich ein großer Gewinn für
-das Verständnis seiner Philosophie. Dennoch blieb es ein
-Verhängnis für diese, daß bis über die Hälfte des 18. Jahrhunderts
-hinaus die Theodizee sozusagen für die offizielle
-Darstellung seiner Philosophie galt. Dies bewirkte nicht nur,
-daß die Philosophie des 18. Jahrhunderts unter dem Schein
-des Anschlusses an Leibniz in Wahrheit weit hinter diesen
-zurückging, sondern daß selbst noch Kant nur ein mangelhaftes
-Verständnis seiner Philosophie besaß. Wenn Leibniz,
-wie nicht zu leugnen ist, durch die auch in seinen religiösen
-Unionsbestrebungen hervortretende allzu große Geneigtheit
-zu Kompromissen daran zum Teil selber die Schuld
-trägt, so hängt das mit zwei Eigenschaften zusammen, die,
-sonst in der Regel einander widerstrebend, bei ihm in seltener
-Weise vereinigt sind: er ist im höchsten Grade rezeptiv und
-produktiv zugleich. Er ist stets geneigt, einen ihm entgegentretenden
-neuen Gedanken sich anzueignen. Sagt er doch<span class="pagenum"><a id="Page_17">[17]</a></span>
-selbst von sich, in der Diskussion sei er mehr bereit, anderen
-zuzustimmen, als ihnen zu widersprechen. Aber seine Zustimmung
-ist gewissermaßen immer zugleich ein Widerspruch:
-er dreht und wendet den fremden Gedanken so lange,
-bis er sein eigener, damit aber auch ein anderer geworden
-ist. Eigentlich ist das ja nur eine besondere Anwendung der
-in den juristischen und politischen so gut wie in den philosophischen
-und theologischen Arbeiten zutage tretenden Virtuosität
-seiner Dialektik. Aber ohne Gefahr ist natürlich diese
-dialektische Gewandtheit nicht. Sie hat ihn gelegentlich zu
-Konzessionen getrieben, die er im letzten Augenblick wieder
-zurücknehmen mußte. So machten ihn seine katholischen
-Freunde darauf aufmerksam, nach allem, was er zugunsten
-der Wiedervereinigung der Kirchen sage, bleibe ihm eigentlich
-nichts übrig als selbst katholisch zu werden. Trotzdem hat er
-dreimal der in verlockender Form an ihn herantretenden
-Versuchung widerstanden. In Paris konnte er um den Preis
-des Konfessionswechsels Mitglied der Akademie, in Rom
-Bibliothekar beim Vatikan werden, in Wien eine einflußreiche
-Stellung am kaiserlichen Hof gewinnen: er widerstand
-der Versuchung in allen drei Fällen. »Ich würde,« das war
-die charakteristische Antwort, »ich würde, wenn ich katholisch
-wäre, nicht Protestant werden, eben darum werde ich aber
-auch, da ich Protestant bin, nicht katholisch.« Darum war
-er nicht bloß genial auf allen den mannigfaltigen Gebieten
-der Wissenschaft, denen er sich zuwandte, sondern er war
-auch ein genialer Diplomat; aber er war kein Mann aus dem
-Holze, aus dem Reformatoren geschnitzt werden. Auch seiner
-Philosophie ist diese Eigenschaft verhängnisvoll geworden.
-Sie hat nicht nur über seine wirklichen Überzeugungen, über
-das, was man seine »esoterische« Philosophie nennen kann,
-Mißverständnisse erweckt, die bis zum heutigen Tage nachwirken,
-sondern sie mag ihn auch bisweilen veranlaßt haben,<span class="pagenum"><a id="Page_18">[18]</a></span>
-Begriffe, die verschiedenen Entwicklungsstufen seines Denkens
-angehörten, zu verbinden oder je nach Umständen abwechselnd
-zu gebrauchen. So konnte der Schein der Mehrdeutigkeit
-um so leichter entstehen, als er vor andern zu den Philosophen
-gehört, die nur allmählich zu ihren endgültigen Überzeugungen
-gelangt sind.</p>
-
-<p>So vieles man nun aber von allem dem der persönlichen
-Eigenart zuschreiben mag, die ja besonders bei einer so hervorragenden
-Persönlichkeit stets zugleich einzig in ihrer Art
-ist, so ist es doch wiederum der Charakter der Zeit, der in
-diesem ihrem größten Sohne zum Ausdruck kommt. Das
-gilt schließlich auch von derjenigen Eigenschaft, die dem oberflächlichen
-Betrachter zunächst auffällt, bei der aber auch derjenige,
-der sich die geistige Physiognomie dieses Mannes
-näher zu vergegenwärtigen sucht, immer wieder als der
-bewundernswertesten und unbegreiflichsten stehen bleibt: von
-der Universalität seines Wissens und Könnens. So sehr
-in der Tat das deutsche Volk zu Leibniz' Zeit unter der Nachwirkung
-des furchtbaren Krieges hinter den Fortschritten,
-die indessen anderwärts die Wissenschaften gemacht hatten,
-zurückgeblieben war, die Spuren der tiefen geistigen Erregung,
-die die Reformation ausgeübt, waren ebensowenig
-erloschen, wie die Eigenart des deutschen Geistes verloren
-gegangen war, in der sich schon innerhalb der scholastischen
-Theologie und Philosophie die Reformation vorbereitet
-hatte, und die zum Teil abseits von der sonstigen
-scholastischen Tradition lag. Leibniz war in dieser deutschen
-Scholastik aufgewachsen. Als die neue Wissenschaft, vor allem
-die neue Naturwissenschaft, auf ihn einzuwirken begann,
-war er schon ausgestattet mit einem umfassenden Wissen;
-doch dieses Wissen war nach Umfang und Methode das der
-Scholastik. Und universell nach ihrem Umfang, einheitlich
-nach ihrer Methode war die Scholastik von Anfang an. Wenn<span class="pagenum"><a id="Page_19">[19]</a></span>
-Leibniz mit einer gründlichen scholastischen Jugendbildung
-der neuen Wissenschaft gegenübertrat, so kam er daher nicht
-mit leeren Händen. Was die Scholastik errungen, für die
-neue Wissenschaft fruchtbar zu machen, das war sein erstes,
-die Scholastik durch die neue Wissenschaft endgültig zu überwinden,
-das wurde sein letztes Ziel.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_20">[20]</a></span></p>
-
-<h2 id="II">II.<br />
-Leibniz und die Scholastik.</h2>
-</div>
-
-<p>In einem seiner späteren Briefe klagt Leibniz, in seiner
-Jugendzeit habe in Deutschland noch die Scholastik geherrscht,
-während anderwärts bereits überall die neue Wissenschaft
-sich verbreitet hatte. Gleichwohl würde es irrig sein, wollte
-man daraus schließen, Leibniz stimme dem absprechenden
-Urteil zu, das zuerst die Humanisten und dann die Vertreter
-der neuen Naturwissenschaft gefällt hatten. Dem
-würde schon die unbegrenzte Hochachtung widersprechen, mit
-der er überall des Aristoteles gedenkt, der doch allezeit der
-Vater der Scholastik gewesen ist. Aber auch gegen die
-eigentliche Scholastik verhält er sich durchaus nicht ablehnend.
-Vielmehr kommt jene Neigung, die er selbst sich zuschreibt,
-lieber zuzustimmen als zu widersprechen, auch ihr gegenüber
-zur Geltung, und den Spuren seiner scholastischen Jugendbildung
-begegnet man überall in seinen späteren Schriften.
-Von Kindheit auf waren ihm Aristoteles und die Scholastik
-vertraut, bereits zu einer Zeit, als ihm nach seinem
-eigenen Bekenntnis die neuere Naturwissenschaft und Philosophie
-noch fremd geblieben. Mochte er auch, wie er
-später erzählt, als er auf der Universität mit der damals
-auf der Höhe ihres Ansehens stehenden Cartesianischen Philosophie
-bekannt wurde, eine Zeitlang schwanken, ob er den
-»substantiellen Formen« der Scholastiker oder den mechanischen
-Prinzipien Descartes' den Vorzug geben solle, bereits<span class="pagenum"><a id="Page_21">[21]</a></span>
-seine akademische Erstlingsschrift bewegt sich ganz
-in den Gedankenkreisen der Scholastik. Behandelt sie doch
-die damals hauptsächlich den Zankapfel zwischen den sogenannten
-Realisten und Nominalisten bildende echt scholastische
-Streitfrage, ob die individuellen Unterschiede der
-Dinge von der Form oder von der Materie herrührten.
-Diese scholastische Jugendbildung hat sein Leben lang in
-ihm nachgewirkt. Doch die Scholastik ist keine einheitliche
-Philosophie. Wir sind heute allzu sehr geneigt, den Eindruck,
-den besonders in den späteren Jahrhunderten der
-formalistische Betrieb der scholastischen Logik, die Herrschaft
-eines blinden Autoritätsglaubens und die Neigung zu leeren
-Begriffs- und Wortstreitigkeiten erwecken, auf die Wissenschaft
-dieses ganzen Zeitalters zu übertragen. Vor allem
-aber steht unser heutiges Urteil unter dem Einfluß der vernichtenden,
-natürlich einseitig orientierten Polemik der Humanisten
-und der bahnbrechenden Philosophen der Neuzeit, die,
-ähnlich wie dies dereinst Plato mit der Sophistik getan
-hatte, nach den abschreckenden Beispielen scholastischer Wort-
-und Begriffsklauberei eigentlich erst jenes typische Bild der
-Scholastik geschaffen haben, das heute noch das geläufige
-ist. Doch so treffend die Satire sein mag, in der schon die
-Erfurter Humanisten in den »Briefen der Dunkelmänner«
-gegen die Kölner und Leipziger Magister zu Felde zogen,
-diese Satire trifft eigentlich nur den vulgären Schulbetrieb
-einiger Hochschulen, während die Verfasser jener satirischen
-Briefe selbst und ihre Gesinnungsgenossen in wissenschaftlicher
-Beziehung noch ebenso wie die Reformatoren dem
-Gedankenkreis der Scholastik angehören. So hat denn noch
-über ein Jahrhundert später Leibniz Jena, Marburg und
-Helmstädt als die drei fortgeschrittensten Universitäten gerühmt,
-und er bekennt dankbar, daß ihm erst während des
-kurzen Semesters seiner Studienzeit in Jena durch Erhard<span class="pagenum"><a id="Page_22">[22]</a></span>
-Weigel ein neues Licht aufgegangen sei. Das will aber nicht
-bedeuten, daß auf jenen drei Universitäten die Scholastik
-nicht geherrscht hätte, oder daß Erhard Weigel ein Vertreter
-der modernen Philosophie gewesen wäre. Vielmehr ging
-das Bestreben gerade dieses Mannes vornehmlich dahin, die
-Scholastik mit der neuen Wissenschaft zu versöhnen, und
-wenn in irgend einer Richtung er auf Leibniz gewirkt hat,
-so ist es in der Tendenz gewesen, die durch die Scholastik
-geschaffenen Denkmittel, so weit er ihnen einen bleibenden
-Wert zuerkannte, für diese neue Wissenschaft fruchtbar zu
-machen.</p>
-
-<p>Außerdem aber gab es in der Scholastik selbst eine
-Richtung, die der herrschenden, streng an Aristoteles sich
-anschließenden fremd gegenüberstand, und in der ältere
-gnostische und neuplatonische Strömungen nachwirkten. Gerade
-ihr stand auch jener Erhard Weigel, der sich sein
-Leben lang mancherlei pythagoreisierenden Spekulationen
-und andern phantastischen Plänen hingab, nicht allzu fern.
-Weit mehr als in den Gegensätzen der Realisten und
-Nominalisten, die sich in ihrem wissenschaftlichen Lehrbetrieb
-meist wenig unterschieden, sind es diese mehr von einzelnen
-Persönlichkeiten ausgehenden mystischen Richtungen, die der
-Scholastik niemals fehlten und die besonders auch in den
-gelehrten Mönchsorden des 13. Jahrhunderts bedeutende
-Vertreter fanden, die sichtlich auf Leibniz in seiner Jugendzeit
-gewirkt haben. Zu ihnen gehören Meister Eckhard,
-der deutsche Dominikaner, zu ihnen Roger Bacon, der
-irische Franziskaner. Beide sind die hervorragendsten Repräsentanten
-zweier im ganzen heterogener Strömungen,
-die in dem Zeitalter der klassischen Scholastik nebeneinander
-hergehen. In der Predigt des Meister Eckhard überwiegt
-die von dem Gedanken der unmittelbaren Selbstoffenbarung
-der Gottheit getragene rein religiöse Mystik; in Roger Bacon<span class="pagenum"><a id="Page_23">[23]</a></span>
-verbindet sich dieser mystische Zug mit dem in dem intellektuellen
-Universalismus der klassischen Scholastik wurzelnden
-Streben nach einer vornehmlich von der wunderbaren
-Macht der Mathematik erhofften Welterkenntnis. In der
-zweiten dieser Richtungen beginnt sich daher zugleich der
-Geist der künftigen neuen Naturwissenschaft und ihres mächtigen
-Werkzeuges, einer über die Grenzen der bisherigen
-Rechenkunst hinausführenden höheren Mathematik, zu regen.
-Es ist eine eigenartige, seitdem nie wieder ganz erloschene
-Abzweigung der Mystik, die uns hier begegnet. Ein Hauptvertreter
-dieser teils mit dem Aberglauben der Zeit, teils
-mit dem allmählich sich regenden Gedanken einer neuen
-Naturerkenntnis sich berührenden Richtung ist ein zweiter
-Zeitgenosse des Meister Eckhard, der Spanier Raimundus
-Lullus, der vielleicht gerade deshalb, weil in ihm phantastische
-Mystik und mathematische Spekulation besonders
-innig verwebt sind, am längsten nachgewirkt hat. Noch
-Jahrhunderte nach ihm galt die »Lullische Kunst« &ndash; so nach
-dem Titel »<em class="antiqua">Ars magna</em>« seines Werkes genannt &ndash; ähnlich der
-Alchemie als eine Art wissenschaftlicher Zauberei. Wie die
-Alchemie zum Experiment, so verhielt sich diese mystische
-Zahlenkunst zur wissenschaftlichen Mathematik. Der überraschende
-Eindruck, den das unerwartete Ergebnis einer
-Rechenoperation auf den Rechnenden selbst hervorbringen
-kann, macht es wohl begreiflich, daß dem mathematischen
-Denken dieser Zug zur Mystik eigen geblieben ist, und daß
-sich vollends in jenen Tagen, in denen der uralte Zahlzauber
-im Volksglauben noch eine größere Rolle spielte als
-heute, die Wissenschaft gelegentlich auch auf diesem Gebiet
-sich zur Magie steigerte. Schon der Astrologie hatte ja die
-mathematische Beihilfe, deren sie bedurfte, zum Teil ihr
-Übergewicht über die anderen sogenannten Geheimwissenschaften
-verschafft. So lag die Übertragung dieser Mystik<span class="pagenum"><a id="Page_24">[24]</a></span>
-der Zahlen auf die mathematischen Operationen selbst, wie
-sie den spezifischen Charakter der Lullischen Kunst und verwandter
-Bestrebungen ausmachte, nahe genug, während zudem
-der in der Scholastik herrschende logische Formalismus
-dieser Tendenz zu Hilfe kam.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<h3 id="IIa"><em class="antiqua">a.</em> Leibniz als Mathematiker.</h3>
-</div>
-
-<p>In der Tat ist es durchaus diese Richtung der mathematischen
-Mystik, die uns in der Schrift entgegentritt, mit
-der Leibniz die Reihe seiner mathematischen Arbeiten eröffnete,
-in der »<em class="antiqua">Dissertatio de arte combinatoria</em>«. Nach
-dem Titel ist man geneigt, in ihr eine Kombinationslehre
-im heutigen Sinne zu vermuten, und teilweise ist dies auch
-zutreffend. Aber ihr eigentlicher Zweck ist ein höherer. Er
-ist im wesentlichen der gleiche, den dereinst Raimund Lull
-mit seiner »<em class="antiqua">Ars magna</em>« verfolgt hatte; und nicht nur der
-Zweck, sondern auch die Mittel, ihn zu erreichen, sind im
-ganzen die nämlichen. Auch Raimund Lulls Werk war eine
-Art Kombinatorik gewesen. In der Verbindung einfacher
-zu komplexen Begriffen sah er eine »<em class="antiqua">Ars inveniendi</em>«, eine
-Erfindungskunst, die der theoretischen Erkenntnis wie ihrer
-praktischen Anwendung dienen und alle Wissenschaften zu
-einer großen Einheit verbinden sollte. Genau so schildert
-Leibniz später im Rückblick auf seine eigene Entwicklung die
-Gedanken, die ihm bei jener mathematischen Erstlingsschrift
-vorschwebten. Sein Plan sei gewesen, die »zusammengesetzten
-Begriffe der ganzen Welt in wenige einfache,
-gleichsam als deren Alphabet, zu zerlegen« und dann durch
-deren systematische Kombinationen zu verbinden. Dazu sollte
-außerdem ein zweckmäßiges Zeichensystem für die Charakteristik
-der Begriffe dienen. Danach ist die »<em class="antiqua">Ars combinatoria</em>«
-ein erster Versuch zur Ausführung jener »<em class="antiqua">Charakteristica
-universalis</em>«, deren Plan Leibniz sein Leben lang beschäftigt<span class="pagenum"><a id="Page_25">[25]</a></span>
-hat. Sie ist aber zugleich eine Erneuerung des Unternehmens
-von Raimund Lull. Ein wesentlicher Unterschied
-besteht allerdings zwischen beiden. Mag auch in den Hoffnungen,
-die Leibniz an seine <em class="antiqua">Charakteristica universalis</em>
-geknüpft hat, noch ein leiser Hauch mathematischer Mystik
-zu verspüren sein, von der phantastischen Mystik eines Raimund
-Lull, der unter anderem in der Kombinatorik ein
-Mittel sah, die Ungläubigen zum Christentum zu bekehren,
-ist er vollkommen frei. Er erkennt ihr nur insoweit den
-Charakter einer »Erfindungskunst« zu, als die Zerlegung und
-Verbindung der Begriffe der systematischen Ordnung derselben
-dienen kann. Darum bleibt nun aber auch das
-Resultat seiner »<em class="antiqua">Ars combinatoria</em>« im wesentlichen ein rein
-formales; und sie ist später ihrem Urheber selbst höchstens
-als eine Art Einleitung zu jener von ihm gesuchten »<em class="antiqua">Ars
-inventiva</em>« erschienen. Um so mehr ist gerade die Kombinatorik
-ein echtes Erzeugnis des scholastischen Formalismus,
-wie denn auch ihr Verfasser die Variationen der Urteilsformen
-in den syllogistischen Figuren als ein Hauptbeispiel
-gewählt hat. Gleichwohl spiegeln sich in dieser mathematischen
-Erstlingsschrift des Philosophen bereits die in ihm
-zur höchsten Ausbildung gelangten Seiten der Scholastik:
-ihre Universalität und das mit dieser zusammenhängende
-Streben nach einer streng logischen und zugleich einheitlichen
-Methode. Auf der einen Seite erblickt er in der
-Anwendbarkeit der Kombinatorik auf alle möglichen Begriffe
-eine Eigenschaft, die sie zu einer universellen Methode geeignet
-macht; auf der andern ist ihm ihr mathematischer
-Charakter eine Bürgschaft ihrer logischen Exaktheit.</p>
-
-<p>Doch als die Hoffnungen scheiterten, die Leibniz auf die
-Kombinatorik gesetzt hatte, verzichtete er darum noch keineswegs
-auf den Plan, zu dessen Verwirklichung sie ihm um
-ihrer universellen Anwendbarkeit willen zunächst dienen<span class="pagenum"><a id="Page_26">[26]</a></span>
-sollte. Aber man gewinnt den Eindruck, daß nun dieser Plan
-eine andere Gestalt annahm. Hatte die »<em class="antiqua">Ars combinatoria</em>«
-das ungeheure Problem einer universellen Methode mit
-einem Mal zu lösen versucht, so sollte nun eine stückweise
-Bewältigung der einzelnen mathematischen Aufgaben im
-Sinne einer die verschiedenen Gebiete in engere Beziehung
-zu einander bringenden Behandlung treten. Sehr bezeichnend
-tritt uns dieser mutmaßliche Wandel des Planes der
-»<em class="antiqua">Charakteristica universalis</em>« in einigen die mathematische
-Behandlung der Logik betreffenden Blättern entgegen, die
-J. E. Erdmann in der Bibliothek zu Hannover aufgefunden
-und in seiner Ausgabe der philosophischen Werke veröffentlicht
-hat. Sie enthalten einen Entwurf, in dem zum ersten
-Male der Versuch einer Darstellung der Logik in der Form
-eines dem arithmetischen nachgebildeten Algorithmus gemacht
-wird. Die Stellung dieser Aufgabe ist sichtlich aus der
-von Leibniz des öfteren ausgesprochenen Überzeugung entsprungen,
-die gesamte Mathematik sei eigentlich nichts anderes
-als eine erweiterte Logik. Er sucht demnach vornehmlich
-die veränderte Bedeutung festzustellen, welche den arithmetischen
-Fundamentaloperationen angewiesen werden muß,
-wenn man sie, statt speziell auf Größenbegriffe, auf irgendwelche
-logische Begriffe überhaupt anwendet. Ohne von
-diesem Leibnizschen Unternehmen etwas zu wissen, haben
-in neuester Zeit namentlich englische und amerikanische
-Mathematiker dasselbe Problem einer »symbolischen Logik«
-auf verschiedenen Wegen in Angriff genommen. Aber der
-Standpunkt der Behandlung ist dabei durchgängig ein diametral
-entgegengesetzter gewesen. Während Leibniz unmittelbar
-aus den logischen Denkformen selbst den ihnen
-eigentümlichen Algorithmus entwickelt, gehen jene neueren
-Forscher umgekehrt von der Mathematik aus, indem sie unter
-der Voraussetzung der Allgemeingültigkeit der arithmetischen<span class="pagenum"><a id="Page_27">[27]</a></span>
-Operationen einen zur Lösung spezifisch logischer Aufgaben
-geeigneten mathematischen Kalkül zu entwickeln suchen. Der
-Unterschied zwischen Leibniz und ihnen besteht also darin,
-daß diese lediglich den praktischen Zweck einer Gewinnung
-von mathematischen Methoden zur Lösung mehr oder weniger
-verwickelter syllogistischer Aufgaben verfolgen, ohne sich um
-die Frage nach dem Verhältnis der allgemein logischen zu
-den spezifisch mathematischen Denkoperationen zu kümmern,
-wogegen Leibniz ausschließlich diese theoretische Frage behandelt,
-ohne sich auf praktische Anwendungen einzulassen.
-Gerade dies rein theoretische Interesse an der Frage ist offenbar
-von der auf die Anregungen seiner scholastischen Jugendbildung
-zurückgehenden Hochschätzung der formalen Logik
-getragen, die bei den modernen Bearbeitern des gleichen
-Themas vielmehr dem Bestreben Platz gemacht hat, die unvollkommenen
-logischen Hilfsmittel durch vollkommenere mathematische
-zu ersetzen. Diese Wendung des Problems würde
-Leibniz wahrscheinlich als einen Versuch betrachtet haben,
-die allgemeinen Gesetze des logischen Denkens nicht zu erleuchten,
-sondern zu verdunkeln. Dagegen entspricht seine
-Behandlung durchaus dem aus der Beziehung zwischen
-Logik und Mathematik sich ergebenden theoretischen Problem,
-und sie liegt außerdem in der Richtung der von der
-Scholastik gepflegten Verwendung der aristotelischen Syllogistik
-in Geometrie und Arithmetik. Diese Verbindung
-hatte die Scholastik aus dem Altertum <span id="corr027">übernommen</span>; die
-Elemente des Euklid blieben aber nicht zum wenigsten deshalb
-das führende und fast das einzige Lehrgebäude der
-Mathematik, weil bei ihnen bereits die aristotelische Syllogistik
-Pate gestanden und wesentlich mitgewirkt hatte,
-in der Wissenschaft des Abendlandes den Aristoteles jahrhundertelang
-zur unbestritten obersten Autorität zu erheben.
-Wie jedoch die »<em class="antiqua">Charakteristica universalis</em>« bei Leibniz<span class="pagenum"><a id="Page_28">[28]</a></span>
-von Anfang an ein Ideal ist, das in der Logik ihr zugleich
-die Sicherheit der Mathematik verbürgendes Vorbild hat,
-so legt dies den weiteren Gedanken nahe, den Maßstab der
-mathematischen Evidenz wiederum an die allgemeinen Operationen
-des logischen Denkens anzulegen und damit, wie
-bisher durch die Syllogistik eine Stütze für den mathematischen
-Beweis, so nun umgekehrt aus den auf eine exakte
-mathematische Form gebrachten Grundsätzen der logischen
-Denkoperationen ein Mittel für die Nachweisung wissenschaftlicher
-Wahrheiten überhaupt zu gewinnen. Der Versuch
-einer solchen in das Gewand einer mathematischen Symbolik
-gekleideten Logik erscheint so als eine Verallgemeinerung
-jener oben erwähnten Behauptung, Jurisprudenz und Mathematik
-seien einander verwandte Wissenschaften.</p>
-
-<p>Noch bewegten sich jedoch diese Pläne einer die Logik
-mit der Mathematik zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfassenden
-Universalwissenschaft im wesentlichen auf dem
-Boden der Elementarmathematik und der überlieferten Logik.
-Neue und zugleich fruchtbarere Ausblicke in dieser Richtung
-eröffneten sich, als Leibniz, wie er selbst bekennt, zum erstenmal
-in Paris in den Geist der höheren Mathematik eindrang.
-Wenn er Descartes' Geometrie und Pascals Briefe über
-die Zykloide als die beiden Werke bezeichnet, deren Studium
-er die ersten Anregungen verdankt habe, so geschah dies hier
-freilich fast mehr in negativem als in positivem Sinne. Die
-Lektüre jener Werke regte ihn an, die Lösung der in ihnen
-behandelten Probleme auf einer neuen Grundlage zu versuchen.
-Dabei zeigt sich aber auch gerade in diesem Fall,
-daß er selbst jenen Problemen keineswegs mit leeren Händen
-entgegenkommt, sondern daß diejenigen Ideen, die deren
-ganze Behandlung auf eine neue Basis stellen sollten, tief
-in seiner scholastischen Jugendbildung wurzeln. Doch während
-seine bisherigen Bemühungen auf die Herstellung einer<span class="pagenum"><a id="Page_29">[29]</a></span>
-engeren Beziehung zwischen Mathematik und Logik gerichtet
-sind, veranlassen ihn die schwierigeren Probleme der
-höheren Mathematik, tiefer in den Vorrat überlieferter philosophischer
-Begriffe zurückzugreifen. Die Logik genügt dazu
-nicht mehr, die Mathematik muß zu Hilfe gerufen werden.
-Da sind es zwei Lücken, die ihm bei dem Studium der neueren
-mathematischen Arbeiten begegnen: die eine läßt ihn Descartes'
-analytische Geometrie als unzulänglich erkennen;
-die andere zeigt sich bei dem in jenen Tagen viel verhandelten
-Problem der Quadratur des Kreises, bei dem man immer
-noch im wesentlichen auf die alte Archimedische Exhaustionsmethode
-zurückging. Um diesen Mängeln abzuhelfen, dazu
-genügten die Hilfsmittel der in fest begrenzte Begriffsverhältnisse
-eingeschlossenen Logik nicht mehr. Wohl aber fand
-sich in dem Arsenal der aristotelisch-scholastischen Metaphysik
-ein bedeutsamer Begriff, den zwar die Mathematik gelegentlich
-gestreift, von dem sie aber nirgends eine folgerichtige
-Anwendung gemacht hatte. Das war der Begriff des <em class="gesperrt">Unendlichen</em>.
-Fast könnte man sagen: es war eine Art <em class="antiqua">Horror
-vacui</em>, der bis dahin die Mathematik wie die Logik von der
-Verwendung des Unendlichkeitsbegriffs ferngehalten hatte.
-Eine um so wichtigere Rolle hatte er in der Metaphysik gespielt.
-Ausgehend von der Voraussetzung einer Unendlichkeit
-der Zeit, die Aristoteles für das »Automaton«, jenen
-ersten Beweger, der für ihn einerseits mit der Gottesidee,
-anderseits mit dem Begriff einer unaufhörlich wirksamen
-Ursache des kosmischen Geschehens zusammenfiel, angenommen
-hatte, war die scholastische Theologie in ihrem
-Streben, die Gottesidee über alle denkbaren Grenzen zu erhöhen,
-zu dem Begriff einer absoluten Unendlichkeit fortgeschritten,
-der eben darum nicht mehr positiv bestimmt,
-sondern nur durch die Negation aller endlichen Eigenschaften
-definiert werden konnte. So entstand aus der ursprünglich<span class="pagenum"><a id="Page_30">[30]</a></span>
-der empirischen Wirklichkeit angehörenden aristotelischen Substanz
-(<em class="antiqua">ousia</em>), die in dem Einzelding ihre unmittelbare Grundlage
-hatte, der Begriff einer <em class="gesperrt">absoluten</em> unendlichen Substanz,
-der bis tief in die neuere Philosophie hinein fortgewirkt
-hat. Da dieser Begriff des Unendlichen von uns zwar
-als ein notwendiger erkannt wird, an sich aber die Fähigkeiten
-unserer begrenzten Erkenntnis überschreitet, so nennt ihn
-die Scholastik einen <em class="gesperrt">transzendenten</em>. Dieses von ihr geschaffene
-Wort hat zuerst Leibniz von der Metaphysik in die
-Mathematik hinübergetragen, und die Anregung dazu gab
-ihm das Studium von Descartes' Geometrie. Descartes
-hatte in seinem Werk nur diejenigen geometrischen Gebilde
-analytisch behandelt, deren Gleichungen bloß einer begrenzten
-Zahl arithmetischer Operationen zu ihrer Lösung bedürfen.
-Kurven, bei denen diese algebraischen Hilfsmittel
-nicht zureichen, nannte er »mechanische Kurven«, insofern
-man sie sich gleichwohl durch eine nach irgendeinem Gesetz
-erfolgende Bewegung erzeugt denken kann. Sein Werk
-war also nicht eine analytische Geometrie im heutigen Sinne
-des Wortes, obgleich man es meist so zu bezeichnen pflegt,
-sondern eine algebraische Geometrie oder, wie man es vielleicht
-treffender nennen könnte, eine Theorie der algebraischen
-Funktionen und ihrer geometrischen Anwendungen. Dazu
-muß freilich bemerkt werden, daß der mathematische Begriff
-der Funktion, der unter diesem Namen erst später durch
-Johann Bernoulli eingeführt wurde, zu Descartes' Zeit
-noch nicht oder doch nur latent existierte. Hier erkannte nun
-Leibniz sofort in dieser Beschränkung einen Mangel, dem
-er durch die Forderung einer analytischen Behandlung auch
-dieser, die Hilfsmittel der gewöhnlichen mathematischen Elementaroperationen
-überschreitenden Funktionen zu begegnen
-suchte. Um diese neue, eine einheitliche Betrachtung aller
-analytischen Funktionen vermittelnde Aufgabe auch äußerlich<span class="pagenum"><a id="Page_31">[31]</a></span>
-zu kennzeichnen, greift er aber in den Begriffsschatz der
-scholastischen Metaphysik, indem er die »mechanischen Kurven«
-Descartes', eben weil sie die Grenzen der bisherigen Arithmetik
-überschreiten, als transzendente bezeichnet. Dabei
-ist freilich ein wichtiger Bedeutungswandel dieses Begriffes
-eingetreten. Transzendent in dem metaphysischen Sinne
-der Scholastik ist das unendliche, darum dem endlichen Erkennen
-unzugängliche Sein; transzendent im mathematischen
-Sinne ist seit Leibniz eine Aufgabe, deren Lösung
-neue, über die Hilfsmittel der gewöhnlichen Arithmetik hinausreichende
-mathematische Operationen fordert. Dort entzieht
-sich das transzendente Objekt endgültig unserer Erkenntnis,
-hier weist der Ausdruck umgekehrt auf neue Hilfsmittel
-hin, die das bisher Unerkennbare erkennbar machen.
-Im Hintergrund steht in beiden Fällen der Begriff des Unendlichen.
-Damit ist die Einführung des neuen Begriffs
-der transzendenten Funktion zugleich gebunden an die neue
-Rechnungsmethode, die man wohl auch eine ins Unendliche
-fortgeführte Arithmetik nennen kann, an die Differentialrechnung,
-oder, wie Leibniz selbst sie im Hinblick auf
-die Hilfe, die ihm dabei der Unendlichkeitsbegriff geleistet,
-genannt hat, an die <em class="gesperrt">Infinitesimalrechnung</em>.</p>
-
-<p>Hier greift aber in diese von der Beschäftigung mit der
-Geometrie ausgehende Erweiterung des Funktionsbegriffs
-außerdem jenes andere Problem ein, um das sich zu dieser
-Zeit wiederholt die Mathematiker bemühten: die Quadratur
-des Kreises. Bis dahin ging man von dem uralten Prinzip
-der praktischen Feldmessung aus, eine krummlinig begrenzte
-ebene Fläche durch parallele Ordinaten in kleine Quadrate
-zerlegt zu denken, deren Summe dann das der betreffenden
-Fläche entsprechende Quadrat ergab. Je kleiner man sich
-diese Quadrate denkt, um so näher kommt natürlich das Resultat
-der Wirklichkeit. Doch eine bestimmte Grenze gibt<span class="pagenum"><a id="Page_32">[32]</a></span>
-dieses metrische Prinzip nicht an die Hand, und die Methode
-bleibt daher unbefriedigend. Leibniz suchte nun nach einem
-andern Verfahren, das ein solches absolutes Minimum ergebe.
-Er hoffte es zu finden, indem er, statt von dem relativen
-Unterschied des Großen und Kleinen, von dem absoluten
-Gegensatz des unendlich Großen und des unendlich
-Kleinen ausging. Dazu mußte vor allem als Maßelement
-ein solches gewählt werden, das seinem allgemeinen Begriff
-nach der Forderung der Einfachheit entsprach. Die
-in diesem Sinne einfachste Figur in der Ebene ist aber das
-Dreieck als die von der kleinsten Zahl von Geraden umschlossene
-Ebene. Leibniz, ohnehin überall geneigt, bei der
-Behandlung bestimmter Aufgaben neue Wege einzuschlagen,
-versuchte daher, durch die Zerlegung in Dreiecke statt in
-Quadrate dieses Ziel zu erreichen. So gelangte er zu der
-berühmten unendlichen Reihe 1&nbsp;&ndash;&nbsp;<sup>1</sup>/<sub>3</sub>&nbsp;+&nbsp;<sup>1</sup>/<sub>5</sub>&nbsp;&ndash;&nbsp;<sup>1</sup>/<sub>7</sub>&nbsp;… für
-den Flächeninhalt des Kreises vom Durchmesser 1. Indem
-zur Konstruktion der Dreiecke, die bei dieser »Arithmetisierung
-des Kreises«, wie er sein Verfahren nannte, die auf
-die Punkte des Kreisumfangs gelegten Tangenten und
-Sekanten benutzt wurden, führte aber diese Methode, auf
-Kurven von beliebiger Gestalt übertragen, unmittelbar zu
-dem Gedanken, das Dreieck zur Lösung der allgemeineren
-Aufgabe einer solchen Arithmetisierung des Verlaufs einer
-Kurve zu verwenden. Er dachte sich also ein zu diesem Zweck
-rechtwinkliges Dreieck aus den zu den zwei einander nächsten
-Punkten der Kurve gehörigen Koordinaten als Katheten
-und der für diesen Fall mit der Kurve selbst zusammenfallenden
-Tangente als Hypothenuse gebildet. Dieses Dreieck nannte
-er das »<em class="antiqua">Triangulum charakteristicum</em>«. Gewiß ist es kein
-Zufall, daß der Name an die <em class="antiqua">Charakteristica universalis</em>
-erinnert. Eine universelle, den Umkreis der überlieferten
-arithmetischen Operationen überschreitende Arithmetik hat<span class="pagenum"><a id="Page_33">[33]</a></span>
-Leibniz zu jeder Zeit unter ihr verstanden. Die Differentialrechnung
-ist aber tatsächlich eine solche: sie ist es mehr als
-alle vorangegangenen Bemühungen in ähnlicher Richtung,
-die zumeist erst durch sie ihre Erledigung fanden. Von der
-Differentialrechnung kann man darum wohl sagen: mit
-ihrer Erfindung hat er im wesentlichen erreicht, was er in
-seiner <em class="antiqua">Charakteristica universalis</em> erstrebt hatte. Wenn
-er das selbst nicht direkt anerkannt hat, so mag dies wohl
-darin seinen Grund haben, daß er nirgends eingestehen
-wollte, ein Problem könne jemals abgeschlossen sein, besonders
-aber darin, daß zur Anerkennung der Universalität der
-Methode ein notwendiges Desiderat fehlte: die Anwendung
-auf andere Wissenschaften, die er im Hinblick auf den von
-ihm behaupteten Zusammenhang alles Wissens forderte.</p>
-
-<p>Die Umwandlung, die der Unendlichkeitsbegriff auf seinem
-Wege von der aristotelischen Scholastik zu Leibniz und von
-diesem zur neueren Mathematik erfahren hat, ist übrigens
-zugleich eines der bedeutsamsten Stücke moderner Begriffsgeschichte.
-Der Scholastik galt, wie noch jetzt dem populären
-Bewußtsein, in welchem die scholastische Theologie heute
-noch nachwirkt, das Unendliche als oberster Grenzbegriff
-alles Denkbaren. Aber latent war darin vermöge des die
-Wissenschaft seit Aristoteles beherrschenden Prinzips der
-Antithetik, nach welchem jeder selbständige Begriff seinen
-Gegensatzbegriff fordert, auch der unterste Grenzbegriff des
-unendlich Kleinen bereits vorausgesetzt. Wir werden auf
-dieses Prinzip unten bei dem direkt auf ihm aufgebauten
-Begriffssystem der scholastischen wie der Leibnizschen Naturlehre
-zurückkommen. Dabei besteht nun die Selbständigkeit
-der Begriffe wesentlich darin, daß jeder unvermischt mit
-andern gedacht werde, weil er dann erst in seinem reinen
-Gegensatz zu dem ihn antithetisch ergänzenden erscheint.
-Darum sind solche Begriffe <em class="gesperrt">absolute</em> Gegensätze, nicht bloß<span class="pagenum"><a id="Page_34">[34]</a></span>
-relative, und jedes Glied des Gegensatzes ist selbst ein
-absoluter Begriff. Dies gilt für das Unendliche in seinen
-beiden Formen, für das unendlich Große wie für das unendlich
-Kleine. So ist denn auch das »<em class="antiqua">Triangulum charakteristicum</em>«
-in den ersten Begründungen, die Leibniz der
-Differentialrechnung gab, das absolut, nicht das relativ
-kleinste Dreieck, das man zur Ausmessung einer Kurve verwendet.
-Daß es außerhalb dem absolut Kleinsten noch ein
-kleineres gebe, ist ihm hier eine widersprechende Annahme.
-Das charakteristische Dreieck ist also nicht eines neben andern,
-sondern ein einziges. Es ist, wie das Unendliche überhaupt,
-niemals in der Anschauung gegeben, wohl aber begrifflich
-das denkbar kleinste Dreieck an dem betreffenden Punkt der
-Kurve. Hier ist die Fluxionsmethode Newtons der Leibnizschen
-Infinitesimalmethode von vornherein überlegen.
-Indem jene nicht an das geometrische Bild der Funktion,
-sondern an das andere einer im gleichförmigen Flusse der
-Zeit veränderlichen Geschwindigkeit anknüpft, liegt ihr zwar
-in der gleichförmig fließenden Zeit eine metaphysische Voraussetzung
-zugrunde, die nämliche, deren sich Newton
-auch in seiner Naturphilosophie bedient hat; aber das Bild
-der Bewegung eines räumlichen Punktes führt doch ohne
-weiteres zu dem der Geschwindigkeitsänderung hinüber.
-Dagegen bietet der Leibnizsche geometrisch fundierte Differentialbegriff
-in dem aus dem Verhältnis der Koordinatenabschnitte
-des charakteristischen Dreiecks gebildeten Differentialquotienten
-von vornherein einen für die Gewinnung
-eines konsequent durchgeführten Algorithmus weit geeigneteren
-Ausgangspunkt. Dabei erwies sich gerade dieser
-Begriff eines absoluten, unveränderlich gedachten Minimums
-deshalb hilfreich, weil sich von ihm aus um so zwingender
-mittels der so eingeführten Symbolik ein Fortschritt
-zu weiteren, entsprechend gebildeten Differentialfunktionen<span class="pagenum"><a id="Page_35">[35]</a></span>
-ergab. Hierzu mußte dann freilich die absolute Bedeutung
-des unendlich Kleinen beseitigt, und durch die Feststellung
-einer allzeit nur <em class="gesperrt">relativen</em> ersetzt werden. Das ergab sich
-aber mit Notwendigkeit aus der weiteren Aufgabe, einen
-entsprechenden Ausdruck für die <em class="gesperrt">Richtungsänderung</em> einer
-Kurve zu finden. Und da konnte es nicht zweifelhaft sein,
-daß ein solcher Ausdruck aus einer Wiederholung desselben
-Verfahrens bestehen mußte, das zu dem ersten Differentialquotienten
-als dem arithmetischen Ausdruck der <em class="gesperrt">Richtung</em>
-geführt hatte. Sobald Leibniz die Richtungsänderung der
-Funktion als die reale Bedeutung des zweiten Differentialquotienten
-erkannte, konnte er sich aber auch der Möglichkeit
-einer unbegrenzten weiteren Fortsetzung der gleichen
-Operation nicht mehr entziehen. So verwandelte sich der
-Begriff des absoluten in den des <em class="gesperrt">relativen Minimums</em>,
-das übrigens immerhin seinen Zusammenhang mit jenem
-absoluten Grenzbegriff darin bewahrte, daß die Grenze,
-bis zu welcher in der Bildung der Differentialfunktion zu
-gehen ist, durch die Natur des Problems jedesmal fest bestimmt
-wird, was im Erfolg der Feststellung eines absoluten
-Minimums gleichkommt. Damit hat Leibniz selbst schon den
-Übergang zur sogenannten Grenzmethode vollzogen, der
-später Maclaurin und d'Alembert nur eine anschaulichere
-Form gaben, und die noch heute, soweit man sich überhaupt
-auf eine Begründung der Differentialrechnung einläßt, als
-die bevorzugte gelten kann.</p>
-
-<p>Für Leibniz aber wurde die Erkenntnis der realen Bedeutung
-des zweiten Differentialquotienten ein epochemachendes
-Ereignis, ja sie ist in ihren Folgen vielleicht das
-epochemachendste gewesen, das er überhaupt in seinem
-Denken erlebt hat. Der Übergang vom absoluten zum relativen
-Unendlichkeitsbegriff bezeichnet für ihn eine Katastrophe,
-die durchaus nicht auf die Mathematik beschränkt<span class="pagenum"><a id="Page_36">[36]</a></span>
-bleibt, sondern sich von hier aus auf alle Gebiete der Wissenschaft
-und nicht zum wenigsten auf seine philosophische Weltanschauung
-erstreckt. Als das oberste Prinzip alles Wirklichen
-gilt ihm von da an die »<em class="antiqua">Lex continuitatis</em>«, das Gesetz
-der Stetigkeit, das, folgerichtig zu Ende gedacht, alle
-absoluten Gegensätze in relative umwandelt, indem es die
-Starrheit der alten Substanzbegriffe durch den Fluß aller
-tätigen Kräfte der Welt ersetzt. Dies ist der Punkt, bei dem
-zugleich die Entwicklung der Naturphilosophie an diesen
-Wandel der mathematischen Begriffe sich anschließt.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<h3 id="IIb"><em class="antiqua">b.</em> Die dynamische Naturphilosophie.</h3>
-</div>
-
-<p>Es ist eine oft gemachte Bemerkung, daß die späteren
-epochemachenden Leistungen bedeutender Männer ihrer allgemeinen
-Richtung nach nicht selten in ihren, oft an sich höchst
-unvollkommenen Erstlingsarbeiten bereits angedeutet sind.
-Von wenigen gilt das vielleicht mehr als von Leibniz und
-seiner »<em class="antiqua">Ars combinatoria</em>«. Wie in ihr zum erstenmal die
-»<em class="antiqua">Charakteristica universalis</em>« mit der hinter ihr stehenden
-Entwicklung seines mathematischen Denkens leise anklingt,
-so verrät sie, wenn auch mehr in einzelnen Abschweifungen
-als in wirklichen Ausführungen, den Einfluß der Scholastik
-auf seine Naturphilosophie. Während aber die Anfänge
-seines mathematischen Denkens an die Bestrebungen jener
-mathematischen Mystik anknüpfen, die namentlich seit dem
-13. Jahrhundert eine Nebenströmung der klassischen Scholastik
-gebildet haben, ist es eine andere Seite der in der gleichen
-Zeit verbreiteten Bestrebungen, die in jenem Jugendwerk
-zur Geltung kommt: es ist der vielfach im Gegensatz zu
-der vorangegangenen Philosophie sich regende Versuch,
-die herrschende Scholastik durch den Rückgang auf ihre
-Quelle, die Aristotelische Philosophie, zu reformieren. In
-zwei merkwürdigen Beilagen zu jener Schrift tritt dies deutlich<span class="pagenum"><a id="Page_37">[37]</a></span>
-zutage: in einem vorausgeschickten Exkurs über den Beweis
-des Daseins Gottes, und in einem als Titelbild beigegebenen
-Schema der bekannten vier aristotelischen Elemente,
-Feuer, Wasser, Luft und Erde. Der Gottesbeweis
-sucht an Stelle der in der Scholastik aufgekommenen ontologischen
-und kosmologischen Beweise wieder den aristotelischen
-aus dem »Automaton« zu erneuern. Leibniz erklärt
-ihn für den einzigen, dem mathematische Evidenz innewohne,
-weil die Reihe der Bewegungen in der Natur notwendig
-einen ersten Beweger voraussetze, der selbst unbewegt sei.
-Dieser Versuch, in der Ableitung des Gottesbegriffs auf Aristoteles
-zurückzugehen, knüpft zwar an die bereits in der
-gleichzeitigen Scholastik herrschende Bevorzugung des sogenannten
-kosmologischen Beweises an, aber er entfernt
-aus ihm die Beziehungen zur Theologie, um ihn als eine
-rein naturphilosophische Voraussetzung bestehen zu lassen.
-Noch bedeutsamer ist die zweite Beigabe: das Schema der
-vier Elemente. Es ist weniger der Begriff der Elemente
-selbst als die Methode, durch die Aristoteles die Notwendigkeit
-ihrer Unterscheidung zu begründen gesucht hatte, worauf
-es dem Verfasser offenbar bei diesem Titelbild ankommt.
-Um die Bedeutung desselben zu würdigen, muß man sich
-vor allem die Stellung vergegenwärtigen, die die Aristotelische
-Deduktion der vier Elemente in der Geschichte der Naturphilosophie
-einnimmt. Nicht die Unterscheidung der Elemente
-selbst ist ja die entscheidende Tat, durch die er ihnen
-bis tief in die neuere Zeit zuerst eine fast ausschließliche Herrschaft
-und dann, nachdem die chemische Atomistik entstanden
-war, wenigstens eine Art Nebenherrschaft gesichert hat, sondern
-ihre logische Ableitung. In der älteren jonischen Naturphilosophie
-waren sie als makrokosmische Bestandteile der
-Welt schon vorgebildet. Der äußersten, den Gestirnen entsprechenden
-Feuersphäre folgt die Luft, dann das Wasser<span class="pagenum"><a id="Page_38">[38]</a></span>
-und endlich die feste Erde. Empedokles hatte sie in mikrokosmische
-Elemente verwandelt, aus denen sich die Einzeldinge
-zusammensetzen sollten. Was Aristoteles hinzubrachte,
-das war die logische Deduktion, nach der diese Elemente
-selbst wieder aus der Mischung von Urqualitäten hervorgehen
-sollten, die aus den allgemeinsten Eigenschaften der Dinge
-abstrahiert und nach Gegensätzen geordnet waren: fest und
-flüssig, kalt und warm. So ergab sich das Schema:</p>
-
-<table summary="Aristoles-Schema">
-<tr>
- <td></td>
- <td class="tdc">Trocken</td>
- <td class="tdc">Flüssig</td>
-</tr>
-<tr>
- <td>Kalt</td>
- <td class="tdc"><em class="gesperrt">Erde</em></td>
- <td class="tdc"><em class="gesperrt">Wasser</em></td>
-</tr>
-<tr>
- <td>Warm</td>
- <td class="tdc"><em class="gesperrt">Feuer</em></td>
- <td class="tdc"><em class="gesperrt">Luft</em></td>
-</tr>
-</table>
-
-<p class="noind">Dieses Schema ist wohl das glänzendste Beispiel für die
-Aristotelische Behandlung der Erfahrungsbegriffe. Das empirisch
-Gegebene bildet die Grundlage einer Begriffsscheidung,
-die nach gegensätzlichen Merkmalen ausgeführt und,
-wenn nötig, durch Synthese der zu einander passenden Teilbegriffe
-zu einem logisch geschlossenen System geordnet
-wird. Die Erfahrung bildet das Material, die dialektische
-Begriffsgliederung das Mittel, um die empirischen Begriffe
-zugleich als logisch notwendige erscheinen zu lassen. Diese
-Methode der dualistischen Begriffsgliederung, welcher jedesmal
-von dem Philosophen gleichzeitig logische Notwendigkeit
-und metaphysische Gültigkeit zugesprochen wird, wiederholt
-sich in den mannigfaltigsten Gestaltungen in der Philosophie
-des Aristoteles. Sie bildet ein Seitenstück und eine Ergänzung
-zu der Methode der Begriffssubsumtion, die das ganze
-System des Philosophen beherrscht, und die überall darauf
-ausgeht, das Erfahrungsmäßige zugleich als ein begrifflich
-Notwendiges zu erweisen. Logisch notwendig ist aber
-derjenige Begriff, der durch einen anderen als sein Gegensatz
-gefordert wird. Hieraus entspringt jenes Prinzip dualer
-Begriffsgliederung, das auch anderwärts bei Aristoteles<span class="pagenum"><a id="Page_39">[39]</a></span>
-in der besonders wirkungsvollen Form der Viergliederung
-vorkommt: so in der Einteilung der Urteilsformen in bejahende
-und verneinende, allgemeine und besondere, oder
-in der Psychologie in der Einteilung der Erinnerungsformen
-in solche nach Ähnlichkeit und Gegensatz, Gleichzeitigkeit
-und Aufeinanderfolge des Erinnerten. Ihren Vorzug für
-das systematische Denken gewinnen diese aus zwei logischen
-Zweigliederungen synthetisch gewonnenen Vierteilungen sichtlich
-eben dadurch, daß durch die Verflechtung der beiden
-Komponenten zu einem Ganzen nochmals das Prinzip der
-Dualität wiederkehrt. Wo eine solche Kombination zweier
-logischer Zweiteilungen zur Vierzahl nicht möglich ist, da
-kann dann auch eine unmittelbar einsetzende Verbindung
-der Gegensätze dem Bedürfnis nach logischer Einheit entgegenkommen:
-so bei der Aristotelischen Ableitung der Tugendbegriffe
-aus dem Prinzip der richtigen Mitte aus entgegengesetzten
-Fehlern, wie der Freigebigkeit aus Geiz und Verschwendung
-usw., oder bei den grundlegenden metaphysischen
-Begriffen Stoff und Form, die ebensowohl als Gegensätze
-wie als sich ergänzende Begriffe gedacht werden.</p>
-
-<p>Dieses Prinzip der dualen Gliederung beherrscht nun
-die Leibnizsche Naturphilosophie in ihrer ganzen Entwicklung.
-Den Ausgangspunkt bildet hier der bei ihm früh sich
-regende Zweifel an der Haltbarkeit des Cartesianischen Begriffs
-der Materie, mit dem seine Opposition gegen die
-Cartesianische Naturphilosophie begonnen hat. In einer
-bis zu einem gewissen Grade bereits ausgereifteren Gestalt
-begegnet uns jenes Schema zuerst in seiner für die ganze
-Entwicklung seiner Philosophie überaus bedeutsamen Schrift
-vom Jahre 1671 »<em class="antiqua">Hypothesis physica nova</em>«. Sie zeigt
-uns ihren Verfasser mitten auf dem Wege zwischen der unumschränkten
-Annahme der Cartesianischen Prinzipien, denen
-er sich in einem früheren Stadium zugeneigt hatte, und der<span class="pagenum"><a id="Page_40">[40]</a></span>
-vollen Abwendung von diesen in seinen späteren Arbeiten
-über Dynamik. In jener Schrift schließt er sich in der Erklärung
-der Himmelsbewegungen noch im wesentlichen an
-Descartes an, aber dessen Auffassung der Materie als des
-durch die einzige Eigenschaft der Ausdehnung im Raume
-gekennzeichneten Substrates der Naturerscheinungen bekämpft
-er als eine unmögliche. Die Ausdehnung kann, wie er erklärt,
-nur aus einer ausdehnenden Kraft begriffen werden, und
-nur sie macht jene passiven Eigenschaften der Materie verständlich,
-die zu Raum und Bewegung hinzukommen müssen,
-um den Widerstand eines Körpers gegenüber einem andern
-und das Beharren einer ihm mitgeteilten Bewegung zu
-erklären. So gelangt er hier bereits zu jener Aufstellung des
-Kraftbegriffs als des Grundbegriffs für die Interpretation
-der gesamten Naturerscheinungen und zugleich zu einer
-doppelten Gliederung dieses Begriffs: zunächst scheidet
-sich die Kraft in die passive, die den Körpern fortwährend
-innewohnt, und in die aktive, die in der Bewegung sich äußert;
-die passive Kraft aber scheidet sich wieder in die Festigkeit
-(Undurchdringlichkeit) und in die Trägheit, die Galileische
-<em class="antiqua">Vis inertiae</em>. Von diesem ersten Entwurf an schreitet dann
-in den nach dem Jahr 1680 ausgeführten Arbeiten zur Dynamik
-diese Einteilung in folgerichtiger Weiterführung der
-begonnenen Subsumtion der Begriffspaare zu dem folgenden
-endgültigen Schema fort:</p>
-
-<table summary="Schema">
-<tr>
- <td rowspan="3"><em class="antiqua">Vis = vera Substantia</em></td>
- <td rowspan="3"><span class="si4">{</span></td>
- <td><em class="antiqua">vis primitiva = ∞</em></td>
-</tr>
-<tr>
- <td rowspan="4"><em class="antiqua">vis derivativa</em></td>
- <td rowspan="4"><span class="si3">{</span></td>
- <td rowspan="2"><em class="antiqua">vis passiva</em></td>
- <td rowspan="2"><span class="si2">{</span></td>
- <td><em class="antiqua">antitypia</em></td>
-</tr>
-<tr>
- <td><em class="antiqua">inertia</em></td>
-</tr>
-<tr>
- <td></td>
- <td></td>
- <td rowspan="2"><em class="antiqua">vis activa = const.</em></td>
- <td rowspan="2"><span class="si2">{</span></td>
- <td><em class="antiqua">vis mortua</em></td>
-</tr>
-<tr>
- <td></td>
- <td></td>
- <td><em class="antiqua">vis viva</em></td>
-</tr>
-</table>
-
-<p class="noind">Die Analogie dieses Schemas mit den Aristotelischen Begriffsgliederungen
-springt in die Augen. Dennoch ist die Beziehung<span class="pagenum"><a id="Page_41">[41]</a></span>
-der Begriffsglieder zu einander offenbar eine wesentlich
-andere geworden, und hinter diesem Wandel verbirgt
-sich der mächtige Einfluß, den die seit dem Galileischen Zeitalter
-eingetretene Umwälzung der Naturanschauungen selbst
-da hervorgebracht hat, wo man die neue Anschauung in die
-alten scholastischen Formen umzuprägen sucht. In der Tat
-ist das Schema, in welchem Leibniz seine gesamte Naturphilosophie
-zum Ausdruck bringt, ein deutliches Zeugnis
-dafür, daß diese Philosophie selbst gewissermaßen eine Resultante
-aus den zwei Weltanschauungen ist, die sich hier zu einem
-Ganzen vereinigen. In der Form ist dieses System noch
-in der scholastischen Denkweise befangen, in seinem Inhalt
-ist es ganz von den Anschauungen der neuen mechanischen
-Naturwissenschaft erfüllt, und es ist zugleich ein bedeutsamer,
-zweifellos der Cartesianischen Naturwissenschaft überlegener
-Versuch, diese Anschauung in ein einheitliches, von einem
-einzigen Grundbegriff, dem der Kraft, getragenes System
-zu bringen. Der wesentliche Unterschied in der Anwendung
-des Prinzips der dualen Gliederung bei Leibniz gegenüber
-der aristotelisch-scholastischen, wie ihn am ausgeprägtesten
-das von Leibniz selbst dereinst an die Spitze seiner <em class="antiqua">Ars combinatoria</em>
-gestellte Beispiel der vier Elemente zeigt, besteht
-darin, daß die Begriffsgliederung der Scholastik auf dem
-Prinzip der Subsumtion unter einen Oberbegriff beruht,
-während sie bei Leibniz stets zugleich eine kausale Beziehung
-der einander gegenübergestellten Begriffe in sich schließt.
-So sind trocken und flüssig unter dem allgemeinen Begriff
-des Aggregatzustandes enthalten, ohne über die Bedingungen,
-unter denen etwa die eine in die andere dieser Eigenschaften
-übergeht, etwas auszusagen. Die <em class="antiqua">Vis primitiva</em> und <em class="antiqua">derivativa</em>,
-die <em class="antiqua">Vis viva</em> und <em class="antiqua">mortua</em> sind dagegen derart in
-Beziehung zueinander gesetzt, daß die wegen der im Fortschritt
-der Zeit ins Unendliche sich erstreckende Summe aller<span class="pagenum"><a id="Page_42">[42]</a></span>
-vorangegangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Kraftwirkungen
-als die an sich unendlich zu denkende Quelle der
-jeweils in der Natur vorhandenen Kräfte betrachtet wird;
-ebenso sind die <em class="antiqua">Vis viva</em> und <em class="antiqua">mortua</em> durch die Voraussetzung
-der Konstanz ihrer Summe nicht bloß Teilbegriffe der <em class="antiqua">Vis
-activa</em>, sondern sie stehen derart in kausaler Beziehung, daß
-sie stets nur in äquivalenten Werten ineinander übergehen
-können.</p>
-
-<p>Aber dieses Schema des Kraftbegriffs enthält nicht bloß,
-wenngleich in äußerlich rein subsumierender Form, <em class="antiqua">in nuce</em>
-die reichen Wechselbeziehungen der Naturerscheinungen, die
-Leibniz durch die Modifikation seines Kraftbegriffs auszudrücken
-sucht, sondern es weist zugleich über das naturwissenschaftliche
-Gebiet hinaus auf die universelle philosophische
-Bedeutung hin, die bei ihm der Kraftbegriff gewinnt.
-Dies tritt vor allem in der dem Ganzen vorangestellten Begriffsbestimmung
-der Kraft als der »wahren Substanz«
-hervor. Eine eigentliche Definition enthält freilich dieses
-Attribut nicht, oder es weist doch höchstens indirekt auf eine
-solche hin, indem es die Kraft als den Grundbegriff bezeichnet,
-der künftighin an die Stelle der bisherigen Substanz
-zu treten habe. Nun reicht aber der Substanzbegriff über
-das Gebiet der Naturphilosophie hinaus. Er hatte sich in der
-bisherigen Philosophie zu dem Begriff eines beharrenden
-Seins entwickelt, das bald als allgemeines Substrat der Erscheinungswelt,
-bald als unendliches göttliches Sein oder
-auch als beides zugleich, wie in der Cartesianischen Dreiteilung
-der Substanzen in Seele, Körperwelt und Gott, gedacht
-wurde. Indem Leibniz die Kraft die wahre Substanz nennt,
-gibt er also seinem Kraftbegriff von vornherein ebenfalls
-eine universelle metaphysische Bedeutung. Da er anderwärts
-das Wesen der Kraft, im Gegensatz zu jenem Begriff
-der beharrenden Substanz, in die Tätigkeit und, wo diese<span class="pagenum"><a id="Page_43">[43]</a></span>
-nicht zur Wirkung gelangt, in das Streben nach Tätigkeit
-verlegt, so ist dieser Ersatz der beharrenden Substanz durch
-die tätige Kraft wiederum ein wesentlicher Punkt in seiner
-fortschreitenden Abkehr von Descartes. So überaus weittragend
-dieser neue Substanzbegriff ist, &ndash; er kommt, wie
-wir sehen werden, der Aufhebung des Substanzbegriffs
-überhaupt gleich&nbsp;&ndash;, so hat er jedoch für die Prinzipien der
-Naturphilosophie auf den ersten Anschein keine allzu schwer
-wiegenden Folgen. Da Leibniz immerhin an der räumlichen
-Ausdehnung als der unmittelbar in der Anschauung
-gegebenen Eigenschaft der Körper festhält, so gilt auch für ihn
-der Satz, daß alles Geschehen in der Natur auf Bewegungen
-der Materie zurückzuführen ist, und es scheint zunächst wenig
-zu bedeuten, ob diese Bewegungen selbst als das Ursprüngliche
-angesehen werden oder ob man sie auf eine hinter ihnen
-stehende tätige Kraft zurückführt. Hat doch das erstere den
-Vorteil den, wie sich später d'Alembert ausdrückte, »mystischen«
-Kraftbegriff zu vermeiden, indem man sich nur an die
-Erscheinungen selbst hält. Auch muß man zugestehen, daß
-Descartes schwerlich ohne seine Voraussetzung der Identität
-von Raum und Materie auf den Gedanken gekommen
-wäre, die Eigenschaft der Unveränderlichkeit des Raumes
-auf die Bewegungen im Raum anzuwenden und so zur
-Aufstellung seines Prinzips der Erhaltung der Quantität der
-Bewegung zu gelangen, eines Prinzips, das zwar falsch
-war, aber immerhin das Verdienst hatte, den Gedanken
-der Konstanz von der Materie als dem Substrat der Naturvorgänge
-auf diese selbst zu übertragen. Dennoch offenbarte
-sich in dem über diese Frage entstandenen Streit zwischen
-Leibniz und den Cartesianern bald der gewaltige Unterschied,
-der zwischen beiden Formen der mechanischen Naturanschauung,
-jener eigentlich rein phoronomischen Betrachtung
-Descartes' und seiner Schüler und dieser dynamischen<span class="pagenum"><a id="Page_44">[44]</a></span>
-bestand, und der eben darin seinen tieferen Grund hatte,
-daß das System der Kraftbegriffe, wie es das obige Schema
-darstellt, in allen seinen Gliedern auf kausalen Beziehungen
-beruht.</p>
-
-<p>Die bedeutsamsten dieser Beziehungen sind nun die zwischen
-passiver und aktiver Kraft und vor allem die zwischen toter
-und lebendiger Kraft. Beide Unterscheidungen hängen aber
-auf das engste zusammen. Denn die passiven Kräfte, die
-der Materie außer ihrem Dasein im Raume zukommen, bewirken,
-daß die Bewegung Widerstände findet, die die aktuelle
-in eine potentielle, in ein bloßes Streben nach Bewegung
-umwandeln können, daher denn auch nicht, wie das Cartesianische
-Konstanzprinzip voraussetzt, die gesamte Quantität
-der Bewegung, sondern nur die <em class="gesperrt">ganze</em> <em class="antiqua">Vis activa</em>, also
-die Summe der toten und der lebendigen Kräfte, konstant
-bleibt. Das ist das berühmte Prinzip der »Erhaltung der Kraft«
-beinah in demselben Sinne, in dem es fast zwei Jahrhunderte
-später von Robert Mayer formuliert wurde. Es ist durch
-eine merkwürdige Konfusion der <em class="antiqua">Vis viva</em> mit der <em class="antiqua">Vis activa</em>
-in dem System der Leibnizschen Kraftbegriffe als eine Vorausnahme
-und zugleich unberechtigte Verallgemeinerung
-des unter gewissen Voraussetzungen geltenden mechanischen
-Prinzips der »Erhaltung der lebendigen Kräfte« gedeutet
-worden. Das ist falsch, wie ein Blick auf das obige Schema
-ohne weiteres zeigt. Leibniz ist bereits im vollen Besitz des
-Erhaltungsprinzips, wie es die heutige Physik voraussetzt,
-wenn er auch selbstverständlich nach dem damaligen Zustand
-der Wissenschaft von den sogenannten Transformationen
-der Naturkräfte nichts wissen konnte, die erst durch die Nachweisung
-der Äquivalenz der Naturkräfte seine umfassendere
-empirische Bestätigung und Anwendung möglich gemacht
-haben. Jenes Mißverständnis ist aber hauptsächlich dadurch
-entstanden, daß der Folgezeit bis zu seiner Wiederentdeckung<span class="pagenum"><a id="Page_45">[45]</a></span>
-an der Hand des Äquivalenzgesetzes der Sinn des Streites,
-den Leibniz mit den Cartesianern kämpfte, verlorengegangen
-war. Man stritt im ganzen 18. Jahrhundert nicht mehr um
-die Frage der Konstanz der Naturkräfte, sondern um die
-andere, ob diese nach Cartesius durch die Quantität der Bewegung
-<em class="antiqua">m&nbsp;.&nbsp;v</em> oder nach Leibniz durch die lebendige Kraft
-<em class="antiqua">m&nbsp;.&nbsp;v²</em> zu messen seien. So kam es, daß im allgemeinen die
-Mathematiker es schließlich, der Autorität d'Alemberts folgend,
-für gleichgültig erklärten, welchen der beiden Ausdrücke
-man wähle, da diese Wahl nur davon abhänge, ob man unter
-den Gleichungen für die Bewegung schwerer Körper diejenige
-bevorzuge, die die Zeit der Bewegung, oder diejenige,
-die den zurückgelegten Weg enthalte. Auf die Physiker dagegen
-machte im allgemeinen der von Leibniz erbrachte
-Nachweis der Übereinstimmung seines Prinzips mit den Galileischen
-Fallgesetzen den größeren Eindruck. Da in diesem
-Beispiel das allgemeine Prinzip der Erhaltung der Kraft
-mit dem beschränkteren der »Erhaltung der lebendigen Kräfte«
-zusammenfiel, so befestigte sich aber dadurch um so mehr
-die Meinung, <em class="antiqua">Vis viva</em> und <em class="antiqua">Vis activa</em> bedeuteten eins und
-dasselbe. So ereignete es sich, daß die »lebendige Kraft« ein
-dauernder Besitz der Physik blieb, die »tote Kraft« dagegen
-geriet in Vergessenheit, bis sie unter verschiedenen andern
-Namen, wie »potentielle Energie«, »Spannkraft«, »Energie
-der Lage« durch die neuere Energetik wieder erweckt wurde.
-Unter diesen neuen Ausdrücken ist besonders die »potentielle
-Energie« bemerkenswert. Das Wort hängt mit dem Bestreben
-zusammen, das gute deutsche Wort Kraft wegen
-der mancherlei außerhalb der exakten Mechanik und Physik
-liegenden Bedeutungen, in denen es gelegentlich gebraucht
-wird, wie Lebenskraft, Denkkraft, ganz aus der Wissenschaft
-auszumerzen und durch ein anderes, in dieser Beziehung
-unverfänglicheres zu ersetzen. Damit hat die Geschichte dieses<span class="pagenum"><a id="Page_46">[46]</a></span>
-Begriffs einen merkwürdigen Kreislauf zurückgelegt. Leibniz
-hatte den alten Kraftbegriff nach dem Vorbild der Aristotelischen
-»Energeia« umgeformt, indem er als sein wesentliches
-Merkmal die Tätigkeit, oder, wie wir es modern ausdrücken
-können, die Leistung, für die mechanischen Kräfte
-also, da auch nach Leibniz alle Naturkräfte mechanische Kräfte
-sind, die <em class="gesperrt">Arbeitsleistung</em>, betrachtete. Demgegenüber
-war natürlich die Aristotelische Energeia weit vieldeutiger
-gewesen, wie es denn noch heute das Wort Energie in der
-Mannigfaltigkeit seiner Bedeutungen mindestens mit der
-Kraft aufnehmen kann. Es dürfte also fraglich sein, ob der
-Begriff bei diesem Rückgang von Leibniz zu Aristoteles etwas
-gewonnen hat, vollends wenn man ihn außerdem in der
-Gegenüberstellung der potentiellen und aktuellen Energie
-den Umweg über die aristotelische Scholastik nehmen läßt,
-in der er mehr als bei Aristoteles selbst zur formelhaften
-Begriffsschablone geworden war. Demgegenüber sind
-die Ausdrücke tote und lebendige Kraft freilich nur veranschaulichende
-Metaphern, nicht abstrakte Begriffe wie <em class="antiqua">Potentia</em>
-und <em class="antiqua">Actus</em>, aber sie besitzen eben deshalb den Vorzug,
-nur eine Veranschaulichung der Begriffe, nicht, wie die
-Ausdrücke Spannkraft, Lageenergie, Veranschaulichungen und
-Beispiele zugleich zu sein.</p>
-
-<p>Immerhin ist der Rückgang der modernen Physik auf
-die alte Aristotelische Begriffsgliederung in doppelter Beziehung
-bedeutsam. Auf der einen Seite zeigt er, daß jene
-Neigung zu dualer Gliederung, mögen die Begriffe nun
-aus der Erfahrung abstrahiert oder logisch postuliert oder,
-wie gewöhnlich, aus einem Zusammenwirken apriorischer und
-empirischer Motive hervorgegangen sein, keineswegs mit
-der Scholastik verschwunden ist, auch in solchen Fällen, wo
-man nicht, wie bei Leibniz, an eine direkte Nachwirkung
-denken wird. Mag es auch sein, daß das scholastische Begriffspaar<span class="pagenum"><a id="Page_47">[47]</a></span>
-<em class="antiqua">Potentia</em> und <em class="antiqua">Actus</em> durch schwache Fäden unbestimmter
-Erinnerung noch in die heutige Naturwissenschaft herabreicht;
-ein starker Antrieb, der in den Dingen selbst liegt, mußte
-doch hinzukommen, wenn solche längst für begraben gehaltene
-logischen Produkte wieder lebendig werden sollten. Denn
-logische Produkte, wenn nicht Artefakte, sind ja alle derartige
-nach dem Prinzip des dualen Gegensatzes ausgeführte
-Begriffsgliederungen. Daß sie in der Natur selbst existieren, ist
-jedenfalls im höchsten Grad unwahrscheinlich, denn, wo
-immer die Analyse der Erscheinungen in die Tiefe zu dringen
-vermag, da pflegen zahlreiche Vermittlungen von dem einen
-Glied des Gegensatzes zum andern zu führen, wie dies für
-die ethischen Gegensätze Aristoteles selbst bereits bemerkt
-hat. Aber als ein treffliches Hilfsmittel vorläufiger Ordnung
-der Erscheinungen bewährt sich tatsächlich jene Scheidung
-überall. Es ist eben der erste Schritt zur Ausführung einer
-begrifflichen Ordnung, wie er freilich auch niemals der letzte
-bleiben darf. Indem die aristotelische Scholastik dieses Prinzip
-zwar in einseitiger und schließlich zu einem äußeren
-Schematismus erstarrender Weise durchgeführt hat, bezeichnet
-sie daher nicht, wie noch jetzt, im Zeitalter historischer
-Würdigung der Zeiten und Zustände, von manchen
-geglaubt wird, eine Verirrung der Wissenschaft, die höchstens
-durch ihre Dauer bemerkenswert sei, sondern, geschichtlich
-betrachtet, ganz wie unsere eigene Zeit, eine in der vorangegangenen
-Entwicklung begründete und auf die folgende
-zum Teil bis zum heutigen Tage nachwirkende Stufe der
-Geistesgeschichte. Für Leibniz aber, der selbst noch aus der
-Schule der Scholastik hervorging, war sie mehr: sie bedeutete
-ihm eine der in seiner eigenen Zeit einander
-gegenüberstehenden Richtungen, aus der, wie aus allen
-andern, das Gute und Brauchbare zu übernehmen und das
-Irrige auszuscheiden sei.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_48">[48]</a></span></p>
-
-<p>Wie die von der Scholastik in übertriebenem Maße geübte
-Distinktion der Begriffe unter geeigneten Umständen
-die empirische Analyse der Erscheinungen fördern kann,
-dafür bietet nun gerade die Geschichte des Erhaltungsprinzips
-einen sprechenden Beleg. Wenn Leibniz wiederholt
-hervorhebt, daß seine Formulierung desselben durch die
-Galileischen Fallgesetze bestätigt werde, während die Cartesianische
-diesen widerstreite, so würde es zunächst irrig sein,
-wollte man daraus entnehmen, sein Prinzip sei aus diesen
-Gesetzen selbst abstrahiert worden. Sie waren ihm vielmehr
-nur eine willkommene Bestätigung eines auf weit zurückgehende
-Überlegungen gegründeten Schlusses. In der Tat
-war Descartes selbst nicht einmal der erste, der die Idee
-der Konstanz der bewegenden Kräfte in die Naturbetrachtung
-einführte, sondern auch sie hatte sich bereits in der
-Scholastik und noch weiter zurück in dem Aristotelischen
-»Automaton« vorbereitet. Und anknüpfend an diesen Begriff
-eines ersten Bewegers und an den der Unveränderlichkeit
-der Himmelsbewegungen war schon in der scholastischen
-Theologie der Gedanke aufgetaucht, die Schöpfung
-sei nicht bloß einmal entstanden, sondern sie wiederhole sich
-fortwährend in der Unveränderlichkeit des Wirkens der
-Gottheit in der Natur. Hier trat nun Descartes in dem Bestreben,
-alle Erscheinungen aus mechanischen Ursachen abzuleiten,
-dieser Anschauung entgegen, um sich auf die Seite
-derer zu stellen, die die Schöpfung als einen <em class="gesperrt">einmaligen</em>
-Akt betrachteten. Gott hat nach ihm im Anfang der Dinge
-allen Teilen der Materie die Bewegung mitgeteilt, die sich
-nun unverändert in ihr erhält. So war, indem er die Immanenz
-Gottes in der Natur wieder in seine Transzendenz umwandelte,
-und den Gedanken der Unveränderlichkeit nun
-von Gott auf die Natur selbst übertrug, sein Prinzip der
-Konstanz der Quantität der Bewegung entstanden. Den<span class="pagenum"><a id="Page_49">[49]</a></span>
-allgemeinen Gedanken nahm Leibniz auf, aber er erkannte,
-daß er in der ihm von Descartes gegebenen Form unhaltbar
-sei, weil dieser die Hemmungen übersehen hatte, die die
-materiellen Teile durch ihre Wechselwirkung erfahren müßten.
-So half er sich denn mit einer jener scholastischen Unterscheidungen,
-die sich ihm sonst schon fruchtbar erwiesen hatten:
-er stellte den aktuellen die potentiellen Wirkungen gegenüber.
-Diese Auskunft nötigte ihn aber zu einem weiteren
-Schritt: auch der Anfang der Bewegung mußte in die Natur
-selbst verlegt werden, wenn jenes Streben nach Bewegung,
-das in den im Gleichgewicht miteinander stehenden materiellen
-Teilen erhalten blieb, möglich sein sollte. Dazu half
-ihm sein universeller Kraftbegriff mit seiner Scheidung in
-tote und lebendige Kräfte, wodurch sich von selbst das Cartesianische
-Prinzip der Erhaltung der Quantität der Bewegung
-in das neue der Erhaltung der Summe der toten und der
-lebendigen Kräfte verwandelte. Damit schloß aber dieses zugleich
-ein Prinzip der <em class="gesperrt">Selbsterhaltung der Natur</em> in
-sich, machte also jene erste Mitteilung aller Bewegung
-durch die Gottheit überflüssig. Hat auch Leibniz selbst
-diese Folgerung nicht ausdrücklich gezogen, so hat er doch
-in ihrem Sinne prinzipiell die Aufgabe der mechanischen
-Naturphilosophie folgerichtig zum erstenmal gelöst. So
-ist, wie man wohl sagen darf, das Prinzip der Erhaltung
-der Kraft an sich rein aus logischen Überlegungen hervorgegangen,
-ganz so wie Galilei sein Trägheitsprinzip ursprünglich
-lediglich auf solche gegründet hatte, um es dann
-erst durch seine Fallversuche zu bestätigen. Und ähnlich hat
-nun Leibniz sein Erhaltungsprinzip, nachdem er es durch
-Spekulation gefunden, durch den Nachweis der Übereinstimmung
-mit den Galileischen Gesetzen empirisch bestätigt.</p>
-
-<p>Noch blieb aber in der Ableitung des Prinzips eine Lücke,
-die die Einheit der Weltbetrachtung beeinträchtigte, und die<span class="pagenum"><a id="Page_50">[50]</a></span>
-bemerkenswerterweise zum Teil noch jetzt besteht, so daß
-die duale Begriffsgliederung nach dem Vorbild der Scholastik
-in der Wissenschaft noch heute fortlebt. Gleichwohl erkannte
-schon Leibniz in der späteren Periode seines Lebens,
-daß jene Unterscheidung toter und lebendiger Kräfte eigentlich
-nur einen provisorischen Wert besitze, da sie auf die
-Frage, wie tote in lebendige Kraft übergehen könne, natürlich
-keine Antwort gibt. Doch auch darüber, in welcher Richtung
-die künftige Lösung dieses Problems liegen müsse,
-hat er keinen Zweifel gelassen. Sie erscheint ihm vorgezeichnet
-durch das Prinzip der Kontinuität, dessen strenge Anwendung
-auf alle Gebiete der Erkenntnis ihm im Gefolge
-seiner mathematischen Studien als ein unerläßliches Postulat
-erschien. In diesem Sinne ist die Ruhe nicht ein Gegensatz
-zur Bewegung, sondern eine unendlich kleine Bewegung.
-Nicht um einen Wechsel absolut verschiedener Zustände kann
-es sich also handeln, sondern immer nur um Transformationen
-der Bewegung, wobei er sich die toten Kräfte als Formen
-einander wechselseitig aufhebender Molekularbewegungen zu
-denken scheint, wenn er sie gelegentlich »unsichtbare Bewegungen«
-nennt. Indem aber außerdem der Kraftbegriff
-selbst jene universelle Bedeutung gewinnt, vermöge deren
-die Materie überhaupt nur eine Erscheinungsweise der Kraft
-ist, greift derselbe Gesichtspunkt auf die sogenannten passiven
-Kräfte des obigen Schemas über. Auch die Undurchdringlichkeit
-und die Trägheit sind nicht ruhende Eigenschaften
-der Körper, sondern Resultanten innerer Bewegungen, wie
-der Widerstand beweist, den sie äußeren bewegenden Kräften
-entgegensetzen. Dies sind Gedanken, die in der Tat neuere
-physikalische Spekulationen in gewissem Sinne vorausnehmen,
-in denen versucht wird, diese von Leibniz sogenannten
-passiven Kräfte nicht als ursprüngliche und darum nicht
-weiter zu erklärende Eigenschaften der Materie aufzufassen,<span class="pagenum"><a id="Page_51">[51]</a></span>
-sondern sie aus den allgemeinen Bewegungsgleichungen
-materieller Systeme abzuleiten.</p>
-
-<p>In der späteren Entwicklung der Leibnizschen Naturphilosophie
-ist zu diesen Studien über die Grundbegriffe
-der Dynamik noch ein anderes, davon scheinbar weit abliegendes
-Problem hinzugetreten, das in der zweiten Hälfte
-des Jahrhunderts mehr und mehr die allgemeine Aufmerksamkeit
-gefesselt hatte, das aber den Hilfsmitteln der mechanischen
-Naturerklärung völlig unzulänglich zu sein schien:
-das <em class="gesperrt">biologische</em> der Entwicklung lebender Wesen. Wenn
-sich hier noch auf lange hinaus die Physiologie mit der Annahme
-einer zu den mechanischen Naturkräften hinzukommenden
-spezifischen Lebenskraft begnügte, als deren Teilkräfte
-nach dem Vorbild der Aristotelischen Vermögensbegriffe
-die einzelnen Lebensäußerungen betrachtet wurden,
-so ließ Leibniz zwar diese Lebenskräfte als höhere Formen
-der allgemeinen Naturkräfte gelten; dennoch hielt er die
-verbreitete Auffassung, die sie in einen Gegensatz zu den
-mechanischen Kräften brachte, für ausgeschlossen. Widersprach
-sie doch von vornherein dem Gesetz der Kontinuität.
-Hatte Aristoteles schon in der Reihe Pflanze, Tier, Mensch
-eine aufsteigende Entwicklung erblickt, so ergänzte daher Leibniz
-diese nach unten, indem er als deren letzte Glieder die in den
-leblosen Körpern wirkenden mechanischen Kräfte voraussetzte,
-in denen jene höheren potentiell bereits vorgebildet
-seien: und auch hier bot ihm Aristoteles in seiner Gliederung
-des Formbegriffs um so mehr einen Anhalt, als der Kraftbegriff
-ja selbst eigentlich eine Fortbildung dieses Aristotelischen
-Formbegriffs war. Gerade in diesem Punkt hatte die Scholastik
-die Grundbegriffe der Aristotelischen Metaphysik mehr
-verdunkelt als weitergebildet, indem sie beide zu der »<em class="antiqua">Forma
-substantialis</em>« vereinigte, aus der sich dann der Substanzbegriff
-der modernen Metaphysik entwickelt hat. Demgegenüber<span class="pagenum"><a id="Page_52">[52]</a></span>
-ging Leibniz auch hier auf Aristoteles selbst zurück, der in
-den beiden Begriffen der Energeia und der Entelecheia, von
-denen der erste ihm zugleich als der allgemeinere, den zweiten
-einschließende, dieser aber als die höhere Form galt, dem
-Gedanken der Einheit der Naturkräfte und ihrer Wertabstufung
-vorgearbeitet hatte. Auch für Leibniz sind danach
-die allgemeinen Naturkräfte Energien, diejenigen Kräfte
-dagegen, die ihren Ausdruck in den Lebenserscheinungen
-finden, Entelechien. Zugleich aber sieht er sich durch eben
-jenes Prinzip der Kontinuität, nach welchem er die Lebenskräfte
-der Reihe der allgemeinen Naturkräfte einordnet,
-genötigt, den in dem Begriff der Entelechie liegenden Zweckgedanken
-wieder nach rückwärts auf das Gebiet der allgemeinen
-Energien auszudehnen. So sind ihm die Naturkräfte
-auf ihren höheren Stufen in der organischen Welt
-aktuell zwecktätige, in den allgemeinen Naturerscheinungen
-latent zwecktätige. Hieraus entspringt für ihn aber das
-Motiv, den so geforderten Charakter der Zweckmäßigkeit,
-der sich bei den Lebenskräften den Wirkungen entnehmen
-läßt, hier, in der toten Natur, in die Ursachen, d. h. in die
-<em class="gesperrt">Gesetze</em> zu verlegen, durch die die Erscheinungen bestimmt
-sind. Dazu bietet dann wieder die scholastische Gliederung
-des Begriffs der Ursache in die <em class="antiqua">Causa efficiens</em> und in die
-<em class="antiqua">Causa finalis</em> einen willkommenen Anhalt. Die Naturkräfte
-sind allgemein <em class="antiqua">Causae efficientes</em>, diese aber gewinnen
-auf ihren höchsten Stufen zugleich den Charakter von <em class="antiqua">Causae
-finales</em>. Leibniz mag sich diese letzteren als komplexe Resultanten
-gedacht haben, &ndash; ausgesprochen hat er sich hierüber
-nicht. Um so mehr betont er, daß allen Naturerscheinungen
-der Zweck insofern immanent sei, als die Prinzipien der
-Naturerklärung sämtlich den Zweckbegriff in sich schließen.
-Er beschränkt diese Prinzipien auf <em class="gesperrt">drei</em> von universeller und
-von axiomatischer Bedeutung, weil sie aus andern nicht abgeleitet<span class="pagenum"><a id="Page_53">[53]</a></span>
-werden können: das der Kontinuität, der Erhaltung
-der Kraft, der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung.
-Es ist die Dreizahl der »<em class="antiqua">Leges naturae</em>«, die in
-verschiedener Form bei den Naturphilosophen des 17. Jahrhunderts,
-bei Descartes, Leibniz, Newton, wiederkehrt. Bei
-Leibniz sind die beiden ersten Gesetze von überwiegender
-Bedeutung: das Kontinuitätsprinzip ist eines der fruchtbarsten
-Denkmittel seiner gesamten Philosophie, das Erhaltungsprinzip
-beherrscht seine Naturphilosophie. Den
-Zweckgedanken tragen aber diese Prinzipien in sich selbst:
-das gilt in der Tat für das Leibnizsche Kraftprinzip so gut
-wie noch für das wesentlich mit ihm identische moderne
-Energieprinzip. Rein empirisch betrachtet ist es eine Hypothese,
-deren Geltung darauf beruht, daß, soweit unsere Erfahrung
-reicht, diese mit ihm übereinstimmt. Logisch betrachtet,
-ist es aber ein teleologisches Prinzip, da der Begriff
-des Beharrens eine Regel angibt, nach der künftige Zustände
-mit den gegenwärtigen und vorangegangenen verbunden
-sind.</p>
-
-<p>Für Leibniz liefert diese doppelte Erscheinungsform der
-Teleologie den Beweis für die Oberherrschaft, die dem Begriff
-des Zwecks überhaupt in den allgemeinsten Naturgesetzen
-und in den höchsten Erzeugnissen der Naturkausalität
-zukommt. Denn in dieser Übereinstimmung des ersten
-und des letzten Gliedes der Reihe der Entwicklungen liegt
-nach ihm ein Zwang, der uns nötigt, auch alle zwischenliegenden
-Glieder dem Zweckgedanken unterzuordnen. Darum,
-wenn er seine Übereinstimmung mit Aristoteles betont, so
-ist es vorzugsweise der Begriff der Entelechie, auf den er hinweist.
-Hierin liegt aber eine doppelte Übereinstimmung:
-die eine besteht in der Auffassung der Natur als einer <em class="gesperrt">aufsteigenden
-Stufenfolge</em>, die andere in der <em class="gesperrt">Einheit
-der physischen und der geistigen Welt</em>, wobei auf den<span class="pagenum"><a id="Page_54">[54]</a></span>
-niederen Stufen dieser Einheit vornehmlich die physische,
-auf den höheren Stufen die geistige Seite in die Erscheinung
-tritt. In beiden Momenten offenbart sich zugleich der tiefe
-Gegensatz gegen Descartes, der sich schon in den dynamischen
-Arbeiten vorbereitet hatte. Die Cartesianische Philosophie
-ist entwicklungslos, eine tiefe Kluft trennt den Menschen
-von der nur dem allgemeinen Mechanismus der Natur
-unterworfenen Tierwelt; sie ist dualistisch, die menschliche
-Seele ist nur äußerlich und vorübergehend mit dem Körper
-verbunden. Für Leibniz sind körperliches und geistiges Sein
-im letzten Grund eins und dasselbe, sie sind Äußerungen
-einer allbeherrschenden Kraft, die von Anfang an zwecktätige
-Kraft ist und als solche sich ebenso in den Gesetzen der
-Natur wie in denen des menschlichen Denkens offenbart.
-Damit erneuert er den Aristotelischen Begriff der Seele
-als der Lebenskraft, zu dem schon, freilich in mannigfach
-unter dem Einfluß des religiösen Dogmas veränderter Form,
-die Scholastik zurückgekehrt war.</p>
-
-<p>Wenn nun aber Leibniz überall bemüht war, die rein
-philosophische Begründung seiner Anschauungen mit einer
-religiösen Betrachtung der Dinge in Einklang zu bringen,
-so konnte er sich kaum verhehlen, daß in diesem Punkte der
-moderne Seelenbegriff Descartes' anscheinend dem religiösen
-Bedürfnisse besser gerecht werde als das Aristotelische
-Lebensprinzip. Da geschah eine Entdeckung, die die
-damalige wissenschaftliche Welt in die größte Aufregung
-versetzte, weil sie hier plötzlich eine neue Situation zu schaffen
-schien: es war die Entdeckung der sogenannten Spermatozoen
-durch den Holländer Leuwenhoek. Sie überraschte
-um so mehr, als kurz zuvor William Harvey durch seine
-sorgfältigen Beobachtungen über die Entwicklung des Hühnchens
-im Ei die ohnehin nächstliegende Annahme, daß das
-Ei der Träger der Entwicklungsvorgänge sei, vollauf zu bestätigen<span class="pagenum"><a id="Page_55">[55]</a></span>
-schien und daher zu dieser als selbstverständlich bereits
-geltenden Ansicht bloß die allerdings wichtige Ergänzung
-hinzufügte, daß organische Wesen überhaupt nur aus einem
-vorhandenen Ei hervorgehen könnten, nach dem Satze:
-»<em class="antiqua">Omne vivum ex ovo!</em>« Dem stellte nun Leuwenhoek auf
-Grund seiner Entdeckung der Spermatozoen, in denen er,
-wie die meisten seiner Zeitgenossen, wegen ihrer Bewegung
-kleinste lebende Tiere sah, den andern Satz gegenüber:
-»<em class="antiqua">Omne vivum ex animalculo!</em>« So entstand der berühmte
-Streit der Ovulisten und der Animalkulisten. Für Leibniz
-war aber dieser Streit mehr als eine bloß biologische Frage.
-Die Entdeckung der Spermatozoen bedeutete für ihn die
-Errettung aus einer schweren philosophischen Verlegenheit.
-In jenen schien ihm die Einheit von Seele und Körper augenfällig
-erwiesen zu sein. Aber es schien ihm auch, wie manchen
-andern, im höchsten Grade wahrscheinlich, daß damit das
-Problem der organischen Entwicklung überhaupt gelöst sei.
-Lag es doch nahe, anzunehmen, in dem Animalkulum sei
-das künftige Tier oder der künftige Mensch nicht bloß präformiert
-wie im Ei das individuelle künftige Hühnchen,
-sondern jenes sei das Tier selbst in einem noch unausgewachsenen
-Zustande. Damit konnte die Frage nach dem Ursprung
-des Lebens für gelöst gelten: das Leben, so lautete die Antwort,
-ist überhaupt nicht entstanden, sondern es bewegt sich
-für jedes Individuum nur zwischen den Stadien der Involution
-und Evolution, und die Entwicklungsgeschichte des
-individuellen Wesens ist nicht ein einmaliger, sondern ein
-periodischer, ins Unendliche sich wiederholender Vorgang.
-Wichtiger aber noch war eine weitere Folgerung, die dieser
-Anschauung ihre Anhänger schaffte. Der Cartesianischen
-Lehre von der bloß äußeren Verbindung von Seele und
-Körper, die der ersteren ihre Fortdauer nach dem Tode des
-Körpers sichere, hatte ihre Übereinstimmung mit dem religiösen<span class="pagenum"><a id="Page_56">[56]</a></span>
-Unsterblichkeitsglauben nicht zum wenigsten ihren
-Erfolg verschafft. Begreiflich daher, daß Leibniz die Hilfe
-willkommen war, die sich ihm in der Theorie der Animalkulisten
-bot, um so willkommener, als ihr die empirische Beobachtung
-zur Seite stand. Die Cartesianische Seele konnte
-niemand sehen, sie war eine bloß metaphysische Annahme.
-Die Spermatozoen konnte man jedermann unter dem Mikroskop
-demonstrieren. So war es Leibniz, der schließlich dieser
-Lehre ihren entscheidenden philosophischen Ausdruck gab:
-»<em class="antiqua">Non solum animae sed animalia sunt immortalia!</em>« Der
-Unsterblichkeit war anscheinend ein empirisches Argument
-zur Seite getreten, das den religiösen Glauben selbst zu einer
-Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis erhob. Für uns, die wir
-wissen, daß die Spermatozoen keine Tiere, sondern bewegliche
-Formelemente sind, wie deren noch unzählig viele andere
-im Organismus vorkommen, ist natürlich die animalkulistische
-Evolutionshypothese und mit ihr womöglich noch
-mehr der Leibnizsche Satz von der Unsterblichkeit der Tiere
-längst hinfällig geworden. Dennoch wäre es verfehlt, anzunehmen,
-Leibniz würde, wenn er seinen Irrtum erkannt
-hätte, deshalb seinen Cartesianischen Gegnern das Feld geräumt
-haben. Seine Weltanschauung &ndash; und das Verhältnis
-von Geist und Körper gehörte zu den wesentlichsten Bestandteilen
-derselben &ndash; stand nicht auf den gebrechlichen
-Füßen der damaligen mikroskopischen Beobachtung. Es
-waren ganz andere Stützen, auf die er seine neue Auffassung
-vom Wesen der Materie gegründet hatte, dieselben, die ihm
-seine dynamischen Untersuchungen an die Hand gaben. Sie
-sind es zugleich, die mit seinem neuen Aufbau der Psychologie
-auf das engste zusammenhängen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_57">[57]</a></span></p>
-
-<h3 id="IIc"><em class="antiqua">c.</em> Die Aktualität der Seele.</h3>
-</div>
-
-<p>An zwei Stellen pflegt man sich über Leibniz' psychologische
-Anschauungen Rat zu holen: in seiner Monadologie
-und in seiner Erkenntnistheorie. In so nahen Beziehungen
-beide aber auch zu jenen stehen mögen, so wenig geben sie
-Aufschluß über den Ursprung seines psychologischen Denkens.
-Will man die Ausgangspunkte seiner mehr und mehr über
-alle Gebiete sich erstreckenden psychologischen Überzeugungen
-erkennen, so muß man vielmehr auf seine physikalischen
-Studien zurückgehen, aus denen sich ihm zuerst der Begriff
-der Kraft als ein an sich gleichzeitig die physische und
-die geistige Welt umfassender Grundbegriff ergab. Da
-hierauf schließlich vor allem sein für die ganze neuere Philosophie
-entscheidend gewordener Gegensatz zu Descartes beruht,
-so ist es erforderlich, sich die auf die antike Philosophie
-zurückreichenden Quellen dieses Zwiespalts zu vergegenwärtigen.
-Dies ist um so nötiger, als durch einen merkwürdigen
-Wandel der Begriffe der Gegensatz selbst eine
-völlig veränderte Bedeutung gewonnen hat. Der Cartesianische
-Seelenbegriff hat seinen Ausgangspunkt in der
-Platonischen Ideenlehre, mit der ja auch die Lehre von den
-»angeborenen Ideen« zusammenhängt. Bei Plato war
-die Seele ein zwischen der übersinnlichen Welt der Ideen
-als der Urbilder der Begriffe und der Sinnenwelt vermittelndes
-Wesen, das als solches zugleich an der Unvergänglichkeit
-der Ideen teilnahm. Unter dem Einfluß der christlichen
-Gottesidee verwandelten sich bei dem großen Platoniker
-unter den Kirchenlehrern, dem heil. Augustinus,
-die Ideen in Schöpfungsgedanken Gottes, zu denen nun
-auch die menschliche Seele selbst gehörte. Alle Dinge hat
-Gott, ehe er sie schuf, vorausgedacht, unter ihnen ist aber die<span class="pagenum"><a id="Page_58">[58]</a></span>
-Seele dasjenige Wesen, das allein befähigt ist, sie nachzudenken:
-»Gott denkt die Dinge, ehe sie sind, unsere Seele
-denkt sie, nachdem sie sind.« Demnach ist die Seele ein denkendes
-Wesen und als solches befähigt, auch die Gottheit und
-die Dinge der Außenwelt zu erkennen. Das ist die Quelle
-der drei Substanzen der Cartesianischen Philosophie: Seele,
-Welt, Gott. Mit ihnen hat sich der Platonische Idealismus
-in einen dualistischen Realismus umgewandelt, zu dem als
-transzendente Ergänzung der Gottesbegriff hinzutritt. Für
-Leibniz ist auch hier Aristoteles der führende Philosoph.
-Dem neuen von Descartes unter der Leitung der neuen
-kirchlichen Philosophie aufgestellten Begriff der Seele als der
-denkenden Substanz gegenüber geht er auf den aristotelisch-scholastischen
-Begriff der Seele zurück: sie ist ihm das Prinzip
-des Lebens überhaupt und die Anlage zu ihren Fähigkeiten
-ruhen daher bereits in der allgemeinen Materie.
-Darum sagt er schon in seiner <em class="antiqua">Hypothesis physica nova</em>:
-»Die Körper sind momentane Geister.« So haben sich anscheinend
-die Begriffe völlig umgekehrt: Descartes ist, vom
-Platonischen Idealismus ausgehend, zum Realisten, Leibniz,
-vom Aristotelischen Realismus ausgehend, zum Idealisten
-geworden. Freilich hat sich damit zugleich der Charakter
-des Idealismus selbst gewandelt: der moderne Idealismus
-ist nicht mehr der antike. Den ersten Versuch, diesen modernen
-Idealismus wissenschaftlich zu begründen, hat aber ohne
-Frage Leibniz gemacht. Doch es ist nicht die Monadologie,
-diese abschließende Darstellung seiner Metaphysik, und nicht
-die Erkenntnislehre der Essays über den Verstand, in denen
-wir Aufschluß über die Leibnizsche Psychologie suchen müssen,
-sondern seine Naturphilosophie. Denn, wie bei Aristoteles
-die Untersuchung über die Seele als »Entelechie des lebenden
-Körpers« der Physik als ihr letzter Teil sich anschließt, so
-führt bei Leibniz die Untersuchung über die Grundlagen<span class="pagenum"><a id="Page_59">[59]</a></span>
-der Physik unmittelbar zu dem Postulat einer idealistischen
-Naturauffassung und damit zu einer neuen Grundlegung
-der Psychologie.</p>
-
-<p>Das für diese Psychologie und den auf sie gegründeten
-Idealismus vor allen andern bedeutsame Werk ist
-nun jene »<em class="antiqua">Hypothesis physica nova</em>« mit einigen sie vorbereitenden
-kleineren Aufsätzen. Sie ist sein abschließendes
-Jugendwerk. In wesentlichen Punkten steht es noch auf dem
-Standpunkt der Cartesianischen Naturphilosophie, aber in
-dem, worin es von ihr abweicht, in dem Begriff der Materie,
-enthält es vieles, was bereits Gedanken der späteren dynamischen
-Schriften vorausnimmt, und in der Rolle, die in
-diesen Ausführungen der Begriff des unendlich Kleinen
-spielt, klingt leise schon die Infinitesimalrechnung an, obgleich
-die Probleme, die ihm in den folgenden Jahren seines
-Pariser Aufenthalts zu dieser geführt haben, ihm damals
-noch fern lagen. Die Unmöglichkeit, die Materie als Ausdehnung
-im Raum zu definieren, sucht er hier daraus zu
-beweisen, daß jedes noch so kleine Teilchen derselben in andere
-noch kleinere teilbar gedacht werden könne, so daß schließlich
-nichts übrig bleibe. Die Ausdehnung selbst setze daher eine
-Bewegung voraus, die sich in einer unendlich kleinen Zeit
-bereits über mehrere Teilchen erstrecke, so daß diese Bewegung
-nicht als ein räumlicher Vorgang, sondern nur
-als ein Streben nach Bewegung, als »<em class="antiqua">Conatus</em>«, gedeutet
-werden könne. Aus diesem Streben erkläre sich einerseits
-die Widerstandskraft, anderseits die Kohäsion der Teilchen
-der Materie. So entwickelt hier schon Leibniz eine Hypothese,
-die die geläufigen korpuskularen und atomistischen
-Vorstellungen zurückweist, um an ihre Stelle ein Kontinuum
-bewegender Kräfte zu setzen, das die selbständige Existenz
-einer diese Kräfte tragenden ausgedehnten Substanz ausschließt.
-Es erinnert, von der physikalischen Seite betrachtet,<span class="pagenum"><a id="Page_60">[60]</a></span>
-einigermaßen an die Faradayschen »Kraftfelder«. Wichtiger
-aber ist die weitere Folgerung, daß die Ausdehnung
-eine <em class="gesperrt">Erscheinung</em> der Materie, nicht die Materie selbst
-sei, die vielmehr als ein bloßes Streben nach Bewegung,
-demnach eigentlich als ein immaterielles Sein gedacht werden
-müsse. Das eben drückt jener Satz aus: »Die Körper sind
-momentane Geister!« Sie würden &ndash; so können wir wohl
-diesen Satz interpretieren &ndash; Geister im vollen Sinne des
-Wortes sein, wenn die strebenden Kräfte, aus denen sie bestehen,
-ein Gedächtnis in sich trügen, das Vorangehendes
-und Folgendes verbände. Diese Eigenschaft unseres eigenen
-Geistes fehlt den leblosen Körpern. Aber da das Gedächtnis
-eine besondere, weitere Bedingungen voraussetzende Eigenschaft
-ist, so sind wir berechtigt, die Körper überhaupt als
-geistige Wesen, freilich, sofern ihnen die Eigenschaft abgeht,
-Vorangegangenes mit Zukünftigem zu verknüpfen, nur als
-momentane Geister aufzufassen, womit zugleich die Möglichkeit
-gegeben ist, die höheren geistigen Vorgänge aus ihnen
-entstanden zu denken.</p>
-
-<p>Diese Auffassung, die bereits deutlich auf das universelle
-Prinzip der Kontinuität alles Geschehens hinweist, schließt
-jedoch noch eine andere Folgerung ein. Descartes' Psychologie
-leitet aus dem Denken die Gesamtheit der geistigen
-Vorgänge ab. Sie ist nach dem vorangestellten Begriff der
-Seele durch und durch intellektualistisch. Auch die Leidenschaften
-der Seele beruhen, ebenso wie die Hilfsmittel zu
-ihrer Überwindung, im letzten Grunde halb auf logischen
-halb auf physischen Vorgängen. Leibniz überträgt hier,
-treu den Aristotelischen Begriffen von der Energie und Entelechie
-in ihrer physisches und geistiges Leben umfassenden
-Bedeutung, unmittelbar die leitenden naturphilosophischen
-Gesichtspunkte auch auf das Seelenleben. Alles geistige
-Geschehen ist ihm immerwährende Tätigkeit, diese wird aber<span class="pagenum"><a id="Page_61">[61]</a></span>
-in der Wechselwirkung ihrer Faktoren zugleich zu einem
-Streben, das neben jener Tätigkeit den Gesamtverlauf der
-psychischen Vorgänge bestimmt. So ist es die <em class="gesperrt">Aktualität</em> des
-Seelenbegriffs, die sich bei ihm gegenüber der Cartesianischen
-Seelensubstanz durchsetzt. Damit tritt dem Doppelbegriff
-Tätigkeit und Leiden bei Descartes ein neuer, Tätigkeit
-und Streben, gegenüber, &ndash; ein Unterschied, der, so gering
-er auf den ersten Blick erscheinen mag, in Wahrheit einen
-völligen Wandel der Lebensanschauung in sich schließt. Tätigkeit
-und Leiden sind Wechselbegriffe, die beide auf die an sich
-der Außenwelt gegenüberstehende, von ihr spezifisch verschiedene,
-aber fortwährend ihren Einwirkungen unterworfene
-Seelensubstanz zurückführen. Tätigkeit und Streben
-sind psychische Begriffe, die den allgemeinen Naturbegriffen
-durchaus entsprechen, nur daß sie sich im Menschen zu klarem
-Bewußtsein erheben, während sie in der allgemeinen Natur
-noch latent bleiben und nur aus dem Zusammenhang der
-Naturvorgänge zu erschließen sind. In diesem Sinne finden
-sie in dem späteren, strenger durchgeführten Dualismus
-der naturphilosophischen Begriffe in der Unterscheidung
-der toten und der lebendigen Kräfte ihren Ausdruck. Sind
-doch die toten Kräfte nichts anderes als ein Streben nach
-Bewegung, das aber nun unter Zuhilfenahme des Prinzips
-der Konstanz der Naturkräfte mit der Tätigkeit selbst
-oder den lebendigen Kräften in einem gesetzmäßigen Zusammenhang
-steht. Von diesem Prinzip der Konstanz ist
-nun in der Leibnizschen Psychologie nicht die Rede: da
-widerstrebt ihm offenbar das Prinzip der Entelechie als
-der höheren bewußten Form der Naturkräfte, welches zugleich
-das Prinzip der Entwicklung der niederen zu den
-höheren, zwecktätigen Kräften in sich schließt. Hier durchkreuzt
-sich also sichtlich jenes allgemeine Naturgesetz, welches
-für die gesamte physische Welt und damit auch für die<span class="pagenum"><a id="Page_62">[62]</a></span>
-allgemeinen Naturgrundlagen des geistigen Lebens gilt,
-mit dem Prinzip der dieses Leben selbst beherrschenden
-schöpferischen Kausalität des geistigen Geschehens. Leibniz
-hat sich freilich über diesen scheinbaren Widerspruch seines
-psychologischen Entwicklungsgedankens mit seinen allgemeinen
-Naturgesetzen, ebenso wie über den Weg, der über
-diesen scheinbaren Widerspruch hinausführt, keine Rechenschaft
-gegeben.</p>
-
-<p>Dagegen ist es ein anderer Punkt, der ihn den Cartesianischen
-Intellektualismus vermeiden läßt, und in dem
-seine Auffassung des geistigen Lebens schließlich bestimmend
-geworden ist für die ganze moderne Psychologie. Es ist nicht
-das Denken, das ihm als ausschließliche Tätigkeit der Seele
-gilt, sondern, wie für ihn zwischen dem Seelenbegriff und dem
-Naturbegriff überhaupt keine strenge Grenze zu ziehen ist,
-so sind es, nur auf einer höheren Stufe, dieselben Grundkräfte,
-die die geistigen Vorgänge beherrschen, wie sie in
-den materiellen Erscheinungen vorgebildet sind. Unter jenen
-ist aber das Denken zwar eine eminent wichtige Äußerung,
-aber sie ist nicht mehr die einzige und sie ist vor allem nicht die
-grundlegende, sondern, wie ihr als ihre Vorstufen die lebendigen
-und toten Naturkräfte vorausgehen, so schließt sie
-jene einfacheren psychischen Vorgänge ein, die wir als bewußte
-Tätigkeit und als Streben unmittelbar in uns wahrnehmen.
-Das Bewußtsein, das uns zu dieser Selbstauffassung
-verhilft, ist aber hier wieder jene bewußte Kontinuität
-des psychischen Geschehens, die wir unter dem Begriff des
-Gedächtnisses zusammenfassen, während die leblosen Körper
-demgegenüber eben als »momentane Geister« betrachtet
-werden können. Indem Leibniz die Vorstellung als die Tätigkeit
-der Seele, das Begehren als ein Streben nach dieser Tätigkeit
-auffaßt, gilt ihm nicht, wie manchen Abirrungen der
-späteren Psychologie, die Vorstellung als eine Art subjektiven<span class="pagenum"><a id="Page_63">[63]</a></span>
-Spiegelbildes der wirklichen Dinge, sondern sie ist ihm, wie
-er wiederholt versichert, selbst immerwährende Tätigkeit,
-ebenso wie das Streben und Begehren, das von den gegebenen
-Vorstellungen fortwährend zu neuen hindrängt.
-Diese völlig veränderte Auffassung des geistigen Lebens
-ist aber in doppelter Weise epochemachend geworden für
-die kommende Psychologie. Auf der einen Seite ist aus ihr
-jener Gedanke eines Mechanismus des Vorstellungsverlaufs
-entstanden, der an sich gänzlich außerhalb des durch
-bestimmte logische Motive geleiteten Denkens liegt, und
-der von der Assoziationspsychologie an bis auf Herbart und
-seine Schule die Psychologie in weitem Umfang beherrscht
-hat. Auf der andern Seite enthält sie die Anfänge jenes
-»Voluntarismus«, der zu einer bald bewußt ausgebildeten,
-bald latent bleibenden Signatur der modernen Psychologie
-geworden ist. Denn indem alles Vorstellen mit bestimmten
-Gefühlen und in ihnen mit einem Streben nach einem Ziel
-der seelischen Tätigkeit verbunden ist, tritt uns bei Leibniz
-nunmehr bereits der Wille als der alle andern Seelentätigkeiten
-zusammenfassende Vorgang entgegen. Freilich hat
-er diesen sein psychologisches Denken überall beherrschenden
-voluntaristischen Gedanken nicht zu einem klaren Ausdruck
-gebracht, sondern, wie sein Aktualitätsprinzip von dem überlieferten
-Begriff der Substanz durchkreuzt wird, so hat er
-seinen Voluntarismus von der intellektualistischen Gedankenströmung
-der Zeit nicht völlig zu befreien vermocht. Wirkten
-doch hier der scholastische und der Cartesianische Intellektualismus
-zusammen, um ihn zum Teil in widersprechenden Gedanken
-festzuhalten, die in diesen neuen Zug seines Denkens
-als eiserner Bestand der Tradition mit eingehen. Bedenkt
-man diese entgegenwirkenden Motive, so ist es in der Tat
-erstaunlich genug, daß er, geleitet durch seine scharfe Beobachtungsgabe
-für die Zustände des Seelenlebens, trotzdem<span class="pagenum"><a id="Page_64">[64]</a></span>
-durch die bis zum heutigen Tage noch nicht überwundenen
-Irrungen einer Logik und Psychologie vermengenden
-Reflexion so wenig sich irre machen ließ. Im Verein mit
-dieser Abkehr von einem in die Wirklichkeit hinübergetragenen
-künstlichen Begriffssystem ist es ein anderer, noch bedeutsamerer
-Gegensatz, der hier Leibniz ebenso von den Cartesianern
-wie von Aristoteles und der Scholastik trennt. Descartes
-hatte das menschliche Seelenleben ganz, Aristoteles
-hatte es wenigstens in seinen höchsten Äußerungen dem der
-übrigen lebenden Wesen gegenübergestellt. Descartes hatte
-zwar eine Erklärung der physiologischen Funktionen aus den
-mechanischen Gesetzen gefordert, hinter den letzteren aber
-stand doch gerade in diesem Fall die schöpferische Macht
-Gottes, die jedem Naturwesen seine, eben in dem Mechanismus
-der Lebensvorgänge gesicherten Zwecke gesetzt habe.
-Für Aristoteles dagegen bestand zwischen der leblosen und
-der lebenden Natur eine Kluft, die das Prinzip der Entwicklung
-nur auf die letztere anwendbar machte, während sich
-ihm die übrigen Naturerscheinungen einer Anzahl verschiedener
-allgemeiner Ursachen unterordneten, die ein buntes Gemisch
-aus der oberflächlichen Erfahrung geschöpfter Begriffe
-gewesen waren, wie die des natürlichen Orts der Körper
-für die Fallerscheinungen, der gewaltsamen Bewegungen
-für den Wurf, endlich der zufälligen Bewegungen. Hier
-suchte nun Leibniz wiederum nach einer Vermittlung zwischen
-Descartes und der Scholastik. Mit dieser ist ihm die gesamte
-Natur bis herauf zum Menschen eine kontinuierliche
-Zweckreihe, die sich einem einzigen Prinzip unterordnet,
-das schließlich im menschlichen zwecktätigen Handeln seinen
-bewußten Ausdruck findet. In dieser universellen Kausalität
-der Erscheinungen wiederholt sich die allumfassende mechanische
-Gesetzmäßigkeit Descartes'. Nur fordert diese eine ihr entsprechende
-geistige Gesetzmäßigkeit, die sich über alle Naturreiche<span class="pagenum"><a id="Page_65">[65]</a></span>
-von ihren niederen bis zu ihren höchsten Formen erstreckt.
-Hier mag dann zugleich jener oft wiedergekehrte
-mystische Gedanke hereinspielen, der Leibniz in seiner scholastischen
-Jugendzeit nahegetreten war, und nach dem in
-seiner naturphilosophischen Umdeutung ein Jahrhundert vorher
-Giordano Bruno die Materie die »schwangere Mutter«
-der Formen genannt hatte, aus der die ganze Welt als eine
-einzige Stufenfolge von Wesen entsprungen sei. Es ist derselbe
-universelle Entwicklungsgedanke, von dem auch Leibniz
-erfüllt ist, aber er sucht ihn auf der Grundlage der neuen
-Dynamik und Biologie als das innere Wesen der Naturvorgänge
-überhaupt nachzuweisen. So entnimmt er das
-Prinzip der Universalität der Naturgesetze Descartes, aber
-es umfaßt ihm Natur und Geist zugleich; in dem Prinzip
-der »Entelechie« schließt er sich an Aristoteles an, aber er überträgt
-es von der lebenden Natur auf die gesamte geistige und
-physische Welt. Doch hieraus entspringt ihm eine neue
-Auffassung des geistigen Lebens und mit ihm der Natur.
-Beide, Natur und Geist, sind in Wahrheit eins und dasselbe:
-sie sind weder verschiedene Substanzen noch verschiedene
-Attribute einer Substanz, sondern sie sind einander ergänzende
-Standpunkte in der Auffassung der Welt. Unter ihnen
-ist an sich der nach innen gerichtete, der psychologische, der
-entscheidende. Denn er umfaßt den Inhalt der uns unmittelbar
-gegebenen Wirklichkeit, der damit ebenso für das
-geistige Leben, das außerhalb des Fokus unserer eigenen
-seelischen Erlebnisse liegt, wie für die äußere Natur, die sich
-in unserem Bewußtsein spiegelt, die Formen und Gesetze
-des Geschehens bestimmt. So führt ihn folgerichtig die
-psychologische Betrachtung vom Aristotelischen Realismus
-zu einem Idealismus, der dem objektiven Idealismus Platos
-eine neue Gestalt gibt. Den Cartesianischen Dualismus
-aber wandelt er in einen Monismus um, welchem die<span class="pagenum"><a id="Page_66">[66]</a></span>
-Natur selbst nichts anderes als der Geist in seiner Entwicklung
-ist.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<h3 id="IId"><em class="antiqua">d.</em> Die Einheit der Wissenschaften.</h3>
-</div>
-
-<p>Das Wort »Geisteswissenschaften« ist bekanntlich eine neue,
-nicht über das 19. Jahrhundert hinaufreichende Schöpfung
-der Gelehrtensprache. Leibniz kennt also das Wort nicht.
-Aber er verfügt über einen Begriff, der noch darüber hinausreicht:
-das ist die <em class="gesperrt">Einheit der Wissenschaften</em>. Er
-umfaßt nicht bloß die zu jener Zeit bereits konsolidierten
-Naturwissenschaften, sondern auch jene Gebiete, die wir
-heute Geisteswissenschaften nennen, und zu denen noch die
-abstrakten Disziplinen hinzukommen, die als allgemeine
-Grundlagen des Denkens dort wie hier die methodischen
-Hilfsmittel der Forschung darbieten: die Logik und die Mathematik.
-Beide gehören zusammen; denn die Mathematik
-ist nur eine erweiterte Logik, und insofern beide in übereinstimmender
-Weise in allen Wissenschaften vorkommen,
-vermitteln sie zugleich, abgesehen von den realen Beziehungen,
-in denen die Bestandteile unserer Erkenntnis durchgängig
-zueinander stehen, die Einheit der Wissenschaften.</p>
-
-<p>Leibniz hat diesen Gedanken, wie bereits oben bemerkt,
-vornehmlich für die Rechtswissenschaft in doppelter Beziehung
-durchgeführt: erstens ist sie nach ihm in hohem Grade logisch
-ausgebildet, darum der Mathematik nahe verwandt; und
-zweitens fordert er von dem Juristen eine gründliche Kenntnis
-der empirischen Wirklichkeit, wozu ihn das Studium
-der Naturwissenschaften vornehmlich anleiten soll. Denn
-gerade die Rechtswissenschaft und besonders ihre praktische
-Anwendung läßt nach ihm eine fremde Beihilfe in der Regel
-nicht zu. Hier muß schon in den Fällen des Zivil- und Kriminalrechts
-nicht selten der Einzelrichter auf Grund seiner Kenntnis
-der Gesetze nicht nur, sondern der sorgfältigen Erwägung<span class="pagenum"><a id="Page_67">[67]</a></span>
-der Tatsachen eine Entscheidung treffen. »<em class="antiqua">De casibus perplexis</em>«
-lautet schon das Thema der Abhandlung, über die
-er zur Erlangung der Doktorwürde in Altdorf disputierte,
-und es mag daher sein, daß ihm die Schwierigkeit der Beantwortung
-komplizierter juristischer Streitfragen die Vergleichung
-mit der Lösung mathematischer Probleme nicht
-minder wie den andern scheinbar paradoxen Ausspruch nahelegte:
-»Je spekulativer eine Wissenschaft ist, desto praktischer
-ist sie!« Ist doch die Wirklichkeit der Dinge durchweg verwickelter
-als unsere willkürliche Konstruktion, mögen die Dinge
-nun Rechtsfälle sein, wie die des Juristen, oder Naturerscheinungen,
-wie die des mathematischen Physikers. Was
-Leibniz juristischen Schriften noch ein besonderes Interesse
-verleiht, ist aber dies, daß sie augenfälliger als andere
-seiner Arbeiten von der Scholastik ausgehen, um dann später
-mehr und mehr aus ihrem Bannkreis herauszutreten. So
-ist bei der genannten Schrift über die perplexen Fälle schon
-die Wahl des Themas bezeichnend. Die Lust zu zwecklosem
-Disputieren, wie sie in der alten Hochschule heimisch war,
-die Neigung, dem Gegner Fallen zu stellen oder ihn <em class="antiqua">ad absurdum</em>
-zu führen, sie klingen deutlich in dieser Schrift an,
-deren Glanzleistung darin besteht, daß sie in dem berühmten
-Prozeß zwischen Protagoras und seinem Schüler Euathlos
-über das von dem letzteren zu zahlende Honorar eine neue
-Entscheidung zu geben sucht. Es ist derselbe Formalismus,
-der im wesentlichen in den andern juristischen Jugendschriften
-nach dem Vorbild der Literatur der Zeit wiederkehrt. Wo
-er sich gegen die seitherige Wissenschaft wendet, da ist es weniger
-die Scholastik als die Schule der »Ramisten«, die er wegen
-ihrer Häufung leerer Begriffsunterscheidungen und scholastischer
-Dichotomien bekämpft. Aber auch die Leibnizsche
-Schrift über die perplexen Fälle ist ein wahres Musterstück
-scholastischer Gelehrsamkeit. Schon das Thema ist kennzeichnend.<span class="pagenum"><a id="Page_68">[68]</a></span>
-Es sind nicht sowohl wirkliche Rechtsfälle als
-Beispiele jener Dilemmen, die bereits in der antiken Dialektik
-halb als scherzhafte logische Aufgaben, halb als ernste
-Probleme eine Rolle gespielt haben. Die Form des Rechtsstreites
-ist auch sonst für sie als eine besonders geeignete gewählt
-worden. Schon die Einleitung ist echt scholastisch.
-Zuerst wird der Begriff des Kasus definiert und in seiner
-Anwendung durch die verschiedenen Wissenschaften verfolgt,
-dann der Begriff der <em class="antiqua">Perplexitas</em>, um endlich festzustellen,
-was ein <em class="antiqua">Casus perplexus</em> sei. So ist das Ganze mehr
-eine dialektische Verstandesübung als eine juristische Untersuchung.
-Nicht viel anders verhält es sich mit den »<em class="antiqua">Quaestiones
-philosophicae amoeniores ex jure</em>« und andern Arbeiten.
-Da glaubt man denn mit der dem Kurfürsten von Mainz
-zum Willkomm überreichten Schrift über die notwendige
-Reform des juristischen Studiums (<em class="antiqua">Methodus nova discendae
-docendaeque jurisprudentiae</em>, 1668) in eine andere
-Welt zu treten. Man fühlt sich in akademische Reformversuche
-neuester Zeit versetzt, wenn Leibniz hier den Vorschlag
-macht, den juristischen Lehrvortrag dadurch anregender zu
-gestalten, daß der Rechtslehrer, indem er die Rollen des
-Klägers, des Angeklagten, des Sachwalters und des Richters
-unter seine Schüler verteilt, eine Art dramatischer Nachbildung
-des öffentlichen Gerichtsverfahrens veranstaltet. Freilich
-wird man sich bei diesem originellen Vorschlag erinnern
-dürfen, daß auch der scholastische Lehrbetrieb beide Seiten
-vereinigte, ein ödes Diktieren und Auswendiglernen neben
-Kolloquien und Disputationen, die zugleich eine Art Rollenverteilung
-mit sich führten. Und es war neben der theologischen
-vorzugsweise die Artistenfakultät, in der diese
-Disputationen geübt wurden, während bei den Juristen
-wohl der dogmatische Lehrvortrag ausschließlich herrschend
-war, wie denn gerade in der Zeit nach dem großen<span class="pagenum"><a id="Page_69">[69]</a></span>
-Krieg die Umständlichkeit des schriftlichen Rechtsverfahrens
-ihren äußersten Grad erreicht zu haben scheint. So mochte
-Leibniz diesen von ihm selbst vielfach beklagten Mängeln
-am wirksamsten zu steuern meinen, wenn er das Übel
-bei der Wurzel, bei dem Studium der Rechtswissenschaft,
-anfaßte.</p>
-
-<p>Damit bezeichnet aber diese Schrift allerdings einen
-wichtigen Wendepunkt auch auf diesem Gebiete einer eigentlichen
-Fachwissenschaft, nicht unähnlich demjenigen, den
-er ungefähr um die gleiche Zeit in seinem naturwissenschaftlichen
-Denken erlebte. Es ist der Eintritt in das öffentliche
-Leben, die in den folgenden Jahren beginnende politische
-Tätigkeit, die diese Wendung von den einzelnen, ihn zum
-Teil mehr um ihres logischen Interesses als um ihrer nützlichen
-Zwecke willen fesselnden Problemen zu den allgemeinen
-Fragen des öffentlichen Rechts und der Gesetzgebung
-hinüberführt. So beschäftigt ihn vor allem die Reform des
-römischen Rechts, dessen logische Ordnung und als letztes Ziel
-die Schaffung eines neuen Gesetzbuchs, das die deutschen
-Rechtsquellen mit dem römischen Recht in ein der Zeit angemessenes
-Werk vereinige. Auch bei der ausführlichsten
-seiner politischen Schriften, dem »<em class="antiqua">Caesarinus Fuerstenerius</em>«,
-steht trotz des einzelnen Anlasses im Hintergrund das große
-Problem der Verfassung des deutschen oder, wie Leibniz,
-der Anhänger des alten Reichsgedankens mit Vorliebe es
-nennt, des Römischen Reichs, die Frage der Vereinbarkeit
-der vollen Autarkie der Einzelstaaten mit der Unterordnung
-unter das Reichsoberhaupt, dieser »<em class="antiqua">Casus perplexus</em>« des
-Staatsrechts damaliger Zeit.</p>
-
-<p>Zwei Gedanken sind es, die bei allen diesen späteren
-Arbeiten mehr und mehr in den Vordergrund treten. Der
-eine ist die Erkenntnis der geschichtlichen Bedingtheit des
-Rechts, den er gegen die unter dem Einfluß des angesehensten<span class="pagenum"><a id="Page_70">[70]</a></span>
-deutschen Juristen der Zeit zur Herrschaft gelangende
-Naturrechtstheorie in die Schranken führt. Wohl gibt es
-auch für ihn ein natürliches Recht, das in der sittlichen Natur
-des Menschen seine Quellen hat. Wirklichkeit hat aber zunächst
-das überlieferte Recht, das seinerseits geschichtlich
-bedingt ist, also nicht für alle Zeiten und Völker dasselbe
-sein kann. Der zweite leitende Gedanke ist der Zusammenhang
-des Rechts mit der Gesamtheit der Lebensinteressen,
-vor allem mit Moral und Religion. Daß sie Recht und Staat
-loszulösen gesucht von diesen höchsten menschlichen Gütern,
-daß sie die Selbstsucht zu ihrer Ursache und den äußeren
-Nutzen zu ihrem Zweck erhoben, das ist es, worin er vor allem
-seine Zeitgenossen Thomas Hobbes und Samuel Pufendorf
-bekämpft. Auch hier geht er auf Aristoteles zurück,
-mit dessen Ethik er die berühmten Rechtsideen der großen
-römischen Juristen schon in seiner Jugendschrift über die
-Methode des juristischen Studiums zu einer Dreiheit von
-Normen verbindet, die er dann noch einmal beinahe dreißig
-Jahre später in seinem Kodex des Völkerrechts in ihrer Vereinigung
-als die Grundlagen alles Rechts bezeichnet. »<em class="antiqua">Nemimem
-laedere, suum cuique tribuere, honeste vivere</em>«:
-der ersten und zweiten dieser Regeln entspricht die Aristotelische
-Dichotomie des Begriffs der Gerechtigkeit in die
-»ausgleichende« (<em class="antiqua">commutativa</em>) und in die »verteilende«
-(<em class="antiqua">distributiva</em>); die dritte aber verwandelt Leibniz aus dem
-<em class="antiqua">honeste</em> in ein »<em class="antiqua">pie vivere</em>«. So ergeben sich ihm <em class="gesperrt">drei</em> Grade
-des natürlichen Rechts, die er in jenen drei Rechtsregeln
-angedeutet sieht: das strenge Recht (<em class="antiqua">Jus strictum</em>), die Billigkeit
-(<em class="antiqua">Aequitas</em>) und die Frömmigkeit (<em class="antiqua">Pietas</em>). Führt man sie
-auf die ihnen entsprechenden Tugendbegriffe zurück, so entspricht
-aber dem <em class="antiqua">Jus strictum</em> die Gerechtigkeit im engeren
-Sinne des Wortes, der Billigkeit die Liebe. Die Frömmigkeit
-endlich ist die Liebe zu Gott, die als solche auch die andern<span class="pagenum"><a id="Page_71">[71]</a></span>
-Tugenden in sich schließt und auf diese Weise die vorangehenden
-Stufen zur Einheit verbindet. Gewiß entbehrt
-diese Zurückführung der Rechtsregeln auf die Tugendbegriffe
-nicht eines gewissen Zwangs, und vollends ist die Umwandlung
-des »<em class="antiqua">honeste vivere</em>« in das »<em class="antiqua">pie vivere</em>« eine geflissentliche
-Steigerung. Doch so kennzeichnend diese Anlehnung
-an das Überlieferte für die Leibnizsche Denkweise
-überhaupt ist, so wenig kommt sie hier für die Sache selbst
-in Betracht; ja vielleicht würde diese eindringlicher zur Geltung
-gelangen, wenn er sie als sein eigenes Werk hinstellte,
-was sie im Grunde ist, statt sich an Aristoteles und die alten
-Juristen anzulehnen. Worauf es ankommt, das ist doch nur,
-daß für ihn Recht und Moral eine untrennbare Einheit sind,
-und daß sie mit der Religion zusammen eine einzige sittliche
-Weltordnung bilden. Eben darum ist ihm aber auch der
-Staat, wie er in dem »<em class="antiqua">Monitum</em>« zu seinem <em class="antiqua">Codex diplomaticus</em>
-ausführt, kein bloßer Schutzvertrag zur Sicherung
-von Leben und Eigentum der einzelnen, sondern eine sittliche
-Lebensgemeinschaft zur Förderung der Glückseligkeit
-aller. Deshalb beziehen sich denn auch die allgemeinen Begriffe
-der Rechtsordnung ebenso auf die Staaten selbst wie
-auf die einzelnen Staatsbürger. Das Gebot, niemanden
-zu verletzen wird dort zur Pflicht, den Frieden zu bewahren,
-das Gebot, jedem das Seine zu gewähren zur Pflicht der
-Berücksichtigung der Interessen anderer Staaten im Verkehr
-mit ihnen. Dazu kommt endlich als die Grundlage aller
-dieser internationalen Regeln die Frömmigkeit, die in dem
-christlichen Gebot der allgemeinen Menschenliebe die Quelle
-findet, aus der die Pflichten der Staaten in ihrem wechselseitigen
-Verkehr entspringen. So verbinden sich in diesen
-Gedanken über Völkerrecht die Hauptmotive, die der Leibnizschen
-Weltanschauung ihr Gepräge geben. Den Eudämonismus
-der Zeit verleugnet auch sie nicht, aber sie vertieft<span class="pagenum"><a id="Page_72">[72]</a></span>
-ihn, indem sie das Glück des einzelnen an die sittliche
-Gemeinschaft der Menschen und diese wieder an die religiöse
-Bestimmung des Menschen bindet. Aus der sittlich-religiösen
-Richtung dieses Eudämonismus entspringt der durch keinerlei
-Mängel und Schmerzen des Daseins zu trübende Optimismus,
-und zu beiden gesellt sich das aus der mathematischen
-Betrachtung der Dinge entspringende Vertrauen auf eine
-gesetzmäßige Weltordnung.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_73">[73]</a></span></p>
-
-<h2 id="III">III.<br />
-Leibniz und die neue Wissenschaft.</h2>
-</div>
-
-<p>»<em class="antiqua">Scienza nuova</em>«, neue Wissenschaft, hatte Galilei seine
-Mechanik und seine Lehre von den Fallgesetzen genannt.
-<em class="antiqua">Scienza nuova</em> nannte noch ein Jahrhundert später Giambattista
-Vico, Leibnizens jüngerer Zeitgenosse, seine Philosophie
-der Geschichte. »<em class="antiqua">Instauratio magna scientiarum</em>«
-hatte Francis Baron die Sammlung der Werke überschrieben,
-in denen er seine neue Philosophie darstellen wollte. <em class="antiqua">Instauratio</em>
-&ndash; nicht <em class="antiqua">Restauratio</em>! Nicht um eine Verbesserung
-und Fortbildung des Überlieferten, um eine völlige Neuschöpfung
-handelte es sich dieser Zeit. Darin schied sich die
-Wissenschaft von der vorangegangenen Erneuerung der Kunst,
-die sich mit dem bescheideneren Titel einer »Wiedergeburt«
-begnügte. War es doch die Kunst des Altertums gewesen,
-die der neuen zuerst ihren Weg zurück zur Natur gewiesen
-hatte. Die neue Wissenschaft glaubte der überlieferten Weisheit
-völlig entraten zu sollen. Die Scholastik samt ihrem
-Meister Aristoteles erschien den Jüngern dieser Zeit als ein
-Hindernis, nicht als eine Förderung auf dem Wege zur Wahrheit.
-Eher mochten noch, so meinte Bacon, ein Plato und der
-schmählich vergessene Demokrit bisweilen das Richtige erkannt
-haben. Die Logik des Aristoteles, der diese seine Vorgänger
-in den Hintergrund gedrängt, und vollends die Scholastik
-war eine leere Wortkunst ohne theoretischen Wert und ohne
-praktischen Nutzen gewesen. So hat das Wort »Neue Wissenschaft«<span class="pagenum"><a id="Page_74">[74]</a></span>
-eine weit über jene einzelnen Werke hinausreichende
-Bedeutung. Es ist der Jubelruf der neuen Zeit, eine Absage
-an die Vergangenheit, die Verkündigung einer mit den
-großen Entdeckungen der Naturforschung endlich herangekommenen
-wahren Wissenschaft. So selbstbewußt aber die
-Naturforscher des Zeitalters diese durch ihre eigene Arbeit
-herbeigeführte Wendung der Dinge verkünden, so sind es
-doch vornehmlich die Philosophen, bei denen sich der Ruhm
-der neuen Zeit von jenem abfälligen Urteil über die Vergangenheit
-wirksam abhebt. Wie höflich behandelt Galilei
-in seinen <em class="antiqua">Discorsi</em> den Aristoteliker Simplicio, wenn man
-seine rein sachlichen Richtigstellungen mit den Schmähungen
-vergleicht, mit denen Bacon den Aristoteles überhäuft, oder
-mit den gemäßigteren, aber, soweit es sich um die wissenschaftliche
-Leistungsfähigkeit der bisherigen Philosophie handelt,
-nicht minder geringschätzigen Bemerkungen Descartes'.
-Und soweit auch diese Männer in ihren eigenen Anschauungen
-auseinandergehen, in dem Preis der neuen Wissenschaft
-stimmen sie derart überein, daß man sich des Gedankens
-einer Beeinflussung des jüngeren durch den älteren der beiden
-Schriftsteller kaum erwehren kann. »<em class="antiqua">Antiquitas saeculi juventus
-mundi</em>,« sagt Bacon. Das Altertum ist das Jugendalter
-der Menschheit. In Wahrheit ist die neuere Zeit die ältere,
-die reifere an Wissen und Einsicht. »Die Schriften der Alten«,
-sagt Descartes, »erschienen mir zuerst wie prächtige Paläste,
-aber ich fand sie auf Sand gebaut.« Darum, nicht einen Fortschritt
-auf dem bisherigen Wege, sondern eine völlige Umkehr,
-einen neuen Anfang fordern beide, an der Stelle der
-bisherigen leeren Begriffsgliederungen neue fruchtbare Methoden.
-»Der Krüppel auf dem rechten Wege wird es dem
-Wettläufer auf dem falschen zuvortun,« oder, wie Descartes
-dieses Baconische Bild wiedergibt: »wer auf der richtigen
-Straße langsam geht, kommt weiter, als wer auf einem Irrpfade<span class="pagenum"><a id="Page_75">[75]</a></span>
-sich beeilt.« Nun würde es freilich ein Irrtum sein,
-wollte man hieraus schließen, diese Philosophen seien wirklich
-von der Vergangenheit unabhängig gewesen. Das trifft
-für Bacon, der es, trotz der tiefen Blicke, die er in das Wesen
-der experimentellen Methode getan hat, an scholastischen
-Begriffsspaltungen nicht fehlen läßt, so wenig zu wie für
-Descartes, der die Grundlagen seiner Metaphysik ebenso wie
-sein berühmtes »<em class="antiqua">cogito ergo sum</em>« dem Augustin, seinen
-Gottesbeweis dem Anselm von Canterbury verdankt. Niemand
-kann sich eben von der Vergangenheit lösen. Aber die
-Berufung auf Autoritäten lag nicht im Sinn einer Generation,
-die sich selbst als die Trägerin einer völligen Erneuerung
-der Wissenschaften fühlte.</p>
-
-<p>Wie anders steht hier Leibniz der vorangegangenen Zeit
-gegenüber! Wohl hat auch er nicht versäumt den Nutzen
-zu rühmen, den der Fortschritt der Wissenschaften der Menschheit
-gebracht habe. Aber wann wäre es ihm beigefallen,
-die neue Wissenschaft als die einzige zu preisen, die diesen
-Namen wahrhaft verdiene? Freilich war das vor allem
-eine Folge seiner in der Scholastik wurzelnden Jugendbildung.
-Konnte er sich auch, als er später mit der neuen Naturwissenschaft
-näher bekannt wurde, dem imponierenden Eindruck
-dieser nicht entziehen, so stellte sich doch, vornehmlich
-infolge der Bedenken, die sich gegen die Cartesianische
-Naturphilosophie in ihm regten, allmählich ein gewisses
-Gleichgewicht ein, das ihn mehr und mehr an dem ohnehin
-seiner Denkweise entsprechenden Grundsatze festhalten ließ,
-aus allem, was Vergangenheit oder Gegenwart Wertvolles
-bieten mochten, das Beste zu behalten. So wurde er in einer
-Zeit, die im ganzen an einem merkwürdigen Mangel an
-historischem Sinn litt, unterstützt durch seine ausgebreitete
-Literaturkenntnis, bei aller Selbständigkeit des Denkens
-ein Eklektiker im höchsten Sinne des Wortes. Rühmt er sich<span class="pagenum"><a id="Page_76">[76]</a></span>
-doch selbst dieser Eigenschaft, wenn er sagt, es sei sein Bestreben
-gewesen, die Atomistik mit den vernünftigen Samen
-der Stoiker und mit den Entelechien des Aristoteles zu verbinden.
-Fast steht er darum auch in der historischen Würdigung
-des jeweiligen Zustandes der Wissenschaft einsam da, nicht
-nur in seiner eigenen, sondern auch in der folgenden Zeit.
-Staunen wir doch noch bei der Lektüre Kants nicht selten
-über die merkwürdig oberflächliche Kenntnis, die dieser große
-Denker von den bedeutendsten Werken der vorangegangenen
-Philosophie besitzt. Wenn der Eifer, mit dem Leibniz eine
-Zeitlang gerade den Hauptvertretern der neuen Wissenschaft
-unter den Philosophen, einem Bacon, Descartes und Gassendi
-sich zuwandte, später einer ablehnenden Kritik Platz
-machte, um in Naturphilosophie und Psychologie dem Aristoteles,
-in der Theologie der Scholastik einen überwiegenden
-Einfluß zu gestatten, so war aber sichtlich nicht zum wenigsten
-die Tatsache schuld, daß jene begeisterten Verkünder der
-neuen Naturwissenschaft selbst nicht zu den führenden Naturforschern
-gehört und zum Teil sogar mit den neuen Ergebnissen
-nur mangelhaft vertraut waren. Dies gilt selbst von
-Descartes, der, ein so hervorragender Mathematiker er war,
-doch dem gewaltigen Umschwung, den Galileis epochemachende
-Arbeit in der Physik hervorbrachte, fremd gegenüberstand.
-Seine Naturphilosophie trägt daher ganz das Gepräge eines
-über die Naturerscheinungen spekulierenden Geometers. Es
-konnte nicht ausbleiben, daß dieser Mangel einem Manne,
-der, wie Leibniz, die Entwicklung der neueren Dynamik
-mit dem größten Interesse verfolgte, auf die Dauer nicht
-verborgen blieb und daß er in dem allgemeinen Begriffsschematismus
-der Aristotelischen Physik bald ein passenderes
-Mittel fand, die neuen Resultate ihm einzuordnen, als in
-den Hypothesen Descartes'. So traten denn in seiner Würdigung
-der Zeitgenossen mehr und mehr an die Stelle jener<span class="pagenum"><a id="Page_77">[77]</a></span>
-Naturphilosophen die Naturforscher, die durch ihre Entdeckungen
-die neue Wissenschaft begründet hatten. In Galilei verehrte
-er vor andern den Entdecker des Prinzips der Trägheit und
-der Fallgesetze, der damit zugleich den empirischen Beweis
-für die Richtigkeit des wahren Gesetzes der Erhaltung der
-Kraft bereits vor der Aufstellung desselben geliefert hatte;
-in Kepler den Entdecker der Gesetze der Planetenbewegungen.
-Meinte er doch, in diesem Fall wohl nicht ganz gerecht, das
-eigentliche Verdienst der Gravitationstheorie gebühre Kepler,
-nicht Newton, der sie durch den unmöglichen Gedanken der
-Wirkung in die Ferne gefälscht habe, während Kepler, indem
-er sie aus der Fortpflanzung durch ein kontinuierliches Medium
-abzuleiten suchte, auf dem richtigen Wege gewesen sei. So
-bewegt sich seine Schätzung der Vertreter der neuen Wissenschaft
-einigermaßen parallel der Stellung, die er gleichzeitig
-der Scholastik gegenüber einnimmt. Hier war er von dem
-an seiner heimischen Universität vorherrschenden, auch von
-seinem Lehrer Jacob Thomasius vertretenen Nominalismus
-ausgegangen. Dann trat in seinen naturphilosophischen
-Arbeiten Aristoteles selbst an die Stelle der Scholastik,
-um, wo es sich um ethische und theologische Fragen
-handelte, durch die ältere klassische Scholastik ergänzt zu
-werden. Unter den Vertretern der neuen Wissenschaft sind
-es zuerst die mehr als Herolde denn als Forscher wirkenden
-Philosophen, die sein Interesse fesseln, dann wendet
-er sich dem Zweigestirn der beiden großen Forscher zu, die
-uns noch heute als die Hauptbegründer der neuen Naturwissenschaft
-gelten. Ihr Einfluß kreuzt sich aber mit dem ihm
-zeitlebens eigen gebliebenen Aristotelischen Begriffssystem.
-So ereignet sich das Merkwürdige, daß, nachdem Galilei
-die Aristotelische Physik aus der Naturwissenschaft verwiesen
-hatte, die Leibnizsche Dynamik beide verbindet, um das
-allgemeinste Prinzip der modernen Naturwissenschaft, das<span class="pagenum"><a id="Page_78">[78]</a></span>
-der Erhaltung der Kraft, zu gewinnen. Die Methode der
-aristotelischen Begriffsgliederung ergibt ihm die brauchbare
-Form dieses Prinzips, aus den Galileischen Fallgesetzen
-beweist er seine Übereinstimmung mit der Erfahrung. Je
-mehr ihn aber die rechtsphilosophischen und theologischen
-Probleme zu einem Abschluß drängen, um so mehr wendet
-sich sein Blick zur klassischen Scholastik zurück, die hier vornehmlich
-in den Werken ihres größten Vertreters, des heil.
-Thomas, das Aristotelische System in einer dem christlichen
-Glauben entsprechenden Weise zu ergänzen versucht hatte.
-So mischen sich in der Leibnizschen Philosophie Gedankenströmungen
-der Vergangenheit und Gegenwart, wie sich
-dies weder früher noch später jemals wiederholt hat. Eben
-dadurch spiegelt dieser Philosoph den Charakter dieser ganzen
-von so mannigfaltigen geistigen Strömungen bewegten Zeit
-in einer Weise, die einzigartig mindestens in der Geschichte
-der neueren Wissenschaft dasteht. In nichts aber spricht sich
-dies deutlicher aus als in der besonderen Ausprägung, die
-er den die Entwicklung der Philosophie beherrschenden Grundbegriffen
-gegeben hat. In dieser, der eigentlich philosophischen
-Seite seiner Lebensarbeit, die erst in dem letzten Jahrzehnt
-des Jahrhunderts eine festere Gestalt gewinnt, tritt
-dann zugleich immer offener die kritische Wendung zutage,
-die sein Auftreten in der Entwicklung des neueren Denkens
-bezeichnet. Wie diese im engeren Sinne philosophische Periode
-seines Lebens spät erst begonnen hat, so ist sie freilich niemals
-ganz zu Ende gelangt. Der Widerstreit der Motive, die sein
-Denken bewegen, ist zu gewaltig, als daß ein abschließendes
-Ergebnis möglich wäre. Dem widerstrebt überdies allzusehr
-sein konziliatorischer Charakter. So bleiben denn nur zu oft
-Begriffe nebeneinander stehen, die sich nicht miteinander
-vertragen. Neue Gedanken werden in ein Gewand gekleidet,
-das eigentlich einer überwundenen Periode seines eigenen<span class="pagenum"><a id="Page_79">[79]</a></span>
-Denkens angehört. Religiöse Einflüsse durchkreuzen wissenschaftliche
-Überzeugungen auch da, wo wir heute einen zureichenden
-Grund zum Konflikt durchaus nicht mehr sehen
-können. So wird es, wollen wir uns der vollen Bedeutung
-der Wendung, die sich hier vollzogen hat, bewußt werden,
-unerläßlich sein, auch den Schwankungen und Widersprüchen
-der Begriffe nachzugehen, wenn wir ein Bild der letzten
-entscheidenden Grundanschauungen dieses, die Wissenschaft
-seiner Zeit wie kein anderer beherrschenden Denkers gewinnen
-wollen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<h3 id="IIIa"><em class="antiqua">a.</em> Der Wandel der Substanzbegriffe.</h3>
-</div>
-
-<p>Das Zeitalter Leibnizens könnte, wenn man die Perioden
-der Philosophie nach einzelnen Begriffen, nicht nach Systemen
-oder ihren Urhebern benennen wollte, wohl auch das kritische
-Zeitalter des Substanzbegriffs genannt werden. Kant hat
-von diesem Begriff gesagt, er sei zu jeder Zeit schon von dem
-gemeinen Verstand als der eines beharrlichen, sogar in seiner
-Quantität unverändert bleibenden Trägers der Erscheinungen
-gedacht worden. Diese Äußerung ist gewiß eines der merkwürdigsten
-Zeugnisse für die Macht, welche Denkgewohnheiten
-auf uns ausüben; gleichwohl ist es nicht minder gewiß,
-daß den Tatsachen gegenüber diese Behauptung nicht
-bestehen kann, so oft man auch noch immer, wenn auch vielleicht
-nicht dem gemeinen Menschenverstand, so doch mindestens
-den alten jonischen Physikern den Besitz des Satzes
-von der Konstanz der Materie zuschreibt. Was diese Denker
-die »Archē«, den Anfang, nannten, das war sichtlich durchaus
-nicht das, woraus alles dauernd besteht, sondern das,
-woraus alles <em class="gesperrt">ent</em>steht und in was es wieder <em class="gesperrt">ver</em>geht. Wenn
-z. B. Thales behauptete, das Wasser sei die Archē der Dinge,
-so spricht nichts dafür, daß er gemeint habe, die Erde, das
-Feuer usw. bestünden aus Wasser. Die Verwandlung eines<span class="pagenum"><a id="Page_80">[80]</a></span>
-Dings in ein anderes ist für ein naiveres Bewußtsein durchaus
-nichts Wunderbares, wohl aber würde es einem solchen
-wahrscheinlich wunderbar vorkommen, wenn man ihm zumuten
-wollte, zu glauben, ein Gegenstand sei ein anderer
-geworden und doch eigentlich derselbe geblieben. Die ersten
-Spuren jenes Gedankens der Konstanz finden sich wohl
-in der Empedokleischen Lehre von den vier Elementen und
-namentlich in der Atomistik. Wenn aber Kant in der Anschauungsform
-der Zeit die Quelle jenes Prinzips sah, da,
-wie er meinte, der unablässige Fluß der Zeit ein unveränderliches
-Beharren fordere, an dem dieses Fließen gemessen werde,
-so zeigt gerade die Atomistik, daß das beharrende Substratum
-zu dieser fließenden Zeit nicht nochmals die Zeit, sondern
-der Raum ist, ohne den es in der Anschauung auch keine Zeit
-gibt. Darum behält der Satz Kants, daß der Begriff an die
-Anschauung gebunden ist, seine Geltung. Nur ist die Form
-dieser Anschauung nirgends die Zeit allein und nirgends
-der Raum allein, sondern sie besteht aus der Vereinigung
-beider, und diese räumlich-zeitliche Anschauung ist nur deshalb
-die Form, in die wir alle Inhalte unserer Erfahrung
-kleiden, weil sie die Form ist, die bei aller Abstraktion von dem
-wechselnden Inhalt unserer Erfahrung immer wieder zurückbleibt.
-In ihren sich ergänzenden Eigenschaften trägt aber
-schließlich diese räumlich-zeitliche Anschauung das Motiv
-zur Bildung zweier Gegensatzbegriffe in sich, die sich ebenso
-begrifflich ergänzen wie Zeit und Raum anschaulich: Veränderung
-und Beharren. Nun gibt es in der empirischen
-Wirklichkeit nur ein relatives Beharren und nur eine relative
-Veränderung, ein Bleibendes im Wechsel und ein
-Wechselndes gegenüber dem Bleibenden. Indem jedoch die
-aristotelisch-scholastische Naturphilosophie in einer rein begrifflichen
-Ordnung der Naturerscheinungen besteht, verzichtet
-sie auf die Bedingungen der Anschaulichkeit und setzt<span class="pagenum"><a id="Page_81">[81]</a></span>
-demnach die Begriffe als selbständige und doch überall verbundene
-Bestandteile der Dinge einander gegenüber: jeder
-Gegenstand ist nach ihr beharrend und veränderlich zugleich.
-Darum bezeichnet schon Aristoteles das einzelne Ding als
-die Substanz in der eigentlichen Bedeutung des Worts, und
-die Scholastik vereinigt in dem Begriff der »substantiellen
-Form« eben diese Dualität von Beharren und Veränderung,
-die jedem Wirklichen zukommt. In diesem Sinne definiert sie
-die Substanz auch als das »<em class="antiqua">Ens perdurabile atque modificabile</em>«.
-Nirgends ist hier von einem absoluten Beharren
-die Rede, darauf kommt es aber dieser rein logischen Naturbetrachtung
-überhaupt nicht an: sie konstatiert nur, daß beiden
-Begriffen gleichzeitig jedes wirkliche Ding subsumiert werden
-kann. Bei Kant hat sich infolge der Erkenntnis, daß alle
-Begriffe an Anschauungen gebunden seien, dieses Verhältnis
-derart verschoben, daß er die Veränderlichkeit der Dinge
-für die Anschauung zurückbehält und das Beharren in einen
-apriorischen Begriff umwandelt, dem er mit Hilfe seines
-Schemas einer beharrenden Zeit Anschaulichkeit zuschreibt.
-Die wirkliche Entstehung des Begriffs der beharrenden Substanz
-ist aber nicht auf dem Wege dieser von ihm schon dem
-natürlichen Bewußtsein zugeschriebenen künstlichen Konstruktion
-erfolgt, sondern sie ist, wie die Geschichte lehrt, im
-Altertum zunächst in jenen naturphilosophischen Theorien
-vorausgenommen worden, die, wie besonders die Atomistik,
-von den qualitativen Eigenschaften der Dinge abstrahierend,
-die Naturerscheinungen auf ein rein räumlich-zeitliches Geschehen
-zurückführten. Dabei ist es offenbar keinerlei apriorische
-Notwendigkeit, sondern lediglich der Vorzug der Einfachheit
-der Betrachtung gewesen, der die Atomistiker zu dieser
-der Verbindung der Begriffe Beharren und Veränderung
-ein anschauliches Substrat bietenden Hypothese geführt hat.
-Dagegen ist die ganze folgende Entwicklung der Wissenschaft<span class="pagenum"><a id="Page_82">[82]</a></span>
-bei der Aristotelischen Definition der Substanz stehen
-geblieben, die in dem scholastischen gleichzeitig beharrenden
-und veränderlichen Sein ihren treffendsten Ausdruck findet.
-Auch haben die mittelalterlichen Alchimisten bei ihren Bemühungen,
-wertlose Metalle in Gold zu verwandeln, offenbar
-in der Materie vor allem ein »<em class="antiqua">Ens modificabile</em>« gesehen.
-Erst die Renaissance hat der Substanz als einem nach
-Begriff und Anschauung beharrenden Substrat der Naturerscheinungen
-zum Siege verholfen. Dies ist aber zunächst
-durch die Rückkehr zu atomistischen oder in dieser Beziehung
-ihnen gleichwertigen korpuskularen Anschauungen geschehen,
-und hier ist es vor andern Descartes, der in doppelter Weise
-die Entwicklung dieses modernen Substanzbegriffs zu Ende
-geführt hat. Erstens bringt er in seinem Satz von der Ausdehnung
-als der einzigen Eigenschaft der Materie jene Übertragung
-der Konstanz des Raumes auf die der Gegenstände
-im Raum zu klarem Ausdruck. Zweitens stattet er nun nach
-dem Vorbild dieses materiellen Substanzbegriffs auch die
-zwei andern Substanzen, die er mit jenem in seinem System
-vereinigt, die Seele und Gott, mit dem gleichen Attribut
-des absoluten Beharrens aus, womit dann freilich diesen
-die Anschaulichkeit verloren geht. Dadurch entsteht aber
-bei ihnen das Bedürfnis nach einem Ersatz, der wiederum
-nur in Eigenschaften gesucht werden kann, mit denen der
-gleiche Begriff des Beharrens verbunden gedacht wird, wie
-bei der materiellen Substanz mit dem Raum. Das ist bei
-der Seelensubstanz das Denken, bei Gott die Unendlichkeit mit
-allem, was sie in sich schließt. Darum bleibt dieser vom Raum
-ausgegangene Substanzbegriff schließlich bei Spinoza, der
-diese Übertragung von den, wie Descartes sie schon nannte,
-endlichen oder »geschaffenen« Substanzen zu Ende führt,
-schließlich bei der <em class="gesperrt">einen</em> absoluten Substanz stehen, die Gott,
-Denken und Ausdehnung zugleich ist. So endet der in seinem<span class="pagenum"><a id="Page_83">[83]</a></span>
-Anfang in der sinnlichen Anschauung wurzelnde Begriff
-schließlich im völlig Transzendenten, das nur im Begriff,
-niemals in der Anschauung erfaßt werden kann. Das ist
-der Punkt gewesen, bei dem zuerst David Hume und dann
-Kant, indem sie sich auf die Forderung der Veranschaulichung
-besannen, vom Ende dieser Entwicklung wieder zu
-ihren beiden Ausgangspunkten zurückkehren mußten: Hume
-zu dem des Dings, Kant zu dem eines beharrenden Substrats
-der Naturerscheinungen, während für die Seele und
-Gott beide den Substanzbegriff ablehnten.</p>
-
-<p>Wie verhält sich nun Leibniz, der der Zeit nach zwischen
-Descartes und Hume, jenem näher als diesem steht, zu diesem
-im Wandel seiner Gestaltungen die gesamte Entwicklung
-der neueren Philosophie bestimmenden zentralen Begriff?
-Die gewöhnliche Antwort lautet: den Substanzbegriffen
-Descartes' und Spinozas hat er einen dritten gegenübergestellt,
-der in andere Attribute als beide das Wesen der
-Substanz verlegt, nämlich, statt in Ausdehnung und Denken,
-in <em class="gesperrt">Selbständigkeit</em> und <em class="gesperrt">Einfachheit</em>. Die Monaden
-sind einfache Wesen, also Substanzen, und sie sind überdies
-selbständige Wesen. Zunächst springt in die Augen, daß die
-hier neu eingeführten Attribute reine Begriffe sind, nicht,
-wie bei den dogmatischen Begründern der neueren Philosophie,
-Tatsachen der äußeren und inneren Erfahrung, die,
-über jede Anschauung gesteigert, mit den transzendenten unendlichen
-Attributen der Substanz ausgestattet werden. Demgegenüber
-ist die Dreiheit der Leibnizschen Attribute, Einfachheit,
-Selbständigkeit und Beharrlichkeit, eine rein begriffliche.
-Wie man sie anschaulich zu denken habe, bleibt vorläufig ganz
-dahingestellt. Aber es kommt ein psychologischer Gesichtspunkt
-hinzu, der diese Lücke ausfüllt. Er beruht auf der unmittelbaren
-Gewißheit unserer inneren Erfahrung. Doch
-auch diese wird nicht ohne weiteres in der Form des Denkens<span class="pagenum"><a id="Page_84">[84]</a></span>
-vorausgesetzt, sondern in den allgemeinsten Formen des
-Verlaufs seelischer Vorgänge: im Vorstellen und Streben.
-Damit ist die gesamte lebende Welt gleichzeitig mit dem
-Menschen dem Seelenbegriff untergeordnet, und ihr fügt
-sich von selbst jener Satz an, den Leibniz schon in seiner »<em class="antiqua">Hypothesis
-physica nova</em>« ausgesprochen: die Körper sind momentane
-Geister. Mit diesem Satz hatte er bereits den Weg
-zum Idealismus beschritten, der sich in der Übertragung
-des seelischen Lebens auf die Substanz überhaupt vollendete.
-Darin liegt sein wesentlicher Gegensatz gegen die von der
-Naturanschauung ausgehende Substanzlehre der Cartesianer
-und Spinozas. Richtet sich doch auch bei diesem in dem berühmten
-Satz »die Ordnung und Verbindung der Ideen
-ist dasselbe wie die Ordnung und Verbindung der Dinge«
-die Idee nach dem Ding, nicht das Ding nach der Idee. Hier
-hätte Leibniz den Satz umgekehrt fassen können: die Dinge
-richten sich nach den Ideen. Damit verwandeln sich ihm
-die Dinge in eine Erscheinungswelt, die, wenn sie als objektive
-Wirklichkeit bestehen soll, einer philosophischen Prüfung
-bedarf: dann erst ist sie nach Leibniz' Ausspruch ein
-»<em class="antiqua">Phänomenon bene fundatum</em>«.</p>
-
-<p>Aber ist nicht der Leibnizsche Substanzbegriff willkürlich
-und widerspruchsvoll? Wenn seine Monaden einfache
-Wesen sind, so ist es undenkbar, daß sie zugleich Spiegel
-der Welt sind, daß sich in jeder, auch in der niedersten Monade,
-nur mit abgestufter Klarheit, das Universum spiegelt. Der
-Vorwurf ist so augenfällig, daß man ihn einem Leibniz
-eigentlich nicht machen sollte. Auch ist ja »einfach« kein eindeutiger
-Begriff, sondern er richtet sich nach dem Gegensatz,
-dem er gegenübergestellt ist. Dieser Gegensatz ist aber
-hier nicht sowohl das Zusammengesetzte als das Ganze.
-Nun ist die Monade an sich unteilbar: sie ist also jedenfalls
-das Einfachste, was dem Makrokosmos gegenübersteht. Auch<span class="pagenum"><a id="Page_85">[85]</a></span>
-die alten Atomistiker hatten die Atome wegen ihrer Einfachheit
-unteilbar genannt, obgleich, da sie räumliche Gestalten
-besaßen, an sich eine Teilung denkbar war. Die
-Monaden, die ideale Einheiten sind, besitzen überhaupt keine
-Ausdehnung: der Raum ist für Leibniz eine Erscheinung
-geworden, die zu den von ihm bildlich so genannten Spiegelungen
-der Welt in der Monade gehört. Es würde ihm vielleicht
-absurd erschienen sein, hätte man in die Seele außer
-ihrem eigenen Vorstellen und Streben auch noch die Eigenschaften
-der Welt außer ihr verlegen wollen. In diesem
-Sinne konnte er wohl mit größerem Recht, als die Atomistiker
-ihre Atome einfach nannten, so seine Monaden als die letzten
-unteilbaren Einheiten der Bewußtseinswelt bezeichnen. Und
-wenn außerdem noch der Satz »die Monaden haben keine
-Fenster« so oft bei ihm wiederkehrt, so hat dies wohl seinen
-guten Grund darin, daß er mit diesem Bild jede Annahme
-eines sogenannten <em class="antiqua">Influxus physicus</em> so energisch wie möglich
-zurückweisen will. Die Monaden würden eben nicht
-geistige, an sich selbst unräumliche, aber das räumliche Vorstellungsbild
-der Welt erzeugende Wesen, sondern sie würden
-Atome sein, wenn sie solchen äußeren Einflüssen ausgesetzt
-wären. Darum eben bleibt nichts anderes übrig, als daß
-die Stufenordnung der Wesen, die nach dem Kontinuitätsprinzip
-in stetigen Übergängen vor sich geht, die ursprünglichste
-Weltordnung selbst ist. Die empirische Stütze hierfür findet
-er aber, wie für die Einfachheit der Wesen in der Unteilbarkeit,
-so für die Stufenordnung der Welt in der Stufenordnung
-der organischen Natur. Hier liegt dann der große
-Fortschritt des deutschen Philosophen gegenüber seinen Vorgängern:
-es ist der Übergang zum Entwicklungsgedanken, freilich
-noch nicht in der Form des Werdens, sondern, ähnlich
-wie ein Jahrhundert später in der deutschen Naturphilosophie,
-in der Form des <em class="gesperrt">Gewordenseins</em>. Nach ihm gibt es nicht<span class="pagenum"><a id="Page_86">[86]</a></span>
-<em class="gesperrt">eine</em> Substanz und nicht neben der einen ungeschaffenen,
-der Gottheit, eine Vielheit von geschaffenen Substanzen,
-Seelen und Körpern, sondern alle Substanzen sind einander
-gleichartige geistige Wesen, und sie bilden eine stetige Aufeinanderfolge
-von den niedersten mit unendlich kleinen bis
-zu den höchsten mit unendlich großen seelischen Eigenschaften.
-Diese Philosophie ist echte transzendente Metaphysik. Aber
-den Vorwurf, einfach und zusammengesetzt zu verwechseln,
-kann man ihr nicht machen. Herbartsche »Reale« können und
-wollen diese Monaden nicht sein, ebensowenig wie Monaden
-im Sinne Giordano Brunos oder beseelte Atome. Vielmehr
-sind sie durchaus einheitlich als geistige Wesen gedacht, deren
-Vorstellung die Außenwelt ist, und die eine kontinuierliche
-Entwicklungsfolge bilden, in denen jedes von dem andern
-verschieden und doch jedes dem andern ähnlich ist.</p>
-
-<p>Wie verhält es sich nun mit der zweiten Eigenschaft der
-Leibnizschen Substanz, mit der <em class="gesperrt">Selbständigkeit</em>? Gewiß
-kann hier von keiner absoluten Selbständigkeit die Rede sein,
-sondern eben nur von jener relativen, die beim Menschen
-an das Selbstbewußtsein gebunden, und vermöge deren eine
-Teilung dieses Selbstbewußtseins in einem und demselben
-Augenblick undenkbar ist. Es ist der lichte Punkt in unserer
-Seele, der diese selbst beleuchtet, jenes später von Fichte
-sogenannte »Ich bin Ich«. Für Leibniz ist das Selbstbewußtsein
-das Merkmal des Geistes. Er ist der erste, der den Satz
-der Identität als das oberste Axiom des Denkens hinstellt.
-Aber indem sich dasselbe im Fluß der Entwicklung befindet,
-setzt es niedrigere Stufen des Bewußtseins voraus, aus
-denen es sich entwickelt, und läßt auf höhere schließen, denen
-es zustrebt. Metaphysisch bilden daher das unendlich dunkle
-und das unendlich klare Bewußtsein die beiden Grenzpunkte
-der Weltharmonie. Indem jedes Einzelwesen in dieser unendlichen
-Reihe ein Glied bildet, nimmt es seine selbständige<span class="pagenum"><a id="Page_87">[87]</a></span>
-Stellung ein. Jenes »<em class="antiqua">Principium indiscernibilium</em>«, welches
-dereinst schon Nicolaus von Cues als Grundgesetz der Weltordnung
-hingestellt hatte, weil nicht zu unterscheidende Dinge
-dasselbe Ding sein würden, kommt hier dem Selbständigkeitsprinzip
-der Monade zu Hilfe. Es gehört zu den Bestandteilen
-mystischer Logik, deren so manche in das Leibnizsche System
-aus älterer Überlieferung übergegangen sind. Demnach
-ist das metaphysische Selbständigkeitsaxiom ein zunächst
-auf das Selbstbewußtsein gegründetes und von ihm aus
-auf die Gesamtheit der unter oder über der selbstbewußten
-Seele vorauszusetzenden Wesen übertragenes Postulat. Dieses
-Postulat führt aber seinerseits wieder auf dasjenige Prinzip
-zurück, das Leibniz am frühesten und am dauerndsten unter
-allen Bestandteilen seines Systems festgehalten hat: auf
-das Prinzip der Harmonie und mit diesem auf das große
-Gesetz der Kontinuität, das er als das Grundgesetz alles Seins
-und Geschehens betrachtet. Darum ist das Prinzip der Selbständigkeit
-eine in der gesamten Weltanschauung des Philosophen
-verankerte Überzeugung. Das menschliche Selbstbewußtsein
-liefert den empirischen Ausgangspunkt, der
-Entwicklungsgedanke den nach unten wie oben ins Unbegrenzte
-führenden Aufbau, endlich die Idee der Harmonie die letzte
-Grundlage. So trägt das Ganze auch hier durchaus den
-Charakter der metaphysischen Hypothese. Aber vor den
-Systemen der Zeitgenossen besitzt es zweifellos den Vorzug
-der Folgerichtigkeit. Ihn verdankt sie den zwei Gedanken,
-die es zum erstenmal in die neuere Philosophie einführt:
-der strengen Durchführung der <em class="antiqua">Lex continuitatis</em> und dem
-neuen Idealismus.</p>
-
-<p>Fremdartiger erscheint die dritte Eigenschaft der Substanz,
-diejenige, in deren Forderung Leibniz allem Anscheine
-nach mehr der Tradition, wie sie sich in seinem Zeitalter
-entwickelt hatte, als der Konsequenz seines Systems folgt:<span class="pagenum"><a id="Page_88">[88]</a></span>
-die <em class="gesperrt">Beharrlichkeit</em>. Es ist bemerkenswert, daß gerade
-die zu dieser Zeit vorherrschende Philosophie, die Cartesianische,
-sich am widerspruchslosesten mit dieser Eigenschaft abfinden
-konnte. Die Materie, das Ausgedehnte, ist vermöge der Eigenschaften
-des Raumes absolut beharrlich; die Seele kann,
-da sie nur in ihren Erscheinungen erkennbar ist, trotz des
-Wechsels der letzteren an sich als beharrend vorausgesetzt
-werden, indem hierbei die Analogie mit dem Menschen und
-seinen Handlungen zu Hilfe kommt. Denn da wir nach dieser
-Philosophie die Seele selbst nicht kennen, sondern nur ihre
-Lebensäußerungen, so steht es natürlich frei, ob man sie
-beharrend denken will oder nicht. Anders die Leibnizsche
-Monade. Sie ist uns unmittelbar in unserem eigenen Bewußtsein
-gegeben. Mögen auch in diesem unendlich viele
-Strebungen und Vorstellungen, wenngleich zumeist nur unendlich
-dunkel, vorhanden sein, unser Selbstbewußtsein bietet
-uns klar das eigenste Wesen der Seele. Dieses Wesen ist
-fortwährende Tätigkeit, ein unaufhörliches Fließen der geistigen
-Vorgänge, niemals und nirgends ein Beharren. Mit
-dem Satze »<em class="antiqua">Vis est Substantia</em>« ist streng genommen der
-überlieferten Substanzlehre der Krieg erklärt. Denn der
-idealistische Grundgedanke bringt es mit sich, daß nicht etwa
-die Kraft an einem spezifischen Träger haftet, sondern, mag
-dies auch für die äußere Erscheinungswelt zutreffen, das
-seelische Geschehen hat nach Leibniz den Vorzug, daß es
-das wirkliche Geschehen selbst ist, so daß hier die Kraft und
-ihre Wirkung in eins zusammenfallen. Die Naturerscheinungen
-dagegen sind nach ihm nicht wirkliche Vorgänge
-im Sinne unserer Wahrnehmungen, sondern Erscheinungen.
-Zwar läßt er im allgemeinen dahingestellt, wie diese Erscheinungen
-auf ein hinter ihnen stehendes wirkliches Geschehen
-zurückzuführen seien; aber es steht nichts im Wege,
-anzunehmen, daß er die Hypothesen der Naturforschung,<span class="pagenum"><a id="Page_89">[89]</a></span>
-sofern sie zureichend durch Beobachtungen und Experimente
-begründet sind, als erste Annäherungen an die Lösung dieser
-Aufgabe betrachtet habe. Doch, wie er auch sein »<em class="antiqua">bene fundatum</em>«
-gemeint haben mag, fest steht jedenfalls, daß er
-das Dogma von der transzendenten beharrenden Substanz,
-das in dieser Zeit den Höhepunkt seiner Herrschaft erreicht
-hatte, wieder aufhob. Diese scheinbare Umkehr bedeutete
-freilich in Wahrheit keine Umkehr. Statt des widerspruchsvollen
-Mischbegriffs eines »<em class="antiqua">Ens perdurabile atque modificabile</em>«,
-eines Dings, das gleichzeitig beharrt und sich
-verändert, beschreitet er zum erstenmal den Weg, der auf
-den einzig unangreifbaren Standpunkt führt: dem eigenen
-geistigen Geschehen sind die Urbilder des Wirklichen zu
-entnehmen, unmittelbar, nicht auf Grund einer Phantasmagorie
-transzendenter Substanzen, sondern in der unaufhörlichen,
-in keinem Augenblick unseres wachen Bewußtseins
-stillehaltenden Tätigkeit, in der die Kraft selbst
-und ihre Wirkung in einem einzigen Geschehen zusammenfallen.
-Indem Leibniz den Übergang in einen neuen
-Idealismus vollbringt, wandelt er die Dinge der Erscheinungswelt
-wieder in das zurück, was sie vor der Umwandlung
-aus relativ in absolut beharrende Substanzen
-gewesen waren. Er entdeckt in der geistigen Welt die wirkliche
-Welt. Für sie gilt ihm aber in Wahrheit das Prinzip
-der <em class="gesperrt">Aktualität</em>, nicht der Substantialität. Doch Leibniz
-konnte sich der Herrschaft, die sich der Substanzbegriff errungen,
-nicht entziehen. War diese Herrschaft dadurch entstanden,
-daß zuerst von dem körperlichen Ding der Begriff des Beharrens
-auf die hypothetischen Elemente der Körper und damit
-aus einem relativen in einen absoluten Begriff übertragen
-wurde, so wäre es wohl an der Zeit gewesen, diesen aus jener
-über alles, Geistiges und Körperliches und selbst über die
-Gottesidee sich ausbreitenden und so schließlich ins Unbestimmte<span class="pagenum"><a id="Page_90">[90]</a></span>
-zerfließenden Stellung zu beseitigen. Aber Leibniz hielt
-trotz seinem Idealismus an ihm fest. Nachdem nun einmal die
-Substanz die allgemeinere Bedeutung eines letzten Grundes
-der Dinge angenommen hatte, ohne daß man den Eigenschaften
-näher nachfragte, denen sie diese Bedeutung verdankte, glaubte
-er auch den Wert der Monaden nicht eindringlicher hervorheben
-zu können, als wenn er sie die »wahren Substanzen«
-nannte. Doch mag es wohl sein, wie gerade das Wort
-»wahr« andeutet, daß sie ihm eben doch nicht eigentliche
-Substanzen, sondern vielmehr, wie er sie häufiger nennt,
-Kräfte, Entelechien, Seelen sind. Das Wort Substanz hatte,
-das kam schon bei der Cartesianischen Seele zum Ausdruck, mit
-der Übertragung von der Körperwelt auf das geistige Leben
-einen Bedeutungswandel erlebt, der an der Stelle der ehemaligen
-Attribute nur noch den unbestimmten Begriff einer
-letzten, nicht weiter zurückzuverfolgenden Grundlage angenommen
-hatte. Darum hat sich erst in dem späteren Idealismus
-der Gedanke durchgesetzt, daß Substanzbegriff und geistiges
-Wirken inadäquate Begriffe seien. So zunächst bei
-Kant, der in seiner Erkenntnistheorie die Substanz sogar
-für die Naturwissenschaft als einen apriorischen Begriff
-beansprucht, für die Psychologie aber ihn gänzlich negiert,
-um ihn schließlich doch als religiöses Postulat abermals zuzulassen.
-Erst Fichte hat die Substanz als einen dogmatischen
-Begriff vergangener Zeiten erkannt, der sich vom Standpunkt
-des kritischen Idealismus aus in einen hypothetischen
-Hilfsbegriff der Naturwissenschaft umwandle.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<h3 id="IIIb"><em class="antiqua">b.</em> Die <em class="antiqua">Lex continuitatis</em>.</h3>
-</div>
-<p>Unter den drei »<em class="antiqua">Leges naturae</em>«, die Leibniz nach der
-Sitte der Zeit an die Spitze seiner Naturphilosophie stellt,
-ist das Gesetz der Stetigkeit das erste und wichtigste. Kein
-anderer der Zeitgenossen hat ihm diese beherrschende Stellung<span class="pagenum"><a id="Page_91">[91]</a></span>
-gegeben. Bei Leibniz schließt es die andern Prinzipien in
-gewissem Sinne als seine notwendigen Ergänzungen ein.
-An den stetigen Zusammenhang aller Kräftewirkungen schließt
-sich als seine quantitative Anwendung das Prinzip der Erhaltung
-der Kraft, an dieses der Satz von der Gleichheit der
-Wirkung und Gegenwirkung als seine nächste Folgerung.
-Nicht minder greift die <em class="antiqua">Lex continuitatis</em> auf die geistige Welt
-über, die sich schließlich zusammen mit dem auch dieses Gesetz
-erfüllenden Zweckgedanken als seine eigentliche Heimat
-erweist. Von den beiden Quellen, aus denen Leibniz die
-frühesten Anregungen seines selbständigen Denkens schöpfte,
-ist es aber nicht die Neue Philosophie, aus der ihm dieser
-Gedanke zufloß. Wohl waren es hier alte Emanationsideen
-gewesen, die in der Mystik nachklangen und durch den Entwicklungsgedanken
-ihre Verwandtschaft mit dem Kontinuitätsprinzip
-bekundeten. Dagegen fehlte einem Descartes und
-Spinoza so gut wie einem Bacon und Newton jede ausgebildete
-Kosmogonie, und es fehlte ihnen noch mehr eine
-Vorstellung von der Entwicklung der lebenden Welt. Hier
-war es gerade Aristoteles gewesen, der in seiner die Biologie
-mit der Psychologie verbindenden Auffassung des Lebens
-das Schema einer aufsteigenden Entwicklung bot. Der Scholastik
-ist dieser Zug nicht verloren gegangen, sie hat ihn aber nicht
-bloß naturphilosophisch nach dem Vorbild des Aristoteles,
-sondern vorwiegend im theologischen Interesse verwertet.
-Die Stufenfolge der Wesen setzt sich ihr über den Menschen
-hinaus auf die himmlischen Wesen fort, oder die Naturkräfte
-steigern sich nach der Lehre des heil. Thomas zu übernatürlichen
-Kräften. Doch diese Ideen bleiben bei einer willkürlichen
-Stufenordnung stehen, die von einer Kontinuität
-der Entwicklung weit entfernt ist.</p>
-
-<p>Dies ist nun der große Schritt, den Leibniz getan hat,
-daß er, wenn auch vielleicht angeregt durch jene Gedanken,<span class="pagenum"><a id="Page_92">[92]</a></span>
-das Kontinuitätsprinzip folgerichtig auszubauen und exakt
-durchzuführen versuchte. Das Hilfsmittel dazu ist ihm aber
-die Mathematik in ihrer Ausbildung zur Infinitesimalmethode
-gewesen. Von ihr aus hat er jenen scholastischen Begriffsdualismus,
-der anfänglich sein Denken beherrschte, Schritt
-für Schritt überwunden. Die Ruhe wird ihm zur unendlich
-kleinen Bewegung, das Gleichgewicht zur Oszillation um
-eine Gleichgewichtslage, die bewußtlose Vorstellung zu einer
-dunkel bewußten, der Körper zum momentanen Geist. Aber
-gehören denn nicht &ndash; so könnte man fragen &ndash; diese Begriffe
-in verschiedene Kontinua, die nicht miteinander vergleichbar
-und auf keine Weise aufeinander zurückzuführen sind? Mag
-es mit Hilfe der Auffassung der Ruhe oder des Gleichgewichts
-als unendlich kleiner Bewegung möglich sein, die
-dynamischen Begriffe in ein einziges Kontinuum zu ordnen,
-die psychologischen Begriffe stehen jenen anscheinend völlig
-fremd gegenüber. Heißt das also nicht, den Cartesianischen
-Dualismus auf einem Umweg wieder einführen? Doch Leibniz
-hat die <em class="antiqua">Lex continuitatis</em> so oft und so nachdrücklich nicht
-bloß als ein allgemeines Naturgesetz, sondern als ein universelles
-Weltgesetz in Anspruch genommen, daß es unmöglich
-ist, ihm einen so groben Widerspruch aufzubürden. Es
-scheint unabweisbar, er denkt sich alles Wirkliche als ein einziges
-großes Kontinuum, in dem man von jedem Punkt aus
-zu jedem beliebigen andern in stetigem Übergang gelangen
-kann. Doch für ihn hat, wie wir uns erinnern, der Unterschied
-zwischen Sein und Erscheinung ebensogut seine Geltung
-wie für Kant. Nur in <em class="gesperrt">einem</em>, allerdings wesentlichen
-Punkt trennen sich beide: Leibniz verlegt das Sein, in der
-Sprache Kants das »Ding an sich«, in das geistige Leben,
-Kant erklärt das Sein überhaupt für unerkennbar. Und daran
-ist ein folgenreicher Unterschied geknüpft: auch das uns unmittelbar
-gegebene geistige Sein zählt Kant unter die »Erscheinungen«.<span class="pagenum"><a id="Page_93">[93]</a></span>
-So sehen wir uns rettungslos einer reinen
-Erscheinungswelt gegenüber, aus der nirgends ein Weg
-zum Sein führt. Die Idee dieses Seins ist in uns gelegt,
-niemand weiß, woher sie gekommen. Nur in dem Sittengesetz,
-das sich hier auf den Widerstreit gegen die sinnliche
-Natur des Menschen berufen kann, ist das Licht zu erblicken,
-das in die übersinnliche ideale Welt des Seins einen Ausblick
-eröffnet. Für Kant ist die sinnliche Welt ein gesetzmäßig
-geordneter Schein, für Leibniz ist sie ein »<em class="antiqua">Phaenomenon
-bene fundatum</em>«.</p>
-
-<p>Die zwei kleinen bedeutungsschweren Worte »<em class="antiqua">bene fundatum</em>«
-bezeichnen hier deutlich die Kluft zwischen Leibniz
-und Kant. Die Außenwelt ist auch nach Leibniz eine gesetzmäßig
-verbundene Kette von Erscheinungen, die unter unserer
-Mitwirkung entstehen, darum nicht die Dinge selbst sind,
-jedoch schon um des Gesetzes der Kontinuität willen als ihr
-wahres Wesen ein geistiges Sein annehmen lassen, ähnlich
-dem, das wir in uns selber finden. Gleichwohl kann uns in
-seinem wirklichen Sein nur der Inhalt unserer eigenen Seele
-gegeben sein, nicht irgendein fremdes Sein, das uns mit allem,
-was aus dem Makrokosmos in den Mikrokosmos der Seele
-eingeht, als eine Welt bloßer Erscheinungen gegenübersteht.
-Als eine solche weist sie hin auf ein Sein, aber sie ist nicht
-selbst dieses Sein. Bis dahin begegnen sich Leibniz und Kant.
-Beide unterscheiden Schein und Erscheinung. Alle Erkenntnis
-bleibt ein System unter Gesetze geordneter Erscheinungen.
-Diese Gesetze samt den Begriffen und Anschauungsformen,
-die sie voraussetzen, liegen <em class="antiqua">a priori</em> in uns, wenn auch erst
-der uns in der Empfindung gegebene Inhalt der Erfahrung
-die Wirksamkeit dieser Formen auslöst. So ist die Erscheinung
-für Kant das Mischergebnis eines gegebenen Stoffs und der
-diesen Stoff gestaltenden Formen. Es ist der alte Aristotelische
-Begriffsschematismus, der sich hier in strengerer<span class="pagenum"><a id="Page_94">[94]</a></span>
-logischer Umarbeitung wieder erneuert. Die Wissenschaften,
-die sich seitdem um die Probleme der Erscheinungswelt bemüht
-haben, bleiben beiseite. In die rein begriffliche Analyse
-der Erfahrung haben sie nicht dreinzureden. Ganz anders
-Leibniz. Ihm ist das seelische Erleben das wirkliche Sein.
-Vorstellende und strebende Kräfte sind die allgemeinen
-Formen dieses Erlebens, und die Vorstellungen von einer
-Außenwelt sind unlöslich an dieses unser eigenes Sein gebunden.
-Damit wird jedoch das Sein, das hinter den zu
-Inhalten unseres Vorstellens gewordenen Objekten steht,
-weder zu einem Schein noch auch zu einem unerkennbaren
-Ding an sich, sondern der erscheinende Gegenstand ist, wie
-Leibniz wiederholt versichert, ein »wohlbegründetes Phänomen«!
-Was will dieser Ausdruck sagen? Sollte auch er nur
-eine transzendente Idee bedeuten? Diese Vermutung ist
-schlechthin ausgeschlossen. Begleitet er doch so regelmäßig
-den Begriff des Phänomens, daß Leibniz ohne Frage einen
-bestimmten Sinn damit verbunden haben muß. Und kann
-es zweifelhaft sein, welches dieser Sinn gewesen ist? Es war
-<em class="gesperrt">nicht</em>, wie man wohl gewöhnlich annimmt, das System
-der Monaden, an das er dabei dachte. Daß die Naturerscheinungen
-direkt aus der monadologischen Hypothese abgeleitet
-werden sollten, das wäre in der Tat ein so phantastischer
-Plan gewesen, daß man einen Leibniz, der inmitten
-der physikalisch-mathematischen Forschung seiner Zeit stand,
-dessen nicht für fähig halten sollte. Auch ist zu bedenken,
-daß die Monadologie in ihrer ausgebildeten Form den dynamischen
-Arbeiten, in denen er die festen Grundlagen für
-den Aufbau der Naturerkenntnis gewonnen zu haben glaubte,
-nachgefolgt, nicht vorangegangen ist. Es war aber schlechterdings
-unmöglich, daß er sein sorgfältig ausgearbeitetes System
-der Dynamik samt dem an seine Spitze gestellten universellen
-Prinzip der Kontinuität aus den Voraussetzungen<span class="pagenum"><a id="Page_95">[95]</a></span>
-der Monadenlehre ableitete. Vielmehr bestand der wirkliche
-Unterschied zwischen ihm und der späteren Lehre Kants
-eben darin, daß dieser unbewußt Aristoteliker blieb, indem
-er in der Spaltung der Begriffe nach dem Schema der Anschauungsformen
-und der Kategorien die spezifische Aufgabe
-der Erkenntnistheorie sah, während für Leibniz diese
-hier direkt <em class="gesperrt">in die positive wissenschaftliche Aufgabe
-einmündete</em>. Für einen Mann, der insbesondere die von
-ihm selbst begründete Dynamik als die Vorschule der Erkenntnislehre
-schätzen gelernt hatte, konnte das Wort, die
-Welt außer uns sei nicht die Welt des Seins selbst, sondern
-nur eine Welt »wohlbegründeter Erscheinungen« keinen andern
-Sinn haben, als eben den, jede dieser Erscheinungen sei,
-ehe sie als wirklich angenommen werde, in ihrer objektiven
-Wirklichkeit wissenschaftlich sicherzustellen. Hier eröffnete
-ihm aber der <em class="gesperrt">Kraftbegriff</em> die Pforte, die ihn von der
-Physik zur Metaphysik führte. Suchte er doch schon in seiner
-»<em class="antiqua">Hypothesis physica nova</em>« zu erweisen, daß die Kraft jenes
-tote Substrat nach dem Bild der Cartesianischen Materie
-hinfällig mache, und daß der Zweckcharakter der Naturgesetze
-auf den geistigen, den Naturerscheinungen selbst immanenten
-Ursprung dieser Gesetze hinweise. Wenn er aber
-in der Erscheinungswelt die bewegenden, in der geistigen
-Welt die vorstellenden Kräfte als die Grundlagen der Weltordnung
-betrachtet, so muß man sich erinnern, daß er auch
-in Raum, Zeit und Bewegung Phänomene sieht, hinter
-denen als das Wirkliche die Kraft steht. Nicht die Erscheinung
-gewordene Kraft ist darum das Wirkliche, sondern das, was
-in gleicher Weise in der phänomenalen wie in der geistigen
-oder wirklichen Welt das Wesen der Kraft ausmacht: die Gesetze,
-die für beide Welten zugleich gelten. Denn es sind dieselben
-<em class="gesperrt">Gesetze unseres Denkens</em>, nach denen in der äußeren
-Anschauung die bewegenden Kräfte wirken, und die die in uns<span class="pagenum"><a id="Page_96">[96]</a></span>
-liegenden geistigen Kräfte regieren. Hier ist daher der Punkt,
-wo die Erscheinungswelt und die Seinswelt, die körperliche
-und die geistige Welt zu einer Einheit zusammenfließen.
-Hier wie dort gelten die Prinzipien der Identität und des
-Widerspruchs und für einen großen Teil der Erscheinungswelt
-wegen der notwendigen Schranken unserer Erkenntnis
-das Prinzip des zureichenden Grundes. Auch dieses ist ein
-apriorisches Gesetz, aber infolge der Zuhilfenahme empirischer
-Erwägungen, deren es zu seinen Anwendungen bedarf,
-ist es das empirische Grundgesetz der Erfahrung, also
-der Erscheinungswelt. Auch kann es nicht, wie die beiden
-ersten jener logischen Gesetze, selbst wieder zu apriorischen,
-sondern nur zu empirischen Gesetzen von mehr oder minder
-großer Allgemeinheit verhelfen. Daraus, daß es die gleichen
-Denkgesetze sind, nach denen wir unsere eigene geistige Tätigkeit,
-und diejenigen, nach denen wir die Naturerscheinungen
-ordnen, wird es nun aber auch verständlich, daß alle Naturgesetze
-Zweckgesetze sind, das allgemeine Gesetz der Erhaltung
-der Kraft ebenso wie die Gesetze der Lebenserscheinungen.
-Hier, wo physische und geistige Welt einander berühren,
-trägt eben das Naturgesetz am deutlichsten das Gepräge
-eines geistigen Gesetzes an sich, das die von ihm beherrschte
-Erscheinung durch eine weite Kluft scheidet von dem Scheine.
-Wurde darum Leibniz zunächst durch die Dynamik und dann
-durch die Biologie in seiner Überzeugung befestigt, daß die
-geistige Welt die wirkliche Welt sei, so betrachtet er schließlich
-doch als den endgültigen Beweis für diese Auffassung die,
-wie er meinte, unmittelbar einleuchtende Tatsache, daß
-die Gesetze des logischen Denkens überhaupt die allgemeinsten
-Gesetze seien, die das Universum beherrschen. In dieser
-Überzeugung kommt bei ihm der gleiche Rationalismus
-zum Durchbruch, dessen rücksichtslosester Vertreter im gleichen
-Zeitalter Spinoza ist. Aber wie wenig im ganzen mit solchen<span class="pagenum"><a id="Page_97">[97]</a></span>
-Schlagwörtern gesagt wird, das zeigt sein Gegensatz zu diesem.
-Wie weit ab liegt hier insbesondere der Begriff des wohlbegründeten
-Phänomens von Spinozas »inadäquater Erkenntnis«!
-Diese ist nichts als Schein, schlimmer als der
-Irrtum, weil sie der wahren Erkenntnis im Wege steht. Bei
-Leibniz ist die Erscheinung auf die gleiche Denknotwendigkeit
-gegründet wie das Sein, ja sie gehört im Grunde als ein
-wesentlicher Bestandteil zu diesem. Denn in ihr kommt nur
-die niemals aufzuhebende Tatsache zum Ausdruck, daß das
-denkende Subjekt sich verschieden weiß von der es umgebenden
-Welt, daß aber diese Welt ebenso notwendig zu ihm wie es
-zu ihr gehört. Darum hat nun aber auch die rohe sinnliche
-Wahrnehmung, die das Läuterungsfeuer der wissenschaftlichen
-Prüfung noch nicht bestanden hat, keinen Anspruch
-auf den Begriff der Erscheinung im Leibnizschen Sinne.
-Sie ist nur Schein. Zur Erscheinung wird sie erst, wenn
-sie in dem kausalen Zusammenhang des Einzelnen und in
-der logischen Ordnung des Ganzen erkannt ist. Da übrigens
-diese gleichzeitig empirische und logische Ordnung der empirischen
-Wirklichkeit selbstverständlich eine niemals vollendbare
-Aufgabe ist, so liegt die Erscheinung in fortwährendem
-Kampf mit dem Schein. Sicheres scheidet sich innerhalb
-der Erscheinungswelt von dem Zweifelhaften, und der Fortschritt
-des Wissens bringt es mit sich, daß es auch an Zurücknahme
-von Irrtümern niemals fehlt.</p>
-
-<p>Leibniz hat dieses Prinzip der Relativität des Erkennens
-die »<em class="gesperrt">Schranke</em>« genannt, die dem Einzelnen vermöge der
-allgemeinen Weltordnung zukommt. In dieser unabänderlich
-an das Wesen des Menschen gebundenen Schranke liegt
-ihm ebensosehr das unbegrenzte Streben nach ihrer Überwindung
-begründet, wie die Unmöglichkeit, dieses Ziel je
-ganz zu erreichen. Gäbe es überall nur ein beschränktes
-Erkennen, also nur Erscheinungen, so würde uns auch der<span class="pagenum"><a id="Page_98">[98]</a></span>
-Begriff eines Seins versagt sein. Aber in dem vollkommen
-klar Erkannten, in den Wahrheiten, die an und für sich einleuchten,
-wie in dem Satze <em class="antiqua">A&nbsp;=&nbsp;A</em> und in andern logischen
-und mathematischen Axiomen, sind uns unbedingte, also
-schrankenlose Wahrheiten zugänglich. Doch sie sind uns nicht
-als äußere Erfahrungen, sondern rein auf Grund unserer
-unmittelbaren inneren Erfahrung als an sich evidente Wahrheiten
-gegeben. Indem aus ihnen durch Verbindung und
-Schlußfolgerung andere abgeleitet werden, erweitert sich
-dann das Gebiet dieser notwendigen Wahrheiten und damit
-das des unbedingten Seins. Immerhin bleibt es ein beschränktes
-gegenüber der unerschöpflichen Erscheinungswelt,
-die mit jenen apriorischen Wahrheiten in mannigfaltiger
-Weise in Wechselwirkung tritt. Die beiden Sätze der Identität
-und des Widerspruchs betrachtet Leibniz als die letzten
-Grundsätze, auf denen die apriorischen Wissenschaften, in
-erster Linie die Logik und Mathematik in ihrer reinen,
-von empirischen Anwendungen unabhängigen Form beruhen.
-Doch er geht weit darüber hinaus, indem er selbst die Moral
-und die Metaphysik apriorische Wissenschaften nennt. Natürlich
-will er damit nicht sagen, diese gehörten in den Anwendungen
-auf das praktische Leben oder in ihren mit den empirischen
-Lebensverhältnissen zusammenhängenden Problemen
-zur Welt des reinen Seins. Das hat er ebensowenig
-geglaubt, wie er daran denken konnte, die konkreten mathematischen
-Aufgaben, mit denen er sich beschäftigte, in eine
-überempirische Welt zu verweisen. Nur die letzten Grundsätze
-des sittlichen Handelns sind nach ihm nicht aus der Erfahrung
-abzuleiten. Sie liegen in uns, wenn sie auch immer
-erst im Zusammenwirken mit den Eindrücken der Außenwelt
-in Aktion treten können. Hier sind es dann jene eine
-innere Einheit bildenden Tugenden der Gerechtigkeit, der
-Liebe und der Frömmigkeit, die er als absolute Sittengebote<span class="pagenum"><a id="Page_99">[99]</a></span>
-betrachtet. Sie sind ganz in dem Sinne, in dem später
-Kant das allgemeine Sittengesetz auffaßte, Normen, die
-ein Sollen, nicht Gesetze, die ein Sein oder Geschehen bedeuten,
-anders ausgedrückt: sie sind <em class="gesperrt">Willensgesetze</em>, die
-die Möglichkeit der Unterlassung in sich schließen, nicht Seinsgesetze.
-Es ist Kants Verdienst, diese doppelte Form der
-Apriorität klar geschieden zu haben. Aber schon bei Leibniz
-ist sie stillschweigend vorausgesetzt. Nur daß er das Sittengesetz
-zugleich im Anschluß an die überlieferte Sittenlehre
-auf ein System von Tugendbegriffen zurückführt. Kant
-löst es erst aus dieser eine empirische Verursachung vortäuschenden
-Verbindung, um es in das innere Pflichtgebot,
-in die reine Form des »Du sollst« zu verlegen. Es ist ein bedeutsamer
-Wandel, den dieser im Laufe des 18. Jahrhunderts
-erfolgte Übergang von einer eudämonistischen und optimistischen
-Tugendlehre zu einer rigorosen und pessimistischen
-Pflichtenlehre bezeichnet. Er ist charakteristisch für die
-Zeit selbst, in der er sich in seinem Fortschritt von Leibniz
-über Wolff und seine Schule bis zu Kant verfolgen läßt.
-Aber nicht der ethische Gehalt ist es, der sich dabei geändert
-hat: auf das strenge Pflichtgebot ist diese ganze Ethik gegründet;
-es bildet das auszeichnende Merkmal der deutschen
-Moralphilosophie gegenüber dem in dieser Zeit bei den andern
-europäischen Nationen zur Herrschaft gelangten englischen
-Individualismus und Utilitarismus. Jene Ethik der Pflicht
-ist es, die sich bei Leibniz noch in die Form einer weltliche
-und religiöse Motive verbindenden Tugendlehre gekleidet
-hat. Die Lösung aus dieser Verbindung hat ihr dann bei
-Kant jene Macht eines sittlichen Pathos verliehen, das diesen
-zu ihrem eindrucksvollsten Verkünder erhob. Dazu war aber
-auch außerdem die ganze Folgerichtigkeit einer strengen,
-jeder Paktierung mit Selbstsucht und Neigungsmotiven abholden
-sittlichen Lebensauffassung erforderlich, wie sie Kant<span class="pagenum"><a id="Page_100">[100]</a></span>
-vertrat. Hier war daher die Größe Kants gebunden an seine
-einseitig moralische Wertung der Dinge.</p>
-
-<p>Befremdlicher mag es scheinen, daß Leibniz nicht bloß
-die Moral, sondern schließlich auch die <em class="gesperrt">Metaphysik</em> zu den
-apriorischen Wissenschaften zählt. Dennoch wird man zugestehen
-müssen, daß ihm kaum eine andere Wahl blieb.
-War es doch noch weniger zulässig, sie auf die Seite der von
-ihm sogenannten »tatsächlichen Wahrheiten« zu stellen. Hier
-zeigt es sich eben, daß es zwischen dem »Notwendigen« und
-dem »Tatsächlichen« noch eine Region gibt, die keines von
-beiden ist und gleichwohl an der Apriorität der sogenannten
-notwendigen Wahrheiten teilnimmt. Das ist die Region
-des <em class="antiqua">a priori</em> <em class="gesperrt">Möglichen</em>. In der Tat ist eben dies überall
-der Charakter metaphysischer Hypothesen, sofern sie überhaupt
-ein Recht für sich in Anspruch nehmen können. Sie
-stützen sich auf apriorische Gründe, aber diese Gründe sind
-nicht objektiv zwingend, sondern hypothetischer Art. Auch
-findet man, so überzeugt sich Leibniz selbst an vielen Stellen
-zu seiner Monadologie bekennt, in dem Briefwechsel, den
-er über sie geführt, Belege genug dafür, daß er ihr eine andere
-als eine solche hypothetische Apriorität eigentlich nicht beigelegt
-hat. Bezeichnend ist in dieser Beziehung seine Hilfshypothese
-eines »<em class="antiqua">Vinculum substantiale</em>«, die er in der
-Korrespondenz mit den ihm befreundeten katholischen Theologen
-entwickelt, um diesen die Vereinbarkeit des Systems
-der Monaden mit dem Dogma der Transsubstantiation plausibel
-zu machen, und besonders bezeichnend ist seine beiläufige
-Äußerung, man könnte sich vielleicht auch die Monaden selbst
-durch ein substantielles Band ersetzt denken, das alle Teile
-der Welt potentiell miteinander verbinde. An Stelle der
-Monaden, die »keine Fenster haben«, würde dann ein einziges
-geistiges Kontinuum treten, ein Universum, das eigentlich
-<em class="gesperrt">nur</em> Fenster wäre, weil es in allen seinen Teilen zusammenhinge.<span class="pagenum"><a id="Page_101">[101]</a></span>
-So labil denkt sich Leibniz metaphysische Hypothesen,
-trotz ihrer Apriorität. Das Rätsel löst sich dadurch, daß für
-ihn die monadologische, wie jede andere Hypothese, nicht
-an sich, sondern nur insofern Bedeutung besitzt, als sie ein
-geeigneter Ausdruck für das universelle Weltgesetz selbst ist.
-Dieses Weltgesetz ist aber die <em class="gesperrt"><em class="antiqua">Lex continuitatis</em></em>. Auf
-sie kommt es an, nicht darauf, ob die Monaden das einzige
-denkbare Substrat für die Verwirklichung dieses Gesetzes
-sind oder nicht. Leibniz hält sie allerdings im Hinblick auf die
-seelische Natur der Monade für das am besten begründete.
-Ihren Hauptwert hat aber doch die monadologische Hypothese
-darin, daß sie ein anschauliches Bild des Gesetzes der
-Kontinuität selbst ist, sobald man das geistige Geschehen
-als den letzten Inhalt dieses Gesetzes ansieht. Unter diesem
-Gesichtspunkt tritt dann aber auch das Bild von der fensterlosen
-Monade in die richtige Beleuchtung. Gerade die Kontinuität
-des Systems bringt es mit sich, daß jedes einzelne
-Glied seine fest bestimmte Stelle in diesem Kontinuum einnimmt:
-nicht als stabiles Gebilde, sondern als immerwährende
-Kraftäußerung, als solche aber verschieden von jeder anderen
-und doch in gesetzmäßigem Zusammenhang mit jeder andern.
-Die Monaden oder Seelen haben keine Fenster, das bedeutet
-also: jede ist mit allen gesetzmäßig verbunden und außerhalb
-dieses Zusammenhangs der allgemeinen Weltordnung
-gibt es keinen <em class="antiqua">Influxus physicus</em>, der von irgendeinem einzelnen
-Teil dieser Ordnung auf einen anderen übergehen
-könnte.</p>
-
-<p>Bewegt sich auf diese Weise das Gebiet der apriorischen
-Erkenntnis, mit den apodiktischen Sätzen der Logik und Mathematik
-beginnend, über die normativen der Moral schließlich
-bis zu den hypothetischen der Metaphysik, so umfaßt nun
-demgegenüber die empirische Erkenntnis die <em class="gesperrt">Erscheinungswelt</em>.
-Leibniz nennt sie geradezu auch das Gebiet des »Zufälligen«.<span class="pagenum"><a id="Page_102">[102]</a></span>
-Damit ist natürlich nicht ein Zufall im objektiven
-Sinne des Wortes gemeint, sondern in jenem subjektiven
-Sinne, in welchem uns eine Erscheinung tatsächlich gegeben
-sein muß, wenn sie als wahr anerkannt werden soll. Darin
-ist schon ausgesprochen, daß hier jene apriorischen Axiome
-versagen, die nur aus uns selbst stammen, darum aber auch
-ursprünglich nur auf die in uns selbst liegenden Inhalte des
-Denkens angewiesen sind. Nichtsdestoweniger erstreckt sich
-der in unserem logischen Denken wurzelnde Erkenntnistrieb
-auf <em class="gesperrt">alle</em> Inhalte des Bewußtseins, also auch auf jene
-rein tatsächlichen. So entspringt hier eine Aufgabe, die in
-einem <em class="gesperrt">dritten</em> Prinzip ihren Ausdruck findet, das den beiden
-ersten der Identität und des Widerspruchs als das empirische
-oder phänomenologische an die Seite tritt: das Prinzip
-des <em class="gesperrt">zureichenden Grundes</em>. Das Wort »zureichend«
-ist mit Vorbedacht gewählt. Es soll aussprechen, daß es sich
-hier um eine Maxime der Verknüpfung der Tatsachen handelt,
-der keine Notwendigkeit innewohnt, und die daher jederzeit
-einer Berichtigung zugänglich ist. Es ist, abweichend von
-dem in den rein spekulativen Systemen der Philosophie
-angewandten Begriff des Grundes, etwa von der »<em class="antiqua">ratio
-sive causa</em>« des Spinoza, ein empirisches Kausalprinzip,
-das Leibniz hier den Gesetzen des apriorischen Denkens gegenüberstellt.
-Zugleich ist aber ersichtlich, daß diese Scheidung
-der Prinzipien auf das engste mit der Scheidung von Sein
-und Erscheinung, von Seinswissenschaften und empirischen
-Wissenschaften zusammenhängt, die dieser neue Idealismus
-entwickelt. Insofern hat Leibniz hier einen Gedanken
-vorausgenommen, den später Schopenhauer gegen das
-Kantische Kategoriensystem einwandte: die einzige unter
-den zwölf Kategorien, die ihre Stellung behaupte, sei die
-Kausalität.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_103">[103]</a></span></p>
-
-<h3 id="IIIc"><em class="antiqua">c.</em> Der neue Idealismus.</h3>
-</div>
-
-<p>Zweimal hat die Geschichte der Philosophie die Begründung
-eines eigenartigen, auf lange hinaus die Wissenschaft
-beherrschenden Idealismus erlebt: in der Platonischen Ideenlehre
-und in dem Leibnizschen System. Für Plato bilden
-die Ideen eine rein geistige übersinnliche Welt, bei Leibniz
-ist diese geistige Welt der sinnlichen immanent. Dem antiken
-Idealismus ist die Sinnlichkeit eine Trübung der Ideen
-durch die Materie; dem neuen ist die Sinnlichkeit die Erscheinung
-des Geistes selbst. Der Platonische Idealismus
-ist dualistisch, der moderne ist monistisch. An diesen Gegensatz
-ist ein anderer folgenreicher geknüpft: die Platonische
-Seele ist ein Mittelwesen zwischen Ideen- und Sinnenwelt,
-das, in die Sinnlichkeit verstrickt, der Erhebung zu den Ideen
-und damit der Rückkehr zu diesen, von denen sie ausging,
-fähig ist. Die Leibnizsche Seele oder Monade gehört selbst
-zur Ideenwelt. Die Seelen oder Monaden umfassen die
-geistige Welt in ihrer ganzen unendlichen Totalität, aber
-beschränkt, weil sie als endliche vorstellende und strebende
-Kräfte nur einzelne unter den zahllosen Lichtpunkten sind,
-die das Universum in der unendlichen Stufenfolge jener
-Kräfte bilden. So wird der moderne Idealismus zum Pluralismus
-und an die Stelle der Zweiheit von Idee und Materie
-tritt die andere von Sein und Erscheinung. In dieser Einsetzung
-der Erscheinungswelt in ihre Rechte besteht der große
-Schritt, den dieser neue Idealismus getan hat, und der in
-doppelter Beziehung als die bedeutsamste philosophische
-Errungenschaft des Zeitalters der Erneuerung der Wissenschaften
-gelten kann. Auf der einen Seite ist es die volle Anerkennung
-der Erscheinungswelt als der Stätte des menschlichen
-Erkennens und Handelns, die sich hier durchgesetzt hat.
-Auf der andern Seite ist es die Erkenntnis, daß das geistige<span class="pagenum"><a id="Page_104">[104]</a></span>
-Leben selbst, nicht eine ihm äußerlich gegenüberstehende
-Welt transzendenter Ideen, Sein und Erscheinung aneinander
-bindet. Darum sind beide, Sein und Erscheinung,
-gleich wirklich. Wie das Sein die Wirklichkeit unseres eigenen
-Geistes, so ist die Erscheinung diejenige Wirklichkeit, die das
-Universum für uns besitzt. Damit wird aber auch erst die wissenschaftliche
-Erkenntnis, nicht die unmittelbare Wahrnehmung
-zum Maß der erscheinenden Wirklichkeit.</p>
-
-<p>Die neuere Philosophie hat nach Leibniz noch manche Versuche
-unternommen, auf der Basis jener Selbstgewißheit
-des Denkens, die zu jeder Zeit dem Idealismus seine Stütze
-gegeben hat, diesen in einer der modernen Wissenschaft entsprechenden
-Weise auszubilden. Sie alle berühren sich irgendwie
-mit dem Leibnizschen Idealismus. Er aber hat vor allen
-andern das Schicksal gehabt, in seiner wahren Bedeutung
-verkannt zu werden. Der Zeit nach am nächsten steht ihm
-Berkeley. Er stellt nur das eine der beiden idealistischen Argumente
-in den Vordergrund: das psychologische, und damit
-allerdings dasjenige, das am unmittelbarsten und einleuchtendsten
-wirkt. Wir können nicht aus unserer Seele hinaus,
-es sind immer nur unsere eigenen Vorstellungen, nicht die
-Dinge außer uns, die wir wahrnehmen. Ein Ding außer
-uns zu sein, ist selbst nur eine Vorstellung in uns. Das ist
-das unwiderlegbare Berkeleysche Argument. Aber es liefert
-die Welt restlos dem Schein aus. Es verwandelt nicht die
-Dinge in subjektive Täuschungen &ndash; dagegen konnte Berkeley
-mit Recht Verwahrung einlegen&nbsp;&ndash;, aber es macht die
-Erkenntnis einer von uns unabhängigen Außenwelt illusorisch
-und stellt den Wert unseres praktischen Handelns
-und Strebens in Frage. Auf Berkeley folgte Kant. Er hat
-das Verhältnis von Schein und Erscheinung scharf herausgearbeitet,
-und sein Nachweis der Verbindung von Anschauung
-und Begriff in den Grundgesetzen der Erfahrungserkenntnis<span class="pagenum"><a id="Page_105">[105]</a></span>
-gehört zu den wenigen epochemachenden Entdeckungen
-der spekulativen Erkenntnistheorie. Im übrigen
-liegt jedoch der Schwerpunkt seiner Leistung in seinem ethischen
-Idealismus, in welchem er dem dualistischen Idealismus
-Platos verwandter ist als dem theoretisch folgerichtigeren,
-den Leibniz begründet hat. Eben deshalb hat aber
-Kant hier eine Bahn beschritten, die einen zunehmenden
-Zwiespalt zwischen Philosophie und positiver Wissenschaft
-herbeiführen mußte. Denn statt von der von der positiven
-Wissenschaft geleisteten Analyse der Erfahrung auszugehen,
-legte er die Synthese der sinnlichen Wahrnehmung mit allen
-Widersprüchen und subjektiven Täuschungen zugrunde, die
-dieser Analyse vorausgehen. So wurde ihm die Außenwelt
-nicht zu einer berechtigten und bis zu der jeweils erreichbaren
-Grenze auf ihr reales Substrat zurückführbaren
-Erscheinungswelt, sondern sie blieb ihm derselbe Schein,
-der sie gewesen, bevor sich die Wissenschaft um sie bemüht
-hatte. Daher denn auch die Grundgesetze, von denen nach
-Kant die Sinnenwelt beherrscht wird, mittels der Anschauungs-
-und logischen Denkformen <em class="antiqua">a priori</em> gegeben sind: sie werden
-von jeder Wissenschaft auf den Inhalt jeder beliebigen Erfahrung
-angewandt, auf den Sinnenschein ebensogut wie
-auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Analyse.</p>
-
-<p>Dies ist zugleich der Punkt, wo Kants Vorbild auf die
-folgende Entwicklung des deutschen Idealismus trübend
-eingewirkt hat. Hatte sich Kant selbst noch vorwiegend in der
-Schule Newtons eine tiefe, nur etwas einseitig der mechanischen
-Naturlehre zugewandte Achtung vor der positiven
-Wissenschaft bewahrt, so rückte unter dem Einfluß der großen
-politischen Umwälzungen um die Wende der Jahrhunderte
-der Schwerpunkt der philosophischen Interessen auf die
-Seite der geschichtlichen Wissenschaften. Die nun kommende
-Generation betrachtete daher fortan, hierin weit über Kant<span class="pagenum"><a id="Page_106">[106]</a></span>
-hinausgehend, einen der Gesamtheit der Wissenschaften gegenübertretenden
-spekulativen Aufbau der Philosophie als ihre
-eigenste Domäne. Dieser Zwiespalt offenbarte sich zunächst
-in der Naturphilosophie, dehnte sich aber allmählich
-auch auf die historischen Wissenschaften aus. Die Scheidung
-hat sich nicht ausnahmslos durchgesetzt. An Anleihen
-der einen bei der andern Seite hat es wohl niemals gefehlt.
-Nachdem um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
-die Entfremdung ihr Maximum erreicht haben dürfte, mag
-aber die Zeit nicht mehr allzu fern sein, in der der deutsche
-Idealismus wieder in die Bahnen ihres Begründers einmündet.</p>
-
-<p>Zu Leibniz' Zeit war in der Tat im Gegensatz zu dieser
-späteren Wendung der Dinge das Einheitsbewußtsein der
-exakten Wissenschaft und der Philosophie auf seinem Höhepunkt
-angelangt. Für Leibniz selbst standen Mathematik
-und Naturphilosophie im Vordergrund des wissenschaftlichen
-Interesses, und auf beiden Gebieten waren für ihn
-die allgemeineren Probleme zugleich philosophische Probleme.
-Galt das für dieses ganze Zeitalter, so trennte sich
-aber Leibniz in einem sehr wesentlichen Punkte von der
-vorangegangenen und gleichzeitigen Philosophie der andern
-Länder Europas. Die Cartesianische Philosophie war von
-der Geometrie, die Newtonsche Naturphilosophie von der
-Mechanik ausgegangen: das verlieh beiden einen stark realistischen
-Zug. Bei Leibniz verbanden sich vornehmlich die
-Analysis des Unendlichen und die Dynamik, um die einzigartige
-Schöpfung einer idealistischen Philosophie hervorzubringen,
-<em class="gesperrt">die selbst von der Naturwissenschaft ausging</em>.
-Im Lichte der Infinitesimalmethode wandelte sich
-ihm die ausgedehnte Welt in die Erscheinungsform einer
-unendlichen Vielheit tätiger Kräfte um. Die Grundbegriffe
-der Dynamik gaben diesen Kräften ihren zwecktätigen Charakter<span class="pagenum"><a id="Page_107">[107]</a></span>
-und ließen in ihnen geistige Kräfte erkennen; und im
-Hinblick auf die unmittelbare Gewißheit unseres denkenden
-Selbstbewußtseins konnten diese geistigen Kräfte nicht wohl
-anders denn nach Analogie unseres eigenen Seelenlebens
-als strebende und vorstellende Tätigkeiten gedacht werden.</p>
-
-<p>Wie dieser Idealismus in seiner Eigenart von den früheren
-wie den späteren Formen dieser Denkweise abweicht, so auch
-in seiner Begründung. Die Natur ist für Leibniz nicht, wie
-für Plato, eine Trübung der rein geistigen, in einem übersinnlichen
-Jenseits liegenden Ideenwelt, und sie ist für ihn
-nicht, wie für Kant, eine gesetzmäßig geordnete, aber niemals
-innerhalb des sinnlichen Daseins zu überschreitende Erscheinungswelt,
-sondern beides zugleich: sie ist eine gesetzmäßig
-geordnete Welt, aber ihre Gesetze sind geistige Gesetze,
-und sie ist daher mit Notwendigkeit an unser eigenes
-geistiges Sein gebunden. Als Erscheinung ist sie aber auf
-ein System von Bewegungsgesetzen zurückzuführen, die den
-Prinzipien der Kontinuität und der Erhaltung untergeordnet
-sind. Auch die Begriffe des Raumes und der Zeit, nicht
-weniger wie die der Zahl sind daher nicht unabhängig von uns
-vorhandene Formen, sondern, wie Leibniz mehrfach hervorhebt,
-<em class="gesperrt">ideale</em> Formen, in die wir die Dinge ordnen. Demnach ist ein
-nach Denkgesetzen und Zweckprinzipien geordnetes System von
-Bewegungen offenbar im Sinne von Leibniz das notwendige
-Substrat der Erscheinungswelt: es ist nicht das Sein
-selbst, aber das »<em class="antiqua">Phänomenon bene fundatum</em>«. Dabei
-nimmt die Bewegung in ihrer räumlich-zeitlichen Gesetzmäßigkeit
-schon bei Leibniz eine von den ordnenden Begriffen
-und Gesetzen wesentlich verschiedene Stellung ein. Wenn
-er Raum und Zeit die Formen nennt, nach denen wir die
-Dinge im Raum ordnen und in der Zeit zählen, so ist damit
-dasselbe ausgedrückt, wofür Kant das treffende Wort »Anschauungsformen«
-gebraucht hat. Mit jenem Ordnen im<span class="pagenum"><a id="Page_108">[108]</a></span>
-Raum und jenem Zählen in der Zeit kennzeichnet er eine
-Tätigkeit des anschauenden Denkens im Gegensatz zu dem
-unanschaulichen abstrakten Begriff. Auch steht er schon auf
-der Schwelle der Erkenntnis der Zusammengehörigkeit beider
-Funktionen, der begrifflichen und der anschaulichen. In
-einem aber geht er über Kant hinaus: ihm ist die objektive
-Welt ein System nach Zweckgesetzen geordneter Bewegungen
-ohne ein anderes Substrat als das der tätigen Kräfte selbst.
-Das ist der Unterschied seines »wohlbegründeten Phänomens«
-von den nach Anleitung der Urteilsfunktionen geordneten
-Kategorien Kants.</p>
-
-<p>Daß Leibniz den neuen Idealismus nicht auf die Psychologie,
-wie nach ihm Berkeley, und nicht auf ein logisches
-Begriffssystem, wie der spätere spekulative Idealismus,
-noch endlich auf den Widerstreit zwischen Naturgesetz und
-sittlicher Norm gegründet hat, wie Kant, sondern auf diejenige
-Wissenschaft, die nach der bisherigen Meinung vom
-Idealismus am weitesten entfernt war, auf die Naturwissenschaft,
-dies bildet die große, allen andern Richtungen der
-gleichen Denkweise überlegene Macht dieses Idealismus.
-Auch ist sie es, die ihn eigentlich zum einzigen folgerichtig
-durchgeführten macht und ihm zu dem unschätzbaren Vorzug
-verhilft, daß er nicht außerhalb der positiven Wissenschaft
-steht, sondern sich auf diese selbst stützt. Wenn dieser
-Sachverhalt zumeist verkannt wird, so liegt das offenbar
-daran, daß man sich von der engen Zugehörigkeit der mathematischen
-und dynamischen Arbeiten zu seiner Philosophie
-keine zureichende Rechenschaft zu geben pflegt. Man orientiert
-seine Philosophie ganz nach der Monadologie und nebenbei
-nach den Essays über den Verstand. Doch die Monadologie
-gibt eigentlich nur ein ansprechendes Bild für das Prinzip
-der Kontinuität. An die Bedeutung dieses Prinzips selbst
-reicht sie nicht heran. Kann ihm, der von der engen Beziehung<span class="pagenum"><a id="Page_109">[109]</a></span>
-seiner mathematisch-physischen zu seinen philosophischen
-Arbeiten durchdrungen war, an diesem Mißverständnis
-kaum die Schuld aufgebürdet werden, so verhält es sich aber
-zum Teil anders mit dem Gebiet der <em class="gesperrt">Moral</em>. Hier bildete
-später die Rückkehr zu Plato für Kant einen Vorzug, der
-ihm Vorgängern wie Nachfolgern gegenüber eine überragende
-Stellung gibt. Hier trat aber auch zutage, daß der
-gewaltige Umschwung, den als der erste Begründer des
-neuen Idealismus Leibniz gegenüber der transzendenten
-Ideenlehre bewirkt hatte, unvermeidlich zugleich mit einer
-Abschwächung des sittlichen Idealismus verbunden war,
-der dem Platonischen Gedanken seine dauernde Macht gegeben
-hatte. Der neue Idealismus, der das Geistige und
-Übersinnliche in ein dem Sinnlichen immanentes Sein verwandelte,
-mußte darauf verzichten, zwischen dem Sittlichen
-und Sinnlichen jene Kluft bestehen zu lassen, die dem Sittengesetz
-seinen höchsten, durch nichts mehr zu steigernden Wert
-verlieh. Diesen höchsten Wert brachte Kant zum Ausdruck,
-indem er das Sittengesetz selbst zur Gottesidee erhob. Wohl
-hatte schon Plato die Gottheit der Idee des Guten gleichgesetzt.
-Aber Kant erst verband beide zur vollen Einheit,
-als er seinen moralischen Gottesbeweis, im Gegensatz zu den
-von ihm als unhaltbar erkannten ontologischen und kosmologischen
-Beweisen, für den einzigen erklärte, so daß,
-wie dies später Fichte offen aussprach, an Stelle der bei Plato
-der übersinnlichen Welt angehörigen Idee des Guten das
-der Welt immanente Sittengesetz trat, eine Folgerung, die
-freilich Kant selbst nicht Wort haben wollte. Doch, wie dem
-auch sein mochte, dieses auf das Höchste gesteigerte sittliche
-Selbstbewußtsein war um so mehr bereit, auf die Erkennbarkeit
-der Sinnenwelt zu verzichten, je mehr es mit Plato
-wiederum darin einig war, daß die unbedingte Herrschaft
-des Sittengesetzes nur in einer idealen übersinnlichen Welt<span class="pagenum"><a id="Page_110">[110]</a></span>
-möglich sei. Hier war der Standpunkt Leibnizens in doppelter
-Beziehung ein anderer gewesen. Einerseits war ihm die
-Begründung der Gottesidee eine metaphysische Aufgabe.
-Er glaubte sie in einer Weise gelöst zu haben, die zugleich
-die Erkenntnis Gottes als des höchsten moralischen Gesetzgebers
-in sich schloß. Anderseits ist nach ihm das Sittengesetz
-dem Menschen selbst zugleich mit seinen sinnlichen und intellektuellen
-Trieben eingepflanzt. Darin lag für ihn auch
-das Motiv, dieses Gesetz mit den überkommenen Tugendbegriffen
-in Verbindung zu bringen. Darum formuliert
-er die Gerechtigkeit, Liebe und Frömmigkeit gleichzeitig
-als Tugenden und als Normen, letzteres in Anlehnung an
-die drei Rechtsnormen der römischen Jurisprudenz, denen
-er mit Hilfe jener Tugendbegriffe einen tieferen ethischen
-Wert gibt. Entfernt er sich schon darin von dem Eudämonismus
-der alten Tugendlehre, so geschieht dies noch weiter
-durch die die Strenge des <em class="antiqua">Jus strictum</em> nicht bloß mildernde
-<em class="antiqua">Aequitas</em>, sondern durch die den Menschen an den Menschen
-bindende Liebe, deren letzte Wurzel die auf dem Gefühl
-der Einheit des Menschen mit Gott beruhende Frömmigkeit
-ist.</p>
-
-<p>Man hat es als einen Vorzug der Kantischen Ethik gerühmt,
-daß sie das Sittengesetz auf sich selbst stellt. Hat man dabei
-die vom scholastischen Nominalismus ausgegangene und bis
-in die neuere Orthodoxie sich forterstreckende heteronome
-Moral im Auge, so kann dem sicherlich nicht widersprochen
-werden. Aber die Gerechtigkeit fordert es doch hervorzuheben,
-daß die Leibnizsche <em class="antiqua">Pietas</em> mit diesem »statutarischen
-Kirchenglauben«, wie ihn Kant später nannte, nichts
-zu tun hat. Gerade diese Veräußerlichung des Sittlichen,
-wie sie die unmittelbar vorangegangene theologische Ethik
-vertreten hatte, wird bei ihm durch die Verbindung der drei
-Tugendnormen in ihr Gegenteil verkehrt, indem diese Einheit<span class="pagenum"><a id="Page_111">[111]</a></span>
-von ihm als eine ebenso an das eigene Wesen des Menschen
-wie an die göttliche Weltordnung gebundene gedacht
-wird. Außerdem muß man sich aber, um die Stellung dieser
-Ethik in ihrer Zeit richtig zu würdigen, ihr Verhältnis zu
-den im allgemeinen außerhalb dieser kirchlichen Strömungen
-sich bewegenden politischen und rechtsphilosophischen Gegensätze
-des Zeitalters vergegenwärtigen. Hier hatte zuerst
-in England der moderne Staatsgedanke Wurzel geschlagen.
-Seine Vertreter, mochten sie sonst den verschiedensten politischen
-Richtungen zugetan sein, waren in dem Widerstreben
-gegen die Gebundenheit des alten Autoritätsglaubens, außerdem
-aber auch in der Begründung von Sitte und Recht auf
-Maximen des äußeren Nutzens, also im letzten Grunde des
-Egoismus einig. Leibnizens angesehenster juristischer Zeitgenosse,
-Samuel Pufendorf, hatte auch in Deutschland diesen
-auf das Prinzip des egoistischen Interesses aufgebauten
-Standpunkt zur Geltung gebracht, und in dem überwuchernden
-Formalismus der deutschen Jurisprudenz nach dem
-großen Krieg hatte diese äußerliche Auffassung des Rechtsstaats
-eine fruchtbare Stätte gefunden. Da ist es Leibniz,
-der dieser Veräußerlichung von Recht und Moral energisch
-entgegentritt. Er geht zurück auf die in ihrer sittlichen Bedeutung
-verkannte römische Jurisprudenz, vornehmlich aber
-stützt er sich auf die in der klassischen Scholastik des 13. Jahrhunderts
-bereits zur Herrschaft gelangte Lehre von der Einheit
-von Recht und Sittlichkeit, um darauf eine normative
-Ethik zu gründen, die, mag sie auch von jenen vorangegangenen
-Gedankenrichtungen ihre Anregungen empfangen
-haben, im wesentlichen doch das eigenste Erzeugnis dieses
-neuen Idealismus ist. Eben darum, weil der Mensch ein
-geistiges und als solches allein ein sittliches Wesen ist, widerspricht
-es der eigensten Natur des Menschen, aus seinen
-sinnlichen Eigenschaften die sittlichen Motive und die Grundlagen<span class="pagenum"><a id="Page_112">[112]</a></span>
-der Rechtsordnung ableiten zu wollen. Indem sich
-so bei ihm der das römische Recht erfüllende Gedanke der
-Autonomie des Rechtsstaats mit der religiösen Gesinnung
-der klassischen Scholastik verbindet, erhebt sich seine Ethik
-zugleich über diese, da sie von der kirchlichen Gebundenheit
-der Scholastik frei ist. Ihm beruht das sittliche Wesen der
-Rechtsordnung nicht wie dieser darauf, daß die Kirche zu
-ihrer Aufrechterhaltung dem Staat das weltliche Schwert
-übergeben hat, sondern auf dem sittlichen Geist der Rechtsordnung
-und demnach auch des Staates selbst, dessen Auffassung
-als einer dem Einzelnen übergeordneten sittlichen
-Gesamtpersönlichkeit in dieser Leibnizschen Ethik zum erstenmal
-wieder zum vollen Ausdruck kommt.</p>
-
-<p>So beginnt mit Leibniz in doppelter Beziehung eine
-Reform der Ethik. Aus dem neuen Idealismus entspringt
-eine neue normative Ethik, und diese wird durch den Normgedanken
-zur Grundlage einer von sittlichem Geiste erfüllten
-Rechtswissenschaft. Leibniz hat kein System der Ethik geschrieben.
-Er hat nur an spärlichen Stellen seine ethischen
-Gedanken ausgesprochen, aber seine reiferen juristischen Werke
-sind überall von diesem Geiste beseelt. Im Hinblick hierauf
-kann von ihm gesagt werden, daß er nicht tiefer, aber umfassender
-das Problem einer reinen Ethik der Pflicht aufgenommen,
-als es später Kant zu Ende geführt hat. Während
-dieser sein Sittengesetz als eine durchaus individuell beschränkte
-Norm hinstellt, fließen in der Dreieinigkeit der Normen bei
-Leibniz individuelle Pflicht und sittliche Gebundenheit an
-die Gemeinschaft zusammen, und jedes von beiden Pflichtgebieten
-ordnet sich dem andern nach dem Wert seiner Bedeutung
-unter. Mag daher immerhin Kants »Metaphysische
-Rechtslehre« als ein Altersprodukt betrachtet werden,
-das der Vergangenheit des großen Ethikers kaum würdig
-ist, bezeichnend bleibt es doch, daß Kant hier durchaus den<span class="pagenum"><a id="Page_113">[113]</a></span>
-Spuren des alten individualistischen Naturrechts gefolgt
-ist, während Leibniz gerade in seinen Äußerungen über das
-Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft bereits kommende
-Zeiten vorausverkündet. Dieser Rückgang der auf Leibniz
-zunächst folgenden Zeit wird aber daraus verständlich, daß
-nicht bloß Kant, sondern dem ganzen Zeitalter, dem er
-angehörte, die Ethik und Rechtstheorie Leibnizens beinahe
-ein verschlossenes Buch war. Die mangelhafte Kenntnis,
-die das 18. Jahrhundert von Leibniz besaß, wie die allgemeine
-Geistesrichtung dieser Verstandesaufklärung brachte es
-mit sich, daß die Idee der Pflicht nur in ihrer individuell
-gerichteten Form auf Christian Wolff und seine Schule überging
-und in dieser Beschränkung wieder in die Bahnen der
-alten eudämonistischen Tugend- und Wohlfahrtsmoral einmündete.
-Hier hing dann dieser Wandel des Normbegriffs
-mit dem andern, folgeschweren des Zweckbegriffs auf das
-engste zusammen. Die Leibnizsche Teleologie war eine
-<em class="gesperrt">immanente</em> gewesen. Jeder Teil des Universums, jedes
-lebende Wesen hat seinen Zweck in sich selbst. Liegt doch dieser
-Zweck unmittelbar ausgedrückt in den Gesetzen aller Erscheinungen
-von dem Mechanismus der leblosen Natur bis herauf
-zu dem Sittengesetz. Bei Wolff und seinen Schülern hat sich
-der Zweck in eine den Bedürfnissen des Menschen angepaßte
-Weltordnung umgewandelt. Eine solche anthropozentrische
-Teleologie war natürlich nur mit einer ebenso ausschließlich
-individualistischen Ethik vereinbar, und es bildet gegenüber
-dieser Veräußerlichung der deutschen Aufklärungsmoral
-immerhin ein Verdienst, daß sie sich auch in ihrer Beschränkung
-so ernst um das Problem der Pflicht bemüht, das in ihr mehr
-und mehr als die Zentralfrage der Philosophie hervortritt.
-Wenn Wolff auf das eindringlichste die »Selbstvervollkommnung«
-als die höchste aller Pflichten hinstellt, so liegt darin
-ebenso das Verdienst wie die Schranke dieser individualistischen<span class="pagenum"><a id="Page_114">[114]</a></span>
-Pflichtmoral ausgesprochen. Auch brachte es die Orientierung
-des Zwecks nach den Bedürfnissen des Menschen mit sich,
-daß diese Teleologie wieder in die Bahnen der theologischen
-Moral der Scholastik einlenkte, die Leibniz im Prinzip überwunden
-hatte. Hier setzt dann Kant ein. Er kehrt zur Idee
-des immanenten Zwecks zurück und gründet damit nicht
-mehr die Moral auf die Pflicht gegen Gott, sondern den
-Glauben an Gott auf das Sittengesetz. Doch rein individualistisch
-bleibt die Ethik Kants wie die des ganzen Zeitalters,
-in welchem die deutsche Pflichtmoral nur eine ihn
-vorbereitende Nebenströmung der über ganz Europa verbreiteten
-eudämonistischen Nützlichkeitsmoral gewesen war.
-Den zweiten großen Schritt, in welchem sich die mit Leibniz
-beginnende Entwicklung fortsetzt, den der Gemeinschaftsmoral,
-hat erst der mit Fichte beginnende neueste deutsche
-Idealismus getan.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<h3 id="IIId"><em class="antiqua">d.</em> Philosophie und Theologie.</h3>
-</div>
-<p>In keinem Jahrhundert ist wohl das Verhältnis der Philosophie
-zur Theologie ein vielgestaltigeres gewesen als in dem
-des großen Religionskrieges. Mit dem Opfertod Giordano
-Brunos auf dem Scheiterhaufen der Inquisition beginnt es,
-mit dem Auftreten des englischen Freidenkertums schließt
-es. Zwiespältig zwischen beiden stehen die im Lauf des Jahrhunderts
-auftretenden führenden Philosophen. Die Schriftsteller,
-denen Leibniz seine erste Kenntnis der neuen Philosophie
-verdankte, Descartes und Gassendi, legten sich in
-der Darstellung ihrer materialistischen Naturphilosophie keinen
-Zwang auf, aber sie versäumten selten zu versichern, daß
-sie jederzeit bereit seien zurückzunehmen, was in ihren Lehren
-etwa der Kirche mißfallen sollte. Wohl waren im ganzen die
-Zeiten vorüber, in denen das Verhältnis zur Kirche das
-Schicksal der Philosophen bestimmte, aber die Macht der<span class="pagenum"><a id="Page_115">[115]</a></span>
-Theologie war der Philosophie gegenüber immer noch die
-größere. Darum, wer seinen inneren und äußeren Frieden
-bewahren wollte, der folgte der Losung Pierre Bayles, des
-berühmten Skeptikers, in dem Zwiespalt zwischen Glauben
-und Wissen dem Glauben zu folgen und auf das Wissen zu
-verzichten, da es eine volle Gewißheit ohnehin nicht gebe.
-Freilich, was einmal vorüber ist, das läßt sich nicht unverändert
-erneuern, im Glauben so wenig wie im Wissen. Die Wahl,
-die Bayle stellt, ist selbst schon auf dem Boden der neuen
-Wissenschaft entstanden. Hinter ihr liegt bereits weit jener
-andere Standpunkt, auf dem es überhaupt keine Wahl gibt:
-das ist der der klassischen Scholastik, für den Theologie und
-Philosophie eins sind, weil die Philosophie, soweit man sie
-als ein gesondertes Gebiet anerkennen will, nur den Beruf
-hat, die Glaubenswahrheiten für die Vernunft einleuchtend
-zu machen und sie durch die bereits dem natürlichen Verstande
-zugänglichen Erkenntnisse zu ergänzen. Für Pierre Bayle
-gibt es, nachdem sich nun einmal die neue Wissenschaft gebildet
-hat, nur <em class="gesperrt">eine</em> Gewißheit: die wissenschaftliche; der
-Glaube ist ein Werk der Offenbarung. So ist der Standpunkt
-Bayles der auf dem Boden der neuen Wissenschaft
-folgerichtig zu Ende geführte Nominalismus der Scholastik.
-Auch Leibniz war von diesem Nominalismus ausgegangen.
-Hatte er doch in seiner Jugendschrift über die Kombinatorik
-den Aufbau der alten scholastischen Theologie zur Seite gelassen,
-um zum rein kosmologischen Gottesbegriff des Aristoteles
-zurückzukehren. Ganz anders, nachdem er auf dem
-Höhepunkt seiner durch Mathematik und Naturwissenschaft
-vermittelten idealistischen Denkweise angelangt ist. Jetzt
-wird ihm gerade in der Theologie die klassische Scholastik
-des 13. Jahrhunderts zur Führerin, und keine Autorität
-nennt er häufiger und mit größerer Anerkennung als die des
-heil. Thomas. Ja fast geht er in der strengen Durchführung<span class="pagenum"><a id="Page_116">[116]</a></span>
-des Systems der Gottesbeweise weiter als dieser. Es ist die
-ganze Skala der scholastischen Kausalbegriffe, die er durchmißt,
-um aus jedem eine besondere Grundlage für den Gottesbegriff
-zu gewinnen. Vor allem hilft ihm die »<em class="antiqua">Causa formalis</em>«
-zu derjenigen Gestalt des ontologischen Beweises,
-in deren rein logischer Fassung er sowohl den alten Anselmus
-wie Descartes hinter sich läßt. Jener hatte immerhin nebenbei,
-dieser sogar ausschließlich dem psychologischen Motiv der in
-uns lebenden Gottesidee seine Bedeutung gewahrt. Leibniz
-operiert im Sinne seiner Metaphysik als einer <em class="antiqua">a priori</em>
-möglichen Auffassung des Universums ganz mit den Begriffen
-des Möglichen und Wirklichen. Er definiert Gott als den Inbegriff
-aller Möglichkeiten, dem eben damit auch Wirklichkeit
-zukommen müsse. Das ist die berühmte Form des ontologischen
-Gottesbeweises, die später Kant benutzt, und von
-der man mit Recht gesagt hat, sie sei gar nicht die wirkliche.
-Kant hat sie in der Tat weder dem Anselm noch Descartes,
-sondern Leibniz entnommen, der sie erst durch ihre völlige
-Loslösung von dem denkenden Subjekt zu ihrer abstrakten
-Höhe erhoben hatte. Neben die »<em class="antiqua">Causa formalis</em>« stellt sich
-sodann die »<em class="antiqua">Causa efficiens</em>«, nach der Gott als die wirkende
-Ursache aller Dinge gedacht werden müsse. Es ist der
-kosmologische Beweis, den auch noch die Scholastik, selbst
-der Nominalismus, fast bis zuletzt neben dem Glaubensprinzip
-festgehalten hatte. Der dritte, für Leibniz wichtigste
-Beweis entspringt aber aus der »<em class="antiqua">Causa finalis</em>«: die Welt ist
-nach Zwecken geordnet, und nur ein höchstes geistiges Wesen
-kann als eine letzte Zweckursache angenommen werden.
-»Gott regiert«, so faßt er diesen teleologischen Beweis zusammen,
-»die Körper wie ein Techniker seine Maschine nach
-den Gesetzen der Mechanik, die Menschen aber wie ein Fürst
-seine Bürger nach den Gesetzen der Moral.« Er weist damit
-auf die beiden großen Zweckgebiete hin, die er in seiner Philosophie<span class="pagenum"><a id="Page_117">[117]</a></span>
-einander gegenüberstellt: die Naturgesetze und die
-sittlichen Normen. Er sucht den kennzeichnenden Unterschied
-beider durch diese Bilder zu beleuchten und dabei doch als
-eine unter dem religiösen Gesichtspunkt einheitliche Gesetzgebung
-aufzufassen. Diesen drei Argumenten stellt er endlich,
-als eine Art Abwandlung des dritten, das auf die Beziehung
-zu seiner Metaphysik hinweist, das der »Harmonie
-der Welt« zur Seite. Die Welt ist nicht nur zweckmäßig,
-sondern sie ist harmonisch, weil jedes Einzelne nicht bloß seiner
-eigenen Bestimmung, sondern auch der aller andern angepaßt
-ist. Hier liegt die hauptsächlichste Bereicherung, die
-Leibniz dem teleologischen Gottesbeweis gegeben, und um
-derentwillen noch Kant diesen den ehrwürdigsten genannt
-hat. Er ist in dieser Form im 18. Jahrhundert besonders
-verbreitet gewesen, hat aber auch die Wurzel jener Abirrung
-in eine äußerliche anthropozentrische Teleologie gebildet,
-die später in der Wolffschen Schule um sich griff, bis sie durch
-Kant wieder beseitigt wurde.</p>
-
-<p>Könnte Leibniz angesichts dieses Systems der Gottesbeweise
-als der bloße Wiedererneuerer der gesamten vorangegangenen
-scholastischen Theologie, insbesondere der klassischen
-Scholastik angesehen werden, so gewinnt nun aber
-diese Behandlung des Gottesproblems eine wesentlich tiefere
-Bedeutung im Hinblick auf seine Philosophie. Hier kommt
-bei ihm in bevorzugter Weise ein Prinzip zur Geltung, wenn
-auch freilich nicht zur folgerichtigen Durchführung, das auch
-sonst in seinem Denken eine bedeutende Rolle spielt: wir können
-es wohl das Prinzip der <em class="gesperrt">Gleichberechtigung einander
-ergänzender Standpunkte</em> nennen. Es sind vor allem
-der philosophische und der theologische Standpunkt, die bei
-der Betrachtung der Natur wie des sittlichen Lebens in
-diesem Sinne einander ergänzen, zugleich aber auch als
-Gegensätze erscheinen können, die erst bei einer tieferen Betrachtung<span class="pagenum"><a id="Page_118">[118]</a></span>
-der Dinge sich aufheben. Nirgends offenbart sich
-dieses Prinzip deutlicher als in der Monadologie. Denn
-aus diesem Ergänzungsprinzip ist das letzte, vielleicht das
-entscheidende Motiv des monadologischen Denkens hervorgegangen.
-Wohl haben der Infinitesimalbegriff, das Prinzip
-der tätigen Kraft, das Selbstbewußtsein als seelische
-Einheit ebenfalls wirksame philosophische Motive gebildet,
-aber entscheidend für Leibniz war doch, daß kein System
-so wie das monadologische die Zusammengehörigkeit des
-Ganzen zu einer höchsten, die Gottesidee befriedigenden
-Einheit in sich schloß. Darum gibt es für den Grundgedanken,
-die Harmonie des Universums, zwei Ausdrücke, die einander
-gegenüberstehen und doch dasselbe bedeuten: universelle
-Harmonie heißt das System philosophisch betrachtet, prästabilierte
-heißt es theologisch betrachtet. In streng philosophischen
-Erörterungen zieht Leibniz den ersten, in theologischen
-und in populär religiösen Schriften den zweiten
-Ausdruck vor. Dort entschlüpft ihm wohl gelegentlich das
-Wort »<em class="antiqua">Harmonia universalis id est Deus</em>«, hier gewinnt durch
-die Beziehung alles Geschehens auf eine göttliche Fügung
-das Universum die Bedeutung eines Schauplatzes unablässiger
-Tätigkeit Gottes. In dieser Doppelheit des Ausdrucks
-lag dann freilich auch der Anlaß zu einer Abweichung von
-jenem Prinzip der Gleichwertigkeit, da unter dem Begriff
-der prästabilierten Harmonie leicht den Ansprüchen der Theologie
-Zugeständnisse gemacht werden konnten, die über das
-vom philosophischen Gesichtspunkt der universellen Harmonie
-aus Erlaubte weit hinausgingen. Dafür bieten sowohl
-die Theodizee wie der theologische Briefwechsel zahlreiche
-Beweise. Die Neigung, andern Zugeständnisse zu
-machen, namentlich in religiösen Dingen, wie nicht minder
-die Virtuosität, fremde Gedanken den eigenen anzupassen,
-spielen hier nicht selten eine bedenkliche Rolle. Dazu leistet<span class="pagenum"><a id="Page_119">[119]</a></span>
-die Methode der scholastischen Begriffsspaltung eine weitere
-Hilfe. Sehen wir aber ab von den Dogmen der Trinität,
-der Ewigkeit der Höllenstrafen, der Gegenwart des Leibes
-Christi im Abendmahl u. a., die zum Teil bis auf Lessing
-und Kant herab nach dem Vorbild von Leibniz Gegenstände
-philosophischer Erörterungen gebildet haben, so sind es hier
-besonders zwei Gesichtspunkte, die unter diesen Zugeständnissen
-an die dogmatische Theologie eine gewisse Wirkung
-auf die Folgezeit geübt haben: der eine besteht in der aus der
-Scholastik überkommenen Unterscheidung des »Widervernünftigen«
-und des »Übervernünftigen« zur Erklärung des
-Wunders, der andere in der wohl von Leibniz selbst herrührenden
-Unterscheidung der »metaphysischen« und der »moralischen«
-Notwendigkeit zur Erklärung des Übels. Was den
-ersteren betrifft, so hat Leibniz höchstens das Verdienst, diese
-scholastische Distinktion durch seine Analogie mit einer mathematischen
-Funktion, die innerhalb bestimmter Grenzen einen
-gewissen Verlauf nimmt, darüber hinaus aber davon abweicht,
-verdeutlicht, damit aber freilich den Begriff des
-Wunders eigentlich überhaupt beseitigt zu haben. Der zweite
-Gedanke stammt aus der scholastischen Mystik. Doch durch
-die Verbindung mit der ebenfalls echt scholastischen Unterscheidung
-der metaphysischen und der moralischen Notwendigkeit
-hat auch er mehr verloren als gewonnen. Die Mystiker
-hatten das Übel als einen zum Heil des Menschen notwendigen
-Bestandteil der göttlichen Weltordnung angesehen, da der
-Weg zum Heil nur durch Leiden und Prüfungen führen
-könne. Sie hatten sich damit vollkommen naiv auf den Boden
-der Wirklichkeit gestellt, auf dem auch der Mensch mit den
-Vorzügen und Mängeln vorausgesetzt werden muß, die er
-tatsächlich besitzt. Die Theodizee, die den Schöpfer deshalb
-glaubt rechtfertigen zu sollen, weil er den Menschen nicht
-von vornherein ohne Fehl geschaffen hat, gehört bereits<span class="pagenum"><a id="Page_120">[120]</a></span>
-einer Zeit reflektierender Skepsis an, die besser täte daran
-zu zweifeln, ob eine nach menschlichem Ermessen absolut
-vollkommene Welt überhaupt einen ethischen Wert haben
-würde. Gleichwohl blieb bei Leibniz jenes Prinzip der Harmonie
-zwischen Theologie und Philosophie, nach welchem
-zwar der Gesichtspunkt der Betrachtung für jede von beiden
-ein anderer sei, darum aber doch keiner dem des anderen
-widersprechen dürfe, der herrschende Gedanke, und nach
-Analogie der Übereinstimmung der universellen und der
-prästabilierten Harmonie dachte er sich das Verhältnis von
-Religion und Wissenschaft überhaupt. Er ist diesem Programm
-keineswegs selbst nachgekommen, und noch mehr ist
-der Scheinrationalismus der folgenden Zeit infolge der
-überhandnehmenden theologisierenden Teleologie ihm untreu
-geworden. Doch verlorengegangen ist auch hier der
-Leibnizsche Gedanke nicht. In wesentlich anderer Form,
-aber vielleicht am ehesten in gleichem Geiste hat Hegel das
-gleiche Prinzip zu einer leitenden Idee seines Systems gemacht,
-wenn er die Religion im Reich der Vorstellungen
-dasselbe nannte, was die Philosophie im Reich der Begriffe
-sei.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_121">[121]</a></span></p>
-
-<h2 id="IV">IV.<br />
-Leibniz und die Zukunft der deutschen Philosophie.</h2>
-</div>
-
-<p>Die deutsche Philosophie ist von Leibniz ausgegangen.
-Was vor ihm lag, war nahezu der Vergessenheit anheimgefallen.
-Wenn er selbst es dereinst beklagte, in seiner Jugend
-sei die deutsche Wissenschaft noch in der Scholastik befangen
-gewesen, so ist dieses Schicksal vielleicht an ihm selbst zum
-Segen geworden. Er ist tiefer als irgend einer seiner Zeitgenossen
-wie Nachfolger in die Vergangenheit eingedrungen
-und hat aus ihr der neuen Wissenschaft verlorene Schätze
-wieder zuzuführen gewußt. So ist seine Philosophie eklektisch
-und schöpferisch im höchsten Sinne des Wortes. Niemand
-wird heute mehr daran denken, seine Weltanschauung
-unverändert erneuern zu wollen. Dazu trägt sie allzu sehr
-die Spuren seines Zeitalters an sich. Um so mehr lohnt es
-sich vielleicht, von diesem kurzen Überblick seiner reichen
-Gedankenarbeit ausgehend, noch einmal sich die Hauptmotive
-zu vergegenwärtigen, die in ihr zutage treten, und
-zu deren Fortbildung teils die folgende Zeit beigetragen,
-teils aber auch noch Wege offengelassen hat, die weiter zu
-verfolgen eine Aufgabe der Zukunft deutscher Philosophie
-sein wird. Hier steht in erster Linie seine Neubegründung
-des Idealismus. Sie ist in ihrem Aufbau auf der Naturphilosophie
-und auf der exakten mathematischen Naturwissenschaft
-einzig in ihrer Art, und, wenn nicht alle Anzeichen
-trügen, so wird ihr noch eine reiche Zukunft bevorstehen.<span class="pagenum"><a id="Page_122">[122]</a></span>
-Ein zweiter für die Zeit epochemachende Gedanke ist die
-Idee der Einheit und Harmonie des Universums. Er ist
-nicht vollkommen neu wie der vorige, aber Leibniz hat ihn
-tiefer erfaßt als irgend einer seiner Vorgänger, und er hat
-ihm in seinem Gesetz der Kontinuität eine festere Basis zu
-geben und ihn dadurch mit dem Grundgedanken seines
-Idealismus in Verbindung zu bringen gesucht. Eine Frucht
-dieser Verbindung war der Entwicklungsgedanke in seiner
-Anwendung auf die organische Natur, die er auf die im
-letzten Grunde überall gleichzeitig als mechanische Gesetze
-und als Zweckgesetze aufzufassenden allgemeinen Naturgesetze
-zurückzuführen sucht. Er hat diese Idee in einer Form
-theoretisch gestaltet, die an den mangelhaften biologischen
-Erkenntnissen des Jahrhunderts scheiterte, aber den Weg
-zu einer natürlichen Entwicklungstheorie hat er dem Prinzip
-nach eingeschlagen. Über diese Grenze hinaus hat er
-dann das geistige Leben als ein eng an das körperliche, das
-selbst eine Manifestation des geistigen Seins sei, gebundenes
-gedacht, um so die Prinzipien zu finden, die, beiden gemeinsam,
-notwendig zugleich übereinstimmende sein müßten.
-Er hat dem unvermeidlichen Intellektualismus der Zeit
-seinen Tribut gezollt, indem er als diese Prinzipien zunächst
-die logischen Denkgesetze betrachtete, deren universelle Gültigkeit
-von niemandem bestritten werde, sodann aber auf jene
-großen Zweckgesetze der unorganischen wie der organischen
-Welt hinwies, in denen sich die Harmonie des Universums
-bewähre.</p>
-
-<p>Die zweite, oft übersehene und an sich doch vielleicht
-noch bedeutsamere Leistung ist seine Begründung der Moral-
-und Rechtsphilosophie. Hier ist er der Schöpfer der kommenden
-deutschen Ethik der Pflicht nicht nur, sondern einer auf diese
-Ethik gegründeten Auffassung von Recht und Staat. Nicht
-als ob auch diese Ideen völlig neue gewesen wären, aber<span class="pagenum"><a id="Page_123">[123]</a></span>
-Leibniz hat als der erste die Fundamente einer weltlichen,
-auf die eigenste sittliche Natur des Menschen gegründeten
-Moral- und Rechtsphilosophie gelegt. Wenn dies übersehen
-worden ist, so beruht es zumeist wohl darauf, daß er die damit
-verbundene religiöse Betrachtungsweise durchaus in ihrer
-Berechtigung anerkennt, daß er sie aber nicht, wie der vorangegangene
-scholastische Nominalismus, für die einzige hält,
-sondern in der Natur des Menschen selbst ihre unmittelbaren
-Quellen zu finden sucht. Wenn darum irgendein Denker
-den theoretischen Egoismus und seine Nebenform, den
-Utilitarismus der Aufklärungszeit, im Prinzip überwunden
-hat, so ist es Leibniz gewesen.</p>
-
-<p>Der folgenden deutschen Philosophie sind zunächst unter
-dem überwiegenden Einfluß, den die englisch-französische
-Aufklärung auf das 18. Jahrhundert und seine populäre
-Philosophie ausübte, diese von Leibniz gestreuten fruchtbaren
-Keime zum großen Teil verlorengegangen. Nur die
-Pflichtmoral ist so weit erhalten geblieben, daß in Kant ihr
-ein Erneuerer erstehen konnte, der, indem er das Sittengesetz
-selbst zum höchsten Gesetz einer übersinnlichen Welt erhob,
-nach dieser ethischen Seite den Leibnizschen Gedanken in
-strengerer, aber auch beschränkterer Form wieder aufnahm.
-Schritt für Schritt sind sodann in der Folgezeit zu einem
-großen Teil die weiteren Motive des Leibnizschen Denkens
-hervorgetreten. Der deutsche Idealismus des 19. Jahrhunderts
-hat so, ohne freilich selbst davon zu wissen, und
-zumeist in veränderter Gestalt die Ideen erneuert, die Leibniz
-in seinem Prinzip der universellen Harmonie vereinigt hatte.
-So ist vor allem der Gedanke, daß die logischen Gesetze die
-Welt regieren, in der späteren Geschichtsphilosophie dieses
-Idealismus wieder zur Herrschaft gelangt. Damit ist aber auch
-die Ethik und Rechtsphilosophie der Romantik abermals
-in die Bahnen eingelenkt, die Leibniz beschritten. Daneben<span class="pagenum"><a id="Page_124">[124]</a></span>
-sind schließlich in den positiven Wissenschaften in vielen Fällen
-Gedanken wieder lebendig geworden, die in ihm zuerst als allgemeine
-Konzeptionen in ihren Anfängen entstanden waren.
-Das Prinzip der Erhaltung der Kraft ist das glänzendste, die
-Einlenkung naturwissenschaftlicher Hypothesen in eine idealistische
-Weltanschauung das interessanteste dieser Beispiele.</p>
-
-<p>Daß ein Gedankensystem, das nach so vielen Seiten
-mannigfache, weit über sein eigenes Zeitalter hinausreichende
-fruchtbare Ideen hervorbrachte, ein in sich folgerichtiges
-und widerspruchsloses sei, wäre auch dann unmöglich, wenn
-es nicht, wie das Leibnizsche, zumeist in zerstreuten und zu
-verschiedenen Zeiten entstandenen Bruchstücken überliefert,
-und wenn nicht sein Urheber allzu oft geneigt gewesen wäre,
-dem Standpunkt seiner Leser sich anzupassen. Aber auch
-davon abgesehen war es unvermeidlich, daß der allgemeine
-Charakter der Zeit in den Schriften ihres größten Sohnes
-seinen Ausdruck fand. So folgenreich, weit dieser Zeit vorausgreifend
-der Gedanke war, den neuen Idealismus auf den
-Grundlagen der mathematisch-physikalischen Forschung, dieser
-seiner früher wie später zumeist hartnäckigsten Gegnerin,
-zu errichten, so sah sich doch in den Gesetzen des geistigen
-Geschehens, die er als die universellen Weltgesetze nachzuweisen
-bemüht war, Leibniz auf die sein Zeitalter beherrschenden
-Gedanken angewiesen, und dies waren und
-blieben schließlich die logischen Denkgesetze. So wurden
-ihm einerseits die allgemeinen logischen Axiome, nach denen
-wir unsere Begriffe ordnen, anderseits die Zweckprinzipien,
-unter denen wir die Erscheinungen der Wirklichkeit zusammenfassen,
-zu objektiven Weltgesetzen. Aber woher nahm er,
-so kann man fragen, die Gewißheit, daß die Regeln unseres
-Denkens die Gesetze der Gegenstände selbst sind, und woraus
-schöpfte er die Überzeugung, daß diese allgemeinen Denk-
-und Zweckprinzipien die unendliche Mannigfaltigkeit des<span class="pagenum"><a id="Page_125">[125]</a></span>
-Wirklichen erschöpfen? Mag man zugeben, jenes Postulat
-der Übereinstimmung der Normen des Denkens mit den
-allgemeinen Bedingungen der Wirklichkeit sei ein notwendiges,
-weil auf ihm ebenso die subjektive Entstehung der Denkgesetze
-wie die Möglichkeit ihrer objektiven Geltung beruhen
-muß, so gehört doch die ganze Einseitigkeit des Intellektualismus
-dieser Zeit dazu, um auf die abstrakten Sätze der Identität
-und des Widerspruchs und auf ihre Ergänzung durch
-den »zureichenden Grund« die ungeheure Mannigfaltigkeit
-alles Seins und aller Erscheinung begründen zu wollen. Auch
-bilden hier die weiter hinzutretenden Zweckbegriffe um so
-weniger eine volle Ergänzung, als wiederum dahingestellt
-bleibt, ob solche Sätze wie der der Kontinuität oder der Erhaltung
-der Kraft wirklich <em class="antiqua">a priori</em> notwendig sind oder nicht doch
-erst der Bestätigung durch die Erfahrung bedürfen. So fruchtbar
-ferner jene zum erstenmal von Leibniz einleuchtend
-dargestellte, der späteren Kantischen Auffassung ohne Frage
-überlegene Scheidung der Begriffe Sein und Erscheinung
-auch sein mag, so hat ihn doch offenbar wieder diese Scheidung
-dazu verführt, auch die allgemeinen Prinzipien des
-Denkens und die auf sie gegründeten Wissenschaften in einen
-Gegensatz zu bringen, den die wissenschaftliche Logik nicht
-aufrechterhalten kann. Es ist der Gegensatz der im engeren
-Sinne logischen Prinzipien der Identität und des Widerspruchs
-und des nach Leibniz die Erscheinungswelt beherrschenden
-Satzes vom Grunde. Daß die ersteren auch für
-die Erscheinungen gelten, erkennt er selbst an. Dagegen
-sollen die apriorischen Gebiete von der Logik und Mathematik
-an bis herauf zur Moral und Metaphysik nur von den
-logischen Axiomen, nicht vom Prinzip des Grundes beherrscht
-werden. Und doch kann es keinem Zweifel unterliegen,
-daß die Verknüpfung nach Grund und Folge nicht
-minder eine unerläßliche Aufgabe der sogenannten apriorischen<span class="pagenum"><a id="Page_126">[126]</a></span>
-Gebiete ist, daher er denn auch des begrenzenden Beisatzes
-»zureichend« bedarf, um das Prinzip unzweideutig
-auf seine empirische Verwendung einzuschränken. So verdienstlich
-es daher war, daß er der sonst in dem Rationalismus
-der Zeit verbreiteten völligen Vermengung von Erkenntnisgrund
-und Ursache zu steuern suchte, so hat ihn doch
-gerade seine epochemachende Festlegung des Begriffs der
-»wohlbegründeten Erscheinung« dazu verführt, hier noch
-einmal eine jener scholastischen Gliederungen einzuführen,
-die er im Prinzip selbst schon überwunden hatte.</p>
-
-<p>Aber noch in einer andern Beziehung treten die verschiedenen
-grundlegenden Voraussetzungen seines Idealismus
-miteinander in Widerstreit. Die logischen, kausalen und
-finalen Grundsätze bilden nicht die einzige Basis seines Gedankensystems,
-sondern neben diesen alten, wenn auch in
-neuer Form zu einem Ganzen gefügten Grundlagen des
-Rationalismus tritt ein neues Motiv hervor, das eigentlich
-ganz jenseits der Sphäre der intellektualistischen Denkweise
-der Zeit liegt. Auch ist es direkt von ihm gar nicht mit ihnen
-in Beziehung gebracht worden, und es gehört deshalb um
-so mehr einer neuen Gedankenwelt an. Es ist merkwürdigerweise
-gerade die Monadologie, die diese fremdartigen, an sich
-der Starrheit der rationalistischen Prinzipien widerstreitenden
-Elemente enthält. In ihr wird unaufhörlich betont,
-daß Streben und Vorstellen in ihrer fortwährenden Tätigkeit
-das wahre Wesen der Dinge selbst seien. Hier tritt dem
-scharfsinnigen Logiker der tiefblickende Psychologe zur Seite.
-Aber diese Bestandteile seines Denkens sind nicht gegeneinander
-ausgeglichen, Rationalismus und Psychologismus durchkreuzen
-sich, und man kann zweifeln, welche dieser Seiten,
-die intellektuale oder die im tiefsten Grunde emotionale,
-die überwiegende gewesen sei. Jedenfalls ist die letztere
-später hervorgetreten, und es duldet keinen Zweifel, daß<span class="pagenum"><a id="Page_127">[127]</a></span>
-neben der unmittelbaren psychologischen Beobachtung die
-Dynamik, also wiederum die naturwissenschaftliche Betrachtung,
-ihn nach dieser Seite gedrängt hat. Gerade dadurch
-aber ist seine abschließende philosophische Schöpfung, die
-Monadologie, am allermeisten ein aus heterogenen und
-widerspruchsvollen Bestandteilen gemischtes System geworden.
-Die Monadologie unternimmt es, den Begriff der Substanz
-in seiner abstraktesten Form zu entwickeln, aber in Wirklichkeit
-führt sie ihn in das Prinzip einer reinen Aktualität über,
-das den vollen Gegensatz zur beharrenden Substanz bildet.
-Sie will eine apriorische, also auf die allgemeinen logischen
-Axiome gegründete metaphysische Wissenschaft sein, und in
-Wirklichkeit ist sie doch unter allen spekulativen Systemen
-dieses Zeitalters dasjenige, das die rationalistischen Motive
-am meisten zurückdrängt, um an ihrer Stelle das unmittelbare
-seelische Erleben zum Urbild alles geistigen wie kosmischen
-Geschehens zu erheben. Dieser Wendung entspricht
-es, wenn schließlich nicht die Weltvernunft, sondern die Weltharmonie,
-also im Grunde eine ethisch-ästhetische Idee als
-der letzte Inhalt des Gottesbegriffs erscheint.</p>
-
-<p>In diesem Lichte gesehen gewinnt nun auch die von Leibniz
-unternommene Erneuerung der scholastischen Gottesbeweise
-eine wesentlich veränderte Bedeutung. Wir alle
-stehen heute noch unter dem Eindruck der Kritik, die Kant
-an diesen Beweisen geübt hat. Wenn dieser zeigte, daß die
-Möglichkeit eines Wesens noch nicht seine Wirklichkeit beweist,
-so wird dem niemand mehr widersprechen wollen,
-und wenn er weiterhin ausführte, daß der kosmologische
-und der teleologische Gottesbeweis nur besondere Anwendungen
-dieses ontologischen seien, so ist auch dieser Bemerkung unbedingt
-zuzustimmen. Denn auch bei ihnen handelt es sich
-um die Umwandlung einer möglichen in eine wirkliche Weltursache
-und eines möglichen in einen wirklichen Weltordner.<span class="pagenum"><a id="Page_128">[128]</a></span>
-In Wahrheit gewinnen aber die drei Beweise durch die Hinzunahme
-des Leibnizschen Prinzips der Anwendung verschiedener
-Standpunkte der Betrachtung auf den gleichen
-Gedankeninhalt einen andern Sinn. Es handelt sich bei
-ihnen überhaupt nicht um Beweise, sondern um die Betrachtung
-philosophischer Begriffe unter religiösen Gesichtspunkten.
-Wenn Leibniz sein Weltprinzip »<em class="antiqua">Harmonia universalis
-id est Deus</em>« nennt, so soll die Harmonie kein Beweis
-für das Dasein Gottes sein, sondern Harmonie und
-Gott sind nur verschiedene Ausdrücke für ein und dieselbe
-Sache. Harmonie ist der philosophische Begriff, Gott die ihm
-entsprechende religiöse Vorstellung. In dieser Bedeutung
-bleibt aber die Gottesidee bestehen, trotz der Kantischen
-Widerlegung des ontologischen Beweises. Nicht anders
-verhält es sich mit dem kosmologischen Beweis. Die Harmonie
-als Einheit aller Weltursachen gedacht ist das philosophische
-Prinzip, der Weltschöpfer die dem religiösen Gemüt
-sich aufdrängende persönliche Vorstellung dieser Ursache.
-Endlich die Harmonie als zweckvolle Ordnung des Universums
-ist der teleologische Begriff, unter dem die Philosophie
-auf Grund des inneren Zusammenhangs der Naturgesetze
-und der Geistesgesetze die Welt denken muß, ein weltordnender
-Gott ist die Vorstellung, in die die Religion diesen
-Begriff kleidet. Im Hinblick hierauf darf man wohl zweifeln,
-ob die Beibehaltung der drei Gestaltungen der Gottesidee
-in dieser dem Prinzip der Einheit von philosophischer und
-religiöser Weltbetrachtung entsprechenden Form die tiefere
-und befriedigendere sei, oder die Kantische Beschränkung
-auf den sogenannten moralischen Gottesbeweis, die sich
-auf einen Teil der Weltordnung beschränkt, für diesen
-aber an dem scholastischen Prinzip des logischen Beweises
-festhält. Wenn übrigens Kant nebenbei den sittlichen Imperativ
-eine »Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher<span class="pagenum"><a id="Page_129">[129]</a></span>
-Gebote« nennt, so ist es augenfällig, daß er damit für dieses
-besondere Gebiet zu dem gleichen Prinzip der doppelten Betrachtung
-zurückkehrt, dessen sich Leibniz zuerst bedient hatte.
-In Wahrheit ist es die einzige Form, in der Wissenschaft
-und Religion nebeneinander bestehen können, weil es die
-einzige ist, in der weder die Religion in die Geschäfte der
-Wissenschaft noch diese in die Bedürfnisse jener sich einmischt.
-Hier besteht aber der Wert der drei alten in die sogenannten
-Gottesbeweise gekleideten Formen der Gottesidee darin,
-daß sie sich auf die letzten Grundlagen des religiösen Glaubens
-beziehen, in denen sie nichts anderes als Grundlagen der
-Wissenschaft selbst in ihrer dem religiösen Bewußtsein adäquaten
-Form sind. Auch Leibniz hat allerdings ebenso wie
-später Kant dem Zeitalter seinen Tribut gezollt, indem
-er weit über die durch seine Deutung der Gottesbeweise
-gezogenen Grenzen hinaus die dogmatischen Inhalte der
-verschiedenen christlichen Religionen zu rechtfertigen unternahm.
-Hätte er sich dieser Ausschreitungen enthalten, so
-würde freilich seine Theodizee ungeschrieben geblieben sein.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_130">[130]</a></span></p>
-
-<h2 id="Anmerkungen">Anmerkungen.</h2>
-</div>
-
-<p>I. S. 4. Vgl. hierzu den Kritischen Exkurs G. E. Guhrauers in der
-Beilage zu Bd. 1 seiner Ausgabe von Leibniz' Deutschen Schriften. 1839.
-S. 5. Am ehesten darf wohl unter den Vertretern der Einzelgebiete, neben
-einigen Mathematikern, den Juristen nachgerühmt werden, daß einzelne
-Gelehrte begonnen haben, sich eindringender mit Leibniz zu beschäftigen.
-Vgl. besonders Gustav Hartmann, Leibniz als Jurist und Rechtsphilosoph.
-1892. S. 8. Die Schriften zur Vereinheitlichung des Bücherwesens (1668)
-bei K. Prantl. Art. Leibniz in der Allg. deutschen Biographie. Daß der
-Plan der Konzentration des gesamten deutschen Buchhandels in einer einzigen
-Stadt und der andere der Herausgabe eines Halbjahrskatalogs sämtlicher
-erschienener Schriften zusammen dasselbe bezweckten, was durch die
-vor kurzem begründete »Deutsche Bücherei« in Leipzig erstrebt wird, ist
-einleuchtend. Wenn L. Mainz als Ort dieser enzyklopädischen Vereinigung
-vorschlug, so meinte er vielleicht, für den Ursprungsort der Buchdruckerkunst
-am ehesten die maßgebenden Persönlichkeiten gewinnen zu können. Außerdem
-hatte er in der gleichen Zeit bereits Beziehungen zu Mainz angeknüpft,
-die ihm die Aussicht eröffneten, hier selbst seinen dauernden Wohnsitz zu
-nehmen. S. 9. Die politischen Schriften finden sich am vollständigsten in
-der Ausgabe von Onno Klopp. 1864&ndash;66, die wichtigeren nebst den juristischen
-bei Dutens, <em class="antiqua">Opera omnia, Tom. IV.</em> 1768. Ausführlich behandelt
-die politische und sonstige öffentliche Tätigkeit L.' Edmund Pfleiderer in
-seinem Werk: Leibniz als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger. 1870.
-Ich wundere mich, daß noch niemand auf den Gedanken gekommen ist, den
-»<em class="antiqua">Mars christianissimus</em>«, mit den nötigen historischen Bemerkungen versehen,
-ins Deutsche zu übertragen. S. 11. Der theologische Briefwechsel, der für
-die Unionsbestrebungen von besonderem Interesse ist, findet sich in <em class="antiqua">Tom. I</em>
-der Werke von Dutens.</p>
-
-<p>II. S. 22. Über Leibniz' Beziehungen zu Erhard Weigel vgl. Brucker
-<em class="antiqua">Vita Leibnitii, p. LXI</em>, Dutens, <em class="antiqua">Tom. 1</em>. Einen kurzen Auszug aus Weigels
-Hauptschriften gibt F. Bartholomäi, Zeitschr. f. exakte Philos. Bd. 9, 250.
-Über Raimund Lull vgl. K. Prantl, Geschichte der Logik, III, 145. S. 26.
-J. E. Erdmann, <em class="antiqua">Leibnitii opera philos.</em>, Nr. XVIII (<em class="antiqua">Fundamenta Calculi
-ratiocinatoris</em>). Als modernes Gegenbeispiel vgl. das Werk von G. Boole,
-<em class="antiqua">The Laws of thought</em>, 1854. S. 27. <em class="antiqua">Dissertatio de Arte combinatoria</em>,
-Leibnizens Mathem. Schriften von Gerhardt, Bd. 1. Weitere Fragmente
-zur <em class="antiqua">Characteristica universalis</em> Gerhardt, L.' Philos. Schriften, Bd. 7, 215.
-S. 28. <em class="antiqua">De Quadratura arithmetica Circuli etc.</em>, Math. Schriften, Bd. 1, 80.
-Hauptschriften zur <em class="antiqua">Analysis Infinitesimorum</em> ebenda, 229. Dazu der Briefwechsel
-mit Joh. und Jac. Bernoulli, ebenda, Bd. 3, Abt. 1 und 2. Äußerungen
-L.' aus späterer Zeit (1712) zum Begriff des unendlich Kleinen
-<span class="pagenum"><a id="Page_131">[131]</a></span>im Sinne der Relativitätstheorie, ebenda 387. Vgl. dazu meine Logik II<sup>3</sup>
-241&nbsp;ff. Eine Anzahl der wichtigeren mathematischen Schriften sowie
-der Briefe haben mit Recht Buchenau und Cassirer auch in ihre Sammlung
-von L.' ausgewählten Schriften in deutscher Übersetzung (Bd. 1
-und 2) in der Kirchmannschen Bibliothek aufgenommen. S. 39&nbsp;ff.
-<em class="antiqua">Hypothesis physica nova.</em> 1671. Gerhardt, Math. Schriften, Bd. 2.
-Philos. Schriften, Bd. 4. (<em class="antiqua">Theoria Motus abstracti</em>, 61). <em class="antiqua">De Causis gravitatis</em>,
-Math. Schriften, Bd. 2, 193. <em class="antiqua">De Legibus Naturae</em>, 204. Als abschließende
-Schriften zur Dynamik: <em class="antiqua">Essay de Dynamique</em>, 215. <em class="antiqua">Specimen
-dynamicum pars I et II</em>, 234. <em class="antiqua">Dynamica</em>, 284. Zur Geschichte der L.'schen
-Dynamik vgl. meine Schrift über die »Physikalischen Axiome« (1866),
-2. Aufl. u. d. T.: »Die Prinzipien der mechanischen Naturlehre«, 1910.
-S. 53. Zur Entwicklungstheorie: <em class="antiqua">Principes de la Nature et de la Grace</em>, 14.
-Briefe bei Dutens, <em class="antiqua">Tom. II</em>, 32, 84, 330. Buchenau-Cassirer, L.' Hauptschr.
-II, 63, 74. S. 57. L.' Psychologie: <em class="antiqua">Hypothesis physica nova</em>, Math. Werke,
-Bd. 2. S. 67. Über die Ramisten in Deutschland: Stintzing, Geschichte
-der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 1, 145. S. 70. Über Pufendorf und
-sein Verhältnis zu Leibniz, Landsberg (Stintzing), ebenda, Abt. III, 1.
-Der <em class="antiqua">Caesarinus Fuerstenerius</em> vereinigt wohl mit seinen andern Tendenzen
-auch die einer Gegenschrift gegen die vernichtende Kritik, die Pufendorf
-in einer pseudonymen Schrift an der Verfassung des deutschen Reichs geübt
-hatte. Vor allem hat aber die Gegnerschaft gegen P.s einseitige Betonung
-der Rechtsidee für Leibniz die Anregung zu seiner für die folgende
-Ethik epochemachenden Pflichtmoral gegeben. Wenn die abfällige Beurteilung
-des individualistischen Naturrechts eines Hobbes und Pufendorf den
-springenden Punkt in den rechtsphilosophischen Schriften bildet, so ist es
-übrigens nicht das Naturrecht überhaupt, gegen das er sich wendet, sondern
-auch ihm steht über allem positiven und historischen ein natürliches Recht,
-als notwendige Voraussetzung und Ergänzung des ersteren im Sinne seiner
-Definition der Gerechtigkeit als der durch die Pietas vermittelten »Einheit
-von Güte und Weisheit«. Bezeichnend für diese neue, erst in weit
-späterer Zeit ihre Früchte tragende Richtung des Naturrechts ist es, daß er
-die noch lange bei seinen Nachfolgern herrschende Vertragstheorie bereits
-gänzlich aus dem Naturrecht beseitigen will. So bilden überhaupt das Streben
-nach exakter Behandlung der Probleme und nach ethischer Begründung
-der allgemeinen Rechtsbegriffe, daneben die Verbindung geschichtlicher
-und logischer Betrachtung die hervorstechenden Züge der juristischen Arbeiten.
-Ein interessantes Beispiel dafür, wie er sich die mathematische Behandlung
-juristischer Probleme dachte, bietet eine unter den Manuskripten gefundene
-»<em class="antiqua">Meditatio juridico-mathematica</em>« über Zinseszinsrechnung und Rabatt
-(Mathem. Werke, Bd. 3, 125). Die für die ethische Begründung des Rechts
-bedeutsamsten Arbeiten sind die beiden Dissertationen zum Völkerrecht,
-Dutens <em class="antiqua">Tom. IV, Pars III</em>, 287. Dazu die <em class="antiqua">Observationes de Principiis
-Juris</em>, ebenda, 270. Diese Schriften sollten in keiner Ausgabe der philosophischen
-Werke fehlen, sie fehlen aber durchgehends. Gerhardt hat dagegen
-in Bd. 7 seiner Ausgabe, 73, eine Sammlung von Definitionen
-moralischer Begriffe veröffentlicht, mit ihnen zum Teil übereinstimmende
-Guhrauer in Leibniz' deutschen Schriften. Sie sind ausgeprägt eudämonistisch<span class="pagenum"><a id="Page_132">[132]</a></span>
-und rationalistisch gehalten und könnten ebensogut von Christian Wolff
-oder einem andern der späteren Aufklärer geschrieben sein. Leibniz' wirkliche
-Ethik ist eben nicht diesen schulmäßigen Definitionen im Stil der Zeit zu
-entnehmen, sondern den rechtsphilosophischen Ausführungen zum Kodex des
-Völkerrechts.</p>
-
-<p>III. S. 75. J. Jasper hat in seiner Dissert. Leibniz und die Scholastik
-(Münster i. W. 1898/99) eine Zusammenstellung zahlreicher Urteile L.'
-über die Scholastik gesammelt. Sie bilden äußerlich betrachtet ein ziemlich
-buntes Gemisch ablehnender und anerkennender Aussprüche. Wenn man
-die Zeiten, denen sie angehören, und die Fragen, auf die sie sich beziehen,
-beachtet, so entsprechen sie aber wohl ziemlich treu dem im Text angegebenen
-Verhältnis. S. 79. Zur Orientierung über die Entwicklung des Leibnizschen
-Idealismus mag folgende chronologische Aufzählung der wichtigeren hierher
-gehörigen Schriften dienen: <em class="antiqua">Hypothesis physica nova.</em> 1671. <em class="antiqua">Specimen
-dynamicum.</em> <em class="antiqua">Essay de dynamique.</em> <em class="antiqua">Dynamica.</em> 1685&ndash;89. <em class="antiqua">De motuum
-coelestium causis.</em> 1689. <em class="antiqua">De primae philosophiae emendatione et notione
-substantiae.</em> 1694. <em class="antiqua">Nouveaux Essais sur l'entendement humain.</em> (Um
-1704.) <em class="antiqua">Essai de Théodicée.</em> 1710. Monadologie. 1714. <em class="antiqua">Principes de la
-nature et de la grâce.</em> 1714. Aus dieser Chronologie erkennt man unmittelbar
-eine Entwicklung, die im wesentlichen in drei Perioden verläuft: einer
-naturphilosophischen, einer erkenntnistheoretisch-psychologischen, einer metaphysisch-ethischen.
-Unter den Briefen sind nach der Seite der Naturphilosophie
-vornehmlich der Briefwechsel mit den Cartesianern (Gerhardt, Phil.
-Schriften. Bd. 4) beachtenswert, für die Metaphysik und Theologie der
-mit Bayle und dem Pater Des Bosses (ebenda, Bd. 2). Zu S. 112. <em class="antiqua">Observationes
-de principio juris.</em> Dutens <em class="antiqua">Op. Tom. IV, P. III</em>, 270. <em class="antiqua">De Actorum
-publicorum Usu etc.</em> 287. S. 114. An die theologischen Schriften schließt
-sich der umfangreiche Briefwechsel in Sachen der Reunion der beiden
-Kirchen und der Union der protestantischen Konfessionen bei Dutens, <em class="antiqua">Tom. I.</em>
-Mit welcher Vorsicht übrigens der theologische Briefwechsel benutzt werden
-muß, dafür legt, wie ich glaube, das Buch von Ed. Dillmann, Eine neue
-Darstellung der Monadenlehre, 1891, ein beredtes Zeugnis ab. Der Verf.
-hat unleugbar mit großem Scharfsinn aus der in den Briefen an katholische
-Theologen, besonders an Des Bosses, entwickelten Hilfshypothese über das
-»<em class="antiqua">Vinculum substantiale</em>« zur Erklärung des Wunders der Transsubstantiation
-eine Auffassung der Monadologie entwickelt, die jenen Begriff eigentlich
-zur Grundlage des ganzen Systems macht. Immerhin kann die Möglichkeit
-einer solchen Umdeutung zugleich als eine Art Bestätigung der oben
-gemachten Bemerkung dienen, daß die Monadologie für Leibniz selbst keineswegs
-das dogmatische System gewesen ist, für das man sie zu nehmen pflegt.
-Das ausführliche Werk von A. Pichler, Die Theologie des Leibniz, 2 Bde.
-1869&ndash;70, ist für das Thema selbst wenig ergiebig, da die Zeiten und Anlässe,
-denen L.' Äußerungen angehören, wohl allzuwenig beachtet sind,
-wie denn auch der Verf. durch die Rücksicht auf die kirchlichen Parteiungen
-seiner eigenen Zeit vielleicht allzu sehr beeinflußt ist.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Alfred Kröner Verlag in Leipzig</p>
-
-<p class="h2">Schriften von Wilhelm Wundt</p>
-</div>
-
-<div class="hang">
-
-<p><b>Über die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart.</b> Rede,
-gehalten zum Antritt des öffentl. Lehramtes der Philosophie an der
-Hochschule in Zürich, am 31. Okt. 1874. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ &ndash;.60.
-</p>
-
-<p><b>Über den Einfluß der Philosophie</b> auf die Erfahrungswissenschaften.
-Akademische Antrittsrede, gehalten zu Leipzig, am
-20. November 1875. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ &ndash;.60.
-</p>
-
-<p><b>Der Spiritismus</b>, eine sogenannte wissenschaftliche Frage. Offener
-Brief an Herrn Prof. Hermann Ulrici in Halle. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ &ndash;.50.
-</p>
-
-<p><b>Essays.</b> Zweite Auflage. Mit Zusätzen u. Anmerk. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 9.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 10.50;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 12.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Zur Moral der literarischen Kritik.</b> Eine moralphilosophische
-Streitschrift. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.20.
-</p>
-
-<p><b>System der Philosophie.</b> Dritte, umgearbeitete Auflage. 2 Bde.
-gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 14.&ndash;;<br />
-in 2 Leinenbänden ℳ 16.&ndash;;<br />
-in 1 Halbfranzband ℳ 17.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Hypnotismus und Suggestion.</b> Zweite, durchgesehene Auflage.
-8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.40;<br />
-in Leinen geb. ℳ 2.15.
-</p>
-
-<p><b>Gustav Theodor Fechner.</b> Rede zur Feier seines hundertjährigen
-Geburtstages. Mit Beilagen und einer Abbildung des Fechner-Denkmals.
-8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 2.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Sprachgeschichte und Sprachpsychologie.</b> Mit Rücksicht auf B.
-Delbrücks Grundfragen der Sprachforschung. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 2.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Grundzüge der physiologischen Psychologie.</b> <em class="gesperrt">Erster Band</em>:
-Sechste, umgearbeitete Auflage. Mit 161 Figuren sowie Sach-
-und Namenregister. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 13.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 16.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash;&nbsp;&ndash; <em class="gesperrt">Zweiter Band</em>: Sechste, umgearbeitete Auflage. Mit 167 Figuren
-sowie Sach- und Namenregister. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 15.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 18.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash;&nbsp;&ndash; <em class="gesperrt">Dritter Band</em>: Sechste, umgearbeitete Auflage. Mit 71 Figuren
-sowie Sach- und Namenregister. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 16.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 19.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Naturwissenschaft und Psychologie.</b> Zweite Auflage. Sonderausgabe
-des Schlußabschnitts zur sechsten Auflage der physiologischen
-Psychologie. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 2.40;<br />
-in Leinen geb. ℳ 2.90.
-</p>
-
-<p><b>Festrede zur fünfhundertjährigen Jubelfeier der Universität
-Leipzig.</b> Mit einem Anhang: Die Leipziger Immatrikulationen
-und die Organisation der alten Hochschule. 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.50.
-</p>
-
-<p><b>Grundriß der Psychologie.</b> Zwölfte Auflage. Mit 23 Figuren.
-gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 7.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 8.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Völkerpsychologie.</b> Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von
-Sprache, Mythus und Sitte. <em class="gesperrt">Erster Band: Die Sprache.
-Erster Teil.</em> Dritte, neubearbeitete Auflage. Mit 40 Abbildungen.
-gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 14.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 17.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Zweiter Band: Die Sprache. Zweiter Teil.</em> Dritte, neubearbeitete
-Auflage. Mit 6 Abbildungen. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 13.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 16.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Dritter Band: Die Kunst.</em> Zweite, neubearbeitete Auflage.
-Mit 59 Abbildungen. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 12.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 15.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Vierter Band: Mythus und Religion. Erster Teil.</em> Zweite,
-neubearbeitete Auflage. Mit 8 Abbildungen. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 13.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 16.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Fünfter Band: Mythus und Religion. Zweiter Teil.</em>
-Zweite, neubearbeitete Auflage. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 11.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 14.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Sechster Band: Mythus und Religion. Dritter Teil.</em>
-Zweite, neubearbeitete Auflage. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 12.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 15.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Siebenter Band: Die Gesellschaft. Erster Teil.</em> gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 11.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 14.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; <em class="gesperrt">Achter Band: Die Gesellschaft. Zweiter Teil.</em> gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 9.&ndash;;<br />
-in Halbfranz geb. ℳ 12.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Kleine Schriften.</b> 2 Bände. 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 26.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 28.40.
-</p>
-
-<p><b>Einleitung in die Philosophie.</b> Sechste Auflage. 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 8.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 9.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Elemente der Völkerpsychologie.</b> <em class="gesperrt">Grundlinien einer psychologischen
-Entwicklungsgeschichte der Menschheit.</em> Zweite
-Auflage. gr.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 12.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 14.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Reden und Aufsätze.</b> Zweite Auflage. 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 7.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 8.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Die Psychologie im Kampf ums Dasein.</b> Zweite Auflage.
-8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Sinnliche und übersinnliche Welt.</b> 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 8.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 9.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Über den wahrhaften Krieg.</b> Rede, gehalten in der Alberthalle
-zu Leipzig am 10. September 1914. kl.&nbsp;8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ &ndash;.50.
-</p>
-
-<p><b>Die Nationen und ihre Philosophie.</b> Ein Kapitel zum Weltkrieg.
-Zweite Auflage. 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 3.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 4.&ndash;.
-</p>
-
-<p>&ndash; " &ndash; Taschenausgabe</p>
-
-<p class="right">
-in Leinen geb. ℳ 1.20.
-</p>
-
-<p><b>Leibniz.</b> Zu seinem zweihundertjährigen Todestag. 8.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 3.&ndash;;<br />
-in Leinen geb. ℳ 4.&ndash;.
-</p></div>
-
-<p class="h2">Friedrich Nietzsches Werke</p>
-
-<p class="center larger">Taschen-Ausgabe</p>
-
-<p class="center"><b>11 Bände.</b> In Leinwand gebunden 55 Mark.</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Band I. Homer-Rede. <b>Die Geburt der Tragödie.</b> Der griechische
-Staat. Das griechische Weib. Musik und Wort. Homers
-Wettkampf. Zukunft unserer Bildungsanstalten. Das Verhältnis
-der Schopenhauerschen Philosophie zu einer deutschen
-Kultur. Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen.
-Über Wahrheit und Lüge.</p>
-
-<p>Band II. <b>Unzeitgemäße Betrachtungen.</b> Aus dem Nachlaß
-(1874/75).</p>
-
-<p>Band III. <b>Menschliches, Allzumenschliches I.</b> Aus dem Nachlaß
-(1874/77).</p>
-
-<p>Band IV. <b>Menschliches, Allzumenschliches II.</b> Vermischte Meinungen
-und Sprüche. Der Wanderer und sein Schatten.
-Aus dem Nachlaß (1877/79).</p>
-
-<p>Band V. <b>Morgenröthe.</b> Aus dem Nachlaß (1880/86).</p>
-
-<p>Band VI. Die ewige Wiederkunft. <b>Die fröhliche Wissenschaft.</b>
-Lieder des Prinzen Vogelfrei. Aus dem Nachlaß. Dichtungen
-(1871/88).</p>
-
-<p>Band VII. <b>Also sprach Zarathustra.</b> Aus dem Nachlaß (1882/85).</p>
-
-<p>Band VIII. <b>Jenseits von Gut und Böse.</b> <b>Genealogie der Moral.</b>
-Aus dem Nachlaß (1885/86).</p>
-
-<p>Band IX. <b>Der Wille zur Macht.</b> Versuch einer Umwerthung aller
-Werthe (1884/88).</p>
-
-<p>Band X. <b>Der Wille zur Macht</b> (Fortsetzung). <b>Götzen-Dämmerung.</b>
-<b>Der Antichrist.</b> <b>Dionysos-Dithyramben</b> (1884/88).</p>
-
-<p>Band XI. Aus dem Nachlaß (1883/88). <b>Der Fall Wagner.</b>
-<b>Nietzsche contra Wagner.</b> <b><em class="antiqua">Ecce homo.</em></b></p></div>
-
-<p class="h2">Friedrich Nietzsche</p>
-
-<p class="center">Neue, billigere Miniatur-Ausgaben</p>
-
-<p class="h3">Also sprach Zarathustra</p>
-
-<table summary="Preise">
-<tr>
-<td>Geheftet</td><td class="tdr">ℳ 5.&ndash;.</td>
-</tr>
-<tr>
-<td>In Leinen gebunden</td><td class="tdr">ℳ 6.&ndash;.</td>
-</tr>
-</table>
-
-<p class="h3">Gedichte und Sprüche</p>
-
-<table summary="Preise">
-<tr>
-<td>Geheftet</td><td class="tdr">ℳ 3.&ndash;.</td>
-</tr>
-<tr>
-<td>In Leinen gebunden</td><td class="tdr">ℳ 4.&ndash;.</td>
-</tr>
-</table>
-
-<p class="h2">Schriften <span class="smaller">von</span> Ernst Haeckel</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p><b>Die Welträtsel.</b> Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie.
-10. Auflage</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 8.&ndash;;<br />
-gebunden ℳ 9.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Die Welträtsel.</b> Volksausgabe</p>
-
-<p class="right">
-kartoniert ℳ 1.20.
-</p>
-
-<p><b>Die Welträtsel.</b> Taschenausgabe</p>
-
-<p class="right">
-gebunden ℳ 1.20.
-</p>
-
-<p><b>Die Lebenswunder.</b> Gemeinverständliche Studien über biologische
-Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche über die Welträtsel.
-4. Auflage</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 8.&ndash;;<br />
-gebunden ℳ 9.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Die Lebenswunder.</b> Volksausgabe</p>
-
-<p class="right">
-kartoniert ℳ 1.20.
-</p>
-
-<p><b>Gott-Natur</b> (Theophysis) Studien über monistische Religion.
-2. Auflage</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Gemeinverständliche Vorträge und Abhandlungen aus dem
-Gebiete der Entwicklungslehre.</b> 2 Auflage. 2 Bände mit
-81 Abbildungen im Text und 2 Tafeln in Farbendruck</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 12.&ndash;;<br />
-gebunden ℳ 13.50.
-</p>
-
-<p><b>Aus Insulinde.</b> Malayische Reisebriefe. 2. Auflage. Mit 72 Abbildungen,
-4 Karten und 8 Einschaltbildern</p>
-
-<p class="right">
-gebunden ℳ 6.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Arbeitsteilung in Natur und Menschenleben</b></p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft.</b>
-Glaubensbekenntnis eines Naturforschers. Altenburger
-Vortrag. 15. Auflage</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Freie Wissenschaft und freie Lehre.</b> Eine Entgegnung auf Rudolf
-Virchows Münchener Rede über »Die Freiheit der Wissenschaft im
-modernen Staat«. 2. Auflage</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.60.
-</p>
-
-<p><b>Das Protistenreich.</b> Eine populäre Übersicht über das Formengebiet
-der niedersten Lebewesen. Mit 58 Abbildungen</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 2.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Über den Ursprung des Menschen.</b> Cambridge Vortrag. 12. Aufl.</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Das Weltbild von Darwin und Lamarck.</b> 2. Auflage</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p>
-
-<p><b>Zellseelen und Seelenzellen.</b> (Concordia)</p>
-
-<p class="right">
-ℳ 1.&ndash;.
-</p></div>
-
-<p class="center p2">Zu beziehen durch alle Buchhandlungen</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<div class="figleft">
-<img src="images/illu-143.png" alt="KVA" />
-</div>
-
-<div class="figright nohandheld">
-<img src="images/illu-143.png" alt="KVA" />
-</div>
-<p class="h2">Kröners Volksausgabe</p>
-
-<p class="center smaller">Jeder Band kartoniert 1 Mark 20 Pf.</p>
-</div>
-
-<p class="h3">
-Die Entstehung der Arten</p>
-<p class="center">
-Von <b>Charles Darwin</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Abstammung des Menschen</p>
-<p class="center">
-Von <b>Charles Darwin</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Geschlechtliche Zuchtwahl
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Charles Darwin</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Reise um die Welt
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Charles Darwin</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Wesen des Christentums
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Ludwig Feuerbach</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Das Wesen der Religion
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Ludwig Feuerbach</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Welträtsel
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Ernst Haeckel</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Lebenswunder
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Ernst Haeckel</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Philosophie des Unbewußten
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Eduard von Hartmann</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Über den Verstand
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>David Hume</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Kritik der reinen Vernunft
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Immanuel Kant</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Zoologische Philosophie
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Jean Lamarck</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Arbeiterfrage
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>F. A. Lange</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Geschichte des Materialismus
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>F. A. Lange</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Emil <span class="smaller">oder</span> Über die Erziehung
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>J. J. Rousseau</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Aphorismen z. Lebensweisheit
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Arthur Schopenhauer</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Welt als Wille u. Vorstellung
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Arthur Schopenhauer</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Der Reichtum der Nationen
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Adam Smith</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Ethik
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Baruch Spinoza</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Voltaire
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>David Friedrich Strauß</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Das Leben Jesu
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>David Friedrich Strauß</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Der alte und der neue Glaube
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>David Friedrich Strauß</b><br />
-</p>
-
-<p class="center p2">Alfred Kröner Verlag in Leipzig</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<div class="figleft">
-<img src="images/illu-144.png" alt="KTA" />
-</div>
-
-<div class="figright nohandheld">
-<img src="images/illu-144.png" alt="KTA" />
-</div>
-
-<p class="h2">Kröners Taschenausgabe</p>
-
-<p class="center smaller">Jedes Bändchen gebunden 1 Mark 20 Pf.</p>
-</div>
-
-<p class="h3">
-Der moderne Mensch
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>B. Carneri</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Handbüchlein der Moral
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Epiktet</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Epikurs Philosophie
-</p>
-<p class="center">
-<b>der Lebensfreude</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die vier Evangelien
-</p>
-<p class="center">
-Deutsch von <b>Heinrich Schmidt</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Goethes Faust
-</p>
-<p class="center">
-<b>Erster und zweiter Teil</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Gracians Handorakel
-</p>
-<p class="center">
-<b>und Kunst der Weltklugheit</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Welträtsel
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Ernst Haeckel</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die italienische Renaissance
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>K. P. Hasse</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die deutsche Dichtung
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Karl Heinemann</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Dichtung der Griechen
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Karl Heinemann</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Dichtung der Römer
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Karl Heinemann</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Selbstbetrachtungen
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Mark Aurel</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Philosophisches Wörterbuch
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Heinrich Schmidt</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Vom glückseligen Leben
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Seneca</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Der Charakter
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Samuel Smiles</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Erziehung
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Herbert Spencer</b>
-</p>
-<p class="h3">
-Die Nationen und ihre Philosophie
-</p>
-<p class="center">
-Von <b>Wilhelm Wundt</b>
-</p>
-
-<p class="center p2">Alfred Kröner Verlag in Leipzig</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Alfred Kröner Verlag in Leipzig</p>
-
-<p class="h2">Elemente der
-Völkerpsychologie</p>
-
-<p class="center">Grundlinien einer psychologischen
-Entwicklungsgeschichte der Menschheit</p>
-
-<p class="center">Von</p>
-
-<p class="h2">Wilhelm Wundt</p>
-
-<p class="center">Zweite Auflage. Geheftet 12 Mark. Gebunden 14 Mark</p>
-</div>
-
-<p class="center">Inhalt:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p><b>Einleitung.</b> Geschichte und Aufgabe der Völkerpsychologie. Ihr Verhältnis zur Völkerkunde.
-Analytische und synthetische Darstellung. Die Völkerpsychologie als psychologische
-Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Einteilung in vier Hauptperioden.</p></div>
-
-<p class="h3">Erstes Kapitel. Der primitive Mensch.</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>1. Die Entdeckung des primitiven Menschen. 2. Die äußere Kultur des primitiven Menschen.
-3. Der Ursprung der Ehe und der Familie. 4. Die primitive Gesellschaft. 5. Die Anfänge
-der Sprache. 6. Das Denken des primitiven Menschen. 7. Die Urformen des Zauber- und
-Dämonenglaubens. 8. Die Anfänge der Kunst. 9. Die intellektuellen und moralischen
-Eigenschaften des Primitiven.</p></div>
-
-<p class="h3">Zweites Kapitel. Das totemistische Zeitalter.</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>1. Allgemeiner Charakter des Totemismus. 2. Die Kulturkreise des totemistischen Zeitalters.
-3. Die totemistische Stammesgliederung. 4. Die Entstehung der Exogamie. 5. Die Formen
-der Eheschließung. 6. Die Ursachen der totemistischen Exogamie. 7. Die Formen der
-Polygamie. 8. Die Entwicklungsformen des Totemglaubens. 9. Der Ursprung der Totemvorstellungen.
-10. Die Tabugesetze. 11. Der Seelenglaube im totemistischen Zeitalter.
-12. Der Ursprung des Fetisch. 13. Tierahne und menschlicher Ahne. 14. Die totemistischen
-Kulte. 15. Die Kunst des totemistischen Zeitalters.</p></div>
-
-<p class="h3">Drittes Kapitel. Das Zeitalter der Helden und Götter.</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>1. Allgemeiner Charakter des Heldenzeitalters. 2. Die äußere Kultur des Heldenzeitalters.
-3. Die Entwicklung der politischen Gesellschaft 4. Die Familie innerhalb der politischen
-Gesellschaft. 5. Die Ständescheidung. 6. Die Berufsscheidung. 7. Der Ursprung der
-Städte. 8. Die Anfänge der Rechtsordnung. 9. Die Entwicklung des Strafrechts. 10. Die
-Sonderung der Rechtsgebiete. 11. Die Entstehung der Götter. 12. Die Heldensage. 13. Die
-kosmogonischen und theogonischen Mythen. 14. Der Seelenglaube und die jenseitige
-Welt. 15. Der Ursprung der Götterkulte. 16. Die Formen der Kulthandlungen. 17. Die
-Kunst des Heldenzeitalters.</p></div>
-
-<p class="h3">Viertes Kapitel. Die Entwicklung zur Humanität.</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>1. Der Begriff der Humanität 2. Die Weltreiche. 3. Die Weltkultur. 4. Die Weltreligionen.
-5. Die Weltgeschichte.</p></div>
-
-<p class="center p2">Zu beziehen durch alle Buchhandlungen</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p class="center smaller">Metzger &amp; Wittig, Leipzig.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="transnote chapter" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-Unterschiedliche Schreibweisen, insbesondere der lateinischen
-Werkbezeichnungen, wurden beibehalten.</p>
-
-<p>Die vorderen Werbeseiten wurden ans Buchende verschoben.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-<div class="corr">
-<p>
-S. 27: überkommen → übernommen<br />
-hatte die Scholastik aus dem Altertum <a href="#corr027">übernommen</a></p>
-<p>
-S. 40: Diagramm wurde gedreht</p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Leibniz, by Wilhelm Wundt
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEIBNIZ ***
-
-***** This file should be named 60879-h.htm or 60879-h.zip *****
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-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions
-will be renamed.
-
-Creating the works from public domain print editions means that no
-one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
-(and you!) can copy and distribute it in the United States without
-permission and without paying copyright royalties. Special rules,
-set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
-copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
-protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
-Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
-charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
-do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
-rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
-such as creation of derivative works, reports, performances and
-research. They may be modified and printed and given away--you may do
-practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
-subject to the trademark license, especially commercial
-redistribution.
-
-
-
-*** START: FULL LICENSE ***
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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-
-To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
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-Gutenberg-tm License (available with this file or online at
-http://gutenberg.org/license).
-
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-electronic works
-
-1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
-electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
-and accept all the terms of this license and intellectual property
-(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
-the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
-all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
-If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
-Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
-terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
-entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
-
-1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
-used on or associated in any way with an electronic work by people who
-agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
-works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
-Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
-collection are in the public domain in the United States. If an
-individual work is in the public domain in the United States and you are
-located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
-copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
-works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
-are removed. Of course, we hope that you will support the Project
-Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
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-the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
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-Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
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-States.
-
-1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
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-Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
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-
-1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
-from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
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-and distributed to anyone in the United States without paying any fees
-or charges. If you are redistributing or providing access to a work
-with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
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-through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
-Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
-1.E.9.
-
-1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
-terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
-to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
-permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
-
-1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
-
-1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.
-
-1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
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-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
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-
-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
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-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
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-
-For additional contact information:
- Dr. Gregory B. Newby
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- gbnewby@pglaf.org
-
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
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-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
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-
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-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations.
-To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
-
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
-works.
-
-Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
-with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
-
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
-unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
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-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
-
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-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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