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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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If you are not located in the United States, you'll -have to check the laws of the country where you are located before using -this ebook. - - - -Title: Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3) - -Author: Richard Dehmel - -Release Date: July 16, 2020 [EBook #62672] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESAMMELTE WERKE IN DREI *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - - - - - - #################################################################### - Anmerkungen zur Transkription - - Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen Buchausgabe - so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische - Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und - altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original - unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert. Der - Autor verwendet Elisionen, die vom nächsten Wort nicht durch ein - Leerzeichen getrennt sind (z. B. ‚werd’ich‘, statt ‚werd’ ich‘). - - Das Inhaltsverzeichnis (‚Übersicht‘) wurde vom Bearbeiter an den - Anfang des Buches verschoben. - - Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere - Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen - gekennzeichnet: - - Unterstrichen: _Unterstriche_ - Fettdruck: =Gleichheitszeichen= - gesperrt: +Pluszeichen+ - Antiqua: ~Tilden~ - - #################################################################### - - - - -[Illustration] - - - - - Richard Dehmel - - Gesammelte Werke - - in drei Bänden - - Zweiter Band - - S. Fischer, Verlag, Berlin - - - - - +22. bis 24. Tausend+ - - Alle Rechte vorbehalten, auch das der Übersetzung - Copyright 1913 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin - - - - -Übersicht - -(Die mit * bezeichneten Stücke sind neu aufgenommen) - - - Seite - - +Weib und Welt+ - - Ins Weite 7 - - Die Erweckung des Herrschers 7 - - Das Ideal 10 - - Beichtgang 11 - - Narzissen 11 - - Drei Ringe 12 - - *Entrückung 19 - - Himmelfahrt 20 - - Der Stieglitz 20 - - Sinnige Fahrt 21 - - So im Wandern 22 - - Schutzengel 25 - - Begegnung 25 - - Unterm jungen Birnbaum 27 - - *Emporsturz 27 - - Verkündigung 28 - - Einst 28 - - Stimme des Abends 28 - - *Feierabend 28 - - Manche Nacht 29 - - Aus banger Brust 29 - - Helle Nacht 30 - - Aufstieg 31 - - Drückende Luft 31 - - Aufblick 32 - - Stiller Gang 33 - - Ein Grab 33 - - Klage 33 - - *Einst im Herbst 34 - - Der gesunde Mann 34 - - Befreit 35 - - Trost 36 - - Wunder 36 - - Kalte Frage 36 - - Winterwärme 36 - - Kein Bleiben 37 - - Heimweh in die Welt 37 - - Über frei Feld 38 - - - Der Frühlingskasper 40 - - Entladung 40 - - Anbetung 42 - - Ausblick 43 - - Ideale Landschaft 43 - - Auf See 44 - - Gesang vor Nacht 44 - - Klarer Tag 44 - - Dunkle Gewalt 45 - - *Ballade von der wilden Welt 45 - - Herr und Herrin 47 - - *Ballade vom Kuckuck 47 - - Vorspiel 48 - - Wellentanzlied 48 - - Bewegte See 49 - - Der Sturm 50 - - *Verklärung 50 - - Das Schloß 50 - - *Der Schwimmer 51 - - Beschwichtigung 51 - - *Lied an den Mond 52 - - Gruß 52 - - *Aufglanz 53 - - Morgenstunde 53 - - Ruf 54 - - Berückung 54 - - Wirrsal 55 - - Nach einem Regen 55 - - Der gute Hirte 56 - - Stimme im Dunkeln 56 - - Über den Sümpfen 57 - - Erwartung 57 - - Im Reich der Liebe 58 - - Nun erst 59 - - Mannesbangen 60 - - Der weise König 60 - - Stilles Zeichen 61 - - *Die Kette 61 - - Ein Ring 62 - - Der Fluß 63 - - Nächtliches Zwiegespräch 63 - - Rückblick 64 - - Mein Wald 64 - - Die Harfe 65 - - - Geheimnis 67 - - Am Scheideweg 67 - - Hoch in der Frühe 67 - - Immer wieder 68 - - *Die Frage 68 - - Im Zwielicht 69 - - Glückwunsch 69 - - Ein Blütenblatt 70 - - *Das Perlgewebe 70 - - Störung 72 - - Zukunft 72 - - Enthüllung 73 - - Beschwörung 74 - - Aus schwerer Stunde 75 - - Zuversicht 76 - - *Gleichnis 76 - - *Weihnacht im Krankenhaus 77 - - *Lied im Winter 77 - - Eva und der Tod 78 - - Verhör 80 - - Zur Genesung 81 - - Schneeflocken 82 - - Orientalisches Potpourri 83 - - Jesus bettelt 85 - - *Benedeiung 86 - - Erfüllung 86 - - Heilandswort 87 - - Zwischen Ostern und Pfingsten 88 - - Die Glücklichen 88 - - Erhebung 89 - - *Hochsommerlied 90 - - Mit heiligem Geist 90 - - Böser Traum 91 - - Leiser Besuch 92 - - Der Strauß 93 - - Finale 94 - - - Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr 95 - - Der Verbannte 97 - - Unterwegs 98 - - Heimatgruß 98 - - Hoher Mittag 100 - - Stimme im Licht 101 - - *Nachtgebet 101 - - Durch die Nacht 102 - - Masken 102 - - Nacht für Nacht 103 - - *Lied vor Tag 103 - - Gondelliedchen 104 - - Griechische Pfingsten 104 - - Eine Rundreise in Ansichtspostkarten 105 - - Wiedersehn 121 - - Siegerin 122 - - Letzte Bitte 122 - - *Zweier Seelen Lied 122 - - *Psalm zweier Sterblichen 123 - - Im Geiste 124 - - *Nachglanz 124 - - *Verewigung 125 - - Am Ufer 126 - - *Aufrichtung 127 - - Heilige Nacht 127 - - Evas Klage 129 - - Eines Tages 131 - - Eine Lebensmesse 134 - - *Zwiegesang überm Abgrund 141 - - Am Opferherd 142 - - - +Zwei Menschen+ - - Leitlied 144 - - Eingang zum ersten Umkreis 145 - - Eingang zum zweiten Umkreis 191 - - Eingang zum dritten Umkreis 237 - - Ausgang 283 - - - +Der Kindergarten+ - - Gärtnerspruch 286 - - *Muttersprache 287 - - Vatergruß 287 - - Der Vogel Wandelbar 287 - - Kutscher Tod 291 - - Triumphgeschrei 292 - - Schnurrige Predigt 293 - - Käuzchenspiel 293 - - *Fliegerschule 293 - - Der Reitersmann 294 - - *Geschäftsleutchen 294 - - Geburtstagsgeschenke 295 - - Abendgebet 295 - - Freund Husch 296 - - Das Maiwunder 297 - - Puhstemuhme 298 - - Das große Karussell 298 - - Aurikelchen 299 - - Der Schatten 299 - - *Morgenlied 300 - - Der kleine Sünder 301 - - Fragefritz und Plappertasche 302 - - Furchtbar schlimm 303 - - Fitzebutze 304 - - Käferlied 305 - - Die Reise 306 - - Die Schaukel 306 - - Das richtige Pferd 307 - - Die ganze Welt 308 - - Lazarus 309 - - Der kleine Held 310 - - - Knecht Ruprecht und die Christfee 328 - - *Das Dichterspiel 340 - - Der Allerseelenspiegel 350 - - Tippel und Tappel 355 - - Der Sonnenstrahl 356 - - Die Pfauenfeder 357 - - Das Märchen vom Maulwurf 359 - - Die bekümmerte Löwenkröte 362 - - Der alte Wodtke und Michel Krist 369 - - - - - Weib und Welt - - Ein Buch Gedichte - - Vierte Ausgabe - - - - -Erster Teil - - - - -Ins Weite - - - Die du mir näher bist, als Sinne ahnen können, - meine Erfüllerin, - schlummernde: - o träume dich ein in meine schmachtenden Adern, - und fühle mein Herz aus meinen Augen brennen, - und sieh die Sterne sich über mir verdoppeln, - und schmecke das Mannah dieser grenzenlosen Nacht, - die Düfte der Sehnsucht von Wiese zu Wald zu Wolke, - und höre den Weltraum mein heiliges Lied mitatmen, - mein Echo du! -- - - - - -Die Erweckung des Herrschers - -Psychische Szene - - -+Ein Geist im Schlaf+: - - Da thront sie wieder; thront, als ob sie warte. - Was willst du, Traumbild, immer noch von mir - mit deinem Gnadenblick? du bist doch tot! - Zu oft bin ich von diesem Blick erwacht; - ich fühls, ich träume nur! Was quälst du jetzt - mit täuschender Erhörung meine Nächte - und blicktest nie zuvor, zu keiner Stunde - -- o doch: in einer, einer Stunde doch: - in deiner Sterbestunde -- so mich an! - Willst du den Mann, der ich in Schmerzen ward, - durch deinen Hingang ward, noch büßen lassen, - was dir der unbedachte Jüngling tat? - Wars denn so schlechte Tat? Wars nicht Verehrung, - daß ich mit meiner Lust an Ruhm und Rang - auch Dir zu schmeicheln dachte? Warb ich nicht - mit höchster Hoffahrt um dein stolzes Herz? - Aus deiner stillen Welt, die mir nicht würdig - genug für deine holde Würde schien, - wollt ich ein klingend Sphärenspiel gestalten! - Hab ich dich nicht gefeiert? Schmückt ich nicht - dein jungfräuliches Haupt mit einer Krone? - mit stetem Festglanz unsern Thron! Und gabst mir - kaum eine Gunst dafür, kaum ganz ein Lächeln, - nie einen vollen, seelenvollen Dank, - nie -- - -+Antwort einer Seele+: - - Ich liebte dich -- - -+Der Geist+: - - Du? liebtest? mich? -- Und zeigtest mir das nie?! - Und ließest mich, wenn deine sanfte Hand - sich meiner ungestümen streng entzog, - mich, der zu Füßen dir getaumelt wäre - für nur den scheuesten Wink, ließest mich haltlos - mit falschen Freunden dann von Rausch zu Rausch - die irren Wege meines Unmuts gehn! - Mußt ich nicht meinen, du verabscheust mich, - du seist enttäuscht, sinnst Rache? Bis ich endlich, - so immer werbend, immer unbelohnt - und immer wieder auf Erhörung pochend, - endlich den einen einzigen Gnadenblick, - mit dem dein Auge brach, empfing und nun - vor deinem starr gewordnen Antlitz mich - in grausigem Zweifel fragte: galt er mir? - mir? oder sahst du Sterbende ein Wesen, - das +Du+ nur sahst, mit diesem Dankblick an, - weil’s dich von mir befreite?! Sprachst du doch - kein letztes Wort zu mir! O warum starbst du - so stumm? - -+Die Seele+: - - Ich liebte dich -- - -+Der Geist+: - - Und quälst mich immer noch?! O deute mirs, - du Unfaßbare: was bedrängst du mich? - Ich sinne selbst am hellen Tag dir nach; - du weißt, ich will das nicht, will nicht mehr träumen, - ich ward zu klar dazu, dank deiner Drangsal, - ich litt genug an dir, ich will nicht leiden, - mir ziemt die Tat, drum lernt ich mich beherrschen, - und will auch Dich, auch Dich beherrschen, denn - ich +bin+ ein Herrscher -- und das ist, du weißt es, - ein schwacher Mensch, der tausend fremde Kräfte - unter ein starkes Werk einsammeln soll. - Was also störst du meinen kurzen Schlaf? - was gönnst du mir nicht Rast, mich selbst zu sammeln? - was stachelst du mich in dem Lichtstrahl noch, - der Mittags in mein halbgeschlossenes Auge - sich eindrängt und an deinen letzten Blick mich - gemahnt? - -+Die Seele+: - - Ich liebe dich -- - -+Der Geist+: - - Dann laß dich fassen! dann erhöre mich! - bei deiner Seligkeit beschwor ich dich: - laß mich vollkommen in dir ruhn! - So will ich nicht mehr eitel mit dir ringen, - will mein Gezweifel vollends niederzwingen, - dir freudig deinen Willen tun! - So wirst auch Du endlich zur Ruhe kommen, - wirst stolz von meinen Kräften hingenommen - erkennen, daß du mich nicht länger schreckst! - So wird aus unserm Traumbund im Geheimen - stark eine neue Seele keimen, - durch die du mich - schutzmütterlich - zu immer stolzerem Tagwerk weckst, gern weckst -- - und so -- - -+Die Seele+: - - So lieb’ ich dich -- -- - -+Der Geist des Herrschers+ - -erwachend: - - Und lebst mir so -- und wirst mir nie mehr sterben. - Und all mein Volk wird unsre Liebe erben. - - - - -Das Ideal - - - Doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt; - ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen, - auf allen kam die Liebe mir entgegen, - drum hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt. - - Es stand ein Baum in einem Zaubergarten, - mit tausend Blüten gab er Duft und Schein, - und eine leuchtete vor allen rein; - es stand ein Baum in einem Zaubergarten. - - Und aus den tausend pflückte ich die eine, - sie war noch schöner mir in meinen Händen, - sodaß ich kniete, Dank dem Baum zu spenden, - von dem aus tausend ich gepflückt die eine. - - Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume, - und wieder schien vor allen Eine licht, - und meine welkte schon -- ich dankte nicht; - ich hob die Augen zu dem Zauberbaume. - - Doch hab ich meine Sehnsucht nie verlernt; - ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen, - auf jedem glänzte mir ein andrer Segen, - drum hab ich meine Sehnsucht nie verlernt. - - - - -Beichtgang - - - Ich war der Herr der Welt vor dir, - im Traum; - wie eine Sonne warst du mir, - im Traum. - Ich schmückte dich mit allen guten - Glücksehnsuchtsgluten - in diesem Traum, - und hieß dich leuchten, ließ dich schweben. - Und habe mich in den Staub gebogen - vor dir, im Traum, - und dich belogen und betrogen - im Staub, im Traum -- - komm, laß uns +leben+! - - - - -Narzissen - - - Weißt du noch, wie weiß, wie bleich - in den Maiendämmerungen, - wenn ich lag, von dir umschlungen, - dir zu Füßen hingerissen, - um uns schwankten die Narzissen? - - Weißt du noch, wie heiß, wie weich - in den blauen Juninächten, - wenn wir, müde von den Küssen, - um uns flochten deine Flechten, - Düfte hauchten die Narzissen? - - Wieder leuchten dir zu Füßen, - wenn die Dämmerungen sinken, - wenn die blauen Nächte blinken, - wieder duften die Narzissen. - Weißt du noch, wie heiß? wie bleich? - - - - -Drei Ringe - -Elegie - - - Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger, - und jeder ein toter, gebrochener Schwur; - und seid mir so heilig, ihr flimmernden Dinger, - seid mir ein treuer, - still wachsender, neuer, - einziger, willig gesprochener Schwur. - - Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden? - Was blickst du, Perle, so bleich im Gold? - Du Reif dazwischen, schlicht gewunden, - was schimmerst du so scheu und hold? - Ach! immer die Treue treuwillig versprochen, - und immer treuwillig die Treue gebrochen. - So hat es das Leben, das Leben gewollt. - - Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken, - und dennoch ein neuer dämmernder Schwur? - O Abendsonne, wie trüb dein Blinken, - und Nebel winken, - bald wirst du sinken. - Du blasse Perle, wie wars doch nur? - - * * * * * - - War wohl ein Morgen, frühlingsmild; - die alte Kirche stand voll Glanz. - Blaß flammte ums Erlöserbild - der Osterkerzen weißer Kranz. - Der Orgel Hallelujah quoll; - uns war das Herz von Gott so voll, - das Kinderherz, voll Bebens. - O Schwur des Glaubens! O Gebot: - nun seid getreu bis in den Tod, - dann wird euch die Krone des Lebens, - die ewige Krone des Lebens. - - Und mit der Mutter still durchs Feld; - wie glänzte weit, wie glänzte grün - und war ein Sonntag all die Welt! - Die Weidenbüsche wollten blühn; - ein Zweiglein brach der Knabe. - Doch feierlich im leeren Land - als wie ein Kreuz die Mühle stand; - und sinnend weiter still feldein. - O Försterhaus am Eichenhain! - O Vaterwort-und-Gabe! - - O Gartenzaun am Eichenhain! - da nahm mein Vater meine Hand - und legte einen Ring hinein, - der hatte einen schwarzen Stein, - drin eine goldne Krone stand, - und sprach zu seinem Sohne, - und all sein Blick war Ein Gebot: - Nun sei dir treu bis in den Tod, - dann wird dir die Krone zum Lohne, - des Lebens Siegeskrone! - - * * * * * - - Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken, - und jeder ein neuer, ein toter Schwur; - was wird so zitternd euer Blinken? -- - Du trübe Sonne, laß dein Winken. - O weite Flur! - Die Nebel gleißen wie blutende Wunden; - ich habe die Freiheit, die Freiheit gewollt! - O Sonnenblut. O gleißend Gold. - Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden? - - * * * * * - - Es war ein Mittag, frühlingswild. - Von der Bergeskrone, rot zuckend, kroch - die Wolkenschlange ins Gefild. - Der Donner jagte von Joch zu Joch. - Stürmisch weinte das Dunkel, ein stürzendes Meer. - Triefend sausten die Bäume; und grell und spitz, - Licht schleudernd, über uns, um uns her - -- mein bebendes Mädchen, weißt du noch? -- - flocht flatternde Netze Blitz auf Blitz. - - Und die Bäume bogen und schlugen sich, - blendend nieder krachte der steile Strahl - und warf im Taumel irr dich und mich - zu Boden, glutschwer, ein flackernder Wall; - und da lag im Taumel irr Brust an Brust, - jung hing und glutschwer Mund an Mund - und Auge in Auge im Moose, und - rauschend schluchzte der Regen in unsre Lust, - stumm lohte der feuergetaufte Bund. - - Und dann +auf+! Oh, standest du bleich und bang. - Und da hab ich den Donner des Himmels bedroht, - von der Faust mir peitschend das Wasser sprang, - durch die sausenden Bäume mein Lachen klang: - o lauter, mein Bruder, dein wild Gebot! - Und riß mir vom Finger den Knabenring: - ich bin mir selbst mein Herr und Gott! - und nahm deine zitternde Hand, dran hing - im Blitzlicht funkelnd der rote Rubin, - und vom Himmel gebadet, vom Himmel umloht - -- ich fühlte dich weinen, ich sah dich glühn -- - schwur ich: gib her! sei treu! nimm hin! - - * * * * * - - Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger, - und jeder ein doppelt gebrochener Schwur. - Wie der Nebel raucht! ein brennender Zwinger - vermauert die fliehende Sonnenspur. - Noch glänzt ein stiller Streifen Gold; - ich habe freiwillig die Freiheit verschworen. - Was glimmst du schlichter Reif so hold? - Die Freiheit verschworen, die Freiheit verloren. - So hat es die Liebe, die Liebe gewollt. - - * * * * * - - Es kam ein Abend, frühlingsmild; - bang steht, in Schleiern, bleich, die Braut. - Ernst rauschen die Geigen; herb duftend schwillt - der Myrte grünes, weißblühendes Kraut. - Und Andacht wird, und Schweigen; nur - durchs Fenster flüsterte der Mai. - Und nun: nun will ich stolz und frei - uns segnen -- da: voll Bebens, - horch, die Stimmen der Freunde -- o Lied, o Schwur, - o ihr rauschenden Geigen, o Gebot - -- blaß zuckten die Kerzen im Abendrot --: - Nun seid getreu bis in den Tod, - dann wird euch die Krone des Lebens! - - Da flocht ich ihr still vom Haupt den Kranz, - still küßte ich ihr dunkles Haar; - glutüberhaucht vom fernen Glanz - hielt ihre Hand ein Rosenpaar, - still zitterten die Blüten. - Und hoch ins schweigende Gemach - hob ich den goldnen Ring und sprach - und sprach -- wie war das Herz mir weit, - von Glauben weit und Seligkeit --: - Nun will ich Dein sein alle Zeit, - Ein Leib, Eine Seele, in Glück und Leid - dein Gott, meine Welt, dich hüten. - - Und draußen wiegte ein Lindenbaum - goldgrün sein jung Gefieder; - sanft glühte der Rosen rot schwellender Saum, - und durch den Schimmer, den Duft, den Traum - rauschten die Geigen wieder. - Da gab sie mir an meine Hand, - an meine Rechte zurück mein Pfand, - den Ring mit der leuchtenden Krone. - Stumm bat ihr Blick voll seliger Not: - nun sei mir treu bis in den Tod, - dann wird uns die Krone zum Lohne, - des Lebens Friedenskrone. - - * * * * * - - Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken: - was blickst du, Perle, so trüb im Gold? - O Sonne, du müde, nun magst du sinken; - o schwere Pflicht, wie schienst du hold! - Gelb taucht ins Moor der letzte Funken, - das Land wird fahl, der Nebel rollt. - Ich habe die Wahrheit, +Klarheit+ gewollt. - Ich war der Liebe so satt -- so trunken -- - - * * * * * - - Und eine Nacht kam, frühlingswild, - kam schwül. Ums Licht der Lampe lag, - vom lauten Regen dunstverhüllt, - das Dunkel dumpf und dufterfüllt; - hohl scholl und hart das Laubendach - Es klang so einsam, was ich sprach - von meinem großen Überdruß; - es klang so bang, als ob ich log, - als ich mich flüsternd zu ihr bog. - Und ich hielt ihre Hand. Weißt du wohl noch, - du blasse +Andre+?! Wolltest du’s? - - Wie war die Hand von Arbeit rauh! - Wie saßest du so scheu und still - mit deinen Augen groß und grau, - als horchtest du dem Tropfentau, - der durch die Epheublätter fiel. - Und ich hielt deine Hand. Und es war so schwül. - Was ließest du es denn geschehn?! - Ich wollte dir nur ins Innre sehn, - in diese Augen stolz und stumm. - Du aber --? Und wir sanken um. - Die Epheublätter zitterten. - Ich nahm dein einziges Eigentum. - - Und dann: im dunkeln Grase hing - und flimmerte etwas wie Gold. - Das war dein lieber Perlenring, - der war dir in den Sand gerollt. - Und da hast du trotzig aufgelacht, - von deinem Vater war auch er; - blaß langtest du ihn zu mir her, - aus deinen Augen sah die Nacht, - und nahmst meine Hand -- besudelt glomm - der Kronring dran -- und während hohl - der Regen rauschte wie ein Strom, - sprachst du: vergiß! nimm! gieb! leb wohl! - - * * * * * - - Ihr Ringe, drei Ringe, und doch der neue, - aus scheuer Seele bang dämmernde Schwur? - Dahin der Glaube, dahin die Treue; - o dunkle Flur. - Starr durch die kahlen Pappeln schauen - die Sterne ins verhüllte Feld. - Klarheit?? Im Moor die Nebel brauen. - O ja: die Erde +ist+ voll Grauen. - Doch -- voll von Sonnen steht die Welt! - - Raum! Raum! brich Bahnen, wilde Brust! - Ich fühls und staune jede Nacht, - daß nicht blos Eine Sonne lacht; - das Leben ist des Lebens Lust! - Hinein, hinein mit blinden Händen, - du hast noch nie das Ziel gewußt; - zehntausend Sterne, aller Enden, - zehntausend Sonnen stehn und spenden - uns ihre Strahlen in die Brust! - - Uns in die Brust ... Was willst du, Schweigen, - du graue Erde, immer noch? - Und ich sehe die Krone, die eine, steigen - -- ihr Ringe, drei Ringe, wie war es doch? -- - die Krone steigen, die Krone sinken, - wie eine Sonne sinken, winken: - mir nach! nichts ist vergebens! - fest steht mein flammendes Gebot: - aus Abendrot wächst Morgenrot! - dem +bist+ du treu bis in den Tod, - du +trägst+ die Krone des Lebens: - die Schöpferkrone des Lebens! - - - - -Entrückung - - - O nein, mir wird es nicht zur Qual, - so sehr es Dich und Andre quält, - wenn du ins Grenzenlose blickst; - ich bin wie du ein schlanker Stahl, - und der sich immer strahlender stählt, - je mehr du ihn durch Kämpfe schickst. - - Aus deines Auges innerm Ring - flimmert ein sternglutweißes Licht - durch Schwarz und Grau, du arge Frau; - dies Licht, das mich seit je umfing, - sieh, das entrückt mir dein Gesicht - in mein geliebtes ewiges Blau. - - - - -Himmelfahrt - - - Schwebst du nieder aus den Weiten, - Nacht mit deinem Silberkranz? - Hebt in deine Ewigkeiten - mich des Dunkels milder Glanz? - - Als ob Augen liebend winken: - alle Liebe sei enthüllt! - als ob Arme sehnend sinken: - alle Sehnsucht sei erfüllt -- - - strahlt ein Stern mir aus den Weiten, - alle Ängste fallen ab, - seligste Versunkenheiten, - strahlt und strahlt und will herab. - - Und es treiben mich Gewalten - ihm entgegen, und er sinkt -- - und ein Quellen, ein Entfalten - seines Scheines nimmt und bringt - - und erlöst mich in die Zeiten, - da noch keine Menschen sahn, - wie durch Nächte Sterne gleiten, - wie den Seelen Rätsel nahn. - - - - -Der Stieglitz - - - Die Sonne sticht; ein Distelfeld - blitzt durch die stille Mittagswelt. - Im starrgezackten Blättermeer - glühn purpurlockig kreuz und quer - die Blütenköpfe. - - Und durch den eisengrauen Busch: - ein bunter Vogel, hupp, hup husch, - hüpft durch das wilde Staudenheer, - als ob es ohne Stacheln wär: - ein junger Stieglitz. - - Wie wirr! wie wunderlich geschweift! - Ein leichtes Lüftchen kommt und greift - von Blütenspeer zu Blütenspeer - und wirft die Schatten hin und her; - weg ist der Stieglitz. - - Nun will ich stille weitergehn - und mir die sonnige Welt besehn, - und durch das Leben kreuz und quer, - als ob es ohne Stacheln wär; - das liebe Leben. - - - - -Sinnige Fahrt - - - An kleinen ruhigen Dörfern vorbei, - durch eilende Felder und Leutegeschrei. - - Die Axen dröhnen; ich denke still - an Eine, die mir treu sein will. - - Sie denkt wohl auch: was wohl die Welt - so im stillen zusammenhält? - - Und plötzlich seh ich zwei Schafe stehn, - die dem rollenden Zug nachsehn. - - - - -So im Wandern - - - Ein silbern klein Herze, - von Gold einen Ring, - die gab sie mir, als ich - wandern ging, - - und tat in das Herze - ihr Bild hinein; - so einsam der Morgen, - bin nicht allein. - - Arme Padde im Gleise, - zerquetscht liegst du! - Ich wandre meine Straße - und wandre immer zu. - - Schon teilt sich der Nebel, - nun schimmert die Welt; - im Sonnenschein glitzert - das Ährenfeld. - - Die Hummeln summen, - die Lerchen klingen; - die Birken wehen, - die Zweige schwingen. - - Die Pappeln, die schütteln - die Blätter im Wind; - sie flüstern mir Grüße, - die voll Erinnrung sind. - - Das Herzelein nehm ich - vom seidenen Band - und leg’s in das Ringlein - in meiner Hand, - - so schreit ich und schau - als ein Zeichen mir’s an: - so will ich in Treuen - ohne Ende Dich umfahn! -- - - Was rennst, Meister Lampe? - heut jag’ich nicht. - Ich wandre, ich schreite; - die Sonne sticht. - - In Dorfes Mitten, - wo sich der Friedhof hebt: - wie wirds gar kühl sich ruhen, - wenn man mich einst begräbt: - - zwei weiße Rosen biegen - ums Grabkreuz die Äst, - drauf steht mein Nam geschrieben, - bis der Regen ihn löscht. - - Hinterm Kirchlein die Schenke - heißt „Zu den drei Linden“; - da wird sich wohl auch noch - ein Ruheplätzchen finden. - - Ei Tausend, mein Schätzchen, - so schmuck, und allein? - Ei komm doch, rück näher; - trink mit, schenk ein! - - Es sitzen zwei Spatzen - im Lindenbaum; - sie schnäbeln, sie schwatzen, - es ist wie Traum. - - Auf’m Kirchhof stehn Kreuze, - mehr als hundert, schwarz und weiß; - aber Du hast zwei Lippen, - die sind rot und heiß! - - Na Mädel, was weinst denn? - Ja, die Welt ist hohl. - Die Welt ist ein Weinfaß: - trink aus -- leb wohl! -- - - Was wackelt der Pfahl da? - der ist wohl betrunken! - Ich wandre, ich schreite, - in Sinnen versunken. - - Sie saß ja so alleine; - und die Liebste wohnt weit! - Ich will ihr Alles schreiben, - bis sie mir verzeiht. - - Und am End meiner Reise - steht mein elterlich Haus, - da schaut mein lieb Mutterherz - am Fenster nach mir aus; - - und drinnen sitzt mein Vater, - wie’n König auf sei’m Thron, - und wills nicht verraten, - daß er wart’t auf sein’n Sohn. - - Nun will ich nicht sinnen, - ob man glücklich kann werden; - der Himmel ist hoch, - und wir leben auf Erden! - Sela! -- - - - - -Schutzengel - - - Nicht vom Kirchhof will ich Epheu pflücken, - glänzt das ganze Dörfchen doch von Epheu; - davon will ich pflücken - für mein Kämmerchen! - spricht der junge, junge Jägersmann. - - Guten Tag, du schönes, schönes Mädchen, - gieb mir doch dein liebes, liebes Händchen! - Weißt, ich suche Epheu - für mein Kämmerchen; - darf ich wohl von deinem Epheu pflücken? - - Komm herein, du schöner, schöner Jäger; - will dir vielen, vielen Epheu geben. - Hinten um mein Fenster, - um mein Kämmerchen, - schlingt sich dicht der dunkle, dunkle Epheu. - - Kommt das kleine Brüderchen gelaufen: - Schwesterchen, was will der große Jäger?! - Und ich küßt es auf die scheue Stirne - und ging still nach Hause - in mein Kämmerchen -- - ich, der junge, junge Jägersmann. - - - - -Begegnung - - - Ich sah dich schon. - Im Sonnenschein - beim Roggenfeld am Wiesenrain - stand wilder Mohn; - die Kelche blühten blutrot breit, - den Schooß voll blauer Dunkelheit, - und jäh aus einer Knospe quoll - ihr glühendes Seelchen, unruhvoll. - - So sah ich Dich, du knospiges Kind, erglühn, - gestern im Feld am stillen Fichtenhain, - als im Vorübergehn mein Blick dich küßte; - mit allen Adern schienst du aufzublühn, - so scheu und rein, - als ob ich um Verzeihung bitten müßte. - - +War’s+ ein Erglühn? War’s nur ein Widerschein? - das Rot des roten Sommerkleids um dich? - das Abendrot, das fern verglomm im Tann? - War’s ein Erglühn, das erste war es dann, - das deine jungen Schläfen so beschlich; - so bang, so schwer sahst du mich an, - so fast voll Angst zurück nach mir, - als du verschwandest sacht im dichten - Gewühl der silbergrünen Fichten. - - Doch meine Seele folgte dir, - dein blautief Auge blieb in mir. - - Ich sah dich schon, - du flüchtendes Kind: - heiß durch den Roggen strich der Wind - und bebend neigte sich der Mohn. - Ich hab eine rote Blüte verwehn, - zwischen den Halmen zerflattern sehn, - und habe den Blättern nachgeträumt; - und immer ist mir noch, ich schaue - in ihren Kelch, der glutumsäumt - sich jäh vertieft ins Dunkle, Blaue ... - - - - -Unterm jungen Birnbaum - - - Unterm jungen Birnbaum standest du. - An die ersten kleinen grünen Früchte - rührtest du entzückt mit zartem Finger; - letzte Blüten wehten um dich nieder. - - Unterm jungen Birnbaum stand auch ich. - Meine harten Hände rührten nicht - an die kleinen grünen ersten Früchte; - letzte Blüten wehten um mich nieder. - - - - -Emporsturz - - - Einmal, Erde, wollt ich dich küssen: - ein Weib in Armen, jach Schooß an Schooß, - zu Boden stürzend in rasendem Tanz. - Da winkte ein Mädchen mir zum Reigen, - einen weißen Mantel um die Hüften, - in den tiefblauen Augen einsamen Glanz. - - Glanz aus fern aufsteigenden Räumen, - Glanz aus längst versunkener Zeit, - Glanz des Mondes im stillen Meere, - Glanz der Sterne über der Wüste: - Lauterkeit. - - Und da lag ich im Staub und hüllte - meine grauen Haare in ihr Gewand, - wie einst Josef hin vor Miriam kniete, - als er den heiligen Geist empfand. - - - - -Verkündigung - - - Du tatest mir die Tür auf, - ernstes Kind. - Ich sah mich um in deinem kleinen Himmel, - lächelnde Jungfrau. - Du sollst einst einen großen Himmel hüten, - Mutter mit dem Kind. - Ich tu die Tür mit ernstem Lächeln zu. - - - - -Einst - - - Ich ruhe; helle Wolken fliehn; - mein Herz rauscht wie das weite Feld. - Flügel leuchten -- - und über die Wolken steigt ein Lied: - Einst brauchst du keinen Menschen mehr, - du Herz der Welt! -- - - - - -Stimme des Abends - - - Die Flur will ruhn. - In Halmen, Zweigen - ein leises Neigen. - Dir ist, als hörst du - die Nebel steigen. - Du horchst -- und nun: - dir wird, als störst du - mit deinen Schuhn - ihr Schweigen. - - - - -Feierabend - - - Geh nur, lieber Tag, - freue dich der Nacht. - Nichts bleibt unvollbracht; - deines Lichtes Macht - keimt im dunkeln Grund. - Einst wird alles kund, - hell von Mund zu Mund, - was uns heut im Traum erst dämmern mag. - - - - -Manche Nacht - - - Wenn die Felder sich verdunkeln, - fühl ich, wird mein Auge heller; - schon versucht ein Stern zu funkeln, - und die Grillen wispern schneller. - - Jeder Laut wird bilderreicher, - das Gewohnte sonderbarer, - hinterm Wald der Himmel bleicher, - jeder Wipfel hebt sich klarer. - - Und du merkst es nicht im Schreiten, - wie das Licht verhundertfältigt - sich entringt den Dunkelheiten. - Plötzlich stehst du überwältigt. - - - - -Aus banger Brust - - - Die Rosen leuchten immer noch, - die dunkeln Blätter zittern sacht; - ich bin im Grase aufgewacht, - o kämst du doch, - es ist so tiefe Mitternacht. - - Den Mond verdeckt das Gartentor, - sein Licht fließt über in den See, - die Weiden schwellen still empor, - mein Nacken wühlt im feuchten Klee; - so liebt ich dich noch nie zuvor! - - So hab ich es noch nie gewußt, - so oft ich deinen Hals umschloß - und blind dein Innerstes genoß, - warum du so aus banger Brust - aufstöhntest, wenn ich überfloß. - - O jetzt, o hättest du gesehn, - wie dort das Glühwurmpärchen kroch! - Ich will nie wieder von dir gehn! - O kämst du doch! - Die Rosen leuchten immer noch. - - - - -Helle Nacht - - - Weich küßt die Zweige - der weiße Mond. - Ein Flüstern wohnt - im Laub, als neige, - als schweige sich der Hain zur Ruh: - Geliebte du -- - - Der Weiher ruht, und - die Weide schimmert. - Ihr Schatten flimmert - in seiner Flut, und - der Wind weint in den Bäumen: - wir träumen -- träumen -- - - Die Weiten leuchten - Beruhigung. - Die Niederung - hebt bleich den feuchten - Schleier hin zum Himmelssaum: - o hin -- o Traum -- -- - - - - -Aufstieg - - - Als Engel durch die Finsternis, - so wollten wir zu höhern Sonnen; - doch hab ich dich erst ganz gewonnen, - als Gott uns aus dem Traume riß. - - Blau fuhr sein Blitzstrahl durch die Weiten - und zwang uns zur Hinunterschau; - da lag die Erde grell und grau - mit allen ihren Wirklichkeiten. - - Wie lachte Satan auf zu mir, - als du mich zu verlieren meintest. - Wie schrie er selig, als du weintest: - Sie träumt nicht mehr, sie lebt mit dir! - - - - -Drückende Luft - - - Der Himmel dunkelte noch immer; - ich fühlte tief bis in mein Zimmer - der fahlen Wolken vollen Schooß. - Die Esche drüben drehte schwer - die hohe Krone um sich her; - zwei Blätter trieben wirbelnd los. - - Laut tickte durch die schwüle Stube, - wie durch die stille Totengrube - der Holzwurm ticken mag, die Uhr. - Und durch die Türe hinter mir - klang dünn und schüchtern ein Klavier - über den Flur. - - Der Himmel lastete wie Schiefer; - ihr Spiel klang immer trauertiefer, - ich sah sie wohl. - Dumpf rang der Wind im Eschenlaub, - die Luft war grau von Glut und Staub - und seufzte hohl. - - Und blasser tönten durch die Wände - die tastenden verweinten Hände, - sie saß und sang; - sang sich das Lied, in sich gebückt, - mit dem sie mich als Braut entzückt; - ich fühlte, wie ihr Atem rang. - - Die Wolken wurden immer dumpfer, - die wunden Töne immer stumpfer, - wie Messer stumpf, wie Messer spitz; - und aus dem alten Liebeslied - klagten zwei Kinderstimmen mit -- - da fiel der erste Blitz. - - - - -Aufblick - - - Über unsre Liebe hängt - eine tiefe Trauerweide. - Nacht und Schatten um uns beide. - Unsre Stirnen sind gesenkt. - - Wortlos sitzen wir im Dunkeln. - Einstmals rauschte hier ein Strom, - einstmals sahn wir Sterne funkeln. - Ist denn Alles tot und trübe? - Horch --: ein ferner Mund --: vom Dom --: - - Glockenchöre ... Nacht ... Und Liebe ... - - - - -Stiller Gang - - - Der Abend graut; Herbstfeuer brennen. - Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei. - Kaum ist mein Weg noch zu erkennen. - Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen. - Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei. - Vorbei. - - - - -Ein Grab - - - Das sind die Abende, die bleich verfrühten. - Die Georginen, die im Sonnenscheine - wie rot und gelbe letzte Rosen glühten, - stehn fahl, Rosetten aus verfärbtem Steine. - Der Nebel klebt an unsern Hüten. - - Komm, Schwester. Dort der Zaun von Erz - umgittert Eine, die zu früh verblich. - Komm heim; mich friert. Sie liebte mich. - Sie hatte nichts vom Leben als ihr Herz; - still tat sie wohl, still litt sie Schmerz. - - - - -Klage - - - In diesen welken Tagen, - wo Alles bald zu Ende ist, - sturmzerfetzte Sonnenblumen - über dunkle Zäune ragen, - - Wolken jagen - und den Boden flammenfarbne - Blätterstürze schlagen: - - da müssen wir nun tragen, - was wir uns mußten sagen - - in diesen welken Tagen. - - - - -Einst im Herbst - - - Durch den Wald, den ernsten alten Wald, - sprangen drei Mädchenrangen; - hatten Flammen von Abendglanz im Haar, - schwangen Zweige mit rotem Herbstlaub, - ließen sie prangen, ja prangen. - - Kam ein Herr, ein ernster alter Herr, - durch den Glanz gegangen; - bot ihm eine lachend ein Zweiglein dar, - schönes rotes Herbstlaubzweiglein, - lachend mit blutjungen Wangen. - - Stand er lächelnd, lächelnd im ernsten Wald, - während sie weitersprangen; - schwang sein rostrot Zweiglein im Abendglanz, - sah die ihren drei flammengolden - fern noch prangen, ja prangen. - - - - -Der gesunde Mann - - - Meine Frau ist krank, sie - wird wohl bald sterben; - dann kann ich lachen, - dann werd’ich was erben. - O, wie lieb mir das Leben im Leibe schlägt, - wenn ihr Husten mir das Herz zersägt; - hilf Gott. - - Da sitzt sie am Ofen - und lächelt ins Feuer; - die Flammen röcheln - so ungeheuer. - Es kocht die Glut, ein Scheit zerspringt, - und eine ferne Glocke klingt: - hilf Gott. - - - - -Befreit - - - Du wirst nicht weinen. Leise, leise - wirst du lächeln; und wie zur Reise - geb ich dir Blick und Kuß zurück. - Unsre lieben vier Wände! Du hast sie bereitet, - ich habe sie dir zur Welt geweitet -- - o Glück! - - Dann wirst du heiß meine Hände fassen - und wirst mir deine Seele lassen, - läßt unsern Kindern mich zurück. - Du schenktest mir dein ganzes Leben, - ich will es ihnen wiedergeben -- - o Glück! - - Es wird sehr bald sein, wir wissen’s Beide. - Wir haben einander befreit vom Leide; - so geb’ich dich der Welt zurück. - Dann wirst du mir nur noch im Traum erscheinen - und mich segnen und mit mir weinen -- - o Glück! - - - - -Trost - - - Du sahst eine Sternschnuppe fallen; - was hebst du scheu die Hand? - Sieh, kein Stern verschwand: - alle leuchten noch allen. - - - - -Wunder - - - Niemals war es mir ein Wunder, - daß die Bäume, wenn die Blätter fallen, - all schon wieder voller Knospen stehn. - - Immer wird nun, wenn die Blätter fallen, - deine Frage mich bewegen: - Kann man traurig auf dies Wunder sehn? - - - - -Kalte Frage - - - Wo bist du nun? Die Täler sind verschneit; - es starrt der Fluß, der gestern noch sich regte. - Ich staune in die bleiche Dunkelheit - wie dort das Licht, das ferne, unbewegte. - - - - -Winterwärme - - - Mit brennenden Lippen, - unter eisblauem Himmel, - durch den glitzernden Morgen hin, - in meinem Garten, - hauch ich, kalte Sonne, dir ein Lied. - - Alle Bäume scheinen zu blühen; - von den reifrauhen Zweigen - streift dein Frühwind - schimmernde Flöckchen nieder, - gleichsam Frühlingsblendwerk; - habe Dank! - - An meiner Dachkante hängt - Eiszapfen neben Zapfen, - starr; - die fangen zu schmelzen an. - Tropfen auf Tropfen blitzt, - jeder dem andern unvergleichlich, - mir ins Herz. - - - - -Kein Bleiben - - - Immer dichter - flüchtet der Schnee. - Ich steh und seh - die Flocken treiben, - um Straßenlichter, - stumme Gesichter, - immer dichter. - Nur nicht bleiben: - weiter, weiter, - einsamer Schreiter! - - - - -Heimweh in die Welt - - - O wie lange litt ich’s nun, wie stumm! - soll ich denn mein Herz, mein Herz noch töten? - War doch dein, nur dein, in Glut und Nöten; - weißt warum? - Weil mein Herz so wild, - weil es Meere braucht, - wenn der Sturm ins Blut mir taucht, - weil es deine Tiefen so gefühlt! - - Doch wenn nun der Frühling wieder sprießt - -- o, ich fühls, ich fühls, so stumm ich blieb -- - und im warmen Sturm der junge Trieb - schwillt und schießt: - wird mein Herz so wild, - weil es Meere braucht, - wenn der Sturm ins Blut mir taucht, - weil es so in alle Weiten fühlt! - - Hast es doch gewußt. Damals im Mai: - als uns auf der Bergwand der Blitz umlohte, - als ich jauchzte und dem Donner drohte, - adlerfrei: - gabst mir deine Hand, - mein in Glut und Schmerz, - sankest mir ans wilde Herz, - unten glänzte fern das deutsche Land. - - Und wenn nun der Frühling blühen will - und die herrlichen Blitze wieder glühn - und im Sturm die Meere wieder sprühn: - dann -- oh still -- - gieb mir deine Hand, - Einmal noch ein Schmerz, - Einmal noch ein deutsches Herz, - dann leb wohl, mein Weib, mein Vaterland! - - - - -Über frei Feld - - - Über frei Feld, mein Hund und ich; - die Frühlingsluft ist dunkel. - Fern staut sich ein Gewitterstrich; - mein Teckel knurrt, er fürchtet sich. - Komm, Teckel. - - Er will nicht sehn die Himmelswand, - die Sonne sticht durch Wolken; - blendende Streifen ziehn durchs Land, - ein Scherben blitzt wie Diamant. - Komm, Teckel. - - Am Saum der Saat, von Stiel zu Stiel, - schleicht ungewiß sein Schatten; - ein Regen sprüht wie Mückenspiel, - die Tropfen flimmern ohne Ziel. - Komm, Teckel. - - Da: jäh am Horizont hin zuckt - der erste Blitz im Jahre. - Ein kurz entschlossner Donner ruckt; - mein Teckel hat sich scheu geduckt. - Hundsseele! - - - - -Zweiter Teil - - - - -Der Frühlingskasper - - - Weil nun wieder Frühling ist, - Leute, - streu ich butterblumengelber Kasper - lachend - lauter lilablaue Asternblüten - hei ins helle Feld! - - Lilablaue Astern, liebe Leute, - Astern - blühn im deutschen Vaterland bekanntlich - blos im Herbst. - - Aber Ich, ich butterblumengelber Kasper, - streue, - weil nun wieder heller Frühling ist, - tanzend - tausend dunkelblaue Asternblüten - hei in alle Welt! - - - - -Entladung - - - Ich kam mit meinem Alpenstocke - und offner Brust vom Berg geschlendert; - begegnet mir im Ordensrocke - ein Zug von Nonnen, grau bebändert, - zehn schwarze Paare. - - Den Blick zu Boden, steif und stumm, - so kamen sie dahergestiegen; - ich seh die Täler ringsherum - in leichenhaftem Glanze liegen, - Gewitter drohte. - - Fern unten, wo noch Sonne gährte, - zog durch den wolkendunkeln See - ein Dampfschiff seine blanke Fährte, - und Tücher winken hell Ade; - ich schau nach Oben. - - Wie sieht die Bergwand düster aus! - Ein greller Kirchturm steht davor - und fordert frech den Blitz heraus; - die Tannen sträuben sich empor - wie Warnungszeichen. - - Und herrisch kommt der Wind gesaust, - die Straße her, mit Staub und Frische, - und nimmt die Birken in die Faust - und schüttelt sie wie Flederwische; - es donnert schon. - - Die strengen Ordensröcke stieben; - nur rasch vorbei, ihr armen Schwestern! - ihr dürft nur tote Heilige lieben. - Rasch! Eure stumpfen Blicke lästern - Natur und Leben. - - Ah: wie die Gletscherkanten glühn! - Vom Dampfer hör ich Juchzer klingen; - der Regen klatscht ins wilde Grün, - und mit dem Wirbelwinde ringen - vierzig Nonnenwaden. - - Da hob ich meine Alpenstange - und schlug ein Kreuz auf ihren Trott, - und lachte laut und lachte lange, - und herzlich herzlos, wie ein Gott -- - sie +hörten’s+. - - - - -Anbetung - - - Letzter Schritt, und hoch mit mir - strebt der Turm ins Licht; - und vom Steigen auf zu Dir - bebt mein heiß Gesicht. - - Hier, wo keine Menschen sind, - sieh mich niederknien! - Ums Gesimse saust dein Wind, - und ich fühle ihn, - - wie er an das Steingerüst - seine Hände legt - und es schüttelt und es küßt - und mein Haar durchfegt. - - Durch die Glocken unter mir - rauscht sein Atemstrom. - Sonne, Sonne, Schöpferin, Dir - bebt der ganze Dom, - - den o Dein Dom überblaut, - und den schaffensbang - einst ein Mensch wie Ich gebaut, - Mensch im Überschwang! - - - - -Ausblick - - - Jetzt einen Schritt, dann stürzt vom Rande - mein Leben in die Schlucht hinab. - Wie hängt die Sonne tief im Lande! - Ich recke mich auf meinem Stande, - und alle Sehnsucht fällt mir ab. - - Denn dort aus Wald-und-Wolkenkränzen - ragt mir erreichbar Firn an Firn. - Die Wirklichkeit ist ohne Grenzen! - Wie nah die fernen Dörfer glänzen, - der Strom dazwischen wie ein Zwirn! - - Ich lehne mich zurück mit Grauen: - was ist hier groß, was ist hier klein. - Da blüht ein Enzian: nun schauen - zwei Menschenaugen in den blauen, - einsamen, winzigen Kelch hinein. - - In gelben Pollen reift der Samen, - Unendlichkeiten ahnen mir; - und selig ruf ich einen Namen -- - du Mutter meiner Kinder, Amen, - mein Leben blüht, ich danke dir! - - - - -Ideale Landschaft - - - Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn, - und eine hohe Abendklarheit war, - und sahst nur immer weg von mir, - ins Licht, ins Licht -- - und fern verscholl das Echo meines Aufschreis. - - - - -Auf See - - - Doch hatte niemals tiefere Macht dein Blick, - als da du, Abschied fühlend, still am Ufer - standest, schwandest. Nur der Blick noch - blieb und bebte über den Wassern. - - Dunkel folgte der Schein den leuchtenden Furchen. - Und ich sah den Schaum der tiefen Flut, - sah dein weißes Kleid zerfließen: - du Seele -- Seele -- -- - - - - -Gesang vor Nacht - - - Im großen Glanz der Abendsonne - schauert die See; sacht steigt die Flut. - Im großen Glanz der Abendsonne - ergreift auch mich die weite Glut. - Im großen Glanz der Abendsonne - braust immer feuriger mein Blut: - Noch steigt die Flut -- - im großen Glanz der Abendsonne. - - - - -Klarer Tag - - - Der Himmel leuchtet aus dem Meer; - ich geh und leuchte still wie er. - - Und viele Menschen gehn wie ich, - sie leuchten alle still für sich. - - Zuweilen scheint nur Licht zu gehn - und durch die Stille hinzuwehn. - - Ein Lüftchen haucht den Strand entlang: - o wundervoller Müßiggang. - - - - -Dunkle Gewalt - - - Wieder! Da kommt sie durchs Gewimmel. - An ihrem Busen, in der Rechten, - wie Nachtgewölke ruhn am Himmel, - die aufgerafften dunklen Flechten -- - - bestricken meinen Blick wie Schlangen, - mir träumt von Paradiesesnächten -- - Was ziehst du plötzlich so voll Bangen - den Mantel, Weib, vor deine Flechten? - - - - -Ballade von der wilden Welt - - - Schöne stille Seele - hatte einen Garten, - rings um den Dornheckenwerk - und Urwalddickicht starrten, - einen Blumengarten. - - Schöne stille Seele - saß in ihrem Zelt, - bebte vor den Häßlichkeiten - oh der wilden Welt, - in ihrem seidnen Zelt. - - Schöne stille Seele - sah gern Kolibris - durch die Blütenbüsche huschen - überm warmen Kies, - die goldnen Kolibris. - - Und die bunten Schmetterlinge, - und die blanken Schlangen; - schöne stille Seele - sah sie gern im Dickicht prangen, - die sonneblanken Schlangen. - - Sah auch gern die blauen Blitze - über den Wäldern jagen - und die fernen schneebedeckten - Kraterberge ragen; - +schöne+ stille Seele! - - Schöne stille Seele - erschrak auf einmal sehr: - durch das Dornwerk drang ein hoher - wilder Fremdling her. - Seele bebte sehr. - - Fremder Weltumsegler, - ich saß so schön allein; - du wirst mich Schlange schelten, - dann werden wir häßlich sein. - Und stehst so schön allein. - - Schöne stille Seele - konnt alldas nicht sagen, - sah den Fremdling vor sich höher - als die Berge ragen; - konnt kaum Willkomm sagen. - - Konnt ihn nur empfangen endlich, - Ihn -- o wilde Welt -- - Blitze, Blüten, Kolibris - jagten um ihr Zelt -- - +schöne+ wilde Welt! -- - - - - -Herr und Herrin - - -Ein Mann: - - Da du so schön bist, darf ich dich beschwören, - errege nicht mein leicht erregtes Blut. - Da du so schön bist, kann ich dir nicht wehren, - daß deine Hand zu sehr in meiner ruht. - Da du so schön bist, muß ich dich begehren, - denn alle Schönheit ist mir freies Gut. - Da du so schön bist, will ich dich zerstören, - damit es nicht ein Andrer tut ... - - -Das Weib: - - Da du so stark bist, darfst du mich begehren, - doch meine Schönheit bleibt mein freies Gut. - Da du so stark bist, kannst du mich zerstören, - wenn dir die Tat nicht selbst zu wehe tut. - Da du so stark bist, mußt du mir beschwören, - daß du beschützen wirst mein schutzlos Blut. - Da du so stark bist, will ich dir nicht wehren, - daß deine Hand in meiner ruht ... - - - - -Ballade vom Kuckuck - - - Du hast zwei schöne Kinder, Frau, - sie spielen um unsre Füße im Gras; - was schweift dein Blick in die Wolken? - - „Ich warte auf meinen Kuckuck, Mann; - er ruft mir immer von fern was zu, - immer zu, wenn die Kinder spielen.“ - - Was hat er dir zuzurufen, Frau? - Was schweift dein Blick so fremd und bang, - daß mir graut für unsre Kinder? - - „Unsre Kinder bleiben nicht unser, Mann; - sie spielen mit Blume und Schmetterling, - einst horchen sie auch auf den Kuckuck.“ - - So will ich den Kuckuck totschießen, Frau! - Ich schoß schon manchen Habicht tot, - der unser Hühnervolk schreckte. - - „Kam immer wieder ein Habicht, Mann; - kommt immer wieder ein Kuckuck von fern. - Horch -- nun schreckt dich selber sein Lockruf.“ - - - - -Vorspiel - - - Sie ist nur durch mein Zimmer gegangen - und hat mir scheu von Träumen erzählt; - und ich habe sie mit Trost gequält - und saß und starb fast vor Verlangen. - - Sie hat geträumt von meinen Händen: - sie aß von ihres Mannes Brot, - da kam ich an und drückte sie tot, - sie hielt ganz still ... Wie wird das enden ... - - - - -Wellentanzlied - - - Ich warf eine Rose ins Meer, - eine blühende Rose ins grüne Meer. - Und weil die Sonne schien, Sonne schien, - sprang das Licht hinterher, - mit hundert zitternden Zehen hinterher. - Als die erste Welle kam, - wollte die Rose, meine Rose, ertrinken. - Als die zweite sie sanft auf ihre Schultern nahm, - mußte das Licht, das Licht ihr zu Füßen sinken. - Da faßte die dritte sie am Saum, - und das Licht sprang hoch, zitternd hoch, wie zur Wehr; - aber hundert tanzende Blütenblätter - wiegten sich rot, rot, rot um mich her, - und es tanzte mein Boot, - und mein Schatten auf dem Schaum, - und das grüne Meer, das Meer -- -- - - - - -Bewegte See - - - Noch Einmal so! Im Nebel durch den Sturm: - das Segel knatterte, die Schiffer schrieen, - am Bugspriet stand das Wasser wie ein Turm, - ich fühlte deine Angst in meinen Knieen - und sah dein stolz und fremd Gesicht. - - Noch Einmal wollte mir dein Auge drohn, - wie eine Flamme stand dein Haar im Winde, - doch in den Wellen rang ein Ton - wie das Gewein von einem Kinde -- - da wehrtest du mir nicht: - - Um meine Lippen lag dein naß wild Haar, - um deine Schulter lag mein Arm gezogen, - und unsern Kuß versüßte wunderbar - der Schaum der salzigen Sturzwogen -- - da schrie ich laut vor Freude auf. - - Noch Einmal so! Was tust du jetzt so kalt, - hast du denn Furcht vorm offnen Meere? - Es peitscht dich warm! Komm bald, komm bald! - im Hafennebel tanzt die Fähre -- - hinaus! hinauf! - - - - -Der Sturm - - - Der Sturm ging noch die ganze Nacht, - ganz daß die Nacht dem Abend glich. - Ich bin fortwährend aufgewacht: - wie war der Abend schauerlich! - Uns schnitt der Ton bis unters Herz; - dann haben wir noch mehr gelacht -- - Du, dein Mann, und ich. - - - - -Verklärung - - - Schwer sind dir die grauen Tage? - Seele, komm: ich nehm dich ganz, - wie du willst, du liebe Plage! - Horch, der Regen rauscht wie Tanz, - und die Windsbraut singt und geigt: - Nichts ist schwer, sind +wir+ nur leicht! - - Schwingen wir nur erst im Reigen, - hingerissen Spur in Spur, - braucht kein Engel mehr zu geigen, - Erde wird zur Himmelsflur. - Tanze, leichte Seele, tanz: - jeder Tag hat seinen Glanz! - - - - -Das Schloß - - - Ich bin arm, du bist reich, - darum bau ich dir ein Schloß - aus meinen purpurnsten Träumen. - Das steht am grauen Nordseedeich, - wo die funkelndsten Wellen schäumen. - - Denn unsre Liebe ist so groß, - daß die ganze Welt mir ein Spiel ist; - und alle Meere um unser Schloß - staunen, was mein Ziel ist. - - Mein Ziel ist eine tiefe Nacht: - wir schwimmen auf unserm Schlosse, - und die Wellen springen an unsre Yacht - wie trunken schreiende Rosse. - - Und ich lass ein wildrotes Nordlicht scheinen, - du liegst vor mir in Flammen, - und unser glühendes Schloß stürzt ein, - und wir stürzen mit ihm zusammen - und ertrinken -- -- - - - - -Der Schwimmer - - - Gerettet! Und er streichelt den Strand, - um den er rang mit dem wilden Meer; - noch peitscht der weiße Gischt seine Hand. - Und er blickt zurück aufs wilde Meer. - - Und blickt um sich ins graue Land; - das liegt im Sturm, wie’s vorher lag, - fest und schwer. - - Da wirds nun sein wie jeden Tag. - Und er blickt zurück aufs wilde Meer ... - - - - -Beschwichtigung - - - Die Nacht wird kühl; mein Schatten kriecht - im Sand am Rand des Ozeans. - Der Mond vergießt sein fremdes Licht - und nimmt den Sternen ihren Glanz. - Die See rauscht. - - Was quäl ich mich! Hier trieb vielleicht - schon manches Paar sein loses Spiel, - und sind erglüht und sind erbleicht, - und sprachen dann vom Tode viel. - Die See rauscht. - - Wenn alles Land gefroren ist, - wenn übers eingeschneite Feld - die Sonne ihren Glanz ergießt, - dann wird dir fremd sein, was dich quält. - Die See rauscht. - - - - -Lied an den Mond - - - Willkommen, weißer Mond im Blauen, - allein! - Laß mich in Deine Heimat schauen, - sei mein! - Ich sitz im Dunkeln voll Geduld, - du scheinst! - O leuchte jedem heim voll Huld, - dereinst! - - - - -Gruß - - - Schlaflos lieg’ich, wie im Fieber - starr’ich in ein Schattenmeer: - endlich glänzt vielleicht ihr lieber - Augenstern darüber her. - - Endlich -- und zwei Seelen brächten - solchen Gruß sich durch die Welt, - wie aus hohen Sommernächten - Stern zu Stern vom Himmel fällt. - - - - -Aufglanz - - - Der Mond ist neu geworden, - nun kommen die dunkeln Nächte; - da klopft das Herz mit stärkerem Schlag - und wünscht ein andres Herz herbei, - an dem es erglühen möchte. - Glühn bis ins ruhelose - dunkelste Blut hinein: - o Nacht, gib Licht, - o Tag, erschein, - die Welt ist neu geworden! - - - - -Morgenstunde - - - Ob du wohl auch so schlaflos liegst - und dich in wachen Träumen wiegst - vor Glück, wie sehr die Sehnsucht brennt? - Ich schau ins dunkle Firmament: - der Morgenstern, in großem Bogen, - ist langsam längst heraufgezogen - und läßt mich lächelnd fühlen, was uns trennt. - - Vor meinen schwachen Augen - -- nun weiß ich doch, zu was sie taugen -- - strahlt er, je höher her, je flimmernder - Weihnächtig glänzt die graue Stille. - O zögre, Alltag! Ohne Brille - sieht man die Welt unendlich schimmernder. - - Schon aber glitzert sein Gezitter blasser; - nun steh ich auf und geb der Lilie Wasser, - die du mir gestern heimlich brachtest. - Und wenn du mich dafür auslachtest: - sanft nehm ich sie von ihrer Stätte - und leg sie auf mein warmes Bette - und fühle lächelnd, wie du nach mir schmachtest. - - - - -Ruf - - - Immer stiller stehn die Bäume, - nicht ein Blatt mehr scheint zu leben, - und ich fühle Wüstenträume - durch den bangen Mittag beben, - - bis ins bange Blut mir zittern, - bis ins Herz, wie Feuerpfeile. - O, ich lechze nach Gewittern! - Komm, Geliebte! eile! eile! - - - - -Berückung - - - Und du kamest in mein Haus, - kamst mit deinen schwarzen Blicken; - sah ich ferne Palmen nicken, - und du gabst mir deinen Strauß. - - Gabst die zitternden Narzissen, - die wir in der Wildnis pflückten; - deine schwarzen Locken schmückten - meines Diwans rote Kissen. - - Kehre wieder in mein Haus, - laß die wilden Blumen blühen! - Unsre jungen Lippen glühen; - gieb mir, gieb mir deinen Strauß! - - - - -Wirrsal - - - Weine nicht, mein treues Weib! - Jene Andre, die mich auch liebt, - die beglückt wohl meinen Leib, - aber Du hast meine ganze Seele. - - Und du bist ihr nicht verhaßt. - Mußt du sie nicht mit mir lieben, - die so innig zu mir paßt - wie mein ganzer Leib zu meiner Seele? - - Sie beglückt doch diesen Leib, - den sie liebt und der sie auch liebt, - wie er Dich beglückt, mein Weib! - Und dann hat sie meine ganze Seele ... - - - - -Nach einem Regen - - - Sieh, der Himmel wird blau; - die Schwalben jagen sich - wie Fische über den nassen Birken. - Und du willst weinen? - - In deiner Seele werden bald - die blanken Bäume und blauen Vogel - ein goldnes Bild sein. - Und du weinst? - - Mit meinen Augen - seh ich in deinen - zwei kleine Sonnen. - Und du lächelst. - - - - -Der gute Hirte - - - Laßt uns endlich heiter wandeln - durch die grillenvolle Welt! - Wenn wir unbekümmert handeln, - ist das Schwerste leicht bestellt. - Glück macht jede Seele fromm; - eil dich, Rahel! Lea, komm! - - Saht ihr je die Lämmer streiten, - wen der Hirte lieber hab? - Also laßt die Zwistigkeiten, - zärtlich winkt mein Jakobsstab. - Seht, schon zieht der Mond herauf: - eil dich, Rahel! Lea, lauf! - - Mach ich euch nicht glücklich Beide, - wenn auch meistenteils allein? - Schmachtend schimmern Wald und Weide: - wer wird heut die Einzige sein? - O, wie lieblich riecht der Klee; - eil dich, Rahel -- Lea, geh -- -- - - - - -Stimme im Dunkeln - - - Es klagt im Dunkeln irgendwo. - Ich möchte wissen, was es ist. - Der Wind klagt wohl die Nacht an. - - Der Wind klagt aber nicht so nah. - Der Wind klagt immer in der Nacht. - In meinen Ohren klagt mein Blut, - mein Blut wohl. - - Mein Blut klagt aber nicht so fremd. - Mein Blut ist ruhig wie die Nacht. - Ich glaub, ein Herz klagt irgendwo. - - - - -Über den Sümpfen - - - Wo wohnst du nur, du dunkler Laut, - du Laut der Gruft? - Was rinnt und raunt durch Schilf und Duft - und glüht wie Augen durch die Luft, - durch Rohr und Kraut? - - Es lehnt die Nacht am offnen Tor - und weint und winkt. - Zwei graue Hunde stehn davor - und lauschen mit geneigtem Ohr, - wie’s klingt, - lockt, blinkt. - - - - -Erwartung - - - Aus dem meergrünen Teiche - neben der roten Villa - unter der toten Eiche - scheint der Mond. - - Wo ihr dunkles Abbild - durch das Wasser greift, - steht ein Mann und streift - einen Ring von seiner Hand. - - Drei Opale blinken; - durch die bleichen Steine - schwimmen rot und grüne - Funken und versinken. - - Und er küßt sie, und - seine Augen leuchten - wie der meergrüne Grund: - ein Fenster tut sich auf. - - Aus der roten Villa - neben der toten Eiche - winkt ihm eine bleiche - Frauenhand ... - - - - -Im Reich der Liebe - - - O Du, dein Haar, wie strahlt dein Haar, - das ist wie schwarze Diamanten! - O, weil wir uns als Herrscherpaar - der ewigen Seligkeit erkannten, - Du! - - Schmück mir die Stirn du, nackt und bloß, - mit diesem Band aus blauer Seide! - Das ging dir los von deinem Schooß, - als wir noch strauchelten im Kleide - jener Welt. - - Hier sind wir Gott gleich, sieh mich an: - oh Gott, wie Eins sind wir geworden! - Hier kannst du ruhig deinen Mann - mit mir betrügen, für mich morden, - Du -- -- - - - - -Nun erst - - - Hab Dank! wir waren Mann und Weib, - es ist geschehn; - nun laß uns wieder aufrecht gehn, - allein und klar. - Wir wollen uns nicht trüb geberden; - wir können nun erst Freunde werden, - ganz und wahr. - - Du weißt ja gut, wie’s enden kann; - am Weg ins Tal, - du sahst, da lag es, einsam, kahl, - das alte Liebesgrab im Wald. - Es war nicht Zufall, was dich führte: - ich wollte prüfen, wie’s dich rührte: - du lachtest kalt. - - Das tat mir wohl, das klang so frei - aus dir heraus in mich herein. - Doch unten lag im Abendschein - der dunkle See. - Im Wasser spielten lange Streifen; - die schienen glühend sich zu greifen, - der Nix die Fee. - - Die Sonne sank; die Wasserglut - ist nun zur Ruh. - Das war nicht Ich, das warst nicht Du, - was uns bezwang. - Denn ob wir unser mächtig waren, - das soll sich nun erst offenbaren. - Hab Dank! - - - - -Mannesbangen - - - Du mußt nicht meinen, - ich hätte Furcht vor dir. - Nur wenn du mit deinen - scheuen Augen Glück begehrst - und mir mit solchen - zuckenden Händen - wie mit Dolchen - durch die Haare fährst, - und mein Kopf liegt an deinen Lenden: - dann, du Wehrlose, - beb’ich vor dir ... - - - - -Der weise König - - - Ich will nicht immer küssen; - ich will nur fühlen, du bist mein! - Und wenn du noch viel nackter wärst, - ich würde lieber zu Stein, - als heut dich küssen. - - Gieb mir die stillste Stille, - die du geben kannst. - Dann will ich wie der Mondschein dort, - der aus den Blättern tanzt, - bei dir bleiben. - - So sprach der weise König. - Da fiel ein Blatt in ihren Schooß, - der Wind fuhr durch den Mondschein; - sie aber nickte blos - und küßte es. - - Er ist bei ihr geblieben, - er riß ihr das Blatt vom Munde; - er ist die ganze Nacht geblieben - und hat sie -- Gott weiß wie still -- geküßt, - wohl hundertmal die Stunde. - - - - -Stilles Zeichen - - - Mir war ein Rosenblatt im Haar geblieben. - Ich saß und sann noch über die Geberde, - mit der ich mich aus deinem Arm befreit, - und sah zur Erde; - da fiel das rote Blatt - in meine Einsamkeit. - - - - -Die Kette - - - Du hast mir eine Kette geschenkt. - Ich soll sie um meinen Nacken legen. - Ich werde sie tragen, um meinen stolzen Hals, - offen auf meiner Brust vor allen Leuten: - Du hast mir ja die Kette geschenkt. - Ich möcht auch heimlich mein Herz dran hängen; - Himmel, mein Herz, woran hängt es schon? - An den Blicken meiner treuen Frau, - an den Locken manches treulosen Fräuleins, - an den Schmucksachen, die sie zu Weihnachten wünschten, - den Schmetterlingen, die wir im Hochsommer haschten, - an den Zugvögeln, die jetzt über uns wegziehn, - den fremden Blumen, die sich jenseits der Meere - auf paradiesischen Bäumen schaukeln, - an dem unvergeßlichen Horizont meiner Heimat - und den feurigen Sternen nie erblickter Zenithe, - an alldem, alldem hängt mein Herz, - mein armes Herz. Sprecht, gütige Sterne: - wie fass ich soviel Reichtum zusammen? -- - Du hast mir eine Kette geschenkt! -- -- - - - - -Ein Ring - - - Ich trug einen Ring mit drei Opalen. - Viel Märchen schuf der bleiche Stein; - scheu wie das Glück sind seine Strahlen, - Wasser soll ihren bunten Schein - wie Gift zernagen. - - Ich kenn ein Weib, das hat all meine - bleiche bunte Sehnsucht lieb; - sie gab mir mehr als edle Steine, - doch sollt ich alles wie ein Dieb - heimlich tragen. - - Ich hab eine Frau, die schenkt mir klar, - wie eine Quelle unverschlossen, - ihren Frieden immerdar; - sie weinte, ihre Tränen flossen - auf die Opale. - - Ich trug den bleichen Ring zurück; - aber das Märchen hat gelogen. - Noch glänzt der Stein und glänzt mein Glück, - glänzt wie der bunte Regenbogen - im Wasserstrahle. - - - - -Der Fluß - - - In den abendgelben Fluß - grub mein Ruder schwarze Trichter; - ohne Wort und ohne Kuß - sahn wir auf die Wellenlichter, - sahn wir eine dunkle Bucht - still das kahle Ufer spiegeln, - sahn der Berge starre Wucht - seine wirbelvolle Flucht - vor uns, hinter uns verriegeln. - - Als wir dann um Mitternacht - in der Stadt mit Flüsterlauten - auf der hohen Brückenwacht - standen und hinunterschauten, - schienen uns die schwarzen Mauern - in dem grauen Wasserschacht - ihren Einsturz zu belauern. - - Still, die Sonne kommt herauf. - Klar verfolgen meine Träume - bis zum Meer hin seinen Lauf; - fern durch morgenrote Bäume - steigt der blaue Nebel auf. - - - - -Nächtliches Zwiegespräch - - - „Was sind das für Männer, - die dort ins Dunkel zeigen?“ - Ich sehe sie nicht. - - „Dort bei dem Feuer am Fluß - die glänzenden Hände!“ - Seltsam. - - „Der Brückenbogen steht voll Menschen!“ - Totenstill. - - „Und dort, sieh dort: das leere Boot!“ - Was bebst du -- - - „Oh, mein Geliebter, verlaß mich nicht!“ - - - - -Rückblick - - - In diesem Jahr verlor ich einen Freund. - Hier unterm Nußbaum sprachen wir uns aus. - Das Laub wird gelb; es wartet auf den Wind. - Ist das der Schluß? - - Hier unterm Nußbaum gab mir eine Frau - in diesem Jahr errötend ihre Hand. - Still weht ein Blatt und treibt ins welke Gras. - Ist das der Schluß? - - In diesem Jahr ... Vor meine Füße fällt - ein dumpfer Schlag zu Boden und zerplatzt, - und aus der Kapsel rollt die rauhe Frucht. - Das ist der Schluß! - - - - -Mein Wald - - - Der Herbst stürmt seine Tänze. - Durch dürre Blätter muß ich gehn; - in meinen Wald. - - In meinem lieben Wald, - wo nicht ein Baum mein eigen ist, - gehn fremde Leute durch den Wind - und sagen: es ist kalt. - - Und da steht auch mein Stein, - auf dem ich manchmal sitze, - wenn mein Herz stürmt. - - - - -Die Harfe - - - Unruhig steht der hohe Kiefernforst; - die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen. - Lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst; - dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen. - Und dumpfer tönt mein Schritt. - - Hier über diese Hügel ging ich schon, - als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte, - noch nicht bei euerm urweltlichen Ton - die Arme hob und ins Erhabne spannte, - ihr Riesenstämme rings. - - In großen Zwischenräumen, kaum bewegt, - erheben sich die graugewordnen Schäfte; - durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt - die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte - wie damals. - - Und Eine steht wie eines Erdgotts Hand - in fünf gewaltige Finger hochgespalten; - die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand - und langt noch höher als die starren alten - einsamen Stämme. - - Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf, - als wollten sie sich aneinanderzwängen; - durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf, - als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen - einer verwunschnen Harfe. - - Und von der Harfe kommt ein Himmelston - und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen. - Den kenn ich tief seit meiner Jugend schon: - dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen: - komm, Sturm, erhöre mich! - - Wie hab ich mich nach einer Hand gesehnt, - die mächtig ganz in meine würde passen! - wie hab ich mir die Finger wund gedehnt! - die ganze Hand, die konnte Niemand fassen! - Da ballt ich sie zur Faust. - - Ich habe mit Inbrünsten jeder Art - mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen. - Ich steh und prüfe die bestandne Fahrt: - nur Eine Inbrunst läßt sich treu ertragen: - zur ganzen Welt. - - Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst! - schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben. - In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst. - Gieb mir die Kraft, einsam zu bleiben, - Welt! -- - - - - -Dritter Teil - - - - -Geheimnis - - - In die dunkle Bergschlucht - kehrt der Mond zurück. - - Eine Stimme singt am Wassersturz: - - O Geliebtes -- - deine höchste Wonne - und dein tiefster Schmerz - sind mein Glück -- -- - - - - -Am Scheideweg - - - Ich wollt dir die Stirn küssen - und dir sagen: hab Dank! - Aber da war ein Licht in deinen Augen - wie Morgenglut auf unerklommenen Bergwäldern; - und dem haben wir folgen müssen, - schweigend. - - - - -Hoch in der Frühe - - - Sieh, wie wir zu den Sternen aufsteigen! - Unsern glückstrahlenden Augen - leuchtet der Schnee der Gebirge, - bald blitzt dort unten die Sonne durch. - O! schon röten sich - Tiefen und Höhen; - durch den Rauch unsrer Atemzüge, - bis über das fernste Fünkchen dort oben - fern hinauf, - schimmert die Nacht deiner Geburt, - glänzt der Tag unsrer Himmelfahrt. - - - - -Immer wieder - - - Ehe wir uns trennen konnten, - o, wie hielt mich dein Gesicht, - sahen wir noch Einmal, dicht, - dicht an deinem mein Gesicht, - in den Winterwald zurück, - wo die Bäume sich noch sonnten, - wo die Abendwolken prangten, - wo ins feuergoldne Licht - die verworrnen Zweige langten, - und wir baten Gott um Glück. - - - - -Die Frage - - - Kann ich dein Herz beglücken? - liebreiche Seele, nein. - Ich kann dich an mein Herz drücken, - fühlen mußt du’s allein. - - Noch im glückhellsten Gesange - schwebt ein dunkler Klang; - lausch ihm nicht zu lange, - sonst wird dir bang. - - Ob ich dir tausendmal sage: - ich liebe dich -- - immer doppelt bebt drin die Frage: - liebst du mich? -- - - - - -Im Zwielicht - - - Laß uns noch die Nacht erwarten, - daß wir alle Sterne sehn. - Falt die Hände; in den harten - Steigen durch den stillen Garten - kommt das Heimweh auf den Zehn. - - Kommt und bringt die Anemone, - die du einst ans Herzchen drücktest; - kommt umklungen von dem Tone - einst des Baums, aus dessen Krone - du dein erstes Fernweh pflücktest. - - Und du streifst dir aus den Haaren, - was dir an der Seele frißt; - selig Kind mit dreißig Jahren, - Alles wirst du noch erfahren, - Alles, was dir heilsam ist. - - - - -Glückwunsch - - - Ich wünsche dir Glück. - Ich bring dir die Sonne in meinem Blick. - Ich fühle dein Herz in meiner Brust; - es wünscht dir mehr als eitel Lust. - Es fühlt und wünscht: die Sonne scheint, - auch wenn dein Blick zu brechen meint. - Es wünscht dir Blicke so sehnsuchtlos, - als trügest du die Welt im Schooß. - Es wünscht dir Blicke so voll Begehren, - als sei die Erde neu zu gebären. - Es wünscht dir Blicke voll der Kraft, - die aus Winter sich Frühling schafft. - Und täglich leuchte durch dein Haus - aller Liebe Blumenstrauß! - - - - -Ein Blütenblatt - - - Von deinen Tulpen fiel das erste Blatt. - Es liegt am Fuß der stolz geschwungnen Vase - und lehnt sich auf am gletscherblauen Glase, - und drüber flammt der Strauß mit dreizehn Bränden - Und eine von den Blüten züngelt so - in sich gekrümmt, als suche farbensatt - ihr Leben eine kalte Ruhestatt - und rette sich aus halbverbrannten Wänden. - Doch eine andre ist so lichterloh - geöffnet, daß wie zwischen Feuerwiegen - die gelbgekrönte Samenpuppe prangt, - die nach der Blüte nicht zurückverlangt, - wenn alle Blätter abgefallen liegen. - - - - -Das Perlgewebe - -Von Ida Dehmel - - - Ich sitze dunkle Frau in meinem Zimmer, - stille, dunkle, große Frau. - Weiß ist das Zimmer, weit seine Wände; - weiß ist mein Kleid, mein Webstuhl weiß. - Und vor mir buntgehäuft ein Schatz Perlschnüre. - Was will ich dunkle Frau denn weben? -- Mein Leben. - - Weiß, weiß und golden sind die Farben meiner Jugend, - ein morgenblauer Himmel über mir. - Himmelschlüssel blühn auf unsern Wiesen. - Viele kleine Blumen will ich weben, - zart ein glückliches Lachen dazwischen, - Alles leuchtet dem spielenden Kind. - - Mutter starb. Die Farben werden blasser. - Dunkle Trauerzweige sprießen auf, - schwanke Linien aus flimmerndem Grund, - Thränen glitzern, Sehnsuchtsthränen. - Kind, ich große Frau möcht gern dich trösten; - sieh, ich setz ein funkelnd Sternlein über dich. - - Und nun mischen sich die bunten Perlen: - stolz und heftig schießt ein Blutrot hoch - durch ein trotziges Gelb in schroffen Kanten, - hell im Kampf mit strengen grauen Mächten - bäumt die aufwärtsflammende Seele sich: - rot und golden sind die Farben dieser Jungfrau. - - Und aus Not und Gold paart sich ein Schrei nach Liebe. - Rosen blühn aus meinen Händen auf, - jeder Kelch voll Tau und Sonnentraum; - schwer in Büscheln rankt sich ein Klematisstrauch - um die Rosen lilasanft ins Blaue; - die Verheißung glüht aus allen Blüten. - - Die Erfüllung log. Nun wirren sich die Fäden. - Fahl und grell verschlingen sich die Schnüre. - Jeder Weg ein Irrweg, und kein Kreis geschlossen. - Zuchtlos drängt sich wildes Gestrüpp - über meine Wiesen, meinen Blumenteppich; - und der Stern der Mutter birgt sich hinter Nebeln. - - Da -- ein klarer Klang: stark: eines Helden Ton. - Schwarz wie der Ursprung, golden wie das Licht, - und moosgrün wie der Wald, aus dem die ersten Menschen kamen. - Auch blau sein Himmel, aber mittagsblau; - auch rot sein Blut, doch nordlichtnächtig rot. - Und über Alles breitet sich sein Glanz. - - O wie sich unsre Farben herrlich einen: - Leere wird Fülle, und sie strömt wie Quellen, - aus ihren Fluten steigt des Schöpfungstages Feste, - mein Stern strahlt durch des Weltbaums Blütenäste -- - So kann ich meine Träume und mein Leben - zum Werk verwebt in Gottes Hände geben. - - - - -Störung - - - Und wir gingen still im tiefen Schnee, - still mit unserm tiefen Glück, - gingen wie auf Blüten, - als die arme Alte - uns anbettelte. - Und du sahst wohl nicht, - als du ihr die Hände drücktest - und dich liebreich zu ihr bücktest, - wie durch ihr zerrissenes Schuhzeug - ihre aufgeborstnen - blauen Füße glühten. - Ja, ein Mensch geht barfuß - im eignen Blut durch Gottes Schnee, - und wir gehen auf Blüten. - - - - -Zukunft - - - Du reiche Frau, du edle Frau, - mit deiner Hoffnung unterm Herzen, - du möchtest jubeln und erschrickst; - ich sehe dich in deinen Schmerzen, - wie du beim Schein der Ambrakerzen - die seidne Wiegendecke stickst. - - Du zählst die Fäden, silbergrau - und schwarz und blutrot, und dir schweben - viel tausend Hände vor, die weben, - viel tausend graue Mutterhände, - die weben, weben ohne Ende; - ich seh dich, wie du grausig nickst - und dunkel durch dein Zimmer blickst. - - Und tausend Kinder siehst du stehen, - die still an einem Stricke drehen, - früh alt vor Hunger und Gebrest. - Und siehst die Väter sich erheben, - alle, die häßlich müssen leben, - damit es Schönheit könne geben, - sie stürmen dein geschmücktes Nest: - - Madam! dies blutige Garn, wer spann es?! - Da würdest Du in Todeswehen - entzückt sein, könntest du dich sehen, - wie sich zum mörderischen Fest - die schmutzige Faust des Arbeitsmannes - um deine weiße Kehle preßt. - - - - -Enthüllung - - - Du sollst nicht dulden, daß dein Schmerz dich knechte; - du bist so gern vor Freude wild. - Komm vor den Spiegel! -- O, wie schwillt - dein düstres Haar, wie lebt dein Bild, - wie blüht dein Mund --: als wenn durch Nächte - der Blitze bläuliches Geflechte, - der Honigduft der roten Disteln quillt! - - Dein weißes Kleid ist wie zum Hohne - mit türkischen Märchenblumen toll durchzackt. - Ich träume dich auf schwarzem Throne. - Du bist verschleiert bis zur Krone. - Doch wärst du keusch wie Magelone, - wir Träumer sehen alles nackt! - - Gib her, gib her den Trauerschleier, - ich reiß ihn lachend dir entzwei! - Ich bin dein Einziger, dein Befreier, - dein Herr! -- Was starrst du so ins Feuer, - so schmerzhaft? -- O verzeih -- verzeih -- - - - - -Beschwörung - - - Du bist nicht hier. Ich fühle schwer, - wie deine blasse Hand mich preßte; - und wie Todfeinde sind mir plötzlich - die lachenden Geburtstagsgäste. - - Immer verdrehter wird das Fest, - die Blumen welken in den Kränzen. - Um meinen Bart sind die Gerüche - der Medizinen und Essenzen - - von deinem Krankenbette her; - es ist vielleicht dein Sterbelager. - Ich seh dein glanzlos Haar daliegen - und dein Gesicht blutleer und mager. - - O sieh nicht so die Bäume hoch, - warum sie mit den kahlen Zweigen - so starr und schwarz vor deinem Fenster - ins graue Himmelsdickicht zeigen. - - Sieh tief in deine Nacht hinab! - da glänzt mein Bild mit Gottesfarben - und läuft vom Blute derer über, - die Dir zum Opfer in mir starben. - - O sieh, sieh, wie mein Blick dich tränkt - und meine Lippen nach dir beben - und meine Hände zu dir beten - und dich beschwören: bleib mir leben! - - - - -Aus schwerer Stunde - - - Ich konnte nur noch lächeln; - ich war so traurig im Grunde, - daß meine eigne Stimme mir fremd klang. - Da traf mich Deine Stimme, - und ich konnte wieder lachen wie als Kind, - und einmal weinten wir vor Glück. - O, ich danke dir, - in dieser schlaflosen Nacht, - wo du fern von mir - zwischen Tod und Leben liegst. - Sieh, ich falte wie als Kind die Hände: - bleib mir, laß mich nicht allein, - ich habe Furcht bekommen - vor den einsamen Nächten. - Wenn du stürbest, - nein, ich würde nicht weinen, - meine Seele ist geübt im Trauern; - aber ich würde nie mehr lachen können. - - - - -Zuversicht - - - Ich hab dich selig gemacht, - mein Geliebter, - und du mich, du bist mein, - und darfst nicht bei mir sein - in meinen furchtbaren Schmerzen. - Bis in Mark und Bein - bin ich dein, - und darf nicht nach dir schrein - vor den Menschen, - wenn ich sterben muß - ohne deinen Kuß. - Nein nein nein, - Du hast mich selig gemacht! - Tag und Nacht - fühl ich mich an deinem Herzen - leben, das an +mein+ Herz schlug! - Ja, ich fühls, ich bleibe leben, - hab dir noch soviel zu geben, - all mein Leben, - gab dir nie, noch nie genug! - - - - -Gleichnis - - - Es ist ein Brunnen, der heißt Leid; - draus fließt die lautre Seligkeit. - Doch wer nur in den Brunnen schaut, - den graut. - - Er sieht im tiefen Wasserschacht - sein lichtes Bild umrahmt von Nacht. - O trinke! da zerrinnt dein Bild: - Licht quillt. - - - - -Weihnacht im Krankenhaus - - - Schönen guten Abend, ihr im Leidensgewand; - neue frohe Botschaft hört aus Gnadenland! - Wir haben lang gesucht nach einem heilsamen Sterne, - bis er sich finden ließ in seiner nächtlichen Ferne. - Da haben wir ihm gewunken, - da ist er uns ans Herz gesunken. - Dann haben wir ihn festlich mit Liebe umwunden - und auf ein immergrünes Bäumlein gebunden. - Nun seht ihn! hier glänzt er, samt anderen Schätzen; - an denen mögt ihr euch später ergetzen. - Erst sollt ihr Mut schöpfen aus seinem Schimmer, - denn die Nacht ist lang, und dies Haus glänzt nicht immer. - Hier kämpft oft das Todesgrauen schwer - mit der Lebensröte um die Wiederkehr. - Hier suchen oft Seelen nach gnädigen Sternen - und finden nichts als lichtleere Fernen. - Hier strahlt jetzt, o Wunder, ein heiliger Baum - mitten im eisigen Weltenraum - und spiegelt sich - und euch und mich - im warm aufquellenden Tränentau - einer genesenden, lächelnden, liebenden Frau. - Die Mutter des Heils ist überall zugegen, - wo Menschen eine Hoffnung hegen. - - - - -Lied im Winter - - - Trüb sucht dein Blick: wann wird sie wieder blühn? - Die harte Erde läßt mit kaltem Schweigen - die Wipfel in den klaren Himmel zeigen - um die verschneite Bank im Wald, - auf der du einst ein Frühlingsglück umarmtest; - nun sprießt Reif an den starren Zweigen. - Dann willst du weitergehn den alten Gang, - da schluchzt ein Vogelherz, du weißt nicht wo, - die Stille klingt ihm nach: sie blüht, sie blüht! - Lichtblüten glitzern über allen Steigen! - - - - -Eva und der Tod - - - Der Wintermorgen schien ein Frühlingsmärchen; - der Reif der Zweige sproß im Sonnenschein - zum blauen Himmel auf wie Blütenpärchen. - - Ein Lüftchen, das sich hob und stumm verfing, - trieb Silberflocken von den hohen Ulmen - des langen Weges, den ich einsam ging. - - Ich hörte noch, daß fern ein Schlitten schellte; - dann wurde Schweigen auf dem schweren Schnee. - Ich schritt und sann, und fühlte nichts von Kälte. - - Denn gestern war mir ein geliebtes Wesen - nach heißer Seelennot und Leibesqualen - von einem Sohn, nicht meinem Sohn, genesen. - - Und der das Kind von ihr entgegennahm, - empfing ein Pfand des Lebens, nicht der Liebe; - sie aber gab es mit zu später Scham. - - Ich suchte tief nach trübem Dankesworte, - da sah ich fern am Ende meines Weges - auf einmal eine schwarze Gitterpforte. - - Zu ihren Seiten dehnten sich zwei Mauern; - die waren überwipfelt von Cypressen. - Ihr starrer Wuchs bedrohte mich mit Schauern. - - Und aus der Pforte traten schwarz und groß - und langsam nach einander sieben Männer; - die kamen langsam, schweigsam auf mich los. - - Aus fremdem Lande schienen sie zu sein, - so lange Mäntel, breite weiße Kragen. - Und plötzlich rief ich außer mir: Nein! Nein! - - Denn aus der Pforte trat da noch ein achter, - der war ganz dürr und größer als die andern, - und stand und nickte, sacht, und immer sachter. - - Und eisig lief es mir durch Blut und Bein: - die sieben wollen sich mein Liebstes holen. - Ich stand und bettelte und bebte: Nein! - - Und seh durch Tränen, wie die schwarzen Schemen - den Sonnenschein verdunkeln und den Schnee, - und glaube fern ein Lachen zu vernehmen. - - Und als ich mir die Augen mühsam reibe, - steht hoch ein nacktes Weib vor jenem Gitter, - mit schwarzem Haar und Blick und braunem Leibe. - - Und lacht ganz hell und winkt dem dürren Mann - und hebt im andern Arm ein zappelnd Kindchen - und sieht mich fernher lebensselig an. - - O dieses Blickes Herrlichkeit und Hohn! - Nur Einer hatte das wie ich empfunden: - der Trotzigste der Dichter: Liliencron! - - Ich seh den Dürren ihr entgegenstelzen: - er bückt sich -- widerwillig -- er verschwindet -- - zu ihren Füßen scheint der Schnee zu schmelzen. - - Die ganze Landschaft schmilzt; das kleine Kind - schwimmt riesengroß aus sieben schwarzen Strudeln - und lacht -- lacht -- lacht mich aus. Was! War ich blind? - - Ich selber lache! meine Wimpern tropfen; - die sieben sind ja nichts als Leichenträger, - die sonst Schuh sticken oder Hosen stopfen! - - Und jenes Weib, das ist ja nur die Frau - des Totengräbers, und ihr brauner Kittel - ist keine Haut, ich seh es ganz genau! - - Du aber lebst mir, und der Himmel blaut, - und bald ist Frühling, und du wirst mich küssen - trotz deines Sohns, du meine braune Braut! - - - - -Verhör - - - Du liegst sehr blaß in deinen weißen Kissen, - und deine matten Lippen sind zerbissen; - hattest du sehr viel Schmerz? -- - „Ich weiß nicht mehr.“ - - Du siehst sehr träumerisch zur Zimmerdecke, - sieh nach dem Bettchen drüben in der Ecke: - liebst du dein Kindchen sehr? -- - „Ich weiß noch nicht.“ - - Schriebst du zuweilen, wenn die Wehen kamen, - mit deinen irren Fingern meinen Namen - auf deine Bettdecke? -- - „Du weißt es ja.“ - - Kannst du noch immer, ohne hinzudenken, - dein Kind und seinen Vater ruchlos kränken - und mit mir selig sein? -- - „Weißt du das nicht?“ - - - - -Zur Genesung - - - Steh auf, steh auf vom Meeresschooß! - guten Morgen! - ich will dich selig machen! - Hörst du die Walfische lachen? - hörst du das Weltkonzert schallen? - Komm, kletter auf die Korallen: - kuck, alle Engel sind los! - - Jetzt: hopp, einen kleinen Luftsprung! - Auf doch! - Guten Morgen! - Hüh, meine Flügeldelphine: - hoch, hoch, hoch, Aphrodite: - in Abrahams Schooß! - - Ach du, +hilf+ mir doch lachen, - bitte bitte, - und guten Morgen und Unsinn machen! - Denn du lagst sehr bleich, du schlechtes Weib, - als du vom Meergott träumtest - und meine Arme wie Seeschlangen zäumtest; - das darfst du nie wieder machen, - hörst du, nie wieder! - - Denn ich will dich ja selig machen, - ja, du: seeelig! über und über! - Und darum verbitt ich mir solche Sachen; - hörst du! - Denn dazu tut Uns Beiden kein Fieber - mit Himmelsträumen etcetera not, - denn du bist mir zehntausendmal lieber - als der liebste liebe Gott! - - Also: Auf jetzt! O Gottes Wunder: - hör doch die Vögel, wie die lachen: - jeden Tag wird sie gesunder, - und Vater Abraham ist tot! - Ja: das ist +mein+ Schooß, - und das ist +dein+ Schooß, - und der Mensch will selig werden auf Erden -- - weißt du noch, wie man das machen muß? - - Auf! -- O Liebste! -- O guten Morgen: - sieh mal, da blüht schon bald der Flieder! - Ach, weißt du noch? Ja, blick nur nieder: - bald blühst du auch und tust mir wieder - -- endlich wieder -- - den Himmel auf! o Götterkuß! - - - - -Schneeflocken - - - Gnädige Frau, es schneit, es schneit! - Tragen Sie heut Ihr weißes Kleid? - - Gnädige Frau, hier in der Ferne - schneits bei helllichtem Tage Sterne. - - Und diese Sterne flimmern genau - wie die Zähne der gnädigen Frau. - - Oder wie Blüten von weißem Flieder, - gnädige Frau, an Dero Mieder. - - Oder die Blicke des Herrn Gemahls - am Tage Ihres Hochzeitsballs. - - Nein, sie flimmern, ich kann mir nit helfen, - gnädige Frau, wie tanzende Elfen. - - Hänseln jeglichen Parapluie; - will man sie fassen, +zer+flimmern sie. - - Flimmern in Wirbeln, flimmern in Bildern, - die sind wirklich nit zu schildern. - - Gnädige Frau, so wild, so mild - wie ein opalisch flimmerndes Bild. - - Und, ach Gnädigste, diese Sterne - tanzen auf manchermanns Nase gerne. - - Und auf solchermanns Nase, gnädige Frau, - zertanzen sie zu Tränentau. - - Zertanzen flink wie kichernde Lieder: - morgen, morgen tanzen wir wieder! - - Gnädige Frau, leb wohl! Schluß, Kuß! - Frechheit -- aber wer muß, der muß. - - - - -Orientalisches Potpourri - - - Gestern Nachmittag, meine braune Geliebte, - die du nach Ruhm begehrst vor allen Frauen - deines Volkes, saß ich in einem Treibhaus, - und von allen Palmen und andern Gewächsen - flogen mir neue Gedichte zu. - - Hier ist eins von einem Agavenwildling: - - Meine Geliebte! - Grau in staubiger Wüste - stand mein dorniges Blattwerk - jahrlang mit durstig schwellendem Fleisch. - Plötzlich schoß über Nacht - ein steiler Schaft, knospengekrönt, - aus dem staubgrauen Schooß - in die feurige Morgenluft. - Schick mir zu Mittag, Geliebte, - deine tausend durstigen braunen Bienen: - viertausend goldgelbe Blütenglöckchen - haben sich aufgetan und triefen, - triefen, triefen von Honigsaft. - - Oder eins von einer verschulten Musa: - - Meine Geliebte! - Wen mit deinen üppig langen - Blättern willst du denn umfangen, - die du überreichlich treibst? - - Fühlst du nicht den Abend glühen? - Wenn du ohne Blüte bleibst, - Schönste, kannst du nie verblühen, - Ärmste, nie mit Früchten prangen. - - Oder von einer seltnen Wasserviole: - - Meine Geliebte! - Mondblau steht mein Kahn, - himmeltief der See; - fern beim hellen Uferschilf - ziehn zwei weiße Enten - ihre Bahn. - Sehnsüchtig und rot - spiegelt sich mein Mund: - tauche auf, Geliebte, Dunkle, - aus dem blauen Grund, - hol mich in den Himmel! - - Oder von einem gewöhnlichen Igelkaktus: - - Meine Geliebte! - Ich bin so rund wie die Erde, - mein Fleisch hat Heilkraft, - und meine Blume ist zum Küssen schön. - Aber hebe mich nicht aus meinem Erdreich: - mein Fleisch hat Stacheln, - und leicht entroll ich deiner Hand. - Willst du mich küssen, - bitte, knie nieder! - - Solche Gedichte, meine braune Geliebte, - könnt ich dir noch viertausend und einige dichten - an Einem Nachmittag; - und die würden meine vielen verehrten - neuen deutschen und neuesten jüdischdeutschen - lyrischen Brüder sicher furchtbar rühmen -- - - Aber du bist mir zu lieb dazu ... - - - - -Jesus bettelt - - - Schenk mir deinen goldnen Kamm; - jeder Morgen soll dich mahnen, - daß du mir die Haare küßtest. - Schenk mir deinen seidnen Schwamm; - jeden Abend will ich ahnen, - +wem+ du dich im Bade rüstest -- - oh, Maria! - - Schenk mir Alles, was du hast; - meine Seele ist nicht eitel, - stolz empfang ich deinen Segen. - Schenk mir deine schwerste Last: - willst du nicht auf meinen Scheitel - auch dein Herz, dein Herz noch legen -- - Magdalena? - - - - -Benedeiung - - - Gestern hobst du verzweifelt die Hände, - deiner heiligen Namenschwester gleich, - als ihr ein Schwert durch die Seele ging. - - Heute breit’ich entzückt die Arme, - allen Heiligen mich vergleichend, - weil mir Dein Schwert durch die Seele ging. - - Neige dich zu mir, Maria, - laß uns lauschen, - wie die himmlischen Heerschaaren über uns jubeln! - - - - -Erfüllung - - - Daß du auch an Meinem Herzen, - Herz, nur neue Sehnsucht fühlst - und dich in die Menschenschmerzen - schmerzlicher als je verwühlst: - ist das nicht Erfüllung, du? - - Wenn die Erde schmilzt vom Eise, - daß die Luft nach Frühling schmeckt, - und in immer neuer Weise - wild ihr Grün zum Himmel reckt: - +ist+ das nicht Erfüllung, du? - - Wenn wir dann noch Ostern feiern, - weil ein Mensch sein Leben ließ, - der den Frevlern wie Kasteiern - gleiche Seligkeit verhieß: - ist das +nicht+ Erfüllung, du? - - Laß die tragische Geberde, - sei wie Gott, du bist es schon: - jedes Weib ist Mutter Erde, - jeder Mann ist Gottessohn, - +Alles+ ist Erfüllung, du! - - - - -Heilandswort - - - Ich trat in ein Haus, - da gingen viel Sünder ein und aus, - aber auf einer grauen Wand - und mit leuchtenden Lettern stand: - Nur selig! - - Ich sah eine Menschengestalt, - mit Leidenszügen mannigfalt, - aber im Gruß der blassen Hand - und im Lichte der Augen stand: - Nur selig! - - Ich ging bald fort, - durch einen trüben, armseligen Ort, - aber über dem ganzen Land - und mit leuchtenden Lettern stand: - Nur selig! - - - - -Zwischen Ostern und Pfingsten - - - Und jeden Abend kannst du so aufatmen: - du horchst ins Dorf hin, was die Glocken wollen, - du gehst ins Freie, - der Rauch der Hütten umarmt die Eichenkronen: - auf, Seele, auf! - - Dann raunt dir frühlingsheimlich ein Echohauch - unter den knospenvollen Wipfeln zu: - ins Freie auf -- so frei ins Freie, - wie dort der Vater mit seinem Kindchen Ball spielt. - - Und über dir, lichtgrün im Blauen, - spielt eine Birke - mit einem strahlend blühenden Ahorn Braut. - - - - -Die Glücklichen - - - Nun will ich mir die Locken - mit Birkenlaub behängen; - der Frühling sitzt am Wocken, - von dem er mit Gesängen - um meine Wildnis grüne Schleier spinnt. - - Und du auf deinem Throne - im Astwerk unsrer Linde, - beglänzt mit deinem Sohne - vom goldnen Mittagswinde, - bist meine Jungfrau mit dem Wunderkind. - - Ein Lamm mit weißem Felle - auf unserm Wiesenlande, - mit einer Silberschelle - und blauem Seidenbande, - bringt uns zum Lachen, wenn wir traurig sind. - - So würden wir uns gerne - mit aller Welt vertragen, - nicht Sonne, Mond noch Sterne - um unser Glück befragen, - doch -- manchmal haben wir kein Brot im Spind. - - Drum stehn im jungen Schilfe - mit aufgesperrter Miene, - als schnappten sie nach Hilfe, - zwei steinerne Delphine - am Wasser, das um unsre Insel rinnt. - - - - -Erhebung - - - Gieb mir nur die Hand, - nur den Finger, dann - seh ich diesen ganzen Erdkreis - als mein Eigen an! - - O, wie blüht mein Land! - Sieh dir’s doch nur an, - daß es +mit+ uns über die Wolken - in die Sonne kann! - - - - -Hochsommerlied - - - Golden streift der Sommer meine Heimat, - brotwarm schwillt das hohe reife Korn, - wie in meiner goldnen Kinderzeit; - habe Dank, geliebte Erde! - - Schwalben rufen mich hinauf ins Blaue, - weiße Wolken türmen Glanz auf Glanz, - wie in meiner blauen Jünglingszeit; - habe Dank, geliebte Sonne! - - - - -Mit heiligem Geist - - - Liebe Mutter! mir träumte heute - von der Insel der seligen Leute. - Da saß auf einem Hügel der Au - eine nackte gekrönte Frau; - in ihrem Herzen stak ein Schwert, - aber sie lachte unversehrt. - Denn neben ihrem natürlichen Thron - stand ihr lieber großer Sohn; - in seinen Fingern, voll Sonnenglanz, - hing ein blutiger Dornenkranz. - Der begann sich mit grünen Spieren - und raschen Blüten zu verzieren; - und umringt von den seligen Leuten, - die sich an dem Wunder freuten, - suchte mir Er die Blumen aus - zu einem leuchtenden Osterstrauß. - Den umflocht er mit blauem Bande - von seiner Mutter früherm Gewande - und gab ihn mir und sprach dazu: - Sag Deiner lieben Mutter du, - +weil ihr auf Erden niemals wißt, - wann die Zeit erfüllet ist, - sollt ihr immer glauben und hoffen, - der Tag sei endlich eingetroffen+. - Und bis einst jedes Weib gewinnt - den rechten Vater für ihr Kind, - soll jede Irrende die Treue - dem falschen brechen ohne Reue, - soll ihre Sehnsucht nicht verfluchen, - ihren Qualen den Heiland suchen - und seinen liebenden Gewalten - Leib wie Seele empfänglich halten. - Wenn das mit heiligem Geist geschehn, - wird sie die Heimsuchung bestehn, - wie meine Mutter sie bestand, - beseligt im Gelobten Land. - - - - -Böser Traum - - - Was kannst du gegen Träume, Mensch, die tückisch - selbst auch den Männlichsten, mit Engelshänden - oder mit Teufelsfäusten, in den Himmel - samt Hölle seines Kinderglaubens führen? - In solchem Traum erschien mir heute Nacht - der böse Feind und sah mich furchtbar an. - Er hatte das Gesicht von einem Freunde, - dem ich sein Weib in aller Freundschaft nahm, - und setzte auf mein wehrlos Herz ein Messer - und sprach -- nein, was er sprach, vergaß ich schon. - Er sah mit Wollust, wie die rostige Spitze - auf meiner Haut im Takte meiner Pulse - sich hob und senkte, sah mich gierig an. - Ich aber bohrte meine blauen Augen - in seine braunen tief empor und sagte: - Wenn du mich kenntest, zögertest du nicht. - Und als sein Blick ineins mit meinem sank - und bläulich wurde, dacht ich: Wärst du nicht - der böse Feind, so müßtest du mich lieben, - ich habe dich von einer Last erlöst. - Was ich dir nahm, ist niemals dein gewesen; - was du mir nehmen kannst, war niemals mein. - Drum, wenn du mußt, so töte mich! mein Tod - wird dir viel weher tun als je mein Leben, - das Keinem weher tat als Mir -- „Wach auf!“ -- - - - - -Leiser Besuch - - - Eine treue Seele lag - still zuhaus mit krankem Leibe; - zwischen ihren Fingern staken - zwei drei blühende Weidenzweige, - und die Sonne schien aufs Bett. - - Zögernd rührte sich die Hand, - tastete nach meinem Haupt; - aus den sanften Blütenfasern - fiel der gelbe Samenstaub, - wie am Morgen unsrer Liebe. - - Trat ein Mädchen blaß herein, - brachte eine blasse Rose, - legte die gebeugte Blume - nieder neben meinem Schooße, - wie zum Abend unsrer Liebe. - - Folgte eine hohe Frau; - rot von Nelken eingefaßt - duftete in ihrem Arme - goldgelb eine Ananas, - wie der Mittag unsrer Liebe. - - Und die treue Seele sprach: - Sieh, aus allen Himmelsstrichen - bringt mir heute deine Liebe - Frucht und Blüten und Gerüche. - Und ihr stiller Ausblick stach - uns ins Herz. - - - - -Der Strauß - - - Nun nimm drei weiße Nelken du, - mein Weib. Und du, Geliebte, nimm - diese drei roten noch dazu. - Und in die nickenden Nelken tu - ich eine dunkelgelbe Rose. - - Seht: ist es nicht ein lockender Strauß, - ganz Eins aus diesem schwarzen Tuch? - Und sieht so farbenfriedsam aus. - Und nur von doppeltem Geruch: - die je drei Nelken und die Rose. - - Nein, laßt! entzweit den Stengelbund - nicht! laßt! Sonst scheint so kalt und tot - blos Gelb zu Weiß, und glüht so heiß - und brennt so wild blos Gelb zu Rot; - dann, ja, dann hass ich wohl die Nelken! - - Dann hass ich wild das zahme Weiß - und hasse kalt die rote Glut, - wohl bis zur Mordlust! Ja, es tut - mir weh, daß von Geruch und Blut - so reizend gleich sind alle Nelken! - - Was willst du so entsetzt? Nein, bleib, - Geliebte, nimm, still seh ich zu: - nimm jetzt die weißen Nelken Du! - und die drei roten Du, mein Weib! - und ich die dunkelgelbe Rose. - - - - -Finale - - - Da hast du dich von meiner Brust gelöst. - Doch als ich fürchtete, das Fest sei aus, - hobst du mir meinen Kranz auf, - meinen Kranz auf. - - - - -Vierter Teil - - - - -Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr - - - Du weißt, Poet -- begann der Tempelherr - und lächelte durch seinen weißen Bart -- - ich las sie auf vom Weg, die jetzt mein Weib ist. - Und daß sie, wider Sitte und Gesetz - des Ordens, mitging nach Jerusalem - und nicht den Weg zurückging, den sie kam, - -- ich selber hieß sie mitgehn --: das ging +so+ zu. - - Wir trugen schon das Abschiedswort im Sinn, - es war an einem heißen Frühlingstag, - schier blendend flimmerte das junge Gras, - und die Gefallne ließ es still geschehen, - daß ich mit ihr den Pfad vom Schloß zum Ufer, - wo andern Tags das Schiff anlegen sollte, - gleichsam zur Herzensübung niederstieg. - Der Pfad bog sehr abschüssig hin und her; - ich brauchte sie, die stets wie ich gewillt war - -- ihr Herzschlag geht dem meinen völlig gleich -- - kaum mit der Hand zu stützen, so gefaßt - vermied sie jeden lockern Stein im Gras, - als sie auf einmal fest um meinen Arm griff. - Dicht vor uns sonnte sich, beinah berührt - von meinem Schuh, auf einem Blütenkelch - des gelben Löwenzahns, ein saugender - ganz trunkner Schmetterling, ein Trauermantel. - Nun flog er taumelnd weg, zum nächsten Kelch, - dicht vor uns her, wir sahn ihn weitersaugen, - kaum atmend beide, wenn die bleichgesäumten - tiefschwarzen Flügel vor Entzücken zuckten, - und immer weiter so, von Kelch zu Kelch, - dicht immer vor uns her den Pfad hinab, - fast bis zum Fluß; da krigte ihn der Wind - und blies ihn fort, wir blieben stehn im Wind. - - Und plötzlich sieht, durch diesen Schmetterling - mir vorgerückt, vor meinem innern Blick - ein jahrelang vergessner Tag: ein Herbsttag. - Ich bin bei einem Freund, Einsiedler ist er; - er war’s -- man wußte nicht warum -- geworden, - an Jahren konnt er gut mein Vater sein. - Wir sind verloren in Gedanken; draußen - zerzaust der Bergwind seinen Blumengarten. - Er macht sein Bett, ein seltsam ungeschlachtes, - nach Bauernart bemaltes Ehebett; - da klopft es an die Tür. Er geht und öffnet; - und vor der Klause steht, bei seinen Blumen, - zerzaust wie sie, in schlechter schwarzer Tracht, - ein altes Weiblein, elend, scheu, verkommen, - das blickt ihn bettelnd an. Ich seh ihn noch: - auf seine große Stirne treten Flecken - wie von Faustschlägen, seine Finger beben, - die guten blauen Augen glänzen grausig, - er sagt: geh weg! ich kenne dich nicht mehr. - Er will die Tür zudrücken, sie versperrt sie: - Ich hab nur Dich geliebet! bettelt sie. - Er tritt zurück, die rote Stirn wird blaß, - die Augen kalt, er sagt: geh weg, du lügst. - Sie schleppt sich nach: Verzeih mir! bettelt sie. - Er sagt noch kälter: ich verzeih dir, geh. - Da faßt sie seine Hand, und wieder fliegt - der grauenhafte Glanz durch seine Augen -- - - Du hast mich nit verstanden, Meiner! fleht sie: - ich war -- Doch eh sie enden kann, erbebt - der ganze breite Mann: Verstanden? schreit er - und hebt die Faust, ich will zuspringen, da: - laut schluchzend, Blut ausschluchzend vor ihn hin - knickt sie zusammen, schluchzt sie auf zu ihm: - ich war ein armer Schmetterling im Wind! -- - Da hat er sich mit mir gebückt zu ihr - und nahm das alte Weiblein an sein Herz - und trug sie weinend in ihr altes Bett; - drin ist sie lächelnd andern Tags verstorben. - - Nun weißt du -- endete der Tempelherr - und lächelte durch seinen weißen Bart -- - warum, Poet, trotz Sitte und Gesetz - des Ordens, sie, die jetzt mein Weib ist, nicht - den Weg zurückging, den sie zu mir kam. - Ich sagte ihr am Morgen meiner Abfahrt, - was mir in jenem stillen Augenblick, - als wir am Fluß im Wind beisammenstanden - -- sie hatte mich mit keinem Hauch gestört, - ihr Atem geht dem meinen völlig gleich -- - vor meinem innern Blick gestanden hatte, - und hieß sie mitgehn nach Jerusalem. - - - - -Der Verbannte - - - Durch die fremde Stadt - geht mir eisig der Wind nach, - der die Birken bewegte, - der die Schneeglöckchen schüttelte, - als ich die Heimat verließ. - - Durch die fremde Stadt - kommt mir sonnig ein Bild entgegen: - eine Mutter mit ihren Kindern, - die vor Frühlingsfreude glühn. - - - - -Unterwegs - - - Vor meinem Lager liegt der helle - Mondschein auf der Diele. - Mir war, als fiele - auf die Schwelle - das Frühlicht schon; - mein Auge zweifelt noch. - - Und ich hebe mein Haupt und sehe, - sehe den fremden Mond - in seiner Höhe - glänzen. Und ich senke, - senke mein Haupt und denke - an meine Heimat. - - - - -Heimatgruß - -an Hans Thoma zu seinem 60. Geburtstag - - - Wo die Heimat liegt, - das ist mir erst aufgegangen - im fremden Land. - O, mit welchem Bangen - schaue ich manchmal vom Fenster herunter - durch die enge Hafengasse - wie von einer Festungsterrasse - auf den kahlen Inselrand - da mitten in dem grauen Fluß! - Doch geht die Sonne unter, - dann steigen durch den Rauch und Ruß - der lauten Dampfschiffe und dunkeln Schornsteine - die Nebel wie reine Geister; - und immer mahnt mich das an Deine - Insel, Hans Thoma, - du heimatseliger Meister. - - An die Insel, die du gemalt hast - -- wie du mir selbst erzählt hast -- aus Heimweh, - wo hold und heiter, ohne Heimweh, - unter den schlanken, gen Himmel breiten, - stillen Bäumen Deines Landes - Frauen und Männer schlichten Gewandes - in Eintracht mit stolzen Tieren schreiten, - geweihten Hirschen, frei laufenden Pferden, - und rings mit sorglosen Geberden - schaukeln auf den wirbelnden Wogen - Liebespaare, von Schwänen gezogen -- - wirklich, dann glaub ich, so muß es wohl sein - auf deiner Insel bei Frankfurt am Main, - oder wo sonst deine Heimat liegt; - denn daß der Schwarzwald dich großgewiegt, - das ist mir nicht immer gleich im Klaren, - denn auf einmal liegt dann zwischen den Stämmen - meine eigne Heimat, der Wald von Kremmen, - und ich schaue auf Wiesen, worüber sich fern - im Nebel Himmel und Erde paaren, - und suche kindlich den höchsten Stern -- - bis mich das Heulen der Hafensirenen - aufstört aus meinem Sinnen und Sehnen. - - Doch Einmal, ja, da +sah+ ich den Stern: - -- noch war in der Luft kein Rauch und Lärm, - die Morgenröte küßte den Fluß, - und die kahle Insel schien aufzuleben -- - da sah ich fern den Genius - aller Heimat darüber schweben: - leicht aus dem Wölkicht kam er einher - mit ruhigen Flügeln durchs himmlische Meer, - kaum die kräftigen Schwungfedern spreitend, - auf einer durchsichtigen Kugel gleitend, - drin spiegelte sich die bunte Erde - samt meiner überraschten Geberde: - den Stern, den trug er als Blume in Händen, - kein Gewand um die hellen Lenden, - eine Einsicht auf dem Jünglingsgesicht - wie im Traum, im Halbtraum, ich weiß es nicht -- - so flog er, ohne sich umzuwenden, - an der fremden Insel vorüber, - aus der Heimat - in die Heimat - hinüber ... - - - - -Hoher Mittag - - - Da ich nun in Einsamkeiten - träume von dem goldnen Land, - von den fernen Seligkeiten - unerfüllbar schöner Zeiten, - und der blaue Kreis der Weiten - weiter sich und weiter spannt, - - rührt auf einmal mich ein Bangen: - Sonne, welchem Ziele zu? - tief und tiefer ein Verlangen: - Urquell meiner Sehnsucht du! - - - - -Stimme im Licht - - - Dunkles Herz, - dunkles Herz, - was bebst du denn? - Sieh doch die Nacht glänzen; - dir lebt ein Licht in den Weiten, - zu allen Zeiten, - über Grenzen, - da kann kein Mond, kein Stern hinan! - Dulde nur deine Dunkelheiten - ohne Schmerz: - ein andres Herz - möchte in deinem Schatten ruhn. - Brauchst kaum durch seine Träume zu beben, - alle Himmel fühlt ihr dann in euch schweben; - dunkles Herz, - dunkles Herz, - wie strahlst du nun! - - - - -Nachtgebet - - - Du tiefe Ruh, - laß deinen Schleier sinken, - und schling dein dunkles Haar um meine Brust, - und laß mich deinen Atem trinken, - Du, - bis alle meine Lust - und letzter Schmerz in einen Hauch verschweben, - den deine Lippen mir vom Herzen heben, - dann laß mich deinen Kuß erleben, - du tiefe Ruh. - - - - -Durch die Nacht - - - Und immer Du, dies dunkle Du, - und durch die Nacht dies hohle Sausen; - die Telegraphendrähte brausen, - ich schreite meiner Heimat zu. - - Und Schritt für Schritt dies dunkle Du, - es scheint von Pol zu Pol zu sausen; - und tausend Worte hör ich brausen - und schreite stumm der Heimat zu. - - - - -Masken - - - Du bist es nicht, du greiser Tempelritter - im Panzerkleid, auf das die Kerzenstrahlen - des bunten Saals mit täuschendem Gezitter - geheimnisvolle Charaktere malen; - dein Blick ist schwarz, laß das Visier nur zu! - Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. - - Du bist es nicht, Zigeuner mit der Geige, - der wild sein Lied läßt in die Zukunft bluten. - Dein roter Bart ist kraus wie Urwaldzweige, - um die rauchprasselnde Frühfeuer gluten. - Dein Blick ist grau; laß nur die Maske zu! - Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. - - Du bist es nicht, Traumkönigin. Seerosen - trägst du im wolkendunkeln Haargeflechte, - und keuschen Asphodellos, und Skabiosen, - die sanfter blühn als purpursanfte Nächte. - Dein Blick ist braun; laß deinen Schleier zu! - Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. - - Du bist es nicht, mein blonder Puck. Dein Röckchen - ist viel zu kurz für deine Mädchenbeine; - man sieht es doch, daß dein hell Klingelstöckchen - ein Totenköpfchen krönt, du freche Kleine. - Dein Blick ist stahlblau; laß dein Lärvchen zu! - Du bist es nicht -- doch Ich bin Du. - - Und Du, bist Du’s, du Domino im Spiegel, - in dessen Blick die Farben meerhaft schwanken, - du masken+los+ Gesicht? Zeig +her+ das Siegel, - das mir ausdrückt den Grund deiner Gedanken! - Bin ich das selbst? Ausdruck, du nickst mir zu. - Grundsiegel -- Maske -- Bin Ich Du? -- - - - - -Nacht für Nacht - - - Still, es ist ein Tag verflossen. - Deine Augen sind geschlossen. - Deine Hände, schwer wie Blei, - liegen dir so drückend ferne. - Um dein Bette schweben Sterne, - dicht an dir vorbei. - - Still, sie weiten dir die Wände: - Gieb uns her die schweren Hände, - sieh, der dunkle Himmel weicht -- - Deine Augen sind geschlossen -- - still, du hast den Tag genossen -- - dir wird leicht -- -- - - - - -Lied vor Tag - - - Was bewegt dich, stiller Himmel? - Was beschwingt die schweren Wolken? - Herz, wie kommt die helle Höhe - übers tiefgraue Meer? - - Durch die Wolken schwebt ein Vogel; - schwebt vorbei mit hellen Flügeln, - trägt die goldne Morgenröte - übers tiefgraue Meer. - - Komm zurück, du goldner Vogel! - Nimm mich hoch in deine Höhe! - Trag mein Herz, du helle Hoffnung, - übers tiefgraue Meer! - - - - -Gondelliedchen - - - Bitte, bitte, Vögelchen: - Schiffchen hat ein Segelchen, - segelt übers Meer: - Vögelchen, komm her! - Komm und setz dich, laß dich wiegen, - warum willst du immer fliegen, - machst es dir so schwer! - - Singe, kleiner Passagier! - Wenn die großen Wellen krachen, - wird dein Lied uns ruhig machen; - still vergessen wir - Erde, Mensch und Tier. - - - - -Griechische Pfingsten - - - Wie anders nun! -- Ihr blumigen Auen, - ihr wilden Berge: irrt mein Geist? - Bin ich nicht jüngst mit heiligem Grauen - durchs blaue Meer zu trunknem Schauen - ins Land der Mythe hergereist? - - Nun grast hier hinter krüppligen Säulenstümpfen, - vorbei an ausgegrabenen Götterrümpfen, - mein müder Klepper mit Gestöhn. - Man blickt noch manchmal zurück nach ihnen: - man sieht, es sind und bleiben Ruinen -- - aber +ihr+, ihr Berge, seid ewig schön! - - Drum still, du graue Mythe, - mit deinem trüben Sinn! - Ganz Hellas steht in Blüte, - noch heut, so wahr ich bin! - Hier lernt man heiter schreiten: - über den Schutt der Zeiten - geht immergrün die Zeit dahin. - - - - -Eine Rundreise in Ansichtspostkarten - - -1. Straßburger Münster - - Der Ansicht aller Welt zum Trotz - steht dieser Turm und krönt -- was? -- einen Klotz. - Er stand beim jungen Goethe sehr in Gunst - als Voll-und-Höchstbeweis echt deutscher Kunst. - Er steht, wie ihn der alte Goethe sah, - noch heut höchst unvollendet da. - - -2. Rheinfall bei Schaffhausen - - Blickst du ihn an, so wird dir wirr - von all dem stürzenden Flutgeirr. - Doch horch hinein, da steigt vom Grund - klar ein steter Einklang und - Aufklang. - - -3. Gotthard-Tunnel - -Klänge im Eilzug - - Über der Einfahrt grausen verquollen - eisige Gipfel durch Wolken herab. - Unter der Ausfahrt weisen die Schollen - finstrer Felsen zu nebelvollen - Schluchten und neuen Schachten hinab. - Immer durchs Dunkel von Stollen zu Stollen - fühlst du dich immer dem Licht zurollen, - und so setzt dich endlich mit tollen - Sprüngen der Himmel ins Blaue ab. - - -4. Isola Bella - - Das konnten wohl die seligen Inseln sein, - wenn’s nicht auch hier, wenn’s regnet, regnete. - Wie arme Sünder schaudern die Cypressen - vor ihrem Spiegelbild im trüben See; - und während sich des Himmels Gnade reichlich - auf sie und mich und übers Schiff ergießt, - steht, einem Engel ähnlich an Geduld, - mit höchster Höflichkeit mein Haupt beschirmend, - ein Doganiere neben mir und prüft - bis auf den Grund mein zollpflichtschuldiges Herz. - - -5. Mailand - - Und ward dir vor den tausend Heiligen schwach, - die, eitel Marmor, rings den Dom garnieren, - dann steige auf sein flaches Dach, - das neunundneunzig einzelne Türmchen zieren. - Das wird dich, Alles Marmor, wie ein Hain - kandierter Weihnachtsbäumchen delektieren -- - auf einmal siehst du fern im Sonnenschein - die Alpen -- -- - - -6. Certosa bei Pavia - - Schmuckkästlein schlichter Einsamkeit: - hinter der Prachtwand der Fassade - bat mancher Mönch in weiser Schweigsamkeit - die Jungfraun Borgognones einst um Gnade. - Jetzt möcht ich in den leeren Klausen - mit dir, Geliebte, noch verschwiegner hausen. - - -7. Genua - - Kaufherrin stolze: immer strahlenbreiter - trägt sie bergan die meerentnommene Krone, - und ihr geringstes Frachtschiff fährt heut weiter - als je die kühnste Doria-Traumgallione. - - -8. Campo Santo in Pisa - - Geisterhafter Bildertraum - dehnt den schmalen stillen Raum. - Sieh: das Viereck der Arkaden - strebt den Himmel einzuladen. - Horch: der Erde reinsten Hauch - opfert stumm ein Rosenstrauch - voller weißer Blüten. - - -9. Orvieto - - Willst du den Tag der Auferstehung sehn, - den Signorelli sah? Komm, Seele: dort - staun sich Gewitterwolken, schon ziehn Schatten. - Bald werden um dies trotzige Felsennest - durchs weite Talfeld der Chiana unten - die schrägen Strahlen der verhüllten Sonne - fahl wie aus Gräbern aufgescheuchte Schemen - nach Zuflucht schweifen, taumelnd, und nun fährt - der Blitz dazwischen -- o Erleuchtung -- ja: - dort sah der Künstler, was er dann nur malte. - - -10. Campagna vor Rom - - Hier spannt sich alles, Landschaft, Bäume, Tiere, - als habe sich die Welt zur Ruh gezwungen; - erwartungsvoll ist jede Form geschwungen, - die Hörner selbst der silbergrauen Stiere. - Denn dort am Horizont hebt einsam groß, - so einsam groß, daß auch die Berge nur - Mitglieder sind der staunenden Natur, - das Haupt der Ewigen Stadt sich zum Azur: - die Peterskuppel Michelangelos. - - -11. Im Pantheon - - Wer faßt dein Innres, Rom: du Kirchhof der Kulturen: - Verwesung glänzt darin mit immer frischen Spuren. - Im Pantheon zumal, kraft göttlicher Beschlüsse, - erlebt man wundersame Grundwasser-Überflüsse. - Durch solch ein Wunder sah ich: auf einer Altarplatte - saß eine magre Katze, die sich gerettet hatte. - Kläglich miauend saß sie, begafft vom Fremdenstrom; - da hast du deine Göttin, modernes Rom! - - -12. In den Abruzzen - - Endlich dem Bann der Museen entronnen, - fand ich Italien auf eigne Faust schön; - fand ohne Baedeker goldene Sonnen, - silberne Monde, in Tälern, auf Höhn. - Fand auch ein Räuberpaar, in einer Grotte, - spät eines Abends, im wilden Wald, - raubten sich Küsse, die haben geknallt: - ~siamo felici nel cuor della notte~! - - -13. Pontinische Sümpfe - - Die Sterne flimmern; schwül schweigt das Moor - längs der langen Straße zur Nacht empor. - Längs der langen Straße, schwarz im Düstern, - ragen und raunen die hohen Rüstern. - Längs der langen Straße, wie aufgereiht - von einer zur andern Unendlichkeit, - raunen die Rüstern fiebertrunken: - dreiunddreißig Städte ruhn hier versunken - längs der langen Straße ... - - -14. Neapel - - „Neapel sehn und sterben“ -- in der Tat: - dies Paradies des Pöbels ist zum sterben. - Sehr sichtbar, echter Lazzaronistaat, - liegt’s wie ein blendender Haufen Scherben - am Riesenmaulwurfshügel des Vesuv, - den Gott gewiß aus reinem Mordsspaß schuf. - - -15. Pompeji: Haus des tragischen Dichters - - Was klagst du, Menschheit! Sieh, allerseelenvollst - lacht dir das Leben, und komisch nickt der Tod: - Da steht zerbröckelt des Dichters Gastgemach, - sein Werk und Name verbrannten im Lavaschutt, - aber das Brautpaar seines Wandgemäldes - entdeckt noch immer das Nest voll Liebesgöttchen, - wie’s Tausende Paare noch entdecken werden, - wenn dieses ausgegrabene Machwerk längst - wieder in Lavaschutt versenkt sein wird. - - -16. Auf Capri - - Trotz aller reisenden christlichen Tugendbünde - ist hier noch Raum für einige heitre Sünde. - Trotz Badehose gleicht in der blauen Grotte - ein schmieriger Fischer einem silbernen Gotte. - Trotz Zeitung, Polizei und meckernder Ziegen - kann noch an mancher Klippe ganz verschwiegen - der Faun die Nymphe beim Schlafittchen kriegen. - - -17. Bergstraße von Amalfi nach Salerno - - Europas reichste Damen - karriolen den Felsweg her, - hoch zwischen Himmel und Meer; - immerfort wechselt der Rahmen. - Großartig wechselt der Rahmen; - hoch zwischen Himmel und Meer - erwartet ein Bettlerheer - Europas reichste Damen. - - -18. Bahn nach Potenza - - Und keiner ist verächtlich und schwach genug, - daß nicht auch ihn aufrüttelnd ein Stolz durchzuckt, - wenn durchs Gebirg auf dröhnender Bahn der Zug - hinstürmt von Viadukt zu Viadukt. - Denn hier hat Menschenarbeit Bogen an Bogen, - Triumphbogen durch die Natur gezogen. - - -19. Valle del Basente - - Straße und Brücke verfallen, - das steinige Flußbett trocken; - meine Schritte hallen - laut auf Trümmerbrocken. - Und erschüttert erbeben - verdorrte Uferbäume -- - Land, wo ist dein Leben? - Volk, was träumst du für Träume? - - -20. Erster Klasse nach Brindisi - - ~Scusa, Signora e Monsignore!~ - und ich nehme Platz im Coupé, con amore. - Der Priester scheint auf Kohlen zu sitzen, - die Dame strotzt von Juwelen und Spitzen. - Der Priester rückt in die äußerste Ecke, - die Dame bückt sich, und ich entdecke: - sie versteckt ein besudeltes Dingrichs. - - -21. Corfu - - Also auch hier wühlen Hühner und Schweine - in verwahrlosten Gärten und Auen. - Aber wenn wir’s von ferne beschauen, - läutert der Lichtgeist alles Gemeine. - Weiter und weiter schreit’ich ins Reine, - und der Oliven verwilderte Haine - überrauschen das menschliche Grauen. - - -22. Pontikonisi - - Weiß steht das Kirchlein aus der blauen Flut, - Cypressen laden ein zur Himmelsreise. - Sacht naht der Fährmann mit der irdischen Speise; - ein Glöckchen tönt, das Ruder ruht. - Wärst Du, Geliebte, nicht auf Erden, - ich könnte Mönch auf diesem Eiland werden. - - -23. Bergweg bei Patras - - Ein Schrei -- fast stürzt mein Pferd -- und aufgebäumt - ums Felseck biegend seh ich: schluchzend reißt, - im Staub knieend, mit aufgelöstem Haar, - und schreiend -- oh, so schrie Medea einst, - als Jason sie aus Überdruß verließ -- - reißt sich ein schönes griechisches Bauernmädchen - die türkische Jacke von den nackten Brüsten - -- Papiergeld fliegt -- und weg von ihr bergab - jagt im Galopp, in klirrender Kutsche hockend, - ein schlotternder Stadtherr, häßlich wie ein Mops. - - -24. Olympia - - Apollon, der die Tiermenschen bezwang, - jetzt als ein Giebelbruchstück ausgestellt, - begleitet mich durchs Tempeltrümmerfeld - und spricht gen Sonnenuntergang: - Lapithen und Kentauren ruhn im Sumpf, - Faustkämpfer preist die Menschheit auch nicht mehr, - noch aber übermannt euch seelenschwer - der Schatten selbst von diesem Säulenstumpf. - - -25. Tempel bei Bassä - - Wohl stehn noch stolz die morschen Säulenschäfte - ob Steingeröll und niedern Krüppel-Eichen - und sind, indeß Eidechsen und Blindschleichen - den kletternden Hufen meines Gauls ausweichen, - in dieser Höhenluft ein rührendes Zeichen - himmlischen Aufbegehrs der irdischen Kräfte, - doch rührender rings die tausend Nachtigallen, - die durchs Geläut der käuenden Ziegen schallen. - - -26. Burg und Stadt Karytäng - - Schmettert, ihr Nachtigallenheere, - helft meine Kavalkade befeuern! - dort oben herrschte einst Ritterehre, - schuf Herzogskronen aus Abenteuern! - Aber die griechischen Rosse wollen - nur noch zur Futterkrippe trollen. - - -27. Herberge vor Tripoliza - - Hier gibt es Alles: Wasser, Häcksel, Mist, - Strohsack und Wanzen -- blos Laternen fehlen. - Schon aber geht ein frommer griechischer Christ - ein Licht aus der Dorfkirche stehlen. - - -28. Nauplia - - Ein toter Esel fault im Straßengraben, - am Tor ein Hund. - Ein Stadtsoldat schleckt sich an Honigwaben - die Zunge wund. - Mit schmachtenden Blicken hockt ein Rudel Knaben - am Mauerwall. Und jedes Auge laben - unzählige wilde Blumen, märchenbunt. - - -29. Wiesen bei Argos - - Das sind die Blumen aus dem Morgenland: - Sie leuchten aus der Ferne wie durch Schleier, - sie schimmern seidner als ein Festgewand, - sie duften reiner als die Braut dem Freier. - Sie scheinen in der Nähe dir bekannt; - es glimmt in ihren Kelchen wie ein Feuer, - das auch in Dir wohl einst, o einst gebrannt. - Du pflückst davon. Doch scheu und scheuer - stockt deine Hand: - du träumst die Blumen heim ins Morgenland. - - -30. Mykenä - - Auf einmal schleppt mich Frau Historia - durch wüst Gerümpel und beginnt zu melden: - das Löwentor -- die Burg -- die Agora -- -- - Was? Hier, hier hausten die homerischen Helden? - Weg! In der Dichtung ists ein Göttersaal, - hier wirds zum Hottentottenkraal. - - -31. Akrokorinth - - Stahlblau erfunkeln mir zwei Meere, - Waffen funkeln durch meine Gedanken, - wild sich kreuzend, alle die blanken - Klingen der Krieger, die dort versanken, - Griechen, Slawen, Türken, Franken, - Landeskinder und Söldnerheere -- - funkeln -- und um zerstürzte Paläste - von Strand zu Strand über Tempelreste - den Berg herauf zur verfallenden Feste - brandet Begeistrung und füllt das Leere. - - -32. Bei Salamis - -Fischerlied - - Ruhe dich, Schiffchen: hier werfen wir Netze. - Hier wurden vom Ahnherrn ertränkt die Barbaren. - Drum schenkt uns das Meer heut fetten Fisch -- - ruhe dich, Schiffchen ... - Hundert Heilige wurden für uns gemartert. - Fremde Lords sind gestorben für unsre Freiheit. - Drum schenkt uns der Himmel heut weichen Wind -- - ruhe dich, Schiffchen ... - - -33. Athen - - Die Muse spricht: Narrt mich ein Fiebertraum? - Stellt nicht dort unten das Theater noch, - der Felswand angeschmiegt am heiligen Abhang, - traut wie ein Schwalbennest, den Weltkreis vor? - Was sucht der Herr da, der den Staub beriecht, - wo einst der Feldherr saß, der Opferpriester? - Und hier, wo ehmals steilgestreifte Säulen, - schwarz wie der Styx, rot wie geronnen Blut, - dem blauen Äther, der sie bleichte, trotzten, - hier steht gar einer und studiert den Schutt? - O Wunder, daß noch Meer und Himmel leuchten! - - -34. Fahrt zum Parnassos - - Vom Dampf des Schiffes, den die Hitze ballt, - verhüllt: was strahlt aus buntem Dunst herbei? - so weiß! -- was träumte mir? -- ein Gipfel -- drei -- - ein Kranz von Gipfeln strahlt den Dunst entzwei -- - so weiß strahlt nur der ewige Schnee -- so frei -- - +Ist’s+ der Parnaß?! -- Flieh, schwüle Träumerei! - Hinauf! dort oben ist es kalt. - - -35. Delphi - - Mein Dämon spricht: Auf Delphi ruht ein Fluch, - da laß uns still vorübergleiten. - Mir deucht, wir hatten schon zu Olims Zeiten - an dem Orakel in uns selbst genug. - - -36. Zwischen Leukas und Ithaka - - Durch dieses Meer trieb einst in irrer Not - Odysseus seinem treuen Weib entgegen. - Durch dieses Meer trieb wild im Liebestod - Sapphos zerbrochner Leib der Nacht entgegen. - Durch dieses Meer treibt nun im Morgenrot - mein Herz, Geliebte, +Dir+ entgegen. - - -37. Albanische Küste - - Die Küste weicht; ich seh mein Schiff mit beiden - Bugseiten durch die Flut, die tiefblau glatte, - wie durch geschliffnen Stein sich vorwärts schneiden, - so undurchsichtig glänzt die spiegelglatte. - Ich wende mich und seh im Glanz auf beiden - Kielseiten ferne Höhenzüge scheiden; - da schwimmen sie wie sagenhafte satte - Seekühe, die sich an der Bläue weiden. - - -38. Hafen von Ancona - - Zwischen zwei Vorgebirgen lauscht der Wind, - der sanften Gruß bringt von der Abendsonne, - ob Stadt und Hafen wohlgebettet sind. - Er fragt ein Heiligtum, worob es sinnt, - einst der Frau Venus Haus, jetzt der Madonne, - und alle Glocken künden voller Wonne: - In goldner Wiege ruht ein himmlisch Kind. - - -39. Assisi - - Wallfahrer haben mir den Weg gezeigt; - im öffentlichen Garten rasten wir, - und mancher blickt dem heiligen Dichter gleich - beseligt auf zum lieben Bruder Himmel. - Ein junges Weib nur blickt verstört ins Land, - durch das ein Zug lobsingender Mönche wandelt. - Am Rand des Gartenberges die Cypressen - stehn wie erstarrte schwarze Flammen da, - und plötzlich regt sich eine wie entsetzt - vor dieses Himmels bleiglutblauer Last. - - -40. Perugia - - Sei gesegnet, ruhiger Ort! - Frommer Ahnen Meistergilde - schuf aus rauhem Felsgebilde - für die Enkel dies Gefilde; - kannst du zürnen, Gott der Milde, - wenn sie nun ins Ewige fort - unter den Akazien wandeln, - nur noch schauen, nicht mehr handeln?! - - -41. Am Trasimenischen See - - Was wohl die Unken klagen - dort um das alte Kastell? - Daß da mal Römer lagen - von Hannibal erschlagen? - Daß da den Troubadouren - von denen adligen Huren - vertrommelt ward das Fell? - Man muß nicht immer fragen, - um was die Unken klagen; - die Frösche lachen hell. - - -42. Florenz - - Du Allerschönste, Liebling aller Welt, - einst manchem Herrn, jetzt jedem Gaffer feil, - und immer noch von Zier und Reiz geschwellt, - so lehnst du stolz auf hehrem Ruhebett, - dein Haupt wie eines Turmes Zinne steil, - dein Schooß wie offne Rosen lebensfroh, - und gar den Busen schmückt als Amulett - die heilige Kunst des Fra Angelico. - - -43. Ravenna - - Ravenna! rief die Inbrunst: gib mir Raum! - was brütest du auf Gräbern Tag und Nacht? - Und Grüfte wölbten sich zu Farbenhimmeln, - in denen tausend Malerseelen träumen, - und über denen Dante wacht. - - -44. Venedig: Punta della Salute - - Hier möcht ich sterben, alt, wie Tizian starb, - doch in verhängter Gondel und allein. - Durch einen Spalt nur glühn im Abendschein - verwitterte Paläste glorienfarb. - Schlaftrunken schaut die Wasserfläche drein - und haucht mir eine Seelenruhe ein, - die niemals um ein ewiges Dasein warb. - So möcht ich sterben ... aber leben: nein! - - -45. Verona - - Auf des Amphitheaters höchstem Rand - ruht nach vollbrachtem Tagewerk ein Kerl, - die braune Stirn noch voller Schweißgeperl, - und läßt sich trocken glühn vom Sonnenbrand. - Ein simpler Steinmetz, der wohl kaum verstand, - wozu sein Flickwerk an dem alten Loch, - und hat wie Herkules geschuftet doch; - jetzt aber faullenzt er ob Stadt und Land, - als sei kein Gott so frei wie Er vom Joch. - - -46. Wanderstraße am Etsch - - Arbeitsleute schreiten vor mir schwer, - immer schwerer dröhnt bergan ihr Schritt: - aus der Ferne graut die Fremde her. - Pfeifend halt ich ihnen gleichen Tritt, - Strom und Straße schweigen immer mehr: - aus der Ferne blaut die Heimat her -- - und auf einmal pfeifen alle mit. - - -47. Sirmione am Gardasee - - ~Avanti!~ -- Heiter wie des Südens Luft - soll dich mein Abschiedsgruß, du liebliche - Halbinsel, die Catull besang, umwehn. - Hell greifst du durch den blauen See nach Norden, - gleich einer gastlich hingestreckten Hand - gefüllt mit Veilchen, Immergrün und Frucht. - Doch daß auch ernster Schmuck dir wohlsteht, zeigt - gleich einer Spange am Gelenk das düstre - Kastell, von dessen Söller mich der Ruhm - des jungen Bonaparte grüßt -- ~Avanti!~ - - -48. Hochfeiler am Brennerpaß - - Heiß auf kalter Höhe mach ich Rast, - von den Gletschern kommt ein leichter Hauch, - kommt und geht, und lichter Rauch - wird mir all die fremde Last, - von der Völkerstraße her die Hast, - und die Sehnsucht nach der Heimat auch. - - -49. Innsbruck - - Die Berge glänzen klar im Kreis, - die Luft im Tal ist menschenheiß. - Ich trete in den alten Dom, - ich atme tief den Dämmerstrom. - Erzbilder schimmern durch den Raum, - ich träume einen Himmelstraum; - und langsam neigen sich die Stirnen - der ehernen Ritter vor den fernen Firnen. - - -50. Konstanz - - Im offnen Garten ist Konzert am See, - der Geist Beethovens schwebt von Stern zu Stern; - tief unter Brücken schweigt die Wasserfee, - hoch über Türmen schweigt der Alpenschnee, - schweigt Stern bei Stern, schweigt wie seit je; - und immer noch Konzert, Konzert am See -- - o Beethoven, wozu der Lärm?! -- - - -51. Spezgart bei Überlingen - - Von Schlucht und Halde weichen Morgenschleier, - die Erde dampft der Sonne ihren Dank. - Hier trieben wir, Geliebte, Frühlingsfeier; - es herzte Trieb an Trieb sich frei und freier, - bis über unsre Abschiedsfeier - der pfirsichblütne Abend sank. - Nun sind die Früchte reif zum Willkommtrank. - - -52. Stein am Rhein - - Klosterfrieden, Weltbehagen, - lacht hier noch Italiens Glanz? - Buntbemalte Giebel tragen - frei Boccaccios Fabelkranz. - Stromschnell naht das heimatstete - Schiff, mit Gästen angefüllt. - Wenn doch jetzt Gesang herwehte! - Da: weiß Gott, man singt -- man brüllt - die „Wacht am Rhein“ ... - - -53. Triberg im Schwarzwald - -Stimme der Heimkehr - - Urweltsprache dröhnt im Wasserfall, - läßt kein Menschenwort herdringen; - was denn hör ich durch den Schwall - doch wie Muttersprache klingen? -- - Nicht ein Vogelstimmchen hallt, - nur die alten Wipfel schwingen; - Welt, ich fühle wieder deutschen Wald, - höre deutsche Quellen singen! -- - - -54. Heidelberg - - Das alte Schloß ... Man zankt sich wohlgesinnt - im Akademischen Kulturverein: - Ist’s zu erneuern? -- wie! -- halb? ganz? -- ja! nein! - Der will das „Wesen“ wahren, Der den „Schein“, - Jeder lügt Leben in den toten Stein - und schilt die Andern wahrheitsblind. - Ich sehne mich nach einem Menschenkind, - das garnichts will als ganz natürlich sein. - - -55. Bingen am Rhein - - Du kleine Stadt am Strom, mir weltengroß, - dir dank ich meine Mutter, dir das Weib, - das mir so lieb ist wie mein eigner Leib, - ich williger Pilgersmann von Schooß zu Schooß. - Du Strom, du großer, spiegelst du mein Los? - du kleine Welle, meinen Weltverbleib? - Eilt nicht auch ihr mit Seel und Leib - von Schooß zu Schooß, - von Bergesschooß zu Meeresschooß?! -- - - - - -Wiedersehn - - - Eh du kamst, schienen mir - alle Schiffe im Hafen - Unheil zu brüten - auf der steigenden Flut. - - Und nun lächelst du ihnen, - weil mein Blick drauf geruht hat; - und ich lache ihnen, - weil Dein Blick drauf geruht hat; - und alles ist gut. - - - - -Siegerin - - - Mit deinem Lächeln bewältigst du die Nacht: - ich fühl’s um deine Lippen schweben - und sehe Sterne aufgehn in meiner Seele. - - Mit deinem Lachen bewältigst du den Tag: - ich seh’s aus deinen Augen strahlen - und fühle die Sonne in mich versinken. - - - - -Letzte Bitte - - - Lege deine Hand auf meine Augen, - daß mein Blut wie Meeresnächte dunkelt: - fern im Nachen lauscht der Tod. - - Lege deine Hand auf meine Augen, - bis mein Blut wie Himmelsnächte funkelt: - silbern rauscht das schwarze Boot. - - - - -Zweier Seelen Lied - - - Lieber Morgenstern, - lieber Abendstern, - ihr scheint zwei - und seid eins. - - Ob der Tag beginnt, - ob die Nacht beginnt, - findet euer Schein - in uns Zweien die Liebe wach. - - Lieber Abendstern, - lieber Morgenstern, - hilf uns Tag für Tag - eins sein, bis die letzte Nacht uns eint. - - - - -Psalm zweier Sterblichen - -Von Ida und Richard Dehmel - - -Der Mann: - - Göttin Zukunft, - mit gefesselten Händen hältst du - eine geschlossene Schriftrolle, - drin mein Schicksal verzeichnet steht. - Langsam, Tag für Tag, - ringe ich deinen Fingern - Zoll für Zoll die Urkunde ab, - Zeile für Zeile. - Bis der Augenblick kommt, - wo das entrollte Papier, - eh ich das letzte Wort noch las, - meinem erschöpften Arm entfällt; - und mit gefesselten Händen - gibst du den Winden zur Sage anheim, - was ich tat. - - -Das Weib: - - Schicksalsgöttin, - ich liege vor dir auf den Knieen. - Du hältst in deinen, ach, gefesselten Händen - eine goldene Tafel, - drin die Namen nur derer eingegraben stehn, - die Unvergeßliches taten. - Auf den Knieen, Schicksalsgöttin, - bitte ich dich: - Laß mich nicht ins Namenlose versinken! - Spreng deine Fesseln -- oder - nur einen Augenblick - reich mir die goldene Tafel, - und neben die Runen der Helden und der Weisen - schreibe ich hinsinkend: - Ich liebte. - - - - -Im Geiste - - - Ich steh im Geiste an ein Grab geführt, - wo Eine ruht, die so beseelend lebte, - daß ich nicht glauben kann, ihr Geist entschwebte; - ich steh wie einst vor ihr, so rein gerührt. - - Und dort steht Einer, dessen Auge schürt - noch reiner an, was damals in mir bebte; - er wars, der zart ihr Reinstes mir verwebte, - und steht nun starr, als hätt er’s nie gespürt. - - Du Hüter dieses heiligen Grabes, wehre - der Andacht nicht, die Geist dem Geist hier weiht; - es bebt in dir wie mir das seelvoll Leere. - - Die wirren Zeiten haben uns entzweit; - hier aber rührt uns Klarheit, und ich kehre - vereint mit dir den Blick zur Ewigkeit. - - - - -Nachglanz - - - Einst geliebte Seele, - immer noch empfundne, - sternklar weist die Nacht mir Weiten, - die auch dich umschließen, - du entschwundne. - - Gütig glänzen wieder - alle Lichter oben, - die uns je zu gleicher Andacht - von der trüben Erde - auferhoben. - - Einsamkeit und Dunkel - sind nun nicht mehr Qualen. - Dankbar betet Seel in Seele: - Sterne, all ihr Sterne, - helft uns strahlen! - - - - -Verewigung - - - Freund in der Ferne, wer du auch seist, - Flüchtling auf der Erde wie ich, - die wir zwischen den Sternen hausen, - du ein Unvergänglicher, - ich ein Unvergänglicher, - weil wir’s fühlen -- - sieh, ich feire eine Seelenbefreiung. - Ich sitze am Sarg einer lieben Gestalt, - wie ich an manchem Sarg schon saß - und an manchem noch sitzen werde: - ich habe geweint, ich lächle. - Diese liebe Gestalt wird bald zerfallen; - nie mehr wird ihr Mund mir Rätsel aufgeben, - ihre Hand mir die Stirnfalten lösen, - nie wieder werden ihre Augen - mir die Sonne ins Herzdunkel spiegeln. - Nichts wird weiterleben von ihrer schlanken Erscheinung, - nichts als ein Schemen in meinem Gedächtnis, - bald verdrängt durch ihr Bild von fremder Malershand, - durch viele andre Schattenbilder, - und auch die werden alle zerfallen. - Nur was sie seelvoll zusammenhielt, - was uns zusammenhält noch beide, - warum wir Blick in Blick einst erbebten: - nur das wird bleiben zwischen den Sternen, - wird immer neue Gestalt annehmen, - wird warten, daß auch ich mich verwandle, - bis wir einander wieder erscheinen - in den Schaaren der Ätherdämonen, - wieder erbeben. - Dann werden wir uns wohl begrüßen - wie einst auf Erden das erste Mal: - uns nicht erkennend, nur beglückend, - viel zu beseligt der neuen Gegenwart, - als daß wir alter Zeiten gedächten. - Und werden uns wohl wieder wundern, - im stillen fühlend: das letzte Mal, - da haben wir geweint zusammen, - da mußten wir uns noch befreien -- - jetzt lächeln wir, jetzt lächeln wir -- - wir Unvergänglichen -- -- - - - - -Am Ufer - - - Die Welt verstummt, dein Blut erklingt; - in seinen hellen Abgrund sinkt - der ferne Tag, - - er schaudert nicht; die Glut umschlingt - das höchste Land, im Meere ringt - die ferne Nacht, - - sie zaudert nicht; der Flut entspringt - ein Sternchen, deine Seele trinkt - das ewige Licht. - - - - -Aufrichtung - - - Hörst du Nachts die leere Stille schallen? - Tote Seelen rufen dich von fern. - Eine aber war dir wert vor allen; - o, nun möchtest du vor Schmerz ihr folgen, - ihr und ihrem unsichtbaren Herrn. - Und du kannst nicht fassen, - daß du weiterlebst, - daß du deinen Arm zur Abwehr - hoch ins Dunkel hebst; - und auf einmal schweigt es, - und mit frommen Händen - legst du deinen Schmerz auf einen Stern. - - - - -Heilige Nacht - - - Es steht ein Stern, der leuchtet klar, - von Nacht zu Nacht, schon tausend Jahr. - Es kommt ein trüber Wandersmann, - an eine Stalltür klopft er an. - - Wer bist du, Mann? was suchst du hier? - Ich suche Gott in Mensch und Tier. - Dann tritt herein, hier kannst du sehn - Ochs, Esel und ein Lämmlein stehn. - - Ein Lämmlein wie im Paradies; - ein Knäblein streichelt ihm das Vlies. - Das Knäblein sitzt auf Mutters Schooß, - hat Augen wie der Stern so groß. - - Es sieht der trübe Wandersmann - die stolze Magd, den Knaben an. - Ja, sieh nur in die Augen sein, - da siehst du Gottes Glorienschein! - - Ich ächzte wie ein Tier fürwahr, - indeß ich lag und ihn gebar; - nun krönt auch mich der Schöpferglanz, - so schön ist keiner Jungfrau Kranz! - - Es steht der Wandersmann und sinnt; - es lacht die Magd und herzt ihr Kind. - Das Lämmlein leckt an ihr hinauf; - Ochs, Esel stehn und horchen auf. - - O Mutter Gottes, höre mich an, - mich vielversuchten Gottesmann! - Vor deiner Schönheit könnt ich fliehn, - vor deiner Wahrheit lieg’ich auf den Knien. - - Ich ging auf Erden hin und her: - es hieß, daß Gott gestorben wär. - Doch siehe da: von jeder Magd - wird er aufs neu zur Welt gebracht. - - Nun bin auch ich ein Gottessohn; - +o Mutter, nimm dies Lied zum Lohn+! - Es steht ein Stern schon tausend Jahr - und leuchtet noch wie einst so klar. - - - - -Evas Klage - - - Stern im Abendgrauen, - laß dein bleich Erschauern; - laß mich endlich ruhig - heim gen Eden trauern. - - O Eden, mein Eden, - Garten meiner Träume, - warum gab mir Gott den Anblick - deiner Frühlingsbäume! - - Deine Sommerfluren - hat er nicht behütet; - in den stolzen Garben - hat der Blitz gewütet. - - In dein Herbstgefilde - ist der Sturm gekommen, - hat mir von den Ästen - Frucht auf Frucht genommen. - - Warum sang der Frühling, - sang von seligem Wandern - nur auf Blumenauen, - sang von einem seligen Andern! - - Ach, er kam, der Andre, - kam mit Glut und Flammen; - über meinen Blumen - schlugen sie zusammen. - - Lachend aus der Asche - hat er mich getragen. - In der kalten Fremde - hat ihn Gott erschlagen. - - Winter ist geworden. - Ach, ich möchte weinen. - Aber seine Seele - lacht noch in der meinen. - - Still auf seinem Grabe - will ich warten, warten; - meine Kinder irren - suchend nach dem Garten. - - O mein Garten Eden, - verlornes Eden, - o Eden, mein Eden, - stehst du denn noch offen? - Bis zur letzten Stunde - will ich auf dich hoffen! - - Magst du, Gott, mich töten, - mag mein Traum verglühen, - aber meinen Kindern muß er - neu erblühen! - - Laß dein bleich Erschauern, - Stern im Abendgrauen! - Endlich kann ich ruhig - heim gen Eden schauen. - - Magst du, Stern, versinken, - mag ich selbst vergehen: - meine Kinder werden - Eden wiedersehen. - - - - -Eines Tages - -Phantasieen zweier Liebenden - - -Morgen - - „Auf, mein schwarzer Zaubrer, auf, - eile, spinne Gold, es tagt, - schmücke deine stolze Magd! - Laß die Strahlen nicht verwittern, - die dem Morgenstern entsplittern! - Heute Mittag muß die Erde - sich entzücken am Geschnauf - deiner wilden Siegespferde! - Auf, mein goldner Zaubrer, auf!“ - - Laß mich träumen, Zauberin, - sprich mir nicht vom Tag der Schlacht; - nimm die Strahlen, spinn sie, spinn. - Mich verstört das Marktgepränge, - wo die Erze vor der Menge - zur verstaubten Sonne dröhnen. - Überirdisch ist die Nacht, - wo die heimlichen Gesänge - meiner zahmen Schlangen tönen; - sprich mir nicht vom Tag der Schlacht, - laß uns träumen, Zauberin, - nimm den ganzen Himmel hin ... - - -Mittag - - „Aber jetzt, mein Held, mein Sieger, - komm, mein König, komm, mein Krieger, - gib dich nicht den Gaffern preis! - Wirf sie weg, die blanken Bälle, - die so kalt, so gläsern klingen - und vor Hitze fast zerspringen; - führe mich an eine Quelle, - dies Getümmel riecht nach Schweiß! - Komm, was stehst du bei den Leuten, - du ermattest nur im Schwarm; - und bis Abend muß dein Arm - noch ein drittes Reich erbeuten!“ - - Königin, du störst mein Spiel. - Auf mein Volk herabzusehen, - wahrlich, das war nicht mein Ziel. - Schau: in diesem kleinen Ball, - weiß man ihn nur recht zu drehen - und das wird man bald verstehen, - spiegelt sich das große All. - Spiele mit! Komm, Siegerin, - nimm den ganzen Erdball hin ... - - -Abend - - „+Ist+ hier nicht das dritte Reich? - ach, mein rascher Pilger, säume! - Bannt dich nicht der dunkle Teich, - über den die Lilienbäume - ihren süßen Atem breiten? - Und schon naht der Elefant, - drauf der Buddha Ewigkeiten - über unsre Seelen spannt. - Ja, mein Zaubrer: spiele! träume!“ - - Pilgerin, mir kommt ein Bangen; - siehst du nicht im bunten Laube - jene großen Schlangen hangen, - die mir fremd sind? und ich glaube, - daß sie Träumern Unheil brüten. - Ahnst du nicht, wonach ich suche? - Nicht nach üppigem Geruche! - laß uns wachen, Pilgerin! - Brich dir eine dieser Blüten; - und, im Haar die weiße Blume, - folge mir zum Heiligtume, - nimm die Ewigkeit da hin ... - - -Nacht - - „Willst du mich denn +nie+ erhören? - Nennst du dazu mich die Deine, - um mich langsam zu zerstören? - Ich zerfalle fast in Stücke; - wohin führt nun diese Brücke, - die der Mond in Schatten legt? - Immer neue Meilensteine! - ich bin müde! mich bewegt - keine Liebe mehr zum Ruhme, - auch zu keinem Heiligtume; - nimm mir aus dem Haar die Blume -- - sieh, mein Einziger, ich weine.“ - - Weine, weine, wein es aus! - O, nun darf ich mich dir beugen, - Weib, dort schimmert unser Haus. - Hinter jener hellen Scheibe, - nur noch Seele, nur noch Sinn, - die du bist und der ich bin, - werden wir mit nacktem Leibe - einen neuen Menschen zeugen -- - o du Meine, nimm mich hin! - - - - -Eine Lebensmesse - -Dichtung für ein festliches Spiel - - -Chor der Greise: - - Wenn der Mensch, - der dem Schicksal gewachsen ist, - sein zerfurchtes Gesicht - vor der Allmacht der Menschheit beugt, - nur noch vor der Menschheit: - dann wird seine Seele wie ein Kind, - das im Dunkeln mit geschlossenen Augen - an die Märchen der Mutter denkt. - Alle Sterne - werden dann sein Spielzeug; - durch das wilde Feuerwerk der Welt - kreist er furchtlos mit den unsichtbaren - mütterlichen Flügeln, - sieht er innig und verwundert zu, - wie das Leben - aus der Werkstatt des Todes sprüht. - Denn nicht über sich, - denn nicht außer sich, - nur noch in sich - sucht die Allmacht der Mensch, - der dem Schicksal gewachsen ist. - - -Eine Jungfrau: - - Aber wenn auf Frühlingswegen - durch den scheinbar dürren Hain - alle Kräuter mir entgegen - wachsen, wenn im Sonnenschein - jedes Auge Osterkerzen - aus sich ausstrahlt, Mensch und Tier, - und mir geht das so zu Herzen, - daß mich meine Brüste schmerzen: - dann gerat ich außer mir! - und ich werf mich zum Erbarmen - in den rauhen Rasen hin, - und ich möchte das Schicksal umarmen, - dem ich doch gewachsen bin! - - -Chor der Väter: - - Eine wandelnde Wage - ist der Mensch. - Mit Haupt, Herz, Händen - wägt er sein Wohl; - nur mit der Rechten gibt er den Ausschlag, - und seine Zunge schreit nach Gleichgewicht. - Fass festen Fuß, - du hast die Macht der Wahl! - Es kommen Viele - vor Sehnsucht nie zum Ziel; - gern bis zum Äußersten geht der Mensch - in seiner Ohnmacht, und Tat wird Untat. - Doch immer treibt ihn - die Sehnsucht nach Ruhe: - rastlos rast er von Brust zu Brust, - Schooß zu Schooß, - und sucht nichts als den Menschen, - der dem Schicksal gewachsen ist. - - -Ein Held: - - Kommt mir nicht mit Euerm Treiben, - ich weiß kein Ziel, ich will kein Wohl! - ich habe nur dies mein Herz im Leibe, - das von jeher überschwoll. - Ich hatte Freunde, ich gab Gelage, - und manches Weib war mir zu Sinn; - aber an einem Sommertage - zeigte sich mit Einem Schlage, - wozu Ich gewachsen bin. - Das Spiel der Hörner und der Geigen - verstummte plötzlich wüst und irr: - mitten durch den Erntereigen - kam ein losgerissener Stier. - Und da riß mich mein Herz vom Platze, - und man griff nach mir vor Schreck; - aber mit Einem Satze - schlug ich dem Freund in die Fratze, - stieß ich das Weibsbild weg! - Und jetzt reit ich von Sieg zu Siegen - bahnfrei auf meinem Stier dahin, - bis ich dem Schicksal erliege, - dem ich gewachsen bin. - - -Chor der Mütter: - - Mit Schweiß und Tränen - und manchem Tropfen Blut - setzen wir Kinder auf diese Erde - und lehren sie Vorsicht - und üben Nachsicht, - bis sie sich selbst mehr lieben als uns. - Und Schweiß und Tränen - und Ströme von Blut - vergießen die Kinder dieser Erde - vor lauter Vorsicht - und lehren Nachsicht - und lernen nie, was Liebe ist. - Denn Schweiß und Tränen - und alles Blut - vergessen wir entzückt, wenn Einer, - den Blick der Sonne oder fernsten Sternen zugewandt, - über die Erde hinstürmt ohne Vorsicht, - ohne Nachsicht, - über sich und Andre hin. - Jeder Lehre zuwider, - nur dem Leben zu Liebe, - rühmen wir Kindern und Kindeskindern - opferselig den Einen, - schöpferselig den Menschen, - der dem Schicksal gewachsen ist. - - -Eine Waise: - - Ich kenne Keinen, - der mich will leben sehn: - ich möchte weinen, - aber um wen! - Bald kommt der Herbst mit seinen Stürmen, - die Blätter schwirren; - wo werd’ich irren, - wenn sie den winzigsten Gewürmen - Heimstätten türmen? - Wohl stehn mir Hütten, - Paläste offen; - aber ich möchte mein Herz ausschütten, - Einem ins Herz zu wachsen hoffen, - und dann stehn die Menschen betroffen. - Könnt ich noch weinen, - wäre mir wohl zu Sinn; - ich kenne Keinen, - dem ich gewachsen bin. - - -Zwei erfahrene Sonderlinge: - - Wenn uns Hilferufe schmerzen, - können wir nicht abseits bleiben; - eins und gleich ist unsern Herzen, - was uns treibt und was wir treiben. - Sei getrost! - - -Der eine allein: - - Komm an meinen stillen See, - wenn die Menschen dich nicht wollen. - - -Der andre allein: - - Komm auf meinen wilden Strom! - sieh, wie hell die Wellen rollen! - - -Der Eine: - - Aber unten ist es dunkel; - komm an meinen stillen See! - Bis zum Grunde welch Gefunkel, - wenn die Sonne taucht ins Feuchte; - und in Nächten welch Geleuchte, - Welten flimmern auf wie Schnee! - Kannst du dich denn noch besinnen, - wenn dir alle Himmel winken? - wenn sie dir zu Füßen sinken - und dich spiegeln und dich trinken! - Lächelnd gehst du unter drinnen. - - -Der Andre: - - O, du kannst dich noch besinnen; - aber komm auf meinen Strom! - Da rauscht und raunt der Urton drinnen, - dem Wellen, Wolken, Wälder, Zinnen, - Berge und Burgen entgegenrinnen, - und orgelstürmisch Dom auf Dom: - der Ton des Ursprungs aller Ziele, - der Tropfenstürze um dich her, - des Abgrunds unter deinem Kiele -- - Und so gehst du mit klingendem Spiele - lachend auf ins große Meer! - - -Die Waise: - - Auf --! Ach --: weise -- lieb und weise - lachen sie mich Beide an. - Ach, wem dank ich für die Reise? - Bin ich doch nur +eine+ Waise, - die sich nicht zerreißen kann! - - -Die zwei Sonderlinge: - - Hahahah, du liebes Kind! - Ohne Einfalt ist am Ende - alle Weisheit taub und blind. - Komm: vereine unsre Hände -- - - -Die drei Einigen: - - die dem Schicksal gewachsen sind! - - -Der Held: - - Wenn ich Euch in Eintracht sehe, - wird mir plötzlich kalt und heiß; - durch mein Herz brandet ein Wehe, - das sich nicht zu lassen weiß. - Holt mir jene Jungfrau vom Wege, - der das Land zu eng war hier! - Schwillt mir Deren Herz entgegen, - will ich sie an Mein Herz legen, - und ich +schlacht+ ihr meinen Stier! - Und wir steigen zu Schiff und lenken - uns durch Wetter und Wasser und Wind; - und sie soll mir Kinder schenken, - die dem Schicksal gewachsen sind! - - -Chor der Kinder: - - Dann wird ein Winter kommen, - friert alles Wasser zu: - da haben alle Wellen, - alle Schifflein Ruh. - Und ein stiller Weihnachtsengel - geht von Haus zu Haus, - hebt seine weißen Finger, - dreht alle Lampen aus ... - Bringt ein grünes Bäumchen mit, - steckt neue Lichter auf; - das glänzt wie Frühlingsblütennacht, - und sind auch Früchte drauf. - Du stiller Weihnachtsengel, - mach uns geschickt wie Du! - wir sind ja noch so klein, so klein, - und wachsen immer zu ... - - -Die Greise: - - -- +immer zu+ -- -- - - -Alle Großen: - - Seele der Menschheit, - immer wieder - rührst du uns aus Kindermund. - Die du alle Tiere in dir trägst - und den Blumen ihre Farben sagst - und mit jauchzenden Jammerlauten, - daß sich Steine verwandeln, - Götter gebärst: - Warum suchen wir Dich, - die du +in+ uns bist, - uns in alle Welten schickst, - uns mit Übergewalten, - die den weisesten Mann empören, - zu Kindern machst, - die sich fromm in Alles schicken, - Alles, Alles, - die dem +Schicksal+ gewachsen sind?! -- - - - - -Zwiegesang überm Abgrund - - -Des Todes Stimme: - - Du pfadloser Sucher, - ich will dich heimfinden lassen. - Im Schneesturm, im Nebelbrodem, - im Blitzstrahl, im Wolkenbruch, - im berauschenden Wirbel des Lichts von Welle zu Welle - sollst du dich schaukeln traumgewiegt, - in jeder Luftspiegelung zuhause, - in jedem Steinfunken, jedem Samenflimmer, - ruhsamer Phönix im fliegenden Feuernest: - tu nur den Schritt jetzt, vor dem dir graut, - zu dem dein Grauen dich kniefällig lockt, - den einen Sprung von deinem erkrochenen Gipfel - in meine allbeschwingende, - allverschlingende, - unerschöpfliche Tiefe. - - -Eines Menschen Erwiderung: - - Versucher, zielloser du, - ich danke dir. - Hab ich nicht schon, was du alles versprichst? - Die Jagd durchs Luftmeer vom frühen Morgen an, - die Entzückung, mich wie ein Baum zu fühlen, - wenn ich die Arme ins Blaue strecke, - vogelleicht atmend mit heißen Lungenflügeln, - wurzelhafte Schwermut im Nerven- und Adern-Geflecht, - Kopf, Herz, Schooß voller Keimtriebe! - Und hab ein Ziel: - bei der Heimkehr Abends in stiller Kammer - den dunkeln Blick meiner lieben Frau, - mit dem sie mir den Schlaftrunk reicht, - einen irdnen Krug voll Milch oder Wein - und voll Ruhe. - - - - -Am Opferherd - - - Komm an mein Feuer, mein Weib, - es ist kalt in der Welt. - Komm an mein Feuer und lege - dein Ohr an mein Herz. - Komm an mein Feuer und mache aus meinen Händen - eine leuchtende Schale für die Wärme, - die wir -- o +wir+, mein Weib -- verschwenden - an die Welt. - - - - - Zwei Menschen - - Roman in Romanzen - - Dritte Ausgabe - - - - -Leitlied - - - Öffne still die Fensterscheibe, - die der volle Mond erhellt; - zwischen uns liegt Berg und Feld - und die Nacht, in der ich schreibe. - Aber öffne nur die Scheibe, - schau voll über Berg und Feld, - und hell siehst du, was ich schreibe, - an den Himmel schreibe: Wir Welt! - - - - -Erster Umkreis - --- Die Erkenntnis -- - - - - -Eingang - - - Steig auf, steig auf mit deinen Leidenschaften, - tu ab die lauliche Klagseligkeit; - lach oder weine, hab Lust, hab Leid, - und dann recke dich, bleib nicht haften! - Um den Drehpunkt des Lebens kreisen - Wonne und Schmerz mit gleichem Segen; - sieh, mit unaufhaltsamer Sehnsucht weisen - die Menschen einander Gott entgegen! - Stolpert auch Jeder über Leichen, - schaudre nicht davor zurück! - denn es gilt, o Mensch, ein Glück - ohne gleichen zu erreichen. - - - - -Vorgänge: I, 1-36 - - -1. - - Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; - der Mond lauft mit, sie schaun hinein. - Der Mond läuft über hohe Eichen; - kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, - in das die schwarzen Zacken reichen. - Die Stimme eines Weibes spricht: - - Ich trag ein Kind, und nit von Dir, - ich geh in Sünde neben dir. - Ich hab mich schwer an mir vergangen. - - Ich glaubte nicht mehr an ein Glück - und hatte doch ein schwer Verlangen - nach Lebensinhalt, nach Mutterglück - und Pflicht; da hab ich mich erfrecht, - da ließ ich schaudernd mein Geschlecht - von einem fremden Mann umfangen, - und hab mich noch dafür gesegnet. - Nun hat das Leben sich gerächt: - nun bin ich Dir, o Dir, begegnet. - - Sie geht mit ungelenkem Schritt. - Sie schaut empor; der Mond läuft mit. - Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht. - Die Stimme eines Mannes spricht: - - Das Kind, das du empfangen hast, - sei deiner Seele keine Last, - o sieh, wie klar das Weltall schimmert! - Es ist ein Glanz um alles her; - du treibst mit mir auf kaltem Meer, - doch eine eigne Wärme flimmert - von dir in mich, von mir in dich. - Die wird das fremde Kind verklären, - du wirst es mir von mir gebären; - du hast den Glanz in mich gebracht, - du hast mich selbst zum Kind gemacht. - - Er faßt sie um die starken Hüften. - Ihr Atem küßt sich in den Lüften. - Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht. - - -2. - - Die Sonne strahlt auf rauhen Reif; - Baum bei Baum steht weiß, steht steif. - Aus ihren Pelzen von Kristallen - lassen die Zweige Tropfen fallen. - Schon zeigt ein Wipfel nackte Spitzen, - die feucht und scheu gen Himmel blitzen. - Der Park will weinen, die Sonne lacht; - zwei Menschen beschauen die schmelzende Pracht. - Sie stehn auf eisernem Balkone. - Ein Mann sagt innig, sagt mit Hohn: - - So, Fürstin, wars im blendenden Saale. - So standest du bei deinem Gemahl - in deinem Pelz von Silberbrokat, - als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat. - Da: fühlst du’s noch? was war da ich, - der hergeschneite Unbekannte -- - und wie sich plötzlich außer sich - dein Auge doch in meines brannte - und immer nackter sich entspannte, - als ob im glitzernden Gehölze - das Schwarze aus dem Weißen schmölze. - Ja, Fürstin, da beherrscht ich mich - und küßte nicht, o Du, die Hand, - die schon zu mir herüberfand, - sonst hätt ich auch den Mund geküßt; - so klar, so starr ergriff mich dein Gelüst, - mit mir gleich zwei erschütterten Kristallen, - die mächtig warm das ewige Licht beschlich, - in Einen Tropfen zusammenzufallen. - So bist du mir; so rein, so frei! -- Und ich?? - - Hoch steht der Park mit Eis befiedert. - Die starren Wipfel, Trieb an Trieb, - erschauern wirr. Das Weib erwidert: - Ich weiß nicht, wie du bist -- du bist mir lieb -- - - Ein Windstoß stöbert durch den Park. - Zwei Menschen fröstelt bis ins Mark. - - -3. - - Aus erleuchteten Fensterräumen - tönt in die Nacht Musik und Tanz; - jenseits der Straße verschwimmt der Glanz - unter dunklen Trauerbäumen. - Ein Kirchhof schweigt da, Grab an Grab. - Das Licht prallt von den Leichensteinen, - die schwarz durch weiß zu huschen scheinen; - zwei Menschen wandeln auf und ab. - Am winterlich durchnäßten Zaune - tönt eines Weibes zögerndes Geraune: - - Schon Einmal wollt sich bei solchen Klängen - Einer in mein Innres drängen; - ich hatt ihn Jahr und Tag gekannt. - Wenn er in meiner Nähe stand, - ging mir das Blut in Feuerflüssen. - Als er mich endlich wagte zu küssen, - war alles in mir abgebrannt. - Ich hörte nur die Tanzmusik: - was er wie Sphärenklang empfand, - war mir Gedudel und Gequiek. - Ich konnt mir nit ein Wörtchen abringen. - Jetzt -- hör ich Engelsharfen klingen. - - Von den goldig glänzenden Lettern - der Gräber scheint der Glanz abzublättern, - das Licht schielt um die nassen Gitter. - Ein Mann gesteht, fast mit Gezitter: - - Wir haben einander sehr ähnlich gelebt. - Unsre Liebe tanzt auf Leichen, - die keine fromme Hand begräbt. - Noch gestern sah ich ein Gesicht erbleichen: - sie will vom Leben nichts als mich, - ich konnt ihr nichts als Mitleid reichen, - in das sich noch Verachtung schlich. - Ich liebe dich. - - Das Licht lacht auf den blanken Steinen. - Zwei Menschen möchten lachen und weinen. - - -4. - - Zwischen geputzten Herren und Damen, - die durch Zufall zusammenkamen, - wiegen zwei Menschen sich im Tanz; - um sie rauscht des Saales Glanz. - Bebend legt sich im Kreis der Kerzen - sein dunkles in ihr schwarzes Haar, - legt sich über zwei bebenden Herzen - an ihr Ohr sein Lippenpaar: - - Ja, du: wiege dich, laß dich führen, - und fühl’s, fühl’s: Niemand kann uns trennen! - Laß uns nichts als Uns noch spüren, - selig Seel in Seele brennen! - Zehn Jahr lang glaubt ich, daß ich liebte; - zu Hause sitzt mein Jugendglück, - sitzt und starrt auf Einst zurück, - als ich sie noch „ewig“ liebte. - - Nimm mich, wiege mich! -- Hingegeben - bringt sie jetzt ihr Kind zur Ruh; - ist auch +mein+ Kind! -- Nimm mich, Leben, - wiege, wiege mich, führ mich Du! - - Taumelnd drängt sich im Kreis der Kerzen - sein wirres in ihr wirres Haar, - drängt sich über zwei taumelnden Herzen - an sein Ohr ihr Lippenpaar: - - Ja, es wiegt uns! Nit erzählen! - Führe mich sanfter! Nit uns quälen! - du bist mir gut, ich bin dir gut. - Hab doch auch die Seel voll Schmerzen: - spür ein Kindchen unterm Herzen, - und ist nicht von Deinem Blut. - Sanfter noch -- mir braust vor Hitze; - komm, sei lieb, mein wilder Tor, - hüte deine Augenblitze -- - nick mal -- lach mal -- mir ins Ohr! - - Ihr schwarzes Haar erschauert ganz. - Zwei Menschen wanken; es stockt ihr Tanz. - - -5. - - Hitze schwingt. Ein Raum voll Schlangen - strömt durch Glas und Gitterstangen - Dunst; zwei Menschen stehn davor. - Die gesättigten Gewürme hängen - still in buntverflochtnen Strängen. - Einem Manne haucht ein Weib ins Ohr: - - Du, die Schlangen muß ich lieben. - Fühlst du die verhaltne Kraft, - wenn sie langsam sich verschieben? - Eine Schlange möcht ich mir wohl zähmen; - möcht ihr nit ein Gliedche lähmen, - wenn ihr Hals vor Zorn sich strafft. - Eh sie noch vermag zu fauchen, - werden ihre Augen nächtig -- - Sterne tauchen - wie aus Brunnenlöchern auf -- - setz ich ein Rubinenkrönche - auf ihr Stirnche: still, mei Söhnche, - züngle, Jüngle -- Ringle, lauf, - spiel mit mir! -- Du, Das wär prächtig. - - Hitze schwingt. In gleichen Zwischenräumen - tippt ihr Finger an die Scheibe; - ihre Augen stehn in Träumen. - Während sich zwei Vipern bäumen, - sagt ein Mann zu einem Weibe: - - Du mit deinem egyptischen Blick, - bist du so wie die dadrinnen? - Noch, du, kann ich dir entrinnen! - Daraus knüpft man sein Geschick, - was und wie man haßt und liebt. - Komm: wir wollen uns besinnen, - daß es Tiere in uns giebt! - - Hitze schwingt. Zwei Augen wühlen - brandbraun in zwei grauen kühlen; - doch die stählt ein blauer Bann. - Und zwei Seelen sehn sich funkelnd an. - - -6. - - Durch stille Dämmrung strahlt ein Weihnachtsbaum. - Zwei Menschen sitzen Hand in Hand und schweigen. - Die Lichter züngeln auf den heiligen Zweigen. - Ein Mann erhebt sich, wie im Traum: - - Ich kann zu keinem Gott mehr beten - als dem in dein-und-meiner Brust; - und an die Gottsucht der Propheten - denk ich mit Schrecken statt mit Lust. - Es war nicht Gott, womit sie nächtlich rangen: - es war das Tier in ihnen: qualbefangen - erlag’s dem ringenden Menschengeist. - O Weihnachtsbaum -- o wie sein Schimmer, - sein paradiesisches Geflimmer - gen Himmel züngelnd voller Schlänglein gleißt! - Wer kann noch ernst zum Christkind beten - und hört nicht tiefauf den Propheten, - indeß sein Mund die Kindlein preist, - zu sich und seiner Schlange sprechen: - du wirst mir in die Ferse stechen, - ich werde dir den Kopf zertreten! - - Ein Weib erhebt sich. Ihre Haut - schillert braun von Sommersprossen; - ihr Stirngeäder schwillt und blaut. - Sie spricht, von goldnem Glanz umflossen: - - Ich denk nicht nach um die Legenden, - die unsern Geist vieldeutig blenden; - ich freu mich nur, wie schön sie sind. - „Uns ist geboren heut ein Kind“ -- - das klingt mir so durch meine dunkelsten Gründe, - durch die zum Glück, dank einer Ahnensünde, - auch etwas Blut vom König David rinnt, - daß ich mich kaum vor Stolz und Wonne fasse - und deine Schlangenfabeln beinah hasse! - - Er lächelt eigen; sie sieht es nicht. - Ein Lied erhebt sich, fern, aus dunkler Gasse. - Zwei Menschen lauschen -- dem Lied, dem Licht. - - -7. - - Kaminfeuer und blauer Tag - liebkosen ein hohes Damengemach, - die Wärme scheint schier frühlingshell; - zwei Menschen ruhn auf einem Eisbärfell. - Der Mann bestarrt die meergrün seidnen Wände. - Das Weib faßt zärtlich seine Hände: - - Quälst dich schon wieder mit Alltagssachen? - Lukas! mein Traumprinz! sollst doch lachen! - Sollst uns mit Märchennamen taufen: - nit so hinterm Leben herlaufen, - nit so häßlich auf deiner Hut sein. - Weißt? wenn du lachst, Lux, muß alle Welt dir gut sein! - - Er lacht und küßt die schmeichelnden Fingerspitzen, - fährt durch den dunkeln Haarbusch sich, - und seine grauen Augen blitzen: - - Ja -- wenn ich traurig bin, hass ich mich; - dann wird wohl auch die Welt mich hassen. - Jetzt aber will ich dich beim Worte fassen, - Lea: höchst wirklich tauf ich dich. - Es tut nicht not, daß man dem Alltag trotzt; - es gibt kein Wort, das nicht von Märchen strotzt. - Drum bleibe nur das Wunder, das du bist, - und ich bin Lukas dein Evangelist. - Du bist die Fürstin Isabella Lea, - die löwenkühne Gottbeschwörerin; - aus deiner schwarzen Mähne, mea Dea, - lauscht Mutter Isis, Mutter Gäa - zum Lichtbringer Osiris hin. - Denn hier thront Lukas Lux, dein Sekretär, - das dunkle Raubtier mit den hellen Lichtern, - der Große Geist-Luchs der Indianermär, - verhaßt wie Lucifer den Blaßgesichtern. - So tauf und krön ich dich mit neuem Sinn: - komm, meine große Geistbeschwörerin! - - Er schlägt das weiße Fell um sie und sich. - Zwei Menschen freun sich königlich. - - -8. - - Sylvesternacht. Viel Glocken läuten. - Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn - den Dunst des Horizontes leuchten - und drüber die Millionen Sterne stehn. - Zwangvoll, um ein Weib nicht zu berühren, - lehnt ein Mann auf eisernem Balkone, - sagt mit trunknem, heiserm Ton, - während im Hause Gläser klirren: - - Dort schläft im Dunst mein Eheweib, - und Du -- besiehst mit mir die Sterne. - Und hinter uns trinkt Jemand Haut-Sauternes, - dem du gehörst mit deinem Leib, - mit deinem hoffnungsvollen Leib. - Himmel, Himmel, o könnt ich blind sein! - Lea! blind sein! wirklich noch Kind sein! - Nimm mir’s ab, dies eisige Grauen: - klar und kalt wie Gott durchschauen: - nur aus Leid ist Glück zu bauen. - Alles Leid ist Einsamkeit, - alles Glück Gemeinsamkeit -- - - Er stockt. Die Glocken rings verstummen; - es ist, als ob die Sterne summen. - Die Stirn erhebend sagt ein schwangres Weib: - - Nur mir, nur Gott gehört mein Leib. - Mir steht ein andrer Himmel offen, - als ihn die Leidenden ermessen. - Hast du dein eignes Wort vergessen: - Gott ist der Mensch, auf den wir hoffen?! - Uns ging kein Paradies verloren, - es wird erst von uns selbst geboren. - Schon reift in manchem Schooß auf Erden - ein neuer Menschensohn -- der sagt: - so ihr das Himmelreich nicht in euch tragt, - könnt ihr nicht wie die Kindlein werden! - - Es glitzern die Millionen Sterne; - zwei Menschen schauen in die Ferne. - - -9. - - Ein Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft, - zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft. - Immer wieder blickt ein Weib einen Mann - verstohlen an -- - seine offne Stirn, den kurzgehaltnen Bart, - den Mund von träumerisch verschlossener Art, - Hiebnarben neben den heftigen Nüstern -- - und fängt wie unwillkürlich an zu flüstern: - - Diese Nacht war furchtbar. Ich konnt nit schlafen: - mich quälten die unausgesprochnen Dinge. - Es war halb Traum halb Höllenstrafe. - Wie auf der Jagd -- als stäke mein Hals in Schlingen; - fern stand mein Gatte und schrie hetz-hetz! - Plötzlich ein Ruck: es war, als klinge - das Telephon am Kopfend’ meines Betts, - als wolle die Frau mich Grauenhaftes fragen, - die du -- o Lux: nit wahr? ich glaub, - Dir kann ich Alles, Alles sagen; - o furchtbar, sich mit Heimlichkeiten tragen! - Nit, du? -- Du! Lukas -- Bist du taub?! - - Schweigen. Ihre Augen schauen - nachtbraun seine morgengrauen - durch den Rauch verschleiert an. - Sacht die Lider schließend sagt ein Mann: - - Früher konnt ich schwer mit Leuten reden; - jetzt sprech ich mit dem Fremdesten gern. - Es geht ein Band von dir durch mich zu Jedem, - als wenn wir Alle Engel wärn. - Und doch: wer darf uns Teufeln trauen! - Schon Eva hat zu klar erkannt: - das Unerkannte ist es, was uns bannt. - Denn eine tiefe Wollust schläft im Grauen. - - Sie lächelt eigen; er sieht es nicht. - Sie hauchen wieder Ringe in die Luft. - Das Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft. - Zwei Menschen horchen, was ihr Innres spricht. - - -10. - - Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder, - blinde Spiegel, rostige Wappenschilder; - und hohe Aktenwände. Und inmitten - sitzen zwei Menschen mit seltsam kalten - Anstandsmienen da und halten - Konferenz mit einem dritten. - Dieser blickt korrekt gekleidet - und gelangweilt in die Welt, - während er verbindlichst leidet, - daß ein Mann ihm folgenden Vortrag hält: - - Hoheit, ich fand in den Archivpapieren, - die ich die Ehre habe zu registrieren, - gewisse halb politische Dokumente, - die mancher arg mißbrauchen könnte. - Hoheit wissen, die Welt steckt heute - voll explosibler Elemente; - und da in Fürstenhäusern manchmal Leute - antichambrieren, - die andern in die Karten schauen, - möchte ich lieber meinen Dienst quittieren, - wenn Hoheit mir nicht voll und ganz vertrauen. - - Hoheit räuspert sich und blickt voll Schonung - und gelangweilt in die Welt. - Da sich hierauf alles still verhält, - sagt ein Weib mit seltsamer Betonung: - - Herr Doktor, wir danken voll Verständnis. - Und, um Vertrauen mit Vertrauen zu ehren: - Hoheit mein Gatte huldigt der Erkenntnis, - dem Lauf der Welt kann niemand wehren. - - Ihr rascher Abschied träfe uns empfindlich; - ein Archivar von gleichen Qualitäten - scheint mir zur Zeit ganz unauffindlich. - Sie sind, Herr Doktor, voll und ganz vonnöten. - - Sie neigt das Haupt seltsam verbindlich; - Hoheit verneigt sich, wie es Brauch. - Zwei Menschen lächeln; der dritte auch. - - -11. - - Wolken flattern groß um den Mond; - als ob in staubenden goldbraunen Lappen - eine mächtige Zauberspinne thront. - Die Schritte zweier Menschen tappen - durch eine schattenflackernde Gasse. - Ein Weib sagt mit entzücktem Hasse: - - Mein Herz darf Freiheit von diesem Menschen verlangen, - der nichts als meine Mitgift hat gefreit, - und der nichts liebt als ein alt Krongeschmeid, - das Einzige, was Ich von ihm empfangen. - Es ist sehr schön -- ein Nest von blinden Schlangen - mit rauchtopasenen Stirn- und Rückenflächen; - draus äugt, wie jetzt der Mond durchs Dunkel, - ein großer bläulicher Karfunkel -- - den möcht ich ihm, das würde mich rächen, - über der Wiege meines Kinds zerbrechen! - - Wolken wühlen schwer um den Mond; - als ob durch silbergraue Schollen - mächtige Maulwürfe dringen wollen. - Ein Mann entgegnet, sehr betonend: - - Was du von ihm empfangen hast, - ist meiner Seele keine Last; - auch nicht das Kind von seinem Blut! - Aber ich hab ein unabwälzbares Grauen - vor den Gelüsten schwangrer Frauen; - die sind der Seele blindeste Brut. - Vergleich mir nicht den Reiz von toten Steinen - mit dem belebenden Licht, dem reinen; - daß du jetzt arm bist, leite dich hinauf! - Was buhlst du mit Topasen und Karfunkeln -- - sei reicher --: hebe deine dunkeln - Augen mit mir zum Himmel auf! - - Er staunt: sie steht jäh still im Schreiten: - in ihren Augen und Mundwinkeln streiten - Auflehnung, Pein, Verwundrung, Glück, Ermatten. - Zwei Menschen werfen Einen Schatten. - - -12. - - Kälte glänzt auf den Feldern. - Arm in Arm, Hand in Hand - sehen zwei Menschen aus fernen Wäldern - über das starrgefrorne Land - die Sonne steigen. - Ein Mann bricht das Schweigen: - - Und wärst du arm wie jetzt die nackte Natur, - und wär ich jeder andern Empfindung bar - und spürte nur - den rauhen Maiduft aus deinem Haar, - der wie das Moos- und Kienharz-Schwelicht - meiner Heimatwälder mich beseligt, - es wär mir Inhalt genug vom Leben: - du hast mir den ewigen Frühling gegeben. - Du bist mir blutlieb! -- blick nicht so kalt - auf deinen Fuß, der meinem gleicht! - Was tust du stolz, wenn mit Gewalt - meine Seele sich deiner neigt? - Komm, sei mein Leichtfuß! komm dort auf den Hügel, - wo die zwei Rehe im Sonnenglanz ruhn; - ich geh in deinen, du gehst in meinen Schuhn, - und wenn wir wollen, haben wir Flügel! - - Das Weib blickt nach den scheuen Tieren. - Dann weicht ein starrer Zug von ihren - Lippen, als gebe sie etwas preis: - - Ja? tu ich kalt? -- Ja: kalt wie Eis, - eh’s sacht zerschmilzt in warmer Menschenhand, - daß sie heiß wird wie Feuerbrand. - Ja --: Kalt oder heiß! nur nit lau! - schwarz oder weiß! nur nit grau! - das ist der Wahlspruch einer „armen“ Frau. - - Sie lacht; es klingt ihm hell wie Scherz - und grell wie Schmerz im Sonnenscheine. - Sie legt die Hand, groß wie die seine, - aus seinem Arm fest auf ihr Herz. - Zwei Menschen kämen gern ins Reine. - - -13. - - Der Tag hat aufgehört zu schnein. - Der graue Eichwald reckt sich, weiß belastet, - von einem letzten Licht betastet. - Zwei Menschen waten querforstein. - Tief Atem schöpfend sagt ein Weib und rastet: - - Ich bad so gern durch frischen Schnee, - durch den noch Keiner gegangen ist. - Wenn ich die reine Spur dann seh, - die wie vom Himmel gefallen ist, - dann kommt mein Pfad mir her aus einem Garten, - wo ich als Kind in einer Schneenacht stand, - weil ich den lieben Tag nit konnt erwarten, - der mir zurückgab mein hell Heimatland, - wo Wald und Berg und Tal nach allen Seiten - in hundert lachenden Linien sich verzweigt, - wo in die leuchtenden Ewigkeiten - Rebhügel über Hügel steigt, - und all die Höhen, die blauen, verflicht in Eins - die tiefe grüne Schlucht des Rheins. - Hier aber -- -- Sie erschauert, schweigt, - - ein Mann spricht wie voll jungen Weins: - - Hier graut im Schnee mein ernstes märkisches Land, - dies Land, in dem sich Rußlands Steppen - schwer zu Deutschlands Bergen hinschleppen. - O, aber sieh’s erst im Sommergewand, - wie’s dann drin summt und hummelt und tummelt und tut, - wenn hoch im Abendsonnenbrand - der alten Kiefern verschämte Glut - sich aufreckt aus der Versunkenheit! - Dann atmen die Wiesen Unendlichkeit. - Dann blaut hinter den Bäumen her ein Duft - wie fernes Meer aus tiefer Kluft. - Dann ins Unabsehbare sieh ihn ziehn: - in hundert Windungen, himmelhell, den Rhin! - - Er glüht; sie strahlt, küßt seine Hand. - Zwei Menschen danken ihrem Vaterland. - - -14. - - Die Sonne scheint in einen Blumenladen, - durch den ein Flor von Orchideen schwillt; - ein Eishauch klärt die Stadt. Zwei Menschen baden - sich in dem Duft, der durch die Scheiben quillt. - Bunt lechzen Schooß an Schooß die fleckigen Blüten. - Ein Mann bekennt aus innerm Brüten: - - Sonst graute mir vor schwangern Frauen, - als wär ich einer Verwachsnen begegnet; - Dich kann ich wie die Blumen beschauen - und fühle wirklich, du bist „gesegnet“. - Meine Vaterschaft war mir Zufallsmache, - alle Vaterliebe Gewohnheitssache -- - jetzt möcht ich beten: o wäre dein Kind von Mir! - Und doch: auf diese reine Begier, - Lea, aus der ich eben erwache, - fällt mir das schamlose Blühen hier - wie eine Befleckung: ich verübe - nur Tierisches -- das ist das Trübe. - - Er will die Straße weiter, wie duftbeklommen; - er fühlt sich heimlich beim Arm genommen, - tief wird das Weib gegrüßt von irgendwem. - Sie nickt kalt, lächelt angenehm. - Dann folgt sie ihm, wie zu sich selbst gekommen: - - Vergleich dies Glück dem tierischen nicht! - Einst meint ich zu sterben am Ekel der Begattung, - und ich begriff das Wort „Beschattung“ -- - jetzt leb ich wie die Pflanze dem Licht: - mit einer Sehnsucht, Lukas, wie eine Blinde! - Ich muß dir ja dies Fleisch und Blut noch wehren; - aber würdest du’s nicht begehren, - ich würde verkümmern, glaub ich, samt meinem Kinde. - Was ist da trüb? Ich seh nicht, was. - Wir leben, wir lieben -- wie klar ist das! - - Sie muß von neuem grüßen: Herren zu Pferde. - Die lächeln mit galanter Geberde. - Zwei Menschen blicken auf die kalte Erde. - - -15. - - Es wird dunkler; immer heller blitzen - durch die Asche im Kamin die Kohlen. - Am Klavier, an dem zwei Menschen sitzen, - stockt ein halbverhaltnes Atemholen. - Eine Wiegenweise bannt noch beide; - aber endlich lacht das Weib und spricht, - blau umrauscht vom Mutterhoffnungskleide: - - Du machst schon wieder dein russisch Gesicht. - Was hast denn wieder Graues zu schleppen? - Kannst denn nit +auch+ mal aufglühn wie deine Steppen, - eh der Regen vom Himmel bricht?! - Du sollst ja all mein, all mein Labsal noch schlürfen, - darfst doch schon kosten, und sollst es dürfen: - meine Kniee nehmen, die Schönheitsflecken - auf meinen braunen Brüsten entdecken, - meinem Mund, meinem Schooß deine Notdurft stammeln, - all mein Schmachten auf deine Lippen sammeln -- - ja fühlst denn nit, einfältiger Mann, - wie vielfältig man küssen kann?! - - Halblaut greift sie Töne; sie hüpfen wie Bälle. - Es wird dunkler; eine breite Welle - Glut erlischt in seinem Bart. - Und er sagt unsäglich zart: - - Du machst schon wieder zu deinen hellen Terzen - Augen, die so verwirrend schimmern - wie Spinnwebnetze in finstern Zimmern, - wenn ein paar Streifchen Licht drauf fielen; - ich ließ dich spinnen und weben von Herzen, - nun willst du Fliege mit mir spielen. - So spiel denn! spiele, Spinnchen -- und lerne fliegen: - ich nehme dich mit: komm, Herz, ich weiß ein Land, - wo wir den Blick des Kindes wiederkriegen, - der gläubig eine Kachelofenwand, - auf die der Schein des Nacht-Öllämpchens fällt, - für einen Himmel voller Sterne hält! - - Und zwei Menschen vergessen die Welt. - - -16. - - Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel, - Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel: - ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin. - Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel. - Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel. - Jetzt reckt er das Kinn: - - Lea! seit meinen Jugendjahren - bin ich nicht so im Fluge gefahren, - so rasend noch nie. - Aber noch rasender wars gestern Morgen, - als ich im Sturm deinen Namen schrie - und, als wäre mein Gott drin verborgen, - mit ihm rang um dich, Knie an Knie: - schleife mich, Sturmgott, um die Erde, - sei sie unrein, sei sie rein! - gönne mir nur kein Glück am Herde, - hingerissen will ich sein! - Sage mir -- Du! ich frage dich: schreit - +Dein+ Gott +auch+ so Meinen Namen? - Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen? - Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?! - - Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon. - Die Zügel schlackern, die Bügel bäumen schon. - Das Weib umschlingt ihn fallbereit: - - Nenn’s nicht Wahnsinn! nenn’s lieber Ahnsinn! - Lukas, ich hab in manchen furchtbaren Wochen - dagelegen wie zerbrochen, - und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen! - Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen! - Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste, - als ob es die Sonne blindmachen müßte! - Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche, - und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche, - ich lasse mich wiegen, du -- wiegen -- wiegen -- - - Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel. - Zwei Menschen glauben sich im Himmel. - - -17. - - Ampelschatten hüllt vier bebende Lippen. - Der Park wankt, als wühlten Geister drin; - Nachtsturm reißt an den Fensterrippen. - Die dunkeln Lebensbäume schwippen - tief zur verschneiten Erde hin. - - Die bebenden Lippen atmen so schwer, - wie Menschen atmen, um nicht zu stöhnen. - Dumpf horcht der Mann nach den heulenden Tönen, - die bald aufhimmeln, bald tierisch röcheln. - Er preßt die Adern auf seinen Knöcheln; - das Weib, stumm wie er, - ist ihm zu Füßen vom Diwan gesunken, - sie ringt die Finger auf seinen Knien. - Ihre schwangern Hüften umschauern ihn. - Sie stammelt trunken: - - So komm doch! nimm mich doch! trag mich weg! - ich will ja blindlings Alles dir geben! - Und wenns mich umbringt hier auf dem Fleck, - ich will ja mein eigen Blut hergeben! - Nur schau nicht so grauenhaft tot ins Leben! - - Sie klammert sich hoch an seinen Armen - an seine Brust; die hämmert zum Sturmerbarmen. - Er stöhnt. Sie schüttelt ihn: komm! Sie hört - ihn betteln: ja komm! Sie liegt emporgerissen - auf seinen entbreiteten Fäusten mit schwebenden Füßen, - und --: verstört - graben zwei Augen ihr aus den Eingeweiden - eine Nacht von Entsetzen und Weh: - - Geh -- keucht er -- geh! - Dein -- +sein+ Kind regt sich zwischen uns beiden! - - Er reißt sie an sich, reißt sich los; - der Sturm heult wahre Trauer-Oden. - Komm! ringen vier Hände Schooß an Schooß. - Geh! holen zwei Arme riesengroß - aus zum Stoß. - Zwei Menschen winden sich am Boden. - - -18. - - In das Geräusch eines Bierlokals, - in das Rauschen großstädtischen Straßenskandals - mischt sich wie Kettengerassel ein Ton. - Elektrisches Glühlicht kämpft in den Ecken - mit blassem Taglicht und Schattenflecken. - Ein Mann spricht horchend durchs Telephon: - - Lea! -- Hörst du? -- Was ist geschehn? - Gestern Abend -- hörst du? -- es war eben zehn: - dein Brief aus deinen großen Schmerzen - lag mir wie Albdruck auf dem Herzen -- - Auf Einmal: ich wagte kein Glied zu regen, - so hatt ich die Angst des Unterliegens -- - auf einmal kann ich mich frei bewegen: - mich hebt ein Gefühl vollkommenen Fliegens - wie über ein Ufer, über ein Meer -- - Sag: hat meine Seele hellgesehen? - bist du erlöst von deinen Wehen? - Sprich doch! Was atmest du so schwer?! - - Er horcht. Durch das Geräusch des Lokals, - durch das Rauschen des Straßenskandals, - durch eine Stille hohlsausend und leer - kommt eines Weibes Stimme her: - - Deine Seele hat hellgesehen: - ich bin erlöst von meinen Wehen: - mir lebt ein Kind. - Es liegt wie Albdruck auf meinem Herzen. - Es sieht nicht meine großen Schmerzen. - Es -- ist -- blind -- -- - - In das Rauschen des Straßenskandals, - in die Geräusche des Bierlokals - mischt sich wie Kettengerassel ein Ton; - ein Mann verläßt das Telephon. - Er hört im Hintergrund einen Herrn - „Kellner, mehr Licht auf Erden!“ schrein, - und ein Gelächter hinterdrein. - Zwei Menschen sind einander fern. - - -19. - - Mondlicht greift durch bleiche Gardinen, - legt Flecke auf ein Himmelbette. - Zwei Menschen sehn’s mit bleichen Mienen, - sehn die Flecke in schleichender Kette - grell ein Kind, das schläft, umkränzen: - es schläft mit offnen Augenlidern. - Die stillen Augensterne glänzen: - glänzen weiß, wie blindes Eis. - Ein Weib schluchzt auf mit allen Gliedern. - Wie aus einem Abgrund gerissen - starrt ihr schwarzes Haar aus den Kissen, - haucht sie heiß: - - Mir lebt dies Kind, und nicht von Dir; - ich lieg in Dankbarkeit vor dir. - Ich lag bis heute wie unter Steinen, - wie unter einer Sticklast Schnee: - du bist gekommen, nun kann ich weinen. - Jetzt aber -- geh! - Ich will vor dir kein Klagweib sein; - laß mich, solang ich lieg, allein. - - Der bleiche Mann im Vollmondlicht - neigt sein unbewegtes Gesicht. - Sein Blick weilt wie in weiten Fernen - auf den blinden Augensternen. - Und er spricht: - - Das Kind, das du geboren hast, - sei deiner Seele keine Last: - sieh, wie sein Schlaf das Helle trinkt! - Es scheint ein Licht durch unsre Welt zu wehen, - das alles andere, gröbere Licht beschwingt; - in ihm wird dieses Kind aufgehen. - Es wird die irdische Qual nicht sehen. - Wir werden’s leiten wie auf Wolkenauen. - Es wird das innere Weltlicht schauen. - - Er küßt sie, geht; sein Schatten streift das Kind. - Zwei Menschen sehn, daß sie auf Erden sind. - - -20. - - Eisblumen und Hyazinthenduft - ringen mit warmer Zimmerluft; - weiße Seide umbauscht ein braunes Weib. - Ein Mann sieht ihren genesenen Leib - auf schmiegsamsten indischen Kissen ruhn; - ihr Goldbrokatschuh streift den Boden. - Er steht in blauen Segeltuchschuhn, - seine Radfahrjacke von graugrünem Loden - zuknöpfend, einen Brief in Händen, - und fragt, indem er drin Kniffe zieht: - - Willst du dir auch die Augen blenden, - weil du ein Kind hast, das nicht sieht?! - Ich soll mit dir „ins Weite gehen“? - Was gehn heißt, wirst du bald verstehen, - wenn du mit deinen zarten Zehen - erst barfuß für uns betteln mußt; - ich glaube, da würde dir die Lust - zur blinden Liebe sehr schnell +ver+gehen. - Einst, ja, da nahm ich Kredit aufs Leben - und schlug die Schulden in den Wind; - aber als Vater lernt man eben, - was wir dem Dasein schuldig sind. - Das träumt nicht wie die grünen Seelen, - die sich vorm Leben ins Blaue stehlen, - bis die ergraute Welt sich rächt. - Und klein beigeben mit großem Munde: - dann gehn wir an uns selbst zu Grunde -- - nit, Lea? das steht Uns Beiden schlecht! - - Er legt ihren Brief sehr zart auf ihr Knie; - sie wiegt ihren Goldschuh. Dann antwortet sie: - - Du hast sehr blaue Schuh an, sehr blaue; - du kommst wohl von einer -- „Wolkenaue“?! - Aber ich dank dir; du sprachst sehr klar - Ja ja: man träumt oft wunderbar! - - Ihr Goldschuh zieht im Teppich einen Strich. - Zwei Menschen lächeln bitterlich. - - -21. - - Nur an den Eichen bebt noch braunes Laub; - es bebt im Wind. Und wenn die Spechte klettern, - dann weht der Schnee wie Kieselstaub - und knistert in den abgefallnen Blättern. - Zwei Menschen sehn im Park den Abend zaudern. - Ein Weib bezwingt ein leises Schaudern: - - Heut hat ein Mensch mir leidgetan, - der sonst mein Weichstes zur Erstarrung brachte. - Er hat mir nie ein Leid getan - seit jener Nacht, die mich zur Mutter machte; - er ist fast stumpfer als ein Scherben. - Heut aber, vor dem blinden Leibeserben, - vergaß er selbst sein gnädiges Stottern: - er saß nur da und ließ sich schlottern. - Ich mußt ihn immerfort betrachten, - ihn halb bedauern halb verachten. - - Der Mann an ihrer Seite nickt; - er sieht im kahlen Park den Abend dämmern, - er hört im hohlen Holz die Spechte hämmern. - Er sagt, indem er einen Zweig zerknickt: - - Ich fühle jeden Tag mein Herz in Nöten, - wenn eine Frau sich mit Erröten, - und wie zur Abwehr blaß und zart doch, - samt unserm Töchterchen an mich drängt, - während vielleicht in meinem Bart noch - der Hauch von deinen Küssen hängt. - Ich kann sie nicht so flach bedauern; - ich würde lieber mit ihr trauern, - könnt ich wie sie mich sanft und klug besiegen - und leidenswillig den Nacken biegen. - Jawohl, wir sind von härterem Holz; - von Eichen bricht man keine Gerten. - Drum wolln wir nicht noch selber uns verhärten; - denn daß wir Mitleid schenken, macht uns +stolz+. - - Er horcht: ein Rauschen stört das Spechtgekletter: - zwei Menschen gehn durch abgefallne Blätter. - - -22. - - Die Nacht am Horizont gähnt Strahlen, - als wolle der Himmel die Erde verzehren - oder ein neues Gestirn gebären; - zwei Menschen sehn ein Nordlicht prahlen. - Sie stehn auf eisernem Balkone; - sie sehn den Glanz elektrisch zucken, - sich auf und ab ins Dunkel ducken. - Ein Mann sagt schmeichelnd, sagt mit Hohn: - - Das, Fürstin, scheint mir recht ein Thron - für deinen neuen Menschensohn. - Ich möcht ganz lange Arme haben: - dann setzt’ich dich mit deinem blinden Knaben - dort auf die herrlichste Flackersträhne. - Ich seh ihn, wie er deine Mähne - schwarzstrahlig durch den Weltraum spannt, - hoch über allen Sinn und Verstand. - Du hast doch gar zu tolles Haar; - für eine Mutter sonderbar! - - Dem Weib zucken die Augenbrauen; - wo die schwarzen Bogen sich spalten, - zittern zwei kleine quere Falten, - wie ein zerbrochenes Kreuz zu schauen. - Sie sagt verhalten: - - Du zielst fehl auf mein Mutterherz, - Dir lacht es selbst beim bittersten Scherz. - Ich gebe Nichts an mein Kind verloren. - Ich fühle nicht: dies Kind ist Mein. - Ich fühl: ich hab einen Menschen geboren - zu seiner eigenen Lust und Pein! - Ich geb ihm meinen Glückwunsch blos -- - und trage noch manchen Wunsch im Schooß -- - Weib sein ist +doch+ das herrlichste Los! -- - - Ihr dunkler Blick hat sich gefeuchtet. - Der Mann streicht ihr wild Haar versonnen - glatt wie zum Scheitel der Madonnen. - Zwei Menschen sehn die Nacht erleuchtet. - - -23. - - Kaminfeuer und Morgenrotschimmer - schmücken ein hohes Damenzimmer. - Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide - ihre nackten Arme beide - vor einem Mann breit in die Luft - und lacht, umschwebt von Mandelduft: - - Ich glaub, ich bin noch immer schön; - mein Kind hat mir nichts weggenommen. - Und hättst mich eben baden sehn, - du wärst mit mir gen Himmel geschwommen! - Was stehst denn wieder wie im Schlaf? - O Lux, was bist du für ein -- Schaf! - - Er lächelt eigen, sie merkt es nicht: - er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht. - Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell. - Er fragt halbhell: - - Schönheit? -- das ist mir nichts als Hülle - um irgend eine Liebreizfülle. - Der Reiz zur Liebe und zum Leben, - wenn den die Reize einer Gestalt - mir wie aus eigner Seele eingeben, - dann bin ich -- schön in ihrer Gewalt; - sonst sind sie angeflogne Schäume, - Nachwehen toter Künstlerträume. - Du würdest ja Raffael nicht entzücken: - du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen. - Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen. - Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken - taugen zu keiner klassischen Ode; - und dein klassisch Kinn ist garnit mehr Mode. - Aber -- jetzt will ich die Augen zudrücken, - will nichts mehr fühlen als deinen Bann, - nichts küssen als deine Wildkatzenstirne; - und wärst du die durchtriebenste Dirne, - du wirst mir eine Heilige dann -- -- - - Prüfend blicken zwei Seelen einander an. - - -24. - - Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen; - sie schweigen schneebedrückt. Zwei Menschen lauschen, - wenn manchmal durch den schwerbeladnen Wald - das Eis der fernen Seeen knallt. - Dann scheinen tiefer noch gesenkt - die dunkeln, weißgesäumten Äste, - um die das Frühlicht machtlos hängt. - Ein Mann spricht mit ergriffner Geste: - - Das ist wie eine Versammlung von Greisen - um ein fremdes Täuflingsbette. - Keiner rührt mit seinen weisen - Händen an die Schicksalskette. - Sie lassen stumm das Unverwandte - zwischen ihren Seelen schweben. - Sie segnen fromm das Unbekannte - es wehrt dem Überdruß am Leben. - Sie schenken jedem Morgengrauen - ohne Anspruch ihr Vertrauen. - - Durch den schwer beladenen Wald - geht auf einmal ein Schattenwanken; - von den Zweigen, die noch schwanken, - fällt der Schnee, zu Schlacken geballt. - Über ein Weib kommt ein Gedanke: - - Lieber, du sollst dich nicht verstellen! - Wenn unter diesen starren Bäumen, - so oft der Eisschreck draußen schallt, - Echos wie aus schweren Träumen - in mein warmes Leben kalt - diesen Todesschauer bellen, - daß wir unser Glück versäumen -- - dann sollst du nicht mit solchen ausgedachten - Bildern mich zu prüfen trachten, - dann sollst du mit mir fühlen und denken: - wir wollen Nichts, rein Nichts dem Schicksal schenken! - - Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen. - Zwei Menschen scheinen auf ihr Herz zu lauschen. - - -25. - - Jeder Hauch stockt. Aus den Mooren - steht der Nebel wie angefroren, - ob auch fern der Himmel loht; - zwei Menschen schaun ins Abendrot. - Einsam hebt ein Birkenstämmchen - aus dem bleichen Rauch sein Reisig; - in der Spitze zaudert eisig - noch ein Blättchen wie ein Flämmchen. - Und ein Weib bemerkt verloren: - - Das steht nun da wie’n Waisenkind, - das weder Vater noch Mutter kennt, - von aller Heimat abgetrennt; - Stiefmutter Sonne stellt sich blind. - Und ob auch fern der Himmel brennt, - es sehnt sich nicht, es rührt sich kaum, - leidlos wie der Geist im Raum. - - Jeder Hauch stockt -- sie erschrickt: - von dem kahlen Birkenstämmchen - ist das letzte Blatt geknickt. - Zaudernd sinkt das fahle Flämmchen - in das rauchverhüllte Land. - Und ein Mann hebt Haupt und Hand: - - Liebe, du sollst dich nicht verstecken! - Ich seh aus deinem tiefen Schrecken, - wie dich der leere Raum bedrückt. - So wills der Geist; wenn nur drei Birken - das Grauen der Unendlichkeit bezirken, - dann ist das Auge schon beglückt. - Er will und kann nicht einsam sein: - er lebt davon, sich umzuschauen. - Drum sinne nicht zuviel in dich hinein! - Denn eine schlimme Wollust schläft im Grauen. - - Jeder Hauch stockt. Rot und stumm - starrt der Himmel wie eingefroren - durch den Nebel auf den Mooren. - Zwei Menschen kehren langsam um. - - -26. - - Über altersgrauen offnen Folianten, - zwischen Schränken mit verstaubten Kanten, - rostigen Waffen, bunten Wappenschildern, - blinden Spiegeln, dunkeln Ahnenbildern, - hängt ein goldner Streifen Licht. - Sonnenstäubchen schweifen dicht - um das Schnitzwerk hoher Stühle; - kommen noch dichter ins Gewühle, - denn ein Mann berührt ein Weib und spricht: - - Das hab ich mir als Kind beim Klettern - im grünen Forst nicht träumen lassen, - daß ich in diesen vergilbten Blättern - einst suchen würde Boden zu fassen. - Es ist für dich geweihter Boden, - du willst einen uralten Wipfel lichten; - ich seh nur tote Wurzelschichten, - kaum noch wert sie auszuroden. - Wie zur Erinnerung blüht da matt - noch manch Blaublümlein Ehrenpreis; - aber der morsche Stammbaum hat - als letzten Sproß ein blindes Reis. - - Er will zuklappen. Er stockt. Die Funken - der Sonnenstäubchen stieben wie trunken. - Denn das Weib umschlingt ihn leis: - - Drücken dich wieder die blauen Schuh? - Was mußt denn gleich so quer immer denken! - Du mußt dich liebender versenken - in diese stillen Dinge, du. - Sonst drückst mir ja das Herz ganz zu; - und gelt? das willst doch offen sehn. - Ich soll mich dir doch blos gestehn! - Ich wollt auch -- wollt dir längst schon sagen: - mein Kind, Lux -- Nein: ich wollt dich fragen: - ich möcht dein Töchterchen mal sehn! - - Sie klappt zu, hastig; es stiebt zum Blenden. - Zwei Menschen müssen den Blick abwenden. - - -27. - - Unter taktvoll schreitenden Kostümen, - die den Rausch vergangener Zeiten rühmen, - überschaut ein Weib ein nächtlich Fest. - Weiß verschleiert Haar und Ohr und Wange, - vor der Stirn die goldne Isis-Spange, - steht sie groß in starrem Asbest. - Fast so groß wie jener Mann, - der aus dunkler Magier-Augenbinde - um sich blickt wie auf Gesinde. - Und sie naht sich ihm und rührt ihn an: - - Zaubrer -- du kennst die Schlange, und kennst den Drachen, - die den schweren Weg der Liebe auf Erden bewachen. - Ich kenn eine Mutter in einer Not; - die streckt allnächtlich zum Tag die dunkeln Hände, - daß er ein Schicksal von ihrem Herzen abwende, - mit dem ihr blindes Kind sie bedroht. - Soll sie mit Augen der Schlange ihr Nest behüten? - soll sie den Drachen bitten, darin zu wüten? -- - Hell beginnt der wimmelnde Saal zu klingen, - taktvoll läßt der Schwarm der Kostüme sich leiten, - bis sie sich rauschend zu Paaren in Kreisen schwingen, - die der Magier und das Weib umschreiten: - - Göttin, ich kenne die Schlange, und kenn auch den Drachen, - die den schweren Weg der Liebe gen Himmel bewachen -- - und kenn eine Mutter in andern Nöten; - die würde mit ihren blassen Händen - ihr Kind, ihr sehendes, lieber noch heute töten, - als je ihr Herz von ihrer Brut abwenden. - Mutter Isis, begreif deine Erde freier! - horch, dein Magier lüftet den Gäa-Schleier: - Sie träumt seit je das Ungeheuerliche, - Unwirkliche, höchst Abenteuerliche, - doch was er wirkt, der Traum, ist das Gewöhnliche, - und was er birgt, das tiefst Versöhnliche. - - Er unterbricht ihr einsam Gewander; - zwei Menschen tanzen miteinander. - - -28. - - Es schwebt ein Klingen übers Eis, - wie ferne Frühlingsstimmen leis. - Blaß starrt der See. Auf blitzenden Eisen - fassen sich, fliehn sich zwei Menschen und kreisen. - Jetzt kommt der Mann in scharfem Bogen - vor das Weib herumgeflogen - und faßt sie fester und bäumt im Sprung: - - Halt! -- Gelt, Frau Fürstin, das wär ohne Schwung: - vom Schlittschuhlaufen zum Strümpfestopfen, - vom Radfahren zum Steineklopfen, - das wär doch gar zu harte Bahn? - Ja, du: ich lief durch manchen Wahn, - als mich das Jugendblut noch trieb, - mit offner Hand an jedes Herz zu stürzen, - bis mir am eignen Herd nichts übrig blieb - als wenig Fleisch mit viel Gewürzen. - Zwar, mir ist mancher zugetan - so in der Welt, der wohl was opfern würde, - beehrt’ich ihn mit dieser Bürde; - aber -- -- Er läßt sich rückwärts kreisen. - - Blaß starrt der See. Sie folgt. Die Eisen - blitzen schriller übers Eis. - Sicher folgt und fragt sie leis: - - Und wenns für dich nun +keine+ Bürde wäre, - Steine für deine arme Herrin zu klopfen? - Und wenns für mich nun eine Würde wäre, - Strümpfe für meinen reichen Herrn zu stopfen? - Und wenn ich wähnte: das ist kein Wahn, - so ganz bin ich dir zugetan -- - und bin dir auch ganz aufgetan -- - - Sie schreit wild: Lukas! -- Ein Knall, ein Sprung, - hoch hat der Mann sie an sich gerissen. - Es donnert unter ihren Füßen, - es klafft. Er bäumt mit ihr im Schwung. - Es ist nur ein ganz schmaler Spalt. - Zwei Menschen lachen, daß es schallt. - - -29. - - Nun scheinen selbst die Blumengewinde - der indischen Kissen voll Frühlingssehnen; - am Fenster schmilzt die letzte blinde - Eisblume unter hellen Tränen. - Ein Mann sieht die barocken Ranken - mehr und mehr durchsichtig schimmern, - gleißend Gold in Silber flimmern; - er sitzt in drückenden Gedanken. - Er neigt noch tiefer Stirn und Ohr: - er hat ein Weib am Herzen liegen, - mit Augen, die zur Sonne fliegen. - Sie flüstert, glüht an ihm empor: - - Und heb mich wieder so herrlich hoch, - und trag mich fort, o trag mich fort! - Und wären die Berge noch so hoch, - ich will dir folgen an jeden Ort; - ich will dir alles, alles hingeben! - Verkauf mein letztes bißchen Schmuck, - nimm mir mein Eigenstes, nimm mir’s Leben; - nur fort, nur fort aus diesem Druck! - Und wenn wirs bis zum Bettelstab bringen, - und wenn wir verlumpen, wenn wir verdrecken, - dann wirds wohl überall noch gelingen, - eine Schachtel Zündhölzchen zu erschwingen - und den nächsten Wald in Brand zu stecken, - und selig will ich mit dir zusammen - wie eine Hindufrau stehn und flammen! - - Sie lächelt seltsam; er sieht es nicht. - Sie hebt das Haupt -- sie sieht ein Gesicht - heiß von bebenden Narben zerrissen; - das starrt auf die gleißenden Fenster und Kissen - mit dem Ausdruck eines Steins, - der zerspringen will, und spricht - - mühsam: Und dein Kind? -- Und -- meins? - - Da sinkt ihr Haupt in seinen Schooß; - zwei Menschen weinen fassungslos. - - -30. - - Der Himmel scheint blutunterlaufen. - Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn - die Türme hoch in dunkler Rotglut stehn; - die Stadt raucht wie ein Scheiterhaufen. - Ein Weib lehnt an der Fensterborte, - düster, wie aus Erz gebaut. - Der Glanz macht ihre braune Haut - glühender als eine Braut. - So hört sie eines Mannes Worte: - - Dein Herr Gemahl? Nein: der ist nicht im Wege. - Er hat ja Augen, und kann noch welche pachten. - Und träf er mich in seinem Gehege, - ich würd ihn mir sehr höflich betrachten: - Hoheit, Sie dürfen mich verachten, - Sie können, wenn Sie’s wagen, mich töten. - Ich würde vielleicht, wer weiß, dabei erröten; - das tut mein Körper leider noch, - wenn ihm das Herzblut hochsteigt -- doch - mein Geist ist +über+ diesen Nöten. - Ja, Lea: begreifst du, was das heißt: - ich will getrieben sein vom Geist!? - Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen - und nichts mehr wissen will als seine Triebe, - dann offenbart sich ihm das weise Wesen - verliebter Torheit: die große Liebe. - Du bist noch nicht so zwecklos mein; - du willst noch mich, ich soll noch dich befrein. - Dies blinde Kind aus fremden Lenden, - es scheint uns immer zuzuschauen, - ob wir nicht sein Vertrauen schänden. - Und siehst du: Das -- jawohl -- das macht mir Grauen! - - Er bebt; er zerrt an seinem Bart. - Das braune Weib wird bleich, wird rot. - Dann sagt sie leise, mühsam, hart: - - Das Kind, vor dem dir graut, ist tot -- -- - - Zwei Menschen schweigen wie erstarrt. - - -31. - - Der Mond bescheint ein steinernes Portal, - durch kahle Zweige eine feuchte Schwelle. - Die Zweige leuchten wie aus Stahl. - Zwei Menschen stehn in einer Grabkapelle. - Der Mond legt Schatten auf ein totes Kind; - nur seine beiden offnen Augen glänzen. - Sie glänzen wie die Blumen an den Kränzen, - bleich und blind. - Sie glänzen bleicher als der Vollmondschein. - Ein Weib höhnt in die Nacht hinein: - - Ich hatt ein Kind, und nicht von Dir, - ich steh in Freiheit neben dir; - ich bin erlöst, wenn Du, wenn Du es bist! - Ich bin die Fürstin Isabella Lea, - die auf dem Weg der Liebe gen Himmel ist -- - ich, Mutter Isis, Mutter Gäa, - die willig ihre eignen Kinder frißt, - der irdischen Gerechtigkeit entrückt. - Ist nun mein Gott, mein Lucifer, beglückt?? - - Sie wankt; sie hat die Augen zugedrückt. - Ein Mann legt ihr die Hand auf Stirn und Haare. - Er spricht -- sein Blick verschlingt die dunkle Bahre: - - Das Kind, das du getötet hast, - war meiner Seele nicht die Last - auf unsrer Wallfahrt zu der Freiheit, - die Einheit schafft aus aller Zweiheit. - Aber du hast mich tief verwandelt; - du hast für mich aus einem Geist gehandelt, - der nichts mehr will als klar am Ziele ruhn -- - so komm! -- ich weiß jetzt: du kannst schweigen. - Ich habe Manches in der Welt zu tun, - Lea; und Das -- nun ja, das wird sich zeigen. - Im übrigen, Madam: es wohnen - noch Krüppel genug auf Fürstenthronen! - - Er küßt ihr Stirn und Augen, wie zur Weihe. - Zwei Menschen wenden sich ins Freie. - - -32. - - Hellblauer Himmel mit weißen Streifen - läßt alle Saatfelder grüner prangen. - Und den Bäumen am Wege muß wohl ein Bangen - vor den mächtigen Roßschweifen - des Windes durch die Knospen wehen: - sie zittern. Aber zwei Menschen gehen - ruhig einen Wiesenrain hinan. - Einem Weibe erwidert ein Mann: - - Mein Töchterchen? -- Ja -- sonderbar: - sie sagte -- sie meinte wohl dein Auge und Haar --: - du sähst ganz schwarz aus, ganz schwarz und heiß, - aber inwendig wärst du wohl weiß. - Nun stehst du wieder, wie zur Erstarrung geneigt. - Lea, sieh um dich! Sieh, wie alles sich ändert: - wie jeder Baum sein Wachstum klarer zeigt, - wie’s lichtbegehrlich aus Spitze an Spitze springt, - wie er die Triebkraft, die alle zackt und rändert, - mit eignem Umriß trotzig zum Ausdruck bringt! - Dann preist dir jedes Hälmchen im Feld - den Geist der körperlichen Welt. - Dann sagt dir jeder Lebenshauch: - wie du dich gibst, so +bist+ du auch! - - Er stutzt: Sie lächelt ins Blaue hinein. - Sie steigt still über den Wiesenrain. - Sie bricht sich einen Knospenzweig ab. - Sie hebt ihn wie einen Zauberstab: - - Wenn ich nun aber nach jenen Wolken weise, - die unter der Sonne den Abendhimmel streifen, - und nun im Geist nach Morgenländern reise -- - dann mögen sie noch so eigen anders schweifen, - die ganze Landschaft versichert mir: - wie du mich +nimmst+, so bin ich dir! - - Sie stutzt: Er weist still über die Wiesen: - die sehn noch aus wie abgeweidet. - Die Wolken werfen Schatten wie Riesen. - Zwei Menschen merken, was sie scheidet. - - -33. - - Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint; - bis in den Wald herüber klingt es leise. - Hell vor sich hin erwiedert eine Meise: - ich fühls, ich fühls, wie lieb, wie lieb sie’s meint. - Die Finken sind verstummt: ein Rappe schnaubt - und schüttelt sein Geschirr. Zwei Menschen streichen - dem edlen Tier die dampfend heißen Weichen. - Nun hebt das Weib ihr dunkles Haupt: - - Als du vorhin so kerzengrad anhieltest, - fiel mir ein Traum ein, der mir gestern träumte. - Es war, als ob du fern die Laute spieltest; - ich stand am Meer, in dem die Nacht noch säumte. - Da kam, auftauchend mit dem Morgenrot, - gerudert von zwölf tiefgebückten Herren, - die Kronen trugen, ein gewaltiges Boot; - ich sah die Herren wie an Ketten zerren. - Am Steuer aber, über ihnen frei, - stand Einer, der war nackt, und glänzte. Und -- - - sie stockt: der Rappe, zitternd, stampft den Grund, - sie zittert mit -- sie hören auf zu streichen, - der Mann nimmt ihr das Wort vom Mund: - - Und Er, der Glänzende, gab dir ein Zeichen - und kam mit seinem Lautenspiel herbei. - Und Du, du mußtest ihm die Hände reichen - und folgtest ihm und seiner Melodei. - Und wenn du staunst, wieso ich alldas weiß, - dann staune auch, wieso dies Tier mitbebte, - als meine Seele so in deiner lebte, - wie seine Haut in unsrer Hand so heiß. - Und staune, Seele, was dich so beschwingt, - daß du die Meise zwitschern hörst: ich bin’s! - und was dich lerchengleich zu jubeln zwingt! - und wie’s dich wieder wie als Kind durchdringt, - das Glück folgsamen Eigensinns! - - Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint; - zwei Menschen ahnen, was sie eint. - - -34. - - Fern in jungen Birken spielt der Wind, - scheint das scheue Frührot anzuschüren. - Von der zarten Glut umglänzt beginnt - eine Mühle sich zu rühren; - rosig schauert das grüne Feld. - Wo der altersgraue Park sich lichtet, - unweit einer Grabkapelle, - grüßt ein Weib ins Freie, Helle, - blitzt ein Stahlrad auf, blitzt und hält, - schwenkt ein Mann die Rechte, heiß hochgerichtet: - - Frühling! -- endlich! -- wie drängt das, mitzutun! - Mir war, als müßt ich über dies Saatenmeer - mit meinen blauen Segeltuchschuhn - wie die Schwalben hin und her! - Herrlich: so schweben, fliegende Blicke werfen! - Wie alle Sinne sich an einander schärfen! - Man wird bis in die volle Brust - seiner eignen Gotteskraft bewußt; - und selbst aus Grabesfinsternissen - lacht es „All Heil, Welt!“ dies neue Gewissen. - - Funkelnd streift sein Grußblick die Kapelle. - Aber da, statt mitzugrüßen, - bebt das Weib empor, Zorntränen quellen: - - Ich weiß nur Eins, und geb’s auch Dir zu wissen: - mir lacht dein Weltall gar zu bunt! - Mir ist mein Herz, hier dies mein Herz, zerrissen, - und wär so gern, o Gott wie gern, gesund! - Und quälte das Deinen Gott auch nur zum Teilchen - wie Mich, du küßtest dir die Lippen wund - und heiltest, heiltest mich! ja nick nur! Und -- - ach, Lukas, sieh: das erste Veilchen! - - Sie steht auf einmal ganz beglückt, - daß er, entzückt, sich bückt, es pflückt, - es ihr an Herz und Lippen drückt - und wie ein Junge lacht dazu. - Zwei Menschen lassen Gott in Ruh. - - -35. - - Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht. - Es regt sich nur das Licht der tausend Sterne. - Und Frühlingshauch. Und dunkelblaue Ferne. - Und manchmal eine Fledermaus auf Jagd. - Und Atemzüge, unterdrückt und schwer, - voller Spannung, mehr und mehr. - Jetzt rauscht ein Seidenglanz und bricht den Bann: - ein Weib drängt sich an einen Mann: - - Lukas! was liegst du wie vom Alb gedrückt, - als ob du nichts von meinem Dasein fühltest! - Meinst du, mich hat die Zukunft +nicht+ bedrückt, - wenn du mich Tag für Tag für Tag hinhieltest? - Und jetzt, wo dieser Druck mich fast erstickt -- - Du -- Lukas?! -- Wenn du -- wenn du mit mir spieltest -- - - Sie schüttelt ihn, ihr Augenglanz wird hart; - er starrt hinein, wie vorher in die Ferne. - Und wieder regt sich nur das Licht der Sterne, - die Jagd der Fledermäuse. Und sie starrt: - sie starrt wie er -- will drohn -- da wirkt sein Bann: - sie zuckt, sie nickt, sie lacht ihn traumhaft an. - Und traumhaft geht sein Wort ihr zu Gemüt: - - Fürstin, ich will nichts halb. Ich will dich sehn, - in ganzer Schönheit, ganzer Häßlichkeit. - Ich will vor dir, du sollst vor mir bestehn, - vom Alb der scheuen Ahnungen befreit; - ich will die nackteste Befreiung. - Wenn dann die Male deiner Mutterwehn - dich nicht dem Gott in meiner Brust verleiden - oder dem Tier in unsern Eingeweiden, - will ich nach soviel Sehnsucht und Kasteiung - nicht wie ein Nachttier mich mit dir vergehn: - ich will mit dir ins Licht der Menschlichkeit! - Sei bereit! -- - - Er küßt sie wach; er drängt sie sanft zurück. - Sie sitzt und sinnt, wie über Raum und Zeit. - Zwei Menschen beten für ihr Glück. - - -36. - - Und lichter als der lichte Tag im Zimmer - und immer lichter schauert ein Geflimmer - von Kerzen über helle Blumen hin. - Still schwebt um silberblau gestickte Kissen - der Duft des weißen Flieders, der Narzissen. - Und durch die Bläue, durch die Blumen hin - zittert die Luft, als ob sich Herzen rühren: - zwei Menschen stehn -- noch tönen still die Türen -- - mit Augen, die den Himmel nahe spüren, - enthüllt bis zu den Hüften da: - - ein Mann mahnt: du! -- ein Weib haucht: ja. - - Still sinkt ihr Arm von ihren braunen Brüsten, - die Lichter schauern immer schimmernder; - sein Blick erbebt, als ob sie lodern müßten. - Die Blumen atmen immer flimmernder. - Die Sterne an den silberblauen Wänden - erstrahlen wie in keiner Nacht so blank. - Still nestelt sie am Goldband ihrer Lenden; - sein Körper spannt sich unter innern Bränden, - wie eines Kämpfers straff und schlank. - Still schaut sie auf. Er muß die Augen schließen. - Still weht ein Flor zu Boden. Er will sehn! - Er sieht nur, wie zwei Augen Licht ergießen, - zwei dunkle Augen, die ihm zugestehn - -- still -- - was er will. - Er will sie ganz mit seinem Blick erkennen; - er sieht sie ganz nach seinem Blick entbrennen. - Er will nichts mehr als stehn und stehn - und still in ihre Seele sehn. - Er steht und muß die Hände heben, - als blende ihn das ewige Leben; - und dunkel rauscht der Weltraum. Da - - mahnt +sie+ ihn: du -- da haucht er: ja -- - - und alles rauscht tief innerlich. - Zwei nackte Menschen einen sich. - - - - -Zweiter Umkreis - --- Die Seligkeit -- - - - - -Eingang - - - Halt ein, halt ein -- weit über jenen Gleisen, - wo man noch Höhen sieht und Tiefen; - nun sollst du erst das wahre Leben umkreisen - und sollst der Allmacht Deine Macht verbriefen. - Sieh: zwei Adler steuern, vom Sturm getrieben, - über allem Erdentrott! - Du aber bist noch Mensch geblieben: - du atmest und entatmest Gott. - Willst du nicht das Ewige selbst erreichen? - oh, dann laß auch Gott zurück! - denn es gilt, o Mensch, dein Glück - mit dem Weltglück zu vergleichen. - - - - -Vorgänge: II, 1-36 - - -1. - - Zwei Menschen reiten durch maihellen Hain, - galopp, galopp, von Schatten zu Sonnenschein; - alle Blätter sind grüne Flammen. - Wenn der Himmel erscheint, wenn die Pferde aufschnauben, - sehn sich die Beiden mit jauchzenden Augen - immer wieder beisammen - und werfen den Kopf wie die Tiere. - Immer wieder streckt durch die goldnen Strahlen - auf dem schmalen - Moosweg zwischen den hohen Stämmen - dann ein dunkler Schemen - halb Chimäre halb Drache - hopp alle Viere. - Da müssen sie lachen - und werfen dem Untier Kußhände zu. - Und das Weib kann den Jubel nicht länger dämmen, - laut scheucht ihr Ruf die Mittagsruh: - - Echo! Echo! stimm ein, stimm ein -- - es wollt eine Seele sich befrein, - da band das Glück ihr die Hände! - O Meiner, hilf mir die Arme breiten! - halt mich gefangen, du, ohne Ende! - ach könnt ich ewig so weiter reiten! - - Und der Mann, plötzlich die Sporen gebend, - in die Brusttasche greifend, im Sattel sich hebend, - jagt vor ihr her fort: - - Komm, ich nehm dich beim Wort! - Und wenn ich die Freiheit drüber verliere: - hier -- es lebe die Tat -- ist das nöt’ge klein Geld! - ~voilà, madame~: Banknoten! -- gelt: - die sind doch mehr wert als Archivpapiere?! - - Er schwenkt die blauen Lappen in der Sonne; - er lacht, daß ein fast schreckhaft Echo gellt. - Sie hat kaum zugehört vor Frühlingswonne. - Aufbäumend gleißt ihr Rappe in der Sonne; - zwei Menschen reiten in die Welt. - - -2. - - Und sie machen Halt und lugen aus. - Da liegt, von Epheu eingehüllt, - im Kiefernhochwald still ein kleines Haus; - die graue Lichtung ist erfüllt - vom kühlen Duft des Morgentaus. - Der Mann blickt lange auf die beiden Linden - am moosbedeckten Zaun des alten Herdes. - Dann greift er in die Mähne seines Pferdes - und nimmt ein Haar und übergibt’s den Winden: - - Sieh, Meine, so werf ich hinter mich, - was uns noch scheidet durch Erinnerungen. - Dort halten Zwei in treuen Armen sich, - die träumen jetzt vielleicht von ihrem Jungen, - wie er sein Kind herzt, väterlich. - Sie haben Alles in mir großgehegt, - wodurch sich Menschenseelen glücklich schätzen; - doch wüßten sie, welch Glück mich jetzt bewegt, - und welches Leid es Andern auferlegt, - sie würden sich vor ihrem Sohn entsetzen. - - Er blickt kalt weg, er lächelt befangen. - Das Weib hebt sacht vom Sattelknauf die Hand. - Sie hat das Haar im Flattern aufgefangen; - sie hält’s wie zum Zerreißen gespannt. - Nun reicht sie’s ihm zurück mit fröstelnden Wangen: - - Nein, Lux: so leicht verwirft man nicht. - Was hilft dein Lächeln -- ich seh dein wahres Gesicht; - uns scheidet Alles, was uns nicht gesellt. - Du willst mir helfen, mich in mein Schicksal schicken; - wohlan! so zeige mir mit immer wärmeren Blicken - versöhnt die Zwietracht dieser Welt! - - Da fliegt ein Glanz rings übers Haidekraut: - die Sonne kommt durchs Holz. Ein Hund gibt Laut; - ein Ruf hallt jenseits des Geheges. - Das Haar entweht. Hell dräut das Hirschgeweih - vom grauen First der Försterei; - zwei Menschen reiten eilends ihres Weges. - - -3. - - Und auf einer Landstraße begegnet ihnen - eine Heerde Schafe, vom Abendrot beschienen; - sie müssen durch den Staub. - Der lahme Hirt hebt besorgt seinen Stecken, - daß die Pferde wie rasend vor der Mißgestalt erschrecken, - aus den Zügeln gehn, hussa, quer durch den Haufen. - Hinter ihnen her lärmts blökend und blaffend, - eine Weile -- dann stoppt der tolle Ritt; - sie zwingen die Gäule zum spanischen Schritt. - Und das Weib sagt lächelnd, die Schleppe raffend: - - Als ich gestern den Brief -- du weißt -- abschickte, - da wurde mir auf einmal klar, - wie dienlich der goldne Käfig mir war, - in dessen Luft ich beinah erstickte. - Wie hat diese Luft mir doch erst eingegeben, - was es bedeutet, sich ganz ausleben: - ganz in ein anderes Leben hin! - Wie kann ich jetzt in jedem Baum aufgehen: - das Wachstum jeder Blüte läßt mich sehen, - was du mir bist, was ich dir bin. - Wie glänzt mir selbst der Krüppel dort im Staube: - er ist so eins mit seinen Hunden - wie Gott mit seiner Welt! -- Ich glaube, - das hätt ich früher nicht empfunden. - - Früher -- nickt der Mann, und klemmt die Kandare herunter, - denn sein Blauschimmel halst nach ihrem Rappen, - als wollten sie wieder durch die Lappen -- - Aber weißt du: steig lieber nicht weiter hinunter - in diese Welt der einfachen Seelen -- - sonst möchte dir Eins an ihrem Gottglück fehlen: - sie gehn nicht auf darin, sie gehn drin unter -- - unwissend! -- Ja: gottlob: nicht Einen Tag - wärst du im Stande, zwischen diesen Viehern - dich auszuleben -- oder sag: - möchtest du Tiere zu Erziehern? - - Zwei Menschen lachen; zwei Pferde wiehern. - - -4. - - Und es führt ein Wildsteg durch Farrenkraut bergan. - Über Moos und Felsen schlüpft hüpfend das Licht - und blitzt im Dickicht; fern ruft ein Kuckuk. - Und es sprudelt ein Wasser durch tiefen, tiefen Tann; - da sitzt ein nacktes Weib, das Kränze flicht, - Kränze um einen glitzernden Mann. - Der singsangt: - - Vor der Nixe vom Rhein kniet der Kobold vom Rhin - und bringt schön bang seine Brautschätze dar: - blaue Blumen, die nur im Freien blühn, - Männertreu, Pferdefuß, Jungfer im Grün, - und zur Hochzeit ein stumm Musikantenpaar: - Unke, die munkelt nur, - Glühwurm karfunkelt nur: - Ellewelline, husch, tanze danach! - Ein Herr Eidechs hatte einmal zwei Frauen, - denen er sehr am Herzen lag: - eine, der gab er sein tiefstes Vertrauen, - darauf lief er der andern nach. - Ellewelline, tanz Serpentine: - schwarz ist die Nacht, und bunt ist der Tag! - Und der Kuckuk ruft, und der Bergquell sprudelt; - und das dunkle Weib bekränzt ihr schwarz Haar. - Und sie summt -- und das Licht in der Welle strudelt - kühl und warm, wirr und klar --: - - Ellewelline tanzt Serpentine, - o ja, Herr Eidechs, sonderbar! - Sie schwamm eines Nachts um den Nixenstein: - da konnt sie den ganzen Tag Kobolde frein, - jeden Tag ein paar, - macht fast tausend im Jahr. - Aber ans Ufer kam einfach ein Mann: - der hatte blaue Schuh, blaue Himmelschuh an -- - Amen! - - Und der Kuckuk ruft, als fänd’er kein Ende; - da falten die zwei Menschen die Hände. - - -5. - - Und es liegt ein Strom im Tal, und Nebel steigen; - der Strom glänzt gläsern und scheint stillzustehn. - Aus grüner Dämmrung dehnen und verzweigen - die Wälder sich zu hundert blauen Höhn. - Ein dunkles Schloß wiegt zwischen seinen Giebeln - den großen goldnen Mond; zwei Fenster glühn. - Und drunter winden sich an Rebenhügeln - die Lichter kleiner Städte hin. - - Dort -- sagt das Weib und weist mit der Gerte - von ihrem Pferd ins Zwielicht hinab -- - dort ging ich eines Nachts von Grab zu Grab - und weinte bis zur Herzenshärte. - In die Strudel im Strom, ins Gewirr der Bäume, - zu den Sternen, die über die Berge starrten, - verstieß ich meine Himmelsträume - und verließ meine Toten, verschloß meinen Garten. - Keine Seele fragte mehr nach meiner, - kein Geist der Väter trat her zu mir; - nur die reiche Erbin wollte manch einer. - So ging ich ins Leben. So kam ich zu Dir. - - Lange schweigt der Mann. Die Pferde scharren. - Ein Stein rollt zu Tal, ein Echo weckend. - Und das Weib beginnt in den Mond zu starren. - Da sagt er leise, den Arm ausstreckend: - - Komm -- es wollt eine Seele sich befrein, - da band ihr die Sehnsucht die Hände. - Was beschwörst du Schatten am grünen Rhein! - Sieh dort in die Lichter mit mir hinein, - in die Heimat ohne Ende! - Sieh: ist nicht der Himmel herabgesunken, - dein dunkles Tal wie von innen erhellt! - Sternbildern gleich glänzt Funken neben Funken, - vom Geist der Väter alle zusammengestellt. - Und mild belebt das irdische Gräberfeld - der tote Mond, vom Licht der Sonne trunken. - - Zwei Menschen atmen auf, in ihrer Welt. - - -6. - - Und wieder dämpft ein dumpfes Wiehern und Schnauben, - das durch den Schatten stiller Büsche rauscht, - im hohen Holz das Gurren der wilden Tauben; - und das Weib lauscht. - Der schlafende Mann in ihrem Schooß - hat schwer gestöhnt; soll sie ihn rütteln? - Da öffnet er die Augen -- grauengroß. - Er sieht die Blumen blühn im schwülen Moos. - Und jäh, als wollt er einen Wurm abschütteln, - macht er sich los: - - Das war, weiß Gott, ein Teufelstraum! - Ich saß mit dir in einem alten Park; - zuweilen ritten Leute hin am Saum. - Und plötzlich kam ein Reiter, jung und stark; - der fing uns an im Zirkel zu umtraben, - in immer gleichem, ziellos gleichem Kreise, - und doch so eifrig wie auf einer Reise, - als möcht er Ruhe, endlich Ruhe haben. - Er schien uns beide garnicht zu beachten. - Und langsam übermannte mich ein Schauer: - er wurde immer älter, immer grauer. - Ich mußt ihn immer sinnender betrachten, - mit immer tiefer angestrengten Blicken. - Dann sah ich Roß und Reiter gräßlich nicken, - mit Augen, die mich immer irrer machten; - ich wollte schrein vor sinnloser Beschwerde. - Und als mich deine Hände zu mir brachten, - fühlt ich mit Grauen: das war der Geist der Erde. - - Er küßt ihr dankbar die Rechte. Sie nickt und lauscht. - Er sieht die Blumen blühen im stillen Moos. - Er hört den Wald antworten; es gurrt und rauscht. - Er fühlt zwei Augen schweigen. Die sinnen blos: - - ich weiß einen Himmel -- grauen+los+ -- - - und er schließt die Arme um einen Schooß. - Da rauscht es wieder: zwei Pferde stecken - die Köpfe durchs Dickicht. Zwei Menschen erschrecken. - - -7. - - Und endlich kommt eine Hütte in Sicht. - Es regnet, daß sich an den Wegen - die Halme in den Schlamm der Berge legen; - er spritzt den Reitern ins Gesicht. - Sie müssen immer mehr die Köpfe neigen: - Kirschbaum bei Kirschbaum, immer tiefer, - spritzt Blütenfluten von den Zweigen, - sie kleben fest wie Ungeziefer. - Das Weib spricht: - - Mir ist, als ritten wir zum Jüngsten Gericht; - der liebe Gott weint seine dicksten Tränen. - Ich triefe wie die Pferdemähnen, - und paradiesisch riecht mein Rappe nicht! - - Sie wischt sich heftig den Brei von Hals und Hut. - Der Mann will längst ein Lächeln verbeißen. - Aber endlich zwingts ihn: er muß den Mund aufreißen - und lacht in hellem Übermut: - - Ei ei, Frau Fürstin! Gott ist gut! - er merkt, Ihr wollt in den Himmel kommen; - drum kommt uns der Himmel höchstselbst entgegengeschwommen -- - o Meine, sei keine Martersäule! - Allons, was starrst du! mein Schimmel hat Eile: - komm, im nächsten Pfarrdorf verkaufen wir die Gäule, - das wird unsrer Pilgerkasse frommen! - Dann rollst du zu Rade vor mir her, - wie Frau Fortuna erlaucht im Traum der Ahnen. - Kein Schmutz, kein Stallgeruch befleckt uns mehr, - kein Kohlenrauch von Eisenbahnen. - Dann reisen wir nur noch bei Sonnenschein - und lassen unsre Herzen brennen. - Und dann will ich nie mehr, ich schwör’s, dich Frau Fürstin nennen - und doch -- dein ergebenster Diener sein. - - Sie machen vor der Hütte Halt. - Er wischt den Schmutz von seinen und ihren - Händen; sie wehrt mit sanfter Gewalt. - Zwei Menschen steigen von den Tieren. - - -8. - - Und im Glanz, im bebenden blauen Glast - um zwei strahlende Stahlmaschinen - wiegt der Bergwind Blumen und Bienen; - traumhaft halten zwei Menschen Rast. - Traumhaft haucht ein Birkenstrauch - Duft und Dunkel um sie her. - Im Laubwerk spielt die Luft, bald sanft, bald sehr. - Die Gräser zittern zwischen ihnen. - Ein Mann summt: - - Nun laß die goldnen Schatten - durch deine Locken gleiten; - ich will dir eine Krone - aus lauter Licht bereiten. - Wiege mich, wiege mich: du sollst mir Alles sein: - wie ein klein Kindchen bedarf ich dein! -- - Siehst du den freien Himmel dort - aus den Klüften steigen? - ich seh eine Freifrau thronen, - ihrem Freiherrn tief leibeigen. - Wecke mich, wecke mich! ich will dir Alles sein: - ich kann dir Gott aufwiegen, bedarfst du mein. - - Traumhaft blickt das Weib den Weg zurück. - Um zwei strahlende Stahlmaschinen - wiegt der Bergwind Blumen und Bienen; - jede taumelt auf gut Glück. - Eine Stimme zittert hin zu ihnen: - - Siehst du an deiner Krone auch, - Kind, die schroffen Zinken? - Ich sah den freien Himmel, Herr, - in den Klüften versinken. - Hebe mich, halte mich, ich war so tief allein; - laß uns zusammen Alles sein! - - Traumhaft haucht der Birkenstrauch - taumelnde Schatten um sie her. - Im Laubwerk wogt das Licht, unendlich sehr. - Himmelluft hüllt zwei Menschen ein. - - -9. - - Und es wird immer freier. - Von den Bergen weichen die Morgenschleier. - Noch wanken Wolken in den Spalten; - aber aus allen grauen Falten - quellen und strahlen wie Diamant - Schneeadern nieder ins grüne Land, - die sich unten in klaren Bächen - Bahn zum dunkeln Strom hin brechen, - steil von Halde zu Halde schäumend. - Das Weib steht säumend: - - Wie strebt das alles weg von sich -- - o Meiner, Meiner: wohin, wohin! - Jeder Sturzbach zeigt mir, wie dein ich bin; - und doch lockt jede Wolke mich. - Mir ist so federleicht, zum Fliegen -- - was will dies Bangen, es ist kein Grauen: - jeden freien Abgrund möcht ich hinunterschauen, - zwischen Tod und Leben mich wiegen. - Zeig mir das Dorf, wo unsre Räder stehn: - ich kann’s ohne Wanken liegen sehn! - - Sie will sich über die Tiefe neigen. - Sie steht auf einmal tief erschrocken: - hohl erdröhnt das Tal von Glocken. - Sie weicht zurück. Der Mann lächelt eigen: - - Wohin -- nun fühlst du’s: nicht hinab! - da droht ein Gott: die Welt ist Mein. - Und nicht hinauf: da gähnt sein Grab. - Nur hin, nur hin -- dann ist sie Dein! - Dann wird sie dir das Ziel enthüllen, - zu dem der Gießbach stürzend springt: - mit Willigkeit den Willen zu erfüllen, - der alles Leben zu Todeslüsten beschwingt: - du wirst dir selbst, in weltlichen Parabeln, - der unbekannte Gott der alten Fabeln. - - Er winkt ihr, hält sie, läßt sie schweben; - zwei Menschen sehn ins ewige Leben. - - -10. - - Und sie steigen den bleichen Firnen zu, - von dem fernen stummen Blitzdunst umhaucht, - der die schwülen Almen, die Pfade, die dunkle Fluh, - die Hütten, die Heerden in Geisterlicht taucht -- - wie verzaubert staunt der Blick einer Kuh. - Groß voll Ruhe, weitauf trunken, - schlürft das Auge die Himmelsfunken, - reglos ragt das Hörnerpaar -- - - Wie die Götterfürstin starrte, - wenn sie auf den Gatten harrte, - dessen Gruß der Blitzschlag war -- - raunt der Mann dem schauenden Weibe - seltsam zu und macht sich frei. - Ein erstickter Schrei -- - sausend zuckt sein Bergstock an ihr vorbei -- - und ein Schritt, und funkelnd mit peitschendem Leibe - speit unter seinem knirschenden Schuh - eine Viper den letzten Blick ihr zu, - noch tötlich lauernd. - Schützend, schauernd - naht ihr seine Stimme: Du -- - innig bis ins bangste Mark: - Lea! meine Löwin! sei stark! - - Sie hat die großen Augen geschlossen; - wie ein klein Mädchen steht sie da - mit ihrer Haut voll Sommersprossen, - bleich vom Glanz der Blitze umflossen. - Wie verzaubert nickt sie: Ja -- - - ich weiß nit, wie mir eben geschah -- - halt mich noch ein Weilchen umfangen, - du warst so ruhig, bleib mir nah -- - ich wußt ja nicht: mir +graut+ vor Schlangen -- - bis unters Herz ist mirs gegangen -- - o geh mit deiner Löwin, du: - ich glaub, ich bin -- lach nit -- dei’ Kuh -- - - Und zwei Menschen segnen ihr Todesbangen. - - -11. - - Und sie seufzen auf aus Sturm und Nacht; - ohne Grenzen fühlt sich Arm in Arm. - Durch die rauschende Hütte, unendlich warm, - wogt und weht das Dunkel hin. Und der Schacht - des Rauchfangs funkelt so sternenweiß - wie auf den Bergen das schmelzende Eis. - Das Weib flüstert heiß: - - Und brächen da jetzt Lawinen herein, - ich würd aufjubeln: wir leben, leben! - Nicht Leib, nicht Seel mehr fühl ich Mein, - wenn ich mich dir entgegenhebe - und du dringst immer tiefer in mich ein. - Noch rauscht dein Blut mir, dein Herzschlag, durch alle Poren! - o sag mir, sag mir: solche Sekunden - hast doch auch Du nie früher empfunden?! - Ach, hätt ich dich doch selber geboren!! - - Sie breitet die Hände zum Firmament. - Pulsend wogt das Dunkel, unendlich warm. - Mit suchenden Fingern umglüht sie ein Arm, - ein Mann bekennt: - - Ja, greif nach den Sternen, als ob sie wüßten, - was Menschenherzen Reinstes verlangen! - Du hast mich geheilt von allen Lüsten, - die nicht der Einen Lust entsprangen, - die ganze Welt im Weib zu umfangen; - du bist es, bist mir, was mich gebar. - Du tauchst mich wieder in die Erde, - als sie noch Eins mit dem Himmel war; - in Dir fühl ich ihr feuerflüssig Werde - dem kreisenden Weltraum noch immer sich entwühlen, - und hingenommen von den Urgefühlen - bringt ihre Glut uns der ewigen Inbrunst dar. - - Er nimmt sie an sich wie ein Riese. - Durchs Dach der Hütte funkelt die Nacht - des Sturms mit überirdischer Pracht. - Zwei Menschen nahn dem Paradiese. - - -12. - - Und sie schweben in steiler Gletscherspalte; - die Seile knirschen, der Atem raucht. - Aus dämmernden Grabesgründen taucht - die blaue Klarheit, die schneidend kalte. - Und sie finden Halt. Der Mann horcht und haucht: - - Da kommen die großen Ströme her, - wo die Tiefen weinen vor eisigem Grausen. - Hörst du die tausend Tropfen brausen? - die fernen Wasserstürze? das Meer? - Hörst du im Brausen das Todesschweigen - aus den leuchtenden Grüften steigen? - sieh: es scheint, ein Wanken weitet Allvaters Hallen! - Lea -- wenn jetzt die Wand zerrisse - und wir würden einsam ins ungewisse - Reich des ewigen Daseins fallen: - wärst du im Sturz noch meine Göttin der Freude? - oder wieder die Fürstin Herzeleide? - - Er sucht ihren Blick; er sieht blaue Kreise, - er faßt fester Fuß -- der Gletscher schreit. - Dumpf dröhnt’s im fern zerreißenden Eise; - meergrün furcht sich die Dunkelheit, - die starre Wand bebt. Das Weib fragt leise: - - Bist du des Todes so kalt gewahr? - Allmutter sieht in Allvaters Hallen - einen heimlichen Brunnen überwallen, - drin dämmert’s warm und wunderbar. - Es scheint, Opale schmelzen auf seinem Grunde. - Da entsprießt dem märchenfarbenen Schlunde - eine rosige Knospe, morgenklar. - O, die möchte Allmutter Herzeleide - blühn sehn voll göttlicher Augenweide; - und ihr Schooß erbebt, des Lebens gewahr. - - Sie starrt beklommen. Es starrt der Mann, - als ob er selbst Tod und Leben erschuf. - Da schallt von oben der Führerruf; - zwei Menschen schweben himmelan. - - -13. - - Und es ist keine Erde mehr zu sehn. - Über Meeren von Dampf, Schatten, Wolkenschaum - dehnt und wölbt sich der reine Raum. - Höher als die Sonne stehn - zwei Menschen in gärendem Wetterbrodem, - führerlos vom Glanz umbrandet, - der von Berghaupt wild zu Berghaupt strandet; - alle Gipfel wogen. Das Weib zürnt zu Boden: - - Lukas, wir haben uns verstiegen. - Lächle nicht! War Das dein Ziel? - mich in stolze Mutterhoffnung zu wiegen, - um dem irren Zufall zu erliegen? - Du bist zu ernst für solch ein Spiel! -- - Du kannst in deinem Schwerpunkt ruhn, - du brauchst nicht bodenlos zu gären; - es ist nicht Flugkraft, wenn Opale tun, - als ob sie Seifenblasen wären. - - Sie sucht seinen Blick. Der folgt dem Dampfe. - Zuckend glühn die Narben in seinem Bart; - seine Nüstern spannen sich wie zum Kampfe. - Er fragt sehr zart: - - Sprach das die Frau, die einst fliegen wollte? - Nun, der Morgennebel wird bald zergehn; - dann wirst du die Straßen wiedersehn, - auf denen gestern da unten dein Glücksrad rollte. - Auch die Felswände stehn noch unverrückt, - die meine freie Ebne vermauern -- - Lea! Lea! soll ich bedauern, - daß ich Seelen verließ, die +Mein+ Glück beglückte?! - Steht der Himmel dir nur im Gleichnis offen? - Mutter Isis! -- Ah: nun lächelst auch Du! - Ja, dann +juble+, Seele: im Himmel herrscht keine Ruh -- - und du wirst noch viel stolzer, viel göttlicher hoffen! - O sieh die Adler dort, die beiden, - wie sie strahlend den Dunst zerschneiden -- - - Strahlend blicken zwei Menschen der Sonne zu. - - -14. - - Und es blaut eine Nacht, rings von Monden hell: - der Gießbach braust in elektrischer Glorie vom Berg. - Der Mond des Himmels krönt das Menschenwerk; - einem Zauberschloß gleicht das stille Hotel. - Fern schwebt silbern die eisige Gipfelkette, - gleißt in jedes Fenster herein, - beglänzt ein seidnes Himmelbette. - Wirr entsinnt sich der Mann: er träumte ein Schreien. - Auf der schimmernden Lagerstätte - liegt das Weib, ein Bild starrer Pein. - - Lea! -- er reißt sie aus dem Schlaf -- - Du! wach auf! komm! was hat dich bedroht? - Du machst ja Lippen, blaß wie zum Tod. - Küsse mich! lebe! sei Meine! sei brav! - sei wieder braun! sei ringe-range-rot! - - Er richtet sie hoch mit schmeichelndem Zwange. - Sie versucht ein Lächeln zum Erbarmen. - Sie horcht in das Brausen hinaus, lange, bange. - Klagend greift sie nach seinen Armen: - - Es wollt eine Seele sich befrein, - da band ihre Tat ihr die Hände! - Ich sah in zwei blinde Augen hinein; - die starrten mich an ohne Ende. - Sie starrten weiß, wie dort das Eis. - Eine Kälte wehte; es kam eine Mauer von Särgen. - O Lux, führ mich weg von diesen Bergen! - hilf mir dies tote Leben versenken! - Lux, du +darfst+ nicht mehr an dein Töchterchen denken! - o wär’s doch Mein! o wär’s! -- Nein! nein: - ich will mich wehren, wehren mit allen Gelenken! - schüttle mich! bis mirs vom Herzen schmilzt! - Ich will dir ein viel schöner Kind schenken! - Ich will mich in Dein, ganz in Dein Herz versenken! - Nimm mich! führ mich, wohin du willst! - - Sie umschlingt ihn, schlotternd, vor Wonne schluchzend, vor Grausen; - zwei Menschen hören die Mondnacht brausen. - - -15. - - Und sie kehren zurück auf bestaubte Bahnen, - Rad an Rad im Fluge durch graue Schlüfte, - durch Blütenmatten ohne Düfte. - Immer dunkler blaut das Moos von Enzianen; - als wolle der glühende Tag die Lüfte - tief an himmlische Nächte mahnen. - Immer finstrer schaut das Weib in die Klüfte: - - Lukas, mich peinigt schon seit Stunden ein Ahnen, - als habest du versucht dort oben, - meine Weibesohnmacht zu erproben; - tu das nie wieder, ich bitte dich! - Wie du heut dich über den Abhang bücktest - und mir das einsame Edelweiß pflücktest, - kam eine Empörung über mich: - ich hätt dich hinunterstoßen können, - blos um dich keiner Andern zu gönnen. - - Sie wirft die Blume wild hinter sich. - Ein Ruck: sein Rad bäumt. Sie wankt, schreit auf: - er scheint zu stürzen im Rückwärtslauf. - Nein: er greift zu Boden in blitzendem Schwunge, - ist wieder bei ihr mit lachendem Sprunge, - in der Hand die Blume, und steht, fängt sie auf: - - Ja! Ja, du: das +hab+ ich versucht dort oben! - und wills immer wieder, immer wieder erproben, - weil du Mein bleiben sollst, weil du stark sein kannst! - Du +sollst+ nicht an deine alten Sünden denken, - wenn du mit mir durchs heilige Leben rollst, - dem du ein Kind von mir geben sollst! - Nein, die göttliche Unschuld wolln wir ihm schenken; - und das Edelweiß hier wird zum Andenken - in deine schwarze Seele gepflanzt, - bis der Heiland mit den Engeln drum Ringelreih tanzt! - Sieh, mein ganzes Herz lacht: du Weib, ich Mann, - o selig, wer dein Gott sein kann! - - Er steckt ihr den blühenden Stern ins Haar; - bräutlich glüht der Tag um ein Menschenpaar. - - -16. - - Und der Himmel eilt über Täler und Tau. - Und im Haar einen Kranz von Windenranken, - rollt durch den Glanz voll Wundergedanken - eine irdische Frau. - Wie die weißen Blüten ins Herz ihr schwanken! - wie die Straße mitfliegt mit den schlanken - stählernen Rädern, den sonneblanken! - Und der Mann jauchzt ins helle Morgenblau: - - Heia! All Heil, Welt! jetzt gehts bergab! - Achtung! gleich wird dein Herz was erleben. - Flügel, Frau Göttin! Füße heben, - Augen schließen! hei, ich schwebe, - alle Sterne sprühn in mein Dunkel herab. - Das lenkbare Luftschloß ist erfunden, - Wolken fallen mir in den Schooß; - und an keine Erdaxe mehr gebunden, - läßt dein Herrgott auch noch die Lenkstange los. - Los! frei weg! gradaus ins Blaue, - wie Herr Andree der Nordpolfahrer! - Sieh, wie saust die Welt gleich klarer! - Aufgepaßt: da kommt ein wahrer - Eisbär! huh, ein griesegrauer! - - Er schwingt beide Hände, ein Hökerweib grüßend, - das brummend durch den Straßenstaub zieht, - wütend die lachende Dame besieht. - Die ruft blütenumflattert vorüberschießend: - - Aber Lux! Mann! Mensch! die stirbt ja vor Schreck! - Halt! mein Kranz! na wart du: ich hol dich schon ein, - du Unmensch! dann renne Ich dir weg -- - - Und --: ein Stoß, als stürze das Weltall ein: - Sterne sprühn: nachtwolkenbedeckt - kommt sie zu sich aus Stahl, Staub, Stein: - da liegt er blutend hingestreckt. - Und oben steht das Hökerweib - und lacht und schlägt sich vor den Leib. - Zwei Menschen stimmen stöhnend ein. - - -17. - - Und ein Regen perlt an zitternde Scheiben; - ein Bahnzug stampft durch sanfte Gelände. - Ins Polster gedrückt, verbunden Arme und Hände, - sieht der Mann die Tropfen rinnen und treiben. - Seine Augen werden immer grauer; - er scheint die Frau, die neben ihm lehnt, - nicht zu fühlen. Sie sagt voll Trauer: - - Du hast dich in die Ebne gesehnt, - nun kommt sie, und -- du sprichst kein Wort; - als wär dir die ganze Seele verbunden. - Und ich -- ja, ich weiß, ich stieß dir die Wunden; - aber sie werden wieder gesunden; - soll ich denn mitleiden fort und fort? -- - Fühl’s doch endlich, wie Ort bei Ort - und Tal an Tal sich zur Ernte kränzt! - das feuchte Korn, wie’s brotgelb glänzt! - die Obstalleeen, die weidenden Pferde -- - sieh: tausend Freuden wachsen aus der Erde! - - Und immer sanfter rinnt das Gelände; - wilder stampft der Zug und schüttelt die Frau. - Unwillkürlich hebt der Mann die Hände. - Sein grauer Blick wird dunkelblau: - - Ja, ich fühls, ich sehs! sehr, sehr genau! - seh schon die Arme der Schnitter sich regen, - und muß die meinen erbärmlich zur Ruhe legen, - weil ich mich gehen ließ -- ich! -- ja: Ich -- - meine ganze Seele beschuldigt mich. - Zu jeder Handlung braucht sie die Hand, - für unser Wort selbst als Unterpfand; - wehe dem Menschen, der das vergißt! - Wie dies Stampfen mich höhnt! Das Gangwerk der Maschine, - das unsrer Glieder lenksames Nachbild ist, - mir kann es jetzt als Vorbild dienen! - - Er verstummt mit selbstbeherrschter Miene. - Der Regen rinnt von den zitternden Scheiben. - Zwei Menschen bedenken ihr Tun und Treiben. - - -18. - - Und ein Lichtstreif schielt von getünchten Wänden - nach blitzenden Messern zwischen Verbänden; - dunkle Rosen glühn über frischem Blut. - Ohnmächtig ringt der Duft des Straußes - mit der Luft des Krankenhauses; - und lähmend sticht die Mittagsglut - durch die verhängte Fensterscheibe. - Ein Mann eröffnet einem Weibe: - - Also -- die Ärzte haben befunden, - meine rechte Hand wird +nicht+ wieder gesunden. - Ich werde sie wahrscheinlich verlieren, - oder man wird sie mir lahm kurieren, - was ungefähr dasselbe sagt; - kurz, ich hab mich für immer zur Schandgestalt gemacht. - Nach unserm Gottrausch lieg ich da, - hilfloser als der Urmensch. Ja: - stelle dich nur recht aufrecht hin! - Bei jeder Umarmung wirst du’s erkennen, - daß ich meiner, deiner nicht mehr mächtig bin. - Das ist kein Mann mehr nach deinem Sinn -- - auch nicht nach meinem --: wir müssen uns trennen. - Geh! machs kurz! sei Du! schon seit gestern - mahnt mich dein Wesen an eine Andre; - sie würde für mich durch jedes Fegfeuer wandern; - uns aber schaudert vor barmherzigen Schwestern. - Geh! Noch kannst du zurück in dein Leben. - Du sollst einst nicht davor erröten, - dein Kind einem Krüppel ans Herz zu heben. - Auch nach Klarheit brauchst du nun nicht mehr zu streben; - die wird das Kind dir auf jeden Fall geben, - auch falls du wieder geruhst, es zu -- töten. - Er lächelt eisig; er glüht. Sie schweigt. - Sie steht wie über ihr Innres geneigt; - ohnmächtig duftet ihr Rosenstrauß. - Sie hebt die Stirn, sie schreitet hinaus, - ohne Gruß, ohne Blick. Zwei Menschen erbeben. - - -19. - - Doch von fernen Höhen springt das Licht - über Land und Stadt durch den trüben Morgen; - zwischen rings aufglitzerndem Grün verborgen, - hebt der Mann sein verwachtes Gesicht. - In dem einsamen Garten knirschte der Sand. - Er lauscht noch, ob er träumte, ob wachte - -- eine Meise huscht um den Laubenrand -- - da steht sie vor ihm, an die er dachte. - Sie nimmt die lahme, vernarbte Hand. - Er will sie ihr entreißen, entringen; - aber heiße Tränen dringen - über ihr und sein Gesicht, - er kann es nicht -- - - Nein, Meiner! -- und würdest du jetzt mich schlagen, - was wär mirs gegen dies Wiederfinden! - O, ich wär ja am liebsten mit vier Wagen - nach allen vier Winden - auseinandergejagt, dir endlich zu sagen: - was Du kannst, kann auch Ich ertragen! - alle, alle Weibeskraft sollst du in mir finden! -- - Sieh: hier hast du +zwei+ Hände statt der einen. - Ich bin ja nicht mehr wie früher. Schau: - da mußt ich mein Menschlichstes verneinen, - um der Welt und mir etwas vorzuscheinen. - Jetzt +bin+ ich etwas: Deine stolze Frau! -- - - Ja: sieh auf! mir ist, als müßt ich ersticken, - bis die Leute mit menschenfreudigen Blicken - uns wieder nachschaun: welch strahlend Paar! - Und schlichest du, so die Stirne hebend, an Krücken, - ich hör ihr Geflüster: Wunderbar, - wer muß das sein, was für ein Mann, - dem solch ein Weib gehören kann! - - Sie lacht: seine Hand bebt auf ihrem Haar. - Von den fernen Höhen lacht der Morgen. - Um die Laube lachen die Vögel gar. - Zwei Menschen fühlen sich geborgen. - - -20. - - Und ein Abend rötet die Dächer alle. - Eine Taubenschaar kreist mit flammenden Schwingen, - als habe sie dem schwülen Tale - eine Himmelsbotschaft herabzubringen. - Da erklärt das Weib mit einem Male: - - Lukas, nun muß ich dir etwas sagen: - ich hab einen Brief an dich unterschlagen. - Ich mußt endlich wissen, was du triebst, - wenn du zuweilen Nachts heimlich schriebst -- - du brauchst dein Erblassen nicht zu verstecken: - auch mich kam Furcht an, Schmerz, Verwirrung, fast Schrecken. - Ich konnt die sonderbaren Chiffern - zwar nit ganz und gar entziffern; - aber dieser Freund benutzt dich als Helfershelfer zu Zwecken, - die lichtscheu sind! er spricht von deinem Leben, - als wärst du gewohnt, falsche Karten zu geben. - O Lux, vertrau mir! Ich hab nichts, nichts zu verlieren - als Dich! Ich will mich in jede Armut finden; - selbst verachtet zu werden, könnt ich verwinden. - Nur: laß dir nicht für Geld die Hände binden! - Sag mir --: was ists mit den Archivpapieren? -- - - Kalt blickt der Mann nach den flammenden Tauben. - Seine Rechte hat versucht, sich zu ballen. - Er sagt, und seine Worte fallen - wie metallen: - - Es ist Nichts! ich fordre von dir Glauben. - Und bis du +reif+ bist, Näheres zu erfahren, - und um dir weiteres Mißtraun zu ersparen, - wird dieser Briefwechsel einfach unterbleiben; - denn ja -- ich kann jetzt nicht mehr heimlich schreiben. - Einstweilen aber sollte dein eigen Treiben - dir die Erleuchtung innerst nahe legen: - kein Licht kommt anders als auf dunklen Wegen! -- - Hier: blick mir in die Augen hinein: - sag, meinst du wirklich, Ich kann lichtscheu sein?? - - Zwei Menschenseelen schimmern sich entgegen. - - -21. - - Und Wolke über Wolke kommt gekrochen - und drückt das offne Land in dumpfe Schranken; - es liegt im Halblicht wie gebrochen, - der Bergforst steht gesträubt. - Der Donner brodelt schon, und Blitze wanken; - und wenn die Funken fahl durchs Dunkle kochen, - dann ists, als atmeten des Tales Flanken. - Der Mann macht Halt wie dunstbetäubt: - - So sind wir rings umhüllt vom Unbekannten; - dem Qualm der Niederungen kaum entklommen, - stehn wir vom Schwall der Höhen schon benommen - und gehn vielleicht erst recht der Tiefe zu. - Und wenn der Bann, dem unten wir entrannten, - hier oben uns ereilt mit glühendem Schuh, - wenn dann im letzten taumelgrellen Nu - die eine Frage noch in uns entbrannte: - ist nicht des Lebens Mißgeschick - nur unsres Wesens Ungeschick -- - dann wirbelt noch durch unsre tiefste Ruh - als einzige Antwort aus der Ewigkeit - des Daseins grausige Unsicherheit. - - Und drohender erschallt das Lichtgebebe, - die hohen Tannen fangen an zu schauern. - Bis ganz ins Land hängt alles in der Schwebe; - es ist, als ob das Tal die Flügel hebe. - Das Weib zeigt in die rollenden Wolkenmauern: - - Wenn sonst die Blitze so den Raum durchschossen, - war mir so grenzenlos, so haltlos bange - wie damals vor der Todeswut der Schlange; - jetzt scheint durch jeden mir der Himmel erschlossen. - Ich brauche blos mit dir ins Licht zu schauen - und habe vor nichts, vor nichts mehr Grauen. - - Und jählings reißt sich aus der Dunkelheit - blendend und knatternd der erste klare Strahl. - Mit prasselnder Sohle springt der Regen ins Tal. - Zwei Menschen atmen wie befreit. - - -22. - - Und sie schreiten durch verwüstete Fluren. - Von Hügel nieder zu Hügel hingeschwemmt - ziehn sich des Wolkenbruches Spuren. - Die Bäume stehn noch wie gekämmt. - Das reife Korn am Weg ist wie geplättet. - Fern am durchbrochnen Bahndamm hängen, - Strickleitern gleich, Reste von Schienensträngen; - die Brücke liegt zerrissen im Fluß gebettet. - Die Sonne blitzt aus hundert Spiegelflächen. - Des Weibes Blick folgt den gefüllten Bächen: - - Wie wird nun nach dem ersten Staunen und Grauen - der Mensch hier rings mit doppelt mächtigem Mut - bahnen und bauen, - bis die Natur ihm seinen Willen tut! - So stand ich einst -- o endlich kann ichs sagen -- - nach frischer Tat vor meinem getöteten Kind. - Im Garten draußen stöhnte die Nacht, der Wind. - In meinem Innern sah ich Blutstürme jagen. - Ein Paradies reifer Hoffnungen lag mir zerschlagen. - Aber ein Glaube schwoll draus auf, so groß, - als bebe die Erde vor Drang, mich hochzutragen: - o, unerschöpflich ist der Mutterschooß! -- - Gib mir die Hand, Lux; jedes Mißgeschick - macht uns geschickt zu neuem Glück. - - Sie greift nach seiner gelähmten Rechten, - eine Himmelsklarheit im dunkeln Augenpaare - gleich den glanzgefüllten Bächen. - Er will noch wehren. Er möchte sprechen. - Da --: ein Schauer reckt sie -- seine Finger umflechten - ihre stolzen Hüften, ihn zieht das Unsagbare -- - er steht und stammelt, kaum bewußt: - - du Liebe, Schöne, Gute, einzig Wahre! - du Mörderin aus Lebenslust! - du Kind, du Engel an meiner Brust! -- - - Der Himmel glänzt aus jeder Wasserrinne; - zwei Menschen sehn’s wie eines Wunders inne. - - -23. - - Und schwarz aus dunklem Erntefeld - bäumt sich das Denkmal einer Schlacht. - Tief hinter den Garbenreihen hält - der große Mond im Dunst blaßrote Wacht. - Es tränkt ein Duft die weite warme Nacht, - der jeden Busch zur Wolkenblume schwellt. - Die Wiesenraine sind wie Geistergleise. - Ein Mann sagt leise: - - Es wollt eine Seele sich befrein, - da band ihr die Freiheit die Hände. - Nun sinnt sie in Tod und Leben hinein; - da schließt eins innerst das andre ein, - aller Zwang hat willig ein Ende. - Sieh dort: wie stehn, wie schimmern die vollen Ähren! - als ob sie stolz die Opfer verklären, - die einst hier fielen für fremdes Glück. - Kein Denkmal ruft die Tausende zurück, - die noch als Leichen Kindeskinder nähren; - auf diesem Hügel aber stand der Feldherr - und fühlte sich im Siegesglück als Weltherr. - - Er hat den Arm wie zum Befehl gehoben. - Da schmiegt das Weib ihr Haupt in seine Hand - und Brust an Brust, und raunt ins dunkle Land, - als höre sie das Mordgewühl noch toben: - - Und fühlte doch vielleicht sein Herz erbeben, - und hätte gern die Tausende geschont, - wenn nicht auch Er bereit war, Blut und Leben - so rückhaltlos der Welt zurückzugeben, - wie dort sein Licht vergießt der rote Mond. - Glaub’s, Meiner, glaub’s: kein Glücklicher fühlt einsam: - was ihn beglückt, er geht drin auf, gemeinsam! - - Und warm und wärmer schließt im Nebelkreise - sich Herz an Herz mit überströmender Macht. - Die Erde schwillt gen Himmel, leise, leise. - Die Wiesenraine werden Göttergleise. - Zwei Menschen sinken in den Duft der Nacht. - - -24. - - Und aus verwildert stillen Gärten steigt - ein altes Städtchen in die Mittagsglut. - Um die zerborstenen Mauerwehren zweigt sich - Epheu, Hexenbart, Pfaffenhut; - weiße Rosen blühn am Tore. - Im Schatten ruht ein Mann und träumt und schweigt - zur Giebeluhr hinauf, die nicht mehr zeigt. - Ein Weib zupft ihn am Ohre: - - Du machst ja Augen, so voll entlegener Wonnen, - als sähst du die Jahrhunderte sich sonnen - auf den Ruinen. - Ja: die steinernen Jungfraun hoch am Tor, - die beten gar „reif“ um ihr Stündlein empor - mit ihren verwitterten Mienen. - Wir aber -- o -- wir haben Zeit; - sehn wir nicht auf zu ihnen - voll ewiger Seligkeit?! - - Der Träumer hat den zarten Spott vernommen. - Sein Blick ist freudig aufgeglommen. - Die Gärten glühn. Er lächelt sonderbar. - Er sucht nach Worten, Blick in Blick gegründet. - Er spricht, als säh er tief ein Licht entzündet, - das früher nicht in ihrer Seele war: - - Vielleicht sah ich in meinen entlegenen Wonnen - ein kommendes Jahrhundert schon sich sonnen, - nicht auf romantischen Ruhestätten zwar. - Ich sah nach dem edlen Ritter im Fries, - der seinen Mantel weiland den Bettlern ließ, - um hilflose Blößen zu decken. - Vielleicht ist heimlich nach Bettlerart - mancher edlere Ritter heut auf der Fahrt, - Helfershelfer zu wecken - zu jetzt noch „lichtscheuen“ Zwecken -- - - Er schweigt. Die Gärten glühn. Es ist, als schliefe - verstohlenes Leben hinter allen Hecken. - Zwei Menschen sinnen in die Tiefe. - - -25. - - Und hoch durch Hallen, die fast blenden, - braust Dampf; und dumpf donnert Rad bei Rad. - Hohl durch die offenen Bogen-Enden - schweelt wie ein Herd mit tausend stillen Bränden - die Lichter-Dunstnacht einer großen Stadt. - Bahnzüge dröhnen rhythmisch hinaus, herein, - hin am Wirrwarr der scheinbar ziellosen Menge. - Zwei Menschen überschaun das stete Gedränge. - Ein Mann weist nach den fernen Häuserreihn: - - Ists nicht, als wärens Äonen seit ehemals, - seit wir vom Haus deines Herrn Gemahls - die finstern, lichtdurchfurchten Mauern - auch so am Horizont sahn kauern? - Und ists nicht wieder, nicht immer noch, als lauern - die roten Fensterhöhlen auch hier wie Augen, - die alle trüben Begierden einsaugen, - auf Habsucht Notdurft speichern, und Haß zum Neide? - Und treibt doch Alle die Liebe, wie uns Beide, - sich Geist an Geist mit seelenvollen Händen - zu gleichen Lebenszwecken zu vollenden! - Wärs da nicht not, daß Freunde des Lebens sich fänden, - nur zu dem einen Endzweck auserlesen, - klar Alle dem Willen Aller zuzuwenden?! - bis einst der Geist, von jedem Zweck genesen, - nichts mehr zu wissen braucht als seine Triebe, - um offenbar zu sehn das weise Wesen - verliebter Torheit wie der großen Liebe?! - - Und einer Seherin gleichend steht das Weib, - und näher drängt um sie das Köpfegewimmel. - Sie fragt, und hält die Hände in das Getümmel, - als schütze sie den Mutterleib: - - Und wenn nun Einst und Jetzt auch Mir sich einen, - sodaß ich furchtlos deine Freundin bleib, - trotz meiner Eheschuld und trotz der deinen?! - - Sie schweigt, als ob sie heimlich etwas versprach. - Zwei Menschen sinnen der Menschheit nach. - - -26. - - Und sie stehn vor einer Domfassade. - Unvollendet hockt der eine der hohen Türme - im Kranz der gotischen Höllengewürme, - als bitte er den andern um Gnade. - Aber vor vermessenem Himmelsverlangen - scheint die irdische Tragkraft ihnen ausgegangen; - unten gähnen wie Grüfte die kunstgerechten Pforten. - Demütig Gebeugte nahen von allen Seiten. - Und das Weib winkt dem Mann, auch hineinzuschreiten. - Und die Orgel erbraust zu ihren Worten: - - Komm, laß uns einmal wieder voller Kindheit sein. - Horch, wie die alten Lieder Alle benedein. - Da spürt kein Herz mehr Sünde; - die Mutter mit dem Kinde - schließt ja auch Uns die Gründe - der Welt und Menschheit auf und ein. - - Doch die Orgel verstummt. Dumpf tönen Gesänge - einer verborgenen Priesterschaar. - Und über dem weihrauchumdampften Altar - sehn sie bleich einen Gekreuzigten hängen - mit gräßlich wahr gemalten Wunden - und schrecklich schön geformtem Munde -- - Da neigt fromm der Mann dem Weibe sich dar: - - Vor deinem künftigen Kinde - könnt ich dir beichten, den Heiligen gleich: - ich suchte einst ein bißchen Sünde - und fand das ganze Himmelreich. - Hier aber dünkt es ein Wortspiel mich, - wie dieses Schauspiel stimmungsgeil durchtrieben. - Komm! Draußen steht’s von Grund auf in Stein geschrieben, - das schwere Wort: Vollende Dich! - - Und die Orgel braust wieder. Er sucht einen Pfad - ins Freie, scheu umkauert von Betern. - Ein feister Küster im Ornat - blickt ihnen nach wie frechen Spöttern. - Zwei Menschen fliehn vor fremden Göttern. - - -27. - - Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden: - durch grabesstille Säle tobt ein Farbenmeer: - Nackte Leiber hängen an den Wänden umher, - und geputzte Damen, Tiere, Bäume, Herren mit Orden. - Neben blühenden Feldern sieht man arme Leute jammern. - Aus vergoldeten Rahmen stieren elende Kammern. - Endlich seufzt der Mann und lächelt schwer: - - Ich segne wahrhaftig meine gelähmte Hand, - wenn soviel gesunde auf käuflicher Leinewand - mit ihrer natürlichen Ohnmacht Stimmung machen. - Ob diese Künstler nicht über sich selber lachen, - wenn sie mit kindischer List vom vollen Leben - den Schaum abschöpfen? -- Aber eben: - Stimmung -- die Sprache sagt es -- läßt sich „machen“, - Gefühl und Geist sind Wenigen voll gegeben. - Sieh dort: in all dem Schwall das schmale Bild, - von dem wir hier nur eine Klarheit erkennen, - die kühn aus tiefem Grau ins Blaue schwillt: - und magst du’s arm vielleicht an Farbe nennen, - du fühlst doch, daß da Einer spricht, - der innerlich so reich ist wie das Licht, - und der drum Schatten wirft auf das Gelichter - dieser dürftigen Flunkerwichter. - - Sie treten näher. Sie sehn am Strand - des Nachtmeers schlafend einen Knaben liegen: - ein großer Stern scheint seinem Atem entstiegen, - in dessen Glanz sich alle Wellen wiegen. - Endlich nimmt das Weib des Mannes Hand: - - Und stimmt das nicht zum Frieden deinen Geist? - Mir deucht, vom sichern Ufer kann man dreist - auch einem Irrlichtschwarm Reiz abgewinnen. - Ich glaube, dir ist das Herz durch Andres schwer. - Ich hab auf einmal Sehnsucht nach dem Meer; - uns fehlt wohl nur der freie Himmel hier drinnen. - - Sie lächelt: komm! Er stutzt. Dann nickt er nur. - Zwei Menschen folgen ihrer Natur. - - -28. - - Und es rauscht nur und weht. - Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen. - Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen, - die blaue Glut, die stumm und stet - die Dünen umschlingt. - Da gebiert die Erde im Stillen wohl ihr Empfinden - und nimmt ihre Träume und giebt sie den Wellen, den Winden. - Die Seele eines Weibes singt: - - O laß mich still so liegen, - an deiner Brust, die Augen zu. - Ich sehe zwei Wolken fliegen, - die eine Sonne wiegen; - wo sind wir, du? -- - - Und es rauscht und weht. - Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern. - Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern, - der über den bleichen wilden Hügeln steht - und golden schwingt. - Die Seele eines Mannes singt: - - Still, laß uns weiter fliegen, - Beide die Augen zu. - Ich sehe zwei Meere liegen, - die einen Himmel wiegen. - O Du -- - - es rauscht, es weht; - über die heißen Höhenzüge geht - höher und höher der goldne Schein - ins Blaue hinein, - wo das Dunkel schwebt. - Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen, - kommt die Einsamkeit gezogen. - Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt, - wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden, - die will uns wohl endlich leibeigen werden: - es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen, - Menschenherzen! -- Zwei Seelen singen -- -- - - -29. - - Und sie sehn fünf Sonnen im Nebel stehn, - von Glanz umzingelt vier blasse kleine - im Kreise um die große eine; - der stille Kreis scheint den Nebel zu drehn. - Und im Dünensand hat im Windeswogen - jeder Halm um sich einen Kreis gezogen. - Plötzlich lacht der Mann zu dem Phänomen: - - Ists nicht, als will uns der Himmel aus seinen Schätzen - rings deinen verkauften Perlring ersetzen, - von dem wir die tolle Überfahrt bezahlten! - O, wie deine Augen herzehell strahlten, - deine dunkeln Augen im Sturm neben mir, - daß michs trieb, dich auf offnem Schiff zu umarmen! - Und da lagen diese Mitmenschlein zum Erbarmen - und waren seekrank! -- Hah: da dankt ich dir, - Du, für deine wellenwild schwungvolle Körperschwere, - die mich auf den Grund aller irdischen Rhythmen tauchte! - Da fühlt ich wie ein sintflutlich Tier - unsre Urverwandschaft mit dem Meere! - Ja, meine Erlauchte: - Was +ist+ denn diese äußere Welt, - dies öde Eiland um uns her? - nur was die Seele davon hält: - ein Ufer für das innre Meer! - - Er hat sich erhoben. Der Dünensand - fegt singend über den feuchten Strand. - Die vier Sonnen im Nebel verschwimmen zu blassen Axen, - die sacht der leuchtenden Mitte zuwachsen. - Das Weib streckt die Hand: - - Zieh mich hoch! -- ja, rück es mir ins reinste - Licht, daß deine Welt meine umspannt! - O, wie schmückt unsre Sonne mein schlicht Gewand! - Und jeder Flimmer, jeder kleinste, - verflicht uns mit ins Allgemeinste - und hat doch hell für sich Bestand -- - - sieh! -- Zwei Menschen umschlingt ein Strahlenband. - - -30. - - Und sie stehn von Morgenschauern erfaßt, - nackt. Die Küste glüht perlmutterfarben. - Die Ebbenrillen furchen den Glast - wie rosige Narben; - in der See wühlt die Windsbraut und jauchzt und tost. - Und das Weib erschauert bis in den Schooß - und wirrt ihr naß Haar vom Nacken los - - und breitet die Arme: Jetzt kommt die Flut, - ich möcht ihr gleich wieder entgegenschwimmen! - Pulst sie dir auch so heiß ins Blut? - dies Branden, dies Glimmen! - Wie sie Kraft schöpft -- bis zum Horizont, - himmelan schwellend aus ihrem Rauch, - schwarzzottig, silberkraus übersonnt, - voll Spannung wie ein hochschwangerer Bauch, - und der Odem der Allmacht kreist drüber her: - O Mutter See! o Meer! mein Meer! - - Und von Segeln der Morgenröte umschlossen, - schau -- lacht der Mann und knipst ihr ein Muschelchen ab -- - kommt ihr liebster Sohn durch den Raum geschossen: - - mein Schiff hat Regenbogenflossen - und holt dich ins Raumlose ab, - wo die fünf Sonnen noch immer am Himmel stehn! - Und da wollen wir eine zum Ballspielen nehmen, - einen Knäuel zum Glanzweben, - eine Kugel, aus der wir Lichtbrot rollen, - eine, in der wir einander spiegeln wollen, - und die fünfte bleibt stehn! - Die bleibt stehn, damit die Menschen es sehn können, - wie wir über die hohen Wellen gehn - und den freien Sternen dahinter entgegenrennen, - um die unsre Sonnen und alle sonnigen Herzen sich drehn - auf Wieder-Immerwiedersehn! - Und da weist das Weib nieder: hell wie aus Ätherhöhn - spiegelt ein Ebbentümpel ihre Geberde -- - zwei Menschen sehn den Himmel durch die Erde. - - -31. - - Und sie schaukeln im Boot. - Die Nacht kommt. Sturm droht. - Die Wogen gehn hohl wie das Segeltuch. - Grell im Westen ringt noch und schwingt ein Streifen. - Die Möwen kreischen. - Der Mann stemmt sich hoch, visiert den Bug: - - Zieh die Leine straffer! so! setz dich fest! - Hast du Furcht? Ja lache, dann jauchzen die Böen! - Sahst du mich nicht im Traum einst so stehn, - über Herren mit Kronen, die Rechte ums Steuer gepreßt? - Jetzt tut’s die Linke! Los! Freiherr Nord pfeift zum Fest - wie auf meinen großen Heimatseen! - Sieh, das Grenzband drüben wird schon blasser; - nun ruft er die Geister übers Wasser. - Holla! keine Geister, die jenseits hausen: - das sind Meine Geister, allseits brausen sie! - Da: die schäumenden Wonnen mit den sprühenden Haaren. - Da das tiefschwarze Wehe treibt sie zu Paaren, - von den grauen Sehnsüchten überrannt. - Bis die schimmernde Liebe alle hinreißt und außer sich spannt - und deinen trunknen Blick ins Weiteste lichtet: - da entspringt dir, vom Odem der Brünste entbrannt, - deine eigne Inbrunst, zur Gestalt verdichtet -- - halt ihr Stand!! - Denn: fühlst du selber dich Geist genug, - dann verschwindet der sinnliche Spuk: - übern Erdrand auf flüchtendem Wasserbogen - kommt die Kraft deines Ursprungs hochgezogen, - und du streckst deine Hand aus, von Toden umbellt, - und schreist in den Aufruhr: O Meine Welt! - - Meine Welt -- mein Traum! -- o nicht einst -- allerwegen - seh ich dich so! -- stammelt, jubelt das Weib --: - - Aus mir selbst -- letzte Nacht -- hoch durch stürzenden Regen -- - mit mir selbst -- ja, ein Geist -- stieg dein lichter Leib: - Himmelfahrt! Ja, fahr zu! Ich fahr mit! allerwegen - - Dein! -- Zwei Menschen steuern dem Sturm entgegen. - - -32. - - Und es tönt aus der Brandung wie Schalmein; - helle Nacht versilbert den fremden Strand. - Langsam wälzen die Wellen den Mondschein ans Land, - in die dunkelroten Kliffe hinein; - da stürzen sie sich die Stirnen ein, - um zurück immer wieder verklärt zu sein -- - - Es wollt eine Seele sich befrein, - sieh -- entfaltet das Weib die Hände --: - Da ward Tod und Leben ihr zu Schein, - nur der Liebe ist kein Ende. - Ja; so sah es meine Seele im Traum: - es ging Deine Seele wie leuchtender Schaum - aus meinem Körper deinem entgegen. - Ich sah voll Angst, wie ihr doppelt standet: - Ein Haupt hell, Ein Haupt dunkel umströmt von Regen. - Bis ihr, Leib in Geist, ineinander euch fandet - und mich ergriffet. Da sprachst du ein Wort; - wie ein Wirbel klang es. Und über mich fort - stiegen wir, strömten wir lichtflutvermählt - hin in deine, meine, unsre Welt! - - Es tönt aus der Brandung wie Geraun -- - Horch -- raunt der Mann -- das Zauberwort: - - Ja, es hieß wohl: +Wir+ Welt! Nicht Schein! nicht Traum! - horch, wie’s wirbelt: WIRWelt -- o Urakkord! - WIRWelt murmeln die Ströme, die großen, - wenn sie zusammenkommen im Meere! - WIRWelt jubeln die Sternenchöre, - WIRWelt die Stürme im Uferlosen! - WIRWelt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren; - stammeln’s wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren, - rein, wie Wellen mit Mondlichtschleiern - spielend ihre Freiheit feiern, - die Freiheit, die voll Eintracht spricht: - o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht! - - Es tönt aus der Brandung wie Gesang - um ein Menschenpaar im Überschwang. - - -33. - - Und sie wirbeln im Tanz: glühend im Glanz - mächtiger Feuer bei heller Sonne, in Feiertagslust: - Männer und Weiber mit offner Brust, - mit brennenden Backen, stampfenden Hacken, - auf offner Tenne, um eine Tonne: - die paukt ein Fischer voller Wonne, - um die Wette - mit einem Hirten, der bläst Klarinette, - und fernher braust den Takt die See. - Und nun reihn sich rings die Kinder zur Kette. - Und es wogt ein Herz: Meine Flammenfee -- - - weißt noch? damals? unser Tanzen - zwischen den Modepuppen und Schranzen! - wie du mir wehrtest: nit erzählen -- - wie du mich lehrtest: nit uns quälen -- - und mich schürtest, wie einen Herd, - aus dem statt Wärme Feuerwerk sprang! - - Und er schwingt sie derber die Tenne entlang, - unverwehrt; - singend schüren die Kinder den Feuerkreis. - Zur Sonne singend. Und in den Pausen - macht die See die Seelen erbrausen. - Das Weib lacht heiß: - - WIRWelt, Meiner! sei Kind! dann steigt - deine Fee herab von ihrem Stern. - O, sie hätt wohl längst von Herzen gern - vor Mann und Weib den Damen und Herrn - die Zähne und die Zunge gezeigt: - Seht, hier tanz ich in selbstgestopften Strümpfen - und kann noch immer die Nase rümpfen! - ich habe seit Wochen nichts zu Tische - als Salz, Brot, Ziegenmilch und Fische, - aber bin Mutter Isis, die Herrin der Welt -- - gelt, mein lieber Herr Gott: deine liebe Frau Welt! - Es braust die See; es braust ihr Blut. - Zwei Menschen jauchzen vor Übermut. - - -34. - - Und sie sehn sich schimmern, ruhend vom Bade. - Und schimmernd ruht das öde Gestade - im warmen Wind. Sie lauschen ihm nach: - lauschen, wie die Weiten sich rühren, - wie alle Tiefen zu Höhen führen -- - wie die Möwen zwischen den Wellen - schwimmend auf und nieder schnellen -- - Und des Weibes Lächeln wird zur Sprache: - - Lux, mein Leuchtender, wenn wir so liegen, - ich mit meinem schwarzen Windsbrauthaar, - du wie ein Flußgott der See entstiegen, - und jeder Wogenkamm bringt uns Liebreize dar, - und mir versinkt die letzte Schranke, - die zwischen Leib und Seele noch blieb, - denn dein kleinstes Härchen ist mir so lieb, - so wert wie dein größter Gedanke -- - und ich denk an gestern und strahle vor Ehren, - daß ich dir Haar und Bart durfte scheren -- - ach, und heut Nacht, du, hört ich dich schnarchen - wie einen braven Patriarchen - und konnt nit lachen -- Herr meines Lebens, - es war mir lieb als Äußerung Deines Lebens -- - und ich sag dir dann mit fröhlichem Mut: - ich bin auch deinem Töchterchen gut -- - und frag dann ohne ein Lächeln des Spottes: - bin ich nun „reif“ zur Mutter Gottes, - reif zur Lebensmeisterschaft, - tauglich, tüchtig, tugendhaft --? - Dann, mein himmlisches Freudenmädchen du, - -- reckt sein narbiger Arm sie der Sonne zu -- - dann sag ich lachend ohne Spott: - - wir Götter brauchen keinen Gott! - - Er läßt sie thronen auf seinen Knien; - und sie, mitlachend, schaukelt ihn, - die Brüste zum Triumph gestrafft. - Zwei Menschen schwelgen in ihrer Kraft. - - -35. - - Und es rauscht nur und glüht. - Es liegt eine Düne im schwülen Licht der Fernen. - Es füllt ein Geflimmer wie von sprießenden Sternen - die stille Wildnis; das Sandmeer sprüht. - Es loht die hohle Hügelwand, - wie auf ewig vor Schatten behütet, - ein Nest, in dem der Himmel brütet. - Und der Mann wiegt das Weib im Mittagsbrand: - - Aufgewacht, Seele, aufgewacht! - Wunderland liegt aufgetan! - In uns, Seele, da träumt die Nacht; - aber hier, ein Hauch meines Mundes macht - diese dürre Insel -- ja, schau sie an -- - zum Paradies und Kanaan, - wo Adam sündlos bei Eva ruht, - wo der Tag glüht wie unser Fleisch und Blut, - wo Alles Frucht ist am reinen Leib der Liebe, - selbst der Halm dort im Sandgetriebe! - selbst der Salzgeruch, der von der Küste - herquillt an deine braunen Brüste - und Milch aus deinem Mutterblut braut! - selbst deine honigwabengoldne Haut, - und deines Schooßes glückstrotzender Schwung, - und meiner Mannheit Verkörperung! - Und wenn die Seele noch so schreit: - sie führt zum Wahnsinn, diese Seligkeit: - dann, du, dann -- er stammelt plötzlich, lauscht -- - - das Weib in Sonnetrunkenheit - jauchzt berauscht: - - dann ist der Wahnsinn eben Seligkeit -- -- - - und fährt zusammen: ein Schatten fällt - in ihre nackte Glut herab - wie aus einer fremden Welt: - Sand rutscht, und übern Hügel tappt - ein Herr in Reisetracht, steht starr -- o Graus: - zwei Menschen lachen einen aus. - - -36. - - Und bis in ihre Leuchtturmklause - sucht das Walten der Welt sie auf. - Unten pocht und schwebt im Dunkeln des Meeres Gebrause; - und den kleinen Tisch deckt bunt ein Haufen - Briefe aus aller Herren Ländern. - Der Mann steht lesend; das Weib spielt zaudernd - mit den abgerissenen Rändern. - Endlich sagt sie, wie planlos plaudernd: - - Lux, ich glaube: könnten die Menschen erraten, - mit welcher Eintracht wir uns beglücken, - ja, ich glaube, sie teilten unser Entzücken, - +die+ selbst, denen wir Leides taten. - Denn gelt: auch Dir doch würd’ es gelingen, - diesem Glück alles Andre zum Opfer zu bringen? - - Er schweigt -- sie sucht seinen Blick -- ihr graut: - sein Mund bewegt sich, aber die bleichen - Lippen geben keinen Laut. - Er starrt auf ein Blatt mit seltsamen Zeichen. - Die Chiffern schwanken. Ihr dröhnt das Meer. - Fremd tönt seine Stimme zu ihr her: - - Es hat eine Seele sich befreit -- - ich hielt ihr Glück einst in Händen. - Ich versprach ihr lauter Seligkeit -- - das ist nun alles zu Ende. - In williger Demut schien sie’s zu dulden; - es war Stolz -- stolz schwieg sie zu meinem Verschulden. - Ja: hier steht es von Helfershand geschrieben: - ich habe sie in den Tod getrieben. - Ich ließ die Verzweiflung über sie kommen. - Ich hab meinem Kind die Mutter genommen! - Verlangst du noch Opfer? -- Ich glaube: nit! - Mir scheint, Mutter Isis: wir sind quitt. - - Er setzt sich, sonderbar gelassen. - Unten schwebt und pocht im Dunkeln des Meeres Gebrause. - Stechend bebt das Licht der einsamen Klause. - Zwei Menschen suchen sich zu fassen. - - - - -Dritter Umkreis - --- Die Klarheit -- - - - - -Eingang - - - Schweb still, schweb still, triebseliger Geist, und dehne - dich über alle Kreise aus! - sieh: mit der Sehnsucht der gespannten Sehne - greifst du nun ein ins Weltgebraus. - Sie schnellt zurück, zurück zu ihrem Bogen, - berührt ihn, schwirrt noch, deckt ihn nie -- - doch was sie mußte, wirkte sie: - der Pfeil ist frei zum Ziel geflogen. - Such’s nicht etwa bei Deinesgleichen, - sehne dich nicht in Dich zurück! - denn es gilt, o Mensch: das Glück, - oh das Weltglück zu erreichen. - - - - -Vorgänge: III, 1-36 - - -1. - - Zwei Menschen gehn durch nebelnassen Hain; - er faßt einen alten Friedhof ein. - Die feuchten Blätter hängen schwer herab, - so schwer, als möchten sie die Zweige brechen; - sie hängen um ein frisches Grab. - Ein Mann beginnt sich auszusprechen: - - Nach diesen Trennungstagen, - die einen Andern aus mir machten, - will ich mein wahres Trachten - nicht länger halb im Dunkeln vor dir tragen. - Eh ich die Leiche liegen sah, - hatt ich den Traum, ihr stilles Antlitz trüge - den Mut der Tat zur Schau; der Traum war Lüge. - Ich sah in ihre zerlittenen Züge: - dem Wahnsinn schien die starre Maske nah. - Ich habe vor dem Anblick nicht gebebt: - da lag ein Herz, der Einsamkeit erlegen. - Ich stand und fühlte das Gesetz: wer lebt, - hilft töten, ob er will ob nicht. - Und aus dem gramvollen Gesicht - schlug kalt die Mahnung mir entgegen: - Keinen zu brauchen, gottgleich allein - williges Herz der Welt zu sein! - - Er neigt sich, um die tropfenschweren - Blätter von sich abzuwehren. - Mitwehrend spricht ein Weib in ihn hinein: - - Wie du gestanden hast an ihrer Bahre, - erkenn ich aus dem Büschel grauer Haare, - der früher nicht an deiner Schläfe drohte. - Wozu nun noch verstorbnes Leid auffrischen! - Das Leben wird dir’s ebenso verwischen - wie hier dies Zeichen -- sieh: ich geb’s der Toten. - - Sie legt ihre Hand wie segnend auf das Grab: - sie drückt sich tief im feuchten Erdreich ab, - ein Tropfen schimmert in dem schwarzen Ballen. - Zwei Menschen stehn, als sei ein Schwur gefallen. - - -2. - - Durch hohe Pappeln fingert grell der Mond, - legt harte Schatten vor ein kleines Haus; - fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront. - Zwei Menschen sinnen in die Nacht hinaus. - Der Dunst der Felder schleicht, das Mondlicht dämpfend. - Ein Weib sagt zögernd, mit sich kämpfend: - - Die Frau, die du bestattet hast, - hat uns befreit von einer Last; - ich weiß ihr Dank! und will ihn offenbaren. - Wo ist ihr Kind! Dein Kind! -- gib mir’s bei Zeiten; - noch können wir’s zu unserm Glück anleiten. - Was planst du immer wieder Heimlichkeiten! - soll’s etwa so ein Freund dir aufbewahren? - - Der Mann am Fenster blickt ins bleiche Land; - er wirrt in seinen grauen Schläfenhaaren. - Er spricht verhalten, abgewandt: - - Vorläufig darfst du dir den Dank ersparen. - Auch wird kein Freund in deinem Glück dich stören; - die Tote wußte nichts von diesen Leuten. - Mein Kind wird meine Mutter mir verwahren; - ich schwieg nur, um dein freies Wort zu hören -- - nun laß dir Eins dazu bedeuten: - Mir haben mehr als eure beiden Seelen - ihr ganzes Glück geoffenbart; - in jeder schien ein Stück zu fehlen, - es lag in mir wie aufgespart. - Wohl band an Jene mich ihr Leidensfrieden, - wohl riß zu Dir mich deine Lebenslust, - doch immer blieb mir frei bewußt: - mir hat die Welt ein reicheres Glück beschieden. - Vielleicht entdeckst auch Du dies Glück bei Zeiten - und lernst mein Kind zu +seinem+ Glück anleiten! - - Er kehrt seine Stirn brüsk gegens Licht; - fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront. - Sie lächelt eigen; er sieht es nicht. - Zwei Menschen blicken einsam in den Mond. - - -3. - - Sonne lacht; die Stoppelfelder schimmern. - An verfärbten Blättern zupft der Wind, - Früchte lüpfend. Heimlich Leben spinnt - weiße Fäden; rings im Blauen flimmert’s. - Scheinbar tändelnd hat ein Mann - einem Weibe solch ein zart Geflechte - um ihr schwarzes Haar gewunden -- - nun streckt er seine narbige Rechte: - - Was doch die Seele brav lernen kann, - hats nur der Körper erst für gut befunden! - Kaum hab ich mir die eine Hand lahm geschunden, - schon stellt sich meine Linke geschickter an - als je die Rechte. Selbst auf der Jagd: - wie hat mein Vater mich neulich ausgelacht, - als ich so schießen wollte -- und dann: - keinen Fehlschuß tat ich beim Kesseltreiben. - Ich kann auch wieder heimlich schreiben; - falls dirs vielleicht mal zuviel Mühe macht, - Frau Fürstin, meine Sekretärin zu bleiben -- - - Leichthin hat er das Spinngewebe - wieder ihrem Haar entnommen, - leichthin hält er’s in der Schwebe; - bis es wegschwebt, flimmernd, wehend. - Wie mit Willen nicht verstehend - sagt sie, nur ihr Atem geht beklommen: - - Du tust sehr glücklich mit deinem Spiel. - Fast wie Gaukler, die sich schämen, - Lux, ein Unglück ernst zu nehmen. - Scheint +diese+ Müh dir +nicht+ zuviel? -- - Doch den reichen Seelen - muß das Glück wohl fehlen, - das sie Andern zeigen als ein Ziel -- - - gelt? -- Er schweigt. Rings lüpft der Wind - Früchte; heimlich Leben spinnt - weiße Fäden über Zaun und Dach. - Zwei Menschen schaun dem fliehenden Sommer nach. - - -4. - - Abendröte ruht auf alten Wegen. - Stille Mühlen stehn im kahlen Land - wie gebannt; - hohe Bäume glühn der Nacht entgegen. - Wo der dämmergraue Park sich lichtet, - unweit einer Grabkapelle, - gehn zwei Menschen, Hand in Hand. - Und als sei ein Streit geschlichtet, - weist ein Weib ins Freie, Helle: - - Du mußt nit meinen, ich sei so schicksalsblind, - daß ich am Himmel niemals Wolken seh. - Hier birgt noch jeder Strauch mein einsam Weh: - hier sahst du kalt auf mein getötetes Kind. - Jetzt aber, wo dein Leben mich durchrinnt, - so warm, als klopfe unter meinem Herzen - Dein Herz mit allen Wonnen, allen Schmerzen, - jetzt will ich kämpfen, bis ich vor dir steh - so lauter wie ein wolkenloser Tag. - Wer +sind+ nun deine dunkeln Freunde? sag! - - Abendröte ruht auf alten Wegen; - durch die glühenden Kiefernkronen - graut der Nacht ein fahles Haus entgegen, - hoch mit eisernem Balkone. - Ein Mann sagt willig, sagt mit Hohn: - - So laß dir denn erwidern: - schon bist du selbst im Bunde. - Von allen seinen Gliedern - ist keins so reif wie du zur Stunde. - Denn diesen Bund hat nur die Sehnsucht gestiftet, - nichts wider Willen mehr mitanzusehen. - Man darf sogar Verrat begehen; - das Schlimmste ist, man wird vielleicht vergiftet. - Es folgen alle nur dem einen Satze: - dort, lieber Freund, scheint Ihre Kraft am Platze. - - Abendröte ruht auf alten Wegen; - Wolken glühn zwei Menschen wirr entgegen. - - -5. - - Morgennebel brodelt auf fernen Seeen. - Gelbes Laub tanzt über abgemähte - Wiesen und zerfahrne Chausseen - zur Musik der Telegraphendrähte; - sturmbetroffen stockt ein Menschenpaar. - Jäh ist eine Wanderschaar - Schwalben durch die brausenden Pappeln - und die Drähte hingeschossen, - unbekümmert um die zerfetzten Genossen, - die im Grase abgestürzt zappeln. - - Der Mann kürzt ihre Qual mit einigen Streichen. - Nun weist er auf die kleinen Leichen: - - Ja, Mutter Isis: blick nur betroffen her! - kannst du noch fliegen, Seele? und allein!? - Dein Auge hat sehr stolzen Schein -- - dann ist es gut: dann brauchst du mich nicht mehr. - Zugvögeln gleich: da ziehn sie, planvoll verbunden, - und denkt doch keiner an Ich und Du -- - schon sind sie, schau nur nach, im Nebel verschwunden, - von einer Heimat der andern zu -- - zum jammervollsten Tod bereit - in ihrer Sehnsuchtsherrlichkeit -- -- - komm weiter! - - Er winkt in den Sturm, sein Stock zuckt wie ein Degen. - Da tritt das Weib ihm voll entgegen: - - Lukas! Nun hast du deutlich genug gesprochen! - kennst du das Wort Selbstherrlichkeit? - Hältst du die Fürstin Lea für so gebrochen, - daß sie sich umsieht, was ihr Halt verleiht? - Nun will ich frei sein! frei auch vom letzten Band, - das mich noch fesselt an jene Welt der Gecken. - Frei, weil mirs ziemt; nicht Dir zum Unterpfand. - Dann biet ich dir vielleicht die Helfershand. - Warum nicht früher, das wirst du bald entdecken. - - Sie nimmt seinen Arm; sie sieht, er lächelt eigen. - Zwei Menschen fühlen, wie’s stürmt, und schweigen. - - -6. - - Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder, - Gaslichtflammen, rostige Wappenschilder, - und hohe Spiegelwände. Und inmitten - stehn zwei Menschen mit höflich kühlen - Mienen neben den steifen Stühlen - und begrüßen einen Dritten. - Dieser nickt und sieht voll Schonung - und gelangweilt in die Welt. - Und nachdem man Platz gewählt, - sagt ein Weib mit merklicher Betonung: - - Hoheit, ich danke für Ihr Entgegenkommen. - Und da Sie gütigst in die Scheidung willigen, - und da uns das Geschick den Erben genommen, - und um Verwickelungen zuvorzukommen, - möchte ich fragen, ob Sie’s völlig billigen, - daß mir auch jetzt, das heißt nach Bruch der Ehe, - die Hälfte meiner Mitgift noch zustehe; - sonst will ich mich trotz meines Anspruchs verpflichten, - so weit wie möglich zu verzichten. - - Jener wehrt mit gnädiger Bewegung; - hierauf hört man nur das Gaslicht raunen. - Und nach flüchtigem Erstaunen - nimmt ein Mann das Wort, fast mit Erregung: - - Hoheit, auch mich verlangt es, Dank zu sagen -- - ich leg ihn nicht mit leeren Händen nieder; - hier bring ich die Archivpapiere wieder, - die ich gewillt war zu unterschlagen. - Ich möchte aber nicht, daß Hoheit glauben, - ich sei aus Leichtsinn zu der Tat geschritten; - ich trat mein Amt an mit dem Zweck, zu rauben. - Ich möchte nur, daß Hoheit mir erlauben, - als Mensch den Menschen um Verzeihung zu bitten. - - Er legt errötend ein Bündel auf den Tisch; - Jener wehrt, als ob er Staub wegfächelt. - Wieder hört man nur das Gasgezisch - Zwei Menschen fühlen: der Dritte lächelt. - - -7. - - Ein Stübchen schwimmt voll Zigarettenduft; - zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft. - Immer umwölkter blickt und sinnt der Mann - das Weib an: - ihren herrischen Wuchs, ihr sorgsam schlicht Gewand, - ihr schwer zu glättendes Haar, die große Hand, - den kühnen Hals, das sanft geschwungene Kinn -- - Endlich wirft er gezwungen hin: - - Du hast es äußerst talentvoll angestellt, - dich mir als reiche Frau zu entpuppen; - ich hoffe, daß mirs immer öfter wie Schuppen - von den verliebten Augen fällt. - Ich bin dir dankbar für das charmant posierte - Schauspiel der Armut, das du mir geboten; - beinah so dankbar wie der Toten, - die mir zu Liebe Demut simulierte. - Nur glaube nicht, mit allerhand geschickten - Künsten sei Klarheit zu erzielen; - im Leben führt das Rollespielen - zu arg verwirrenden Konflikten. - Da wird die Wahrheit denn statt Ziel - ein offenherzig Lügenspiel. - - Sein Blick wird schärfer; sie hält ihn aus. - Sie scheucht den Rauch weg, sie sagt klar heraus: - - Wundert dich das, du freier Mann? - Du wolltest doch, ich sollt dir zeigen, - ob ich verstünde, planvoll zu schweigen; - du schuldigst deine eignen Künste an! - Was unterschied mich denn von einer Dirne, - bevor ich glauben durfte, wir sind Eins? - Der Schutz des Reichtums! nicht des schönen Scheins: - ich biete aller Welt die Stirne. - Die Tote aber lehre uns fürs Leben: - nur volles Selbstgefühl kann voll sich selbst hingeben! - - Sie blickt ins Freie; er hat die Augen geschlossen. - Zwei Menschen sitzen rauchumflossen. - - -8. - - Die Georginen schütteln sich im Wind; - gefallnes Obst liegt auf den Gartensteigen. - Am Straßenzaun steht scheu ein armes Kind - unter den brausenden Pappelzweigen - vor einer Frau; sie schenkt ihm von den Früchten. - Selig rennt’s weg, als müßt es flüchten. - Sie tritt zu einem Mann, sie sagt gelind: - - Jetzt stand gewiß dein Töchterchen vor dir, - ob ich wohl reif sei, ihm zuzureden - zu seinem Glück -- o glaube mir: - ein rechtes Kind vergißt für jeden - Apfel den ganzen Garten Eden, - drum ist es glücklicher als wir. - Wir schwelgen ewig im Geist und putzen - zu Vorbildern einander aus, - Einbildung träumt von ihrem Nutzen, - bis wir verdutzt im Lebensbraus - zum Sinn des alten Gebots erwachen: - du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen! - Statt uns getrost an allen neuen - Reizen wie Götter frei zu freuen -- - - Ein fallender Apfel macht sie stocken. - Er liegt zerplatzt. Der Mann sagt trocken: - - Du hast sehr reizend gepredigt -- aber - mich sticht nicht mehr der Götterhaber. - Im Geist zwar gehts schön glatt vom Fleck - auf dem beliebten hohen Pferde; - aber der Leib liebt halt die Erde, - und eh mans denkt, liegt man plattweg - -- pardon -- im Dreck. - Bis wir nicht lenkbare Lufthäuser bauen, - wohnen wir nicht auf Wolkenauen; - inzwischen zeigt uns jeder Kinderdrachen, - der Mensch muß +Alles+ zum Gleichnis machen. - - Die Georginen schütteln sich im Wind. - Zwei Menschen spüren: der Herbst beginnt. - - -9. - - Die Sonnenblumen beugen sich im Regen; - zuweilen rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen. - Der wilde Wein hängt schlaff dem Sand entgegen, - die roten Blätter scheinen Blut zu tropfen. - Der Mann steht trommelnd an der Fensterscheibe. - Plötzlich sagt er zu dem Weibe: - - Ich will dir einen Traum erzählen. - Wir standen feierlich in einem Saal, - als sollten wir vor Zeugen uns vermählen. - Ich hielt und bot dir einen vollen Pokal, - um durch den Trunk den Trauschwur zu besiegeln. - Mit einem Mal - seh ich tief unten in dem dunkeln Wein, - wie hoch von oben her, vollkommen rein - ein lächelndes Gesicht sich spiegeln: - die Tote lebt. Sie schwebt. Sie lächelt wieder. - Sie nimmt ein Fläschchen Gift aus ihrem Mieder. - Sie träufelt es in unser Kelchglas nieder. - Und ich: ich lächle mit -- und lass dich trinken -- - und trinke selbst -- mir weiten sich die Glieder -- - ich fühle fern mich in die Welt versinken. - - Und ich -- beginnt das Weib zu überlegen - und starrt abwesend in den rauschenden Regen -- - - ich stand heute Nacht allein im Traum; - ich war ein leuchtender Schneeglöckchenbaum. - Aber fern kam furchtbar ein Funkeln an, - als wollt’s mich zerstören: ein sturmgesträubter Tann, - ein Wald wilder Lichter, braungolden, grün, blau, - wie ein riesenhaft sich spreizender Pfau, - und mir gehts bis ins Mark, so eilt das Ungeheuer. - Da wird aus mir ein einziges Blütenfeuer; - von weißen Flammen stiebt die ganze Au - und flammt frei hoch mit mir, hoch, immer freier -- - und unten prasselt der verbrennende Pfau. - - Und wieder rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen. - Zwei Menschen hören’s wie Herzblut tropfen. - - -10. - - Licht kämpft mit Wolken über Forst und See. - Durchs Wasser jagen Schatten, gleich Kentauern - aufbäumend an den düstern Kiefernmauern, - die rings im Bodenlosen schauern; - durchs Uferdickicht rauscht ein flüchtendes Reh. - Zwei Menschen treten aus der Waldesruh. - Innig schaut ein Weib dem Lichtkampf zu. - - Ich fange an, dein märkisches Land zu lieben; - es liegt wie wartend, was der Himmel bringt. - Und wenn ich seh, wie dort die Winde stieben - und hier die Stille mit sich selber ringt, - und wie sich all die Sehnsucht nach dem Licht, - die aus dem grauen Wasserspiegel bricht, - paart mit der Sehnsucht in die Nacht - des Weltenschooßes, drin die Sonne wacht, - und selbst die Bäume beben, als ob sie ringen - den Umschwung der Gestirne mitzuschwingen: - dann geht mir auf, was uns ans Leben bannt - und doch uns lockt, dem Tod anheimzufallen, - und immer freier streckt sich meine Hand - nach deinen Freunden, nach den Menschen allen. - - Und gleißend öffnet sich ein Wolkenspalt; - den See durchfährt ein schlangenhaftes Blenden, - hinschillernd an den starren Kiefernwänden, - die rings ins Bodenlose enden -- - ein Mann sagt kalt: - - Jawohl, es ist im Himmel wie auf Erden. - Was sich noch unfrei fühlt, das sehnt sich frei - und möchte immer freier werden; - für mich ist dies Gelüst vorbei. - Ich lernte meine Sehnsucht stillen; - ich bin so gotteins mit der Welt, - daß nicht ein Sperling wider meinen Willen - vom Dache fällt. - - Grell greift ein Sonnenstrahl ins Waldesgrauen; - zwei Menschen müssen zu Boden schauen. - - -11. - - Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen: - Laternen lauern bleich den Fluß entlang. - Gleich trunknen Nixen zucken schwank - die Widerscheine unterm Brückenbogen, - vom Takt der Strömung hin und her gezogen; - zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang. - Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen, - weckt schwanke Erinnerungen: - - Ellewelline tanzt Serpentine -- - o, wie war der Maitag wunderbar! - als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte, - als ich im Weib noch die Welt umarmte; - da hatt ich noch kein graues Haar. - Da hatt ich blaue Himmelschuh an - und war ein schön feuriger Reitersmann; - jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott. - Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen, - aus „allen neuen Reizen“ Freude schlürfen -- - gelt, Fürstin? freier als ein Gott! - - Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht. - Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften. - Sie wills nicht sehn -- wegblicken -- Nein, nicht -- o Licht: - heilig strömt’s über -- sie flammt, sie spricht, - schauernd bis in die schwangern Hüften: - - Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib! - ich trage dein Blut in meinem Leib! - Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden! - du hältst mein nacktes Leben in Händen! - Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib, - verschmäht ein Mann ihren willigen Leib! - Das wars, was Jene zum Äußersten trieb; - was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir! - drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr. - Mich aber hast du blutpflichtig lieb! - - Sie zittert; sie will seine Hände fassen. - Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen. - - -12. - - Der Mond erleuchtet scheu ein kleines Zimmer; - das Licht durchranken Schatten, viele, viele. - Ein Mann umschreitet schweigend, wie zum Spiele, - die schwarzen Fensterkreuze auf der Diele. - Doch nun, als löse sich ein Blatt vom Stiele, - bebt eines Weibes Stimme durch den Schimmer: - - Ich trag ein Kind -- von Dir, von Dir -- - ich tu meine Wonne auf vor dir -- - o trag sie mit mir! gemeinsam! grenzenlos! - Du mußt ja; fühl’s doch! ich weiß es und ich sag’es, - mit jedem Pulsschlag sagt mirs Herz und Schooß: - Wir Beide, wir sind Eines Schlages! -- - Was quälst du uns! o denk an die Nacht zurück, - als sich’s erfüllte, dein Weisheitswort vom Glück! - Ja: alle Torheit, alles Leid - sind Ausgeburt der Einsamkeit. - Die Stimme schweigt; der Raum schweigt mit, wie leidend. - Die Fensterkreuze flehn ins kahle Feld; - doch drüber schwebt die fremde fahle Welt. - Der Mann sagt schneidend: - - O, ich denke an viele Nächte zurück; - jede war voll Wonne -- doch Glück? ist Das Glück? - Dein Schooß, ich hab ihn nicht erschlossen: - ein Andrer hatte ihn vor mir genossen. - Und dein Herz -- ich wollt mich nicht danach fragen, - aber wieder und wieder mußt ich mir sagen: - die reinste Glückseligkeit zwischen Uns Beiden - ist die zwischen Heiden -- - und daß dein Leib dir nicht heilig gewesen ist, - das zu vergessen vermag nur ein Christ! - - Er stiert plötzlich: es war, als flog - jäh ein Glanz hoch, überirdisch schlank. - Da machts ihn aufschrein: Lea! -- Sie wankt -- - will fliehn -- Er -- Licht, Schatten, Alles schwankt -- - er schwankt ans Herz ihr: ich log, ich log! -- - Zwei Menschen weinen -- o Glück! -- o Dank! -- - - -13. - - Nun krümmt das welke Laub sich sacht zum Falle; - nun bringt’s die lange verhüllten Früchte alle - in Feld und Garten voll zu Ehren. - Die Eberesche schwenkt die hundert schweren - hochroten Büschel kühn vorm Ziegeldache. - Nur des Hollunders purpurschwarze Beeren - betrauern sich am dunkelgrünen Bache, - zu dem sie lastend niederschwellen. - Ein Mann verfolgt die Bilder in den Wellen: - - Eins greift ins andre -- keins ruht -- nichts ruht -- - o hilf ein Ziel sehn! -- wie’s lockt, wie’s warnt, dies Drängen! - Es bringt kein Glück, du, still Brust an Brust zu hängen; - so trieb’s die Tote -- das fraß an ihrem Blut. - Ich war ihr Vampyr. Du wirst der meine, - wenn ich noch länger in dir ruh. - Schon immer bannender werfen deine - Augen mir ihre Blicke zu. - Dann kreist die Welt mir, als will sie mich befreien, - als sind auch Wir nur einsam zu zweien. - - Im dunkeln Wasser kreist Bild in Bild. - Er faßt das Weib an, wie innerst aus den Gleisen. - Sie neigt sich zu ihm, muttermild: - - Du Ungestümer -- so laß die Welt doch kreisen -- - sie kreist durch mich wie dich; was wehrst du ihr! - Bald wirst du dankbar das Wunder preisen, - daß dir die Tote aufersteht in mir. - O Du! wie lag ich einst voll Grauen, - vom Geist der Unterwelt durchwütet; - da lehrtest Du mich, ihm vertrauen, - der Lust wie Leid zur Reife brütet. - Nun sieh, wie dort ums Dach die Früchte lachen, - rot uns ins Herz, still wirkende Gebote! - Heute fühlst du nur das Rote; - morgen wirst du froh erwachen. - - Leis umweht ihr Haar ihm Bart und Wangen. - Zwei Menschen sehn die Welt gen Himmel prangen. - - -14. - - Doch bei Halblicht, grau um etwas Dunkles, - hocken Menschen in einem Raum, der dumpf ist, - wie Kaninchen um eine Schlange. - Denn da läßt von allen möglichen Geistern - ein berühmtes Medium sich bemeistern, - und man lauscht ihm immer neugierbanger. - Und nun zuckt die Schlafende, wimmert, röchelt; - und ein Weib, das eben stolz noch lächelte, - rauscht zum Saal hinaus, blaß, fliehend, - hastig einen Mann mitziehend. - Draußen, tief ausatmend, haucht sie glühend: - - Empörend -- schamlos -- diese entmenschten Augen! - Nun weiß ich, daß ich nicht zum Vampyr tauge; - verzeih mein Bitten, dies Schauspiel zu besehn! - Erniedrigend! Noch fühl ich mein Herz mitpochen - mit diesem Weibsbild, als könnt’s mich unterjochen -- - - und Dich? Auch? Sprich doch! -- Sie späht ihn an im Gehn; - um sie braust die Weltstadt, zur Nacht auf, lichtdurchbrochen. - Mich? fragt er ruhig und bleibt hell stehn: - - Was schiert mich diese feile Verzückte, - was diese geflissentlich Verrückten, - die wichtig tun mit dem Geschäfte, - den überirdischen Geist zu fassen, - um dann vom Dunst der irdischen Säfte - ihr bißchen Geist noch benebeln zu lassen. - Hol sie der Teufel, die hirnschwachen Tröpfe, - die mit dem Anspruch gottgleicher Geschöpfe - vor lauter Tiefsinn danach gieren, - zurückzukehren zu den Tieren! - Ein Pferd, das Nachts die Ohren spitzt, - wo Wir, die’s lenken, froh sind Nichts zu hören, - weiß mehr von derlei Geisterchören - als solch ein Mensch, das Od ausschwitzt. - Komm, fasse dich! Das Unfaßbare - bedeutet nur: bring +Dich+ ins Klare! - - Zwei Menschen schreiten weiter, lichtumblitzt. - - -15. - - Windfackeln lodern. Rot rauschen die Bäume - um scharrende Pferde, bunt blinkernde Zäume; - hoch leuchten die Blätter in der Umnachtung. - Hoch Wimpel und Seile! und drüber die Sterne! - so zeigen die fahrenden Leute gerne - die Künste ihrer Todesverachtung. - Froh staunt das Dorfvolk unten im Kreise. - Abseits lehnt ein Paar. Ein Mann rühmt leise: - - Ja, sie tun mir wohl, diese Vogelfreien, - mit ihrer Geistesgegenwart. - Als ob eine uralte Mannszucht sie feie: - jeder Griff bedacht, zielbedacht, willenshart. - Nur auf sich bedacht -- klar im Wirbel des Traums - der Mitgefühle: nur die Tat gilt, die Tat! - So üben sie auf schwankem Draht, - im Flitter der Armut Beherrscher des Raums, - die großen Tugenden der Zeit: - Gefaßtheit und Gelassenheit! - - Und erregt, als ob er mitschwingen möchte, - umspannt sein Blick ihr Spiel immer funkelnder. - Und des Weibes Blick schwankt immer verdunkelter. - Heftig faßt sie seine vernarbte Rechte. - - Lux! was schwärmst du! -- Scheinen dir deine Ziele - auf einmal nur noch Träume und Spiele? - bin Ich’s, die dein Gefühl entzweit? - Ich denke anders von deinen Handlungen! - Mir winkte strahlend aus all deinen Wandlungen - die große Tugend der Ewigkeit: - die Kraft, den Willen der Welt zu fassen - und nichts, rein nichts beim Alten zu lassen! - Und da ist mein Stern still dem deinen genaht: - wie du mich fühlst, ist das nicht meine Tat?! - - Und da schmettern Trompeten und Trommelton, - und das Volk klatscht Beifall den kühnen Springern; - und sie bitten stolz um den kleinen Lohn. - Zwei Menschen geben mit hastigen Fingern. - - -16. - - Rauch und Funken flüstern im Kamin: - Unruh ist, wo Feuergeister hausen, - Unruh, wo die kühlen Wolken ziehn -- - horch, die halbentlaubten Pappeln brausen. - Horch -- da legt sich das Gemurr der Flammen, - ein Weib nimmt all ihr Selbstgefühl zusammen: - - Mir sagt der Geist, wir wollen Ruhe haben! - Und sperr ich dir den Weg zur Tat, nun gut: - du sollst nicht sagen, ich sei dein Wankelmut: - geh hin, sei frei! und nimm mein Hab und Gut - in deinen Dienst wie andre Freundesgaben! -- - Was stehst du nun und staunst mich lächelnd an? - Lukas! -- welch Rätsel bist du, Mann -- - - Sie will in seinen Augen lesen; - es blaut ein Glanz darin wie nie zuvor. - Die Flammen geistern hell und laut empor. - Ein Mann bekennt sein stillstes Wesen: - - Ja, staun ihn an, den Mann -- hier steht er, lacht, - der einst mit furchtbar heiligem Ernst gedacht: - ich bin bös gut, ich bin ein Geist, - an dem die Überlebten sterben, - verführt von ihm, sich vollends zu verderben, - damit der Weltlauf schneller kreist -- - so macht sich der gebrechlichste Verbrecher - im Handumdrehn zum Richter und zum Rächer, - bis ihn die Welt in seine Schranken weist. - Das wars; drum hatt ich Helfershelfer vonnöten. - Drum steh ich jetzt und beichte mit Erröten: - Gewichtige Mittel zu nichtigen Zwecken, - das ist die Taktik der Gaukler und Gecken; - ein einzig Fünkchen neue Tugend wecken - frommt mehr, als tausend alte Sünder töten. - Und bist du jetzt noch mein mit Hab und Gut, - dann, Fünkchen, sieh: hell lacht die Glut! - - Die Flammen murmeln eine Wunder-Erzählung: - zwei Geister feiern ihre Vermählung. - - -17. - - Und sie staunen ins Land: es atmet Glanz ohne Ende. - Mittagsnebel wandern und weiten alle Grenzen; - aus jedem der tausend Schleier scheint die Sonne zu glänzen. - Und der Mann berührt des Weibes gefaltete Hände: - - Also morgen geh ich uns mein Töchterchen holen. - Du wirst dich wundern, Lea -- vielleicht auch nicht: - sie wird dein Ebenbild -- Gang, Haltung, Gesicht -- - nur daß sie blond ist wie ein Goldfuchsfohlen. - Ja, Meine, du hast mir schon im Geist geschlafen, - bevor sich unsre wachen beiden Körper trafen; - und nun begreifst du wohl mein Mannesbangen. - Der Geist, der Alles antreibt, in Eins zu gehören, - der strebt das Einzelgeschöpf zu zerstören; - denk, wie wir todeslüstern am Meer uns umschlangen! - Da jauchzten wir den irresten Lebenstrieben; - da hätte die Liebesgier uns aufgerieben, - hätt ich nicht Botschaft von der Toten empfangen. - Jetzt seh ich dort die Nebelgeister walten - und freu mich unsrer festeren Gestalten. - - Es wogt; und blaß, wie ferne Inseln, erscheinen - die Wälder durch die leuchtend wehenden Falten. - Das Weib legt schwer die Hände in die seinen: - - So laß uns denn den Leib recht heilig halten; - die Seele weiß sich schon allein zu frommen. - Mir ahnt ohnehin, uns wird von deinen alten - Geistesfreunden noch Unheil kommen. - Nimms nicht für Furcht! O, umso stolzer bin ich, - daß du nicht loskonntest von mir. - Und umso demutwilliger weiß ich innig, - daß ich nicht lassen kann von Dir. - Und so, leibhaftig, ist dein Kind auch mein; - ich will ihm eine Mutter sein, - als hätt’s in meinem Schooß geruht, - es ist ja Blut von Deinem Blut. - - Und blaß und blasser wehn die Nebel ins Leere. - Zwei Seelen segnen ihre Erdenschwere. - - -18. - - Doch funkeln Sterne wie von je. - Der Nachtwind irrt ums Haus mit Sehnsuchtsrufen - und rüttelt an den morschgewordenen Stufen; - die Pappeln brausen wie die See. - Ergriffen lauscht das Weib den hohen Bäumen, - ein Mädchenseelchen ruht vor ihr in Träumen; - sie dämpft besorgt das Lampenlicht. - Sie tritt ans Fenster zu dem Mann. Sie spricht: - - Lieber! wir müssen nun wohl streben, - dem kommenden Geschlecht zu leben. - Wenn meine schwere Stunde naht, - dann ist kein Raum hier. Noch kann ich reisen, - und -- gelt? uns wird auf jedem Pfad - das Wunder der Ehe sich neu erweisen, - beim alleroffenherzigsten Treiben - uns doch ein reizend Geheimnis zu bleiben -- - und drum: frei heraus, Lux: ich möcht, wir fahren - nach den Inseln, wo wir +selig+ waren! - Da kann keine fremde Hand uns hindern, - ein Paradies zu bauen mit unsern Kindern. - Und deine alten Eltern, so sehr sie jetzt grollen, - ich glaube, dann werden sie mitbauen wollen. - - Die Sterne funkeln wie von je. - Der Nachtwind rauscht ums Haus wie Wogenrollen. - Der Mann blickt lächelnd auf die dunkle Chaussee: - - Und wenn die alten Eltern nun niemals wollen? - kannst du die Welt zu Deinem Glück bekehren? - Willst du den kommenden Geschlechtern lehren, - man brauche Inseln, um selig zu sein? - - Ja, komm, wir reisen! hoch steht dein Schloß am Rhein! - Da rauscht das Leben rings kreuz und quer, - an dem alles Menschenstreben sich mißt! - Wer in der weiten Welt nicht selig ist, - der wirds auf einer Insel nimmermehr. - - Und horch: da dehnt ein Hauch den engen Raum -- - zwei Menschen sehn: ein Kind lächelt im Traum. - - -19. - - Und es glänzt ein Strom im Tal; Rebhügel steigen - von kleinen Städten zu Berg und Burg empor. - Herbstfeierlich in letzter Prunksucht umzweigen - die Wälder sie mit hundertfarbigem Flor. - Am Schloßteich spielt ein Mädchen im Sonnenschein - und schmückt sich mit den sterbebunten Blättern; - ihr goldrot Haar huscht durch den alten Hain -- - - Husch -- lacht der Mann -- gleich wird’s ein Eichkätzchen sein - und über uns im Efeu klettern. - Und der Himmel, schau, wie hochzeitsblau! - ich möcht am liebsten, wir gingen beide - in edlem Sammet und lautrer Seide, - wie deine Ahnen einst hier schritten. - Wir dürftens wagen, aus diesem Freiherrnbau - die Toten alle heraufzubitten - zur Feier der Freiheit, die Unsern Bund umschwebt: - Vivat, ihr Herrn! wie schwarz das Grab auch nachtet, - Erinnrung schimmert, und wer’s recht betrachtet, - der hat das Leben hundertmal gelebt; - hier soll der Odem eines Glückes wehn, - das Macht hat, tausend Tode zu bestehn! - - Das Weib lächelt; sie hat das Wappen besehn, - das unterm Efeu nistet überm Tor. - Sie weist empor: - - Schau dort: da lugt dasselbe Glück hervor: - für diesen Sternschild hat manch Herz gelodert, - das einst die Welt zu stürmen sich verschwor, - und das jetzt unter unsern Füßen modert. - O Lux, hier rührt mich jeder Strauch und Baum, - und jeder raunt mir doch: die Welt ist Traum. - Nur Du, du bist wie ich so wirklich mir; - du lebst, du leibst, du liebst mit mir. - - Da raschelt’s. Blätter flattern; durchs Buschwerk schlüpft - das Kind, den Lockenkopf umrankt mit Reben. - Bin ich nicht schön?! jubelt’s und hüpft es. - Zwei Menschen öffnen beide Arme dem Leben. - - -20. - - Und Kerzen schimmern; und still ins Schlafgemach - dürfen die Träume Ewigen Lebens treten. - Rings im gebräunten Schnitzwerk beten - Engel aus Erz und hüten immerwach - die Sterne auf den silberblauen Tapeten. - Die hohen Spiegel stehn gleich Lichtportalen, - aus denen, in verklärte Schatten getaucht, - die Leiber zweier seliger Geister strahlen -- - das Weib haucht: - - Bin ich nicht schön? O wie das liebreizend klang, - als unser Eichkätzchen so vor uns sprang; - ich sah uns nackt vor Gott in Wonne stehn -- - wie jetzt. O Meiner! Uns hat mit Urgewalt - das Meer getraut! Und diese Muttergestalt, - nicht wahr, du kannst sie fromm beschauen - wie Meister Dürers benedeiete Frauen, - und sie darf jubeln: in Himmelshöhn - brennt keine Scham mehr! -- sag: Bin ich noch schön? -- - - Die Schatten beben; die Kerzenflammen wehn. - Es flimmern Menschensterne rings im Blauen. - Des Mannes Blick scheint über weite Auen - hinzugehn: - - Als du auf wildem Meer mit mir - wogtest im Boot, sahst weg von mir, - sahst unter uns das Grab hinschwanken - und über uns den grauen Himmel wanken - und bebtest nicht -- da warst du schön. - Jetzt aber, hier, vor diesem klaren Spiegel, - wo jeder deiner Makel mir ein Siegel - auf meine eignen Häßlichkeiten drückt, - und siehst mich an und fühlst nun, wie wir rangen, - bis wir das wüste Element bezwangen, - und bebst beglückt -- - o Du, jetzt sind wir mehr als schön! - - Es schimmern Erzengel aus Lichtportalen. - Zwei Menschen strahlen. - - -21. - - Und Kerzen wehn noch in den hellen Tag; - entzückte Lippen glühn, verschämte Wangen. - Geburtstagsblumensträuße prangen. - Das Kind hat seinen Glückwunsch aufgesagt; - nun darf’s mit Gärtnersmann und Magd - und mit dem riesigen Rosinenkuchen - wohlgemut das Weite suchen. - Und während draußen Tanz und Trubel lacht, - nimmt zart der Mann des Weibes Blick gefangen: - - Komm, Seele -- weißt du noch? heut jährt sichs grad, - als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat - und deinen Blick empfing, der Ketten sprengte. - Und nun, in diesem freien Turmgemach, - an diesem lichterloh gekrönten Tag, - der dir und mir dein Leben schenkte, - der jedes Wort belebt zum Dankausruf, - daß uns die Welt zu denkenden Wesen schuf, - daß wir uns nicht mehr dumpf im Urnebel drehn, - daß wir zu weinen und zu lachen verstehn, - nicht mehr in Sümpfen uns ungetümlich plagend, - nicht mehr wie Brüllaffen mondsüchtig klagend, - auch nicht mehr wie solch Kindlein handelnd, - das sich, von jeder Laune betört, - sein eignes Himmelreich verstört -- - wir, Adam und Eva, gen Eden wandelnd -- - Komm --: Siehst du dort den Schieferberg im Tann? - da ließ dein Ururahn sechs Knechte henken! - Willst du mir diesen kahlen Berg heut schenken, - der hundert freie Menschen nähren kann, - wenn wir sie mitmenschlich zum Werk anlenken?! - - Sie blickt den Berg, sie blickt den Himmel an: - er scheint sich auf ein Zukunftsland zu senken. - Sie blickt zu Tal, wie übermannt vom Denken -- - - sie lacht: hab Dank, mein Herr und Lehensmann! - Und talher prangt voll Sonnengold der Fluß. - Zwei Menschen tauschen einen Festtagskuß. - - -22. - - Und eine Mondverfinsterung beginnt; - den blanken Ball beschleicht ein scharfer Schatten. - Der Schatten schwillt und macht mit seinem matten - Erdschwarz den Himmelskörper blind. - Der kahle Burghain steht um Turm und Erker - wie ein Gespensterschwarm um einen Kerker. - Das Weib sinnt: - - Es hat eine Seele sich befreit: - sie band sich selber die Hände. - Da kam die Ruhe: Nun bist du gefeit. - Ich halt dich umfangen wie Raum und Zeit: - unser Band hat nicht Anfang noch Ende. - Nun seh ich ohne Sehnen und Bangen - um unsre Sterne das ewige Dunkel hangen; - wir wissen ungeblendet heimzufinden. - Und selbst der Mond, der alte Bösewicht - mit seinem unheimlich geborgten Licht, - kann uns das Sonnenband nicht mehr entwinden. - - Im Mond der Schatten schwillt und schwillt; - im dunkeln Weltraum blinkt immer befreiter - das Licht, das von den Sternen quillt. - Der Mann sinnt weiter: - - Und man erkennt: Verbindlichkeit ist Leben, - und Jeder lebt so innig, wie er liebt: - die Seele will, was sie erfüllt, hingeben, - damit die Welt ihr neue Fülle giebt. - - Dann wirst du Gott im menschlichen Gewühle - und sagst zu mir, der dich umfangen hält: - du bist mir nur ein Stück der Welt, - der ich mich ganz verbunden fühle. - Bei Tag, bei Nacht umschlingt uns wie ein Schatten - im kleinsten Kreis die große Pflicht: - wir alle leben von geborgtem Licht - und müssen diese Schuld zurückerstatten. - - Im Mond der Schatten schickt sich an zu weichen; - zwei Menschen sehn den Himmel voller Zeichen. - - -23. - - Und immer kühner greift der Morgenwind - durch Wolken in die nebelvollen Täler; - die Wolken flüchten immer schneller, - die Nebel eilen stromgeschwind. - Von Berg zu Berg wehn breite Sonnensträhnen. - Der Mann steht auf von Rechnungen und Plänen: - - Sieh, jetzt im Zwielicht kannst du deutlich sehn, - wie mächtig unser Zukunftsland sich streckt; - wenn wir im Frühjahr an den Schachtbau gehn, - ist schon zum Herbst das Lager aufgedeckt. - Dann soll mein Grubenvölkchen bald verstehn, - daß freies Land noch freiere Leute heckt, - auch +ohne+ die soziale Republik; - und unsern Kindern wird ein Licht aufgehn, - wozu sich da vom Schornstein der Fabrik - die Rauchfahne der Arbeit reckt, - wenn hier zum Turm her Sonntags längs des Flusses - von Hütte zu Hütte auf allen Höhn - die bunten Wimpel des Genusses - um dein Sternenbanner wehn. - Gelt, das wird schön? und mehr als schön! - - Er legt beide Fäuste auf seine Pläne. - Die Nebel eilen stromgeschwind. - Die Sonne streift mit ihrer Strahlenmähne - die kleinen Städte unten, Schiffe, Kähne. - Mit strahlt das Weib, hell lacht der Wind: - - Es wird! Wo kreisend die Sterne sich rühren, - da greift jeder Bannkreis in andre ein! - Und wenns statt Hundert nur ein Dutzend spüren, - dann wird das Dutzend unermeßlich sein! - Und mitgebannt mit dir in alle Sphären, - o Mann, ich helf dir Freiheit gebären! - - Sie lehnt sich an ihn muttergroß. - Die Berge schwellen im Morgenduft. - Es ragt sein Haupt, es wogt ihr Schooß. - Zwei Menschen schaun wie Götter in die Luft. - - -24. - - Doch erdschwer stockt die weiche Luft und läßt - noch manch verblichnes Blatt zu Boden schauern; - der alte Hain steht bis ins Mark durchnäßt, - der Nebel trieft vom Moos der Mauern. - Das Weib, die Hände unters Herz gepreßt, - unterdrückt ein fröstelnd Trauern: - - Du meinst, du hast mehr Willen als ein Baum? - Und lernte nun dein eigen Kind uns hassen - mit unserm herrischen Freiheitstraum? - Lux -- unser Eichkätzchen -- dir zeigt sie’s kaum -- - weiß sich vor Heimweh nicht mehr zu lassen! - Ich hätt’s im zehnten Jahr +auch+ schlecht ertragen, - so jählings in ein ander Land verschlagen; - wir aber können allerorten bestehn. - Du kannst jedwedem Erdfleck Zukunft spenden; - und halt ich erst mein Mutterglück in Händen, - dann laß uns heim in Deine Heimat gehn! - - Sie sieht, er nickt -- schwer, ohne aufzusehn; - er streicht den grauen Fleck in seinen Haaren -- - - Meinst du, mir sei dies Leid nie widerfahren? - Bei deinen Worten hört ich fern am Rhin - die Schnitter ihre Sensen dengeln - und sah zum Hammerschlag gleich Engeln - die Nebel durch die Haide ziehn. - Ich lief vor Heimweh noch mit fünfzehn Jahren - fünf Meilen weit in einer Nacht nach Haus. - Da, Morgens, trat mein Vater zur Tür heraus: - Du?? Marsch, zurück! -- Und da: ich habs halt müssen: - da lernt ich zähneknirschend mit wunden Füßen - in jedem Straßenbaum die Heimat grüßen; - und so -- so muß auch +mein+ Kind durch die Welt! - Ihr kleiner Wille möge sich nur bäumen; - dann wird sie einst wie Wir so herrisch träumen, - so frei von Weiberlaunen -- gelt?! - - Er sieht, sie nickt -- sie atmet auf im stillen. - Zwei Menschen baun auf ihren Willen. - - -25. - - Und rauher wetterts über die Berge herab. - Die hohen Tannen fangen den Wind und juchen; - aus den Taltiefen langen die kahlen Buchen, - als ob sie oben Kräfte zu schöpfen suchen, - so sehnig schlank. Der Mann weist hinab: - - Da sieh, wie’s wächst, wo Leidenschaften sich drängen! - Hier reckt sich jeder Baum mit kühnerer Kraft; - wie riesige Schlangen, die sich im Kampf hochzwängen. - O, ich erfuhr’s, wie man nach Raum ringt im Engen, - immer bestärkter vom Leid der Leidenschaft! - Wer’s aber zu ersticken versucht, - dies tierisch Trübe, göttlich Klare, - von Lust und Liebe Unlösbare, - der ist von Anfang an verflucht: - verdammt zur Ohnmacht: verrückt, verrucht, - wird er an jedem Glück zum Diebe, - zu schwach zum Haß selbst -- aus Liebe zur Liebe. - - Er rührt das Weib an, weiter zu schreiten. - Sie steht wie wehrend; und sonderbar - bäumt sich im Wind ihr schwarz schlängelnd Haar. - Sie glättet’s. Ihr Blick flammt wie vor Zeiten: - - Wem sagst du das? Kam mir je ein Leid, - das ich nicht hinnahm mit rüstigen Händen?! - Wußt ich nicht jedes in Lust zu wenden, - seit wir einander eingeweiht: - derselbe Geist eint und entzweit -- - ich seh ihn walten nun aller Enden. - Ich sehe im Geist sogar die Zeit, - da wird sich Menschenwitz getrauen, - die Erde aus ihrer Axe zu biegen - und anders um die Sonne zu fliegen -- - ich sehe das Eis der Pole tauen, - der Blitz wird uns auf Wolken wiegen -- - doch bis in alle Ewigkeit - wird Haß und Liebe alldem obsiegen! - - Zwei Menschen schüttelt ein Wonnegrauen. - - -26. - - Doch ruhig geht der Schein der Sonne unter. - Durchs Rebgelände kriecht der Abendrauch - der kleinen Talstadt und der Moderhauch - des welken Laubes wie verzagt. - Ein Baum wirft sacht ein letztes Blatt herunter. - Das Weib fragt: - - Doch die dort unten? sind sie je zu belehren, - daß ihnen unser herrischer Wandel dient? - Einst ritt der Held gepanzert und geschient; - heut muß sich Jeder wie ein Handelsjud wehren. - Ich will an deinem menschlichen Zukunftsglauben - nicht mit Zweifelsfingern klauben, - aber gläubiger hüt ich unser göttlich Glück. - Die Welt befeindet’s. Denk dich zurück: - dein nächster Freund, wie hat er’s uns erschwert! - Scheint er dir jetzt nicht hassenswert? - - Ihre Stirn treibt Schatten in die Flucht; - in ihrem dunklen Blick zuckt erwachend - ein Irrlicht alter Eifersucht. - Der Mann sagt lachend: - - Er ist mir doch zu gottvoll zum Hasse: - ein so urdeutscher Menschheitstyrann, - daß nur der Vollblutjude Liebermann - ihn malen könnte: so schön voll Rasse. - Was sind denn hassenswerte Kreaturen? - Vorwand für unser eigen häßlich Wesen! - Der Deutsche reißt am Zopf des Chinesen, - den Britten wurmt der Eigennutz des Buren. - Du fühlst, wir leben widersittig -- - doch laß uns drum den Gott nicht schmähen, - mit dem die Sittsamen sich blähen; - uns treibt er zum Aufschwung mit seinem Fittig. - Wir haben durch ihn den Weg zur Liebe gefunden! - Ich hasse nur in meinen schwachen Stunden. - - Da glänzt ihre Stirn auf wie die Abendflur. - Zwei Menschen schweben über ihrer Natur. - - -27. - - Und an fernen Dächern und Kirchen hin wie an Särgen - fliegt der Morgen mit phönixgoldnem Schweif. - Die Nebel lösen sich von den kalten Bergen - und schmücken die Tannen mit reinstem Reif. - Und im Geist aufgehend in den verklärten Landen, - sagt der Mann dem Weib, als sei aller Kampf überstanden: - - Sieh, Seele: so werd ichs immer wieder spüren, - und bin ich noch so menschenmüd, Du: - nur dein Blick braucht sonnig mich anzurühren, - dann fliegen mir Gotteskräfte zu. - Nicht so wie damals, als wir uns noch - hochtrabende Götternamen gaben -- - die hab ich mit der Toten begraben; - jetzt tragen wir willig das Menschenlebensjoch. - - Jetzt weiß unser Wille erst recht die Flügel zu breiten, - jeden Augenblick kann er hinaus über Räume und Zeiten; - denn selig Seel in Seele ergeben - begreifen wir das Ewige Leben, - das Leben ohne Maß und Ziel, - selbst Haß wird Liebe, selbst Liebe wird Spiel. - Dann ist der Geist von jedem Zweck genesen, - dann weiß er unverwirrt um seine Triebe, - dann offenbart sich ihm das weise Wesen - jedweder Torheit -- durch die Liebe. - - Er sucht ihren Blick; er will ihr Dunkelstes lesen. - Sie steht, als höre sie ferne Glocken klingen. - Sie spricht, als sei sie in der Zukunft gewesen: - - Dann wird uns Segen aus jedem Werk entspringen. - Dann lebst du nicht mehr mit dem Leben in Streit. - Dann kann uns ganz die Lust der Allmacht durchdringen. - Nicht Mann, nicht Weib mehr wird um die Obmacht ringen. - Klar über aller Menschenfreundlichkeit - steht Mensch vor Mensch in Menschenfreudigkeit! - - Sie öffnet die Arme, als will sie die Welt umschlingen. - Fern flammt der Himmel in goldner Herrlichkeit. - Mit flammt ein Seelenpaar auf Geistesschwingen. - - -28. - - Doch weit und hoch und funkelnd spannt die Nacht - ihr Grauen aus um Turm und Hain und Garten. - Im Tal bezeugt ein Lichtlein ihre Macht. - Die Stadt schläft, von den Sternen bewacht. - Und über die Wipfel deutend, die frosterstarrten, - fragt das Weib mit Vorbedacht: - - Doch wenn nach unsern göttlichen Augenblicken - die menschlichen Stunden das Herz beschleichen? - können wir uns wie diese Eichen - mit sichern Wurzeln in jedes Schicksal schicken? - Das Kind kanns noch -- da sprachst du wahr; - sie denkt schon dran, hier Spielgefährten zu finden. - Sie kann ihr Herz noch frei an Alles binden; - selbst ihren Büchern bringt sie’s dar. - Wir aber, die wir nicht mehr einsam sind - und doch den Zwiespalt dieser Welt empfinden, - dürfen wir träumen wie ein Kind? - - Das Licht im Tal erzittert; sie sehn’s verschwinden. - Des Mannes Lächeln wird seltsam wild. - Es ist ein Lächeln, das allem Schicksal gilt. - Sein Blick erhebt sich in die nächtigen Fernen, - als lese er die Antwort aus den Sternen, - seltsam mild: - - Es ist in uns ein +Ewig+ Einsames -- - es ist Das, was uns Alle eint. - Es tut sich kund als Urgemeinsames, - je eigner es die Seele meint. - Sie wurzelt rings im grenzenlos Alleinen; - sie liebt es, sich im Weltspiel zu entzwein, - um immer wieder selig sich zu einen - durch Zwei, die grenzenlos allein. - So lebt die Liebe; das ist kein Traum. - So, Herz, erlebst du’s mit am dürrsten Baum, - was ihm wie dir wohl oder wehe tut; - nur leiser, ferner, nicht so nah dem Blut. - - Zwei Menschen lächeln über Zeit und Raum. - - -29. - - Und der Wald schweigt wie von Andacht gepackt; - der erste Schnee liegt tief und schwer. - Aus Höfen und Scheunen vom Talgrund her - tönt gedämpft der Dreschertakt. - Fern, groß, im weißen Sonnenglast, - steht eine Bäurin und worfelt Korn; - zuweilen blitzt ihr Sieb auf wie voll Zorn, - dann flattern Spatzen. Der Mann macht Rast: - - Dieses Schauspiel ergreift mich immer, - als sei’s der Mutter Menschheit Bild. - Da steht das riesige Frauenzimmer, - ihre Worfel schüttelnd, wild, schaffenswild, - die Körner hütend mit harten Tatzen, - vor Eifer glühend, vor Freude rot: - tanzt auch manch leichtes zu den Spatzen, - die schweren geben Menschenbrot. - Und jetzt auf einmal fühl ich’s mit Beben: - deines Schooßes Frucht ist der Allmacht vonnöten! - Und käme auch dieses Kind blind ins Leben - und du hast nicht wieder die Kraft, es zu töten, - dann will ich glauben, du hast die höhere Kraft, - die Licht aus tiefstem Dunkel schafft. - - Er will sie küssen -- ihm stockt das Herz: - sie steht wie weit hinweggetragen. - Ihrem Blick entquillt ein Licht in sein Herz: - das stillt alle Wonne, allen Schmerz: - ein Licht goldner Ruhe -- er hört sie sagen: - - Bei deinen Worten hat dein Kind - die Augen in mir aufgeschlagen -- - es wird nicht blind. - Es sah mich an wie aus tiefem Bronnen. - Seine Augen waren zwei blaue Sonnen. - Es wird wie Du durchs Leben gehen. - Ich hab’s gesehen. - - Traumhaft flüstert sie: Dein Kind und meins. - Traumhaft schauern zwei Herzen in eins. - - -30. - - Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach, - und leise summt die Glut in den Kaminen. - Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach; - breit vom Morgenglanz beschienen - sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder. - Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder. - Leise naht sie ihm in heller Freude, - weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide: - - Lukas -- mir war so fröhlich eben: - ich saß und dachte in dich hinein: - der Name, den wir unserm Kind bald geben, - soll auch der Name deines Bergwerks sein. - Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel - nimm all dein Schicksal als Kinderspiel! - Denn gelt: den reichen Seelen - darf das Glück +nicht+ fehlen, - das sie Andern zeigen als ein Ziel -- - - Da blickt er auf -- sie fühlt sich erbleichen: - seine Augen gleißen, Spott nistet drin. - Seine Hand weist auf einen Bauplan hin: - da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen. - Die Chiffern wogen ihr wie ein Meer. - Rauh kommt seine Stimme zu ihr her: - - Ja, ein Spiel -- nenn’s Schicksal, nenn’s Glück, Gott, Welt -- - nur: lerne verlieren, willst du gewinnen! - Ich werde mein Werk hier nicht beginnen. - Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen; - was du ahntest, hat sich eingestellt. - Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen - gnädigen Wink „von oben“ verschafft: - binnen vier Wochen bin ich verhaftet - oder verbannt -- auf amtsdeutsch: landesverwiesen. - Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn, - damit wir vor dem Gott in uns bestehn! - - Aus seinen Augen weicht aller Spott. - Zwei Menschen beugen sich vor Gott. - - -31. - - Und es tanzt der Schnee; kalt flimmern die Flocken - wie Sterne im schwachen Sonnenschein. - Immer stiller starrt das Weib landein. - Aber wärmer immer, als will er sie feien, - streicht der Mann ihre schwarzen Locken: - - Wir haben einst als Menschen gefehlt, - nun kommt die Menschheit und will uns strafen. - Aber sieh: ihr Geist hat uns so beseelt, - daß wir wie Kinder, wenn Mutters Schläge trafen, - nur umso lieber an Mutters Herzen schlafen, - der eignen Unvollkommenheit entrückt, - vom Glück aller Seelen mitbeglückt. - Und gleich den Flocken, die irrend vom Himmel tanzen - und findet doch jede ihr irdisch Ziel, - laß uns nun hingehn, als seis zum Spiel, - und in fremdes Land deutsche Edelsaat pflanzen. - Denn im blutigen Ernst deiner schweren Stunde - -- o, ich fühls, ich sehs: dann liegst du allein -- - aber eilend winkt dir jede Sekunde: - bald wirst du wieder bei mir sein, - wie unsre Kinder mit leichtem Schritt, - und bringst mir die Heimat in jede Ferne mit. - O schweig nicht länger -- ja blick mich an: - sieh, hilfebittend steht hier ein Mann, - den keine Einsamkeit mehr quält, - langsam durch heißen Haß zur Liebe gestählt, - und dem nun heimlich die Heimwehwunde klafft -- - o sage mir ein Wort voll tiefer Kraft! - - Und er sieht, er fühlt: er muß niederknien -- - und ein Blick, eine Stimme, so unermessen - wie rings die Stille, kommt über ihn: - - Hast du das Machtwort „Wir Welt“ vergessen? -- - - Und es tanzt der Schnee, und die Flocken wehn - wie Saat des Lichts von Himmel zu Erden. - Keine Grenze mehr. Zwei Menschen sehn - ihr Vaterland unendlich werden. - - -32. - - Doch eine Nacht kommt, da drohn die Weiten; - da hat der Mond Macht. Grausig rein - erleuchtet sein erlauchtes Licht den Hain. - Und das Weib schluchzt auf, wild auf, wie vor Zeiten: - - Ich trag ein Kind -- o Du, von Dir -- - ich tu meine Schwachheit auf vor dir! - Du hast meine Seele von mir befreit, - nun kommt leerer als je die Einsamkeit! - Wenn du gehst, und ich taste nach einer Hand - in meiner jammervollen Stunde -- - - Und sie wirft sich an ihn mit stammelndem Munde, - und mit schmerzgekrümmten Fingern umspannt - seine lahme Rechte sie hart wie Stahl - und rafft sie auf aus ihrer Qual: - - Dann laß mein Töchterchen bei dir stehn! - Dann wirst du stark sein! laß sie es sehn! - sehn, wie das Mutterwehe dich schüttelt! - daß sie’s mit heiligem Schrecken durchrüttelt! - daß sie bei Zeiten lernt, sich dem Leben - opferherrlich hinzugeben! - daß unsre Kinder einst einfach handeln, - wo wir noch voller Zwiespalt wandeln, - einfältig lieben oder hassen, - mit ganzem Willen die Welt umfassen, - sich heimisch fühlen selbst zwischen den Sternen - und mit jedem Feuer spielen lernen! - Und wehrt mir der Tod, euch wiederzusehn, - dann laß mich in dir verklärt auferstehn! - Und lebt dir ein Sohn, dann lehr ihn mit Lachen - aus jeder Not eine Tugend machen! - Und unsre Mädchen, die leite an: - das Recht der Frau ist der rechte Mann! - Allen Beiden aber leg ins Herz - die Macht der Liebe über den Schmerz! - - Und es leuchtet wie seines ihr Gesicht. - Zwei Menschen sehn sich eins mit allem Licht. - - -33. - - Und es sprießen wohl Sterne aus der Erde, - so strahlt der Schnee im Mittagsglanz, - so sind die Berge Ein Silberkranz. - Aber strahlender noch als all der Glanz - wird nun des Mannes Blick und Geberde: - - Nun schau und lausche, ganz wie wir sind, - ganz Geist in Leib, nicht trunken blind, - klar aufgetan bis ins Unendliche, - Unüberwindliche, Unabwendliche, - bis wir im Schooß alles Daseins sind: - und du wirst sehn, Herz, daß die Erde - noch immer mitten im Himmel liegt, - und daß Ein Blick von Stern zu Stern genügt, - damit dein Geist zum Weltgeist werde. - Es ist ihm eingefügt jeder Leib, - vom kleinsten Stäubchen bis zum herrlichsten Sterne, - verknüpft noch in verlorenster Ferne, - Weltkörper alle, auch wir, mein Weib! - Und so, schon jetzt durchkreist vom Schwung - der einst im Tod uns ureins wirrenden Triebe, - aus innerster Erinnerung - im Leben eins durch wissende Liebe, - sieh mich nun stehn in ferner Nacht, allein, - vom Anschaun der Gestirne so durchglutet, - wie wenn die Wonnewelle zwischen uns flutet: - in diesem Anschaun bin ich Ewig Dein - und kann dir treuer als je mir selber sein. - Ja, neige dich her -- o Mein -- o wunderbar: - nun schmückt auch Dich ein erstes graues Haar -- - - Er schlingt es los aus ihrer Lockennacht; - ihm scheint kein Schnee so zart und rein - wie dieses Silberfadens Schein -- - - Sie nickt und flüstert wie erwacht: - es ist bis in die Seele Gottes Dein -- -- - - Und Sterne sprießen, soweit die Sonne scheint. - Zwei Seelen wissen, was sie eint. - - -34. - - Doch die Stunde des Scheidens naht und naht, - wie wenn die Zukunft eilender rollte. - Und sie gehn noch einmal den steinigen Pfad, - wo das Werk ihres Geistes wachsen sollte. - Und inmitten der kahlen, vereisten Flächen - muß das Weib einen alten Zweifel aussprechen: - - Wenn ich spüre, wie’s wächst, mein Fleisch und Blut, - und still neuen Sinn ins Dasein tut, - als fasse der Mensch das Göttliche nur - kraft seiner tierischen Natur, - als hülle, was wir reden, nur Handlungen, - die wir im Grunde nicht verstehen, - und was wir lehren, nur Verwandlungen, - die währenddem mit uns geschehen -- - dann frag ich mich: blickt nicht der blödeste Tor - gottvoller noch als wir zu Gott empor? - Und schauernd sinnt sie nach: zu Gott -- - Da sagt der Mann mit mildem Spott: - - Zu welchem? Zu dem biblischen Erdaufseher? - Ja, dem tats not, Weltweisheit zu verbieten; - die Hunde meines Vaters sind ihm näher - als alle Priester und Leviten. - Wir aber, wir Menschen der wachsenden Einsicht, kennen - ihn anders, den Gott in unsrer Brust, - dank jenem Geist allrühriger Liebeslust, - den ich nicht wage „Gott“ zu nennen. - Gott ist ein Geist, der klar zu Ende tut, - was er zu Anfang nicht gedacht hat -- - dann sieht er Alles an, was Ihn gemacht hat, - und siehe da: es ist sehr gut! -- - Und beugst du dann vor ihm das Knie - und weihst ihm willig deinen Menschenschmerz; - dann spricht der heilige Geist des Fleisches: sieh, - so spielt Gott mit sich selbst, o Herz! - - Und kindlich lächelnd, göttlich klar, - schweigt Herz an Herz ein Geisterpaar. - - -35. - - Und Seel in Seele neu begnadet - umschreiten sie die alte Ahnengruft. - In den verschneiten Wäldern badet - ein goldenblauer Morgenduft. - Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum - erzählt der Mann dem Weib einen Traum: - - Es war, als ging ich irr auf Schicksalswegen, - und nur das Eine wußte ich: - ich kam vom Tod und ging dem Tod entgegen -- - da fand ich in der dunkeln Wüste Dich. - Dein Haupt beschirmend hob zur Sternenzone - ein Palmbaum seine starre schwarze Krone; - doch eins der Blätter neigte sich, - als sollten wir’s auf einen Friedhof bringen. - Und da wir’s nun zu uns herniederzwingen, - da fängt es an zu knistern und zu glühen, - und seine zitternden Adern sprühen - ein leuchtendes Gefäßnetz aus. - Und von dem Ätherglanz mit dir umschlungen, - entschweb’ich, aller Irrsal hell entrungen, - still heimathin durchs Weltgebraus. - - Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum - erzählt das Weib: Es muß dein Traum - in meinen Schlaf geleuchtet haben: - - Ich schwebte über einem breiten Graben, - und jenseits, hoch am grauen Himmelssaum, - stand deine strahlende Gestalt, doch schlief, - bewacht von sieben dunklen, die sich beugten. - Und während sie im Wasserspiegel tief - mir ihre Ähnlichkeit mit dir bezeugten, - begannen sie in dich hinein zu schwinden. - Und du, erwachend, sprachst, mir beigesellt: - wir sind so innig eins mit aller Welt, - daß wir im Tod nur neues Leben finden. - - Und ringsher träumt die Waldung, weiß verkleidet. - Zwei Menschen fühlen, daß der Tod nicht scheidet. - - -36. - - Und Tal und Berge ruhn in bleicher Pracht; - groß blühn die Sterne durch die Bäume, - und lautlos über Raum und Räume - erdehnt ins Leere sich die blaue Nacht. - Und nun ist bald das Schwere vollbracht; - schon rührt sich fern durchs Land, als schlüge - ein Herz im Schnee mit dumpfer Macht, - eisern das Bahngeräusch der Züge. - Und heiß, mit einem Lächeln heiliger Lüge, - haucht das Weib: Nun magst du gehn -- - - hier, wo wir noch durch unsern Himmel schreiten, - sag ich dir ruhig -- -- Sie bleibt jäh stehn, - ihre Stimme bricht, ihre Hände gleiten - ihr schützend unters Mutterherz, - ihre Lippen zwingen sich zum Scherz: - in guter Hoffnung auf Wiedersehn -- - - Da muß weit der Mann die Arme breiten: - - Nicht aber so! -- ja weine, weine -- - o sieh: aus tiefster Quelle klar - quillt meine Träne heiß in deine -- - und mich verklärend mit dem Glorienscheine - um dein nachtentsprossen Haar, - steh ich hier vor dir und schwör dir: Nie - wird diese Klarheit enden! -- Sieh: - es legt das Dunkel sich in meine Hände, - als ob es Zuflucht suchte und nun fände: - zu Sternen heb’ich meinen sichern Blick! - Da -- o Glück: - ahnst du sie, die Pflicht der Welt? - Ja: von Sphären hin zu Sphären - muß sie Saat aus Saaten gebären, - bringt sie uns das Licht der Welt: - rieselnd wie aus dunklem Siebe - sät es Liebe, Liebe, Liebe - von Nacht zu Nacht, von Pol zu Pol -- -- - - Zwei Menschen sagen sich Lebwohl. - - - - -Ausgang - - - Leb wohl, leb wohl -- du hältst dich selbst in Händen. - Du sahst, o Mensch, zwei Wesen deinesgleichen - im kleinsten Kreis Unendliches erreichen. - Auch Dein Glück wird ins Weltglück enden. - - - - - Der Kindergarten - - Gedichte, Spiele und Geschichten - - Auswahl - - - - -Gärtnerspruch - - - Alle Frucht der Welt - ist nur des Keims Gewand. - Pflege das Land, - auf das dein Same fällt! - Mag Gott es hüten - vor tauben Blüten. - - - - -Muttersprache - - - Kindersinn und Vätergeist: - Muttersprache ist ihr Band. - Wirket, daß es nicht zerreißt, - all ihr Geister, Hand in Hand! - - - - -Vatergruß - - - Wandre, wandre, Seelenklang: - Berge werden Hügel. - Wird die Wandrung dir zu lang, - gibt mein Herz dir Flügel. - - Gibt dir Flügel wundergut, - die kann niemand hindern: - meinen ganzen Lebensmut! - bring ihn meinen Kindern! - - - - -Der Vogel Wandelbar - -Ein Märchen - - - War einst ein Vöglein Wandelbar, - an dem fast alles seltsam war. - Ein rechter Wildfang wollt es sein - und hatte doch ein Humpelbein - und viel zu krumme Flügel. - - Allein die Flügel sah man kaum, - so schön war sein Gefieder; - das schimmerte wie Purpurschaum, - und auf der Brust der weiche Flaum - wie ein Perlmuttermieder. - - Vom vielen Zwitschern eigner Art - bekam’s ein Schnäblein silberzart; - und Augen trug’s im Köpfchen - so lieblich-launisch-glitzerblau - wie morgens die Tautröpfchen. - - Das gab dem Vöglein Wandelbar - ein Aussehn, sonderlich fürwahr. - Doch was das Sonderlichste war: - tief innen trug’s +un+wandelbar - ein Herz von lautrem Golde. - - Und Alles war dem Vöglein gut, - wie’s humpelte und glänzte; - und Jeder nahm’s in seine Hut, - solang es brav im Hofe saß, - der hoch sein Nest umgrenzte. - - Bis unser Vöglein endlich - ein Vogel wurde; ei der Daus, - da lief es aus dem sichern Haus - allein ins weite Land hinaus, - und da ergings ihm schändlich. - - Die Andern liefen gar so schnell, - das Ihre zu erjagen; - da kommt mit seinem Wackelschritt - solch armes Entlein nicht gut mit, - und muß den Spott noch tragen. - - Sie stießen es und traten es - und rupften es gescheit; - und in dem wilden Drängen - blieb bald sein schönes Schimmerkleid - an Busch und Dornen hängen. - - Zwar mancher blieb auch stehen; - vermahnten dann und schalten - den ungeschickten Wandelbar, - und wußten doch, wie lahm er war, - und -- blieben selbst die alten. - - Doch schließlich war es ihm geglückt, - mit letzten Kräften, arg zerpflückt, - ein Bäumlein zu erschwingen; - da dacht er heimlich auszuruhn - und sich in Schutz zu bringen. - - Verwandelt war nun ganz und gar - der arme Vogel Wandelbar; - nur hier und da noch glänzte ein - zerschlissnes Purpurfederlein - in seinem grauen Kittel. - - Und auch der Augen helles Licht - war blaß, wie welk Vergißmeinnicht - nur noch das Silberschnäbelein - war ihm geblieben, blank und rein, - wenn’s auch recht kläglich zirpte. - - So saß er weitab vom Gewühl - und fragte sich voll Wehgefühl, - warum er so verlassen; - und wußte doch, daß Lahme nicht - zu soviel Schnellen passen. - - Ein Rabe aber kam vorbei; - den ärgerte die Melodei - und auch das Silberschnäbelein. - Er schrie: „Ich mag nicht solch Geschrei! - marsch, lamentier wo anders! - - Ich will mir hier mein Nest her baun, - und für uns Beide ist kein Raum!“ - und stieß das Vögelchen vom Baum - und riß ihm aus dem Kleide - auch noch sein letzt Geschmeide. - - Da war ihm aller Mut dahin, - der Mut sogar zum Klagen. - Mit seinem müden Humpelbein - lief’s weinend in die Nacht hinein - und dachte voll Verzagen: - - Jetzt ist rein garnichts mehr an mir, - jetzt kann ich nur gleich sterben; - jetzt will ich in die Wüstenei, - wo Keinen ärgert mein Geschrei, - und still für mich verderben. - - Ja, garnichts, garnichts mehr war sein - von all dem schönen bunten Schein; - sogar das Schnäblein hatte ganz - verloren seinen Silberglanz - von all den vielen Tränchen. - - Und als das Vöglein Das gesehn, - ist fast sein Herz gebrochen. - Zum Sterben hat sich’s hingesetzt. - Da kam der goldne Mond zuletzt - und hat zu ihm gesprochen: - - „Du armes Vöglein Wandelbar, - was grämst du dich denn immerdar - um deine paar Juwelen? - Du dummes Vöglein Wandelbar, - vergaßest du denn ganz und gar, - was Keiner dir kann stehlen! - - Hast du denn nicht viel mehr in dir - als diese ganze Lust und Zier, - worauf die Andern sinnen? - Was weinst du denn und machst dir Schmerz? - denkst du denn garnicht an dein Herz - von lautrem Gold tief innen!“ - - Da ward dem Vogel Wandelbar - auf einmal alles licht und klar, - und lebte gerne weiter; - da pfiff er bis an seinen Tod - auf allen Spott, auf alle Not, - unwandelbarlich heiter. - - - - -Kutscher Tod - - - In einem Wagen, einem schönen Wagen, - fahren zwei Menschen seit vielen schönen Tagen. - Sie fahren bei Regen wie bei Sonnenschein - immer gradaus ins Blaue hinein. - Auch das schlechteste Wetter ist ihnen nicht grau; - hell lacht der Mann, warm lächelt die Frau. - Sie schaukeln das Glück auf ihren Knien, - und an einem Sommertag fragt sie ihn: - - Wenn wir so immer weiter reisen - und lassen den Weg uns einzig vom Himmel weisen, - kümmern uns um kein irdisch Ziel, - treiben nur mit dem Glück unser Spiel, - aber endlich wird’s uns vom Kutscher Tod weggenommen -- - was meinst du wohl, wohin wir kommen? - - Der Mann blickt nach den milchweißen Kühen, - die den bunten Wagen ruhig ziehen, - er blickt nach dem Kutscher, der Augen macht - so unergründlich schwarz wie die Nacht -- - dann sagt er heiter: - - Ich meine, wir kommen immer weiter! - - Der Kutscher nickt. Der Himmel ist blau; - warm lächelt der Mann, hell lacht die Frau. - Und die weißen Kühe sagen sich beide: - zwei Menschen fahren auf lebensgrüner Weide. - - - - -Triumphgeschrei - - - Alle kleinen Kinder - schrein Hurrah, Hurrah. - Mutterchen liegt still zu Bett, - Kindchen schreit Hurrah. - - Vater steht daneben, - steht und brummt: ja ja, - ist ein schweres Leben. - Kindchen schreit Hurrah. - - Mutterchen brummt garnicht, - selig liegt sie da. - Denn das kleine Menschenkind - schreit Hurrah, Hurrah. - - - - -Schnurrige Predigt - - - Na lach doch, Kind! Dein Zuckerschneckchen, - schwarz Sammetjäckchen, rote Bäckchen, - dein ausgestopftes Häschen, - dein Mäulchen, Händchen, Näschen - hat all der liebe Gott gemacht. - Ei, Herzekindchen, rasch: zerbeiß, - zerreiß, zerschmeiß -- - hei, wie der liebe Gott nun lacht! -- - - - - -Käuzchenspiel - - - Kinder, kommt, verzählt euch nicht, - Jeder hat zehn Zehen; - wer die letzte Silbe krigt, - der muß suchen gehen. - Suche, suche, warte noch, - Käuzchen schreit im Turmloch, - macht zwei Augen wie Feuerschein, - die leuchten in die Nacht hinein, - fliegt aus seinem Häuschen, - sucht im Feld nach Mäuschen, - husch, husch, huh, - das Käuzchen, das -- bist -- du! -- - - - - -Fliegerschule - - - Kommt, wir lernen fliegen! - Woher denn Flügel kriegen? - Von den achtzig Winden. - Wo sind die zu finden? - Überm ewigen Eise. - Wer bezahlt die Reise? - Da oben steht ein goldner Stern, - der belohnt die Sieger gern; - holt euch nur die Preise! - - - - -Der Reitersmann - -Von Paula und Richard Dehmel - - - Schimmel, willst du laufen, - will ich dir was kaufen! - Heißa, lauf nach Mexiko, - da kaufe ich dir Bohnenstroh; - laufe nach der Mongolei - da kauf ich mir ein Oster-Ei. - - Eile, Schimmel, eile, - oder du krigst Keile! - Hopßa, lauf nach Hindostan, - da kaufe ich mir Marzipan; - laufe nach Kap Morgenrot, - da kauf ich dir ein Dreierbrot. - - - - -Geschäftsleutchen - - - Lottchen will Jahrmarkt spielen, - Musik ist schon bestellt. - Nur ach, es fehlt die Warenbude; - der Peter hat kein Geld. - - Ach, hab dich nicht! sagt Lottchen; - als ob das nötig wäre. - Wir nehmen Vaters Sorgenstuhl, - jetzt sind wir Millionäre. - - - - -Geburtstagsgeschenke - - -I - - Lieber Vater! ich kann dir garnichts schenken, - blos mein kleines Herz und alle meine Küsse, - und -- eins, zwei, drei, vier, fünf Haselnüsse, - dabei kannst du dir - was Wunderschönes denken. - Du kannst dir denken, jede Nuß - hat ein kleines Herz, noch kleiner als das meine; - und hätte sie auch zwei kleine Beine, - liefe sie auf dich zu und gäb dir einen Kuß, - einen wundervollen, herzhaften Geburtstagskuß! - - -II - - Liebe Mutter! Du zählst sie gerne, - alle deine vielen Geburtstagssterne. - Hier stehn sie strahlend; und daneben - siehst du zwei silberne Halbmonde schweben. - Das sind zwei Lampen fürs Klavier, - eine von Vater, die andre von mir. - Kommt nun der Abend mit müden Beinen, - dann läßt du deine Monde scheinen - und spielst; und wir, wir hören und träumen - von den hohen himmlischen Räumen, - von deinem Sternenringelreihn -- - Vater wacht noch, ich schlafe ein. - - - - -Abendgebet - - - Müde bin ich, geh zur Ruh; - lieber Himmel, deck mich zu! - Laß die Sterne alle dein - meines Schlafes Hüter sein! - - Schick im Traum ihr Licht mir zu, - daß mein Herz in Reinheit ruh! - Flecken, die der Tag gemacht, - lösch sie gnädig aus, o Nacht! - Amen. - - - - -Freund Husch - -Von Paula und Richard Dehmel - - - Husch, husch, husch, - ich putze meinen Busch. - Der Mond ist da, der Mond ist hell; - der Mond, der ist mein Spielgesell, - husch. - - Husch, husch, husch, - ich schlüpfe aus dem Busch. - Ich stecke mein Laternchen an, - ich zünde uns die Sternchen an, - husch. - - Husch, husch, husch, - ich schüttel meinen Busch. - Die Kinderchen sind all zur Ruh, - ich schüttel ihnen Träume zu; - die haben wir vergangne Nacht, - der Mond und ich, uns ausgedacht, - husch. - - Husch, husch, husch, - ich schlüpfe in den Busch. - Ich puhste mein Laternchen aus, - ich suche mir ein Sternchen aus, - das lass ich droben Wache stehn, - nun kann ich ruhig schlafen gehn, - husch, husch, husch, - im Busch. - - - - -Das Maiwunder - -Von Paula und Richard Dehmel - - - Maikönig kommt gefahren, - in seinem grüngoldnen Wagen, - mit Saus und Gesinge. - Seine Zügel sind Sonnenstrahlen; - große blaue Schmetterlinge - ziehn ihn über Busch und Bach, - daß die weißen Blütenglocken - in seinen Locken - schwingen und springen. - Und Hans kuckt ihm nach - und hört sein Lied: - wer zieht mit? zieht mit? - - Kommt das Maienweibchen, - trägt ein weißes Kleidchen, - trägt ein grünes Kränzchen, - sagt zu unserm Hänschen: - Eia, Hans, - komm zum Tanz! - Einen Schritt Frau Nixe, - einen Schritt Herr Nix, - Ringeldireih, Ringeldireih, - Dienerchen, - Knix! - - - - -Puhstemuhme - - - Krause, krause Muhme, - alte Butterblume, - Puhsterchen, nanu? - Wo hast du denn dein Hütchen, - dein gelbes Federschütchen? - worauf wartest du? - - „Warte aufs Kindchen, - auf ein lieb Mündchen, - ich alte griese - Trauerliese, - puh, puh, puh. - Ach bitte, puhst mich doch - rasch in den Himmel hoch: - tausend kleine Nackedeys - spielen da im Gras, - tausend kleine Nackedeys - lachen sich da was.“ - - - - -Das große Karussell - - - Im Himmel ist ein Karussell, - das dreht sich Tag und Nacht. - Es dreht sich wie im Traum so schnell, - wir sehn es nicht, es ist zu hell - aus lauter Licht gemacht; - still, mein Wildfang, gib Acht! - - Gib Acht, es dreht die Sterne, du, - im ganzen Himmelsraum. - Es dreht die Sterne ohne Ruh - und macht Musik, Musik dazu, - so fein, wir hören’s kaum; - wir hören’s nur im Traum. - - Im Traum, da hören wirs von fern, - von fern im Himmel hell. - Drum träumt mein Wildfang gar so gern, - wir drehn uns mit auf einem Stern; - es geht uns nicht zu schnell, - das große Karussell. - - - - -Aurikelchen - - - Aurikelchen, Aurikelchen - stehn auf meinem Beet, - und sehn den blauen Himmel an, - wo schon den ganzen Morgen - die goldne Sonne sieht. - - Aurikelchen, Aurikelchen, - was guckt ihr denn so sehr? - Ihr seid ja selbst so gelb wie Gold, - und habt ein hellrot Herzchen, - was braucht ihr denn noch mehr! - - - - -Der Schatten - -Nach R. L. Stevenson - - - Ich hab einen kleinen Schatten; - der geht, wohin ich geh. - Aber wozu ich ihn habe, - ist mehr, als ich versteh. - Er ist ganz ebenso wie ich, - blos nicht ganz so schwer; - und wenn ich in mein Bettchen hüpfe, - dann hüpft er hinterher. - - Das Sonderbarste an ihm ist, - wie er sich anders macht; - garnicht wie artige Kinder tun, - hübsch alles mit Bedacht. - Nein, manchmal springt er schneller hoch - als mein Gummimann; - und manchmal macht er sich so klein, - daß Keiner ihn finden kann. - - Neulich ganz früh, da stand ich auf, - noch eh die Sonne schien, - und ging spazieren durch den Tau, - im Gras, und suchte ihn. - Aber mein kleiner fauler Schatten, - als wenn er Schnupfen hätt, - lag wie ein altes Murmeltier - noch fest im Bett. - - - - -Morgenlied - - - Tapp tapp, wer kommt da querfeldein? - Nur rasch, nur rasch, Herr Morgenschein, - trab trab! - Die Jungfer Tauduft putzt sich hier; - sie schlägt den Schleier auf vor dir, - klapp klapp! - - Klapp klapp, sie lädt dich ein zum Tanz; - nur hol erst deinen goldnen Kranz, - trab trab! - Wer zu ihr will, muß früh aufstehn; - wers tut, dem patscht sie auf die Zehn, - schwapp! - - - - -Der kleine Sünder - -Von Paula und Richard Dehmel - - - Gestern lief der Peter weg, - spinnefix verstohlen; - setzt sich Mutter den Bänderhut auf: - wart, ich will dich holen! - Sausepeter, - Flausepeter, - kleiner Sünder, wo bist du? - - Hahnematz steht auf der Wiese, - „kiek ins Grüne!“ kräht er; - sag mir, bunter Kickeriki, - wo ist unser Peter? - Bummelpeter, - Schummelpeter, - kleiner Sünder, wo bist du? - - Wie sie sich im Garten umkuckt, - ist er nicht zu sehen; - bleibt sie neben dem Spargelbeet - unterm Pflaumbaum stehen. - Aber Peter, - nirgends steht er; - kleiner Sünder, wo bist du? - - Hört sie etwas lachen, horch, - oben aus dem Baume; - sitzt der Peter seelenvergnügt, - pflückt sich eine Pflaume. - Wirft ein Steinchen, - schwenkt die Beinchen, - wupptich --: Mutter, da +bin+ ich! - - - - -Fragefritz und Plappertasche - -Von Paula und Richard Dehmel - - - Fritz, ich möcht den Spaten haben. - „Mutterchen, warum?“ - Möchte eine Grube graben. - „Mutterchen, warum?“ - - Möchte drin ein Bäumchen pflanzen. - „Mutterchen, warum?“ - Wird mein Fritze drunter tanzen. - „Mutterchen, warum?“ - - Wird das Bäumchen Kirschen tragen. - „Mutterchen, warum?“ - Ei, du mußt die Spatzen fragen, - die sind nicht so dumm! -- - - Kommt die kleine Plappertasche: - „Mutterchen, nicht wahr, - ich bin klüger als der Fritze, - bin schon bald sechs Jahr! - - Mutterchen, nicht wahr, der Fritze - ist ein Schaf, o jee! - Ich kann schon bis zwanzig zählen - und das A-B-C!“ - - I, du kleine Plappertasche, - laß den Fritz in Ruh! - Plappertasche, wische wasche, - halt das Mäulchen zu! - - Übermorgen in acht Wochen - kommt der Weihnachtsmann; - wenn du dann noch immer plapperst, - was bekommst du dann? - - Einen großen Maulkorb! -- - - - - -Furchtbar schlimm - - - Vater, Vater, der Weihnachtsmann! - Eben hat er ganz laut geblasen, - viel lauter als der Postwagenmann. - Er ist gleich wieder weitergegangen, - und hat zwei furchtbar lange Nasen, - die waren ganz mit Eis behangen. - Und die eine war wie ein Schornstein, - die andre ganz klein wie’n Fliegenbein, - darauf ritten lauter, lauter Engelein, - die hielten eine großmächtige Leine; - und seine Stiefel waren wie Deine. - Und an der Leine, da ging ein Herr, - ja wirklich, Vater, wie’n alter Bär, - und die Engelein machten hottehott; - ich glaube, das war der liebe Gott. - Denn er brummte furchtbar mit dem Mund, - ganz furchtbar schlimm! ja wirklich! und -- - - „Aber Detta, du schwindelst ja; - das sind ja wieder lauter Lügen!“ - - Na, was schad’t denn das, Papa? - Das macht mir doch soviel Vergnügen! - - „So? -- Na ja.“ - - - - -Fitzebutze - - - Lieber ßöner Hampelmann, - deine Detta sieht dich an! - Ich bin dhoß, und Du bist tlein; - willst du Fitzebutze sein? - Tomm! - - Tomm auf Haterns dhoßen Tuhl, - Vitzlibutzki, Blitzepul! - Hater sagt, man weiß es nicht, - wie man deinen Namen sp’icht. - Pst! - - Pst, sagt Hater, Fitzebott - war eimal ein lieber Dott, - der auf einem Tuhle saß - und sebratne Menßen aß. - Huh! - - Huh, sei dut, ich bin so tlein - und will immer a’tig sein. - Fitzebutze, du bist dhoß; - kleine Detta spaßt ja blos. - Ja? - - Ja, ich bin dir wirktlich dut! - Willst du einen neuen Hut? - Tlinglingling: wer b’ingt das Band? - Königin aus Mohrenland! - Tnicks! - - Tnix, ich bin F’au Tönidin, - hab zvei Lippen von Zutterrosin; - Fitzebutze, sieh mal an, - ei, wie Detta tanzen kann! - Hoppß! - - Hopßa, hopßa, hopßassa: - Tönigin von Af’ika! - Flitzeputzig, Butzebein, - wann soll unse Hochzeit sein? - Du! - - Du! Mein tleiner lieber Dott! - Du?! sonst geh ich von dir fo’t! -- - Ach, du dummer Hampelmann, - siehst ja Detta garnicht an! - Marsch! -- - - - - -Käferlied - - - Maiker, Maiker, surr, - bleib schön sitzen, burr! - Breite deine Fühler aus, - mach zwei kleine Fächer draus, - schwing sie kreuz und quer, - zähle mir was her! - Zähle, ich will mit dir zählen, - wieviel noch Minuten fehlen, - bis Herr Heuschreck wuppt - und mir auf die Nase huppt. - Maikäber, Maiker, - sonst holt dich der Deiker. - - - - -Die Reise - - - Tipp, tapp, Stuhlbein, - hüh, du sollst mein Pferdchen sein! - Klipp, klapp, Hutsche, - du bist meine Kutsche, - wutsch! - - Wipp, wapp, zu langsam; - hott, wir fahren Eisenbahn! - Alle meine Pferde, - um die ganze Erde, - rrrutsch! - - Tipp, tapp; zipp, zapp; - halt, wann geht das Luftschiff ab? - Fertig, Kinder, eingestiegen! - wollen in den Himmel fliegen! - futsch! - - - - -Die Schaukel - - - Auf meiner Schaukel in die Höh, - was kann es Schöneres geben! - So hoch, so weit: die ganze Chaussee - und alle Häuser schweben. - - Weit über die Gärten hoch, juchhee, - ich lasse mich fliegen, fliegen; - und alles sieht man, Wald und See, - ganz anders stehn und liegen. - - Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh? - Im Himmel! ich glaube, ich falle! - Das tut so tief, so süß dann weh, - und die Bäume verbeugen sich alle. - - Und immer wieder in die Höh, - und der Himmel kommt immer näher; - und immer süßer tut es weh -- - der Himmel wird immer höher. - - - - -Das richtige Pferd - -Von Paula und Richard Dehmel - - - Wer schenkt mir ein lebendiges Pferd, - mein Schaukelpferd ist garnichts wert, - es hat so steife Beine. - Es stampft nicht, frißt nicht, wiehert nicht, - und macht solch ledernes Gesicht; - es weiß nicht, was ich meine. - - Wenn mir der Weihnachtsmann ein Pferd, - ein wirklich richtiges Pferd beschert, - dann reit ich über die Brücke, - und reite durch den Kiefernforst - nach Vehlefanz und Haselhorst, - und noch fünf große Stücke. - - Dann bin ich mitten in der Welt; - da such ich mir ein Haberfeld - und lasse meine Pferdchen grasen. - Und dann, dann reit ich ans Ende der Welt, - wo der Riese den Regenbogen hält, - und -- schick euch ’ne Ansichtspostkarte. - - - - -Die ganze Welt - - - Wo hängt der größte Bilderbogen? - Beim Kaufmann, Kinder! ungelogen! - Man braucht blos draußen stehn zu bleiben, - kuckt einfach durch die Ladenscheiben, - da sieht man ohne alles Geld - die ganze Welt. - - Man sieht die braunen Kaffeebohnen; - die wachsen, wo die Affen wohnen. - Man sieht auf Waschblau, Reis und Mandeln - Kameele unter Palmen wandeln, - und einen Ochsen ganz bepackt - mit Fleischextrakt. - - Man sieht auch Zimmt und Apfelsinen, - und Zuckerhüte zwischen ihnen. - Man sieht auf rot lackierten Blechen - Matrosen mit Chinesen sprechen; - und manchmal steht ein bunter Mohr, - der lacht, davor. - - Am Eingang aber lehnt ’ne Leiter - mit Hasen, Hühnern und so weiter. - Und manchmal hängt an ihren Sprossen - ein großer Hirsch, ganz totgeschossen; - dann kommt so’n kleiner Hundemann - und schnuppert dran. - - - - -Lazarus - -Nach R. L. Stevenson - - - Ich bin der kleine Lazarus, - der still zu Bette liegen muß; - die Nacht ist immer schrecklich lang, - ich bin schon sieben Tage krank. - - Ich weiß, im ganzen Hause gehn - die großen Leute auf den Zehn; - ich mach mir aber garnichts draus, - ich packe sacht mein Spielzeug aus. - - Ich schicke mein Soldatenheer - durch meine Kissen kreuz und quer, - von Tal zu Tal, bergauf bergab, - und manchmal kommt ein tiefes Grab. - - Und auf dem Laken weiß wie Schnee - ziehn meine Schiffe über See; - und um die Wellen geht ein Wall, - da bau ich Burgen überall. - - Ich bin der Riese groß und still, - der Alles tun kann, was er will, - vom Bettberg bis zum Lakenstrand - im Reich der weißen Leinewand. - - - - -Der kleine Held - -Eine Lehrjungen-Dichtung - - - Allen braven Trotzköpfchen zugedacht. - Bengels, daß ihr Kerls aus euch macht! - - -Inhalt: - - Wie ein ganz armer Junge sich sagt was er alles werden kann. - - - - -Anfang - - - „Du bist ein armer Junge“ - sagt Mutter oft und weint, - wenn ich Herr Rittersmann spielen will. - Aber Vater hat gemeint: - „er ist ein kleiner Held!“ - - Neulich nahm ich ganz einfach - meinen Drachen mit als Schild, - und dem reichen Kurt sein Schwesterchen - hat mich geküßt wie wild: - „du bist ein kleiner Held!“ - - Ich ließ meinen Drachen steigen, - dann ging es in die Schlacht; - ich wollt meinen Schild blos +zeigen+, - ich hab ihn selbst gemacht, - ich bin ein kleiner Held! - - Ich wills schon machen, daß Mutter - nicht mehr weint um mich. - O! sie soll mal sehn und lachen, - was ich alles werden kann, ich - kleiner Held! -- - - - - -Ein Zimmermann - - - Ich kann ein Zimmermann werden, - dann zimmr’ich mir ein Haus; - hoch überm höchsten Giebelbalken - krönt meinen Richtfeststrauß - -- Achtung! -- mein Meisterhut. - - Dann zimmr’ich noch viele Häuser; - meine Richtschnur knippst und knappst, - die Spähne schießen vor Angst kobolz - um meine blanke Axt, - und hurr, wie knirscht meine Säge! - - Meine Säge knirscht mit den Zähnen: - mir ist kein Holz zu hart, - ich werd’s schon kirre kriegen, - wart nur, wart nur, wart! - So knirscht meine große Säge. - - Fertig! Nun fix nach oben, - wo der Wind mich kämmt und küßt; - und mag er rütteln und toben, - ich fall nicht vom Gerüst, - ich bin ein kleiner Held! - - - - -Ein Dachdecker - - - Ich kann ein Dachdecker werden, - denn ich bin schwindelfrei. - Ich kletter bis auf den Kirchturmhahn, - und die Dohlen und Krähn schrein: ei, - was will der Herr denn hier? - - Der will die Kirchtürme flicken, - es tut schon lange not! - Die Glocken, wenn mein Fahrstuhl kommt, - brummen: ßapperlot, - da baumelt ’ne Himmelsleiter! - - Und unten kribbeln die Leutchen, - und steigt kein Laut mir nach. - Blos mein Freund, der Schornsteinfeger, - ruft manchmal vom nächsten Dach: - Komm, Bruder, es gibt ein Gewitter! - - Aber dann bleib ich lieber - ruhig auf meinem Sitz - und hör, wie der Donner losbrüllt: - Bravo! Sieh, Bruder Blitz, - das ist ein kleiner Held! - - - - -Ein Feuerwehrmann - - - Ich kann Feuerwehrmann werden; - kaum daß die Brandflamme prasselt, - kommt schon galopp mit Fackelgesprüh - unser Wagen angerasselt, - alle Mann wie auf Sprungfedern stehend. - - Wie mit Donner und Blitz um die Wette: - unsre Fackeln sind Rettungszeichen! - Meine Pfeife gellt: beiseit, beiseit! - und alle Menschen weichen - uns voll Ehrfurcht aus. - - Denn dort die glühenden Fenster -- - horch: durch den Qualm ein Schrei! - Da wird nicht lange gefackelt mehr: - rasch den Rauchhelm auf, die Spritzen in Reih, - und mit Beil und Seil wird gerettet! - - Vielleicht ein schönes Mädchen; - das wird dann meine Braut. - Oder ein kleiner Betteljunge; - der schießt dann wie ich ins Kraut - und wird ein kleiner Held. - - - - -Ein Schmied - - - Ich kann Schmiedemeister werden; - knuff! sagt mein Hammer und saust, - dann springen die Funken vor Freude - um meine rußige Faust - bis an den Blasebalg. - - Herr Blasebalg, was stöhnst du? - Nur zu! die Glut geschürt! - Und laß die Schlacken nur spucken, - wenn meine Zange drin rührt; - gut Eisen will auf den Ambos! - - Dem soll ich den Rücken klopfen, - dann lacht er und trällert ein Lied: - Lieb Hammergeläut, lieb Hammergeläut, - gut Eisen dankt dem Schmied, - er klopft es hart zu Stahl. - - Drum streut’s vor Freude Funken - und hüpft bei jedem Streich; - die Heuchler und Halunken, - die klopft er windelweich, - knuff, der kleine Held. - - - - -Ein Maschinenbauer - - - Ich kann Maschinbauer werden; - da sträubt sich manchem das Haar. - Das ist viel toller als Märchenspuk, - da hausen wirklich wahr - tausend Zauberkräfte. - - Die toben, wirbeln, krachen - mit Kolben, Kurbeln, Gelenken, - mit feuerschnaubenden Rachen, - man muß an die Hölle denken, - an die großen Tiere der Urzeit. - - Und sind viel stärker als Riesen; - was können sie alles tun! - Bergwerke bohren, Dampfschiffe treiben, - Bahn brechen mit eisernen Schuhn; - weh dem, der ihnen zu nah tritt! - - Schnurstracks reißt Schwungrad und Riemen - die täppische Hand in Fetzen. - Mit solchen Ungetümen - auf guten Fuß sich setzen - lernt nur ein kleiner Held. - - - - -Ein Eisenbahner - - - Ich kann Eisenbahn-Zugführer werden; - nein, Lokomotivführer lieber. - Dann bin ich kleiner Menschenknirps - der größten Maschine über, - die tausend Pferdekraft stark ist. - - Und tausend andre Menschen - regiert Ein Griff meiner Hand, - tagein tagaus, bei Nacht, bei Nebel, - im Sturm von Land zu Land; - Bahn frei! schreit meine Maschine. - - Bahn frei -- was schreit da wider? - im Dunkeln welch Gestampf? - Woher, wohin? Vorwärts, zurück? - Halt! bremsen! Gegendampf! - jetzt gilts, Mensch: Einer für Alle! - - Und fliegt der Kopf vom Kragen, - so stirbt sichs ohne Grämen; - dann braucht man sich doch wenigstens - des Lebens nicht zu schämen! - So denkt ein kleiner Held. - - - - -Ein Weltreisender - - - Ich kann Weltreisender werden, - wo keine Eisenbahn geht: - wo überm ewigen Eismeergrab - die Nordlichtkrone steht, - die Krone der ganzen Erde. - - Oder wo heiß die Wildnis - nur Grüße Gottes haucht, - und wo die liebe Seele - keinen andern Wegweiser braucht - als Sonne, Mond und Sterne. - - Und treff ich mal auf Menschen, - die sind wohl nicht wie ich; - ihr Gott, der heißt wohl Fitzebutze, - ihr Häuptling Duckedich -- - hurra, das gibt einen Hauptspaß! - - Ich ducke sie noch ein bißchen - tiefer zum Schabernack; - und wollen sie’s übel nehmen, - dann los! habt Mut, ihr Pack! - hier steht ein kleiner Held! - - - - -Ein König - - - Ich kann ein König werden; - nicht etwa bei uns, i wo! - Bei uns, da muß man Kronprinz heißen, - dann wird man’s sowieso. - Ich werd bei den Negern König! - - Die fragen nicht nach dem Taufschein, - wenn man nur orndtlich regiert. - Erst zähm ich mir ein Dutzend Löwen, - dann komm ich ankutschiert, - acht Zebras vorgespannt: - - Was lauft ihr weg wie die Affen? - Mein Reich ist vogelfrei! - Wer stark ist, darf’s erobern helfen; - die Klugen sind stark für zwei! - Kommt, Kinder, dankt euerm Herrgott! - - Ihr habt einen König und Priester, - der braucht keinen Polsterthron, - keinen Feldherrn, Hofherrn, Minister - und sonstige Dienstperson; - euch führt ein kleiner Held! - - - - -Ein Tierbändiger - - - Ich kann Tierbändiger werden, - ich bin den Bestien gut; - sie würden gerne Menschen sein, - nur Qual ist ihre Wut, - drum sind ihre Augen so traurig. - - So wie in Wahnsinn versunken, - so gläsern manchmal, so stier. - Aber man braucht sie blos zu lieben, - das fühlen sie ganz wie wir - und lernen Vernunft annehmen. - - Neulich am Raubtierkäfig - bot ich dem Tiger die Hand. - Er sah mich lange schnurrig an, - bis er mein Herz verstand; - dann ließ er sich ruhig tatzeln. - - Er gähnte wie im Zirkus - und bog die Schwanzspitze sacht. - Ich wette, den dürft ich karbatschen, - er dachte: Du hast die Macht, - du bist ein kleiner Held. - - - - -Ein Kunstreiter - - - Ich kann ein Kunstreiter werden, - das kann nicht jedermann; - nur wer bis in die Zehenspitzen - sich selber bändigen kann, - bis in die Turnschuhspitzen! - - Hei, wenn beim großen Luftsprung - meine stolzen Pferde sich bücken! - Die Herren Leutnants lächeln vor Neid, - die Damen vor Entzücken; - ich lächle immer mit. - - Ich lächle, ihr schönen Damen: - Klatscht Beifall! still, Musik! - freut euch, gleich kommt der Doppel-Luftsprung, - vielleicht brech ich’s Genick! - Ich werde auch dann noch lächeln. - - Dann kommt ihr angefahren - mit Kränzen und Trauermärschen; - ich aber lächle noch im Sarg, - ich kann mich selbst beherrschen, - ich bin ein kleiner Held. - - - - -Ein Jägersmann - - - Ich kann ein Jägersmann werden, - ich hab eine sichre Hand; - ich werde von der Schießbudenfrau - immer „klein Tell“ genannt. - Ich hab auch kaltes Blut. - - Ich zucke nicht mit der Wimper, - drück ich die Knallbüchse ab. - Mir soll kein Wilddieb ins Handwerk pfuschen; - ich bringe ihn auf den Trab, - und wär er schlau wie ein Teckel. - - Ich würde wohl selber wildern, - hätt ich kein eigen Revier. - So aber, Kerl: Mann gegen Mann, - ich schütze den Forst vor dir, - das ist meine Pflicht, Halunke! - - Gewehr her! oder -- gib Feuer! - Auge in Auge! Laß sehn: - piff paff, wen’s trifft, dem wird noch - sein ärgster Feind gestehn: - da liegt ein kleiner Held. - - - - -Ein Gärtner - - - Ich kann ein Gärtnersmann werden, - mit allen Pflanzen vertraut. - Mir schadet keine Treibhausluft - und auch kein giftiges Kraut; - ich bin so zäh wie ein Buchsbaum. - - Ich nutze die giftigen Kräuter, - ich züchte Heilkräuter draus, - mitunter auch Küchenkräuter; - nur die Unkräuter reiß ich aus - oder veredle sie. - - Und meine Baumschule, Leute, - schmückt alle Landstraßen, seht! - Jawohl, Herr Nachbar, es lohnt sich, - wenn man noch mehr versteht - als schöne Sträuße zu binden! - - Mein Garten wird nicht verschmachten, - gefällt er manchem schlecht. - Er kann euern Beifall verachten, - und euer Schimpfen erst recht; - ihn pflegt ein kleiner Held. - - - - -Ein Ackersmann - - - Ich kann ein Ackersmann werden; - auch der muß tapfer sein. - Mit Himmel und Erde muß er kämpfen, - daß seine Felder gedeihn, - ein Kriegsmann Schritt für Schritt. - - Um Haus, Hof, Heimat kämpft er, - potz Hagel, Blitz und Brand! - Mit Gleichmut ist sein Herz gepanzert, - mit Schwielen seine Hand, - hart wie das Korn, das er sät. - - Und wills daheim nicht fruchten, - um Deutschland geht kein Zaun; - noch manchen Urwald gibts zu lichten, - da kann man Blockhütten baun - und neue Heimat schaffen. - - Vielleicht stößt doch das Heimweh - langsam das Herz ihm ab? - Dann aber rauschen die Ähren - weithin um sein Grab: - hier ruht ein kleiner Held. - - - - -Ein Seemann - - - Ich kann ein Seemann werden, - Kapitän oder Steuermann. - Den macht sein Steuerrad so stark, - wie der Pflug den Ackersmann; - kommt nur, ihr Wolken und Wellen! - - Der Wind pflügt tausend Furchen - von einem zum andern Strand. - Nur Eine Furche pflügt mein Schiff: - die bricht unserm Vaterland - nach allen Erdteilen Bahn. - - Ob noch so undurchdringlich - ringsum der Nebel graut, - daß selbst die Sonne durch den Dunst - wie’n blindes Auge schaut: - unser Kompaß kennt den Weg. - - Wenn wir die Flagge hissen, - du fremde Hafenstadt, - soll jeder Matrose wissen, - der Ehre im Leibe hat: - dir naht ein kleiner Held! - - - - -Ein Lotse - - - Ich kann auch Lotse werden; - da, wo die Schiffbrüche drohn. - Ich darf das Sturmboot kommandieren, - wenn vor der Wachtstation - plötzlich der Notschuß dröhnt. - - Los, Jungens! an die Riemen! - Und in den schwarzen Braus - sprüht der Raketen-Apparat - Leuchtschnur auf Leuchtschnur aus; - grell klafft die Nacht ums Wrack. - - Mit brüllendem Rachen schnappen - die Sturzseen über Deck. - Die Mannschaft reißt die Passagiere - vom krachenden Mastbaum weg; - der Gischt fegt ihn von Bord. - - Und in den bleichen Haufen - prasselt mein Rettungstau; - da kriegen auch die Feigsten Mut, - und manche schwache Frau - wird ein kleiner Held. - - - - -Ein Taucher - - - Ich kann ein Taucher werden, - einsam auf Meeres Grund. - Da könnt ihr Stürme nicht hinab; - still wie in Todes Schlund - tu ich mein kühnes Werk. - - Lautlose Wirbel schauern - über und unter mir; - mit dunklen Fangarmen lauert - heimtückisches Getier - zwischen den grauen Riffen. - - Da muß ich die Schätze heben, - die für die Menschen taugen; - gespenstische Wesen schweben - mit bunten Phosphor-Augen - um meine Glocke hin. - - Und hab ich sie gehoben, - dann sperrt wohl noch ein Hai - sein schiefes Maulwerk nach mir auf. - Dem bringt’s mein Fußtritt bei: - hier schwebt ein kleiner Held! - - - - -Ein Goldgräber - - - Ich kann ein Goldgräber werden - und des Erdgrunds Schätze schürfen. - Mutter Erde spendet immer mehr, - je mehr die Menschen bedürfen; - mein Lehrer hats gesagt. - - Wohl kostets Schweiß in Strömen, - den Bergschutt auszuschmelzen, - oder tief aus unterirdischen Flüssen - den Schlamm heraufzuwälzen, - der die paar Goldkörner birgt. - - Aber endlich ists ein Klumpen, - blitzblendeblank gewaschen! - Nun kann ich Vater, Mutter und Alle - zum Geburtstag überraschen; - auch den reichen Kurt! - - Mutter Erde soll sich wundern, - wie meine Schatztaler springen: - Hand auf! nehmt hin den Plunder, - ich kann mir mehr erringen, - ich bin ein kleiner Held! - - - - -Ein Bergführer - - - Ich kann ein Bergsteiger werden, - der die andern alle führt. - Pfade, wo nie ein Schritt erklang: - wer hat sie aufgespürt! - Das tat meine Herzenslust! - - Die treibt mich hin zu den Gipfeln, - über Schnee, durch Wetterschlag, - am Sturzbach hin, am Gletscherrand, - hinauf! Nun klettert nach, - ihr andern Wagehälse! - - Mir nach mit glühendem Herzen, - hinauf ins freie Eis! - Wer stürzt, den schmückt im Paradies - die Blume Edelweiß! - Kommt! jauchzend grüß ich euch. - - Aber am liebsten steh ich - hoch oben ganz allein, - mitten im stillen Himmelskreis, - und höre die Adler schrein: - grüß Gott, du kleiner Held! - - - - -Ein Luftschiffer - - - Ich kann ein Luftschiffer werden, - immer höher schlägt mein Herz: - da fliehn die Flüsse unter mir - wie dünne Adern Erz, - meine Gondel steigt und steigt. - - Die Luft wird immer reiner; - das wirre Erdgewühl - wird alles klein und kleiner, - wird alles wie ein Spiel. - Ich gleite drüber hin. - - Hin, wo die Wolken schweigen; - kaum noch ein Berghaupt blinkt. - Ich fühle mich nicht mehr steigen, - nur die Erde sinkt und sinkt; - mir träumt ein Schaukellied. - - Ich schwebe nur und schwebe, - in die blaue Welt hinein. - Wer weiß wohin -- ade, ade -- - der Himmel wiegt mich ein: - fahr wohl, du kleiner Held. - - - - -Ein Dichter - - - Ich kann ein Dichtersmann werden, - ich weiß schon, was das heißt; - das ist ein Mensch auf Erden - mit einem himmlischen Geist, - und der auf Leben und Tod pfeift. - - Er pfeift: mir lacht das Leben, - weil ich unsterblich bin! - Er pfeift: ich lache aufs Sterben, - mir lebt ein Lied im Sinn, - das geht so weit wie die Welt! - - So einen Dichter kenn ich; - er streicht mir manchmal die Stirn, - und wie ein Fernrohr rührt sein Blick - hell an mein Gehirn, - dann seh ich den Himmel offen. - - Da tanzen die Sterne und singen: - Nur wen wir auserwählt, - dem kann das Lied gelingen; - wird er’s wohl fertig bringen, - unser kleiner Held? - - - - -Ein Engel - - - Ich kann ein Engel werden, - wenn ich gestorben bin. - Dann jagt wohl mit Wolkenpferden, - die wir nicht sehn auf Erden, - meine Kraft durchs Luftmeer hin. - - Meine Flügel sind wohl die Stürme, - der Blitzstrahl wohl mein Pfad. - Ich weiß es nicht, ich leuchte nur; - mich treibt ein Geist zur Tat, - der braucht wohl meine Kraft. - - Ich leuchte in tausend Gestalten, - vielleicht wo die Sonne loht, - vielleicht wo Sterne erkalten, - die bleich noch Nachtwache halten, - vielleicht im Morgenrot. - - Da darf ich überall wirken; - und bin doch vor dem Geist, - der mich und all die andern Engel - zu Seinem Werk hinreißt, - nur ein kleiner Held. - - - - -Schluß - - - Ich kann noch manch andres werden, - solang ich kein Engel bin. - Aber immer trag ich armer Junge - die eine Frage im Sinn: - was wirst du auf jeden Fall? - - Und trage in meinem Herzen - manch eines Mannes Bild, - der so beherzt war, daß er uns - als +großer+ Held nun gilt: - Wilhelm Tell, König Fritz, der Herr Jesus. - - Dazu gehört nicht Reichtum - noch lange Lebensfrist. - Mir hat mein Dichtersmann gesagt: - jedes Kind auf Erden ist - ein kleiner Welterobrer. - - Das will ich an jeder Stelle - sein, so sehr ich kann. - Dann werd ich auf alle Fälle - ein ganzer Mann -- und dann - vielleicht ein ganzer Held. - - - - -Knecht Ruprecht und die Christfee - -Ein Weihnachtsspiel - - - Knecht Ruprecht und die Christfee treten in die Weihnachtsstube, - während am Klavier die Chorweise „Tochter Zion, freue dich“ aus - Händels „Judas Makkabäus“ ertönt. - -Ruprecht - - zu den Kleinen, nachdem es still geworden ist: - - Ich bin der alte Weihnachtsmann, - ich hab ein’n bunten Wunderpelz an; - mein Haar ist weiß - von Reif und Eis. - - Ich komm weit hinter Hamburg her, - mit langen Stiefeln durchs kalte Meer, - meinen Mummelsack - huckepack. - - Er nimmt den Sack von der Schulter und stellt ihn vor sich auf den - Boden. - - Da sind viel gute Sachen drin, - Nüss und Äpfel und große Rosin’n; - ich bin ein lieber Mann, - seht an! - - Er öffnet den Sack und langt dabei verstohlen die Rute aus dem - Gürtel. - - Ich kann aber auch böse sein. - Dann fahr ich mit der Rute drein - und schüttel den Bart: - na wart’t! - - Nein, seid nicht bang; seid lieb und fein, - seid wie mein schön gut Schwesterlein! - Ist die euch hold, - schenk ich, was ihr wollt. - -Die Christfee - - in weißem Kleid und Schleier, mit Engelsflügeln und Sterndiadem, in - der Linken einen Tannenzweig haltend, wendet sich an die Großen: - - Ich bin aus einem hellen Lande; - da wächst und blüht ein Baum, um den - wir all in strahlendem Gewande - mit silberweißen Flügeln stehn. - - Der Baum ist grün, grün ohne Ende, - und seine Höhe mißt kein Sinn; - und seine Zweige sind wie Hände, - die strecken sich nach Jedem hin. - - Der Baum trägt viele tausend Kerzen, - und jede ist der andern gleich; - und ihre Flammen sind wie Herzen, - die leuchten klar und warm und weich. - - Er hängt voll Gold bis an die Spitze, - und seine Jahre zählt kein Mund; - und seine Wurzeln sind wie Blitze, - die dringen in den härtesten Grund. - - O komm, komm! Tausend Früchte warten, - dein goldner Apfel pflückt sich leicht; - denn Jedem öffnet sich der Garten, - wer sinnt, wie man den Baum erreicht. - - Kommt, seht ihn schimmern! Heut aufs neue - erfüllt sich, was die Schrift verhieß: - Einst pflanzte, daß der Mensch sich freue, - Gott einen Baum ins Paradies. - -Ruprecht - - hat inzwischen die Teller der Kinder mit Pfefferkuchen, Nüssen, - Äpfeln gefüllt und tritt nun zu der kleinen Veradetta: - - Möchtest du wohl in den Garten, - wo so schöne Äpfel warten? - Ja? -- Dann mußt du fein - sittsam sein. - - Mußt dich nicht so wild geberden, - mußt so wie die Christfee werden. - Es ist garnicht schwer; - kuck mal her! - - Muß dir nur recht viel dran liegen, - auch zwei Flügelchen zu kriegen. - Wenn du groß bist, ah: - dann sind sie da. - -Die Christfee - - zum kleinen Peter-Heinz, eindringlich: - - Und Du, mein kleiner Heinzelmann, - machst dich gern zu wichtig. - Sieh dir mal den Ruprecht an: - siehst du, +der+ machts richtig. - - Jedem schenkt er was und lacht, - aber höchst bescheiden; - daß man dumme Witze macht, - kann er garnicht leiden. - - Und wer mault, den haut er sehr, - und dann sagt er: schade! -- - So, nun sag uns auch was her, - und halt den Kopf hübsch grade! - -Heinz - - sagt mit seiner verschmitztesten Miene folgende Schnurre (von - Paula und Richard Dehmel) auf: - - Der Esel, der Esel, - wo kommt der Esel her? - Von Wesel, von Wesel, - er will ans schwarze Meer. - - Wer hat denn, wer hat denn - den Esel so bepackt? - Knecht Ruprecht, Knecht Ruprecht - mit seinem Klappersack. - - Mit Nüssen, mit Äpfeln, - mit Spielzeug allerlei, - und Kuchen, ja Kuchen - aus seiner Bäckerei. - - Wo bäckt denn, wo bäckt denn - Knecht Ruprecht seine Speis? - In Island, in Island, - drum ist sein Bart so weiß. - - Die Rute, die Rute, - die ist dabei verbrannt; - heut sind die Kinder artig - im ganzen deutschen Land. - - Ach Ruprecht, ach Ruprecht, - du lieber Weihnachtsmann, - komm auch zu +mir+ mit deinem - Sack heran! - -Ruprecht - - lachend, indem er in den Sack langt: - - Na! dann muß der Ruprecht wohl - seine Rute rasch verstecken; - denn er hat die Jungens gern, - die nicht gleich vor ihm erschrecken. - - Hier, mein kleiner tapfrer Mann, - schenk ich dir ein Spiel Soldaten. - - Noch eine Schachtel herausnehmend: - - Und in diesem Kasten steckt - Handwerkzeug zu andern Taten. - - Peter Heinz! Soldat sein heißt: - fürcht dich nit und lern brav hauen! - Aber noch viel braver ist es, - lernst du recht was Schönes +bauen+. - - Jedes Werkzeug sagt dir: lerne - festen Griff mit Fug und Fleiß -- - -Die Christfee - - neckend: - - denn das hat der Ruprecht gerne, - daß man zuzugreifen weiß. - - Dann den andern Heinz anredend: - - Und Heinz Lux -- sieh blos mal her: - Rehe, Hirsche und ein Bär, - Hühner, Hasen, Füchse, Raben: - gelt, die möchtest du wohl haben? - - Ja? Dann mußt du aber balde - wie der Jägersmann im Walde - aufmerksam und achtsam werden, - darfst dich nicht wie’n Tapps geberden. - - Sonst wird gleich der Eber hier - dreimal größer als die Tür, - kommt und stößt dich mausetot, - ißt dich auf zum Abendbrot. - - Wenn du aber orndtlich bist, - bleibt das alles, wie es ist; - und dann kannst du mit den vielen - wilden Tieren ruhig spielen. - -Ruprecht: - - Na, und Du, Prinzeßchen da, - Veradetta, ganz in Seide, - kannst wohl auch ein Liedchen? ja? - Ei, dann mach uns mal die Freude! - -Detta - - die Hände faltend: - - Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all, - o kommet zur Krippe in Bethlehems Stall, - und seht, was in dieser hochheiligen Nacht - der Vater im Himmel für Freude uns macht! - - O seht, in der Krippe, im nächtlichen Stall, - seht hier bei des Lämpchens still glänzendem Strahl - in reinlichen Windeln das liebliche Kind, - viel schöner, viel holder, als Engel wohl sind. - - Da liegt es, ach Kinder! auf Heu und aus Stroh; - Maria und Josef betrachten es froh, - die redlichen Hirten knien betend davor, - hoch oben schwebt jubelnd der himmlische Chor. - -Ruprecht - - hat dem alten Lied mit Andacht zugehört, nickt und sagt: - - Das war wirklich wunderschön, - ja, das muß ich sagen! - - Ein Geschenk vorholend: - - Dafür krigst du, sieh mal, den - reizenden Kinderwagen. - -Die Christfee: - - Und in lauter Silberflaum, - ei, welch Engelspüppchen! - Und da unterm Tannenbaum, - sieh nur, steht ein Stübchen. - - O, wie wird sich Püppchen freun, - wenn du’s da wirst wiegen! - braucht nicht wie arm Jesulein - in einem Stall zu liegen. - - Liegt und lacht, o sieh doch, ganz - wie klein Liselotte, - Schwesterchen im Lichterglanz, - träumt vom lieben Gotte. - - Träumt von einer andern Welt, - die wir hier nur ahnen; - da sät Gottes Mutter hell - ihren Sternensamen. - -Ruprecht: - - +Euer+ Mutting aber krigt - diese bunte Schürze, - drin ein Bündel Scheren liegt - jeder Läng und Kürze. - Damit soll sie säuberlich - Vaters Dichterflügel putzen - und ihm, übereilt er sich, - seine wilden Federn stutzen. - - Er legt das Geschenk auf den Weihnachtstisch, greift dann weiter in - den Sack: - - Und für Onkel Mombert hab ich - einen Leuchter aufgegabelt, - in Gestalt des rasenden Drachens, - über den die Sage fabelt, - daß er einst das ewige Licht - losriß aus den finstern Gründen; - mag er nun dasselbe Licht - dir im Kämmerlein entzünden! - - Dann eine Flasche Benediktiner auspackend: - - Onkel Scheerbart -- ha! -- der krigt - diesen Seelenwärmer; - seht, schon macht er ein Gesicht - wie’n religiöser Schwärmer! - - Hier können, je nach Mehrbedarf, weitere Bescherungsreime - eingestickt werden; wie überhaupt die Einzelheiten der Bescherung - nur als Anleitung zu ähnlichem Mummenschanz gemeint sind. - - Tante Lisbeth, brumm brum brumm, - will ich lieber meiden; - denn die kann, Gott weiß warum, - den Weihnachtsmann nicht leiden. - - Aber unsre Guste hier, - unser Hausmamsellchen, - daß sie nicht beim Ausgehn frier, - krigt ein warmes Fellchen. - - Er nimmt sich die Pelzjacke von der Schulter und hängt sie dem - Dienstmädchen über. Steht nun in einem abgetragenen blauen - Arbeitskittel da und sagt zur Christfee: - - Na, und jetzt, mein Schwesterlein, - können wir wohl gehen. - Oder fällt dir noch was ein? - Siehst mir gar so ernsthaft drein. - Warum bleibst du stehen? - -Die Christfee: - - Ich hab ein Wort vernommen, - das läßt mich nimmer los. - Ich mag zum Ärmsten kommen, - und sei er ganz beklommen, - ich sage immer blos: - liebe! - - O -- dann atmet Jeder wärmer; - war doch Er noch viel, viel ärmer, - der das Wort einst sprach. - Selbst die stummste Menschenseele, - ob ihr jeder Laut sonst fehle, - stammelt heimlich nach: - ich liebe. - - Aller Orten, aller Zungen, - Jedem ist es schon erklungen, - selig oder scheu. - Jedem wohnt das Blümlein inne, - dem ich jetzt ein Lied beginne, - Lied so alt wie neu: - - Nachdem auf dem Klavier die Weise angeschlagen ist, spricht die - Christfee jede Zeile einzeln vor und Alle singen Zeile für Zeile - nach: - - Es ist ein Reis entsprungen - aus einer Wurzel zart; - wie uns die Alten sungen, - vom Himmel kam die Art. - Und hat ein Blümlein bracht, - mitten im kalten Winter, - wohl zu der halben Nacht. - - Das Blümlein war so kleine - und doch von Duft so süß; - mit seinem milden Scheine - verklärt’s die Finsternis. - Und blüht nun immerdar, - tröstet die Menschenkinder, - holdselig, wunderbar. - - Ein Stern mit hellen Gleisen - hat es der Welt verkündt, - den Kindlein und den Weisen, - wie man dies Blümlein findt. - Nun ist uns nicht mehr bang, - seit aus der dunklen Erde - solch leuchtend Reis entsprang. - -Ruprecht - - nach kurzem Schweigen: - - Amen! -- Ja, geliebte Kinder, - voller Wunder ist die Welt; - solch ein Lied ist doch noch schöner - als das schönste Spielzeug, gelt?! - -Die Christfee - - zu den Großen gewendet: - - Fühlt denn, wie aus zweien Landen - Bruder sich und Schwester fanden; - Ruprecht, gib mir deine Hand! - Ich aus Morgen, Er aus Abend, - Ich im Silberkleid, Er trabend - in verwittertem Gewand. - Beugt euch Ihm, dem Überlegnen: - er kann wirken, ich nur segnen, - er bringt Frucht, ich will nur Licht. - Ich aus Süden, Er aus Norden, - seine Welt ist stark geworden -- - -Ruprecht - - ihr den Mund zuhaltend: - - ja, daß sie mich fast unterkrigt; - Schwesterherz, blamier mich nicht! -- - - Dann wieder zu den Kleinen: - - Und nun wüßtet ihr wohl gerne, - wer das ist, der Weihnachtsmann -- - - sich den weißen Bart und alten Hut abnehmend: - - das ist euer lieber Vater, - schaut ihn euch nur näher an! - - Und die Christfee mit den Flügeln -- - - ihr den Schleier und das Diadem abnehmend: - - das ist eure Mutter, seht! - Und so ists mit all den Wundern, - die ihr anfangs nicht versteht. - - All das Schöne auf der Erde, - das ihr einzusehn begehrt, - wird von Vater oder Mutter, - wenn es Zeit ist, euch erklärt. - - Auch die Englein, Mond und Sterne, - und das liebe Jesuskind, - und der gute Gott im Himmel, - und was sonst für Märchen sind. - - Denn das alles, Kinder, alles, - was die Erde schöner macht, - ist von lieben, guten, klugen - Menschen langsam ausgedacht. - - Ist drum aber nicht gelogen; - nein, was Haupt und Herz verklärt, - Abglanz ist es einer wahren - Zauberkraft, die ewig währt, - - die von Stern zu Stern geheime - Lichtbefehle traumhaft schickt - und euch weihnachtshell begeistert, - wenn ihr gläubig aufwärts blickt. - - Nachdem er seine Kinder der Reihe nach auf die Stirn geküßt hat: - - So, nun spielt und freut euch sehr! - Übers Jahr erzähl ich mehr. - - Vom Klavier ertönt aufs neue die Chorweise „Tochter Zion, freue - dich!“ - - - - -Das Dichterspiel - - -Jedes Jahr am Sylvesterabend machte die kleine Ursula bei Tante Li -und Onkel Ri Besuch, und diesmal hatte sie ihren Vetter Heinz Peter -und seinen Freund Heinz Lux mitgebracht, die beide schon etwas größer -waren. Es sollte das Dichterspiel gespielt werden; und die Ursel, die -nun bald dreizehn Jahre alt wurde, war ganz aufgeregt vor Spannung, -ob sie wohl auch einen Preis kriegen könnte, oder ob ihr die großen -Bengels, die immer alles besser wußten, wieder eine lange Nase drehn -würden. - -„Zu dem Dichterspiel“, erklärte der Onkel Ri, „gehört nichts weiter, -meine Herrschaften, als die nötige Menge Papier und Bleistifte, -ein bißchen Zeit und ein bißchen Grips. Jeder von uns sagt zwei -Hauptwörter, und die schreiben wir alle auf. Dann muß jeder um -diese Wörter herum eine kurze Geschichte dichten und natürlich auch -aufschreiben, innerhalb einer bestimmten Frist. Da wir fünf Dichter -sind, kommen zehn Wörter ins Spiel; setzen wir also zehn Minuten -Frist! Nachher liest jeder seine Geschichte vor, und wir stimmen ab, -wer die beste ersonnen hat; der darf sich als Preis ein Licht vom -Weihnachtsbaum holen. Wer den Abend über die meisten Lichter gewinnt, -der ist Sieger und krigt den Sternpreis, wenn der Weihnachtsbaum -geplündert wird.“ - -Der Sternpreis, das war ein Stern mit fünf Zacken, der in jedem -Jahr auf der Baumspitze stak; und an den Zacken hing immer allerlei -Süßes, wie die Ursel aus Erfahrung wußte. Ach, ob sie wohl heute -siegen würde? Wäre sie blos nicht so dumm gewesen, die zwei Bengels -mitzubringen, statt wieder ein paar Freundinnen. Grips genug hatte -sie selbstverständlich, aber an Fixigkeit waren die Buben ihr über. -Was für ausgefallene Wörter sie gleich bei der ersten Aufgabe nahmen! -+Krauskopf+, +Bewußtsein+, +Element+, +Sportkostüm+. Dann sagten die -Tante und der Onkel: +Ufer+, +Brücke+, +Jagd+, +Pfeil+. Und zuletzt die -Ursel: +Spitze+, +Stern+. Und o weh: als die zehn Minuten vorbei waren, -hatte sie richtig ihre Geschichte höchstens erst dreiviertel fertig. -Aber ein Trost war es wenigstens, daß nach der Abstimmung keiner der -Heinze das erste Licht vom Baum holen durfte, sondern einstimmig gewann -Tante Li. Ihre Geschichte lautete: - -Ich stand einmal vor einer Brücke. Über diese Brücke jagte auf einem -Rappen eine junge Negerin, umflattert von einem weiten buntwollenen -Mantel. Hoch in der rechten Hand, über ihrem Krauskopf, hielt sie -einen langen Pfeil. Ihr ganzer Körper war Aufgeregtheit. Sie trieb -ihren Gaul zu rasender Hetzjagd an, und als sie die Brücke hinter sich -hatte, stürmte sie den Fluß entlang und ließ endlich ihren Pfeil in den -Ufersand sausen. Sie hob ihn auf, und wieder gings wie ein entfesseltes -Element über die Brücke zurück, dann jenseits ein Stück das Ufer -entlang, und als Ende der Jagd: der Pfeil in den Sand. Es war in diesem -verbohrten Treiben eine so schrecklich sinnlose Wildheit, daß ich immer -noch stand, als sie noch einmal über die Brücke herüberkam und wie -beim ersten Mal umkehrte und abermals zurückstürmte. Da, als sie grad -auf der Mitte der Brücke war, geht mit ruhigen Schritten eine Dame ihr -nach, ebenso jung, aber weißhäutig, mit maisgoldnem Haar, sehr hoch -und schlank, gekleidet in ein schlichtes, schwarzes, eng anliegendes -Sportkostüm. Sie trug auch einen langen Pfeil in der Hand, aber ganz -leicht und unauffällig. Als sie dort angekommen war, wo vor ihr her die -Wilde jagte, hielt sie an, zielte einen einzigen Augenblick, aber mit -äußerstem Bewußtsein, schleuderte ihren Pfeil, und dieser flog, scharf -über dem Kopf der Wilden hin, schneller als deren Pfeil, erst gradaus, -dann im Bogen über die Brückenecke, aber nicht in den Sand des Ufers, -sondern ihr Ziel war ein fünfzackiger Stern, der auf der Spitze eines -Bootmastes stak. - -Die Ursel war ganz blaß geworden und strich sich ihr blondes Haar aus -der Stirn; sie hatte gemerkt, worauf die Tante anspielte, und nahm sich -vor, bei der nächsten Aufgabe vielviel ruhiger nachzudenken. Aber sie -wurde doch wieder nicht fertig, und das zweite Licht gewann der Heinz -Lux. Diesmal hießen die Hauptwörter: +China+, +Bahnhofsuhr+, +Teppich+, -+Karaffe+, +Kachel+, +Gardine+, +Elefant+, +Neptun+, +Schlafzimmer+, -+Büffett+ -- und dazu hatte der freche Lux folgende Geschichte erfunden: - -Im Kaiserreich China befindet sich eine seltsame Bahnhofsuhr. Sobald -sie zwölf zu schlagen anfängt, springt aus dem Zifferblatt eine -flache Kachel, gemustert wie ein persischer Teppich, und darauf steht -ein weißer Porzellan-Elefant. Wenn du dich auf den Elefanten setzt, -trägt er dich so schnell im Kreise um die große Uhr herum, daß du die -Besinnung zu verlieren glaubst; bis er auf einmal stehen bleibt und -dich in einer Meergrotte absetzt. Nach dem ersten Erstaunen erkennst -du, daß du im Schlafzimmer Neptuns bist, des Gottes der Ertrunkenen -- -und der Betrunkenen. Denn wenn du die Gardine zurückschlägst, stehst du -einem unübersehbaren Büffett gegenüber, in dem Karaffe neben Karaffe -glänzt, und jede Karaffe enthält einen Likör, worin der tolle Gott die -Träume jeder ertrunkenen Seele aufbewahrt. Davon mußt du natürlich mal -kosten; und in dem Augenblick, wo du den ersten Tropfen schmeckst, -kommst du wieder zur Besinnung, und die Uhr tut den letzten der zwölf -Schläge. - -Nur die Ursel hatte dagegen gestimmt und bei dem Wort „Betrunkenen“ -pfui gerufen; wofür ihr der Peter Heinz einen Puff versetzte, wofür -ihm der Onkel Ri das Punschglas entzog. „Jetzt wollen wir aber,“ fuhr -der Onkel fort, der bis dahin auch noch nichts fertig gebracht hatte -oder vielleicht auch blos so tat, „die Sache ein bißchen schwerer -machen. Jedes der aufgegebenen Wörter darf nur Einmal gebraucht werden; -dafür darf aber jeder drei Wörter aufgeben, und die Frist dauert -fünfzehn Minuten.“ Dabei plinkte er der Ursel zu, sodaß sie guten Mut -faßte. Es kamen folgende Wörter ins Spiel: +Schehresade+, +Karamelle+, -+Zitadelle+, +Abenteurer+, +Prophet+, +Gazelle+, +Winternacht+, -+Sommermittag+, +Paradies+, +Wüstensand+, +Palast+, +Feuer+, +Braut+, -+Lied+, +Quelle+ -- aber die Ursel wurde wieder nicht fertig. Doch -diesmal machte sie sich nichts draus, denn Onkel Ri hatte jetzt in -Versen gedichtet, da konnte natürlich kein Andrer siegen; und wenn -der Onkel oder die Tante den Sternpreis bekamen, dann würden sie -ihn nachher doch ihr schenken. Nun las er vor: „Morgenländisches -Preislied“ -- und indem er die Tante sonderbar ansah, schob er erst -noch die Bemerkung ein, daß ihm am heutigen Abend ein Hymnus auf -die orientalische Phantasie sehr angebracht scheine, weil ja das -Weihnachtsfest und die Neujahrsfeier aus dem Morgenland zu uns gekommen -seien. Hierauf deklamierte er: - - O Schehresade, Fee der Nacht, - in der die Wunderschelle klingt, - o Fee, welch Lied ist hold genug, - die hohe Wonne anzustimmen, - die uns zu deiner Schwelle zwingt -- - - so hold, wie durch den Palmenhain - im Frühling die Gazelle springt, - so hold, wie aus dem Wüstensand - am dürren Sommermittag plötzlich - durchs Dorngestrüpp die Quelle dringt -- - - so hold, wie durch die Winternacht - die Glut der Feuerstelle singt, - wenn unterm dichtverhängten Zelt - dem heimgekehrten Abenteurer - die Braut die Lagerfelle bringt -- - - so hold, wie der Prophet den Mond - aus Allahs Zitadelle schwingt - und dann beim goldnen Sternetanz - feucht aus dem Mund der schönsten Huri - die Honigkaramelle schlingt -- - - so, Fee der tausendzweiten Nacht, - die uns zu Deiner Schwelle zwingt, - so hält uns dein Palast im Bann, - bis deinen bunten Zauberteppich - die rosige Morgenhelle schminkt -- - - bis uns das ganze Firmament - wie eine Wunderschelle klingt, - bei deren Ton das Paradies - samt allen Wonnen dieser Erde - in jede ärmste Zelle sinkt! -- - -Aber der Onkel bekam den Preis nicht. Tante Li erklärte mit strenger -Miene das Gedicht für „unverständlich“; und die Ursel merkte, wie -sich die beiden Heinze unterm Tisch mit den Beinen anstießen, und daß -der Lux dem Peter was ins Ohr flüsterte, worin das Wort „unanständig“ -vorkam. Da fuhr sie aber entrüstet dazwischen: „Was! Ihr? Erst -vorgestern hab ich euch alle beide an meinem Bonbon mitlutschen lassen, -und das hat euch sehr nach mehr geschmeckt! Und überhaupt sind die -Gedichte von Onkel Ri genau so verständlich, wie die von Onkel Goethe -und Schiller! Und Tausendundeine Nacht hab ich auch gelesen!“ Die -Heinze waren krebsrot geworden, und der Peter brummelte: „dummes Jöhr!“ -Aber die Tante legte ihm die Hand auf den Mund, und mit der andern Hand -fuhr sie der Ursel liebkosend über die heißen Backen. Dann sagte sie zu -Onkel Ri, der still in sein Punschglas hineinlachte: „Es ist aber gegen -die Spielregel, daß du uns hier mit Versen den Kopf verdrehst; also -hat diesmal keiner gewonnen. Von jetzt an wird wieder blos zehn Minuten -gedichtet, und in ebenso einfacher Sprache, wie Schehresade gedichtet -hat. Ich glaube, das Einfache ist das Schwerste; andre Schwierigkeiten -sind überflüssig. Wers am einfachsten kann, krigt das nächste Licht.“ -Die zehn Hauptwörter lauteten nun: +Trauerweide+, +Vogel+, +Rock+, -+Hütte+, +Arbeit+, +Spieldose+, +Kinderjubel+, +Pfauenauge+, +Prinz+, -+Bettler+. Und wirklich: die Ursel wurde zur rechten Zeit fertig, sogar -schon eine Minute zu früh, während Onkel Ri mit gerunzelter Stirn noch -allerhand verbesserte und die beiden Buben noch lauter Unsinn klierten. -O, wie sie die Bengels verachtete! besonders aber den frechen Heinz -Lux! Freilich, das Licht gewann sie drum doch nicht. Sondern, wie sie -sichs schon gedacht hatte, da der Onkel sich solche Mühe gab: die Tante -holte ihm selbst das Licht, er hatte eine richtige Fabel gedichtet: - -Neben einer Hütte stand eine Trauerweide; darunter saß ein alter Mann -und flickte seinen zerlumpten Rock. Da flog ein Pfauenauge vorüber, -ohne daß der Mann es bemerkte; und aus der Krone des Baumes kam ein -Vogel und verfolgte den Schmetterling. Zugleich begann im Innern der -Hütte eine Spieldose zu klingen, so entzückend wie ferner Kinderjubel, -sodaß der Mann von seiner Arbeit aufsah, und da verschlang der Vogel -den Schmetterling. Der Mann aber, der das mitansah, dachte: Weil ich -ein alter Bettler bin, möchte ich sterben wie dieses Pfauenauge; wenn -ich ein junger Prinz wäre, wollte ich leben wie dieser Vogel. - -Die nächste Aufgabe hörte sich lustiger an. Sie bestand aus den -Wörtern: +Löwe+, +Strohwisch+, +Strumpfband+, +Tür+, +Bart+, +Igel+, -+Hampelmann+, +Tintenwischer+, +Badehose+, +Käsestulle+. Da machte die -Ursel sich wenig Hoffnung; da würde gewiß der ulkige Peter gewinnen. Er -kam auch gleich als erster zum Vorlesen dran, und seine Geschichte war -wirklich gelungen: - -Einst schlief ich am Weihnachts-Heiligabend über meinen Spielsachen -ein. Nach etlicher Zeit erwachte ich und sah das Zimmer in sehr -verändertem Licht. Die Wände waren blutrot tapeziert, und durch den -Fußboden floß ein blanker, durch und durch himmelblauer Fluß, an -dem lauter knallgrüne Bäume standen, einer genau wie der andere. -Auf einmal öffnete sich die Tür, und mein alter Hampelmann trat mir -entgegen, in einer nagelneuen Uniform, und hinter ihm her ein ganz -Regiment Soldaten. Die Soldaten waren aber nicht etwa Bleisoldaten, -sondern Igel in Kürassier-Uniform, die auf gepanzerten Löwen ritten. -Es sollte großes Manöver sein; darum hatte sich jeder Igel an seiner -Waffe einen Tintenwischer oder auch Strohwisch angebracht, um nur ja -niemand zu verletzen. Jeder Löwe hatte außer dem Panzer noch eine -Badehose an, von der ein Strumpfband als Ordensband herabhing. Nun gab -der Hampelmann ein Zeichen, und die Soldaten stellten sich zu beiden -Seiten des Flusses auf, schlugen sich und schossen sich und machten -kolossal viel Musik dazu. Bald darauf war Frühstückspause, und jeder aß -eine Käsestulle. Ich hatte mich immerfort geärgert, daß mein Hampelmann -als Soldat keinen Schnurrbart trug. Jetzt in der Pause bemerkte ich -plötzlich, daß ihm aus seinen Nasenlöchern ein riesenhafter „Es ist -erreicht“ wuchs. Davon krigte ich solchen Schreck, daß ich nun wirklich -aus meinem Traum erwachte. - -Die beiden Heinze sahen sehr siegesbewußt aus, denn Onkel Ri hatte -mehrmals Beifall genickt, und der Lux war natürlich sofort bereit, dem -Peter seine Stimme zu geben. Aber ihre Gesichter veränderten sich, als -jetzt die Tante ihre Geschichte vorlas: - -Mitten in der Nacht, denkt mal, erscheint neulich bei verschlossener -Tür ein Hampelmann vor meinem Bett. Kinder, Kinder, wie sah der aus! -Ein grüner Bart -- denkt nur: ein grüner Bart -- hing ihm von den -Augenwimpern bis auf sein gelbes Strumpfband herab, das er aber nicht -ums Bein, sondern um den Hals trug. Von seiner übrigen Kleidung läßt -sich wenig erzählen, denn er hatte nichts weiter an als eine weiße -Badehose. Und auf was kam das Männlein dahergeritten? Ihr denkt auf -einem Strohwisch? Falsch. Ihr denkt auf einem Igel? Noch falscher. -Auf einem Löwen kam er daher! Aber der Löwe war so sanft, als hätte -er niemals Menschen und Tiere gefressen, sondern als wäre er mit -Käsestullen großgefüttert worden. So glich denn auch sein Haarschmuck -mehr einem Tintenwischer, als einer königlichen Mähne. Aber jetzt -öffnete er seinen Rachen; sogleich riß der Hampelmann auch seinen -Mund auf, beide rollten wie rasend die Augen, sie verknäulten sich -ineinander, und ich wüßte meiner Treu nicht zu sagen, ob der Löwe den -Hampelmann oder der Hampelmann den Löwen verschlungen hat, denn schon -im nächsten Augenblick war von Beiden keine Spur mehr übrig. - -Heinz Peter erklärte ritterlich, dagegen sei seine Geschichte ein -Quark; und nun stimmte der Lux auch für Tante Li. Aber da sagte Onkel -Ri, indem er lächelnd sein eignes Blatt zerriß: „Aber Peters Geschichte -ist einfacher!“ Worauf die Tante ebenso lächelte und ihre Stimme dem -Peter gab. Also stand die Entscheidung bei der Ursel, und sie ging -schon mit sich zu Rate, ob sie wirklich großmütig sein und als dritte -für ihn stimmen sollte, als er plötzlich großspurig auftrumpfte, er -wolle nicht aus Gnade gewinnen. Worauf der Onkel ihm erst die Schulter -klopfte und ihm dann das Punschglas gefüllt zurückgab. „Da also“, -fügte der Onkel hinzu, „wieder keiner gewonnen hat, wollen wirs jetzt -noch einfacher machen, d. h. so schwer wie irgend möglich. Außer den -ausgegebenen Wörtern darf kein anderes Hauptwort benutzt werden; jedes -aufgegebene Wort darf nur einmal verwendet werden und nur in der -vorgeschriebenen Reihenfolge. Je knapper die Sätze sind, desto besser.“ - -Die Ursel war nahe daran, zu weinen; der Onkel Ri hatte sicher -gemerkt, daß sie den Bengels den Sternpreis nicht gönnte, darum -stellte er so verschmitzte Spielregeln auf, die ihr den Kopf ganz -wirblig machten. Und noch dazu wurden auch diesmal wieder lauter -Ulkwörter vorgeschlagen; sogar sie selber nannte solche, sie wußte -garnicht wieso eigentlich. Die zehn Wörter standen in folgender -Reihe: +Elefantenküken+, +Ballettdame+, +Aquavit+, +Hundekuchen+, -+Stricknadel+, +Menschenfeind+, +Rosenkranz+, +Pfropfenzieher+, -+Monokel+, +Kiste+. Da konnte doch wirklich kein artiges Mädchen, -das eine richtige Dame werden wollte, einen vernünftigen Sinn -hineinbringen. Trotzdem brachte sie zu ihrem Erstaunen eine ganz -hübsche Schnurre zustande, worin das Elefantenküken, die Ballettdame -und der Menschenfeind mit all den andern Dummheiten in eine große Kiste -gepackt und so lange geschüttelt wurden, bis der Menschenfeind sich zu -bessern versprach. Sowohl der Onkel wie die Tante waren sehr zufrieden -damit; blos das Wort Menschenfeind hatte sie zweimal gebraucht. Und das -Licht gewann doch der Peter Heinz, er trug im Leutnantston Folgendes -vor: - -Äh, wissen schon? Elefantenküken. Äh: verliebt in Ballettdame. Sie -abjeschnappt, er sich in Aquavit besoffen und Hundekuchen dazu -jefressen; äh, mit Stricknadeln notabene, janz verrückt. Menschenfeind -dabei jemimt: äh, Rosenkranz jebetet, Pfropfenzieher jeschluckt, -Monokel injeklemmt, krepiert. Dolle Kiste. - -Da mußten sie alle so kreuzvergnügt lachen, daß er einstimmig das -vierte Licht bekam. „Und nun,“ sprach der Onkel Ri mit erhobenem -Zeigefinger, „nachdem wir nun zur Genüge gelernt haben, worauf es bei -dem Dichterspiel ankommt, darf sichs jeder wieder so leicht machen, -wie ihm der Schnabel gewachsen ist, nur muß es nachher auch allen -Andern ebenso leicht in den Schnabel passen; das nämlich ist das -Allerschwerste. Und deshalb darf sich diesmal jeder zwanzig Minuten -Zeit lassen.“ Aber das ließ die Ursel nicht gelten; was sollte -denn der Lux von ihr denken! „Höchstens fünfzehn Minuten,“ rief sie -beharrlich; denn sie wußte sehr wohl, daß Onkel Ri blos ihretwegen -zwanzig vorschlug, und daß die Buben sie beim Nachhauseweg immerfort -damit foppen würden. Und dann nahm sie sich so mächtig zusammen, daß -sie garnicht mehr an den Sternpreis dachte und schon nach neuneinhalb -Minuten als allererste fertig wurde. Die ausgegebenen Wörter hießen: -+Bücherschrank+, +Drehorgel+, +Roastbeef+, +Schnapsflasche+, -+Radieschen+, +Blauschwänzchen+, +Kirchturm+, +Gemüsewagen+, -+Puppentheater+, +Glasfabrikation+. Und siehe da: das fünfte Licht -wurde auf Antrag der beiden Heinze einstimmig der Ursel zugesprochen. -Ihre Geschichte lautete: - -Ein Blauschwänzchen hatte Freundschaft mit einem Radieschen -geschlossen. Sie waren aber beide sehr arm, und das Blauschwänzchen -litt manchmal großen Hunger. Das Radieschen, dessen Kusinen öfters auf -dem Gemüsewagen zur Stadt gefahren waren, sagte zu dem Blauschwänzchen: -Fliege doch auch mal in die Stadt, da gibt es Roastbeef und Leipziger -Allerlei. Aber das Roastbeef war zu grob für das Blauschwänzchen, und -das Leipziger Allerlei war versalzen. Da wollte es sich bei einem -Puppentheater als Singvögelchen anstellen lassen; aber es kam nur ein -Mann mit einer Schnapsflasche, und eine Drehorgel wurde gespielt, und -auf der Bühne stand ein Bücherschrank, aber zu essen gab es nichts. -Der Mann war der Theaterdirektor und sagte zu dem Blauschwänzchen: Ich -rate dir die Glasfabrikation zu erlernen, dabei kann man viel Geld -verdienen und sich die feinsten Sachen kaufen. Aber die Glasfabrikation -war für das Blauschwänzchen eine viel zu heiße Arbeit. Da flog es -auf den Kirchturm hinauf und sah sich nach allen Seiten um und flog -wieder zurück aufs Feld; und weil es noch immer hungrig war, fraß es -das kleine Radieschen auf. Als es aber damit fertig war, fiel dem -Blauschwänzchen plötzlich ein, daß das Radieschen sein Freundchen -gewesen war; und nun grämte es sich so sehr, daß es wie unsinnig hin -und her flog und sich endlich zu Tode flog. Dicht bei dem Kirchturm in -der Stadt ist es aus der Luft heruntergefallen. - -Die Ursel konnte es garnicht fassen, daß die Andern die Geschichte so -lobten. Und kaum hatte der Heinz Lux ihr das Licht geholt, als die -Uhr Mitternacht zu schlagen anfing, und draußen auf der Straße wurde -„Prost Neujahr“ gerufen. Nun stießen sie alle mit den Punschgläsern -an, und da fiel der Ursel der Sternpreis wieder ein, denn nun wurde ja -gleich der Weihnachtsbaum geplündert. Merkwürdig, daß ihr jetzt auf -einmal garnichts mehr an dem Leckerkram lag; es war doch eigentlich -das Schönste, daß schließlich jeder gesiegt hatte. Aber da sprach der -Onkel Ri: „Jeder von uns, meine Herrschaften, hat heute Abend ein Licht -gewonnen, aber die Ursula ist die Jüngste und weiß noch am wenigsten -von der Welt; also hat sie am meisten aus sich selbst ersonnen, und -deshalb gebührt der Sternpreis ihr.“ - -Und als nun die Heinze ganz ehrlich Beifall klatschten, da stieg ihr -die Glückseligkeit so siedend heiß in die Augen hoch, daß sie der -Tante Li um den Hals fiel, damit die Andern das Tränchen nicht sehen -sollten. Und sie nahm sich vor, die leckersten Zacken beim Nachhauseweg -den Buben zu geben, besonders aber dem frechen Heinz Lux, den sie doch -eigentlich garnicht leiden konnte. - - - - -Der Allerseelenspiegel - -Eine Traumgeschichte - - -Es fing schon an dunkel zu werden, und Liselotte saß noch immer ganz -alleine in dem großen Hause, in dem es so schaurig nach Essig roch und -weißen Blumen. Denn vorgestern Nacht war der Großvater gestorben, und -jetzt waren Alle hinaus nach dem Friedhof, um ihn begraben zu helfen; -darum saß sie allein. - -Sie fürchtete sich aber garnicht. Denn sie war schon fast sieben Jahre -alt, und Großvater hatte immer gesagt: wer sich fürchtet, der kommt -nicht in’n Himmel. - -Blos hungern tat sie ein bißchen. Aber von Tante Agathens Topfkuchen, -der in der dunklen Stube stand, mochte sie lieber nichts nehmen heute: -weil alles so sehr nach Essig roch. Also sah sie zum Fenster hinaus. - -Sie traute sich aber nicht aufzumachen: weil sonst auch der schöne -Blumengeruch mit wegging. Darum legte sie nur das Kinn auf das -Fensterbrett, und sah hinunter über den Fluß, und drüben den schwarzen -Bergwald hinauf, wo oben der runde Mond schon glänzte, ganz still wie -ein Spiegel. - -Wenn der nun auf einmal herunterrollte! den hohen Berg und ins Wasser. -Denn Großvater hatte immer gesagt, es sei gar kein Spiegel; es sei eine -schwere steinerne Kugel, viel schwerer als ein Zentner. - -Die würde dann also alles totschlagen: die Bäume, die Schiffe und die -Häuser, und Großvaters Lehnstuhl, in dem sie saß. Und Liselotte machte -die Augen zu: weil sie sich doch nicht fürchten wollte. - -Denn er konnte ja garnicht herunterrollen. Er war ja festgebunden an -den Himmel, vom lieben Gott, mit unsichtbaren Ketten. - -Wenn er nun aber +doch+ herunterrollte? -- Da faltete sie die -Hände zusammen, und machte die Augen noch fester zu, und betete -heimlich ein Lied, das Großvater ihr gedichtet hatte: - - Ich heiße Liselotte, - ich will zum lieben Gotte. - Ach, Mondchen, leuchte mir empor - und öffne mir das Himmelstor, - ich bin so sehr alleine! - - Ich will dir auch was schenken: - lila Bulabenken. - Die wachsen hinter Wundertal - alle hundert Jahre mal; - such, dann sind sie deine! - -Und als sie das gebetet hatte, kam ihr der Mond auf einmal so -wunderlich vor, daß sie die Augen garnicht mehr aufmachen mochte, wie -im Traum. Ganz hell und offen stand der goldne Kreis da oben, daß man -nur einfach hineinzugehn brauchte, dann war man im Himmel. - -Blos großen Hunger mußte er auch wohl haben; noch größeren als sie -selber. Denn solchen großen dunkeln Mund, wie er in seinem blanken -Gesicht jetzt machte, hatte sie nie im Leben gesehen. - -Aber von Tante Agathens Topfkuchen konnte sie ihm doch wirklich nichts -bringen; da waren ja nicht einmal Mandeln drin. Also nahm sie ihr neues -Handkörbchen mit, das silberne, und ging durch den Garten die Gasse -hinunter, wo der Konditor Friedrich Zerwes wohnte, und kaufte zwei -Stückchen frische Nußtorte; davon wollte sie ihm eins abgeben. - -Als sie nun immer weiter wanderte, über die Brücke den Berg hinauf, kam -sie auch an dem Friedhof vorbei, in dem der Großvater begraben lag; -dicht neben Mutterchen, hatte Vater gesagt. Und auch ihr Schwesterchen -Liselore lag da; das hatte sie aber nicht mehr gekannt. Und als -sie durch das dunkle Gittertor sah, da brannten lauter Lichter auf -all den Gräbern, und weiße Blumen blühten dazwischen, denn es war -Allerseelentag. - -Da wollte sie schnell noch erst nachsehen, ob Großvaters Seele wirklich -noch lebte; denn neulich hatte er ihr erzählt, daß man die Seele nicht -mitbegraben könne. Aber da suchten schon so viel fremde Leute nach -Seelen, daß sie sich zwischen den tausend Lichtern verirrte; und als -sie endlich müde beiseite ging, da war auch der Mond oben weggegangen, -und Keiner kümmerte sich um sie. - -So stand sie traurig mit ihrem Körbchen im Dunkeln, da wo die Gräber -der Armenkinder sind, und wollte fast schon zu weinen anfangen, so sehr -alleine war ihr zumute. - -Auf einmal regte sich etwas hinter ihr, und als sie erschrak und sich -umdrehte, kam zwischen den Gräbern ein kleines Mädchen auf sie zu, mit -einem geflickten Röckchen an und einer lila Schürze darüber. Das hatte -solche goldigen Augen, daß Liselotte im stillen dachte: noch schöner -als mein silbernes Körbchen. - -Das arme Mädchen aber sprach leise: ich habe nichts weiter für mein -Schwesterchen -- und dabei holte es unter der Schürze einen kleinen -kreisrunden Spiegel hervor und stellte ihn auf ein kahles Grab. - -Da wollte doch Liselotte sie trösten, und streichelte freundlich den -kleinen Hügel und kniete wie sie vor dem Spiegelchen nieder. Als sie -nun aber hineinblickte so: siehe, da waren die tausend Lichter des -ganzen Friedhofs darin zu sehen, und alle die weißen Blumen dazwischen, -daß ihr das Körbchen fast hinfiel vor Staunen, und war Ein Glanz und -Eine Herrlichkeit. - -Das arme Mädchen aber lächelte nur und nickte Liselotten still zu; -und ganz glückselig zeigten sich beide, wie reich nun das Grab des -Schwesterchens war, viel reicher als irgend ein anderes. - -Und manchmal kamen auch fremde Leute vorbei; die merkten, wie sehr sie -sich freuten zusammen, und wollten nun sehen, warum und wieso, und -bückten sich neugierig über das Hügelchen. - -Aber mit ihren dicken Köpfen, sobald sie dem Spiegel zu nahe kamen, -sahen sie nichts als ihr eignes Gesicht, als ob sie selbst da im Grabe -säßen, bis an den Hals. Da krigten sie Furcht vor dem armen Mädchen, -und alle liefen rasch wieder weg. - -Blos Liselotte, die niemals sich fürchtete, blieb wie im Himmel neben -ihr sitzen, und strich ihr das Röckchen glatt und sagte: Wie wird sich -nun aber dein Schwesterchen freuen, daß alle Seelen vom ganzen Friedhof -in ihrem Spiegel beisammen sind! Mein Großvater ist auch darunter! und -Mutterchen! - -Dann machte sie heimlich ihr silbernes Körbchen auf und wollte die -Nußtorte mit ihr teilen, und dabei fragte sie: Wie heißt du denn? - -Da lächelte wieder das arme Mädchen, und blickte noch goldiger vor sich -hin, und sagte leise, als ob sie träumte: - - Ich heiße Liselore. - Ich komm vom Himmelstore. - Ich sah mein Schwesterchen hier stehn, - es wollte in den Mond hingehn, - es stand so sehr alleine. - - Es wollt dem Mond was schenken: - lila Bulabenken. - Komm, Schwesterchen, nach Wundertal - in den Allerseelensaal: - sieh, nun sind sie deine! - -Und während sie das sagte, war sie aufgestanden, und hatte ihr lila -Schürzchen abgebunden, und schwenkte es hoch im Kreise mit beiden -Händen über sich. Und plötzlich war sie gar kein kleines Mädchen mehr, -sondern eine große lila Blume; die neigte sich tief zu Liselotte -hernieder und nahm sie mit den Blättern zu sich hoch und setzte sie -sanft in ihren Blütenschooß. - -Und als nun Liselotte nach dem Spiegelchen sah, da wurde es größer und -immer größer, viel größer als der Mond vorhin, und stand weit offen -wie ein goldener Saal, und drinnen bewegten sich leuchtende Säulen; -die waren durchsichtig wie Lichter im Wasser, viel tausend tausend und -immer mehr, als ob sie mit einander tanzten. Und plötzlich schrie sie -laut auf vor Schreck und mußte weinen vor Seligkeit; denn ganz weit -hinten kam auch ihr Mutterchen her und leuchtete heller als alle die -andern. - -Und als sie die Augen noch weiter aufmachte, stand Vater im Mondschein -neben Großvaters Lehnstuhl, und Tante Agathe wischte die Tränchen vom -Fensterbrett, und Alle lobten die kleine Liselotte, wie schön allein -sie zuhause geblieben war, und daß sie sich garnicht gefürchtet hatte. - - - - -Kleinkindergeschichten - - -1) Tippel und Tappel - -Ist euch schon einmal langweilig zumute gewesen? Dann paßt mal auf, wie -lustig man mit sich selber spielen und sich die Zeit vertreiben kann! - -Auf dem Dachsfell vor Großvaters Schlafstube saß der kleine Peter, und -hatte seine Schuhchen ausgezogen, und besah sich seine dicken, drallen, -rosablanken Beinchen mit den blau und rot gestreiften Socken dran. Auf -einmal aber waren es gar keine Beinchen mehr, sondern er legte sich auf -den Rücken und hob sie in die Luft, da waren es zwei große richtige -Soldaten, und der eine hieß Tippel, der andere Tappel. - -Tippel hatte eine rote Nasenspitze, und Tappel eine blaue; denn sie -waren eben erst von draußen gekommen, und draußen war es furchtbar kalt. - -Nun kommandierte der kleine Peter: rrührt euch, marrsch -- ganz wie der -große Herr Leutnant auf dem Exerzierplatz. Und da schwenkte erst Tippel -die rote und dann Tappel die blaue Nasenspitze hin und her, und hatten -wunderschöne blau und rot gestreifte Jacken an, und Peter kommandierte -immerfort: rrechts schwenkt, llinks schwenkt -- rechts schwenkt, -marsch! -- - -Das ging so eine ganze Weile lang; bis Tippel und Tappel wütend wurden. -Denn sie waren währenddem warm geworden, und waren nun beide eigentlich -müde, und wollten dem kleinen Peter nicht mehr recht gehorchen. Also -fingen sie an zu zappeln und zu strampeln. - -Halt! schrie da plötzlich der kleine Peter, ganz wie der große Herr -Leutnant auf dem Exerzierplatz. Denn er war nun auch warm und wütend -geworden und wollte Großvaters lange Flinte aus der Schlafstube holen -und die beiden faulen Soldaten totschießen. - -Aber da krigten die solchen Schreck, daß sie bautz zurück auf das -Dachsfell fielen; und da waren es wieder zwei kleine dicke Beinchen mit -blau und rot gestreiften Socken dran. - - -2) Der Sonnenstrahl - -Ganz hoch oben über den Wolken wohnte einmal ein Sonnenstrahl, ein -richtiger Spinnefix; dem war die Zeit zu lang, und deshalb ging er -immer mit den Wolken spielen. Ich sage euch, ganz prachtvoll kann man -damit spielen! Morgens spielte er Ball mit ihnen, oder Greifen, und -Abends Schaukelpferd; und manchmal ließ er seine langen gelben Beine -bis auf den Mond herunterbaumeln, oder er schoß kobolz, quer über die -blaue Himmelsrutschbahn. Und wenn er einmal hinpurzelte, dann tat es -garnicht weh; denn wißt ihr, Wolken sind noch viel, viel weicher als -ein Federbett. - -Eines Tages aber purzelte er nicht auf eine Wolke, sondern zwischen -zweien mittendurch, und fiel auf die Erde, in den Potsdamer Schloßpark; -da lag er unter einer großen Kastanie, nachmittags um sieben, ganz blaß -und schmal, im grünen Gras. Doch weil es ringsherum sehr still war, -bekam er wieder Mut und fing ein lustiges Liedchen zu summen an, das -seine Mutter Sonne ihm eingelernt hatte: - - Ich bin so blank wie Butter, - ich hab eine goldne Mutter, - ich laufe schneller als alle Pferde, - und manchmal fall ich auf die Erde; - kribbel, krabbel, kringel, - was wird nun aus dem Schlingel? - -Auf einmal kam der Bäckermeister Paul Lommatsch anspaziert, der -die schönen gelben Prezeln zu backen versteht, und sah den blanken -Sonnenstrahl so durch den grünen Schatten krabbeln, und blieb stehen. -Na! dachte der Sonnenstrahl: was will denn +der+ von mir? und -machte sich ganz klein vor Angst. Der dicke Herr Lommatsch aber -sah ihn doch und brummelte vergnügt: „Ei, was für’n schöner gelber -Sonnenstrahl! Da wolln wir mal ’ne Prezel draus backen; und wenn so’n -rechter braver Goldbub in meinen Laden kommt, dann krigt er die.“ Und -grips-graps hob er den Sonnenstrahl auf und steckte ihn in die Tasche. - -Nun braucht ihr aber nicht traurig zu sein, weil einer von euch die -Prezel vielleicht geschenkt bekommt und den schönen Sonnenstrahl dann -mit aufißt. Denn seht ihr, ich kenne den Herrn Lommatsch, und der hat -mir neulich ins Ohr gesagt: das schad’t dem blanken Spinnefix nix. Denn -wenn ihr dann recht fröhlich hinaufguckt in den blauen Himmel, dann -wird der Sonnenstrahl wieder lebendig und kommt aus euern hellen Augen -herausgekrabbelt und springt mit Einem Blutz auf die nächste weiße -Wolke hinauf und fliegt zurück zu seiner goldenen Mutter. - - -3) Die Pfauenfeder - -Jetzt will ich euch aber eine ganz, ganz wahre Geschichte erzählen; die -fängt auf einem Heuwagen an und hört im obersten Himmel auf. - -Der Heuwagen nämlich kam von der Wiese; und obendrauf, da saß der -kleine Richard, mitten zwischen dem frischen Heu, das süßer roch als -Tee und Honigkuchen, und hatte eine grüne Sammtmütze auf, mit einer -herrlichen Pfauenfeder dran. Die hatte seine liebe Mutter ihm selbst -angenäht; und deshalb, und weil sie gar so herrlich grün und blau und -goldbunt aussah, war seine Mütze ihm schrecklich lieb. - -Auf einmal, als er in dem süßen Heu schon beinah einschlafen wollte, -kam hui ein Wind übers Feld, nahm ihm die Mütze mir nichts dir nichts -aus den Locken und warf sie auf die Erde. - -Der kleine Richard, der immer schon ein großer Wildfang war, bekam erst -einen mächtigen Schreck, dann sprang er schnurstracks seiner lieben -Mütze nach, bautz von dem hohen Wagen herunter. - -Eine Weile lang sah er nichts als schwarze Nacht und hörte immerfort -den Himmel brausen. Die Erde fühlte er überhaupt nicht mehr, blos einen -furchtbaren Ruck im Kopf, der garnicht aufhören wollte, als ob ein -hohles Faß mit ihm durch einen dunkeln Keller rollte, und seine Beine -lagen ganz weit weg von ihm. - -Endlich wurde es wieder etwas heller: viel tausend silberne Sterne -tanzten durch die schwarze Nacht. Und zwischen den Sternen sah er seine -Pfauenfeder fliegen, und sah sie größer und immer größer werden, und -immer grüner, blauer und goldbunter funkeln, wie eine große goldbunte -Schaukel. Und plötzlich saß auf dieser großen Schaukel seine liebe -Mutter, und hatte hellblaue Engelsflügel an, und flocht sich ihre -langen schönen Haare, und schwebte immer höher vor ihm her. - -Da fing der wilde Richard an zu weinen, weil seine liebe Mutter ihn -garnicht dabei ansehen wollte; und so sehr weh war ihm ums Herz, daß er -die kleinen Arme hochheben mußte, immer höher, bis über die silbernen -Sterne hoch -- und da auf einmal wurde der ganze Himmel hell, denn -seine liebe Mutter hatte ihn angesehen, so tief ins Herz, daß er die -Augen zumachen mußte. - -Und wie er sie schüchtern wieder aufmachte, da hatte Mutter ihn auf -dem Schooß und streichelte seine heißen Locken, und sagte weinend: du -böser, böser Junge du! - -Im Grase aber, neben ihr, lag seine schöne Sammetmütze mitsamt der -Pfauenfeder; und als er nun verwundert danach langte, da sah die liebe -Mutter gleich wieder ebenso selig aus, wie oben über den Sternen, und -küßte ihn. Und seht ihr, da merkte der kleine Richard, daß er vom -Heuwagen ’runtergefallen und dann im obersten Himmel war, und daß der -auf der Erde liegt. - - - - -Das Märchen vom Maulwurf - - -Vor vielen tausend Jahren, als die Menschen noch keine Kleider trugen, -lebte mitten in der Erde ein Zwerg, so tief unten, daß kein Mensch -etwas von ihm wußte. Und er selber wußte von den Menschen auch nichts; -denn er hatte sehr viel zu tun. Er war ein König über die andern -Zwerge, und schon fünf mächtige Höhlen hatte er sich ausputzen lassen, -und war ganz alt und grämlich dabei geworden, so viel hatte er zu -befehlen. - -Es war aber nicht dunkel da unten in den Höhlen, sondern eine glänzte -immer bunter als die andre, so viel Diamanten und Opale hatte das -Zwergvolk drin aufgebaut, und die Wände waren von blankem Kristall, -jede in einer besonderen Farbe. Und da saß nun der König der Zwerge, -in seinem Mantel von schwarzem Sammet, auf einem großen grünen -Smaragdstein, und faßte sich an seine spitze Nase und überlegte mit -seinen alten Fingern, ob auch alles hell genug wäre. Er fand es aber -durchaus nicht hell genug. - -Da machten ihm die andern Zwerge eine sechste Höhle zurecht, mit Wänden -von lauter Rubinen, die wie ein einziger Feuerschein glühten, und das -dauerte tausend Jahre; aber er fand auch Das noch nicht hell genug. Als -er nun immer trauriger wurde in seinem schwarzen Sammetmantel, kamen -die andern alle zusammen, und die Jüngsten sagten zu den Alten: kommt, -laßt uns eine +blaue+ Höhle machen! - -Dafür wären sie beinahe totgeschimpft worden, denn bis dahin hatte das -Zwergvolk die blaue Farbe nicht leiden können. Weil aber alle andern -Farben in den sechs Höhlen schon durchprobiert waren, sagten endlich -auch die ältesten Zwerge ja und gaben den jungen die Hände. Dann gingen -alle an die Arbeit und putzten heimlich eine siebente Höhle aus, mit -Wänden von echten Türkisen, die so hell und blau wie der Himmel waren, -und das dauerte wieder tausend Jahre. - -Die gefiel nun dem König wirklich, und der allerälteste Zwerg, der -fast so alt wie der König selbst war, schoß vor Verwunderung einen -Purzelbaum. Darauf trugen sie den großen Smaragdstein in die neue Höhle -hinein, und der König setzte sich auf ihn und freute sich, wie schön -sein schwarzer Sammetmantel zu den hellblauen Wänden paßte. Nachdem -er aber fünfhundert Jahre so gesessen hatte, fand er auch Das nicht -mehr hell genug; er wurde trauriger als je zuvor und seine Nase immer -spitzer. - -Fünfhundert Jahre saß er noch und überlegte seinen Kummer, sodaß er -schon ganz fett zu werden anfing. Endlich ertrug er das nicht länger, -ließ sich die jüngsten Zwerge kommen und sagte: macht mir eine Höhle, -die ein Licht hat wie alle Farben in +eine+ verschmolzen! Das aber -verstanden auch die allerjüngsten nicht, und glaubten, ihr König sei -verrückt geworden. - -Da beschloß er, sie zu verlassen und selbst nach seinem hellen Lichte -zu suchen. Er stieg herunter von seinem Smaragdstein, und schnitt den -schwarzen Sammetmantel etwas kürzer, sodaß er Hände und Füße frei -bewegen konnte, und fing an zu graben. Weil aber unten in der Erde die -Andern schon alles abgesucht hatten, so meinte er, das Licht, wonach -er solche Sehnsucht fühlte, müsse wohl weiter oben liegen, und grub -sich in die Höhe; und weil das Zwergvolk damals den Spaten noch nicht -erfunden hatte, so mußte er die Finger zum Wühlen nehmen. Das tat ihm -nun sehr weh, denn er war das nicht gewohnt; aber er hatte solche -Sehnsucht nach dem Licht. - -Dreitausend Jahre wühlte der König der Zwerge und grub sich höher -und höher hinauf. Die Haut um seine Finger war schon ganz dünn davon -geworden, sodaß die kleinen Hände ganz rosarot aus seinem schwarzen -Sammtmantel kuckten; aber immer sah er das Licht noch nicht. Nur tief -von unten schimmerte noch ein blaues Pünktchen zu ihm herauf, aus -seiner siebenten Höhle her; aber um ihn und über ihm war alles schwarz. -Auch etwas magerer war er geworden, und die Nase noch spitzer. - -Da überlegte er, ob er nicht lieber zu seinem Volk zurückkehren sollte; -aber er fürchtete, dann würden sie ihn absetzen und wirklich in ein -Irrenhaus sperren. Also ging er aufs neue an die Arbeit mit seinen -rosaroten Zwerghänden, und grub nochmals dreitausend Jahre lang, und -es wurde immer dunkler um ihn her, bis schließlich auch das blaßblaue -Pünktchen tief unten hinter ihm verschwand. Als er nun garnichts mehr -sehen konnte, hörte er auf zu wühlen und sprang in die Höhe und wollte -sich den Kopf einstoßen, so furchtbar traurig war ihm zumute. - -Da ging auf einmal die Erde entzwei über ihm, und er schrie laut auf -vor Entzücken und schloß die Augen vor hellem Schmerz, so viele Farben -gab es da oben, als ob ihn tausend bunte Messer stachen, bis ins Herz. -Denn hoch im Blauen über der Erde, viel höher als er gegraben hatte, -so hell wie alle Farben in +eine+ verschmolzen, stand eine große -strahlende Kugel, und Alles war Ein Licht. - -Als er es aber ansehen wollte und seine Augen wieder aufschlug, da war -er blind geworden und fiel auf die Stirn. Und er fühlte, wie schwach -sein Königsherz war, und wie sein schwarzer Mantel vor Schreck mit -ihm zusammenwuchs, und daß er kleiner und kleiner wurde und seine Nase -immer spitzer, und plötzlich rutschte er zurück in die Erde. - -Seit dem Tage gibt es Maulwürfe hier oben, und darum haben sie ein -schwarzes Sammetfell und rosarote Zwerghände und sind blind. Und -manchmal, wenn die Sonne recht kräftig scheint, dann stoßen sie ein -Häufchen Erde hoch und stecken die spitze Nase an die Luft, vor -Sehnsucht nach dem Licht. - - - - -Die bekümmerte Löwenkröte - -Ein Märchen für kleine und große Leute - - -Nun will ich euch eine Geschichte erzählen, die mir einmal vor einem -Schaufenster eingefallen ist, als ich eine kleine chinesische oder -vielmehr koreanische Porzellandose betrachtete, die in sonderbarer -Verschnörkelung einen schwermütigen Löwen vorstellte. Ich tue es -nur, damit ihr Lust kriegt, euch bei merkwürdigen Dingen, die ihr -seht, selber allerlei Neues zu denken. Wenn ihr das dann mit rechter -Lebendigkeit Andern mitteilt, kommt ihr in den Ruf, daß ihr furchtbar -tiefsinnig seid und schreckliche Dinge in euerm Herzen beherbergt, die -ihr nur deshalb den Leuten aufbinden wollt, damit sie euch für ein -Wundertier halten. Und außerdem habt ihr noch das Vergnügen, daß ihr so -klug bleibt, wie ihr wart, während die Andern sich so die Köpfe über -euch zerbrechen, daß sie manchmal rein dumm davon werden. Also paßt auf! - -In einem asiatischen Urwald lebte zu Olims Zeiten ein großes Tier, wie -vorher noch keins zur Welt gekommen war und wohl auch nie mehr eins -wiederkommen wird, von so erstaunlicher Mißgestalt. Es hatte den Kopf -eines Löwen und den Leib einer Kröte, das heißt einer Riesenkröte, -sodaß es noch größer war als ein gewöhnlicher Löwe. Dabei war es nicht -etwa ein bösartiges Tier, obwohl es mit seinem gewaltigen Rachen -und seiner dicken Panzerhaut allgemeines Entsetzen erregte; sondern -weil es eben den Magen einer Kröte hatte, nährte es sich wie alle -Kröten von unnützen kleinen Kriechtieren. Besonders den Giftschlangen -stellte es nach, trieb sie aus ihren Schlupflöchern und ließ sich ihre -Eier schmecken. Sonst machte es von seinen Raubtierkräften nur dann -Gebrauch, wenn irgend ein anderes großes Tier sich einmal gar zu dreist -aufspielte; dann brachte es ihm Mores bei, war also im ganzen den -Urwaldbewohnern recht nützlich. - -Auch war es durchaus kein häßliches Tier. Seine harte runzlige -Krötenhaut schimmerte goldbunt wie ein Paradiesvogelsittig, mit großen -tiefblauen Tupfen gesprenkelt, wovon sich die hellbraune Löwenmähne -in majestätischen Locken abhob. Nur etwas schwerfällig war es gebaut; -der breite Leib war zwar nicht so plump wie bei den gewöhnlichen -Riesenkröten, drückte aber die mächtigen Löwentatzen beim Gehen doch -etwas zu Boden, und das bekümmerte sein Gemüt. Es gelang ihm wohl, -riesige Sprünge zu machen, die selbst die Sprünge der Löwen übertrafen, -aber richtig rennen konnte es nicht und gemächlich laufen auch nicht -recht; und das traurige Untier meinte immer, wenn es das könnte, würde -es lustig werden. - -Je älter es wurde, umso bekümmerter wurde es, weil es immerfort drüber -nachdachte, was es wohl mit sich anstellen solle, um einmal recht -lustig lachen zu können. Besonders wenn es frühmorgens hörte, wie -der ganze Urwald vom Gelächter der Affen und Papageien zu schallen -begann, stierte es eifrig aus seiner Höhle nach den Zweigen hinauf -in den blauen Himmel, als müsse ihm dorther die Erleuchtung kommen. -Aber so sehr ihm der Himmel auch in die Augen lachte: jedesmal wenn es -meinte, nun werde das Herz ihm vor Freude schwellen, und lustig ins -Grüne hinausrennen wollte, dann konnte das langsame Krötenherz mit dem -raschen Löwengehirn nicht mit, und der ganze Tag war ihm verleidet. - -Endlich fragte die Löwenkröte einen alten Papageien um Rat, der klüger -als die andern zu sein schien und nur in seltenen Fällen lachte, dann -freilich umso kräftiger. Weil sie sich aber nicht verraten wollte, da -sie befürchtete ausgelacht zu werden, stellte sie ihre Frage so: Wie -kommt es denn, daß du so selten lachst? und warum lachst du dann so -kräftig? - -Weiß nicht! krächzte der Papagei; frag mal das heilige Kameel! Und dann -lachte er wie besessen. - -Daraus merkte die Löwenkröte, daß der alte Papagei närrisch war. Denn -von dem heiligen Kameel war allgemein im Urwald bekannt, daß es nicht -im geringsten lachen konnte, nicht einmal lächeln; und lächeln konnte -die Löwenkröte, wenn auch nur ziemlich mühsam. Bei näherer Überlegung -bedachte sie aber, daß die Narren mitunter gescheitere Einfälle haben, -als sie selber in ihrer Narrheit wissen. Vielleicht verstand sich das -heilige Kameel im stillen wirklich sehr gut aufs Lachen und hatte -sich’s nur abgewöhnt aus irgend einem triftigen Grunde. Also begab sie -sich auf den Weg nach dem Tempel, wo das Kameel sich verehren ließ. - -Das heilige Tier erschrak nicht wenig, als es das fremde Untier -erblickte. Dann jedoch witterte es wohl, daß sich das bunte Riesenvieh -in freundlicher Absicht näherte, dachte wohl auch an das schützende -Gittertor, steckte daher den Kopf heraus und fragte von oben herab -feierlich: Was wünschen Sie? - -Die Löwenkröte, da sie nicht zu befürchten brauchte, von dieser ernsten -Person belächelt zu werden, erwiderte treuherzig: Ich möchte gern -wissen, Euer Hochehrwürden, wie ich wohl lachen lernen kann. - -Das heilige Kameel, das wohl nicht recht gehört zu haben glaubte, oder -nicht wußte, ob es die Frage ernst nehmen sollte, steckte den Kopf noch -ein bißchen weiter heraus und fragte noch feierlicher: Wie meinen Sie? - -Da brüllte die Löwenkröte: +lachen+! ich will +lachen+ -lernen, Ehrwürden! Und nun zog das Kameel rasch den Kopf zurück; denn -nun wußte es, daß es ernst gemeint war. - -Es besah sich durch die Gitterstäbe die unwirsche Mißgeburt genauer, -nahm eine teilnehmende Miene an, wobei es seinen höckrigen Rücken -noch etwas krummer machte als sonst, und bog und wiegte den langen -Hals nachdenklich hin und her. Dann sagte es noch viel feierlicher: -Besänftige dich, betrübte Seele! Da wird uns der Himmel auf meine Bitte -wohl an den Weg der Erleuchtung führen. Da wirst du entweder ganz ein -Löwe oder ganz eine Kröte werden müssen. - -Das hab ich schon selbst gewußt -- knurrte die Löwenkröte. Aber wie hab -ich das anzufangen?! - -Das heilige Kameel bog nochmals den Hals gewichtig hin und her, machte -den Buckel noch krummer und sagte: Auch dazu wird uns das himmlische -Licht den rechten Weg der Erleuchtung weisen. Da wirst du aber dem -gütigen Himmel erst eine kleine Opfergabe darbringen müssen. Du darfst -sie einstweilen zu meinen Füßen, der ich der Diener des Lichtes bin, -vor diesem Gittertor niederlegen. - -Die Löwenkröte besann sich ein bißchen, was sie dem Himmel wohl -Wohlgefälliges darbringen konnte, und fragte dann schüchtern: Willst du -vielleicht ein paar Giftschlangenköpfe? ich habe heut Mittag ein ganzes -Nest voll getötet. - -Nein -- sagte das heilige Kameel und schüttelte sich von oben bis -unten -- Giftschlangen sind hier nicht am Platze, insonderheit keine -getöteten; denn des Himmels Gnade läßt auch die Giftschlangen leben. -Aber zuweilen sollen sich in den Nestern der Schlangen kostbare -Edelsteine finden; wenn du deren vielleicht eine kleine Portion geraubt -haben solltest, die würden dem Himmelslicht angenehm sein! -- Und ganz -verklärt verdrehte das heilige Tier bei diesen Worten seine Augen. - -Da fiel der Löwenkröte ein, daß ihr am Mittag, als sie den Schlangen -die Köpfe abbiß, etwas sehr Hartes ins Maul geraten war, das sie nicht -hatte zerknacken können, und das ihr noch immer im Rachen steckte. Das -spie sie nun schleunigst durch das Gitter dem Diener des Lichtes vor -die Füße. - -Das Kameel, als ihm der heftige Strahl so plötzlich -entgegengeschleudert wurde, tat erst wieder einen entsetzten Satz. -Als es aber vor sich im nassen Sande den großen Edelstein funkeln -sah, gewann es seine Fassung zurück, nahm wieder eine würdige Haltung -an und sprach mit gnädiger Halsneigung: Es ist zwar nur ein einziger -Edelstein, aber dem Himmel ist auch Geringes willkommen, wenn es aus -willigem Herzen kommt; ich werde für deine Erleuchtung beten. - -Also werd’ich nun endlich Antwort kriegen? brauste die Löwenkröte auf, -die schon vor Ungeduld zitterte. - -Sobald ich gebetet habe -- sprach das Kameel und zog sich etwas tiefer -in seine Zelle zurück, den Edelstein mit dem Fuß an sich scharrend. -Dann ließ es sich umständlich, wie die Kameele zu tun pflegen, auf -beide Vorderkniee nieder, den Höcker so krumm wie nur möglich machend, -und die Löwenkröte mußte warten, obgleich ihr die Mähne schon schwoll -vor Zorn. Endlich erhob sich das heilige Tier, blieb weihevoll im -Hintergrund stehen und sagte mit prophetischer Stimme: Der Himmel hat -mein Gebet erhört. Er läßt dir durch seinen Diener sagen: wenn du -wissen willst, wie dein Leib sich verwandeln soll, damit deine Seele -zum Preise des Lichtes lachen lerne, dann mußt du dich auf den Weg -machen und entweder die Löwen oder die Kröten danach fragen -- - -Aber das wollt ich ja grade nicht! brüllte die Löwenkröte verzweifelt. -Warte, du ruppiges buckliges Biest! Und damit sprang sie in voller Wut -gegen das Tor der Tempelzelle. - -Aber auf solche Überfälle mußte dies wohl schon eingerichtet sein; -denn trotz ihrer Riesenkräfte vermochte die wütende Löwenkröte das -eiserne Gitter nicht zu sprengen, nur ein paar Stäbe verbogen sich. Und -das Kameel blieb ruhig im Hintergrund stehen, besah sich das rasende -Ungetüm, als könne es dessen Grimm nicht begreifen, und sagte nur mit -tiefster Entrüstung: du undankbare Kreatur! Dann wandte es langsam dem -Gitter den Rücken zu, und die Löwenkröte hatte den Eindruck, als ob -sich’s nun wirklich im stillen die Hucke voll lachte. - -Das brachte sie wieder zur Besinnung. Und da ihr nichts andres mehr -übrig blieb, faßte sie jetzt in der Tat den Entschluß, bei den -gewöhnlichen Löwen und Kröten so höflich wie möglich ihr Glück zu -versuchen. Ihr braves Krötenherz schämte sich schon des löwenhäuptigen -Wutanfalls, und sie verzieh dem gekränkten Kameel seine unerträgliche -Redseligkeit. Vielleicht hatte es doch sein dummes Getue von A bis Z -völlig ernst gemeint und hielt sich nur in seiner Dummheit für einen -Ausbund von himmlischer Weisheit. - -Mit solchen Gedanken kam sie an den Sumpf, in dem die Riesenkröten -hausten, und hörte richtig schon von ferne ihr glucksendes Lachen -durchs Röhricht tönen. Halt! sagte sie sich in ihrem Löwensinn: da -brauch ich vielleicht erst garnicht zu fragen, sondern sehe, was sie so -fröhlich macht. - -Vorsichtig schlich sie im Röhricht näher und spähte durch die -dichten Halme. Da saß eine ganze Krötengesellschaft um ein riesiges -Wasserpflanzenblatt, auf dem es von kleinen Schnecken und Würmern, -Maden und Schlammkäfern wimmelte, und die Kröten glucksten vor -Vergnügen über die fette Abendmahlzeit und patschten sich die feisten -Bäuche, daß der Sumpfboden davon wackelte. - -Nein! dachte unser trauriges Untier in seinem vornehmen Löwensinn: -Wenn +das+ ihre ganze Freude ist, dann will ich lieber darauf -verzichten; das ist denn doch zu ekelhaft! -- Also beschloß es, die -Löwen aufzusuchen. - -Inzwischen war die Nacht angebrochen, und im Urwald herrschte bereits -tiefe Stille, sodaß die Löwenkröte schon meinte, den Besuch bis morgen -aufschieben zu müssen. Aber es war eine helle Mondnacht, und plötzlich -erscholl durch die Dämmerung ein so gewaltig donnerndes Lachen, daß es -nur von mehreren Löwen herrühren konnte, und zugleich ein jämmerliches -Geschrei. - -Unser Untier kroch durch das dunkle Dickicht so rasch wie möglich der -Stelle zu, wo der seltsame Lärm sich erhoben hatte, und kam an eine -schmale Lichtung, die ganz verklärt vom Mondschein war. Da sah es nun, -wie vier große Löwen einen armen Affen an Händen und Beinen gepackt -hielten und ihn so bei lebendigem Leibe in vier Stücke zerreißen -wollten. Der schnitt natürlich mit seinem Gesicht die fürchterlichsten -Grimassen dabei, und das machte den Löwen solchen Spaß, daß sie wieder -ihr brüllendes Lachen ausstießen und so den Gequälten ein wenig locker -ließen; der schrie dann natürlich noch jämmerlicher, worauf sie noch -gräßlicher an ihm rissen und dazwischen wieder laut loslachten. - -Unser Untier konnte nicht länger still zusehn; sein gutmütiges -Krötenherz empörte sich schließlich bis in sein wildes Löwengehirn, -und plötzlich sprang es mit einem Gebrüll, wie noch nie eins im Urwald -erschollen war, mitten hinein in den scheußlichen Knäuel. Erst schlug -es den armen Affen tot, daß der sich nicht länger zu quälen brauchte; -dann fuhr es mit seinen klotzigen Tatzen auf die verdutzten Löwen los. -Der eine hatte vor Schreck gleich Reißaus genommen; die andern drei -merkten nach einigem Katzbalgen, oder wußten auch schon von Hörensagen, -daß sie der bunten Panzerhaut der Löwenkröte nichts anhaben konnten, -und zogen sich nach etlichen Maulschellen, die sie weniger ausgeteilt -als empfangen hatten, mit respektvollem Grunzen ins Dickicht zurück. - -Da saß nun das siegreiche Ungetüm in der vom Mondschein verklärten -Lichtung neben der blutigen Affenleiche; und da auf einmal -- wie -ihr euch denken könnt -- ging ihm durch Herz und Hirn zugleich eine -unendliche Erleuchtung. Es konnte zwar immer noch nicht lachen; aber -mit einem Lächeln gen Himmel, das jeder Traurigkeit hellen Hohn sprach, -ergab es sich in sein Untierschicksal, gern eine Löwenkröte bleibend. - -Und auch die Affen sind Affen geblieben, die Papageien Papageien, und -das heilige Kameel ein Kameel. - - - - -Die Geschichte vom alten Wodtke und Michel Krist - -oder der Weg über den Balken - -Eine Geschichte die wirklich einmal geschehen sein soll - - -Nämlich, Jungens -- die Leute waren schon jahrelang unzufrieden mit -dem alten Wodtke, alle Leute in der ganzen Gegend. Er aber saß oben -auf seinem Berge, in seinem einsamen Wärterhäuschen, und kümmerte sich -nicht darum. - -Eigentlich hätte er tun müssen, was die Leute unten im Land verlangten; -so wenigstens meinten diese selber, besonders die reichen unter ihnen, -denn die hatten ihn angestellt. Er sollte die große Wasserleitung -in Ordnung halten, die oben auf dem Berge lag, und deren Röhren -hinabliefen in alle Felder und Wiesen und Bauernhöfe, um alle richtig -mit Wasser zu versorgen. Und er hielt sie auch ganz gut in Ordnung; -aber wenn einer mal viel Wasser brauchte, dann meinte der Nachbar, er -kriege zu wenig, oder wenn dieser nun nachbekam, dann schrieen alsbald -die andern Nachbarn, das sei die reine Überschwemmung, und schließlich -wars keinem recht gemacht. - -Darum hatte der alte Wodtke sich eines Tages anders besonnen: hatte den -Leuten den Zutritt versperrt zu seinem amtlichen Gebiet und kümmerte -sich um Niemandes Wünsche mehr. Sondern er saß da hinter seinem Zaun, -zwischen den mächtigen Wasserbecken, die in Terrassen über einander -lagen; und auf der obersten Terrasse, mitten im größten der großen -Becken, stand wie ein Turm sein steinernes Häuschen, zu dem nur ein -langer schmaler Balken über das stille Wasser führte. Von dort aus -besah er mit seinem einen Auge -- denn auf dem andern war er blind --- durch ein Fernrohr die ganze Gegend, die Dörfer und das flache -Land, bis dahin wo die Wälder anfingen und bläulich in den Himmel -verschwanden, und ließ zu jedermann soviel Wasser laufen, wie’s ihm von -oben gut und nötig schien. - -Das gab nun zuerst einen wahren Aufstand unter den Leuten ringsherum, -obgleich sie im ganzen nicht schlechter versorgt wurden, vielleicht -sogar etwas besser als früher; doch weil sie nicht mehr dreinreden -durften, fühlte sich jeder zurückgesetzt, und kamen in hellen Haufen -herauf und wollten das Wärterhäuschen stürmen. Je näher sie aber -an den Zaun kamen, umso stiller und stiller wurden sie; die großen -Wasserbecken, die alle den Himmel spiegelten, lagen da so feierlich, -daß sich keiner mehr laut zu reden traute. Blos etwa ein Dutzend der -ärgsten Murrer, die kletterten dennoch über den Zaun und näherten sich -dem einsamen Turm. - -Der alte Wodtke stand ganz ruhig in seiner weitgeöffneten Türe, blickte -erst auf die Leute drüben, dann auf den langen Balken vor sich, und -lachte in seinen grauen Bart; hinter ihm blitzten die hundert Hähne und -Drehklinken der Leitungsröhren. Da merkte das Dutzend Störenfriede, -daß man nur einzeln hinüberkommen könne; und wie der Alte sein eines -Auge funkelnd von Mann zu Mann richtete, hatte keiner den Mut dazu. -Und plötzlich erhob sich in dem Turm ein seltsames Kreischen und -Gekrächze, daß jeder verwirrt in den Himmel glotzte; worauf der Alte -ihnen den Rücken wandte und schließlich alle froh waren, daß sie zum -Zaun zurücklaufen konnten. Dort sagten sie den Wartenden, es gehe hier -nicht mit rechten Dingen zu, der alte Wodtke habe den Zauberblick und -stehe mit bösen Geistern im Bunde; und also zog der ganze Haufen wieder -hinunter ins flache Land. - -Es gab aber doch verschiedene Schlauköpfe, die an den Geisterspuk nicht -recht glaubten, und meinten, sie würden den Alten schon unterkriegen; -das waren natürlich die Unzufriedensten. Die schlichen jetzt öfters -allein um den Zaun, weil keiner dem andern das Wasser gönnte, und -dachten jeder dem alten Bären einen besonderen Vorteil abzuluchsen. Sie -hatten auch bald herausgekundschaftet, daß er Nachmittags gewöhnlich -ein Schläfchen machte, und was es mit dem Gekreisch und Gekrächze für -eine einfache Bewandtnis hatte. - -Vollkommen einsam nämlich lebte der alte Wodtke nicht. Sondern er hatte -sich zwei Vögel gezähmt, einen weißen und einen schwarzen, eine Möwe -und eine Krähe. Die saßen meistens bei ihm im Turm; nur wenn er bei der -Arbeit war oder bei seinem Nachmittagsschläfchen, dann flogen sie über -den großen Wasserbecken wie eifrige Wächter hin und her. Sie flogen -dann ganz leise und lautlos, immer im Zickzack schwarz und weiß, als ob -sie Tod und Leben spielten. Ich habe sie selbst mal so fliegen sehen, -als ich vorbeiging und über den Zaun kuckte; doch braucht ihr drum -nicht etwa zu denken, ich hätte hinüberklettern wollen, denn ich bin -mit dem alten Wodtke niemals unzufrieden gewesen. - -Die unzufriedenen Schlauköpfe aber, wenn sie sich auch bei Nacht nicht -hinauftrauten, weils ihnen mit den wachsamen Vögeln doch nicht recht -geheuer schien, die wollten sich seine Nachmittagsruhe heimtückisch -zunutze machen und ihn dabei überrumpeln und zwingen. - -Wenn dann so einer -- ich habe von weitem mal zugesehen und sage euch, -es war sehr komisch -- vor den langen Balken kam, dann stand er zuerst -wie angewurzelt und sah sich furchtsam um wie ein Dieb. Er faßte sich -aber doch ein Herz und setzte einen Fuß vor den andern, bis etwa in -die Mitte des Balkens. Wenn er dann aber ins glatte Wasser sah, wo -sich tief unten der Himmelkreis spiegelte, und sah sich selbst da im -Wasser hängen, den Kopf nach unten, am schmalen Balken, und nirgends -ein Halt im tiefen Luftraum, und plötzlich kamen die stillen Vögel mit -Kreischen und Krächzen herbeigeschossen, ihm immer kreuz und quer um -den Kopf, und unten im Himmel ebenso, bis alles ihm drunter und drüber -ging und ihm vorm Tod wie vorm Leben schwindelte: da wollte er wohl die -Augen schließen, lag aber plumps schon drin im Wasser. Und während er -pruhstend mit Mühe und Not ans Ufer des Beckens zurückschwamm, erschien -der alte Wodtke wieder in seiner weitgeöffneten Türe, und lachte daß -das Echo dröhnte, und streichelte seine beiden Vögel, die sich auf -seine Schultern setzten. - -Ein Einziger hat es einmal versucht, bei Nacht über den Balken zu -kommen; das war der dicke Herr Landgendarm. Der hatte eigentlich gar -kein Recht, sich um die Wasserleitung zu kümmern, besonders da der alte -Wodtke selbst eine Art Polizeiperson war und ohne Aufseher über sich. -Aber der dicke Herr Landgendarm hatte die Andern immer gefoppt, wenn -sie so pudelnaß vom Berge kamen, und wollte den Bauern mal beweisen, -daß er der schlauste von allen sei; dachte vielleicht auch eine -Belohnung zu kriegen, wenn er den alten einäugigen Kerl mal orndtlich -bei den Ohren nähme und ihm die Hochmutsmucken austriebe. - -Also faßte er den Plan, nicht aufrecht über den Balken zu gehen, -sondern rittlings bei Nacht hinüberzurutschen, indem er meinte, dann -schliefen die Vögel. Die Vögel schliefen aber nur abwechselnd; und als -er mit seinen dicken Beinen in der Mitte des Balkens saß, weckte die -Möwe den alten Wodtke. Schwapp, kippte er den Balken ein bißchen. Und -der erschrockene Herr Gendarm, den seine enge Uniform und der schwere -Säbel am Schwimmen verhinderten, wäre beinahe elendig ertrunken, wenn -nicht im letzten Augenblick der alte Wodtke den Hahn gedreht und das -Wasser des Beckens hätte ablaufen lassen; da konnte der zappelnde -Reitersmann, naß wie er war, zurückwaten. - -Seit der Zeit meinten die Leute im Ernst, die Möwe und Krähe seien zwei -böse Geister, und da begann erst der Schabernack arg zu werden. Wenn -der Alte bei seiner Arbeit war, gingen sie hinterrücks an den Zaun und -warfen mit Steinen nach seinen Vögeln. Die Vögel konnte zwar keiner -treffen, weil sie zu hoch und zu schnell im Zickzack flogen; aber die -Steine fielen herunter und schlugen in seine Gartenbeete, die rings -um die Wasserbecken lagen. Anfangs nahm er es ruhig hin und warf sie -einfach zurück übern Zaun; das machte die Leute aber nicht friedlicher, -sondern im Gegenteil nur noch erboster, und sie ließen sich einen -Geisterbeschwörer kommen, der ihm die Vögel wegfangen sollte. Na! den -bespritzte der alte Wodtke so gründlich mit einem kalten Strahl, daß -er schleunigst wieder nach Hause reiste; und nun erging es den Bauern -schlimm. - -Denn der Alte vom Berge -- so nannten sie ihn jetzt -- war durch die -ewige Einsamkeit allmählich menschenfeindlich geworden, und beschloß es -ihnen mal einzutränken. Er ließ auf einmal am nächsten Tag so mächtig -viel Wasser ins Land laufen, daß nun wirklich eine Überschwemmung -entstand, und die dauerte von Ostern bis Pfingsten. Mancher bekam -dadurch ein Einsehn, aber grade die reichsten nicht; denn die meinten, -sie hätten den größten Schaden, und warfen ihm Briefe über den Zaun, -worin sie drohten ihn abzusetzen, trotzdem sie ihn lebenslänglich -angestellt hatten. Worauf er einfach sofort den Haupthahn abstellte -und gar kein Wasser mehr laufen ließ, sodaß eine schreckliche Dürre -eintrat. Und Niemand wußte mehr aus noch ein, denn in der ganzen Gegend -war Keiner, der von der Wasserleitung genug Verstand, um rasch sein -Nachfolger werden zu können. - -Da lebte nun dort in einer Hütte ein armer kleiner Hirtenjunge. Seine -Eltern stammten aus einer fremden Gegend und hatten deshalb kein eigen -Land, und er mußte den Bauern die Schafe hüten. Er war an Heiligabend -geboren und letzte Weihnacht zwölf Jahre alt geworden; und mit Namen -hieß er Michel Krist. Es konnte ihm eigentlich gleichgiltig sein, daß -es den Bauern jetzt so schlecht ging; denn er war das Hungern und -Dursten gewohnt, auch wenn sie gute Ernten hatten. Aber es tat ihm -trotzdem leid, wenn Menschen und Tiere jammerten, besonders wenn seine -Schafe blökten auf den vertrockneten Weidefeldern. - -Dem war es nun immer ein Rätsel gewesen, warum sich der alte einäugige -Mann so einsam auf seinem Berge hielt, und warum die Leute ihn -schimpften und ärgerten, und warum er sie dann noch ärger ärgerte. -Denn Michel Krist hatte zwei helle Augen, die in jedermann etwas Gutes -entdeckten; und wen er mit diesen Augen anlachte, der mußte unfehlbar -mitlachen, selbst wenn man ihm vorher böse sein wollte. Drum hatte -er auch vor bösen Geistern nicht die geringste Furcht im Leibe; ihm -waren noch niemals welche begegnet, obwohl er sehr oft im Dunkeln -allein war, und kannte alle Vögel des Himmels, wie sie bei Tag und -bei Nacht herumfliegen. Und über einen Balken zu gehen, schien ihm -erst recht kein gefährliches Kunststück; denn er war von klein auf -barfuß gegangen, und an den breiten Wiesengräben, wo seine Heerde am -liebsten weidete, lief er tagtäglich zum Zeitvertreib, ohne daß ihm je -schwindlig wurde, über die längsten Brückengeländer. - -Als die Gräben nun immer mehr austrockneten, kam er zuletzt auf den -Gedanken, den Alten vom Berge mal zu besuchen und ihn einfach zu -fragen und zu bitten, ob er nicht wieder gut sein wolle. Also begab -er sich eines Morgens in aller Frühe auf den Weg; ging aber erst auf -einen Acker und grub sich einen Engerling aus. Den wollte er der Krähe -mitbringen; denn unser kleiner Michel wußte, daß Krähen die Engerlinge -gern essen. Und aus einem Gemüsegarten nahm er sich eine recht fette -Schnecke mit; die sollte für die Möwe sein. - -Damit sie ihm nicht die Tasche beschmutzten und unterwegs nicht -etwa erstickten, wickelte er die zwei kleinen Tiere säuberlich in -ein großes Kohlblatt und trug sie behutsam in der Hand. Natürlich, -Jungens, wie ihr euch denken könnt, tat es ihm auch etwas leid um sie, -daß sie lebendig aufgefressen werden sollten. Aber der kleine Michel -wußte, daß alles Lebendige einmal sterben muß auf Erden; und seine -halbverdursteten Schafe und die vielen unzufriedenen Menschen taten -ihm doch noch etwas mehr leid als so ein häßlicher Engerling und eine -schleimige Gartenschnecke. Und er wollte doch auch den Vögeln was -zukommen lassen. - -So kam er oben auf dem Berge an und brauchte garnicht erst über den -Zaun zu klettern, weil er die Pforte offen fand; denn die hatte neulich -der Geisterbeschwörer mit seinen Geheimschlüsseln glücklich aufgekrigt, -und der alte Wodtke hatte vergessen, sie nach der Bespritzung wieder zu -verriegeln. - -Michel Krist sah die beiden Vogel fliegen, und als er an den Balken -kam, wickelte er das Kohlblatt auf, nahm den Engerling in die rechte -Hand, die Schnecke in die linke, und ging mit ausgebreiteten Armen -ruhig der Tür des Türmchens zu. Als die Vögel in seinen flachen Händen -die fetten Gewürme kribbeln sahen, vergaßen sie ihren Zickzackflug, -womit sie den Leuten immer die Köpfe verwirrt hatten, dachten auch -nicht an Kreischen und Krächzen, sondern freuten sich über die -Leckerbissen, und die Krähe flog rechts, die Möwe links neben dem -kleinen Michel entlang, bis er auf einmal drüben stillstand und ihnen -die kribbligen Dinger reichte. Dann trat er in das Wärterhäuschen. - -Der alte Wodtke war grade dabei, seine Leitungshähne und Klinken zu -putzen, und wunderte sich natürlich nicht wenig, als plötzlich der -barfuße Junge vor ihm stand, begleitet von seinen zahmen Vögeln. Und -ehe er noch den Putzlappen weglegen konnte, gab Michel Krist ihm schon -die Hand und sagte dazu mit lachenden Augen: Guten Morgen, lieber Vater -Wodtke! - -Vater Wodtke brummte guten Morgen, legte den Lappen an seinen Platz, -sah sich mit seinem einen Auge den kleinen Michel durch und durch an, -griff dann in seinen weißen Bart und fragte etwas weniger brummig: Was -willst du denn hier oben bei mir? - -Unser Michel hatte den funkelnden Blick mit ruhigem Herzen ausgehalten -und gab ganz einfach und wahr zur Antwort: Ich wollte blos fragen, -warum du böse bist, und warum du von den Menschen nichts wissen willst, -und ob du nicht wieder gut sein möchtest?! Ich will dir auch helfen die -Hähne putzen. - -Der alte Wodtke lachte grimmig, und sein Blick wurde dunkler, während -er sprach: Sie wollens nicht besser haben, die Menschen! Wenns ihnen zu -gut geht, werden sie übermütig! genau so wie deine Schafe im Frühling. - -Eine Weile wußte Michel Krist auf diese Worte nichts zu erwidern und -ließ den Kopf ein bißchen hängen. Dann aber hob er wieder die Stirn -und blickte mit seinen zwei hellen Augen den Vater Wodtke groß an und -sagte: Ja aber, ich lasse doch meine Schafe, wenn sie verbiestert sind, -ruhig blöken, und treibe sie nicht weg von mir, und laufe auch nicht -weg von ihnen! Laß doch die Menschen zu dir kommen, und wehre ihnen -nicht zu reden; du kannst ja nachher doch tun, was du willst! -- Und -dabei mußte er leise lachen. - -Und als Vater Wodtke nun mitlachen mußte, nahm Michel Krist ihn wieder -beim Arm und fuhr mit rechter Bitte fort: Und wenn du’s ihnen nicht -selber gestehen willst, dann laß mich hinuntergehen zu ihnen und ihnen -sagen, du bist wieder gut! Ich werds schon alles so ausrichten, daß sie -sich gerne mit dir vertragen -- genau so wie meine Schafe mit mir. - -Da mußte der alte Vater Wodtke so furchtbar laut und herzlich lachen, -daß seine beiden zahmen Vogel verschüchtert zum kleinen Michel hüpften. -Und während er sich heimlich ein Tränchen aus seinem einen Auge -wischte, schrie er und schlug mit der andern Faust an seine größte -Leitungsröhre: Junge, du sollst mein Nachfolger werden! -- - -Und Michel Krist ging hinunter ins Land und richtete alles richtig -aus. Und Sonntags kam er immer herauf und durfte die Hähne putzen -helfen, bis er sich bald auf die Wasserleitung so gut verstand wie -sein Lehrvater selber. Und als der schließlich sterben mußte, zog er -wirklich statt seiner hinauf in das Wärterhäuschen, und die Leute sind -heut noch zufrieden mit ihm. Den alten einäugigen Wodtke aber, trotzdem -sie sich mit ihm versöhnt und ihn in Ehren begraben haben, halten sie -doch noch für einen Hexenmeister; und manche behaupten, er lebe noch -heimlich. - - - - - Druck der - Spamerschen Buchdruckerei - in Leipzig - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3), by -Richard Dehmel - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESAMMELTE WERKE IN DREI *** - -***** This file should be named 62672-0.txt or 62672-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/2/6/7/62672/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/old/62672-0.zip b/old/62672-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index d43f490..0000000 --- a/old/62672-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/62672-h.zip b/old/62672-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 04b1cae..0000000 --- a/old/62672-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/62672-h/62672-h.htm b/old/62672-h/62672-h.htm deleted file mode 100644 index f0ee8c1..0000000 --- a/old/62672-h/62672-h.htm +++ /dev/null @@ -1,18756 +0,0 @@ -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" - "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> - <head> - <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> - <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> - <title> - The Project Gutenberg eBook of Gesammelte Werke; Zweiter Band, by Richard Dehmel. - </title> - <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> - <style type="text/css"> - -body { - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; -} - -div.chapter,div.section {page-break-before: always;} - -.break-before {page-break-before: always;} - -div.titelei { - width: 70%; - margin: 3em 15%;} - -h1,h2,h3,h4,h5 { - text-align: center; /* all headings centered */ - clear: both; - font-weight: normal;} - -h1 {font-size: 225%;} -h2,.s2 {font-size: 185%;} -h3,.s3 {font-size: 165%;} -h4,.s4 {font-size: 130%;} -.s4a {font-size: 115%;} -h5.s5 {font-size: 90%;} -.s6 {font-size: 70%;} - -h2.nobreak { - page-break-before: avoid; - padding-top: 5em;} - -h3 {padding-top: 2em;} - -h4 {margin-bottom: 0.5em;} - -p { - margin-top: .51em; - text-align: justify; - margin-bottom: .49em; - text-indent: 1.5em;} - -p.p0,p.center {text-indent: 0;} - -p.regie { - width: 60%; - margin: auto 20%; - text-align: center; - font-size: 90%;} - -.mtop1 {margin-top: 1em;} -.mtop2 {margin-top: 2em;} -.mbot1 {margin-bottom: 1em;} -.mbot2 {margin-bottom: 2em;} -.mbot3 {margin-bottom: 3em;} -.mleft1 {margin-left: 1em;} -.mleft2 {margin-left: 2em;} -.mleft3 {margin-left: 3em;} -.mleft4 {margin-left: 4em;} -.mleft5 {margin-left: 5em;} -.mleft6 {margin-left: 6em;} -.mleft7 {margin-left: 7em;} - -.padtop1 {padding-top: 1em;} -.padtop3 {padding-top: 3em;} -.padtop5 {padding-top: 5em;} -.padbot5 {padding-bottom: 5em;} - -hr { - width: 33%; - margin-top: 2em; - margin-bottom: 2em; - margin-left: auto; - margin-right: auto; - clear: both;} - -hr.full_d { - width: 95%; - height: 3px; - border-top: 4px black solid; - border-bottom: thin black solid; - border-left: none; - border-right: none;} - -table { - margin-left: auto; - margin-right: auto;} - -table.toc { - width: 25em;} - -.vat {vertical-align: top;} -.vab {vertical-align: bottom;} - -.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ - /* visibility: hidden; */ - position: absolute; - left: 95%; - font-size: 70%; - text-align: right; - text-indent: 0; - letter-spacing: 0; - font-style: normal; - color: #999999;} /* page numbers */ - -.center {text-align: center;} - -.right {text-align: right;} - -.antiqua {font-style: italic;} - -.gesperrt { - letter-spacing: 0.2em; - margin-right: -0.2em; } - -em.gesperrt { - font-style: normal; } - -/* Images */ -.figcenter { - margin: auto; - text-align: center;} - -img.w6em {width: 6em; height: auto;} - -img {max-width: 100%; height: auto;} - -/* Poetry */ -.poetry-container {text-align: center;} - -.poetry { - display: inline-block; - text-align: left;} - -.poetry .stanza {margin: 1em auto;} - -.poetry .verse { - text-indent: -3em; - padding-left: 3em;} - -/* Transcriber's notes */ -.transnote { - background-color: #E6E6FA; - color: black; - font-size:smaller; - padding:0.5em; - margin-bottom:5em;} - -.nohtml {display: none;} - -.htmlhide {display: none;} - -@media handheld { - -.nohtml {display: inline;} - -.htmlhide {display: block;} - -div.titelei { - width: 95%; - margin: auto 2.5%} - -table.toc { - width: 95%; - margin: auto 2.5%} - -em.gesperrt { - font-family: sans-serif, serif; - font-size: 90%; - margin-right: 0;} - -.poetry { - display: block; - text-align: left; - margin-left: 2.5em;} - -p.regie { - width: 90%; - margin: auto 5%;} - -} - - </style> - </head> -<body> - - -<pre> - -Project Gutenberg's Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3), by Richard Dehmel - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and -most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll -have to check the laws of the country where you are located before using -this ebook. - - - -Title: Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3) - -Author: Richard Dehmel - -Release Date: July 16, 2020 [EBook #62672] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESAMMELTE WERKE IN DREI *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> - - -<div class="transnote"> - -<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> - -<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen -Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. -Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche -und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original -unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert. Der Autor -verwendet Elisionen, die vom nächsten Wort nicht durch ein Leerzeichen -getrennt sind (z. B. ‚werd’ich‘, statt ‚werd’ ich‘).</p> - -<p class="p0">Der Übersichtlichkeit halber wurde das Inhaltsverzeichnis -(‚<a href="#UEbersicht">Übersicht</a>‘) an den Anfang des Buches verschoben.</p> - -<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen -in <span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden im vorliegenden -Text kursiv dargestellt. <span class="nohtml">Abhängig von der im -jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original -<em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in -serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt -erscheinen.</span></p> - -<p class="p0 htmlhide">Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter geschaffen -und in die Public Domain eingebracht. Ein Urheberrecht wird nicht -geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt -werden.</p> - -</div> - -<div class="figcenter break-before"> - <a id="signet" name="signet"> - <img class="w6em padtop5" src="images/signet.jpg" alt="Verlagssignet" /></a> -</div> - -<div class="titelei"> - -<p class="s2 center break-before">Richard Dehmel</p> - -<h1>Gesammelte Werke<br /> -<span class="s6">in drei Bänden</span></h1> - -<p class="s3 center padtop5 padbot5">Zweiter Band</p> - -<hr class="full_d" /> - -<p class="s3 center">S. Fischer, Verlag, Berlin</p> - -<p class="s5 center padtop5 break-before"><em class="gesperrt">22. bis 24. -Tausend</em></p> - -<p class="s5 center">Alle Rechte vorbehalten, auch das der Übersetzung<br /> -Copyright 1913 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="UEbersicht">Übersicht</h2> - -<p class="center">(Die mit * bezeichneten Stücke sind neu aufgenommen)</p> - -</div> - -<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis"> - <tr> - <td class="s5" colspan="2"> - <div class="right">Seite</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="s4a" colspan="2"> - <div class="center"><a href="#Weib_und_Welt">Weib und Welt</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Ins Weite - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Ins_Weite">7</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die Erweckung des Herrschers - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Erweckung_des_Herrschers">7</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Das Ideal - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_Ideal">10</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Beichtgang - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Beichtgang">11</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Narzissen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Narzissen">11</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Drei Ringe - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Drei_Ringe">12</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Entrückung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Entrueckung">19</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Himmelfahrt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Himmelfahrt">20</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Stieglitz - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Stieglitz">20</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Sinnige Fahrt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Sinnige_Fahrt">21</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - So im Wandern - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#So_im_Wandern">22</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Schutzengel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Schutzengel">25</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Begegnung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Begegnung">25</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Unterm jungen Birnbaum - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Unterm_jungen_Birnbaum">27</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Emporsturz - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Emporsturz">27</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Verkündigung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Verkuendigung">28</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Einst - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Einst">28</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Stimme des Abends - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Stimme_des_Abends">28</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Feierabend - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Feierabend">28</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Manche Nacht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Manche_Nacht">29</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Aus banger Brust - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aus_banger_Brust">29</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Helle Nacht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Helle_Nacht">30</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Aufstieg - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aufstieg">31</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Drückende Luft - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Drueckende_Luft">31</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Aufblick - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aufblick">32</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Stiller Gang - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Stiller_Gang">33</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ein Grab - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ein_Grab">33</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Klage - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Klage">33</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Einst im Herbst - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Einst_im_Herbst">34</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der gesunde Mann - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_gesunde_Mann">34</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Befreit - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Befreit">35</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Trost - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Trost">36</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Wunder - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Wunder">36</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Kalte Frage - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kalte_Frage">36</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Winterwärme - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Winterwaerme">36</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Kein Bleiben - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kein_Bleiben">37</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Heimweh in die Welt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Heimweh_in_die_Welt">37</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Über frei Feld - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#UEber_frei_Feld">38</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Der Frühlingskasper - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Der_Fruehlingskasper">40</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Entladung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Entladung">40</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Anbetung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Anbetung">42</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ausblick - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ausblick">43</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ideale Landschaft - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ideale_Landschaft">43</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Auf See - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Auf_See">44</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Gesang vor Nacht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Gesang_vor_Nacht">44</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Klarer Tag - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Klarer_Tag">44</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Dunkle Gewalt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Dunkle_Gewalt">45</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Ballade von der wilden Welt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ballade_von_der_wilden_Welt">45</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Herr und Herrin - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Herr_und_Herrin">47</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Ballade vom Kuckuck - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ballade_vom_Kuckuck">47</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Vorspiel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Vorspiel">48</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Wellentanzlied - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Wellentanzlied">48</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Bewegte See - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Bewegte_See">49</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Sturm - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Sturm">50</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Verklärung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Verklaerung">50</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Das Schloß - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_Schloss">50</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Der Schwimmer - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Schwimmer">51</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Beschwichtigung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Beschwichtigung">51</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Lied an den Mond - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Lied_an_den_Mond">52</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Gruß - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Gruss">52</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Aufglanz - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aufglanz">53</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Morgenstunde - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Morgenstunde">53</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ruf - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ruf">54</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Berückung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Berueckung">54</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Wirrsal - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Wirrsal">55</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Nach einem Regen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Nach_einem_Regen">55</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der gute Hirte - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_gute_Hirte">56</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Stimme im Dunkeln - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Stimme_im_Dunkeln">56</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Über den Sümpfen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#UEber_den_Suempfen">57</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Erwartung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Erwartung">57</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Im Reich der Liebe - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Im_Reich_der_Liebe">58</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Nun erst - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Nun_erst">59</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Mannesbangen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Mannesbangen">60</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der weise König - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_weise_Koenig">60</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Stilles Zeichen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Stilles_Zeichen">61</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Die Kette - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Kette">61</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ein Ring - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ein_Ring">62</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Fluß - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Fluss">63</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Nächtliches Zwiegespräch - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Naechtliches_Zwiegespraech">63</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Rückblick - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Rueckblick">64</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Mein Wald - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Mein_Wald">64</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die Harfe - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Harfe">65</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Geheimnis - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Geheimnis">67</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Am Scheideweg - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Am_Scheideweg">67</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Hoch in der Frühe - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Hoch_in_der_Fruehe">67</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Immer wieder - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Immer_wieder">68</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Die Frage - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Frage">68</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Im Zwielicht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Im_Zwielicht">69</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Glückwunsch - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Glueckwunsch">69</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ein Blütenblatt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ein_Bluetenblatt">70</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Das Perlgewebe - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_Perlgewebe">70</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Störung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Stoerung">72</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Zukunft - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zukunft">72</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Enthüllung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Enthuellung">73</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Beschwörung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Beschwoerung">74</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Aus schwerer Stunde - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aus_schwerer_Stunde">75</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Zuversicht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zuversicht">76</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Gleichnis - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Gleichnis">76</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Weihnacht im Krankenhaus - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Weihnacht_im_Krankenhaus">77</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Lied im Winter - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Lied_im_Winter">77</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eva und der Tod - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Eva_und_der_Tod">78</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Verhör - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Verhoer">80</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Zur Genesung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zur_Genesung">81</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Schneeflocken - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Schneeflocken">82</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Orientalisches Potpourri - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Orientalisches_Potpourri">83</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Jesus bettelt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Jesus_bettelt">85</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Benedeiung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Benedeiung">86</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Erfüllung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Erfuellung">86</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Heilandswort - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Heilandswort">87</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Zwischen Ostern und Pfingsten - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zwischen_Ostern_und_Pfingsten">88</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die Glücklichen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Gluecklichen">88</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Erhebung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Erhebung">89</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Hochsommerlied - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Hochsommerlied">90</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Mit heiligem Geist - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Mit_heiligem_Geist">90</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Böser Traum - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Boeser_Traum">91</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Leiser Besuch - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Leiser_Besuch">92</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Strauß - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Strauss">93</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Finale - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Finale">94</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Einsiedler_Schmetterling_und_Tempelherr">95</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Verbannte - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Verbannte">97</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Unterwegs - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Unterwegs">98</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Heimatgruß - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Heimatgruss">98</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Hoher Mittag - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Hoher_Mittag">100</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Stimme im Licht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Stimme_im_Licht">101</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Nachtgebet - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Nachtgebet">101</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Durch die Nacht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Durch_die_Nacht">102</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Masken - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Masken">102</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Nacht für Nacht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Nacht_fuer_Nacht">103</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Lied vor Tag - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Lied_vor_Tag">103</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Gondelliedchen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Gondelliedchen">104</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Griechische Pfingsten - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Griechische_Pfingsten">104</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eine Rundreise in Ansichtspostkarten - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Eine_Rundreise_in_Ansichtspostkarten">105</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Wiedersehn - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Wiedersehn">121</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Siegerin - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Siegerin">122</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Letzte Bitte - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Letzte_Bitte">122</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Zweier Seelen Lied - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zweier_Seelen_Lied">122</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Psalm zweier Sterblichen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Psalm_zweier_Sterblichen">123</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Im Geiste - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Im_Geiste">124</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Nachglanz - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Nachglanz">124</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Verewigung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Verewigung">125</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Am Ufer - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Am_Ufer">126</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Aufrichtung - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aufrichtung">127</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Heilige Nacht - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Heilige_Nacht">127</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Evas Klage - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Evas_Klage">129</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eines Tages - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Eines_Tages">131</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eine Lebensmesse - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Eine_Lebensmesse">134</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Zwiegesang überm Abgrund - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zwiegesang_ueberm_Abgrund">141</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Am Opferherd - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Am_Opferherd">142</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="s4a" colspan="2"> - <div class="center"><a href="#Zwei_Menschen">Zwei Menschen</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Leitlied - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Leitlied">144</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eingang zum ersten Umkreis - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Erster_Umkreis">145</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eingang zum zweiten Umkreis - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Zweiter_Umkreis">191</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Eingang zum dritten Umkreis - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Dritter_Umkreis">237</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Ausgang - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Ausgang">283</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="s4a" colspan="2"> - <div class="center"><a href="#Der_Kindergarten">Der Kindergarten</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Gärtnerspruch - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Gaertnerspruch">286</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Muttersprache - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Muttersprache">287</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Vatergruß - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Vatergruss">287</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Vogel Wandelbar - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Vogel_Wandelbar">287</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Kutscher Tod - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kutscher_Tod">291</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Triumphgeschrei - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Triumphgeschrei">292</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Schnurrige Predigt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Schnurrige_Predigt">293</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Käuzchenspiel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kaeuzchenspiel">293</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Fliegerschule - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Fliegerschule">293</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Reitersmann - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Reitersmann">294</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Geschäftsleutchen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Geschaeftsleutchen">294</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Geburtstagsgeschenke - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Geburtstagsgeschenke">295</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Abendgebet - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Abendgebet">295</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Freund Husch - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Freund_Husch">296</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Das Maiwunder - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_Maiwunder">297</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Puhstemuhme - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Puhstemuhme">298</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Das große Karussell - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_grosse_Karussell">298</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Aurikelchen - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Aurikelchen">299</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Schatten - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Schatten">299</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Morgenlied - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Morgenlied">300</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der kleine Sünder - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_kleine_Suender">301</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Fragefritz und Plappertasche - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Fragefritz_und_Plappertasche">302</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Furchtbar schlimm - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Furchtbar_schlimm">303</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Fitzebutze - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Fitzebutze">304</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Käferlied - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kaeferlied">305</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die Reise - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Reise">306</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die Schaukel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Schaukel">306</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Das richtige Pferd - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_richtige_Pferd">307</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die ganze Welt - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_ganze_Welt">308</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Lazarus - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Lazarus">309</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der kleine Held - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_kleine_Held">310</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat padtop1"> - Knecht Ruprecht und die Christfee - </td> - <td class="vab padtop1"> - <div class="right"><a href="#Knecht_Ruprecht_und_die_Christfee">328</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - *Das Dichterspiel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_Dichterspiel">340</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Allerseelenspiegel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Allerseelenspiegel">350</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Tippel und Tappel - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kleinkindergeschichten">355</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der Sonnenstrahl - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Der_Sonnenstrahl">356</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die Pfauenfeder - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Pfauenfeder">357</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Das Märchen vom Maulwurf - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Das_Maerchen_vom_Maulwurf">359</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Die bekümmerte Löwenkröte - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_bekuemmerte_Loewenkroete">362</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - Der alte Wodtke und Michel Krist - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Die_Geschichte_vom_alten_Wodtke_und_Michel_Krist">369</a></div> - </td> - </tr> -</table> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="Weib_und_Welt">Weib und Welt<br /> -<span class="s5">Ein Buch Gedichte</span><br /> -<span class="s6">Vierte Ausgabe</span></h2> - -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span></p> - -<h3 id="Erster_Teil">Erster Teil</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Ins_Weite">Ins Weite</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die du mir näher bist, als Sinne ahnen können,</div> - <div class="verse mleft7">meine Erfüllerin,</div> - <div class="verse mleft7">schlummernde:</div> - <div class="verse">o träume dich ein in meine schmachtenden Adern,</div> - <div class="verse">und fühle mein Herz aus meinen Augen brennen,</div> - <div class="verse">und sieh die Sterne sich über mir verdoppeln,</div> - <div class="verse">und schmecke das Mannah dieser grenzenlosen Nacht,</div> - <div class="verse">die Düfte der Sehnsucht von Wiese zu Wald zu Wolke,</div> - <div class="verse">und höre den Weltraum mein heiliges Lied mitatmen,</div> - <div class="verse mleft7">mein Echo du! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Die_Erweckung_des_Herrschers">Die Erweckung des Herrschers</h4> - -<p class="center mbot1">Psychische Szene</p> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ein Geist im Schlaf</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da thront sie wieder; thront, als ob sie warte.</div> - <div class="verse">Was willst du, Traumbild, immer noch von mir</div> - <div class="verse">mit deinem Gnadenblick? du bist doch tot!</div> - <div class="verse">Zu oft bin ich von diesem Blick erwacht;</div> - <div class="verse">ich fühls, ich träume nur! Was quälst du jetzt</div> - <div class="verse">mit täuschender Erhörung meine Nächte</div> - <div class="verse">und blicktest nie zuvor, zu keiner Stunde</div> - <div class="verse">— o doch: in einer, einer Stunde doch:</div> - <div class="verse">in deiner Sterbestunde — so mich an!</div> - <div class="verse">Willst du den Mann, der ich in Schmerzen ward,</div> - <div class="verse">durch deinen Hingang ward, noch büßen lassen,</div> - <div class="verse">was dir der unbedachte Jüngling tat?</div> - <div class="verse">Wars denn so schlechte Tat? Wars nicht Verehrung,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span> - <div class="verse">daß ich mit meiner Lust an Ruhm und Rang</div> - <div class="verse">auch Dir zu schmeicheln dachte? Warb ich nicht</div> - <div class="verse">mit höchster Hoffahrt um dein stolzes Herz?</div> - <div class="verse">Aus deiner stillen Welt, die mir nicht würdig</div> - <div class="verse">genug für deine holde Würde schien,</div> - <div class="verse">wollt ich ein klingend Sphärenspiel gestalten!</div> - <div class="verse">Hab ich dich nicht gefeiert? Schmückt ich nicht</div> - <div class="verse">dein jungfräuliches Haupt mit einer Krone?</div> - <div class="verse">mit stetem Festglanz unsern Thron! Und gabst mir</div> - <div class="verse">kaum eine Gunst dafür, kaum ganz ein Lächeln,</div> - <div class="verse">nie einen vollen, seelenvollen Dank,</div> - <div class="verse">nie —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Antwort einer Seele</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich liebte dich —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Der Geist</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du? liebtest? mich? — Und zeigtest mir das nie?!</div> - <div class="verse">Und ließest mich, wenn deine sanfte Hand</div> - <div class="verse">sich meiner ungestümen streng entzog,</div> - <div class="verse">mich, der zu Füßen dir getaumelt wäre</div> - <div class="verse">für nur den scheuesten Wink, ließest mich haltlos</div> - <div class="verse">mit falschen Freunden dann von Rausch zu Rausch</div> - <div class="verse">die irren Wege meines Unmuts gehn!</div> - <div class="verse">Mußt ich nicht meinen, du verabscheust mich,</div> - <div class="verse">du seist enttäuscht, sinnst Rache? Bis ich endlich,</div> - <div class="verse">so immer werbend, immer unbelohnt</div> - <div class="verse">und immer wieder auf Erhörung pochend,</div> - <div class="verse">endlich den einen einzigen Gnadenblick,</div> - <div class="verse">mit dem dein Auge brach, empfing und nun</div> - <div class="verse">vor deinem starr gewordnen Antlitz mich</div> - <div class="verse">in grausigem Zweifel fragte: galt er mir?</div> - <div class="verse">mir? oder sahst du Sterbende ein Wesen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span> - <div class="verse">das <em class="gesperrt">Du</em> nur sahst, mit diesem Dankblick an,</div> - <div class="verse">weil’s dich von mir befreite?! Sprachst du doch</div> - <div class="verse">kein letztes Wort zu mir! O warum starbst du</div> - <div class="verse">so stumm?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Seele</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich liebte dich —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Der Geist</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und quälst mich immer noch?! O deute mirs,</div> - <div class="verse">du Unfaßbare: was bedrängst du mich?</div> - <div class="verse">Ich sinne selbst am hellen Tag dir nach;</div> - <div class="verse">du weißt, ich will das nicht, will nicht mehr träumen,</div> - <div class="verse">ich ward zu klar dazu, dank deiner Drangsal,</div> - <div class="verse">ich litt genug an dir, ich will nicht leiden,</div> - <div class="verse">mir ziemt die Tat, drum lernt ich mich beherrschen,</div> - <div class="verse">und will auch Dich, auch Dich beherrschen, denn</div> - <div class="verse">ich <em class="gesperrt">bin</em> ein Herrscher — und das ist, du weißt es,</div> - <div class="verse">ein schwacher Mensch, der tausend fremde Kräfte</div> - <div class="verse">unter ein starkes Werk einsammeln soll.</div> - <div class="verse">Was also störst du meinen kurzen Schlaf?</div> - <div class="verse">was gönnst du mir nicht Rast, mich selbst zu sammeln?</div> - <div class="verse">was stachelst du mich in dem Lichtstrahl noch,</div> - <div class="verse">der Mittags in mein halbgeschlossenes Auge</div> - <div class="verse">sich eindrängt und an deinen letzten Blick mich</div> - <div class="verse">gemahnt?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Seele</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich liebe dich —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Der Geist</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann laß dich fassen! dann erhöre mich!</div> - <div class="verse">bei deiner Seligkeit beschwor ich dich:</div> - <div class="verse">laß mich vollkommen in dir ruhn!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span> - <div class="verse">So will ich nicht mehr eitel mit dir ringen,</div> - <div class="verse">will mein Gezweifel vollends niederzwingen,</div> - <div class="verse">dir freudig deinen Willen tun!</div> - <div class="verse">So wirst auch Du endlich zur Ruhe kommen,</div> - <div class="verse">wirst stolz von meinen Kräften hingenommen</div> - <div class="verse">erkennen, daß du mich nicht länger schreckst!</div> - <div class="verse">So wird aus unserm Traumbund im Geheimen</div> - <div class="verse">stark eine neue Seele keimen,</div> - <div class="verse">durch die du mich</div> - <div class="verse">schutzmütterlich</div> - <div class="verse">zu immer stolzerem Tagwerk weckst, gern weckst —</div> - <div class="verse">und so —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Seele</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So lieb’ ich dich — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Der Geist des Herrschers</em><br /> -erwachend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und lebst mir so — und wirst mir nie mehr sterben.</div> - <div class="verse">Und all mein Volk wird unsre Liebe erben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Das_Ideal">Das Ideal</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt;</div> - <div class="verse">ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen,</div> - <div class="verse">auf allen kam die Liebe mir entgegen,</div> - <div class="verse">drum hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es stand ein Baum in einem Zaubergarten,</div> - <div class="verse">mit tausend Blüten gab er Duft und Schein,</div> - <div class="verse">und eine leuchtete vor allen rein;</div> - <div class="verse">es stand ein Baum in einem Zaubergarten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und aus den tausend pflückte ich die eine,</div> - <div class="verse">sie war noch schöner mir in meinen Händen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span> - <div class="verse">sodaß ich kniete, Dank dem Baum zu spenden,</div> - <div class="verse">von dem aus tausend ich gepflückt die eine.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume,</div> - <div class="verse">und wieder schien vor allen Eine licht,</div> - <div class="verse">und meine welkte schon — ich dankte nicht;</div> - <div class="verse">ich hob die Augen zu dem Zauberbaume.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch hab ich meine Sehnsucht nie verlernt;</div> - <div class="verse">ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen,</div> - <div class="verse">auf jedem glänzte mir ein andrer Segen,</div> - <div class="verse">drum hab ich meine Sehnsucht nie verlernt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Beichtgang">Beichtgang</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich war der Herr der Welt vor dir,</div> - <div class="verse">im Traum;</div> - <div class="verse">wie eine Sonne warst du mir,</div> - <div class="verse">im Traum.</div> - <div class="verse">Ich schmückte dich mit allen guten</div> - <div class="verse">Glücksehnsuchtsgluten</div> - <div class="verse">in diesem Traum,</div> - <div class="verse">und hieß dich leuchten, ließ dich schweben.</div> - <div class="verse">Und habe mich in den Staub gebogen</div> - <div class="verse">vor dir, im Traum,</div> - <div class="verse">und dich belogen und betrogen</div> - <div class="verse">im Staub, im Traum —</div> - <div class="verse">komm, laß uns <em class="gesperrt">leben</em>!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Narzissen">Narzissen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weißt du noch, wie weiß, wie bleich</div> - <div class="verse">in den Maiendämmerungen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span> - <div class="verse">wenn ich lag, von dir umschlungen,</div> - <div class="verse">dir zu Füßen hingerissen,</div> - <div class="verse">um uns schwankten die Narzissen?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weißt du noch, wie heiß, wie weich</div> - <div class="verse">in den blauen Juninächten,</div> - <div class="verse">wenn wir, müde von den Küssen,</div> - <div class="verse">um uns flochten deine Flechten,</div> - <div class="verse">Düfte hauchten die Narzissen?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wieder leuchten dir zu Füßen,</div> - <div class="verse">wenn die Dämmerungen sinken,</div> - <div class="verse">wenn die blauen Nächte blinken,</div> - <div class="verse">wieder duften die Narzissen.</div> - <div class="verse">Weißt du noch, wie heiß? wie bleich?</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Drei_Ringe">Drei Ringe</h4> - -<p class="center">Elegie</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger,</div> - <div class="verse">und jeder ein toter, gebrochener Schwur;</div> - <div class="verse">und seid mir so heilig, ihr flimmernden Dinger,</div> - <div class="verse">seid mir ein treuer,</div> - <div class="verse">still wachsender, neuer,</div> - <div class="verse">einziger, willig gesprochener Schwur.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden?</div> - <div class="verse">Was blickst du, Perle, so bleich im Gold?</div> - <div class="verse">Du Reif dazwischen, schlicht gewunden,</div> - <div class="verse">was schimmerst du so scheu und hold?</div> - <div class="verse">Ach! immer die Treue treuwillig versprochen,</div> - <div class="verse">und immer treuwillig die Treue gebrochen.</div> - <div class="verse">So hat es das Leben, das Leben gewollt.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span> - <div class="verse">Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken,</div> - <div class="verse">und dennoch ein neuer dämmernder Schwur?</div> - <div class="verse">O Abendsonne, wie trüb dein Blinken,</div> - <div class="verse">und Nebel winken,</div> - <div class="verse">bald wirst du sinken.</div> - <div class="verse">Du blasse Perle, wie wars doch nur?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">War wohl ein Morgen, frühlingsmild;</div> - <div class="verse">die alte Kirche stand voll Glanz.</div> - <div class="verse">Blaß flammte ums Erlöserbild</div> - <div class="verse">der Osterkerzen weißer Kranz.</div> - <div class="verse">Der Orgel Hallelujah quoll;</div> - <div class="verse">uns war das Herz von Gott so voll,</div> - <div class="verse">das Kinderherz, voll Bebens.</div> - <div class="verse">O Schwur des Glaubens! O Gebot:</div> - <div class="verse">nun seid getreu bis in den Tod,</div> - <div class="verse">dann wird euch die Krone des Lebens,</div> - <div class="verse">die ewige Krone des Lebens.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und mit der Mutter still durchs Feld;</div> - <div class="verse">wie glänzte weit, wie glänzte grün</div> - <div class="verse">und war ein Sonntag all die Welt!</div> - <div class="verse">Die Weidenbüsche wollten blühn;</div> - <div class="verse">ein Zweiglein brach der Knabe.</div> - <div class="verse">Doch feierlich im leeren Land</div> - <div class="verse">als wie ein Kreuz die Mühle stand;</div> - <div class="verse">und sinnend weiter still feldein.</div> - <div class="verse">O Försterhaus am Eichenhain!</div> - <div class="verse">O Vaterwort-und-Gabe!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O Gartenzaun am Eichenhain!</div> - <div class="verse">da nahm mein Vater meine Hand</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span> - <div class="verse">und legte einen Ring hinein,</div> - <div class="verse">der hatte einen schwarzen Stein,</div> - <div class="verse">drin eine goldne Krone stand,</div> - <div class="verse">und sprach zu seinem Sohne,</div> - <div class="verse">und all sein Blick war Ein Gebot:</div> - <div class="verse">Nun sei dir treu bis in den Tod,</div> - <div class="verse">dann wird dir die Krone zum Lohne,</div> - <div class="verse">des Lebens Siegeskrone!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken,</div> - <div class="verse">und jeder ein neuer, ein toter Schwur;</div> - <div class="verse">was wird so zitternd euer Blinken? —</div> - <div class="verse">Du trübe Sonne, laß dein Winken.</div> - <div class="verse">O weite Flur!</div> - <div class="verse">Die Nebel gleißen wie blutende Wunden;</div> - <div class="verse">ich habe die Freiheit, die Freiheit gewollt!</div> - <div class="verse">O Sonnenblut. O gleißend Gold.</div> - <div class="verse">Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es war ein Mittag, frühlingswild.</div> - <div class="verse">Von der Bergeskrone, rot zuckend, kroch</div> - <div class="verse">die Wolkenschlange ins Gefild.</div> - <div class="verse">Der Donner jagte von Joch zu Joch.</div> - <div class="verse">Stürmisch weinte das Dunkel, ein stürzendes Meer.</div> - <div class="verse">Triefend sausten die Bäume; und grell und spitz,</div> - <div class="verse">Licht schleudernd, über uns, um uns her</div> - <div class="verse">— mein bebendes Mädchen, weißt du noch? —</div> - <div class="verse">flocht flatternde Netze Blitz auf Blitz.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und die Bäume bogen und schlugen sich,</div> - <div class="verse">blendend nieder krachte der steile Strahl</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span> - <div class="verse">und warf im Taumel irr dich und mich</div> - <div class="verse">zu Boden, glutschwer, ein flackernder Wall;</div> - <div class="verse">und da lag im Taumel irr Brust an Brust,</div> - <div class="verse">jung hing und glutschwer Mund an Mund</div> - <div class="verse">und Auge in Auge im Moose, und</div> - <div class="verse">rauschend schluchzte der Regen in unsre Lust,</div> - <div class="verse">stumm lohte der feuergetaufte Bund.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und dann <em class="gesperrt">auf</em>! Oh, standest du bleich und bang.</div> - <div class="verse">Und da hab ich den Donner des Himmels bedroht,</div> - <div class="verse">von der Faust mir peitschend das Wasser sprang,</div> - <div class="verse">durch die sausenden Bäume mein Lachen klang:</div> - <div class="verse">o lauter, mein Bruder, dein wild Gebot!</div> - <div class="verse">Und riß mir vom Finger den Knabenring:</div> - <div class="verse">ich bin mir selbst mein Herr und Gott!</div> - <div class="verse">und nahm deine zitternde Hand, dran hing</div> - <div class="verse">im Blitzlicht funkelnd der rote Rubin,</div> - <div class="verse">und vom Himmel gebadet, vom Himmel umloht</div> - <div class="verse">— ich fühlte dich weinen, ich sah dich glühn —</div> - <div class="verse">schwur ich: gib her! sei treu! nimm hin!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger,</div> - <div class="verse">und jeder ein doppelt gebrochener Schwur.</div> - <div class="verse">Wie der Nebel raucht! ein brennender Zwinger</div> - <div class="verse">vermauert die fliehende Sonnenspur.</div> - <div class="verse">Noch glänzt ein stiller Streifen Gold;</div> - <div class="verse">ich habe freiwillig die Freiheit verschworen.</div> - <div class="verse">Was glimmst du schlichter Reif so hold?</div> - <div class="verse">Die Freiheit verschworen, die Freiheit verloren.</div> - <div class="verse">So hat es die Liebe, die Liebe gewollt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span></p> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es kam ein Abend, frühlingsmild;</div> - <div class="verse">bang steht, in Schleiern, bleich, die Braut.</div> - <div class="verse">Ernst rauschen die Geigen; herb duftend schwillt</div> - <div class="verse">der Myrte grünes, weißblühendes Kraut.</div> - <div class="verse">Und Andacht wird, und Schweigen; nur</div> - <div class="verse">durchs Fenster flüsterte der Mai.</div> - <div class="verse">Und nun: nun will ich stolz und frei</div> - <div class="verse">uns segnen — da: voll Bebens,</div> - <div class="verse">horch, die Stimmen der Freunde — o Lied, o Schwur,</div> - <div class="verse">o ihr rauschenden Geigen, o Gebot</div> - <div class="verse">— blaß zuckten die Kerzen im Abendrot —:</div> - <div class="verse">Nun seid getreu bis in den Tod,</div> - <div class="verse">dann wird euch die Krone des Lebens!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da flocht ich ihr still vom Haupt den Kranz,</div> - <div class="verse">still küßte ich ihr dunkles Haar;</div> - <div class="verse">glutüberhaucht vom fernen Glanz</div> - <div class="verse">hielt ihre Hand ein Rosenpaar,</div> - <div class="verse">still zitterten die Blüten.</div> - <div class="verse">Und hoch ins schweigende Gemach</div> - <div class="verse">hob ich den goldnen Ring und sprach</div> - <div class="verse">und sprach — wie war das Herz mir weit,</div> - <div class="verse">von Glauben weit und Seligkeit —:</div> - <div class="verse">Nun will ich Dein sein alle Zeit,</div> - <div class="verse">Ein Leib, Eine Seele, in Glück und Leid</div> - <div class="verse">dein Gott, meine Welt, dich hüten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und draußen wiegte ein Lindenbaum</div> - <div class="verse">goldgrün sein jung Gefieder;</div> - <div class="verse">sanft glühte der Rosen rot schwellender Saum,</div> - <div class="verse">und durch den Schimmer, den Duft, den Traum</div> - <div class="verse">rauschten die Geigen wieder.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span> <div class="verse">Da gab sie mir an meine Hand,</div> - <div class="verse">an meine Rechte zurück mein Pfand,</div> - <div class="verse">den Ring mit der leuchtenden Krone.</div> - <div class="verse">Stumm bat ihr Blick voll seliger Not:</div> - <div class="verse">nun sei mir treu bis in den Tod,</div> - <div class="verse">dann wird uns die Krone zum Lohne,</div> - <div class="verse">des Lebens Friedenskrone.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken:</div> - <div class="verse">was blickst du, Perle, so trüb im Gold?</div> - <div class="verse">O Sonne, du müde, nun magst du sinken;</div> - <div class="verse">o schwere Pflicht, wie schienst du hold!</div> - <div class="verse">Gelb taucht ins Moor der letzte Funken,</div> - <div class="verse">das Land wird fahl, der Nebel rollt.</div> - <div class="verse">Ich habe die Wahrheit, <em class="gesperrt">Klarheit</em> gewollt.</div> - <div class="verse">Ich war der Liebe so satt — so trunken —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und eine Nacht kam, frühlingswild,</div> - <div class="verse">kam schwül. Ums Licht der Lampe lag,</div> - <div class="verse">vom lauten Regen dunstverhüllt,</div> - <div class="verse">das Dunkel dumpf und dufterfüllt;</div> - <div class="verse">hohl scholl und hart das Laubendach</div> - <div class="verse">Es klang so einsam, was ich sprach</div> - <div class="verse">von meinem großen Überdruß;</div> - <div class="verse">es klang so bang, als ob ich log,</div> - <div class="verse">als ich mich flüsternd zu ihr bog.</div> - <div class="verse">Und ich hielt ihre Hand. Weißt du wohl noch,</div> - <div class="verse">du blasse <em class="gesperrt">Andre</em>?! Wolltest du’s?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie war die Hand von Arbeit rauh!</div> - <div class="verse">Wie saßest du so scheu und still</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span> <div class="verse">mit deinen Augen groß und grau,</div> - <div class="verse">als horchtest du dem Tropfentau,</div> - <div class="verse">der durch die Epheublätter fiel.</div> - <div class="verse">Und ich hielt deine Hand. Und es war so schwül.</div> - <div class="verse">Was ließest du es denn geschehn?!</div> - <div class="verse">Ich wollte dir nur ins Innre sehn,</div> - <div class="verse">in diese Augen stolz und stumm.</div> - <div class="verse">Du aber —? Und wir sanken um.</div> - <div class="verse">Die Epheublätter zitterten.</div> - <div class="verse">Ich nahm dein einziges Eigentum.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und dann: im dunkeln Grase hing</div> - <div class="verse">und flimmerte etwas wie Gold.</div> - <div class="verse">Das war dein lieber Perlenring,</div> - <div class="verse">der war dir in den Sand gerollt.</div> - <div class="verse">Und da hast du trotzig aufgelacht,</div> - <div class="verse">von deinem Vater war auch er;</div> - <div class="verse">blaß langtest du ihn zu mir her,</div> - <div class="verse">aus deinen Augen sah die Nacht,</div> - <div class="verse">und nahmst meine Hand — besudelt glomm</div> - <div class="verse">der Kronring dran — und während hohl</div> - <div class="verse">der Regen rauschte wie ein Strom,</div> - <div class="verse">sprachst du: vergiß! nimm! gieb! leb wohl!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center">*</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Ringe, drei Ringe, und doch der neue,</div> - <div class="verse">aus scheuer Seele bang dämmernde Schwur?</div> - <div class="verse">Dahin der Glaube, dahin die Treue;</div> - <div class="verse">o dunkle Flur.</div> - <div class="verse">Starr durch die kahlen Pappeln schauen</div> - <div class="verse">die Sterne ins verhüllte Feld.</div> - <div class="verse">Klarheit?? Im Moor die Nebel brauen.</div> - <div class="verse">O ja: die Erde <em class="gesperrt">ist</em> voll Grauen.</div> - <div class="verse">Doch — voll von Sonnen steht die Welt!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span> - <div class="verse">Raum! Raum! brich Bahnen, wilde Brust!</div> - <div class="verse">Ich fühls und staune jede Nacht,</div> - <div class="verse">daß nicht blos Eine Sonne lacht;</div> - <div class="verse">das Leben ist des Lebens Lust!</div> - <div class="verse">Hinein, hinein mit blinden Händen,</div> - <div class="verse">du hast noch nie das Ziel gewußt;</div> - <div class="verse">zehntausend Sterne, aller Enden,</div> - <div class="verse">zehntausend Sonnen stehn und spenden</div> - <div class="verse">uns ihre Strahlen in die Brust!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Uns in die Brust ... Was willst du, Schweigen,</div> - <div class="verse">du graue Erde, immer noch?</div> - <div class="verse">Und ich sehe die Krone, die eine, steigen</div> - <div class="verse">— ihr Ringe, drei Ringe, wie war es doch? —</div> - <div class="verse">die Krone steigen, die Krone sinken,</div> - <div class="verse">wie eine Sonne sinken, winken:</div> - <div class="verse">mir nach! nichts ist vergebens!</div> - <div class="verse">fest steht mein flammendes Gebot:</div> - <div class="verse">aus Abendrot wächst Morgenrot!</div> - <div class="verse">dem <em class="gesperrt">bist</em> du treu bis in den Tod,</div> - <div class="verse">du <em class="gesperrt">trägst</em> die Krone des Lebens:</div> - <div class="verse">die Schöpferkrone des Lebens!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Entrueckung">Entrückung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O nein, mir wird es nicht zur Qual,</div> - <div class="verse">so sehr es Dich und Andre quält,</div> - <div class="verse">wenn du ins Grenzenlose blickst;</div> - <div class="verse">ich bin wie du ein schlanker Stahl,</div> - <div class="verse">und der sich immer strahlender stählt,</div> - <div class="verse">je mehr du ihn durch Kämpfe schickst.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus deines Auges innerm Ring</div> - <div class="verse">flimmert ein sternglutweißes Licht</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span> - <div class="verse">durch Schwarz und Grau, du arge Frau;</div> - <div class="verse">dies Licht, das mich seit je umfing,</div> - <div class="verse">sieh, das entrückt mir dein Gesicht</div> - <div class="verse">in mein geliebtes ewiges Blau.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Himmelfahrt">Himmelfahrt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schwebst du nieder aus den Weiten,</div> - <div class="verse">Nacht mit deinem Silberkranz?</div> - <div class="verse">Hebt in deine Ewigkeiten</div> - <div class="verse">mich des Dunkels milder Glanz?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Als ob Augen liebend winken:</div> - <div class="verse">alle Liebe sei enthüllt!</div> - <div class="verse">als ob Arme sehnend sinken:</div> - <div class="verse">alle Sehnsucht sei erfüllt —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">strahlt ein Stern mir aus den Weiten,</div> - <div class="verse">alle Ängste fallen ab,</div> - <div class="verse">seligste Versunkenheiten,</div> - <div class="verse">strahlt und strahlt und will herab.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es treiben mich Gewalten</div> - <div class="verse">ihm entgegen, und er sinkt —</div> - <div class="verse">und ein Quellen, ein Entfalten</div> - <div class="verse">seines Scheines nimmt und bringt</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und erlöst mich in die Zeiten,</div> - <div class="verse">da noch keine Menschen sahn,</div> - <div class="verse">wie durch Nächte Sterne gleiten,</div> - <div class="verse">wie den Seelen Rätsel nahn.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Stieglitz">Der Stieglitz</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Sonne sticht; ein Distelfeld</div> - <div class="verse">blitzt durch die stille Mittagswelt.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span> - <div class="verse">Im starrgezackten Blättermeer</div> - <div class="verse">glühn purpurlockig kreuz und quer</div> - <div class="verse">die Blütenköpfe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und durch den eisengrauen Busch:</div> - <div class="verse">ein bunter Vogel, hupp, hup husch,</div> - <div class="verse">hüpft durch das wilde Staudenheer,</div> - <div class="verse">als ob es ohne Stacheln wär:</div> - <div class="verse">ein junger Stieglitz.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie wirr! wie wunderlich geschweift!</div> - <div class="verse">Ein leichtes Lüftchen kommt und greift</div> - <div class="verse">von Blütenspeer zu Blütenspeer</div> - <div class="verse">und wirft die Schatten hin und her;</div> - <div class="verse">weg ist der Stieglitz.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun will ich stille weitergehn</div> - <div class="verse">und mir die sonnige Welt besehn,</div> - <div class="verse">und durch das Leben kreuz und quer,</div> - <div class="verse">als ob es ohne Stacheln wär;</div> - <div class="verse">das liebe Leben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Sinnige_Fahrt">Sinnige Fahrt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">An kleinen ruhigen Dörfern vorbei,</div> - <div class="verse">durch eilende Felder und Leutegeschrei.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Axen dröhnen; ich denke still</div> - <div class="verse">an Eine, die mir treu sein will.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie denkt wohl auch: was wohl die Welt</div> - <div class="verse">so im stillen zusammenhält?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und plötzlich seh ich zwei Schafe stehn,</div> - <div class="verse">die dem rollenden Zug nachsehn.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span></p> - -<h4 id="So_im_Wandern">So im Wandern</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein silbern klein Herze,</div> - <div class="verse">von Gold einen Ring,</div> - <div class="verse">die gab sie mir, als ich</div> - <div class="verse">wandern ging,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und tat in das Herze</div> - <div class="verse">ihr Bild hinein;</div> - <div class="verse">so einsam der Morgen,</div> - <div class="verse">bin nicht allein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Arme Padde im Gleise,</div> - <div class="verse">zerquetscht liegst du!</div> - <div class="verse">Ich wandre meine Straße</div> - <div class="verse">und wandre immer zu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schon teilt sich der Nebel,</div> - <div class="verse">nun schimmert die Welt;</div> - <div class="verse">im Sonnenschein glitzert</div> - <div class="verse">das Ährenfeld.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Hummeln summen,</div> - <div class="verse">die Lerchen klingen;</div> - <div class="verse">die Birken wehen,</div> - <div class="verse">die Zweige schwingen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Pappeln, die schütteln</div> - <div class="verse">die Blätter im Wind;</div> - <div class="verse">sie flüstern mir Grüße,</div> - <div class="verse">die voll Erinnrung sind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Herzelein nehm ich</div> - <div class="verse">vom seidenen Band</div> - <div class="verse">und leg’s in das Ringlein</div> - <div class="verse">in meiner Hand,</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span> - <div class="verse">so schreit ich und schau</div> - <div class="verse">als ein Zeichen mir’s an:</div> - <div class="verse">so will ich in Treuen</div> - <div class="verse">ohne Ende Dich umfahn! —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was rennst, Meister Lampe?</div> - <div class="verse">heut jag’ich nicht.</div> - <div class="verse">Ich wandre, ich schreite;</div> - <div class="verse">die Sonne sticht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In Dorfes Mitten,</div> - <div class="verse">wo sich der Friedhof hebt:</div> - <div class="verse">wie wirds gar kühl sich ruhen,</div> - <div class="verse">wenn man mich einst begräbt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">zwei weiße Rosen biegen</div> - <div class="verse">ums Grabkreuz die Äst,</div> - <div class="verse">drauf steht mein Nam geschrieben,</div> - <div class="verse">bis der Regen ihn löscht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hinterm Kirchlein die Schenke</div> - <div class="verse">heißt „Zu den drei Linden“;</div> - <div class="verse">da wird sich wohl auch noch</div> - <div class="verse">ein Ruheplätzchen finden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ei Tausend, mein Schätzchen,</div> - <div class="verse">so schmuck, und allein?</div> - <div class="verse">Ei komm doch, rück näher;</div> - <div class="verse">trink mit, schenk ein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es sitzen zwei Spatzen</div> - <div class="verse">im Lindenbaum;</div> - <div class="verse">sie schnäbeln, sie schwatzen,</div> - <div class="verse">es ist wie Traum.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span> - <div class="verse">Auf’m Kirchhof stehn Kreuze,</div> - <div class="verse">mehr als hundert, schwarz und weiß;</div> - <div class="verse">aber Du hast zwei Lippen,</div> - <div class="verse">die sind rot und heiß!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Na Mädel, was weinst denn?</div> - <div class="verse">Ja, die Welt ist hohl.</div> - <div class="verse">Die Welt ist ein Weinfaß:</div> - <div class="verse">trink aus — leb wohl! —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was wackelt der Pfahl da?</div> - <div class="verse">der ist wohl betrunken!</div> - <div class="verse">Ich wandre, ich schreite,</div> - <div class="verse">in Sinnen versunken.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie saß ja so alleine;</div> - <div class="verse">und die Liebste wohnt weit!</div> - <div class="verse">Ich will ihr Alles schreiben,</div> - <div class="verse">bis sie mir verzeiht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und am End meiner Reise</div> - <div class="verse">steht mein elterlich Haus,</div> - <div class="verse">da schaut mein lieb Mutterherz</div> - <div class="verse">am Fenster nach mir aus;</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und drinnen sitzt mein Vater,</div> - <div class="verse">wie’n König auf sei’m Thron,</div> - <div class="verse">und wills nicht verraten,</div> - <div class="verse">daß er wart’t auf sein’n Sohn.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun will ich nicht sinnen,</div> - <div class="verse">ob man glücklich kann werden;</div> - <div class="verse">der Himmel ist hoch,</div> - <div class="verse">und wir leben auf Erden!</div> - <div class="verse">Sela! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span></p> - -<h4 id="Schutzengel">Schutzengel</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nicht vom Kirchhof will ich Epheu pflücken,</div> - <div class="verse">glänzt das ganze Dörfchen doch von Epheu;</div> - <div class="verse">davon will ich pflücken</div> - <div class="verse">für mein Kämmerchen!</div> - <div class="verse">spricht der junge, junge Jägersmann.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Guten Tag, du schönes, schönes Mädchen,</div> - <div class="verse">gieb mir doch dein liebes, liebes Händchen!</div> - <div class="verse">Weißt, ich suche Epheu</div> - <div class="verse">für mein Kämmerchen;</div> - <div class="verse">darf ich wohl von deinem Epheu pflücken?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm herein, du schöner, schöner Jäger;</div> - <div class="verse">will dir vielen, vielen Epheu geben.</div> - <div class="verse">Hinten um mein Fenster,</div> - <div class="verse">um mein Kämmerchen,</div> - <div class="verse">schlingt sich dicht der dunkle, dunkle Epheu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt das kleine Brüderchen gelaufen:</div> - <div class="verse">Schwesterchen, was will der große Jäger?!</div> - <div class="verse">Und ich küßt es auf die scheue Stirne</div> - <div class="verse">und ging still nach Hause</div> - <div class="verse">in mein Kämmerchen —</div> - <div class="verse">ich, der junge, junge Jägersmann.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Begegnung">Begegnung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich sah dich schon.</div> - <div class="verse">Im Sonnenschein</div> - <div class="verse">beim Roggenfeld am Wiesenrain</div> - <div class="verse">stand wilder Mohn;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span> - <div class="verse">die Kelche blühten blutrot breit,</div> - <div class="verse">den Schooß voll blauer Dunkelheit,</div> - <div class="verse">und jäh aus einer Knospe quoll</div> - <div class="verse">ihr glühendes Seelchen, unruhvoll.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So sah ich Dich, du knospiges Kind, erglühn,</div> - <div class="verse">gestern im Feld am stillen Fichtenhain,</div> - <div class="verse">als im Vorübergehn mein Blick dich küßte;</div> - <div class="verse">mit allen Adern schienst du aufzublühn,</div> - <div class="verse">so scheu und rein,</div> - <div class="verse">als ob ich um Verzeihung bitten müßte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse"><em class="gesperrt">War’s</em> ein Erglühn? War’s nur ein Widerschein?</div> - <div class="verse">das Rot des roten Sommerkleids um dich?</div> - <div class="verse">das Abendrot, das fern verglomm im Tann?</div> - <div class="verse">War’s ein Erglühn, das erste war es dann,</div> - <div class="verse">das deine jungen Schläfen so beschlich;</div> - <div class="verse">so bang, so schwer sahst du mich an,</div> - <div class="verse">so fast voll Angst zurück nach mir,</div> - <div class="verse">als du verschwandest sacht im dichten</div> - <div class="verse">Gewühl der silbergrünen Fichten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch meine Seele folgte dir,</div> - <div class="verse">dein blautief Auge blieb in mir.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich sah dich schon,</div> - <div class="verse">du flüchtendes Kind:</div> - <div class="verse">heiß durch den Roggen strich der Wind</div> - <div class="verse">und bebend neigte sich der Mohn.</div> - <div class="verse">Ich hab eine rote Blüte verwehn,</div> - <div class="verse">zwischen den Halmen zerflattern sehn,</div> - <div class="verse">und habe den Blättern nachgeträumt;</div> - <div class="verse">und immer ist mir noch, ich schaue</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span> - <div class="verse">in ihren Kelch, der glutumsäumt</div> - <div class="verse">sich jäh vertieft ins Dunkle, Blaue ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Unterm_jungen_Birnbaum">Unterm jungen Birnbaum</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Unterm jungen Birnbaum standest du.</div> - <div class="verse">An die ersten kleinen grünen Früchte</div> - <div class="verse">rührtest du entzückt mit zartem Finger;</div> - <div class="verse">letzte Blüten wehten um dich nieder.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Unterm jungen Birnbaum stand auch ich.</div> - <div class="verse">Meine harten Hände rührten nicht</div> - <div class="verse">an die kleinen grünen ersten Früchte;</div> - <div class="verse">letzte Blüten wehten um mich nieder.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Emporsturz">Emporsturz</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Einmal, Erde, wollt ich dich küssen:</div> - <div class="verse">ein Weib in Armen, jach Schooß an Schooß,</div> - <div class="verse">zu Boden stürzend in rasendem Tanz.</div> - <div class="verse">Da winkte ein Mädchen mir zum Reigen,</div> - <div class="verse">einen weißen Mantel um die Hüften,</div> - <div class="verse">in den tiefblauen Augen einsamen Glanz.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Glanz aus fern aufsteigenden Räumen,</div> - <div class="verse">Glanz aus längst versunkener Zeit,</div> - <div class="verse">Glanz des Mondes im stillen Meere,</div> - <div class="verse">Glanz der Sterne über der Wüste:</div> - <div class="verse">Lauterkeit.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und da lag ich im Staub und hüllte</div> - <div class="verse">meine grauen Haare in ihr Gewand,</div> - <div class="verse">wie einst Josef hin vor Miriam kniete,</div> - <div class="verse">als er den heiligen Geist empfand.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span></p> - -<h4 id="Verkuendigung">Verkündigung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du tatest mir die Tür auf,</div> - <div class="verse">ernstes Kind.</div> - <div class="verse">Ich sah mich um in deinem kleinen Himmel,</div> - <div class="verse">lächelnde Jungfrau.</div> - <div class="verse">Du sollst einst einen großen Himmel hüten,</div> - <div class="verse">Mutter mit dem Kind.</div> - <div class="verse">Ich tu die Tür mit ernstem Lächeln zu.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Einst">Einst</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich ruhe; helle Wolken fliehn;</div> - <div class="verse">mein Herz rauscht wie das weite Feld.</div> - <div class="verse">Flügel leuchten —</div> - <div class="verse">und über die Wolken steigt ein Lied:</div> - <div class="verse">Einst brauchst du keinen Menschen mehr,</div> - <div class="verse">du Herz der Welt! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Stimme_des_Abends">Stimme des Abends</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Flur will ruhn.</div> - <div class="verse">In Halmen, Zweigen</div> - <div class="verse">ein leises Neigen.</div> - <div class="verse">Dir ist, als hörst du</div> - <div class="verse">die Nebel steigen.</div> - <div class="verse">Du horchst — und nun:</div> - <div class="verse">dir wird, als störst du</div> - <div class="verse">mit deinen Schuhn</div> - <div class="verse">ihr Schweigen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Feierabend">Feierabend</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft3">Geh nur, lieber Tag,</div> - <div class="verse mleft3">freue dich der Nacht.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span> - <div class="verse mleft3">Nichts bleibt unvollbracht;</div> - <div class="verse mleft3">deines Lichtes Macht</div> - <div class="verse mleft3">keimt im dunkeln Grund.</div> - <div class="verse mleft3">Einst wird alles kund,</div> - <div class="verse mleft3">hell von Mund zu Mund,</div> - <div class="verse">was uns heut im Traum erst dämmern mag.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Manche_Nacht">Manche Nacht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn die Felder sich verdunkeln,</div> - <div class="verse">fühl ich, wird mein Auge heller;</div> - <div class="verse">schon versucht ein Stern zu funkeln,</div> - <div class="verse">und die Grillen wispern schneller.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jeder Laut wird bilderreicher,</div> - <div class="verse">das Gewohnte sonderbarer,</div> - <div class="verse">hinterm Wald der Himmel bleicher,</div> - <div class="verse">jeder Wipfel hebt sich klarer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und du merkst es nicht im Schreiten,</div> - <div class="verse">wie das Licht verhundertfältigt</div> - <div class="verse">sich entringt den Dunkelheiten.</div> - <div class="verse">Plötzlich stehst du überwältigt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Aus_banger_Brust">Aus banger Brust</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Rosen leuchten immer noch,</div> - <div class="verse">die dunkeln Blätter zittern sacht;</div> - <div class="verse">ich bin im Grase aufgewacht,</div> - <div class="verse">o kämst du doch,</div> - <div class="verse">es ist so tiefe Mitternacht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Den Mond verdeckt das Gartentor,</div> - <div class="verse">sein Licht fließt über in den See,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span> - <div class="verse">die Weiden schwellen still empor,</div> - <div class="verse">mein Nacken wühlt im feuchten Klee;</div> - <div class="verse">so liebt ich dich noch nie zuvor!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So hab ich es noch nie gewußt,</div> - <div class="verse">so oft ich deinen Hals umschloß</div> - <div class="verse">und blind dein Innerstes genoß,</div> - <div class="verse">warum du so aus banger Brust</div> - <div class="verse">aufstöhntest, wenn ich überfloß.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O jetzt, o hättest du gesehn,</div> - <div class="verse">wie dort das Glühwurmpärchen kroch!</div> - <div class="verse">Ich will nie wieder von dir gehn!</div> - <div class="verse">O kämst du doch!</div> - <div class="verse">Die Rosen leuchten immer noch.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Helle_Nacht">Helle Nacht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weich küßt die Zweige</div> - <div class="verse">der weiße Mond.</div> - <div class="verse">Ein Flüstern wohnt</div> - <div class="verse">im Laub, als neige,</div> - <div class="verse">als schweige sich der Hain zur Ruh:</div> - <div class="verse">Geliebte du —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Weiher ruht, und</div> - <div class="verse">die Weide schimmert.</div> - <div class="verse">Ihr Schatten flimmert</div> - <div class="verse">in seiner Flut, und</div> - <div class="verse">der Wind weint in den Bäumen:</div> - <div class="verse">wir träumen — träumen —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Weiten leuchten</div> - <div class="verse">Beruhigung.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span> - <div class="verse">Die Niederung</div> - <div class="verse">hebt bleich den feuchten</div> - <div class="verse">Schleier hin zum Himmelssaum:</div> - <div class="verse">o hin — o Traum — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Aufstieg">Aufstieg</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Als Engel durch die Finsternis,</div> - <div class="verse">so wollten wir zu höhern Sonnen;</div> - <div class="verse">doch hab ich dich erst ganz gewonnen,</div> - <div class="verse">als Gott uns aus dem Traume riß.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Blau fuhr sein Blitzstrahl durch die Weiten</div> - <div class="verse">und zwang uns zur Hinunterschau;</div> - <div class="verse">da lag die Erde grell und grau</div> - <div class="verse">mit allen ihren Wirklichkeiten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie lachte Satan auf zu mir,</div> - <div class="verse">als du mich zu verlieren meintest.</div> - <div class="verse">Wie schrie er selig, als du weintest:</div> - <div class="verse">Sie träumt nicht mehr, sie lebt mit dir!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Drueckende_Luft">Drückende Luft</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Himmel dunkelte noch immer;</div> - <div class="verse">ich fühlte tief bis in mein Zimmer</div> - <div class="verse">der fahlen Wolken vollen Schooß.</div> - <div class="verse">Die Esche drüben drehte schwer</div> - <div class="verse">die hohe Krone um sich her;</div> - <div class="verse">zwei Blätter trieben wirbelnd los.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Laut tickte durch die schwüle Stube,</div> - <div class="verse">wie durch die stille Totengrube</div> - <div class="verse">der Holzwurm ticken mag, die Uhr.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span> - <div class="verse">Und durch die Türe hinter mir</div> - <div class="verse">klang dünn und schüchtern ein Klavier</div> - <div class="verse">über den Flur.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Himmel lastete wie Schiefer;</div> - <div class="verse">ihr Spiel klang immer trauertiefer,</div> - <div class="verse">ich sah sie wohl.</div> - <div class="verse">Dumpf rang der Wind im Eschenlaub,</div> - <div class="verse">die Luft war grau von Glut und Staub</div> - <div class="verse">und seufzte hohl.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und blasser tönten durch die Wände</div> - <div class="verse">die tastenden verweinten Hände,</div> - <div class="verse">sie saß und sang;</div> - <div class="verse">sang sich das Lied, in sich gebückt,</div> - <div class="verse">mit dem sie mich als Braut entzückt;</div> - <div class="verse">ich fühlte, wie ihr Atem rang.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Wolken wurden immer dumpfer,</div> - <div class="verse">die wunden Töne immer stumpfer,</div> - <div class="verse">wie Messer stumpf, wie Messer spitz;</div> - <div class="verse">und aus dem alten Liebeslied</div> - <div class="verse">klagten zwei Kinderstimmen mit —</div> - <div class="verse">da fiel der erste Blitz.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Aufblick">Aufblick</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Über unsre Liebe hängt</div> - <div class="verse">eine tiefe Trauerweide.</div> - <div class="verse">Nacht und Schatten um uns beide.</div> - <div class="verse">Unsre Stirnen sind gesenkt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wortlos sitzen wir im Dunkeln.</div> - <div class="verse">Einstmals rauschte hier ein Strom,</div> - <div class="verse">einstmals sahn wir Sterne funkeln.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span> - <div class="verse">Ist denn Alles tot und trübe?</div> - <div class="verse">Horch —: ein ferner Mund —: vom Dom —:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Glockenchöre ... Nacht ... Und Liebe ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Stiller_Gang">Stiller Gang</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Abend graut; Herbstfeuer brennen.</div> - <div class="verse">Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei.</div> - <div class="verse">Kaum ist mein Weg noch zu erkennen.</div> - <div class="verse">Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen.</div> - <div class="verse">Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei.</div> - <div class="verse">Vorbei.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ein_Grab">Ein Grab</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das sind die Abende, die bleich verfrühten.</div> - <div class="verse">Die Georginen, die im Sonnenscheine</div> - <div class="verse">wie rot und gelbe letzte Rosen glühten,</div> - <div class="verse">stehn fahl, Rosetten aus verfärbtem Steine.</div> - <div class="verse">Der Nebel klebt an unsern Hüten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm, Schwester. Dort der Zaun von Erz</div> - <div class="verse">umgittert Eine, die zu früh verblich.</div> - <div class="verse">Komm heim; mich friert. Sie liebte mich.</div> - <div class="verse">Sie hatte nichts vom Leben als ihr Herz;</div> - <div class="verse">still tat sie wohl, still litt sie Schmerz.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Klage">Klage</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In diesen welken Tagen,</div> - <div class="verse">wo Alles bald zu Ende ist,</div> - <div class="verse">sturmzerfetzte Sonnenblumen</div> - <div class="verse">über dunkle Zäune ragen,</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span> - <div class="verse">Wolken jagen</div> - <div class="verse">und den Boden flammenfarbne</div> - <div class="verse">Blätterstürze schlagen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">da müssen wir nun tragen,</div> - <div class="verse">was wir uns mußten sagen</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">in diesen welken Tagen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Einst_im_Herbst">Einst im Herbst</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch den Wald, den ernsten alten Wald,</div> - <div class="verse">sprangen drei Mädchenrangen;</div> - <div class="verse">hatten Flammen von Abendglanz im Haar,</div> - <div class="verse">schwangen Zweige mit rotem Herbstlaub,</div> - <div class="verse">ließen sie prangen, ja prangen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kam ein Herr, ein ernster alter Herr,</div> - <div class="verse">durch den Glanz gegangen;</div> - <div class="verse">bot ihm eine lachend ein Zweiglein dar,</div> - <div class="verse">schönes rotes Herbstlaubzweiglein,</div> - <div class="verse">lachend mit blutjungen Wangen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Stand er lächelnd, lächelnd im ernsten Wald,</div> - <div class="verse">während sie weitersprangen;</div> - <div class="verse">schwang sein rostrot Zweiglein im Abendglanz,</div> - <div class="verse">sah die ihren drei flammengolden</div> - <div class="verse">fern noch prangen, ja prangen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_gesunde_Mann">Der gesunde Mann</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Frau ist krank, sie</div> - <div class="verse">wird wohl bald sterben;</div> - <div class="verse">dann kann ich lachen,</div> - <div class="verse">dann werd’ich was erben.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span> - <div class="verse">O, wie lieb mir das Leben im Leibe schlägt,</div> - <div class="verse">wenn ihr Husten mir das Herz zersägt;</div> - <div class="verse">hilf Gott.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da sitzt sie am Ofen</div> - <div class="verse">und lächelt ins Feuer;</div> - <div class="verse">die Flammen röcheln</div> - <div class="verse">so ungeheuer.</div> - <div class="verse">Es kocht die Glut, ein Scheit zerspringt,</div> - <div class="verse">und eine ferne Glocke klingt:</div> - <div class="verse">hilf Gott.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Befreit">Befreit</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du wirst nicht weinen. Leise, leise</div> - <div class="verse">wirst du lächeln; und wie zur Reise</div> - <div class="verse">geb ich dir Blick und Kuß zurück.</div> - <div class="verse">Unsre lieben vier Wände! Du hast sie bereitet,</div> - <div class="verse">ich habe sie dir zur Welt geweitet —</div> - <div class="verse">o Glück!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann wirst du heiß meine Hände fassen</div> - <div class="verse">und wirst mir deine Seele lassen,</div> - <div class="verse">läßt unsern Kindern mich zurück.</div> - <div class="verse">Du schenktest mir dein ganzes Leben,</div> - <div class="verse">ich will es ihnen wiedergeben —</div> - <div class="verse">o Glück!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wird sehr bald sein, wir wissen’s Beide.</div> - <div class="verse">Wir haben einander befreit vom Leide;</div> - <div class="verse">so geb’ich dich der Welt zurück.</div> - <div class="verse">Dann wirst du mir nur noch im Traum erscheinen</div> - <div class="verse">und mich segnen und mit mir weinen —</div> - <div class="verse">o Glück!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span></p> - -<h4 id="Trost">Trost</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du sahst eine Sternschnuppe fallen;</div> - <div class="verse">was hebst du scheu die Hand?</div> - <div class="verse">Sieh, kein Stern verschwand:</div> - <div class="verse">alle leuchten noch allen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Wunder">Wunder</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Niemals war es mir ein Wunder,</div> - <div class="verse">daß die Bäume, wenn die Blätter fallen,</div> - <div class="verse">all schon wieder voller Knospen stehn.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Immer wird nun, wenn die Blätter fallen,</div> - <div class="verse">deine Frage mich bewegen:</div> - <div class="verse">Kann man traurig auf dies Wunder sehn?</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Kalte_Frage">Kalte Frage</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wo bist du nun? Die Täler sind verschneit;</div> - <div class="verse">es starrt der Fluß, der gestern noch sich regte.</div> - <div class="verse">Ich staune in die bleiche Dunkelheit</div> - <div class="verse">wie dort das Licht, das ferne, unbewegte.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Winterwaerme">Winterwärme</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mit brennenden Lippen,</div> - <div class="verse">unter eisblauem Himmel,</div> - <div class="verse">durch den glitzernden Morgen hin,</div> - <div class="verse">in meinem Garten,</div> - <div class="verse">hauch ich, kalte Sonne, dir ein Lied.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Alle Bäume scheinen zu blühen;</div> - <div class="verse">von den reifrauhen Zweigen</div> - <div class="verse">streift dein Frühwind</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span> - <div class="verse">schimmernde Flöckchen nieder,</div> - <div class="verse">gleichsam Frühlingsblendwerk;</div> - <div class="verse">habe Dank!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">An meiner Dachkante hängt</div> - <div class="verse">Eiszapfen neben Zapfen,</div> - <div class="verse">starr;</div> - <div class="verse">die fangen zu schmelzen an.</div> - <div class="verse">Tropfen auf Tropfen blitzt,</div> - <div class="verse">jeder dem andern unvergleichlich,</div> - <div class="verse">mir ins Herz.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Kein_Bleiben">Kein Bleiben</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Immer dichter</div> - <div class="verse">flüchtet der Schnee.</div> - <div class="verse">Ich steh und seh</div> - <div class="verse">die Flocken treiben,</div> - <div class="verse">um Straßenlichter,</div> - <div class="verse">stumme Gesichter,</div> - <div class="verse">immer dichter.</div> - <div class="verse">Nur nicht bleiben:</div> - <div class="verse">weiter, weiter,</div> - <div class="verse">einsamer Schreiter!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Heimweh_in_die_Welt">Heimweh in die Welt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O wie lange litt ich’s nun, wie stumm!</div> - <div class="verse">soll ich denn mein Herz, mein Herz noch töten?</div> - <div class="verse">War doch dein, nur dein, in Glut und Nöten;</div> - <div class="verse">weißt warum?</div> - <div class="verse">Weil mein Herz so wild,</div> - <div class="verse">weil es Meere braucht,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span> - <div class="verse">wenn der Sturm ins Blut mir taucht,</div> - <div class="verse">weil es deine Tiefen so gefühlt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch wenn nun der Frühling wieder sprießt</div> - <div class="verse">— o, ich fühls, ich fühls, so stumm ich blieb —</div> - <div class="verse">und im warmen Sturm der junge Trieb</div> - <div class="verse">schwillt und schießt:</div> - <div class="verse">wird mein Herz so wild,</div> - <div class="verse">weil es Meere braucht,</div> - <div class="verse">wenn der Sturm ins Blut mir taucht,</div> - <div class="verse">weil es so in alle Weiten fühlt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hast es doch gewußt. Damals im Mai:</div> - <div class="verse">als uns auf der Bergwand der Blitz umlohte,</div> - <div class="verse">als ich jauchzte und dem Donner drohte,</div> - <div class="verse">adlerfrei:</div> - <div class="verse">gabst mir deine Hand,</div> - <div class="verse">mein in Glut und Schmerz,</div> - <div class="verse">sankest mir ans wilde Herz,</div> - <div class="verse">unten glänzte fern das deutsche Land.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wenn nun der Frühling blühen will</div> - <div class="verse">und die herrlichen Blitze wieder glühn</div> - <div class="verse">und im Sturm die Meere wieder sprühn:</div> - <div class="verse">dann — oh still —</div> - <div class="verse">gieb mir deine Hand,</div> - <div class="verse">Einmal noch ein Schmerz,</div> - <div class="verse">Einmal noch ein deutsches Herz,</div> - <div class="verse">dann leb wohl, mein Weib, mein Vaterland!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="UEber_frei_Feld">Über frei Feld</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Über frei Feld, mein Hund und ich;</div> - <div class="verse">die Frühlingsluft ist dunkel.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span> - <div class="verse">Fern staut sich ein Gewitterstrich;</div> - <div class="verse">mein Teckel knurrt, er fürchtet sich.</div> - <div class="verse mleft4">Komm, Teckel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er will nicht sehn die Himmelswand,</div> - <div class="verse">die Sonne sticht durch Wolken;</div> - <div class="verse">blendende Streifen ziehn durchs Land,</div> - <div class="verse">ein Scherben blitzt wie Diamant.</div> - <div class="verse mleft4">Komm, Teckel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Am Saum der Saat, von Stiel zu Stiel,</div> - <div class="verse">schleicht ungewiß sein Schatten;</div> - <div class="verse">ein Regen sprüht wie Mückenspiel,</div> - <div class="verse">die Tropfen flimmern ohne Ziel.</div> - <div class="verse mleft4">Komm, Teckel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da: jäh am Horizont hin zuckt</div> - <div class="verse">der erste Blitz im Jahre.</div> - <div class="verse">Ein kurz entschlossner Donner ruckt;</div> - <div class="verse">mein Teckel hat sich scheu geduckt.</div> - <div class="verse mleft4">Hundsseele!</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span></p> - -<h3 id="Zweiter_Teil">Zweiter Teil</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Der_Fruehlingskasper">Der Frühlingskasper</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weil nun wieder Frühling ist,</div> - <div class="verse">Leute,</div> - <div class="verse">streu ich butterblumengelber Kasper</div> - <div class="verse">lachend</div> - <div class="verse">lauter lilablaue Asternblüten</div> - <div class="verse">hei ins helle Feld!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lilablaue Astern, liebe Leute,</div> - <div class="verse">Astern</div> - <div class="verse">blühn im deutschen Vaterland bekanntlich</div> - <div class="verse">blos im Herbst.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber Ich, ich butterblumengelber Kasper,</div> - <div class="verse">streue,</div> - <div class="verse">weil nun wieder heller Frühling ist,</div> - <div class="verse">tanzend</div> - <div class="verse">tausend dunkelblaue Asternblüten</div> - <div class="verse">hei in alle Welt!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Entladung">Entladung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kam mit meinem Alpenstocke</div> - <div class="verse">und offner Brust vom Berg geschlendert;</div> - <div class="verse">begegnet mir im Ordensrocke</div> - <div class="verse">ein Zug von Nonnen, grau bebändert,</div> - <div class="verse">zehn schwarze Paare.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Den Blick zu Boden, steif und stumm,</div> - <div class="verse">so kamen sie dahergestiegen;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span> - <div class="verse">ich seh die Täler ringsherum</div> - <div class="verse">in leichenhaftem Glanze liegen,</div> - <div class="verse">Gewitter drohte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fern unten, wo noch Sonne gährte,</div> - <div class="verse">zog durch den wolkendunkeln See</div> - <div class="verse">ein Dampfschiff seine blanke Fährte,</div> - <div class="verse">und Tücher winken hell Ade;</div> - <div class="verse">ich schau nach Oben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie sieht die Bergwand düster aus!</div> - <div class="verse">Ein greller Kirchturm steht davor</div> - <div class="verse">und fordert frech den Blitz heraus;</div> - <div class="verse">die Tannen sträuben sich empor</div> - <div class="verse">wie Warnungszeichen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und herrisch kommt der Wind gesaust,</div> - <div class="verse">die Straße her, mit Staub und Frische,</div> - <div class="verse">und nimmt die Birken in die Faust</div> - <div class="verse">und schüttelt sie wie Flederwische;</div> - <div class="verse">es donnert schon.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die strengen Ordensröcke stieben;</div> - <div class="verse">nur rasch vorbei, ihr armen Schwestern!</div> - <div class="verse">ihr dürft nur tote Heilige lieben.</div> - <div class="verse">Rasch! Eure stumpfen Blicke lästern</div> - <div class="verse">Natur und Leben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ah: wie die Gletscherkanten glühn!</div> - <div class="verse">Vom Dampfer hör ich Juchzer klingen;</div> - <div class="verse">der Regen klatscht ins wilde Grün,</div> - <div class="verse">und mit dem Wirbelwinde ringen</div> - <div class="verse">vierzig Nonnenwaden.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span> - <div class="verse">Da hob ich meine Alpenstange</div> - <div class="verse">und schlug ein Kreuz auf ihren Trott,</div> - <div class="verse">und lachte laut und lachte lange,</div> - <div class="verse">und herzlich herzlos, wie ein Gott —</div> - <div class="verse">sie <em class="gesperrt">hörten’s</em>.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Anbetung">Anbetung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Letzter Schritt, und hoch mit mir</div> - <div class="verse">strebt der Turm ins Licht;</div> - <div class="verse">und vom Steigen auf zu Dir</div> - <div class="verse">bebt mein heiß Gesicht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier, wo keine Menschen sind,</div> - <div class="verse">sieh mich niederknien!</div> - <div class="verse">Ums Gesimse saust dein Wind,</div> - <div class="verse">und ich fühle ihn,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">wie er an das Steingerüst</div> - <div class="verse">seine Hände legt</div> - <div class="verse">und es schüttelt und es küßt</div> - <div class="verse">und mein Haar durchfegt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch die Glocken unter mir</div> - <div class="verse">rauscht sein Atemstrom.</div> - <div class="verse">Sonne, Sonne, Schöpferin, Dir</div> - <div class="verse">bebt der ganze Dom,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">den o Dein Dom überblaut,</div> - <div class="verse">und den schaffensbang</div> - <div class="verse">einst ein Mensch wie Ich gebaut,</div> - <div class="verse">Mensch im Überschwang!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span></p> - -<h4 id="Ausblick">Ausblick</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jetzt einen Schritt, dann stürzt vom Rande</div> - <div class="verse">mein Leben in die Schlucht hinab.</div> - <div class="verse">Wie hängt die Sonne tief im Lande!</div> - <div class="verse">Ich recke mich auf meinem Stande,</div> - <div class="verse">und alle Sehnsucht fällt mir ab.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Denn dort aus Wald-und-Wolkenkränzen</div> - <div class="verse">ragt mir erreichbar Firn an Firn.</div> - <div class="verse">Die Wirklichkeit ist ohne Grenzen!</div> - <div class="verse">Wie nah die fernen Dörfer glänzen,</div> - <div class="verse">der Strom dazwischen wie ein Zwirn!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich lehne mich zurück mit Grauen:</div> - <div class="verse">was ist hier groß, was ist hier klein.</div> - <div class="verse">Da blüht ein Enzian: nun schauen</div> - <div class="verse">zwei Menschenaugen in den blauen,</div> - <div class="verse">einsamen, winzigen Kelch hinein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In gelben Pollen reift der Samen,</div> - <div class="verse">Unendlichkeiten ahnen mir;</div> - <div class="verse">und selig ruf ich einen Namen —</div> - <div class="verse">du Mutter meiner Kinder, Amen,</div> - <div class="verse">mein Leben blüht, ich danke dir!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ideale_Landschaft">Ideale Landschaft</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn,</div> - <div class="verse">und eine hohe Abendklarheit war,</div> - <div class="verse">und sahst nur immer weg von mir,</div> - <div class="verse">ins Licht, ins Licht —</div> - <div class="verse">und fern verscholl das Echo meines Aufschreis.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span></p> - -<h4 id="Auf_See">Auf See</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch hatte niemals tiefere Macht dein Blick,</div> - <div class="verse">als da du, Abschied fühlend, still am Ufer</div> - <div class="verse">standest, schwandest. Nur der Blick noch</div> - <div class="verse">blieb und bebte über den Wassern.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dunkel folgte der Schein den leuchtenden Furchen.</div> - <div class="verse">Und ich sah den Schaum der tiefen Flut,</div> - <div class="verse">sah dein weißes Kleid zerfließen:</div> - <div class="verse">du Seele — Seele — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Gesang_vor_Nacht">Gesang vor Nacht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Im großen Glanz der Abendsonne</div> - <div class="verse">schauert die See; sacht steigt die Flut.</div> - <div class="verse">Im großen Glanz der Abendsonne</div> - <div class="verse">ergreift auch mich die weite Glut.</div> - <div class="verse">Im großen Glanz der Abendsonne</div> - <div class="verse">braust immer feuriger mein Blut:</div> - <div class="verse">Noch steigt die Flut —</div> - <div class="verse">im großen Glanz der Abendsonne.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Klarer_Tag">Klarer Tag</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Himmel leuchtet aus dem Meer;</div> - <div class="verse">ich geh und leuchte still wie er.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und viele Menschen gehn wie ich,</div> - <div class="verse">sie leuchten alle still für sich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zuweilen scheint nur Licht zu gehn</div> - <div class="verse">und durch die Stille hinzuwehn.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span> - <div class="verse">Ein Lüftchen haucht den Strand entlang:</div> - <div class="verse">o wundervoller Müßiggang.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Dunkle_Gewalt">Dunkle Gewalt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wieder! Da kommt sie durchs Gewimmel.</div> - <div class="verse">An ihrem Busen, in der Rechten,</div> - <div class="verse">wie Nachtgewölke ruhn am Himmel,</div> - <div class="verse">die aufgerafften dunklen Flechten —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">bestricken meinen Blick wie Schlangen,</div> - <div class="verse">mir träumt von Paradiesesnächten —</div> - <div class="verse">Was ziehst du plötzlich so voll Bangen</div> - <div class="verse">den Mantel, Weib, vor deine Flechten?</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ballade_von_der_wilden_Welt">Ballade von der wilden Welt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schöne stille Seele</div> - <div class="verse">hatte einen Garten,</div> - <div class="verse">rings um den Dornheckenwerk</div> - <div class="verse">und Urwalddickicht starrten,</div> - <div class="verse">einen Blumengarten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schöne stille Seele</div> - <div class="verse">saß in ihrem Zelt,</div> - <div class="verse">bebte vor den Häßlichkeiten</div> - <div class="verse">oh der wilden Welt,</div> - <div class="verse">in ihrem seidnen Zelt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schöne stille Seele</div> - <div class="verse">sah gern Kolibris</div> - <div class="verse">durch die Blütenbüsche huschen</div> - <div class="verse">überm warmen Kies,</div> - <div class="verse">die goldnen Kolibris.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span> - <div class="verse">Und die bunten Schmetterlinge,</div> - <div class="verse">und die blanken Schlangen;</div> - <div class="verse">schöne stille Seele</div> - <div class="verse">sah sie gern im Dickicht prangen,</div> - <div class="verse">die sonneblanken Schlangen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sah auch gern die blauen Blitze</div> - <div class="verse">über den Wäldern jagen</div> - <div class="verse">und die fernen schneebedeckten</div> - <div class="verse">Kraterberge ragen;</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">schöne</em> stille Seele!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schöne stille Seele</div> - <div class="verse">erschrak auf einmal sehr:</div> - <div class="verse">durch das Dornwerk drang ein hoher</div> - <div class="verse">wilder Fremdling her.</div> - <div class="verse">Seele bebte sehr.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fremder Weltumsegler,</div> - <div class="verse">ich saß so schön allein;</div> - <div class="verse">du wirst mich Schlange schelten,</div> - <div class="verse">dann werden wir häßlich sein.</div> - <div class="verse">Und stehst so schön allein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schöne stille Seele</div> - <div class="verse">konnt alldas nicht sagen,</div> - <div class="verse">sah den Fremdling vor sich höher</div> - <div class="verse">als die Berge ragen;</div> - <div class="verse">konnt kaum Willkomm sagen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Konnt ihn nur empfangen endlich,</div> - <div class="verse">Ihn — o wilde Welt —</div> - <div class="verse">Blitze, Blüten, Kolibris</div> - <div class="verse">jagten um ihr Zelt —</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">schöne</em> wilde Welt! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span></p> - -<h4 id="Herr_und_Herrin">Herr und Herrin</h4> - -<p class="center mtop1">Ein Mann:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Da du so schön bist, darf ich dich beschwören,</div> - <div class="verse">errege nicht mein leicht erregtes Blut.</div> - <div class="verse">Da du so schön bist, kann ich dir nicht wehren,</div> - <div class="verse">daß deine Hand zu sehr in meiner ruht.</div> - <div class="verse">Da du so schön bist, muß ich dich begehren,</div> - <div class="verse">denn alle Schönheit ist mir freies Gut.</div> - <div class="verse">Da du so schön bist, will ich dich zerstören,</div> - <div class="verse">damit es nicht ein Andrer tut ...</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Das Weib:</p> - -<div class="poetry-container mbot3"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Da du so stark bist, darfst du mich begehren,</div> - <div class="verse">doch meine Schönheit bleibt mein freies Gut.</div> - <div class="verse">Da du so stark bist, kannst du mich zerstören,</div> - <div class="verse">wenn dir die Tat nicht selbst zu wehe tut.</div> - <div class="verse">Da du so stark bist, mußt du mir beschwören,</div> - <div class="verse">daß du beschützen wirst mein schutzlos Blut.</div> - <div class="verse">Da du so stark bist, will ich dir nicht wehren,</div> - <div class="verse">daß deine Hand in meiner ruht ...</div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ballade_vom_Kuckuck">Ballade vom Kuckuck</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du hast zwei schöne Kinder, Frau,</div> - <div class="verse">sie spielen um unsre Füße im Gras;</div> - <div class="verse">was schweift dein Blick in die Wolken?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Ich warte auf meinen Kuckuck, Mann;</div> - <div class="verse">er ruft mir immer von fern was zu,</div> - <div class="verse">immer zu, wenn die Kinder spielen.“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was hat er dir zuzurufen, Frau?</div> - <div class="verse">Was schweift dein Blick so fremd und bang,</div> - <div class="verse">daß mir graut für unsre Kinder?</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span> - <div class="verse">„Unsre Kinder bleiben nicht unser, Mann;</div> - <div class="verse">sie spielen mit Blume und Schmetterling,</div> - <div class="verse">einst horchen sie auch auf den Kuckuck.“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So will ich den Kuckuck totschießen, Frau!</div> - <div class="verse">Ich schoß schon manchen Habicht tot,</div> - <div class="verse">der unser Hühnervolk schreckte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Kam immer wieder ein Habicht, Mann;</div> - <div class="verse">kommt immer wieder ein Kuckuck von fern.</div> - <div class="verse">Horch — nun schreckt dich selber sein Lockruf.“</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Vorspiel">Vorspiel</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie ist nur durch mein Zimmer gegangen</div> - <div class="verse">und hat mir scheu von Träumen erzählt;</div> - <div class="verse">und ich habe sie mit Trost gequält</div> - <div class="verse">und saß und starb fast vor Verlangen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie hat geträumt von meinen Händen:</div> - <div class="verse">sie aß von ihres Mannes Brot,</div> - <div class="verse">da kam ich an und drückte sie tot,</div> - <div class="verse">sie hielt ganz still ... Wie wird das enden ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Wellentanzlied">Wellentanzlied</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich warf eine Rose ins Meer,</div> - <div class="verse">eine blühende Rose ins grüne Meer.</div> - <div class="verse">Und weil die Sonne schien, Sonne schien,</div> - <div class="verse">sprang das Licht hinterher,</div> - <div class="verse">mit hundert zitternden Zehen hinterher.</div> - <div class="verse">Als die erste Welle kam,</div> - <div class="verse">wollte die Rose, meine Rose, ertrinken.</div> - <div class="verse">Als die zweite sie sanft auf ihre Schultern nahm,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span> - <div class="verse">mußte das Licht, das Licht ihr zu Füßen sinken.</div> - <div class="verse">Da faßte die dritte sie am Saum,</div> - <div class="verse">und das Licht sprang hoch, zitternd hoch, wie zur Wehr;</div> - <div class="verse">aber hundert tanzende Blütenblätter</div> - <div class="verse">wiegten sich rot, rot, rot um mich her,</div> - <div class="verse">und es tanzte mein Boot,</div> - <div class="verse">und mein Schatten auf dem Schaum,</div> - <div class="verse">und das grüne Meer, das Meer — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Bewegte_See">Bewegte See</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Noch Einmal so! Im Nebel durch den Sturm:</div> - <div class="verse">das Segel knatterte, die Schiffer schrieen,</div> - <div class="verse">am Bugspriet stand das Wasser wie ein Turm,</div> - <div class="verse">ich fühlte deine Angst in meinen Knieen</div> - <div class="verse">und sah dein stolz und fremd Gesicht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Noch Einmal wollte mir dein Auge drohn,</div> - <div class="verse">wie eine Flamme stand dein Haar im Winde,</div> - <div class="verse">doch in den Wellen rang ein Ton</div> - <div class="verse">wie das Gewein von einem Kinde —</div> - <div class="verse">da wehrtest du mir nicht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Um meine Lippen lag dein naß wild Haar,</div> - <div class="verse">um deine Schulter lag mein Arm gezogen,</div> - <div class="verse">und unsern Kuß versüßte wunderbar</div> - <div class="verse">der Schaum der salzigen Sturzwogen —</div> - <div class="verse">da schrie ich laut vor Freude auf.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Noch Einmal so! Was tust du jetzt so kalt,</div> - <div class="verse">hast du denn Furcht vorm offnen Meere?</div> - <div class="verse">Es peitscht dich warm! Komm bald, komm bald!</div> - <div class="verse">im Hafennebel tanzt die Fähre —</div> - <div class="verse">hinaus! hinauf!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span></p> - -<h4 id="Der_Sturm">Der Sturm</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Sturm ging noch die ganze Nacht,</div> - <div class="verse">ganz daß die Nacht dem Abend glich.</div> - <div class="verse">Ich bin fortwährend aufgewacht:</div> - <div class="verse">wie war der Abend schauerlich!</div> - <div class="verse">Uns schnitt der Ton bis unters Herz;</div> - <div class="verse">dann haben wir noch mehr gelacht —</div> - <div class="verse">Du, dein Mann, und ich.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Verklaerung">Verklärung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schwer sind dir die grauen Tage?</div> - <div class="verse">Seele, komm: ich nehm dich ganz,</div> - <div class="verse">wie du willst, du liebe Plage!</div> - <div class="verse">Horch, der Regen rauscht wie Tanz,</div> - <div class="verse">und die Windsbraut singt und geigt:</div> - <div class="verse">Nichts ist schwer, sind <em class="gesperrt">wir</em> nur leicht!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schwingen wir nur erst im Reigen,</div> - <div class="verse">hingerissen Spur in Spur,</div> - <div class="verse">braucht kein Engel mehr zu geigen,</div> - <div class="verse">Erde wird zur Himmelsflur.</div> - <div class="verse">Tanze, leichte Seele, tanz:</div> - <div class="verse">jeder Tag hat seinen Glanz!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Das_Schloss">Das Schloß</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bin arm, du bist reich,</div> - <div class="verse">darum bau ich dir ein Schloß</div> - <div class="verse">aus meinen purpurnsten Träumen.</div> - <div class="verse">Das steht am grauen Nordseedeich,</div> - <div class="verse">wo die funkelndsten Wellen schäumen.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span> - <div class="verse">Denn unsre Liebe ist so groß,</div> - <div class="verse">daß die ganze Welt mir ein Spiel ist;</div> - <div class="verse">und alle Meere um unser Schloß</div> - <div class="verse">staunen, was mein Ziel ist.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mein Ziel ist eine tiefe Nacht:</div> - <div class="verse">wir schwimmen auf unserm Schlosse,</div> - <div class="verse">und die Wellen springen an unsre Yacht</div> - <div class="verse">wie trunken schreiende Rosse.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ich lass ein wildrotes Nordlicht scheinen,</div> - <div class="verse">du liegst vor mir in Flammen,</div> - <div class="verse">und unser glühendes Schloß stürzt ein,</div> - <div class="verse">und wir stürzen mit ihm zusammen</div> - <div class="verse">und ertrinken — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Schwimmer">Der Schwimmer</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gerettet! Und er streichelt den Strand,</div> - <div class="verse">um den er rang mit dem wilden Meer;</div> - <div class="verse">noch peitscht der weiße Gischt seine Hand.</div> - <div class="verse">Und er blickt zurück aufs wilde Meer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und blickt um sich ins graue Land;</div> - <div class="verse">das liegt im Sturm, wie’s vorher lag,</div> - <div class="verse">fest und schwer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da wirds nun sein wie jeden Tag.</div> - <div class="verse">Und er blickt zurück aufs wilde Meer ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Beschwichtigung">Beschwichtigung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Nacht wird kühl; mein Schatten kriecht</div> - <div class="verse">im Sand am Rand des Ozeans.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span> - <div class="verse">Der Mond vergießt sein fremdes Licht</div> - <div class="verse">und nimmt den Sternen ihren Glanz.</div> - <div class="verse mleft4">Die See rauscht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was quäl ich mich! Hier trieb vielleicht</div> - <div class="verse">schon manches Paar sein loses Spiel,</div> - <div class="verse">und sind erglüht und sind erbleicht,</div> - <div class="verse">und sprachen dann vom Tode viel.</div> - <div class="verse mleft4">Die See rauscht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn alles Land gefroren ist,</div> - <div class="verse">wenn übers eingeschneite Feld</div> - <div class="verse">die Sonne ihren Glanz ergießt,</div> - <div class="verse">dann wird dir fremd sein, was dich quält.</div> - <div class="verse mleft4">Die See rauscht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Lied_an_den_Mond">Lied an den Mond</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Willkommen, weißer Mond im Blauen,</div> - <div class="verse mleft5">allein!</div> - <div class="verse">Laß mich in Deine Heimat schauen,</div> - <div class="verse mleft5">sei mein!</div> - <div class="verse">Ich sitz im Dunkeln voll Geduld,</div> - <div class="verse mleft5">du scheinst!</div> - <div class="verse">O leuchte jedem heim voll Huld,</div> - <div class="verse mleft5">dereinst!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Gruss">Gruß</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schlaflos lieg’ich, wie im Fieber</div> - <div class="verse">starr’ich in ein Schattenmeer:</div> - <div class="verse">endlich glänzt vielleicht ihr lieber</div> - <div class="verse">Augenstern darüber her.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span> - <div class="verse">Endlich — und zwei Seelen brächten</div> - <div class="verse">solchen Gruß sich durch die Welt,</div> - <div class="verse">wie aus hohen Sommernächten</div> - <div class="verse">Stern zu Stern vom Himmel fällt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Aufglanz">Aufglanz</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Mond ist neu geworden,</div> - <div class="verse">nun kommen die dunkeln Nächte;</div> - <div class="verse">da klopft das Herz mit stärkerem Schlag</div> - <div class="verse">und wünscht ein andres Herz herbei,</div> - <div class="verse">an dem es erglühen möchte.</div> - <div class="verse">Glühn bis ins ruhelose</div> - <div class="verse">dunkelste Blut hinein:</div> - <div class="verse">o Nacht, gib Licht,</div> - <div class="verse">o Tag, erschein,</div> - <div class="verse">die Welt ist neu geworden!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Morgenstunde">Morgenstunde</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ob du wohl auch so schlaflos liegst</div> - <div class="verse">und dich in wachen Träumen wiegst</div> - <div class="verse">vor Glück, wie sehr die Sehnsucht brennt?</div> - <div class="verse">Ich schau ins dunkle Firmament:</div> - <div class="verse">der Morgenstern, in großem Bogen,</div> - <div class="verse">ist langsam längst heraufgezogen</div> - <div class="verse">und läßt mich lächelnd fühlen, was uns trennt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vor meinen schwachen Augen</div> - <div class="verse">— nun weiß ich doch, zu was sie taugen —</div> - <div class="verse">strahlt er, je höher her, je flimmernder</div> - <div class="verse">Weihnächtig glänzt die graue Stille.</div> - <div class="verse">O zögre, Alltag! Ohne Brille</div> - <div class="verse">sieht man die Welt unendlich schimmernder.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> - <div class="verse">Schon aber glitzert sein Gezitter blasser;</div> - <div class="verse">nun steh ich auf und geb der Lilie Wasser,</div> - <div class="verse">die du mir gestern heimlich brachtest.</div> - <div class="verse">Und wenn du mich dafür auslachtest:</div> - <div class="verse">sanft nehm ich sie von ihrer Stätte</div> - <div class="verse">und leg sie auf mein warmes Bette</div> - <div class="verse">und fühle lächelnd, wie du nach mir schmachtest.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ruf">Ruf</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Immer stiller stehn die Bäume,</div> - <div class="verse">nicht ein Blatt mehr scheint zu leben,</div> - <div class="verse">und ich fühle Wüstenträume</div> - <div class="verse">durch den bangen Mittag beben,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">bis ins bange Blut mir zittern,</div> - <div class="verse">bis ins Herz, wie Feuerpfeile.</div> - <div class="verse">O, ich lechze nach Gewittern!</div> - <div class="verse">Komm, Geliebte! eile! eile!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Berueckung">Berückung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und du kamest in mein Haus,</div> - <div class="verse">kamst mit deinen schwarzen Blicken;</div> - <div class="verse">sah ich ferne Palmen nicken,</div> - <div class="verse">und du gabst mir deinen Strauß.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gabst die zitternden Narzissen,</div> - <div class="verse">die wir in der Wildnis pflückten;</div> - <div class="verse">deine schwarzen Locken schmückten</div> - <div class="verse">meines Diwans rote Kissen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kehre wieder in mein Haus,</div> - <div class="verse">laß die wilden Blumen blühen!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span> - <div class="verse">Unsre jungen Lippen glühen;</div> - <div class="verse">gieb mir, gieb mir deinen Strauß!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Wirrsal">Wirrsal</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weine nicht, mein treues Weib!</div> - <div class="verse">Jene Andre, die mich auch liebt,</div> - <div class="verse">die beglückt wohl meinen Leib,</div> - <div class="verse">aber Du hast meine ganze Seele.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und du bist ihr nicht verhaßt.</div> - <div class="verse">Mußt du sie nicht mit mir lieben,</div> - <div class="verse">die so innig zu mir paßt</div> - <div class="verse">wie mein ganzer Leib zu meiner Seele?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie beglückt doch diesen Leib,</div> - <div class="verse">den sie liebt und der sie auch liebt,</div> - <div class="verse">wie er Dich beglückt, mein Weib!</div> - <div class="verse">Und dann hat sie meine ganze Seele ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Nach_einem_Regen">Nach einem Regen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sieh, der Himmel wird blau;</div> - <div class="verse">die Schwalben jagen sich</div> - <div class="verse">wie Fische über den nassen Birken.</div> - <div class="verse">Und du willst weinen?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In deiner Seele werden bald</div> - <div class="verse">die blanken Bäume und blauen Vogel</div> - <div class="verse">ein goldnes Bild sein.</div> - <div class="verse">Und du weinst?</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span> - <div class="verse">Mit meinen Augen</div> - <div class="verse">seh ich in deinen</div> - <div class="verse">zwei kleine Sonnen.</div> - <div class="verse">Und du lächelst.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_gute_Hirte">Der gute Hirte</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Laßt uns endlich heiter wandeln</div> - <div class="verse">durch die grillenvolle Welt!</div> - <div class="verse">Wenn wir unbekümmert handeln,</div> - <div class="verse">ist das Schwerste leicht bestellt.</div> - <div class="verse">Glück macht jede Seele fromm;</div> - <div class="verse">eil dich, Rahel! Lea, komm!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Saht ihr je die Lämmer streiten,</div> - <div class="verse">wen der Hirte lieber hab?</div> - <div class="verse">Also laßt die Zwistigkeiten,</div> - <div class="verse">zärtlich winkt mein Jakobsstab.</div> - <div class="verse">Seht, schon zieht der Mond herauf:</div> - <div class="verse">eil dich, Rahel! Lea, lauf!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mach ich euch nicht glücklich Beide,</div> - <div class="verse">wenn auch meistenteils allein?</div> - <div class="verse">Schmachtend schimmern Wald und Weide:</div> - <div class="verse">wer wird heut die Einzige sein?</div> - <div class="verse">O, wie lieblich riecht der Klee;</div> - <div class="verse">eil dich, Rahel — Lea, geh — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Stimme_im_Dunkeln">Stimme im Dunkeln</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es klagt im Dunkeln irgendwo.</div> - <div class="verse">Ich möchte wissen, was es ist.</div> - <div class="verse">Der Wind klagt wohl die Nacht an.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span> - <div class="verse">Der Wind klagt aber nicht so nah.</div> - <div class="verse">Der Wind klagt immer in der Nacht.</div> - <div class="verse">In meinen Ohren klagt mein Blut,</div> - <div class="verse">mein Blut wohl.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mein Blut klagt aber nicht so fremd.</div> - <div class="verse">Mein Blut ist ruhig wie die Nacht.</div> - <div class="verse">Ich glaub, ein Herz klagt irgendwo.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="UEber_den_Suempfen">Über den Sümpfen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wo wohnst du nur, du dunkler Laut,</div> - <div class="verse">du Laut der Gruft?</div> - <div class="verse">Was rinnt und raunt durch Schilf und Duft</div> - <div class="verse">und glüht wie Augen durch die Luft,</div> - <div class="verse">durch Rohr und Kraut?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es lehnt die Nacht am offnen Tor</div> - <div class="verse">und weint und winkt.</div> - <div class="verse">Zwei graue Hunde stehn davor</div> - <div class="verse">und lauschen mit geneigtem Ohr,</div> - <div class="verse">wie’s klingt,</div> - <div class="verse">lockt, blinkt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Erwartung">Erwartung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus dem meergrünen Teiche</div> - <div class="verse">neben der roten Villa</div> - <div class="verse">unter der toten Eiche</div> - <div class="verse">scheint der Mond.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wo ihr dunkles Abbild</div> - <div class="verse">durch das Wasser greift,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span> - <div class="verse">steht ein Mann und streift</div> - <div class="verse">einen Ring von seiner Hand.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Drei Opale blinken;</div> - <div class="verse">durch die bleichen Steine</div> - <div class="verse">schwimmen rot und grüne</div> - <div class="verse">Funken und versinken.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und er küßt sie, und</div> - <div class="verse">seine Augen leuchten</div> - <div class="verse">wie der meergrüne Grund:</div> - <div class="verse">ein Fenster tut sich auf.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus der roten Villa</div> - <div class="verse">neben der toten Eiche</div> - <div class="verse">winkt ihm eine bleiche</div> - <div class="verse">Frauenhand ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Im_Reich_der_Liebe">Im Reich der Liebe</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O Du, dein Haar, wie strahlt dein Haar,</div> - <div class="verse">das ist wie schwarze Diamanten!</div> - <div class="verse">O, weil wir uns als Herrscherpaar</div> - <div class="verse">der ewigen Seligkeit erkannten,</div> - <div class="verse">Du!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schmück mir die Stirn du, nackt und bloß,</div> - <div class="verse">mit diesem Band aus blauer Seide!</div> - <div class="verse">Das ging dir los von deinem Schooß,</div> - <div class="verse">als wir noch strauchelten im Kleide</div> - <div class="verse">jener Welt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier sind wir Gott gleich, sieh mich an:</div> - <div class="verse">oh Gott, wie Eins sind wir geworden!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span> - <div class="verse">Hier kannst du ruhig deinen Mann</div> - <div class="verse">mit mir betrügen, für mich morden,</div> - <div class="verse">Du — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Nun_erst">Nun erst</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hab Dank! wir waren Mann und Weib,</div> - <div class="verse">es ist geschehn;</div> - <div class="verse">nun laß uns wieder aufrecht gehn,</div> - <div class="verse">allein und klar.</div> - <div class="verse">Wir wollen uns nicht trüb geberden;</div> - <div class="verse">wir können nun erst Freunde werden,</div> - <div class="verse">ganz und wahr.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du weißt ja gut, wie’s enden kann;</div> - <div class="verse">am Weg ins Tal,</div> - <div class="verse">du sahst, da lag es, einsam, kahl,</div> - <div class="verse">das alte Liebesgrab im Wald.</div> - <div class="verse">Es war nicht Zufall, was dich führte:</div> - <div class="verse">ich wollte prüfen, wie’s dich rührte:</div> - <div class="verse">du lachtest kalt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das tat mir wohl, das klang so frei</div> - <div class="verse">aus dir heraus in mich herein.</div> - <div class="verse">Doch unten lag im Abendschein</div> - <div class="verse">der dunkle See.</div> - <div class="verse">Im Wasser spielten lange Streifen;</div> - <div class="verse">die schienen glühend sich zu greifen,</div> - <div class="verse">der Nix die Fee.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Sonne sank; die Wasserglut</div> - <div class="verse">ist nun zur Ruh.</div> - <div class="verse">Das war nicht Ich, das warst nicht Du,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span> - <div class="verse">was uns bezwang.</div> - <div class="verse">Denn ob wir unser mächtig waren,</div> - <div class="verse">das soll sich nun erst offenbaren.</div> - <div class="verse">Hab Dank!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Mannesbangen">Mannesbangen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du mußt nicht meinen,</div> - <div class="verse">ich hätte Furcht vor dir.</div> - <div class="verse">Nur wenn du mit deinen</div> - <div class="verse">scheuen Augen Glück begehrst</div> - <div class="verse">und mir mit solchen</div> - <div class="verse">zuckenden Händen</div> - <div class="verse">wie mit Dolchen</div> - <div class="verse">durch die Haare fährst,</div> - <div class="verse">und mein Kopf liegt an deinen Lenden:</div> - <div class="verse">dann, du Wehrlose,</div> - <div class="verse">beb’ich vor dir ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_weise_Koenig">Der weise König</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich will nicht immer küssen;</div> - <div class="verse">ich will nur fühlen, du bist mein!</div> - <div class="verse">Und wenn du noch viel nackter wärst,</div> - <div class="verse">ich würde lieber zu Stein,</div> - <div class="verse">als heut dich küssen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gieb mir die stillste Stille,</div> - <div class="verse">die du geben kannst.</div> - <div class="verse">Dann will ich wie der Mondschein dort,</div> - <div class="verse">der aus den Blättern tanzt,</div> - <div class="verse">bei dir bleiben.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span> - <div class="verse">So sprach der weise König.</div> - <div class="verse">Da fiel ein Blatt in ihren Schooß,</div> - <div class="verse">der Wind fuhr durch den Mondschein;</div> - <div class="verse">sie aber nickte blos</div> - <div class="verse">und küßte es.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er ist bei ihr geblieben,</div> - <div class="verse">er riß ihr das Blatt vom Munde;</div> - <div class="verse">er ist die ganze Nacht geblieben</div> - <div class="verse">und hat sie — Gott weiß wie still — geküßt,</div> - <div class="verse">wohl hundertmal die Stunde.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Stilles_Zeichen">Stilles Zeichen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mir war ein Rosenblatt im Haar geblieben.</div> - <div class="verse">Ich saß und sann noch über die Geberde,</div> - <div class="verse">mit der ich mich aus deinem Arm befreit,</div> - <div class="verse">und sah zur Erde;</div> - <div class="verse">da fiel das rote Blatt</div> - <div class="verse">in meine Einsamkeit.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Die_Kette">Die Kette</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du hast mir eine Kette geschenkt.</div> - <div class="verse">Ich soll sie um meinen Nacken legen.</div> - <div class="verse">Ich werde sie tragen, um meinen stolzen Hals,</div> - <div class="verse">offen auf meiner Brust vor allen Leuten:</div> - <div class="verse">Du hast mir ja die Kette geschenkt.</div> - <div class="verse">Ich möcht auch heimlich mein Herz dran hängen;</div> - <div class="verse">Himmel, mein Herz, woran hängt es schon?</div> - <div class="verse">An den Blicken meiner treuen Frau,</div> - <div class="verse">an den Locken manches treulosen Fräuleins,</div> - <div class="verse">an den Schmucksachen, die sie zu Weihnachten wünschten,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span> - <div class="verse">den Schmetterlingen, die wir im Hochsommer haschten,</div> - <div class="verse">an den Zugvögeln, die jetzt über uns wegziehn,</div> - <div class="verse">den fremden Blumen, die sich jenseits der Meere</div> - <div class="verse">auf paradiesischen Bäumen schaukeln,</div> - <div class="verse">an dem unvergeßlichen Horizont meiner Heimat</div> - <div class="verse">und den feurigen Sternen nie erblickter Zenithe,</div> - <div class="verse">an alldem, alldem hängt mein Herz,</div> - <div class="verse">mein armes Herz. Sprecht, gütige Sterne:</div> - <div class="verse">wie fass ich soviel Reichtum zusammen? —</div> - <div class="verse">Du hast mir eine Kette geschenkt! — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ein_Ring">Ein Ring</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich trug einen Ring mit drei Opalen.</div> - <div class="verse">Viel Märchen schuf der bleiche Stein;</div> - <div class="verse">scheu wie das Glück sind seine Strahlen,</div> - <div class="verse">Wasser soll ihren bunten Schein</div> - <div class="verse">wie Gift zernagen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kenn ein Weib, das hat all meine</div> - <div class="verse">bleiche bunte Sehnsucht lieb;</div> - <div class="verse">sie gab mir mehr als edle Steine,</div> - <div class="verse">doch sollt ich alles wie ein Dieb</div> - <div class="verse">heimlich tragen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hab eine Frau, die schenkt mir klar,</div> - <div class="verse">wie eine Quelle unverschlossen,</div> - <div class="verse">ihren Frieden immerdar;</div> - <div class="verse">sie weinte, ihre Tränen flossen</div> - <div class="verse">auf die Opale.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich trug den bleichen Ring zurück;</div> - <div class="verse">aber das Märchen hat gelogen.</div> - <div class="verse">Noch glänzt der Stein und glänzt mein Glück,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span> - <div class="verse">glänzt wie der bunte Regenbogen</div> - <div class="verse">im Wasserstrahle.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Fluss">Der Fluß</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In den abendgelben Fluß</div> - <div class="verse">grub mein Ruder schwarze Trichter;</div> - <div class="verse">ohne Wort und ohne Kuß</div> - <div class="verse">sahn wir auf die Wellenlichter,</div> - <div class="verse">sahn wir eine dunkle Bucht</div> - <div class="verse">still das kahle Ufer spiegeln,</div> - <div class="verse">sahn der Berge starre Wucht</div> - <div class="verse">seine wirbelvolle Flucht</div> - <div class="verse">vor uns, hinter uns verriegeln.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Als wir dann um Mitternacht</div> - <div class="verse">in der Stadt mit Flüsterlauten</div> - <div class="verse">auf der hohen Brückenwacht</div> - <div class="verse">standen und hinunterschauten,</div> - <div class="verse">schienen uns die schwarzen Mauern</div> - <div class="verse">in dem grauen Wasserschacht</div> - <div class="verse">ihren Einsturz zu belauern.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Still, die Sonne kommt herauf.</div> - <div class="verse">Klar verfolgen meine Träume</div> - <div class="verse">bis zum Meer hin seinen Lauf;</div> - <div class="verse">fern durch morgenrote Bäume</div> - <div class="verse">steigt der blaue Nebel auf.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Naechtliches_Zwiegespraech">Nächtliches Zwiegespräch</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Was sind das für Männer,</div> - <div class="verse">die dort ins Dunkel zeigen?“</div> - <div class="verse">Ich sehe sie nicht.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span> - <div class="verse">„Dort bei dem Feuer am Fluß</div> - <div class="verse">die glänzenden Hände!“</div> - <div class="verse">Seltsam.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Der Brückenbogen steht voll Menschen!“</div> - <div class="verse">Totenstill.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Und dort, sieh dort: das leere Boot!“</div> - <div class="verse">Was bebst du —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Oh, mein Geliebter, verlaß mich nicht!“</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Rueckblick">Rückblick</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In diesem Jahr verlor ich einen Freund.</div> - <div class="verse">Hier unterm Nußbaum sprachen wir uns aus.</div> - <div class="verse">Das Laub wird gelb; es wartet auf den Wind.</div> - <div class="verse mleft5">Ist das der Schluß?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier unterm Nußbaum gab mir eine Frau</div> - <div class="verse">in diesem Jahr errötend ihre Hand.</div> - <div class="verse">Still weht ein Blatt und treibt ins welke Gras.</div> - <div class="verse mleft5">Ist das der Schluß?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In diesem Jahr ... Vor meine Füße fällt</div> - <div class="verse">ein dumpfer Schlag zu Boden und zerplatzt,</div> - <div class="verse">und aus der Kapsel rollt die rauhe Frucht.</div> - <div class="verse mleft5">Das ist der Schluß!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Mein_Wald">Mein Wald</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Herbst stürmt seine Tänze.</div> - <div class="verse">Durch dürre Blätter muß ich gehn;</div> - <div class="verse">in meinen Wald.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> - <div class="verse">In meinem lieben Wald,</div> - <div class="verse">wo nicht ein Baum mein eigen ist,</div> - <div class="verse">gehn fremde Leute durch den Wind</div> - <div class="verse">und sagen: es ist kalt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und da steht auch mein Stein,</div> - <div class="verse">auf dem ich manchmal sitze,</div> - <div class="verse">wenn mein Herz stürmt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Die_Harfe">Die Harfe</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Unruhig steht der hohe Kiefernforst;</div> - <div class="verse">die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen.</div> - <div class="verse">Lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst;</div> - <div class="verse">dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen.</div> - <div class="verse">Und dumpfer tönt mein Schritt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier über diese Hügel ging ich schon,</div> - <div class="verse">als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte,</div> - <div class="verse">noch nicht bei euerm urweltlichen Ton</div> - <div class="verse">die Arme hob und ins Erhabne spannte,</div> - <div class="verse">ihr Riesenstämme rings.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In großen Zwischenräumen, kaum bewegt,</div> - <div class="verse">erheben sich die graugewordnen Schäfte;</div> - <div class="verse">durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt</div> - <div class="verse">die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte</div> - <div class="verse">wie damals.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Eine steht wie eines Erdgotts Hand</div> - <div class="verse">in fünf gewaltige Finger hochgespalten;</div> - <div class="verse">die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand</div> - <div class="verse">und langt noch höher als die starren alten</div> - <div class="verse">einsamen Stämme.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span> - <div class="verse">Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf,</div> - <div class="verse">als wollten sie sich aneinanderzwängen;</div> - <div class="verse">durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf,</div> - <div class="verse">als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen</div> - <div class="verse">einer verwunschnen Harfe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und von der Harfe kommt ein Himmelston</div> - <div class="verse">und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen.</div> - <div class="verse">Den kenn ich tief seit meiner Jugend schon:</div> - <div class="verse">dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen:</div> - <div class="verse">komm, Sturm, erhöre mich!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie hab ich mich nach einer Hand gesehnt,</div> - <div class="verse">die mächtig ganz in meine würde passen!</div> - <div class="verse">wie hab ich mir die Finger wund gedehnt!</div> - <div class="verse">die ganze Hand, die konnte Niemand fassen!</div> - <div class="verse">Da ballt ich sie zur Faust.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich habe mit Inbrünsten jeder Art</div> - <div class="verse">mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen.</div> - <div class="verse">Ich steh und prüfe die bestandne Fahrt:</div> - <div class="verse">nur Eine Inbrunst läßt sich treu ertragen:</div> - <div class="verse">zur ganzen Welt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst!</div> - <div class="verse">schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben.</div> - <div class="verse">In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst.</div> - <div class="verse">Gieb mir die Kraft, einsam zu bleiben,</div> - <div class="verse">Welt! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span></p> - -<h3 id="Dritter_Teil">Dritter Teil</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Geheimnis">Geheimnis</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In die dunkle Bergschlucht</div> - <div class="verse">kehrt der Mond zurück.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Eine Stimme singt am Wassersturz:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O Geliebtes —</div> - <div class="verse">deine höchste Wonne</div> - <div class="verse">und dein tiefster Schmerz</div> - <div class="verse">sind mein Glück — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Am_Scheideweg">Am Scheideweg</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich wollt dir die Stirn küssen</div> - <div class="verse">und dir sagen: hab Dank!</div> - <div class="verse">Aber da war ein Licht in deinen Augen</div> - <div class="verse">wie Morgenglut auf unerklommenen Bergwäldern;</div> - <div class="verse">und dem haben wir folgen müssen,</div> - <div class="verse">schweigend.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Hoch_in_der_Fruehe">Hoch in der Frühe</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sieh, wie wir zu den Sternen aufsteigen!</div> - <div class="verse">Unsern glückstrahlenden Augen</div> - <div class="verse">leuchtet der Schnee der Gebirge,</div> - <div class="verse">bald blitzt dort unten die Sonne durch.</div> - <div class="verse">O! schon röten sich</div> - <div class="verse">Tiefen und Höhen;</div> - <div class="verse">durch den Rauch unsrer Atemzüge,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span> - <div class="verse">bis über das fernste Fünkchen dort oben</div> - <div class="verse">fern hinauf,</div> - <div class="verse">schimmert die Nacht deiner Geburt,</div> - <div class="verse">glänzt der Tag unsrer Himmelfahrt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Immer_wieder">Immer wieder</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ehe wir uns trennen konnten,</div> - <div class="verse">o, wie hielt mich dein Gesicht,</div> - <div class="verse">sahen wir noch Einmal, dicht,</div> - <div class="verse">dicht an deinem mein Gesicht,</div> - <div class="verse">in den Winterwald zurück,</div> - <div class="verse">wo die Bäume sich noch sonnten,</div> - <div class="verse">wo die Abendwolken prangten,</div> - <div class="verse">wo ins feuergoldne Licht</div> - <div class="verse">die verworrnen Zweige langten,</div> - <div class="verse">und wir baten Gott um Glück.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Die_Frage">Die Frage</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kann ich dein Herz beglücken?</div> - <div class="verse">liebreiche Seele, nein.</div> - <div class="verse">Ich kann dich an mein Herz drücken,</div> - <div class="verse">fühlen mußt du’s allein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Noch im glückhellsten Gesange</div> - <div class="verse">schwebt ein dunkler Klang;</div> - <div class="verse">lausch ihm nicht zu lange,</div> - <div class="verse">sonst wird dir bang.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ob ich dir tausendmal sage:</div> - <div class="verse">ich liebe dich —</div> - <div class="verse">immer doppelt bebt drin die Frage:</div> - <div class="verse">liebst du mich? —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span></p> - -<h4 id="Im_Zwielicht">Im Zwielicht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Laß uns noch die Nacht erwarten,</div> - <div class="verse">daß wir alle Sterne sehn.</div> - <div class="verse">Falt die Hände; in den harten</div> - <div class="verse">Steigen durch den stillen Garten</div> - <div class="verse">kommt das Heimweh auf den Zehn.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt und bringt die Anemone,</div> - <div class="verse">die du einst ans Herzchen drücktest;</div> - <div class="verse">kommt umklungen von dem Tone</div> - <div class="verse">einst des Baums, aus dessen Krone</div> - <div class="verse">du dein erstes Fernweh pflücktest.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und du streifst dir aus den Haaren,</div> - <div class="verse">was dir an der Seele frißt;</div> - <div class="verse">selig Kind mit dreißig Jahren,</div> - <div class="verse">Alles wirst du noch erfahren,</div> - <div class="verse">Alles, was dir heilsam ist.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Glueckwunsch">Glückwunsch</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich wünsche dir Glück.</div> - <div class="verse">Ich bring dir die Sonne in meinem Blick.</div> - <div class="verse">Ich fühle dein Herz in meiner Brust;</div> - <div class="verse">es wünscht dir mehr als eitel Lust.</div> - <div class="verse">Es fühlt und wünscht: die Sonne scheint,</div> - <div class="verse">auch wenn dein Blick zu brechen meint.</div> - <div class="verse">Es wünscht dir Blicke so sehnsuchtlos,</div> - <div class="verse">als trügest du die Welt im Schooß.</div> - <div class="verse">Es wünscht dir Blicke so voll Begehren,</div> - <div class="verse">als sei die Erde neu zu gebären.</div> - <div class="verse">Es wünscht dir Blicke voll der Kraft,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span> - <div class="verse">die aus Winter sich Frühling schafft.</div> - <div class="verse">Und täglich leuchte durch dein Haus</div> - <div class="verse">aller Liebe Blumenstrauß!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Ein_Bluetenblatt">Ein Blütenblatt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Von deinen Tulpen fiel das erste Blatt.</div> - <div class="verse">Es liegt am Fuß der stolz geschwungnen Vase</div> - <div class="verse">und lehnt sich auf am gletscherblauen Glase,</div> - <div class="verse">und drüber flammt der Strauß mit dreizehn Bränden</div> - <div class="verse">Und eine von den Blüten züngelt so</div> - <div class="verse">in sich gekrümmt, als suche farbensatt</div> - <div class="verse">ihr Leben eine kalte Ruhestatt</div> - <div class="verse">und rette sich aus halbverbrannten Wänden.</div> - <div class="verse">Doch eine andre ist so lichterloh</div> - <div class="verse">geöffnet, daß wie zwischen Feuerwiegen</div> - <div class="verse">die gelbgekrönte Samenpuppe prangt,</div> - <div class="verse">die nach der Blüte nicht zurückverlangt,</div> - <div class="verse">wenn alle Blätter abgefallen liegen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Das_Perlgewebe">Das Perlgewebe</h4> - -<p class="center">Von Ida Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich sitze dunkle Frau in meinem Zimmer,</div> - <div class="verse">stille, dunkle, große Frau.</div> - <div class="verse">Weiß ist das Zimmer, weit seine Wände;</div> - <div class="verse">weiß ist mein Kleid, mein Webstuhl weiß.</div> - <div class="verse">Und vor mir buntgehäuft ein Schatz Perlschnüre.</div> - <div class="verse">Was will ich dunkle Frau denn weben? — Mein Leben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weiß, weiß und golden sind die Farben meiner Jugend,</div> - <div class="verse">ein morgenblauer Himmel über mir.</div> - <div class="verse">Himmelschlüssel blühn auf unsern Wiesen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span> - <div class="verse">Viele kleine Blumen will ich weben,</div> - <div class="verse">zart ein glückliches Lachen dazwischen,</div> - <div class="verse">Alles leuchtet dem spielenden Kind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mutter starb. Die Farben werden blasser.</div> - <div class="verse">Dunkle Trauerzweige sprießen auf,</div> - <div class="verse">schwanke Linien aus flimmerndem Grund,</div> - <div class="verse">Thränen glitzern, Sehnsuchtsthränen.</div> - <div class="verse">Kind, ich große Frau möcht gern dich trösten;</div> - <div class="verse">sieh, ich setz ein funkelnd Sternlein über dich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und nun mischen sich die bunten Perlen:</div> - <div class="verse">stolz und heftig schießt ein Blutrot hoch</div> - <div class="verse">durch ein trotziges Gelb in schroffen Kanten,</div> - <div class="verse">hell im Kampf mit strengen grauen Mächten</div> - <div class="verse">bäumt die aufwärtsflammende Seele sich:</div> - <div class="verse">rot und golden sind die Farben dieser Jungfrau.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und aus Not und Gold paart sich ein Schrei nach Liebe.</div> - <div class="verse">Rosen blühn aus meinen Händen auf,</div> - <div class="verse">jeder Kelch voll Tau und Sonnentraum;</div> - <div class="verse">schwer in Büscheln rankt sich ein Klematisstrauch</div> - <div class="verse">um die Rosen lilasanft ins Blaue;</div> - <div class="verse">die Verheißung glüht aus allen Blüten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Erfüllung log. Nun wirren sich die Fäden.</div> - <div class="verse">Fahl und grell verschlingen sich die Schnüre.</div> - <div class="verse">Jeder Weg ein Irrweg, und kein Kreis geschlossen.</div> - <div class="verse">Zuchtlos drängt sich wildes Gestrüpp</div> - <div class="verse">über meine Wiesen, meinen Blumenteppich;</div> - <div class="verse">und der Stern der Mutter birgt sich hinter Nebeln.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da — ein klarer Klang: stark: eines Helden Ton.</div> - <div class="verse">Schwarz wie der Ursprung, golden wie das Licht,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span> - <div class="verse">und moosgrün wie der Wald, aus dem die ersten Menschen kamen.</div> - <div class="verse">Auch blau sein Himmel, aber mittagsblau;</div> - <div class="verse">auch rot sein Blut, doch nordlichtnächtig rot.</div> - <div class="verse">Und über Alles breitet sich sein Glanz.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O wie sich unsre Farben herrlich einen:</div> - <div class="verse">Leere wird Fülle, und sie strömt wie Quellen,</div> - <div class="verse">aus ihren Fluten steigt des Schöpfungstages Feste,</div> - <div class="verse">mein Stern strahlt durch des Weltbaums Blütenäste —</div> - <div class="verse">So kann ich meine Träume und mein Leben</div> - <div class="verse">zum Werk verwebt in Gottes Hände geben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Stoerung">Störung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wir gingen still im tiefen Schnee,</div> - <div class="verse">still mit unserm tiefen Glück,</div> - <div class="verse">gingen wie auf Blüten,</div> - <div class="verse">als die arme Alte</div> - <div class="verse">uns anbettelte.</div> - <div class="verse">Und du sahst wohl nicht,</div> - <div class="verse">als du ihr die Hände drücktest</div> - <div class="verse">und dich liebreich zu ihr bücktest,</div> - <div class="verse">wie durch ihr zerrissenes Schuhzeug</div> - <div class="verse">ihre aufgeborstnen</div> - <div class="verse">blauen Füße glühten.</div> - <div class="verse">Ja, ein Mensch geht barfuß</div> - <div class="verse">im eignen Blut durch Gottes Schnee,</div> - <div class="verse">und wir gehen auf Blüten.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Zukunft">Zukunft</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du reiche Frau, du edle Frau,</div> - <div class="verse">mit deiner Hoffnung unterm Herzen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> - <div class="verse">du möchtest jubeln und erschrickst;</div> - <div class="verse">ich sehe dich in deinen Schmerzen,</div> - <div class="verse">wie du beim Schein der Ambrakerzen</div> - <div class="verse">die seidne Wiegendecke stickst.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du zählst die Fäden, silbergrau</div> - <div class="verse">und schwarz und blutrot, und dir schweben</div> - <div class="verse">viel tausend Hände vor, die weben,</div> - <div class="verse">viel tausend graue Mutterhände,</div> - <div class="verse">die weben, weben ohne Ende;</div> - <div class="verse">ich seh dich, wie du grausig nickst</div> - <div class="verse">und dunkel durch dein Zimmer blickst.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und tausend Kinder siehst du stehen,</div> - <div class="verse">die still an einem Stricke drehen,</div> - <div class="verse">früh alt vor Hunger und Gebrest.</div> - <div class="verse">Und siehst die Väter sich erheben,</div> - <div class="verse">alle, die häßlich müssen leben,</div> - <div class="verse">damit es Schönheit könne geben,</div> - <div class="verse">sie stürmen dein geschmücktes Nest:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Madam! dies blutige Garn, wer spann es?!</div> - <div class="verse">Da würdest Du in Todeswehen</div> - <div class="verse">entzückt sein, könntest du dich sehen,</div> - <div class="verse">wie sich zum mörderischen Fest</div> - <div class="verse">die schmutzige Faust des Arbeitsmannes</div> - <div class="verse">um deine weiße Kehle preßt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Enthuellung">Enthüllung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du sollst nicht dulden, daß dein Schmerz dich knechte;</div> - <div class="verse">du bist so gern vor Freude wild.</div> - <div class="verse">Komm vor den Spiegel! — O, wie schwillt</div> - <div class="verse">dein düstres Haar, wie lebt dein Bild,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span> - <div class="verse">wie blüht dein Mund —: als wenn durch Nächte</div> - <div class="verse">der Blitze bläuliches Geflechte,</div> - <div class="verse">der Honigduft der roten Disteln quillt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dein weißes Kleid ist wie zum Hohne</div> - <div class="verse">mit türkischen Märchenblumen toll durchzackt.</div> - <div class="verse">Ich träume dich auf schwarzem Throne.</div> - <div class="verse">Du bist verschleiert bis zur Krone.</div> - <div class="verse">Doch wärst du keusch wie Magelone,</div> - <div class="verse">wir Träumer sehen alles nackt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gib her, gib her den Trauerschleier,</div> - <div class="verse">ich reiß ihn lachend dir entzwei!</div> - <div class="verse">Ich bin dein Einziger, dein Befreier,</div> - <div class="verse">dein Herr! — Was starrst du so ins Feuer,</div> - <div class="verse">so schmerzhaft? — O verzeih — verzeih —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Beschwoerung">Beschwörung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du bist nicht hier. Ich fühle schwer,</div> - <div class="verse">wie deine blasse Hand mich preßte;</div> - <div class="verse">und wie Todfeinde sind mir plötzlich</div> - <div class="verse">die lachenden Geburtstagsgäste.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Immer verdrehter wird das Fest,</div> - <div class="verse">die Blumen welken in den Kränzen.</div> - <div class="verse">Um meinen Bart sind die Gerüche</div> - <div class="verse">der Medizinen und Essenzen</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">von deinem Krankenbette her;</div> - <div class="verse">es ist vielleicht dein Sterbelager.</div> - <div class="verse">Ich seh dein glanzlos Haar daliegen</div> - <div class="verse">und dein Gesicht blutleer und mager.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O sieh nicht so die Bäume hoch,</div> - <div class="verse">warum sie mit den kahlen Zweigen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span> - <div class="verse">so starr und schwarz vor deinem Fenster</div> - <div class="verse">ins graue Himmelsdickicht zeigen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sieh tief in deine Nacht hinab!</div> - <div class="verse">da glänzt mein Bild mit Gottesfarben</div> - <div class="verse">und läuft vom Blute derer über,</div> - <div class="verse">die Dir zum Opfer in mir starben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O sieh, sieh, wie mein Blick dich tränkt</div> - <div class="verse">und meine Lippen nach dir beben</div> - <div class="verse">und meine Hände zu dir beten</div> - <div class="verse">und dich beschwören: bleib mir leben!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Aus_schwerer_Stunde">Aus schwerer Stunde</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich konnte nur noch lächeln;</div> - <div class="verse">ich war so traurig im Grunde,</div> - <div class="verse">daß meine eigne Stimme mir fremd klang.</div> - <div class="verse">Da traf mich Deine Stimme,</div> - <div class="verse">und ich konnte wieder lachen wie als Kind,</div> - <div class="verse">und einmal weinten wir vor Glück.</div> - <div class="verse">O, ich danke dir,</div> - <div class="verse">in dieser schlaflosen Nacht,</div> - <div class="verse">wo du fern von mir</div> - <div class="verse">zwischen Tod und Leben liegst.</div> - <div class="verse">Sieh, ich falte wie als Kind die Hände:</div> - <div class="verse">bleib mir, laß mich nicht allein,</div> - <div class="verse">ich habe Furcht bekommen</div> - <div class="verse">vor den einsamen Nächten.</div> - <div class="verse">Wenn du stürbest,</div> - <div class="verse">nein, ich würde nicht weinen,</div> - <div class="verse">meine Seele ist geübt im Trauern;</div> - <div class="verse">aber ich würde nie mehr lachen können.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span></p> - -<h4 id="Zuversicht">Zuversicht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hab dich selig gemacht,</div> - <div class="verse">mein Geliebter,</div> - <div class="verse">und du mich, du bist mein,</div> - <div class="verse">und darfst nicht bei mir sein</div> - <div class="verse">in meinen furchtbaren Schmerzen.</div> - <div class="verse">Bis in Mark und Bein</div> - <div class="verse">bin ich dein,</div> - <div class="verse">und darf nicht nach dir schrein</div> - <div class="verse">vor den Menschen,</div> - <div class="verse">wenn ich sterben muß</div> - <div class="verse">ohne deinen Kuß.</div> - <div class="verse">Nein nein nein,</div> - <div class="verse">Du hast mich selig gemacht!</div> - <div class="verse">Tag und Nacht</div> - <div class="verse">fühl ich mich an deinem Herzen</div> - <div class="verse">leben, das an <em class="gesperrt">mein</em> Herz schlug!</div> - <div class="verse">Ja, ich fühls, ich bleibe leben,</div> - <div class="verse">hab dir noch soviel zu geben,</div> - <div class="verse">all mein Leben,</div> - <div class="verse">gab dir nie, noch nie genug!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Gleichnis">Gleichnis</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es ist ein Brunnen, der heißt Leid;</div> - <div class="verse">draus fließt die lautre Seligkeit.</div> - <div class="verse">Doch wer nur in den Brunnen schaut,</div> - <div class="verse mleft4">den graut.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er sieht im tiefen Wasserschacht</div> - <div class="verse">sein lichtes Bild umrahmt von Nacht.</div> - <div class="verse">O trinke! da zerrinnt dein Bild:</div> - <div class="verse mleft4">Licht quillt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span></p> - -<h4 id="Weihnacht_im_Krankenhaus">Weihnacht im Krankenhaus</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schönen guten Abend, ihr im Leidensgewand;</div> - <div class="verse">neue frohe Botschaft hört aus Gnadenland!</div> - <div class="verse">Wir haben lang gesucht nach einem heilsamen Sterne,</div> - <div class="verse">bis er sich finden ließ in seiner nächtlichen Ferne.</div> - <div class="verse">Da haben wir ihm gewunken,</div> - <div class="verse">da ist er uns ans Herz gesunken.</div> - <div class="verse">Dann haben wir ihn festlich mit Liebe umwunden</div> - <div class="verse">und auf ein immergrünes Bäumlein gebunden.</div> - <div class="verse">Nun seht ihn! hier glänzt er, samt anderen Schätzen;</div> - <div class="verse">an denen mögt ihr euch später ergetzen.</div> - <div class="verse">Erst sollt ihr Mut schöpfen aus seinem Schimmer,</div> - <div class="verse">denn die Nacht ist lang, und dies Haus glänzt nicht immer.</div> - <div class="verse">Hier kämpft oft das Todesgrauen schwer</div> - <div class="verse">mit der Lebensröte um die Wiederkehr.</div> - <div class="verse">Hier suchen oft Seelen nach gnädigen Sternen</div> - <div class="verse">und finden nichts als lichtleere Fernen.</div> - <div class="verse">Hier strahlt jetzt, o Wunder, ein heiliger Baum</div> - <div class="verse">mitten im eisigen Weltenraum</div> - <div class="verse">und spiegelt sich</div> - <div class="verse">und euch und mich</div> - <div class="verse">im warm aufquellenden Tränentau</div> - <div class="verse">einer genesenden, lächelnden, liebenden Frau.</div> - <div class="verse">Die Mutter des Heils ist überall zugegen,</div> - <div class="verse">wo Menschen eine Hoffnung hegen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Lied_im_Winter">Lied im Winter</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Trüb sucht dein Blick: wann wird sie wieder blühn?</div> - <div class="verse">Die harte Erde läßt mit kaltem Schweigen</div> - <div class="verse">die Wipfel in den klaren Himmel zeigen</div> - <div class="verse">um die verschneite Bank im Wald,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span> - <div class="verse">auf der du einst ein Frühlingsglück umarmtest;</div> - <div class="verse">nun sprießt Reif an den starren Zweigen.</div> - <div class="verse">Dann willst du weitergehn den alten Gang,</div> - <div class="verse">da schluchzt ein Vogelherz, du weißt nicht wo,</div> - <div class="verse">die Stille klingt ihm nach: sie blüht, sie blüht!</div> - <div class="verse">Lichtblüten glitzern über allen Steigen!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Eva_und_der_Tod">Eva und der Tod</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Wintermorgen schien ein Frühlingsmärchen;</div> - <div class="verse">der Reif der Zweige sproß im Sonnenschein</div> - <div class="verse">zum blauen Himmel auf wie Blütenpärchen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Lüftchen, das sich hob und stumm verfing,</div> - <div class="verse">trieb Silberflocken von den hohen Ulmen</div> - <div class="verse">des langen Weges, den ich einsam ging.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hörte noch, daß fern ein Schlitten schellte;</div> - <div class="verse">dann wurde Schweigen auf dem schweren Schnee.</div> - <div class="verse">Ich schritt und sann, und fühlte nichts von Kälte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Denn gestern war mir ein geliebtes Wesen</div> - <div class="verse">nach heißer Seelennot und Leibesqualen</div> - <div class="verse">von einem Sohn, nicht meinem Sohn, genesen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und der das Kind von ihr entgegennahm,</div> - <div class="verse">empfing ein Pfand des Lebens, nicht der Liebe;</div> - <div class="verse">sie aber gab es mit zu später Scham.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich suchte tief nach trübem Dankesworte,</div> - <div class="verse">da sah ich fern am Ende meines Weges</div> - <div class="verse">auf einmal eine schwarze Gitterpforte.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span> - <div class="verse">Zu ihren Seiten dehnten sich zwei Mauern;</div> - <div class="verse">die waren überwipfelt von Cypressen.</div> - <div class="verse">Ihr starrer Wuchs bedrohte mich mit Schauern.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und aus der Pforte traten schwarz und groß</div> - <div class="verse">und langsam nach einander sieben Männer;</div> - <div class="verse">die kamen langsam, schweigsam auf mich los.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus fremdem Lande schienen sie zu sein,</div> - <div class="verse">so lange Mäntel, breite weiße Kragen.</div> - <div class="verse">Und plötzlich rief ich außer mir: Nein! Nein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Denn aus der Pforte trat da noch ein achter,</div> - <div class="verse">der war ganz dürr und größer als die andern,</div> - <div class="verse">und stand und nickte, sacht, und immer sachter.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und eisig lief es mir durch Blut und Bein:</div> - <div class="verse">die sieben wollen sich mein Liebstes holen.</div> - <div class="verse">Ich stand und bettelte und bebte: Nein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und seh durch Tränen, wie die schwarzen Schemen</div> - <div class="verse">den Sonnenschein verdunkeln und den Schnee,</div> - <div class="verse">und glaube fern ein Lachen zu vernehmen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und als ich mir die Augen mühsam reibe,</div> - <div class="verse">steht hoch ein nacktes Weib vor jenem Gitter,</div> - <div class="verse">mit schwarzem Haar und Blick und braunem Leibe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und lacht ganz hell und winkt dem dürren Mann</div> - <div class="verse">und hebt im andern Arm ein zappelnd Kindchen</div> - <div class="verse">und sieht mich fernher lebensselig an.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O dieses Blickes Herrlichkeit und Hohn!</div> - <div class="verse">Nur Einer hatte das wie ich empfunden:</div> - <div class="verse">der Trotzigste der Dichter: Liliencron!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span> - <div class="verse">Ich seh den Dürren ihr entgegenstelzen:</div> - <div class="verse">er bückt sich — widerwillig — er verschwindet —</div> - <div class="verse">zu ihren Füßen scheint der Schnee zu schmelzen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die ganze Landschaft schmilzt; das kleine Kind</div> - <div class="verse">schwimmt riesengroß aus sieben schwarzen Strudeln</div> - <div class="verse">und lacht — lacht — lacht mich aus. Was! War ich blind?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich selber lache! meine Wimpern tropfen;</div> - <div class="verse">die sieben sind ja nichts als Leichenträger,</div> - <div class="verse">die sonst Schuh sticken oder Hosen stopfen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und jenes Weib, das ist ja nur die Frau</div> - <div class="verse">des Totengräbers, und ihr brauner Kittel</div> - <div class="verse">ist keine Haut, ich seh es ganz genau!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du aber lebst mir, und der Himmel blaut,</div> - <div class="verse">und bald ist Frühling, und du wirst mich küssen</div> - <div class="verse">trotz deines Sohns, du meine braune Braut!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Verhoer">Verhör</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du liegst sehr blaß in deinen weißen Kissen,</div> - <div class="verse">und deine matten Lippen sind zerbissen;</div> - <div class="verse">hattest du sehr viel Schmerz? —</div> - <div class="verse">„Ich weiß nicht mehr.“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du siehst sehr träumerisch zur Zimmerdecke,</div> - <div class="verse">sieh nach dem Bettchen drüben in der Ecke:</div> - <div class="verse">liebst du dein Kindchen sehr? —</div> - <div class="verse">„Ich weiß noch nicht.“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schriebst du zuweilen, wenn die Wehen kamen,</div> - <div class="verse">mit deinen irren Fingern meinen Namen</div> - <div class="verse">auf deine Bettdecke? —</div> - <div class="verse">„Du weißt es ja.“</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span> - <div class="verse">Kannst du noch immer, ohne hinzudenken,</div> - <div class="verse">dein Kind und seinen Vater ruchlos kränken</div> - <div class="verse">und mit mir selig sein? —</div> - <div class="verse">„Weißt du das nicht?“</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Zur_Genesung">Zur Genesung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Steh auf, steh auf vom Meeresschooß!</div> - <div class="verse">guten Morgen!</div> - <div class="verse">ich will dich selig machen!</div> - <div class="verse">Hörst du die Walfische lachen?</div> - <div class="verse">hörst du das Weltkonzert schallen?</div> - <div class="verse">Komm, kletter auf die Korallen:</div> - <div class="verse">kuck, alle Engel sind los!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jetzt: hopp, einen kleinen Luftsprung!</div> - <div class="verse">Auf doch!</div> - <div class="verse">Guten Morgen!</div> - <div class="verse">Hüh, meine Flügeldelphine:</div> - <div class="verse">hoch, hoch, hoch, Aphrodite:</div> - <div class="verse">in Abrahams Schooß!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ach du, <em class="gesperrt">hilf</em> mir doch lachen,</div> - <div class="verse">bitte bitte,</div> - <div class="verse">und guten Morgen und Unsinn machen!</div> - <div class="verse">Denn du lagst sehr bleich, du schlechtes Weib,</div> - <div class="verse">als du vom Meergott träumtest</div> - <div class="verse">und meine Arme wie Seeschlangen zäumtest;</div> - <div class="verse">das darfst du nie wieder machen,</div> - <div class="verse">hörst du, nie wieder!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Denn ich will dich ja selig machen,</div> - <div class="verse">ja, du: seeelig! über und über!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span> - <div class="verse">Und darum verbitt ich mir solche Sachen;</div> - <div class="verse">hörst du!</div> - <div class="verse">Denn dazu tut Uns Beiden kein Fieber</div> - <div class="verse">mit Himmelsträumen etcetera not,</div> - <div class="verse">denn du bist mir zehntausendmal lieber</div> - <div class="verse">als der liebste liebe Gott!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Also: Auf jetzt! O Gottes Wunder:</div> - <div class="verse">hör doch die Vögel, wie die lachen:</div> - <div class="verse">jeden Tag wird sie gesunder,</div> - <div class="verse">und Vater Abraham ist tot!</div> - <div class="verse">Ja: das ist <em class="gesperrt">mein</em> Schooß,</div> - <div class="verse">und das ist <em class="gesperrt">dein</em> Schooß,</div> - <div class="verse">und der Mensch will selig werden auf Erden —</div> - <div class="verse">weißt du noch, wie man das machen muß?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Auf! — O Liebste! — O guten Morgen:</div> - <div class="verse">sieh mal, da blüht schon bald der Flieder!</div> - <div class="verse">Ach, weißt du noch? Ja, blick nur nieder:</div> - <div class="verse">bald blühst du auch und tust mir wieder</div> - <div class="verse">— endlich wieder —</div> - <div class="verse">den Himmel auf! o Götterkuß!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Schneeflocken">Schneeflocken</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gnädige Frau, es schneit, es schneit!</div> - <div class="verse">Tragen Sie heut Ihr weißes Kleid?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gnädige Frau, hier in der Ferne</div> - <div class="verse">schneits bei helllichtem Tage Sterne.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und diese Sterne flimmern genau</div> - <div class="verse">wie die Zähne der gnädigen Frau.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span> - <div class="verse">Oder wie Blüten von weißem Flieder,</div> - <div class="verse">gnädige Frau, an Dero Mieder.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Oder die Blicke des Herrn Gemahls</div> - <div class="verse">am Tage Ihres Hochzeitsballs.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nein, sie flimmern, ich kann mir nit helfen,</div> - <div class="verse">gnädige Frau, wie tanzende Elfen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hänseln jeglichen Parapluie;</div> - <div class="verse">will man sie fassen, <em class="gesperrt">zer</em>flimmern sie.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Flimmern in Wirbeln, flimmern in Bildern,</div> - <div class="verse">die sind wirklich nit zu schildern.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gnädige Frau, so wild, so mild</div> - <div class="verse">wie ein opalisch flimmerndes Bild.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und, ach Gnädigste, diese Sterne</div> - <div class="verse">tanzen auf manchermanns Nase gerne.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und auf solchermanns Nase, gnädige Frau,</div> - <div class="verse">zertanzen sie zu Tränentau.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zertanzen flink wie kichernde Lieder:</div> - <div class="verse">morgen, morgen tanzen wir wieder!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gnädige Frau, leb wohl! Schluß, Kuß!</div> - <div class="verse">Frechheit — aber wer muß, der muß.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Orientalisches_Potpourri">Orientalisches Potpourri</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gestern Nachmittag, meine braune Geliebte,</div> - <div class="verse">die du nach Ruhm begehrst vor allen Frauen</div> - <div class="verse">deines Volkes, saß ich in einem Treibhaus,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span> - <div class="verse">und von allen Palmen und andern Gewächsen</div> - <div class="verse">flogen mir neue Gedichte zu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier ist eins von einem Agavenwildling:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Geliebte!</div> - <div class="verse">Grau in staubiger Wüste</div> - <div class="verse">stand mein dorniges Blattwerk</div> - <div class="verse">jahrlang mit durstig schwellendem Fleisch.</div> - <div class="verse">Plötzlich schoß über Nacht</div> - <div class="verse">ein steiler Schaft, knospengekrönt,</div> - <div class="verse">aus dem staubgrauen Schooß</div> - <div class="verse">in die feurige Morgenluft.</div> - <div class="verse">Schick mir zu Mittag, Geliebte,</div> - <div class="verse">deine tausend durstigen braunen Bienen:</div> - <div class="verse">viertausend goldgelbe Blütenglöckchen</div> - <div class="verse">haben sich aufgetan und triefen,</div> - <div class="verse">triefen, triefen von Honigsaft.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Oder eins von einer verschulten Musa:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Geliebte!</div> - <div class="verse">Wen mit deinen üppig langen</div> - <div class="verse">Blättern willst du denn umfangen,</div> - <div class="verse">die du überreichlich treibst?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fühlst du nicht den Abend glühen?</div> - <div class="verse">Wenn du ohne Blüte bleibst,</div> - <div class="verse">Schönste, kannst du nie verblühen,</div> - <div class="verse">Ärmste, nie mit Früchten prangen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Oder von einer seltnen Wasserviole:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Geliebte!</div> - <div class="verse">Mondblau steht mein Kahn,</div> - <div class="verse">himmeltief der See;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span> - <div class="verse">fern beim hellen Uferschilf</div> - <div class="verse">ziehn zwei weiße Enten</div> - <div class="verse">ihre Bahn.</div> - <div class="verse">Sehnsüchtig und rot</div> - <div class="verse">spiegelt sich mein Mund:</div> - <div class="verse">tauche auf, Geliebte, Dunkle,</div> - <div class="verse">aus dem blauen Grund,</div> - <div class="verse">hol mich in den Himmel!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Oder von einem gewöhnlichen Igelkaktus:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Geliebte!</div> - <div class="verse">Ich bin so rund wie die Erde,</div> - <div class="verse">mein Fleisch hat Heilkraft,</div> - <div class="verse">und meine Blume ist zum Küssen schön.</div> - <div class="verse">Aber hebe mich nicht aus meinem Erdreich:</div> - <div class="verse">mein Fleisch hat Stacheln,</div> - <div class="verse">und leicht entroll ich deiner Hand.</div> - <div class="verse">Willst du mich küssen,</div> - <div class="verse">bitte, knie nieder!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Solche Gedichte, meine braune Geliebte,</div> - <div class="verse">könnt ich dir noch viertausend und einige dichten</div> - <div class="verse">an Einem Nachmittag;</div> - <div class="verse">und die würden meine vielen verehrten</div> - <div class="verse">neuen deutschen und neuesten jüdischdeutschen</div> - <div class="verse">lyrischen Brüder sicher furchtbar rühmen —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber du bist mir zu lieb dazu ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Jesus_bettelt">Jesus bettelt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schenk mir deinen goldnen Kamm;</div> - <div class="verse">jeder Morgen soll dich mahnen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span> - <div class="verse">daß du mir die Haare küßtest.</div> - <div class="verse">Schenk mir deinen seidnen Schwamm;</div> - <div class="verse">jeden Abend will ich ahnen,</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">wem</em> du dich im Bade rüstest —</div> - <div class="verse">oh, Maria!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schenk mir Alles, was du hast;</div> - <div class="verse">meine Seele ist nicht eitel,</div> - <div class="verse">stolz empfang ich deinen Segen.</div> - <div class="verse">Schenk mir deine schwerste Last:</div> - <div class="verse">willst du nicht auf meinen Scheitel</div> - <div class="verse">auch dein Herz, dein Herz noch legen —</div> - <div class="verse">Magdalena?</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Benedeiung">Benedeiung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gestern hobst du verzweifelt die Hände,</div> - <div class="verse">deiner heiligen Namenschwester gleich,</div> - <div class="verse">als ihr ein Schwert durch die Seele ging.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Heute breit’ich entzückt die Arme,</div> - <div class="verse">allen Heiligen mich vergleichend,</div> - <div class="verse">weil mir Dein Schwert durch die Seele ging.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Neige dich zu mir, Maria,</div> - <div class="verse">laß uns lauschen,</div> - <div class="verse">wie die himmlischen Heerschaaren über uns jubeln!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Erfuellung">Erfüllung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Daß du auch an Meinem Herzen,</div> - <div class="verse">Herz, nur neue Sehnsucht fühlst</div> - <div class="verse">und dich in die Menschenschmerzen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span> - <div class="verse">schmerzlicher als je verwühlst:</div> - <div class="verse">ist das nicht Erfüllung, du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn die Erde schmilzt vom Eise,</div> - <div class="verse">daß die Luft nach Frühling schmeckt,</div> - <div class="verse">und in immer neuer Weise</div> - <div class="verse">wild ihr Grün zum Himmel reckt:</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">ist</em> das nicht Erfüllung, du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn wir dann noch Ostern feiern,</div> - <div class="verse">weil ein Mensch sein Leben ließ,</div> - <div class="verse">der den Frevlern wie Kasteiern</div> - <div class="verse">gleiche Seligkeit verhieß:</div> - <div class="verse">ist das <em class="gesperrt">nicht</em> Erfüllung, du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Laß die tragische Geberde,</div> - <div class="verse">sei wie Gott, du bist es schon:</div> - <div class="verse">jedes Weib ist Mutter Erde,</div> - <div class="verse">jeder Mann ist Gottessohn,</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">Alles</em> ist Erfüllung, du!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Heilandswort">Heilandswort</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich trat in ein Haus,</div> - <div class="verse">da gingen viel Sünder ein und aus,</div> - <div class="verse">aber auf einer grauen Wand</div> - <div class="verse">und mit leuchtenden Lettern stand:</div> - <div class="verse mleft5">Nur selig!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich sah eine Menschengestalt,</div> - <div class="verse">mit Leidenszügen mannigfalt,</div> - <div class="verse">aber im Gruß der blassen Hand</div> - <div class="verse">und im Lichte der Augen stand:</div> - <div class="verse mleft5">Nur selig!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span> - <div class="verse">Ich ging bald fort,</div> - <div class="verse">durch einen trüben, armseligen Ort,</div> - <div class="verse">aber über dem ganzen Land</div> - <div class="verse">und mit leuchtenden Lettern stand:</div> - <div class="verse mleft5">Nur selig!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Zwischen_Ostern_und_Pfingsten">Zwischen Ostern und Pfingsten</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und jeden Abend kannst du so aufatmen:</div> - <div class="verse">du horchst ins Dorf hin, was die Glocken wollen,</div> - <div class="verse">du gehst ins Freie,</div> - <div class="verse">der Rauch der Hütten umarmt die Eichenkronen:</div> - <div class="verse">auf, Seele, auf!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann raunt dir frühlingsheimlich ein Echohauch</div> - <div class="verse">unter den knospenvollen Wipfeln zu:</div> - <div class="verse">ins Freie auf — so frei ins Freie,</div> - <div class="verse">wie dort der Vater mit seinem Kindchen Ball spielt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und über dir, lichtgrün im Blauen,</div> - <div class="verse">spielt eine Birke</div> - <div class="verse">mit einem strahlend blühenden Ahorn Braut.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Die_Gluecklichen">Die Glücklichen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun will ich mir die Locken</div> - <div class="verse">mit Birkenlaub behängen;</div> - <div class="verse">der Frühling sitzt am Wocken,</div> - <div class="verse">von dem er mit Gesängen</div> - <div class="verse">um meine Wildnis grüne Schleier spinnt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und du auf deinem Throne</div> - <div class="verse">im Astwerk unsrer Linde,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span> - <div class="verse">beglänzt mit deinem Sohne</div> - <div class="verse">vom goldnen Mittagswinde,</div> - <div class="verse">bist meine Jungfrau mit dem Wunderkind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Lamm mit weißem Felle</div> - <div class="verse">auf unserm Wiesenlande,</div> - <div class="verse">mit einer Silberschelle</div> - <div class="verse">und blauem Seidenbande,</div> - <div class="verse">bringt uns zum Lachen, wenn wir traurig sind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So würden wir uns gerne</div> - <div class="verse">mit aller Welt vertragen,</div> - <div class="verse">nicht Sonne, Mond noch Sterne</div> - <div class="verse">um unser Glück befragen,</div> - <div class="verse">doch — manchmal haben wir kein Brot im Spind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Drum stehn im jungen Schilfe</div> - <div class="verse">mit aufgesperrter Miene,</div> - <div class="verse">als schnappten sie nach Hilfe,</div> - <div class="verse">zwei steinerne Delphine</div> - <div class="verse">am Wasser, das um unsre Insel rinnt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Erhebung">Erhebung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gieb mir nur die Hand,</div> - <div class="verse">nur den Finger, dann</div> - <div class="verse">seh ich diesen ganzen Erdkreis</div> - <div class="verse">als mein Eigen an!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O, wie blüht mein Land!</div> - <div class="verse">Sieh dir’s doch nur an,</div> - <div class="verse">daß es <em class="gesperrt">mit</em> uns über die Wolken</div> - <div class="verse">in die Sonne kann!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span></p> - -<h4 id="Hochsommerlied">Hochsommerlied</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Golden streift der Sommer meine Heimat,</div> - <div class="verse">brotwarm schwillt das hohe reife Korn,</div> - <div class="verse">wie in meiner goldnen Kinderzeit;</div> - <div class="verse">habe Dank, geliebte Erde!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schwalben rufen mich hinauf ins Blaue,</div> - <div class="verse">weiße Wolken türmen Glanz auf Glanz,</div> - <div class="verse">wie in meiner blauen Jünglingszeit;</div> - <div class="verse">habe Dank, geliebte Sonne!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Mit_heiligem_Geist">Mit heiligem Geist</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Liebe Mutter! mir träumte heute</div> - <div class="verse">von der Insel der seligen Leute.</div> - <div class="verse">Da saß auf einem Hügel der Au</div> - <div class="verse">eine nackte gekrönte Frau;</div> - <div class="verse">in ihrem Herzen stak ein Schwert,</div> - <div class="verse">aber sie lachte unversehrt.</div> - <div class="verse">Denn neben ihrem natürlichen Thron</div> - <div class="verse">stand ihr lieber großer Sohn;</div> - <div class="verse">in seinen Fingern, voll Sonnenglanz,</div> - <div class="verse">hing ein blutiger Dornenkranz.</div> - <div class="verse">Der begann sich mit grünen Spieren</div> - <div class="verse">und raschen Blüten zu verzieren;</div> - <div class="verse">und umringt von den seligen Leuten,</div> - <div class="verse">die sich an dem Wunder freuten,</div> - <div class="verse">suchte mir Er die Blumen aus</div> - <div class="verse">zu einem leuchtenden Osterstrauß.</div> - <div class="verse">Den umflocht er mit blauem Bande</div> - <div class="verse">von seiner Mutter früherm Gewande</div> - <div class="verse">und gab ihn mir und sprach dazu:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span> - <div class="verse">Sag Deiner lieben Mutter du,</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">weil ihr auf Erden niemals wißt,</em></div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">wann die Zeit erfüllet ist,</em></div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">sollt ihr immer glauben und hoffen,</em></div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">der Tag sei endlich eingetroffen</em>.</div> - <div class="verse">Und bis einst jedes Weib gewinnt</div> - <div class="verse">den rechten Vater für ihr Kind,</div> - <div class="verse">soll jede Irrende die Treue</div> - <div class="verse">dem falschen brechen ohne Reue,</div> - <div class="verse">soll ihre Sehnsucht nicht verfluchen,</div> - <div class="verse">ihren Qualen den Heiland suchen</div> - <div class="verse">und seinen liebenden Gewalten</div> - <div class="verse">Leib wie Seele empfänglich halten.</div> - <div class="verse">Wenn das mit heiligem Geist geschehn,</div> - <div class="verse">wird sie die Heimsuchung bestehn,</div> - <div class="verse">wie meine Mutter sie bestand,</div> - <div class="verse">beseligt im Gelobten Land.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Boeser_Traum">Böser Traum</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was kannst du gegen Träume, Mensch, die tückisch</div> - <div class="verse">selbst auch den Männlichsten, mit Engelshänden</div> - <div class="verse">oder mit Teufelsfäusten, in den Himmel</div> - <div class="verse">samt Hölle seines Kinderglaubens führen?</div> - <div class="verse">In solchem Traum erschien mir heute Nacht</div> - <div class="verse">der böse Feind und sah mich furchtbar an.</div> - <div class="verse">Er hatte das Gesicht von einem Freunde,</div> - <div class="verse">dem ich sein Weib in aller Freundschaft nahm,</div> - <div class="verse">und setzte auf mein wehrlos Herz ein Messer</div> - <div class="verse">und sprach — nein, was er sprach, vergaß ich schon.</div> - <div class="verse">Er sah mit Wollust, wie die rostige Spitze</div> - <div class="verse">auf meiner Haut im Takte meiner Pulse</div> - <div class="verse">sich hob und senkte, sah mich gierig an.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span> - <div class="verse">Ich aber bohrte meine blauen Augen</div> - <div class="verse">in seine braunen tief empor und sagte:</div> - <div class="verse">Wenn du mich kenntest, zögertest du nicht.</div> - <div class="verse">Und als sein Blick ineins mit meinem sank</div> - <div class="verse">und bläulich wurde, dacht ich: Wärst du nicht</div> - <div class="verse">der böse Feind, so müßtest du mich lieben,</div> - <div class="verse">ich habe dich von einer Last erlöst.</div> - <div class="verse">Was ich dir nahm, ist niemals dein gewesen;</div> - <div class="verse">was du mir nehmen kannst, war niemals mein.</div> - <div class="verse">Drum, wenn du mußt, so töte mich! mein Tod</div> - <div class="verse">wird dir viel weher tun als je mein Leben,</div> - <div class="verse">das Keinem weher tat als Mir — „Wach auf!“ —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Leiser_Besuch">Leiser Besuch</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Eine treue Seele lag</div> - <div class="verse">still zuhaus mit krankem Leibe;</div> - <div class="verse">zwischen ihren Fingern staken</div> - <div class="verse">zwei drei blühende Weidenzweige,</div> - <div class="verse">und die Sonne schien aufs Bett.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zögernd rührte sich die Hand,</div> - <div class="verse">tastete nach meinem Haupt;</div> - <div class="verse">aus den sanften Blütenfasern</div> - <div class="verse">fiel der gelbe Samenstaub,</div> - <div class="verse">wie am Morgen unsrer Liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Trat ein Mädchen blaß herein,</div> - <div class="verse">brachte eine blasse Rose,</div> - <div class="verse">legte die gebeugte Blume</div> - <div class="verse">nieder neben meinem Schooße,</div> - <div class="verse">wie zum Abend unsrer Liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> - <div class="verse">Folgte eine hohe Frau;</div> - <div class="verse">rot von Nelken eingefaßt</div> - <div class="verse">duftete in ihrem Arme</div> - <div class="verse">goldgelb eine Ananas,</div> - <div class="verse">wie der Mittag unsrer Liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und die treue Seele sprach:</div> - <div class="verse">Sieh, aus allen Himmelsstrichen</div> - <div class="verse">bringt mir heute deine Liebe</div> - <div class="verse">Frucht und Blüten und Gerüche.</div> - <div class="verse">Und ihr stiller Ausblick stach</div> - <div class="verse">uns ins Herz.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Strauss">Der Strauß</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun nimm drei weiße Nelken du,</div> - <div class="verse">mein Weib. Und du, Geliebte, nimm</div> - <div class="verse">diese drei roten noch dazu.</div> - <div class="verse">Und in die nickenden Nelken tu</div> - <div class="verse">ich eine dunkelgelbe Rose.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Seht: ist es nicht ein lockender Strauß,</div> - <div class="verse">ganz Eins aus diesem schwarzen Tuch?</div> - <div class="verse">Und sieht so farbenfriedsam aus.</div> - <div class="verse">Und nur von doppeltem Geruch:</div> - <div class="verse">die je drei Nelken und die Rose.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nein, laßt! entzweit den Stengelbund</div> - <div class="verse">nicht! laßt! Sonst scheint so kalt und tot</div> - <div class="verse">blos Gelb zu Weiß, und glüht so heiß</div> - <div class="verse">und brennt so wild blos Gelb zu Rot;</div> - <div class="verse">dann, ja, dann hass ich wohl die Nelken!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span> - <div class="verse">Dann hass ich wild das zahme Weiß</div> - <div class="verse">und hasse kalt die rote Glut,</div> - <div class="verse">wohl bis zur Mordlust! Ja, es tut</div> - <div class="verse">mir weh, daß von Geruch und Blut</div> - <div class="verse">so reizend gleich sind alle Nelken!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was willst du so entsetzt? Nein, bleib,</div> - <div class="verse">Geliebte, nimm, still seh ich zu:</div> - <div class="verse">nimm jetzt die weißen Nelken Du!</div> - <div class="verse">und die drei roten Du, mein Weib!</div> - <div class="verse">und ich die dunkelgelbe Rose.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Finale">Finale</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da hast du dich von meiner Brust gelöst.</div> - <div class="verse">Doch als ich fürchtete, das Fest sei aus,</div> - <div class="verse">hobst du mir meinen Kranz auf,</div> - <div class="verse">meinen Kranz auf.</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span></p> - -<h3 id="Vierter_Teil">Vierter Teil</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Einsiedler_Schmetterling_und_Tempelherr">Einsiedler, Schmetterling -und Tempelherr</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du weißt, Poet — begann der Tempelherr</div> - <div class="verse">und lächelte durch seinen weißen Bart —</div> - <div class="verse">ich las sie auf vom Weg, die jetzt mein Weib ist.</div> - <div class="verse">Und daß sie, wider Sitte und Gesetz</div> - <div class="verse">des Ordens, mitging nach Jerusalem</div> - <div class="verse">und nicht den Weg zurückging, den sie kam,</div> - <div class="verse">— ich selber hieß sie mitgehn —: das ging <em class="gesperrt">so</em> zu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wir trugen schon das Abschiedswort im Sinn,</div> - <div class="verse">es war an einem heißen Frühlingstag,</div> - <div class="verse">schier blendend flimmerte das junge Gras,</div> - <div class="verse">und die Gefallne ließ es still geschehen,</div> - <div class="verse">daß ich mit ihr den Pfad vom Schloß zum Ufer,</div> - <div class="verse">wo andern Tags das Schiff anlegen sollte,</div> - <div class="verse">gleichsam zur Herzensübung niederstieg.</div> - <div class="verse">Der Pfad bog sehr abschüssig hin und her;</div> - <div class="verse">ich brauchte sie, die stets wie ich gewillt war</div> - <div class="verse">— ihr Herzschlag geht dem meinen völlig gleich —</div> - <div class="verse">kaum mit der Hand zu stützen, so gefaßt</div> - <div class="verse">vermied sie jeden lockern Stein im Gras,</div> - <div class="verse">als sie auf einmal fest um meinen Arm griff.</div> - <div class="verse">Dicht vor uns sonnte sich, beinah berührt</div> - <div class="verse">von meinem Schuh, auf einem Blütenkelch</div> - <div class="verse">des gelben Löwenzahns, ein saugender</div> - <div class="verse">ganz trunkner Schmetterling, ein Trauermantel.</div> - <div class="verse">Nun flog er taumelnd weg, zum nächsten Kelch,</div> - <div class="verse">dicht vor uns her, wir sahn ihn weitersaugen,</div> - <div class="verse">kaum atmend beide, wenn die bleichgesäumten</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span> - <div class="verse">tiefschwarzen Flügel vor Entzücken zuckten,</div> - <div class="verse">und immer weiter so, von Kelch zu Kelch,</div> - <div class="verse">dicht immer vor uns her den Pfad hinab,</div> - <div class="verse">fast bis zum Fluß; da krigte ihn der Wind</div> - <div class="verse">und blies ihn fort, wir blieben stehn im Wind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und plötzlich sieht, durch diesen Schmetterling</div> - <div class="verse">mir vorgerückt, vor meinem innern Blick</div> - <div class="verse">ein jahrelang vergessner Tag: ein Herbsttag.</div> - <div class="verse">Ich bin bei einem Freund, Einsiedler ist er;</div> - <div class="verse">er war’s — man wußte nicht warum — geworden,</div> - <div class="verse">an Jahren konnt er gut mein Vater sein.</div> - <div class="verse">Wir sind verloren in Gedanken; draußen</div> - <div class="verse">zerzaust der Bergwind seinen Blumengarten.</div> - <div class="verse">Er macht sein Bett, ein seltsam ungeschlachtes,</div> - <div class="verse">nach Bauernart bemaltes Ehebett;</div> - <div class="verse">da klopft es an die Tür. Er geht und öffnet;</div> - <div class="verse">und vor der Klause steht, bei seinen Blumen,</div> - <div class="verse">zerzaust wie sie, in schlechter schwarzer Tracht,</div> - <div class="verse">ein altes Weiblein, elend, scheu, verkommen,</div> - <div class="verse">das blickt ihn bettelnd an. Ich seh ihn noch:</div> - <div class="verse">auf seine große Stirne treten Flecken</div> - <div class="verse">wie von Faustschlägen, seine Finger beben,</div> - <div class="verse">die guten blauen Augen glänzen grausig,</div> - <div class="verse">er sagt: geh weg! ich kenne dich nicht mehr.</div> - <div class="verse">Er will die Tür zudrücken, sie versperrt sie:</div> - <div class="verse">Ich hab nur Dich geliebet! bettelt sie.</div> - <div class="verse">Er tritt zurück, die rote Stirn wird blaß,</div> - <div class="verse">die Augen kalt, er sagt: geh weg, du lügst.</div> - <div class="verse">Sie schleppt sich nach: Verzeih mir! bettelt sie.</div> - <div class="verse">Er sagt noch kälter: ich verzeih dir, geh.</div> - <div class="verse">Da faßt sie seine Hand, und wieder fliegt</div> - <div class="verse">der grauenhafte Glanz durch seine Augen —</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> - <div class="verse">Du hast mich nit verstanden, Meiner! fleht sie:</div> - <div class="verse">ich war — Doch eh sie enden kann, erbebt</div> - <div class="verse">der ganze breite Mann: Verstanden? schreit er</div> - <div class="verse">und hebt die Faust, ich will zuspringen, da:</div> - <div class="verse">laut schluchzend, Blut ausschluchzend vor ihn hin</div> - <div class="verse">knickt sie zusammen, schluchzt sie auf zu ihm:</div> - <div class="verse">ich war ein armer Schmetterling im Wind! —</div> - <div class="verse">Da hat er sich mit mir gebückt zu ihr</div> - <div class="verse">und nahm das alte Weiblein an sein Herz</div> - <div class="verse">und trug sie weinend in ihr altes Bett;</div> - <div class="verse">drin ist sie lächelnd andern Tags verstorben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun weißt du — endete der Tempelherr</div> - <div class="verse">und lächelte durch seinen weißen Bart —</div> - <div class="verse">warum, Poet, trotz Sitte und Gesetz</div> - <div class="verse">des Ordens, sie, die jetzt mein Weib ist, nicht</div> - <div class="verse">den Weg zurückging, den sie zu mir kam.</div> - <div class="verse">Ich sagte ihr am Morgen meiner Abfahrt,</div> - <div class="verse">was mir in jenem stillen Augenblick,</div> - <div class="verse">als wir am Fluß im Wind beisammenstanden</div> - <div class="verse">— sie hatte mich mit keinem Hauch gestört,</div> - <div class="verse">ihr Atem geht dem meinen völlig gleich —</div> - <div class="verse">vor meinem innern Blick gestanden hatte,</div> - <div class="verse">und hieß sie mitgehn nach Jerusalem.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Verbannte">Der Verbannte</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch die fremde Stadt</div> - <div class="verse">geht mir eisig der Wind nach,</div> - <div class="verse">der die Birken bewegte,</div> - <div class="verse">der die Schneeglöckchen schüttelte,</div> - <div class="verse">als ich die Heimat verließ.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span> - <div class="verse">Durch die fremde Stadt</div> - <div class="verse">kommt mir sonnig ein Bild entgegen:</div> - <div class="verse">eine Mutter mit ihren Kindern,</div> - <div class="verse">die vor Frühlingsfreude glühn.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Unterwegs">Unterwegs</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vor meinem Lager liegt der helle</div> - <div class="verse">Mondschein auf der Diele.</div> - <div class="verse">Mir war, als fiele</div> - <div class="verse">auf die Schwelle</div> - <div class="verse">das Frühlicht schon;</div> - <div class="verse">mein Auge zweifelt noch.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ich hebe mein Haupt und sehe,</div> - <div class="verse">sehe den fremden Mond</div> - <div class="verse">in seiner Höhe</div> - <div class="verse">glänzen. Und ich senke,</div> - <div class="verse">senke mein Haupt und denke</div> - <div class="verse">an meine Heimat.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Heimatgruss">Heimatgruß</h4> - -<p class="center">an Hans Thoma zu seinem 60. Geburtstag</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wo die Heimat liegt,</div> - <div class="verse">das ist mir erst aufgegangen</div> - <div class="verse">im fremden Land.</div> - <div class="verse">O, mit welchem Bangen</div> - <div class="verse">schaue ich manchmal vom Fenster herunter</div> - <div class="verse">durch die enge Hafengasse</div> - <div class="verse">wie von einer Festungsterrasse</div> - <div class="verse">auf den kahlen Inselrand</div> - <div class="verse">da mitten in dem grauen Fluß!</div> - <div class="verse">Doch geht die Sonne unter,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span> - <div class="verse">dann steigen durch den Rauch und Ruß</div> - <div class="verse">der lauten Dampfschiffe und dunkeln Schornsteine</div> - <div class="verse">die Nebel wie reine Geister;</div> - <div class="verse">und immer mahnt mich das an Deine</div> - <div class="verse">Insel, Hans Thoma,</div> - <div class="verse">du heimatseliger Meister.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">An die Insel, die du gemalt hast</div> - <div class="verse">— wie du mir selbst erzählt hast — aus Heimweh,</div> - <div class="verse">wo hold und heiter, ohne Heimweh,</div> - <div class="verse">unter den schlanken, gen Himmel breiten,</div> - <div class="verse">stillen Bäumen Deines Landes</div> - <div class="verse">Frauen und Männer schlichten Gewandes</div> - <div class="verse">in Eintracht mit stolzen Tieren schreiten,</div> - <div class="verse">geweihten Hirschen, frei laufenden Pferden,</div> - <div class="verse">und rings mit sorglosen Geberden</div> - <div class="verse">schaukeln auf den wirbelnden Wogen</div> - <div class="verse">Liebespaare, von Schwänen gezogen —</div> - <div class="verse">wirklich, dann glaub ich, so muß es wohl sein</div> - <div class="verse">auf deiner Insel bei Frankfurt am Main,</div> - <div class="verse">oder wo sonst deine Heimat liegt;</div> - <div class="verse">denn daß der Schwarzwald dich großgewiegt,</div> - <div class="verse">das ist mir nicht immer gleich im Klaren,</div> - <div class="verse">denn auf einmal liegt dann zwischen den Stämmen</div> - <div class="verse">meine eigne Heimat, der Wald von Kremmen,</div> - <div class="verse">und ich schaue auf Wiesen, worüber sich fern</div> - <div class="verse">im Nebel Himmel und Erde paaren,</div> - <div class="verse">und suche kindlich den höchsten Stern —</div> - <div class="verse">bis mich das Heulen der Hafensirenen</div> - <div class="verse">aufstört aus meinem Sinnen und Sehnen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch Einmal, ja, da <em class="gesperrt">sah</em> ich den Stern:</div> - <div class="verse">— noch war in der Luft kein Rauch und Lärm,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span> - <div class="verse">die Morgenröte küßte den Fluß,</div> - <div class="verse">und die kahle Insel schien aufzuleben —</div> - <div class="verse">da sah ich fern den Genius</div> - <div class="verse">aller Heimat darüber schweben:</div> - <div class="verse">leicht aus dem Wölkicht kam er einher</div> - <div class="verse">mit ruhigen Flügeln durchs himmlische Meer,</div> - <div class="verse">kaum die kräftigen Schwungfedern spreitend,</div> - <div class="verse">auf einer durchsichtigen Kugel gleitend,</div> - <div class="verse">drin spiegelte sich die bunte Erde</div> - <div class="verse">samt meiner überraschten Geberde:</div> - <div class="verse">den Stern, den trug er als Blume in Händen,</div> - <div class="verse">kein Gewand um die hellen Lenden,</div> - <div class="verse">eine Einsicht auf dem Jünglingsgesicht</div> - <div class="verse">wie im Traum, im Halbtraum, ich weiß es nicht —</div> - <div class="verse">so flog er, ohne sich umzuwenden,</div> - <div class="verse">an der fremden Insel vorüber,</div> - <div class="verse">aus der Heimat</div> - <div class="verse">in die Heimat</div> - <div class="verse">hinüber ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Hoher_Mittag">Hoher Mittag</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da ich nun in Einsamkeiten</div> - <div class="verse">träume von dem goldnen Land,</div> - <div class="verse">von den fernen Seligkeiten</div> - <div class="verse">unerfüllbar schöner Zeiten,</div> - <div class="verse">und der blaue Kreis der Weiten</div> - <div class="verse">weiter sich und weiter spannt,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">rührt auf einmal mich ein Bangen:</div> - <div class="verse">Sonne, welchem Ziele zu?</div> - <div class="verse">tief und tiefer ein Verlangen:</div> - <div class="verse">Urquell meiner Sehnsucht du!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span></p> - -<h4 id="Stimme_im_Licht">Stimme im Licht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dunkles Herz,</div> - <div class="verse">dunkles Herz,</div> - <div class="verse">was bebst du denn?</div> - <div class="verse">Sieh doch die Nacht glänzen;</div> - <div class="verse">dir lebt ein Licht in den Weiten,</div> - <div class="verse">zu allen Zeiten,</div> - <div class="verse">über Grenzen,</div> - <div class="verse">da kann kein Mond, kein Stern hinan!</div> - <div class="verse">Dulde nur deine Dunkelheiten</div> - <div class="verse">ohne Schmerz:</div> - <div class="verse">ein andres Herz</div> - <div class="verse">möchte in deinem Schatten ruhn.</div> - <div class="verse">Brauchst kaum durch seine Träume zu beben,</div> - <div class="verse">alle Himmel fühlt ihr dann in euch schweben;</div> - <div class="verse">dunkles Herz,</div> - <div class="verse">dunkles Herz,</div> - <div class="verse">wie strahlst du nun!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Nachtgebet">Nachtgebet</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du tiefe Ruh,</div> - <div class="verse">laß deinen Schleier sinken,</div> - <div class="verse">und schling dein dunkles Haar um meine Brust,</div> - <div class="verse">und laß mich deinen Atem trinken,</div> - <div class="verse">Du,</div> - <div class="verse">bis alle meine Lust</div> - <div class="verse">und letzter Schmerz in einen Hauch verschweben,</div> - <div class="verse">den deine Lippen mir vom Herzen heben,</div> - <div class="verse">dann laß mich deinen Kuß erleben,</div> - <div class="verse">du tiefe Ruh.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span></p> - -<h4 id="Durch_die_Nacht">Durch die Nacht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und immer Du, dies dunkle Du,</div> - <div class="verse">und durch die Nacht dies hohle Sausen;</div> - <div class="verse">die Telegraphendrähte brausen,</div> - <div class="verse">ich schreite meiner Heimat zu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Schritt für Schritt dies dunkle Du,</div> - <div class="verse">es scheint von Pol zu Pol zu sausen;</div> - <div class="verse">und tausend Worte hör ich brausen</div> - <div class="verse">und schreite stumm der Heimat zu.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Masken">Masken</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du bist es nicht, du greiser Tempelritter</div> - <div class="verse">im Panzerkleid, auf das die Kerzenstrahlen</div> - <div class="verse">des bunten Saals mit täuschendem Gezitter</div> - <div class="verse">geheimnisvolle Charaktere malen;</div> - <div class="verse">dein Blick ist schwarz, laß das Visier nur zu!</div> - <div class="verse">Du bist es nicht — doch Ich bin Du.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du bist es nicht, Zigeuner mit der Geige,</div> - <div class="verse">der wild sein Lied läßt in die Zukunft bluten.</div> - <div class="verse">Dein roter Bart ist kraus wie Urwaldzweige,</div> - <div class="verse">um die rauchprasselnde Frühfeuer gluten.</div> - <div class="verse">Dein Blick ist grau; laß nur die Maske zu!</div> - <div class="verse">Du bist es nicht — doch Ich bin Du.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du bist es nicht, Traumkönigin. Seerosen</div> - <div class="verse">trägst du im wolkendunkeln Haargeflechte,</div> - <div class="verse">und keuschen Asphodellos, und Skabiosen,</div> - <div class="verse">die sanfter blühn als purpursanfte Nächte.</div> - <div class="verse">Dein Blick ist braun; laß deinen Schleier zu!</div> - <div class="verse">Du bist es nicht — doch Ich bin Du.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span> - <div class="verse">Du bist es nicht, mein blonder Puck. Dein Röckchen</div> - <div class="verse">ist viel zu kurz für deine Mädchenbeine;</div> - <div class="verse">man sieht es doch, daß dein hell Klingelstöckchen</div> - <div class="verse">ein Totenköpfchen krönt, du freche Kleine.</div> - <div class="verse">Dein Blick ist stahlblau; laß dein Lärvchen zu!</div> - <div class="verse">Du bist es nicht — doch Ich bin Du.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Du, bist Du’s, du Domino im Spiegel,</div> - <div class="verse">in dessen Blick die Farben meerhaft schwanken,</div> - <div class="verse">du masken<em class="gesperrt">los</em> Gesicht? Zeig <em class="gesperrt">her</em> das Siegel,</div> - <div class="verse">das mir ausdrückt den Grund deiner Gedanken!</div> - <div class="verse">Bin ich das selbst? Ausdruck, du nickst mir zu.</div> - <div class="verse">Grundsiegel — Maske — Bin Ich Du? —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Nacht_fuer_Nacht">Nacht für Nacht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Still, es ist ein Tag verflossen.</div> - <div class="verse">Deine Augen sind geschlossen.</div> - <div class="verse">Deine Hände, schwer wie Blei,</div> - <div class="verse">liegen dir so drückend ferne.</div> - <div class="verse">Um dein Bette schweben Sterne,</div> - <div class="verse">dicht an dir vorbei.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Still, sie weiten dir die Wände:</div> - <div class="verse">Gieb uns her die schweren Hände,</div> - <div class="verse">sieh, der dunkle Himmel weicht —</div> - <div class="verse">Deine Augen sind geschlossen —</div> - <div class="verse">still, du hast den Tag genossen —</div> - <div class="verse">dir wird leicht — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Lied_vor_Tag">Lied vor Tag</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was bewegt dich, stiller Himmel?</div> - <div class="verse">Was beschwingt die schweren Wolken?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span> - <div class="verse">Herz, wie kommt die helle Höhe</div> - <div class="verse">übers tiefgraue Meer?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch die Wolken schwebt ein Vogel;</div> - <div class="verse">schwebt vorbei mit hellen Flügeln,</div> - <div class="verse">trägt die goldne Morgenröte</div> - <div class="verse">übers tiefgraue Meer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm zurück, du goldner Vogel!</div> - <div class="verse">Nimm mich hoch in deine Höhe!</div> - <div class="verse">Trag mein Herz, du helle Hoffnung,</div> - <div class="verse">übers tiefgraue Meer!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Gondelliedchen">Gondelliedchen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Bitte, bitte, Vögelchen:</div> - <div class="verse">Schiffchen hat ein Segelchen,</div> - <div class="verse">segelt übers Meer:</div> - <div class="verse">Vögelchen, komm her!</div> - <div class="verse">Komm und setz dich, laß dich wiegen,</div> - <div class="verse">warum willst du immer fliegen,</div> - <div class="verse">machst es dir so schwer!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Singe, kleiner Passagier!</div> - <div class="verse">Wenn die großen Wellen krachen,</div> - <div class="verse">wird dein Lied uns ruhig machen;</div> - <div class="verse">still vergessen wir</div> - <div class="verse">Erde, Mensch und Tier.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Griechische_Pfingsten">Griechische Pfingsten</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie anders nun! — Ihr blumigen Auen,</div> - <div class="verse">ihr wilden Berge: irrt mein Geist?</div> - <div class="verse">Bin ich nicht jüngst mit heiligem Grauen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span> - <div class="verse">durchs blaue Meer zu trunknem Schauen</div> - <div class="verse">ins Land der Mythe hergereist?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun grast hier hinter krüppligen Säulenstümpfen,</div> - <div class="verse">vorbei an ausgegrabenen Götterrümpfen,</div> - <div class="verse">mein müder Klepper mit Gestöhn.</div> - <div class="verse">Man blickt noch manchmal zurück nach ihnen:</div> - <div class="verse">man sieht, es sind und bleiben Ruinen —</div> - <div class="verse">aber <em class="gesperrt">ihr</em>, ihr Berge, seid ewig schön!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Drum still, du graue Mythe,</div> - <div class="verse">mit deinem trüben Sinn!</div> - <div class="verse">Ganz Hellas steht in Blüte,</div> - <div class="verse">noch heut, so wahr ich bin!</div> - <div class="verse">Hier lernt man heiter schreiten:</div> - <div class="verse">über den Schutt der Zeiten</div> - <div class="verse">geht immergrün die Zeit dahin.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Eine_Rundreise_in_Ansichtspostkarten">Eine Rundreise in -Ansichtspostkarten</h4> - -<p class="center mtop2">1. Straßburger Münster</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Der Ansicht aller Welt zum Trotz</div> - <div class="verse">steht dieser Turm und krönt — was? — einen Klotz.</div> - <div class="verse">Er stand beim jungen Goethe sehr in Gunst</div> - <div class="verse">als Voll-und-Höchstbeweis echt deutscher Kunst.</div> - <div class="verse">Er steht, wie ihn der alte Goethe sah,</div> - <div class="verse">noch heut höchst unvollendet da.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">2. Rheinfall bei Schaffhausen</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Blickst du ihn an, so wird dir wirr</div> - <div class="verse">von all dem stürzenden Flutgeirr.</div> - <div class="verse">Doch horch hinein, da steigt vom Grund</div> - <div class="verse">klar ein steter Einklang und</div> - <div class="verse">Aufklang.</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">3. Gotthard-Tunnel<br /> -<span class="s5">Klänge im Eilzug</span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Über der Einfahrt grausen verquollen</div> - <div class="verse">eisige Gipfel durch Wolken herab.</div> - <div class="verse">Unter der Ausfahrt weisen die Schollen</div> - <div class="verse">finstrer Felsen zu nebelvollen</div> - <div class="verse">Schluchten und neuen Schachten hinab.</div> - <div class="verse">Immer durchs Dunkel von Stollen zu Stollen</div> - <div class="verse">fühlst du dich immer dem Licht zurollen,</div> - <div class="verse">und so setzt dich endlich mit tollen</div> - <div class="verse">Sprüngen der Himmel ins Blaue ab.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">4. Isola Bella</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Das konnten wohl die seligen Inseln sein,</div> - <div class="verse">wenn’s nicht auch hier, wenn’s regnet, regnete.</div> - <div class="verse">Wie arme Sünder schaudern die Cypressen</div> - <div class="verse">vor ihrem Spiegelbild im trüben See;</div> - <div class="verse">und während sich des Himmels Gnade reichlich</div> - <div class="verse">auf sie und mich und übers Schiff ergießt,</div> - <div class="verse">steht, einem Engel ähnlich an Geduld,</div> - <div class="verse">mit höchster Höflichkeit mein Haupt beschirmend,</div> - <div class="verse">ein Doganiere neben mir und prüft</div> - <div class="verse">bis auf den Grund mein zollpflichtschuldiges Herz.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">5. Mailand</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Und ward dir vor den tausend Heiligen schwach,</div> - <div class="verse">die, eitel Marmor, rings den Dom garnieren,</div> - <div class="verse">dann steige auf sein flaches Dach,</div> - <div class="verse">das neunundneunzig einzelne Türmchen zieren.</div> - <div class="verse">Das wird dich, Alles Marmor, wie ein Hain</div> - <div class="verse">kandierter Weihnachtsbäumchen delektieren —</div> - <div class="verse">auf einmal siehst du fern im Sonnenschein</div> - <div class="verse">die Alpen — —</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">6. Certosa bei Pavia</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Schmuckkästlein schlichter Einsamkeit:</div> - <div class="verse">hinter der Prachtwand der Fassade</div> - <div class="verse">bat mancher Mönch in weiser Schweigsamkeit</div> - <div class="verse">die Jungfraun Borgognones einst um Gnade.</div> - <div class="verse">Jetzt möcht ich in den leeren Klausen</div> - <div class="verse">mit dir, Geliebte, noch verschwiegner hausen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">7. Genua</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Kaufherrin stolze: immer strahlenbreiter</div> - <div class="verse">trägt sie bergan die meerentnommene Krone,</div> - <div class="verse">und ihr geringstes Frachtschiff fährt heut weiter</div> - <div class="verse">als je die kühnste Doria-Traumgallione.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">8. Campo Santo in Pisa</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Geisterhafter Bildertraum</div> - <div class="verse">dehnt den schmalen stillen Raum.</div> - <div class="verse">Sieh: das Viereck der Arkaden</div> - <div class="verse">strebt den Himmel einzuladen.</div> - <div class="verse">Horch: der Erde reinsten Hauch</div> - <div class="verse">opfert stumm ein Rosenstrauch</div> - <div class="verse">voller weißer Blüten.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">9. Orvieto</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Willst du den Tag der Auferstehung sehn,</div> - <div class="verse">den Signorelli sah? Komm, Seele: dort</div> - <div class="verse">staun sich Gewitterwolken, schon ziehn Schatten.</div> - <div class="verse">Bald werden um dies trotzige Felsennest</div> - <div class="verse">durchs weite Talfeld der Chiana unten</div> - <div class="verse">die schrägen Strahlen der verhüllten Sonne</div> - <div class="verse">fahl wie aus Gräbern aufgescheuchte Schemen</div> - <div class="verse">nach Zuflucht schweifen, taumelnd, und nun fährt</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> - <div class="verse">der Blitz dazwischen — o Erleuchtung — ja:</div> - <div class="verse">dort sah der Künstler, was er dann nur malte.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">10. Campagna vor Rom</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Hier spannt sich alles, Landschaft, Bäume, Tiere,</div> - <div class="verse">als habe sich die Welt zur Ruh gezwungen;</div> - <div class="verse">erwartungsvoll ist jede Form geschwungen,</div> - <div class="verse">die Hörner selbst der silbergrauen Stiere.</div> - <div class="verse">Denn dort am Horizont hebt einsam groß,</div> - <div class="verse">so einsam groß, daß auch die Berge nur</div> - <div class="verse">Mitglieder sind der staunenden Natur,</div> - <div class="verse">das Haupt der Ewigen Stadt sich zum Azur:</div> - <div class="verse">die Peterskuppel Michelangelos.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">11. Im Pantheon</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Wer faßt dein Innres, Rom: du Kirchhof der Kulturen:</div> - <div class="verse">Verwesung glänzt darin mit immer frischen Spuren.</div> - <div class="verse">Im Pantheon zumal, kraft göttlicher Beschlüsse,</div> - <div class="verse">erlebt man wundersame Grundwasser-Überflüsse.</div> - <div class="verse">Durch solch ein Wunder sah ich: auf einer Altarplatte</div> - <div class="verse">saß eine magre Katze, die sich gerettet hatte.</div> - <div class="verse">Kläglich miauend saß sie, begafft vom Fremdenstrom;</div> - <div class="verse">da hast du deine Göttin, modernes Rom!</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">12. In den Abruzzen</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Endlich dem Bann der Museen entronnen,</div> - <div class="verse">fand ich Italien auf eigne Faust schön;</div> - <div class="verse">fand ohne Baedeker goldene Sonnen,</div> - <div class="verse">silberne Monde, in Tälern, auf Höhn.</div> - <div class="verse">Fand auch ein Räuberpaar, in einer Grotte,</div> - <div class="verse">spät eines Abends, im wilden Wald,</div> - <div class="verse">raubten sich Küsse, die haben geknallt:</div> - <div class="verse"><span class="antiqua">siamo felici nel cuor della notte</span>!</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">13. Pontinische Sümpfe</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Die Sterne flimmern; schwül schweigt das Moor</div> - <div class="verse">längs der langen Straße zur Nacht empor.</div> - <div class="verse">Längs der langen Straße, schwarz im Düstern,</div> - <div class="verse">ragen und raunen die hohen Rüstern.</div> - <div class="verse">Längs der langen Straße, wie aufgereiht</div> - <div class="verse">von einer zur andern Unendlichkeit,</div> - <div class="verse">raunen die Rüstern fiebertrunken:</div> - <div class="verse">dreiunddreißig Städte ruhn hier versunken</div> - <div class="verse">längs der langen Straße ...</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">14. Neapel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">„Neapel sehn und sterben“ — in der Tat:</div> - <div class="verse">dies Paradies des Pöbels ist zum sterben.</div> - <div class="verse">Sehr sichtbar, echter Lazzaronistaat,</div> - <div class="verse">liegt’s wie ein blendender Haufen Scherben</div> - <div class="verse">am Riesenmaulwurfshügel des Vesuv,</div> - <div class="verse">den Gott gewiß aus reinem Mordsspaß schuf.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">15. Pompeji: Haus des tragischen Dichters</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Was klagst du, Menschheit! Sieh, allerseelenvollst</div> - <div class="verse">lacht dir das Leben, und komisch nickt der Tod:</div> - <div class="verse">Da steht zerbröckelt des Dichters Gastgemach,</div> - <div class="verse">sein Werk und Name verbrannten im Lavaschutt,</div> - <div class="verse">aber das Brautpaar seines Wandgemäldes</div> - <div class="verse">entdeckt noch immer das Nest voll Liebesgöttchen,</div> - <div class="verse">wie’s Tausende Paare noch entdecken werden,</div> - <div class="verse">wenn dieses ausgegrabene Machwerk längst</div> - <div class="verse">wieder in Lavaschutt versenkt sein wird.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">16. Auf Capri</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Trotz aller reisenden christlichen Tugendbünde</div> - <div class="verse">ist hier noch Raum für einige heitre Sünde.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span> - <div class="verse">Trotz Badehose gleicht in der blauen Grotte</div> - <div class="verse">ein schmieriger Fischer einem silbernen Gotte.</div> - <div class="verse">Trotz Zeitung, Polizei und meckernder Ziegen</div> - <div class="verse">kann noch an mancher Klippe ganz verschwiegen</div> - <div class="verse">der Faun die Nymphe beim Schlafittchen kriegen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">17. Bergstraße von Amalfi nach Salerno</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Europas reichste Damen</div> - <div class="verse">karriolen den Felsweg her,</div> - <div class="verse">hoch zwischen Himmel und Meer;</div> - <div class="verse">immerfort wechselt der Rahmen.</div> - <div class="verse">Großartig wechselt der Rahmen;</div> - <div class="verse">hoch zwischen Himmel und Meer</div> - <div class="verse">erwartet ein Bettlerheer</div> - <div class="verse">Europas reichste Damen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">18. Bahn nach Potenza</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Und keiner ist verächtlich und schwach genug,</div> - <div class="verse">daß nicht auch ihn aufrüttelnd ein Stolz durchzuckt,</div> - <div class="verse">wenn durchs Gebirg auf dröhnender Bahn der Zug</div> - <div class="verse">hinstürmt von Viadukt zu Viadukt.</div> - <div class="verse">Denn hier hat Menschenarbeit Bogen an Bogen,</div> - <div class="verse">Triumphbogen durch die Natur gezogen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">19. Valle del Basente</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Straße und Brücke verfallen,</div> - <div class="verse">das steinige Flußbett trocken;</div> - <div class="verse">meine Schritte hallen</div> - <div class="verse">laut auf Trümmerbrocken.</div> - <div class="verse">Und erschüttert erbeben</div> - <div class="verse">verdorrte Uferbäume —</div> - <div class="verse">Land, wo ist dein Leben?</div> - <div class="verse">Volk, was träumst du für Träume?</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">20. Erster Klasse nach Brindisi</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse"><span class="antiqua">Scusa, Signora e Monsignore!</span></div> - <div class="verse">und ich nehme Platz im Coupé, con amore.</div> - <div class="verse">Der Priester scheint auf Kohlen zu sitzen,</div> - <div class="verse">die Dame strotzt von Juwelen und Spitzen.</div> - <div class="verse">Der Priester rückt in die äußerste Ecke,</div> - <div class="verse">die Dame bückt sich, und ich entdecke:</div> - <div class="verse">sie versteckt ein besudeltes Dingrichs.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">21. Corfu</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Also auch hier wühlen Hühner und Schweine</div> - <div class="verse">in verwahrlosten Gärten und Auen.</div> - <div class="verse">Aber wenn wir’s von ferne beschauen,</div> - <div class="verse">läutert der Lichtgeist alles Gemeine.</div> - <div class="verse">Weiter und weiter schreit’ich ins Reine,</div> - <div class="verse">und der Oliven verwilderte Haine</div> - <div class="verse">überrauschen das menschliche Grauen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">22. Pontikonisi</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Weiß steht das Kirchlein aus der blauen Flut,</div> - <div class="verse">Cypressen laden ein zur Himmelsreise.</div> - <div class="verse">Sacht naht der Fährmann mit der irdischen Speise;</div> - <div class="verse">ein Glöckchen tönt, das Ruder ruht.</div> - <div class="verse">Wärst Du, Geliebte, nicht auf Erden,</div> - <div class="verse">ich könnte Mönch auf diesem Eiland werden.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">23. Bergweg bei Patras</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Ein Schrei — fast stürzt mein Pferd — und aufgebäumt</div> - <div class="verse">ums Felseck biegend seh ich: schluchzend reißt,</div> - <div class="verse">im Staub knieend, mit aufgelöstem Haar,</div> - <div class="verse">und schreiend — oh, so schrie Medea einst,</div> - <div class="verse">als Jason sie aus Überdruß verließ —</div> - <div class="verse">reißt sich ein schönes griechisches Bauernmädchen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span> - <div class="verse">die türkische Jacke von den nackten Brüsten</div> - <div class="verse">— Papiergeld fliegt — und weg von ihr bergab</div> - <div class="verse">jagt im Galopp, in klirrender Kutsche hockend,</div> - <div class="verse">ein schlotternder Stadtherr, häßlich wie ein Mops.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">24. Olympia</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Apollon, der die Tiermenschen bezwang,</div> - <div class="verse">jetzt als ein Giebelbruchstück ausgestellt,</div> - <div class="verse">begleitet mich durchs Tempeltrümmerfeld</div> - <div class="verse">und spricht gen Sonnenuntergang:</div> - <div class="verse">Lapithen und Kentauren ruhn im Sumpf,</div> - <div class="verse">Faustkämpfer preist die Menschheit auch nicht mehr,</div> - <div class="verse">noch aber übermannt euch seelenschwer</div> - <div class="verse">der Schatten selbst von diesem Säulenstumpf.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">25. Tempel bei Bassä</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Wohl stehn noch stolz die morschen Säulenschäfte</div> - <div class="verse">ob Steingeröll und niedern Krüppel-Eichen</div> - <div class="verse">und sind, indeß Eidechsen und Blindschleichen</div> - <div class="verse">den kletternden Hufen meines Gauls ausweichen,</div> - <div class="verse">in dieser Höhenluft ein rührendes Zeichen</div> - <div class="verse">himmlischen Aufbegehrs der irdischen Kräfte,</div> - <div class="verse">doch rührender rings die tausend Nachtigallen,</div> - <div class="verse">die durchs Geläut der käuenden Ziegen schallen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">26. Burg und Stadt Karytäng</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Schmettert, ihr Nachtigallenheere,</div> - <div class="verse">helft meine Kavalkade befeuern!</div> - <div class="verse">dort oben herrschte einst Ritterehre,</div> - <div class="verse">schuf Herzogskronen aus Abenteuern!</div> - <div class="verse">Aber die griechischen Rosse wollen</div> - <div class="verse">nur noch zur Futterkrippe trollen.</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">27. Herberge vor Tripoliza</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Hier gibt es Alles: Wasser, Häcksel, Mist,</div> - <div class="verse">Strohsack und Wanzen — blos Laternen fehlen.</div> - <div class="verse">Schon aber geht ein frommer griechischer Christ</div> - <div class="verse">ein Licht aus der Dorfkirche stehlen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">28. Nauplia</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Ein toter Esel fault im Straßengraben,</div> - <div class="verse">am Tor ein Hund.</div> - <div class="verse">Ein Stadtsoldat schleckt sich an Honigwaben</div> - <div class="verse">die Zunge wund.</div> - <div class="verse">Mit schmachtenden Blicken hockt ein Rudel Knaben</div> - <div class="verse">am Mauerwall. Und jedes Auge laben</div> - <div class="verse">unzählige wilde Blumen, märchenbunt.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">29. Wiesen bei Argos</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Das sind die Blumen aus dem Morgenland:</div> - <div class="verse">Sie leuchten aus der Ferne wie durch Schleier,</div> - <div class="verse">sie schimmern seidner als ein Festgewand,</div> - <div class="verse">sie duften reiner als die Braut dem Freier.</div> - <div class="verse">Sie scheinen in der Nähe dir bekannt;</div> - <div class="verse">es glimmt in ihren Kelchen wie ein Feuer,</div> - <div class="verse">das auch in Dir wohl einst, o einst gebrannt.</div> - <div class="verse">Du pflückst davon. Doch scheu und scheuer</div> - <div class="verse">stockt deine Hand:</div> - <div class="verse">du träumst die Blumen heim ins Morgenland.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">30. Mykenä</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Auf einmal schleppt mich Frau Historia</div> - <div class="verse">durch wüst Gerümpel und beginnt zu melden:</div> - <div class="verse">das Löwentor — die Burg — die Agora — —</div> - <div class="verse">Was? Hier, hier hausten die homerischen Helden?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span> - <div class="verse">Weg! In der Dichtung ists ein Göttersaal,</div> - <div class="verse">hier wirds zum Hottentottenkraal.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">31. Akrokorinth</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Stahlblau erfunkeln mir zwei Meere,</div> - <div class="verse">Waffen funkeln durch meine Gedanken,</div> - <div class="verse">wild sich kreuzend, alle die blanken</div> - <div class="verse">Klingen der Krieger, die dort versanken,</div> - <div class="verse">Griechen, Slawen, Türken, Franken,</div> - <div class="verse">Landeskinder und Söldnerheere —</div> - <div class="verse">funkeln — und um zerstürzte Paläste</div> - <div class="verse">von Strand zu Strand über Tempelreste</div> - <div class="verse">den Berg herauf zur verfallenden Feste</div> - <div class="verse">brandet Begeistrung und füllt das Leere.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">32. Bei Salamis<br /> -<span class="s5">Fischerlied</span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Ruhe dich, Schiffchen: hier werfen wir Netze.</div> - <div class="verse">Hier wurden vom Ahnherrn ertränkt die Barbaren.</div> - <div class="verse">Drum schenkt uns das Meer heut fetten Fisch —</div> - <div class="verse">ruhe dich, Schiffchen ...</div> - <div class="verse">Hundert Heilige wurden für uns gemartert.</div> - <div class="verse">Fremde Lords sind gestorben für unsre Freiheit.</div> - <div class="verse">Drum schenkt uns der Himmel heut weichen Wind —</div> - <div class="verse">ruhe dich, Schiffchen ...</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">33. Athen</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Die Muse spricht: Narrt mich ein Fiebertraum?</div> - <div class="verse">Stellt nicht dort unten das Theater noch,</div> - <div class="verse">der Felswand angeschmiegt am heiligen Abhang,</div> - <div class="verse">traut wie ein Schwalbennest, den Weltkreis vor?</div> - <div class="verse">Was sucht der Herr da, der den Staub beriecht,</div> - <div class="verse">wo einst der Feldherr saß, der Opferpriester?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span> - <div class="verse">Und hier, wo ehmals steilgestreifte Säulen,</div> - <div class="verse">schwarz wie der Styx, rot wie geronnen Blut,</div> - <div class="verse">dem blauen Äther, der sie bleichte, trotzten,</div> - <div class="verse">hier steht gar einer und studiert den Schutt?</div> - <div class="verse">O Wunder, daß noch Meer und Himmel leuchten!</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">34. Fahrt zum Parnassos</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Vom Dampf des Schiffes, den die Hitze ballt,</div> - <div class="verse">verhüllt: was strahlt aus buntem Dunst herbei?</div> - <div class="verse">so weiß! — was träumte mir? — ein Gipfel — drei —</div> - <div class="verse">ein Kranz von Gipfeln strahlt den Dunst entzwei —</div> - <div class="verse">so weiß strahlt nur der ewige Schnee — so frei —</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">Ist’s</em> der Parnaß?! — Flieh, schwüle Träumerei!</div> - <div class="verse">Hinauf! dort oben ist es kalt.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">35. Delphi</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Mein Dämon spricht: Auf Delphi ruht ein Fluch,</div> - <div class="verse">da laß uns still vorübergleiten.</div> - <div class="verse">Mir deucht, wir hatten schon zu Olims Zeiten</div> - <div class="verse">an dem Orakel in uns selbst genug.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">36. Zwischen Leukas und Ithaka</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Durch dieses Meer trieb einst in irrer Not</div> - <div class="verse">Odysseus seinem treuen Weib entgegen.</div> - <div class="verse">Durch dieses Meer trieb wild im Liebestod</div> - <div class="verse">Sapphos zerbrochner Leib der Nacht entgegen.</div> - <div class="verse">Durch dieses Meer treibt nun im Morgenrot</div> - <div class="verse">mein Herz, Geliebte, <em class="gesperrt">Dir</em> entgegen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">37. Albanische Küste</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Die Küste weicht; ich seh mein Schiff mit beiden</div> - <div class="verse">Bugseiten durch die Flut, die tiefblau glatte,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span> - <div class="verse">wie durch geschliffnen Stein sich vorwärts schneiden,</div> - <div class="verse">so undurchsichtig glänzt die spiegelglatte.</div> - <div class="verse">Ich wende mich und seh im Glanz auf beiden</div> - <div class="verse">Kielseiten ferne Höhenzüge scheiden;</div> - <div class="verse">da schwimmen sie wie sagenhafte satte</div> - <div class="verse">Seekühe, die sich an der Bläue weiden.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">38. Hafen von Ancona</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Zwischen zwei Vorgebirgen lauscht der Wind,</div> - <div class="verse">der sanften Gruß bringt von der Abendsonne,</div> - <div class="verse">ob Stadt und Hafen wohlgebettet sind.</div> - <div class="verse">Er fragt ein Heiligtum, worob es sinnt,</div> - <div class="verse">einst der Frau Venus Haus, jetzt der Madonne,</div> - <div class="verse">und alle Glocken künden voller Wonne:</div> - <div class="verse">In goldner Wiege ruht ein himmlisch Kind.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">39. Assisi</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Wallfahrer haben mir den Weg gezeigt;</div> - <div class="verse">im öffentlichen Garten rasten wir,</div> - <div class="verse">und mancher blickt dem heiligen Dichter gleich</div> - <div class="verse">beseligt auf zum lieben Bruder Himmel.</div> - <div class="verse">Ein junges Weib nur blickt verstört ins Land,</div> - <div class="verse">durch das ein Zug lobsingender Mönche wandelt.</div> - <div class="verse">Am Rand des Gartenberges die Cypressen</div> - <div class="verse">stehn wie erstarrte schwarze Flammen da,</div> - <div class="verse">und plötzlich regt sich eine wie entsetzt</div> - <div class="verse">vor dieses Himmels bleiglutblauer Last.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">40. Perugia</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Sei gesegnet, ruhiger Ort!</div> - <div class="verse">Frommer Ahnen Meistergilde</div> - <div class="verse">schuf aus rauhem Felsgebilde</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span> - <div class="verse">für die Enkel dies Gefilde;</div> - <div class="verse">kannst du zürnen, Gott der Milde,</div> - <div class="verse">wenn sie nun ins Ewige fort</div> - <div class="verse">unter den Akazien wandeln,</div> - <div class="verse">nur noch schauen, nicht mehr handeln?!</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">41. Am Trasimenischen See</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Was wohl die Unken klagen</div> - <div class="verse">dort um das alte Kastell?</div> - <div class="verse">Daß da mal Römer lagen</div> - <div class="verse">von Hannibal erschlagen?</div> - <div class="verse">Daß da den Troubadouren</div> - <div class="verse">von denen adligen Huren</div> - <div class="verse">vertrommelt ward das Fell?</div> - <div class="verse">Man muß nicht immer fragen,</div> - <div class="verse">um was die Unken klagen;</div> - <div class="verse">die Frösche lachen hell.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">42. Florenz</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Du Allerschönste, Liebling aller Welt,</div> - <div class="verse">einst manchem Herrn, jetzt jedem Gaffer feil,</div> - <div class="verse">und immer noch von Zier und Reiz geschwellt,</div> - <div class="verse">so lehnst du stolz auf hehrem Ruhebett,</div> - <div class="verse">dein Haupt wie eines Turmes Zinne steil,</div> - <div class="verse">dein Schooß wie offne Rosen lebensfroh,</div> - <div class="verse">und gar den Busen schmückt als Amulett</div> - <div class="verse">die heilige Kunst des Fra Angelico.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">43. Ravenna</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Ravenna! rief die Inbrunst: gib mir Raum!</div> - <div class="verse">was brütest du auf Gräbern Tag und Nacht?</div> - <div class="verse">Und Grüfte wölbten sich zu Farbenhimmeln,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span> - <div class="verse">in denen tausend Malerseelen träumen,</div> - <div class="verse">und über denen Dante wacht.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">44. Venedig: Punta della Salute</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Hier möcht ich sterben, alt, wie Tizian starb,</div> - <div class="verse">doch in verhängter Gondel und allein.</div> - <div class="verse">Durch einen Spalt nur glühn im Abendschein</div> - <div class="verse">verwitterte Paläste glorienfarb.</div> - <div class="verse">Schlaftrunken schaut die Wasserfläche drein</div> - <div class="verse">und haucht mir eine Seelenruhe ein,</div> - <div class="verse">die niemals um ein ewiges Dasein warb.</div> - <div class="verse">So möcht ich sterben ... aber leben: nein!</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">45. Verona</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Auf des Amphitheaters höchstem Rand</div> - <div class="verse">ruht nach vollbrachtem Tagewerk ein Kerl,</div> - <div class="verse">die braune Stirn noch voller Schweißgeperl,</div> - <div class="verse">und läßt sich trocken glühn vom Sonnenbrand.</div> - <div class="verse">Ein simpler Steinmetz, der wohl kaum verstand,</div> - <div class="verse">wozu sein Flickwerk an dem alten Loch,</div> - <div class="verse">und hat wie Herkules geschuftet doch;</div> - <div class="verse">jetzt aber faullenzt er ob Stadt und Land,</div> - <div class="verse">als sei kein Gott so frei wie Er vom Joch.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">46. Wanderstraße am Etsch</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Arbeitsleute schreiten vor mir schwer,</div> - <div class="verse">immer schwerer dröhnt bergan ihr Schritt:</div> - <div class="verse">aus der Ferne graut die Fremde her.</div> - <div class="verse">Pfeifend halt ich ihnen gleichen Tritt,</div> - <div class="verse">Strom und Straße schweigen immer mehr:</div> - <div class="verse">aus der Ferne blaut die Heimat her —</div> - <div class="verse">und auf einmal pfeifen alle mit.</div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">47. Sirmione am Gardasee</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse"><span class="antiqua">Avanti!</span> — Heiter wie des Südens Luft</div> - <div class="verse">soll dich mein Abschiedsgruß, du liebliche</div> - <div class="verse">Halbinsel, die Catull besang, umwehn.</div> - <div class="verse">Hell greifst du durch den blauen See nach Norden,</div> - <div class="verse">gleich einer gastlich hingestreckten Hand</div> - <div class="verse">gefüllt mit Veilchen, Immergrün und Frucht.</div> - <div class="verse">Doch daß auch ernster Schmuck dir wohlsteht, zeigt</div> - <div class="verse">gleich einer Spange am Gelenk das düstre</div> - <div class="verse">Kastell, von dessen Söller mich der Ruhm</div> - <div class="verse">des jungen Bonaparte grüßt — <span class="antiqua">Avanti!</span></div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">48. Hochfeiler am Brennerpaß</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Heiß auf kalter Höhe mach ich Rast,</div> - <div class="verse">von den Gletschern kommt ein leichter Hauch,</div> - <div class="verse">kommt und geht, und lichter Rauch</div> - <div class="verse">wird mir all die fremde Last,</div> - <div class="verse">von der Völkerstraße her die Hast,</div> - <div class="verse">und die Sehnsucht nach der Heimat auch.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">49. Innsbruck</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Die Berge glänzen klar im Kreis,</div> - <div class="verse">die Luft im Tal ist menschenheiß.</div> - <div class="verse">Ich trete in den alten Dom,</div> - <div class="verse">ich atme tief den Dämmerstrom.</div> - <div class="verse">Erzbilder schimmern durch den Raum,</div> - <div class="verse">ich träume einen Himmelstraum;</div> - <div class="verse">und langsam neigen sich die Stirnen</div> - <div class="verse">der ehernen Ritter vor den fernen Firnen.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">50. Konstanz</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Im offnen Garten ist Konzert am See,</div> - <div class="verse">der Geist Beethovens schwebt von Stern zu Stern;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span> - <div class="verse">tief unter Brücken schweigt die Wasserfee,</div> - <div class="verse">hoch über Türmen schweigt der Alpenschnee,</div> - <div class="verse">schweigt Stern bei Stern, schweigt wie seit je;</div> - <div class="verse">und immer noch Konzert, Konzert am See —</div> - <div class="verse">o Beethoven, wozu der Lärm?! —</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">51. Spezgart bei Überlingen</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Von Schlucht und Halde weichen Morgenschleier,</div> - <div class="verse">die Erde dampft der Sonne ihren Dank.</div> - <div class="verse">Hier trieben wir, Geliebte, Frühlingsfeier;</div> - <div class="verse">es herzte Trieb an Trieb sich frei und freier,</div> - <div class="verse">bis über unsre Abschiedsfeier</div> - <div class="verse">der pfirsichblütne Abend sank.</div> - <div class="verse">Nun sind die Früchte reif zum Willkommtrank.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">52. Stein am Rhein</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Klosterfrieden, Weltbehagen,</div> - <div class="verse">lacht hier noch Italiens Glanz?</div> - <div class="verse">Buntbemalte Giebel tragen</div> - <div class="verse">frei Boccaccios Fabelkranz.</div> - <div class="verse">Stromschnell naht das heimatstete</div> - <div class="verse">Schiff, mit Gästen angefüllt.</div> - <div class="verse">Wenn doch jetzt Gesang herwehte!</div> - <div class="verse">Da: weiß Gott, man singt — man brüllt</div> - <div class="verse">die „Wacht am Rhein“ ...</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">53. Triberg im Schwarzwald<br /> -<span class="s5">Stimme der Heimkehr</span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Urweltsprache dröhnt im Wasserfall,</div> - <div class="verse">läßt kein Menschenwort herdringen;</div> - <div class="verse">was denn hör ich durch den Schwall</div> - <div class="verse">doch wie Muttersprache klingen? —</div> - <div class="verse">Nicht ein Vogelstimmchen hallt,</div> - <div class="verse">nur die alten Wipfel schwingen;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span> - <div class="verse">Welt, ich fühle wieder deutschen Wald,</div> - <div class="verse">höre deutsche Quellen singen! —</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">54. Heidelberg</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Das alte Schloß ... Man zankt sich wohlgesinnt</div> - <div class="verse">im Akademischen Kulturverein:</div> - <div class="verse">Ist’s zu erneuern? — wie! — halb? ganz? — ja! nein!</div> - <div class="verse">Der will das „Wesen“ wahren, Der den „Schein“,</div> - <div class="verse">Jeder lügt Leben in den toten Stein</div> - <div class="verse">und schilt die Andern wahrheitsblind.</div> - <div class="verse">Ich sehne mich nach einem Menschenkind,</div> - <div class="verse">das garnichts will als ganz natürlich sein.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">55. Bingen am Rhein</p> - -<div class="poetry-container mbot3"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Du kleine Stadt am Strom, mir weltengroß,</div> - <div class="verse">dir dank ich meine Mutter, dir das Weib,</div> - <div class="verse">das mir so lieb ist wie mein eigner Leib,</div> - <div class="verse">ich williger Pilgersmann von Schooß zu Schooß.</div> - <div class="verse">Du Strom, du großer, spiegelst du mein Los?</div> - <div class="verse">du kleine Welle, meinen Weltverbleib?</div> - <div class="verse">Eilt nicht auch ihr mit Seel und Leib</div> - <div class="verse">von Schooß zu Schooß,</div> - <div class="verse">von Bergesschooß zu Meeresschooß?! —</div> - </div> -</div> - -<h4 id="Wiedersehn">Wiedersehn</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Eh du kamst, schienen mir</div> - <div class="verse">alle Schiffe im Hafen</div> - <div class="verse">Unheil zu brüten</div> - <div class="verse">auf der steigenden Flut.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und nun lächelst du ihnen,</div> - <div class="verse">weil mein Blick drauf geruht hat;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span> - <div class="verse">und ich lache ihnen,</div> - <div class="verse">weil Dein Blick drauf geruht hat;</div> - <div class="verse">und alles ist gut.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Siegerin">Siegerin</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mit deinem Lächeln bewältigst du die Nacht:</div> - <div class="verse">ich fühl’s um deine Lippen schweben</div> - <div class="verse">und sehe Sterne aufgehn in meiner Seele.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mit deinem Lachen bewältigst du den Tag:</div> - <div class="verse">ich seh’s aus deinen Augen strahlen</div> - <div class="verse">und fühle die Sonne in mich versinken.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Letzte_Bitte">Letzte Bitte</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lege deine Hand auf meine Augen,</div> - <div class="verse">daß mein Blut wie Meeresnächte dunkelt:</div> - <div class="verse">fern im Nachen lauscht der Tod.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lege deine Hand auf meine Augen,</div> - <div class="verse">bis mein Blut wie Himmelsnächte funkelt:</div> - <div class="verse">silbern rauscht das schwarze Boot.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Zweier_Seelen_Lied">Zweier Seelen Lied</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lieber Morgenstern,</div> - <div class="verse">lieber Abendstern,</div> - <div class="verse">ihr scheint zwei</div> - <div class="verse">und seid eins.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ob der Tag beginnt,</div> - <div class="verse">ob die Nacht beginnt,</div> - <div class="verse">findet euer Schein</div> - <div class="verse">in uns Zweien die Liebe wach.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span> - <div class="verse">Lieber Abendstern,</div> - <div class="verse">lieber Morgenstern,</div> - <div class="verse">hilf uns Tag für Tag</div> - <div class="verse">eins sein, bis die letzte Nacht uns eint.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Psalm_zweier_Sterblichen">Psalm zweier Sterblichen<br /> -<span class="s5">Von Ida und Richard Dehmel</span></h4> - -<p class="center mtop2">Der Mann:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Göttin Zukunft,</div> - <div class="verse">mit gefesselten Händen hältst du</div> - <div class="verse">eine geschlossene Schriftrolle,</div> - <div class="verse">drin mein Schicksal verzeichnet steht.</div> - <div class="verse">Langsam, Tag für Tag,</div> - <div class="verse">ringe ich deinen Fingern</div> - <div class="verse">Zoll für Zoll die Urkunde ab,</div> - <div class="verse">Zeile für Zeile.</div> - <div class="verse">Bis der Augenblick kommt,</div> - <div class="verse">wo das entrollte Papier,</div> - <div class="verse">eh ich das letzte Wort noch las,</div> - <div class="verse">meinem erschöpften Arm entfällt;</div> - <div class="verse">und mit gefesselten Händen</div> - <div class="verse">gibst du den Winden zur Sage anheim,</div> - <div class="verse">was ich tat.</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">Das Weib:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Schicksalsgöttin,</div> - <div class="verse">ich liege vor dir auf den Knieen.</div> - <div class="verse">Du hältst in deinen, ach, gefesselten Händen</div> - <div class="verse">eine goldene Tafel,</div> - <div class="verse">drin die Namen nur derer eingegraben stehn,</div> - <div class="verse">die Unvergeßliches taten.</div> - <div class="verse">Auf den Knieen, Schicksalsgöttin,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span> - <div class="verse">bitte ich dich:</div> - <div class="verse">Laß mich nicht ins Namenlose versinken!</div> - <div class="verse">Spreng deine Fesseln — oder</div> - <div class="verse">nur einen Augenblick</div> - <div class="verse">reich mir die goldene Tafel,</div> - <div class="verse">und neben die Runen der Helden und der Weisen</div> - <div class="verse">schreibe ich hinsinkend:</div> - <div class="verse">Ich liebte.</div> - </div> -</div> - -<h4 id="Im_Geiste">Im Geiste</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich steh im Geiste an ein Grab geführt,</div> - <div class="verse">wo Eine ruht, die so beseelend lebte,</div> - <div class="verse">daß ich nicht glauben kann, ihr Geist entschwebte;</div> - <div class="verse">ich steh wie einst vor ihr, so rein gerührt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und dort steht Einer, dessen Auge schürt</div> - <div class="verse">noch reiner an, was damals in mir bebte;</div> - <div class="verse">er wars, der zart ihr Reinstes mir verwebte,</div> - <div class="verse">und steht nun starr, als hätt er’s nie gespürt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du Hüter dieses heiligen Grabes, wehre</div> - <div class="verse">der Andacht nicht, die Geist dem Geist hier weiht;</div> - <div class="verse">es bebt in dir wie mir das seelvoll Leere.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die wirren Zeiten haben uns entzweit;</div> - <div class="verse">hier aber rührt uns Klarheit, und ich kehre</div> - <div class="verse">vereint mit dir den Blick zur Ewigkeit.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Nachglanz">Nachglanz</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Einst geliebte Seele,</div> - <div class="verse">immer noch empfundne,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span> - <div class="verse">sternklar weist die Nacht mir Weiten,</div> - <div class="verse">die auch dich umschließen,</div> - <div class="verse">du entschwundne.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gütig glänzen wieder</div> - <div class="verse">alle Lichter oben,</div> - <div class="verse">die uns je zu gleicher Andacht</div> - <div class="verse">von der trüben Erde</div> - <div class="verse">auferhoben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Einsamkeit und Dunkel</div> - <div class="verse">sind nun nicht mehr Qualen.</div> - <div class="verse">Dankbar betet Seel in Seele:</div> - <div class="verse">Sterne, all ihr Sterne,</div> - <div class="verse">helft uns strahlen!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Verewigung">Verewigung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Freund in der Ferne, wer du auch seist,</div> - <div class="verse">Flüchtling auf der Erde wie ich,</div> - <div class="verse">die wir zwischen den Sternen hausen,</div> - <div class="verse">du ein Unvergänglicher,</div> - <div class="verse">ich ein Unvergänglicher,</div> - <div class="verse">weil wir’s fühlen —</div> - <div class="verse">sieh, ich feire eine Seelenbefreiung.</div> - <div class="verse">Ich sitze am Sarg einer lieben Gestalt,</div> - <div class="verse">wie ich an manchem Sarg schon saß</div> - <div class="verse">und an manchem noch sitzen werde:</div> - <div class="verse">ich habe geweint, ich lächle.</div> - <div class="verse">Diese liebe Gestalt wird bald zerfallen;</div> - <div class="verse">nie mehr wird ihr Mund mir Rätsel aufgeben,</div> - <div class="verse">ihre Hand mir die Stirnfalten lösen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span> - <div class="verse">nie wieder werden ihre Augen</div> - <div class="verse">mir die Sonne ins Herzdunkel spiegeln.</div> - <div class="verse">Nichts wird weiterleben von ihrer schlanken Erscheinung,</div> - <div class="verse">nichts als ein Schemen in meinem Gedächtnis,</div> - <div class="verse">bald verdrängt durch ihr Bild von fremder Malershand,</div> - <div class="verse">durch viele andre Schattenbilder,</div> - <div class="verse">und auch die werden alle zerfallen.</div> - <div class="verse">Nur was sie seelvoll zusammenhielt,</div> - <div class="verse">was uns zusammenhält noch beide,</div> - <div class="verse">warum wir Blick in Blick einst erbebten:</div> - <div class="verse">nur das wird bleiben zwischen den Sternen,</div> - <div class="verse">wird immer neue Gestalt annehmen,</div> - <div class="verse">wird warten, daß auch ich mich verwandle,</div> - <div class="verse">bis wir einander wieder erscheinen</div> - <div class="verse">in den Schaaren der Ätherdämonen,</div> - <div class="verse">wieder erbeben.</div> - <div class="verse">Dann werden wir uns wohl begrüßen</div> - <div class="verse">wie einst auf Erden das erste Mal:</div> - <div class="verse">uns nicht erkennend, nur beglückend,</div> - <div class="verse">viel zu beseligt der neuen Gegenwart,</div> - <div class="verse">als daß wir alter Zeiten gedächten.</div> - <div class="verse">Und werden uns wohl wieder wundern,</div> - <div class="verse">im stillen fühlend: das letzte Mal,</div> - <div class="verse">da haben wir geweint zusammen,</div> - <div class="verse">da mußten wir uns noch befreien —</div> - <div class="verse">jetzt lächeln wir, jetzt lächeln wir —</div> - <div class="verse">wir Unvergänglichen — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Am_Ufer">Am Ufer</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Welt verstummt, dein Blut erklingt;</div> - <div class="verse">in seinen hellen Abgrund sinkt</div> - <div class="verse">der ferne Tag,</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span> - <div class="verse">er schaudert nicht; die Glut umschlingt</div> - <div class="verse">das höchste Land, im Meere ringt</div> - <div class="verse">die ferne Nacht,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">sie zaudert nicht; der Flut entspringt</div> - <div class="verse">ein Sternchen, deine Seele trinkt</div> - <div class="verse">das ewige Licht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Aufrichtung">Aufrichtung</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hörst du Nachts die leere Stille schallen?</div> - <div class="verse">Tote Seelen rufen dich von fern.</div> - <div class="verse">Eine aber war dir wert vor allen;</div> - <div class="verse">o, nun möchtest du vor Schmerz ihr folgen,</div> - <div class="verse">ihr und ihrem unsichtbaren Herrn.</div> - <div class="verse">Und du kannst nicht fassen,</div> - <div class="verse">daß du weiterlebst,</div> - <div class="verse">daß du deinen Arm zur Abwehr</div> - <div class="verse">hoch ins Dunkel hebst;</div> - <div class="verse">und auf einmal schweigt es,</div> - <div class="verse">und mit frommen Händen</div> - <div class="verse">legst du deinen Schmerz auf einen Stern.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Heilige_Nacht">Heilige Nacht</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es steht ein Stern, der leuchtet klar,</div> - <div class="verse">von Nacht zu Nacht, schon tausend Jahr.</div> - <div class="verse">Es kommt ein trüber Wandersmann,</div> - <div class="verse">an eine Stalltür klopft er an.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wer bist du, Mann? was suchst du hier?</div> - <div class="verse">Ich suche Gott in Mensch und Tier.</div> - <div class="verse">Dann tritt herein, hier kannst du sehn</div> - <div class="verse">Ochs, Esel und ein Lämmlein stehn.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span> - <div class="verse">Ein Lämmlein wie im Paradies;</div> - <div class="verse">ein Knäblein streichelt ihm das Vlies.</div> - <div class="verse">Das Knäblein sitzt auf Mutters Schooß,</div> - <div class="verse">hat Augen wie der Stern so groß.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es sieht der trübe Wandersmann</div> - <div class="verse">die stolze Magd, den Knaben an.</div> - <div class="verse">Ja, sieh nur in die Augen sein,</div> - <div class="verse">da siehst du Gottes Glorienschein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich ächzte wie ein Tier fürwahr,</div> - <div class="verse">indeß ich lag und ihn gebar;</div> - <div class="verse">nun krönt auch mich der Schöpferglanz,</div> - <div class="verse">so schön ist keiner Jungfrau Kranz!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es steht der Wandersmann und sinnt;</div> - <div class="verse">es lacht die Magd und herzt ihr Kind.</div> - <div class="verse">Das Lämmlein leckt an ihr hinauf;</div> - <div class="verse">Ochs, Esel stehn und horchen auf.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O Mutter Gottes, höre mich an,</div> - <div class="verse">mich vielversuchten Gottesmann!</div> - <div class="verse">Vor deiner Schönheit könnt ich fliehn,</div> - <div class="verse">vor deiner Wahrheit lieg’ich auf den Knien.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich ging auf Erden hin und her:</div> - <div class="verse">es hieß, daß Gott gestorben wär.</div> - <div class="verse">Doch siehe da: von jeder Magd</div> - <div class="verse">wird er aufs neu zur Welt gebracht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun bin auch ich ein Gottessohn;</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">o Mutter, nimm dies Lied zum Lohn</em>!</div> - <div class="verse">Es steht ein Stern schon tausend Jahr</div> - <div class="verse">und leuchtet noch wie einst so klar.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span></p> - -<h4 id="Evas_Klage">Evas Klage</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Stern im Abendgrauen,</div> - <div class="verse">laß dein bleich Erschauern;</div> - <div class="verse">laß mich endlich ruhig</div> - <div class="verse">heim gen Eden trauern.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O Eden, mein Eden,</div> - <div class="verse">Garten meiner Träume,</div> - <div class="verse">warum gab mir Gott den Anblick</div> - <div class="verse">deiner Frühlingsbäume!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Deine Sommerfluren</div> - <div class="verse">hat er nicht behütet;</div> - <div class="verse">in den stolzen Garben</div> - <div class="verse">hat der Blitz gewütet.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In dein Herbstgefilde</div> - <div class="verse">ist der Sturm gekommen,</div> - <div class="verse">hat mir von den Ästen</div> - <div class="verse">Frucht auf Frucht genommen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Warum sang der Frühling,</div> - <div class="verse">sang von seligem Wandern</div> - <div class="verse">nur auf Blumenauen,</div> - <div class="verse">sang von einem seligen Andern!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ach, er kam, der Andre,</div> - <div class="verse">kam mit Glut und Flammen;</div> - <div class="verse">über meinen Blumen</div> - <div class="verse">schlugen sie zusammen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lachend aus der Asche</div> - <div class="verse">hat er mich getragen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span> - <div class="verse">In der kalten Fremde</div> - <div class="verse">hat ihn Gott erschlagen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Winter ist geworden.</div> - <div class="verse">Ach, ich möchte weinen.</div> - <div class="verse">Aber seine Seele</div> - <div class="verse">lacht noch in der meinen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Still auf seinem Grabe</div> - <div class="verse">will ich warten, warten;</div> - <div class="verse">meine Kinder irren</div> - <div class="verse">suchend nach dem Garten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O mein Garten Eden,</div> - <div class="verse">verlornes Eden,</div> - <div class="verse">o Eden, mein Eden,</div> - <div class="verse">stehst du denn noch offen?</div> - <div class="verse">Bis zur letzten Stunde</div> - <div class="verse">will ich auf dich hoffen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Magst du, Gott, mich töten,</div> - <div class="verse">mag mein Traum verglühen,</div> - <div class="verse">aber meinen Kindern muß er</div> - <div class="verse">neu erblühen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Laß dein bleich Erschauern,</div> - <div class="verse">Stern im Abendgrauen!</div> - <div class="verse">Endlich kann ich ruhig</div> - <div class="verse">heim gen Eden schauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Magst du, Stern, versinken,</div> - <div class="verse">mag ich selbst vergehen:</div> - <div class="verse">meine Kinder werden</div> - <div class="verse">Eden wiedersehen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span></p> - -<h4 id="Eines_Tages">Eines Tages</h4> - -<p class="s5 center">Phantasieen zweier Liebenden</p> - -<p class="center mtop2">Morgen</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Auf, mein schwarzer Zaubrer, auf,</div> - <div class="verse">eile, spinne Gold, es tagt,</div> - <div class="verse">schmücke deine stolze Magd!</div> - <div class="verse">Laß die Strahlen nicht verwittern,</div> - <div class="verse">die dem Morgenstern entsplittern!</div> - <div class="verse">Heute Mittag muß die Erde</div> - <div class="verse">sich entzücken am Geschnauf</div> - <div class="verse">deiner wilden Siegespferde!</div> - <div class="verse">Auf, mein goldner Zaubrer, auf!“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Laß mich träumen, Zauberin,</div> - <div class="verse">sprich mir nicht vom Tag der Schlacht;</div> - <div class="verse">nimm die Strahlen, spinn sie, spinn.</div> - <div class="verse">Mich verstört das Marktgepränge,</div> - <div class="verse">wo die Erze vor der Menge</div> - <div class="verse">zur verstaubten Sonne dröhnen.</div> - <div class="verse">Überirdisch ist die Nacht,</div> - <div class="verse">wo die heimlichen Gesänge</div> - <div class="verse">meiner zahmen Schlangen tönen;</div> - <div class="verse">sprich mir nicht vom Tag der Schlacht,</div> - <div class="verse">laß uns träumen, Zauberin,</div> - <div class="verse">nimm den ganzen Himmel hin ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Mittag</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Aber jetzt, mein Held, mein Sieger,</div> - <div class="verse">komm, mein König, komm, mein Krieger,</div> - <div class="verse">gib dich nicht den Gaffern preis!</div> - <div class="verse">Wirf sie weg, die blanken Bälle,</div> - <div class="verse">die so kalt, so gläsern klingen</div> - <div class="verse">und vor Hitze fast zerspringen;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span> - <div class="verse">führe mich an eine Quelle,</div> - <div class="verse">dies Getümmel riecht nach Schweiß!</div> - <div class="verse">Komm, was stehst du bei den Leuten,</div> - <div class="verse">du ermattest nur im Schwarm;</div> - <div class="verse">und bis Abend muß dein Arm</div> - <div class="verse">noch ein drittes Reich erbeuten!“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Königin, du störst mein Spiel.</div> - <div class="verse">Auf mein Volk herabzusehen,</div> - <div class="verse">wahrlich, das war nicht mein Ziel.</div> - <div class="verse">Schau: in diesem kleinen Ball,</div> - <div class="verse">weiß man ihn nur recht zu drehen</div> - <div class="verse">und das wird man bald verstehen,</div> - <div class="verse">spiegelt sich das große All.</div> - <div class="verse">Spiele mit! Komm, Siegerin,</div> - <div class="verse">nimm den ganzen Erdball hin ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Abend</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„<em class="gesperrt">Ist</em> hier nicht das dritte Reich?</div> - <div class="verse">ach, mein rascher Pilger, säume!</div> - <div class="verse">Bannt dich nicht der dunkle Teich,</div> - <div class="verse">über den die Lilienbäume</div> - <div class="verse">ihren süßen Atem breiten?</div> - <div class="verse">Und schon naht der Elefant,</div> - <div class="verse">drauf der Buddha Ewigkeiten</div> - <div class="verse">über unsre Seelen spannt.</div> - <div class="verse">Ja, mein Zaubrer: spiele! träume!“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Pilgerin, mir kommt ein Bangen;</div> - <div class="verse">siehst du nicht im bunten Laube</div> - <div class="verse">jene großen Schlangen hangen,</div> - <div class="verse">die mir fremd sind? und ich glaube,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span> - <div class="verse">daß sie Träumern Unheil brüten.</div> - <div class="verse">Ahnst du nicht, wonach ich suche?</div> - <div class="verse">Nicht nach üppigem Geruche!</div> - <div class="verse">laß uns wachen, Pilgerin!</div> - <div class="verse">Brich dir eine dieser Blüten;</div> - <div class="verse">und, im Haar die weiße Blume,</div> - <div class="verse">folge mir zum Heiligtume,</div> - <div class="verse">nimm die Ewigkeit da hin ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Nacht</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Willst du mich denn <em class="gesperrt">nie</em> erhören?</div> - <div class="verse">Nennst du dazu mich die Deine,</div> - <div class="verse">um mich langsam zu zerstören?</div> - <div class="verse">Ich zerfalle fast in Stücke;</div> - <div class="verse">wohin führt nun diese Brücke,</div> - <div class="verse">die der Mond in Schatten legt?</div> - <div class="verse">Immer neue Meilensteine!</div> - <div class="verse">ich bin müde! mich bewegt</div> - <div class="verse">keine Liebe mehr zum Ruhme,</div> - <div class="verse">auch zu keinem Heiligtume;</div> - <div class="verse">nimm mir aus dem Haar die Blume —</div> - <div class="verse">sieh, mein Einziger, ich weine.“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weine, weine, wein es aus!</div> - <div class="verse">O, nun darf ich mich dir beugen,</div> - <div class="verse">Weib, dort schimmert unser Haus.</div> - <div class="verse">Hinter jener hellen Scheibe,</div> - <div class="verse">nur noch Seele, nur noch Sinn,</div> - <div class="verse">die du bist und der ich bin,</div> - <div class="verse">werden wir mit nacktem Leibe</div> - <div class="verse">einen neuen Menschen zeugen —</div> - <div class="verse">o du Meine, nimm mich hin!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span></p> - -<h4 id="Eine_Lebensmesse">Eine Lebensmesse</h4> - -<p class="s5 center">Dichtung für ein festliches Spiel</p> - -<p class="center mtop2">Chor der Greise:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn der Mensch,</div> - <div class="verse">der dem Schicksal gewachsen ist,</div> - <div class="verse">sein zerfurchtes Gesicht</div> - <div class="verse">vor der Allmacht der Menschheit beugt,</div> - <div class="verse">nur noch vor der Menschheit:</div> - <div class="verse">dann wird seine Seele wie ein Kind,</div> - <div class="verse">das im Dunkeln mit geschlossenen Augen</div> - <div class="verse">an die Märchen der Mutter denkt.</div> - <div class="verse">Alle Sterne</div> - <div class="verse">werden dann sein Spielzeug;</div> - <div class="verse">durch das wilde Feuerwerk der Welt</div> - <div class="verse">kreist er furchtlos mit den unsichtbaren</div> - <div class="verse">mütterlichen Flügeln,</div> - <div class="verse">sieht er innig und verwundert zu,</div> - <div class="verse">wie das Leben</div> - <div class="verse">aus der Werkstatt des Todes sprüht.</div> - <div class="verse">Denn nicht über sich,</div> - <div class="verse">denn nicht außer sich,</div> - <div class="verse">nur noch in sich</div> - <div class="verse">sucht die Allmacht der Mensch,</div> - <div class="verse">der dem Schicksal gewachsen ist.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Eine Jungfrau:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber wenn auf Frühlingswegen</div> - <div class="verse">durch den scheinbar dürren Hain</div> - <div class="verse">alle Kräuter mir entgegen</div> - <div class="verse">wachsen, wenn im Sonnenschein</div> - <div class="verse">jedes Auge Osterkerzen</div> - <div class="verse">aus sich ausstrahlt, Mensch und Tier,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span> - <div class="verse">und mir geht das so zu Herzen,</div> - <div class="verse">daß mich meine Brüste schmerzen:</div> - <div class="verse">dann gerat ich außer mir!</div> - <div class="verse">und ich werf mich zum Erbarmen</div> - <div class="verse">in den rauhen Rasen hin,</div> - <div class="verse">und ich möchte das Schicksal umarmen,</div> - <div class="verse">dem ich doch gewachsen bin!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Chor der Väter:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Eine wandelnde Wage</div> - <div class="verse">ist der Mensch.</div> - <div class="verse">Mit Haupt, Herz, Händen</div> - <div class="verse">wägt er sein Wohl;</div> - <div class="verse">nur mit der Rechten gibt er den Ausschlag,</div> - <div class="verse">und seine Zunge schreit nach Gleichgewicht.</div> - <div class="verse">Fass festen Fuß,</div> - <div class="verse">du hast die Macht der Wahl!</div> - <div class="verse">Es kommen Viele</div> - <div class="verse">vor Sehnsucht nie zum Ziel;</div> - <div class="verse">gern bis zum Äußersten geht der Mensch</div> - <div class="verse">in seiner Ohnmacht, und Tat wird Untat.</div> - <div class="verse">Doch immer treibt ihn</div> - <div class="verse">die Sehnsucht nach Ruhe:</div> - <div class="verse">rastlos rast er von Brust zu Brust,</div> - <div class="verse">Schooß zu Schooß,</div> - <div class="verse">und sucht nichts als den Menschen,</div> - <div class="verse">der dem Schicksal gewachsen ist.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Ein Held:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt mir nicht mit Euerm Treiben,</div> - <div class="verse">ich weiß kein Ziel, ich will kein Wohl!</div> - <div class="verse">ich habe nur dies mein Herz im Leibe,</div> - <div class="verse">das von jeher überschwoll.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span> - <div class="verse">Ich hatte Freunde, ich gab Gelage,</div> - <div class="verse">und manches Weib war mir zu Sinn;</div> - <div class="verse">aber an einem Sommertage</div> - <div class="verse">zeigte sich mit Einem Schlage,</div> - <div class="verse">wozu Ich gewachsen bin.</div> - <div class="verse">Das Spiel der Hörner und der Geigen</div> - <div class="verse">verstummte plötzlich wüst und irr:</div> - <div class="verse">mitten durch den Erntereigen</div> - <div class="verse">kam ein losgerissener Stier.</div> - <div class="verse">Und da riß mich mein Herz vom Platze,</div> - <div class="verse">und man griff nach mir vor Schreck;</div> - <div class="verse">aber mit Einem Satze</div> - <div class="verse">schlug ich dem Freund in die Fratze,</div> - <div class="verse">stieß ich das Weibsbild weg!</div> - <div class="verse">Und jetzt reit ich von Sieg zu Siegen</div> - <div class="verse">bahnfrei auf meinem Stier dahin,</div> - <div class="verse">bis ich dem Schicksal erliege,</div> - <div class="verse">dem ich gewachsen bin.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Chor der Mütter:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mit Schweiß und Tränen</div> - <div class="verse">und manchem Tropfen Blut</div> - <div class="verse">setzen wir Kinder auf diese Erde</div> - <div class="verse">und lehren sie Vorsicht</div> - <div class="verse">und üben Nachsicht,</div> - <div class="verse">bis sie sich selbst mehr lieben als uns.</div> - <div class="verse">Und Schweiß und Tränen</div> - <div class="verse">und Ströme von Blut</div> - <div class="verse">vergießen die Kinder dieser Erde</div> - <div class="verse">vor lauter Vorsicht</div> - <div class="verse">und lehren Nachsicht</div> - <div class="verse">und lernen nie, was Liebe ist.</div> - <div class="verse">Denn Schweiß und Tränen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span> - <div class="verse">und alles Blut</div> - <div class="verse">vergessen wir entzückt, wenn Einer,</div> - <div class="verse">den Blick der Sonne oder fernsten Sternen zugewandt,</div> - <div class="verse">über die Erde hinstürmt ohne Vorsicht,</div> - <div class="verse">ohne Nachsicht,</div> - <div class="verse">über sich und Andre hin.</div> - <div class="verse">Jeder Lehre zuwider,</div> - <div class="verse">nur dem Leben zu Liebe,</div> - <div class="verse">rühmen wir Kindern und Kindeskindern</div> - <div class="verse">opferselig den Einen,</div> - <div class="verse">schöpferselig den Menschen,</div> - <div class="verse">der dem Schicksal gewachsen ist.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Eine Waise:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kenne Keinen,</div> - <div class="verse">der mich will leben sehn:</div> - <div class="verse">ich möchte weinen,</div> - <div class="verse">aber um wen!</div> - <div class="verse">Bald kommt der Herbst mit seinen Stürmen,</div> - <div class="verse">die Blätter schwirren;</div> - <div class="verse">wo werd’ich irren,</div> - <div class="verse">wenn sie den winzigsten Gewürmen</div> - <div class="verse">Heimstätten türmen?</div> - <div class="verse">Wohl stehn mir Hütten,</div> - <div class="verse">Paläste offen;</div> - <div class="verse">aber ich möchte mein Herz ausschütten,</div> - <div class="verse">Einem ins Herz zu wachsen hoffen,</div> - <div class="verse">und dann stehn die Menschen betroffen.</div> - <div class="verse">Könnt ich noch weinen,</div> - <div class="verse">wäre mir wohl zu Sinn;</div> - <div class="verse">ich kenne Keinen,</div> - <div class="verse">dem ich gewachsen bin.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">Zwei erfahrene Sonderlinge:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn uns Hilferufe schmerzen,</div> - <div class="verse">können wir nicht abseits bleiben;</div> - <div class="verse">eins und gleich ist unsern Herzen,</div> - <div class="verse">was uns treibt und was wir treiben.</div> - <div class="verse">Sei getrost!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Der eine allein:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm an meinen stillen See,</div> - <div class="verse">wenn die Menschen dich nicht wollen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Der andre allein:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm auf meinen wilden Strom!</div> - <div class="verse">sieh, wie hell die Wellen rollen!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Der Eine:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber unten ist es dunkel;</div> - <div class="verse">komm an meinen stillen See!</div> - <div class="verse">Bis zum Grunde welch Gefunkel,</div> - <div class="verse">wenn die Sonne taucht ins Feuchte;</div> - <div class="verse">und in Nächten welch Geleuchte,</div> - <div class="verse">Welten flimmern auf wie Schnee!</div> - <div class="verse">Kannst du dich denn noch besinnen,</div> - <div class="verse">wenn dir alle Himmel winken?</div> - <div class="verse">wenn sie dir zu Füßen sinken</div> - <div class="verse">und dich spiegeln und dich trinken!</div> - <div class="verse">Lächelnd gehst du unter drinnen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Der Andre:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O, du kannst dich noch besinnen;</div> - <div class="verse">aber komm auf meinen Strom!</div> - <div class="verse">Da rauscht und raunt der Urton drinnen,</div> - <div class="verse">dem Wellen, Wolken, Wälder, Zinnen,</div> - <div class="verse">Berge und Burgen entgegenrinnen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> - <div class="verse">und orgelstürmisch Dom auf Dom:</div> - <div class="verse">der Ton des Ursprungs aller Ziele,</div> - <div class="verse">der Tropfenstürze um dich her,</div> - <div class="verse">des Abgrunds unter deinem Kiele —</div> - <div class="verse">Und so gehst du mit klingendem Spiele</div> - <div class="verse">lachend auf ins große Meer!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Die Waise:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Auf —! Ach —: weise — lieb und weise</div> - <div class="verse">lachen sie mich Beide an.</div> - <div class="verse">Ach, wem dank ich für die Reise?</div> - <div class="verse">Bin ich doch nur <em class="gesperrt">eine</em> Waise,</div> - <div class="verse">die sich nicht zerreißen kann!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Die zwei Sonderlinge:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hahahah, du liebes Kind!</div> - <div class="verse">Ohne Einfalt ist am Ende</div> - <div class="verse">alle Weisheit taub und blind.</div> - <div class="verse">Komm: vereine unsre Hände —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Die drei Einigen:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">die dem Schicksal gewachsen sind!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Der Held:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn ich Euch in Eintracht sehe,</div> - <div class="verse">wird mir plötzlich kalt und heiß;</div> - <div class="verse">durch mein Herz brandet ein Wehe,</div> - <div class="verse">das sich nicht zu lassen weiß.</div> - <div class="verse">Holt mir jene Jungfrau vom Wege,</div> - <div class="verse">der das Land zu eng war hier!</div> - <div class="verse">Schwillt mir Deren Herz entgegen,</div> - <div class="verse">will ich sie an Mein Herz legen,</div> - <div class="verse">und ich <em class="gesperrt">schlacht</em> ihr meinen Stier!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span> - <div class="verse">Und wir steigen zu Schiff und lenken</div> - <div class="verse">uns durch Wetter und Wasser und Wind;</div> - <div class="verse">und sie soll mir Kinder schenken,</div> - <div class="verse">die dem Schicksal gewachsen sind!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Chor der Kinder:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann wird ein Winter kommen,</div> - <div class="verse">friert alles Wasser zu:</div> - <div class="verse">da haben alle Wellen,</div> - <div class="verse">alle Schifflein Ruh.</div> - <div class="verse">Und ein stiller Weihnachtsengel</div> - <div class="verse">geht von Haus zu Haus,</div> - <div class="verse">hebt seine weißen Finger,</div> - <div class="verse">dreht alle Lampen aus ...</div> - <div class="verse">Bringt ein grünes Bäumchen mit,</div> - <div class="verse">steckt neue Lichter auf;</div> - <div class="verse">das glänzt wie Frühlingsblütennacht,</div> - <div class="verse">und sind auch Früchte drauf.</div> - <div class="verse">Du stiller Weihnachtsengel,</div> - <div class="verse">mach uns geschickt wie Du!</div> - <div class="verse">wir sind ja noch so klein, so klein,</div> - <div class="verse">und wachsen immer zu ...</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Die Greise:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">— <em class="gesperrt">immer zu</em> — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Alle Großen:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Seele der Menschheit,</div> - <div class="verse">immer wieder</div> - <div class="verse">rührst du uns aus Kindermund.</div> - <div class="verse">Die du alle Tiere in dir trägst</div> - <div class="verse">und den Blumen ihre Farben sagst</div> - <div class="verse">und mit jauchzenden Jammerlauten,</div> - <div class="verse">daß sich Steine verwandeln,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span> - <div class="verse">Götter gebärst:</div> - <div class="verse">Warum suchen wir Dich,</div> - <div class="verse">die du <em class="gesperrt">in</em> uns bist,</div> - <div class="verse">uns in alle Welten schickst,</div> - <div class="verse">uns mit Übergewalten,</div> - <div class="verse">die den weisesten Mann empören,</div> - <div class="verse">zu Kindern machst,</div> - <div class="verse">die sich fromm in Alles schicken,</div> - <div class="verse">Alles, Alles,</div> - <div class="verse">die dem <em class="gesperrt">Schicksal</em> gewachsen sind?! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Zwiegesang_ueberm_Abgrund">Zwiegesang überm Abgrund</h4> - -<p class="center mtop2">Des Todes Stimme:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du pfadloser Sucher,</div> - <div class="verse">ich will dich heimfinden lassen.</div> - <div class="verse">Im Schneesturm, im Nebelbrodem,</div> - <div class="verse">im Blitzstrahl, im Wolkenbruch,</div> - <div class="verse">im berauschenden Wirbel des Lichts von Welle zu Welle</div> - <div class="verse">sollst du dich schaukeln traumgewiegt,</div> - <div class="verse">in jeder Luftspiegelung zuhause,</div> - <div class="verse">in jedem Steinfunken, jedem Samenflimmer,</div> - <div class="verse">ruhsamer Phönix im fliegenden Feuernest:</div> - <div class="verse">tu nur den Schritt jetzt, vor dem dir graut,</div> - <div class="verse">zu dem dein Grauen dich kniefällig lockt,</div> - <div class="verse">den einen Sprung von deinem erkrochenen Gipfel</div> - <div class="verse">in meine allbeschwingende,</div> - <div class="verse">allverschlingende,</div> - <div class="verse">unerschöpfliche Tiefe.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Eines Menschen Erwiderung:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Versucher, zielloser du,</div> - <div class="verse">ich danke dir.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span> - <div class="verse">Hab ich nicht schon, was du alles versprichst?</div> - <div class="verse">Die Jagd durchs Luftmeer vom frühen Morgen an,</div> - <div class="verse">die Entzückung, mich wie ein Baum zu fühlen,</div> - <div class="verse">wenn ich die Arme ins Blaue strecke,</div> - <div class="verse">vogelleicht atmend mit heißen Lungenflügeln,</div> - <div class="verse">wurzelhafte Schwermut im Nerven- und Adern-Geflecht,</div> - <div class="verse">Kopf, Herz, Schooß voller Keimtriebe!</div> - <div class="verse">Und hab ein Ziel:</div> - <div class="verse">bei der Heimkehr Abends in stiller Kammer</div> - <div class="verse">den dunkeln Blick meiner lieben Frau,</div> - <div class="verse">mit dem sie mir den Schlaftrunk reicht,</div> - <div class="verse">einen irdnen Krug voll Milch oder Wein</div> - <div class="verse">und voll Ruhe.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Am_Opferherd">Am Opferherd</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm an mein Feuer, mein Weib,</div> - <div class="verse">es ist kalt in der Welt.</div> - <div class="verse">Komm an mein Feuer und lege</div> - <div class="verse">dein Ohr an mein Herz.</div> - <div class="verse">Komm an mein Feuer und mache aus meinen Händen</div> - <div class="verse">eine leuchtende Schale für die Wärme,</div> - <div class="verse">die wir — o <em class="gesperrt">wir</em>, mein Weib — verschwenden</div> - <div class="verse">an die Welt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="Zwei_Menschen">Zwei Menschen<br /> -<span class="s5">Roman in Romanzen</span><br /> -<span class="s6">Dritte Ausgabe</span></h2> - -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span></p> - -<h3 id="Leitlied">Leitlied</h3> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Öffne still die Fensterscheibe,</div> - <div class="verse">die der volle Mond erhellt;</div> - <div class="verse">zwischen uns liegt Berg und Feld</div> - <div class="verse">und die Nacht, in der ich schreibe.</div> - <div class="verse">Aber öffne nur die Scheibe,</div> - <div class="verse">schau voll über Berg und Feld,</div> - <div class="verse">und hell siehst du, was ich schreibe,</div> - <div class="verse">an den Himmel schreibe: Wir Welt!</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span></p> - -<h3 id="Erster_Umkreis">Erster Umkreis<br /> -– Die Erkenntnis –</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Eingang">Eingang</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Steig auf, steig auf mit deinen Leidenschaften,</div> - <div class="verse">tu ab die lauliche Klagseligkeit;</div> - <div class="verse">lach oder weine, hab Lust, hab Leid,</div> - <div class="verse">und dann recke dich, bleib nicht haften!</div> - <div class="verse">Um den Drehpunkt des Lebens kreisen</div> - <div class="verse">Wonne und Schmerz mit gleichem Segen;</div> - <div class="verse">sieh, mit unaufhaltsamer Sehnsucht weisen</div> - <div class="verse">die Menschen einander Gott entgegen!</div> - <div class="verse">Stolpert auch Jeder über Leichen,</div> - <div class="verse">schaudre nicht davor zurück!</div> - <div class="verse">denn es gilt, o Mensch, ein Glück</div> - <div class="verse">ohne gleichen zu erreichen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Vorgaenge_I_1-36">Vorgänge: I, 1–36</h4> - -<p class="center mtop2">1.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;</div> - <div class="verse">der Mond lauft mit, sie schaun hinein.</div> - <div class="verse">Der Mond läuft über hohe Eichen;</div> - <div class="verse">kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,</div> - <div class="verse">in das die schwarzen Zacken reichen.</div> - <div class="verse">Die Stimme eines Weibes spricht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich trag ein Kind, und nit von Dir,</div> - <div class="verse">ich geh in Sünde neben dir.</div> - <div class="verse">Ich hab mich schwer an mir vergangen.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span> - <div class="verse">Ich glaubte nicht mehr an ein Glück</div> - <div class="verse">und hatte doch ein schwer Verlangen</div> - <div class="verse">nach Lebensinhalt, nach Mutterglück</div> - <div class="verse">und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,</div> - <div class="verse">da ließ ich schaudernd mein Geschlecht</div> - <div class="verse">von einem fremden Mann umfangen,</div> - <div class="verse">und hab mich noch dafür gesegnet.</div> - <div class="verse">Nun hat das Leben sich gerächt:</div> - <div class="verse">nun bin ich Dir, o Dir, begegnet.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie geht mit ungelenkem Schritt.</div> - <div class="verse">Sie schaut empor; der Mond läuft mit.</div> - <div class="verse">Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.</div> - <div class="verse">Die Stimme eines Mannes spricht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Kind, das du empfangen hast,</div> - <div class="verse">sei deiner Seele keine Last,</div> - <div class="verse">o sieh, wie klar das Weltall schimmert!</div> - <div class="verse">Es ist ein Glanz um alles her;</div> - <div class="verse">du treibst mit mir auf kaltem Meer,</div> - <div class="verse">doch eine eigne Wärme flimmert</div> - <div class="verse">von dir in mich, von mir in dich.</div> - <div class="verse">Die wird das fremde Kind verklären,</div> - <div class="verse">du wirst es mir von mir gebären;</div> - <div class="verse">du hast den Glanz in mich gebracht,</div> - <div class="verse">du hast mich selbst zum Kind gemacht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er faßt sie um die starken Hüften.</div> - <div class="verse">Ihr Atem küßt sich in den Lüften.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">2.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Sonne strahlt auf rauhen Reif;</div> - <div class="verse">Baum bei Baum steht weiß, steht steif.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span> - <div class="verse">Aus ihren Pelzen von Kristallen</div> - <div class="verse">lassen die Zweige Tropfen fallen.</div> - <div class="verse">Schon zeigt ein Wipfel nackte Spitzen,</div> - <div class="verse">die feucht und scheu gen Himmel blitzen.</div> - <div class="verse">Der Park will weinen, die Sonne lacht;</div> - <div class="verse">zwei Menschen beschauen die schmelzende Pracht.</div> - <div class="verse">Sie stehn auf eisernem Balkone.</div> - <div class="verse">Ein Mann sagt innig, sagt mit Hohn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So, Fürstin, wars im blendenden Saale.</div> - <div class="verse">So standest du bei deinem Gemahl</div> - <div class="verse">in deinem Pelz von Silberbrokat,</div> - <div class="verse">als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat.</div> - <div class="verse">Da: fühlst du’s noch? was war da ich,</div> - <div class="verse">der hergeschneite Unbekannte —</div> - <div class="verse">und wie sich plötzlich außer sich</div> - <div class="verse">dein Auge doch in meines brannte</div> - <div class="verse">und immer nackter sich entspannte,</div> - <div class="verse">als ob im glitzernden Gehölze</div> - <div class="verse">das Schwarze aus dem Weißen schmölze.</div> - <div class="verse">Ja, Fürstin, da beherrscht ich mich</div> - <div class="verse">und küßte nicht, o Du, die Hand,</div> - <div class="verse">die schon zu mir herüberfand,</div> - <div class="verse">sonst hätt ich auch den Mund geküßt;</div> - <div class="verse">so klar, so starr ergriff mich dein Gelüst,</div> - <div class="verse">mit mir gleich zwei erschütterten Kristallen,</div> - <div class="verse">die mächtig warm das ewige Licht beschlich,</div> - <div class="verse">in Einen Tropfen zusammenzufallen.</div> - <div class="verse">So bist du mir; so rein, so frei! — Und ich??</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hoch steht der Park mit Eis befiedert.</div> - <div class="verse">Die starren Wipfel, Trieb an Trieb,</div> - <div class="verse">erschauern wirr. Das Weib erwidert:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span> - <div class="verse">Ich weiß nicht, wie du bist — du bist mir lieb —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Windstoß stöbert durch den Park.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen fröstelt bis ins Mark.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">3.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus erleuchteten Fensterräumen</div> - <div class="verse">tönt in die Nacht Musik und Tanz;</div> - <div class="verse">jenseits der Straße verschwimmt der Glanz</div> - <div class="verse">unter dunklen Trauerbäumen.</div> - <div class="verse">Ein Kirchhof schweigt da, Grab an Grab.</div> - <div class="verse">Das Licht prallt von den Leichensteinen,</div> - <div class="verse">die schwarz durch weiß zu huschen scheinen;</div> - <div class="verse">zwei Menschen wandeln auf und ab.</div> - <div class="verse">Am winterlich durchnäßten Zaune</div> - <div class="verse">tönt eines Weibes zögerndes Geraune:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schon Einmal wollt sich bei solchen Klängen</div> - <div class="verse">Einer in mein Innres drängen;</div> - <div class="verse">ich hatt ihn Jahr und Tag gekannt.</div> - <div class="verse">Wenn er in meiner Nähe stand,</div> - <div class="verse">ging mir das Blut in Feuerflüssen.</div> - <div class="verse">Als er mich endlich wagte zu küssen,</div> - <div class="verse">war alles in mir abgebrannt.</div> - <div class="verse">Ich hörte nur die Tanzmusik:</div> - <div class="verse">was er wie Sphärenklang empfand,</div> - <div class="verse">war mir Gedudel und Gequiek.</div> - <div class="verse">Ich konnt mir nit ein Wörtchen abringen.</div> - <div class="verse">Jetzt — hör ich Engelsharfen klingen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Von den goldig glänzenden Lettern</div> - <div class="verse">der Gräber scheint der Glanz abzublättern,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span> - <div class="verse">das Licht schielt um die nassen Gitter.</div> - <div class="verse">Ein Mann gesteht, fast mit Gezitter:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wir haben einander sehr ähnlich gelebt.</div> - <div class="verse">Unsre Liebe tanzt auf Leichen,</div> - <div class="verse">die keine fromme Hand begräbt.</div> - <div class="verse">Noch gestern sah ich ein Gesicht erbleichen:</div> - <div class="verse">sie will vom Leben nichts als mich,</div> - <div class="verse">ich konnt ihr nichts als Mitleid reichen,</div> - <div class="verse">in das sich noch Verachtung schlich.</div> - <div class="verse">Ich liebe dich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Licht lacht auf den blanken Steinen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen möchten lachen und weinen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">4.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwischen geputzten Herren und Damen,</div> - <div class="verse">die durch Zufall zusammenkamen,</div> - <div class="verse">wiegen zwei Menschen sich im Tanz;</div> - <div class="verse">um sie rauscht des Saales Glanz.</div> - <div class="verse">Bebend legt sich im Kreis der Kerzen</div> - <div class="verse">sein dunkles in ihr schwarzes Haar,</div> - <div class="verse">legt sich über zwei bebenden Herzen</div> - <div class="verse">an ihr Ohr sein Lippenpaar:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, du: wiege dich, laß dich führen,</div> - <div class="verse">und fühl’s, fühl’s: Niemand kann uns trennen!</div> - <div class="verse">Laß uns nichts als Uns noch spüren,</div> - <div class="verse">selig Seel in Seele brennen!</div> - <div class="verse">Zehn Jahr lang glaubt ich, daß ich liebte;</div> - <div class="verse">zu Hause sitzt mein Jugendglück,</div> - <div class="verse">sitzt und starrt auf Einst zurück,</div> - <div class="verse">als ich sie noch „ewig“ liebte.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> - <div class="verse">Nimm mich, wiege mich! — Hingegeben</div> - <div class="verse">bringt sie jetzt ihr Kind zur Ruh;</div> - <div class="verse">ist auch <em class="gesperrt">mein</em> Kind! — Nimm mich, Leben,</div> - <div class="verse">wiege, wiege mich, führ mich Du!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Taumelnd drängt sich im Kreis der Kerzen</div> - <div class="verse">sein wirres in ihr wirres Haar,</div> - <div class="verse">drängt sich über zwei taumelnden Herzen</div> - <div class="verse">an sein Ohr ihr Lippenpaar:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, es wiegt uns! Nit erzählen!</div> - <div class="verse">Führe mich sanfter! Nit uns quälen!</div> - <div class="verse">du bist mir gut, ich bin dir gut.</div> - <div class="verse">Hab doch auch die Seel voll Schmerzen:</div> - <div class="verse">spür ein Kindchen unterm Herzen,</div> - <div class="verse">und ist nicht von Deinem Blut.</div> - <div class="verse">Sanfter noch — mir braust vor Hitze;</div> - <div class="verse">komm, sei lieb, mein wilder Tor,</div> - <div class="verse">hüte deine Augenblitze —</div> - <div class="verse">nick mal — lach mal — mir ins Ohr!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr schwarzes Haar erschauert ganz.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen wanken; es stockt ihr Tanz.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">5.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hitze schwingt. Ein Raum voll Schlangen</div> - <div class="verse">strömt durch Glas und Gitterstangen</div> - <div class="verse">Dunst; zwei Menschen stehn davor.</div> - <div class="verse">Die gesättigten Gewürme hängen</div> - <div class="verse">still in buntverflochtnen Strängen.</div> - <div class="verse">Einem Manne haucht ein Weib ins Ohr:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span> - <div class="verse">Du, die Schlangen muß ich lieben.</div> - <div class="verse">Fühlst du die verhaltne Kraft,</div> - <div class="verse">wenn sie langsam sich verschieben?</div> - <div class="verse">Eine Schlange möcht ich mir wohl zähmen;</div> - <div class="verse">möcht ihr nit ein Gliedche lähmen,</div> - <div class="verse">wenn ihr Hals vor Zorn sich strafft.</div> - <div class="verse">Eh sie noch vermag zu fauchen,</div> - <div class="verse">werden ihre Augen nächtig —</div> - <div class="verse">Sterne tauchen</div> - <div class="verse">wie aus Brunnenlöchern auf —</div> - <div class="verse">setz ich ein Rubinenkrönche</div> - <div class="verse">auf ihr Stirnche: still, mei Söhnche,</div> - <div class="verse">züngle, Jüngle — Ringle, lauf,</div> - <div class="verse">spiel mit mir! — Du, Das wär prächtig.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hitze schwingt. In gleichen Zwischenräumen</div> - <div class="verse">tippt ihr Finger an die Scheibe;</div> - <div class="verse">ihre Augen stehn in Träumen.</div> - <div class="verse">Während sich zwei Vipern bäumen,</div> - <div class="verse">sagt ein Mann zu einem Weibe:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du mit deinem egyptischen Blick,</div> - <div class="verse">bist du so wie die dadrinnen?</div> - <div class="verse">Noch, du, kann ich dir entrinnen!</div> - <div class="verse">Daraus knüpft man sein Geschick,</div> - <div class="verse">was und wie man haßt und liebt.</div> - <div class="verse">Komm: wir wollen uns besinnen,</div> - <div class="verse">daß es Tiere in uns giebt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hitze schwingt. Zwei Augen wühlen</div> - <div class="verse">brandbraun in zwei grauen kühlen;</div> - <div class="verse">doch die stählt ein blauer Bann.</div> - <div class="verse">Und zwei Seelen sehn sich funkelnd an.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">6.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch stille Dämmrung strahlt ein Weihnachtsbaum.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sitzen Hand in Hand und schweigen.</div> - <div class="verse">Die Lichter züngeln auf den heiligen Zweigen.</div> - <div class="verse">Ein Mann erhebt sich, wie im Traum:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann zu keinem Gott mehr beten</div> - <div class="verse">als dem in dein-und-meiner Brust;</div> - <div class="verse">und an die Gottsucht der Propheten</div> - <div class="verse">denk ich mit Schrecken statt mit Lust.</div> - <div class="verse">Es war nicht Gott, womit sie nächtlich rangen:</div> - <div class="verse">es war das Tier in ihnen: qualbefangen</div> - <div class="verse">erlag’s dem ringenden Menschengeist.</div> - <div class="verse">O Weihnachtsbaum — o wie sein Schimmer,</div> - <div class="verse">sein paradiesisches Geflimmer</div> - <div class="verse">gen Himmel züngelnd voller Schlänglein gleißt!</div> - <div class="verse">Wer kann noch ernst zum Christkind beten</div> - <div class="verse">und hört nicht tiefauf den Propheten,</div> - <div class="verse">indeß sein Mund die Kindlein preist,</div> - <div class="verse">zu sich und seiner Schlange sprechen:</div> - <div class="verse">du wirst mir in die Ferse stechen,</div> - <div class="verse">ich werde dir den Kopf zertreten!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Weib erhebt sich. Ihre Haut</div> - <div class="verse">schillert braun von Sommersprossen;</div> - <div class="verse">ihr Stirngeäder schwillt und blaut.</div> - <div class="verse">Sie spricht, von goldnem Glanz umflossen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich denk nicht nach um die Legenden,</div> - <div class="verse">die unsern Geist vieldeutig blenden;</div> - <div class="verse">ich freu mich nur, wie schön sie sind.</div> - <div class="verse">„Uns ist geboren heut ein Kind“ —</div> - <div class="verse">das klingt mir so durch meine dunkelsten Gründe,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span> - <div class="verse">durch die zum Glück, dank einer Ahnensünde,</div> - <div class="verse">auch etwas Blut vom König David rinnt,</div> - <div class="verse">daß ich mich kaum vor Stolz und Wonne fasse</div> - <div class="verse">und deine Schlangenfabeln beinah hasse!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er lächelt eigen; sie sieht es nicht.</div> - <div class="verse">Ein Lied erhebt sich, fern, aus dunkler Gasse.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen lauschen — dem Lied, dem Licht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">7.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kaminfeuer und blauer Tag</div> - <div class="verse">liebkosen ein hohes Damengemach,</div> - <div class="verse">die Wärme scheint schier frühlingshell;</div> - <div class="verse">zwei Menschen ruhn auf einem Eisbärfell.</div> - <div class="verse">Der Mann bestarrt die meergrün seidnen Wände.</div> - <div class="verse">Das Weib faßt zärtlich seine Hände:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Quälst dich schon wieder mit Alltagssachen?</div> - <div class="verse">Lukas! mein Traumprinz! sollst doch lachen!</div> - <div class="verse">Sollst uns mit Märchennamen taufen:</div> - <div class="verse">nit so hinterm Leben herlaufen,</div> - <div class="verse">nit so häßlich auf deiner Hut sein.</div> - <div class="verse">Weißt? wenn du lachst, Lux, muß alle Welt dir gut sein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er lacht und küßt die schmeichelnden Fingerspitzen,</div> - <div class="verse">fährt durch den dunkeln Haarbusch sich,</div> - <div class="verse">und seine grauen Augen blitzen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja — wenn ich traurig bin, hass ich mich;</div> - <div class="verse">dann wird wohl auch die Welt mich hassen.</div> - <div class="verse">Jetzt aber will ich dich beim Worte fassen,</div> - <div class="verse">Lea: höchst wirklich tauf ich dich.</div> - <div class="verse">Es tut nicht not, daß man dem Alltag trotzt;</div> - <div class="verse">es gibt kein Wort, das nicht von Märchen strotzt.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span> - <div class="verse">Drum bleibe nur das Wunder, das du bist,</div> - <div class="verse">und ich bin Lukas dein Evangelist.</div> - <div class="verse">Du bist die Fürstin Isabella Lea,</div> - <div class="verse">die löwenkühne Gottbeschwörerin;</div> - <div class="verse">aus deiner schwarzen Mähne, mea Dea,</div> - <div class="verse">lauscht Mutter Isis, Mutter Gäa</div> - <div class="verse">zum Lichtbringer Osiris hin.</div> - <div class="verse">Denn hier thront Lukas Lux, dein Sekretär,</div> - <div class="verse">das dunkle Raubtier mit den hellen Lichtern,</div> - <div class="verse">der Große Geist-Luchs der Indianermär,</div> - <div class="verse">verhaßt wie Lucifer den Blaßgesichtern.</div> - <div class="verse">So tauf und krön ich dich mit neuem Sinn:</div> - <div class="verse">komm, meine große Geistbeschwörerin!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er schlägt das weiße Fell um sie und sich.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen freun sich königlich.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">8.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sylvesternacht. Viel Glocken läuten.</div> - <div class="verse">Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn</div> - <div class="verse">den Dunst des Horizontes leuchten</div> - <div class="verse">und drüber die Millionen Sterne stehn.</div> - <div class="verse">Zwangvoll, um ein Weib nicht zu berühren,</div> - <div class="verse">lehnt ein Mann auf eisernem Balkone,</div> - <div class="verse">sagt mit trunknem, heiserm Ton,</div> - <div class="verse">während im Hause Gläser klirren:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dort schläft im Dunst mein Eheweib,</div> - <div class="verse">und Du — besiehst mit mir die Sterne.</div> - <div class="verse">Und hinter uns trinkt Jemand Haut-Sauternes,</div> - <div class="verse">dem du gehörst mit deinem Leib,</div> - <div class="verse">mit deinem hoffnungsvollen Leib.</div> - <div class="verse">Himmel, Himmel, o könnt ich blind sein!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span> - <div class="verse">Lea! blind sein! wirklich noch Kind sein!</div> - <div class="verse">Nimm mir’s ab, dies eisige Grauen:</div> - <div class="verse">klar und kalt wie Gott durchschauen:</div> - <div class="verse">nur aus Leid ist Glück zu bauen.</div> - <div class="verse">Alles Leid ist Einsamkeit,</div> - <div class="verse">alles Glück Gemeinsamkeit —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er stockt. Die Glocken rings verstummen;</div> - <div class="verse">es ist, als ob die Sterne summen.</div> - <div class="verse">Die Stirn erhebend sagt ein schwangres Weib:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nur mir, nur Gott gehört mein Leib.</div> - <div class="verse">Mir steht ein andrer Himmel offen,</div> - <div class="verse">als ihn die Leidenden ermessen.</div> - <div class="verse">Hast du dein eignes Wort vergessen:</div> - <div class="verse">Gott ist der Mensch, auf den wir hoffen?!</div> - <div class="verse">Uns ging kein Paradies verloren,</div> - <div class="verse">es wird erst von uns selbst geboren.</div> - <div class="verse">Schon reift in manchem Schooß auf Erden</div> - <div class="verse">ein neuer Menschensohn — der sagt:</div> - <div class="verse">so ihr das Himmelreich nicht in euch tragt,</div> - <div class="verse">könnt ihr nicht wie die Kindlein werden!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es glitzern die Millionen Sterne;</div> - <div class="verse">zwei Menschen schauen in die Ferne.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">9.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft,</div> - <div class="verse">zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft.</div> - <div class="verse">Immer wieder blickt ein Weib einen Mann</div> - <div class="verse">verstohlen an —</div> - <div class="verse">seine offne Stirn, den kurzgehaltnen Bart,</div> - <div class="verse">den Mund von träumerisch verschlossener Art,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span> - <div class="verse">Hiebnarben neben den heftigen Nüstern —</div> - <div class="verse">und fängt wie unwillkürlich an zu flüstern:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Diese Nacht war furchtbar. Ich konnt nit schlafen:</div> - <div class="verse">mich quälten die unausgesprochnen Dinge.</div> - <div class="verse">Es war halb Traum halb Höllenstrafe.</div> - <div class="verse">Wie auf der Jagd — als stäke mein Hals in Schlingen;</div> - <div class="verse">fern stand mein Gatte und schrie hetz-hetz!</div> - <div class="verse">Plötzlich ein Ruck: es war, als klinge</div> - <div class="verse">das Telephon am Kopfend’ meines Betts,</div> - <div class="verse">als wolle die Frau mich Grauenhaftes fragen,</div> - <div class="verse">die du — o Lux: nit wahr? ich glaub,</div> - <div class="verse">Dir kann ich Alles, Alles sagen;</div> - <div class="verse">o furchtbar, sich mit Heimlichkeiten tragen!</div> - <div class="verse">Nit, du? — Du! Lukas — Bist du taub?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schweigen. Ihre Augen schauen</div> - <div class="verse">nachtbraun seine morgengrauen</div> - <div class="verse">durch den Rauch verschleiert an.</div> - <div class="verse">Sacht die Lider schließend sagt ein Mann:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Früher konnt ich schwer mit Leuten reden;</div> - <div class="verse">jetzt sprech ich mit dem Fremdesten gern.</div> - <div class="verse">Es geht ein Band von dir durch mich zu Jedem,</div> - <div class="verse">als wenn wir Alle Engel wärn.</div> - <div class="verse">Und doch: wer darf uns Teufeln trauen!</div> - <div class="verse">Schon Eva hat zu klar erkannt:</div> - <div class="verse">das Unerkannte ist es, was uns bannt.</div> - <div class="verse">Denn eine tiefe Wollust schläft im Grauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.</div> - <div class="verse">Sie hauchen wieder Ringe in die Luft.</div> - <div class="verse">Das Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen horchen, was ihr Innres spricht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">10.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,</div> - <div class="verse">blinde Spiegel, rostige Wappenschilder;</div> - <div class="verse">und hohe Aktenwände. Und inmitten</div> - <div class="verse">sitzen zwei Menschen mit seltsam kalten</div> - <div class="verse">Anstandsmienen da und halten</div> - <div class="verse">Konferenz mit einem dritten.</div> - <div class="verse">Dieser blickt korrekt gekleidet</div> - <div class="verse">und gelangweilt in die Welt,</div> - <div class="verse">während er verbindlichst leidet,</div> - <div class="verse">daß ein Mann ihm folgenden Vortrag hält:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hoheit, ich fand in den Archivpapieren,</div> - <div class="verse">die ich die Ehre habe zu registrieren,</div> - <div class="verse">gewisse halb politische Dokumente,</div> - <div class="verse">die mancher arg mißbrauchen könnte.</div> - <div class="verse">Hoheit wissen, die Welt steckt heute</div> - <div class="verse">voll explosibler Elemente;</div> - <div class="verse">und da in Fürstenhäusern manchmal Leute</div> - <div class="verse">antichambrieren,</div> - <div class="verse">die andern in die Karten schauen,</div> - <div class="verse">möchte ich lieber meinen Dienst quittieren,</div> - <div class="verse">wenn Hoheit mir nicht voll und ganz vertrauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hoheit räuspert sich und blickt voll Schonung</div> - <div class="verse">und gelangweilt in die Welt.</div> - <div class="verse">Da sich hierauf alles still verhält,</div> - <div class="verse">sagt ein Weib mit seltsamer Betonung:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Herr Doktor, wir danken voll Verständnis.</div> - <div class="verse">Und, um Vertrauen mit Vertrauen zu ehren:</div> - <div class="verse">Hoheit mein Gatte huldigt der Erkenntnis,</div> - <div class="verse">dem Lauf der Welt kann niemand wehren.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span> - <div class="verse">Ihr rascher Abschied träfe uns empfindlich;</div> - <div class="verse">ein Archivar von gleichen Qualitäten</div> - <div class="verse">scheint mir zur Zeit ganz unauffindlich.</div> - <div class="verse">Sie sind, Herr Doktor, voll und ganz vonnöten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie neigt das Haupt seltsam verbindlich;</div> - <div class="verse">Hoheit verneigt sich, wie es Brauch.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen lächeln; der dritte auch.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">11.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wolken flattern groß um den Mond;</div> - <div class="verse">als ob in staubenden goldbraunen Lappen</div> - <div class="verse">eine mächtige Zauberspinne thront.</div> - <div class="verse">Die Schritte zweier Menschen tappen</div> - <div class="verse">durch eine schattenflackernde Gasse.</div> - <div class="verse">Ein Weib sagt mit entzücktem Hasse:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mein Herz darf Freiheit von diesem Menschen verlangen,</div> - <div class="verse">der nichts als meine Mitgift hat gefreit,</div> - <div class="verse">und der nichts liebt als ein alt Krongeschmeid,</div> - <div class="verse">das Einzige, was Ich von ihm empfangen.</div> - <div class="verse">Es ist sehr schön — ein Nest von blinden Schlangen</div> - <div class="verse">mit rauchtopasenen Stirn- und Rückenflächen;</div> - <div class="verse">draus äugt, wie jetzt der Mond durchs Dunkel,</div> - <div class="verse">ein großer bläulicher Karfunkel —</div> - <div class="verse">den möcht ich ihm, das würde mich rächen,</div> - <div class="verse">über der Wiege meines Kinds zerbrechen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wolken wühlen schwer um den Mond;</div> - <div class="verse">als ob durch silbergraue Schollen</div> - <div class="verse">mächtige Maulwürfe dringen wollen.</div> - <div class="verse">Ein Mann entgegnet, sehr betonend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was du von ihm empfangen hast,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span> - <div class="verse">ist meiner Seele keine Last;</div> - <div class="verse">auch nicht das Kind von seinem Blut!</div> - <div class="verse">Aber ich hab ein unabwälzbares Grauen</div> - <div class="verse">vor den Gelüsten schwangrer Frauen;</div> - <div class="verse">die sind der Seele blindeste Brut.</div> - <div class="verse">Vergleich mir nicht den Reiz von toten Steinen</div> - <div class="verse">mit dem belebenden Licht, dem reinen;</div> - <div class="verse">daß du jetzt arm bist, leite dich hinauf!</div> - <div class="verse">Was buhlst du mit Topasen und Karfunkeln —</div> - <div class="verse">sei reicher —: hebe deine dunkeln</div> - <div class="verse">Augen mit mir zum Himmel auf!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er staunt: sie steht jäh still im Schreiten:</div> - <div class="verse">in ihren Augen und Mundwinkeln streiten</div> - <div class="verse">Auflehnung, Pein, Verwundrung, Glück, Ermatten.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen werfen Einen Schatten.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">12.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kälte glänzt auf den Feldern.</div> - <div class="verse">Arm in Arm, Hand in Hand</div> - <div class="verse">sehen zwei Menschen aus fernen Wäldern</div> - <div class="verse">über das starrgefrorne Land</div> - <div class="verse">die Sonne steigen.</div> - <div class="verse">Ein Mann bricht das Schweigen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wärst du arm wie jetzt die nackte Natur,</div> - <div class="verse">und wär ich jeder andern Empfindung bar</div> - <div class="verse">und spürte nur</div> - <div class="verse">den rauhen Maiduft aus deinem Haar,</div> - <div class="verse">der wie das Moos- und Kienharz-Schwelicht</div> - <div class="verse">meiner Heimatwälder mich beseligt,</div> - <div class="verse">es wär mir Inhalt genug vom Leben:</div> - <div class="verse">du hast mir den ewigen Frühling gegeben.</div> - <div class="verse">Du bist mir blutlieb! — blick nicht so kalt</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span> - <div class="verse">auf deinen Fuß, der meinem gleicht!</div> - <div class="verse">Was tust du stolz, wenn mit Gewalt</div> - <div class="verse">meine Seele sich deiner neigt?</div> - <div class="verse">Komm, sei mein Leichtfuß! komm dort auf den Hügel,</div> - <div class="verse">wo die zwei Rehe im Sonnenglanz ruhn;</div> - <div class="verse">ich geh in deinen, du gehst in meinen Schuhn,</div> - <div class="verse">und wenn wir wollen, haben wir Flügel!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Weib blickt nach den scheuen Tieren.</div> - <div class="verse">Dann weicht ein starrer Zug von ihren</div> - <div class="verse">Lippen, als gebe sie etwas preis:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja? tu ich kalt? — Ja: kalt wie Eis,</div> - <div class="verse">eh’s sacht zerschmilzt in warmer Menschenhand,</div> - <div class="verse">daß sie heiß wird wie Feuerbrand.</div> - <div class="verse">Ja —: Kalt oder heiß! nur nit lau!</div> - <div class="verse">schwarz oder weiß! nur nit grau!</div> - <div class="verse">das ist der Wahlspruch einer „armen“ Frau.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie lacht; es klingt ihm hell wie Scherz</div> - <div class="verse">und grell wie Schmerz im Sonnenscheine.</div> - <div class="verse">Sie legt die Hand, groß wie die seine,</div> - <div class="verse">aus seinem Arm fest auf ihr Herz.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen kämen gern ins Reine.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">13.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Tag hat aufgehört zu schnein.</div> - <div class="verse">Der graue Eichwald reckt sich, weiß belastet,</div> - <div class="verse">von einem letzten Licht betastet.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen waten querforstein.</div> - <div class="verse">Tief Atem schöpfend sagt ein Weib und rastet:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bad so gern durch frischen Schnee,</div> - <div class="verse">durch den noch Keiner gegangen ist.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span> - <div class="verse">Wenn ich die reine Spur dann seh,</div> - <div class="verse">die wie vom Himmel gefallen ist,</div> - <div class="verse">dann kommt mein Pfad mir her aus einem Garten,</div> - <div class="verse">wo ich als Kind in einer Schneenacht stand,</div> - <div class="verse">weil ich den lieben Tag nit konnt erwarten,</div> - <div class="verse">der mir zurückgab mein hell Heimatland,</div> - <div class="verse">wo Wald und Berg und Tal nach allen Seiten</div> - <div class="verse">in hundert lachenden Linien sich verzweigt,</div> - <div class="verse">wo in die leuchtenden Ewigkeiten</div> - <div class="verse">Rebhügel über Hügel steigt,</div> - <div class="verse">und all die Höhen, die blauen, verflicht in Eins</div> - <div class="verse">die tiefe grüne Schlucht des Rheins.</div> - <div class="verse">Hier aber — — Sie erschauert, schweigt,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">ein Mann spricht wie voll jungen Weins:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier graut im Schnee mein ernstes märkisches Land,</div> - <div class="verse">dies Land, in dem sich Rußlands Steppen</div> - <div class="verse">schwer zu Deutschlands Bergen hinschleppen.</div> - <div class="verse">O, aber sieh’s erst im Sommergewand,</div> - <div class="verse">wie’s dann drin summt und hummelt und tummelt und tut,</div> - <div class="verse">wenn hoch im Abendsonnenbrand</div> - <div class="verse">der alten Kiefern verschämte Glut</div> - <div class="verse">sich aufreckt aus der Versunkenheit!</div> - <div class="verse">Dann atmen die Wiesen Unendlichkeit.</div> - <div class="verse">Dann blaut hinter den Bäumen her ein Duft</div> - <div class="verse">wie fernes Meer aus tiefer Kluft.</div> - <div class="verse">Dann ins Unabsehbare sieh ihn ziehn:</div> - <div class="verse">in hundert Windungen, himmelhell, den Rhin!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er glüht; sie strahlt, küßt seine Hand.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen danken ihrem Vaterland.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">14.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Sonne scheint in einen Blumenladen,</div> - <div class="verse">durch den ein Flor von Orchideen schwillt;</div> - <div class="verse">ein Eishauch klärt die Stadt. Zwei Menschen baden</div> - <div class="verse">sich in dem Duft, der durch die Scheiben quillt.</div> - <div class="verse">Bunt lechzen Schooß an Schooß die fleckigen Blüten.</div> - <div class="verse">Ein Mann bekennt aus innerm Brüten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sonst graute mir vor schwangern Frauen,</div> - <div class="verse">als wär ich einer Verwachsnen begegnet;</div> - <div class="verse">Dich kann ich wie die Blumen beschauen</div> - <div class="verse">und fühle wirklich, du bist „gesegnet“.</div> - <div class="verse">Meine Vaterschaft war mir Zufallsmache,</div> - <div class="verse">alle Vaterliebe Gewohnheitssache —</div> - <div class="verse">jetzt möcht ich beten: o wäre dein Kind von Mir!</div> - <div class="verse">Und doch: auf diese reine Begier,</div> - <div class="verse">Lea, aus der ich eben erwache,</div> - <div class="verse">fällt mir das schamlose Blühen hier</div> - <div class="verse">wie eine Befleckung: ich verübe</div> - <div class="verse">nur Tierisches — das ist das Trübe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er will die Straße weiter, wie duftbeklommen;</div> - <div class="verse">er fühlt sich heimlich beim Arm genommen,</div> - <div class="verse">tief wird das Weib gegrüßt von irgendwem.</div> - <div class="verse">Sie nickt kalt, lächelt angenehm.</div> - <div class="verse">Dann folgt sie ihm, wie zu sich selbst gekommen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vergleich dies Glück dem tierischen nicht!</div> - <div class="verse">Einst meint ich zu sterben am Ekel der Begattung,</div> - <div class="verse">und ich begriff das Wort „Beschattung“ —</div> - <div class="verse">jetzt leb ich wie die Pflanze dem Licht:</div> - <div class="verse">mit einer Sehnsucht, Lukas, wie eine Blinde!</div> - <div class="verse">Ich muß dir ja dies Fleisch und Blut noch wehren;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span> - <div class="verse">aber würdest du’s nicht begehren,</div> - <div class="verse">ich würde verkümmern, glaub ich, samt meinem Kinde.</div> - <div class="verse">Was ist da trüb? Ich seh nicht, was.</div> - <div class="verse">Wir leben, wir lieben — wie klar ist das!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie muß von neuem grüßen: Herren zu Pferde.</div> - <div class="verse">Die lächeln mit galanter Geberde.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen blicken auf die kalte Erde.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">15.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wird dunkler; immer heller blitzen</div> - <div class="verse">durch die Asche im Kamin die Kohlen.</div> - <div class="verse">Am Klavier, an dem zwei Menschen sitzen,</div> - <div class="verse">stockt ein halbverhaltnes Atemholen.</div> - <div class="verse">Eine Wiegenweise bannt noch beide;</div> - <div class="verse">aber endlich lacht das Weib und spricht,</div> - <div class="verse">blau umrauscht vom Mutterhoffnungskleide:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du machst schon wieder dein russisch Gesicht.</div> - <div class="verse">Was hast denn wieder Graues zu schleppen?</div> - <div class="verse">Kannst denn nit <em class="gesperrt">auch</em> mal aufglühn wie deine Steppen,</div> - <div class="verse">eh der Regen vom Himmel bricht?!</div> - <div class="verse">Du sollst ja all mein, all mein Labsal noch schlürfen,</div> - <div class="verse">darfst doch schon kosten, und sollst es dürfen:</div> - <div class="verse">meine Kniee nehmen, die Schönheitsflecken</div> - <div class="verse">auf meinen braunen Brüsten entdecken,</div> - <div class="verse">meinem Mund, meinem Schooß deine Notdurft stammeln,</div> - <div class="verse">all mein Schmachten auf deine Lippen sammeln —</div> - <div class="verse">ja fühlst denn nit, einfältiger Mann,</div> - <div class="verse">wie vielfältig man küssen kann?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Halblaut greift sie Töne; sie hüpfen wie Bälle.</div> - <div class="verse">Es wird dunkler; eine breite Welle</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span> - <div class="verse">Glut erlischt in seinem Bart.</div> - <div class="verse">Und er sagt unsäglich zart:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du machst schon wieder zu deinen hellen Terzen</div> - <div class="verse">Augen, die so verwirrend schimmern</div> - <div class="verse">wie Spinnwebnetze in finstern Zimmern,</div> - <div class="verse">wenn ein paar Streifchen Licht drauf fielen;</div> - <div class="verse">ich ließ dich spinnen und weben von Herzen,</div> - <div class="verse">nun willst du Fliege mit mir spielen.</div> - <div class="verse">So spiel denn! spiele, Spinnchen — und lerne fliegen:</div> - <div class="verse">ich nehme dich mit: komm, Herz, ich weiß ein Land,</div> - <div class="verse">wo wir den Blick des Kindes wiederkriegen,</div> - <div class="verse">der gläubig eine Kachelofenwand,</div> - <div class="verse">auf die der Schein des Nacht-Öllämpchens fällt,</div> - <div class="verse">für einen Himmel voller Sterne hält!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und zwei Menschen vergessen die Welt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">16.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel,</div> - <div class="verse">Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel:</div> - <div class="verse">ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin.</div> - <div class="verse">Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel.</div> - <div class="verse">Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel.</div> - <div class="verse">Jetzt reckt er das Kinn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lea! seit meinen Jugendjahren</div> - <div class="verse">bin ich nicht so im Fluge gefahren,</div> - <div class="verse">so rasend noch nie.</div> - <div class="verse">Aber noch rasender wars gestern Morgen,</div> - <div class="verse">als ich im Sturm deinen Namen schrie</div> - <div class="verse">und, als wäre mein Gott drin verborgen,</div> - <div class="verse">mit ihm rang um dich, Knie an Knie:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span> - <div class="verse">schleife mich, Sturmgott, um die Erde,</div> - <div class="verse">sei sie unrein, sei sie rein!</div> - <div class="verse">gönne mir nur kein Glück am Herde,</div> - <div class="verse">hingerissen will ich sein!</div> - <div class="verse">Sage mir — Du! ich frage dich: schreit</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">Dein</em> Gott <em class="gesperrt">auch</em> so Meinen Namen?</div> - <div class="verse">Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen?</div> - <div class="verse">Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon.</div> - <div class="verse">Die Zügel schlackern, die Bügel bäumen schon.</div> - <div class="verse">Das Weib umschlingt ihn fallbereit:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nenn’s nicht Wahnsinn! nenn’s lieber Ahnsinn!</div> - <div class="verse">Lukas, ich hab in manchen furchtbaren Wochen</div> - <div class="verse">dagelegen wie zerbrochen,</div> - <div class="verse">und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen!</div> - <div class="verse">Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen!</div> - <div class="verse">Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste,</div> - <div class="verse">als ob es die Sonne blindmachen müßte!</div> - <div class="verse">Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche,</div> - <div class="verse">und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche,</div> - <div class="verse">ich lasse mich wiegen, du — wiegen — wiegen —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen glauben sich im Himmel.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">17.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ampelschatten hüllt vier bebende Lippen.</div> - <div class="verse">Der Park wankt, als wühlten Geister drin;</div> - <div class="verse">Nachtsturm reißt an den Fensterrippen.</div> - <div class="verse">Die dunkeln Lebensbäume schwippen</div> - <div class="verse">tief zur verschneiten Erde hin.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span> - <div class="verse">Die bebenden Lippen atmen so schwer,</div> - <div class="verse">wie Menschen atmen, um nicht zu stöhnen.</div> - <div class="verse">Dumpf horcht der Mann nach den heulenden Tönen,</div> - <div class="verse">die bald aufhimmeln, bald tierisch röcheln.</div> - <div class="verse">Er preßt die Adern auf seinen Knöcheln;</div> - <div class="verse">das Weib, stumm wie er,</div> - <div class="verse">ist ihm zu Füßen vom Diwan gesunken,</div> - <div class="verse">sie ringt die Finger auf seinen Knien.</div> - <div class="verse">Ihre schwangern Hüften umschauern ihn.</div> - <div class="verse">Sie stammelt trunken:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So komm doch! nimm mich doch! trag mich weg!</div> - <div class="verse">ich will ja blindlings Alles dir geben!</div> - <div class="verse">Und wenns mich umbringt hier auf dem Fleck,</div> - <div class="verse">ich will ja mein eigen Blut hergeben!</div> - <div class="verse">Nur schau nicht so grauenhaft tot ins Leben!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie klammert sich hoch an seinen Armen</div> - <div class="verse">an seine Brust; die hämmert zum Sturmerbarmen.</div> - <div class="verse">Er stöhnt. Sie schüttelt ihn: komm! Sie hört</div> - <div class="verse">ihn betteln: ja komm! Sie liegt emporgerissen</div> - <div class="verse">auf seinen entbreiteten Fäusten mit schwebenden Füßen,</div> - <div class="verse">und —: verstört</div> - <div class="verse">graben zwei Augen ihr aus den Eingeweiden</div> - <div class="verse">eine Nacht von Entsetzen und Weh:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Geh — keucht er — geh!</div> - <div class="verse">Dein — <em class="gesperrt">sein</em> Kind regt sich zwischen uns beiden!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er reißt sie an sich, reißt sich los;</div> - <div class="verse">der Sturm heult wahre Trauer-Oden.</div> - <div class="verse">Komm! ringen vier Hände Schooß an Schooß.</div> - <div class="verse">Geh! holen zwei Arme riesengroß</div> - <div class="verse">aus zum Stoß.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen winden sich am Boden.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">18.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In das Geräusch eines Bierlokals,</div> - <div class="verse">in das Rauschen großstädtischen Straßenskandals</div> - <div class="verse">mischt sich wie Kettengerassel ein Ton.</div> - <div class="verse">Elektrisches Glühlicht kämpft in den Ecken</div> - <div class="verse">mit blassem Taglicht und Schattenflecken.</div> - <div class="verse">Ein Mann spricht horchend durchs Telephon:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lea! — Hörst du? — Was ist geschehn?</div> - <div class="verse">Gestern Abend — hörst du? — es war eben zehn:</div> - <div class="verse">dein Brief aus deinen großen Schmerzen</div> - <div class="verse">lag mir wie Albdruck auf dem Herzen —</div> - <div class="verse">Auf Einmal: ich wagte kein Glied zu regen,</div> - <div class="verse">so hatt ich die Angst des Unterliegens —</div> - <div class="verse">auf einmal kann ich mich frei bewegen:</div> - <div class="verse">mich hebt ein Gefühl vollkommenen Fliegens</div> - <div class="verse">wie über ein Ufer, über ein Meer —</div> - <div class="verse">Sag: hat meine Seele hellgesehen?</div> - <div class="verse">bist du erlöst von deinen Wehen?</div> - <div class="verse">Sprich doch! Was atmest du so schwer?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er horcht. Durch das Geräusch des Lokals,</div> - <div class="verse">durch das Rauschen des Straßenskandals,</div> - <div class="verse">durch eine Stille hohlsausend und leer</div> - <div class="verse">kommt eines Weibes Stimme her:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Deine Seele hat hellgesehen:</div> - <div class="verse">ich bin erlöst von meinen Wehen:</div> - <div class="verse">mir lebt ein Kind.</div> - <div class="verse">Es liegt wie Albdruck auf meinem Herzen.</div> - <div class="verse">Es sieht nicht meine großen Schmerzen.</div> - <div class="verse">Es — ist — blind — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In das Rauschen des Straßenskandals,</div> - <div class="verse">in die Geräusche des Bierlokals</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span> - <div class="verse">mischt sich wie Kettengerassel ein Ton;</div> - <div class="verse">ein Mann verläßt das Telephon.</div> - <div class="verse">Er hört im Hintergrund einen Herrn</div> - <div class="verse">„Kellner, mehr Licht auf Erden!“ schrein,</div> - <div class="verse">und ein Gelächter hinterdrein.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sind einander fern.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">19.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mondlicht greift durch bleiche Gardinen,</div> - <div class="verse">legt Flecke auf ein Himmelbette.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sehn’s mit bleichen Mienen,</div> - <div class="verse">sehn die Flecke in schleichender Kette</div> - <div class="verse">grell ein Kind, das schläft, umkränzen:</div> - <div class="verse">es schläft mit offnen Augenlidern.</div> - <div class="verse">Die stillen Augensterne glänzen:</div> - <div class="verse">glänzen weiß, wie blindes Eis.</div> - <div class="verse">Ein Weib schluchzt auf mit allen Gliedern.</div> - <div class="verse">Wie aus einem Abgrund gerissen</div> - <div class="verse">starrt ihr schwarzes Haar aus den Kissen,</div> - <div class="verse">haucht sie heiß:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mir lebt dies Kind, und nicht von Dir;</div> - <div class="verse">ich lieg in Dankbarkeit vor dir.</div> - <div class="verse">Ich lag bis heute wie unter Steinen,</div> - <div class="verse">wie unter einer Sticklast Schnee:</div> - <div class="verse">du bist gekommen, nun kann ich weinen.</div> - <div class="verse">Jetzt aber — geh!</div> - <div class="verse">Ich will vor dir kein Klagweib sein;</div> - <div class="verse">laß mich, solang ich lieg, allein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der bleiche Mann im Vollmondlicht</div> - <div class="verse">neigt sein unbewegtes Gesicht.</div> - <div class="verse">Sein Blick weilt wie in weiten Fernen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span> - <div class="verse">auf den blinden Augensternen.</div> - <div class="verse">Und er spricht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Kind, das du geboren hast,</div> - <div class="verse">sei deiner Seele keine Last:</div> - <div class="verse">sieh, wie sein Schlaf das Helle trinkt!</div> - <div class="verse">Es scheint ein Licht durch unsre Welt zu wehen,</div> - <div class="verse">das alles andere, gröbere Licht beschwingt;</div> - <div class="verse">in ihm wird dieses Kind aufgehen.</div> - <div class="verse">Es wird die irdische Qual nicht sehen.</div> - <div class="verse">Wir werden’s leiten wie auf Wolkenauen.</div> - <div class="verse">Es wird das innere Weltlicht schauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er küßt sie, geht; sein Schatten streift das Kind.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sehn, daß sie auf Erden sind.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">20.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Eisblumen und Hyazinthenduft</div> - <div class="verse">ringen mit warmer Zimmerluft;</div> - <div class="verse">weiße Seide umbauscht ein braunes Weib.</div> - <div class="verse">Ein Mann sieht ihren genesenen Leib</div> - <div class="verse">auf schmiegsamsten indischen Kissen ruhn;</div> - <div class="verse">ihr Goldbrokatschuh streift den Boden.</div> - <div class="verse">Er steht in blauen Segeltuchschuhn,</div> - <div class="verse">seine Radfahrjacke von graugrünem Loden</div> - <div class="verse">zuknöpfend, einen Brief in Händen,</div> - <div class="verse">und fragt, indem er drin Kniffe zieht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Willst du dir auch die Augen blenden,</div> - <div class="verse">weil du ein Kind hast, das nicht sieht?!</div> - <div class="verse">Ich soll mit dir „ins Weite gehen“?</div> - <div class="verse">Was gehn heißt, wirst du bald verstehen,</div> - <div class="verse">wenn du mit deinen zarten Zehen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span> - <div class="verse">erst barfuß für uns betteln mußt;</div> - <div class="verse">ich glaube, da würde dir die Lust</div> - <div class="verse">zur blinden Liebe sehr schnell <em class="gesperrt">ver</em>gehen.</div> - <div class="verse">Einst, ja, da nahm ich Kredit aufs Leben</div> - <div class="verse">und schlug die Schulden in den Wind;</div> - <div class="verse">aber als Vater lernt man eben,</div> - <div class="verse">was wir dem Dasein schuldig sind.</div> - <div class="verse">Das träumt nicht wie die grünen Seelen,</div> - <div class="verse">die sich vorm Leben ins Blaue stehlen,</div> - <div class="verse">bis die ergraute Welt sich rächt.</div> - <div class="verse">Und klein beigeben mit großem Munde:</div> - <div class="verse">dann gehn wir an uns selbst zu Grunde —</div> - <div class="verse">nit, Lea? das steht Uns Beiden schlecht!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er legt ihren Brief sehr zart auf ihr Knie;</div> - <div class="verse">sie wiegt ihren Goldschuh. Dann antwortet sie:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du hast sehr blaue Schuh an, sehr blaue;</div> - <div class="verse">du kommst wohl von einer — „Wolkenaue“?!</div> - <div class="verse">Aber ich dank dir; du sprachst sehr klar</div> - <div class="verse">Ja ja: man träumt oft wunderbar!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Goldschuh zieht im Teppich einen Strich.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen lächeln bitterlich.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">21.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nur an den Eichen bebt noch braunes Laub;</div> - <div class="verse">es bebt im Wind. Und wenn die Spechte klettern,</div> - <div class="verse">dann weht der Schnee wie Kieselstaub</div> - <div class="verse">und knistert in den abgefallnen Blättern.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sehn im Park den Abend zaudern.</div> - <div class="verse">Ein Weib bezwingt ein leises Schaudern:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span> - <div class="verse">Heut hat ein Mensch mir leidgetan,</div> - <div class="verse">der sonst mein Weichstes zur Erstarrung brachte.</div> - <div class="verse">Er hat mir nie ein Leid getan</div> - <div class="verse">seit jener Nacht, die mich zur Mutter machte;</div> - <div class="verse">er ist fast stumpfer als ein Scherben.</div> - <div class="verse">Heut aber, vor dem blinden Leibeserben,</div> - <div class="verse">vergaß er selbst sein gnädiges Stottern:</div> - <div class="verse">er saß nur da und ließ sich schlottern.</div> - <div class="verse">Ich mußt ihn immerfort betrachten,</div> - <div class="verse">ihn halb bedauern halb verachten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Mann an ihrer Seite nickt;</div> - <div class="verse">er sieht im kahlen Park den Abend dämmern,</div> - <div class="verse">er hört im hohlen Holz die Spechte hämmern.</div> - <div class="verse">Er sagt, indem er einen Zweig zerknickt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich fühle jeden Tag mein Herz in Nöten,</div> - <div class="verse">wenn eine Frau sich mit Erröten,</div> - <div class="verse">und wie zur Abwehr blaß und zart doch,</div> - <div class="verse">samt unserm Töchterchen an mich drängt,</div> - <div class="verse">während vielleicht in meinem Bart noch</div> - <div class="verse">der Hauch von deinen Küssen hängt.</div> - <div class="verse">Ich kann sie nicht so flach bedauern;</div> - <div class="verse">ich würde lieber mit ihr trauern,</div> - <div class="verse">könnt ich wie sie mich sanft und klug besiegen</div> - <div class="verse">und leidenswillig den Nacken biegen.</div> - <div class="verse">Jawohl, wir sind von härterem Holz;</div> - <div class="verse">von Eichen bricht man keine Gerten.</div> - <div class="verse">Drum wolln wir nicht noch selber uns verhärten;</div> - <div class="verse">denn daß wir Mitleid schenken, macht uns <em class="gesperrt">stolz</em>.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er horcht: ein Rauschen stört das Spechtgekletter:</div> - <div class="verse">zwei Menschen gehn durch abgefallne Blätter.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">22.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Nacht am Horizont gähnt Strahlen,</div> - <div class="verse">als wolle der Himmel die Erde verzehren</div> - <div class="verse">oder ein neues Gestirn gebären;</div> - <div class="verse">zwei Menschen sehn ein Nordlicht prahlen.</div> - <div class="verse">Sie stehn auf eisernem Balkone;</div> - <div class="verse">sie sehn den Glanz elektrisch zucken,</div> - <div class="verse">sich auf und ab ins Dunkel ducken.</div> - <div class="verse">Ein Mann sagt schmeichelnd, sagt mit Hohn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das, Fürstin, scheint mir recht ein Thron</div> - <div class="verse">für deinen neuen Menschensohn.</div> - <div class="verse">Ich möcht ganz lange Arme haben:</div> - <div class="verse">dann setzt’ich dich mit deinem blinden Knaben</div> - <div class="verse">dort auf die herrlichste Flackersträhne.</div> - <div class="verse">Ich seh ihn, wie er deine Mähne</div> - <div class="verse">schwarzstrahlig durch den Weltraum spannt,</div> - <div class="verse">hoch über allen Sinn und Verstand.</div> - <div class="verse">Du hast doch gar zu tolles Haar;</div> - <div class="verse">für eine Mutter sonderbar!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dem Weib zucken die Augenbrauen;</div> - <div class="verse">wo die schwarzen Bogen sich spalten,</div> - <div class="verse">zittern zwei kleine quere Falten,</div> - <div class="verse">wie ein zerbrochenes Kreuz zu schauen.</div> - <div class="verse">Sie sagt verhalten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du zielst fehl auf mein Mutterherz,</div> - <div class="verse">Dir lacht es selbst beim bittersten Scherz.</div> - <div class="verse">Ich gebe Nichts an mein Kind verloren.</div> - <div class="verse">Ich fühle nicht: dies Kind ist Mein.</div> - <div class="verse">Ich fühl: ich hab einen Menschen geboren</div> - <div class="verse">zu seiner eigenen Lust und Pein!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span> - <div class="verse">Ich geb ihm meinen Glückwunsch blos —</div> - <div class="verse">und trage noch manchen Wunsch im Schooß —</div> - <div class="verse">Weib sein ist <em class="gesperrt">doch</em> das herrlichste Los! —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr dunkler Blick hat sich gefeuchtet.</div> - <div class="verse">Der Mann streicht ihr wild Haar versonnen</div> - <div class="verse">glatt wie zum Scheitel der Madonnen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sehn die Nacht erleuchtet.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">23.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kaminfeuer und Morgenrotschimmer</div> - <div class="verse">schmücken ein hohes Damenzimmer.</div> - <div class="verse">Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide</div> - <div class="verse">ihre nackten Arme beide</div> - <div class="verse">vor einem Mann breit in die Luft</div> - <div class="verse">und lacht, umschwebt von Mandelduft:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich glaub, ich bin noch immer schön;</div> - <div class="verse">mein Kind hat mir nichts weggenommen.</div> - <div class="verse">Und hättst mich eben baden sehn,</div> - <div class="verse">du wärst mit mir gen Himmel geschwommen!</div> - <div class="verse">Was stehst denn wieder wie im Schlaf?</div> - <div class="verse">O Lux, was bist du für ein — Schaf!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er lächelt eigen, sie merkt es nicht:</div> - <div class="verse">er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht.</div> - <div class="verse">Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell.</div> - <div class="verse">Er fragt halbhell:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schönheit? — das ist mir nichts als Hülle</div> - <div class="verse">um irgend eine Liebreizfülle.</div> - <div class="verse">Der Reiz zur Liebe und zum Leben,</div> - <div class="verse">wenn den die Reize einer Gestalt</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span> - <div class="verse">mir wie aus eigner Seele eingeben,</div> - <div class="verse">dann bin ich — schön in ihrer Gewalt;</div> - <div class="verse">sonst sind sie angeflogne Schäume,</div> - <div class="verse">Nachwehen toter Künstlerträume.</div> - <div class="verse">Du würdest ja Raffael nicht entzücken:</div> - <div class="verse">du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen.</div> - <div class="verse">Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen.</div> - <div class="verse">Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken</div> - <div class="verse">taugen zu keiner klassischen Ode;</div> - <div class="verse">und dein klassisch Kinn ist garnit mehr Mode.</div> - <div class="verse">Aber — jetzt will ich die Augen zudrücken,</div> - <div class="verse">will nichts mehr fühlen als deinen Bann,</div> - <div class="verse">nichts küssen als deine Wildkatzenstirne;</div> - <div class="verse">und wärst du die durchtriebenste Dirne,</div> - <div class="verse">du wirst mir eine Heilige dann — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Prüfend blicken zwei Seelen einander an.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">24.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen;</div> - <div class="verse">sie schweigen schneebedrückt. Zwei Menschen lauschen,</div> - <div class="verse">wenn manchmal durch den schwerbeladnen Wald</div> - <div class="verse">das Eis der fernen Seeen knallt.</div> - <div class="verse">Dann scheinen tiefer noch gesenkt</div> - <div class="verse">die dunkeln, weißgesäumten Äste,</div> - <div class="verse">um die das Frühlicht machtlos hängt.</div> - <div class="verse">Ein Mann spricht mit ergriffner Geste:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das ist wie eine Versammlung von Greisen</div> - <div class="verse">um ein fremdes Täuflingsbette.</div> - <div class="verse">Keiner rührt mit seinen weisen</div> - <div class="verse">Händen an die Schicksalskette.</div> - <div class="verse">Sie lassen stumm das Unverwandte</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[S. 175]</a></span> - <div class="verse">zwischen ihren Seelen schweben.</div> - <div class="verse">Sie segnen fromm das Unbekannte</div> - <div class="verse">es wehrt dem Überdruß am Leben.</div> - <div class="verse">Sie schenken jedem Morgengrauen</div> - <div class="verse">ohne Anspruch ihr Vertrauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch den schwer beladenen Wald</div> - <div class="verse">geht auf einmal ein Schattenwanken;</div> - <div class="verse">von den Zweigen, die noch schwanken,</div> - <div class="verse">fällt der Schnee, zu Schlacken geballt.</div> - <div class="verse">Über ein Weib kommt ein Gedanke:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lieber, du sollst dich nicht verstellen!</div> - <div class="verse">Wenn unter diesen starren Bäumen,</div> - <div class="verse">so oft der Eisschreck draußen schallt,</div> - <div class="verse">Echos wie aus schweren Träumen</div> - <div class="verse">in mein warmes Leben kalt</div> - <div class="verse">diesen Todesschauer bellen,</div> - <div class="verse">daß wir unser Glück versäumen —</div> - <div class="verse">dann sollst du nicht mit solchen ausgedachten</div> - <div class="verse">Bildern mich zu prüfen trachten,</div> - <div class="verse">dann sollst du mit mir fühlen und denken:</div> - <div class="verse">wir wollen Nichts, rein Nichts dem Schicksal schenken!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen scheinen auf ihr Herz zu lauschen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">25.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jeder Hauch stockt. Aus den Mooren</div> - <div class="verse">steht der Nebel wie angefroren,</div> - <div class="verse">ob auch fern der Himmel loht;</div> - <div class="verse">zwei Menschen schaun ins Abendrot.</div> - <div class="verse">Einsam hebt ein Birkenstämmchen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[S. 176]</a></span> - <div class="verse">aus dem bleichen Rauch sein Reisig;</div> - <div class="verse">in der Spitze zaudert eisig</div> - <div class="verse">noch ein Blättchen wie ein Flämmchen.</div> - <div class="verse">Und ein Weib bemerkt verloren:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das steht nun da wie’n Waisenkind,</div> - <div class="verse">das weder Vater noch Mutter kennt,</div> - <div class="verse">von aller Heimat abgetrennt;</div> - <div class="verse">Stiefmutter Sonne stellt sich blind.</div> - <div class="verse">Und ob auch fern der Himmel brennt,</div> - <div class="verse">es sehnt sich nicht, es rührt sich kaum,</div> - <div class="verse">leidlos wie der Geist im Raum.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jeder Hauch stockt — sie erschrickt:</div> - <div class="verse">von dem kahlen Birkenstämmchen</div> - <div class="verse">ist das letzte Blatt geknickt.</div> - <div class="verse">Zaudernd sinkt das fahle Flämmchen</div> - <div class="verse">in das rauchverhüllte Land.</div> - <div class="verse">Und ein Mann hebt Haupt und Hand:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Liebe, du sollst dich nicht verstecken!</div> - <div class="verse">Ich seh aus deinem tiefen Schrecken,</div> - <div class="verse">wie dich der leere Raum bedrückt.</div> - <div class="verse">So wills der Geist; wenn nur drei Birken</div> - <div class="verse">das Grauen der Unendlichkeit bezirken,</div> - <div class="verse">dann ist das Auge schon beglückt.</div> - <div class="verse">Er will und kann nicht einsam sein:</div> - <div class="verse">er lebt davon, sich umzuschauen.</div> - <div class="verse">Drum sinne nicht zuviel in dich hinein!</div> - <div class="verse">Denn eine schlimme Wollust schläft im Grauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jeder Hauch stockt. Rot und stumm</div> - <div class="verse">starrt der Himmel wie eingefroren</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[S. 177]</a></span> - <div class="verse">durch den Nebel auf den Mooren.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen kehren langsam um.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">26.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Über altersgrauen offnen Folianten,</div> - <div class="verse">zwischen Schränken mit verstaubten Kanten,</div> - <div class="verse">rostigen Waffen, bunten Wappenschildern,</div> - <div class="verse">blinden Spiegeln, dunkeln Ahnenbildern,</div> - <div class="verse">hängt ein goldner Streifen Licht.</div> - <div class="verse">Sonnenstäubchen schweifen dicht</div> - <div class="verse">um das Schnitzwerk hoher Stühle;</div> - <div class="verse">kommen noch dichter ins Gewühle,</div> - <div class="verse">denn ein Mann berührt ein Weib und spricht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das hab ich mir als Kind beim Klettern</div> - <div class="verse">im grünen Forst nicht träumen lassen,</div> - <div class="verse">daß ich in diesen vergilbten Blättern</div> - <div class="verse">einst suchen würde Boden zu fassen.</div> - <div class="verse">Es ist für dich geweihter Boden,</div> - <div class="verse">du willst einen uralten Wipfel lichten;</div> - <div class="verse">ich seh nur tote Wurzelschichten,</div> - <div class="verse">kaum noch wert sie auszuroden.</div> - <div class="verse">Wie zur Erinnerung blüht da matt</div> - <div class="verse">noch manch Blaublümlein Ehrenpreis;</div> - <div class="verse">aber der morsche Stammbaum hat</div> - <div class="verse">als letzten Sproß ein blindes Reis.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er will zuklappen. Er stockt. Die Funken</div> - <div class="verse">der Sonnenstäubchen stieben wie trunken.</div> - <div class="verse">Denn das Weib umschlingt ihn leis:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Drücken dich wieder die blauen Schuh?</div> - <div class="verse">Was mußt denn gleich so quer immer denken!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[S. 178]</a></span> - <div class="verse">Du mußt dich liebender versenken</div> - <div class="verse">in diese stillen Dinge, du.</div> - <div class="verse">Sonst drückst mir ja das Herz ganz zu;</div> - <div class="verse">und gelt? das willst doch offen sehn.</div> - <div class="verse">Ich soll mich dir doch blos gestehn!</div> - <div class="verse">Ich wollt auch — wollt dir längst schon sagen:</div> - <div class="verse">mein Kind, Lux — Nein: ich wollt dich fragen:</div> - <div class="verse">ich möcht dein Töchterchen mal sehn!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie klappt zu, hastig; es stiebt zum Blenden.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen müssen den Blick abwenden.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">27.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Unter taktvoll schreitenden Kostümen,</div> - <div class="verse">die den Rausch vergangener Zeiten rühmen,</div> - <div class="verse">überschaut ein Weib ein nächtlich Fest.</div> - <div class="verse">Weiß verschleiert Haar und Ohr und Wange,</div> - <div class="verse">vor der Stirn die goldne Isis-Spange,</div> - <div class="verse">steht sie groß in starrem Asbest.</div> - <div class="verse">Fast so groß wie jener Mann,</div> - <div class="verse">der aus dunkler Magier-Augenbinde</div> - <div class="verse">um sich blickt wie auf Gesinde.</div> - <div class="verse">Und sie naht sich ihm und rührt ihn an:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zaubrer — du kennst die Schlange, und kennst den Drachen,</div> - <div class="verse">die den schweren Weg der Liebe auf Erden bewachen.</div> - <div class="verse">Ich kenn eine Mutter in einer Not;</div> - <div class="verse">die streckt allnächtlich zum Tag die dunkeln Hände,</div> - <div class="verse">daß er ein Schicksal von ihrem Herzen abwende,</div> - <div class="verse">mit dem ihr blindes Kind sie bedroht.</div> - <div class="verse">Soll sie mit Augen der Schlange ihr Nest behüten?</div> - <div class="verse">soll sie den Drachen bitten, darin zu wüten? —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[S. 179]</a></span> - <div class="verse">Hell beginnt der wimmelnde Saal zu klingen,</div> - <div class="verse">taktvoll läßt der Schwarm der Kostüme sich leiten,</div> - <div class="verse">bis sie sich rauschend zu Paaren in Kreisen schwingen,</div> - <div class="verse">die der Magier und das Weib umschreiten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Göttin, ich kenne die Schlange, und kenn auch den Drachen,</div> - <div class="verse">die den schweren Weg der Liebe gen Himmel bewachen —</div> - <div class="verse">und kenn eine Mutter in andern Nöten;</div> - <div class="verse">die würde mit ihren blassen Händen</div> - <div class="verse">ihr Kind, ihr sehendes, lieber noch heute töten,</div> - <div class="verse">als je ihr Herz von ihrer Brut abwenden.</div> - <div class="verse">Mutter Isis, begreif deine Erde freier!</div> - <div class="verse">horch, dein Magier lüftet den Gäa-Schleier:</div> - <div class="verse">Sie träumt seit je das Ungeheuerliche,</div> - <div class="verse">Unwirkliche, höchst Abenteuerliche,</div> - <div class="verse">doch was er wirkt, der Traum, ist das Gewöhnliche,</div> - <div class="verse">und was er birgt, das tiefst Versöhnliche.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er unterbricht ihr einsam Gewander;</div> - <div class="verse">zwei Menschen tanzen miteinander.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">28.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es schwebt ein Klingen übers Eis,</div> - <div class="verse">wie ferne Frühlingsstimmen leis.</div> - <div class="verse">Blaß starrt der See. Auf blitzenden Eisen</div> - <div class="verse">fassen sich, fliehn sich zwei Menschen und kreisen.</div> - <div class="verse">Jetzt kommt der Mann in scharfem Bogen</div> - <div class="verse">vor das Weib herumgeflogen</div> - <div class="verse">und faßt sie fester und bäumt im Sprung:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Halt! — Gelt, Frau Fürstin, das wär ohne Schwung:</div> - <div class="verse">vom Schlittschuhlaufen zum Strümpfestopfen,</div> - <div class="verse">vom Radfahren zum Steineklopfen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[S. 180]</a></span> - <div class="verse">das wär doch gar zu harte Bahn?</div> - <div class="verse">Ja, du: ich lief durch manchen Wahn,</div> - <div class="verse">als mich das Jugendblut noch trieb,</div> - <div class="verse">mit offner Hand an jedes Herz zu stürzen,</div> - <div class="verse">bis mir am eignen Herd nichts übrig blieb</div> - <div class="verse">als wenig Fleisch mit viel Gewürzen.</div> - <div class="verse">Zwar, mir ist mancher zugetan</div> - <div class="verse">so in der Welt, der wohl was opfern würde,</div> - <div class="verse">beehrt’ich ihn mit dieser Bürde;</div> - <div class="verse">aber — — Er läßt sich rückwärts kreisen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Blaß starrt der See. Sie folgt. Die Eisen</div> - <div class="verse">blitzen schriller übers Eis.</div> - <div class="verse">Sicher folgt und fragt sie leis:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wenns für dich nun <em class="gesperrt">keine</em> Bürde wäre,</div> - <div class="verse">Steine für deine arme Herrin zu klopfen?</div> - <div class="verse">Und wenns für mich nun eine Würde wäre,</div> - <div class="verse">Strümpfe für meinen reichen Herrn zu stopfen?</div> - <div class="verse">Und wenn ich wähnte: das ist kein Wahn,</div> - <div class="verse">so ganz bin ich dir zugetan —</div> - <div class="verse">und bin dir auch ganz aufgetan —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie schreit wild: Lukas! — Ein Knall, ein Sprung,</div> - <div class="verse">hoch hat der Mann sie an sich gerissen.</div> - <div class="verse">Es donnert unter ihren Füßen,</div> - <div class="verse">es klafft. Er bäumt mit ihr im Schwung.</div> - <div class="verse">Es ist nur ein ganz schmaler Spalt.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen lachen, daß es schallt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">29.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun scheinen selbst die Blumengewinde</div> - <div class="verse">der indischen Kissen voll Frühlingssehnen;</div> - <div class="verse">am Fenster schmilzt die letzte blinde</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[S. 181]</a></span> - <div class="verse">Eisblume unter hellen Tränen.</div> - <div class="verse">Ein Mann sieht die barocken Ranken</div> - <div class="verse">mehr und mehr durchsichtig schimmern,</div> - <div class="verse">gleißend Gold in Silber flimmern;</div> - <div class="verse">er sitzt in drückenden Gedanken.</div> - <div class="verse">Er neigt noch tiefer Stirn und Ohr:</div> - <div class="verse">er hat ein Weib am Herzen liegen,</div> - <div class="verse">mit Augen, die zur Sonne fliegen.</div> - <div class="verse">Sie flüstert, glüht an ihm empor:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und heb mich wieder so herrlich hoch,</div> - <div class="verse">und trag mich fort, o trag mich fort!</div> - <div class="verse">Und wären die Berge noch so hoch,</div> - <div class="verse">ich will dir folgen an jeden Ort;</div> - <div class="verse">ich will dir alles, alles hingeben!</div> - <div class="verse">Verkauf mein letztes bißchen Schmuck,</div> - <div class="verse">nimm mir mein Eigenstes, nimm mir’s Leben;</div> - <div class="verse">nur fort, nur fort aus diesem Druck!</div> - <div class="verse">Und wenn wirs bis zum Bettelstab bringen,</div> - <div class="verse">und wenn wir verlumpen, wenn wir verdrecken,</div> - <div class="verse">dann wirds wohl überall noch gelingen,</div> - <div class="verse">eine Schachtel Zündhölzchen zu erschwingen</div> - <div class="verse">und den nächsten Wald in Brand zu stecken,</div> - <div class="verse">und selig will ich mit dir zusammen</div> - <div class="verse">wie eine Hindufrau stehn und flammen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie lächelt seltsam; er sieht es nicht.</div> - <div class="verse">Sie hebt das Haupt — sie sieht ein Gesicht</div> - <div class="verse">heiß von bebenden Narben zerrissen;</div> - <div class="verse">das starrt auf die gleißenden Fenster und Kissen</div> - <div class="verse">mit dem Ausdruck eines Steins,</div> - <div class="verse">der zerspringen will, und spricht</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">mühsam: Und dein Kind? — Und — meins?</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[S. 182]</a></span> - <div class="verse">Da sinkt ihr Haupt in seinen Schooß;</div> - <div class="verse">zwei Menschen weinen fassungslos.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">30.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Himmel scheint blutunterlaufen.</div> - <div class="verse">Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn</div> - <div class="verse">die Türme hoch in dunkler Rotglut stehn;</div> - <div class="verse">die Stadt raucht wie ein Scheiterhaufen.</div> - <div class="verse">Ein Weib lehnt an der Fensterborte,</div> - <div class="verse">düster, wie aus Erz gebaut.</div> - <div class="verse">Der Glanz macht ihre braune Haut</div> - <div class="verse">glühender als eine Braut.</div> - <div class="verse">So hört sie eines Mannes Worte:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dein Herr Gemahl? Nein: der ist nicht im Wege.</div> - <div class="verse">Er hat ja Augen, und kann noch welche pachten.</div> - <div class="verse">Und träf er mich in seinem Gehege,</div> - <div class="verse">ich würd ihn mir sehr höflich betrachten:</div> - <div class="verse">Hoheit, Sie dürfen mich verachten,</div> - <div class="verse">Sie können, wenn Sie’s wagen, mich töten.</div> - <div class="verse">Ich würde vielleicht, wer weiß, dabei erröten;</div> - <div class="verse">das tut mein Körper leider noch,</div> - <div class="verse">wenn ihm das Herzblut hochsteigt — doch</div> - <div class="verse">mein Geist ist <em class="gesperrt">über</em> diesen Nöten.</div> - <div class="verse">Ja, Lea: begreifst du, was das heißt:</div> - <div class="verse">ich will getrieben sein vom Geist!?</div> - <div class="verse">Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen</div> - <div class="verse">und nichts mehr wissen will als seine Triebe,</div> - <div class="verse">dann offenbart sich ihm das weise Wesen</div> - <div class="verse">verliebter Torheit: die große Liebe.</div> - <div class="verse">Du bist noch nicht so zwecklos mein;</div> - <div class="verse">du willst noch mich, ich soll noch dich befrein.</div> - <div class="verse">Dies blinde Kind aus fremden Lenden,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[S. 183]</a></span> - <div class="verse">es scheint uns immer zuzuschauen,</div> - <div class="verse">ob wir nicht sein Vertrauen schänden.</div> - <div class="verse">Und siehst du: Das — jawohl — das macht mir Grauen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er bebt; er zerrt an seinem Bart.</div> - <div class="verse">Das braune Weib wird bleich, wird rot.</div> - <div class="verse">Dann sagt sie leise, mühsam, hart:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Kind, vor dem dir graut, ist tot — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen schweigen wie erstarrt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">31.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Mond bescheint ein steinernes Portal,</div> - <div class="verse">durch kahle Zweige eine feuchte Schwelle.</div> - <div class="verse">Die Zweige leuchten wie aus Stahl.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen stehn in einer Grabkapelle.</div> - <div class="verse">Der Mond legt Schatten auf ein totes Kind;</div> - <div class="verse">nur seine beiden offnen Augen glänzen.</div> - <div class="verse">Sie glänzen wie die Blumen an den Kränzen,</div> - <div class="verse">bleich und blind.</div> - <div class="verse">Sie glänzen bleicher als der Vollmondschein.</div> - <div class="verse">Ein Weib höhnt in die Nacht hinein:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hatt ein Kind, und nicht von Dir,</div> - <div class="verse">ich steh in Freiheit neben dir;</div> - <div class="verse">ich bin erlöst, wenn Du, wenn Du es bist!</div> - <div class="verse">Ich bin die Fürstin Isabella Lea,</div> - <div class="verse">die auf dem Weg der Liebe gen Himmel ist —</div> - <div class="verse">ich, Mutter Isis, Mutter Gäa,</div> - <div class="verse">die willig ihre eignen Kinder frißt,</div> - <div class="verse">der irdischen Gerechtigkeit entrückt.</div> - <div class="verse">Ist nun mein Gott, mein Lucifer, beglückt??</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[S. 184]</a></span> - <div class="verse">Sie wankt; sie hat die Augen zugedrückt.</div> - <div class="verse">Ein Mann legt ihr die Hand auf Stirn und Haare.</div> - <div class="verse">Er spricht — sein Blick verschlingt die dunkle Bahre:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Kind, das du getötet hast,</div> - <div class="verse">war meiner Seele nicht die Last</div> - <div class="verse">auf unsrer Wallfahrt zu der Freiheit,</div> - <div class="verse">die Einheit schafft aus aller Zweiheit.</div> - <div class="verse">Aber du hast mich tief verwandelt;</div> - <div class="verse">du hast für mich aus einem Geist gehandelt,</div> - <div class="verse">der nichts mehr will als klar am Ziele ruhn —</div> - <div class="verse">so komm! — ich weiß jetzt: du kannst schweigen.</div> - <div class="verse">Ich habe Manches in der Welt zu tun,</div> - <div class="verse">Lea; und Das — nun ja, das wird sich zeigen.</div> - <div class="verse">Im übrigen, Madam: es wohnen</div> - <div class="verse">noch Krüppel genug auf Fürstenthronen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er küßt ihr Stirn und Augen, wie zur Weihe.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen wenden sich ins Freie.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">32.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hellblauer Himmel mit weißen Streifen</div> - <div class="verse">läßt alle Saatfelder grüner prangen.</div> - <div class="verse">Und den Bäumen am Wege muß wohl ein Bangen</div> - <div class="verse">vor den mächtigen Roßschweifen</div> - <div class="verse">des Windes durch die Knospen wehen:</div> - <div class="verse">sie zittern. Aber zwei Menschen gehen</div> - <div class="verse">ruhig einen Wiesenrain hinan.</div> - <div class="verse">Einem Weibe erwidert ein Mann:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mein Töchterchen? — Ja — sonderbar:</div> - <div class="verse">sie sagte — sie meinte wohl dein Auge und Haar —:</div> - <div class="verse">du sähst ganz schwarz aus, ganz schwarz und heiß,</div> - <div class="verse">aber inwendig wärst du wohl weiß.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[S. 185]</a></span> - <div class="verse">Nun stehst du wieder, wie zur Erstarrung geneigt.</div> - <div class="verse">Lea, sieh um dich! Sieh, wie alles sich ändert:</div> - <div class="verse">wie jeder Baum sein Wachstum klarer zeigt,</div> - <div class="verse">wie’s lichtbegehrlich aus Spitze an Spitze springt,</div> - <div class="verse">wie er die Triebkraft, die alle zackt und rändert,</div> - <div class="verse">mit eignem Umriß trotzig zum Ausdruck bringt!</div> - <div class="verse">Dann preist dir jedes Hälmchen im Feld</div> - <div class="verse">den Geist der körperlichen Welt.</div> - <div class="verse">Dann sagt dir jeder Lebenshauch:</div> - <div class="verse">wie du dich gibst, so <em class="gesperrt">bist</em> du auch!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er stutzt: Sie lächelt ins Blaue hinein.</div> - <div class="verse">Sie steigt still über den Wiesenrain.</div> - <div class="verse">Sie bricht sich einen Knospenzweig ab.</div> - <div class="verse">Sie hebt ihn wie einen Zauberstab:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn ich nun aber nach jenen Wolken weise,</div> - <div class="verse">die unter der Sonne den Abendhimmel streifen,</div> - <div class="verse">und nun im Geist nach Morgenländern reise —</div> - <div class="verse">dann mögen sie noch so eigen anders schweifen,</div> - <div class="verse">die ganze Landschaft versichert mir:</div> - <div class="verse">wie du mich <em class="gesperrt">nimmst</em>, so bin ich dir!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie stutzt: Er weist still über die Wiesen:</div> - <div class="verse">die sehn noch aus wie abgeweidet.</div> - <div class="verse">Die Wolken werfen Schatten wie Riesen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen merken, was sie scheidet.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">33.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint;</div> - <div class="verse">bis in den Wald herüber klingt es leise.</div> - <div class="verse">Hell vor sich hin erwiedert eine Meise:</div> - <div class="verse">ich fühls, ich fühls, wie lieb, wie lieb sie’s meint.</div> - <div class="verse">Die Finken sind verstummt: ein Rappe schnaubt</div> - <div class="verse">und schüttelt sein Geschirr. Zwei Menschen streichen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[S. 186]</a></span> - <div class="verse">dem edlen Tier die dampfend heißen Weichen.</div> - <div class="verse">Nun hebt das Weib ihr dunkles Haupt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Als du vorhin so kerzengrad anhieltest,</div> - <div class="verse">fiel mir ein Traum ein, der mir gestern träumte.</div> - <div class="verse">Es war, als ob du fern die Laute spieltest;</div> - <div class="verse">ich stand am Meer, in dem die Nacht noch säumte.</div> - <div class="verse">Da kam, auftauchend mit dem Morgenrot,</div> - <div class="verse">gerudert von zwölf tiefgebückten Herren,</div> - <div class="verse">die Kronen trugen, ein gewaltiges Boot;</div> - <div class="verse">ich sah die Herren wie an Ketten zerren.</div> - <div class="verse">Am Steuer aber, über ihnen frei,</div> - <div class="verse">stand Einer, der war nackt, und glänzte. Und —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">sie stockt: der Rappe, zitternd, stampft den Grund,</div> - <div class="verse">sie zittert mit — sie hören auf zu streichen,</div> - <div class="verse">der Mann nimmt ihr das Wort vom Mund:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Er, der Glänzende, gab dir ein Zeichen</div> - <div class="verse">und kam mit seinem Lautenspiel herbei.</div> - <div class="verse">Und Du, du mußtest ihm die Hände reichen</div> - <div class="verse">und folgtest ihm und seiner Melodei.</div> - <div class="verse">Und wenn du staunst, wieso ich alldas weiß,</div> - <div class="verse">dann staune auch, wieso dies Tier mitbebte,</div> - <div class="verse">als meine Seele so in deiner lebte,</div> - <div class="verse">wie seine Haut in unsrer Hand so heiß.</div> - <div class="verse">Und staune, Seele, was dich so beschwingt,</div> - <div class="verse">daß du die Meise zwitschern hörst: ich bin’s!</div> - <div class="verse">und was dich lerchengleich zu jubeln zwingt!</div> - <div class="verse">und wie’s dich wieder wie als Kind durchdringt,</div> - <div class="verse">das Glück folgsamen Eigensinns!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint;</div> - <div class="verse">zwei Menschen ahnen, was sie eint.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[S. 187]</a></span></p> - -<p class="center mtop1">34.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fern in jungen Birken spielt der Wind,</div> - <div class="verse">scheint das scheue Frührot anzuschüren.</div> - <div class="verse">Von der zarten Glut umglänzt beginnt</div> - <div class="verse">eine Mühle sich zu rühren;</div> - <div class="verse">rosig schauert das grüne Feld.</div> - <div class="verse">Wo der altersgraue Park sich lichtet,</div> - <div class="verse">unweit einer Grabkapelle,</div> - <div class="verse">grüßt ein Weib ins Freie, Helle,</div> - <div class="verse">blitzt ein Stahlrad auf, blitzt und hält,</div> - <div class="verse">schwenkt ein Mann die Rechte, heiß hochgerichtet:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Frühling! — endlich! — wie drängt das, mitzutun!</div> - <div class="verse">Mir war, als müßt ich über dies Saatenmeer</div> - <div class="verse">mit meinen blauen Segeltuchschuhn</div> - <div class="verse">wie die Schwalben hin und her!</div> - <div class="verse">Herrlich: so schweben, fliegende Blicke werfen!</div> - <div class="verse">Wie alle Sinne sich an einander schärfen!</div> - <div class="verse">Man wird bis in die volle Brust</div> - <div class="verse">seiner eignen Gotteskraft bewußt;</div> - <div class="verse">und selbst aus Grabesfinsternissen</div> - <div class="verse">lacht es „All Heil, Welt!“ dies neue Gewissen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Funkelnd streift sein Grußblick die Kapelle.</div> - <div class="verse">Aber da, statt mitzugrüßen,</div> - <div class="verse">bebt das Weib empor, Zorntränen quellen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich weiß nur Eins, und geb’s auch Dir zu wissen:</div> - <div class="verse">mir lacht dein Weltall gar zu bunt!</div> - <div class="verse">Mir ist mein Herz, hier dies mein Herz, zerrissen,</div> - <div class="verse">und wär so gern, o Gott wie gern, gesund!</div> - <div class="verse">Und quälte das Deinen Gott auch nur zum Teilchen</div> - <div class="verse">wie Mich, du küßtest dir die Lippen wund</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[S. 188]</a></span> - <div class="verse">und heiltest, heiltest mich! ja nick nur! Und —</div> - <div class="verse">ach, Lukas, sieh: das erste Veilchen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie steht auf einmal ganz beglückt,</div> - <div class="verse">daß er, entzückt, sich bückt, es pflückt,</div> - <div class="verse">es ihr an Herz und Lippen drückt</div> - <div class="verse">und wie ein Junge lacht dazu.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen lassen Gott in Ruh.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">35.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht.</div> - <div class="verse">Es regt sich nur das Licht der tausend Sterne.</div> - <div class="verse">Und Frühlingshauch. Und dunkelblaue Ferne.</div> - <div class="verse">Und manchmal eine Fledermaus auf Jagd.</div> - <div class="verse">Und Atemzüge, unterdrückt und schwer,</div> - <div class="verse">voller Spannung, mehr und mehr.</div> - <div class="verse">Jetzt rauscht ein Seidenglanz und bricht den Bann:</div> - <div class="verse">ein Weib drängt sich an einen Mann:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lukas! was liegst du wie vom Alb gedrückt,</div> - <div class="verse">als ob du nichts von meinem Dasein fühltest!</div> - <div class="verse">Meinst du, mich hat die Zukunft <em class="gesperrt">nicht</em> bedrückt,</div> - <div class="verse">wenn du mich Tag für Tag für Tag hinhieltest?</div> - <div class="verse">Und jetzt, wo dieser Druck mich fast erstickt —</div> - <div class="verse">Du — Lukas?! — Wenn du — wenn du mit mir spieltest —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie schüttelt ihn, ihr Augenglanz wird hart;</div> - <div class="verse">er starrt hinein, wie vorher in die Ferne.</div> - <div class="verse">Und wieder regt sich nur das Licht der Sterne,</div> - <div class="verse">die Jagd der Fledermäuse. Und sie starrt:</div> - <div class="verse">sie starrt wie er — will drohn — da wirkt sein Bann:</div> - <div class="verse">sie zuckt, sie nickt, sie lacht ihn traumhaft an.</div> - <div class="verse">Und traumhaft geht sein Wort ihr zu Gemüt:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[S. 189]</a></span> - <div class="verse">Fürstin, ich will nichts halb. Ich will dich sehn,</div> - <div class="verse">in ganzer Schönheit, ganzer Häßlichkeit.</div> - <div class="verse">Ich will vor dir, du sollst vor mir bestehn,</div> - <div class="verse">vom Alb der scheuen Ahnungen befreit;</div> - <div class="verse">ich will die nackteste Befreiung.</div> - <div class="verse">Wenn dann die Male deiner Mutterwehn</div> - <div class="verse">dich nicht dem Gott in meiner Brust verleiden</div> - <div class="verse">oder dem Tier in unsern Eingeweiden,</div> - <div class="verse">will ich nach soviel Sehnsucht und Kasteiung</div> - <div class="verse">nicht wie ein Nachttier mich mit dir vergehn:</div> - <div class="verse">ich will mit dir ins Licht der Menschlichkeit!</div> - <div class="verse">Sei bereit! —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er küßt sie wach; er drängt sie sanft zurück.</div> - <div class="verse">Sie sitzt und sinnt, wie über Raum und Zeit.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen beten für ihr Glück.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">36.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und lichter als der lichte Tag im Zimmer</div> - <div class="verse">und immer lichter schauert ein Geflimmer</div> - <div class="verse">von Kerzen über helle Blumen hin.</div> - <div class="verse">Still schwebt um silberblau gestickte Kissen</div> - <div class="verse">der Duft des weißen Flieders, der Narzissen.</div> - <div class="verse">Und durch die Bläue, durch die Blumen hin</div> - <div class="verse">zittert die Luft, als ob sich Herzen rühren:</div> - <div class="verse">zwei Menschen stehn — noch tönen still die Türen —</div> - <div class="verse">mit Augen, die den Himmel nahe spüren,</div> - <div class="verse">enthüllt bis zu den Hüften da:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">ein Mann mahnt: du! — ein Weib haucht: ja.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Still sinkt ihr Arm von ihren braunen Brüsten,</div> - <div class="verse">die Lichter schauern immer schimmernder;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[S. 190]</a></span> - <div class="verse">sein Blick erbebt, als ob sie lodern müßten.</div> - <div class="verse">Die Blumen atmen immer flimmernder.</div> - <div class="verse">Die Sterne an den silberblauen Wänden</div> - <div class="verse">erstrahlen wie in keiner Nacht so blank.</div> - <div class="verse">Still nestelt sie am Goldband ihrer Lenden;</div> - <div class="verse">sein Körper spannt sich unter innern Bränden,</div> - <div class="verse">wie eines Kämpfers straff und schlank.</div> - <div class="verse">Still schaut sie auf. Er muß die Augen schließen.</div> - <div class="verse">Still weht ein Flor zu Boden. Er will sehn!</div> - <div class="verse">Er sieht nur, wie zwei Augen Licht ergießen,</div> - <div class="verse">zwei dunkle Augen, die ihm zugestehn</div> - <div class="verse">— still —</div> - <div class="verse">was er will.</div> - <div class="verse">Er will sie ganz mit seinem Blick erkennen;</div> - <div class="verse">er sieht sie ganz nach seinem Blick entbrennen.</div> - <div class="verse">Er will nichts mehr als stehn und stehn</div> - <div class="verse">und still in ihre Seele sehn.</div> - <div class="verse">Er steht und muß die Hände heben,</div> - <div class="verse">als blende ihn das ewige Leben;</div> - <div class="verse">und dunkel rauscht der Weltraum. Da</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">mahnt <em class="gesperrt">sie</em> ihn: du — da haucht er: ja —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und alles rauscht tief innerlich.</div> - <div class="verse">Zwei nackte Menschen einen sich.</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[S. 191]</a></span></p> - -<h3 id="Zweiter_Umkreis">Zweiter Umkreis<br /> -– Die Seligkeit –</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Eingang_2">Eingang</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Halt ein, halt ein — weit über jenen Gleisen,</div> - <div class="verse">wo man noch Höhen sieht und Tiefen;</div> - <div class="verse">nun sollst du erst das wahre Leben umkreisen</div> - <div class="verse">und sollst der Allmacht Deine Macht verbriefen.</div> - <div class="verse">Sieh: zwei Adler steuern, vom Sturm getrieben,</div> - <div class="verse">über allem Erdentrott!</div> - <div class="verse">Du aber bist noch Mensch geblieben:</div> - <div class="verse">du atmest und entatmest Gott.</div> - <div class="verse">Willst du nicht das Ewige selbst erreichen?</div> - <div class="verse">oh, dann laß auch Gott zurück!</div> - <div class="verse">denn es gilt, o Mensch, dein Glück</div> - <div class="verse">mit dem Weltglück zu vergleichen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Vorgaenge_II_1-36">Vorgänge: II, 1–36</h4> - -<p class="center mtop2">1.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen reiten durch maihellen Hain,</div> - <div class="verse">galopp, galopp, von Schatten zu Sonnenschein;</div> - <div class="verse">alle Blätter sind grüne Flammen.</div> - <div class="verse">Wenn der Himmel erscheint, wenn die Pferde aufschnauben,</div> - <div class="verse">sehn sich die Beiden mit jauchzenden Augen</div> - <div class="verse">immer wieder beisammen</div> - <div class="verse">und werfen den Kopf wie die Tiere.</div> - <div class="verse">Immer wieder streckt durch die goldnen Strahlen</div> - <div class="verse">auf dem schmalen</div> - <div class="verse">Moosweg zwischen den hohen Stämmen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[S. 192]</a></span> - <div class="verse">dann ein dunkler Schemen</div> - <div class="verse">halb Chimäre halb Drache</div> - <div class="verse">hopp alle Viere.</div> - <div class="verse">Da müssen sie lachen</div> - <div class="verse">und werfen dem Untier Kußhände zu.</div> - <div class="verse">Und das Weib kann den Jubel nicht länger dämmen,</div> - <div class="verse">laut scheucht ihr Ruf die Mittagsruh:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Echo! Echo! stimm ein, stimm ein —</div> - <div class="verse">es wollt eine Seele sich befrein,</div> - <div class="verse">da band das Glück ihr die Hände!</div> - <div class="verse">O Meiner, hilf mir die Arme breiten!</div> - <div class="verse">halt mich gefangen, du, ohne Ende!</div> - <div class="verse">ach könnt ich ewig so weiter reiten!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und der Mann, plötzlich die Sporen gebend,</div> - <div class="verse">in die Brusttasche greifend, im Sattel sich hebend,</div> - <div class="verse">jagt vor ihr her fort:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm, ich nehm dich beim Wort!</div> - <div class="verse">Und wenn ich die Freiheit drüber verliere:</div> - <div class="verse">hier — es lebe die Tat — ist das nöt’ge klein Geld!</div> - <div class="verse"><span class="antiqua">voilà, madame</span>: Banknoten! — gelt:</div> - <div class="verse">die sind doch mehr wert als Archivpapiere?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er schwenkt die blauen Lappen in der Sonne;</div> - <div class="verse">er lacht, daß ein fast schreckhaft Echo gellt.</div> - <div class="verse">Sie hat kaum zugehört vor Frühlingswonne.</div> - <div class="verse">Aufbäumend gleißt ihr Rappe in der Sonne;</div> - <div class="verse">zwei Menschen reiten in die Welt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">2.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie machen Halt und lugen aus.</div> - <div class="verse">Da liegt, von Epheu eingehüllt,</div> - <div class="verse">im Kiefernhochwald still ein kleines Haus;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[S. 193]</a></span> - <div class="verse">die graue Lichtung ist erfüllt</div> - <div class="verse">vom kühlen Duft des Morgentaus.</div> - <div class="verse">Der Mann blickt lange auf die beiden Linden</div> - <div class="verse">am moosbedeckten Zaun des alten Herdes.</div> - <div class="verse">Dann greift er in die Mähne seines Pferdes</div> - <div class="verse">und nimmt ein Haar und übergibt’s den Winden:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sieh, Meine, so werf ich hinter mich,</div> - <div class="verse">was uns noch scheidet durch Erinnerungen.</div> - <div class="verse">Dort halten Zwei in treuen Armen sich,</div> - <div class="verse">die träumen jetzt vielleicht von ihrem Jungen,</div> - <div class="verse">wie er sein Kind herzt, väterlich.</div> - <div class="verse">Sie haben Alles in mir großgehegt,</div> - <div class="verse">wodurch sich Menschenseelen glücklich schätzen;</div> - <div class="verse">doch wüßten sie, welch Glück mich jetzt bewegt,</div> - <div class="verse">und welches Leid es Andern auferlegt,</div> - <div class="verse">sie würden sich vor ihrem Sohn entsetzen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er blickt kalt weg, er lächelt befangen.</div> - <div class="verse">Das Weib hebt sacht vom Sattelknauf die Hand.</div> - <div class="verse">Sie hat das Haar im Flattern aufgefangen;</div> - <div class="verse">sie hält’s wie zum Zerreißen gespannt.</div> - <div class="verse">Nun reicht sie’s ihm zurück mit fröstelnden Wangen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nein, Lux: so leicht verwirft man nicht.</div> - <div class="verse">Was hilft dein Lächeln — ich seh dein wahres Gesicht;</div> - <div class="verse">uns scheidet Alles, was uns nicht gesellt.</div> - <div class="verse">Du willst mir helfen, mich in mein Schicksal schicken;</div> - <div class="verse">wohlan! so zeige mir mit immer wärmeren Blicken</div> - <div class="verse">versöhnt die Zwietracht dieser Welt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da fliegt ein Glanz rings übers Haidekraut:</div> - <div class="verse">die Sonne kommt durchs Holz. Ein Hund gibt Laut;</div> - <div class="verse">ein Ruf hallt jenseits des Geheges.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[S. 194]</a></span> - <div class="verse">Das Haar entweht. Hell dräut das Hirschgeweih</div> - <div class="verse">vom grauen First der Försterei;</div> - <div class="verse">zwei Menschen reiten eilends ihres Weges.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">3.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und auf einer Landstraße begegnet ihnen</div> - <div class="verse">eine Heerde Schafe, vom Abendrot beschienen;</div> - <div class="verse">sie müssen durch den Staub.</div> - <div class="verse">Der lahme Hirt hebt besorgt seinen Stecken,</div> - <div class="verse">daß die Pferde wie rasend vor der Mißgestalt erschrecken,</div> - <div class="verse">aus den Zügeln gehn, hussa, quer durch den Haufen.</div> - <div class="verse">Hinter ihnen her lärmts blökend und blaffend,</div> - <div class="verse">eine Weile — dann stoppt der tolle Ritt;</div> - <div class="verse">sie zwingen die Gäule zum spanischen Schritt.</div> - <div class="verse">Und das Weib sagt lächelnd, die Schleppe raffend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Als ich gestern den Brief — du weißt — abschickte,</div> - <div class="verse">da wurde mir auf einmal klar,</div> - <div class="verse">wie dienlich der goldne Käfig mir war,</div> - <div class="verse">in dessen Luft ich beinah erstickte.</div> - <div class="verse">Wie hat diese Luft mir doch erst eingegeben,</div> - <div class="verse">was es bedeutet, sich ganz ausleben:</div> - <div class="verse">ganz in ein anderes Leben hin!</div> - <div class="verse">Wie kann ich jetzt in jedem Baum aufgehen:</div> - <div class="verse">das Wachstum jeder Blüte läßt mich sehen,</div> - <div class="verse">was du mir bist, was ich dir bin.</div> - <div class="verse">Wie glänzt mir selbst der Krüppel dort im Staube:</div> - <div class="verse">er ist so eins mit seinen Hunden</div> - <div class="verse">wie Gott mit seiner Welt! — Ich glaube,</div> - <div class="verse">das hätt ich früher nicht empfunden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Früher — nickt der Mann, und klemmt die Kandare herunter,</div> - <div class="verse">denn sein Blauschimmel halst nach ihrem Rappen,</div> - <div class="verse">als wollten sie wieder durch die Lappen —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[S. 195]</a></span> - <div class="verse">Aber weißt du: steig lieber nicht weiter hinunter</div> - <div class="verse">in diese Welt der einfachen Seelen —</div> - <div class="verse">sonst möchte dir Eins an ihrem Gottglück fehlen:</div> - <div class="verse">sie gehn nicht auf darin, sie gehn drin unter —</div> - <div class="verse">unwissend! — Ja: gottlob: nicht Einen Tag</div> - <div class="verse">wärst du im Stande, zwischen diesen Viehern</div> - <div class="verse">dich auszuleben — oder sag:</div> - <div class="verse">möchtest du Tiere zu Erziehern?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen lachen; zwei Pferde wiehern.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">4.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es führt ein Wildsteg durch Farrenkraut bergan.</div> - <div class="verse">Über Moos und Felsen schlüpft hüpfend das Licht</div> - <div class="verse">und blitzt im Dickicht; fern ruft ein Kuckuk.</div> - <div class="verse">Und es sprudelt ein Wasser durch tiefen, tiefen Tann;</div> - <div class="verse">da sitzt ein nacktes Weib, das Kränze flicht,</div> - <div class="verse">Kränze um einen glitzernden Mann.</div> - <div class="verse">Der singsangt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vor der Nixe vom Rhein kniet der Kobold vom Rhin</div> - <div class="verse">und bringt schön bang seine Brautschätze dar:</div> - <div class="verse">blaue Blumen, die nur im Freien blühn,</div> - <div class="verse">Männertreu, Pferdefuß, Jungfer im Grün,</div> - <div class="verse">und zur Hochzeit ein stumm Musikantenpaar:</div> - <div class="verse">Unke, die munkelt nur,</div> - <div class="verse">Glühwurm karfunkelt nur:</div> - <div class="verse">Ellewelline, husch, tanze danach!</div> - <div class="verse">Ein Herr Eidechs hatte einmal zwei Frauen,</div> - <div class="verse">denen er sehr am Herzen lag:</div> - <div class="verse">eine, der gab er sein tiefstes Vertrauen,</div> - <div class="verse">darauf lief er der andern nach.</div> - <div class="verse">Ellewelline, tanz Serpentine:</div> - <div class="verse">schwarz ist die Nacht, und bunt ist der Tag!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[S. 196]</a></span> - <div class="verse">Und der Kuckuk ruft, und der Bergquell sprudelt;</div> - <div class="verse">und das dunkle Weib bekränzt ihr schwarz Haar.</div> - <div class="verse">Und sie summt — und das Licht in der Welle strudelt</div> - <div class="verse">kühl und warm, wirr und klar —:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ellewelline tanzt Serpentine,</div> - <div class="verse">o ja, Herr Eidechs, sonderbar!</div> - <div class="verse">Sie schwamm eines Nachts um den Nixenstein:</div> - <div class="verse">da konnt sie den ganzen Tag Kobolde frein,</div> - <div class="verse">jeden Tag ein paar,</div> - <div class="verse">macht fast tausend im Jahr.</div> - <div class="verse">Aber ans Ufer kam einfach ein Mann:</div> - <div class="verse">der hatte blaue Schuh, blaue Himmelschuh an —</div> - <div class="verse">Amen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und der Kuckuk ruft, als fänd’er kein Ende;</div> - <div class="verse">da falten die zwei Menschen die Hände.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">5.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es liegt ein Strom im Tal, und Nebel steigen;</div> - <div class="verse">der Strom glänzt gläsern und scheint stillzustehn.</div> - <div class="verse">Aus grüner Dämmrung dehnen und verzweigen</div> - <div class="verse">die Wälder sich zu hundert blauen Höhn.</div> - <div class="verse">Ein dunkles Schloß wiegt zwischen seinen Giebeln</div> - <div class="verse">den großen goldnen Mond; zwei Fenster glühn.</div> - <div class="verse">Und drunter winden sich an Rebenhügeln</div> - <div class="verse">die Lichter kleiner Städte hin.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dort — sagt das Weib und weist mit der Gerte</div> - <div class="verse">von ihrem Pferd ins Zwielicht hinab —</div> - <div class="verse">dort ging ich eines Nachts von Grab zu Grab</div> - <div class="verse">und weinte bis zur Herzenshärte.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[S. 197]</a></span> <div class="verse">In die Strudel im Strom, ins Gewirr der Bäume,</div> - <div class="verse">zu den Sternen, die über die Berge starrten,</div> - <div class="verse">verstieß ich meine Himmelsträume</div> - <div class="verse">und verließ meine Toten, verschloß meinen Garten.</div> - <div class="verse">Keine Seele fragte mehr nach meiner,</div> - <div class="verse">kein Geist der Väter trat her zu mir;</div> - <div class="verse">nur die reiche Erbin wollte manch einer.</div> - <div class="verse">So ging ich ins Leben. So kam ich zu Dir.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lange schweigt der Mann. Die Pferde scharren.</div> - <div class="verse">Ein Stein rollt zu Tal, ein Echo weckend.</div> - <div class="verse">Und das Weib beginnt in den Mond zu starren.</div> - <div class="verse">Da sagt er leise, den Arm ausstreckend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm — es wollt eine Seele sich befrein,</div> - <div class="verse">da band ihr die Sehnsucht die Hände.</div> - <div class="verse">Was beschwörst du Schatten am grünen Rhein!</div> - <div class="verse">Sieh dort in die Lichter mit mir hinein,</div> - <div class="verse">in die Heimat ohne Ende!</div> - <div class="verse">Sieh: ist nicht der Himmel herabgesunken,</div> - <div class="verse">dein dunkles Tal wie von innen erhellt!</div> - <div class="verse">Sternbildern gleich glänzt Funken neben Funken,</div> - <div class="verse">vom Geist der Väter alle zusammengestellt.</div> - <div class="verse">Und mild belebt das irdische Gräberfeld</div> - <div class="verse">der tote Mond, vom Licht der Sonne trunken.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen atmen auf, in ihrer Welt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">6.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wieder dämpft ein dumpfes Wiehern und Schnauben,</div> - <div class="verse">das durch den Schatten stiller Büsche rauscht,</div> - <div class="verse">im hohen Holz das Gurren der wilden Tauben;</div> - <div class="verse">und das Weib lauscht.</div> - <div class="verse">Der schlafende Mann in ihrem Schooß</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[S. 198]</a></span> <div class="verse">hat schwer gestöhnt; soll sie ihn rütteln?</div> - <div class="verse">Da öffnet er die Augen — grauengroß.</div> - <div class="verse">Er sieht die Blumen blühn im schwülen Moos.</div> - <div class="verse">Und jäh, als wollt er einen Wurm abschütteln,</div> - <div class="verse">macht er sich los:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das war, weiß Gott, ein Teufelstraum!</div> - <div class="verse">Ich saß mit dir in einem alten Park;</div> - <div class="verse">zuweilen ritten Leute hin am Saum.</div> - <div class="verse">Und plötzlich kam ein Reiter, jung und stark;</div> - <div class="verse">der fing uns an im Zirkel zu umtraben,</div> - <div class="verse">in immer gleichem, ziellos gleichem Kreise,</div> - <div class="verse">und doch so eifrig wie auf einer Reise,</div> - <div class="verse">als möcht er Ruhe, endlich Ruhe haben.</div> - <div class="verse">Er schien uns beide garnicht zu beachten.</div> - <div class="verse">Und langsam übermannte mich ein Schauer:</div> - <div class="verse">er wurde immer älter, immer grauer.</div> - <div class="verse">Ich mußt ihn immer sinnender betrachten,</div> - <div class="verse">mit immer tiefer angestrengten Blicken.</div> - <div class="verse">Dann sah ich Roß und Reiter gräßlich nicken,</div> - <div class="verse">mit Augen, die mich immer irrer machten;</div> - <div class="verse">ich wollte schrein vor sinnloser Beschwerde.</div> - <div class="verse">Und als mich deine Hände zu mir brachten,</div> - <div class="verse">fühlt ich mit Grauen: das war der Geist der Erde.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er küßt ihr dankbar die Rechte. Sie nickt und lauscht.</div> - <div class="verse">Er sieht die Blumen blühen im stillen Moos.</div> - <div class="verse">Er hört den Wald antworten; es gurrt und rauscht.</div> - <div class="verse">Er fühlt zwei Augen schweigen. Die sinnen blos:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">ich weiß einen Himmel — grauen<em class="gesperrt">los</em> —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und er schließt die Arme um einen Schooß.</div> - <div class="verse">Da rauscht es wieder: zwei Pferde stecken</div> - <div class="verse">die Köpfe durchs Dickicht. Zwei Menschen erschrecken.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[S. 199]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">7.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und endlich kommt eine Hütte in Sicht.</div> - <div class="verse">Es regnet, daß sich an den Wegen</div> - <div class="verse">die Halme in den Schlamm der Berge legen;</div> - <div class="verse">er spritzt den Reitern ins Gesicht.</div> - <div class="verse">Sie müssen immer mehr die Köpfe neigen:</div> - <div class="verse">Kirschbaum bei Kirschbaum, immer tiefer,</div> - <div class="verse">spritzt Blütenfluten von den Zweigen,</div> - <div class="verse">sie kleben fest wie Ungeziefer.</div> - <div class="verse">Das Weib spricht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mir ist, als ritten wir zum Jüngsten Gericht;</div> - <div class="verse">der liebe Gott weint seine dicksten Tränen.</div> - <div class="verse">Ich triefe wie die Pferdemähnen,</div> - <div class="verse">und paradiesisch riecht mein Rappe nicht!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie wischt sich heftig den Brei von Hals und Hut.</div> - <div class="verse">Der Mann will längst ein Lächeln verbeißen.</div> - <div class="verse">Aber endlich zwingts ihn: er muß den Mund aufreißen</div> - <div class="verse">und lacht in hellem Übermut:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ei ei, Frau Fürstin! Gott ist gut!</div> - <div class="verse">er merkt, Ihr wollt in den Himmel kommen;</div> - <div class="verse">drum kommt uns der Himmel höchstselbst entgegengeschwommen —</div> - <div class="verse">o Meine, sei keine Martersäule!</div> - <div class="verse">Allons, was starrst du! mein Schimmel hat Eile:</div> - <div class="verse">komm, im nächsten Pfarrdorf verkaufen wir die Gäule,</div> - <div class="verse">das wird unsrer Pilgerkasse frommen!</div> - <div class="verse">Dann rollst du zu Rade vor mir her,</div> - <div class="verse">wie Frau Fortuna erlaucht im Traum der Ahnen.</div> - <div class="verse">Kein Schmutz, kein Stallgeruch befleckt uns mehr,</div> - <div class="verse">kein Kohlenrauch von Eisenbahnen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[S. 200]</a></span> - <div class="verse">Dann reisen wir nur noch bei Sonnenschein</div> - <div class="verse">und lassen unsre Herzen brennen.</div> - <div class="verse">Und dann will ich nie mehr, ich schwör’s, dich Frau Fürstin nennen</div> - <div class="verse">und doch — dein ergebenster Diener sein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie machen vor der Hütte Halt.</div> - <div class="verse">Er wischt den Schmutz von seinen und ihren</div> - <div class="verse">Händen; sie wehrt mit sanfter Gewalt.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen steigen von den Tieren.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">8.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und im Glanz, im bebenden blauen Glast</div> - <div class="verse">um zwei strahlende Stahlmaschinen</div> - <div class="verse">wiegt der Bergwind Blumen und Bienen;</div> - <div class="verse">traumhaft halten zwei Menschen Rast.</div> - <div class="verse">Traumhaft haucht ein Birkenstrauch</div> - <div class="verse">Duft und Dunkel um sie her.</div> - <div class="verse">Im Laubwerk spielt die Luft, bald sanft, bald sehr.</div> - <div class="verse">Die Gräser zittern zwischen ihnen.</div> - <div class="verse">Ein Mann summt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun laß die goldnen Schatten</div> - <div class="verse">durch deine Locken gleiten;</div> - <div class="verse">ich will dir eine Krone</div> - <div class="verse">aus lauter Licht bereiten.</div> - <div class="verse">Wiege mich, wiege mich: du sollst mir Alles sein:</div> - <div class="verse">wie ein klein Kindchen bedarf ich dein! —</div> - <div class="verse">Siehst du den freien Himmel dort</div> - <div class="verse">aus den Klüften steigen?</div> - <div class="verse">ich seh eine Freifrau thronen,</div> - <div class="verse">ihrem Freiherrn tief leibeigen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[S. 201]</a></span> - <div class="verse">Wecke mich, wecke mich! ich will dir Alles sein:</div> - <div class="verse">ich kann dir Gott aufwiegen, bedarfst du mein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Traumhaft blickt das Weib den Weg zurück.</div> - <div class="verse">Um zwei strahlende Stahlmaschinen</div> - <div class="verse">wiegt der Bergwind Blumen und Bienen;</div> - <div class="verse">jede taumelt auf gut Glück.</div> - <div class="verse">Eine Stimme zittert hin zu ihnen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Siehst du an deiner Krone auch,</div> - <div class="verse">Kind, die schroffen Zinken?</div> - <div class="verse">Ich sah den freien Himmel, Herr,</div> - <div class="verse">in den Klüften versinken.</div> - <div class="verse">Hebe mich, halte mich, ich war so tief allein;</div> - <div class="verse">laß uns zusammen Alles sein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Traumhaft haucht der Birkenstrauch</div> - <div class="verse">taumelnde Schatten um sie her.</div> - <div class="verse">Im Laubwerk wogt das Licht, unendlich sehr.</div> - <div class="verse">Himmelluft hüllt zwei Menschen ein.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">9.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es wird immer freier.</div> - <div class="verse">Von den Bergen weichen die Morgenschleier.</div> - <div class="verse">Noch wanken Wolken in den Spalten;</div> - <div class="verse">aber aus allen grauen Falten</div> - <div class="verse">quellen und strahlen wie Diamant</div> - <div class="verse">Schneeadern nieder ins grüne Land,</div> - <div class="verse">die sich unten in klaren Bächen</div> - <div class="verse">Bahn zum dunkeln Strom hin brechen,</div> - <div class="verse">steil von Halde zu Halde schäumend.</div> - <div class="verse">Das Weib steht säumend:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[S. 202]</a></span> - <div class="verse">Wie strebt das alles weg von sich —</div> - <div class="verse">o Meiner, Meiner: wohin, wohin!</div> - <div class="verse">Jeder Sturzbach zeigt mir, wie dein ich bin;</div> - <div class="verse">und doch lockt jede Wolke mich.</div> - <div class="verse">Mir ist so federleicht, zum Fliegen —</div> - <div class="verse">was will dies Bangen, es ist kein Grauen:</div> - <div class="verse">jeden freien Abgrund möcht ich hinunterschauen,</div> - <div class="verse">zwischen Tod und Leben mich wiegen.</div> - <div class="verse">Zeig mir das Dorf, wo unsre Räder stehn:</div> - <div class="verse">ich kann’s ohne Wanken liegen sehn!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie will sich über die Tiefe neigen.</div> - <div class="verse">Sie steht auf einmal tief erschrocken:</div> - <div class="verse">hohl erdröhnt das Tal von Glocken.</div> - <div class="verse">Sie weicht zurück. Der Mann lächelt eigen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wohin — nun fühlst du’s: nicht hinab!</div> - <div class="verse">da droht ein Gott: die Welt ist Mein.</div> - <div class="verse">Und nicht hinauf: da gähnt sein Grab.</div> - <div class="verse">Nur hin, nur hin — dann ist sie Dein!</div> - <div class="verse">Dann wird sie dir das Ziel enthüllen,</div> - <div class="verse">zu dem der Gießbach stürzend springt:</div> - <div class="verse">mit Willigkeit den Willen zu erfüllen,</div> - <div class="verse">der alles Leben zu Todeslüsten beschwingt:</div> - <div class="verse">du wirst dir selbst, in weltlichen Parabeln,</div> - <div class="verse">der unbekannte Gott der alten Fabeln.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er winkt ihr, hält sie, läßt sie schweben;</div> - <div class="verse">zwei Menschen sehn ins ewige Leben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">10.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie steigen den bleichen Firnen zu,</div> - <div class="verse">von dem fernen stummen Blitzdunst umhaucht,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[S. 203]</a></span> - <div class="verse">der die schwülen Almen, die Pfade, die dunkle Fluh,</div> - <div class="verse">die Hütten, die Heerden in Geisterlicht taucht —</div> - <div class="verse">wie verzaubert staunt der Blick einer Kuh.</div> - <div class="verse">Groß voll Ruhe, weitauf trunken,</div> - <div class="verse">schlürft das Auge die Himmelsfunken,</div> - <div class="verse">reglos ragt das Hörnerpaar —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie die Götterfürstin starrte,</div> - <div class="verse">wenn sie auf den Gatten harrte,</div> - <div class="verse">dessen Gruß der Blitzschlag war —</div> - <div class="verse">raunt der Mann dem schauenden Weibe</div> - <div class="verse">seltsam zu und macht sich frei.</div> - <div class="verse">Ein erstickter Schrei —</div> - <div class="verse">sausend zuckt sein Bergstock an ihr vorbei —</div> - <div class="verse">und ein Schritt, und funkelnd mit peitschendem Leibe</div> - <div class="verse">speit unter seinem knirschenden Schuh</div> - <div class="verse">eine Viper den letzten Blick ihr zu,</div> - <div class="verse">noch tötlich lauernd.</div> - <div class="verse">Schützend, schauernd</div> - <div class="verse">naht ihr seine Stimme: Du —</div> - <div class="verse">innig bis ins bangste Mark:</div> - <div class="verse">Lea! meine Löwin! sei stark!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie hat die großen Augen geschlossen;</div> - <div class="verse">wie ein klein Mädchen steht sie da</div> - <div class="verse">mit ihrer Haut voll Sommersprossen,</div> - <div class="verse">bleich vom Glanz der Blitze umflossen.</div> - <div class="verse">Wie verzaubert nickt sie: Ja —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">ich weiß nit, wie mir eben geschah —</div> - <div class="verse">halt mich noch ein Weilchen umfangen,</div> - <div class="verse">du warst so ruhig, bleib mir nah —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[S. 204]</a></span> <div class="verse">ich wußt ja nicht: mir <em class="gesperrt">graut</em> vor Schlangen —</div> - <div class="verse">bis unters Herz ist mirs gegangen —</div> - <div class="verse">o geh mit deiner Löwin, du:</div> - <div class="verse">ich glaub, ich bin — lach nit — dei’ Kuh —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und zwei Menschen segnen ihr Todesbangen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">11.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie seufzen auf aus Sturm und Nacht;</div> - <div class="verse">ohne Grenzen fühlt sich Arm in Arm.</div> - <div class="verse">Durch die rauschende Hütte, unendlich warm,</div> - <div class="verse">wogt und weht das Dunkel hin. Und der Schacht</div> - <div class="verse">des Rauchfangs funkelt so sternenweiß</div> - <div class="verse">wie auf den Bergen das schmelzende Eis.</div> - <div class="verse">Das Weib flüstert heiß:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und brächen da jetzt Lawinen herein,</div> - <div class="verse">ich würd aufjubeln: wir leben, leben!</div> - <div class="verse">Nicht Leib, nicht Seel mehr fühl ich Mein,</div> - <div class="verse">wenn ich mich dir entgegenhebe</div> - <div class="verse">und du dringst immer tiefer in mich ein.</div> - <div class="verse">Noch rauscht dein Blut mir, dein Herzschlag, durch alle Poren!</div> - <div class="verse">o sag mir, sag mir: solche Sekunden</div> - <div class="verse">hast doch auch Du nie früher empfunden?!</div> - <div class="verse">Ach, hätt ich dich doch selber geboren!!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie breitet die Hände zum Firmament.</div> - <div class="verse">Pulsend wogt das Dunkel, unendlich warm.</div> - <div class="verse">Mit suchenden Fingern umglüht sie ein Arm,</div> - <div class="verse">ein Mann bekennt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, greif nach den Sternen, als ob sie wüßten,</div> - <div class="verse">was Menschenherzen Reinstes verlangen!</div> - <div class="verse">Du hast mich geheilt von allen Lüsten,</div> - <div class="verse">die nicht der Einen Lust entsprangen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[S. 205]</a></span> - <div class="verse">die ganze Welt im Weib zu umfangen;</div> - <div class="verse">du bist es, bist mir, was mich gebar.</div> - <div class="verse">Du tauchst mich wieder in die Erde,</div> - <div class="verse">als sie noch Eins mit dem Himmel war;</div> - <div class="verse">in Dir fühl ich ihr feuerflüssig Werde</div> - <div class="verse">dem kreisenden Weltraum noch immer sich entwühlen,</div> - <div class="verse">und hingenommen von den Urgefühlen</div> - <div class="verse">bringt ihre Glut uns der ewigen Inbrunst dar.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er nimmt sie an sich wie ein Riese.</div> - <div class="verse">Durchs Dach der Hütte funkelt die Nacht</div> - <div class="verse">des Sturms mit überirdischer Pracht.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen nahn dem Paradiese.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">12.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie schweben in steiler Gletscherspalte;</div> - <div class="verse">die Seile knirschen, der Atem raucht.</div> - <div class="verse">Aus dämmernden Grabesgründen taucht</div> - <div class="verse">die blaue Klarheit, die schneidend kalte.</div> - <div class="verse">Und sie finden Halt. Der Mann horcht und haucht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da kommen die großen Ströme her,</div> - <div class="verse">wo die Tiefen weinen vor eisigem Grausen.</div> - <div class="verse">Hörst du die tausend Tropfen brausen?</div> - <div class="verse">die fernen Wasserstürze? das Meer?</div> - <div class="verse">Hörst du im Brausen das Todesschweigen</div> - <div class="verse">aus den leuchtenden Grüften steigen?</div> - <div class="verse">sieh: es scheint, ein Wanken weitet Allvaters Hallen!</div> - <div class="verse">Lea — wenn jetzt die Wand zerrisse</div> - <div class="verse">und wir würden einsam ins ungewisse</div> - <div class="verse">Reich des ewigen Daseins fallen:</div> - <div class="verse">wärst du im Sturz noch meine Göttin der Freude?</div> - <div class="verse">oder wieder die Fürstin Herzeleide?</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[S. 206]</a></span> - <div class="verse">Er sucht ihren Blick; er sieht blaue Kreise,</div> - <div class="verse">er faßt fester Fuß — der Gletscher schreit.</div> - <div class="verse">Dumpf dröhnt’s im fern zerreißenden Eise;</div> - <div class="verse">meergrün furcht sich die Dunkelheit,</div> - <div class="verse">die starre Wand bebt. Das Weib fragt leise:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Bist du des Todes so kalt gewahr?</div> - <div class="verse">Allmutter sieht in Allvaters Hallen</div> - <div class="verse">einen heimlichen Brunnen überwallen,</div> - <div class="verse">drin dämmert’s warm und wunderbar.</div> - <div class="verse">Es scheint, Opale schmelzen auf seinem Grunde.</div> - <div class="verse">Da entsprießt dem märchenfarbenen Schlunde</div> - <div class="verse">eine rosige Knospe, morgenklar.</div> - <div class="verse">O, die möchte Allmutter Herzeleide</div> - <div class="verse">blühn sehn voll göttlicher Augenweide;</div> - <div class="verse">und ihr Schooß erbebt, des Lebens gewahr.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie starrt beklommen. Es starrt der Mann,</div> - <div class="verse">als ob er selbst Tod und Leben erschuf.</div> - <div class="verse">Da schallt von oben der Führerruf;</div> - <div class="verse">zwei Menschen schweben himmelan.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">13.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es ist keine Erde mehr zu sehn.</div> - <div class="verse">Über Meeren von Dampf, Schatten, Wolkenschaum</div> - <div class="verse">dehnt und wölbt sich der reine Raum.</div> - <div class="verse">Höher als die Sonne stehn</div> - <div class="verse">zwei Menschen in gärendem Wetterbrodem,</div> - <div class="verse">führerlos vom Glanz umbrandet,</div> - <div class="verse">der von Berghaupt wild zu Berghaupt strandet;</div> - <div class="verse">alle Gipfel wogen. Das Weib zürnt zu Boden:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lukas, wir haben uns verstiegen.</div> - <div class="verse">Lächle nicht! War Das dein Ziel?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[S. 207]</a></span> - <div class="verse">mich in stolze Mutterhoffnung zu wiegen,</div> - <div class="verse">um dem irren Zufall zu erliegen?</div> - <div class="verse">Du bist zu ernst für solch ein Spiel! —</div> - <div class="verse">Du kannst in deinem Schwerpunkt ruhn,</div> - <div class="verse">du brauchst nicht bodenlos zu gären;</div> - <div class="verse">es ist nicht Flugkraft, wenn Opale tun,</div> - <div class="verse">als ob sie Seifenblasen wären.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie sucht seinen Blick. Der folgt dem Dampfe.</div> - <div class="verse">Zuckend glühn die Narben in seinem Bart;</div> - <div class="verse">seine Nüstern spannen sich wie zum Kampfe.</div> - <div class="verse">Er fragt sehr zart:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sprach das die Frau, die einst fliegen wollte?</div> - <div class="verse">Nun, der Morgennebel wird bald zergehn;</div> - <div class="verse">dann wirst du die Straßen wiedersehn,</div> - <div class="verse">auf denen gestern da unten dein Glücksrad rollte.</div> - <div class="verse">Auch die Felswände stehn noch unverrückt,</div> - <div class="verse">die meine freie Ebne vermauern —</div> - <div class="verse">Lea! Lea! soll ich bedauern,</div> - <div class="verse">daß ich Seelen verließ, die <em class="gesperrt">Mein</em> Glück beglückte?!</div> - <div class="verse">Steht der Himmel dir nur im Gleichnis offen?</div> - <div class="verse">Mutter Isis! — Ah: nun lächelst auch Du!</div> - <div class="verse">Ja, dann <em class="gesperrt">juble</em>, Seele: im Himmel herrscht keine Ruh —</div> - <div class="verse">und du wirst noch viel stolzer, viel göttlicher hoffen!</div> - <div class="verse">O sieh die Adler dort, die beiden,</div> - <div class="verse">wie sie strahlend den Dunst zerschneiden —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Strahlend blicken zwei Menschen der Sonne zu.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">14.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es blaut eine Nacht, rings von Monden hell:</div> - <div class="verse">der Gießbach braust in elektrischer Glorie vom Berg.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[S. 208]</a></span> - <div class="verse">Der Mond des Himmels krönt das Menschenwerk;</div> - <div class="verse">einem Zauberschloß gleicht das stille Hotel.</div> - <div class="verse">Fern schwebt silbern die eisige Gipfelkette,</div> - <div class="verse">gleißt in jedes Fenster herein,</div> - <div class="verse">beglänzt ein seidnes Himmelbette.</div> - <div class="verse">Wirr entsinnt sich der Mann: er träumte ein Schreien.</div> - <div class="verse">Auf der schimmernden Lagerstätte</div> - <div class="verse">liegt das Weib, ein Bild starrer Pein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lea! — er reißt sie aus dem Schlaf —</div> - <div class="verse">Du! wach auf! komm! was hat dich bedroht?</div> - <div class="verse">Du machst ja Lippen, blaß wie zum Tod.</div> - <div class="verse">Küsse mich! lebe! sei Meine! sei brav!</div> - <div class="verse">sei wieder braun! sei ringe-range-rot!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er richtet sie hoch mit schmeichelndem Zwange.</div> - <div class="verse">Sie versucht ein Lächeln zum Erbarmen.</div> - <div class="verse">Sie horcht in das Brausen hinaus, lange, bange.</div> - <div class="verse">Klagend greift sie nach seinen Armen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wollt eine Seele sich befrein,</div> - <div class="verse">da band ihre Tat ihr die Hände!</div> - <div class="verse">Ich sah in zwei blinde Augen hinein;</div> - <div class="verse">die starrten mich an ohne Ende.</div> - <div class="verse">Sie starrten weiß, wie dort das Eis.</div> - <div class="verse">Eine Kälte wehte; es kam eine Mauer von Särgen.</div> - <div class="verse">O Lux, führ mich weg von diesen Bergen!</div> - <div class="verse">hilf mir dies tote Leben versenken!</div> - <div class="verse">Lux, du <em class="gesperrt">darfst</em> nicht mehr an dein Töchterchen denken!</div> - <div class="verse">o wär’s doch Mein! o wär’s! — Nein! nein:</div> - <div class="verse">ich will mich wehren, wehren mit allen Gelenken!</div> - <div class="verse">schüttle mich! bis mirs vom Herzen schmilzt!</div> - <div class="verse">Ich will dir ein viel schöner Kind schenken!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[S. 209]</a></span> - <div class="verse">Ich will mich in Dein, ganz in Dein Herz versenken!</div> - <div class="verse">Nimm mich! führ mich, wohin du willst!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie umschlingt ihn, schlotternd, vor Wonne schluchzend, vor Grausen;</div> - <div class="verse">zwei Menschen hören die Mondnacht brausen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">15.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie kehren zurück auf bestaubte Bahnen,</div> - <div class="verse">Rad an Rad im Fluge durch graue Schlüfte,</div> - <div class="verse">durch Blütenmatten ohne Düfte.</div> - <div class="verse">Immer dunkler blaut das Moos von Enzianen;</div> - <div class="verse">als wolle der glühende Tag die Lüfte</div> - <div class="verse">tief an himmlische Nächte mahnen.</div> - <div class="verse">Immer finstrer schaut das Weib in die Klüfte:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lukas, mich peinigt schon seit Stunden ein Ahnen,</div> - <div class="verse">als habest du versucht dort oben,</div> - <div class="verse">meine Weibesohnmacht zu erproben;</div> - <div class="verse">tu das nie wieder, ich bitte dich!</div> - <div class="verse">Wie du heut dich über den Abhang bücktest</div> - <div class="verse">und mir das einsame Edelweiß pflücktest,</div> - <div class="verse">kam eine Empörung über mich:</div> - <div class="verse">ich hätt dich hinunterstoßen können,</div> - <div class="verse">blos um dich keiner Andern zu gönnen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie wirft die Blume wild hinter sich.</div> - <div class="verse">Ein Ruck: sein Rad bäumt. Sie wankt, schreit auf:</div> - <div class="verse">er scheint zu stürzen im Rückwärtslauf.</div> - <div class="verse">Nein: er greift zu Boden in blitzendem Schwunge,</div> - <div class="verse">ist wieder bei ihr mit lachendem Sprunge,</div> - <div class="verse">in der Hand die Blume, und steht, fängt sie auf:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[S. 210]</a></span> - <div class="verse">Ja! Ja, du: das <em class="gesperrt">hab</em> ich versucht dort oben!</div> - <div class="verse">und wills immer wieder, immer wieder erproben,</div> - <div class="verse">weil du Mein bleiben sollst, weil du stark sein kannst!</div> - <div class="verse">Du <em class="gesperrt">sollst</em> nicht an deine alten Sünden denken,</div> - <div class="verse">wenn du mit mir durchs heilige Leben rollst,</div> - <div class="verse">dem du ein Kind von mir geben sollst!</div> - <div class="verse">Nein, die göttliche Unschuld wolln wir ihm schenken;</div> - <div class="verse">und das Edelweiß hier wird zum Andenken</div> - <div class="verse">in deine schwarze Seele gepflanzt,</div> - <div class="verse">bis der Heiland mit den Engeln drum Ringelreih tanzt!</div> - <div class="verse">Sieh, mein ganzes Herz lacht: du Weib, ich Mann,</div> - <div class="verse">o selig, wer dein Gott sein kann!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er steckt ihr den blühenden Stern ins Haar;</div> - <div class="verse">bräutlich glüht der Tag um ein Menschenpaar.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">16.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und der Himmel eilt über Täler und Tau.</div> - <div class="verse">Und im Haar einen Kranz von Windenranken,</div> - <div class="verse">rollt durch den Glanz voll Wundergedanken</div> - <div class="verse">eine irdische Frau.</div> - <div class="verse">Wie die weißen Blüten ins Herz ihr schwanken!</div> - <div class="verse">wie die Straße mitfliegt mit den schlanken</div> - <div class="verse">stählernen Rädern, den sonneblanken!</div> - <div class="verse">Und der Mann jauchzt ins helle Morgenblau:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Heia! All Heil, Welt! jetzt gehts bergab!</div> - <div class="verse">Achtung! gleich wird dein Herz was erleben.</div> - <div class="verse">Flügel, Frau Göttin! Füße heben,</div> - <div class="verse">Augen schließen! hei, ich schwebe,</div> - <div class="verse">alle Sterne sprühn in mein Dunkel herab.</div> - <div class="verse">Das lenkbare Luftschloß ist erfunden,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[S. 211]</a></span> <div class="verse">Wolken fallen mir in den Schooß;</div> - <div class="verse">und an keine Erdaxe mehr gebunden,</div> - <div class="verse">läßt dein Herrgott auch noch die Lenkstange los.</div> - <div class="verse">Los! frei weg! gradaus ins Blaue,</div> - <div class="verse">wie Herr Andree der Nordpolfahrer!</div> - <div class="verse">Sieh, wie saust die Welt gleich klarer!</div> - <div class="verse">Aufgepaßt: da kommt ein wahrer</div> - <div class="verse">Eisbär! huh, ein griesegrauer!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er schwingt beide Hände, ein Hökerweib grüßend,</div> - <div class="verse">das brummend durch den Straßenstaub zieht,</div> - <div class="verse">wütend die lachende Dame besieht.</div> - <div class="verse">Die ruft blütenumflattert vorüberschießend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber Lux! Mann! Mensch! die stirbt ja vor Schreck!</div> - <div class="verse">Halt! mein Kranz! na wart du: ich hol dich schon ein,</div> - <div class="verse">du Unmensch! dann renne Ich dir weg —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und —: ein Stoß, als stürze das Weltall ein:</div> - <div class="verse">Sterne sprühn: nachtwolkenbedeckt</div> - <div class="verse">kommt sie zu sich aus Stahl, Staub, Stein:</div> - <div class="verse">da liegt er blutend hingestreckt.</div> - <div class="verse">Und oben steht das Hökerweib</div> - <div class="verse">und lacht und schlägt sich vor den Leib.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen stimmen stöhnend ein.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">17.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ein Regen perlt an zitternde Scheiben;</div> - <div class="verse">ein Bahnzug stampft durch sanfte Gelände.</div> - <div class="verse">Ins Polster gedrückt, verbunden Arme und Hände,</div> - <div class="verse">sieht der Mann die Tropfen rinnen und treiben.</div> - <div class="verse">Seine Augen werden immer grauer;</div> - <div class="verse">er scheint die Frau, die neben ihm lehnt,</div> - <div class="verse">nicht zu fühlen. Sie sagt voll Trauer:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[S. 212]</a></span> - <div class="verse">Du hast dich in die Ebne gesehnt,</div> - <div class="verse">nun kommt sie, und — du sprichst kein Wort;</div> - <div class="verse">als wär dir die ganze Seele verbunden.</div> - <div class="verse">Und ich — ja, ich weiß, ich stieß dir die Wunden;</div> - <div class="verse">aber sie werden wieder gesunden;</div> - <div class="verse">soll ich denn mitleiden fort und fort? —</div> - <div class="verse">Fühl’s doch endlich, wie Ort bei Ort</div> - <div class="verse">und Tal an Tal sich zur Ernte kränzt!</div> - <div class="verse">das feuchte Korn, wie’s brotgelb glänzt!</div> - <div class="verse">die Obstalleeen, die weidenden Pferde —</div> - <div class="verse">sieh: tausend Freuden wachsen aus der Erde!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und immer sanfter rinnt das Gelände;</div> - <div class="verse">wilder stampft der Zug und schüttelt die Frau.</div> - <div class="verse">Unwillkürlich hebt der Mann die Hände.</div> - <div class="verse">Sein grauer Blick wird dunkelblau:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, ich fühls, ich sehs! sehr, sehr genau!</div> - <div class="verse">seh schon die Arme der Schnitter sich regen,</div> - <div class="verse">und muß die meinen erbärmlich zur Ruhe legen,</div> - <div class="verse">weil ich mich gehen ließ — ich! — ja: Ich —</div> - <div class="verse">meine ganze Seele beschuldigt mich.</div> - <div class="verse">Zu jeder Handlung braucht sie die Hand,</div> - <div class="verse">für unser Wort selbst als Unterpfand;</div> - <div class="verse">wehe dem Menschen, der das vergißt!</div> - <div class="verse">Wie dies Stampfen mich höhnt! Das Gangwerk der Maschine,</div> - <div class="verse">das unsrer Glieder lenksames Nachbild ist,</div> - <div class="verse">mir kann es jetzt als Vorbild dienen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er verstummt mit selbstbeherrschter Miene.</div> - <div class="verse">Der Regen rinnt von den zitternden Scheiben.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen bedenken ihr Tun und Treiben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[S. 213]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">18.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ein Lichtstreif schielt von getünchten Wänden</div> - <div class="verse">nach blitzenden Messern zwischen Verbänden;</div> - <div class="verse">dunkle Rosen glühn über frischem Blut.</div> - <div class="verse">Ohnmächtig ringt der Duft des Straußes</div> - <div class="verse">mit der Luft des Krankenhauses;</div> - <div class="verse">und lähmend sticht die Mittagsglut</div> - <div class="verse">durch die verhängte Fensterscheibe.</div> - <div class="verse">Ein Mann eröffnet einem Weibe:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Also — die Ärzte haben befunden,</div> - <div class="verse">meine rechte Hand wird <em class="gesperrt">nicht</em> wieder gesunden.</div> - <div class="verse">Ich werde sie wahrscheinlich verlieren,</div> - <div class="verse">oder man wird sie mir lahm kurieren,</div> - <div class="verse">was ungefähr dasselbe sagt;</div> - <div class="verse">kurz, ich hab mich für immer zur Schandgestalt gemacht.</div> - <div class="verse">Nach unserm Gottrausch lieg ich da,</div> - <div class="verse">hilfloser als der Urmensch. Ja:</div> - <div class="verse">stelle dich nur recht aufrecht hin!</div> - <div class="verse">Bei jeder Umarmung wirst du’s erkennen,</div> - <div class="verse">daß ich meiner, deiner nicht mehr mächtig bin.</div> - <div class="verse">Das ist kein Mann mehr nach deinem Sinn —</div> - <div class="verse">auch nicht nach meinem —: wir müssen uns trennen.</div> - <div class="verse">Geh! machs kurz! sei Du! schon seit gestern</div> - <div class="verse">mahnt mich dein Wesen an eine Andre;</div> - <div class="verse">sie würde für mich durch jedes Fegfeuer wandern;</div> - <div class="verse">uns aber schaudert vor barmherzigen Schwestern.</div> - <div class="verse">Geh! Noch kannst du zurück in dein Leben.</div> - <div class="verse">Du sollst einst nicht davor erröten,</div> - <div class="verse">dein Kind einem Krüppel ans Herz zu heben.</div> - <div class="verse">Auch nach Klarheit brauchst du nun nicht mehr zu streben;</div> - <div class="verse">die wird das Kind dir auf jeden Fall geben,</div> - <div class="verse">auch falls du wieder geruhst, es zu — töten.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[S. 214]</a></span> - <div class="verse">Er lächelt eisig; er glüht. Sie schweigt.</div> - <div class="verse">Sie steht wie über ihr Innres geneigt;</div> - <div class="verse">ohnmächtig duftet ihr Rosenstrauß.</div> - <div class="verse">Sie hebt die Stirn, sie schreitet hinaus,</div> - <div class="verse">ohne Gruß, ohne Blick. Zwei Menschen erbeben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">19.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch von fernen Höhen springt das Licht</div> - <div class="verse">über Land und Stadt durch den trüben Morgen;</div> - <div class="verse">zwischen rings aufglitzerndem Grün verborgen,</div> - <div class="verse">hebt der Mann sein verwachtes Gesicht.</div> - <div class="verse">In dem einsamen Garten knirschte der Sand.</div> - <div class="verse">Er lauscht noch, ob er träumte, ob wachte</div> - <div class="verse">— eine Meise huscht um den Laubenrand —</div> - <div class="verse">da steht sie vor ihm, an die er dachte.</div> - <div class="verse">Sie nimmt die lahme, vernarbte Hand.</div> - <div class="verse">Er will sie ihr entreißen, entringen;</div> - <div class="verse">aber heiße Tränen dringen</div> - <div class="verse">über ihr und sein Gesicht,</div> - <div class="verse">er kann es nicht —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nein, Meiner! — und würdest du jetzt mich schlagen,</div> - <div class="verse">was wär mirs gegen dies Wiederfinden!</div> - <div class="verse">O, ich wär ja am liebsten mit vier Wagen</div> - <div class="verse">nach allen vier Winden</div> - <div class="verse">auseinandergejagt, dir endlich zu sagen:</div> - <div class="verse">was Du kannst, kann auch Ich ertragen!</div> - <div class="verse">alle, alle Weibeskraft sollst du in mir finden! —</div> - <div class="verse">Sieh: hier hast du <em class="gesperrt">zwei</em> Hände statt der einen.</div> - <div class="verse">Ich bin ja nicht mehr wie früher. Schau:</div> - <div class="verse">da mußt ich mein Menschlichstes verneinen,</div> - <div class="verse">um der Welt und mir etwas vorzuscheinen.</div> - <div class="verse">Jetzt <em class="gesperrt">bin</em> ich etwas: Deine stolze Frau! —</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[S. 215]</a></span> - <div class="verse">Ja: sieh auf! mir ist, als müßt ich ersticken,</div> - <div class="verse">bis die Leute mit menschenfreudigen Blicken</div> - <div class="verse">uns wieder nachschaun: welch strahlend Paar!</div> - <div class="verse">Und schlichest du, so die Stirne hebend, an Krücken,</div> - <div class="verse">ich hör ihr Geflüster: Wunderbar,</div> - <div class="verse">wer muß das sein, was für ein Mann,</div> - <div class="verse">dem solch ein Weib gehören kann!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie lacht: seine Hand bebt auf ihrem Haar.</div> - <div class="verse">Von den fernen Höhen lacht der Morgen.</div> - <div class="verse">Um die Laube lachen die Vögel gar.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen fühlen sich geborgen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">20.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ein Abend rötet die Dächer alle.</div> - <div class="verse">Eine Taubenschaar kreist mit flammenden Schwingen,</div> - <div class="verse">als habe sie dem schwülen Tale</div> - <div class="verse">eine Himmelsbotschaft herabzubringen.</div> - <div class="verse">Da erklärt das Weib mit einem Male:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lukas, nun muß ich dir etwas sagen:</div> - <div class="verse">ich hab einen Brief an dich unterschlagen.</div> - <div class="verse">Ich mußt endlich wissen, was du triebst,</div> - <div class="verse">wenn du zuweilen Nachts heimlich schriebst —</div> - <div class="verse">du brauchst dein Erblassen nicht zu verstecken:</div> - <div class="verse">auch mich kam Furcht an, Schmerz, Verwirrung, fast Schrecken.</div> - <div class="verse">Ich konnt die sonderbaren Chiffern</div> - <div class="verse">zwar nit ganz und gar entziffern;</div> - <div class="verse">aber dieser Freund benutzt dich als Helfershelfer zu Zwecken,</div> - <div class="verse">die lichtscheu sind! er spricht von deinem Leben,</div> - <div class="verse">als wärst du gewohnt, falsche Karten zu geben.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[S. 216]</a></span> <div class="verse">O Lux, vertrau mir! Ich hab nichts, nichts zu verlieren</div> - <div class="verse">als Dich! Ich will mich in jede Armut finden;</div> - <div class="verse">selbst verachtet zu werden, könnt ich verwinden.</div> - <div class="verse">Nur: laß dir nicht für Geld die Hände binden!</div> - <div class="verse">Sag mir —: was ists mit den Archivpapieren? —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kalt blickt der Mann nach den flammenden Tauben.</div> - <div class="verse">Seine Rechte hat versucht, sich zu ballen.</div> - <div class="verse">Er sagt, und seine Worte fallen</div> - <div class="verse">wie metallen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es ist Nichts! ich fordre von dir Glauben.</div> - <div class="verse">Und bis du <em class="gesperrt">reif</em> bist, Näheres zu erfahren,</div> - <div class="verse">und um dir weiteres Mißtraun zu ersparen,</div> - <div class="verse">wird dieser Briefwechsel einfach unterbleiben;</div> - <div class="verse">denn ja — ich kann jetzt nicht mehr heimlich schreiben.</div> - <div class="verse">Einstweilen aber sollte dein eigen Treiben</div> - <div class="verse">dir die Erleuchtung innerst nahe legen:</div> - <div class="verse">kein Licht kommt anders als auf dunklen Wegen! —</div> - <div class="verse">Hier: blick mir in die Augen hinein:</div> - <div class="verse">sag, meinst du wirklich, Ich kann lichtscheu sein??</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschenseelen schimmern sich entgegen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">21.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Wolke über Wolke kommt gekrochen</div> - <div class="verse">und drückt das offne Land in dumpfe Schranken;</div> - <div class="verse">es liegt im Halblicht wie gebrochen,</div> - <div class="verse">der Bergforst steht gesträubt.</div> - <div class="verse">Der Donner brodelt schon, und Blitze wanken;</div> - <div class="verse">und wenn die Funken fahl durchs Dunkle kochen,</div> - <div class="verse">dann ists, als atmeten des Tales Flanken.</div> - <div class="verse">Der Mann macht Halt wie dunstbetäubt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So sind wir rings umhüllt vom Unbekannten;</div> - <div class="verse">dem Qualm der Niederungen kaum entklommen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[S. 217]</a></span> - <div class="verse">stehn wir vom Schwall der Höhen schon benommen</div> - <div class="verse">und gehn vielleicht erst recht der Tiefe zu.</div> - <div class="verse">Und wenn der Bann, dem unten wir entrannten,</div> - <div class="verse">hier oben uns ereilt mit glühendem Schuh,</div> - <div class="verse">wenn dann im letzten taumelgrellen Nu</div> - <div class="verse">die eine Frage noch in uns entbrannte:</div> - <div class="verse">ist nicht des Lebens Mißgeschick</div> - <div class="verse">nur unsres Wesens Ungeschick —</div> - <div class="verse">dann wirbelt noch durch unsre tiefste Ruh</div> - <div class="verse">als einzige Antwort aus der Ewigkeit</div> - <div class="verse">des Daseins grausige Unsicherheit.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und drohender erschallt das Lichtgebebe,</div> - <div class="verse">die hohen Tannen fangen an zu schauern.</div> - <div class="verse">Bis ganz ins Land hängt alles in der Schwebe;</div> - <div class="verse">es ist, als ob das Tal die Flügel hebe.</div> - <div class="verse">Das Weib zeigt in die rollenden Wolkenmauern:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn sonst die Blitze so den Raum durchschossen,</div> - <div class="verse">war mir so grenzenlos, so haltlos bange</div> - <div class="verse">wie damals vor der Todeswut der Schlange;</div> - <div class="verse">jetzt scheint durch jeden mir der Himmel erschlossen.</div> - <div class="verse">Ich brauche blos mit dir ins Licht zu schauen</div> - <div class="verse">und habe vor nichts, vor nichts mehr Grauen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und jählings reißt sich aus der Dunkelheit</div> - <div class="verse">blendend und knatternd der erste klare Strahl.</div> - <div class="verse">Mit prasselnder Sohle springt der Regen ins Tal.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen atmen wie befreit.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">22.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie schreiten durch verwüstete Fluren.</div> - <div class="verse">Von Hügel nieder zu Hügel hingeschwemmt</div> - <div class="verse">ziehn sich des Wolkenbruches Spuren.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[S. 218]</a></span> - <div class="verse">Die Bäume stehn noch wie gekämmt.</div> - <div class="verse">Das reife Korn am Weg ist wie geplättet.</div> - <div class="verse">Fern am durchbrochnen Bahndamm hängen,</div> - <div class="verse">Strickleitern gleich, Reste von Schienensträngen;</div> - <div class="verse">die Brücke liegt zerrissen im Fluß gebettet.</div> - <div class="verse">Die Sonne blitzt aus hundert Spiegelflächen.</div> - <div class="verse">Des Weibes Blick folgt den gefüllten Bächen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie wird nun nach dem ersten Staunen und Grauen</div> - <div class="verse">der Mensch hier rings mit doppelt mächtigem Mut</div> - <div class="verse">bahnen und bauen,</div> - <div class="verse">bis die Natur ihm seinen Willen tut!</div> - <div class="verse">So stand ich einst — o endlich kann ichs sagen —</div> - <div class="verse">nach frischer Tat vor meinem getöteten Kind.</div> - <div class="verse">Im Garten draußen stöhnte die Nacht, der Wind.</div> - <div class="verse">In meinem Innern sah ich Blutstürme jagen.</div> - <div class="verse">Ein Paradies reifer Hoffnungen lag mir zerschlagen.</div> - <div class="verse">Aber ein Glaube schwoll draus auf, so groß,</div> - <div class="verse">als bebe die Erde vor Drang, mich hochzutragen:</div> - <div class="verse">o, unerschöpflich ist der Mutterschooß! —</div> - <div class="verse">Gib mir die Hand, Lux; jedes Mißgeschick</div> - <div class="verse">macht uns geschickt zu neuem Glück.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie greift nach seiner gelähmten Rechten,</div> - <div class="verse">eine Himmelsklarheit im dunkeln Augenpaare</div> - <div class="verse">gleich den glanzgefüllten Bächen.</div> - <div class="verse">Er will noch wehren. Er möchte sprechen.</div> - <div class="verse">Da —: ein Schauer reckt sie — seine Finger umflechten</div> - <div class="verse">ihre stolzen Hüften, ihn zieht das Unsagbare —</div> - <div class="verse">er steht und stammelt, kaum bewußt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">du Liebe, Schöne, Gute, einzig Wahre!</div> - <div class="verse">du Mörderin aus Lebenslust!</div> - <div class="verse">du Kind, du Engel an meiner Brust! —</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[S. 219]</a></span> - <div class="verse">Der Himmel glänzt aus jeder Wasserrinne;</div> - <div class="verse">zwei Menschen sehn’s wie eines Wunders inne.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">23.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und schwarz aus dunklem Erntefeld</div> - <div class="verse">bäumt sich das Denkmal einer Schlacht.</div> - <div class="verse">Tief hinter den Garbenreihen hält</div> - <div class="verse">der große Mond im Dunst blaßrote Wacht.</div> - <div class="verse">Es tränkt ein Duft die weite warme Nacht,</div> - <div class="verse">der jeden Busch zur Wolkenblume schwellt.</div> - <div class="verse">Die Wiesenraine sind wie Geistergleise.</div> - <div class="verse">Ein Mann sagt leise:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wollt eine Seele sich befrein,</div> - <div class="verse">da band ihr die Freiheit die Hände.</div> - <div class="verse">Nun sinnt sie in Tod und Leben hinein;</div> - <div class="verse">da schließt eins innerst das andre ein,</div> - <div class="verse">aller Zwang hat willig ein Ende.</div> - <div class="verse">Sieh dort: wie stehn, wie schimmern die vollen Ähren!</div> - <div class="verse">als ob sie stolz die Opfer verklären,</div> - <div class="verse">die einst hier fielen für fremdes Glück.</div> - <div class="verse">Kein Denkmal ruft die Tausende zurück,</div> - <div class="verse">die noch als Leichen Kindeskinder nähren;</div> - <div class="verse">auf diesem Hügel aber stand der Feldherr</div> - <div class="verse">und fühlte sich im Siegesglück als Weltherr.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er hat den Arm wie zum Befehl gehoben.</div> - <div class="verse">Da schmiegt das Weib ihr Haupt in seine Hand</div> - <div class="verse">und Brust an Brust, und raunt ins dunkle Land,</div> - <div class="verse">als höre sie das Mordgewühl noch toben:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und fühlte doch vielleicht sein Herz erbeben,</div> - <div class="verse">und hätte gern die Tausende geschont,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[S. 220]</a></span> - <div class="verse">wenn nicht auch Er bereit war, Blut und Leben</div> - <div class="verse">so rückhaltlos der Welt zurückzugeben,</div> - <div class="verse">wie dort sein Licht vergießt der rote Mond.</div> - <div class="verse">Glaub’s, Meiner, glaub’s: kein Glücklicher fühlt einsam:</div> - <div class="verse">was ihn beglückt, er geht drin auf, gemeinsam!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und warm und wärmer schließt im Nebelkreise</div> - <div class="verse">sich Herz an Herz mit überströmender Macht.</div> - <div class="verse">Die Erde schwillt gen Himmel, leise, leise.</div> - <div class="verse">Die Wiesenraine werden Göttergleise.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sinken in den Duft der Nacht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">24.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und aus verwildert stillen Gärten steigt</div> - <div class="verse">ein altes Städtchen in die Mittagsglut.</div> - <div class="verse">Um die zerborstenen Mauerwehren zweigt sich</div> - <div class="verse">Epheu, Hexenbart, Pfaffenhut;</div> - <div class="verse">weiße Rosen blühn am Tore.</div> - <div class="verse">Im Schatten ruht ein Mann und träumt und schweigt</div> - <div class="verse">zur Giebeluhr hinauf, die nicht mehr zeigt.</div> - <div class="verse">Ein Weib zupft ihn am Ohre:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du machst ja Augen, so voll entlegener Wonnen,</div> - <div class="verse">als sähst du die Jahrhunderte sich sonnen</div> - <div class="verse">auf den Ruinen.</div> - <div class="verse">Ja: die steinernen Jungfraun hoch am Tor,</div> - <div class="verse">die beten gar „reif“ um ihr Stündlein empor</div> - <div class="verse">mit ihren verwitterten Mienen.</div> - <div class="verse">Wir aber — o — wir haben Zeit;</div> - <div class="verse">sehn wir nicht auf zu ihnen</div> - <div class="verse">voll ewiger Seligkeit?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Träumer hat den zarten Spott vernommen.</div> - <div class="verse">Sein Blick ist freudig aufgeglommen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[S. 221]</a></span> - <div class="verse">Die Gärten glühn. Er lächelt sonderbar.</div> - <div class="verse">Er sucht nach Worten, Blick in Blick gegründet.</div> - <div class="verse">Er spricht, als säh er tief ein Licht entzündet,</div> - <div class="verse">das früher nicht in ihrer Seele war:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vielleicht sah ich in meinen entlegenen Wonnen</div> - <div class="verse">ein kommendes Jahrhundert schon sich sonnen,</div> - <div class="verse">nicht auf romantischen Ruhestätten zwar.</div> - <div class="verse">Ich sah nach dem edlen Ritter im Fries,</div> - <div class="verse">der seinen Mantel weiland den Bettlern ließ,</div> - <div class="verse">um hilflose Blößen zu decken.</div> - <div class="verse">Vielleicht ist heimlich nach Bettlerart</div> - <div class="verse">mancher edlere Ritter heut auf der Fahrt,</div> - <div class="verse">Helfershelfer zu wecken</div> - <div class="verse">zu jetzt noch „lichtscheuen“ Zwecken —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er schweigt. Die Gärten glühn. Es ist, als schliefe</div> - <div class="verse">verstohlenes Leben hinter allen Hecken.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sinnen in die Tiefe.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">25.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und hoch durch Hallen, die fast blenden,</div> - <div class="verse">braust Dampf; und dumpf donnert Rad bei Rad.</div> - <div class="verse">Hohl durch die offenen Bogen-Enden</div> - <div class="verse">schweelt wie ein Herd mit tausend stillen Bränden</div> - <div class="verse">die Lichter-Dunstnacht einer großen Stadt.</div> - <div class="verse">Bahnzüge dröhnen rhythmisch hinaus, herein,</div> - <div class="verse">hin am Wirrwarr der scheinbar ziellosen Menge.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen überschaun das stete Gedränge.</div> - <div class="verse">Ein Mann weist nach den fernen Häuserreihn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ists nicht, als wärens Äonen seit ehemals,</div> - <div class="verse">seit wir vom Haus deines Herrn Gemahls</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[S. 222]</a></span> - <div class="verse">die finstern, lichtdurchfurchten Mauern</div> - <div class="verse">auch so am Horizont sahn kauern?</div> - <div class="verse">Und ists nicht wieder, nicht immer noch, als lauern</div> - <div class="verse">die roten Fensterhöhlen auch hier wie Augen,</div> - <div class="verse">die alle trüben Begierden einsaugen,</div> - <div class="verse">auf Habsucht Notdurft speichern, und Haß zum Neide?</div> - <div class="verse">Und treibt doch Alle die Liebe, wie uns Beide,</div> - <div class="verse">sich Geist an Geist mit seelenvollen Händen</div> - <div class="verse">zu gleichen Lebenszwecken zu vollenden!</div> - <div class="verse">Wärs da nicht not, daß Freunde des Lebens sich fänden,</div> - <div class="verse">nur zu dem einen Endzweck auserlesen,</div> - <div class="verse">klar Alle dem Willen Aller zuzuwenden?!</div> - <div class="verse">bis einst der Geist, von jedem Zweck genesen,</div> - <div class="verse">nichts mehr zu wissen braucht als seine Triebe,</div> - <div class="verse">um offenbar zu sehn das weise Wesen</div> - <div class="verse">verliebter Torheit wie der großen Liebe?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und einer Seherin gleichend steht das Weib,</div> - <div class="verse">und näher drängt um sie das Köpfegewimmel.</div> - <div class="verse">Sie fragt, und hält die Hände in das Getümmel,</div> - <div class="verse">als schütze sie den Mutterleib:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wenn nun Einst und Jetzt auch Mir sich einen,</div> - <div class="verse">sodaß ich furchtlos deine Freundin bleib,</div> - <div class="verse">trotz meiner Eheschuld und trotz der deinen?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie schweigt, als ob sie heimlich etwas versprach.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sinnen der Menschheit nach.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">26.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie stehn vor einer Domfassade.</div> - <div class="verse">Unvollendet hockt der eine der hohen Türme</div> - <div class="verse">im Kranz der gotischen Höllengewürme,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[S. 223]</a></span> - <div class="verse">als bitte er den andern um Gnade.</div> - <div class="verse">Aber vor vermessenem Himmelsverlangen</div> - <div class="verse">scheint die irdische Tragkraft ihnen ausgegangen;</div> - <div class="verse">unten gähnen wie Grüfte die kunstgerechten Pforten.</div> - <div class="verse">Demütig Gebeugte nahen von allen Seiten.</div> - <div class="verse">Und das Weib winkt dem Mann, auch hineinzuschreiten.</div> - <div class="verse">Und die Orgel erbraust zu ihren Worten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm, laß uns einmal wieder voller Kindheit sein.</div> - <div class="verse">Horch, wie die alten Lieder Alle benedein.</div> - <div class="verse">Da spürt kein Herz mehr Sünde;</div> - <div class="verse">die Mutter mit dem Kinde</div> - <div class="verse">schließt ja auch Uns die Gründe</div> - <div class="verse">der Welt und Menschheit auf und ein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch die Orgel verstummt. Dumpf tönen Gesänge</div> - <div class="verse">einer verborgenen Priesterschaar.</div> - <div class="verse">Und über dem weihrauchumdampften Altar</div> - <div class="verse">sehn sie bleich einen Gekreuzigten hängen</div> - <div class="verse">mit gräßlich wahr gemalten Wunden</div> - <div class="verse">und schrecklich schön geformtem Munde —</div> - <div class="verse">Da neigt fromm der Mann dem Weibe sich dar:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vor deinem künftigen Kinde</div> - <div class="verse">könnt ich dir beichten, den Heiligen gleich:</div> - <div class="verse">ich suchte einst ein bißchen Sünde</div> - <div class="verse">und fand das ganze Himmelreich.</div> - <div class="verse">Hier aber dünkt es ein Wortspiel mich,</div> - <div class="verse">wie dieses Schauspiel stimmungsgeil durchtrieben.</div> - <div class="verse">Komm! Draußen steht’s von Grund auf in Stein geschrieben,</div> - <div class="verse">das schwere Wort: Vollende Dich!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und die Orgel braust wieder. Er sucht einen Pfad</div> - <div class="verse">ins Freie, scheu umkauert von Betern.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[S. 224]</a></span> - <div class="verse">Ein feister Küster im Ornat</div> - <div class="verse">blickt ihnen nach wie frechen Spöttern.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen fliehn vor fremden Göttern.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">27.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden:</div> - <div class="verse">durch grabesstille Säle tobt ein Farbenmeer:</div> - <div class="verse">Nackte Leiber hängen an den Wänden umher,</div> - <div class="verse">und geputzte Damen, Tiere, Bäume, Herren mit Orden.</div> - <div class="verse">Neben blühenden Feldern sieht man arme Leute jammern.</div> - <div class="verse">Aus vergoldeten Rahmen stieren elende Kammern.</div> - <div class="verse">Endlich seufzt der Mann und lächelt schwer:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich segne wahrhaftig meine gelähmte Hand,</div> - <div class="verse">wenn soviel gesunde auf käuflicher Leinewand</div> - <div class="verse">mit ihrer natürlichen Ohnmacht Stimmung machen.</div> - <div class="verse">Ob diese Künstler nicht über sich selber lachen,</div> - <div class="verse">wenn sie mit kindischer List vom vollen Leben</div> - <div class="verse">den Schaum abschöpfen? — Aber eben:</div> - <div class="verse">Stimmung — die Sprache sagt es — läßt sich „machen“,</div> - <div class="verse">Gefühl und Geist sind Wenigen voll gegeben.</div> - <div class="verse">Sieh dort: in all dem Schwall das schmale Bild,</div> - <div class="verse">von dem wir hier nur eine Klarheit erkennen,</div> - <div class="verse">die kühn aus tiefem Grau ins Blaue schwillt:</div> - <div class="verse">und magst du’s arm vielleicht an Farbe nennen,</div> - <div class="verse">du fühlst doch, daß da Einer spricht,</div> - <div class="verse">der innerlich so reich ist wie das Licht,</div> - <div class="verse">und der drum Schatten wirft auf das Gelichter</div> - <div class="verse">dieser dürftigen Flunkerwichter.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie treten näher. Sie sehn am Strand</div> - <div class="verse">des Nachtmeers schlafend einen Knaben liegen:</div> - <div class="verse">ein großer Stern scheint seinem Atem entstiegen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[S. 225]</a></span> - <div class="verse">in dessen Glanz sich alle Wellen wiegen.</div> - <div class="verse">Endlich nimmt das Weib des Mannes Hand:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und stimmt das nicht zum Frieden deinen Geist?</div> - <div class="verse">Mir deucht, vom sichern Ufer kann man dreist</div> - <div class="verse">auch einem Irrlichtschwarm Reiz abgewinnen.</div> - <div class="verse">Ich glaube, dir ist das Herz durch Andres schwer.</div> - <div class="verse">Ich hab auf einmal Sehnsucht nach dem Meer;</div> - <div class="verse">uns fehlt wohl nur der freie Himmel hier drinnen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie lächelt: komm! Er stutzt. Dann nickt er nur.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen folgen ihrer Natur.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">28.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es rauscht nur und weht.</div> - <div class="verse">Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen.</div> - <div class="verse">Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen,</div> - <div class="verse">die blaue Glut, die stumm und stet</div> - <div class="verse">die Dünen umschlingt.</div> - <div class="verse">Da gebiert die Erde im Stillen wohl ihr Empfinden</div> - <div class="verse">und nimmt ihre Träume und giebt sie den Wellen, den Winden.</div> - <div class="verse">Die Seele eines Weibes singt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O laß mich still so liegen,</div> - <div class="verse">an deiner Brust, die Augen zu.</div> - <div class="verse">Ich sehe zwei Wolken fliegen,</div> - <div class="verse">die eine Sonne wiegen;</div> - <div class="verse">wo sind wir, du? —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es rauscht und weht.</div> - <div class="verse">Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern.</div> - <div class="verse">Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern,</div> - <div class="verse">der über den bleichen wilden Hügeln steht</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[S. 226]</a></span> - <div class="verse">und golden schwingt.</div> - <div class="verse">Die Seele eines Mannes singt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Still, laß uns weiter fliegen,</div> - <div class="verse">Beide die Augen zu.</div> - <div class="verse">Ich sehe zwei Meere liegen,</div> - <div class="verse">die einen Himmel wiegen.</div> - <div class="verse">O Du —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">es rauscht, es weht;</div> - <div class="verse">über die heißen Höhenzüge geht</div> - <div class="verse">höher und höher der goldne Schein</div> - <div class="verse">ins Blaue hinein,</div> - <div class="verse">wo das Dunkel schwebt.</div> - <div class="verse">Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen,</div> - <div class="verse">kommt die Einsamkeit gezogen.</div> - <div class="verse">Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt,</div> - <div class="verse">wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden,</div> - <div class="verse">die will uns wohl endlich leibeigen werden:</div> - <div class="verse">es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen,</div> - <div class="verse">Menschenherzen! — Zwei Seelen singen — —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">29.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie sehn fünf Sonnen im Nebel stehn,</div> - <div class="verse">von Glanz umzingelt vier blasse kleine</div> - <div class="verse">im Kreise um die große eine;</div> - <div class="verse">der stille Kreis scheint den Nebel zu drehn.</div> - <div class="verse">Und im Dünensand hat im Windeswogen</div> - <div class="verse">jeder Halm um sich einen Kreis gezogen.</div> - <div class="verse">Plötzlich lacht der Mann zu dem Phänomen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ists nicht, als will uns der Himmel aus seinen Schätzen</div> - <div class="verse">rings deinen verkauften Perlring ersetzen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[S. 227]</a></span> - <div class="verse">von dem wir die tolle Überfahrt bezahlten!</div> - <div class="verse">O, wie deine Augen herzehell strahlten,</div> - <div class="verse">deine dunkeln Augen im Sturm neben mir,</div> - <div class="verse">daß michs trieb, dich auf offnem Schiff zu umarmen!</div> - <div class="verse">Und da lagen diese Mitmenschlein zum Erbarmen</div> - <div class="verse">und waren seekrank! — Hah: da dankt ich dir,</div> - <div class="verse">Du, für deine wellenwild schwungvolle Körperschwere,</div> - <div class="verse">die mich auf den Grund aller irdischen Rhythmen tauchte!</div> - <div class="verse">Da fühlt ich wie ein sintflutlich Tier</div> - <div class="verse">unsre Urverwandschaft mit dem Meere!</div> - <div class="verse">Ja, meine Erlauchte:</div> - <div class="verse">Was <em class="gesperrt">ist</em> denn diese äußere Welt,</div> - <div class="verse">dies öde Eiland um uns her?</div> - <div class="verse">nur was die Seele davon hält:</div> - <div class="verse">ein Ufer für das innre Meer!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er hat sich erhoben. Der Dünensand</div> - <div class="verse">fegt singend über den feuchten Strand.</div> - <div class="verse">Die vier Sonnen im Nebel verschwimmen zu blassen Axen,</div> - <div class="verse">die sacht der leuchtenden Mitte zuwachsen.</div> - <div class="verse">Das Weib streckt die Hand:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zieh mich hoch! — ja, rück es mir ins reinste</div> - <div class="verse">Licht, daß deine Welt meine umspannt!</div> - <div class="verse">O, wie schmückt unsre Sonne mein schlicht Gewand!</div> - <div class="verse">Und jeder Flimmer, jeder kleinste,</div> - <div class="verse">verflicht uns mit ins Allgemeinste</div> - <div class="verse">und hat doch hell für sich Bestand —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">sieh! — Zwei Menschen umschlingt ein Strahlenband.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">30.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie stehn von Morgenschauern erfaßt,</div> - <div class="verse">nackt. Die Küste glüht perlmutterfarben.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[S. 228]</a></span> - <div class="verse">Die Ebbenrillen furchen den Glast</div> - <div class="verse">wie rosige Narben;</div> - <div class="verse">in der See wühlt die Windsbraut und jauchzt und tost.</div> - <div class="verse">Und das Weib erschauert bis in den Schooß</div> - <div class="verse">und wirrt ihr naß Haar vom Nacken los</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und breitet die Arme: Jetzt kommt die Flut,</div> - <div class="verse">ich möcht ihr gleich wieder entgegenschwimmen!</div> - <div class="verse">Pulst sie dir auch so heiß ins Blut?</div> - <div class="verse">dies Branden, dies Glimmen!</div> - <div class="verse">Wie sie Kraft schöpft — bis zum Horizont,</div> - <div class="verse">himmelan schwellend aus ihrem Rauch,</div> - <div class="verse">schwarzzottig, silberkraus übersonnt,</div> - <div class="verse">voll Spannung wie ein hochschwangerer Bauch,</div> - <div class="verse">und der Odem der Allmacht kreist drüber her:</div> - <div class="verse">O Mutter See! o Meer! mein Meer!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und von Segeln der Morgenröte umschlossen,</div> - <div class="verse">schau — lacht der Mann und knipst ihr ein Muschelchen ab —</div> - <div class="verse">kommt ihr liebster Sohn durch den Raum geschossen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">mein Schiff hat Regenbogenflossen</div> - <div class="verse">und holt dich ins Raumlose ab,</div> - <div class="verse">wo die fünf Sonnen noch immer am Himmel stehn!</div> - <div class="verse">Und da wollen wir eine zum Ballspielen nehmen,</div> - <div class="verse">einen Knäuel zum Glanzweben,</div> - <div class="verse">eine Kugel, aus der wir Lichtbrot rollen,</div> - <div class="verse">eine, in der wir einander spiegeln wollen,</div> - <div class="verse">und die fünfte bleibt stehn!</div> - <div class="verse">Die bleibt stehn, damit die Menschen es sehn können,</div> - <div class="verse">wie wir über die hohen Wellen gehn</div> - <div class="verse">und den freien Sternen dahinter entgegenrennen,</div> - <div class="verse">um die unsre Sonnen und alle sonnigen Herzen sich drehn</div> - <div class="verse">auf Wieder-Immerwiedersehn!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[S. 229]</a></span> - <div class="verse">Und da weist das Weib nieder: hell wie aus Ätherhöhn</div> - <div class="verse">spiegelt ein Ebbentümpel ihre Geberde —</div> - <div class="verse">zwei Menschen sehn den Himmel durch die Erde.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">31.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie schaukeln im Boot.</div> - <div class="verse">Die Nacht kommt. Sturm droht.</div> - <div class="verse">Die Wogen gehn hohl wie das Segeltuch.</div> - <div class="verse">Grell im Westen ringt noch und schwingt ein Streifen.</div> - <div class="verse">Die Möwen kreischen.</div> - <div class="verse">Der Mann stemmt sich hoch, visiert den Bug:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zieh die Leine straffer! so! setz dich fest!</div> - <div class="verse">Hast du Furcht? Ja lache, dann jauchzen die Böen!</div> - <div class="verse">Sahst du mich nicht im Traum einst so stehn,</div> - <div class="verse">über Herren mit Kronen, die Rechte ums Steuer gepreßt?</div> - <div class="verse">Jetzt tut’s die Linke! Los! Freiherr Nord pfeift zum Fest</div> - <div class="verse">wie auf meinen großen Heimatseen!</div> - <div class="verse">Sieh, das Grenzband drüben wird schon blasser;</div> - <div class="verse">nun ruft er die Geister übers Wasser.</div> - <div class="verse">Holla! keine Geister, die jenseits hausen:</div> - <div class="verse">das sind Meine Geister, allseits brausen sie!</div> - <div class="verse">Da: die schäumenden Wonnen mit den sprühenden Haaren.</div> - <div class="verse">Da das tiefschwarze Wehe treibt sie zu Paaren,</div> - <div class="verse">von den grauen Sehnsüchten überrannt.</div> - <div class="verse">Bis die schimmernde Liebe alle hinreißt und außer sich spannt</div> - <div class="verse">und deinen trunknen Blick ins Weiteste lichtet:</div> - <div class="verse">da entspringt dir, vom Odem der Brünste entbrannt,</div> - <div class="verse">deine eigne Inbrunst, zur Gestalt verdichtet —</div> - <div class="verse">halt ihr Stand!!</div> - <div class="verse">Denn: fühlst du selber dich Geist genug,</div> - <div class="verse">dann verschwindet der sinnliche Spuk:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[S. 230]</a></span> - <div class="verse">übern Erdrand auf flüchtendem Wasserbogen</div> - <div class="verse">kommt die Kraft deines Ursprungs hochgezogen,</div> - <div class="verse">und du streckst deine Hand aus, von Toden umbellt,</div> - <div class="verse">und schreist in den Aufruhr: O Meine Welt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Welt — mein Traum! — o nicht einst — allerwegen</div> - <div class="verse">seh ich dich so! — stammelt, jubelt das Weib —:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus mir selbst — letzte Nacht — hoch durch stürzenden Regen —</div> - <div class="verse">mit mir selbst — ja, ein Geist — stieg dein lichter Leib:</div> - <div class="verse">Himmelfahrt! Ja, fahr zu! Ich fahr mit! allerwegen</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dein! — Zwei Menschen steuern dem Sturm entgegen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">32.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es tönt aus der Brandung wie Schalmein;</div> - <div class="verse">helle Nacht versilbert den fremden Strand.</div> - <div class="verse">Langsam wälzen die Wellen den Mondschein ans Land,</div> - <div class="verse">in die dunkelroten Kliffe hinein;</div> - <div class="verse">da stürzen sie sich die Stirnen ein,</div> - <div class="verse">um zurück immer wieder verklärt zu sein —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wollt eine Seele sich befrein,</div> - <div class="verse">sieh — entfaltet das Weib die Hände —:</div> - <div class="verse">Da ward Tod und Leben ihr zu Schein,</div> - <div class="verse">nur der Liebe ist kein Ende.</div> - <div class="verse">Ja; so sah es meine Seele im Traum:</div> - <div class="verse">es ging Deine Seele wie leuchtender Schaum</div> - <div class="verse">aus meinem Körper deinem entgegen.</div> - <div class="verse">Ich sah voll Angst, wie ihr doppelt standet:</div> - <div class="verse">Ein Haupt hell, Ein Haupt dunkel umströmt von Regen.</div> - <div class="verse">Bis ihr, Leib in Geist, ineinander euch fandet</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[S. 231]</a></span> - <div class="verse">und mich ergriffet. Da sprachst du ein Wort;</div> - <div class="verse">wie ein Wirbel klang es. Und über mich fort</div> - <div class="verse">stiegen wir, strömten wir lichtflutvermählt</div> - <div class="verse">hin in deine, meine, unsre Welt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es tönt aus der Brandung wie Geraun —</div> - <div class="verse">Horch — raunt der Mann — das Zauberwort:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, es hieß wohl: <em class="gesperrt">Wir</em> Welt! Nicht Schein! nicht Traum!</div> - <div class="verse">horch, wie’s wirbelt: WIRWelt — o Urakkord!</div> - <div class="verse">WIRWelt murmeln die Ströme, die großen,</div> - <div class="verse">wenn sie zusammenkommen im Meere!</div> - <div class="verse">WIRWelt jubeln die Sternenchöre,</div> - <div class="verse">WIRWelt die Stürme im Uferlosen!</div> - <div class="verse">WIRWelt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren;</div> - <div class="verse">stammeln’s wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren,</div> - <div class="verse">rein, wie Wellen mit Mondlichtschleiern</div> - <div class="verse">spielend ihre Freiheit feiern,</div> - <div class="verse">die Freiheit, die voll Eintracht spricht:</div> - <div class="verse">o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es tönt aus der Brandung wie Gesang</div> - <div class="verse">um ein Menschenpaar im Überschwang.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">33.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie wirbeln im Tanz: glühend im Glanz</div> - <div class="verse">mächtiger Feuer bei heller Sonne, in Feiertagslust:</div> - <div class="verse">Männer und Weiber mit offner Brust,</div> - <div class="verse">mit brennenden Backen, stampfenden Hacken,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[S. 232]</a></span> - <div class="verse">auf offner Tenne, um eine Tonne:</div> - <div class="verse">die paukt ein Fischer voller Wonne,</div> - <div class="verse">um die Wette</div> - <div class="verse">mit einem Hirten, der bläst Klarinette,</div> - <div class="verse">und fernher braust den Takt die See.</div> - <div class="verse">Und nun reihn sich rings die Kinder zur Kette.</div> - <div class="verse">Und es wogt ein Herz: Meine Flammenfee —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">weißt noch? damals? unser Tanzen</div> - <div class="verse">zwischen den Modepuppen und Schranzen!</div> - <div class="verse">wie du mir wehrtest: nit erzählen —</div> - <div class="verse">wie du mich lehrtest: nit uns quälen —</div> - <div class="verse">und mich schürtest, wie einen Herd,</div> - <div class="verse">aus dem statt Wärme Feuerwerk sprang!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und er schwingt sie derber die Tenne entlang,</div> - <div class="verse">unverwehrt;</div> - <div class="verse">singend schüren die Kinder den Feuerkreis.</div> - <div class="verse">Zur Sonne singend. Und in den Pausen</div> - <div class="verse">macht die See die Seelen erbrausen.</div> - <div class="verse">Das Weib lacht heiß:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">WIRWelt, Meiner! sei Kind! dann steigt</div> - <div class="verse">deine Fee herab von ihrem Stern.</div> - <div class="verse">O, sie hätt wohl längst von Herzen gern</div> - <div class="verse">vor Mann und Weib den Damen und Herrn</div> - <div class="verse">die Zähne und die Zunge gezeigt:</div> - <div class="verse">Seht, hier tanz ich in selbstgestopften Strümpfen</div> - <div class="verse">und kann noch immer die Nase rümpfen!</div> - <div class="verse">ich habe seit Wochen nichts zu Tische</div> - <div class="verse">als Salz, Brot, Ziegenmilch und Fische,</div> - <div class="verse">aber bin Mutter Isis, die Herrin der Welt —</div> - <div class="verse">gelt, mein lieber Herr Gott: deine liebe Frau Welt!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[S. 233]</a></span> - <div class="verse">Es braust die See; es braust ihr Blut.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen jauchzen vor Übermut.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">34.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie sehn sich schimmern, ruhend vom Bade.</div> - <div class="verse">Und schimmernd ruht das öde Gestade</div> - <div class="verse">im warmen Wind. Sie lauschen ihm nach:</div> - <div class="verse">lauschen, wie die Weiten sich rühren,</div> - <div class="verse">wie alle Tiefen zu Höhen führen —</div> - <div class="verse">wie die Möwen zwischen den Wellen</div> - <div class="verse">schwimmend auf und nieder schnellen —</div> - <div class="verse">Und des Weibes Lächeln wird zur Sprache:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lux, mein Leuchtender, wenn wir so liegen,</div> - <div class="verse">ich mit meinem schwarzen Windsbrauthaar,</div> - <div class="verse">du wie ein Flußgott der See entstiegen,</div> - <div class="verse">und jeder Wogenkamm bringt uns Liebreize dar,</div> - <div class="verse">und mir versinkt die letzte Schranke,</div> - <div class="verse">die zwischen Leib und Seele noch blieb,</div> - <div class="verse">denn dein kleinstes Härchen ist mir so lieb,</div> - <div class="verse">so wert wie dein größter Gedanke —</div> - <div class="verse">und ich denk an gestern und strahle vor Ehren,</div> - <div class="verse">daß ich dir Haar und Bart durfte scheren —</div> - <div class="verse">ach, und heut Nacht, du, hört ich dich schnarchen</div> - <div class="verse">wie einen braven Patriarchen</div> - <div class="verse">und konnt nit lachen — Herr meines Lebens,</div> - <div class="verse">es war mir lieb als Äußerung Deines Lebens —</div> - <div class="verse">und ich sag dir dann mit fröhlichem Mut:</div> - <div class="verse">ich bin auch deinem Töchterchen gut —</div> - <div class="verse">und frag dann ohne ein Lächeln des Spottes:</div> - <div class="verse">bin ich nun „reif“ zur Mutter Gottes,</div> - <div class="verse">reif zur Lebensmeisterschaft,</div> - <div class="verse">tauglich, tüchtig, tugendhaft —?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[S. 234]</a></span> - <div class="verse">Dann, mein himmlisches Freudenmädchen du,</div> - <div class="verse">— reckt sein narbiger Arm sie der Sonne zu —</div> - <div class="verse">dann sag ich lachend ohne Spott:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">wir Götter brauchen keinen Gott!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er läßt sie thronen auf seinen Knien;</div> - <div class="verse">und sie, mitlachend, schaukelt ihn,</div> - <div class="verse">die Brüste zum Triumph gestrafft.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen schwelgen in ihrer Kraft.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">35.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es rauscht nur und glüht.</div> - <div class="verse">Es liegt eine Düne im schwülen Licht der Fernen.</div> - <div class="verse">Es füllt ein Geflimmer wie von sprießenden Sternen</div> - <div class="verse">die stille Wildnis; das Sandmeer sprüht.</div> - <div class="verse">Es loht die hohle Hügelwand,</div> - <div class="verse">wie auf ewig vor Schatten behütet,</div> - <div class="verse">ein Nest, in dem der Himmel brütet.</div> - <div class="verse">Und der Mann wiegt das Weib im Mittagsbrand:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aufgewacht, Seele, aufgewacht!</div> - <div class="verse">Wunderland liegt aufgetan!</div> - <div class="verse">In uns, Seele, da träumt die Nacht;</div> - <div class="verse">aber hier, ein Hauch meines Mundes macht</div> - <div class="verse">diese dürre Insel — ja, schau sie an —</div> - <div class="verse">zum Paradies und Kanaan,</div> - <div class="verse">wo Adam sündlos bei Eva ruht,</div> - <div class="verse">wo der Tag glüht wie unser Fleisch und Blut,</div> - <div class="verse">wo Alles Frucht ist am reinen Leib der Liebe,</div> - <div class="verse">selbst der Halm dort im Sandgetriebe!</div> - <div class="verse">selbst der Salzgeruch, der von der Küste</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[S. 235]</a></span> - <div class="verse">herquillt an deine braunen Brüste</div> - <div class="verse">und Milch aus deinem Mutterblut braut!</div> - <div class="verse">selbst deine honigwabengoldne Haut,</div> - <div class="verse">und deines Schooßes glückstrotzender Schwung,</div> - <div class="verse">und meiner Mannheit Verkörperung!</div> - <div class="verse">Und wenn die Seele noch so schreit:</div> - <div class="verse">sie führt zum Wahnsinn, diese Seligkeit:</div> - <div class="verse">dann, du, dann — er stammelt plötzlich, lauscht —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">das Weib in Sonnetrunkenheit</div> - <div class="verse">jauchzt berauscht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">dann ist der Wahnsinn eben Seligkeit — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und fährt zusammen: ein Schatten fällt</div> - <div class="verse">in ihre nackte Glut herab</div> - <div class="verse">wie aus einer fremden Welt:</div> - <div class="verse">Sand rutscht, und übern Hügel tappt</div> - <div class="verse">ein Herr in Reisetracht, steht starr — o Graus:</div> - <div class="verse">zwei Menschen lachen einen aus.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">36.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und bis in ihre Leuchtturmklause</div> - <div class="verse">sucht das Walten der Welt sie auf.</div> - <div class="verse">Unten pocht und schwebt im Dunkeln des Meeres Gebrause;</div> - <div class="verse">und den kleinen Tisch deckt bunt ein Haufen</div> - <div class="verse">Briefe aus aller Herren Ländern.</div> - <div class="verse">Der Mann steht lesend; das Weib spielt zaudernd</div> - <div class="verse">mit den abgerissenen Rändern.</div> - <div class="verse">Endlich sagt sie, wie planlos plaudernd:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lux, ich glaube: könnten die Menschen erraten,</div> - <div class="verse">mit welcher Eintracht wir uns beglücken,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[S. 236]</a></span> - <div class="verse">ja, ich glaube, sie teilten unser Entzücken,</div> - <div class="verse"><em class="gesperrt">die</em> selbst, denen wir Leides taten.</div> - <div class="verse">Denn gelt: auch Dir doch würd’ es gelingen,</div> - <div class="verse">diesem Glück alles Andre zum Opfer zu bringen?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er schweigt — sie sucht seinen Blick — ihr graut:</div> - <div class="verse">sein Mund bewegt sich, aber die bleichen</div> - <div class="verse">Lippen geben keinen Laut.</div> - <div class="verse">Er starrt auf ein Blatt mit seltsamen Zeichen.</div> - <div class="verse">Die Chiffern schwanken. Ihr dröhnt das Meer.</div> - <div class="verse">Fremd tönt seine Stimme zu ihr her:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es hat eine Seele sich befreit —</div> - <div class="verse">ich hielt ihr Glück einst in Händen.</div> - <div class="verse">Ich versprach ihr lauter Seligkeit —</div> - <div class="verse">das ist nun alles zu Ende.</div> - <div class="verse">In williger Demut schien sie’s zu dulden;</div> - <div class="verse">es war Stolz — stolz schwieg sie zu meinem Verschulden.</div> - <div class="verse">Ja: hier steht es von Helfershand geschrieben:</div> - <div class="verse">ich habe sie in den Tod getrieben.</div> - <div class="verse">Ich ließ die Verzweiflung über sie kommen.</div> - <div class="verse">Ich hab meinem Kind die Mutter genommen!</div> - <div class="verse">Verlangst du noch Opfer? — Ich glaube: nit!</div> - <div class="verse">Mir scheint, Mutter Isis: wir sind quitt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er setzt sich, sonderbar gelassen.</div> - <div class="verse">Unten schwebt und pocht im Dunkeln des Meeres Gebrause.</div> - <div class="verse">Stechend bebt das Licht der einsamen Klause.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen suchen sich zu fassen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[S. 237]</a></span></p> - -<h3 id="Dritter_Umkreis">Dritter Umkreis<br /> -– Die Klarheit –</h3> - -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Eingang_3">Eingang</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schweb still, schweb still, triebseliger Geist, und dehne</div> - <div class="verse">dich über alle Kreise aus!</div> - <div class="verse">sieh: mit der Sehnsucht der gespannten Sehne</div> - <div class="verse">greifst du nun ein ins Weltgebraus.</div> - <div class="verse">Sie schnellt zurück, zurück zu ihrem Bogen,</div> - <div class="verse">berührt ihn, schwirrt noch, deckt ihn nie —</div> - <div class="verse">doch was sie mußte, wirkte sie:</div> - <div class="verse">der Pfeil ist frei zum Ziel geflogen.</div> - <div class="verse">Such’s nicht etwa bei Deinesgleichen,</div> - <div class="verse">sehne dich nicht in Dich zurück!</div> - <div class="verse">denn es gilt, o Mensch: das Glück,</div> - <div class="verse">oh das Weltglück zu erreichen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="s4 center mtop2 mbot2">*</p> - -<h4 id="Vorgaenge_III_1-36">Vorgänge: III, 1–36</h4> - -<p class="center mtop2">1.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen gehn durch nebelnassen Hain;</div> - <div class="verse">er faßt einen alten Friedhof ein.</div> - <div class="verse">Die feuchten Blätter hängen schwer herab,</div> - <div class="verse">so schwer, als möchten sie die Zweige brechen;</div> - <div class="verse">sie hängen um ein frisches Grab.</div> - <div class="verse">Ein Mann beginnt sich auszusprechen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nach diesen Trennungstagen,</div> - <div class="verse">die einen Andern aus mir machten,</div> - <div class="verse">will ich mein wahres Trachten</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[S. 238]</a></span> - <div class="verse">nicht länger halb im Dunkeln vor dir tragen.</div> - <div class="verse">Eh ich die Leiche liegen sah,</div> - <div class="verse">hatt ich den Traum, ihr stilles Antlitz trüge</div> - <div class="verse">den Mut der Tat zur Schau; der Traum war Lüge.</div> - <div class="verse">Ich sah in ihre zerlittenen Züge:</div> - <div class="verse">dem Wahnsinn schien die starre Maske nah.</div> - <div class="verse">Ich habe vor dem Anblick nicht gebebt:</div> - <div class="verse">da lag ein Herz, der Einsamkeit erlegen.</div> - <div class="verse">Ich stand und fühlte das Gesetz: wer lebt,</div> - <div class="verse">hilft töten, ob er will ob nicht.</div> - <div class="verse">Und aus dem gramvollen Gesicht</div> - <div class="verse">schlug kalt die Mahnung mir entgegen:</div> - <div class="verse">Keinen zu brauchen, gottgleich allein</div> - <div class="verse">williges Herz der Welt zu sein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er neigt sich, um die tropfenschweren</div> - <div class="verse">Blätter von sich abzuwehren.</div> - <div class="verse">Mitwehrend spricht ein Weib in ihn hinein:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie du gestanden hast an ihrer Bahre,</div> - <div class="verse">erkenn ich aus dem Büschel grauer Haare,</div> - <div class="verse">der früher nicht an deiner Schläfe drohte.</div> - <div class="verse">Wozu nun noch verstorbnes Leid auffrischen!</div> - <div class="verse">Das Leben wird dir’s ebenso verwischen</div> - <div class="verse">wie hier dies Zeichen — sieh: ich geb’s der Toten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie legt ihre Hand wie segnend auf das Grab:</div> - <div class="verse">sie drückt sich tief im feuchten Erdreich ab,</div> - <div class="verse">ein Tropfen schimmert in dem schwarzen Ballen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen stehn, als sei ein Schwur gefallen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">2.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Durch hohe Pappeln fingert grell der Mond,</div> - <div class="verse">legt harte Schatten vor ein kleines Haus;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[S. 239]</a></span> - <div class="verse">fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sinnen in die Nacht hinaus.</div> - <div class="verse">Der Dunst der Felder schleicht, das Mondlicht dämpfend.</div> - <div class="verse">Ein Weib sagt zögernd, mit sich kämpfend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Frau, die du bestattet hast,</div> - <div class="verse">hat uns befreit von einer Last;</div> - <div class="verse">ich weiß ihr Dank! und will ihn offenbaren.</div> - <div class="verse">Wo ist ihr Kind! Dein Kind! — gib mir’s bei Zeiten;</div> - <div class="verse">noch können wir’s zu unserm Glück anleiten.</div> - <div class="verse">Was planst du immer wieder Heimlichkeiten!</div> - <div class="verse">soll’s etwa so ein Freund dir aufbewahren?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Mann am Fenster blickt ins bleiche Land;</div> - <div class="verse">er wirrt in seinen grauen Schläfenhaaren.</div> - <div class="verse">Er spricht verhalten, abgewandt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vorläufig darfst du dir den Dank ersparen.</div> - <div class="verse">Auch wird kein Freund in deinem Glück dich stören;</div> - <div class="verse">die Tote wußte nichts von diesen Leuten.</div> - <div class="verse">Mein Kind wird meine Mutter mir verwahren;</div> - <div class="verse">ich schwieg nur, um dein freies Wort zu hören —</div> - <div class="verse">nun laß dir Eins dazu bedeuten:</div> - <div class="verse">Mir haben mehr als eure beiden Seelen</div> - <div class="verse">ihr ganzes Glück geoffenbart;</div> - <div class="verse">in jeder schien ein Stück zu fehlen,</div> - <div class="verse">es lag in mir wie aufgespart.</div> - <div class="verse">Wohl band an Jene mich ihr Leidensfrieden,</div> - <div class="verse">wohl riß zu Dir mich deine Lebenslust,</div> - <div class="verse">doch immer blieb mir frei bewußt:</div> - <div class="verse">mir hat die Welt ein reicheres Glück beschieden.</div> - <div class="verse">Vielleicht entdeckst auch Du dies Glück bei Zeiten</div> - <div class="verse">und lernst mein Kind zu <em class="gesperrt">seinem</em> Glück anleiten!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[S. 240]</a></span> - <div class="verse">Er kehrt seine Stirn brüsk gegens Licht;</div> - <div class="verse">fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.</div> - <div class="verse">Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen blicken einsam in den Mond.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">3.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sonne lacht; die Stoppelfelder schimmern.</div> - <div class="verse">An verfärbten Blättern zupft der Wind,</div> - <div class="verse">Früchte lüpfend. Heimlich Leben spinnt</div> - <div class="verse">weiße Fäden; rings im Blauen flimmert’s.</div> - <div class="verse">Scheinbar tändelnd hat ein Mann</div> - <div class="verse">einem Weibe solch ein zart Geflechte</div> - <div class="verse">um ihr schwarzes Haar gewunden —</div> - <div class="verse">nun streckt er seine narbige Rechte:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was doch die Seele brav lernen kann,</div> - <div class="verse">hats nur der Körper erst für gut befunden!</div> - <div class="verse">Kaum hab ich mir die eine Hand lahm geschunden,</div> - <div class="verse">schon stellt sich meine Linke geschickter an</div> - <div class="verse">als je die Rechte. Selbst auf der Jagd:</div> - <div class="verse">wie hat mein Vater mich neulich ausgelacht,</div> - <div class="verse">als ich so schießen wollte — und dann:</div> - <div class="verse">keinen Fehlschuß tat ich beim Kesseltreiben.</div> - <div class="verse">Ich kann auch wieder heimlich schreiben;</div> - <div class="verse">falls dirs vielleicht mal zuviel Mühe macht,</div> - <div class="verse">Frau Fürstin, meine Sekretärin zu bleiben —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Leichthin hat er das Spinngewebe</div> - <div class="verse">wieder ihrem Haar entnommen,</div> - <div class="verse">leichthin hält er’s in der Schwebe;</div> - <div class="verse">bis es wegschwebt, flimmernd, wehend.</div> - <div class="verse">Wie mit Willen nicht verstehend</div> - <div class="verse">sagt sie, nur ihr Atem geht beklommen:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[S. 241]</a></span> - <div class="verse">Du tust sehr glücklich mit deinem Spiel.</div> - <div class="verse">Fast wie Gaukler, die sich schämen,</div> - <div class="verse">Lux, ein Unglück ernst zu nehmen.</div> - <div class="verse">Scheint <em class="gesperrt">diese</em> Müh dir <em class="gesperrt">nicht</em> zuviel? —</div> - <div class="verse">Doch den reichen Seelen</div> - <div class="verse">muß das Glück wohl fehlen,</div> - <div class="verse">das sie Andern zeigen als ein Ziel —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">gelt? — Er schweigt. Rings lüpft der Wind</div> - <div class="verse">Früchte; heimlich Leben spinnt</div> - <div class="verse">weiße Fäden über Zaun und Dach.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen schaun dem fliehenden Sommer nach.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">4.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Abendröte ruht auf alten Wegen.</div> - <div class="verse">Stille Mühlen stehn im kahlen Land</div> - <div class="verse">wie gebannt;</div> - <div class="verse">hohe Bäume glühn der Nacht entgegen.</div> - <div class="verse">Wo der dämmergraue Park sich lichtet,</div> - <div class="verse">unweit einer Grabkapelle,</div> - <div class="verse">gehn zwei Menschen, Hand in Hand.</div> - <div class="verse">Und als sei ein Streit geschlichtet,</div> - <div class="verse">weist ein Weib ins Freie, Helle:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du mußt nit meinen, ich sei so schicksalsblind,</div> - <div class="verse">daß ich am Himmel niemals Wolken seh.</div> - <div class="verse">Hier birgt noch jeder Strauch mein einsam Weh:</div> - <div class="verse">hier sahst du kalt auf mein getötetes Kind.</div> - <div class="verse">Jetzt aber, wo dein Leben mich durchrinnt,</div> - <div class="verse">so warm, als klopfe unter meinem Herzen</div> - <div class="verse">Dein Herz mit allen Wonnen, allen Schmerzen,</div> - <div class="verse">jetzt will ich kämpfen, bis ich vor dir steh</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[S. 242]</a></span> - <div class="verse">so lauter wie ein wolkenloser Tag.</div> - <div class="verse">Wer <em class="gesperrt">sind</em> nun deine dunkeln Freunde? sag!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Abendröte ruht auf alten Wegen;</div> - <div class="verse">durch die glühenden Kiefernkronen</div> - <div class="verse">graut der Nacht ein fahles Haus entgegen,</div> - <div class="verse">hoch mit eisernem Balkone.</div> - <div class="verse">Ein Mann sagt willig, sagt mit Hohn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So laß dir denn erwidern:</div> - <div class="verse">schon bist du selbst im Bunde.</div> - <div class="verse">Von allen seinen Gliedern</div> - <div class="verse">ist keins so reif wie du zur Stunde.</div> - <div class="verse">Denn diesen Bund hat nur die Sehnsucht gestiftet,</div> - <div class="verse">nichts wider Willen mehr mitanzusehen.</div> - <div class="verse">Man darf sogar Verrat begehen;</div> - <div class="verse">das Schlimmste ist, man wird vielleicht vergiftet.</div> - <div class="verse">Es folgen alle nur dem einen Satze:</div> - <div class="verse">dort, lieber Freund, scheint Ihre Kraft am Platze.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Abendröte ruht auf alten Wegen;</div> - <div class="verse">Wolken glühn zwei Menschen wirr entgegen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">5.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Morgennebel brodelt auf fernen Seeen.</div> - <div class="verse">Gelbes Laub tanzt über abgemähte</div> - <div class="verse">Wiesen und zerfahrne Chausseen</div> - <div class="verse">zur Musik der Telegraphendrähte;</div> - <div class="verse">sturmbetroffen stockt ein Menschenpaar.</div> - <div class="verse">Jäh ist eine Wanderschaar</div> - <div class="verse">Schwalben durch die brausenden Pappeln</div> - <div class="verse">und die Drähte hingeschossen,</div> - <div class="verse">unbekümmert um die zerfetzten Genossen,</div> - <div class="verse">die im Grase abgestürzt zappeln.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[S. 243]</a></span> - <div class="verse">Der Mann kürzt ihre Qual mit einigen Streichen.</div> - <div class="verse">Nun weist er auf die kleinen Leichen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, Mutter Isis: blick nur betroffen her!</div> - <div class="verse">kannst du noch fliegen, Seele? und allein!?</div> - <div class="verse">Dein Auge hat sehr stolzen Schein —</div> - <div class="verse">dann ist es gut: dann brauchst du mich nicht mehr.</div> - <div class="verse">Zugvögeln gleich: da ziehn sie, planvoll verbunden,</div> - <div class="verse">und denkt doch keiner an Ich und Du —</div> - <div class="verse">schon sind sie, schau nur nach, im Nebel verschwunden,</div> - <div class="verse">von einer Heimat der andern zu —</div> - <div class="verse">zum jammervollsten Tod bereit</div> - <div class="verse">in ihrer Sehnsuchtsherrlichkeit — —</div> - <div class="verse">komm weiter!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er winkt in den Sturm, sein Stock zuckt wie ein Degen.</div> - <div class="verse">Da tritt das Weib ihm voll entgegen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lukas! Nun hast du deutlich genug gesprochen!</div> - <div class="verse">kennst du das Wort Selbstherrlichkeit?</div> - <div class="verse">Hältst du die Fürstin Lea für so gebrochen,</div> - <div class="verse">daß sie sich umsieht, was ihr Halt verleiht?</div> - <div class="verse">Nun will ich frei sein! frei auch vom letzten Band,</div> - <div class="verse">das mich noch fesselt an jene Welt der Gecken.</div> - <div class="verse">Frei, weil mirs ziemt; nicht Dir zum Unterpfand.</div> - <div class="verse">Dann biet ich dir vielleicht die Helfershand.</div> - <div class="verse">Warum nicht früher, das wirst du bald entdecken.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie nimmt seinen Arm; sie sieht, er lächelt eigen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen fühlen, wie’s stürmt, und schweigen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">6.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,</div> - <div class="verse">Gaslichtflammen, rostige Wappenschilder,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[S. 244]</a></span> - <div class="verse">und hohe Spiegelwände. Und inmitten</div> - <div class="verse">stehn zwei Menschen mit höflich kühlen</div> - <div class="verse">Mienen neben den steifen Stühlen</div> - <div class="verse">und begrüßen einen Dritten.</div> - <div class="verse">Dieser nickt und sieht voll Schonung</div> - <div class="verse">und gelangweilt in die Welt.</div> - <div class="verse">Und nachdem man Platz gewählt,</div> - <div class="verse">sagt ein Weib mit merklicher Betonung:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hoheit, ich danke für Ihr Entgegenkommen.</div> - <div class="verse">Und da Sie gütigst in die Scheidung willigen,</div> - <div class="verse">und da uns das Geschick den Erben genommen,</div> - <div class="verse">und um Verwickelungen zuvorzukommen,</div> - <div class="verse">möchte ich fragen, ob Sie’s völlig billigen,</div> - <div class="verse">daß mir auch jetzt, das heißt nach Bruch der Ehe,</div> - <div class="verse">die Hälfte meiner Mitgift noch zustehe;</div> - <div class="verse">sonst will ich mich trotz meines Anspruchs verpflichten,</div> - <div class="verse">so weit wie möglich zu verzichten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jener wehrt mit gnädiger Bewegung;</div> - <div class="verse">hierauf hört man nur das Gaslicht raunen.</div> - <div class="verse">Und nach flüchtigem Erstaunen</div> - <div class="verse">nimmt ein Mann das Wort, fast mit Erregung:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hoheit, auch mich verlangt es, Dank zu sagen —</div> - <div class="verse">ich leg ihn nicht mit leeren Händen nieder;</div> - <div class="verse">hier bring ich die Archivpapiere wieder,</div> - <div class="verse">die ich gewillt war zu unterschlagen.</div> - <div class="verse">Ich möchte aber nicht, daß Hoheit glauben,</div> - <div class="verse">ich sei aus Leichtsinn zu der Tat geschritten;</div> - <div class="verse">ich trat mein Amt an mit dem Zweck, zu rauben.</div> - <div class="verse">Ich möchte nur, daß Hoheit mir erlauben,</div> - <div class="verse">als Mensch den Menschen um Verzeihung zu bitten.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[S. 245]</a></span> - <div class="verse">Er legt errötend ein Bündel auf den Tisch;</div> - <div class="verse">Jener wehrt, als ob er Staub wegfächelt.</div> - <div class="verse">Wieder hört man nur das Gasgezisch</div> - <div class="verse">Zwei Menschen fühlen: der Dritte lächelt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">7.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Stübchen schwimmt voll Zigarettenduft;</div> - <div class="verse">zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft.</div> - <div class="verse">Immer umwölkter blickt und sinnt der Mann</div> - <div class="verse">das Weib an:</div> - <div class="verse">ihren herrischen Wuchs, ihr sorgsam schlicht Gewand,</div> - <div class="verse">ihr schwer zu glättendes Haar, die große Hand,</div> - <div class="verse">den kühnen Hals, das sanft geschwungene Kinn —</div> - <div class="verse">Endlich wirft er gezwungen hin:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du hast es äußerst talentvoll angestellt,</div> - <div class="verse">dich mir als reiche Frau zu entpuppen;</div> - <div class="verse">ich hoffe, daß mirs immer öfter wie Schuppen</div> - <div class="verse">von den verliebten Augen fällt.</div> - <div class="verse">Ich bin dir dankbar für das charmant posierte</div> - <div class="verse">Schauspiel der Armut, das du mir geboten;</div> - <div class="verse">beinah so dankbar wie der Toten,</div> - <div class="verse">die mir zu Liebe Demut simulierte.</div> - <div class="verse">Nur glaube nicht, mit allerhand geschickten</div> - <div class="verse">Künsten sei Klarheit zu erzielen;</div> - <div class="verse">im Leben führt das Rollespielen</div> - <div class="verse">zu arg verwirrenden Konflikten.</div> - <div class="verse">Da wird die Wahrheit denn statt Ziel</div> - <div class="verse">ein offenherzig Lügenspiel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sein Blick wird schärfer; sie hält ihn aus.</div> - <div class="verse">Sie scheucht den Rauch weg, sie sagt klar heraus:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wundert dich das, du freier Mann?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_246" id="Seite_246">[S. 246]</a></span> - <div class="verse">Du wolltest doch, ich sollt dir zeigen,</div> - <div class="verse">ob ich verstünde, planvoll zu schweigen;</div> - <div class="verse">du schuldigst deine eignen Künste an!</div> - <div class="verse">Was unterschied mich denn von einer Dirne,</div> - <div class="verse">bevor ich glauben durfte, wir sind Eins?</div> - <div class="verse">Der Schutz des Reichtums! nicht des schönen Scheins:</div> - <div class="verse">ich biete aller Welt die Stirne.</div> - <div class="verse">Die Tote aber lehre uns fürs Leben:</div> - <div class="verse">nur volles Selbstgefühl kann voll sich selbst hingeben!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie blickt ins Freie; er hat die Augen geschlossen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sitzen rauchumflossen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">8.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Georginen schütteln sich im Wind;</div> - <div class="verse">gefallnes Obst liegt auf den Gartensteigen.</div> - <div class="verse">Am Straßenzaun steht scheu ein armes Kind</div> - <div class="verse">unter den brausenden Pappelzweigen</div> - <div class="verse">vor einer Frau; sie schenkt ihm von den Früchten.</div> - <div class="verse">Selig rennt’s weg, als müßt es flüchten.</div> - <div class="verse">Sie tritt zu einem Mann, sie sagt gelind:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jetzt stand gewiß dein Töchterchen vor dir,</div> - <div class="verse">ob ich wohl reif sei, ihm zuzureden</div> - <div class="verse">zu seinem Glück — o glaube mir:</div> - <div class="verse">ein rechtes Kind vergißt für jeden</div> - <div class="verse">Apfel den ganzen Garten Eden,</div> - <div class="verse">drum ist es glücklicher als wir.</div> - <div class="verse">Wir schwelgen ewig im Geist und putzen</div> - <div class="verse">zu Vorbildern einander aus,</div> - <div class="verse">Einbildung träumt von ihrem Nutzen,</div> - <div class="verse">bis wir verdutzt im Lebensbraus</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[S. 247]</a></span> <div class="verse">zum Sinn des alten Gebots erwachen:</div> - <div class="verse">du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen!</div> - <div class="verse">Statt uns getrost an allen neuen</div> - <div class="verse">Reizen wie Götter frei zu freuen —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein fallender Apfel macht sie stocken.</div> - <div class="verse">Er liegt zerplatzt. Der Mann sagt trocken:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du hast sehr reizend gepredigt — aber</div> - <div class="verse">mich sticht nicht mehr der Götterhaber.</div> - <div class="verse">Im Geist zwar gehts schön glatt vom Fleck</div> - <div class="verse">auf dem beliebten hohen Pferde;</div> - <div class="verse">aber der Leib liebt halt die Erde,</div> - <div class="verse">und eh mans denkt, liegt man plattweg</div> - <div class="verse">— pardon — im Dreck.</div> - <div class="verse">Bis wir nicht lenkbare Lufthäuser bauen,</div> - <div class="verse">wohnen wir nicht auf Wolkenauen;</div> - <div class="verse">inzwischen zeigt uns jeder Kinderdrachen,</div> - <div class="verse">der Mensch muß <em class="gesperrt">Alles</em> zum Gleichnis machen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Georginen schütteln sich im Wind.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen spüren: der Herbst beginnt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">9.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Sonnenblumen beugen sich im Regen;</div> - <div class="verse">zuweilen rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen.</div> - <div class="verse">Der wilde Wein hängt schlaff dem Sand entgegen,</div> - <div class="verse">die roten Blätter scheinen Blut zu tropfen.</div> - <div class="verse">Der Mann steht trommelnd an der Fensterscheibe.</div> - <div class="verse">Plötzlich sagt er zu dem Weibe:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich will dir einen Traum erzählen.</div> - <div class="verse">Wir standen feierlich in einem Saal,</div> - <div class="verse">als sollten wir vor Zeugen uns vermählen.</div> - <div class="verse">Ich hielt und bot dir einen vollen Pokal,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[S. 248]</a></span> - <div class="verse">um durch den Trunk den Trauschwur zu besiegeln.</div> - <div class="verse">Mit einem Mal</div> - <div class="verse">seh ich tief unten in dem dunkeln Wein,</div> - <div class="verse">wie hoch von oben her, vollkommen rein</div> - <div class="verse">ein lächelndes Gesicht sich spiegeln:</div> - <div class="verse">die Tote lebt. Sie schwebt. Sie lächelt wieder.</div> - <div class="verse">Sie nimmt ein Fläschchen Gift aus ihrem Mieder.</div> - <div class="verse">Sie träufelt es in unser Kelchglas nieder.</div> - <div class="verse">Und ich: ich lächle mit — und lass dich trinken —</div> - <div class="verse">und trinke selbst — mir weiten sich die Glieder —</div> - <div class="verse">ich fühle fern mich in die Welt versinken.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ich — beginnt das Weib zu überlegen</div> - <div class="verse">und starrt abwesend in den rauschenden Regen —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">ich stand heute Nacht allein im Traum;</div> - <div class="verse">ich war ein leuchtender Schneeglöckchenbaum.</div> - <div class="verse">Aber fern kam furchtbar ein Funkeln an,</div> - <div class="verse">als wollt’s mich zerstören: ein sturmgesträubter Tann,</div> - <div class="verse">ein Wald wilder Lichter, braungolden, grün, blau,</div> - <div class="verse">wie ein riesenhaft sich spreizender Pfau,</div> - <div class="verse">und mir gehts bis ins Mark, so eilt das Ungeheuer.</div> - <div class="verse">Da wird aus mir ein einziges Blütenfeuer;</div> - <div class="verse">von weißen Flammen stiebt die ganze Au</div> - <div class="verse">und flammt frei hoch mit mir, hoch, immer freier —</div> - <div class="verse">und unten prasselt der verbrennende Pfau.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wieder rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen hören’s wie Herzblut tropfen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">10.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Licht kämpft mit Wolken über Forst und See.</div> - <div class="verse">Durchs Wasser jagen Schatten, gleich Kentauern</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[S. 249]</a></span> - <div class="verse">aufbäumend an den düstern Kiefernmauern,</div> - <div class="verse">die rings im Bodenlosen schauern;</div> - <div class="verse">durchs Uferdickicht rauscht ein flüchtendes Reh.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen treten aus der Waldesruh.</div> - <div class="verse">Innig schaut ein Weib dem Lichtkampf zu.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich fange an, dein märkisches Land zu lieben;</div> - <div class="verse">es liegt wie wartend, was der Himmel bringt.</div> - <div class="verse">Und wenn ich seh, wie dort die Winde stieben</div> - <div class="verse">und hier die Stille mit sich selber ringt,</div> - <div class="verse">und wie sich all die Sehnsucht nach dem Licht,</div> - <div class="verse">die aus dem grauen Wasserspiegel bricht,</div> - <div class="verse">paart mit der Sehnsucht in die Nacht</div> - <div class="verse">des Weltenschooßes, drin die Sonne wacht,</div> - <div class="verse">und selbst die Bäume beben, als ob sie ringen</div> - <div class="verse">den Umschwung der Gestirne mitzuschwingen:</div> - <div class="verse">dann geht mir auf, was uns ans Leben bannt</div> - <div class="verse">und doch uns lockt, dem Tod anheimzufallen,</div> - <div class="verse">und immer freier streckt sich meine Hand</div> - <div class="verse">nach deinen Freunden, nach den Menschen allen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und gleißend öffnet sich ein Wolkenspalt;</div> - <div class="verse">den See durchfährt ein schlangenhaftes Blenden,</div> - <div class="verse">hinschillernd an den starren Kiefernwänden,</div> - <div class="verse">die rings ins Bodenlose enden —</div> - <div class="verse">ein Mann sagt kalt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jawohl, es ist im Himmel wie auf Erden.</div> - <div class="verse">Was sich noch unfrei fühlt, das sehnt sich frei</div> - <div class="verse">und möchte immer freier werden;</div> - <div class="verse">für mich ist dies Gelüst vorbei.</div> - <div class="verse">Ich lernte meine Sehnsucht stillen;</div> - <div class="verse">ich bin so gotteins mit der Welt,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[S. 250]</a></span> - <div class="verse">daß nicht ein Sperling wider meinen Willen</div> - <div class="verse">vom Dache fällt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Grell greift ein Sonnenstrahl ins Waldesgrauen;</div> - <div class="verse">zwei Menschen müssen zu Boden schauen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">11.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen:</div> - <div class="verse">Laternen lauern bleich den Fluß entlang.</div> - <div class="verse">Gleich trunknen Nixen zucken schwank</div> - <div class="verse">die Widerscheine unterm Brückenbogen,</div> - <div class="verse">vom Takt der Strömung hin und her gezogen;</div> - <div class="verse">zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang.</div> - <div class="verse">Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen,</div> - <div class="verse">weckt schwanke Erinnerungen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ellewelline tanzt Serpentine —</div> - <div class="verse">o, wie war der Maitag wunderbar!</div> - <div class="verse">als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte,</div> - <div class="verse">als ich im Weib noch die Welt umarmte;</div> - <div class="verse">da hatt ich noch kein graues Haar.</div> - <div class="verse">Da hatt ich blaue Himmelschuh an</div> - <div class="verse">und war ein schön feuriger Reitersmann;</div> - <div class="verse">jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott.</div> - <div class="verse">Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen,</div> - <div class="verse">aus „allen neuen Reizen“ Freude schlürfen —</div> - <div class="verse">gelt, Fürstin? freier als ein Gott!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht.</div> - <div class="verse">Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften.</div> - <div class="verse">Sie wills nicht sehn — wegblicken — Nein, nicht — o Licht:</div> - <div class="verse">heilig strömt’s über — sie flammt, sie spricht,</div> - <div class="verse">schauernd bis in die schwangern Hüften:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[S. 251]</a></span> - <div class="verse">Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib!</div> - <div class="verse">ich trage dein Blut in meinem Leib!</div> - <div class="verse">Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden!</div> - <div class="verse">du hältst mein nacktes Leben in Händen!</div> - <div class="verse">Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib,</div> - <div class="verse">verschmäht ein Mann ihren willigen Leib!</div> - <div class="verse">Das wars, was Jene zum Äußersten trieb;</div> - <div class="verse">was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir!</div> - <div class="verse">drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr.</div> - <div class="verse">Mich aber hast du blutpflichtig lieb!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie zittert; sie will seine Hände fassen.</div> - <div class="verse">Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">12.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Mond erleuchtet scheu ein kleines Zimmer;</div> - <div class="verse">das Licht durchranken Schatten, viele, viele.</div> - <div class="verse">Ein Mann umschreitet schweigend, wie zum Spiele,</div> - <div class="verse">die schwarzen Fensterkreuze auf der Diele.</div> - <div class="verse">Doch nun, als löse sich ein Blatt vom Stiele,</div> - <div class="verse">bebt eines Weibes Stimme durch den Schimmer:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich trag ein Kind — von Dir, von Dir —</div> - <div class="verse">ich tu meine Wonne auf vor dir —</div> - <div class="verse">o trag sie mit mir! gemeinsam! grenzenlos!</div> - <div class="verse">Du mußt ja; fühl’s doch! ich weiß es und ich sag’es,</div> - <div class="verse">mit jedem Pulsschlag sagt mirs Herz und Schooß:</div> - <div class="verse">Wir Beide, wir sind Eines Schlages! —</div> - <div class="verse">Was quälst du uns! o denk an die Nacht zurück,</div> - <div class="verse">als sich’s erfüllte, dein Weisheitswort vom Glück!</div> - <div class="verse">Ja: alle Torheit, alles Leid</div> - <div class="verse">sind Ausgeburt der Einsamkeit.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[S. 252]</a></span> - <div class="verse">Die Stimme schweigt; der Raum schweigt mit, wie leidend.</div> - <div class="verse">Die Fensterkreuze flehn ins kahle Feld;</div> - <div class="verse">doch drüber schwebt die fremde fahle Welt.</div> - <div class="verse">Der Mann sagt schneidend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O, ich denke an viele Nächte zurück;</div> - <div class="verse">jede war voll Wonne — doch Glück? ist Das Glück?</div> - <div class="verse">Dein Schooß, ich hab ihn nicht erschlossen:</div> - <div class="verse">ein Andrer hatte ihn vor mir genossen.</div> - <div class="verse">Und dein Herz — ich wollt mich nicht danach fragen,</div> - <div class="verse">aber wieder und wieder mußt ich mir sagen:</div> - <div class="verse">die reinste Glückseligkeit zwischen Uns Beiden</div> - <div class="verse">ist die zwischen Heiden —</div> - <div class="verse">und daß dein Leib dir nicht heilig gewesen ist,</div> - <div class="verse">das zu vergessen vermag nur ein Christ!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er stiert plötzlich: es war, als flog</div> - <div class="verse">jäh ein Glanz hoch, überirdisch schlank.</div> - <div class="verse">Da machts ihn aufschrein: Lea! — Sie wankt —</div> - <div class="verse">will fliehn — Er — Licht, Schatten, Alles schwankt —</div> - <div class="verse">er schwankt ans Herz ihr: ich log, ich log! —</div> - <div class="verse">Zwei Menschen weinen — o Glück! — o Dank! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">13.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun krümmt das welke Laub sich sacht zum Falle;</div> - <div class="verse">nun bringt’s die lange verhüllten Früchte alle</div> - <div class="verse">in Feld und Garten voll zu Ehren.</div> - <div class="verse">Die Eberesche schwenkt die hundert schweren</div> - <div class="verse">hochroten Büschel kühn vorm Ziegeldache.</div> - <div class="verse">Nur des Hollunders purpurschwarze Beeren</div> - <div class="verse">betrauern sich am dunkelgrünen Bache,</div> - <div class="verse">zu dem sie lastend niederschwellen.</div> - <div class="verse">Ein Mann verfolgt die Bilder in den Wellen:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[S. 253]</a></span> - <div class="verse">Eins greift ins andre — keins ruht — nichts ruht —</div> - <div class="verse">o hilf ein Ziel sehn! — wie’s lockt, wie’s warnt, dies Drängen!</div> - <div class="verse">Es bringt kein Glück, du, still Brust an Brust zu hängen;</div> - <div class="verse">so trieb’s die Tote — das fraß an ihrem Blut.</div> - <div class="verse">Ich war ihr Vampyr. Du wirst der meine,</div> - <div class="verse">wenn ich noch länger in dir ruh.</div> - <div class="verse">Schon immer bannender werfen deine</div> - <div class="verse">Augen mir ihre Blicke zu.</div> - <div class="verse">Dann kreist die Welt mir, als will sie mich befreien,</div> - <div class="verse">als sind auch Wir nur einsam zu zweien.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Im dunkeln Wasser kreist Bild in Bild.</div> - <div class="verse">Er faßt das Weib an, wie innerst aus den Gleisen.</div> - <div class="verse">Sie neigt sich zu ihm, muttermild:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du Ungestümer — so laß die Welt doch kreisen —</div> - <div class="verse">sie kreist durch mich wie dich; was wehrst du ihr!</div> - <div class="verse">Bald wirst du dankbar das Wunder preisen,</div> - <div class="verse">daß dir die Tote aufersteht in mir.</div> - <div class="verse">O Du! wie lag ich einst voll Grauen,</div> - <div class="verse">vom Geist der Unterwelt durchwütet;</div> - <div class="verse">da lehrtest Du mich, ihm vertrauen,</div> - <div class="verse">der Lust wie Leid zur Reife brütet.</div> - <div class="verse">Nun sieh, wie dort ums Dach die Früchte lachen,</div> - <div class="verse">rot uns ins Herz, still wirkende Gebote!</div> - <div class="verse">Heute fühlst du nur das Rote;</div> - <div class="verse">morgen wirst du froh erwachen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Leis umweht ihr Haar ihm Bart und Wangen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sehn die Welt gen Himmel prangen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">14.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch bei Halblicht, grau um etwas Dunkles,</div> - <div class="verse">hocken Menschen in einem Raum, der dumpf ist,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[S. 254]</a></span> - <div class="verse">wie Kaninchen um eine Schlange.</div> - <div class="verse">Denn da läßt von allen möglichen Geistern</div> - <div class="verse">ein berühmtes Medium sich bemeistern,</div> - <div class="verse">und man lauscht ihm immer neugierbanger.</div> - <div class="verse">Und nun zuckt die Schlafende, wimmert, röchelt;</div> - <div class="verse">und ein Weib, das eben stolz noch lächelte,</div> - <div class="verse">rauscht zum Saal hinaus, blaß, fliehend,</div> - <div class="verse">hastig einen Mann mitziehend.</div> - <div class="verse">Draußen, tief ausatmend, haucht sie glühend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Empörend — schamlos — diese entmenschten Augen!</div> - <div class="verse">Nun weiß ich, daß ich nicht zum Vampyr tauge;</div> - <div class="verse">verzeih mein Bitten, dies Schauspiel zu besehn!</div> - <div class="verse">Erniedrigend! Noch fühl ich mein Herz mitpochen</div> - <div class="verse">mit diesem Weibsbild, als könnt’s mich unterjochen —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">und Dich? Auch? Sprich doch! — Sie späht ihn an im Gehn;</div> - <div class="verse">um sie braust die Weltstadt, zur Nacht auf, lichtdurchbrochen.</div> - <div class="verse">Mich? fragt er ruhig und bleibt hell stehn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was schiert mich diese feile Verzückte,</div> - <div class="verse">was diese geflissentlich Verrückten,</div> - <div class="verse">die wichtig tun mit dem Geschäfte,</div> - <div class="verse">den überirdischen Geist zu fassen,</div> - <div class="verse">um dann vom Dunst der irdischen Säfte</div> - <div class="verse">ihr bißchen Geist noch benebeln zu lassen.</div> - <div class="verse">Hol sie der Teufel, die hirnschwachen Tröpfe,</div> - <div class="verse">die mit dem Anspruch gottgleicher Geschöpfe</div> - <div class="verse">vor lauter Tiefsinn danach gieren,</div> - <div class="verse">zurückzukehren zu den Tieren!</div> - <div class="verse">Ein Pferd, das Nachts die Ohren spitzt,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[S. 255]</a></span> - <div class="verse">wo Wir, die’s lenken, froh sind Nichts zu hören,</div> - <div class="verse">weiß mehr von derlei Geisterchören</div> - <div class="verse">als solch ein Mensch, das Od ausschwitzt.</div> - <div class="verse">Komm, fasse dich! Das Unfaßbare</div> - <div class="verse">bedeutet nur: bring <em class="gesperrt">Dich</em> ins Klare!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen schreiten weiter, lichtumblitzt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">15.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Windfackeln lodern. Rot rauschen die Bäume</div> - <div class="verse">um scharrende Pferde, bunt blinkernde Zäume;</div> - <div class="verse">hoch leuchten die Blätter in der Umnachtung.</div> - <div class="verse">Hoch Wimpel und Seile! und drüber die Sterne!</div> - <div class="verse">so zeigen die fahrenden Leute gerne</div> - <div class="verse">die Künste ihrer Todesverachtung.</div> - <div class="verse">Froh staunt das Dorfvolk unten im Kreise.</div> - <div class="verse">Abseits lehnt ein Paar. Ein Mann rühmt leise:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, sie tun mir wohl, diese Vogelfreien,</div> - <div class="verse">mit ihrer Geistesgegenwart.</div> - <div class="verse">Als ob eine uralte Mannszucht sie feie:</div> - <div class="verse">jeder Griff bedacht, zielbedacht, willenshart.</div> - <div class="verse">Nur auf sich bedacht — klar im Wirbel des Traums</div> - <div class="verse">der Mitgefühle: nur die Tat gilt, die Tat!</div> - <div class="verse">So üben sie auf schwankem Draht,</div> - <div class="verse">im Flitter der Armut Beherrscher des Raums,</div> - <div class="verse">die großen Tugenden der Zeit:</div> - <div class="verse">Gefaßtheit und Gelassenheit!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und erregt, als ob er mitschwingen möchte,</div> - <div class="verse">umspannt sein Blick ihr Spiel immer funkelnder.</div> - <div class="verse">Und des Weibes Blick schwankt immer verdunkelter.</div> - <div class="verse">Heftig faßt sie seine vernarbte Rechte.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[S. 256]</a></span> - <div class="verse">Lux! was schwärmst du! — Scheinen dir deine Ziele</div> - <div class="verse">auf einmal nur noch Träume und Spiele?</div> - <div class="verse">bin Ich’s, die dein Gefühl entzweit?</div> - <div class="verse">Ich denke anders von deinen Handlungen!</div> - <div class="verse">Mir winkte strahlend aus all deinen Wandlungen</div> - <div class="verse">die große Tugend der Ewigkeit:</div> - <div class="verse">die Kraft, den Willen der Welt zu fassen</div> - <div class="verse">und nichts, rein nichts beim Alten zu lassen!</div> - <div class="verse">Und da ist mein Stern still dem deinen genaht:</div> - <div class="verse">wie du mich fühlst, ist das nicht meine Tat?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und da schmettern Trompeten und Trommelton,</div> - <div class="verse">und das Volk klatscht Beifall den kühnen Springern;</div> - <div class="verse">und sie bitten stolz um den kleinen Lohn.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen geben mit hastigen Fingern.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">16.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Rauch und Funken flüstern im Kamin:</div> - <div class="verse">Unruh ist, wo Feuergeister hausen,</div> - <div class="verse">Unruh, wo die kühlen Wolken ziehn —</div> - <div class="verse">horch, die halbentlaubten Pappeln brausen.</div> - <div class="verse">Horch — da legt sich das Gemurr der Flammen,</div> - <div class="verse">ein Weib nimmt all ihr Selbstgefühl zusammen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mir sagt der Geist, wir wollen Ruhe haben!</div> - <div class="verse">Und sperr ich dir den Weg zur Tat, nun gut:</div> - <div class="verse">du sollst nicht sagen, ich sei dein Wankelmut:</div> - <div class="verse">geh hin, sei frei! und nimm mein Hab und Gut</div> - <div class="verse">in deinen Dienst wie andre Freundesgaben! —</div> - <div class="verse">Was stehst du nun und staunst mich lächelnd an?</div> - <div class="verse">Lukas! — welch Rätsel bist du, Mann —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie will in seinen Augen lesen;</div> - <div class="verse">es blaut ein Glanz darin wie nie zuvor.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[S. 257]</a></span> - <div class="verse">Die Flammen geistern hell und laut empor.</div> - <div class="verse">Ein Mann bekennt sein stillstes Wesen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, staun ihn an, den Mann — hier steht er, lacht,</div> - <div class="verse">der einst mit furchtbar heiligem Ernst gedacht:</div> - <div class="verse">ich bin bös gut, ich bin ein Geist,</div> - <div class="verse">an dem die Überlebten sterben,</div> - <div class="verse">verführt von ihm, sich vollends zu verderben,</div> - <div class="verse">damit der Weltlauf schneller kreist —</div> - <div class="verse">so macht sich der gebrechlichste Verbrecher</div> - <div class="verse">im Handumdrehn zum Richter und zum Rächer,</div> - <div class="verse">bis ihn die Welt in seine Schranken weist.</div> - <div class="verse">Das wars; drum hatt ich Helfershelfer vonnöten.</div> - <div class="verse">Drum steh ich jetzt und beichte mit Erröten:</div> - <div class="verse">Gewichtige Mittel zu nichtigen Zwecken,</div> - <div class="verse">das ist die Taktik der Gaukler und Gecken;</div> - <div class="verse">ein einzig Fünkchen neue Tugend wecken</div> - <div class="verse">frommt mehr, als tausend alte Sünder töten.</div> - <div class="verse">Und bist du jetzt noch mein mit Hab und Gut,</div> - <div class="verse">dann, Fünkchen, sieh: hell lacht die Glut!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Flammen murmeln eine Wunder-Erzählung:</div> - <div class="verse">zwei Geister feiern ihre Vermählung.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">17.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie staunen ins Land: es atmet Glanz ohne Ende.</div> - <div class="verse">Mittagsnebel wandern und weiten alle Grenzen;</div> - <div class="verse">aus jedem der tausend Schleier scheint die Sonne zu glänzen.</div> - <div class="verse">Und der Mann berührt des Weibes gefaltete Hände:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Also morgen geh ich uns mein Töchterchen holen.</div> - <div class="verse">Du wirst dich wundern, Lea — vielleicht auch nicht:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[S. 258]</a></span> - <div class="verse">sie wird dein Ebenbild — Gang, Haltung, Gesicht —</div> - <div class="verse">nur daß sie blond ist wie ein Goldfuchsfohlen.</div> - <div class="verse">Ja, Meine, du hast mir schon im Geist geschlafen,</div> - <div class="verse">bevor sich unsre wachen beiden Körper trafen;</div> - <div class="verse">und nun begreifst du wohl mein Mannesbangen.</div> - <div class="verse">Der Geist, der Alles antreibt, in Eins zu gehören,</div> - <div class="verse">der strebt das Einzelgeschöpf zu zerstören;</div> - <div class="verse">denk, wie wir todeslüstern am Meer uns umschlangen!</div> - <div class="verse">Da jauchzten wir den irresten Lebenstrieben;</div> - <div class="verse">da hätte die Liebesgier uns aufgerieben,</div> - <div class="verse">hätt ich nicht Botschaft von der Toten empfangen.</div> - <div class="verse">Jetzt seh ich dort die Nebelgeister walten</div> - <div class="verse">und freu mich unsrer festeren Gestalten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wogt; und blaß, wie ferne Inseln, erscheinen</div> - <div class="verse">die Wälder durch die leuchtend wehenden Falten.</div> - <div class="verse">Das Weib legt schwer die Hände in die seinen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So laß uns denn den Leib recht heilig halten;</div> - <div class="verse">die Seele weiß sich schon allein zu frommen.</div> - <div class="verse">Mir ahnt ohnehin, uns wird von deinen alten</div> - <div class="verse">Geistesfreunden noch Unheil kommen.</div> - <div class="verse">Nimms nicht für Furcht! O, umso stolzer bin ich,</div> - <div class="verse">daß du nicht loskonntest von mir.</div> - <div class="verse">Und umso demutwilliger weiß ich innig,</div> - <div class="verse">daß ich nicht lassen kann von Dir.</div> - <div class="verse">Und so, leibhaftig, ist dein Kind auch mein;</div> - <div class="verse">ich will ihm eine Mutter sein,</div> - <div class="verse">als hätt’s in meinem Schooß geruht,</div> - <div class="verse">es ist ja Blut von Deinem Blut.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und blaß und blasser wehn die Nebel ins Leere.</div> - <div class="verse">Zwei Seelen segnen ihre Erdenschwere.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[S. 259]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">18.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch funkeln Sterne wie von je.</div> - <div class="verse">Der Nachtwind irrt ums Haus mit Sehnsuchtsrufen</div> - <div class="verse">und rüttelt an den morschgewordenen Stufen;</div> - <div class="verse">die Pappeln brausen wie die See.</div> - <div class="verse">Ergriffen lauscht das Weib den hohen Bäumen,</div> - <div class="verse">ein Mädchenseelchen ruht vor ihr in Träumen;</div> - <div class="verse">sie dämpft besorgt das Lampenlicht.</div> - <div class="verse">Sie tritt ans Fenster zu dem Mann. Sie spricht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lieber! wir müssen nun wohl streben,</div> - <div class="verse">dem kommenden Geschlecht zu leben.</div> - <div class="verse">Wenn meine schwere Stunde naht,</div> - <div class="verse">dann ist kein Raum hier. Noch kann ich reisen,</div> - <div class="verse">und — gelt? uns wird auf jedem Pfad</div> - <div class="verse">das Wunder der Ehe sich neu erweisen,</div> - <div class="verse">beim alleroffenherzigsten Treiben</div> - <div class="verse">uns doch ein reizend Geheimnis zu bleiben —</div> - <div class="verse">und drum: frei heraus, Lux: ich möcht, wir fahren</div> - <div class="verse">nach den Inseln, wo wir <em class="gesperrt">selig</em> waren!</div> - <div class="verse">Da kann keine fremde Hand uns hindern,</div> - <div class="verse">ein Paradies zu bauen mit unsern Kindern.</div> - <div class="verse">Und deine alten Eltern, so sehr sie jetzt grollen,</div> - <div class="verse">ich glaube, dann werden sie mitbauen wollen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Sterne funkeln wie von je.</div> - <div class="verse">Der Nachtwind rauscht ums Haus wie Wogenrollen.</div> - <div class="verse">Der Mann blickt lächelnd auf die dunkle Chaussee:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wenn die alten Eltern nun niemals wollen?</div> - <div class="verse">kannst du die Welt zu Deinem Glück bekehren?</div> - <div class="verse">Willst du den kommenden Geschlechtern lehren,</div> - <div class="verse">man brauche Inseln, um selig zu sein?</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[S. 260]</a></span> - <div class="verse">Ja, komm, wir reisen! hoch steht dein Schloß am Rhein!</div> - <div class="verse">Da rauscht das Leben rings kreuz und quer,</div> - <div class="verse">an dem alles Menschenstreben sich mißt!</div> - <div class="verse">Wer in der weiten Welt nicht selig ist,</div> - <div class="verse">der wirds auf einer Insel nimmermehr.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und horch: da dehnt ein Hauch den engen Raum —</div> - <div class="verse">zwei Menschen sehn: ein Kind lächelt im Traum.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">19.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es glänzt ein Strom im Tal; Rebhügel steigen</div> - <div class="verse">von kleinen Städten zu Berg und Burg empor.</div> - <div class="verse">Herbstfeierlich in letzter Prunksucht umzweigen</div> - <div class="verse">die Wälder sie mit hundertfarbigem Flor.</div> - <div class="verse">Am Schloßteich spielt ein Mädchen im Sonnenschein</div> - <div class="verse">und schmückt sich mit den sterbebunten Blättern;</div> - <div class="verse">ihr goldrot Haar huscht durch den alten Hain —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Husch — lacht der Mann — gleich wird’s ein Eichkätzchen sein</div> - <div class="verse">und über uns im Efeu klettern.</div> - <div class="verse">Und der Himmel, schau, wie hochzeitsblau!</div> - <div class="verse">ich möcht am liebsten, wir gingen beide</div> - <div class="verse">in edlem Sammet und lautrer Seide,</div> - <div class="verse">wie deine Ahnen einst hier schritten.</div> - <div class="verse">Wir dürftens wagen, aus diesem Freiherrnbau</div> - <div class="verse">die Toten alle heraufzubitten</div> - <div class="verse">zur Feier der Freiheit, die Unsern Bund umschwebt:</div> - <div class="verse">Vivat, ihr Herrn! wie schwarz das Grab auch nachtet,</div> - <div class="verse">Erinnrung schimmert, und wer’s recht betrachtet,</div> - <div class="verse">der hat das Leben hundertmal gelebt;</div> - <div class="verse">hier soll der Odem eines Glückes wehn,</div> - <div class="verse">das Macht hat, tausend Tode zu bestehn!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[S. 261]</a></span> - <div class="verse">Das Weib lächelt; sie hat das Wappen besehn,</div> - <div class="verse">das unterm Efeu nistet überm Tor.</div> - <div class="verse">Sie weist empor:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schau dort: da lugt dasselbe Glück hervor:</div> - <div class="verse">für diesen Sternschild hat manch Herz gelodert,</div> - <div class="verse">das einst die Welt zu stürmen sich verschwor,</div> - <div class="verse">und das jetzt unter unsern Füßen modert.</div> - <div class="verse">O Lux, hier rührt mich jeder Strauch und Baum,</div> - <div class="verse">und jeder raunt mir doch: die Welt ist Traum.</div> - <div class="verse">Nur Du, du bist wie ich so wirklich mir;</div> - <div class="verse">du lebst, du leibst, du liebst mit mir.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da raschelt’s. Blätter flattern; durchs Buschwerk schlüpft</div> - <div class="verse">das Kind, den Lockenkopf umrankt mit Reben.</div> - <div class="verse">Bin ich nicht schön?! jubelt’s und hüpft es.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen öffnen beide Arme dem Leben.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">20.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Kerzen schimmern; und still ins Schlafgemach</div> - <div class="verse">dürfen die Träume Ewigen Lebens treten.</div> - <div class="verse">Rings im gebräunten Schnitzwerk beten</div> - <div class="verse">Engel aus Erz und hüten immerwach</div> - <div class="verse">die Sterne auf den silberblauen Tapeten.</div> - <div class="verse">Die hohen Spiegel stehn gleich Lichtportalen,</div> - <div class="verse">aus denen, in verklärte Schatten getaucht,</div> - <div class="verse">die Leiber zweier seliger Geister strahlen —</div> - <div class="verse">das Weib haucht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Bin ich nicht schön? O wie das liebreizend klang,</div> - <div class="verse">als unser Eichkätzchen so vor uns sprang;</div> - <div class="verse">ich sah uns nackt vor Gott in Wonne stehn —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[S. 262]</a></span> - <div class="verse">wie jetzt. O Meiner! Uns hat mit Urgewalt</div> - <div class="verse">das Meer getraut! Und diese Muttergestalt,</div> - <div class="verse">nicht wahr, du kannst sie fromm beschauen</div> - <div class="verse">wie Meister Dürers benedeiete Frauen,</div> - <div class="verse">und sie darf jubeln: in Himmelshöhn</div> - <div class="verse">brennt keine Scham mehr! — sag: Bin ich noch schön? —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Schatten beben; die Kerzenflammen wehn.</div> - <div class="verse">Es flimmern Menschensterne rings im Blauen.</div> - <div class="verse">Des Mannes Blick scheint über weite Auen</div> - <div class="verse">hinzugehn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Als du auf wildem Meer mit mir</div> - <div class="verse">wogtest im Boot, sahst weg von mir,</div> - <div class="verse">sahst unter uns das Grab hinschwanken</div> - <div class="verse">und über uns den grauen Himmel wanken</div> - <div class="verse">und bebtest nicht — da warst du schön.</div> - <div class="verse">Jetzt aber, hier, vor diesem klaren Spiegel,</div> - <div class="verse">wo jeder deiner Makel mir ein Siegel</div> - <div class="verse">auf meine eignen Häßlichkeiten drückt,</div> - <div class="verse">und siehst mich an und fühlst nun, wie wir rangen,</div> - <div class="verse">bis wir das wüste Element bezwangen,</div> - <div class="verse">und bebst beglückt —</div> - <div class="verse">o Du, jetzt sind wir mehr als schön!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es schimmern Erzengel aus Lichtportalen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen strahlen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">21.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Kerzen wehn noch in den hellen Tag;</div> - <div class="verse">entzückte Lippen glühn, verschämte Wangen.</div> - <div class="verse">Geburtstagsblumensträuße prangen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[S. 263]</a></span> - <div class="verse">Das Kind hat seinen Glückwunsch aufgesagt;</div> - <div class="verse">nun darf’s mit Gärtnersmann und Magd</div> - <div class="verse">und mit dem riesigen Rosinenkuchen</div> - <div class="verse">wohlgemut das Weite suchen.</div> - <div class="verse">Und während draußen Tanz und Trubel lacht,</div> - <div class="verse">nimmt zart der Mann des Weibes Blick gefangen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Komm, Seele — weißt du noch? heut jährt sichs grad,</div> - <div class="verse">als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat</div> - <div class="verse">und deinen Blick empfing, der Ketten sprengte.</div> - <div class="verse">Und nun, in diesem freien Turmgemach,</div> - <div class="verse">an diesem lichterloh gekrönten Tag,</div> - <div class="verse">der dir und mir dein Leben schenkte,</div> - <div class="verse">der jedes Wort belebt zum Dankausruf,</div> - <div class="verse">daß uns die Welt zu denkenden Wesen schuf,</div> - <div class="verse">daß wir uns nicht mehr dumpf im Urnebel drehn,</div> - <div class="verse">daß wir zu weinen und zu lachen verstehn,</div> - <div class="verse">nicht mehr in Sümpfen uns ungetümlich plagend,</div> - <div class="verse">nicht mehr wie Brüllaffen mondsüchtig klagend,</div> - <div class="verse">auch nicht mehr wie solch Kindlein handelnd,</div> - <div class="verse">das sich, von jeder Laune betört,</div> - <div class="verse">sein eignes Himmelreich verstört —</div> - <div class="verse">wir, Adam und Eva, gen Eden wandelnd —</div> - <div class="verse">Komm —: Siehst du dort den Schieferberg im Tann?</div> - <div class="verse">da ließ dein Ururahn sechs Knechte henken!</div> - <div class="verse">Willst du mir diesen kahlen Berg heut schenken,</div> - <div class="verse">der hundert freie Menschen nähren kann,</div> - <div class="verse">wenn wir sie mitmenschlich zum Werk anlenken?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie blickt den Berg, sie blickt den Himmel an:</div> - <div class="verse">er scheint sich auf ein Zukunftsland zu senken.</div> - <div class="verse">Sie blickt zu Tal, wie übermannt vom Denken —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">sie lacht: hab Dank, mein Herr und Lehensmann!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[S. 264]</a></span> - <div class="verse">Und talher prangt voll Sonnengold der Fluß.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen tauschen einen Festtagskuß.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">22.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und eine Mondverfinsterung beginnt;</div> - <div class="verse">den blanken Ball beschleicht ein scharfer Schatten.</div> - <div class="verse">Der Schatten schwillt und macht mit seinem matten</div> - <div class="verse">Erdschwarz den Himmelskörper blind.</div> - <div class="verse">Der kahle Burghain steht um Turm und Erker</div> - <div class="verse">wie ein Gespensterschwarm um einen Kerker.</div> - <div class="verse">Das Weib sinnt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es hat eine Seele sich befreit:</div> - <div class="verse">sie band sich selber die Hände.</div> - <div class="verse">Da kam die Ruhe: Nun bist du gefeit.</div> - <div class="verse">Ich halt dich umfangen wie Raum und Zeit:</div> - <div class="verse">unser Band hat nicht Anfang noch Ende.</div> - <div class="verse">Nun seh ich ohne Sehnen und Bangen</div> - <div class="verse">um unsre Sterne das ewige Dunkel hangen;</div> - <div class="verse">wir wissen ungeblendet heimzufinden.</div> - <div class="verse">Und selbst der Mond, der alte Bösewicht</div> - <div class="verse">mit seinem unheimlich geborgten Licht,</div> - <div class="verse">kann uns das Sonnenband nicht mehr entwinden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Im Mond der Schatten schwillt und schwillt;</div> - <div class="verse">im dunkeln Weltraum blinkt immer befreiter</div> - <div class="verse">das Licht, das von den Sternen quillt.</div> - <div class="verse">Der Mann sinnt weiter:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und man erkennt: Verbindlichkeit ist Leben,</div> - <div class="verse">und Jeder lebt so innig, wie er liebt:</div> - <div class="verse">die Seele will, was sie erfüllt, hingeben,</div> - <div class="verse">damit die Welt ihr neue Fülle giebt.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[S. 265]</a></span> - <div class="verse">Dann wirst du Gott im menschlichen Gewühle</div> - <div class="verse">und sagst zu mir, der dich umfangen hält:</div> - <div class="verse">du bist mir nur ein Stück der Welt,</div> - <div class="verse">der ich mich ganz verbunden fühle.</div> - <div class="verse">Bei Tag, bei Nacht umschlingt uns wie ein Schatten</div> - <div class="verse">im kleinsten Kreis die große Pflicht:</div> - <div class="verse">wir alle leben von geborgtem Licht</div> - <div class="verse">und müssen diese Schuld zurückerstatten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Im Mond der Schatten schickt sich an zu weichen;</div> - <div class="verse">zwei Menschen sehn den Himmel voller Zeichen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">23.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und immer kühner greift der Morgenwind</div> - <div class="verse">durch Wolken in die nebelvollen Täler;</div> - <div class="verse">die Wolken flüchten immer schneller,</div> - <div class="verse">die Nebel eilen stromgeschwind.</div> - <div class="verse">Von Berg zu Berg wehn breite Sonnensträhnen.</div> - <div class="verse">Der Mann steht auf von Rechnungen und Plänen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sieh, jetzt im Zwielicht kannst du deutlich sehn,</div> - <div class="verse">wie mächtig unser Zukunftsland sich streckt;</div> - <div class="verse">wenn wir im Frühjahr an den Schachtbau gehn,</div> - <div class="verse">ist schon zum Herbst das Lager aufgedeckt.</div> - <div class="verse">Dann soll mein Grubenvölkchen bald verstehn,</div> - <div class="verse">daß freies Land noch freiere Leute heckt,</div> - <div class="verse">auch <em class="gesperrt">ohne</em> die soziale Republik;</div> - <div class="verse">und unsern Kindern wird ein Licht aufgehn,</div> - <div class="verse">wozu sich da vom Schornstein der Fabrik</div> - <div class="verse">die Rauchfahne der Arbeit reckt,</div> - <div class="verse">wenn hier zum Turm her Sonntags längs des Flusses</div> - <div class="verse">von Hütte zu Hütte auf allen Höhn</div> - <div class="verse">die bunten Wimpel des Genusses</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[S. 266]</a></span> - <div class="verse">um dein Sternenbanner wehn.</div> - <div class="verse">Gelt, das wird schön? und mehr als schön!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er legt beide Fäuste auf seine Pläne.</div> - <div class="verse">Die Nebel eilen stromgeschwind.</div> - <div class="verse">Die Sonne streift mit ihrer Strahlenmähne</div> - <div class="verse">die kleinen Städte unten, Schiffe, Kähne.</div> - <div class="verse">Mit strahlt das Weib, hell lacht der Wind:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wird! Wo kreisend die Sterne sich rühren,</div> - <div class="verse">da greift jeder Bannkreis in andre ein!</div> - <div class="verse">Und wenns statt Hundert nur ein Dutzend spüren,</div> - <div class="verse">dann wird das Dutzend unermeßlich sein!</div> - <div class="verse">Und mitgebannt mit dir in alle Sphären,</div> - <div class="verse">o Mann, ich helf dir Freiheit gebären!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie lehnt sich an ihn muttergroß.</div> - <div class="verse">Die Berge schwellen im Morgenduft.</div> - <div class="verse">Es ragt sein Haupt, es wogt ihr Schooß.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen schaun wie Götter in die Luft.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">24.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch erdschwer stockt die weiche Luft und läßt</div> - <div class="verse">noch manch verblichnes Blatt zu Boden schauern;</div> - <div class="verse">der alte Hain steht bis ins Mark durchnäßt,</div> - <div class="verse">der Nebel trieft vom Moos der Mauern.</div> - <div class="verse">Das Weib, die Hände unters Herz gepreßt,</div> - <div class="verse">unterdrückt ein fröstelnd Trauern:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du meinst, du hast mehr Willen als ein Baum?</div> - <div class="verse">Und lernte nun dein eigen Kind uns hassen</div> - <div class="verse">mit unserm herrischen Freiheitstraum?</div> - <div class="verse">Lux — unser Eichkätzchen — dir zeigt sie’s kaum —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[S. 267]</a></span> - <div class="verse">weiß sich vor Heimweh nicht mehr zu lassen!</div> - <div class="verse">Ich hätt’s im zehnten Jahr <em class="gesperrt">auch</em> schlecht ertragen,</div> - <div class="verse">so jählings in ein ander Land verschlagen;</div> - <div class="verse">wir aber können allerorten bestehn.</div> - <div class="verse">Du kannst jedwedem Erdfleck Zukunft spenden;</div> - <div class="verse">und halt ich erst mein Mutterglück in Händen,</div> - <div class="verse">dann laß uns heim in Deine Heimat gehn!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie sieht, er nickt — schwer, ohne aufzusehn;</div> - <div class="verse">er streicht den grauen Fleck in seinen Haaren —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meinst du, mir sei dies Leid nie widerfahren?</div> - <div class="verse">Bei deinen Worten hört ich fern am Rhin</div> - <div class="verse">die Schnitter ihre Sensen dengeln</div> - <div class="verse">und sah zum Hammerschlag gleich Engeln</div> - <div class="verse">die Nebel durch die Haide ziehn.</div> - <div class="verse">Ich lief vor Heimweh noch mit fünfzehn Jahren</div> - <div class="verse">fünf Meilen weit in einer Nacht nach Haus.</div> - <div class="verse">Da, Morgens, trat mein Vater zur Tür heraus:</div> - <div class="verse">Du?? Marsch, zurück! — Und da: ich habs halt müssen:</div> - <div class="verse">da lernt ich zähneknirschend mit wunden Füßen</div> - <div class="verse">in jedem Straßenbaum die Heimat grüßen;</div> - <div class="verse">und so — so muß auch <em class="gesperrt">mein</em> Kind durch die Welt!</div> - <div class="verse">Ihr kleiner Wille möge sich nur bäumen;</div> - <div class="verse">dann wird sie einst wie Wir so herrisch träumen,</div> - <div class="verse">so frei von Weiberlaunen — gelt?!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er sieht, sie nickt — sie atmet auf im stillen.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen baun auf ihren Willen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">25.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und rauher wetterts über die Berge herab.</div> - <div class="verse">Die hohen Tannen fangen den Wind und juchen;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[S. 268]</a></span> - <div class="verse">aus den Taltiefen langen die kahlen Buchen,</div> - <div class="verse">als ob sie oben Kräfte zu schöpfen suchen,</div> - <div class="verse">so sehnig schlank. Der Mann weist hinab:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da sieh, wie’s wächst, wo Leidenschaften sich drängen!</div> - <div class="verse">Hier reckt sich jeder Baum mit kühnerer Kraft;</div> - <div class="verse">wie riesige Schlangen, die sich im Kampf hochzwängen.</div> - <div class="verse">O, ich erfuhr’s, wie man nach Raum ringt im Engen,</div> - <div class="verse">immer bestärkter vom Leid der Leidenschaft!</div> - <div class="verse">Wer’s aber zu ersticken versucht,</div> - <div class="verse">dies tierisch Trübe, göttlich Klare,</div> - <div class="verse">von Lust und Liebe Unlösbare,</div> - <div class="verse">der ist von Anfang an verflucht:</div> - <div class="verse">verdammt zur Ohnmacht: verrückt, verrucht,</div> - <div class="verse">wird er an jedem Glück zum Diebe,</div> - <div class="verse">zu schwach zum Haß selbst — aus Liebe zur Liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er rührt das Weib an, weiter zu schreiten.</div> - <div class="verse">Sie steht wie wehrend; und sonderbar</div> - <div class="verse">bäumt sich im Wind ihr schwarz schlängelnd Haar.</div> - <div class="verse">Sie glättet’s. Ihr Blick flammt wie vor Zeiten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wem sagst du das? Kam mir je ein Leid,</div> - <div class="verse">das ich nicht hinnahm mit rüstigen Händen?!</div> - <div class="verse">Wußt ich nicht jedes in Lust zu wenden,</div> - <div class="verse">seit wir einander eingeweiht:</div> - <div class="verse">derselbe Geist eint und entzweit —</div> - <div class="verse">ich seh ihn walten nun aller Enden.</div> - <div class="verse">Ich sehe im Geist sogar die Zeit,</div> - <div class="verse">da wird sich Menschenwitz getrauen,</div> - <div class="verse">die Erde aus ihrer Axe zu biegen</div> - <div class="verse">und anders um die Sonne zu fliegen —</div> - <div class="verse">ich sehe das Eis der Pole tauen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[S. 269]</a></span> - <div class="verse">der Blitz wird uns auf Wolken wiegen —</div> - <div class="verse">doch bis in alle Ewigkeit</div> - <div class="verse">wird Haß und Liebe alldem obsiegen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen schüttelt ein Wonnegrauen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">26.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch ruhig geht der Schein der Sonne unter.</div> - <div class="verse">Durchs Rebgelände kriecht der Abendrauch</div> - <div class="verse">der kleinen Talstadt und der Moderhauch</div> - <div class="verse">des welken Laubes wie verzagt.</div> - <div class="verse">Ein Baum wirft sacht ein letztes Blatt herunter.</div> - <div class="verse">Das Weib fragt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch die dort unten? sind sie je zu belehren,</div> - <div class="verse">daß ihnen unser herrischer Wandel dient?</div> - <div class="verse">Einst ritt der Held gepanzert und geschient;</div> - <div class="verse">heut muß sich Jeder wie ein Handelsjud wehren.</div> - <div class="verse">Ich will an deinem menschlichen Zukunftsglauben</div> - <div class="verse">nicht mit Zweifelsfingern klauben,</div> - <div class="verse">aber gläubiger hüt ich unser göttlich Glück.</div> - <div class="verse">Die Welt befeindet’s. Denk dich zurück:</div> - <div class="verse">dein nächster Freund, wie hat er’s uns erschwert!</div> - <div class="verse">Scheint er dir jetzt nicht hassenswert?</div> -<br /> - <div class="verse">Ihre Stirn treibt Schatten in die Flucht;</div> - <div class="verse">in ihrem dunklen Blick zuckt erwachend</div> - <div class="verse">ein Irrlicht alter Eifersucht.</div> - <div class="verse">Der Mann sagt lachend:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er ist mir doch zu gottvoll zum Hasse:</div> - <div class="verse">ein so urdeutscher Menschheitstyrann,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[S. 270]</a></span> - <div class="verse">daß nur der Vollblutjude Liebermann</div> - <div class="verse">ihn malen könnte: so schön voll Rasse.</div> - <div class="verse">Was sind denn hassenswerte Kreaturen?</div> - <div class="verse">Vorwand für unser eigen häßlich Wesen!</div> - <div class="verse">Der Deutsche reißt am Zopf des Chinesen,</div> - <div class="verse">den Britten wurmt der Eigennutz des Buren.</div> - <div class="verse">Du fühlst, wir leben widersittig —</div> - <div class="verse">doch laß uns drum den Gott nicht schmähen,</div> - <div class="verse">mit dem die Sittsamen sich blähen;</div> - <div class="verse">uns treibt er zum Aufschwung mit seinem Fittig.</div> - <div class="verse">Wir haben durch ihn den Weg zur Liebe gefunden!</div> - <div class="verse">Ich hasse nur in meinen schwachen Stunden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da glänzt ihre Stirn auf wie die Abendflur.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen schweben über ihrer Natur.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">27.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und an fernen Dächern und Kirchen hin wie an Särgen</div> - <div class="verse">fliegt der Morgen mit phönixgoldnem Schweif.</div> - <div class="verse">Die Nebel lösen sich von den kalten Bergen</div> - <div class="verse">und schmücken die Tannen mit reinstem Reif.</div> - <div class="verse">Und im Geist aufgehend in den verklärten Landen,</div> - <div class="verse">sagt der Mann dem Weib, als sei aller Kampf überstanden:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sieh, Seele: so werd ichs immer wieder spüren,</div> - <div class="verse">und bin ich noch so menschenmüd, Du:</div> - <div class="verse">nur dein Blick braucht sonnig mich anzurühren,</div> - <div class="verse">dann fliegen mir Gotteskräfte zu.</div> - <div class="verse">Nicht so wie damals, als wir uns noch</div> - <div class="verse">hochtrabende Götternamen gaben —</div> - <div class="verse">die hab ich mit der Toten begraben;</div> - <div class="verse">jetzt tragen wir willig das Menschenlebensjoch.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[S. 271]</a></span> - <div class="verse">Jetzt weiß unser Wille erst recht die Flügel zu breiten,</div> - <div class="verse">jeden Augenblick kann er hinaus über Räume und Zeiten;</div> - <div class="verse">denn selig Seel in Seele ergeben</div> - <div class="verse">begreifen wir das Ewige Leben,</div> - <div class="verse">das Leben ohne Maß und Ziel,</div> - <div class="verse">selbst Haß wird Liebe, selbst Liebe wird Spiel.</div> - <div class="verse">Dann ist der Geist von jedem Zweck genesen,</div> - <div class="verse">dann weiß er unverwirrt um seine Triebe,</div> - <div class="verse">dann offenbart sich ihm das weise Wesen</div> - <div class="verse">jedweder Torheit — durch die Liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er sucht ihren Blick; er will ihr Dunkelstes lesen.</div> - <div class="verse">Sie steht, als höre sie ferne Glocken klingen.</div> - <div class="verse">Sie spricht, als sei sie in der Zukunft gewesen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann wird uns Segen aus jedem Werk entspringen.</div> - <div class="verse">Dann lebst du nicht mehr mit dem Leben in Streit.</div> - <div class="verse">Dann kann uns ganz die Lust der Allmacht durchdringen.</div> - <div class="verse">Nicht Mann, nicht Weib mehr wird um die Obmacht ringen.</div> - <div class="verse">Klar über aller Menschenfreundlichkeit</div> - <div class="verse">steht Mensch vor Mensch in Menschenfreudigkeit!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie öffnet die Arme, als will sie die Welt umschlingen.</div> - <div class="verse">Fern flammt der Himmel in goldner Herrlichkeit.</div> - <div class="verse">Mit flammt ein Seelenpaar auf Geistesschwingen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">28.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch weit und hoch und funkelnd spannt die Nacht</div> - <div class="verse">ihr Grauen aus um Turm und Hain und Garten.</div> - <div class="verse">Im Tal bezeugt ein Lichtlein ihre Macht.</div> - <div class="verse">Die Stadt schläft, von den Sternen bewacht.</div> - <div class="verse">Und über die Wipfel deutend, die frosterstarrten,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[S. 272]</a></span> <div class="verse">fragt das Weib mit Vorbedacht:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch wenn nach unsern göttlichen Augenblicken</div> - <div class="verse">die menschlichen Stunden das Herz beschleichen?</div> - <div class="verse">können wir uns wie diese Eichen</div> - <div class="verse">mit sichern Wurzeln in jedes Schicksal schicken?</div> - <div class="verse">Das Kind kanns noch — da sprachst du wahr;</div> - <div class="verse">sie denkt schon dran, hier Spielgefährten zu finden.</div> - <div class="verse">Sie kann ihr Herz noch frei an Alles binden;</div> - <div class="verse">selbst ihren Büchern bringt sie’s dar.</div> - <div class="verse">Wir aber, die wir nicht mehr einsam sind</div> - <div class="verse">und doch den Zwiespalt dieser Welt empfinden,</div> - <div class="verse">dürfen wir träumen wie ein Kind?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Licht im Tal erzittert; sie sehn’s verschwinden.</div> - <div class="verse">Des Mannes Lächeln wird seltsam wild.</div> - <div class="verse">Es ist ein Lächeln, das allem Schicksal gilt.</div> - <div class="verse">Sein Blick erhebt sich in die nächtigen Fernen,</div> - <div class="verse">als lese er die Antwort aus den Sternen,</div> - <div class="verse">seltsam mild:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es ist in uns ein <em class="gesperrt">Ewig</em> Einsames —</div> - <div class="verse">es ist Das, was uns Alle eint.</div> - <div class="verse">Es tut sich kund als Urgemeinsames,</div> - <div class="verse">je eigner es die Seele meint.</div> - <div class="verse">Sie wurzelt rings im grenzenlos Alleinen;</div> - <div class="verse">sie liebt es, sich im Weltspiel zu entzwein,</div> - <div class="verse">um immer wieder selig sich zu einen</div> - <div class="verse">durch Zwei, die grenzenlos allein.</div> - <div class="verse">So lebt die Liebe; das ist kein Traum.</div> - <div class="verse">So, Herz, erlebst du’s mit am dürrsten Baum,</div> - <div class="verse">was ihm wie dir wohl oder wehe tut;</div> - <div class="verse">nur leiser, ferner, nicht so nah dem Blut.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen lächeln über Zeit und Raum.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[S. 273]</a></span></p> - -<p class="center mtop2">29.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und der Wald schweigt wie von Andacht gepackt;</div> - <div class="verse">der erste Schnee liegt tief und schwer.</div> - <div class="verse">Aus Höfen und Scheunen vom Talgrund her</div> - <div class="verse">tönt gedämpft der Dreschertakt.</div> - <div class="verse">Fern, groß, im weißen Sonnenglast,</div> - <div class="verse">steht eine Bäurin und worfelt Korn;</div> - <div class="verse">zuweilen blitzt ihr Sieb auf wie voll Zorn,</div> - <div class="verse">dann flattern Spatzen. Der Mann macht Rast:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dieses Schauspiel ergreift mich immer,</div> - <div class="verse">als sei’s der Mutter Menschheit Bild.</div> - <div class="verse">Da steht das riesige Frauenzimmer,</div> - <div class="verse">ihre Worfel schüttelnd, wild, schaffenswild,</div> - <div class="verse">die Körner hütend mit harten Tatzen,</div> - <div class="verse">vor Eifer glühend, vor Freude rot:</div> - <div class="verse">tanzt auch manch leichtes zu den Spatzen,</div> - <div class="verse">die schweren geben Menschenbrot.</div> - <div class="verse">Und jetzt auf einmal fühl ich’s mit Beben:</div> - <div class="verse">deines Schooßes Frucht ist der Allmacht vonnöten!</div> - <div class="verse">Und käme auch dieses Kind blind ins Leben</div> - <div class="verse">und du hast nicht wieder die Kraft, es zu töten,</div> - <div class="verse">dann will ich glauben, du hast die höhere Kraft,</div> - <div class="verse">die Licht aus tiefstem Dunkel schafft.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er will sie küssen — ihm stockt das Herz:</div> - <div class="verse">sie steht wie weit hinweggetragen.</div> - <div class="verse">Ihrem Blick entquillt ein Licht in sein Herz:</div> - <div class="verse">das stillt alle Wonne, allen Schmerz:</div> - <div class="verse">ein Licht goldner Ruhe — er hört sie sagen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Bei deinen Worten hat dein Kind</div> - <div class="verse">die Augen in mir aufgeschlagen —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[S. 274]</a></span> - <div class="verse">es wird nicht blind.</div> - <div class="verse">Es sah mich an wie aus tiefem Bronnen.</div> - <div class="verse">Seine Augen waren zwei blaue Sonnen.</div> - <div class="verse">Es wird wie Du durchs Leben gehen.</div> - <div class="verse">Ich hab’s gesehen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Traumhaft flüstert sie: Dein Kind und meins.</div> - <div class="verse">Traumhaft schauern zwei Herzen in eins.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">30.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach,</div> - <div class="verse">und leise summt die Glut in den Kaminen.</div> - <div class="verse">Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach;</div> - <div class="verse">breit vom Morgenglanz beschienen</div> - <div class="verse">sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder.</div> - <div class="verse">Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder.</div> - <div class="verse">Leise naht sie ihm in heller Freude,</div> - <div class="verse">weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lukas — mir war so fröhlich eben:</div> - <div class="verse">ich saß und dachte in dich hinein:</div> - <div class="verse">der Name, den wir unserm Kind bald geben,</div> - <div class="verse">soll auch der Name deines Bergwerks sein.</div> - <div class="verse">Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel</div> - <div class="verse">nimm all dein Schicksal als Kinderspiel!</div> - <div class="verse">Denn gelt: den reichen Seelen</div> - <div class="verse">darf das Glück <em class="gesperrt">nicht</em> fehlen,</div> - <div class="verse">das sie Andern zeigen als ein Ziel —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da blickt er auf — sie fühlt sich erbleichen:</div> - <div class="verse">seine Augen gleißen, Spott nistet drin.</div> - <div class="verse">Seine Hand weist auf einen Bauplan hin:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[S. 275]</a></span> - <div class="verse">da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen.</div> - <div class="verse">Die Chiffern wogen ihr wie ein Meer.</div> - <div class="verse">Rauh kommt seine Stimme zu ihr her:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, ein Spiel — nenn’s Schicksal, nenn’s Glück, Gott, Welt —</div> - <div class="verse">nur: lerne verlieren, willst du gewinnen!</div> - <div class="verse">Ich werde mein Werk hier nicht beginnen.</div> - <div class="verse">Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen;</div> - <div class="verse">was du ahntest, hat sich eingestellt.</div> - <div class="verse">Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen</div> - <div class="verse">gnädigen Wink „von oben“ verschafft:</div> - <div class="verse">binnen vier Wochen bin ich verhaftet</div> - <div class="verse">oder verbannt — auf amtsdeutsch: landesverwiesen.</div> - <div class="verse">Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn,</div> - <div class="verse">damit wir vor dem Gott in uns bestehn!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aus seinen Augen weicht aller Spott.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen beugen sich vor Gott.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">31.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es tanzt der Schnee; kalt flimmern die Flocken</div> - <div class="verse">wie Sterne im schwachen Sonnenschein.</div> - <div class="verse">Immer stiller starrt das Weib landein.</div> - <div class="verse">Aber wärmer immer, als will er sie feien,</div> - <div class="verse">streicht der Mann ihre schwarzen Locken:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wir haben einst als Menschen gefehlt,</div> - <div class="verse">nun kommt die Menschheit und will uns strafen.</div> - <div class="verse">Aber sieh: ihr Geist hat uns so beseelt,</div> - <div class="verse">daß wir wie Kinder, wenn Mutters Schläge trafen,</div> - <div class="verse">nur umso lieber an Mutters Herzen schlafen,</div> - <div class="verse">der eignen Unvollkommenheit entrückt,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[S. 276]</a></span> - <div class="verse">vom Glück aller Seelen mitbeglückt.</div> - <div class="verse">Und gleich den Flocken, die irrend vom Himmel tanzen</div> - <div class="verse">und findet doch jede ihr irdisch Ziel,</div> - <div class="verse">laß uns nun hingehn, als seis zum Spiel,</div> - <div class="verse">und in fremdes Land deutsche Edelsaat pflanzen.</div> - <div class="verse">Denn im blutigen Ernst deiner schweren Stunde</div> - <div class="verse">— o, ich fühls, ich sehs: dann liegst du allein —</div> - <div class="verse">aber eilend winkt dir jede Sekunde:</div> - <div class="verse">bald wirst du wieder bei mir sein,</div> - <div class="verse">wie unsre Kinder mit leichtem Schritt,</div> - <div class="verse">und bringst mir die Heimat in jede Ferne mit.</div> - <div class="verse">O schweig nicht länger — ja blick mich an:</div> - <div class="verse">sieh, hilfebittend steht hier ein Mann,</div> - <div class="verse">den keine Einsamkeit mehr quält,</div> - <div class="verse">langsam durch heißen Haß zur Liebe gestählt,</div> - <div class="verse">und dem nun heimlich die Heimwehwunde klafft —</div> - <div class="verse">o sage mir ein Wort voll tiefer Kraft!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und er sieht, er fühlt: er muß niederknien —</div> - <div class="verse">und ein Blick, eine Stimme, so unermessen</div> - <div class="verse">wie rings die Stille, kommt über ihn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hast du das Machtwort „Wir Welt“ vergessen? —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es tanzt der Schnee, und die Flocken wehn</div> - <div class="verse">wie Saat des Lichts von Himmel zu Erden.</div> - <div class="verse">Keine Grenze mehr. Zwei Menschen sehn</div> - <div class="verse">ihr Vaterland unendlich werden.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">32.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch eine Nacht kommt, da drohn die Weiten;</div> - <div class="verse">da hat der Mond Macht. Grausig rein</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[S. 277]</a></span> - <div class="verse">erleuchtet sein erlauchtes Licht den Hain.</div> - <div class="verse">Und das Weib schluchzt auf, wild auf, wie vor Zeiten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich trag ein Kind — o Du, von Dir —</div> - <div class="verse">ich tu meine Schwachheit auf vor dir!</div> - <div class="verse">Du hast meine Seele von mir befreit,</div> - <div class="verse">nun kommt leerer als je die Einsamkeit!</div> - <div class="verse">Wenn du gehst, und ich taste nach einer Hand</div> - <div class="verse">in meiner jammervollen Stunde —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sie wirft sich an ihn mit stammelndem Munde,</div> - <div class="verse">und mit schmerzgekrümmten Fingern umspannt</div> - <div class="verse">seine lahme Rechte sie hart wie Stahl</div> - <div class="verse">und rafft sie auf aus ihrer Qual:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann laß mein Töchterchen bei dir stehn!</div> - <div class="verse">Dann wirst du stark sein! laß sie es sehn!</div> - <div class="verse">sehn, wie das Mutterwehe dich schüttelt!</div> - <div class="verse">daß sie’s mit heiligem Schrecken durchrüttelt!</div> - <div class="verse">daß sie bei Zeiten lernt, sich dem Leben</div> - <div class="verse">opferherrlich hinzugeben!</div> - <div class="verse">daß unsre Kinder einst einfach handeln,</div> - <div class="verse">wo wir noch voller Zwiespalt wandeln,</div> - <div class="verse">einfältig lieben oder hassen,</div> - <div class="verse">mit ganzem Willen die Welt umfassen,</div> - <div class="verse">sich heimisch fühlen selbst zwischen den Sternen</div> - <div class="verse">und mit jedem Feuer spielen lernen!</div> - <div class="verse">Und wehrt mir der Tod, euch wiederzusehn,</div> - <div class="verse">dann laß mich in dir verklärt auferstehn!</div> - <div class="verse">Und lebt dir ein Sohn, dann lehr ihn mit Lachen</div> - <div class="verse">aus jeder Not eine Tugend machen!</div> - <div class="verse">Und unsre Mädchen, die leite an:</div> - <div class="verse">das Recht der Frau ist der rechte Mann!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[S. 278]</a></span> - <div class="verse">Allen Beiden aber leg ins Herz</div> - <div class="verse">die Macht der Liebe über den Schmerz!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es leuchtet wie seines ihr Gesicht.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen sehn sich eins mit allem Licht.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">33.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und es sprießen wohl Sterne aus der Erde,</div> - <div class="verse">so strahlt der Schnee im Mittagsglanz,</div> - <div class="verse">so sind die Berge Ein Silberkranz.</div> - <div class="verse">Aber strahlender noch als all der Glanz</div> - <div class="verse">wird nun des Mannes Blick und Geberde:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nun schau und lausche, ganz wie wir sind,</div> - <div class="verse">ganz Geist in Leib, nicht trunken blind,</div> - <div class="verse">klar aufgetan bis ins Unendliche,</div> - <div class="verse">Unüberwindliche, Unabwendliche,</div> - <div class="verse">bis wir im Schooß alles Daseins sind:</div> - <div class="verse">und du wirst sehn, Herz, daß die Erde</div> - <div class="verse">noch immer mitten im Himmel liegt,</div> - <div class="verse">und daß Ein Blick von Stern zu Stern genügt,</div> - <div class="verse">damit dein Geist zum Weltgeist werde.</div> - <div class="verse">Es ist ihm eingefügt jeder Leib,</div> - <div class="verse">vom kleinsten Stäubchen bis zum herrlichsten Sterne,</div> - <div class="verse">verknüpft noch in verlorenster Ferne,</div> - <div class="verse">Weltkörper alle, auch wir, mein Weib!</div> - <div class="verse">Und so, schon jetzt durchkreist vom Schwung</div> - <div class="verse">der einst im Tod uns ureins wirrenden Triebe,</div> - <div class="verse">aus innerster Erinnerung</div> - <div class="verse">im Leben eins durch wissende Liebe,</div> - <div class="verse">sieh mich nun stehn in ferner Nacht, allein,</div> - <div class="verse">vom Anschaun der Gestirne so durchglutet,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[S. 279]</a></span> - <div class="verse">wie wenn die Wonnewelle zwischen uns flutet:</div> - <div class="verse">in diesem Anschaun bin ich Ewig Dein</div> - <div class="verse">und kann dir treuer als je mir selber sein.</div> - <div class="verse">Ja, neige dich her — o Mein — o wunderbar:</div> - <div class="verse">nun schmückt auch Dich ein erstes graues Haar —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er schlingt es los aus ihrer Lockennacht;</div> - <div class="verse">ihm scheint kein Schnee so zart und rein</div> - <div class="verse">wie dieses Silberfadens Schein —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie nickt und flüstert wie erwacht:</div> - <div class="verse">es ist bis in die Seele Gottes Dein — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Sterne sprießen, soweit die Sonne scheint.</div> - <div class="verse">Zwei Seelen wissen, was sie eint.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">34.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch die Stunde des Scheidens naht und naht,</div> - <div class="verse">wie wenn die Zukunft eilender rollte.</div> - <div class="verse">Und sie gehn noch einmal den steinigen Pfad,</div> - <div class="verse">wo das Werk ihres Geistes wachsen sollte.</div> - <div class="verse">Und inmitten der kahlen, vereisten Flächen</div> - <div class="verse">muß das Weib einen alten Zweifel aussprechen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn ich spüre, wie’s wächst, mein Fleisch und Blut,</div> - <div class="verse">und still neuen Sinn ins Dasein tut,</div> - <div class="verse">als fasse der Mensch das Göttliche nur</div> - <div class="verse">kraft seiner tierischen Natur,</div> - <div class="verse">als hülle, was wir reden, nur Handlungen,</div> - <div class="verse">die wir im Grunde nicht verstehen,</div> - <div class="verse">und was wir lehren, nur Verwandlungen,</div> - <div class="verse">die währenddem mit uns geschehen —</div> - <div class="verse">dann frag ich mich: blickt nicht der blödeste Tor</div> - <div class="verse">gottvoller noch als wir zu Gott empor?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[S. 280]</a></span> - <div class="verse">Und schauernd sinnt sie nach: zu Gott —</div> - <div class="verse">Da sagt der Mann mit mildem Spott:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zu welchem? Zu dem biblischen Erdaufseher?</div> - <div class="verse">Ja, dem tats not, Weltweisheit zu verbieten;</div> - <div class="verse">die Hunde meines Vaters sind ihm näher</div> - <div class="verse">als alle Priester und Leviten.</div> - <div class="verse">Wir aber, wir Menschen der wachsenden Einsicht, kennen</div> - <div class="verse">ihn anders, den Gott in unsrer Brust,</div> - <div class="verse">dank jenem Geist allrühriger Liebeslust,</div> - <div class="verse">den ich nicht wage „Gott“ zu nennen.</div> - <div class="verse">Gott ist ein Geist, der klar zu Ende tut,</div> - <div class="verse">was er zu Anfang nicht gedacht hat —</div> - <div class="verse">dann sieht er Alles an, was Ihn gemacht hat,</div> - <div class="verse">und siehe da: es ist sehr gut! —</div> - <div class="verse">Und beugst du dann vor ihm das Knie</div> - <div class="verse">und weihst ihm willig deinen Menschenschmerz;</div> - <div class="verse">dann spricht der heilige Geist des Fleisches: sieh,</div> - <div class="verse">so spielt Gott mit sich selbst, o Herz!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und kindlich lächelnd, göttlich klar,</div> - <div class="verse">schweigt Herz an Herz ein Geisterpaar.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">35.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Seel in Seele neu begnadet</div> - <div class="verse">umschreiten sie die alte Ahnengruft.</div> - <div class="verse">In den verschneiten Wäldern badet</div> - <div class="verse">ein goldenblauer Morgenduft.</div> - <div class="verse">Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum</div> - <div class="verse">erzählt der Mann dem Weib einen Traum:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es war, als ging ich irr auf Schicksalswegen,</div> - <div class="verse">und nur das Eine wußte ich:</div> - <div class="verse">ich kam vom Tod und ging dem Tod entgegen —</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[S. 281]</a></span> - <div class="verse">da fand ich in der dunkeln Wüste Dich.</div> - <div class="verse">Dein Haupt beschirmend hob zur Sternenzone</div> - <div class="verse">ein Palmbaum seine starre schwarze Krone;</div> - <div class="verse">doch eins der Blätter neigte sich,</div> - <div class="verse">als sollten wir’s auf einen Friedhof bringen.</div> - <div class="verse">Und da wir’s nun zu uns herniederzwingen,</div> - <div class="verse">da fängt es an zu knistern und zu glühen,</div> - <div class="verse">und seine zitternden Adern sprühen</div> - <div class="verse">ein leuchtendes Gefäßnetz aus.</div> - <div class="verse">Und von dem Ätherglanz mit dir umschlungen,</div> - <div class="verse">entschweb’ich, aller Irrsal hell entrungen,</div> - <div class="verse">still heimathin durchs Weltgebraus.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum</div> - <div class="verse">erzählt das Weib: Es muß dein Traum</div> - <div class="verse">in meinen Schlaf geleuchtet haben:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich schwebte über einem breiten Graben,</div> - <div class="verse">und jenseits, hoch am grauen Himmelssaum,</div> - <div class="verse">stand deine strahlende Gestalt, doch schlief,</div> - <div class="verse">bewacht von sieben dunklen, die sich beugten.</div> - <div class="verse">Und während sie im Wasserspiegel tief</div> - <div class="verse">mir ihre Ähnlichkeit mit dir bezeugten,</div> - <div class="verse">begannen sie in dich hinein zu schwinden.</div> - <div class="verse">Und du, erwachend, sprachst, mir beigesellt:</div> - <div class="verse">wir sind so innig eins mit aller Welt,</div> - <div class="verse">daß wir im Tod nur neues Leben finden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und ringsher träumt die Waldung, weiß verkleidet.</div> - <div class="verse">Zwei Menschen fühlen, daß der Tod nicht scheidet.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">36.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Tal und Berge ruhn in bleicher Pracht;</div> - <div class="verse">groß blühn die Sterne durch die Bäume,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[S. 282]</a></span> - <div class="verse">und lautlos über Raum und Räume</div> - <div class="verse">erdehnt ins Leere sich die blaue Nacht.</div> - <div class="verse">Und nun ist bald das Schwere vollbracht;</div> - <div class="verse">schon rührt sich fern durchs Land, als schlüge</div> - <div class="verse">ein Herz im Schnee mit dumpfer Macht,</div> - <div class="verse">eisern das Bahngeräusch der Züge.</div> - <div class="verse">Und heiß, mit einem Lächeln heiliger Lüge,</div> - <div class="verse">haucht das Weib: Nun magst du gehn —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">hier, wo wir noch durch unsern Himmel schreiten,</div> - <div class="verse">sag ich dir ruhig — — Sie bleibt jäh stehn,</div> - <div class="verse">ihre Stimme bricht, ihre Hände gleiten</div> - <div class="verse">ihr schützend unters Mutterherz,</div> - <div class="verse">ihre Lippen zwingen sich zum Scherz:</div> - <div class="verse">in guter Hoffnung auf Wiedersehn —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da muß weit der Mann die Arme breiten:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nicht aber so! — ja weine, weine —</div> - <div class="verse">o sieh: aus tiefster Quelle klar</div> - <div class="verse">quillt meine Träne heiß in deine —</div> - <div class="verse">und mich verklärend mit dem Glorienscheine</div> - <div class="verse">um dein nachtentsprossen Haar,</div> - <div class="verse">steh ich hier vor dir und schwör dir: Nie</div> - <div class="verse">wird diese Klarheit enden! — Sieh:</div> - <div class="verse">es legt das Dunkel sich in meine Hände,</div> - <div class="verse">als ob es Zuflucht suchte und nun fände:</div> - <div class="verse">zu Sternen heb’ich meinen sichern Blick!</div> - <div class="verse">Da — o Glück:</div> - <div class="verse">ahnst du sie, die Pflicht der Welt?</div> - <div class="verse">Ja: von Sphären hin zu Sphären</div> - <div class="verse">muß sie Saat aus Saaten gebären,</div> - <div class="verse">bringt sie uns das Licht der Welt:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[S. 283]</a></span> - <div class="verse">rieselnd wie aus dunklem Siebe</div> - <div class="verse">sät es Liebe, Liebe, Liebe</div> - <div class="verse">von Nacht zu Nacht, von Pol zu Pol — —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwei Menschen sagen sich Lebwohl.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h3 id="Ausgang">Ausgang</h3> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Leb wohl, leb wohl — du hältst dich selbst in Händen.</div> - <div class="verse">Du sahst, o Mensch, zwei Wesen deinesgleichen</div> - <div class="verse">im kleinsten Kreis Unendliches erreichen.</div> - <div class="verse">Auch Dein Glück wird ins Weltglück enden.</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="Der_Kindergarten">Der Kindergarten<br /> -<span class="s5">Gedichte, Spiele und Geschichten</span><br /> -<span class="s6">Auswahl</span></h2> - -</div> - -<div class="section"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[S. 286]</a></span></p> - -<h4 class="padtop1" id="Gaertnerspruch">Gärtnerspruch</h4> - -</div> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Alle Frucht der Welt</div> - <div class="verse">ist nur des Keims Gewand.</div> - <div class="verse">Pflege das Land,</div> - <div class="verse">auf das dein Same fällt!</div> - <div class="verse">Mag Gott es hüten</div> - <div class="verse">vor tauben Blüten.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[S. 287]</a></span></p> - -<h4 id="Muttersprache">Muttersprache</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kindersinn und Vätergeist:</div> - <div class="verse">Muttersprache ist ihr Band.</div> - <div class="verse">Wirket, daß es nicht zerreißt,</div> - <div class="verse">all ihr Geister, Hand in Hand!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Vatergruss">Vatergruß</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wandre, wandre, Seelenklang:</div> - <div class="verse">Berge werden Hügel.</div> - <div class="verse">Wird die Wandrung dir zu lang,</div> - <div class="verse">gibt mein Herz dir Flügel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gibt dir Flügel wundergut,</div> - <div class="verse">die kann niemand hindern:</div> - <div class="verse">meinen ganzen Lebensmut!</div> - <div class="verse">bring ihn meinen Kindern!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Vogel_Wandelbar">Der Vogel Wandelbar</h4> - -<p class="center">Ein Märchen</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">War einst ein Vöglein Wandelbar,</div> - <div class="verse">an dem fast alles seltsam war.</div> - <div class="verse">Ein rechter Wildfang wollt es sein</div> - <div class="verse">und hatte doch ein Humpelbein</div> - <div class="verse">und viel zu krumme Flügel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Allein die Flügel sah man kaum,</div> - <div class="verse">so schön war sein Gefieder;</div> - <div class="verse">das schimmerte wie Purpurschaum,</div> - <div class="verse">und auf der Brust der weiche Flaum</div> - <div class="verse">wie ein Perlmuttermieder.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[S. 288]</a></span> - <div class="verse">Vom vielen Zwitschern eigner Art</div> - <div class="verse">bekam’s ein Schnäblein silberzart;</div> - <div class="verse">und Augen trug’s im Köpfchen</div> - <div class="verse">so lieblich-launisch-glitzerblau</div> - <div class="verse">wie morgens die Tautröpfchen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das gab dem Vöglein Wandelbar</div> - <div class="verse">ein Aussehn, sonderlich fürwahr.</div> - <div class="verse">Doch was das Sonderlichste war:</div> - <div class="verse">tief innen trug’s <em class="gesperrt">un</em>wandelbar</div> - <div class="verse">ein Herz von lautrem Golde.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Alles war dem Vöglein gut,</div> - <div class="verse">wie’s humpelte und glänzte;</div> - <div class="verse">und Jeder nahm’s in seine Hut,</div> - <div class="verse">solang es brav im Hofe saß,</div> - <div class="verse">der hoch sein Nest umgrenzte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Bis unser Vöglein endlich</div> - <div class="verse">ein Vogel wurde; ei der Daus,</div> - <div class="verse">da lief es aus dem sichern Haus</div> - <div class="verse">allein ins weite Land hinaus,</div> - <div class="verse">und da ergings ihm schändlich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Andern liefen gar so schnell,</div> - <div class="verse">das Ihre zu erjagen;</div> - <div class="verse">da kommt mit seinem Wackelschritt</div> - <div class="verse">solch armes Entlein nicht gut mit,</div> - <div class="verse">und muß den Spott noch tragen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sie stießen es und traten es</div> - <div class="verse">und rupften es gescheit;</div> - <div class="verse">und in dem wilden Drängen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[S. 289]</a></span> - <div class="verse">blieb bald sein schönes Schimmerkleid</div> - <div class="verse">an Busch und Dornen hängen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Zwar mancher blieb auch stehen;</div> - <div class="verse">vermahnten dann und schalten</div> - <div class="verse">den ungeschickten Wandelbar,</div> - <div class="verse">und wußten doch, wie lahm er war,</div> - <div class="verse">und — blieben selbst die alten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Doch schließlich war es ihm geglückt,</div> - <div class="verse">mit letzten Kräften, arg zerpflückt,</div> - <div class="verse">ein Bäumlein zu erschwingen;</div> - <div class="verse">da dacht er heimlich auszuruhn</div> - <div class="verse">und sich in Schutz zu bringen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Verwandelt war nun ganz und gar</div> - <div class="verse">der arme Vogel Wandelbar;</div> - <div class="verse">nur hier und da noch glänzte ein</div> - <div class="verse">zerschlissnes Purpurfederlein</div> - <div class="verse">in seinem grauen Kittel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und auch der Augen helles Licht</div> - <div class="verse">war blaß, wie welk Vergißmeinnicht</div> - <div class="verse">nur noch das Silberschnäbelein</div> - <div class="verse">war ihm geblieben, blank und rein,</div> - <div class="verse">wenn’s auch recht kläglich zirpte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So saß er weitab vom Gewühl</div> - <div class="verse">und fragte sich voll Wehgefühl,</div> - <div class="verse">warum er so verlassen;</div> - <div class="verse">und wußte doch, daß Lahme nicht</div> - <div class="verse">zu soviel Schnellen passen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Rabe aber kam vorbei;</div> - <div class="verse">den ärgerte die Melodei</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[S. 290]</a></span> - <div class="verse">und auch das Silberschnäbelein.</div> - <div class="verse">Er schrie: „Ich mag nicht solch Geschrei!</div> - <div class="verse">marsch, lamentier wo anders!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich will mir hier mein Nest her baun,</div> - <div class="verse">und für uns Beide ist kein Raum!“</div> - <div class="verse">und stieß das Vögelchen vom Baum</div> - <div class="verse">und riß ihm aus dem Kleide</div> - <div class="verse">auch noch sein letzt Geschmeide.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da war ihm aller Mut dahin,</div> - <div class="verse">der Mut sogar zum Klagen.</div> - <div class="verse">Mit seinem müden Humpelbein</div> - <div class="verse">lief’s weinend in die Nacht hinein</div> - <div class="verse">und dachte voll Verzagen:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jetzt ist rein garnichts mehr an mir,</div> - <div class="verse">jetzt kann ich nur gleich sterben;</div> - <div class="verse">jetzt will ich in die Wüstenei,</div> - <div class="verse">wo Keinen ärgert mein Geschrei,</div> - <div class="verse">und still für mich verderben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, garnichts, garnichts mehr war sein</div> - <div class="verse">von all dem schönen bunten Schein;</div> - <div class="verse">sogar das Schnäblein hatte ganz</div> - <div class="verse">verloren seinen Silberglanz</div> - <div class="verse">von all den vielen Tränchen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und als das Vöglein Das gesehn,</div> - <div class="verse">ist fast sein Herz gebrochen.</div> - <div class="verse">Zum Sterben hat sich’s hingesetzt.</div> - <div class="verse">Da kam der goldne Mond zuletzt</div> - <div class="verse">und hat zu ihm gesprochen:</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[S. 291]</a></span> - <div class="verse">„Du armes Vöglein Wandelbar,</div> - <div class="verse">was grämst du dich denn immerdar</div> - <div class="verse">um deine paar Juwelen?</div> - <div class="verse">Du dummes Vöglein Wandelbar,</div> - <div class="verse">vergaßest du denn ganz und gar,</div> - <div class="verse">was Keiner dir kann stehlen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hast du denn nicht viel mehr in dir</div> - <div class="verse">als diese ganze Lust und Zier,</div> - <div class="verse">worauf die Andern sinnen?</div> - <div class="verse">Was weinst du denn und machst dir Schmerz?</div> - <div class="verse">denkst du denn garnicht an dein Herz</div> - <div class="verse">von lautrem Gold tief innen!“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da ward dem Vogel Wandelbar</div> - <div class="verse">auf einmal alles licht und klar,</div> - <div class="verse">und lebte gerne weiter;</div> - <div class="verse">da pfiff er bis an seinen Tod</div> - <div class="verse">auf allen Spott, auf alle Not,</div> - <div class="verse">unwandelbarlich heiter.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Kutscher_Tod">Kutscher Tod</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">In einem Wagen, einem schönen Wagen,</div> - <div class="verse">fahren zwei Menschen seit vielen schönen Tagen.</div> - <div class="verse">Sie fahren bei Regen wie bei Sonnenschein</div> - <div class="verse">immer gradaus ins Blaue hinein.</div> - <div class="verse">Auch das schlechteste Wetter ist ihnen nicht grau;</div> - <div class="verse">hell lacht der Mann, warm lächelt die Frau.</div> - <div class="verse">Sie schaukeln das Glück auf ihren Knien,</div> - <div class="verse">und an einem Sommertag fragt sie ihn:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn wir so immer weiter reisen</div> - <div class="verse">und lassen den Weg uns einzig vom Himmel weisen,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[S. 292]</a></span> - <div class="verse">kümmern uns um kein irdisch Ziel,</div> - <div class="verse">treiben nur mit dem Glück unser Spiel,</div> - <div class="verse">aber endlich wird’s uns vom Kutscher Tod weggenommen —</div> - <div class="verse">was meinst du wohl, wohin wir kommen?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Mann blickt nach den milchweißen Kühen,</div> - <div class="verse">die den bunten Wagen ruhig ziehen,</div> - <div class="verse">er blickt nach dem Kutscher, der Augen macht</div> - <div class="verse">so unergründlich schwarz wie die Nacht —</div> - <div class="verse">dann sagt er heiter:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich meine, wir kommen immer weiter!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Kutscher nickt. Der Himmel ist blau;</div> - <div class="verse">warm lächelt der Mann, hell lacht die Frau.</div> - <div class="verse">Und die weißen Kühe sagen sich beide:</div> - <div class="verse">zwei Menschen fahren auf lebensgrüner Weide.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Triumphgeschrei">Triumphgeschrei</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Alle kleinen Kinder</div> - <div class="verse">schrein Hurrah, Hurrah.</div> - <div class="verse">Mutterchen liegt still zu Bett,</div> - <div class="verse">Kindchen schreit Hurrah.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vater steht daneben,</div> - <div class="verse">steht und brummt: ja ja,</div> - <div class="verse">ist ein schweres Leben.</div> - <div class="verse">Kindchen schreit Hurrah.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mutterchen brummt garnicht,</div> - <div class="verse">selig liegt sie da.</div> - <div class="verse">Denn das kleine Menschenkind</div> - <div class="verse">schreit Hurrah, Hurrah.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[S. 293]</a></span></p> - -<h4 id="Schnurrige_Predigt">Schnurrige Predigt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Na lach doch, Kind! Dein Zuckerschneckchen,</div> - <div class="verse">schwarz Sammetjäckchen, rote Bäckchen,</div> - <div class="verse">dein ausgestopftes Häschen,</div> - <div class="verse">dein Mäulchen, Händchen, Näschen</div> - <div class="verse">hat all der liebe Gott gemacht.</div> - <div class="verse">Ei, Herzekindchen, rasch: zerbeiß,</div> - <div class="verse">zerreiß, zerschmeiß —</div> - <div class="verse">hei, wie der liebe Gott nun lacht! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Kaeuzchenspiel">Käuzchenspiel</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kinder, kommt, verzählt euch nicht,</div> - <div class="verse">Jeder hat zehn Zehen;</div> - <div class="verse">wer die letzte Silbe krigt,</div> - <div class="verse">der muß suchen gehen.</div> - <div class="verse">Suche, suche, warte noch,</div> - <div class="verse">Käuzchen schreit im Turmloch,</div> - <div class="verse">macht zwei Augen wie Feuerschein,</div> - <div class="verse">die leuchten in die Nacht hinein,</div> - <div class="verse">fliegt aus seinem Häuschen,</div> - <div class="verse">sucht im Feld nach Mäuschen,</div> - <div class="verse">husch, husch, huh,</div> - <div class="verse">das Käuzchen, das — bist — du! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Fliegerschule">Fliegerschule</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt, wir lernen fliegen!</div> - <div class="verse">Woher denn Flügel kriegen?</div> - <div class="verse">Von den achtzig Winden.</div> - <div class="verse">Wo sind die zu finden?</div> - <div class="verse">Überm ewigen Eise.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[S. 294]</a></span> - <div class="verse">Wer bezahlt die Reise?</div> - <div class="verse">Da oben steht ein goldner Stern,</div> - <div class="verse">der belohnt die Sieger gern;</div> - <div class="verse">holt euch nur die Preise!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Der_Reitersmann">Der Reitersmann</h4> - -<p class="center">Von Paula und Richard Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schimmel, willst du laufen,</div> - <div class="verse">will ich dir was kaufen!</div> - <div class="verse">Heißa, lauf nach Mexiko,</div> - <div class="verse">da kaufe ich dir Bohnenstroh;</div> - <div class="verse">laufe nach der Mongolei</div> - <div class="verse">da kauf ich mir ein Oster-Ei.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Eile, Schimmel, eile,</div> - <div class="verse">oder du krigst Keile!</div> - <div class="verse">Hopßa, lauf nach Hindostan,</div> - <div class="verse">da kaufe ich mir Marzipan;</div> - <div class="verse">laufe nach Kap Morgenrot,</div> - <div class="verse">da kauf ich dir ein Dreierbrot.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 id="Geschaeftsleutchen">Geschäftsleutchen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lottchen will Jahrmarkt spielen,</div> - <div class="verse">Musik ist schon bestellt.</div> - <div class="verse">Nur ach, es fehlt die Warenbude;</div> - <div class="verse">der Peter hat kein Geld.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ach, hab dich nicht! sagt Lottchen;</div> - <div class="verse">als ob das nötig wäre.</div> - <div class="verse">Wir nehmen Vaters Sorgenstuhl,</div> - <div class="verse">jetzt sind wir Millionäre.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[S. 295]</a></span></p> - -<h4 id="Geburtstagsgeschenke">Geburtstagsgeschenke</h4> - -<p class="center mtop2">I</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Lieber Vater! ich kann dir garnichts schenken,</div> - <div class="verse">blos mein kleines Herz und alle meine Küsse,</div> - <div class="verse">und — eins, zwei, drei, vier, fünf Haselnüsse,</div> - <div class="verse">dabei kannst du dir</div> - <div class="verse">was Wunderschönes denken.</div> - <div class="verse">Du kannst dir denken, jede Nuß</div> - <div class="verse">hat ein kleines Herz, noch kleiner als das meine;</div> - <div class="verse">und hätte sie auch zwei kleine Beine,</div> - <div class="verse">liefe sie auf dich zu und gäb dir einen Kuß,</div> - <div class="verse">einen wundervollen, herzhaften Geburtstagskuß!</div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop2">II</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="verse">Liebe Mutter! Du zählst sie gerne,</div> - <div class="verse">alle deine vielen Geburtstagssterne.</div> - <div class="verse">Hier stehn sie strahlend; und daneben</div> - <div class="verse">siehst du zwei silberne Halbmonde schweben.</div> - <div class="verse">Das sind zwei Lampen fürs Klavier,</div> - <div class="verse">eine von Vater, die andre von mir.</div> - <div class="verse">Kommt nun der Abend mit müden Beinen,</div> - <div class="verse">dann läßt du deine Monde scheinen</div> - <div class="verse">und spielst; und wir, wir hören und träumen</div> - <div class="verse">von den hohen himmlischen Räumen,</div> - <div class="verse">von deinem Sternenringelreihn —</div> - <div class="verse">Vater wacht noch, ich schlafe ein.</div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Abendgebet">Abendgebet</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Müde bin ich, geh zur Ruh;</div> - <div class="verse">lieber Himmel, deck mich zu!</div> - <div class="verse">Laß die Sterne alle dein</div> - <div class="verse">meines Schlafes Hüter sein!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[S. 296]</a></span> - <div class="verse">Schick im Traum ihr Licht mir zu,</div> - <div class="verse">daß mein Herz in Reinheit ruh!</div> - <div class="verse">Flecken, die der Tag gemacht,</div> - <div class="verse">lösch sie gnädig aus, o Nacht!</div> - <div class="verse mleft5">Amen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Freund_Husch">Freund Husch</h4> - -<p class="center">Von Paula und Richard Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft3">Husch, husch, husch,</div> - <div class="verse mleft2">ich putze meinen Busch.</div> - <div class="verse">Der Mond ist da, der Mond ist hell;</div> - <div class="verse">der Mond, der ist mein Spielgesell,</div> - <div class="verse mleft6">husch.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft3">Husch, husch, husch,</div> - <div class="verse mleft2">ich schlüpfe aus dem Busch.</div> - <div class="verse">Ich stecke mein Laternchen an,</div> - <div class="verse">ich zünde uns die Sternchen an,</div> - <div class="verse mleft6">husch.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft3">Husch, husch, husch,</div> - <div class="verse mleft2">ich schüttel meinen Busch.</div> - <div class="verse">Die Kinderchen sind all zur Ruh,</div> - <div class="verse">ich schüttel ihnen Träume zu;</div> - <div class="verse">die haben wir vergangne Nacht,</div> - <div class="verse">der Mond und ich, uns ausgedacht,</div> - <div class="verse mleft6">husch.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft3">Husch, husch, husch,</div> - <div class="verse mleft2">ich schlüpfe in den Busch.</div> - <div class="verse">Ich puhste mein Laternchen aus,</div> - <div class="verse">ich suche mir ein Sternchen aus,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[S. 297]</a></span> - <div class="verse">das lass ich droben Wache stehn,</div> - <div class="verse">nun kann ich ruhig schlafen gehn,</div> - <div class="verse mleft3">husch, husch, husch,</div> - <div class="verse mleft5">im Busch.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Das_Maiwunder">Das Maiwunder</h4> - -<p class="center">Von Paula und Richard Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Maikönig kommt gefahren,</div> - <div class="verse">in seinem grüngoldnen Wagen,</div> - <div class="verse">mit Saus und Gesinge.</div> - <div class="verse">Seine Zügel sind Sonnenstrahlen;</div> - <div class="verse">große blaue Schmetterlinge</div> - <div class="verse">ziehn ihn über Busch und Bach,</div> - <div class="verse">daß die weißen Blütenglocken</div> - <div class="verse">in seinen Locken</div> - <div class="verse">schwingen und springen.</div> - <div class="verse">Und Hans kuckt ihm nach</div> - <div class="verse">und hört sein Lied:</div> - <div class="verse">wer zieht mit? zieht mit?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt das Maienweibchen,</div> - <div class="verse">trägt ein weißes Kleidchen,</div> - <div class="verse">trägt ein grünes Kränzchen,</div> - <div class="verse">sagt zu unserm Hänschen:</div> - <div class="verse mleft3">Eia, Hans,</div> - <div class="verse mleft2">komm zum Tanz!</div> - <div class="verse">Einen Schritt Frau Nixe,</div> - <div class="verse">einen Schritt Herr Nix,</div> - <div class="verse">Ringeldireih, Ringeldireih,</div> - <div class="verse mleft3">Dienerchen,</div> - <div class="verse mleft4">Knix!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[S. 298]</a></span></p> - -<h4 class="padtop1" id="Puhstemuhme">Puhstemuhme</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Krause, krause Muhme,</div> - <div class="verse">alte Butterblume,</div> - <div class="verse">Puhsterchen, nanu?</div> - <div class="verse">Wo hast du denn dein Hütchen,</div> - <div class="verse">dein gelbes Federschütchen?</div> - <div class="verse">worauf wartest du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Warte aufs Kindchen,</div> - <div class="verse">auf ein lieb Mündchen,</div> - <div class="verse">ich alte griese</div> - <div class="verse">Trauerliese,</div> - <div class="verse">puh, puh, puh.</div> - <div class="verse">Ach bitte, puhst mich doch</div> - <div class="verse">rasch in den Himmel hoch:</div> - <div class="verse">tausend kleine Nackedeys</div> - <div class="verse">spielen da im Gras,</div> - <div class="verse">tausend kleine Nackedeys</div> - <div class="verse">lachen sich da was.“</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Das_grosse_Karussell">Das große Karussell</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Im Himmel ist ein Karussell,</div> - <div class="verse">das dreht sich Tag und Nacht.</div> - <div class="verse">Es dreht sich wie im Traum so schnell,</div> - <div class="verse">wir sehn es nicht, es ist zu hell</div> - <div class="verse">aus lauter Licht gemacht;</div> - <div class="verse">still, mein Wildfang, gib Acht!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gib Acht, es dreht die Sterne, du,</div> - <div class="verse">im ganzen Himmelsraum.</div> - <div class="verse">Es dreht die Sterne ohne Ruh</div> - <div class="verse">und macht Musik, Musik dazu,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[S. 299]</a></span> - <div class="verse">so fein, wir hören’s kaum;</div> - <div class="verse">wir hören’s nur im Traum.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Im Traum, da hören wirs von fern,</div> - <div class="verse">von fern im Himmel hell.</div> - <div class="verse">Drum träumt mein Wildfang gar so gern,</div> - <div class="verse">wir drehn uns mit auf einem Stern;</div> - <div class="verse">es geht uns nicht zu schnell,</div> - <div class="verse">das große Karussell.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Aurikelchen">Aurikelchen</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aurikelchen, Aurikelchen</div> - <div class="verse">stehn auf meinem Beet,</div> - <div class="verse">und sehn den blauen Himmel an,</div> - <div class="verse">wo schon den ganzen Morgen</div> - <div class="verse">die goldne Sonne sieht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aurikelchen, Aurikelchen,</div> - <div class="verse">was guckt ihr denn so sehr?</div> - <div class="verse">Ihr seid ja selbst so gelb wie Gold,</div> - <div class="verse">und habt ein hellrot Herzchen,</div> - <div class="verse">was braucht ihr denn noch mehr!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Der_Schatten">Der Schatten</h4> - -<p class="center">Nach R. L. Stevenson</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hab einen kleinen Schatten;</div> - <div class="verse">der geht, wohin ich geh.</div> - <div class="verse">Aber wozu ich ihn habe,</div> - <div class="verse">ist mehr, als ich versteh.</div> - <div class="verse">Er ist ganz ebenso wie ich,</div> - <div class="verse">blos nicht ganz so schwer;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[S. 300]</a></span> - <div class="verse">und wenn ich in mein Bettchen hüpfe,</div> - <div class="verse">dann hüpft er hinterher.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Sonderbarste an ihm ist,</div> - <div class="verse">wie er sich anders macht;</div> - <div class="verse">garnicht wie artige Kinder tun,</div> - <div class="verse">hübsch alles mit Bedacht.</div> - <div class="verse">Nein, manchmal springt er schneller hoch</div> - <div class="verse">als mein Gummimann;</div> - <div class="verse">und manchmal macht er sich so klein,</div> - <div class="verse">daß Keiner ihn finden kann.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Neulich ganz früh, da stand ich auf,</div> - <div class="verse">noch eh die Sonne schien,</div> - <div class="verse">und ging spazieren durch den Tau,</div> - <div class="verse">im Gras, und suchte ihn.</div> - <div class="verse">Aber mein kleiner fauler Schatten,</div> - <div class="verse">als wenn er Schnupfen hätt,</div> - <div class="verse">lag wie ein altes Murmeltier</div> - <div class="verse">noch fest im Bett.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Morgenlied">Morgenlied</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Tapp tapp, wer kommt da querfeldein?</div> - <div class="verse">Nur rasch, nur rasch, Herr Morgenschein,</div> - <div class="verse mleft6">trab trab!</div> - <div class="verse">Die Jungfer Tauduft putzt sich hier;</div> - <div class="verse">sie schlägt den Schleier auf vor dir,</div> - <div class="verse mleft6">klapp klapp!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Klapp klapp, sie lädt dich ein zum Tanz;</div> - <div class="verse">nur hol erst deinen goldnen Kranz,</div> - <div class="verse mleft6">trab trab!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[S. 301]</a></span> - <div class="verse">Wer zu ihr will, muß früh aufstehn;</div> - <div class="verse">wers tut, dem patscht sie auf die Zehn,</div> - <div class="verse mleft6">schwapp!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Der_kleine_Suender">Der kleine Sünder</h4> - -<p class="center">Von Paula und Richard Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gestern lief der Peter weg,</div> - <div class="verse">spinnefix verstohlen;</div> - <div class="verse">setzt sich Mutter den Bänderhut auf:</div> - <div class="verse">wart, ich will dich holen!</div> - <div class="verse">Sausepeter,</div> - <div class="verse">Flausepeter,</div> - <div class="verse">kleiner Sünder, wo bist du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hahnematz steht auf der Wiese,</div> - <div class="verse">„kiek ins Grüne!“ kräht er;</div> - <div class="verse">sag mir, bunter Kickeriki,</div> - <div class="verse">wo ist unser Peter?</div> - <div class="verse">Bummelpeter,</div> - <div class="verse">Schummelpeter,</div> - <div class="verse">kleiner Sünder, wo bist du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie sie sich im Garten umkuckt,</div> - <div class="verse">ist er nicht zu sehen;</div> - <div class="verse">bleibt sie neben dem Spargelbeet</div> - <div class="verse">unterm Pflaumbaum stehen.</div> - <div class="verse">Aber Peter,</div> - <div class="verse">nirgends steht er;</div> - <div class="verse">kleiner Sünder, wo bist du?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hört sie etwas lachen, horch,</div> - <div class="verse">oben aus dem Baume;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[S. 302]</a></span> - <div class="verse">sitzt der Peter seelenvergnügt,</div> - <div class="verse">pflückt sich eine Pflaume.</div> - <div class="verse">Wirft ein Steinchen,</div> - <div class="verse">schwenkt die Beinchen,</div> - <div class="verse">wupptich —: Mutter, da <em class="gesperrt">bin</em> ich!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Fragefritz_und_Plappertasche">Fragefritz und Plappertasche</h4> - -<p class="center">Von Paula und Richard Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fritz, ich möcht den Spaten haben.</div> - <div class="verse">„Mutterchen, warum?“</div> - <div class="verse">Möchte eine Grube graben.</div> - <div class="verse">„Mutterchen, warum?“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Möchte drin ein Bäumchen pflanzen.</div> - <div class="verse">„Mutterchen, warum?“</div> - <div class="verse">Wird mein Fritze drunter tanzen.</div> - <div class="verse">„Mutterchen, warum?“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wird das Bäumchen Kirschen tragen.</div> - <div class="verse">„Mutterchen, warum?“</div> - <div class="verse">Ei, du mußt die Spatzen fragen,</div> - <div class="verse">die sind nicht so dumm! —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt die kleine Plappertasche:</div> - <div class="verse">„Mutterchen, nicht wahr,</div> - <div class="verse">ich bin klüger als der Fritze,</div> - <div class="verse">bin schon bald sechs Jahr!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mutterchen, nicht wahr, der Fritze</div> - <div class="verse">ist ein Schaf, o jee!</div> - <div class="verse">Ich kann schon bis zwanzig zählen</div> - <div class="verse">und das A-B-C!“</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[S. 303]</a></span> - <div class="verse">I, du kleine Plappertasche,</div> - <div class="verse">laß den Fritz in Ruh!</div> - <div class="verse">Plappertasche, wische wasche,</div> - <div class="verse">halt das Mäulchen zu!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Übermorgen in acht Wochen</div> - <div class="verse">kommt der Weihnachtsmann;</div> - <div class="verse">wenn du dann noch immer plapperst,</div> - <div class="verse">was bekommst du dann?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Einen großen Maulkorb! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Furchtbar_schlimm">Furchtbar schlimm</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vater, Vater, der Weihnachtsmann!</div> - <div class="verse">Eben hat er ganz laut geblasen,</div> - <div class="verse">viel lauter als der Postwagenmann.</div> - <div class="verse">Er ist gleich wieder weitergegangen,</div> - <div class="verse">und hat zwei furchtbar lange Nasen,</div> - <div class="verse">die waren ganz mit Eis behangen.</div> - <div class="verse">Und die eine war wie ein Schornstein,</div> - <div class="verse">die andre ganz klein wie’n Fliegenbein,</div> - <div class="verse">darauf ritten lauter, lauter Engelein,</div> - <div class="verse">die hielten eine großmächtige Leine;</div> - <div class="verse">und seine Stiefel waren wie Deine.</div> - <div class="verse">Und an der Leine, da ging ein Herr,</div> - <div class="verse">ja wirklich, Vater, wie’n alter Bär,</div> - <div class="verse">und die Engelein machten hottehott;</div> - <div class="verse">ich glaube, das war der liebe Gott.</div> - <div class="verse">Denn er brummte furchtbar mit dem Mund,</div> - <div class="verse">ganz furchtbar schlimm! ja wirklich! und —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Aber Detta, du schwindelst ja;</div> - <div class="verse">das sind ja wieder lauter Lügen!“</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[S. 304]</a></span> - <div class="verse">Na, was schad’t denn das, Papa?</div> - <div class="verse">Das macht mir doch soviel Vergnügen!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse mleft3">„So? — Na ja.“</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Fitzebutze">Fitzebutze</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lieber ßöner Hampelmann,</div> - <div class="verse">deine Detta sieht dich an!</div> - <div class="verse">Ich bin dhoß, und Du bist tlein;</div> - <div class="verse">willst du Fitzebutze sein?</div> - <div class="verse mleft5">Tomm!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Tomm auf Haterns dhoßen Tuhl,</div> - <div class="verse">Vitzlibutzki, Blitzepul!</div> - <div class="verse">Hater sagt, man weiß es nicht,</div> - <div class="verse">wie man deinen Namen sp’icht.</div> - <div class="verse mleft5">Pst!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Pst, sagt Hater, Fitzebott</div> - <div class="verse">war eimal ein lieber Dott,</div> - <div class="verse">der auf einem Tuhle saß</div> - <div class="verse">und sebratne Menßen aß.</div> - <div class="verse mleft5">Huh!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Huh, sei dut, ich bin so tlein</div> - <div class="verse">und will immer a’tig sein.</div> - <div class="verse">Fitzebutze, du bist dhoß;</div> - <div class="verse">kleine Detta spaßt ja blos.</div> - <div class="verse mleft5">Ja?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja, ich bin dir wirktlich dut!</div> - <div class="verse">Willst du einen neuen Hut?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[S. 305]</a></span> - <div class="verse">Tlinglingling: wer b’ingt das Band?</div> - <div class="verse">Königin aus Mohrenland!</div> - <div class="verse mleft5">Tnicks!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Tnix, ich bin F’au Tönidin,</div> - <div class="verse">hab zvei Lippen von Zutterrosin;</div> - <div class="verse">Fitzebutze, sieh mal an,</div> - <div class="verse">ei, wie Detta tanzen kann!</div> - <div class="verse mleft5">Hoppß!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hopßa, hopßa, hopßassa:</div> - <div class="verse">Tönigin von Af’ika!</div> - <div class="verse">Flitzeputzig, Butzebein,</div> - <div class="verse">wann soll unse Hochzeit sein?</div> - <div class="verse mleft5">Du!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Du! Mein tleiner lieber Dott!</div> - <div class="verse">Du?! sonst geh ich von dir fo’t! —</div> - <div class="verse">Ach, du dummer Hampelmann,</div> - <div class="verse">siehst ja Detta garnicht an!</div> - <div class="verse mleft5">Marsch! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Kaeferlied">Käferlied</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Maiker, Maiker, surr,</div> - <div class="verse">bleib schön sitzen, burr!</div> - <div class="verse">Breite deine Fühler aus,</div> - <div class="verse">mach zwei kleine Fächer draus,</div> - <div class="verse">schwing sie kreuz und quer,</div> - <div class="verse">zähle mir was her!</div> - <div class="verse">Zähle, ich will mit dir zählen,</div> - <div class="verse">wieviel noch Minuten fehlen,</div> - <div class="verse">bis Herr Heuschreck wuppt</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[S. 306]</a></span> - <div class="verse">und mir auf die Nase huppt.</div> - <div class="verse">Maikäber, Maiker,</div> - <div class="verse">sonst holt dich der Deiker.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Die_Reise">Die Reise</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Tipp, tapp, Stuhlbein,</div> - <div class="verse">hüh, du sollst mein Pferdchen sein!</div> - <div class="verse">Klipp, klapp, Hutsche,</div> - <div class="verse">du bist meine Kutsche,</div> - <div class="verse mleft5">wutsch!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wipp, wapp, zu langsam;</div> - <div class="verse">hott, wir fahren Eisenbahn!</div> - <div class="verse">Alle meine Pferde,</div> - <div class="verse">um die ganze Erde,</div> - <div class="verse mleft5">rrrutsch!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Tipp, tapp; zipp, zapp;</div> - <div class="verse">halt, wann geht das Luftschiff ab?</div> - <div class="verse">Fertig, Kinder, eingestiegen!</div> - <div class="verse">wollen in den Himmel fliegen!</div> - <div class="verse mleft5">futsch!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Die_Schaukel">Die Schaukel</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Auf meiner Schaukel in die Höh,</div> - <div class="verse">was kann es Schöneres geben!</div> - <div class="verse">So hoch, so weit: die ganze Chaussee</div> - <div class="verse">und alle Häuser schweben.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Weit über die Gärten hoch, juchhee,</div> - <div class="verse">ich lasse mich fliegen, fliegen;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[S. 307]</a></span> - <div class="verse">und alles sieht man, Wald und See,</div> - <div class="verse">ganz anders stehn und liegen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh?</div> - <div class="verse">Im Himmel! ich glaube, ich falle!</div> - <div class="verse">Das tut so tief, so süß dann weh,</div> - <div class="verse">und die Bäume verbeugen sich alle.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und immer wieder in die Höh,</div> - <div class="verse">und der Himmel kommt immer näher;</div> - <div class="verse">und immer süßer tut es weh —</div> - <div class="verse">der Himmel wird immer höher.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Das_richtige_Pferd">Das richtige Pferd</h4> - -<p class="center">Von Paula und Richard Dehmel</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wer schenkt mir ein lebendiges Pferd,</div> - <div class="verse">mein Schaukelpferd ist garnichts wert,</div> - <div class="verse">es hat so steife Beine.</div> - <div class="verse">Es stampft nicht, frißt nicht, wiehert nicht,</div> - <div class="verse">und macht solch ledernes Gesicht;</div> - <div class="verse">es weiß nicht, was ich meine.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn mir der Weihnachtsmann ein Pferd,</div> - <div class="verse">ein wirklich richtiges Pferd beschert,</div> - <div class="verse">dann reit ich über die Brücke,</div> - <div class="verse">und reite durch den Kiefernforst</div> - <div class="verse">nach Vehlefanz und Haselhorst,</div> - <div class="verse">und noch fünf große Stücke.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann bin ich mitten in der Welt;</div> - <div class="verse">da such ich mir ein Haberfeld</div> - <div class="verse">und lasse meine Pferdchen grasen.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[S. 308]</a></span> - <div class="verse">Und dann, dann reit ich ans Ende der Welt,</div> - <div class="verse">wo der Riese den Regenbogen hält,</div> - <div class="verse">und — schick euch ’ne Ansichtspostkarte.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h4 class="padtop1" id="Die_ganze_Welt">Die ganze Welt</h4> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wo hängt der größte Bilderbogen?</div> - <div class="verse">Beim Kaufmann, Kinder! ungelogen!</div> - <div class="verse">Man braucht blos draußen stehn zu bleiben,</div> - <div class="verse">kuckt einfach durch die Ladenscheiben,</div> - <div class="verse">da sieht man ohne alles Geld</div> - <div class="verse">die ganze Welt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Man sieht die braunen Kaffeebohnen;</div> - <div class="verse">die wachsen, wo die Affen wohnen.</div> - <div class="verse">Man sieht auf Waschblau, Reis und Mandeln</div> - <div class="verse">Kameele unter Palmen wandeln,</div> - <div class="verse">und einen Ochsen ganz bepackt</div> - <div class="verse">mit Fleischextrakt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Man sieht auch Zimmt und Apfelsinen,</div> - <div class="verse">und Zuckerhüte zwischen ihnen.</div> - <div class="verse">Man sieht auf rot lackierten Blechen</div> - <div class="verse">Matrosen mit Chinesen sprechen;</div> - <div class="verse">und manchmal steht ein bunter Mohr,</div> - <div class="verse">der lacht, davor.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Am Eingang aber lehnt ’ne Leiter</div> - <div class="verse">mit Hasen, Hühnern und so weiter.</div> - <div class="verse">Und manchmal hängt an ihren Sprossen</div> - <div class="verse">ein großer Hirsch, ganz totgeschossen;</div> - <div class="verse">dann kommt so’n kleiner Hundemann</div> - <div class="verse">und schnuppert dran.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[S. 309]</a></span></p> - -<h4 class="padtop1" id="Lazarus">Lazarus</h4> - -<p class="center">Nach R. L. Stevenson</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bin der kleine Lazarus,</div> - <div class="verse">der still zu Bette liegen muß;</div> - <div class="verse">die Nacht ist immer schrecklich lang,</div> - <div class="verse">ich bin schon sieben Tage krank.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich weiß, im ganzen Hause gehn</div> - <div class="verse">die großen Leute auf den Zehn;</div> - <div class="verse">ich mach mir aber garnichts draus,</div> - <div class="verse">ich packe sacht mein Spielzeug aus.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich schicke mein Soldatenheer</div> - <div class="verse">durch meine Kissen kreuz und quer,</div> - <div class="verse">von Tal zu Tal, bergauf bergab,</div> - <div class="verse">und manchmal kommt ein tiefes Grab.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und auf dem Laken weiß wie Schnee</div> - <div class="verse">ziehn meine Schiffe über See;</div> - <div class="verse">und um die Wellen geht ein Wall,</div> - <div class="verse">da bau ich Burgen überall.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bin der Riese groß und still,</div> - <div class="verse">der Alles tun kann, was er will,</div> - <div class="verse">vom Bettberg bis zum Lakenstrand</div> - <div class="verse">im Reich der weißen Leinewand.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[S. 310]</a></span></p> - -<div class="section"> - -<h4 id="Der_kleine_Held">Der kleine Held</h4> - -<p class="center">Eine Lehrjungen-Dichtung</p> - -</div> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Allen braven Trotzköpfchen zugedacht.</div> - <div class="verse">Bengels, daß ihr Kerls aus euch macht!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center mtop1">Inhalt:</p> - -<p class="s5 center">Wie ein ganz armer Junge sich sagt was er alles -werden kann.</p></div> - -<h5 id="Anfang">Anfang</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">„Du bist ein armer Junge“</div> - <div class="verse">sagt Mutter oft und weint,</div> - <div class="verse">wenn ich Herr Rittersmann spielen will.</div> - <div class="verse">Aber Vater hat gemeint:</div> - <div class="verse">„er ist ein kleiner Held!“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Neulich nahm ich ganz einfach</div> - <div class="verse">meinen Drachen mit als Schild,</div> - <div class="verse">und dem reichen Kurt sein Schwesterchen</div> - <div class="verse">hat mich geküßt wie wild:</div> - <div class="verse">„du bist ein kleiner Held!“</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich ließ meinen Drachen steigen,</div> - <div class="verse">dann ging es in die Schlacht;</div> - <div class="verse">ich wollt meinen Schild blos <em class="gesperrt">zeigen</em>,</div> - <div class="verse">ich hab ihn selbst gemacht,</div> - <div class="verse">ich bin ein kleiner Held!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich wills schon machen, daß Mutter</div> - <div class="verse">nicht mehr weint um mich.</div> - <div class="verse">O! sie soll mal sehn und lachen,</div> - <div class="verse">was ich alles werden kann, ich</div> - <div class="verse">kleiner Held! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[S. 311]</a></span></p> - -<h5 id="Ein_Zimmermann">Ein Zimmermann</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Zimmermann werden,</div> - <div class="verse">dann zimmr’ich mir ein Haus;</div> - <div class="verse">hoch überm höchsten Giebelbalken</div> - <div class="verse">krönt meinen Richtfeststrauß</div> - <div class="verse">— Achtung! — mein Meisterhut.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann zimmr’ich noch viele Häuser;</div> - <div class="verse">meine Richtschnur knippst und knappst,</div> - <div class="verse">die Spähne schießen vor Angst kobolz</div> - <div class="verse">um meine blanke Axt,</div> - <div class="verse">und hurr, wie knirscht meine Säge!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Säge knirscht mit den Zähnen:</div> - <div class="verse">mir ist kein Holz zu hart,</div> - <div class="verse">ich werd’s schon kirre kriegen,</div> - <div class="verse">wart nur, wart nur, wart!</div> - <div class="verse">So knirscht meine große Säge.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fertig! Nun fix nach oben,</div> - <div class="verse">wo der Wind mich kämmt und küßt;</div> - <div class="verse">und mag er rütteln und toben,</div> - <div class="verse">ich fall nicht vom Gerüst,</div> - <div class="verse">ich bin ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Dachdecker">Ein Dachdecker</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Dachdecker werden,</div> - <div class="verse">denn ich bin schwindelfrei.</div> - <div class="verse">Ich kletter bis auf den Kirchturmhahn,</div> - <div class="verse">und die Dohlen und Krähn schrein: ei,</div> - <div class="verse">was will der Herr denn hier?</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[S. 312]</a></span> - <div class="verse">Der will die Kirchtürme flicken,</div> - <div class="verse">es tut schon lange not!</div> - <div class="verse">Die Glocken, wenn mein Fahrstuhl kommt,</div> - <div class="verse">brummen: ßapperlot,</div> - <div class="verse">da baumelt ’ne Himmelsleiter!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und unten kribbeln die Leutchen,</div> - <div class="verse">und steigt kein Laut mir nach.</div> - <div class="verse">Blos mein Freund, der Schornsteinfeger,</div> - <div class="verse">ruft manchmal vom nächsten Dach:</div> - <div class="verse">Komm, Bruder, es gibt ein Gewitter!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber dann bleib ich lieber</div> - <div class="verse">ruhig auf meinem Sitz</div> - <div class="verse">und hör, wie der Donner losbrüllt:</div> - <div class="verse">Bravo! Sieh, Bruder Blitz,</div> - <div class="verse">das ist ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Feuerwehrmann">Ein Feuerwehrmann</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann Feuerwehrmann werden;</div> - <div class="verse">kaum daß die Brandflamme prasselt,</div> - <div class="verse">kommt schon galopp mit Fackelgesprüh</div> - <div class="verse">unser Wagen angerasselt,</div> - <div class="verse">alle Mann wie auf Sprungfedern stehend.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wie mit Donner und Blitz um die Wette:</div> - <div class="verse">unsre Fackeln sind Rettungszeichen!</div> - <div class="verse">Meine Pfeife gellt: beiseit, beiseit!</div> - <div class="verse">und alle Menschen weichen</div> - <div class="verse">uns voll Ehrfurcht aus.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Denn dort die glühenden Fenster —</div> - <div class="verse">horch: durch den Qualm ein Schrei!</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[S. 313]</a></span> - <div class="verse">Da wird nicht lange gefackelt mehr:</div> - <div class="verse">rasch den Rauchhelm auf, die Spritzen in Reih,</div> - <div class="verse">und mit Beil und Seil wird gerettet!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vielleicht ein schönes Mädchen;</div> - <div class="verse">das wird dann meine Braut.</div> - <div class="verse">Oder ein kleiner Betteljunge;</div> - <div class="verse">der schießt dann wie ich ins Kraut</div> - <div class="verse">und wird ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Schmied">Ein Schmied</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann Schmiedemeister werden;</div> - <div class="verse">knuff! sagt mein Hammer und saust,</div> - <div class="verse">dann springen die Funken vor Freude</div> - <div class="verse">um meine rußige Faust</div> - <div class="verse">bis an den Blasebalg.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Herr Blasebalg, was stöhnst du?</div> - <div class="verse">Nur zu! die Glut geschürt!</div> - <div class="verse">Und laß die Schlacken nur spucken,</div> - <div class="verse">wenn meine Zange drin rührt;</div> - <div class="verse">gut Eisen will auf den Ambos!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dem soll ich den Rücken klopfen,</div> - <div class="verse">dann lacht er und trällert ein Lied:</div> - <div class="verse">Lieb Hammergeläut, lieb Hammergeläut,</div> - <div class="verse">gut Eisen dankt dem Schmied,</div> - <div class="verse">er klopft es hart zu Stahl.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Drum streut’s vor Freude Funken</div> - <div class="verse">und hüpft bei jedem Streich;</div> - <div class="verse">die Heuchler und Halunken,</div> - <div class="verse">die klopft er windelweich,</div> - <div class="verse">knuff, der kleine Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[S. 314]</a></span></p> - -<h5 id="Ein_Maschinenbauer">Ein Maschinenbauer</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann Maschinbauer werden;</div> - <div class="verse">da sträubt sich manchem das Haar.</div> - <div class="verse">Das ist viel toller als Märchenspuk,</div> - <div class="verse">da hausen wirklich wahr</div> - <div class="verse">tausend Zauberkräfte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die toben, wirbeln, krachen</div> - <div class="verse">mit Kolben, Kurbeln, Gelenken,</div> - <div class="verse">mit feuerschnaubenden Rachen,</div> - <div class="verse">man muß an die Hölle denken,</div> - <div class="verse">an die großen Tiere der Urzeit.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und sind viel stärker als Riesen;</div> - <div class="verse">was können sie alles tun!</div> - <div class="verse">Bergwerke bohren, Dampfschiffe treiben,</div> - <div class="verse">Bahn brechen mit eisernen Schuhn;</div> - <div class="verse">weh dem, der ihnen zu nah tritt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Schnurstracks reißt Schwungrad und Riemen</div> - <div class="verse">die täppische Hand in Fetzen.</div> - <div class="verse">Mit solchen Ungetümen</div> - <div class="verse">auf guten Fuß sich setzen</div> - <div class="verse">lernt nur ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Eisenbahner">Ein Eisenbahner</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann Eisenbahn-Zugführer werden;</div> - <div class="verse">nein, Lokomotivführer lieber.</div> - <div class="verse">Dann bin ich kleiner Menschenknirps</div> - <div class="verse">der größten Maschine über,</div> - <div class="verse">die tausend Pferdekraft stark ist.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[S. 315]</a></span> - <div class="verse">Und tausend andre Menschen</div> - <div class="verse">regiert Ein Griff meiner Hand,</div> - <div class="verse">tagein tagaus, bei Nacht, bei Nebel,</div> - <div class="verse">im Sturm von Land zu Land;</div> - <div class="verse">Bahn frei! schreit meine Maschine.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Bahn frei — was schreit da wider?</div> - <div class="verse">im Dunkeln welch Gestampf?</div> - <div class="verse">Woher, wohin? Vorwärts, zurück?</div> - <div class="verse">Halt! bremsen! Gegendampf!</div> - <div class="verse">jetzt gilts, Mensch: Einer für Alle!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und fliegt der Kopf vom Kragen,</div> - <div class="verse">so stirbt sichs ohne Grämen;</div> - <div class="verse">dann braucht man sich doch wenigstens</div> - <div class="verse">des Lebens nicht zu schämen!</div> - <div class="verse">So denkt ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Weltreisender">Ein Weltreisender</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann Weltreisender werden,</div> - <div class="verse">wo keine Eisenbahn geht:</div> - <div class="verse">wo überm ewigen Eismeergrab</div> - <div class="verse">die Nordlichtkrone steht,</div> - <div class="verse">die Krone der ganzen Erde.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Oder wo heiß die Wildnis</div> - <div class="verse">nur Grüße Gottes haucht,</div> - <div class="verse">und wo die liebe Seele</div> - <div class="verse">keinen andern Wegweiser braucht</div> - <div class="verse">als Sonne, Mond und Sterne.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und treff ich mal auf Menschen,</div> - <div class="verse">die sind wohl nicht wie ich;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[S. 316]</a></span> - <div class="verse">ihr Gott, der heißt wohl Fitzebutze,</div> - <div class="verse">ihr Häuptling Duckedich —</div> - <div class="verse">hurra, das gibt einen Hauptspaß!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich ducke sie noch ein bißchen</div> - <div class="verse">tiefer zum Schabernack;</div> - <div class="verse">und wollen sie’s übel nehmen,</div> - <div class="verse">dann los! habt Mut, ihr Pack!</div> - <div class="verse">hier steht ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Koenig">Ein König</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein König werden;</div> - <div class="verse">nicht etwa bei uns, i wo!</div> - <div class="verse">Bei uns, da muß man Kronprinz heißen,</div> - <div class="verse">dann wird man’s sowieso.</div> - <div class="verse">Ich werd bei den Negern König!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die fragen nicht nach dem Taufschein,</div> - <div class="verse">wenn man nur orndtlich regiert.</div> - <div class="verse">Erst zähm ich mir ein Dutzend Löwen,</div> - <div class="verse">dann komm ich ankutschiert,</div> - <div class="verse">acht Zebras vorgespannt:</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Was lauft ihr weg wie die Affen?</div> - <div class="verse">Mein Reich ist vogelfrei!</div> - <div class="verse">Wer stark ist, darf’s erobern helfen;</div> - <div class="verse">die Klugen sind stark für zwei!</div> - <div class="verse">Kommt, Kinder, dankt euerm Herrgott!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr habt einen König und Priester,</div> - <div class="verse">der braucht keinen Polsterthron,</div> - <div class="verse">keinen Feldherrn, Hofherrn, Minister</div> - <div class="verse">und sonstige Dienstperson;</div> - <div class="verse">euch führt ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[S. 317]</a></span></p> - -<h5 id="Ein_Tierbaendiger">Ein Tierbändiger</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann Tierbändiger werden,</div> - <div class="verse">ich bin den Bestien gut;</div> - <div class="verse">sie würden gerne Menschen sein,</div> - <div class="verse">nur Qual ist ihre Wut,</div> - <div class="verse">drum sind ihre Augen so traurig.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So wie in Wahnsinn versunken,</div> - <div class="verse">so gläsern manchmal, so stier.</div> - <div class="verse">Aber man braucht sie blos zu lieben,</div> - <div class="verse">das fühlen sie ganz wie wir</div> - <div class="verse">und lernen Vernunft annehmen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Neulich am Raubtierkäfig</div> - <div class="verse">bot ich dem Tiger die Hand.</div> - <div class="verse">Er sah mich lange schnurrig an,</div> - <div class="verse">bis er mein Herz verstand;</div> - <div class="verse">dann ließ er sich ruhig tatzeln.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er gähnte wie im Zirkus</div> - <div class="verse">und bog die Schwanzspitze sacht.</div> - <div class="verse">Ich wette, den dürft ich karbatschen,</div> - <div class="verse">er dachte: Du hast die Macht,</div> - <div class="verse">du bist ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Kunstreiter">Ein Kunstreiter</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Kunstreiter werden,</div> - <div class="verse">das kann nicht jedermann;</div> - <div class="verse">nur wer bis in die Zehenspitzen</div> - <div class="verse">sich selber bändigen kann,</div> - <div class="verse">bis in die Turnschuhspitzen!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[S. 318]</a></span> - <div class="verse">Hei, wenn beim großen Luftsprung</div> - <div class="verse">meine stolzen Pferde sich bücken!</div> - <div class="verse">Die Herren Leutnants lächeln vor Neid,</div> - <div class="verse">die Damen vor Entzücken;</div> - <div class="verse">ich lächle immer mit.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich lächle, ihr schönen Damen:</div> - <div class="verse">Klatscht Beifall! still, Musik!</div> - <div class="verse">freut euch, gleich kommt der Doppel-Luftsprung,</div> - <div class="verse">vielleicht brech ich’s Genick!</div> - <div class="verse">Ich werde auch dann noch lächeln.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dann kommt ihr angefahren</div> - <div class="verse">mit Kränzen und Trauermärschen;</div> - <div class="verse">ich aber lächle noch im Sarg,</div> - <div class="verse">ich kann mich selbst beherrschen,</div> - <div class="verse">ich bin ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Jaegersmann">Ein Jägersmann</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Jägersmann werden,</div> - <div class="verse">ich hab eine sichre Hand;</div> - <div class="verse">ich werde von der Schießbudenfrau</div> - <div class="verse">immer „klein Tell“ genannt.</div> - <div class="verse">Ich hab auch kaltes Blut.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich zucke nicht mit der Wimper,</div> - <div class="verse">drück ich die Knallbüchse ab.</div> - <div class="verse">Mir soll kein Wilddieb ins Handwerk pfuschen;</div> - <div class="verse">ich bringe ihn auf den Trab,</div> - <div class="verse">und wär er schlau wie ein Teckel.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich würde wohl selber wildern,</div> - <div class="verse">hätt ich kein eigen Revier.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[S. 319]</a></span> - <div class="verse">So aber, Kerl: Mann gegen Mann,</div> - <div class="verse">ich schütze den Forst vor dir,</div> - <div class="verse">das ist meine Pflicht, Halunke!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Gewehr her! oder — gib Feuer!</div> - <div class="verse">Auge in Auge! Laß sehn:</div> - <div class="verse">piff paff, wen’s trifft, dem wird noch</div> - <div class="verse">sein ärgster Feind gestehn:</div> - <div class="verse">da liegt ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Gaertner">Ein Gärtner</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Gärtnersmann werden,</div> - <div class="verse">mit allen Pflanzen vertraut.</div> - <div class="verse">Mir schadet keine Treibhausluft</div> - <div class="verse">und auch kein giftiges Kraut;</div> - <div class="verse">ich bin so zäh wie ein Buchsbaum.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich nutze die giftigen Kräuter,</div> - <div class="verse">ich züchte Heilkräuter draus,</div> - <div class="verse">mitunter auch Küchenkräuter;</div> - <div class="verse">nur die Unkräuter reiß ich aus</div> - <div class="verse">oder veredle sie.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und meine Baumschule, Leute,</div> - <div class="verse">schmückt alle Landstraßen, seht!</div> - <div class="verse">Jawohl, Herr Nachbar, es lohnt sich,</div> - <div class="verse">wenn man noch mehr versteht</div> - <div class="verse">als schöne Sträuße zu binden!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mein Garten wird nicht verschmachten,</div> - <div class="verse">gefällt er manchem schlecht.</div> - <div class="verse">Er kann euern Beifall verachten,</div> - <div class="verse">und euer Schimpfen erst recht;</div> - <div class="verse">ihn pflegt ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[S. 320]</a></span></p> - -<h5 id="Ein_Ackersmann">Ein Ackersmann</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Ackersmann werden;</div> - <div class="verse">auch der muß tapfer sein.</div> - <div class="verse">Mit Himmel und Erde muß er kämpfen,</div> - <div class="verse">daß seine Felder gedeihn,</div> - <div class="verse">ein Kriegsmann Schritt für Schritt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Um Haus, Hof, Heimat kämpft er,</div> - <div class="verse">potz Hagel, Blitz und Brand!</div> - <div class="verse">Mit Gleichmut ist sein Herz gepanzert,</div> - <div class="verse">mit Schwielen seine Hand,</div> - <div class="verse">hart wie das Korn, das er sät.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wills daheim nicht fruchten,</div> - <div class="verse">um Deutschland geht kein Zaun;</div> - <div class="verse">noch manchen Urwald gibts zu lichten,</div> - <div class="verse">da kann man Blockhütten baun</div> - <div class="verse">und neue Heimat schaffen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Vielleicht stößt doch das Heimweh</div> - <div class="verse">langsam das Herz ihm ab?</div> - <div class="verse">Dann aber rauschen die Ähren</div> - <div class="verse">weithin um sein Grab:</div> - <div class="verse">hier ruht ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Seemann">Ein Seemann</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Seemann werden,</div> - <div class="verse">Kapitän oder Steuermann.</div> - <div class="verse">Den macht sein Steuerrad so stark,</div> - <div class="verse">wie der Pflug den Ackersmann;</div> - <div class="verse">kommt nur, ihr Wolken und Wellen!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[S. 321]</a></span> - <div class="verse">Der Wind pflügt tausend Furchen</div> - <div class="verse">von einem zum andern Strand.</div> - <div class="verse">Nur Eine Furche pflügt mein Schiff:</div> - <div class="verse">die bricht unserm Vaterland</div> - <div class="verse">nach allen Erdteilen Bahn.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ob noch so undurchdringlich</div> - <div class="verse">ringsum der Nebel graut,</div> - <div class="verse">daß selbst die Sonne durch den Dunst</div> - <div class="verse">wie’n blindes Auge schaut:</div> - <div class="verse">unser Kompaß kennt den Weg.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn wir die Flagge hissen,</div> - <div class="verse">du fremde Hafenstadt,</div> - <div class="verse">soll jeder Matrose wissen,</div> - <div class="verse">der Ehre im Leibe hat:</div> - <div class="verse">dir naht ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Lotse">Ein Lotse</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann auch Lotse werden;</div> - <div class="verse">da, wo die Schiffbrüche drohn.</div> - <div class="verse">Ich darf das Sturmboot kommandieren,</div> - <div class="verse">wenn vor der Wachtstation</div> - <div class="verse">plötzlich der Notschuß dröhnt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Los, Jungens! an die Riemen!</div> - <div class="verse">Und in den schwarzen Braus</div> - <div class="verse">sprüht der Raketen-Apparat</div> - <div class="verse">Leuchtschnur auf Leuchtschnur aus;</div> - <div class="verse">grell klafft die Nacht ums Wrack.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mit brüllendem Rachen schnappen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[S. 322]</a></span> <div class="verse">die Sturzseen über Deck.</div> - <div class="verse">Die Mannschaft reißt die Passagiere</div> - <div class="verse">vom krachenden Mastbaum weg;</div> - <div class="verse">der Gischt fegt ihn von Bord.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und in den bleichen Haufen</div> - <div class="verse">prasselt mein Rettungstau;</div> - <div class="verse">da kriegen auch die Feigsten Mut,</div> - <div class="verse">und manche schwache Frau</div> - <div class="verse">wird ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Taucher">Ein Taucher</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Taucher werden,</div> - <div class="verse">einsam auf Meeres Grund.</div> - <div class="verse">Da könnt ihr Stürme nicht hinab;</div> - <div class="verse">still wie in Todes Schlund</div> - <div class="verse">tu ich mein kühnes Werk.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Lautlose Wirbel schauern</div> - <div class="verse">über und unter mir;</div> - <div class="verse">mit dunklen Fangarmen lauert</div> - <div class="verse">heimtückisches Getier</div> - <div class="verse">zwischen den grauen Riffen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da muß ich die Schätze heben,</div> - <div class="verse">die für die Menschen taugen;</div> - <div class="verse">gespenstische Wesen schweben</div> - <div class="verse">mit bunten Phosphor-Augen</div> - <div class="verse">um meine Glocke hin.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und hab ich sie gehoben,</div> - <div class="verse">dann sperrt wohl noch ein Hai</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[S. 323]</a></span> <div class="verse">sein schiefes Maulwerk nach mir auf.</div> - <div class="verse">Dem bringt’s mein Fußtritt bei:</div> - <div class="verse">hier schwebt ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Goldgraeber">Ein Goldgräber</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Goldgräber werden</div> - <div class="verse">und des Erdgrunds Schätze schürfen.</div> - <div class="verse">Mutter Erde spendet immer mehr,</div> - <div class="verse">je mehr die Menschen bedürfen;</div> - <div class="verse">mein Lehrer hats gesagt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wohl kostets Schweiß in Strömen,</div> - <div class="verse">den Bergschutt auszuschmelzen,</div> - <div class="verse">oder tief aus unterirdischen Flüssen</div> - <div class="verse">den Schlamm heraufzuwälzen,</div> - <div class="verse">der die paar Goldkörner birgt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber endlich ists ein Klumpen,</div> - <div class="verse">blitzblendeblank gewaschen!</div> - <div class="verse">Nun kann ich Vater, Mutter und Alle</div> - <div class="verse">zum Geburtstag überraschen;</div> - <div class="verse">auch den reichen Kurt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mutter Erde soll sich wundern,</div> - <div class="verse">wie meine Schatztaler springen:</div> - <div class="verse">Hand auf! nehmt hin den Plunder,</div> - <div class="verse">ich kann mir mehr erringen,</div> - <div class="verse">ich bin ein kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Bergfuehrer">Ein Bergführer</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Bergsteiger werden,</div> - <div class="verse">der die andern alle führt.</div> - <div class="verse">Pfade, wo nie ein Schritt erklang:</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[S. 324]</a></span> - <div class="verse">wer hat sie aufgespürt!</div> - <div class="verse">Das tat meine Herzenslust!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die treibt mich hin zu den Gipfeln,</div> - <div class="verse">über Schnee, durch Wetterschlag,</div> - <div class="verse">am Sturzbach hin, am Gletscherrand,</div> - <div class="verse">hinauf! Nun klettert nach,</div> - <div class="verse">ihr andern Wagehälse!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mir nach mit glühendem Herzen,</div> - <div class="verse">hinauf ins freie Eis!</div> - <div class="verse">Wer stürzt, den schmückt im Paradies</div> - <div class="verse">die Blume Edelweiß!</div> - <div class="verse">Kommt! jauchzend grüß ich euch.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber am liebsten steh ich</div> - <div class="verse">hoch oben ganz allein,</div> - <div class="verse">mitten im stillen Himmelskreis,</div> - <div class="verse">und höre die Adler schrein:</div> - <div class="verse">grüß Gott, du kleiner Held!</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Luftschiffer">Ein Luftschiffer</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Luftschiffer werden,</div> - <div class="verse">immer höher schlägt mein Herz:</div> - <div class="verse">da fliehn die Flüsse unter mir</div> - <div class="verse">wie dünne Adern Erz,</div> - <div class="verse">meine Gondel steigt und steigt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Luft wird immer reiner;</div> - <div class="verse">das wirre Erdgewühl</div> - <div class="verse">wird alles klein und kleiner,</div> - <div class="verse">wird alles wie ein Spiel.</div> - <div class="verse">Ich gleite drüber hin.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[S. 325]</a></span> - <div class="verse">Hin, wo die Wolken schweigen;</div> - <div class="verse">kaum noch ein Berghaupt blinkt.</div> - <div class="verse">Ich fühle mich nicht mehr steigen,</div> - <div class="verse">nur die Erde sinkt und sinkt;</div> - <div class="verse">mir träumt ein Schaukellied.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich schwebe nur und schwebe,</div> - <div class="verse">in die blaue Welt hinein.</div> - <div class="verse">Wer weiß wohin — ade, ade —</div> - <div class="verse">der Himmel wiegt mich ein:</div> - <div class="verse">fahr wohl, du kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Dichter">Ein Dichter</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Dichtersmann werden,</div> - <div class="verse">ich weiß schon, was das heißt;</div> - <div class="verse">das ist ein Mensch auf Erden</div> - <div class="verse">mit einem himmlischen Geist,</div> - <div class="verse">und der auf Leben und Tod pfeift.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er pfeift: mir lacht das Leben,</div> - <div class="verse">weil ich unsterblich bin!</div> - <div class="verse">Er pfeift: ich lache aufs Sterben,</div> - <div class="verse">mir lebt ein Lied im Sinn,</div> - <div class="verse">das geht so weit wie die Welt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So einen Dichter kenn ich;</div> - <div class="verse">er streicht mir manchmal die Stirn,</div> - <div class="verse">und wie ein Fernrohr rührt sein Blick</div> - <div class="verse">hell an mein Gehirn,</div> - <div class="verse">dann seh ich den Himmel offen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da tanzen die Sterne und singen:</div> - <div class="verse">Nur wen wir auserwählt,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[S. 326]</a></span> - <div class="verse">dem kann das Lied gelingen;</div> - <div class="verse">wird er’s wohl fertig bringen,</div> - <div class="verse">unser kleiner Held?</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Ein_Engel">Ein Engel</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann ein Engel werden,</div> - <div class="verse">wenn ich gestorben bin.</div> - <div class="verse">Dann jagt wohl mit Wolkenpferden,</div> - <div class="verse">die wir nicht sehn auf Erden,</div> - <div class="verse">meine Kraft durchs Luftmeer hin.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Meine Flügel sind wohl die Stürme,</div> - <div class="verse">der Blitzstrahl wohl mein Pfad.</div> - <div class="verse">Ich weiß es nicht, ich leuchte nur;</div> - <div class="verse">mich treibt ein Geist zur Tat,</div> - <div class="verse">der braucht wohl meine Kraft.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich leuchte in tausend Gestalten,</div> - <div class="verse">vielleicht wo die Sonne loht,</div> - <div class="verse">vielleicht wo Sterne erkalten,</div> - <div class="verse">die bleich noch Nachtwache halten,</div> - <div class="verse">vielleicht im Morgenrot.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da darf ich überall wirken;</div> - <div class="verse">und bin doch vor dem Geist,</div> - <div class="verse">der mich und all die andern Engel</div> - <div class="verse">zu Seinem Werk hinreißt,</div> - <div class="verse">nur ein kleiner Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<h5 id="Schluss">Schluß</h5> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann noch manch andres werden,</div> - <div class="verse">solang ich kein Engel bin.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[S. 327]</a></span> - <div class="verse">Aber immer trag ich armer Junge</div> - <div class="verse">die eine Frage im Sinn:</div> - <div class="verse">was wirst du auf jeden Fall?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und trage in meinem Herzen</div> - <div class="verse">manch eines Mannes Bild,</div> - <div class="verse">der so beherzt war, daß er uns</div> - <div class="verse">als <em class="gesperrt">großer</em> Held nun gilt:</div> - <div class="verse">Wilhelm Tell, König Fritz, der Herr Jesus.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dazu gehört nicht Reichtum</div> - <div class="verse">noch lange Lebensfrist.</div> - <div class="verse">Mir hat mein Dichtersmann gesagt:</div> - <div class="verse">jedes Kind auf Erden ist</div> - <div class="verse">ein kleiner Welterobrer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das will ich an jeder Stelle</div> - <div class="verse">sein, so sehr ich kann.</div> - <div class="verse">Dann werd ich auf alle Fälle</div> - <div class="verse">ein ganzer Mann — und dann</div> - <div class="verse">vielleicht ein ganzer Held.</div> - </div> - </div> -</div> - -<div class="section padtop3"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[S. 328]</a></span></p> - -<h3 id="Knecht_Ruprecht_und_die_Christfee">Knecht Ruprecht und die Christfee</h3> - -<p class="center">Ein Weihnachtsspiel</p> - -</div> - -<p class="regie padtop1">Knecht Ruprecht und die Christfee -treten in die Weihnachtsstube, während am Klavier die Chorweise -„Tochter Zion, freue dich“ aus Händels „Judas Makkabäus“ -ertönt.</p> - -<p class="center padtop1"><em class="gesperrt">Ruprecht</em></p> - -<p class="regie">zu den Kleinen, nachdem es still geworden ist:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bin der alte Weihnachtsmann,</div> - <div class="verse">ich hab ein’n bunten Wunderpelz an;</div> - <div class="verse">mein Haar ist weiß</div> - <div class="verse">von Reif und Eis.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich komm weit hinter Hamburg her,</div> - <div class="verse">mit langen Stiefeln durchs kalte Meer,</div> - <div class="verse">meinen Mummelsack</div> - <div class="verse">huckepack.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Er nimmt den Sack von der Schulter und stellt ihn vor -sich auf den Boden.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da sind viel gute Sachen drin,</div> - <div class="verse">Nüss und Äpfel und große Rosin’n;</div> - <div class="verse">ich bin ein lieber Mann,</div> - <div class="verse">seht an!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Er öffnet den Sack und langt dabei verstohlen die Rute -aus dem Gürtel.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich kann aber auch böse sein.</div> - <div class="verse">Dann fahr ich mit der Rute drein</div> - <div class="verse">und schüttel den Bart:</div> - <div class="verse">na wart’t!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Nein, seid nicht bang; seid lieb und fein,</div> - <div class="verse">seid wie mein schön gut Schwesterlein!</div> - <div class="verse">Ist die euch hold,</div> - <div class="verse">schenk ich, was ihr wollt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[S. 329]</a></span></p> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Christfee</em></p> - -<p class="regie">in weißem Kleid und Schleier, mit Engelsflügeln und -Sterndiadem, in der Linken einen Tannenzweig haltend, wendet sich an -die Großen:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bin aus einem hellen Lande;</div> - <div class="verse">da wächst und blüht ein Baum, um den</div> - <div class="verse">wir all in strahlendem Gewande</div> - <div class="verse">mit silberweißen Flügeln stehn.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Baum ist grün, grün ohne Ende,</div> - <div class="verse">und seine Höhe mißt kein Sinn;</div> - <div class="verse">und seine Zweige sind wie Hände,</div> - <div class="verse">die strecken sich nach Jedem hin.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Baum trägt viele tausend Kerzen,</div> - <div class="verse">und jede ist der andern gleich;</div> - <div class="verse">und ihre Flammen sind wie Herzen,</div> - <div class="verse">die leuchten klar und warm und weich.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Er hängt voll Gold bis an die Spitze,</div> - <div class="verse">und seine Jahre zählt kein Mund;</div> - <div class="verse">und seine Wurzeln sind wie Blitze,</div> - <div class="verse">die dringen in den härtesten Grund.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O komm, komm! Tausend Früchte warten,</div> - <div class="verse">dein goldner Apfel pflückt sich leicht;</div> - <div class="verse">denn Jedem öffnet sich der Garten,</div> - <div class="verse">wer sinnt, wie man den Baum erreicht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Kommt, seht ihn schimmern! Heut aufs neue</div> - <div class="verse">erfüllt sich, was die Schrift verhieß:</div> - <div class="verse">Einst pflanzte, daß der Mensch sich freue,</div> - <div class="verse">Gott einen Baum ins Paradies.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em></p> - -<p class="regie">hat inzwischen die Teller der Kinder mit Pfefferkuchen, Nüssen, -Äpfeln gefüllt und tritt nun zu der kleinen Veradetta:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[S. 330]</a></span> - <div class="verse">Möchtest du wohl in den Garten,</div> - <div class="verse">wo so schöne Äpfel warten?</div> - <div class="verse">Ja? — Dann mußt du fein</div> - <div class="verse">sittsam sein.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mußt dich nicht so wild geberden,</div> - <div class="verse">mußt so wie die Christfee werden.</div> - <div class="verse">Es ist garnicht schwer;</div> - <div class="verse">kuck mal her!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Muß dir nur recht viel dran liegen,</div> - <div class="verse">auch zwei Flügelchen zu kriegen.</div> - <div class="verse">Wenn du groß bist, ah:</div> - <div class="verse">dann sind sie da.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Christfee</em></p> - -<p class="regie">zum kleinen Peter-Heinz, eindringlich:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Du, mein kleiner Heinzelmann,</div> - <div class="verse">machst dich gern zu wichtig.</div> - <div class="verse">Sieh dir mal den Ruprecht an:</div> - <div class="verse">siehst du, <em class="gesperrt">der</em> machts richtig.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jedem schenkt er was und lacht,</div> - <div class="verse">aber höchst bescheiden;</div> - <div class="verse">daß man dumme Witze macht,</div> - <div class="verse">kann er garnicht leiden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und wer mault, den haut er sehr,</div> - <div class="verse">und dann sagt er: schade! —</div> - <div class="verse">So, nun sag uns auch was her,</div> - <div class="verse">und halt den Kopf hübsch grade!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Heinz</em></p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[S. 331]</a></span></p> - -<p class="regie">sagt mit seiner verschmitztesten Miene folgende Schnurre (von -Paula und Richard Dehmel) auf:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Der Esel, der Esel,</div> - <div class="verse">wo kommt der Esel her?</div> - <div class="verse">Von Wesel, von Wesel,</div> - <div class="verse">er will ans schwarze Meer.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wer hat denn, wer hat denn</div> - <div class="verse">den Esel so bepackt?</div> - <div class="verse">Knecht Ruprecht, Knecht Ruprecht</div> - <div class="verse">mit seinem Klappersack.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Mit Nüssen, mit Äpfeln,</div> - <div class="verse">mit Spielzeug allerlei,</div> - <div class="verse">und Kuchen, ja Kuchen</div> - <div class="verse">aus seiner Bäckerei.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wo bäckt denn, wo bäckt denn</div> - <div class="verse">Knecht Ruprecht seine Speis?</div> - <div class="verse">In Island, in Island,</div> - <div class="verse">drum ist sein Bart so weiß.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Die Rute, die Rute,</div> - <div class="verse">die ist dabei verbrannt;</div> - <div class="verse">heut sind die Kinder artig</div> - <div class="verse">im ganzen deutschen Land.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ach Ruprecht, ach Ruprecht,</div> - <div class="verse">du lieber Weihnachtsmann,</div> - <div class="verse">komm auch zu <em class="gesperrt">mir</em> mit deinem</div> - <div class="verse">Sack heran!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em></p> - -<p class="regie">lachend, indem er in den Sack langt:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Na! dann muß der Ruprecht wohl</div> - <div class="verse">seine Rute rasch verstecken;</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[S. 332]</a></span> - <div class="verse">denn er hat die Jungens gern,</div> - <div class="verse">die nicht gleich vor ihm erschrecken.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Hier, mein kleiner tapfrer Mann,</div> - <div class="verse">schenk ich dir ein Spiel Soldaten.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Noch eine Schachtel herausnehmend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und in diesem Kasten steckt</div> - <div class="verse">Handwerkzeug zu andern Taten.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Peter Heinz! Soldat sein heißt:</div> - <div class="verse">fürcht dich nit und lern brav hauen!</div> - <div class="verse">Aber noch viel braver ist es,</div> - <div class="verse">lernst du recht was Schönes <em class="gesperrt">bauen</em>.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Jedes Werkzeug sagt dir: lerne</div> - <div class="verse">festen Griff mit Fug und Fleiß —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Christfee</em></p> - -<p class="regie">neckend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">denn das hat der Ruprecht gerne,</div> - <div class="verse">daß man zuzugreifen weiß.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Dann den andern Heinz anredend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und Heinz Lux — sieh blos mal her:</div> - <div class="verse">Rehe, Hirsche und ein Bär,</div> - <div class="verse">Hühner, Hasen, Füchse, Raben:</div> - <div class="verse">gelt, die möchtest du wohl haben?</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ja? Dann mußt du aber balde</div> - <div class="verse">wie der Jägersmann im Walde</div> - <div class="verse">aufmerksam und achtsam werden,</div> - <div class="verse">darfst dich nicht wie’n Tapps geberden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Sonst wird gleich der Eber hier</div> - <div class="verse">dreimal größer als die Tür,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[S. 333]</a></span> - <div class="verse">kommt und stößt dich mausetot,</div> - <div class="verse">ißt dich auf zum Abendbrot.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Wenn du aber orndtlich bist,</div> - <div class="verse">bleibt das alles, wie es ist;</div> - <div class="verse">und dann kannst du mit den vielen</div> - <div class="verse">wilden Tieren ruhig spielen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Na, und Du, Prinzeßchen da,</div> - <div class="verse">Veradetta, ganz in Seide,</div> - <div class="verse">kannst wohl auch ein Liedchen? ja?</div> - <div class="verse">Ei, dann mach uns mal die Freude!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Detta</em></p> - -<p class="regie">die Hände faltend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all,</div> - <div class="verse">o kommet zur Krippe in Bethlehems Stall,</div> - <div class="verse">und seht, was in dieser hochheiligen Nacht</div> - <div class="verse">der Vater im Himmel für Freude uns macht!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O seht, in der Krippe, im nächtlichen Stall,</div> - <div class="verse">seht hier bei des Lämpchens still glänzendem Strahl</div> - <div class="verse">in reinlichen Windeln das liebliche Kind,</div> - <div class="verse">viel schöner, viel holder, als Engel wohl sind.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Da liegt es, ach Kinder! auf Heu und aus Stroh;</div> - <div class="verse">Maria und Josef betrachten es froh,</div> - <div class="verse">die redlichen Hirten knien betend davor,</div> - <div class="verse">hoch oben schwebt jubelnd der himmlische Chor.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em></p> - -<p class="regie">hat dem alten Lied mit Andacht zugehört, nickt und sagt:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das war wirklich wunderschön,</div> - <div class="verse">ja, das muß ich sagen!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[S. 334]</a></span></p> - -<p class="regie">Ein Geschenk vorholend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Dafür krigst du, sieh mal, den</div> - <div class="verse">reizenden Kinderwagen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Christfee</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und in lauter Silberflaum,</div> - <div class="verse">ei, welch Engelspüppchen!</div> - <div class="verse">Und da unterm Tannenbaum,</div> - <div class="verse">sieh nur, steht ein Stübchen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O, wie wird sich Püppchen freun,</div> - <div class="verse">wenn du’s da wirst wiegen!</div> - <div class="verse">braucht nicht wie arm Jesulein</div> - <div class="verse">in einem Stall zu liegen.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Liegt und lacht, o sieh doch, ganz</div> - <div class="verse">wie klein Liselotte,</div> - <div class="verse">Schwesterchen im Lichterglanz,</div> - <div class="verse">träumt vom lieben Gotte.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Träumt von einer andern Welt,</div> - <div class="verse">die wir hier nur ahnen;</div> - <div class="verse">da sät Gottes Mutter hell</div> - <div class="verse">ihren Sternensamen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse"><em class="gesperrt">Euer</em> Mutting aber krigt</div> - <div class="verse">diese bunte Schürze,</div> - <div class="verse">drin ein Bündel Scheren liegt</div> - <div class="verse">jeder Läng und Kürze.</div> - <div class="verse">Damit soll sie säuberlich</div> - <div class="verse">Vaters Dichterflügel putzen</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[S. 335]</a></span> - <div class="verse">und ihm, übereilt er sich,</div> - <div class="verse">seine wilden Federn stutzen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Er legt das Geschenk auf den Weihnachtstisch, greift dann -weiter in den Sack:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und für Onkel Mombert hab ich</div> - <div class="verse">einen Leuchter aufgegabelt,</div> - <div class="verse">in Gestalt des rasenden Drachens,</div> - <div class="verse">über den die Sage fabelt,</div> - <div class="verse">daß er einst das ewige Licht</div> - <div class="verse">losriß aus den finstern Gründen;</div> - <div class="verse">mag er nun dasselbe Licht</div> - <div class="verse">dir im Kämmerlein entzünden!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Dann eine Flasche Benediktiner auspackend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Onkel Scheerbart — ha! — der krigt</div> - <div class="verse">diesen Seelenwärmer;</div> - <div class="verse">seht, schon macht er ein Gesicht</div> - <div class="verse">wie’n religiöser Schwärmer!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Hier können, je nach Mehrbedarf, weitere Bescherungsreime -eingestickt werden; wie überhaupt die Einzelheiten der Bescherung -nur als Anleitung zu ähnlichem Mummenschanz gemeint sind.</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Tante Lisbeth, brumm brum brumm,</div> - <div class="verse">will ich lieber meiden;</div> - <div class="verse">denn die kann, Gott weiß warum,</div> - <div class="verse">den Weihnachtsmann nicht leiden.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aber unsre Guste hier,</div> - <div class="verse">unser Hausmamsellchen,</div> - <div class="verse">daß sie nicht beim Ausgehn frier,</div> - <div class="verse">krigt ein warmes Fellchen.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Er nimmt sich die Pelzjacke von der Schulter und hängt -sie dem Dienstmädchen über. Steht nun in einem abgetragenen blauen -Arbeitskittel da und sagt zur Christfee:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Na, und jetzt, mein Schwesterlein,</div> - <div class="verse">können wir wohl gehen.</div> - <div class="verse">Oder fällt dir noch was ein?</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[S. 336]</a></span> - <div class="verse">Siehst mir gar so ernsthaft drein.</div> - <div class="verse">Warum bleibst du stehen?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Christfee</em>:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich hab ein Wort vernommen,</div> - <div class="verse">das läßt mich nimmer los.</div> - <div class="verse">Ich mag zum Ärmsten kommen,</div> - <div class="verse">und sei er ganz beklommen,</div> - <div class="verse">ich sage immer blos:</div> - <div class="verse">liebe!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O — dann atmet Jeder wärmer;</div> - <div class="verse">war doch Er noch viel, viel ärmer,</div> - <div class="verse">der das Wort einst sprach.</div> - <div class="verse">Selbst die stummste Menschenseele,</div> - <div class="verse">ob ihr jeder Laut sonst fehle,</div> - <div class="verse">stammelt heimlich nach:</div> - <div class="verse">ich liebe.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Aller Orten, aller Zungen,</div> - <div class="verse">Jedem ist es schon erklungen,</div> - <div class="verse">selig oder scheu.</div> - <div class="verse">Jedem wohnt das Blümlein inne,</div> - <div class="verse">dem ich jetzt ein Lied beginne,</div> - <div class="verse">Lied so alt wie neu:</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Nachdem auf dem Klavier die Weise angeschlagen ist, -spricht die Christfee jede Zeile einzeln vor und Alle singen Zeile für -Zeile nach:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es ist ein Reis entsprungen</div> - <div class="verse">aus einer Wurzel zart;</div> - <div class="verse">wie uns die Alten sungen,</div> - <div class="verse">vom Himmel kam die Art.</div> - <div class="verse">Und hat ein Blümlein bracht,</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[S. 337]</a></span> - <div class="verse">mitten im kalten Winter,</div> - <div class="verse">wohl zu der halben Nacht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Das Blümlein war so kleine</div> - <div class="verse">und doch von Duft so süß;</div> - <div class="verse">mit seinem milden Scheine</div> - <div class="verse">verklärt’s die Finsternis.</div> - <div class="verse">Und blüht nun immerdar,</div> - <div class="verse">tröstet die Menschenkinder,</div> - <div class="verse">holdselig, wunderbar.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ein Stern mit hellen Gleisen</div> - <div class="verse">hat es der Welt verkündt,</div> - <div class="verse">den Kindlein und den Weisen,</div> - <div class="verse">wie man dies Blümlein findt.</div> - <div class="verse">Nun ist uns nicht mehr bang,</div> - <div class="verse">seit aus der dunklen Erde</div> - <div class="verse">solch leuchtend Reis entsprang.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em></p> - -<p class="regie">nach kurzem Schweigen:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Amen! — Ja, geliebte Kinder,</div> - <div class="verse">voller Wunder ist die Welt;</div> - <div class="verse">solch ein Lied ist doch noch schöner</div> - <div class="verse">als das schönste Spielzeug, gelt?!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Die Christfee</em></p> - -<p class="regie">zu den Großen gewendet:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Fühlt denn, wie aus zweien Landen</div> - <div class="verse">Bruder sich und Schwester fanden;</div> - <div class="verse">Ruprecht, gib mir deine Hand!</div> - <div class="verse">Ich aus Morgen, Er aus Abend,</div> - <div class="verse">Ich im Silberkleid, Er trabend</div> - <div class="verse">in verwittertem Gewand.</div> -<span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[S. 338]</a></span> - <div class="verse">Beugt euch Ihm, dem Überlegnen:</div> - <div class="verse">er kann wirken, ich nur segnen,</div> - <div class="verse">er bringt Frucht, ich will nur Licht.</div> - <div class="verse">Ich aus Süden, Er aus Norden,</div> - <div class="verse">seine Welt ist stark geworden —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="center"><em class="gesperrt">Ruprecht</em></p> - -<p class="regie">ihr den Mund zuhaltend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">ja, daß sie mich fast unterkrigt;</div> - <div class="verse">Schwesterherz, blamier mich nicht! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Dann wieder zu den Kleinen:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und nun wüßtet ihr wohl gerne,</div> - <div class="verse">wer das ist, der Weihnachtsmann —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">sich den weißen Bart und alten Hut abnehmend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">das ist euer lieber Vater,</div> - <div class="verse">schaut ihn euch nur näher an!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Und die Christfee mit den Flügeln —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">ihr den Schleier und das Diadem abnehmend:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">das ist eure Mutter, seht!</div> - <div class="verse">Und so ists mit all den Wundern,</div> - <div class="verse">die ihr anfangs nicht versteht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">All das Schöne auf der Erde,</div> - <div class="verse">das ihr einzusehn begehrt,</div> - <div class="verse">wird von Vater oder Mutter,</div> - <div class="verse">wenn es Zeit ist, euch erklärt.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Auch die Englein, Mond und Sterne,</div> - <div class="verse">und das liebe Jesuskind,</div> - <div class="verse">und der gute Gott im Himmel,</div> - <div class="verse">und was sonst für Märchen sind.</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[S. 339]</a></span> - <div class="verse">Denn das alles, Kinder, alles,</div> - <div class="verse">was die Erde schöner macht,</div> - <div class="verse">ist von lieben, guten, klugen</div> - <div class="verse">Menschen langsam ausgedacht.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ist drum aber nicht gelogen;</div> - <div class="verse">nein, was Haupt und Herz verklärt,</div> - <div class="verse">Abglanz ist es einer wahren</div> - <div class="verse">Zauberkraft, die ewig währt,</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">die von Stern zu Stern geheime</div> - <div class="verse">Lichtbefehle traumhaft schickt</div> - <div class="verse">und euch weihnachtshell begeistert,</div> - <div class="verse">wenn ihr gläubig aufwärts blickt.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Nachdem er seine Kinder der Reihe nach auf die Stirn geküßt -hat:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">So, nun spielt und freut euch sehr!</div> - <div class="verse">Übers Jahr erzähl ich mehr.</div> - </div> - </div> -</div> - -<p class="regie">Vom Klavier ertönt aufs neue die Chorweise „Tochter Zion, -freue dich!“</p> - -<div class="section padtop3"> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[S. 340]</a></span></p> - -<h3 id="Das_Dichterspiel">Das Dichterspiel</h3> - -</div> - -<p>Jedes Jahr am Sylvesterabend machte die kleine Ursula bei Tante Li -und Onkel Ri Besuch, und diesmal hatte sie ihren Vetter Heinz Peter -und seinen Freund Heinz Lux mitgebracht, die beide schon etwas größer -waren. Es sollte das Dichterspiel gespielt werden; und die Ursel, die -nun bald dreizehn Jahre alt wurde, war ganz aufgeregt vor Spannung, -ob sie wohl auch einen Preis kriegen könnte, oder ob ihr die großen -Bengels, die immer alles besser wußten, wieder eine lange Nase drehn -würden.</p> - -<p>„Zu dem Dichterspiel“, erklärte der Onkel Ri, „gehört nichts weiter, -meine Herrschaften, als die nötige Menge Papier und Bleistifte, -ein bißchen Zeit und ein bißchen Grips. Jeder von uns sagt zwei -Hauptwörter, und die schreiben wir alle auf. Dann muß jeder um -diese Wörter herum eine kurze Geschichte dichten und natürlich auch -aufschreiben, innerhalb einer bestimmten Frist. Da wir fünf Dichter -sind, kommen zehn Wörter ins Spiel; setzen wir also zehn Minuten -Frist! Nachher liest jeder seine Geschichte vor, und wir stimmen ab, -wer die beste ersonnen hat; der darf sich als Preis ein Licht vom -Weihnachtsbaum holen. Wer den Abend über die meisten Lichter gewinnt, -der ist Sieger und krigt den Sternpreis, wenn der Weihnachtsbaum -geplündert wird.“</p> - -<p>Der Sternpreis, das war ein Stern mit fünf Zacken, der in jedem -Jahr auf der Baumspitze stak; und an den Zacken hing immer allerlei -Süßes, wie die Ursel aus Erfahrung wußte. Ach, ob sie wohl heute -siegen würde? Wäre sie blos nicht so dumm gewesen, die zwei Bengels -mitzubringen, statt wieder ein paar Freundinnen. Grips genug -hatte sie selbstverständlich, aber an Fixigkeit waren die Buben -ihr über. Was für ausgefallene Wörter sie gleich bei der ersten -Aufgabe nahmen! <em class="gesperrt">Krauskopf</em>, <em class="gesperrt">Bewußtsein</em>, <em class="gesperrt">Element</em>, -<em class="gesperrt">Sportkostüm</em>.<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[S. 341]</a></span> Dann sagten die Tante und der Onkel: <em class="gesperrt">Ufer</em>, -<em class="gesperrt">Brücke</em>, <em class="gesperrt">Jagd</em>, <em class="gesperrt">Pfeil</em>. Und zuletzt die Ursel: -<em class="gesperrt">Spitze</em>, <em class="gesperrt">Stern</em>. Und o weh: als die zehn Minuten vorbei -waren, hatte sie richtig ihre Geschichte höchstens erst dreiviertel -fertig. Aber ein Trost war es wenigstens, daß nach der Abstimmung -keiner der Heinze das erste Licht vom Baum holen durfte, sondern -einstimmig gewann Tante Li. Ihre Geschichte lautete:</p> - -<p>Ich stand einmal vor einer Brücke. Über diese Brücke jagte auf einem -Rappen eine junge Negerin, umflattert von einem weiten buntwollenen -Mantel. Hoch in der rechten Hand, über ihrem Krauskopf, hielt sie -einen langen Pfeil. Ihr ganzer Körper war Aufgeregtheit. Sie trieb -ihren Gaul zu rasender Hetzjagd an, und als sie die Brücke hinter sich -hatte, stürmte sie den Fluß entlang und ließ endlich ihren Pfeil in den -Ufersand sausen. Sie hob ihn auf, und wieder gings wie ein entfesseltes -Element über die Brücke zurück, dann jenseits ein Stück das Ufer -entlang, und als Ende der Jagd: der Pfeil in den Sand. Es war in diesem -verbohrten Treiben eine so schrecklich sinnlose Wildheit, daß ich immer -noch stand, als sie noch einmal über die Brücke herüberkam und wie -beim ersten Mal umkehrte und abermals zurückstürmte. Da, als sie grad -auf der Mitte der Brücke war, geht mit ruhigen Schritten eine Dame ihr -nach, ebenso jung, aber weißhäutig, mit maisgoldnem Haar, sehr hoch -und schlank, gekleidet in ein schlichtes, schwarzes, eng anliegendes -Sportkostüm. Sie trug auch einen langen Pfeil in der Hand, aber ganz -leicht und unauffällig. Als sie dort angekommen war, wo vor ihr her die -Wilde jagte, hielt sie an, zielte einen einzigen Augenblick, aber mit -äußerstem Bewußtsein, schleuderte ihren Pfeil, und dieser flog, scharf -über dem Kopf der Wilden hin, schneller als deren Pfeil, erst gradaus, -dann im Bogen über die Brückenecke, aber nicht in den Sand des Ufers, -sondern ihr Ziel war ein fünfzackiger Stern, der auf der Spitze eines -Bootmastes stak.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_342" id="Seite_342">[S. 342]</a></span></p> - -<p>Die Ursel war ganz blaß geworden und strich sich ihr blondes Haar aus -der Stirn; sie hatte gemerkt, worauf die Tante anspielte, und nahm sich -vor, bei der nächsten Aufgabe vielviel ruhiger nachzudenken. Aber sie -wurde doch wieder nicht fertig, und das zweite Licht gewann der Heinz -Lux. Diesmal hießen die Hauptwörter: <em class="gesperrt">China</em>, <em class="gesperrt">Bahnhofsuhr</em>, -<em class="gesperrt">Teppich</em>, <em class="gesperrt">Karaffe</em>, <em class="gesperrt">Kachel</em>, <em class="gesperrt">Gardine</em>, -<em class="gesperrt">Elefant</em>, <em class="gesperrt">Neptun</em>, <em class="gesperrt">Schlafzimmer</em>, <em class="gesperrt">Büffett</em> — -und dazu hatte der freche Lux folgende Geschichte erfunden:</p> - -<p>Im Kaiserreich China befindet sich eine seltsame Bahnhofsuhr. Sobald -sie zwölf zu schlagen anfängt, springt aus dem Zifferblatt eine -flache Kachel, gemustert wie ein persischer Teppich, und darauf steht -ein weißer Porzellan-Elefant. Wenn du dich auf den Elefanten setzt, -trägt er dich so schnell im Kreise um die große Uhr herum, daß du die -Besinnung zu verlieren glaubst; bis er auf einmal stehen bleibt und -dich in einer Meergrotte absetzt. Nach dem ersten Erstaunen erkennst -du, daß du im Schlafzimmer Neptuns bist, des Gottes der Ertrunkenen — -und der Betrunkenen. Denn wenn du die Gardine zurückschlägst, stehst du -einem unübersehbaren Büffett gegenüber, in dem Karaffe neben Karaffe -glänzt, und jede Karaffe enthält einen Likör, worin der tolle Gott die -Träume jeder ertrunkenen Seele aufbewahrt. Davon mußt du natürlich mal -kosten; und in dem Augenblick, wo du den ersten Tropfen schmeckst, -kommst du wieder zur Besinnung, und die Uhr tut den letzten der zwölf -Schläge.</p> - -<p>Nur die Ursel hatte dagegen gestimmt und bei dem Wort „Betrunkenen“ -pfui gerufen; wofür ihr der Peter Heinz einen Puff versetzte, wofür ihm -der Onkel Ri das Punschglas entzog. „Jetzt wollen wir aber,“ fuhr der -Onkel fort, der bis dahin auch noch nichts fertig gebracht hatte oder -vielleicht auch blos so tat, „die Sache ein bißchen schwerer machen. -Jedes der aufgegebenen Wörter darf nur Einmal gebraucht werden; dafür<span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[S. 343]</a></span> -darf aber jeder drei Wörter aufgeben, und die Frist dauert fünfzehn -Minuten.“ Dabei plinkte er der Ursel zu, sodaß sie guten Mut faßte. Es -kamen folgende Wörter ins Spiel: <em class="gesperrt">Schehresade</em>, <em class="gesperrt">Karamelle</em>, -<em class="gesperrt">Zitadelle</em>, <em class="gesperrt">Abenteurer</em>, <em class="gesperrt">Prophet</em>, <em class="gesperrt">Gazelle</em>, -<em class="gesperrt">Winternacht</em>, <em class="gesperrt">Sommermittag</em>, <em class="gesperrt">Paradies</em>, -<em class="gesperrt">Wüstensand</em>, <em class="gesperrt">Palast</em>, <em class="gesperrt">Feuer</em>, <em class="gesperrt">Braut</em>, -<em class="gesperrt">Lied</em>, <em class="gesperrt">Quelle</em> — aber die Ursel wurde wieder nicht fertig. -Doch diesmal machte sie sich nichts draus, denn Onkel Ri hatte jetzt -in Versen gedichtet, da konnte natürlich kein Andrer siegen; und -wenn der Onkel oder die Tante den Sternpreis bekamen, dann würden -sie ihn nachher doch ihr schenken. Nun las er vor: „Morgenländisches -Preislied“ — und indem er die Tante sonderbar ansah, schob er erst -noch die Bemerkung ein, daß ihm am heutigen Abend ein Hymnus auf -die orientalische Phantasie sehr angebracht scheine, weil ja das -Weihnachtsfest und die Neujahrsfeier aus dem Morgenland zu uns gekommen -seien. Hierauf deklamierte er:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">O Schehresade, Fee der Nacht,</div> - <div class="verse mleft1">in der die Wunderschelle klingt,</div> - <div class="verse">o Fee, welch Lied ist hold genug,</div> - <div class="verse">die hohe Wonne anzustimmen,</div> - <div class="verse mleft1">die uns zu deiner Schwelle zwingt —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">so hold, wie durch den Palmenhain</div> - <div class="verse mleft1">im Frühling die Gazelle springt,</div> - <div class="verse">so hold, wie aus dem Wüstensand</div> - <div class="verse">am dürren Sommermittag plötzlich</div> - <div class="verse mleft1">durchs Dorngestrüpp die Quelle dringt —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">so hold, wie durch die Winternacht</div> - <div class="verse mleft1">die Glut der Feuerstelle singt,</div> - <div class="verse">wenn unterm dichtverhängten Zelt</div> - <div class="verse">dem heimgekehrten Abenteurer</div> - <div class="verse mleft1">die Braut die Lagerfelle bringt —</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_344" id="Seite_344">[S. 344]</a></span> - <div class="verse">so hold, wie der Prophet den Mond</div> - <div class="verse mleft1">aus Allahs Zitadelle schwingt</div> - <div class="verse">und dann beim goldnen Sternetanz</div> - <div class="verse">feucht aus dem Mund der schönsten Huri</div> - <div class="verse mleft1">die Honigkaramelle schlingt —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">so, Fee der tausendzweiten Nacht,</div> - <div class="verse mleft1">die uns zu Deiner Schwelle zwingt,</div> - <div class="verse">so hält uns dein Palast im Bann,</div> - <div class="verse">bis deinen bunten Zauberteppich</div> - <div class="verse mleft1">die rosige Morgenhelle schminkt —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">bis uns das ganze Firmament</div> - <div class="verse mleft1">wie eine Wunderschelle klingt,</div> - <div class="verse">bei deren Ton das Paradies</div> - <div class="verse">samt allen Wonnen dieser Erde</div> - <div class="verse mleft1">in jede ärmste Zelle sinkt! —</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Aber der Onkel bekam den Preis nicht. Tante Li erklärte mit strenger -Miene das Gedicht für „unverständlich“; und die Ursel merkte, wie -sich die beiden Heinze unterm Tisch mit den Beinen anstießen, und daß -der Lux dem Peter was ins Ohr flüsterte, worin das Wort „unanständig“ -vorkam. Da fuhr sie aber entrüstet dazwischen: „Was! Ihr? Erst -vorgestern hab ich euch alle beide an meinem Bonbon mitlutschen lassen, -und das hat euch sehr nach mehr geschmeckt! Und überhaupt sind die -Gedichte von Onkel Ri genau so verständlich, wie die von Onkel Goethe -und Schiller! Und Tausendundeine Nacht hab ich auch gelesen!“ Die -Heinze waren krebsrot geworden, und der Peter brummelte: „dummes Jöhr!“ -Aber die Tante legte ihm die Hand auf den Mund, und mit der andern Hand -fuhr sie der Ursel liebkosend über die heißen Backen. Dann sagte sie zu -Onkel Ri, der still in sein Punschglas hineinlachte: „Es ist aber gegen -die Spielregel, daß du uns hier mit Versen<span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[S. 345]</a></span> den Kopf verdrehst; also -hat diesmal keiner gewonnen. Von jetzt an wird wieder blos zehn Minuten -gedichtet, und in ebenso einfacher Sprache, wie Schehresade gedichtet -hat. Ich glaube, das Einfache ist das Schwerste; andre Schwierigkeiten -sind überflüssig. Wers am einfachsten kann, krigt das nächste Licht.“ -Die zehn Hauptwörter lauteten nun: <em class="gesperrt">Trauerweide</em>, <em class="gesperrt">Vogel</em>, -<em class="gesperrt">Rock</em>, <em class="gesperrt">Hütte</em>, <em class="gesperrt">Arbeit</em>, <em class="gesperrt">Spieldose</em>, -<em class="gesperrt">Kinderjubel</em>, <em class="gesperrt">Pfauenauge</em>, <em class="gesperrt">Prinz</em>, <em class="gesperrt">Bettler</em>. -Und wirklich: die Ursel wurde zur rechten Zeit fertig, sogar schon eine -Minute zu früh, während Onkel Ri mit gerunzelter Stirn noch allerhand -verbesserte und die beiden Buben noch lauter Unsinn klierten. O, wie -sie die Bengels verachtete! besonders aber den frechen Heinz Lux! -Freilich, das Licht gewann sie drum doch nicht. Sondern, wie sie sichs -schon gedacht hatte, da der Onkel sich solche Mühe gab: die Tante holte -ihm selbst das Licht, er hatte eine richtige Fabel gedichtet:</p> - -<p>Neben einer Hütte stand eine Trauerweide; darunter saß ein alter Mann -und flickte seinen zerlumpten Rock. Da flog ein Pfauenauge vorüber, -ohne daß der Mann es bemerkte; und aus der Krone des Baumes kam ein -Vogel und verfolgte den Schmetterling. Zugleich begann im Innern der -Hütte eine Spieldose zu klingen, so entzückend wie ferner Kinderjubel, -sodaß der Mann von seiner Arbeit aufsah, und da verschlang der Vogel -den Schmetterling. Der Mann aber, der das mitansah, dachte: Weil ich -ein alter Bettler bin, möchte ich sterben wie dieses Pfauenauge; wenn -ich ein junger Prinz wäre, wollte ich leben wie dieser Vogel.</p> - -<p>Die nächste Aufgabe hörte sich lustiger an. Sie bestand aus den -Wörtern: <em class="gesperrt">Löwe</em>, <em class="gesperrt">Strohwisch</em>, <em class="gesperrt">Strumpfband</em>, -<em class="gesperrt">Tür</em>, <em class="gesperrt">Bart</em>, <em class="gesperrt">Igel</em>, <em class="gesperrt">Hampelmann</em>, -<em class="gesperrt">Tintenwischer</em>, <em class="gesperrt">Badehose</em>, <em class="gesperrt">Käsestulle</em>. Da machte die -Ursel sich wenig Hoffnung; da würde gewiß der ulkige Peter gewinnen. Er -kam auch gleich als erster zum Vorlesen dran, und seine Geschichte war -wirklich gelungen:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[S. 346]</a></span></p> - -<p>Einst schlief ich am Weihnachts-Heiligabend über meinen Spielsachen -ein. Nach etlicher Zeit erwachte ich und sah das Zimmer in sehr -verändertem Licht. Die Wände waren blutrot tapeziert, und durch den -Fußboden floß ein blanker, durch und durch himmelblauer Fluß, an -dem lauter knallgrüne Bäume standen, einer genau wie der andere. -Auf einmal öffnete sich die Tür, und mein alter Hampelmann trat mir -entgegen, in einer nagelneuen Uniform, und hinter ihm her ein ganz -Regiment Soldaten. Die Soldaten waren aber nicht etwa Bleisoldaten, -sondern Igel in Kürassier-Uniform, die auf gepanzerten Löwen ritten. -Es sollte großes Manöver sein; darum hatte sich jeder Igel an seiner -Waffe einen Tintenwischer oder auch Strohwisch angebracht, um nur ja -niemand zu verletzen. Jeder Löwe hatte außer dem Panzer noch eine -Badehose an, von der ein Strumpfband als Ordensband herabhing. Nun gab -der Hampelmann ein Zeichen, und die Soldaten stellten sich zu beiden -Seiten des Flusses auf, schlugen sich und schossen sich und machten -kolossal viel Musik dazu. Bald darauf war Frühstückspause, und jeder aß -eine Käsestulle. Ich hatte mich immerfort geärgert, daß mein Hampelmann -als Soldat keinen Schnurrbart trug. Jetzt in der Pause bemerkte ich -plötzlich, daß ihm aus seinen Nasenlöchern ein riesenhafter „Es ist -erreicht“ wuchs. Davon krigte ich solchen Schreck, daß ich nun wirklich -aus meinem Traum erwachte.</p> - -<p>Die beiden Heinze sahen sehr siegesbewußt aus, denn Onkel Ri hatte -mehrmals Beifall genickt, und der Lux war natürlich sofort bereit, dem -Peter seine Stimme zu geben. Aber ihre Gesichter veränderten sich, als -jetzt die Tante ihre Geschichte vorlas:</p> - -<p>Mitten in der Nacht, denkt mal, erscheint neulich bei verschlossener -Tür ein Hampelmann vor meinem Bett. Kinder, Kinder, wie sah der aus! -Ein grüner Bart — denkt nur: ein grüner Bart — hing ihm von den -Augenwimpern bis auf sein<span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[S. 347]</a></span> gelbes Strumpfband herab, das er aber nicht -ums Bein, sondern um den Hals trug. Von seiner übrigen Kleidung läßt -sich wenig erzählen, denn er hatte nichts weiter an als eine weiße -Badehose. Und auf was kam das Männlein dahergeritten? Ihr denkt auf -einem Strohwisch? Falsch. Ihr denkt auf einem Igel? Noch falscher. -Auf einem Löwen kam er daher! Aber der Löwe war so sanft, als hätte -er niemals Menschen und Tiere gefressen, sondern als wäre er mit -Käsestullen großgefüttert worden. So glich denn auch sein Haarschmuck -mehr einem Tintenwischer, als einer königlichen Mähne. Aber jetzt -öffnete er seinen Rachen; sogleich riß der Hampelmann auch seinen -Mund auf, beide rollten wie rasend die Augen, sie verknäulten sich -ineinander, und ich wüßte meiner Treu nicht zu sagen, ob der Löwe den -Hampelmann oder der Hampelmann den Löwen verschlungen hat, denn schon -im nächsten Augenblick war von Beiden keine Spur mehr übrig.</p> - -<p>Heinz Peter erklärte ritterlich, dagegen sei seine Geschichte ein -Quark; und nun stimmte der Lux auch für Tante Li. Aber da sagte Onkel -Ri, indem er lächelnd sein eignes Blatt zerriß: „Aber Peters Geschichte -ist einfacher!“ Worauf die Tante ebenso lächelte und ihre Stimme dem -Peter gab. Also stand die Entscheidung bei der Ursel, und sie ging -schon mit sich zu Rate, ob sie wirklich großmütig sein und als dritte -für ihn stimmen sollte, als er plötzlich großspurig auftrumpfte, er -wolle nicht aus Gnade gewinnen. Worauf der Onkel ihm erst die Schulter -klopfte und ihm dann das Punschglas gefüllt zurückgab. „Da also“, -fügte der Onkel hinzu, „wieder keiner gewonnen hat, wollen wirs jetzt -noch einfacher machen, d. h. so schwer wie irgend möglich. Außer den -ausgegebenen Wörtern darf kein anderes Hauptwort benutzt werden; jedes -aufgegebene Wort darf nur einmal verwendet werden und nur in der -vorgeschriebenen Reihenfolge. Je knapper die Sätze sind, desto besser.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[S. 348]</a></span></p> - -<p>Die Ursel war nahe daran, zu weinen; der Onkel Ri hatte sicher -gemerkt, daß sie den Bengels den Sternpreis nicht gönnte, darum -stellte er so verschmitzte Spielregeln auf, die ihr den Kopf ganz -wirblig machten. Und noch dazu wurden auch diesmal wieder lauter -Ulkwörter vorgeschlagen; sogar sie selber nannte solche, sie wußte -garnicht wieso eigentlich. Die zehn Wörter standen in folgender -Reihe: <em class="gesperrt">Elefantenküken</em>, <em class="gesperrt">Ballettdame</em>, <em class="gesperrt">Aquavit</em>, -<em class="gesperrt">Hundekuchen</em>, <em class="gesperrt">Stricknadel</em>, <em class="gesperrt">Menschenfeind</em>, -<em class="gesperrt">Rosenkranz</em>, <em class="gesperrt">Pfropfenzieher</em>, <em class="gesperrt">Monokel</em>, <em class="gesperrt">Kiste</em>. -Da konnte doch wirklich kein artiges Mädchen, das eine richtige Dame -werden wollte, einen vernünftigen Sinn hineinbringen. Trotzdem brachte -sie zu ihrem Erstaunen eine ganz hübsche Schnurre zustande, worin das -Elefantenküken, die Ballettdame und der Menschenfeind mit all den -andern Dummheiten in eine große Kiste gepackt und so lange geschüttelt -wurden, bis der Menschenfeind sich zu bessern versprach. Sowohl -der Onkel wie die Tante waren sehr zufrieden damit; blos das Wort -Menschenfeind hatte sie zweimal gebraucht. Und das Licht gewann doch -der Peter Heinz, er trug im Leutnantston Folgendes vor:</p> - -<p>Äh, wissen schon? Elefantenküken. Äh: verliebt in Ballettdame. Sie -abjeschnappt, er sich in Aquavit besoffen und Hundekuchen dazu -jefressen; äh, mit Stricknadeln notabene, janz verrückt. Menschenfeind -dabei jemimt: äh, Rosenkranz jebetet, Pfropfenzieher jeschluckt, -Monokel injeklemmt, krepiert. Dolle Kiste.</p> - -<p>Da mußten sie alle so kreuzvergnügt lachen, daß er einstimmig das -vierte Licht bekam. „Und nun,“ sprach der Onkel Ri mit erhobenem -Zeigefinger, „nachdem wir nun zur Genüge gelernt haben, worauf es bei -dem Dichterspiel ankommt, darf sichs jeder wieder so leicht machen, -wie ihm der Schnabel gewachsen ist, nur muß es nachher auch allen -Andern ebenso leicht in den Schnabel passen; das nämlich ist das -Allerschwerste. Und deshalb darf sich diesmal jeder zwanzig Minuten -Zeit<span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[S. 349]</a></span> lassen.“ Aber das ließ die Ursel nicht gelten; was sollte -denn der Lux von ihr denken! „Höchstens fünfzehn Minuten,“ rief sie -beharrlich; denn sie wußte sehr wohl, daß Onkel Ri blos ihretwegen -zwanzig vorschlug, und daß die Buben sie beim Nachhauseweg immerfort -damit foppen würden. Und dann nahm sie sich so mächtig zusammen, daß -sie garnicht mehr an den Sternpreis dachte und schon nach neuneinhalb -Minuten als allererste fertig wurde. Die ausgegebenen Wörter -hießen: <em class="gesperrt">Bücherschrank</em>, <em class="gesperrt">Drehorgel</em>, <em class="gesperrt">Roastbeef</em>, -<em class="gesperrt">Schnapsflasche</em>, <em class="gesperrt">Radieschen</em>, <em class="gesperrt">Blauschwänzchen</em>, -<em class="gesperrt">Kirchturm</em>, <em class="gesperrt">Gemüsewagen</em>, <em class="gesperrt">Puppentheater</em>, -<em class="gesperrt">Glasfabrikation</em>. Und siehe da: das fünfte Licht wurde auf Antrag -der beiden Heinze einstimmig der Ursel zugesprochen. Ihre Geschichte -lautete:</p> - -<p>Ein Blauschwänzchen hatte Freundschaft mit einem Radieschen -geschlossen. Sie waren aber beide sehr arm, und das Blauschwänzchen -litt manchmal großen Hunger. Das Radieschen, dessen Kusinen öfters auf -dem Gemüsewagen zur Stadt gefahren waren, sagte zu dem Blauschwänzchen: -Fliege doch auch mal in die Stadt, da gibt es Roastbeef und Leipziger -Allerlei. Aber das Roastbeef war zu grob für das Blauschwänzchen, und -das Leipziger Allerlei war versalzen. Da wollte es sich bei einem -Puppentheater als Singvögelchen anstellen lassen; aber es kam nur ein -Mann mit einer Schnapsflasche, und eine Drehorgel wurde gespielt, und -auf der Bühne stand ein Bücherschrank, aber zu essen gab es nichts. -Der Mann war der Theaterdirektor und sagte zu dem Blauschwänzchen: Ich -rate dir die Glasfabrikation zu erlernen, dabei kann man viel Geld -verdienen und sich die feinsten Sachen kaufen. Aber die Glasfabrikation -war für das Blauschwänzchen eine viel zu heiße Arbeit. Da flog es -auf den Kirchturm hinauf und sah sich nach allen Seiten um und flog -wieder zurück aufs Feld; und weil es noch immer hungrig war, fraß es -das kleine Radieschen auf. Als es aber damit fertig war, fiel dem -Blauschwänzchen<span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[S. 350]</a></span> plötzlich ein, daß das Radieschen sein Freundchen -gewesen war; und nun grämte es sich so sehr, daß es wie unsinnig hin -und her flog und sich endlich zu Tode flog. Dicht bei dem Kirchturm in -der Stadt ist es aus der Luft heruntergefallen.</p> - -<p>Die Ursel konnte es garnicht fassen, daß die Andern die Geschichte so -lobten. Und kaum hatte der Heinz Lux ihr das Licht geholt, als die -Uhr Mitternacht zu schlagen anfing, und draußen auf der Straße wurde -„Prost Neujahr“ gerufen. Nun stießen sie alle mit den Punschgläsern -an, und da fiel der Ursel der Sternpreis wieder ein, denn nun wurde ja -gleich der Weihnachtsbaum geplündert. Merkwürdig, daß ihr jetzt auf -einmal garnichts mehr an dem Leckerkram lag; es war doch eigentlich -das Schönste, daß schließlich jeder gesiegt hatte. Aber da sprach der -Onkel Ri: „Jeder von uns, meine Herrschaften, hat heute Abend ein Licht -gewonnen, aber die Ursula ist die Jüngste und weiß noch am wenigsten -von der Welt; also hat sie am meisten aus sich selbst ersonnen, und -deshalb gebührt der Sternpreis ihr.“</p> - -<p>Und als nun die Heinze ganz ehrlich Beifall klatschten, da stieg ihr -die Glückseligkeit so siedend heiß in die Augen hoch, daß sie der -Tante Li um den Hals fiel, damit die Andern das Tränchen nicht sehen -sollten. Und sie nahm sich vor, die leckersten Zacken beim Nachhauseweg -den Buben zu geben, besonders aber dem frechen Heinz Lux, den sie doch -eigentlich garnicht leiden konnte.</p> - -<div class="section padtop3"> - -<h4 id="Der_Allerseelenspiegel">Der Allerseelenspiegel</h4> - -<p class="center">Eine Traumgeschichte</p> - -</div> - -<p class="mtop2">Es fing schon an dunkel zu werden, und Liselotte saß noch immer ganz -alleine in dem großen Hause, in dem es so schaurig nach Essig roch und -weißen Blumen. Denn vorgestern Nacht war der Großvater gestorben, und -jetzt waren Alle hinaus nach dem Friedhof, um ihn begraben zu helfen; -darum saß sie allein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[S. 351]</a></span></p> - -<p>Sie fürchtete sich aber garnicht. Denn sie war schon fast sieben Jahre -alt, und Großvater hatte immer gesagt: wer sich fürchtet, der kommt -nicht in’n Himmel.</p> - -<p>Blos hungern tat sie ein bißchen. Aber von Tante Agathens Topfkuchen, -der in der dunklen Stube stand, mochte sie lieber nichts nehmen heute: -weil alles so sehr nach Essig roch. Also sah sie zum Fenster hinaus.</p> - -<p>Sie traute sich aber nicht aufzumachen: weil sonst auch der schöne -Blumengeruch mit wegging. Darum legte sie nur das Kinn auf das -Fensterbrett, und sah hinunter über den Fluß, und drüben den schwarzen -Bergwald hinauf, wo oben der runde Mond schon glänzte, ganz still wie -ein Spiegel.</p> - -<p>Wenn der nun auf einmal herunterrollte! den hohen Berg und ins Wasser. -Denn Großvater hatte immer gesagt, es sei gar kein Spiegel; es sei eine -schwere steinerne Kugel, viel schwerer als ein Zentner.</p> - -<p>Die würde dann also alles totschlagen: die Bäume, die Schiffe und die -Häuser, und Großvaters Lehnstuhl, in dem sie saß. Und Liselotte machte -die Augen zu: weil sie sich doch nicht fürchten wollte.</p> - -<p>Denn er konnte ja garnicht herunterrollen. Er war ja festgebunden an -den Himmel, vom lieben Gott, mit unsichtbaren Ketten.</p> - -<p>Wenn er nun aber <em class="gesperrt">doch</em> herunterrollte? — Da faltete sie die -Hände zusammen, und machte die Augen noch fester zu, und betete -heimlich ein Lied, das Großvater ihr gedichtet hatte:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich heiße Liselotte,</div> - <div class="verse">ich will zum lieben Gotte.</div> - <div class="verse">Ach, Mondchen, leuchte mir empor</div> - <div class="verse">und öffne mir das Himmelstor,</div> - <div class="verse">ich bin so sehr alleine!</div> - </div> - <div class="stanza"> -<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[S. 352]</a></span> - <div class="verse">Ich will dir auch was schenken:</div> - <div class="verse">lila Bulabenken.</div> - <div class="verse">Die wachsen hinter Wundertal</div> - <div class="verse">alle hundert Jahre mal;</div> - <div class="verse">such, dann sind sie deine!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Und als sie das gebetet hatte, kam ihr der Mond auf einmal so -wunderlich vor, daß sie die Augen garnicht mehr aufmachen mochte, wie -im Traum. Ganz hell und offen stand der goldne Kreis da oben, daß man -nur einfach hineinzugehn brauchte, dann war man im Himmel.</p> - -<p>Blos großen Hunger mußte er auch wohl haben; noch größeren als sie -selber. Denn solchen großen dunkeln Mund, wie er in seinem blanken -Gesicht jetzt machte, hatte sie nie im Leben gesehen.</p> - -<p>Aber von Tante Agathens Topfkuchen konnte sie ihm doch wirklich nichts -bringen; da waren ja nicht einmal Mandeln drin. Also nahm sie ihr neues -Handkörbchen mit, das silberne, und ging durch den Garten die Gasse -hinunter, wo der Konditor Friedrich Zerwes wohnte, und kaufte zwei -Stückchen frische Nußtorte; davon wollte sie ihm eins abgeben.</p> - -<p>Als sie nun immer weiter wanderte, über die Brücke den Berg hinauf, kam -sie auch an dem Friedhof vorbei, in dem der Großvater begraben lag; -dicht neben Mutterchen, hatte Vater gesagt. Und auch ihr Schwesterchen -Liselore lag da; das hatte sie aber nicht mehr gekannt. Und als -sie durch das dunkle Gittertor sah, da brannten lauter Lichter auf -all den Gräbern, und weiße Blumen blühten dazwischen, denn es war -Allerseelentag.</p> - -<p>Da wollte sie schnell noch erst nachsehen, ob Großvaters Seele wirklich -noch lebte; denn neulich hatte er ihr erzählt, daß man die Seele nicht -mitbegraben könne. Aber da suchten schon so viel fremde Leute nach -Seelen, daß sie sich zwischen den tausend Lichtern verirrte; und als -sie endlich müde beiseite<span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[S. 353]</a></span> ging, da war auch der Mond oben weggegangen, -und Keiner kümmerte sich um sie.</p> - -<p>So stand sie traurig mit ihrem Körbchen im Dunkeln, da wo die Gräber -der Armenkinder sind, und wollte fast schon zu weinen anfangen, so sehr -alleine war ihr zumute.</p> - -<p>Auf einmal regte sich etwas hinter ihr, und als sie erschrak und sich -umdrehte, kam zwischen den Gräbern ein kleines Mädchen auf sie zu, mit -einem geflickten Röckchen an und einer lila Schürze darüber. Das hatte -solche goldigen Augen, daß Liselotte im stillen dachte: noch schöner -als mein silbernes Körbchen.</p> - -<p>Das arme Mädchen aber sprach leise: ich habe nichts weiter für mein -Schwesterchen — und dabei holte es unter der Schürze einen kleinen -kreisrunden Spiegel hervor und stellte ihn auf ein kahles Grab.</p> - -<p>Da wollte doch Liselotte sie trösten, und streichelte freundlich den -kleinen Hügel und kniete wie sie vor dem Spiegelchen nieder. Als sie -nun aber hineinblickte so: siehe, da waren die tausend Lichter des -ganzen Friedhofs darin zu sehen, und alle die weißen Blumen dazwischen, -daß ihr das Körbchen fast hinfiel vor Staunen, und war Ein Glanz und -Eine Herrlichkeit.</p> - -<p>Das arme Mädchen aber lächelte nur und nickte Liselotten still zu; -und ganz glückselig zeigten sich beide, wie reich nun das Grab des -Schwesterchens war, viel reicher als irgend ein anderes.</p> - -<p>Und manchmal kamen auch fremde Leute vorbei; die merkten, wie sehr sie -sich freuten zusammen, und wollten nun sehen, warum und wieso, und -bückten sich neugierig über das Hügelchen.</p> - -<p>Aber mit ihren dicken Köpfen, sobald sie dem Spiegel zu nahe kamen, -sahen sie nichts als ihr eignes Gesicht, als ob sie selbst da im Grabe -säßen, bis an den Hals. Da krigten sie Furcht vor dem armen Mädchen, -und alle liefen rasch wieder weg.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[S. 354]</a></span></p> - -<p>Blos Liselotte, die niemals sich fürchtete, blieb wie im Himmel neben -ihr sitzen, und strich ihr das Röckchen glatt und sagte: Wie wird sich -nun aber dein Schwesterchen freuen, daß alle Seelen vom ganzen Friedhof -in ihrem Spiegel beisammen sind! Mein Großvater ist auch darunter! und -Mutterchen!</p> - -<p>Dann machte sie heimlich ihr silbernes Körbchen auf und wollte die -Nußtorte mit ihr teilen, und dabei fragte sie: Wie heißt du denn?</p> - -<p>Da lächelte wieder das arme Mädchen, und blickte noch goldiger vor sich -hin, und sagte leise, als ob sie träumte:</p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich heiße Liselore.</div> - <div class="verse">Ich komm vom Himmelstore.</div> - <div class="verse">Ich sah mein Schwesterchen hier stehn,</div> - <div class="verse">es wollte in den Mond hingehn,</div> - <div class="verse">es stand so sehr alleine.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Es wollt dem Mond was schenken:</div> - <div class="verse">lila Bulabenken.</div> - <div class="verse">Komm, Schwesterchen, nach Wundertal</div> - <div class="verse">in den Allerseelensaal:</div> - <div class="verse">sieh, nun sind sie deine!</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Und während sie das sagte, war sie aufgestanden, und hatte ihr lila -Schürzchen abgebunden, und schwenkte es hoch im Kreise mit beiden -Händen über sich. Und plötzlich war sie gar kein kleines Mädchen mehr, -sondern eine große lila Blume; die neigte sich tief zu Liselotte -hernieder und nahm sie mit den Blättern zu sich hoch und setzte sie -sanft in ihren Blütenschooß.</p> - -<p>Und als nun Liselotte nach dem Spiegelchen sah, da wurde es größer und -immer größer, viel größer als der Mond vorhin, und stand weit offen -wie ein goldener Saal, und drinnen be<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[S. 355]</a></span>wegten sich leuchtende Säulen; -die waren durchsichtig wie Lichter im Wasser, viel tausend tausend und -immer mehr, als ob sie mit einander tanzten. Und plötzlich schrie sie -laut auf vor Schreck und mußte weinen vor Seligkeit; denn ganz weit -hinten kam auch ihr Mutterchen her und leuchtete heller als alle die -andern.</p> - -<p>Und als sie die Augen noch weiter aufmachte, stand Vater im Mondschein -neben Großvaters Lehnstuhl, und Tante Agathe wischte die Tränchen vom -Fensterbrett, und Alle lobten die kleine Liselotte, wie schön allein -sie zuhause geblieben war, und daß sie sich garnicht gefürchtet hatte.</p> - -<div class="section"> - -<h3 id="Kleinkindergeschichten">Kleinkindergeschichten</h3> - -</div> - -<h4 id="Tippel_und_Tappel">1) Tippel und Tappel</h4> - -<p class="mtop2">Ist euch schon einmal langweilig zumute gewesen? Dann paßt mal auf, wie -lustig man mit sich selber spielen und sich die Zeit vertreiben kann!</p> - -<p>Auf dem Dachsfell vor Großvaters Schlafstube saß der kleine Peter, und -hatte seine Schuhchen ausgezogen, und besah sich seine dicken, drallen, -rosablanken Beinchen mit den blau und rot gestreiften Socken dran. Auf -einmal aber waren es gar keine Beinchen mehr, sondern er legte sich auf -den Rücken und hob sie in die Luft, da waren es zwei große richtige -Soldaten, und der eine hieß Tippel, der andere Tappel.</p> - -<p>Tippel hatte eine rote Nasenspitze, und Tappel eine blaue; denn sie -waren eben erst von draußen gekommen, und draußen war es furchtbar kalt.</p> - -<p>Nun kommandierte der kleine Peter: rrührt euch, marrsch — ganz wie der -große Herr Leutnant auf dem Exerzierplatz. Und da schwenkte erst Tippel -die rote und dann Tappel die blaue Nasenspitze hin und her, und hatten -wunderschöne blau und rot gestreifte Jacken an, und Peter kommandierte -immerfort: rrechts schwenkt, llinks schwenkt — rechts schwenkt, -marsch! —</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[S. 356]</a></span></p> - -<p>Das ging so eine ganze Weile lang; bis Tippel und Tappel wütend wurden. -Denn sie waren währenddem warm geworden, und waren nun beide eigentlich -müde, und wollten dem kleinen Peter nicht mehr recht gehorchen. Also -fingen sie an zu zappeln und zu strampeln.</p> - -<p>Halt! schrie da plötzlich der kleine Peter, ganz wie der große Herr -Leutnant auf dem Exerzierplatz. Denn er war nun auch warm und wütend -geworden und wollte Großvaters lange Flinte aus der Schlafstube holen -und die beiden faulen Soldaten totschießen.</p> - -<p>Aber da krigten die solchen Schreck, daß sie bautz zurück auf das -Dachsfell fielen; und da waren es wieder zwei kleine dicke Beinchen mit -blau und rot gestreiften Socken dran.</p> - -<div class="section"> - -<h4 id="Der_Sonnenstrahl">2) Der Sonnenstrahl</h4> - -</div> - -<p class="mtop2">Ganz hoch oben über den Wolken wohnte einmal ein Sonnenstrahl, ein -richtiger Spinnefix; dem war die Zeit zu lang, und deshalb ging er -immer mit den Wolken spielen. Ich sage euch, ganz prachtvoll kann man -damit spielen! Morgens spielte er Ball mit ihnen, oder Greifen, und -Abends Schaukelpferd; und manchmal ließ er seine langen gelben Beine -bis auf den Mond herunterbaumeln, oder er schoß kobolz, quer über die -blaue Himmelsrutschbahn. Und wenn er einmal hinpurzelte, dann tat es -garnicht weh; denn wißt ihr, Wolken sind noch viel, viel weicher als -ein Federbett.</p> - -<p>Eines Tages aber purzelte er nicht auf eine Wolke, sondern zwischen -zweien mittendurch, und fiel auf die Erde, in den Potsdamer Schloßpark; -da lag er unter einer großen Kastanie, nachmittags um sieben, ganz blaß -und schmal, im grünen Gras. Doch weil es ringsherum sehr still war, -bekam er wieder Mut und fing ein lustiges Liedchen zu summen an, das -seine Mutter Sonne ihm eingelernt hatte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[S. 357]</a></span></p> - -<div class="poetry-container"> - <div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse">Ich bin so blank wie Butter,</div> - <div class="verse">ich hab eine goldne Mutter,</div> - <div class="verse">ich laufe schneller als alle Pferde,</div> - <div class="verse">und manchmal fall ich auf die Erde;</div> - <div class="verse">kribbel, krabbel, kringel,</div> - <div class="verse">was wird nun aus dem Schlingel?</div> - </div> - </div> -</div> - -<p>Auf einmal kam der Bäckermeister Paul Lommatsch anspaziert, der -die schönen gelben Prezeln zu backen versteht, und sah den blanken -Sonnenstrahl so durch den grünen Schatten krabbeln, und blieb stehen. -Na! dachte der Sonnenstrahl: was will denn <em class="gesperrt">der</em> von mir? und -machte sich ganz klein vor Angst. Der dicke Herr Lommatsch aber -sah ihn doch und brummelte vergnügt: „Ei, was für’n schöner gelber -Sonnenstrahl! Da wolln wir mal ’ne Prezel draus backen; und wenn so’n -rechter braver Goldbub in meinen Laden kommt, dann krigt er die.“ Und -grips-graps hob er den Sonnenstrahl auf und steckte ihn in die Tasche.</p> - -<p>Nun braucht ihr aber nicht traurig zu sein, weil einer von euch die -Prezel vielleicht geschenkt bekommt und den schönen Sonnenstrahl dann -mit aufißt. Denn seht ihr, ich kenne den Herrn Lommatsch, und der hat -mir neulich ins Ohr gesagt: das schad’t dem blanken Spinnefix nix. Denn -wenn ihr dann recht fröhlich hinaufguckt in den blauen Himmel, dann -wird der Sonnenstrahl wieder lebendig und kommt aus euern hellen Augen -herausgekrabbelt und springt mit Einem Blutz auf die nächste weiße -Wolke hinauf und fliegt zurück zu seiner goldenen Mutter.</p> - -<div class="section"> - -<h4 id="Die_Pfauenfeder">3) Die Pfauenfeder</h4> - -</div> - -<p class="mtop2">Jetzt will ich euch aber eine ganz, ganz wahre Geschichte erzählen; die -fängt auf einem Heuwagen an und hört im obersten Himmel auf.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[S. 358]</a></span></p> - -<p>Der Heuwagen nämlich kam von der Wiese; und obendrauf, da saß der -kleine Richard, mitten zwischen dem frischen Heu, das süßer roch als -Tee und Honigkuchen, und hatte eine grüne Sammtmütze auf, mit einer -herrlichen Pfauenfeder dran. Die hatte seine liebe Mutter ihm selbst -angenäht; und deshalb, und weil sie gar so herrlich grün und blau und -goldbunt aussah, war seine Mütze ihm schrecklich lieb.</p> - -<p>Auf einmal, als er in dem süßen Heu schon beinah einschlafen wollte, -kam hui ein Wind übers Feld, nahm ihm die Mütze mir nichts dir nichts -aus den Locken und warf sie auf die Erde.</p> - -<p>Der kleine Richard, der immer schon ein großer Wildfang war, bekam erst -einen mächtigen Schreck, dann sprang er schnurstracks seiner lieben -Mütze nach, bautz von dem hohen Wagen herunter.</p> - -<p>Eine Weile lang sah er nichts als schwarze Nacht und hörte immerfort -den Himmel brausen. Die Erde fühlte er überhaupt nicht mehr, blos einen -furchtbaren Ruck im Kopf, der garnicht aufhören wollte, als ob ein -hohles Faß mit ihm durch einen dunkeln Keller rollte, und seine Beine -lagen ganz weit weg von ihm.</p> - -<p>Endlich wurde es wieder etwas heller: viel tausend silberne Sterne -tanzten durch die schwarze Nacht. Und zwischen den Sternen sah er seine -Pfauenfeder fliegen, und sah sie größer und immer größer werden, und -immer grüner, blauer und goldbunter funkeln, wie eine große goldbunte -Schaukel. Und plötzlich saß auf dieser großen Schaukel seine liebe -Mutter, und hatte hellblaue Engelsflügel an, und flocht sich ihre -langen schönen Haare, und schwebte immer höher vor ihm her.</p> - -<p>Da fing der wilde Richard an zu weinen, weil seine liebe Mutter ihn -garnicht dabei ansehen wollte; und so sehr weh war ihm ums Herz, daß er -die kleinen Arme hochheben mußte, immer höher, bis über die silbernen -Sterne hoch — und da auf einmal wurde der ganze Himmel hell, denn -seine liebe Mut<span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[S. 359]</a></span>ter hatte ihn angesehen, so tief ins Herz, daß er die -Augen zumachen mußte.</p> - -<p>Und wie er sie schüchtern wieder aufmachte, da hatte Mutter ihn auf -dem Schooß und streichelte seine heißen Locken, und sagte weinend: du -böser, böser Junge du!</p> - -<p>Im Grase aber, neben ihr, lag seine schöne Sammetmütze mitsamt der -Pfauenfeder; und als er nun verwundert danach langte, da sah die liebe -Mutter gleich wieder ebenso selig aus, wie oben über den Sternen, und -küßte ihn. Und seht ihr, da merkte der kleine Richard, daß er vom -Heuwagen ’runtergefallen und dann im obersten Himmel war, und daß der -auf der Erde liegt.</p> - -<div class="chapter"> - -<h3 id="Das_Maerchen_vom_Maulwurf">Das Märchen vom Maulwurf</h3> - -</div> - -<p>Vor vielen tausend Jahren, als die Menschen noch keine Kleider trugen, -lebte mitten in der Erde ein Zwerg, so tief unten, daß kein Mensch -etwas von ihm wußte. Und er selber wußte von den Menschen auch nichts; -denn er hatte sehr viel zu tun. Er war ein König über die andern -Zwerge, und schon fünf mächtige Höhlen hatte er sich ausputzen lassen, -und war ganz alt und grämlich dabei geworden, so viel hatte er zu -befehlen.</p> - -<p>Es war aber nicht dunkel da unten in den Höhlen, sondern eine glänzte -immer bunter als die andre, so viel Diamanten und Opale hatte das -Zwergvolk drin aufgebaut, und die Wände waren von blankem Kristall, -jede in einer besonderen Farbe. Und da saß nun der König der Zwerge, -in seinem Mantel von schwarzem Sammet, auf einem großen grünen -Smaragdstein, und faßte sich an seine spitze Nase und überlegte mit -seinen alten Fingern, ob auch alles hell genug wäre. Er fand es aber -durchaus nicht hell genug.</p> - -<p>Da machten ihm die andern Zwerge eine sechste Höhle zurecht, mit Wänden -von lauter Rubinen, die wie ein einziger<span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[S. 360]</a></span> Feuerschein glühten, und das -dauerte tausend Jahre; aber er fand auch Das noch nicht hell genug. Als -er nun immer trauriger wurde in seinem schwarzen Sammetmantel, kamen -die andern alle zusammen, und die Jüngsten sagten zu den Alten: kommt, -laßt uns eine <em class="gesperrt">blaue</em> Höhle machen!</p> - -<p>Dafür wären sie beinahe totgeschimpft worden, denn bis dahin hatte das -Zwergvolk die blaue Farbe nicht leiden können. Weil aber alle andern -Farben in den sechs Höhlen schon durchprobiert waren, sagten endlich -auch die ältesten Zwerge ja und gaben den jungen die Hände. Dann gingen -alle an die Arbeit und putzten heimlich eine siebente Höhle aus, mit -Wänden von echten Türkisen, die so hell und blau wie der Himmel waren, -und das dauerte wieder tausend Jahre.</p> - -<p>Die gefiel nun dem König wirklich, und der allerälteste Zwerg, der -fast so alt wie der König selbst war, schoß vor Verwunderung einen -Purzelbaum. Darauf trugen sie den großen Smaragdstein in die neue Höhle -hinein, und der König setzte sich auf ihn und freute sich, wie schön -sein schwarzer Sammetmantel zu den hellblauen Wänden paßte. Nachdem -er aber fünfhundert Jahre so gesessen hatte, fand er auch Das nicht -mehr hell genug; er wurde trauriger als je zuvor und seine Nase immer -spitzer.</p> - -<p>Fünfhundert Jahre saß er noch und überlegte seinen Kummer, sodaß er -schon ganz fett zu werden anfing. Endlich ertrug er das nicht länger, -ließ sich die jüngsten Zwerge kommen und sagte: macht mir eine Höhle, -die ein Licht hat wie alle Farben in <em class="gesperrt">eine</em> verschmolzen! Das aber -verstanden auch die allerjüngsten nicht, und glaubten, ihr König sei -verrückt geworden.</p> - -<p>Da beschloß er, sie zu verlassen und selbst nach seinem hellen Lichte -zu suchen. Er stieg herunter von seinem Smaragdstein, und schnitt den -schwarzen Sammetmantel etwas kürzer, sodaß er Hände und Füße frei -bewegen konnte, und fing an zu graben. Weil aber unten in der Erde die -Andern schon alles<span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[S. 361]</a></span> abgesucht hatten, so meinte er, das Licht, wonach -er solche Sehnsucht fühlte, müsse wohl weiter oben liegen, und grub -sich in die Höhe; und weil das Zwergvolk damals den Spaten noch nicht -erfunden hatte, so mußte er die Finger zum Wühlen nehmen. Das tat ihm -nun sehr weh, denn er war das nicht gewohnt; aber er hatte solche -Sehnsucht nach dem Licht.</p> - -<p>Dreitausend Jahre wühlte der König der Zwerge und grub sich höher -und höher hinauf. Die Haut um seine Finger war schon ganz dünn davon -geworden, sodaß die kleinen Hände ganz rosarot aus seinem schwarzen -Sammtmantel kuckten; aber immer sah er das Licht noch nicht. Nur tief -von unten schimmerte noch ein blaues Pünktchen zu ihm herauf, aus -seiner siebenten Höhle her; aber um ihn und über ihm war alles schwarz. -Auch etwas magerer war er geworden, und die Nase noch spitzer.</p> - -<p>Da überlegte er, ob er nicht lieber zu seinem Volk zurückkehren sollte; -aber er fürchtete, dann würden sie ihn absetzen und wirklich in ein -Irrenhaus sperren. Also ging er aufs neue an die Arbeit mit seinen -rosaroten Zwerghänden, und grub nochmals dreitausend Jahre lang, und -es wurde immer dunkler um ihn her, bis schließlich auch das blaßblaue -Pünktchen tief unten hinter ihm verschwand. Als er nun garnichts mehr -sehen konnte, hörte er auf zu wühlen und sprang in die Höhe und wollte -sich den Kopf einstoßen, so furchtbar traurig war ihm zumute.</p> - -<p>Da ging auf einmal die Erde entzwei über ihm, und er schrie laut auf -vor Entzücken und schloß die Augen vor hellem Schmerz, so viele Farben -gab es da oben, als ob ihn tausend bunte Messer stachen, bis ins Herz. -Denn hoch im Blauen über der Erde, viel höher als er gegraben hatte, -so hell wie alle Farben in <em class="gesperrt">eine</em> verschmolzen, stand eine große -strahlende Kugel, und Alles war Ein Licht.</p> - -<p>Als er es aber ansehen wollte und seine Augen wieder aufschlug, da war -er blind geworden und fiel auf die Stirn. Und er fühlte, wie schwach -sein Königsherz war, und wie sein schwarzer<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[S. 362]</a></span> Mantel vor Schreck mit -ihm zusammenwuchs, und daß er kleiner und kleiner wurde und seine Nase -immer spitzer, und plötzlich rutschte er zurück in die Erde.</p> - -<p>Seit dem Tage gibt es Maulwürfe hier oben, und darum haben sie ein -schwarzes Sammetfell und rosarote Zwerghände und sind blind. Und -manchmal, wenn die Sonne recht kräftig scheint, dann stoßen sie ein -Häufchen Erde hoch und stecken die spitze Nase an die Luft, vor -Sehnsucht nach dem Licht.</p> - -<div class="chapter"> - -<h3 id="Die_bekuemmerte_Loewenkroete">Die bekümmerte Löwenkröte</h3> - -<p class="center">Ein Märchen für kleine und große Leute</p> - -</div> - -<p class="mtop2">Nun will ich euch eine Geschichte erzählen, die mir einmal vor einem -Schaufenster eingefallen ist, als ich eine kleine chinesische oder -vielmehr koreanische Porzellandose betrachtete, die in sonderbarer -Verschnörkelung einen schwermütigen Löwen vorstellte. Ich tue es -nur, damit ihr Lust kriegt, euch bei merkwürdigen Dingen, die ihr -seht, selber allerlei Neues zu denken. Wenn ihr das dann mit rechter -Lebendigkeit Andern mitteilt, kommt ihr in den Ruf, daß ihr furchtbar -tiefsinnig seid und schreckliche Dinge in euerm Herzen beherbergt, die -ihr nur deshalb den Leuten aufbinden wollt, damit sie euch für ein -Wundertier halten. Und außerdem habt ihr noch das Vergnügen, daß ihr so -klug bleibt, wie ihr wart, während die Andern sich so die Köpfe über -euch zerbrechen, daß sie manchmal rein dumm davon werden. Also paßt auf!</p> - -<p>In einem asiatischen Urwald lebte zu Olims Zeiten ein großes Tier, wie -vorher noch keins zur Welt gekommen war und wohl auch nie mehr eins -wiederkommen wird, von so erstaunlicher Mißgestalt. Es hatte den Kopf -eines Löwen und den Leib einer Kröte, das heißt einer Riesenkröte, -sodaß es noch größer war als ein gewöhnlicher Löwe. Dabei war es nicht -etwa ein bösartiges Tier, obwohl es mit seinem gewaltigen Rachen<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[S. 363]</a></span> -und seiner dicken Panzerhaut allgemeines Entsetzen erregte; sondern -weil es eben den Magen einer Kröte hatte, nährte es sich wie alle -Kröten von unnützen kleinen Kriechtieren. Besonders den Giftschlangen -stellte es nach, trieb sie aus ihren Schlupflöchern und ließ sich ihre -Eier schmecken. Sonst machte es von seinen Raubtierkräften nur dann -Gebrauch, wenn irgend ein anderes großes Tier sich einmal gar zu dreist -aufspielte; dann brachte es ihm Mores bei, war also im ganzen den -Urwaldbewohnern recht nützlich.</p> - -<p>Auch war es durchaus kein häßliches Tier. Seine harte runzlige -Krötenhaut schimmerte goldbunt wie ein Paradiesvogelsittig, mit großen -tiefblauen Tupfen gesprenkelt, wovon sich die hellbraune Löwenmähne -in majestätischen Locken abhob. Nur etwas schwerfällig war es gebaut; -der breite Leib war zwar nicht so plump wie bei den gewöhnlichen -Riesenkröten, drückte aber die mächtigen Löwentatzen beim Gehen doch -etwas zu Boden, und das bekümmerte sein Gemüt. Es gelang ihm wohl, -riesige Sprünge zu machen, die selbst die Sprünge der Löwen übertrafen, -aber richtig rennen konnte es nicht und gemächlich laufen auch nicht -recht; und das traurige Untier meinte immer, wenn es das könnte, würde -es lustig werden.</p> - -<p>Je älter es wurde, umso bekümmerter wurde es, weil es immerfort drüber -nachdachte, was es wohl mit sich anstellen solle, um einmal recht -lustig lachen zu können. Besonders wenn es frühmorgens hörte, wie -der ganze Urwald vom Gelächter der Affen und Papageien zu schallen -begann, stierte es eifrig aus seiner Höhle nach den Zweigen hinauf -in den blauen Himmel, als müsse ihm dorther die Erleuchtung kommen. -Aber so sehr ihm der Himmel auch in die Augen lachte: jedesmal wenn es -meinte, nun werde das Herz ihm vor Freude schwellen, und lustig ins -Grüne hinausrennen wollte, dann konnte das langsame Krötenherz mit dem -raschen Löwengehirn nicht mit, und der ganze Tag war ihm verleidet.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[S. 364]</a></span></p> - -<p>Endlich fragte die Löwenkröte einen alten Papageien um Rat, der klüger -als die andern zu sein schien und nur in seltenen Fällen lachte, dann -freilich umso kräftiger. Weil sie sich aber nicht verraten wollte, da -sie befürchtete ausgelacht zu werden, stellte sie ihre Frage so: Wie -kommt es denn, daß du so selten lachst? und warum lachst du dann so -kräftig?</p> - -<p>Weiß nicht! krächzte der Papagei; frag mal das heilige Kameel! Und dann -lachte er wie besessen.</p> - -<p>Daraus merkte die Löwenkröte, daß der alte Papagei närrisch war. Denn -von dem heiligen Kameel war allgemein im Urwald bekannt, daß es nicht -im geringsten lachen konnte, nicht einmal lächeln; und lächeln konnte -die Löwenkröte, wenn auch nur ziemlich mühsam. Bei näherer Überlegung -bedachte sie aber, daß die Narren mitunter gescheitere Einfälle haben, -als sie selber in ihrer Narrheit wissen. Vielleicht verstand sich das -heilige Kameel im stillen wirklich sehr gut aufs Lachen und hatte -sich’s nur abgewöhnt aus irgend einem triftigen Grunde. Also begab sie -sich auf den Weg nach dem Tempel, wo das Kameel sich verehren ließ.</p> - -<p>Das heilige Tier erschrak nicht wenig, als es das fremde Untier -erblickte. Dann jedoch witterte es wohl, daß sich das bunte Riesenvieh -in freundlicher Absicht näherte, dachte wohl auch an das schützende -Gittertor, steckte daher den Kopf heraus und fragte von oben herab -feierlich: Was wünschen Sie?</p> - -<p>Die Löwenkröte, da sie nicht zu befürchten brauchte, von dieser ernsten -Person belächelt zu werden, erwiderte treuherzig: Ich möchte gern -wissen, Euer Hochehrwürden, wie ich wohl lachen lernen kann.</p> - -<p>Das heilige Kameel, das wohl nicht recht gehört zu haben glaubte, oder -nicht wußte, ob es die Frage ernst nehmen sollte, steckte den Kopf noch -ein bißchen weiter heraus und fragte noch feierlicher: Wie meinen Sie?</p> - -<p>Da brüllte die Löwenkröte: <em class="gesperrt">lachen</em>! ich will <em class="gesperrt">lachen</em> -lernen,<span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[S. 365]</a></span> Ehrwürden! Und nun zog das Kameel rasch den Kopf zurück; denn -nun wußte es, daß es ernst gemeint war.</p> - -<p>Es besah sich durch die Gitterstäbe die unwirsche Mißgeburt genauer, -nahm eine teilnehmende Miene an, wobei es seinen höckrigen Rücken -noch etwas krummer machte als sonst, und bog und wiegte den langen -Hals nachdenklich hin und her. Dann sagte es noch viel feierlicher: -Besänftige dich, betrübte Seele! Da wird uns der Himmel auf meine Bitte -wohl an den Weg der Erleuchtung führen. Da wirst du entweder ganz ein -Löwe oder ganz eine Kröte werden müssen.</p> - -<p>Das hab ich schon selbst gewußt — knurrte die Löwenkröte. Aber wie hab -ich das anzufangen?!</p> - -<p>Das heilige Kameel bog nochmals den Hals gewichtig hin und her, machte -den Buckel noch krummer und sagte: Auch dazu wird uns das himmlische -Licht den rechten Weg der Erleuchtung weisen. Da wirst du aber dem -gütigen Himmel erst eine kleine Opfergabe darbringen müssen. Du darfst -sie einstweilen zu meinen Füßen, der ich der Diener des Lichtes bin, -vor diesem Gittertor niederlegen.</p> - -<p>Die Löwenkröte besann sich ein bißchen, was sie dem Himmel wohl -Wohlgefälliges darbringen konnte, und fragte dann schüchtern: Willst du -vielleicht ein paar Giftschlangenköpfe? ich habe heut Mittag ein ganzes -Nest voll getötet.</p> - -<p>Nein — sagte das heilige Kameel und schüttelte sich von oben bis -unten — Giftschlangen sind hier nicht am Platze, insonderheit keine -getöteten; denn des Himmels Gnade läßt auch die Giftschlangen leben. -Aber zuweilen sollen sich in den Nestern der Schlangen kostbare -Edelsteine finden; wenn du deren vielleicht eine kleine Portion geraubt -haben solltest, die würden dem Himmelslicht angenehm sein! — Und ganz -verklärt verdrehte das heilige Tier bei diesen Worten seine Augen.</p> - -<p>Da fiel der Löwenkröte ein, daß ihr am Mittag, als sie den Schlangen -die Köpfe abbiß, etwas sehr Hartes ins Maul ge<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[S. 366]</a></span>raten war, das sie nicht -hatte zerknacken können, und das ihr noch immer im Rachen steckte. Das -spie sie nun schleunigst durch das Gitter dem Diener des Lichtes vor -die Füße.</p> - -<p>Das Kameel, als ihm der heftige Strahl so plötzlich -entgegengeschleudert wurde, tat erst wieder einen entsetzten Satz. -Als es aber vor sich im nassen Sande den großen Edelstein funkeln -sah, gewann es seine Fassung zurück, nahm wieder eine würdige Haltung -an und sprach mit gnädiger Halsneigung: Es ist zwar nur ein einziger -Edelstein, aber dem Himmel ist auch Geringes willkommen, wenn es aus -willigem Herzen kommt; ich werde für deine Erleuchtung beten.</p> - -<p>Also werd’ich nun endlich Antwort kriegen? brauste die Löwenkröte auf, -die schon vor Ungeduld zitterte.</p> - -<p>Sobald ich gebetet habe — sprach das Kameel und zog sich etwas tiefer -in seine Zelle zurück, den Edelstein mit dem Fuß an sich scharrend. -Dann ließ es sich umständlich, wie die Kameele zu tun pflegen, auf -beide Vorderkniee nieder, den Höcker so krumm wie nur möglich machend, -und die Löwenkröte mußte warten, obgleich ihr die Mähne schon schwoll -vor Zorn. Endlich erhob sich das heilige Tier, blieb weihevoll im -Hintergrund stehen und sagte mit prophetischer Stimme: Der Himmel hat -mein Gebet erhört. Er läßt dir durch seinen Diener sagen: wenn du -wissen willst, wie dein Leib sich verwandeln soll, damit deine Seele -zum Preise des Lichtes lachen lerne, dann mußt du dich auf den Weg -machen und entweder die Löwen oder die Kröten danach fragen —</p> - -<p>Aber das wollt ich ja grade nicht! brüllte die Löwenkröte verzweifelt. -Warte, du ruppiges buckliges Biest! Und damit sprang sie in voller Wut -gegen das Tor der Tempelzelle.</p> - -<p>Aber auf solche Überfälle mußte dies wohl schon eingerichtet sein; -denn trotz ihrer Riesenkräfte vermochte die wütende Löwenkröte das -eiserne Gitter nicht zu sprengen, nur ein paar Stäbe verbogen sich. Und -das Kameel blieb ruhig im Hinter<span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[S. 367]</a></span>grund stehen, besah sich das rasende -Ungetüm, als könne es dessen Grimm nicht begreifen, und sagte nur mit -tiefster Entrüstung: du undankbare Kreatur! Dann wandte es langsam dem -Gitter den Rücken zu, und die Löwenkröte hatte den Eindruck, als ob -sich’s nun wirklich im stillen die Hucke voll lachte.</p> - -<p>Das brachte sie wieder zur Besinnung. Und da ihr nichts andres mehr -übrig blieb, faßte sie jetzt in der Tat den Entschluß, bei den -gewöhnlichen Löwen und Kröten so höflich wie möglich ihr Glück zu -versuchen. Ihr braves Krötenherz schämte sich schon des löwenhäuptigen -Wutanfalls, und sie verzieh dem gekränkten Kameel seine unerträgliche -Redseligkeit. Vielleicht hatte es doch sein dummes Getue von A bis Z -völlig ernst gemeint und hielt sich nur in seiner Dummheit für einen -Ausbund von himmlischer Weisheit.</p> - -<p>Mit solchen Gedanken kam sie an den Sumpf, in dem die Riesenkröten -hausten, und hörte richtig schon von ferne ihr glucksendes Lachen -durchs Röhricht tönen. Halt! sagte sie sich in ihrem Löwensinn: da -brauch ich vielleicht erst garnicht zu fragen, sondern sehe, was sie so -fröhlich macht.</p> - -<p>Vorsichtig schlich sie im Röhricht näher und spähte durch die -dichten Halme. Da saß eine ganze Krötengesellschaft um ein riesiges -Wasserpflanzenblatt, auf dem es von kleinen Schnecken und Würmern, -Maden und Schlammkäfern wimmelte, und die Kröten glucksten vor -Vergnügen über die fette Abendmahlzeit und patschten sich die feisten -Bäuche, daß der Sumpfboden davon wackelte.</p> - -<p>Nein! dachte unser trauriges Untier in seinem vornehmen Löwensinn: -Wenn <em class="gesperrt">das</em> ihre ganze Freude ist, dann will ich lieber darauf -verzichten; das ist denn doch zu ekelhaft! — Also beschloß es, die -Löwen aufzusuchen.</p> - -<p>Inzwischen war die Nacht angebrochen, und im Urwald herrschte bereits -tiefe Stille, sodaß die Löwenkröte schon meinte, den Besuch bis morgen -aufschieben zu müssen. Aber es war<span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[S. 368]</a></span> eine helle Mondnacht, und plötzlich -erscholl durch die Dämmerung ein so gewaltig donnerndes Lachen, daß es -nur von mehreren Löwen herrühren konnte, und zugleich ein jämmerliches -Geschrei.</p> - -<p>Unser Untier kroch durch das dunkle Dickicht so rasch wie möglich der -Stelle zu, wo der seltsame Lärm sich erhoben hatte, und kam an eine -schmale Lichtung, die ganz verklärt vom Mondschein war. Da sah es nun, -wie vier große Löwen einen armen Affen an Händen und Beinen gepackt -hielten und ihn so bei lebendigem Leibe in vier Stücke zerreißen -wollten. Der schnitt natürlich mit seinem Gesicht die fürchterlichsten -Grimassen dabei, und das machte den Löwen solchen Spaß, daß sie wieder -ihr brüllendes Lachen ausstießen und so den Gequälten ein wenig locker -ließen; der schrie dann natürlich noch jämmerlicher, worauf sie noch -gräßlicher an ihm rissen und dazwischen wieder laut loslachten.</p> - -<p>Unser Untier konnte nicht länger still zusehn; sein gutmütiges -Krötenherz empörte sich schließlich bis in sein wildes Löwengehirn, -und plötzlich sprang es mit einem Gebrüll, wie noch nie eins im Urwald -erschollen war, mitten hinein in den scheußlichen Knäuel. Erst schlug -es den armen Affen tot, daß der sich nicht länger zu quälen brauchte; -dann fuhr es mit seinen klotzigen Tatzen auf die verdutzten Löwen los. -Der eine hatte vor Schreck gleich Reißaus genommen; die andern drei -merkten nach einigem Katzbalgen, oder wußten auch schon von Hörensagen, -daß sie der bunten Panzerhaut der Löwenkröte nichts anhaben konnten, -und zogen sich nach etlichen Maulschellen, die sie weniger ausgeteilt -als empfangen hatten, mit respektvollem Grunzen ins Dickicht zurück.</p> - -<p>Da saß nun das siegreiche Ungetüm in der vom Mondschein verklärten -Lichtung neben der blutigen Affenleiche; und da auf einmal — wie -ihr euch denken könnt — ging ihm durch Herz und Hirn zugleich eine -unendliche Erleuchtung. Es konnte<span class="pagenum"><a name="Seite_369" id="Seite_369">[S. 369]</a></span> zwar immer noch nicht lachen; aber -mit einem Lächeln gen Himmel, das jeder Traurigkeit hellen Hohn sprach, -ergab es sich in sein Untierschicksal, gern eine Löwenkröte bleibend.</p> - -<p>Und auch die Affen sind Affen geblieben, die Papageien Papageien, und -das heilige Kameel ein Kameel.</p> - -<div class="chapter"> - -<h3 id="Die_Geschichte_vom_alten_Wodtke_und_Michel_Krist">Die Geschichte -vom alten Wodtke und Michel Krist<br /> -<span class="s5">oder der Weg über den Balken</span></h3> - -<p class="center">Eine Geschichte die wirklich einmal geschehen sein soll</p> - -</div> - -<p class="mtop2">Nämlich, Jungens — die Leute waren schon jahrelang unzufrieden mit -dem alten Wodtke, alle Leute in der ganzen Gegend. Er aber saß oben -auf seinem Berge, in seinem einsamen Wärterhäuschen, und kümmerte sich -nicht darum.</p> - -<p>Eigentlich hätte er tun müssen, was die Leute unten im Land verlangten; -so wenigstens meinten diese selber, besonders die reichen unter ihnen, -denn die hatten ihn angestellt. Er sollte die große Wasserleitung -in Ordnung halten, die oben auf dem Berge lag, und deren Röhren -hinabliefen in alle Felder und Wiesen und Bauernhöfe, um alle richtig -mit Wasser zu versorgen. Und er hielt sie auch ganz gut in Ordnung; -aber wenn einer mal viel Wasser brauchte, dann meinte der Nachbar, er -kriege zu wenig, oder wenn dieser nun nachbekam, dann schrieen alsbald -die andern Nachbarn, das sei die reine Überschwemmung, und schließlich -wars keinem recht gemacht.</p> - -<p>Darum hatte der alte Wodtke sich eines Tages anders besonnen: hatte den -Leuten den Zutritt versperrt zu seinem amtlichen Gebiet und kümmerte -sich um Niemandes Wünsche mehr. Sondern er saß da hinter seinem Zaun, -zwischen den mächtigen Wasserbecken, die in Terrassen über einander -lagen; und auf der obersten Terrasse, mitten im größten der großen -Becken, stand wie ein Turm sein steinernes Häuschen, zu dem<span class="pagenum"><a name="Seite_370" id="Seite_370">[S. 370]</a></span> nur ein -langer schmaler Balken über das stille Wasser führte. Von dort aus -besah er mit seinem einen Auge — denn auf dem andern war er blind -— durch ein Fernrohr die ganze Gegend, die Dörfer und das flache -Land, bis dahin wo die Wälder anfingen und bläulich in den Himmel -verschwanden, und ließ zu jedermann soviel Wasser laufen, wie’s ihm von -oben gut und nötig schien.</p> - -<p>Das gab nun zuerst einen wahren Aufstand unter den Leuten ringsherum, -obgleich sie im ganzen nicht schlechter versorgt wurden, vielleicht -sogar etwas besser als früher; doch weil sie nicht mehr dreinreden -durften, fühlte sich jeder zurückgesetzt, und kamen in hellen Haufen -herauf und wollten das Wärterhäuschen stürmen. Je näher sie aber -an den Zaun kamen, umso stiller und stiller wurden sie; die großen -Wasserbecken, die alle den Himmel spiegelten, lagen da so feierlich, -daß sich keiner mehr laut zu reden traute. Blos etwa ein Dutzend der -ärgsten Murrer, die kletterten dennoch über den Zaun und näherten sich -dem einsamen Turm.</p> - -<p>Der alte Wodtke stand ganz ruhig in seiner weitgeöffneten Türe, blickte -erst auf die Leute drüben, dann auf den langen Balken vor sich, und -lachte in seinen grauen Bart; hinter ihm blitzten die hundert Hähne und -Drehklinken der Leitungsröhren. Da merkte das Dutzend Störenfriede, -daß man nur einzeln hinüberkommen könne; und wie der Alte sein eines -Auge funkelnd von Mann zu Mann richtete, hatte keiner den Mut dazu. -Und plötzlich erhob sich in dem Turm ein seltsames Kreischen und -Gekrächze, daß jeder verwirrt in den Himmel glotzte; worauf der Alte -ihnen den Rücken wandte und schließlich alle froh waren, daß sie zum -Zaun zurücklaufen konnten. Dort sagten sie den Wartenden, es gehe hier -nicht mit rechten Dingen zu, der alte Wodtke habe den Zauberblick und -stehe mit bösen Geistern im Bunde; und also zog der ganze Haufen wieder -hinunter ins flache Land.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_371" id="Seite_371">[S. 371]</a></span></p> - -<p>Es gab aber doch verschiedene Schlauköpfe, die an den Geisterspuk nicht -recht glaubten, und meinten, sie würden den Alten schon unterkriegen; -das waren natürlich die Unzufriedensten. Die schlichen jetzt öfters -allein um den Zaun, weil keiner dem andern das Wasser gönnte, und -dachten jeder dem alten Bären einen besonderen Vorteil abzuluchsen. Sie -hatten auch bald herausgekundschaftet, daß er Nachmittags gewöhnlich -ein Schläfchen machte, und was es mit dem Gekreisch und Gekrächze für -eine einfache Bewandtnis hatte.</p> - -<p>Vollkommen einsam nämlich lebte der alte Wodtke nicht. Sondern er hatte -sich zwei Vögel gezähmt, einen weißen und einen schwarzen, eine Möwe -und eine Krähe. Die saßen meistens bei ihm im Turm; nur wenn er bei der -Arbeit war oder bei seinem Nachmittagsschläfchen, dann flogen sie über -den großen Wasserbecken wie eifrige Wächter hin und her. Sie flogen -dann ganz leise und lautlos, immer im Zickzack schwarz und weiß, als ob -sie Tod und Leben spielten. Ich habe sie selbst mal so fliegen sehen, -als ich vorbeiging und über den Zaun kuckte; doch braucht ihr drum -nicht etwa zu denken, ich hätte hinüberklettern wollen, denn ich bin -mit dem alten Wodtke niemals unzufrieden gewesen.</p> - -<p>Die unzufriedenen Schlauköpfe aber, wenn sie sich auch bei Nacht nicht -hinauftrauten, weils ihnen mit den wachsamen Vögeln doch nicht recht -geheuer schien, die wollten sich seine Nachmittagsruhe heimtückisch -zunutze machen und ihn dabei überrumpeln und zwingen.</p> - -<p>Wenn dann so einer — ich habe von weitem mal zugesehen und sage euch, -es war sehr komisch — vor den langen Balken kam, dann stand er zuerst -wie angewurzelt und sah sich furchtsam um wie ein Dieb. Er faßte sich -aber doch ein Herz und setzte einen Fuß vor den andern, bis etwa in -die Mitte des Balkens. Wenn er dann aber ins glatte Wasser sah, wo -sich tief unten der Himmelkreis spiegelte, und sah sich selbst da im -Wasser<span class="pagenum"><a name="Seite_372" id="Seite_372">[S. 372]</a></span> hängen, den Kopf nach unten, am schmalen Balken, und nirgends -ein Halt im tiefen Luftraum, und plötzlich kamen die stillen Vögel mit -Kreischen und Krächzen herbeigeschossen, ihm immer kreuz und quer um -den Kopf, und unten im Himmel ebenso, bis alles ihm drunter und drüber -ging und ihm vorm Tod wie vorm Leben schwindelte: da wollte er wohl die -Augen schließen, lag aber plumps schon drin im Wasser. Und während er -pruhstend mit Mühe und Not ans Ufer des Beckens zurückschwamm, erschien -der alte Wodtke wieder in seiner weitgeöffneten Türe, und lachte daß -das Echo dröhnte, und streichelte seine beiden Vögel, die sich auf -seine Schultern setzten.</p> - -<p>Ein Einziger hat es einmal versucht, bei Nacht über den Balken zu -kommen; das war der dicke Herr Landgendarm. Der hatte eigentlich gar -kein Recht, sich um die Wasserleitung zu kümmern, besonders da der alte -Wodtke selbst eine Art Polizeiperson war und ohne Aufseher über sich. -Aber der dicke Herr Landgendarm hatte die Andern immer gefoppt, wenn -sie so pudelnaß vom Berge kamen, und wollte den Bauern mal beweisen, -daß er der schlauste von allen sei; dachte vielleicht auch eine -Belohnung zu kriegen, wenn er den alten einäugigen Kerl mal orndtlich -bei den Ohren nähme und ihm die Hochmutsmucken austriebe.</p> - -<p>Also faßte er den Plan, nicht aufrecht über den Balken zu gehen, -sondern rittlings bei Nacht hinüberzurutschen, indem er meinte, dann -schliefen die Vögel. Die Vögel schliefen aber nur abwechselnd; und als -er mit seinen dicken Beinen in der Mitte des Balkens saß, weckte die -Möwe den alten Wodtke. Schwapp, kippte er den Balken ein bißchen. Und -der erschrockene Herr Gendarm, den seine enge Uniform und der schwere -Säbel am Schwimmen verhinderten, wäre beinahe elendig ertrunken, wenn -nicht im letzten Augenblick der alte Wodtke den Hahn gedreht und das -Wasser des Beckens hätte ablaufen lassen; da konnte der zappelnde -Reitersmann, naß wie er war, zurückwaten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_373" id="Seite_373">[S. 373]</a></span></p> - -<p>Seit der Zeit meinten die Leute im Ernst, die Möwe und Krähe seien zwei -böse Geister, und da begann erst der Schabernack arg zu werden. Wenn -der Alte bei seiner Arbeit war, gingen sie hinterrücks an den Zaun und -warfen mit Steinen nach seinen Vögeln. Die Vögel konnte zwar keiner -treffen, weil sie zu hoch und zu schnell im Zickzack flogen; aber die -Steine fielen herunter und schlugen in seine Gartenbeete, die rings -um die Wasserbecken lagen. Anfangs nahm er es ruhig hin und warf sie -einfach zurück übern Zaun; das machte die Leute aber nicht friedlicher, -sondern im Gegenteil nur noch erboster, und sie ließen sich einen -Geisterbeschwörer kommen, der ihm die Vögel wegfangen sollte. Na! den -bespritzte der alte Wodtke so gründlich mit einem kalten Strahl, daß -er schleunigst wieder nach Hause reiste; und nun erging es den Bauern -schlimm.</p> - -<p>Denn der Alte vom Berge — so nannten sie ihn jetzt — war durch die -ewige Einsamkeit allmählich menschenfeindlich geworden, und beschloß es -ihnen mal einzutränken. Er ließ auf einmal am nächsten Tag so mächtig -viel Wasser ins Land laufen, daß nun wirklich eine Überschwemmung -entstand, und die dauerte von Ostern bis Pfingsten. Mancher bekam -dadurch ein Einsehn, aber grade die reichsten nicht; denn die meinten, -sie hätten den größten Schaden, und warfen ihm Briefe über den Zaun, -worin sie drohten ihn abzusetzen, trotzdem sie ihn lebenslänglich -angestellt hatten. Worauf er einfach sofort den Haupthahn abstellte -und gar kein Wasser mehr laufen ließ, sodaß eine schreckliche Dürre -eintrat. Und Niemand wußte mehr aus noch ein, denn in der ganzen Gegend -war Keiner, der von der Wasserleitung genug Verstand, um rasch sein -Nachfolger werden zu können.</p> - -<p>Da lebte nun dort in einer Hütte ein armer kleiner Hirtenjunge. Seine -Eltern stammten aus einer fremden Gegend und hatten deshalb kein eigen -Land, und er mußte den Bauern die Schafe hüten. Er war an Heiligabend -geboren und letzte<span class="pagenum"><a name="Seite_374" id="Seite_374">[S. 374]</a></span> Weihnacht zwölf Jahre alt geworden; und mit Namen -hieß er Michel Krist. Es konnte ihm eigentlich gleichgiltig sein, daß -es den Bauern jetzt so schlecht ging; denn er war das Hungern und -Dursten gewohnt, auch wenn sie gute Ernten hatten. Aber es tat ihm -trotzdem leid, wenn Menschen und Tiere jammerten, besonders wenn seine -Schafe blökten auf den vertrockneten Weidefeldern.</p> - -<p>Dem war es nun immer ein Rätsel gewesen, warum sich der alte einäugige -Mann so einsam auf seinem Berge hielt, und warum die Leute ihn -schimpften und ärgerten, und warum er sie dann noch ärger ärgerte. -Denn Michel Krist hatte zwei helle Augen, die in jedermann etwas Gutes -entdeckten; und wen er mit diesen Augen anlachte, der mußte unfehlbar -mitlachen, selbst wenn man ihm vorher böse sein wollte. Drum hatte -er auch vor bösen Geistern nicht die geringste Furcht im Leibe; ihm -waren noch niemals welche begegnet, obwohl er sehr oft im Dunkeln -allein war, und kannte alle Vögel des Himmels, wie sie bei Tag und -bei Nacht herumfliegen. Und über einen Balken zu gehen, schien ihm -erst recht kein gefährliches Kunststück; denn er war von klein auf -barfuß gegangen, und an den breiten Wiesengräben, wo seine Heerde am -liebsten weidete, lief er tagtäglich zum Zeitvertreib, ohne daß ihm je -schwindlig wurde, über die längsten Brückengeländer.</p> - -<p>Als die Gräben nun immer mehr austrockneten, kam er zuletzt auf den -Gedanken, den Alten vom Berge mal zu besuchen und ihn einfach zu -fragen und zu bitten, ob er nicht wieder gut sein wolle. Also begab -er sich eines Morgens in aller Frühe auf den Weg; ging aber erst auf -einen Acker und grub sich einen Engerling aus. Den wollte er der Krähe -mitbringen; denn unser kleiner Michel wußte, daß Krähen die Engerlinge -gern essen. Und aus einem Gemüsegarten nahm er sich eine recht fette -Schnecke mit; die sollte für die Möwe sein.</p> - -<p>Damit sie ihm nicht die Tasche beschmutzten und unterwegs<span class="pagenum"><a name="Seite_375" id="Seite_375">[S. 375]</a></span> nicht -etwa erstickten, wickelte er die zwei kleinen Tiere säuberlich in -ein großes Kohlblatt und trug sie behutsam in der Hand. Natürlich, -Jungens, wie ihr euch denken könnt, tat es ihm auch etwas leid um sie, -daß sie lebendig aufgefressen werden sollten. Aber der kleine Michel -wußte, daß alles Lebendige einmal sterben muß auf Erden; und seine -halbverdursteten Schafe und die vielen unzufriedenen Menschen taten -ihm doch noch etwas mehr leid als so ein häßlicher Engerling und eine -schleimige Gartenschnecke. Und er wollte doch auch den Vögeln was -zukommen lassen.</p> - -<p>So kam er oben auf dem Berge an und brauchte garnicht erst über den -Zaun zu klettern, weil er die Pforte offen fand; denn die hatte neulich -der Geisterbeschwörer mit seinen Geheimschlüsseln glücklich aufgekrigt, -und der alte Wodtke hatte vergessen, sie nach der Bespritzung wieder zu -verriegeln.</p> - -<p>Michel Krist sah die beiden Vogel fliegen, und als er an den Balken -kam, wickelte er das Kohlblatt auf, nahm den Engerling in die rechte -Hand, die Schnecke in die linke, und ging mit ausgebreiteten Armen -ruhig der Tür des Türmchens zu. Als die Vögel in seinen flachen Händen -die fetten Gewürme kribbeln sahen, vergaßen sie ihren Zickzackflug, -womit sie den Leuten immer die Köpfe verwirrt hatten, dachten auch -nicht an Kreischen und Krächzen, sondern freuten sich über die -Leckerbissen, und die Krähe flog rechts, die Möwe links neben dem -kleinen Michel entlang, bis er auf einmal drüben stillstand und ihnen -die kribbligen Dinger reichte. Dann trat er in das Wärterhäuschen.</p> - -<p>Der alte Wodtke war grade dabei, seine Leitungshähne und Klinken zu -putzen, und wunderte sich natürlich nicht wenig, als plötzlich der -barfuße Junge vor ihm stand, begleitet von seinen zahmen Vögeln. Und -ehe er noch den Putzlappen weglegen konnte, gab Michel Krist ihm schon -die Hand und sagte dazu mit lachenden Augen: Guten Morgen, lieber Vater -Wodtke!</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Seite_376" id="Seite_376">[S. 376]</a></span></p> - -<p>Vater Wodtke brummte guten Morgen, legte den Lappen an seinen Platz, -sah sich mit seinem einen Auge den kleinen Michel durch und durch an, -griff dann in seinen weißen Bart und fragte etwas weniger brummig: Was -willst du denn hier oben bei mir?</p> - -<p>Unser Michel hatte den funkelnden Blick mit ruhigem Herzen ausgehalten -und gab ganz einfach und wahr zur Antwort: Ich wollte blos fragen, -warum du böse bist, und warum du von den Menschen nichts wissen willst, -und ob du nicht wieder gut sein möchtest?! Ich will dir auch helfen die -Hähne putzen.</p> - -<p>Der alte Wodtke lachte grimmig, und sein Blick wurde dunkler, während -er sprach: Sie wollens nicht besser haben, die Menschen! Wenns ihnen zu -gut geht, werden sie übermütig! genau so wie deine Schafe im Frühling.</p> - -<p>Eine Weile wußte Michel Krist auf diese Worte nichts zu erwidern und -ließ den Kopf ein bißchen hängen. Dann aber hob er wieder die Stirn -und blickte mit seinen zwei hellen Augen den Vater Wodtke groß an und -sagte: Ja aber, ich lasse doch meine Schafe, wenn sie verbiestert sind, -ruhig blöken, und treibe sie nicht weg von mir, und laufe auch nicht -weg von ihnen! Laß doch die Menschen zu dir kommen, und wehre ihnen -nicht zu reden; du kannst ja nachher doch tun, was du willst! — Und -dabei mußte er leise lachen.</p> - -<p>Und als Vater Wodtke nun mitlachen mußte, nahm Michel Krist ihn wieder -beim Arm und fuhr mit rechter Bitte fort: Und wenn du’s ihnen nicht -selber gestehen willst, dann laß mich hinuntergehen zu ihnen und ihnen -sagen, du bist wieder gut! Ich werds schon alles so ausrichten, daß sie -sich gerne mit dir vertragen — genau so wie meine Schafe mit mir.</p> - -<p>Da mußte der alte Vater Wodtke so furchtbar laut und herzlich lachen, -daß seine beiden zahmen Vogel verschüchtert zum kleinen Michel hüpften. -Und während er sich heimlich ein Tränchen aus seinem einen Auge -wischte, schrie er und schlug mit der<span class="pagenum"><a name="Seite_377" id="Seite_377">[S. 377]</a></span> andern Faust an seine größte -Leitungsröhre: Junge, du sollst mein Nachfolger werden! —</p> - -<p>Und Michel Krist ging hinunter ins Land und richtete alles richtig -aus. Und Sonntags kam er immer herauf und durfte die Hähne putzen -helfen, bis er sich bald auf die Wasserleitung so gut verstand wie -sein Lehrvater selber. Und als der schließlich sterben mußte, zog er -wirklich statt seiner hinauf in das Wärterhäuschen, und die Leute sind -heut noch zufrieden mit ihm. Den alten einäugigen Wodtke aber, trotzdem -sie sich mit ihm versöhnt und ihn in Ehren begraben haben, halten sie -doch noch für einen Hexenmeister; und manche behaupten, er lebe noch -heimlich.</p> - -<p class="s4 center padtop1 mbot2">* * *</p> - -<div class="chapter"> - -<p class="center padtop5">*</p> - -</div> - -<p class="s5 center">Druck der<br /> -Spamerschen Buchdruckerei<br /> -in Leipzig</p> - -<p class="center">*</p> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3), by -Richard Dehmel - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESAMMELTE WERKE IN DREI *** - -***** This file should be named 62672-h.htm or 62672-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/2/6/7/62672/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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