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-Project Gutenberg's Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3), by Richard Dehmel
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
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-this ebook.
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-
-
-Title: Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3)
-
-Author: Richard Dehmel
-
-Release Date: July 16, 2020 [EBook #62672]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESAMMELTE WERKE IN DREI ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net
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- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen Buchausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
- Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
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- Autor verwendet Elisionen, die vom nächsten Wort nicht durch ein
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- Das Inhaltsverzeichnis (‚Übersicht‘) wurde vom Bearbeiter an den
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- Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
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-
- Unterstrichen: _Unterstriche_
- Fettdruck: =Gleichheitszeichen=
- gesperrt: +Pluszeichen+
- Antiqua: ~Tilden~
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-[Illustration]
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-
-
- Richard Dehmel
-
- Gesammelte Werke
-
- in drei Bänden
-
- Zweiter Band
-
- S. Fischer, Verlag, Berlin
-
-
-
-
- +22. bis 24. Tausend+
-
- Alle Rechte vorbehalten, auch das der Übersetzung
- Copyright 1913 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin
-
-
-
-
-Übersicht
-
-(Die mit * bezeichneten Stücke sind neu aufgenommen)
-
-
- Seite
-
- +Weib und Welt+
-
- Ins Weite 7
-
- Die Erweckung des Herrschers 7
-
- Das Ideal 10
-
- Beichtgang 11
-
- Narzissen 11
-
- Drei Ringe 12
-
- *Entrückung 19
-
- Himmelfahrt 20
-
- Der Stieglitz 20
-
- Sinnige Fahrt 21
-
- So im Wandern 22
-
- Schutzengel 25
-
- Begegnung 25
-
- Unterm jungen Birnbaum 27
-
- *Emporsturz 27
-
- Verkündigung 28
-
- Einst 28
-
- Stimme des Abends 28
-
- *Feierabend 28
-
- Manche Nacht 29
-
- Aus banger Brust 29
-
- Helle Nacht 30
-
- Aufstieg 31
-
- Drückende Luft 31
-
- Aufblick 32
-
- Stiller Gang 33
-
- Ein Grab 33
-
- Klage 33
-
- *Einst im Herbst 34
-
- Der gesunde Mann 34
-
- Befreit 35
-
- Trost 36
-
- Wunder 36
-
- Kalte Frage 36
-
- Winterwärme 36
-
- Kein Bleiben 37
-
- Heimweh in die Welt 37
-
- Über frei Feld 38
-
-
- Der Frühlingskasper 40
-
- Entladung 40
-
- Anbetung 42
-
- Ausblick 43
-
- Ideale Landschaft 43
-
- Auf See 44
-
- Gesang vor Nacht 44
-
- Klarer Tag 44
-
- Dunkle Gewalt 45
-
- *Ballade von der wilden Welt 45
-
- Herr und Herrin 47
-
- *Ballade vom Kuckuck 47
-
- Vorspiel 48
-
- Wellentanzlied 48
-
- Bewegte See 49
-
- Der Sturm 50
-
- *Verklärung 50
-
- Das Schloß 50
-
- *Der Schwimmer 51
-
- Beschwichtigung 51
-
- *Lied an den Mond 52
-
- Gruß 52
-
- *Aufglanz 53
-
- Morgenstunde 53
-
- Ruf 54
-
- Berückung 54
-
- Wirrsal 55
-
- Nach einem Regen 55
-
- Der gute Hirte 56
-
- Stimme im Dunkeln 56
-
- Über den Sümpfen 57
-
- Erwartung 57
-
- Im Reich der Liebe 58
-
- Nun erst 59
-
- Mannesbangen 60
-
- Der weise König 60
-
- Stilles Zeichen 61
-
- *Die Kette 61
-
- Ein Ring 62
-
- Der Fluß 63
-
- Nächtliches Zwiegespräch 63
-
- Rückblick 64
-
- Mein Wald 64
-
- Die Harfe 65
-
-
- Geheimnis 67
-
- Am Scheideweg 67
-
- Hoch in der Frühe 67
-
- Immer wieder 68
-
- *Die Frage 68
-
- Im Zwielicht 69
-
- Glückwunsch 69
-
- Ein Blütenblatt 70
-
- *Das Perlgewebe 70
-
- Störung 72
-
- Zukunft 72
-
- Enthüllung 73
-
- Beschwörung 74
-
- Aus schwerer Stunde 75
-
- Zuversicht 76
-
- *Gleichnis 76
-
- *Weihnacht im Krankenhaus 77
-
- *Lied im Winter 77
-
- Eva und der Tod 78
-
- Verhör 80
-
- Zur Genesung 81
-
- Schneeflocken 82
-
- Orientalisches Potpourri 83
-
- Jesus bettelt 85
-
- *Benedeiung 86
-
- Erfüllung 86
-
- Heilandswort 87
-
- Zwischen Ostern und Pfingsten 88
-
- Die Glücklichen 88
-
- Erhebung 89
-
- *Hochsommerlied 90
-
- Mit heiligem Geist 90
-
- Böser Traum 91
-
- Leiser Besuch 92
-
- Der Strauß 93
-
- Finale 94
-
-
- Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr 95
-
- Der Verbannte 97
-
- Unterwegs 98
-
- Heimatgruß 98
-
- Hoher Mittag 100
-
- Stimme im Licht 101
-
- *Nachtgebet 101
-
- Durch die Nacht 102
-
- Masken 102
-
- Nacht für Nacht 103
-
- *Lied vor Tag 103
-
- Gondelliedchen 104
-
- Griechische Pfingsten 104
-
- Eine Rundreise in Ansichtspostkarten 105
-
- Wiedersehn 121
-
- Siegerin 122
-
- Letzte Bitte 122
-
- *Zweier Seelen Lied 122
-
- *Psalm zweier Sterblichen 123
-
- Im Geiste 124
-
- *Nachglanz 124
-
- *Verewigung 125
-
- Am Ufer 126
-
- *Aufrichtung 127
-
- Heilige Nacht 127
-
- Evas Klage 129
-
- Eines Tages 131
-
- Eine Lebensmesse 134
-
- *Zwiegesang überm Abgrund 141
-
- Am Opferherd 142
-
-
- +Zwei Menschen+
-
- Leitlied 144
-
- Eingang zum ersten Umkreis 145
-
- Eingang zum zweiten Umkreis 191
-
- Eingang zum dritten Umkreis 237
-
- Ausgang 283
-
-
- +Der Kindergarten+
-
- Gärtnerspruch 286
-
- *Muttersprache 287
-
- Vatergruß 287
-
- Der Vogel Wandelbar 287
-
- Kutscher Tod 291
-
- Triumphgeschrei 292
-
- Schnurrige Predigt 293
-
- Käuzchenspiel 293
-
- *Fliegerschule 293
-
- Der Reitersmann 294
-
- *Geschäftsleutchen 294
-
- Geburtstagsgeschenke 295
-
- Abendgebet 295
-
- Freund Husch 296
-
- Das Maiwunder 297
-
- Puhstemuhme 298
-
- Das große Karussell 298
-
- Aurikelchen 299
-
- Der Schatten 299
-
- *Morgenlied 300
-
- Der kleine Sünder 301
-
- Fragefritz und Plappertasche 302
-
- Furchtbar schlimm 303
-
- Fitzebutze 304
-
- Käferlied 305
-
- Die Reise 306
-
- Die Schaukel 306
-
- Das richtige Pferd 307
-
- Die ganze Welt 308
-
- Lazarus 309
-
- Der kleine Held 310
-
-
- Knecht Ruprecht und die Christfee 328
-
- *Das Dichterspiel 340
-
- Der Allerseelenspiegel 350
-
- Tippel und Tappel 355
-
- Der Sonnenstrahl 356
-
- Die Pfauenfeder 357
-
- Das Märchen vom Maulwurf 359
-
- Die bekümmerte Löwenkröte 362
-
- Der alte Wodtke und Michel Krist 369
-
-
-
-
- Weib und Welt
-
- Ein Buch Gedichte
-
- Vierte Ausgabe
-
-
-
-
-Erster Teil
-
-
-
-
-Ins Weite
-
-
- Die du mir näher bist, als Sinne ahnen können,
- meine Erfüllerin,
- schlummernde:
- o träume dich ein in meine schmachtenden Adern,
- und fühle mein Herz aus meinen Augen brennen,
- und sieh die Sterne sich über mir verdoppeln,
- und schmecke das Mannah dieser grenzenlosen Nacht,
- die Düfte der Sehnsucht von Wiese zu Wald zu Wolke,
- und höre den Weltraum mein heiliges Lied mitatmen,
- mein Echo du! --
-
-
-
-
-Die Erweckung des Herrschers
-
-Psychische Szene
-
-
-+Ein Geist im Schlaf+:
-
- Da thront sie wieder; thront, als ob sie warte.
- Was willst du, Traumbild, immer noch von mir
- mit deinem Gnadenblick? du bist doch tot!
- Zu oft bin ich von diesem Blick erwacht;
- ich fühls, ich träume nur! Was quälst du jetzt
- mit täuschender Erhörung meine Nächte
- und blicktest nie zuvor, zu keiner Stunde
- -- o doch: in einer, einer Stunde doch:
- in deiner Sterbestunde -- so mich an!
- Willst du den Mann, der ich in Schmerzen ward,
- durch deinen Hingang ward, noch büßen lassen,
- was dir der unbedachte Jüngling tat?
- Wars denn so schlechte Tat? Wars nicht Verehrung,
- daß ich mit meiner Lust an Ruhm und Rang
- auch Dir zu schmeicheln dachte? Warb ich nicht
- mit höchster Hoffahrt um dein stolzes Herz?
- Aus deiner stillen Welt, die mir nicht würdig
- genug für deine holde Würde schien,
- wollt ich ein klingend Sphärenspiel gestalten!
- Hab ich dich nicht gefeiert? Schmückt ich nicht
- dein jungfräuliches Haupt mit einer Krone?
- mit stetem Festglanz unsern Thron! Und gabst mir
- kaum eine Gunst dafür, kaum ganz ein Lächeln,
- nie einen vollen, seelenvollen Dank,
- nie --
-
-+Antwort einer Seele+:
-
- Ich liebte dich --
-
-+Der Geist+:
-
- Du? liebtest? mich? -- Und zeigtest mir das nie?!
- Und ließest mich, wenn deine sanfte Hand
- sich meiner ungestümen streng entzog,
- mich, der zu Füßen dir getaumelt wäre
- für nur den scheuesten Wink, ließest mich haltlos
- mit falschen Freunden dann von Rausch zu Rausch
- die irren Wege meines Unmuts gehn!
- Mußt ich nicht meinen, du verabscheust mich,
- du seist enttäuscht, sinnst Rache? Bis ich endlich,
- so immer werbend, immer unbelohnt
- und immer wieder auf Erhörung pochend,
- endlich den einen einzigen Gnadenblick,
- mit dem dein Auge brach, empfing und nun
- vor deinem starr gewordnen Antlitz mich
- in grausigem Zweifel fragte: galt er mir?
- mir? oder sahst du Sterbende ein Wesen,
- das +Du+ nur sahst, mit diesem Dankblick an,
- weil’s dich von mir befreite?! Sprachst du doch
- kein letztes Wort zu mir! O warum starbst du
- so stumm?
-
-+Die Seele+:
-
- Ich liebte dich --
-
-+Der Geist+:
-
- Und quälst mich immer noch?! O deute mirs,
- du Unfaßbare: was bedrängst du mich?
- Ich sinne selbst am hellen Tag dir nach;
- du weißt, ich will das nicht, will nicht mehr träumen,
- ich ward zu klar dazu, dank deiner Drangsal,
- ich litt genug an dir, ich will nicht leiden,
- mir ziemt die Tat, drum lernt ich mich beherrschen,
- und will auch Dich, auch Dich beherrschen, denn
- ich +bin+ ein Herrscher -- und das ist, du weißt es,
- ein schwacher Mensch, der tausend fremde Kräfte
- unter ein starkes Werk einsammeln soll.
- Was also störst du meinen kurzen Schlaf?
- was gönnst du mir nicht Rast, mich selbst zu sammeln?
- was stachelst du mich in dem Lichtstrahl noch,
- der Mittags in mein halbgeschlossenes Auge
- sich eindrängt und an deinen letzten Blick mich
- gemahnt?
-
-+Die Seele+:
-
- Ich liebe dich --
-
-+Der Geist+:
-
- Dann laß dich fassen! dann erhöre mich!
- bei deiner Seligkeit beschwor ich dich:
- laß mich vollkommen in dir ruhn!
- So will ich nicht mehr eitel mit dir ringen,
- will mein Gezweifel vollends niederzwingen,
- dir freudig deinen Willen tun!
- So wirst auch Du endlich zur Ruhe kommen,
- wirst stolz von meinen Kräften hingenommen
- erkennen, daß du mich nicht länger schreckst!
- So wird aus unserm Traumbund im Geheimen
- stark eine neue Seele keimen,
- durch die du mich
- schutzmütterlich
- zu immer stolzerem Tagwerk weckst, gern weckst --
- und so --
-
-+Die Seele+:
-
- So lieb’ ich dich -- --
-
-+Der Geist des Herrschers+
-
-erwachend:
-
- Und lebst mir so -- und wirst mir nie mehr sterben.
- Und all mein Volk wird unsre Liebe erben.
-
-
-
-
-Das Ideal
-
-
- Doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt;
- ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen,
- auf allen kam die Liebe mir entgegen,
- drum hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt.
-
- Es stand ein Baum in einem Zaubergarten,
- mit tausend Blüten gab er Duft und Schein,
- und eine leuchtete vor allen rein;
- es stand ein Baum in einem Zaubergarten.
-
- Und aus den tausend pflückte ich die eine,
- sie war noch schöner mir in meinen Händen,
- sodaß ich kniete, Dank dem Baum zu spenden,
- von dem aus tausend ich gepflückt die eine.
-
- Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume,
- und wieder schien vor allen Eine licht,
- und meine welkte schon -- ich dankte nicht;
- ich hob die Augen zu dem Zauberbaume.
-
- Doch hab ich meine Sehnsucht nie verlernt;
- ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen,
- auf jedem glänzte mir ein andrer Segen,
- drum hab ich meine Sehnsucht nie verlernt.
-
-
-
-
-Beichtgang
-
-
- Ich war der Herr der Welt vor dir,
- im Traum;
- wie eine Sonne warst du mir,
- im Traum.
- Ich schmückte dich mit allen guten
- Glücksehnsuchtsgluten
- in diesem Traum,
- und hieß dich leuchten, ließ dich schweben.
- Und habe mich in den Staub gebogen
- vor dir, im Traum,
- und dich belogen und betrogen
- im Staub, im Traum --
- komm, laß uns +leben+!
-
-
-
-
-Narzissen
-
-
- Weißt du noch, wie weiß, wie bleich
- in den Maiendämmerungen,
- wenn ich lag, von dir umschlungen,
- dir zu Füßen hingerissen,
- um uns schwankten die Narzissen?
-
- Weißt du noch, wie heiß, wie weich
- in den blauen Juninächten,
- wenn wir, müde von den Küssen,
- um uns flochten deine Flechten,
- Düfte hauchten die Narzissen?
-
- Wieder leuchten dir zu Füßen,
- wenn die Dämmerungen sinken,
- wenn die blauen Nächte blinken,
- wieder duften die Narzissen.
- Weißt du noch, wie heiß? wie bleich?
-
-
-
-
-Drei Ringe
-
-Elegie
-
-
- Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger,
- und jeder ein toter, gebrochener Schwur;
- und seid mir so heilig, ihr flimmernden Dinger,
- seid mir ein treuer,
- still wachsender, neuer,
- einziger, willig gesprochener Schwur.
-
- Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden?
- Was blickst du, Perle, so bleich im Gold?
- Du Reif dazwischen, schlicht gewunden,
- was schimmerst du so scheu und hold?
- Ach! immer die Treue treuwillig versprochen,
- und immer treuwillig die Treue gebrochen.
- So hat es das Leben, das Leben gewollt.
-
- Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken,
- und dennoch ein neuer dämmernder Schwur?
- O Abendsonne, wie trüb dein Blinken,
- und Nebel winken,
- bald wirst du sinken.
- Du blasse Perle, wie wars doch nur?
-
- * * * * *
-
- War wohl ein Morgen, frühlingsmild;
- die alte Kirche stand voll Glanz.
- Blaß flammte ums Erlöserbild
- der Osterkerzen weißer Kranz.
- Der Orgel Hallelujah quoll;
- uns war das Herz von Gott so voll,
- das Kinderherz, voll Bebens.
- O Schwur des Glaubens! O Gebot:
- nun seid getreu bis in den Tod,
- dann wird euch die Krone des Lebens,
- die ewige Krone des Lebens.
-
- Und mit der Mutter still durchs Feld;
- wie glänzte weit, wie glänzte grün
- und war ein Sonntag all die Welt!
- Die Weidenbüsche wollten blühn;
- ein Zweiglein brach der Knabe.
- Doch feierlich im leeren Land
- als wie ein Kreuz die Mühle stand;
- und sinnend weiter still feldein.
- O Försterhaus am Eichenhain!
- O Vaterwort-und-Gabe!
-
- O Gartenzaun am Eichenhain!
- da nahm mein Vater meine Hand
- und legte einen Ring hinein,
- der hatte einen schwarzen Stein,
- drin eine goldne Krone stand,
- und sprach zu seinem Sohne,
- und all sein Blick war Ein Gebot:
- Nun sei dir treu bis in den Tod,
- dann wird dir die Krone zum Lohne,
- des Lebens Siegeskrone!
-
- * * * * *
-
- Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken,
- und jeder ein neuer, ein toter Schwur;
- was wird so zitternd euer Blinken? --
- Du trübe Sonne, laß dein Winken.
- O weite Flur!
- Die Nebel gleißen wie blutende Wunden;
- ich habe die Freiheit, die Freiheit gewollt!
- O Sonnenblut. O gleißend Gold.
- Was glühst du, Rubin, von versunkenen Stunden?
-
- * * * * *
-
- Es war ein Mittag, frühlingswild.
- Von der Bergeskrone, rot zuckend, kroch
- die Wolkenschlange ins Gefild.
- Der Donner jagte von Joch zu Joch.
- Stürmisch weinte das Dunkel, ein stürzendes Meer.
- Triefend sausten die Bäume; und grell und spitz,
- Licht schleudernd, über uns, um uns her
- -- mein bebendes Mädchen, weißt du noch? --
- flocht flatternde Netze Blitz auf Blitz.
-
- Und die Bäume bogen und schlugen sich,
- blendend nieder krachte der steile Strahl
- und warf im Taumel irr dich und mich
- zu Boden, glutschwer, ein flackernder Wall;
- und da lag im Taumel irr Brust an Brust,
- jung hing und glutschwer Mund an Mund
- und Auge in Auge im Moose, und
- rauschend schluchzte der Regen in unsre Lust,
- stumm lohte der feuergetaufte Bund.
-
- Und dann +auf+! Oh, standest du bleich und bang.
- Und da hab ich den Donner des Himmels bedroht,
- von der Faust mir peitschend das Wasser sprang,
- durch die sausenden Bäume mein Lachen klang:
- o lauter, mein Bruder, dein wild Gebot!
- Und riß mir vom Finger den Knabenring:
- ich bin mir selbst mein Herr und Gott!
- und nahm deine zitternde Hand, dran hing
- im Blitzlicht funkelnd der rote Rubin,
- und vom Himmel gebadet, vom Himmel umloht
- -- ich fühlte dich weinen, ich sah dich glühn --
- schwur ich: gib her! sei treu! nimm hin!
-
- * * * * *
-
- Ihr Ringe, drei Ringe, um Einen Finger,
- und jeder ein doppelt gebrochener Schwur.
- Wie der Nebel raucht! ein brennender Zwinger
- vermauert die fliehende Sonnenspur.
- Noch glänzt ein stiller Streifen Gold;
- ich habe freiwillig die Freiheit verschworen.
- Was glimmst du schlichter Reif so hold?
- Die Freiheit verschworen, die Freiheit verloren.
- So hat es die Liebe, die Liebe gewollt.
-
- * * * * *
-
- Es kam ein Abend, frühlingsmild;
- bang steht, in Schleiern, bleich, die Braut.
- Ernst rauschen die Geigen; herb duftend schwillt
- der Myrte grünes, weißblühendes Kraut.
- Und Andacht wird, und Schweigen; nur
- durchs Fenster flüsterte der Mai.
- Und nun: nun will ich stolz und frei
- uns segnen -- da: voll Bebens,
- horch, die Stimmen der Freunde -- o Lied, o Schwur,
- o ihr rauschenden Geigen, o Gebot
- -- blaß zuckten die Kerzen im Abendrot --:
- Nun seid getreu bis in den Tod,
- dann wird euch die Krone des Lebens!
-
- Da flocht ich ihr still vom Haupt den Kranz,
- still küßte ich ihr dunkles Haar;
- glutüberhaucht vom fernen Glanz
- hielt ihre Hand ein Rosenpaar,
- still zitterten die Blüten.
- Und hoch ins schweigende Gemach
- hob ich den goldnen Ring und sprach
- und sprach -- wie war das Herz mir weit,
- von Glauben weit und Seligkeit --:
- Nun will ich Dein sein alle Zeit,
- Ein Leib, Eine Seele, in Glück und Leid
- dein Gott, meine Welt, dich hüten.
-
- Und draußen wiegte ein Lindenbaum
- goldgrün sein jung Gefieder;
- sanft glühte der Rosen rot schwellender Saum,
- und durch den Schimmer, den Duft, den Traum
- rauschten die Geigen wieder.
- Da gab sie mir an meine Hand,
- an meine Rechte zurück mein Pfand,
- den Ring mit der leuchtenden Krone.
- Stumm bat ihr Blick voll seliger Not:
- nun sei mir treu bis in den Tod,
- dann wird uns die Krone zum Lohne,
- des Lebens Friedenskrone.
-
- * * * * *
-
- Ihr Ringe, drei Ringe, an meiner Linken:
- was blickst du, Perle, so trüb im Gold?
- O Sonne, du müde, nun magst du sinken;
- o schwere Pflicht, wie schienst du hold!
- Gelb taucht ins Moor der letzte Funken,
- das Land wird fahl, der Nebel rollt.
- Ich habe die Wahrheit, +Klarheit+ gewollt.
- Ich war der Liebe so satt -- so trunken --
-
- * * * * *
-
- Und eine Nacht kam, frühlingswild,
- kam schwül. Ums Licht der Lampe lag,
- vom lauten Regen dunstverhüllt,
- das Dunkel dumpf und dufterfüllt;
- hohl scholl und hart das Laubendach
- Es klang so einsam, was ich sprach
- von meinem großen Überdruß;
- es klang so bang, als ob ich log,
- als ich mich flüsternd zu ihr bog.
- Und ich hielt ihre Hand. Weißt du wohl noch,
- du blasse +Andre+?! Wolltest du’s?
-
- Wie war die Hand von Arbeit rauh!
- Wie saßest du so scheu und still
- mit deinen Augen groß und grau,
- als horchtest du dem Tropfentau,
- der durch die Epheublätter fiel.
- Und ich hielt deine Hand. Und es war so schwül.
- Was ließest du es denn geschehn?!
- Ich wollte dir nur ins Innre sehn,
- in diese Augen stolz und stumm.
- Du aber --? Und wir sanken um.
- Die Epheublätter zitterten.
- Ich nahm dein einziges Eigentum.
-
- Und dann: im dunkeln Grase hing
- und flimmerte etwas wie Gold.
- Das war dein lieber Perlenring,
- der war dir in den Sand gerollt.
- Und da hast du trotzig aufgelacht,
- von deinem Vater war auch er;
- blaß langtest du ihn zu mir her,
- aus deinen Augen sah die Nacht,
- und nahmst meine Hand -- besudelt glomm
- der Kronring dran -- und während hohl
- der Regen rauschte wie ein Strom,
- sprachst du: vergiß! nimm! gieb! leb wohl!
-
- * * * * *
-
- Ihr Ringe, drei Ringe, und doch der neue,
- aus scheuer Seele bang dämmernde Schwur?
- Dahin der Glaube, dahin die Treue;
- o dunkle Flur.
- Starr durch die kahlen Pappeln schauen
- die Sterne ins verhüllte Feld.
- Klarheit?? Im Moor die Nebel brauen.
- O ja: die Erde +ist+ voll Grauen.
- Doch -- voll von Sonnen steht die Welt!
-
- Raum! Raum! brich Bahnen, wilde Brust!
- Ich fühls und staune jede Nacht,
- daß nicht blos Eine Sonne lacht;
- das Leben ist des Lebens Lust!
- Hinein, hinein mit blinden Händen,
- du hast noch nie das Ziel gewußt;
- zehntausend Sterne, aller Enden,
- zehntausend Sonnen stehn und spenden
- uns ihre Strahlen in die Brust!
-
- Uns in die Brust ... Was willst du, Schweigen,
- du graue Erde, immer noch?
- Und ich sehe die Krone, die eine, steigen
- -- ihr Ringe, drei Ringe, wie war es doch? --
- die Krone steigen, die Krone sinken,
- wie eine Sonne sinken, winken:
- mir nach! nichts ist vergebens!
- fest steht mein flammendes Gebot:
- aus Abendrot wächst Morgenrot!
- dem +bist+ du treu bis in den Tod,
- du +trägst+ die Krone des Lebens:
- die Schöpferkrone des Lebens!
-
-
-
-
-Entrückung
-
-
- O nein, mir wird es nicht zur Qual,
- so sehr es Dich und Andre quält,
- wenn du ins Grenzenlose blickst;
- ich bin wie du ein schlanker Stahl,
- und der sich immer strahlender stählt,
- je mehr du ihn durch Kämpfe schickst.
-
- Aus deines Auges innerm Ring
- flimmert ein sternglutweißes Licht
- durch Schwarz und Grau, du arge Frau;
- dies Licht, das mich seit je umfing,
- sieh, das entrückt mir dein Gesicht
- in mein geliebtes ewiges Blau.
-
-
-
-
-Himmelfahrt
-
-
- Schwebst du nieder aus den Weiten,
- Nacht mit deinem Silberkranz?
- Hebt in deine Ewigkeiten
- mich des Dunkels milder Glanz?
-
- Als ob Augen liebend winken:
- alle Liebe sei enthüllt!
- als ob Arme sehnend sinken:
- alle Sehnsucht sei erfüllt --
-
- strahlt ein Stern mir aus den Weiten,
- alle Ängste fallen ab,
- seligste Versunkenheiten,
- strahlt und strahlt und will herab.
-
- Und es treiben mich Gewalten
- ihm entgegen, und er sinkt --
- und ein Quellen, ein Entfalten
- seines Scheines nimmt und bringt
-
- und erlöst mich in die Zeiten,
- da noch keine Menschen sahn,
- wie durch Nächte Sterne gleiten,
- wie den Seelen Rätsel nahn.
-
-
-
-
-Der Stieglitz
-
-
- Die Sonne sticht; ein Distelfeld
- blitzt durch die stille Mittagswelt.
- Im starrgezackten Blättermeer
- glühn purpurlockig kreuz und quer
- die Blütenköpfe.
-
- Und durch den eisengrauen Busch:
- ein bunter Vogel, hupp, hup husch,
- hüpft durch das wilde Staudenheer,
- als ob es ohne Stacheln wär:
- ein junger Stieglitz.
-
- Wie wirr! wie wunderlich geschweift!
- Ein leichtes Lüftchen kommt und greift
- von Blütenspeer zu Blütenspeer
- und wirft die Schatten hin und her;
- weg ist der Stieglitz.
-
- Nun will ich stille weitergehn
- und mir die sonnige Welt besehn,
- und durch das Leben kreuz und quer,
- als ob es ohne Stacheln wär;
- das liebe Leben.
-
-
-
-
-Sinnige Fahrt
-
-
- An kleinen ruhigen Dörfern vorbei,
- durch eilende Felder und Leutegeschrei.
-
- Die Axen dröhnen; ich denke still
- an Eine, die mir treu sein will.
-
- Sie denkt wohl auch: was wohl die Welt
- so im stillen zusammenhält?
-
- Und plötzlich seh ich zwei Schafe stehn,
- die dem rollenden Zug nachsehn.
-
-
-
-
-So im Wandern
-
-
- Ein silbern klein Herze,
- von Gold einen Ring,
- die gab sie mir, als ich
- wandern ging,
-
- und tat in das Herze
- ihr Bild hinein;
- so einsam der Morgen,
- bin nicht allein.
-
- Arme Padde im Gleise,
- zerquetscht liegst du!
- Ich wandre meine Straße
- und wandre immer zu.
-
- Schon teilt sich der Nebel,
- nun schimmert die Welt;
- im Sonnenschein glitzert
- das Ährenfeld.
-
- Die Hummeln summen,
- die Lerchen klingen;
- die Birken wehen,
- die Zweige schwingen.
-
- Die Pappeln, die schütteln
- die Blätter im Wind;
- sie flüstern mir Grüße,
- die voll Erinnrung sind.
-
- Das Herzelein nehm ich
- vom seidenen Band
- und leg’s in das Ringlein
- in meiner Hand,
-
- so schreit ich und schau
- als ein Zeichen mir’s an:
- so will ich in Treuen
- ohne Ende Dich umfahn! --
-
- Was rennst, Meister Lampe?
- heut jag’ich nicht.
- Ich wandre, ich schreite;
- die Sonne sticht.
-
- In Dorfes Mitten,
- wo sich der Friedhof hebt:
- wie wirds gar kühl sich ruhen,
- wenn man mich einst begräbt:
-
- zwei weiße Rosen biegen
- ums Grabkreuz die Äst,
- drauf steht mein Nam geschrieben,
- bis der Regen ihn löscht.
-
- Hinterm Kirchlein die Schenke
- heißt „Zu den drei Linden“;
- da wird sich wohl auch noch
- ein Ruheplätzchen finden.
-
- Ei Tausend, mein Schätzchen,
- so schmuck, und allein?
- Ei komm doch, rück näher;
- trink mit, schenk ein!
-
- Es sitzen zwei Spatzen
- im Lindenbaum;
- sie schnäbeln, sie schwatzen,
- es ist wie Traum.
-
- Auf’m Kirchhof stehn Kreuze,
- mehr als hundert, schwarz und weiß;
- aber Du hast zwei Lippen,
- die sind rot und heiß!
-
- Na Mädel, was weinst denn?
- Ja, die Welt ist hohl.
- Die Welt ist ein Weinfaß:
- trink aus -- leb wohl! --
-
- Was wackelt der Pfahl da?
- der ist wohl betrunken!
- Ich wandre, ich schreite,
- in Sinnen versunken.
-
- Sie saß ja so alleine;
- und die Liebste wohnt weit!
- Ich will ihr Alles schreiben,
- bis sie mir verzeiht.
-
- Und am End meiner Reise
- steht mein elterlich Haus,
- da schaut mein lieb Mutterherz
- am Fenster nach mir aus;
-
- und drinnen sitzt mein Vater,
- wie’n König auf sei’m Thron,
- und wills nicht verraten,
- daß er wart’t auf sein’n Sohn.
-
- Nun will ich nicht sinnen,
- ob man glücklich kann werden;
- der Himmel ist hoch,
- und wir leben auf Erden!
- Sela! --
-
-
-
-
-Schutzengel
-
-
- Nicht vom Kirchhof will ich Epheu pflücken,
- glänzt das ganze Dörfchen doch von Epheu;
- davon will ich pflücken
- für mein Kämmerchen!
- spricht der junge, junge Jägersmann.
-
- Guten Tag, du schönes, schönes Mädchen,
- gieb mir doch dein liebes, liebes Händchen!
- Weißt, ich suche Epheu
- für mein Kämmerchen;
- darf ich wohl von deinem Epheu pflücken?
-
- Komm herein, du schöner, schöner Jäger;
- will dir vielen, vielen Epheu geben.
- Hinten um mein Fenster,
- um mein Kämmerchen,
- schlingt sich dicht der dunkle, dunkle Epheu.
-
- Kommt das kleine Brüderchen gelaufen:
- Schwesterchen, was will der große Jäger?!
- Und ich küßt es auf die scheue Stirne
- und ging still nach Hause
- in mein Kämmerchen --
- ich, der junge, junge Jägersmann.
-
-
-
-
-Begegnung
-
-
- Ich sah dich schon.
- Im Sonnenschein
- beim Roggenfeld am Wiesenrain
- stand wilder Mohn;
- die Kelche blühten blutrot breit,
- den Schooß voll blauer Dunkelheit,
- und jäh aus einer Knospe quoll
- ihr glühendes Seelchen, unruhvoll.
-
- So sah ich Dich, du knospiges Kind, erglühn,
- gestern im Feld am stillen Fichtenhain,
- als im Vorübergehn mein Blick dich küßte;
- mit allen Adern schienst du aufzublühn,
- so scheu und rein,
- als ob ich um Verzeihung bitten müßte.
-
- +War’s+ ein Erglühn? War’s nur ein Widerschein?
- das Rot des roten Sommerkleids um dich?
- das Abendrot, das fern verglomm im Tann?
- War’s ein Erglühn, das erste war es dann,
- das deine jungen Schläfen so beschlich;
- so bang, so schwer sahst du mich an,
- so fast voll Angst zurück nach mir,
- als du verschwandest sacht im dichten
- Gewühl der silbergrünen Fichten.
-
- Doch meine Seele folgte dir,
- dein blautief Auge blieb in mir.
-
- Ich sah dich schon,
- du flüchtendes Kind:
- heiß durch den Roggen strich der Wind
- und bebend neigte sich der Mohn.
- Ich hab eine rote Blüte verwehn,
- zwischen den Halmen zerflattern sehn,
- und habe den Blättern nachgeträumt;
- und immer ist mir noch, ich schaue
- in ihren Kelch, der glutumsäumt
- sich jäh vertieft ins Dunkle, Blaue ...
-
-
-
-
-Unterm jungen Birnbaum
-
-
- Unterm jungen Birnbaum standest du.
- An die ersten kleinen grünen Früchte
- rührtest du entzückt mit zartem Finger;
- letzte Blüten wehten um dich nieder.
-
- Unterm jungen Birnbaum stand auch ich.
- Meine harten Hände rührten nicht
- an die kleinen grünen ersten Früchte;
- letzte Blüten wehten um mich nieder.
-
-
-
-
-Emporsturz
-
-
- Einmal, Erde, wollt ich dich küssen:
- ein Weib in Armen, jach Schooß an Schooß,
- zu Boden stürzend in rasendem Tanz.
- Da winkte ein Mädchen mir zum Reigen,
- einen weißen Mantel um die Hüften,
- in den tiefblauen Augen einsamen Glanz.
-
- Glanz aus fern aufsteigenden Räumen,
- Glanz aus längst versunkener Zeit,
- Glanz des Mondes im stillen Meere,
- Glanz der Sterne über der Wüste:
- Lauterkeit.
-
- Und da lag ich im Staub und hüllte
- meine grauen Haare in ihr Gewand,
- wie einst Josef hin vor Miriam kniete,
- als er den heiligen Geist empfand.
-
-
-
-
-Verkündigung
-
-
- Du tatest mir die Tür auf,
- ernstes Kind.
- Ich sah mich um in deinem kleinen Himmel,
- lächelnde Jungfrau.
- Du sollst einst einen großen Himmel hüten,
- Mutter mit dem Kind.
- Ich tu die Tür mit ernstem Lächeln zu.
-
-
-
-
-Einst
-
-
- Ich ruhe; helle Wolken fliehn;
- mein Herz rauscht wie das weite Feld.
- Flügel leuchten --
- und über die Wolken steigt ein Lied:
- Einst brauchst du keinen Menschen mehr,
- du Herz der Welt! --
-
-
-
-
-Stimme des Abends
-
-
- Die Flur will ruhn.
- In Halmen, Zweigen
- ein leises Neigen.
- Dir ist, als hörst du
- die Nebel steigen.
- Du horchst -- und nun:
- dir wird, als störst du
- mit deinen Schuhn
- ihr Schweigen.
-
-
-
-
-Feierabend
-
-
- Geh nur, lieber Tag,
- freue dich der Nacht.
- Nichts bleibt unvollbracht;
- deines Lichtes Macht
- keimt im dunkeln Grund.
- Einst wird alles kund,
- hell von Mund zu Mund,
- was uns heut im Traum erst dämmern mag.
-
-
-
-
-Manche Nacht
-
-
- Wenn die Felder sich verdunkeln,
- fühl ich, wird mein Auge heller;
- schon versucht ein Stern zu funkeln,
- und die Grillen wispern schneller.
-
- Jeder Laut wird bilderreicher,
- das Gewohnte sonderbarer,
- hinterm Wald der Himmel bleicher,
- jeder Wipfel hebt sich klarer.
-
- Und du merkst es nicht im Schreiten,
- wie das Licht verhundertfältigt
- sich entringt den Dunkelheiten.
- Plötzlich stehst du überwältigt.
-
-
-
-
-Aus banger Brust
-
-
- Die Rosen leuchten immer noch,
- die dunkeln Blätter zittern sacht;
- ich bin im Grase aufgewacht,
- o kämst du doch,
- es ist so tiefe Mitternacht.
-
- Den Mond verdeckt das Gartentor,
- sein Licht fließt über in den See,
- die Weiden schwellen still empor,
- mein Nacken wühlt im feuchten Klee;
- so liebt ich dich noch nie zuvor!
-
- So hab ich es noch nie gewußt,
- so oft ich deinen Hals umschloß
- und blind dein Innerstes genoß,
- warum du so aus banger Brust
- aufstöhntest, wenn ich überfloß.
-
- O jetzt, o hättest du gesehn,
- wie dort das Glühwurmpärchen kroch!
- Ich will nie wieder von dir gehn!
- O kämst du doch!
- Die Rosen leuchten immer noch.
-
-
-
-
-Helle Nacht
-
-
- Weich küßt die Zweige
- der weiße Mond.
- Ein Flüstern wohnt
- im Laub, als neige,
- als schweige sich der Hain zur Ruh:
- Geliebte du --
-
- Der Weiher ruht, und
- die Weide schimmert.
- Ihr Schatten flimmert
- in seiner Flut, und
- der Wind weint in den Bäumen:
- wir träumen -- träumen --
-
- Die Weiten leuchten
- Beruhigung.
- Die Niederung
- hebt bleich den feuchten
- Schleier hin zum Himmelssaum:
- o hin -- o Traum -- --
-
-
-
-
-Aufstieg
-
-
- Als Engel durch die Finsternis,
- so wollten wir zu höhern Sonnen;
- doch hab ich dich erst ganz gewonnen,
- als Gott uns aus dem Traume riß.
-
- Blau fuhr sein Blitzstrahl durch die Weiten
- und zwang uns zur Hinunterschau;
- da lag die Erde grell und grau
- mit allen ihren Wirklichkeiten.
-
- Wie lachte Satan auf zu mir,
- als du mich zu verlieren meintest.
- Wie schrie er selig, als du weintest:
- Sie träumt nicht mehr, sie lebt mit dir!
-
-
-
-
-Drückende Luft
-
-
- Der Himmel dunkelte noch immer;
- ich fühlte tief bis in mein Zimmer
- der fahlen Wolken vollen Schooß.
- Die Esche drüben drehte schwer
- die hohe Krone um sich her;
- zwei Blätter trieben wirbelnd los.
-
- Laut tickte durch die schwüle Stube,
- wie durch die stille Totengrube
- der Holzwurm ticken mag, die Uhr.
- Und durch die Türe hinter mir
- klang dünn und schüchtern ein Klavier
- über den Flur.
-
- Der Himmel lastete wie Schiefer;
- ihr Spiel klang immer trauertiefer,
- ich sah sie wohl.
- Dumpf rang der Wind im Eschenlaub,
- die Luft war grau von Glut und Staub
- und seufzte hohl.
-
- Und blasser tönten durch die Wände
- die tastenden verweinten Hände,
- sie saß und sang;
- sang sich das Lied, in sich gebückt,
- mit dem sie mich als Braut entzückt;
- ich fühlte, wie ihr Atem rang.
-
- Die Wolken wurden immer dumpfer,
- die wunden Töne immer stumpfer,
- wie Messer stumpf, wie Messer spitz;
- und aus dem alten Liebeslied
- klagten zwei Kinderstimmen mit --
- da fiel der erste Blitz.
-
-
-
-
-Aufblick
-
-
- Über unsre Liebe hängt
- eine tiefe Trauerweide.
- Nacht und Schatten um uns beide.
- Unsre Stirnen sind gesenkt.
-
- Wortlos sitzen wir im Dunkeln.
- Einstmals rauschte hier ein Strom,
- einstmals sahn wir Sterne funkeln.
- Ist denn Alles tot und trübe?
- Horch --: ein ferner Mund --: vom Dom --:
-
- Glockenchöre ... Nacht ... Und Liebe ...
-
-
-
-
-Stiller Gang
-
-
- Der Abend graut; Herbstfeuer brennen.
- Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei.
- Kaum ist mein Weg noch zu erkennen.
- Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen.
- Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei.
- Vorbei.
-
-
-
-
-Ein Grab
-
-
- Das sind die Abende, die bleich verfrühten.
- Die Georginen, die im Sonnenscheine
- wie rot und gelbe letzte Rosen glühten,
- stehn fahl, Rosetten aus verfärbtem Steine.
- Der Nebel klebt an unsern Hüten.
-
- Komm, Schwester. Dort der Zaun von Erz
- umgittert Eine, die zu früh verblich.
- Komm heim; mich friert. Sie liebte mich.
- Sie hatte nichts vom Leben als ihr Herz;
- still tat sie wohl, still litt sie Schmerz.
-
-
-
-
-Klage
-
-
- In diesen welken Tagen,
- wo Alles bald zu Ende ist,
- sturmzerfetzte Sonnenblumen
- über dunkle Zäune ragen,
-
- Wolken jagen
- und den Boden flammenfarbne
- Blätterstürze schlagen:
-
- da müssen wir nun tragen,
- was wir uns mußten sagen
-
- in diesen welken Tagen.
-
-
-
-
-Einst im Herbst
-
-
- Durch den Wald, den ernsten alten Wald,
- sprangen drei Mädchenrangen;
- hatten Flammen von Abendglanz im Haar,
- schwangen Zweige mit rotem Herbstlaub,
- ließen sie prangen, ja prangen.
-
- Kam ein Herr, ein ernster alter Herr,
- durch den Glanz gegangen;
- bot ihm eine lachend ein Zweiglein dar,
- schönes rotes Herbstlaubzweiglein,
- lachend mit blutjungen Wangen.
-
- Stand er lächelnd, lächelnd im ernsten Wald,
- während sie weitersprangen;
- schwang sein rostrot Zweiglein im Abendglanz,
- sah die ihren drei flammengolden
- fern noch prangen, ja prangen.
-
-
-
-
-Der gesunde Mann
-
-
- Meine Frau ist krank, sie
- wird wohl bald sterben;
- dann kann ich lachen,
- dann werd’ich was erben.
- O, wie lieb mir das Leben im Leibe schlägt,
- wenn ihr Husten mir das Herz zersägt;
- hilf Gott.
-
- Da sitzt sie am Ofen
- und lächelt ins Feuer;
- die Flammen röcheln
- so ungeheuer.
- Es kocht die Glut, ein Scheit zerspringt,
- und eine ferne Glocke klingt:
- hilf Gott.
-
-
-
-
-Befreit
-
-
- Du wirst nicht weinen. Leise, leise
- wirst du lächeln; und wie zur Reise
- geb ich dir Blick und Kuß zurück.
- Unsre lieben vier Wände! Du hast sie bereitet,
- ich habe sie dir zur Welt geweitet --
- o Glück!
-
- Dann wirst du heiß meine Hände fassen
- und wirst mir deine Seele lassen,
- läßt unsern Kindern mich zurück.
- Du schenktest mir dein ganzes Leben,
- ich will es ihnen wiedergeben --
- o Glück!
-
- Es wird sehr bald sein, wir wissen’s Beide.
- Wir haben einander befreit vom Leide;
- so geb’ich dich der Welt zurück.
- Dann wirst du mir nur noch im Traum erscheinen
- und mich segnen und mit mir weinen --
- o Glück!
-
-
-
-
-Trost
-
-
- Du sahst eine Sternschnuppe fallen;
- was hebst du scheu die Hand?
- Sieh, kein Stern verschwand:
- alle leuchten noch allen.
-
-
-
-
-Wunder
-
-
- Niemals war es mir ein Wunder,
- daß die Bäume, wenn die Blätter fallen,
- all schon wieder voller Knospen stehn.
-
- Immer wird nun, wenn die Blätter fallen,
- deine Frage mich bewegen:
- Kann man traurig auf dies Wunder sehn?
-
-
-
-
-Kalte Frage
-
-
- Wo bist du nun? Die Täler sind verschneit;
- es starrt der Fluß, der gestern noch sich regte.
- Ich staune in die bleiche Dunkelheit
- wie dort das Licht, das ferne, unbewegte.
-
-
-
-
-Winterwärme
-
-
- Mit brennenden Lippen,
- unter eisblauem Himmel,
- durch den glitzernden Morgen hin,
- in meinem Garten,
- hauch ich, kalte Sonne, dir ein Lied.
-
- Alle Bäume scheinen zu blühen;
- von den reifrauhen Zweigen
- streift dein Frühwind
- schimmernde Flöckchen nieder,
- gleichsam Frühlingsblendwerk;
- habe Dank!
-
- An meiner Dachkante hängt
- Eiszapfen neben Zapfen,
- starr;
- die fangen zu schmelzen an.
- Tropfen auf Tropfen blitzt,
- jeder dem andern unvergleichlich,
- mir ins Herz.
-
-
-
-
-Kein Bleiben
-
-
- Immer dichter
- flüchtet der Schnee.
- Ich steh und seh
- die Flocken treiben,
- um Straßenlichter,
- stumme Gesichter,
- immer dichter.
- Nur nicht bleiben:
- weiter, weiter,
- einsamer Schreiter!
-
-
-
-
-Heimweh in die Welt
-
-
- O wie lange litt ich’s nun, wie stumm!
- soll ich denn mein Herz, mein Herz noch töten?
- War doch dein, nur dein, in Glut und Nöten;
- weißt warum?
- Weil mein Herz so wild,
- weil es Meere braucht,
- wenn der Sturm ins Blut mir taucht,
- weil es deine Tiefen so gefühlt!
-
- Doch wenn nun der Frühling wieder sprießt
- -- o, ich fühls, ich fühls, so stumm ich blieb --
- und im warmen Sturm der junge Trieb
- schwillt und schießt:
- wird mein Herz so wild,
- weil es Meere braucht,
- wenn der Sturm ins Blut mir taucht,
- weil es so in alle Weiten fühlt!
-
- Hast es doch gewußt. Damals im Mai:
- als uns auf der Bergwand der Blitz umlohte,
- als ich jauchzte und dem Donner drohte,
- adlerfrei:
- gabst mir deine Hand,
- mein in Glut und Schmerz,
- sankest mir ans wilde Herz,
- unten glänzte fern das deutsche Land.
-
- Und wenn nun der Frühling blühen will
- und die herrlichen Blitze wieder glühn
- und im Sturm die Meere wieder sprühn:
- dann -- oh still --
- gieb mir deine Hand,
- Einmal noch ein Schmerz,
- Einmal noch ein deutsches Herz,
- dann leb wohl, mein Weib, mein Vaterland!
-
-
-
-
-Über frei Feld
-
-
- Über frei Feld, mein Hund und ich;
- die Frühlingsluft ist dunkel.
- Fern staut sich ein Gewitterstrich;
- mein Teckel knurrt, er fürchtet sich.
- Komm, Teckel.
-
- Er will nicht sehn die Himmelswand,
- die Sonne sticht durch Wolken;
- blendende Streifen ziehn durchs Land,
- ein Scherben blitzt wie Diamant.
- Komm, Teckel.
-
- Am Saum der Saat, von Stiel zu Stiel,
- schleicht ungewiß sein Schatten;
- ein Regen sprüht wie Mückenspiel,
- die Tropfen flimmern ohne Ziel.
- Komm, Teckel.
-
- Da: jäh am Horizont hin zuckt
- der erste Blitz im Jahre.
- Ein kurz entschlossner Donner ruckt;
- mein Teckel hat sich scheu geduckt.
- Hundsseele!
-
-
-
-
-Zweiter Teil
-
-
-
-
-Der Frühlingskasper
-
-
- Weil nun wieder Frühling ist,
- Leute,
- streu ich butterblumengelber Kasper
- lachend
- lauter lilablaue Asternblüten
- hei ins helle Feld!
-
- Lilablaue Astern, liebe Leute,
- Astern
- blühn im deutschen Vaterland bekanntlich
- blos im Herbst.
-
- Aber Ich, ich butterblumengelber Kasper,
- streue,
- weil nun wieder heller Frühling ist,
- tanzend
- tausend dunkelblaue Asternblüten
- hei in alle Welt!
-
-
-
-
-Entladung
-
-
- Ich kam mit meinem Alpenstocke
- und offner Brust vom Berg geschlendert;
- begegnet mir im Ordensrocke
- ein Zug von Nonnen, grau bebändert,
- zehn schwarze Paare.
-
- Den Blick zu Boden, steif und stumm,
- so kamen sie dahergestiegen;
- ich seh die Täler ringsherum
- in leichenhaftem Glanze liegen,
- Gewitter drohte.
-
- Fern unten, wo noch Sonne gährte,
- zog durch den wolkendunkeln See
- ein Dampfschiff seine blanke Fährte,
- und Tücher winken hell Ade;
- ich schau nach Oben.
-
- Wie sieht die Bergwand düster aus!
- Ein greller Kirchturm steht davor
- und fordert frech den Blitz heraus;
- die Tannen sträuben sich empor
- wie Warnungszeichen.
-
- Und herrisch kommt der Wind gesaust,
- die Straße her, mit Staub und Frische,
- und nimmt die Birken in die Faust
- und schüttelt sie wie Flederwische;
- es donnert schon.
-
- Die strengen Ordensröcke stieben;
- nur rasch vorbei, ihr armen Schwestern!
- ihr dürft nur tote Heilige lieben.
- Rasch! Eure stumpfen Blicke lästern
- Natur und Leben.
-
- Ah: wie die Gletscherkanten glühn!
- Vom Dampfer hör ich Juchzer klingen;
- der Regen klatscht ins wilde Grün,
- und mit dem Wirbelwinde ringen
- vierzig Nonnenwaden.
-
- Da hob ich meine Alpenstange
- und schlug ein Kreuz auf ihren Trott,
- und lachte laut und lachte lange,
- und herzlich herzlos, wie ein Gott --
- sie +hörten’s+.
-
-
-
-
-Anbetung
-
-
- Letzter Schritt, und hoch mit mir
- strebt der Turm ins Licht;
- und vom Steigen auf zu Dir
- bebt mein heiß Gesicht.
-
- Hier, wo keine Menschen sind,
- sieh mich niederknien!
- Ums Gesimse saust dein Wind,
- und ich fühle ihn,
-
- wie er an das Steingerüst
- seine Hände legt
- und es schüttelt und es küßt
- und mein Haar durchfegt.
-
- Durch die Glocken unter mir
- rauscht sein Atemstrom.
- Sonne, Sonne, Schöpferin, Dir
- bebt der ganze Dom,
-
- den o Dein Dom überblaut,
- und den schaffensbang
- einst ein Mensch wie Ich gebaut,
- Mensch im Überschwang!
-
-
-
-
-Ausblick
-
-
- Jetzt einen Schritt, dann stürzt vom Rande
- mein Leben in die Schlucht hinab.
- Wie hängt die Sonne tief im Lande!
- Ich recke mich auf meinem Stande,
- und alle Sehnsucht fällt mir ab.
-
- Denn dort aus Wald-und-Wolkenkränzen
- ragt mir erreichbar Firn an Firn.
- Die Wirklichkeit ist ohne Grenzen!
- Wie nah die fernen Dörfer glänzen,
- der Strom dazwischen wie ein Zwirn!
-
- Ich lehne mich zurück mit Grauen:
- was ist hier groß, was ist hier klein.
- Da blüht ein Enzian: nun schauen
- zwei Menschenaugen in den blauen,
- einsamen, winzigen Kelch hinein.
-
- In gelben Pollen reift der Samen,
- Unendlichkeiten ahnen mir;
- und selig ruf ich einen Namen --
- du Mutter meiner Kinder, Amen,
- mein Leben blüht, ich danke dir!
-
-
-
-
-Ideale Landschaft
-
-
- Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn,
- und eine hohe Abendklarheit war,
- und sahst nur immer weg von mir,
- ins Licht, ins Licht --
- und fern verscholl das Echo meines Aufschreis.
-
-
-
-
-Auf See
-
-
- Doch hatte niemals tiefere Macht dein Blick,
- als da du, Abschied fühlend, still am Ufer
- standest, schwandest. Nur der Blick noch
- blieb und bebte über den Wassern.
-
- Dunkel folgte der Schein den leuchtenden Furchen.
- Und ich sah den Schaum der tiefen Flut,
- sah dein weißes Kleid zerfließen:
- du Seele -- Seele -- --
-
-
-
-
-Gesang vor Nacht
-
-
- Im großen Glanz der Abendsonne
- schauert die See; sacht steigt die Flut.
- Im großen Glanz der Abendsonne
- ergreift auch mich die weite Glut.
- Im großen Glanz der Abendsonne
- braust immer feuriger mein Blut:
- Noch steigt die Flut --
- im großen Glanz der Abendsonne.
-
-
-
-
-Klarer Tag
-
-
- Der Himmel leuchtet aus dem Meer;
- ich geh und leuchte still wie er.
-
- Und viele Menschen gehn wie ich,
- sie leuchten alle still für sich.
-
- Zuweilen scheint nur Licht zu gehn
- und durch die Stille hinzuwehn.
-
- Ein Lüftchen haucht den Strand entlang:
- o wundervoller Müßiggang.
-
-
-
-
-Dunkle Gewalt
-
-
- Wieder! Da kommt sie durchs Gewimmel.
- An ihrem Busen, in der Rechten,
- wie Nachtgewölke ruhn am Himmel,
- die aufgerafften dunklen Flechten --
-
- bestricken meinen Blick wie Schlangen,
- mir träumt von Paradiesesnächten --
- Was ziehst du plötzlich so voll Bangen
- den Mantel, Weib, vor deine Flechten?
-
-
-
-
-Ballade von der wilden Welt
-
-
- Schöne stille Seele
- hatte einen Garten,
- rings um den Dornheckenwerk
- und Urwalddickicht starrten,
- einen Blumengarten.
-
- Schöne stille Seele
- saß in ihrem Zelt,
- bebte vor den Häßlichkeiten
- oh der wilden Welt,
- in ihrem seidnen Zelt.
-
- Schöne stille Seele
- sah gern Kolibris
- durch die Blütenbüsche huschen
- überm warmen Kies,
- die goldnen Kolibris.
-
- Und die bunten Schmetterlinge,
- und die blanken Schlangen;
- schöne stille Seele
- sah sie gern im Dickicht prangen,
- die sonneblanken Schlangen.
-
- Sah auch gern die blauen Blitze
- über den Wäldern jagen
- und die fernen schneebedeckten
- Kraterberge ragen;
- +schöne+ stille Seele!
-
- Schöne stille Seele
- erschrak auf einmal sehr:
- durch das Dornwerk drang ein hoher
- wilder Fremdling her.
- Seele bebte sehr.
-
- Fremder Weltumsegler,
- ich saß so schön allein;
- du wirst mich Schlange schelten,
- dann werden wir häßlich sein.
- Und stehst so schön allein.
-
- Schöne stille Seele
- konnt alldas nicht sagen,
- sah den Fremdling vor sich höher
- als die Berge ragen;
- konnt kaum Willkomm sagen.
-
- Konnt ihn nur empfangen endlich,
- Ihn -- o wilde Welt --
- Blitze, Blüten, Kolibris
- jagten um ihr Zelt --
- +schöne+ wilde Welt! --
-
-
-
-
-Herr und Herrin
-
-
-Ein Mann:
-
- Da du so schön bist, darf ich dich beschwören,
- errege nicht mein leicht erregtes Blut.
- Da du so schön bist, kann ich dir nicht wehren,
- daß deine Hand zu sehr in meiner ruht.
- Da du so schön bist, muß ich dich begehren,
- denn alle Schönheit ist mir freies Gut.
- Da du so schön bist, will ich dich zerstören,
- damit es nicht ein Andrer tut ...
-
-
-Das Weib:
-
- Da du so stark bist, darfst du mich begehren,
- doch meine Schönheit bleibt mein freies Gut.
- Da du so stark bist, kannst du mich zerstören,
- wenn dir die Tat nicht selbst zu wehe tut.
- Da du so stark bist, mußt du mir beschwören,
- daß du beschützen wirst mein schutzlos Blut.
- Da du so stark bist, will ich dir nicht wehren,
- daß deine Hand in meiner ruht ...
-
-
-
-
-Ballade vom Kuckuck
-
-
- Du hast zwei schöne Kinder, Frau,
- sie spielen um unsre Füße im Gras;
- was schweift dein Blick in die Wolken?
-
- „Ich warte auf meinen Kuckuck, Mann;
- er ruft mir immer von fern was zu,
- immer zu, wenn die Kinder spielen.“
-
- Was hat er dir zuzurufen, Frau?
- Was schweift dein Blick so fremd und bang,
- daß mir graut für unsre Kinder?
-
- „Unsre Kinder bleiben nicht unser, Mann;
- sie spielen mit Blume und Schmetterling,
- einst horchen sie auch auf den Kuckuck.“
-
- So will ich den Kuckuck totschießen, Frau!
- Ich schoß schon manchen Habicht tot,
- der unser Hühnervolk schreckte.
-
- „Kam immer wieder ein Habicht, Mann;
- kommt immer wieder ein Kuckuck von fern.
- Horch -- nun schreckt dich selber sein Lockruf.“
-
-
-
-
-Vorspiel
-
-
- Sie ist nur durch mein Zimmer gegangen
- und hat mir scheu von Träumen erzählt;
- und ich habe sie mit Trost gequält
- und saß und starb fast vor Verlangen.
-
- Sie hat geträumt von meinen Händen:
- sie aß von ihres Mannes Brot,
- da kam ich an und drückte sie tot,
- sie hielt ganz still ... Wie wird das enden ...
-
-
-
-
-Wellentanzlied
-
-
- Ich warf eine Rose ins Meer,
- eine blühende Rose ins grüne Meer.
- Und weil die Sonne schien, Sonne schien,
- sprang das Licht hinterher,
- mit hundert zitternden Zehen hinterher.
- Als die erste Welle kam,
- wollte die Rose, meine Rose, ertrinken.
- Als die zweite sie sanft auf ihre Schultern nahm,
- mußte das Licht, das Licht ihr zu Füßen sinken.
- Da faßte die dritte sie am Saum,
- und das Licht sprang hoch, zitternd hoch, wie zur Wehr;
- aber hundert tanzende Blütenblätter
- wiegten sich rot, rot, rot um mich her,
- und es tanzte mein Boot,
- und mein Schatten auf dem Schaum,
- und das grüne Meer, das Meer -- --
-
-
-
-
-Bewegte See
-
-
- Noch Einmal so! Im Nebel durch den Sturm:
- das Segel knatterte, die Schiffer schrieen,
- am Bugspriet stand das Wasser wie ein Turm,
- ich fühlte deine Angst in meinen Knieen
- und sah dein stolz und fremd Gesicht.
-
- Noch Einmal wollte mir dein Auge drohn,
- wie eine Flamme stand dein Haar im Winde,
- doch in den Wellen rang ein Ton
- wie das Gewein von einem Kinde --
- da wehrtest du mir nicht:
-
- Um meine Lippen lag dein naß wild Haar,
- um deine Schulter lag mein Arm gezogen,
- und unsern Kuß versüßte wunderbar
- der Schaum der salzigen Sturzwogen --
- da schrie ich laut vor Freude auf.
-
- Noch Einmal so! Was tust du jetzt so kalt,
- hast du denn Furcht vorm offnen Meere?
- Es peitscht dich warm! Komm bald, komm bald!
- im Hafennebel tanzt die Fähre --
- hinaus! hinauf!
-
-
-
-
-Der Sturm
-
-
- Der Sturm ging noch die ganze Nacht,
- ganz daß die Nacht dem Abend glich.
- Ich bin fortwährend aufgewacht:
- wie war der Abend schauerlich!
- Uns schnitt der Ton bis unters Herz;
- dann haben wir noch mehr gelacht --
- Du, dein Mann, und ich.
-
-
-
-
-Verklärung
-
-
- Schwer sind dir die grauen Tage?
- Seele, komm: ich nehm dich ganz,
- wie du willst, du liebe Plage!
- Horch, der Regen rauscht wie Tanz,
- und die Windsbraut singt und geigt:
- Nichts ist schwer, sind +wir+ nur leicht!
-
- Schwingen wir nur erst im Reigen,
- hingerissen Spur in Spur,
- braucht kein Engel mehr zu geigen,
- Erde wird zur Himmelsflur.
- Tanze, leichte Seele, tanz:
- jeder Tag hat seinen Glanz!
-
-
-
-
-Das Schloß
-
-
- Ich bin arm, du bist reich,
- darum bau ich dir ein Schloß
- aus meinen purpurnsten Träumen.
- Das steht am grauen Nordseedeich,
- wo die funkelndsten Wellen schäumen.
-
- Denn unsre Liebe ist so groß,
- daß die ganze Welt mir ein Spiel ist;
- und alle Meere um unser Schloß
- staunen, was mein Ziel ist.
-
- Mein Ziel ist eine tiefe Nacht:
- wir schwimmen auf unserm Schlosse,
- und die Wellen springen an unsre Yacht
- wie trunken schreiende Rosse.
-
- Und ich lass ein wildrotes Nordlicht scheinen,
- du liegst vor mir in Flammen,
- und unser glühendes Schloß stürzt ein,
- und wir stürzen mit ihm zusammen
- und ertrinken -- --
-
-
-
-
-Der Schwimmer
-
-
- Gerettet! Und er streichelt den Strand,
- um den er rang mit dem wilden Meer;
- noch peitscht der weiße Gischt seine Hand.
- Und er blickt zurück aufs wilde Meer.
-
- Und blickt um sich ins graue Land;
- das liegt im Sturm, wie’s vorher lag,
- fest und schwer.
-
- Da wirds nun sein wie jeden Tag.
- Und er blickt zurück aufs wilde Meer ...
-
-
-
-
-Beschwichtigung
-
-
- Die Nacht wird kühl; mein Schatten kriecht
- im Sand am Rand des Ozeans.
- Der Mond vergießt sein fremdes Licht
- und nimmt den Sternen ihren Glanz.
- Die See rauscht.
-
- Was quäl ich mich! Hier trieb vielleicht
- schon manches Paar sein loses Spiel,
- und sind erglüht und sind erbleicht,
- und sprachen dann vom Tode viel.
- Die See rauscht.
-
- Wenn alles Land gefroren ist,
- wenn übers eingeschneite Feld
- die Sonne ihren Glanz ergießt,
- dann wird dir fremd sein, was dich quält.
- Die See rauscht.
-
-
-
-
-Lied an den Mond
-
-
- Willkommen, weißer Mond im Blauen,
- allein!
- Laß mich in Deine Heimat schauen,
- sei mein!
- Ich sitz im Dunkeln voll Geduld,
- du scheinst!
- O leuchte jedem heim voll Huld,
- dereinst!
-
-
-
-
-Gruß
-
-
- Schlaflos lieg’ich, wie im Fieber
- starr’ich in ein Schattenmeer:
- endlich glänzt vielleicht ihr lieber
- Augenstern darüber her.
-
- Endlich -- und zwei Seelen brächten
- solchen Gruß sich durch die Welt,
- wie aus hohen Sommernächten
- Stern zu Stern vom Himmel fällt.
-
-
-
-
-Aufglanz
-
-
- Der Mond ist neu geworden,
- nun kommen die dunkeln Nächte;
- da klopft das Herz mit stärkerem Schlag
- und wünscht ein andres Herz herbei,
- an dem es erglühen möchte.
- Glühn bis ins ruhelose
- dunkelste Blut hinein:
- o Nacht, gib Licht,
- o Tag, erschein,
- die Welt ist neu geworden!
-
-
-
-
-Morgenstunde
-
-
- Ob du wohl auch so schlaflos liegst
- und dich in wachen Träumen wiegst
- vor Glück, wie sehr die Sehnsucht brennt?
- Ich schau ins dunkle Firmament:
- der Morgenstern, in großem Bogen,
- ist langsam längst heraufgezogen
- und läßt mich lächelnd fühlen, was uns trennt.
-
- Vor meinen schwachen Augen
- -- nun weiß ich doch, zu was sie taugen --
- strahlt er, je höher her, je flimmernder
- Weihnächtig glänzt die graue Stille.
- O zögre, Alltag! Ohne Brille
- sieht man die Welt unendlich schimmernder.
-
- Schon aber glitzert sein Gezitter blasser;
- nun steh ich auf und geb der Lilie Wasser,
- die du mir gestern heimlich brachtest.
- Und wenn du mich dafür auslachtest:
- sanft nehm ich sie von ihrer Stätte
- und leg sie auf mein warmes Bette
- und fühle lächelnd, wie du nach mir schmachtest.
-
-
-
-
-Ruf
-
-
- Immer stiller stehn die Bäume,
- nicht ein Blatt mehr scheint zu leben,
- und ich fühle Wüstenträume
- durch den bangen Mittag beben,
-
- bis ins bange Blut mir zittern,
- bis ins Herz, wie Feuerpfeile.
- O, ich lechze nach Gewittern!
- Komm, Geliebte! eile! eile!
-
-
-
-
-Berückung
-
-
- Und du kamest in mein Haus,
- kamst mit deinen schwarzen Blicken;
- sah ich ferne Palmen nicken,
- und du gabst mir deinen Strauß.
-
- Gabst die zitternden Narzissen,
- die wir in der Wildnis pflückten;
- deine schwarzen Locken schmückten
- meines Diwans rote Kissen.
-
- Kehre wieder in mein Haus,
- laß die wilden Blumen blühen!
- Unsre jungen Lippen glühen;
- gieb mir, gieb mir deinen Strauß!
-
-
-
-
-Wirrsal
-
-
- Weine nicht, mein treues Weib!
- Jene Andre, die mich auch liebt,
- die beglückt wohl meinen Leib,
- aber Du hast meine ganze Seele.
-
- Und du bist ihr nicht verhaßt.
- Mußt du sie nicht mit mir lieben,
- die so innig zu mir paßt
- wie mein ganzer Leib zu meiner Seele?
-
- Sie beglückt doch diesen Leib,
- den sie liebt und der sie auch liebt,
- wie er Dich beglückt, mein Weib!
- Und dann hat sie meine ganze Seele ...
-
-
-
-
-Nach einem Regen
-
-
- Sieh, der Himmel wird blau;
- die Schwalben jagen sich
- wie Fische über den nassen Birken.
- Und du willst weinen?
-
- In deiner Seele werden bald
- die blanken Bäume und blauen Vogel
- ein goldnes Bild sein.
- Und du weinst?
-
- Mit meinen Augen
- seh ich in deinen
- zwei kleine Sonnen.
- Und du lächelst.
-
-
-
-
-Der gute Hirte
-
-
- Laßt uns endlich heiter wandeln
- durch die grillenvolle Welt!
- Wenn wir unbekümmert handeln,
- ist das Schwerste leicht bestellt.
- Glück macht jede Seele fromm;
- eil dich, Rahel! Lea, komm!
-
- Saht ihr je die Lämmer streiten,
- wen der Hirte lieber hab?
- Also laßt die Zwistigkeiten,
- zärtlich winkt mein Jakobsstab.
- Seht, schon zieht der Mond herauf:
- eil dich, Rahel! Lea, lauf!
-
- Mach ich euch nicht glücklich Beide,
- wenn auch meistenteils allein?
- Schmachtend schimmern Wald und Weide:
- wer wird heut die Einzige sein?
- O, wie lieblich riecht der Klee;
- eil dich, Rahel -- Lea, geh -- --
-
-
-
-
-Stimme im Dunkeln
-
-
- Es klagt im Dunkeln irgendwo.
- Ich möchte wissen, was es ist.
- Der Wind klagt wohl die Nacht an.
-
- Der Wind klagt aber nicht so nah.
- Der Wind klagt immer in der Nacht.
- In meinen Ohren klagt mein Blut,
- mein Blut wohl.
-
- Mein Blut klagt aber nicht so fremd.
- Mein Blut ist ruhig wie die Nacht.
- Ich glaub, ein Herz klagt irgendwo.
-
-
-
-
-Über den Sümpfen
-
-
- Wo wohnst du nur, du dunkler Laut,
- du Laut der Gruft?
- Was rinnt und raunt durch Schilf und Duft
- und glüht wie Augen durch die Luft,
- durch Rohr und Kraut?
-
- Es lehnt die Nacht am offnen Tor
- und weint und winkt.
- Zwei graue Hunde stehn davor
- und lauschen mit geneigtem Ohr,
- wie’s klingt,
- lockt, blinkt.
-
-
-
-
-Erwartung
-
-
- Aus dem meergrünen Teiche
- neben der roten Villa
- unter der toten Eiche
- scheint der Mond.
-
- Wo ihr dunkles Abbild
- durch das Wasser greift,
- steht ein Mann und streift
- einen Ring von seiner Hand.
-
- Drei Opale blinken;
- durch die bleichen Steine
- schwimmen rot und grüne
- Funken und versinken.
-
- Und er küßt sie, und
- seine Augen leuchten
- wie der meergrüne Grund:
- ein Fenster tut sich auf.
-
- Aus der roten Villa
- neben der toten Eiche
- winkt ihm eine bleiche
- Frauenhand ...
-
-
-
-
-Im Reich der Liebe
-
-
- O Du, dein Haar, wie strahlt dein Haar,
- das ist wie schwarze Diamanten!
- O, weil wir uns als Herrscherpaar
- der ewigen Seligkeit erkannten,
- Du!
-
- Schmück mir die Stirn du, nackt und bloß,
- mit diesem Band aus blauer Seide!
- Das ging dir los von deinem Schooß,
- als wir noch strauchelten im Kleide
- jener Welt.
-
- Hier sind wir Gott gleich, sieh mich an:
- oh Gott, wie Eins sind wir geworden!
- Hier kannst du ruhig deinen Mann
- mit mir betrügen, für mich morden,
- Du -- --
-
-
-
-
-Nun erst
-
-
- Hab Dank! wir waren Mann und Weib,
- es ist geschehn;
- nun laß uns wieder aufrecht gehn,
- allein und klar.
- Wir wollen uns nicht trüb geberden;
- wir können nun erst Freunde werden,
- ganz und wahr.
-
- Du weißt ja gut, wie’s enden kann;
- am Weg ins Tal,
- du sahst, da lag es, einsam, kahl,
- das alte Liebesgrab im Wald.
- Es war nicht Zufall, was dich führte:
- ich wollte prüfen, wie’s dich rührte:
- du lachtest kalt.
-
- Das tat mir wohl, das klang so frei
- aus dir heraus in mich herein.
- Doch unten lag im Abendschein
- der dunkle See.
- Im Wasser spielten lange Streifen;
- die schienen glühend sich zu greifen,
- der Nix die Fee.
-
- Die Sonne sank; die Wasserglut
- ist nun zur Ruh.
- Das war nicht Ich, das warst nicht Du,
- was uns bezwang.
- Denn ob wir unser mächtig waren,
- das soll sich nun erst offenbaren.
- Hab Dank!
-
-
-
-
-Mannesbangen
-
-
- Du mußt nicht meinen,
- ich hätte Furcht vor dir.
- Nur wenn du mit deinen
- scheuen Augen Glück begehrst
- und mir mit solchen
- zuckenden Händen
- wie mit Dolchen
- durch die Haare fährst,
- und mein Kopf liegt an deinen Lenden:
- dann, du Wehrlose,
- beb’ich vor dir ...
-
-
-
-
-Der weise König
-
-
- Ich will nicht immer küssen;
- ich will nur fühlen, du bist mein!
- Und wenn du noch viel nackter wärst,
- ich würde lieber zu Stein,
- als heut dich küssen.
-
- Gieb mir die stillste Stille,
- die du geben kannst.
- Dann will ich wie der Mondschein dort,
- der aus den Blättern tanzt,
- bei dir bleiben.
-
- So sprach der weise König.
- Da fiel ein Blatt in ihren Schooß,
- der Wind fuhr durch den Mondschein;
- sie aber nickte blos
- und küßte es.
-
- Er ist bei ihr geblieben,
- er riß ihr das Blatt vom Munde;
- er ist die ganze Nacht geblieben
- und hat sie -- Gott weiß wie still -- geküßt,
- wohl hundertmal die Stunde.
-
-
-
-
-Stilles Zeichen
-
-
- Mir war ein Rosenblatt im Haar geblieben.
- Ich saß und sann noch über die Geberde,
- mit der ich mich aus deinem Arm befreit,
- und sah zur Erde;
- da fiel das rote Blatt
- in meine Einsamkeit.
-
-
-
-
-Die Kette
-
-
- Du hast mir eine Kette geschenkt.
- Ich soll sie um meinen Nacken legen.
- Ich werde sie tragen, um meinen stolzen Hals,
- offen auf meiner Brust vor allen Leuten:
- Du hast mir ja die Kette geschenkt.
- Ich möcht auch heimlich mein Herz dran hängen;
- Himmel, mein Herz, woran hängt es schon?
- An den Blicken meiner treuen Frau,
- an den Locken manches treulosen Fräuleins,
- an den Schmucksachen, die sie zu Weihnachten wünschten,
- den Schmetterlingen, die wir im Hochsommer haschten,
- an den Zugvögeln, die jetzt über uns wegziehn,
- den fremden Blumen, die sich jenseits der Meere
- auf paradiesischen Bäumen schaukeln,
- an dem unvergeßlichen Horizont meiner Heimat
- und den feurigen Sternen nie erblickter Zenithe,
- an alldem, alldem hängt mein Herz,
- mein armes Herz. Sprecht, gütige Sterne:
- wie fass ich soviel Reichtum zusammen? --
- Du hast mir eine Kette geschenkt! -- --
-
-
-
-
-Ein Ring
-
-
- Ich trug einen Ring mit drei Opalen.
- Viel Märchen schuf der bleiche Stein;
- scheu wie das Glück sind seine Strahlen,
- Wasser soll ihren bunten Schein
- wie Gift zernagen.
-
- Ich kenn ein Weib, das hat all meine
- bleiche bunte Sehnsucht lieb;
- sie gab mir mehr als edle Steine,
- doch sollt ich alles wie ein Dieb
- heimlich tragen.
-
- Ich hab eine Frau, die schenkt mir klar,
- wie eine Quelle unverschlossen,
- ihren Frieden immerdar;
- sie weinte, ihre Tränen flossen
- auf die Opale.
-
- Ich trug den bleichen Ring zurück;
- aber das Märchen hat gelogen.
- Noch glänzt der Stein und glänzt mein Glück,
- glänzt wie der bunte Regenbogen
- im Wasserstrahle.
-
-
-
-
-Der Fluß
-
-
- In den abendgelben Fluß
- grub mein Ruder schwarze Trichter;
- ohne Wort und ohne Kuß
- sahn wir auf die Wellenlichter,
- sahn wir eine dunkle Bucht
- still das kahle Ufer spiegeln,
- sahn der Berge starre Wucht
- seine wirbelvolle Flucht
- vor uns, hinter uns verriegeln.
-
- Als wir dann um Mitternacht
- in der Stadt mit Flüsterlauten
- auf der hohen Brückenwacht
- standen und hinunterschauten,
- schienen uns die schwarzen Mauern
- in dem grauen Wasserschacht
- ihren Einsturz zu belauern.
-
- Still, die Sonne kommt herauf.
- Klar verfolgen meine Träume
- bis zum Meer hin seinen Lauf;
- fern durch morgenrote Bäume
- steigt der blaue Nebel auf.
-
-
-
-
-Nächtliches Zwiegespräch
-
-
- „Was sind das für Männer,
- die dort ins Dunkel zeigen?“
- Ich sehe sie nicht.
-
- „Dort bei dem Feuer am Fluß
- die glänzenden Hände!“
- Seltsam.
-
- „Der Brückenbogen steht voll Menschen!“
- Totenstill.
-
- „Und dort, sieh dort: das leere Boot!“
- Was bebst du --
-
- „Oh, mein Geliebter, verlaß mich nicht!“
-
-
-
-
-Rückblick
-
-
- In diesem Jahr verlor ich einen Freund.
- Hier unterm Nußbaum sprachen wir uns aus.
- Das Laub wird gelb; es wartet auf den Wind.
- Ist das der Schluß?
-
- Hier unterm Nußbaum gab mir eine Frau
- in diesem Jahr errötend ihre Hand.
- Still weht ein Blatt und treibt ins welke Gras.
- Ist das der Schluß?
-
- In diesem Jahr ... Vor meine Füße fällt
- ein dumpfer Schlag zu Boden und zerplatzt,
- und aus der Kapsel rollt die rauhe Frucht.
- Das ist der Schluß!
-
-
-
-
-Mein Wald
-
-
- Der Herbst stürmt seine Tänze.
- Durch dürre Blätter muß ich gehn;
- in meinen Wald.
-
- In meinem lieben Wald,
- wo nicht ein Baum mein eigen ist,
- gehn fremde Leute durch den Wind
- und sagen: es ist kalt.
-
- Und da steht auch mein Stein,
- auf dem ich manchmal sitze,
- wenn mein Herz stürmt.
-
-
-
-
-Die Harfe
-
-
- Unruhig steht der hohe Kiefernforst;
- die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen.
- Lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst;
- dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen.
- Und dumpfer tönt mein Schritt.
-
- Hier über diese Hügel ging ich schon,
- als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte,
- noch nicht bei euerm urweltlichen Ton
- die Arme hob und ins Erhabne spannte,
- ihr Riesenstämme rings.
-
- In großen Zwischenräumen, kaum bewegt,
- erheben sich die graugewordnen Schäfte;
- durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt
- die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte
- wie damals.
-
- Und Eine steht wie eines Erdgotts Hand
- in fünf gewaltige Finger hochgespalten;
- die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand
- und langt noch höher als die starren alten
- einsamen Stämme.
-
- Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf,
- als wollten sie sich aneinanderzwängen;
- durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf,
- als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen
- einer verwunschnen Harfe.
-
- Und von der Harfe kommt ein Himmelston
- und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen.
- Den kenn ich tief seit meiner Jugend schon:
- dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen:
- komm, Sturm, erhöre mich!
-
- Wie hab ich mich nach einer Hand gesehnt,
- die mächtig ganz in meine würde passen!
- wie hab ich mir die Finger wund gedehnt!
- die ganze Hand, die konnte Niemand fassen!
- Da ballt ich sie zur Faust.
-
- Ich habe mit Inbrünsten jeder Art
- mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen.
- Ich steh und prüfe die bestandne Fahrt:
- nur Eine Inbrunst läßt sich treu ertragen:
- zur ganzen Welt.
-
- Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst!
- schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben.
- In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst.
- Gieb mir die Kraft, einsam zu bleiben,
- Welt! --
-
-
-
-
-Dritter Teil
-
-
-
-
-Geheimnis
-
-
- In die dunkle Bergschlucht
- kehrt der Mond zurück.
-
- Eine Stimme singt am Wassersturz:
-
- O Geliebtes --
- deine höchste Wonne
- und dein tiefster Schmerz
- sind mein Glück -- --
-
-
-
-
-Am Scheideweg
-
-
- Ich wollt dir die Stirn küssen
- und dir sagen: hab Dank!
- Aber da war ein Licht in deinen Augen
- wie Morgenglut auf unerklommenen Bergwäldern;
- und dem haben wir folgen müssen,
- schweigend.
-
-
-
-
-Hoch in der Frühe
-
-
- Sieh, wie wir zu den Sternen aufsteigen!
- Unsern glückstrahlenden Augen
- leuchtet der Schnee der Gebirge,
- bald blitzt dort unten die Sonne durch.
- O! schon röten sich
- Tiefen und Höhen;
- durch den Rauch unsrer Atemzüge,
- bis über das fernste Fünkchen dort oben
- fern hinauf,
- schimmert die Nacht deiner Geburt,
- glänzt der Tag unsrer Himmelfahrt.
-
-
-
-
-Immer wieder
-
-
- Ehe wir uns trennen konnten,
- o, wie hielt mich dein Gesicht,
- sahen wir noch Einmal, dicht,
- dicht an deinem mein Gesicht,
- in den Winterwald zurück,
- wo die Bäume sich noch sonnten,
- wo die Abendwolken prangten,
- wo ins feuergoldne Licht
- die verworrnen Zweige langten,
- und wir baten Gott um Glück.
-
-
-
-
-Die Frage
-
-
- Kann ich dein Herz beglücken?
- liebreiche Seele, nein.
- Ich kann dich an mein Herz drücken,
- fühlen mußt du’s allein.
-
- Noch im glückhellsten Gesange
- schwebt ein dunkler Klang;
- lausch ihm nicht zu lange,
- sonst wird dir bang.
-
- Ob ich dir tausendmal sage:
- ich liebe dich --
- immer doppelt bebt drin die Frage:
- liebst du mich? --
-
-
-
-
-Im Zwielicht
-
-
- Laß uns noch die Nacht erwarten,
- daß wir alle Sterne sehn.
- Falt die Hände; in den harten
- Steigen durch den stillen Garten
- kommt das Heimweh auf den Zehn.
-
- Kommt und bringt die Anemone,
- die du einst ans Herzchen drücktest;
- kommt umklungen von dem Tone
- einst des Baums, aus dessen Krone
- du dein erstes Fernweh pflücktest.
-
- Und du streifst dir aus den Haaren,
- was dir an der Seele frißt;
- selig Kind mit dreißig Jahren,
- Alles wirst du noch erfahren,
- Alles, was dir heilsam ist.
-
-
-
-
-Glückwunsch
-
-
- Ich wünsche dir Glück.
- Ich bring dir die Sonne in meinem Blick.
- Ich fühle dein Herz in meiner Brust;
- es wünscht dir mehr als eitel Lust.
- Es fühlt und wünscht: die Sonne scheint,
- auch wenn dein Blick zu brechen meint.
- Es wünscht dir Blicke so sehnsuchtlos,
- als trügest du die Welt im Schooß.
- Es wünscht dir Blicke so voll Begehren,
- als sei die Erde neu zu gebären.
- Es wünscht dir Blicke voll der Kraft,
- die aus Winter sich Frühling schafft.
- Und täglich leuchte durch dein Haus
- aller Liebe Blumenstrauß!
-
-
-
-
-Ein Blütenblatt
-
-
- Von deinen Tulpen fiel das erste Blatt.
- Es liegt am Fuß der stolz geschwungnen Vase
- und lehnt sich auf am gletscherblauen Glase,
- und drüber flammt der Strauß mit dreizehn Bränden
- Und eine von den Blüten züngelt so
- in sich gekrümmt, als suche farbensatt
- ihr Leben eine kalte Ruhestatt
- und rette sich aus halbverbrannten Wänden.
- Doch eine andre ist so lichterloh
- geöffnet, daß wie zwischen Feuerwiegen
- die gelbgekrönte Samenpuppe prangt,
- die nach der Blüte nicht zurückverlangt,
- wenn alle Blätter abgefallen liegen.
-
-
-
-
-Das Perlgewebe
-
-Von Ida Dehmel
-
-
- Ich sitze dunkle Frau in meinem Zimmer,
- stille, dunkle, große Frau.
- Weiß ist das Zimmer, weit seine Wände;
- weiß ist mein Kleid, mein Webstuhl weiß.
- Und vor mir buntgehäuft ein Schatz Perlschnüre.
- Was will ich dunkle Frau denn weben? -- Mein Leben.
-
- Weiß, weiß und golden sind die Farben meiner Jugend,
- ein morgenblauer Himmel über mir.
- Himmelschlüssel blühn auf unsern Wiesen.
- Viele kleine Blumen will ich weben,
- zart ein glückliches Lachen dazwischen,
- Alles leuchtet dem spielenden Kind.
-
- Mutter starb. Die Farben werden blasser.
- Dunkle Trauerzweige sprießen auf,
- schwanke Linien aus flimmerndem Grund,
- Thränen glitzern, Sehnsuchtsthränen.
- Kind, ich große Frau möcht gern dich trösten;
- sieh, ich setz ein funkelnd Sternlein über dich.
-
- Und nun mischen sich die bunten Perlen:
- stolz und heftig schießt ein Blutrot hoch
- durch ein trotziges Gelb in schroffen Kanten,
- hell im Kampf mit strengen grauen Mächten
- bäumt die aufwärtsflammende Seele sich:
- rot und golden sind die Farben dieser Jungfrau.
-
- Und aus Not und Gold paart sich ein Schrei nach Liebe.
- Rosen blühn aus meinen Händen auf,
- jeder Kelch voll Tau und Sonnentraum;
- schwer in Büscheln rankt sich ein Klematisstrauch
- um die Rosen lilasanft ins Blaue;
- die Verheißung glüht aus allen Blüten.
-
- Die Erfüllung log. Nun wirren sich die Fäden.
- Fahl und grell verschlingen sich die Schnüre.
- Jeder Weg ein Irrweg, und kein Kreis geschlossen.
- Zuchtlos drängt sich wildes Gestrüpp
- über meine Wiesen, meinen Blumenteppich;
- und der Stern der Mutter birgt sich hinter Nebeln.
-
- Da -- ein klarer Klang: stark: eines Helden Ton.
- Schwarz wie der Ursprung, golden wie das Licht,
- und moosgrün wie der Wald, aus dem die ersten Menschen kamen.
- Auch blau sein Himmel, aber mittagsblau;
- auch rot sein Blut, doch nordlichtnächtig rot.
- Und über Alles breitet sich sein Glanz.
-
- O wie sich unsre Farben herrlich einen:
- Leere wird Fülle, und sie strömt wie Quellen,
- aus ihren Fluten steigt des Schöpfungstages Feste,
- mein Stern strahlt durch des Weltbaums Blütenäste --
- So kann ich meine Träume und mein Leben
- zum Werk verwebt in Gottes Hände geben.
-
-
-
-
-Störung
-
-
- Und wir gingen still im tiefen Schnee,
- still mit unserm tiefen Glück,
- gingen wie auf Blüten,
- als die arme Alte
- uns anbettelte.
- Und du sahst wohl nicht,
- als du ihr die Hände drücktest
- und dich liebreich zu ihr bücktest,
- wie durch ihr zerrissenes Schuhzeug
- ihre aufgeborstnen
- blauen Füße glühten.
- Ja, ein Mensch geht barfuß
- im eignen Blut durch Gottes Schnee,
- und wir gehen auf Blüten.
-
-
-
-
-Zukunft
-
-
- Du reiche Frau, du edle Frau,
- mit deiner Hoffnung unterm Herzen,
- du möchtest jubeln und erschrickst;
- ich sehe dich in deinen Schmerzen,
- wie du beim Schein der Ambrakerzen
- die seidne Wiegendecke stickst.
-
- Du zählst die Fäden, silbergrau
- und schwarz und blutrot, und dir schweben
- viel tausend Hände vor, die weben,
- viel tausend graue Mutterhände,
- die weben, weben ohne Ende;
- ich seh dich, wie du grausig nickst
- und dunkel durch dein Zimmer blickst.
-
- Und tausend Kinder siehst du stehen,
- die still an einem Stricke drehen,
- früh alt vor Hunger und Gebrest.
- Und siehst die Väter sich erheben,
- alle, die häßlich müssen leben,
- damit es Schönheit könne geben,
- sie stürmen dein geschmücktes Nest:
-
- Madam! dies blutige Garn, wer spann es?!
- Da würdest Du in Todeswehen
- entzückt sein, könntest du dich sehen,
- wie sich zum mörderischen Fest
- die schmutzige Faust des Arbeitsmannes
- um deine weiße Kehle preßt.
-
-
-
-
-Enthüllung
-
-
- Du sollst nicht dulden, daß dein Schmerz dich knechte;
- du bist so gern vor Freude wild.
- Komm vor den Spiegel! -- O, wie schwillt
- dein düstres Haar, wie lebt dein Bild,
- wie blüht dein Mund --: als wenn durch Nächte
- der Blitze bläuliches Geflechte,
- der Honigduft der roten Disteln quillt!
-
- Dein weißes Kleid ist wie zum Hohne
- mit türkischen Märchenblumen toll durchzackt.
- Ich träume dich auf schwarzem Throne.
- Du bist verschleiert bis zur Krone.
- Doch wärst du keusch wie Magelone,
- wir Träumer sehen alles nackt!
-
- Gib her, gib her den Trauerschleier,
- ich reiß ihn lachend dir entzwei!
- Ich bin dein Einziger, dein Befreier,
- dein Herr! -- Was starrst du so ins Feuer,
- so schmerzhaft? -- O verzeih -- verzeih --
-
-
-
-
-Beschwörung
-
-
- Du bist nicht hier. Ich fühle schwer,
- wie deine blasse Hand mich preßte;
- und wie Todfeinde sind mir plötzlich
- die lachenden Geburtstagsgäste.
-
- Immer verdrehter wird das Fest,
- die Blumen welken in den Kränzen.
- Um meinen Bart sind die Gerüche
- der Medizinen und Essenzen
-
- von deinem Krankenbette her;
- es ist vielleicht dein Sterbelager.
- Ich seh dein glanzlos Haar daliegen
- und dein Gesicht blutleer und mager.
-
- O sieh nicht so die Bäume hoch,
- warum sie mit den kahlen Zweigen
- so starr und schwarz vor deinem Fenster
- ins graue Himmelsdickicht zeigen.
-
- Sieh tief in deine Nacht hinab!
- da glänzt mein Bild mit Gottesfarben
- und läuft vom Blute derer über,
- die Dir zum Opfer in mir starben.
-
- O sieh, sieh, wie mein Blick dich tränkt
- und meine Lippen nach dir beben
- und meine Hände zu dir beten
- und dich beschwören: bleib mir leben!
-
-
-
-
-Aus schwerer Stunde
-
-
- Ich konnte nur noch lächeln;
- ich war so traurig im Grunde,
- daß meine eigne Stimme mir fremd klang.
- Da traf mich Deine Stimme,
- und ich konnte wieder lachen wie als Kind,
- und einmal weinten wir vor Glück.
- O, ich danke dir,
- in dieser schlaflosen Nacht,
- wo du fern von mir
- zwischen Tod und Leben liegst.
- Sieh, ich falte wie als Kind die Hände:
- bleib mir, laß mich nicht allein,
- ich habe Furcht bekommen
- vor den einsamen Nächten.
- Wenn du stürbest,
- nein, ich würde nicht weinen,
- meine Seele ist geübt im Trauern;
- aber ich würde nie mehr lachen können.
-
-
-
-
-Zuversicht
-
-
- Ich hab dich selig gemacht,
- mein Geliebter,
- und du mich, du bist mein,
- und darfst nicht bei mir sein
- in meinen furchtbaren Schmerzen.
- Bis in Mark und Bein
- bin ich dein,
- und darf nicht nach dir schrein
- vor den Menschen,
- wenn ich sterben muß
- ohne deinen Kuß.
- Nein nein nein,
- Du hast mich selig gemacht!
- Tag und Nacht
- fühl ich mich an deinem Herzen
- leben, das an +mein+ Herz schlug!
- Ja, ich fühls, ich bleibe leben,
- hab dir noch soviel zu geben,
- all mein Leben,
- gab dir nie, noch nie genug!
-
-
-
-
-Gleichnis
-
-
- Es ist ein Brunnen, der heißt Leid;
- draus fließt die lautre Seligkeit.
- Doch wer nur in den Brunnen schaut,
- den graut.
-
- Er sieht im tiefen Wasserschacht
- sein lichtes Bild umrahmt von Nacht.
- O trinke! da zerrinnt dein Bild:
- Licht quillt.
-
-
-
-
-Weihnacht im Krankenhaus
-
-
- Schönen guten Abend, ihr im Leidensgewand;
- neue frohe Botschaft hört aus Gnadenland!
- Wir haben lang gesucht nach einem heilsamen Sterne,
- bis er sich finden ließ in seiner nächtlichen Ferne.
- Da haben wir ihm gewunken,
- da ist er uns ans Herz gesunken.
- Dann haben wir ihn festlich mit Liebe umwunden
- und auf ein immergrünes Bäumlein gebunden.
- Nun seht ihn! hier glänzt er, samt anderen Schätzen;
- an denen mögt ihr euch später ergetzen.
- Erst sollt ihr Mut schöpfen aus seinem Schimmer,
- denn die Nacht ist lang, und dies Haus glänzt nicht immer.
- Hier kämpft oft das Todesgrauen schwer
- mit der Lebensröte um die Wiederkehr.
- Hier suchen oft Seelen nach gnädigen Sternen
- und finden nichts als lichtleere Fernen.
- Hier strahlt jetzt, o Wunder, ein heiliger Baum
- mitten im eisigen Weltenraum
- und spiegelt sich
- und euch und mich
- im warm aufquellenden Tränentau
- einer genesenden, lächelnden, liebenden Frau.
- Die Mutter des Heils ist überall zugegen,
- wo Menschen eine Hoffnung hegen.
-
-
-
-
-Lied im Winter
-
-
- Trüb sucht dein Blick: wann wird sie wieder blühn?
- Die harte Erde läßt mit kaltem Schweigen
- die Wipfel in den klaren Himmel zeigen
- um die verschneite Bank im Wald,
- auf der du einst ein Frühlingsglück umarmtest;
- nun sprießt Reif an den starren Zweigen.
- Dann willst du weitergehn den alten Gang,
- da schluchzt ein Vogelherz, du weißt nicht wo,
- die Stille klingt ihm nach: sie blüht, sie blüht!
- Lichtblüten glitzern über allen Steigen!
-
-
-
-
-Eva und der Tod
-
-
- Der Wintermorgen schien ein Frühlingsmärchen;
- der Reif der Zweige sproß im Sonnenschein
- zum blauen Himmel auf wie Blütenpärchen.
-
- Ein Lüftchen, das sich hob und stumm verfing,
- trieb Silberflocken von den hohen Ulmen
- des langen Weges, den ich einsam ging.
-
- Ich hörte noch, daß fern ein Schlitten schellte;
- dann wurde Schweigen auf dem schweren Schnee.
- Ich schritt und sann, und fühlte nichts von Kälte.
-
- Denn gestern war mir ein geliebtes Wesen
- nach heißer Seelennot und Leibesqualen
- von einem Sohn, nicht meinem Sohn, genesen.
-
- Und der das Kind von ihr entgegennahm,
- empfing ein Pfand des Lebens, nicht der Liebe;
- sie aber gab es mit zu später Scham.
-
- Ich suchte tief nach trübem Dankesworte,
- da sah ich fern am Ende meines Weges
- auf einmal eine schwarze Gitterpforte.
-
- Zu ihren Seiten dehnten sich zwei Mauern;
- die waren überwipfelt von Cypressen.
- Ihr starrer Wuchs bedrohte mich mit Schauern.
-
- Und aus der Pforte traten schwarz und groß
- und langsam nach einander sieben Männer;
- die kamen langsam, schweigsam auf mich los.
-
- Aus fremdem Lande schienen sie zu sein,
- so lange Mäntel, breite weiße Kragen.
- Und plötzlich rief ich außer mir: Nein! Nein!
-
- Denn aus der Pforte trat da noch ein achter,
- der war ganz dürr und größer als die andern,
- und stand und nickte, sacht, und immer sachter.
-
- Und eisig lief es mir durch Blut und Bein:
- die sieben wollen sich mein Liebstes holen.
- Ich stand und bettelte und bebte: Nein!
-
- Und seh durch Tränen, wie die schwarzen Schemen
- den Sonnenschein verdunkeln und den Schnee,
- und glaube fern ein Lachen zu vernehmen.
-
- Und als ich mir die Augen mühsam reibe,
- steht hoch ein nacktes Weib vor jenem Gitter,
- mit schwarzem Haar und Blick und braunem Leibe.
-
- Und lacht ganz hell und winkt dem dürren Mann
- und hebt im andern Arm ein zappelnd Kindchen
- und sieht mich fernher lebensselig an.
-
- O dieses Blickes Herrlichkeit und Hohn!
- Nur Einer hatte das wie ich empfunden:
- der Trotzigste der Dichter: Liliencron!
-
- Ich seh den Dürren ihr entgegenstelzen:
- er bückt sich -- widerwillig -- er verschwindet --
- zu ihren Füßen scheint der Schnee zu schmelzen.
-
- Die ganze Landschaft schmilzt; das kleine Kind
- schwimmt riesengroß aus sieben schwarzen Strudeln
- und lacht -- lacht -- lacht mich aus. Was! War ich blind?
-
- Ich selber lache! meine Wimpern tropfen;
- die sieben sind ja nichts als Leichenträger,
- die sonst Schuh sticken oder Hosen stopfen!
-
- Und jenes Weib, das ist ja nur die Frau
- des Totengräbers, und ihr brauner Kittel
- ist keine Haut, ich seh es ganz genau!
-
- Du aber lebst mir, und der Himmel blaut,
- und bald ist Frühling, und du wirst mich küssen
- trotz deines Sohns, du meine braune Braut!
-
-
-
-
-Verhör
-
-
- Du liegst sehr blaß in deinen weißen Kissen,
- und deine matten Lippen sind zerbissen;
- hattest du sehr viel Schmerz? --
- „Ich weiß nicht mehr.“
-
- Du siehst sehr träumerisch zur Zimmerdecke,
- sieh nach dem Bettchen drüben in der Ecke:
- liebst du dein Kindchen sehr? --
- „Ich weiß noch nicht.“
-
- Schriebst du zuweilen, wenn die Wehen kamen,
- mit deinen irren Fingern meinen Namen
- auf deine Bettdecke? --
- „Du weißt es ja.“
-
- Kannst du noch immer, ohne hinzudenken,
- dein Kind und seinen Vater ruchlos kränken
- und mit mir selig sein? --
- „Weißt du das nicht?“
-
-
-
-
-Zur Genesung
-
-
- Steh auf, steh auf vom Meeresschooß!
- guten Morgen!
- ich will dich selig machen!
- Hörst du die Walfische lachen?
- hörst du das Weltkonzert schallen?
- Komm, kletter auf die Korallen:
- kuck, alle Engel sind los!
-
- Jetzt: hopp, einen kleinen Luftsprung!
- Auf doch!
- Guten Morgen!
- Hüh, meine Flügeldelphine:
- hoch, hoch, hoch, Aphrodite:
- in Abrahams Schooß!
-
- Ach du, +hilf+ mir doch lachen,
- bitte bitte,
- und guten Morgen und Unsinn machen!
- Denn du lagst sehr bleich, du schlechtes Weib,
- als du vom Meergott träumtest
- und meine Arme wie Seeschlangen zäumtest;
- das darfst du nie wieder machen,
- hörst du, nie wieder!
-
- Denn ich will dich ja selig machen,
- ja, du: seeelig! über und über!
- Und darum verbitt ich mir solche Sachen;
- hörst du!
- Denn dazu tut Uns Beiden kein Fieber
- mit Himmelsträumen etcetera not,
- denn du bist mir zehntausendmal lieber
- als der liebste liebe Gott!
-
- Also: Auf jetzt! O Gottes Wunder:
- hör doch die Vögel, wie die lachen:
- jeden Tag wird sie gesunder,
- und Vater Abraham ist tot!
- Ja: das ist +mein+ Schooß,
- und das ist +dein+ Schooß,
- und der Mensch will selig werden auf Erden --
- weißt du noch, wie man das machen muß?
-
- Auf! -- O Liebste! -- O guten Morgen:
- sieh mal, da blüht schon bald der Flieder!
- Ach, weißt du noch? Ja, blick nur nieder:
- bald blühst du auch und tust mir wieder
- -- endlich wieder --
- den Himmel auf! o Götterkuß!
-
-
-
-
-Schneeflocken
-
-
- Gnädige Frau, es schneit, es schneit!
- Tragen Sie heut Ihr weißes Kleid?
-
- Gnädige Frau, hier in der Ferne
- schneits bei helllichtem Tage Sterne.
-
- Und diese Sterne flimmern genau
- wie die Zähne der gnädigen Frau.
-
- Oder wie Blüten von weißem Flieder,
- gnädige Frau, an Dero Mieder.
-
- Oder die Blicke des Herrn Gemahls
- am Tage Ihres Hochzeitsballs.
-
- Nein, sie flimmern, ich kann mir nit helfen,
- gnädige Frau, wie tanzende Elfen.
-
- Hänseln jeglichen Parapluie;
- will man sie fassen, +zer+flimmern sie.
-
- Flimmern in Wirbeln, flimmern in Bildern,
- die sind wirklich nit zu schildern.
-
- Gnädige Frau, so wild, so mild
- wie ein opalisch flimmerndes Bild.
-
- Und, ach Gnädigste, diese Sterne
- tanzen auf manchermanns Nase gerne.
-
- Und auf solchermanns Nase, gnädige Frau,
- zertanzen sie zu Tränentau.
-
- Zertanzen flink wie kichernde Lieder:
- morgen, morgen tanzen wir wieder!
-
- Gnädige Frau, leb wohl! Schluß, Kuß!
- Frechheit -- aber wer muß, der muß.
-
-
-
-
-Orientalisches Potpourri
-
-
- Gestern Nachmittag, meine braune Geliebte,
- die du nach Ruhm begehrst vor allen Frauen
- deines Volkes, saß ich in einem Treibhaus,
- und von allen Palmen und andern Gewächsen
- flogen mir neue Gedichte zu.
-
- Hier ist eins von einem Agavenwildling:
-
- Meine Geliebte!
- Grau in staubiger Wüste
- stand mein dorniges Blattwerk
- jahrlang mit durstig schwellendem Fleisch.
- Plötzlich schoß über Nacht
- ein steiler Schaft, knospengekrönt,
- aus dem staubgrauen Schooß
- in die feurige Morgenluft.
- Schick mir zu Mittag, Geliebte,
- deine tausend durstigen braunen Bienen:
- viertausend goldgelbe Blütenglöckchen
- haben sich aufgetan und triefen,
- triefen, triefen von Honigsaft.
-
- Oder eins von einer verschulten Musa:
-
- Meine Geliebte!
- Wen mit deinen üppig langen
- Blättern willst du denn umfangen,
- die du überreichlich treibst?
-
- Fühlst du nicht den Abend glühen?
- Wenn du ohne Blüte bleibst,
- Schönste, kannst du nie verblühen,
- Ärmste, nie mit Früchten prangen.
-
- Oder von einer seltnen Wasserviole:
-
- Meine Geliebte!
- Mondblau steht mein Kahn,
- himmeltief der See;
- fern beim hellen Uferschilf
- ziehn zwei weiße Enten
- ihre Bahn.
- Sehnsüchtig und rot
- spiegelt sich mein Mund:
- tauche auf, Geliebte, Dunkle,
- aus dem blauen Grund,
- hol mich in den Himmel!
-
- Oder von einem gewöhnlichen Igelkaktus:
-
- Meine Geliebte!
- Ich bin so rund wie die Erde,
- mein Fleisch hat Heilkraft,
- und meine Blume ist zum Küssen schön.
- Aber hebe mich nicht aus meinem Erdreich:
- mein Fleisch hat Stacheln,
- und leicht entroll ich deiner Hand.
- Willst du mich küssen,
- bitte, knie nieder!
-
- Solche Gedichte, meine braune Geliebte,
- könnt ich dir noch viertausend und einige dichten
- an Einem Nachmittag;
- und die würden meine vielen verehrten
- neuen deutschen und neuesten jüdischdeutschen
- lyrischen Brüder sicher furchtbar rühmen --
-
- Aber du bist mir zu lieb dazu ...
-
-
-
-
-Jesus bettelt
-
-
- Schenk mir deinen goldnen Kamm;
- jeder Morgen soll dich mahnen,
- daß du mir die Haare küßtest.
- Schenk mir deinen seidnen Schwamm;
- jeden Abend will ich ahnen,
- +wem+ du dich im Bade rüstest --
- oh, Maria!
-
- Schenk mir Alles, was du hast;
- meine Seele ist nicht eitel,
- stolz empfang ich deinen Segen.
- Schenk mir deine schwerste Last:
- willst du nicht auf meinen Scheitel
- auch dein Herz, dein Herz noch legen --
- Magdalena?
-
-
-
-
-Benedeiung
-
-
- Gestern hobst du verzweifelt die Hände,
- deiner heiligen Namenschwester gleich,
- als ihr ein Schwert durch die Seele ging.
-
- Heute breit’ich entzückt die Arme,
- allen Heiligen mich vergleichend,
- weil mir Dein Schwert durch die Seele ging.
-
- Neige dich zu mir, Maria,
- laß uns lauschen,
- wie die himmlischen Heerschaaren über uns jubeln!
-
-
-
-
-Erfüllung
-
-
- Daß du auch an Meinem Herzen,
- Herz, nur neue Sehnsucht fühlst
- und dich in die Menschenschmerzen
- schmerzlicher als je verwühlst:
- ist das nicht Erfüllung, du?
-
- Wenn die Erde schmilzt vom Eise,
- daß die Luft nach Frühling schmeckt,
- und in immer neuer Weise
- wild ihr Grün zum Himmel reckt:
- +ist+ das nicht Erfüllung, du?
-
- Wenn wir dann noch Ostern feiern,
- weil ein Mensch sein Leben ließ,
- der den Frevlern wie Kasteiern
- gleiche Seligkeit verhieß:
- ist das +nicht+ Erfüllung, du?
-
- Laß die tragische Geberde,
- sei wie Gott, du bist es schon:
- jedes Weib ist Mutter Erde,
- jeder Mann ist Gottessohn,
- +Alles+ ist Erfüllung, du!
-
-
-
-
-Heilandswort
-
-
- Ich trat in ein Haus,
- da gingen viel Sünder ein und aus,
- aber auf einer grauen Wand
- und mit leuchtenden Lettern stand:
- Nur selig!
-
- Ich sah eine Menschengestalt,
- mit Leidenszügen mannigfalt,
- aber im Gruß der blassen Hand
- und im Lichte der Augen stand:
- Nur selig!
-
- Ich ging bald fort,
- durch einen trüben, armseligen Ort,
- aber über dem ganzen Land
- und mit leuchtenden Lettern stand:
- Nur selig!
-
-
-
-
-Zwischen Ostern und Pfingsten
-
-
- Und jeden Abend kannst du so aufatmen:
- du horchst ins Dorf hin, was die Glocken wollen,
- du gehst ins Freie,
- der Rauch der Hütten umarmt die Eichenkronen:
- auf, Seele, auf!
-
- Dann raunt dir frühlingsheimlich ein Echohauch
- unter den knospenvollen Wipfeln zu:
- ins Freie auf -- so frei ins Freie,
- wie dort der Vater mit seinem Kindchen Ball spielt.
-
- Und über dir, lichtgrün im Blauen,
- spielt eine Birke
- mit einem strahlend blühenden Ahorn Braut.
-
-
-
-
-Die Glücklichen
-
-
- Nun will ich mir die Locken
- mit Birkenlaub behängen;
- der Frühling sitzt am Wocken,
- von dem er mit Gesängen
- um meine Wildnis grüne Schleier spinnt.
-
- Und du auf deinem Throne
- im Astwerk unsrer Linde,
- beglänzt mit deinem Sohne
- vom goldnen Mittagswinde,
- bist meine Jungfrau mit dem Wunderkind.
-
- Ein Lamm mit weißem Felle
- auf unserm Wiesenlande,
- mit einer Silberschelle
- und blauem Seidenbande,
- bringt uns zum Lachen, wenn wir traurig sind.
-
- So würden wir uns gerne
- mit aller Welt vertragen,
- nicht Sonne, Mond noch Sterne
- um unser Glück befragen,
- doch -- manchmal haben wir kein Brot im Spind.
-
- Drum stehn im jungen Schilfe
- mit aufgesperrter Miene,
- als schnappten sie nach Hilfe,
- zwei steinerne Delphine
- am Wasser, das um unsre Insel rinnt.
-
-
-
-
-Erhebung
-
-
- Gieb mir nur die Hand,
- nur den Finger, dann
- seh ich diesen ganzen Erdkreis
- als mein Eigen an!
-
- O, wie blüht mein Land!
- Sieh dir’s doch nur an,
- daß es +mit+ uns über die Wolken
- in die Sonne kann!
-
-
-
-
-Hochsommerlied
-
-
- Golden streift der Sommer meine Heimat,
- brotwarm schwillt das hohe reife Korn,
- wie in meiner goldnen Kinderzeit;
- habe Dank, geliebte Erde!
-
- Schwalben rufen mich hinauf ins Blaue,
- weiße Wolken türmen Glanz auf Glanz,
- wie in meiner blauen Jünglingszeit;
- habe Dank, geliebte Sonne!
-
-
-
-
-Mit heiligem Geist
-
-
- Liebe Mutter! mir träumte heute
- von der Insel der seligen Leute.
- Da saß auf einem Hügel der Au
- eine nackte gekrönte Frau;
- in ihrem Herzen stak ein Schwert,
- aber sie lachte unversehrt.
- Denn neben ihrem natürlichen Thron
- stand ihr lieber großer Sohn;
- in seinen Fingern, voll Sonnenglanz,
- hing ein blutiger Dornenkranz.
- Der begann sich mit grünen Spieren
- und raschen Blüten zu verzieren;
- und umringt von den seligen Leuten,
- die sich an dem Wunder freuten,
- suchte mir Er die Blumen aus
- zu einem leuchtenden Osterstrauß.
- Den umflocht er mit blauem Bande
- von seiner Mutter früherm Gewande
- und gab ihn mir und sprach dazu:
- Sag Deiner lieben Mutter du,
- +weil ihr auf Erden niemals wißt,
- wann die Zeit erfüllet ist,
- sollt ihr immer glauben und hoffen,
- der Tag sei endlich eingetroffen+.
- Und bis einst jedes Weib gewinnt
- den rechten Vater für ihr Kind,
- soll jede Irrende die Treue
- dem falschen brechen ohne Reue,
- soll ihre Sehnsucht nicht verfluchen,
- ihren Qualen den Heiland suchen
- und seinen liebenden Gewalten
- Leib wie Seele empfänglich halten.
- Wenn das mit heiligem Geist geschehn,
- wird sie die Heimsuchung bestehn,
- wie meine Mutter sie bestand,
- beseligt im Gelobten Land.
-
-
-
-
-Böser Traum
-
-
- Was kannst du gegen Träume, Mensch, die tückisch
- selbst auch den Männlichsten, mit Engelshänden
- oder mit Teufelsfäusten, in den Himmel
- samt Hölle seines Kinderglaubens führen?
- In solchem Traum erschien mir heute Nacht
- der böse Feind und sah mich furchtbar an.
- Er hatte das Gesicht von einem Freunde,
- dem ich sein Weib in aller Freundschaft nahm,
- und setzte auf mein wehrlos Herz ein Messer
- und sprach -- nein, was er sprach, vergaß ich schon.
- Er sah mit Wollust, wie die rostige Spitze
- auf meiner Haut im Takte meiner Pulse
- sich hob und senkte, sah mich gierig an.
- Ich aber bohrte meine blauen Augen
- in seine braunen tief empor und sagte:
- Wenn du mich kenntest, zögertest du nicht.
- Und als sein Blick ineins mit meinem sank
- und bläulich wurde, dacht ich: Wärst du nicht
- der böse Feind, so müßtest du mich lieben,
- ich habe dich von einer Last erlöst.
- Was ich dir nahm, ist niemals dein gewesen;
- was du mir nehmen kannst, war niemals mein.
- Drum, wenn du mußt, so töte mich! mein Tod
- wird dir viel weher tun als je mein Leben,
- das Keinem weher tat als Mir -- „Wach auf!“ --
-
-
-
-
-Leiser Besuch
-
-
- Eine treue Seele lag
- still zuhaus mit krankem Leibe;
- zwischen ihren Fingern staken
- zwei drei blühende Weidenzweige,
- und die Sonne schien aufs Bett.
-
- Zögernd rührte sich die Hand,
- tastete nach meinem Haupt;
- aus den sanften Blütenfasern
- fiel der gelbe Samenstaub,
- wie am Morgen unsrer Liebe.
-
- Trat ein Mädchen blaß herein,
- brachte eine blasse Rose,
- legte die gebeugte Blume
- nieder neben meinem Schooße,
- wie zum Abend unsrer Liebe.
-
- Folgte eine hohe Frau;
- rot von Nelken eingefaßt
- duftete in ihrem Arme
- goldgelb eine Ananas,
- wie der Mittag unsrer Liebe.
-
- Und die treue Seele sprach:
- Sieh, aus allen Himmelsstrichen
- bringt mir heute deine Liebe
- Frucht und Blüten und Gerüche.
- Und ihr stiller Ausblick stach
- uns ins Herz.
-
-
-
-
-Der Strauß
-
-
- Nun nimm drei weiße Nelken du,
- mein Weib. Und du, Geliebte, nimm
- diese drei roten noch dazu.
- Und in die nickenden Nelken tu
- ich eine dunkelgelbe Rose.
-
- Seht: ist es nicht ein lockender Strauß,
- ganz Eins aus diesem schwarzen Tuch?
- Und sieht so farbenfriedsam aus.
- Und nur von doppeltem Geruch:
- die je drei Nelken und die Rose.
-
- Nein, laßt! entzweit den Stengelbund
- nicht! laßt! Sonst scheint so kalt und tot
- blos Gelb zu Weiß, und glüht so heiß
- und brennt so wild blos Gelb zu Rot;
- dann, ja, dann hass ich wohl die Nelken!
-
- Dann hass ich wild das zahme Weiß
- und hasse kalt die rote Glut,
- wohl bis zur Mordlust! Ja, es tut
- mir weh, daß von Geruch und Blut
- so reizend gleich sind alle Nelken!
-
- Was willst du so entsetzt? Nein, bleib,
- Geliebte, nimm, still seh ich zu:
- nimm jetzt die weißen Nelken Du!
- und die drei roten Du, mein Weib!
- und ich die dunkelgelbe Rose.
-
-
-
-
-Finale
-
-
- Da hast du dich von meiner Brust gelöst.
- Doch als ich fürchtete, das Fest sei aus,
- hobst du mir meinen Kranz auf,
- meinen Kranz auf.
-
-
-
-
-Vierter Teil
-
-
-
-
-Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr
-
-
- Du weißt, Poet -- begann der Tempelherr
- und lächelte durch seinen weißen Bart --
- ich las sie auf vom Weg, die jetzt mein Weib ist.
- Und daß sie, wider Sitte und Gesetz
- des Ordens, mitging nach Jerusalem
- und nicht den Weg zurückging, den sie kam,
- -- ich selber hieß sie mitgehn --: das ging +so+ zu.
-
- Wir trugen schon das Abschiedswort im Sinn,
- es war an einem heißen Frühlingstag,
- schier blendend flimmerte das junge Gras,
- und die Gefallne ließ es still geschehen,
- daß ich mit ihr den Pfad vom Schloß zum Ufer,
- wo andern Tags das Schiff anlegen sollte,
- gleichsam zur Herzensübung niederstieg.
- Der Pfad bog sehr abschüssig hin und her;
- ich brauchte sie, die stets wie ich gewillt war
- -- ihr Herzschlag geht dem meinen völlig gleich --
- kaum mit der Hand zu stützen, so gefaßt
- vermied sie jeden lockern Stein im Gras,
- als sie auf einmal fest um meinen Arm griff.
- Dicht vor uns sonnte sich, beinah berührt
- von meinem Schuh, auf einem Blütenkelch
- des gelben Löwenzahns, ein saugender
- ganz trunkner Schmetterling, ein Trauermantel.
- Nun flog er taumelnd weg, zum nächsten Kelch,
- dicht vor uns her, wir sahn ihn weitersaugen,
- kaum atmend beide, wenn die bleichgesäumten
- tiefschwarzen Flügel vor Entzücken zuckten,
- und immer weiter so, von Kelch zu Kelch,
- dicht immer vor uns her den Pfad hinab,
- fast bis zum Fluß; da krigte ihn der Wind
- und blies ihn fort, wir blieben stehn im Wind.
-
- Und plötzlich sieht, durch diesen Schmetterling
- mir vorgerückt, vor meinem innern Blick
- ein jahrelang vergessner Tag: ein Herbsttag.
- Ich bin bei einem Freund, Einsiedler ist er;
- er war’s -- man wußte nicht warum -- geworden,
- an Jahren konnt er gut mein Vater sein.
- Wir sind verloren in Gedanken; draußen
- zerzaust der Bergwind seinen Blumengarten.
- Er macht sein Bett, ein seltsam ungeschlachtes,
- nach Bauernart bemaltes Ehebett;
- da klopft es an die Tür. Er geht und öffnet;
- und vor der Klause steht, bei seinen Blumen,
- zerzaust wie sie, in schlechter schwarzer Tracht,
- ein altes Weiblein, elend, scheu, verkommen,
- das blickt ihn bettelnd an. Ich seh ihn noch:
- auf seine große Stirne treten Flecken
- wie von Faustschlägen, seine Finger beben,
- die guten blauen Augen glänzen grausig,
- er sagt: geh weg! ich kenne dich nicht mehr.
- Er will die Tür zudrücken, sie versperrt sie:
- Ich hab nur Dich geliebet! bettelt sie.
- Er tritt zurück, die rote Stirn wird blaß,
- die Augen kalt, er sagt: geh weg, du lügst.
- Sie schleppt sich nach: Verzeih mir! bettelt sie.
- Er sagt noch kälter: ich verzeih dir, geh.
- Da faßt sie seine Hand, und wieder fliegt
- der grauenhafte Glanz durch seine Augen --
-
- Du hast mich nit verstanden, Meiner! fleht sie:
- ich war -- Doch eh sie enden kann, erbebt
- der ganze breite Mann: Verstanden? schreit er
- und hebt die Faust, ich will zuspringen, da:
- laut schluchzend, Blut ausschluchzend vor ihn hin
- knickt sie zusammen, schluchzt sie auf zu ihm:
- ich war ein armer Schmetterling im Wind! --
- Da hat er sich mit mir gebückt zu ihr
- und nahm das alte Weiblein an sein Herz
- und trug sie weinend in ihr altes Bett;
- drin ist sie lächelnd andern Tags verstorben.
-
- Nun weißt du -- endete der Tempelherr
- und lächelte durch seinen weißen Bart --
- warum, Poet, trotz Sitte und Gesetz
- des Ordens, sie, die jetzt mein Weib ist, nicht
- den Weg zurückging, den sie zu mir kam.
- Ich sagte ihr am Morgen meiner Abfahrt,
- was mir in jenem stillen Augenblick,
- als wir am Fluß im Wind beisammenstanden
- -- sie hatte mich mit keinem Hauch gestört,
- ihr Atem geht dem meinen völlig gleich --
- vor meinem innern Blick gestanden hatte,
- und hieß sie mitgehn nach Jerusalem.
-
-
-
-
-Der Verbannte
-
-
- Durch die fremde Stadt
- geht mir eisig der Wind nach,
- der die Birken bewegte,
- der die Schneeglöckchen schüttelte,
- als ich die Heimat verließ.
-
- Durch die fremde Stadt
- kommt mir sonnig ein Bild entgegen:
- eine Mutter mit ihren Kindern,
- die vor Frühlingsfreude glühn.
-
-
-
-
-Unterwegs
-
-
- Vor meinem Lager liegt der helle
- Mondschein auf der Diele.
- Mir war, als fiele
- auf die Schwelle
- das Frühlicht schon;
- mein Auge zweifelt noch.
-
- Und ich hebe mein Haupt und sehe,
- sehe den fremden Mond
- in seiner Höhe
- glänzen. Und ich senke,
- senke mein Haupt und denke
- an meine Heimat.
-
-
-
-
-Heimatgruß
-
-an Hans Thoma zu seinem 60. Geburtstag
-
-
- Wo die Heimat liegt,
- das ist mir erst aufgegangen
- im fremden Land.
- O, mit welchem Bangen
- schaue ich manchmal vom Fenster herunter
- durch die enge Hafengasse
- wie von einer Festungsterrasse
- auf den kahlen Inselrand
- da mitten in dem grauen Fluß!
- Doch geht die Sonne unter,
- dann steigen durch den Rauch und Ruß
- der lauten Dampfschiffe und dunkeln Schornsteine
- die Nebel wie reine Geister;
- und immer mahnt mich das an Deine
- Insel, Hans Thoma,
- du heimatseliger Meister.
-
- An die Insel, die du gemalt hast
- -- wie du mir selbst erzählt hast -- aus Heimweh,
- wo hold und heiter, ohne Heimweh,
- unter den schlanken, gen Himmel breiten,
- stillen Bäumen Deines Landes
- Frauen und Männer schlichten Gewandes
- in Eintracht mit stolzen Tieren schreiten,
- geweihten Hirschen, frei laufenden Pferden,
- und rings mit sorglosen Geberden
- schaukeln auf den wirbelnden Wogen
- Liebespaare, von Schwänen gezogen --
- wirklich, dann glaub ich, so muß es wohl sein
- auf deiner Insel bei Frankfurt am Main,
- oder wo sonst deine Heimat liegt;
- denn daß der Schwarzwald dich großgewiegt,
- das ist mir nicht immer gleich im Klaren,
- denn auf einmal liegt dann zwischen den Stämmen
- meine eigne Heimat, der Wald von Kremmen,
- und ich schaue auf Wiesen, worüber sich fern
- im Nebel Himmel und Erde paaren,
- und suche kindlich den höchsten Stern --
- bis mich das Heulen der Hafensirenen
- aufstört aus meinem Sinnen und Sehnen.
-
- Doch Einmal, ja, da +sah+ ich den Stern:
- -- noch war in der Luft kein Rauch und Lärm,
- die Morgenröte küßte den Fluß,
- und die kahle Insel schien aufzuleben --
- da sah ich fern den Genius
- aller Heimat darüber schweben:
- leicht aus dem Wölkicht kam er einher
- mit ruhigen Flügeln durchs himmlische Meer,
- kaum die kräftigen Schwungfedern spreitend,
- auf einer durchsichtigen Kugel gleitend,
- drin spiegelte sich die bunte Erde
- samt meiner überraschten Geberde:
- den Stern, den trug er als Blume in Händen,
- kein Gewand um die hellen Lenden,
- eine Einsicht auf dem Jünglingsgesicht
- wie im Traum, im Halbtraum, ich weiß es nicht --
- so flog er, ohne sich umzuwenden,
- an der fremden Insel vorüber,
- aus der Heimat
- in die Heimat
- hinüber ...
-
-
-
-
-Hoher Mittag
-
-
- Da ich nun in Einsamkeiten
- träume von dem goldnen Land,
- von den fernen Seligkeiten
- unerfüllbar schöner Zeiten,
- und der blaue Kreis der Weiten
- weiter sich und weiter spannt,
-
- rührt auf einmal mich ein Bangen:
- Sonne, welchem Ziele zu?
- tief und tiefer ein Verlangen:
- Urquell meiner Sehnsucht du!
-
-
-
-
-Stimme im Licht
-
-
- Dunkles Herz,
- dunkles Herz,
- was bebst du denn?
- Sieh doch die Nacht glänzen;
- dir lebt ein Licht in den Weiten,
- zu allen Zeiten,
- über Grenzen,
- da kann kein Mond, kein Stern hinan!
- Dulde nur deine Dunkelheiten
- ohne Schmerz:
- ein andres Herz
- möchte in deinem Schatten ruhn.
- Brauchst kaum durch seine Träume zu beben,
- alle Himmel fühlt ihr dann in euch schweben;
- dunkles Herz,
- dunkles Herz,
- wie strahlst du nun!
-
-
-
-
-Nachtgebet
-
-
- Du tiefe Ruh,
- laß deinen Schleier sinken,
- und schling dein dunkles Haar um meine Brust,
- und laß mich deinen Atem trinken,
- Du,
- bis alle meine Lust
- und letzter Schmerz in einen Hauch verschweben,
- den deine Lippen mir vom Herzen heben,
- dann laß mich deinen Kuß erleben,
- du tiefe Ruh.
-
-
-
-
-Durch die Nacht
-
-
- Und immer Du, dies dunkle Du,
- und durch die Nacht dies hohle Sausen;
- die Telegraphendrähte brausen,
- ich schreite meiner Heimat zu.
-
- Und Schritt für Schritt dies dunkle Du,
- es scheint von Pol zu Pol zu sausen;
- und tausend Worte hör ich brausen
- und schreite stumm der Heimat zu.
-
-
-
-
-Masken
-
-
- Du bist es nicht, du greiser Tempelritter
- im Panzerkleid, auf das die Kerzenstrahlen
- des bunten Saals mit täuschendem Gezitter
- geheimnisvolle Charaktere malen;
- dein Blick ist schwarz, laß das Visier nur zu!
- Du bist es nicht -- doch Ich bin Du.
-
- Du bist es nicht, Zigeuner mit der Geige,
- der wild sein Lied läßt in die Zukunft bluten.
- Dein roter Bart ist kraus wie Urwaldzweige,
- um die rauchprasselnde Frühfeuer gluten.
- Dein Blick ist grau; laß nur die Maske zu!
- Du bist es nicht -- doch Ich bin Du.
-
- Du bist es nicht, Traumkönigin. Seerosen
- trägst du im wolkendunkeln Haargeflechte,
- und keuschen Asphodellos, und Skabiosen,
- die sanfter blühn als purpursanfte Nächte.
- Dein Blick ist braun; laß deinen Schleier zu!
- Du bist es nicht -- doch Ich bin Du.
-
- Du bist es nicht, mein blonder Puck. Dein Röckchen
- ist viel zu kurz für deine Mädchenbeine;
- man sieht es doch, daß dein hell Klingelstöckchen
- ein Totenköpfchen krönt, du freche Kleine.
- Dein Blick ist stahlblau; laß dein Lärvchen zu!
- Du bist es nicht -- doch Ich bin Du.
-
- Und Du, bist Du’s, du Domino im Spiegel,
- in dessen Blick die Farben meerhaft schwanken,
- du masken+los+ Gesicht? Zeig +her+ das Siegel,
- das mir ausdrückt den Grund deiner Gedanken!
- Bin ich das selbst? Ausdruck, du nickst mir zu.
- Grundsiegel -- Maske -- Bin Ich Du? --
-
-
-
-
-Nacht für Nacht
-
-
- Still, es ist ein Tag verflossen.
- Deine Augen sind geschlossen.
- Deine Hände, schwer wie Blei,
- liegen dir so drückend ferne.
- Um dein Bette schweben Sterne,
- dicht an dir vorbei.
-
- Still, sie weiten dir die Wände:
- Gieb uns her die schweren Hände,
- sieh, der dunkle Himmel weicht --
- Deine Augen sind geschlossen --
- still, du hast den Tag genossen --
- dir wird leicht -- --
-
-
-
-
-Lied vor Tag
-
-
- Was bewegt dich, stiller Himmel?
- Was beschwingt die schweren Wolken?
- Herz, wie kommt die helle Höhe
- übers tiefgraue Meer?
-
- Durch die Wolken schwebt ein Vogel;
- schwebt vorbei mit hellen Flügeln,
- trägt die goldne Morgenröte
- übers tiefgraue Meer.
-
- Komm zurück, du goldner Vogel!
- Nimm mich hoch in deine Höhe!
- Trag mein Herz, du helle Hoffnung,
- übers tiefgraue Meer!
-
-
-
-
-Gondelliedchen
-
-
- Bitte, bitte, Vögelchen:
- Schiffchen hat ein Segelchen,
- segelt übers Meer:
- Vögelchen, komm her!
- Komm und setz dich, laß dich wiegen,
- warum willst du immer fliegen,
- machst es dir so schwer!
-
- Singe, kleiner Passagier!
- Wenn die großen Wellen krachen,
- wird dein Lied uns ruhig machen;
- still vergessen wir
- Erde, Mensch und Tier.
-
-
-
-
-Griechische Pfingsten
-
-
- Wie anders nun! -- Ihr blumigen Auen,
- ihr wilden Berge: irrt mein Geist?
- Bin ich nicht jüngst mit heiligem Grauen
- durchs blaue Meer zu trunknem Schauen
- ins Land der Mythe hergereist?
-
- Nun grast hier hinter krüppligen Säulenstümpfen,
- vorbei an ausgegrabenen Götterrümpfen,
- mein müder Klepper mit Gestöhn.
- Man blickt noch manchmal zurück nach ihnen:
- man sieht, es sind und bleiben Ruinen --
- aber +ihr+, ihr Berge, seid ewig schön!
-
- Drum still, du graue Mythe,
- mit deinem trüben Sinn!
- Ganz Hellas steht in Blüte,
- noch heut, so wahr ich bin!
- Hier lernt man heiter schreiten:
- über den Schutt der Zeiten
- geht immergrün die Zeit dahin.
-
-
-
-
-Eine Rundreise in Ansichtspostkarten
-
-
-1. Straßburger Münster
-
- Der Ansicht aller Welt zum Trotz
- steht dieser Turm und krönt -- was? -- einen Klotz.
- Er stand beim jungen Goethe sehr in Gunst
- als Voll-und-Höchstbeweis echt deutscher Kunst.
- Er steht, wie ihn der alte Goethe sah,
- noch heut höchst unvollendet da.
-
-
-2. Rheinfall bei Schaffhausen
-
- Blickst du ihn an, so wird dir wirr
- von all dem stürzenden Flutgeirr.
- Doch horch hinein, da steigt vom Grund
- klar ein steter Einklang und
- Aufklang.
-
-
-3. Gotthard-Tunnel
-
-Klänge im Eilzug
-
- Über der Einfahrt grausen verquollen
- eisige Gipfel durch Wolken herab.
- Unter der Ausfahrt weisen die Schollen
- finstrer Felsen zu nebelvollen
- Schluchten und neuen Schachten hinab.
- Immer durchs Dunkel von Stollen zu Stollen
- fühlst du dich immer dem Licht zurollen,
- und so setzt dich endlich mit tollen
- Sprüngen der Himmel ins Blaue ab.
-
-
-4. Isola Bella
-
- Das konnten wohl die seligen Inseln sein,
- wenn’s nicht auch hier, wenn’s regnet, regnete.
- Wie arme Sünder schaudern die Cypressen
- vor ihrem Spiegelbild im trüben See;
- und während sich des Himmels Gnade reichlich
- auf sie und mich und übers Schiff ergießt,
- steht, einem Engel ähnlich an Geduld,
- mit höchster Höflichkeit mein Haupt beschirmend,
- ein Doganiere neben mir und prüft
- bis auf den Grund mein zollpflichtschuldiges Herz.
-
-
-5. Mailand
-
- Und ward dir vor den tausend Heiligen schwach,
- die, eitel Marmor, rings den Dom garnieren,
- dann steige auf sein flaches Dach,
- das neunundneunzig einzelne Türmchen zieren.
- Das wird dich, Alles Marmor, wie ein Hain
- kandierter Weihnachtsbäumchen delektieren --
- auf einmal siehst du fern im Sonnenschein
- die Alpen -- --
-
-
-6. Certosa bei Pavia
-
- Schmuckkästlein schlichter Einsamkeit:
- hinter der Prachtwand der Fassade
- bat mancher Mönch in weiser Schweigsamkeit
- die Jungfraun Borgognones einst um Gnade.
- Jetzt möcht ich in den leeren Klausen
- mit dir, Geliebte, noch verschwiegner hausen.
-
-
-7. Genua
-
- Kaufherrin stolze: immer strahlenbreiter
- trägt sie bergan die meerentnommene Krone,
- und ihr geringstes Frachtschiff fährt heut weiter
- als je die kühnste Doria-Traumgallione.
-
-
-8. Campo Santo in Pisa
-
- Geisterhafter Bildertraum
- dehnt den schmalen stillen Raum.
- Sieh: das Viereck der Arkaden
- strebt den Himmel einzuladen.
- Horch: der Erde reinsten Hauch
- opfert stumm ein Rosenstrauch
- voller weißer Blüten.
-
-
-9. Orvieto
-
- Willst du den Tag der Auferstehung sehn,
- den Signorelli sah? Komm, Seele: dort
- staun sich Gewitterwolken, schon ziehn Schatten.
- Bald werden um dies trotzige Felsennest
- durchs weite Talfeld der Chiana unten
- die schrägen Strahlen der verhüllten Sonne
- fahl wie aus Gräbern aufgescheuchte Schemen
- nach Zuflucht schweifen, taumelnd, und nun fährt
- der Blitz dazwischen -- o Erleuchtung -- ja:
- dort sah der Künstler, was er dann nur malte.
-
-
-10. Campagna vor Rom
-
- Hier spannt sich alles, Landschaft, Bäume, Tiere,
- als habe sich die Welt zur Ruh gezwungen;
- erwartungsvoll ist jede Form geschwungen,
- die Hörner selbst der silbergrauen Stiere.
- Denn dort am Horizont hebt einsam groß,
- so einsam groß, daß auch die Berge nur
- Mitglieder sind der staunenden Natur,
- das Haupt der Ewigen Stadt sich zum Azur:
- die Peterskuppel Michelangelos.
-
-
-11. Im Pantheon
-
- Wer faßt dein Innres, Rom: du Kirchhof der Kulturen:
- Verwesung glänzt darin mit immer frischen Spuren.
- Im Pantheon zumal, kraft göttlicher Beschlüsse,
- erlebt man wundersame Grundwasser-Überflüsse.
- Durch solch ein Wunder sah ich: auf einer Altarplatte
- saß eine magre Katze, die sich gerettet hatte.
- Kläglich miauend saß sie, begafft vom Fremdenstrom;
- da hast du deine Göttin, modernes Rom!
-
-
-12. In den Abruzzen
-
- Endlich dem Bann der Museen entronnen,
- fand ich Italien auf eigne Faust schön;
- fand ohne Baedeker goldene Sonnen,
- silberne Monde, in Tälern, auf Höhn.
- Fand auch ein Räuberpaar, in einer Grotte,
- spät eines Abends, im wilden Wald,
- raubten sich Küsse, die haben geknallt:
- ~siamo felici nel cuor della notte~!
-
-
-13. Pontinische Sümpfe
-
- Die Sterne flimmern; schwül schweigt das Moor
- längs der langen Straße zur Nacht empor.
- Längs der langen Straße, schwarz im Düstern,
- ragen und raunen die hohen Rüstern.
- Längs der langen Straße, wie aufgereiht
- von einer zur andern Unendlichkeit,
- raunen die Rüstern fiebertrunken:
- dreiunddreißig Städte ruhn hier versunken
- längs der langen Straße ...
-
-
-14. Neapel
-
- „Neapel sehn und sterben“ -- in der Tat:
- dies Paradies des Pöbels ist zum sterben.
- Sehr sichtbar, echter Lazzaronistaat,
- liegt’s wie ein blendender Haufen Scherben
- am Riesenmaulwurfshügel des Vesuv,
- den Gott gewiß aus reinem Mordsspaß schuf.
-
-
-15. Pompeji: Haus des tragischen Dichters
-
- Was klagst du, Menschheit! Sieh, allerseelenvollst
- lacht dir das Leben, und komisch nickt der Tod:
- Da steht zerbröckelt des Dichters Gastgemach,
- sein Werk und Name verbrannten im Lavaschutt,
- aber das Brautpaar seines Wandgemäldes
- entdeckt noch immer das Nest voll Liebesgöttchen,
- wie’s Tausende Paare noch entdecken werden,
- wenn dieses ausgegrabene Machwerk längst
- wieder in Lavaschutt versenkt sein wird.
-
-
-16. Auf Capri
-
- Trotz aller reisenden christlichen Tugendbünde
- ist hier noch Raum für einige heitre Sünde.
- Trotz Badehose gleicht in der blauen Grotte
- ein schmieriger Fischer einem silbernen Gotte.
- Trotz Zeitung, Polizei und meckernder Ziegen
- kann noch an mancher Klippe ganz verschwiegen
- der Faun die Nymphe beim Schlafittchen kriegen.
-
-
-17. Bergstraße von Amalfi nach Salerno
-
- Europas reichste Damen
- karriolen den Felsweg her,
- hoch zwischen Himmel und Meer;
- immerfort wechselt der Rahmen.
- Großartig wechselt der Rahmen;
- hoch zwischen Himmel und Meer
- erwartet ein Bettlerheer
- Europas reichste Damen.
-
-
-18. Bahn nach Potenza
-
- Und keiner ist verächtlich und schwach genug,
- daß nicht auch ihn aufrüttelnd ein Stolz durchzuckt,
- wenn durchs Gebirg auf dröhnender Bahn der Zug
- hinstürmt von Viadukt zu Viadukt.
- Denn hier hat Menschenarbeit Bogen an Bogen,
- Triumphbogen durch die Natur gezogen.
-
-
-19. Valle del Basente
-
- Straße und Brücke verfallen,
- das steinige Flußbett trocken;
- meine Schritte hallen
- laut auf Trümmerbrocken.
- Und erschüttert erbeben
- verdorrte Uferbäume --
- Land, wo ist dein Leben?
- Volk, was träumst du für Träume?
-
-
-20. Erster Klasse nach Brindisi
-
- ~Scusa, Signora e Monsignore!~
- und ich nehme Platz im Coupé, con amore.
- Der Priester scheint auf Kohlen zu sitzen,
- die Dame strotzt von Juwelen und Spitzen.
- Der Priester rückt in die äußerste Ecke,
- die Dame bückt sich, und ich entdecke:
- sie versteckt ein besudeltes Dingrichs.
-
-
-21. Corfu
-
- Also auch hier wühlen Hühner und Schweine
- in verwahrlosten Gärten und Auen.
- Aber wenn wir’s von ferne beschauen,
- läutert der Lichtgeist alles Gemeine.
- Weiter und weiter schreit’ich ins Reine,
- und der Oliven verwilderte Haine
- überrauschen das menschliche Grauen.
-
-
-22. Pontikonisi
-
- Weiß steht das Kirchlein aus der blauen Flut,
- Cypressen laden ein zur Himmelsreise.
- Sacht naht der Fährmann mit der irdischen Speise;
- ein Glöckchen tönt, das Ruder ruht.
- Wärst Du, Geliebte, nicht auf Erden,
- ich könnte Mönch auf diesem Eiland werden.
-
-
-23. Bergweg bei Patras
-
- Ein Schrei -- fast stürzt mein Pferd -- und aufgebäumt
- ums Felseck biegend seh ich: schluchzend reißt,
- im Staub knieend, mit aufgelöstem Haar,
- und schreiend -- oh, so schrie Medea einst,
- als Jason sie aus Überdruß verließ --
- reißt sich ein schönes griechisches Bauernmädchen
- die türkische Jacke von den nackten Brüsten
- -- Papiergeld fliegt -- und weg von ihr bergab
- jagt im Galopp, in klirrender Kutsche hockend,
- ein schlotternder Stadtherr, häßlich wie ein Mops.
-
-
-24. Olympia
-
- Apollon, der die Tiermenschen bezwang,
- jetzt als ein Giebelbruchstück ausgestellt,
- begleitet mich durchs Tempeltrümmerfeld
- und spricht gen Sonnenuntergang:
- Lapithen und Kentauren ruhn im Sumpf,
- Faustkämpfer preist die Menschheit auch nicht mehr,
- noch aber übermannt euch seelenschwer
- der Schatten selbst von diesem Säulenstumpf.
-
-
-25. Tempel bei Bassä
-
- Wohl stehn noch stolz die morschen Säulenschäfte
- ob Steingeröll und niedern Krüppel-Eichen
- und sind, indeß Eidechsen und Blindschleichen
- den kletternden Hufen meines Gauls ausweichen,
- in dieser Höhenluft ein rührendes Zeichen
- himmlischen Aufbegehrs der irdischen Kräfte,
- doch rührender rings die tausend Nachtigallen,
- die durchs Geläut der käuenden Ziegen schallen.
-
-
-26. Burg und Stadt Karytäng
-
- Schmettert, ihr Nachtigallenheere,
- helft meine Kavalkade befeuern!
- dort oben herrschte einst Ritterehre,
- schuf Herzogskronen aus Abenteuern!
- Aber die griechischen Rosse wollen
- nur noch zur Futterkrippe trollen.
-
-
-27. Herberge vor Tripoliza
-
- Hier gibt es Alles: Wasser, Häcksel, Mist,
- Strohsack und Wanzen -- blos Laternen fehlen.
- Schon aber geht ein frommer griechischer Christ
- ein Licht aus der Dorfkirche stehlen.
-
-
-28. Nauplia
-
- Ein toter Esel fault im Straßengraben,
- am Tor ein Hund.
- Ein Stadtsoldat schleckt sich an Honigwaben
- die Zunge wund.
- Mit schmachtenden Blicken hockt ein Rudel Knaben
- am Mauerwall. Und jedes Auge laben
- unzählige wilde Blumen, märchenbunt.
-
-
-29. Wiesen bei Argos
-
- Das sind die Blumen aus dem Morgenland:
- Sie leuchten aus der Ferne wie durch Schleier,
- sie schimmern seidner als ein Festgewand,
- sie duften reiner als die Braut dem Freier.
- Sie scheinen in der Nähe dir bekannt;
- es glimmt in ihren Kelchen wie ein Feuer,
- das auch in Dir wohl einst, o einst gebrannt.
- Du pflückst davon. Doch scheu und scheuer
- stockt deine Hand:
- du träumst die Blumen heim ins Morgenland.
-
-
-30. Mykenä
-
- Auf einmal schleppt mich Frau Historia
- durch wüst Gerümpel und beginnt zu melden:
- das Löwentor -- die Burg -- die Agora -- --
- Was? Hier, hier hausten die homerischen Helden?
- Weg! In der Dichtung ists ein Göttersaal,
- hier wirds zum Hottentottenkraal.
-
-
-31. Akrokorinth
-
- Stahlblau erfunkeln mir zwei Meere,
- Waffen funkeln durch meine Gedanken,
- wild sich kreuzend, alle die blanken
- Klingen der Krieger, die dort versanken,
- Griechen, Slawen, Türken, Franken,
- Landeskinder und Söldnerheere --
- funkeln -- und um zerstürzte Paläste
- von Strand zu Strand über Tempelreste
- den Berg herauf zur verfallenden Feste
- brandet Begeistrung und füllt das Leere.
-
-
-32. Bei Salamis
-
-Fischerlied
-
- Ruhe dich, Schiffchen: hier werfen wir Netze.
- Hier wurden vom Ahnherrn ertränkt die Barbaren.
- Drum schenkt uns das Meer heut fetten Fisch --
- ruhe dich, Schiffchen ...
- Hundert Heilige wurden für uns gemartert.
- Fremde Lords sind gestorben für unsre Freiheit.
- Drum schenkt uns der Himmel heut weichen Wind --
- ruhe dich, Schiffchen ...
-
-
-33. Athen
-
- Die Muse spricht: Narrt mich ein Fiebertraum?
- Stellt nicht dort unten das Theater noch,
- der Felswand angeschmiegt am heiligen Abhang,
- traut wie ein Schwalbennest, den Weltkreis vor?
- Was sucht der Herr da, der den Staub beriecht,
- wo einst der Feldherr saß, der Opferpriester?
- Und hier, wo ehmals steilgestreifte Säulen,
- schwarz wie der Styx, rot wie geronnen Blut,
- dem blauen Äther, der sie bleichte, trotzten,
- hier steht gar einer und studiert den Schutt?
- O Wunder, daß noch Meer und Himmel leuchten!
-
-
-34. Fahrt zum Parnassos
-
- Vom Dampf des Schiffes, den die Hitze ballt,
- verhüllt: was strahlt aus buntem Dunst herbei?
- so weiß! -- was träumte mir? -- ein Gipfel -- drei --
- ein Kranz von Gipfeln strahlt den Dunst entzwei --
- so weiß strahlt nur der ewige Schnee -- so frei --
- +Ist’s+ der Parnaß?! -- Flieh, schwüle Träumerei!
- Hinauf! dort oben ist es kalt.
-
-
-35. Delphi
-
- Mein Dämon spricht: Auf Delphi ruht ein Fluch,
- da laß uns still vorübergleiten.
- Mir deucht, wir hatten schon zu Olims Zeiten
- an dem Orakel in uns selbst genug.
-
-
-36. Zwischen Leukas und Ithaka
-
- Durch dieses Meer trieb einst in irrer Not
- Odysseus seinem treuen Weib entgegen.
- Durch dieses Meer trieb wild im Liebestod
- Sapphos zerbrochner Leib der Nacht entgegen.
- Durch dieses Meer treibt nun im Morgenrot
- mein Herz, Geliebte, +Dir+ entgegen.
-
-
-37. Albanische Küste
-
- Die Küste weicht; ich seh mein Schiff mit beiden
- Bugseiten durch die Flut, die tiefblau glatte,
- wie durch geschliffnen Stein sich vorwärts schneiden,
- so undurchsichtig glänzt die spiegelglatte.
- Ich wende mich und seh im Glanz auf beiden
- Kielseiten ferne Höhenzüge scheiden;
- da schwimmen sie wie sagenhafte satte
- Seekühe, die sich an der Bläue weiden.
-
-
-38. Hafen von Ancona
-
- Zwischen zwei Vorgebirgen lauscht der Wind,
- der sanften Gruß bringt von der Abendsonne,
- ob Stadt und Hafen wohlgebettet sind.
- Er fragt ein Heiligtum, worob es sinnt,
- einst der Frau Venus Haus, jetzt der Madonne,
- und alle Glocken künden voller Wonne:
- In goldner Wiege ruht ein himmlisch Kind.
-
-
-39. Assisi
-
- Wallfahrer haben mir den Weg gezeigt;
- im öffentlichen Garten rasten wir,
- und mancher blickt dem heiligen Dichter gleich
- beseligt auf zum lieben Bruder Himmel.
- Ein junges Weib nur blickt verstört ins Land,
- durch das ein Zug lobsingender Mönche wandelt.
- Am Rand des Gartenberges die Cypressen
- stehn wie erstarrte schwarze Flammen da,
- und plötzlich regt sich eine wie entsetzt
- vor dieses Himmels bleiglutblauer Last.
-
-
-40. Perugia
-
- Sei gesegnet, ruhiger Ort!
- Frommer Ahnen Meistergilde
- schuf aus rauhem Felsgebilde
- für die Enkel dies Gefilde;
- kannst du zürnen, Gott der Milde,
- wenn sie nun ins Ewige fort
- unter den Akazien wandeln,
- nur noch schauen, nicht mehr handeln?!
-
-
-41. Am Trasimenischen See
-
- Was wohl die Unken klagen
- dort um das alte Kastell?
- Daß da mal Römer lagen
- von Hannibal erschlagen?
- Daß da den Troubadouren
- von denen adligen Huren
- vertrommelt ward das Fell?
- Man muß nicht immer fragen,
- um was die Unken klagen;
- die Frösche lachen hell.
-
-
-42. Florenz
-
- Du Allerschönste, Liebling aller Welt,
- einst manchem Herrn, jetzt jedem Gaffer feil,
- und immer noch von Zier und Reiz geschwellt,
- so lehnst du stolz auf hehrem Ruhebett,
- dein Haupt wie eines Turmes Zinne steil,
- dein Schooß wie offne Rosen lebensfroh,
- und gar den Busen schmückt als Amulett
- die heilige Kunst des Fra Angelico.
-
-
-43. Ravenna
-
- Ravenna! rief die Inbrunst: gib mir Raum!
- was brütest du auf Gräbern Tag und Nacht?
- Und Grüfte wölbten sich zu Farbenhimmeln,
- in denen tausend Malerseelen träumen,
- und über denen Dante wacht.
-
-
-44. Venedig: Punta della Salute
-
- Hier möcht ich sterben, alt, wie Tizian starb,
- doch in verhängter Gondel und allein.
- Durch einen Spalt nur glühn im Abendschein
- verwitterte Paläste glorienfarb.
- Schlaftrunken schaut die Wasserfläche drein
- und haucht mir eine Seelenruhe ein,
- die niemals um ein ewiges Dasein warb.
- So möcht ich sterben ... aber leben: nein!
-
-
-45. Verona
-
- Auf des Amphitheaters höchstem Rand
- ruht nach vollbrachtem Tagewerk ein Kerl,
- die braune Stirn noch voller Schweißgeperl,
- und läßt sich trocken glühn vom Sonnenbrand.
- Ein simpler Steinmetz, der wohl kaum verstand,
- wozu sein Flickwerk an dem alten Loch,
- und hat wie Herkules geschuftet doch;
- jetzt aber faullenzt er ob Stadt und Land,
- als sei kein Gott so frei wie Er vom Joch.
-
-
-46. Wanderstraße am Etsch
-
- Arbeitsleute schreiten vor mir schwer,
- immer schwerer dröhnt bergan ihr Schritt:
- aus der Ferne graut die Fremde her.
- Pfeifend halt ich ihnen gleichen Tritt,
- Strom und Straße schweigen immer mehr:
- aus der Ferne blaut die Heimat her --
- und auf einmal pfeifen alle mit.
-
-
-47. Sirmione am Gardasee
-
- ~Avanti!~ -- Heiter wie des Südens Luft
- soll dich mein Abschiedsgruß, du liebliche
- Halbinsel, die Catull besang, umwehn.
- Hell greifst du durch den blauen See nach Norden,
- gleich einer gastlich hingestreckten Hand
- gefüllt mit Veilchen, Immergrün und Frucht.
- Doch daß auch ernster Schmuck dir wohlsteht, zeigt
- gleich einer Spange am Gelenk das düstre
- Kastell, von dessen Söller mich der Ruhm
- des jungen Bonaparte grüßt -- ~Avanti!~
-
-
-48. Hochfeiler am Brennerpaß
-
- Heiß auf kalter Höhe mach ich Rast,
- von den Gletschern kommt ein leichter Hauch,
- kommt und geht, und lichter Rauch
- wird mir all die fremde Last,
- von der Völkerstraße her die Hast,
- und die Sehnsucht nach der Heimat auch.
-
-
-49. Innsbruck
-
- Die Berge glänzen klar im Kreis,
- die Luft im Tal ist menschenheiß.
- Ich trete in den alten Dom,
- ich atme tief den Dämmerstrom.
- Erzbilder schimmern durch den Raum,
- ich träume einen Himmelstraum;
- und langsam neigen sich die Stirnen
- der ehernen Ritter vor den fernen Firnen.
-
-
-50. Konstanz
-
- Im offnen Garten ist Konzert am See,
- der Geist Beethovens schwebt von Stern zu Stern;
- tief unter Brücken schweigt die Wasserfee,
- hoch über Türmen schweigt der Alpenschnee,
- schweigt Stern bei Stern, schweigt wie seit je;
- und immer noch Konzert, Konzert am See --
- o Beethoven, wozu der Lärm?! --
-
-
-51. Spezgart bei Überlingen
-
- Von Schlucht und Halde weichen Morgenschleier,
- die Erde dampft der Sonne ihren Dank.
- Hier trieben wir, Geliebte, Frühlingsfeier;
- es herzte Trieb an Trieb sich frei und freier,
- bis über unsre Abschiedsfeier
- der pfirsichblütne Abend sank.
- Nun sind die Früchte reif zum Willkommtrank.
-
-
-52. Stein am Rhein
-
- Klosterfrieden, Weltbehagen,
- lacht hier noch Italiens Glanz?
- Buntbemalte Giebel tragen
- frei Boccaccios Fabelkranz.
- Stromschnell naht das heimatstete
- Schiff, mit Gästen angefüllt.
- Wenn doch jetzt Gesang herwehte!
- Da: weiß Gott, man singt -- man brüllt
- die „Wacht am Rhein“ ...
-
-
-53. Triberg im Schwarzwald
-
-Stimme der Heimkehr
-
- Urweltsprache dröhnt im Wasserfall,
- läßt kein Menschenwort herdringen;
- was denn hör ich durch den Schwall
- doch wie Muttersprache klingen? --
- Nicht ein Vogelstimmchen hallt,
- nur die alten Wipfel schwingen;
- Welt, ich fühle wieder deutschen Wald,
- höre deutsche Quellen singen! --
-
-
-54. Heidelberg
-
- Das alte Schloß ... Man zankt sich wohlgesinnt
- im Akademischen Kulturverein:
- Ist’s zu erneuern? -- wie! -- halb? ganz? -- ja! nein!
- Der will das „Wesen“ wahren, Der den „Schein“,
- Jeder lügt Leben in den toten Stein
- und schilt die Andern wahrheitsblind.
- Ich sehne mich nach einem Menschenkind,
- das garnichts will als ganz natürlich sein.
-
-
-55. Bingen am Rhein
-
- Du kleine Stadt am Strom, mir weltengroß,
- dir dank ich meine Mutter, dir das Weib,
- das mir so lieb ist wie mein eigner Leib,
- ich williger Pilgersmann von Schooß zu Schooß.
- Du Strom, du großer, spiegelst du mein Los?
- du kleine Welle, meinen Weltverbleib?
- Eilt nicht auch ihr mit Seel und Leib
- von Schooß zu Schooß,
- von Bergesschooß zu Meeresschooß?! --
-
-
-
-
-Wiedersehn
-
-
- Eh du kamst, schienen mir
- alle Schiffe im Hafen
- Unheil zu brüten
- auf der steigenden Flut.
-
- Und nun lächelst du ihnen,
- weil mein Blick drauf geruht hat;
- und ich lache ihnen,
- weil Dein Blick drauf geruht hat;
- und alles ist gut.
-
-
-
-
-Siegerin
-
-
- Mit deinem Lächeln bewältigst du die Nacht:
- ich fühl’s um deine Lippen schweben
- und sehe Sterne aufgehn in meiner Seele.
-
- Mit deinem Lachen bewältigst du den Tag:
- ich seh’s aus deinen Augen strahlen
- und fühle die Sonne in mich versinken.
-
-
-
-
-Letzte Bitte
-
-
- Lege deine Hand auf meine Augen,
- daß mein Blut wie Meeresnächte dunkelt:
- fern im Nachen lauscht der Tod.
-
- Lege deine Hand auf meine Augen,
- bis mein Blut wie Himmelsnächte funkelt:
- silbern rauscht das schwarze Boot.
-
-
-
-
-Zweier Seelen Lied
-
-
- Lieber Morgenstern,
- lieber Abendstern,
- ihr scheint zwei
- und seid eins.
-
- Ob der Tag beginnt,
- ob die Nacht beginnt,
- findet euer Schein
- in uns Zweien die Liebe wach.
-
- Lieber Abendstern,
- lieber Morgenstern,
- hilf uns Tag für Tag
- eins sein, bis die letzte Nacht uns eint.
-
-
-
-
-Psalm zweier Sterblichen
-
-Von Ida und Richard Dehmel
-
-
-Der Mann:
-
- Göttin Zukunft,
- mit gefesselten Händen hältst du
- eine geschlossene Schriftrolle,
- drin mein Schicksal verzeichnet steht.
- Langsam, Tag für Tag,
- ringe ich deinen Fingern
- Zoll für Zoll die Urkunde ab,
- Zeile für Zeile.
- Bis der Augenblick kommt,
- wo das entrollte Papier,
- eh ich das letzte Wort noch las,
- meinem erschöpften Arm entfällt;
- und mit gefesselten Händen
- gibst du den Winden zur Sage anheim,
- was ich tat.
-
-
-Das Weib:
-
- Schicksalsgöttin,
- ich liege vor dir auf den Knieen.
- Du hältst in deinen, ach, gefesselten Händen
- eine goldene Tafel,
- drin die Namen nur derer eingegraben stehn,
- die Unvergeßliches taten.
- Auf den Knieen, Schicksalsgöttin,
- bitte ich dich:
- Laß mich nicht ins Namenlose versinken!
- Spreng deine Fesseln -- oder
- nur einen Augenblick
- reich mir die goldene Tafel,
- und neben die Runen der Helden und der Weisen
- schreibe ich hinsinkend:
- Ich liebte.
-
-
-
-
-Im Geiste
-
-
- Ich steh im Geiste an ein Grab geführt,
- wo Eine ruht, die so beseelend lebte,
- daß ich nicht glauben kann, ihr Geist entschwebte;
- ich steh wie einst vor ihr, so rein gerührt.
-
- Und dort steht Einer, dessen Auge schürt
- noch reiner an, was damals in mir bebte;
- er wars, der zart ihr Reinstes mir verwebte,
- und steht nun starr, als hätt er’s nie gespürt.
-
- Du Hüter dieses heiligen Grabes, wehre
- der Andacht nicht, die Geist dem Geist hier weiht;
- es bebt in dir wie mir das seelvoll Leere.
-
- Die wirren Zeiten haben uns entzweit;
- hier aber rührt uns Klarheit, und ich kehre
- vereint mit dir den Blick zur Ewigkeit.
-
-
-
-
-Nachglanz
-
-
- Einst geliebte Seele,
- immer noch empfundne,
- sternklar weist die Nacht mir Weiten,
- die auch dich umschließen,
- du entschwundne.
-
- Gütig glänzen wieder
- alle Lichter oben,
- die uns je zu gleicher Andacht
- von der trüben Erde
- auferhoben.
-
- Einsamkeit und Dunkel
- sind nun nicht mehr Qualen.
- Dankbar betet Seel in Seele:
- Sterne, all ihr Sterne,
- helft uns strahlen!
-
-
-
-
-Verewigung
-
-
- Freund in der Ferne, wer du auch seist,
- Flüchtling auf der Erde wie ich,
- die wir zwischen den Sternen hausen,
- du ein Unvergänglicher,
- ich ein Unvergänglicher,
- weil wir’s fühlen --
- sieh, ich feire eine Seelenbefreiung.
- Ich sitze am Sarg einer lieben Gestalt,
- wie ich an manchem Sarg schon saß
- und an manchem noch sitzen werde:
- ich habe geweint, ich lächle.
- Diese liebe Gestalt wird bald zerfallen;
- nie mehr wird ihr Mund mir Rätsel aufgeben,
- ihre Hand mir die Stirnfalten lösen,
- nie wieder werden ihre Augen
- mir die Sonne ins Herzdunkel spiegeln.
- Nichts wird weiterleben von ihrer schlanken Erscheinung,
- nichts als ein Schemen in meinem Gedächtnis,
- bald verdrängt durch ihr Bild von fremder Malershand,
- durch viele andre Schattenbilder,
- und auch die werden alle zerfallen.
- Nur was sie seelvoll zusammenhielt,
- was uns zusammenhält noch beide,
- warum wir Blick in Blick einst erbebten:
- nur das wird bleiben zwischen den Sternen,
- wird immer neue Gestalt annehmen,
- wird warten, daß auch ich mich verwandle,
- bis wir einander wieder erscheinen
- in den Schaaren der Ätherdämonen,
- wieder erbeben.
- Dann werden wir uns wohl begrüßen
- wie einst auf Erden das erste Mal:
- uns nicht erkennend, nur beglückend,
- viel zu beseligt der neuen Gegenwart,
- als daß wir alter Zeiten gedächten.
- Und werden uns wohl wieder wundern,
- im stillen fühlend: das letzte Mal,
- da haben wir geweint zusammen,
- da mußten wir uns noch befreien --
- jetzt lächeln wir, jetzt lächeln wir --
- wir Unvergänglichen -- --
-
-
-
-
-Am Ufer
-
-
- Die Welt verstummt, dein Blut erklingt;
- in seinen hellen Abgrund sinkt
- der ferne Tag,
-
- er schaudert nicht; die Glut umschlingt
- das höchste Land, im Meere ringt
- die ferne Nacht,
-
- sie zaudert nicht; der Flut entspringt
- ein Sternchen, deine Seele trinkt
- das ewige Licht.
-
-
-
-
-Aufrichtung
-
-
- Hörst du Nachts die leere Stille schallen?
- Tote Seelen rufen dich von fern.
- Eine aber war dir wert vor allen;
- o, nun möchtest du vor Schmerz ihr folgen,
- ihr und ihrem unsichtbaren Herrn.
- Und du kannst nicht fassen,
- daß du weiterlebst,
- daß du deinen Arm zur Abwehr
- hoch ins Dunkel hebst;
- und auf einmal schweigt es,
- und mit frommen Händen
- legst du deinen Schmerz auf einen Stern.
-
-
-
-
-Heilige Nacht
-
-
- Es steht ein Stern, der leuchtet klar,
- von Nacht zu Nacht, schon tausend Jahr.
- Es kommt ein trüber Wandersmann,
- an eine Stalltür klopft er an.
-
- Wer bist du, Mann? was suchst du hier?
- Ich suche Gott in Mensch und Tier.
- Dann tritt herein, hier kannst du sehn
- Ochs, Esel und ein Lämmlein stehn.
-
- Ein Lämmlein wie im Paradies;
- ein Knäblein streichelt ihm das Vlies.
- Das Knäblein sitzt auf Mutters Schooß,
- hat Augen wie der Stern so groß.
-
- Es sieht der trübe Wandersmann
- die stolze Magd, den Knaben an.
- Ja, sieh nur in die Augen sein,
- da siehst du Gottes Glorienschein!
-
- Ich ächzte wie ein Tier fürwahr,
- indeß ich lag und ihn gebar;
- nun krönt auch mich der Schöpferglanz,
- so schön ist keiner Jungfrau Kranz!
-
- Es steht der Wandersmann und sinnt;
- es lacht die Magd und herzt ihr Kind.
- Das Lämmlein leckt an ihr hinauf;
- Ochs, Esel stehn und horchen auf.
-
- O Mutter Gottes, höre mich an,
- mich vielversuchten Gottesmann!
- Vor deiner Schönheit könnt ich fliehn,
- vor deiner Wahrheit lieg’ich auf den Knien.
-
- Ich ging auf Erden hin und her:
- es hieß, daß Gott gestorben wär.
- Doch siehe da: von jeder Magd
- wird er aufs neu zur Welt gebracht.
-
- Nun bin auch ich ein Gottessohn;
- +o Mutter, nimm dies Lied zum Lohn+!
- Es steht ein Stern schon tausend Jahr
- und leuchtet noch wie einst so klar.
-
-
-
-
-Evas Klage
-
-
- Stern im Abendgrauen,
- laß dein bleich Erschauern;
- laß mich endlich ruhig
- heim gen Eden trauern.
-
- O Eden, mein Eden,
- Garten meiner Träume,
- warum gab mir Gott den Anblick
- deiner Frühlingsbäume!
-
- Deine Sommerfluren
- hat er nicht behütet;
- in den stolzen Garben
- hat der Blitz gewütet.
-
- In dein Herbstgefilde
- ist der Sturm gekommen,
- hat mir von den Ästen
- Frucht auf Frucht genommen.
-
- Warum sang der Frühling,
- sang von seligem Wandern
- nur auf Blumenauen,
- sang von einem seligen Andern!
-
- Ach, er kam, der Andre,
- kam mit Glut und Flammen;
- über meinen Blumen
- schlugen sie zusammen.
-
- Lachend aus der Asche
- hat er mich getragen.
- In der kalten Fremde
- hat ihn Gott erschlagen.
-
- Winter ist geworden.
- Ach, ich möchte weinen.
- Aber seine Seele
- lacht noch in der meinen.
-
- Still auf seinem Grabe
- will ich warten, warten;
- meine Kinder irren
- suchend nach dem Garten.
-
- O mein Garten Eden,
- verlornes Eden,
- o Eden, mein Eden,
- stehst du denn noch offen?
- Bis zur letzten Stunde
- will ich auf dich hoffen!
-
- Magst du, Gott, mich töten,
- mag mein Traum verglühen,
- aber meinen Kindern muß er
- neu erblühen!
-
- Laß dein bleich Erschauern,
- Stern im Abendgrauen!
- Endlich kann ich ruhig
- heim gen Eden schauen.
-
- Magst du, Stern, versinken,
- mag ich selbst vergehen:
- meine Kinder werden
- Eden wiedersehen.
-
-
-
-
-Eines Tages
-
-Phantasieen zweier Liebenden
-
-
-Morgen
-
- „Auf, mein schwarzer Zaubrer, auf,
- eile, spinne Gold, es tagt,
- schmücke deine stolze Magd!
- Laß die Strahlen nicht verwittern,
- die dem Morgenstern entsplittern!
- Heute Mittag muß die Erde
- sich entzücken am Geschnauf
- deiner wilden Siegespferde!
- Auf, mein goldner Zaubrer, auf!“
-
- Laß mich träumen, Zauberin,
- sprich mir nicht vom Tag der Schlacht;
- nimm die Strahlen, spinn sie, spinn.
- Mich verstört das Marktgepränge,
- wo die Erze vor der Menge
- zur verstaubten Sonne dröhnen.
- Überirdisch ist die Nacht,
- wo die heimlichen Gesänge
- meiner zahmen Schlangen tönen;
- sprich mir nicht vom Tag der Schlacht,
- laß uns träumen, Zauberin,
- nimm den ganzen Himmel hin ...
-
-
-Mittag
-
- „Aber jetzt, mein Held, mein Sieger,
- komm, mein König, komm, mein Krieger,
- gib dich nicht den Gaffern preis!
- Wirf sie weg, die blanken Bälle,
- die so kalt, so gläsern klingen
- und vor Hitze fast zerspringen;
- führe mich an eine Quelle,
- dies Getümmel riecht nach Schweiß!
- Komm, was stehst du bei den Leuten,
- du ermattest nur im Schwarm;
- und bis Abend muß dein Arm
- noch ein drittes Reich erbeuten!“
-
- Königin, du störst mein Spiel.
- Auf mein Volk herabzusehen,
- wahrlich, das war nicht mein Ziel.
- Schau: in diesem kleinen Ball,
- weiß man ihn nur recht zu drehen
- und das wird man bald verstehen,
- spiegelt sich das große All.
- Spiele mit! Komm, Siegerin,
- nimm den ganzen Erdball hin ...
-
-
-Abend
-
- „+Ist+ hier nicht das dritte Reich?
- ach, mein rascher Pilger, säume!
- Bannt dich nicht der dunkle Teich,
- über den die Lilienbäume
- ihren süßen Atem breiten?
- Und schon naht der Elefant,
- drauf der Buddha Ewigkeiten
- über unsre Seelen spannt.
- Ja, mein Zaubrer: spiele! träume!“
-
- Pilgerin, mir kommt ein Bangen;
- siehst du nicht im bunten Laube
- jene großen Schlangen hangen,
- die mir fremd sind? und ich glaube,
- daß sie Träumern Unheil brüten.
- Ahnst du nicht, wonach ich suche?
- Nicht nach üppigem Geruche!
- laß uns wachen, Pilgerin!
- Brich dir eine dieser Blüten;
- und, im Haar die weiße Blume,
- folge mir zum Heiligtume,
- nimm die Ewigkeit da hin ...
-
-
-Nacht
-
- „Willst du mich denn +nie+ erhören?
- Nennst du dazu mich die Deine,
- um mich langsam zu zerstören?
- Ich zerfalle fast in Stücke;
- wohin führt nun diese Brücke,
- die der Mond in Schatten legt?
- Immer neue Meilensteine!
- ich bin müde! mich bewegt
- keine Liebe mehr zum Ruhme,
- auch zu keinem Heiligtume;
- nimm mir aus dem Haar die Blume --
- sieh, mein Einziger, ich weine.“
-
- Weine, weine, wein es aus!
- O, nun darf ich mich dir beugen,
- Weib, dort schimmert unser Haus.
- Hinter jener hellen Scheibe,
- nur noch Seele, nur noch Sinn,
- die du bist und der ich bin,
- werden wir mit nacktem Leibe
- einen neuen Menschen zeugen --
- o du Meine, nimm mich hin!
-
-
-
-
-Eine Lebensmesse
-
-Dichtung für ein festliches Spiel
-
-
-Chor der Greise:
-
- Wenn der Mensch,
- der dem Schicksal gewachsen ist,
- sein zerfurchtes Gesicht
- vor der Allmacht der Menschheit beugt,
- nur noch vor der Menschheit:
- dann wird seine Seele wie ein Kind,
- das im Dunkeln mit geschlossenen Augen
- an die Märchen der Mutter denkt.
- Alle Sterne
- werden dann sein Spielzeug;
- durch das wilde Feuerwerk der Welt
- kreist er furchtlos mit den unsichtbaren
- mütterlichen Flügeln,
- sieht er innig und verwundert zu,
- wie das Leben
- aus der Werkstatt des Todes sprüht.
- Denn nicht über sich,
- denn nicht außer sich,
- nur noch in sich
- sucht die Allmacht der Mensch,
- der dem Schicksal gewachsen ist.
-
-
-Eine Jungfrau:
-
- Aber wenn auf Frühlingswegen
- durch den scheinbar dürren Hain
- alle Kräuter mir entgegen
- wachsen, wenn im Sonnenschein
- jedes Auge Osterkerzen
- aus sich ausstrahlt, Mensch und Tier,
- und mir geht das so zu Herzen,
- daß mich meine Brüste schmerzen:
- dann gerat ich außer mir!
- und ich werf mich zum Erbarmen
- in den rauhen Rasen hin,
- und ich möchte das Schicksal umarmen,
- dem ich doch gewachsen bin!
-
-
-Chor der Väter:
-
- Eine wandelnde Wage
- ist der Mensch.
- Mit Haupt, Herz, Händen
- wägt er sein Wohl;
- nur mit der Rechten gibt er den Ausschlag,
- und seine Zunge schreit nach Gleichgewicht.
- Fass festen Fuß,
- du hast die Macht der Wahl!
- Es kommen Viele
- vor Sehnsucht nie zum Ziel;
- gern bis zum Äußersten geht der Mensch
- in seiner Ohnmacht, und Tat wird Untat.
- Doch immer treibt ihn
- die Sehnsucht nach Ruhe:
- rastlos rast er von Brust zu Brust,
- Schooß zu Schooß,
- und sucht nichts als den Menschen,
- der dem Schicksal gewachsen ist.
-
-
-Ein Held:
-
- Kommt mir nicht mit Euerm Treiben,
- ich weiß kein Ziel, ich will kein Wohl!
- ich habe nur dies mein Herz im Leibe,
- das von jeher überschwoll.
- Ich hatte Freunde, ich gab Gelage,
- und manches Weib war mir zu Sinn;
- aber an einem Sommertage
- zeigte sich mit Einem Schlage,
- wozu Ich gewachsen bin.
- Das Spiel der Hörner und der Geigen
- verstummte plötzlich wüst und irr:
- mitten durch den Erntereigen
- kam ein losgerissener Stier.
- Und da riß mich mein Herz vom Platze,
- und man griff nach mir vor Schreck;
- aber mit Einem Satze
- schlug ich dem Freund in die Fratze,
- stieß ich das Weibsbild weg!
- Und jetzt reit ich von Sieg zu Siegen
- bahnfrei auf meinem Stier dahin,
- bis ich dem Schicksal erliege,
- dem ich gewachsen bin.
-
-
-Chor der Mütter:
-
- Mit Schweiß und Tränen
- und manchem Tropfen Blut
- setzen wir Kinder auf diese Erde
- und lehren sie Vorsicht
- und üben Nachsicht,
- bis sie sich selbst mehr lieben als uns.
- Und Schweiß und Tränen
- und Ströme von Blut
- vergießen die Kinder dieser Erde
- vor lauter Vorsicht
- und lehren Nachsicht
- und lernen nie, was Liebe ist.
- Denn Schweiß und Tränen
- und alles Blut
- vergessen wir entzückt, wenn Einer,
- den Blick der Sonne oder fernsten Sternen zugewandt,
- über die Erde hinstürmt ohne Vorsicht,
- ohne Nachsicht,
- über sich und Andre hin.
- Jeder Lehre zuwider,
- nur dem Leben zu Liebe,
- rühmen wir Kindern und Kindeskindern
- opferselig den Einen,
- schöpferselig den Menschen,
- der dem Schicksal gewachsen ist.
-
-
-Eine Waise:
-
- Ich kenne Keinen,
- der mich will leben sehn:
- ich möchte weinen,
- aber um wen!
- Bald kommt der Herbst mit seinen Stürmen,
- die Blätter schwirren;
- wo werd’ich irren,
- wenn sie den winzigsten Gewürmen
- Heimstätten türmen?
- Wohl stehn mir Hütten,
- Paläste offen;
- aber ich möchte mein Herz ausschütten,
- Einem ins Herz zu wachsen hoffen,
- und dann stehn die Menschen betroffen.
- Könnt ich noch weinen,
- wäre mir wohl zu Sinn;
- ich kenne Keinen,
- dem ich gewachsen bin.
-
-
-Zwei erfahrene Sonderlinge:
-
- Wenn uns Hilferufe schmerzen,
- können wir nicht abseits bleiben;
- eins und gleich ist unsern Herzen,
- was uns treibt und was wir treiben.
- Sei getrost!
-
-
-Der eine allein:
-
- Komm an meinen stillen See,
- wenn die Menschen dich nicht wollen.
-
-
-Der andre allein:
-
- Komm auf meinen wilden Strom!
- sieh, wie hell die Wellen rollen!
-
-
-Der Eine:
-
- Aber unten ist es dunkel;
- komm an meinen stillen See!
- Bis zum Grunde welch Gefunkel,
- wenn die Sonne taucht ins Feuchte;
- und in Nächten welch Geleuchte,
- Welten flimmern auf wie Schnee!
- Kannst du dich denn noch besinnen,
- wenn dir alle Himmel winken?
- wenn sie dir zu Füßen sinken
- und dich spiegeln und dich trinken!
- Lächelnd gehst du unter drinnen.
-
-
-Der Andre:
-
- O, du kannst dich noch besinnen;
- aber komm auf meinen Strom!
- Da rauscht und raunt der Urton drinnen,
- dem Wellen, Wolken, Wälder, Zinnen,
- Berge und Burgen entgegenrinnen,
- und orgelstürmisch Dom auf Dom:
- der Ton des Ursprungs aller Ziele,
- der Tropfenstürze um dich her,
- des Abgrunds unter deinem Kiele --
- Und so gehst du mit klingendem Spiele
- lachend auf ins große Meer!
-
-
-Die Waise:
-
- Auf --! Ach --: weise -- lieb und weise
- lachen sie mich Beide an.
- Ach, wem dank ich für die Reise?
- Bin ich doch nur +eine+ Waise,
- die sich nicht zerreißen kann!
-
-
-Die zwei Sonderlinge:
-
- Hahahah, du liebes Kind!
- Ohne Einfalt ist am Ende
- alle Weisheit taub und blind.
- Komm: vereine unsre Hände --
-
-
-Die drei Einigen:
-
- die dem Schicksal gewachsen sind!
-
-
-Der Held:
-
- Wenn ich Euch in Eintracht sehe,
- wird mir plötzlich kalt und heiß;
- durch mein Herz brandet ein Wehe,
- das sich nicht zu lassen weiß.
- Holt mir jene Jungfrau vom Wege,
- der das Land zu eng war hier!
- Schwillt mir Deren Herz entgegen,
- will ich sie an Mein Herz legen,
- und ich +schlacht+ ihr meinen Stier!
- Und wir steigen zu Schiff und lenken
- uns durch Wetter und Wasser und Wind;
- und sie soll mir Kinder schenken,
- die dem Schicksal gewachsen sind!
-
-
-Chor der Kinder:
-
- Dann wird ein Winter kommen,
- friert alles Wasser zu:
- da haben alle Wellen,
- alle Schifflein Ruh.
- Und ein stiller Weihnachtsengel
- geht von Haus zu Haus,
- hebt seine weißen Finger,
- dreht alle Lampen aus ...
- Bringt ein grünes Bäumchen mit,
- steckt neue Lichter auf;
- das glänzt wie Frühlingsblütennacht,
- und sind auch Früchte drauf.
- Du stiller Weihnachtsengel,
- mach uns geschickt wie Du!
- wir sind ja noch so klein, so klein,
- und wachsen immer zu ...
-
-
-Die Greise:
-
- -- +immer zu+ -- --
-
-
-Alle Großen:
-
- Seele der Menschheit,
- immer wieder
- rührst du uns aus Kindermund.
- Die du alle Tiere in dir trägst
- und den Blumen ihre Farben sagst
- und mit jauchzenden Jammerlauten,
- daß sich Steine verwandeln,
- Götter gebärst:
- Warum suchen wir Dich,
- die du +in+ uns bist,
- uns in alle Welten schickst,
- uns mit Übergewalten,
- die den weisesten Mann empören,
- zu Kindern machst,
- die sich fromm in Alles schicken,
- Alles, Alles,
- die dem +Schicksal+ gewachsen sind?! --
-
-
-
-
-Zwiegesang überm Abgrund
-
-
-Des Todes Stimme:
-
- Du pfadloser Sucher,
- ich will dich heimfinden lassen.
- Im Schneesturm, im Nebelbrodem,
- im Blitzstrahl, im Wolkenbruch,
- im berauschenden Wirbel des Lichts von Welle zu Welle
- sollst du dich schaukeln traumgewiegt,
- in jeder Luftspiegelung zuhause,
- in jedem Steinfunken, jedem Samenflimmer,
- ruhsamer Phönix im fliegenden Feuernest:
- tu nur den Schritt jetzt, vor dem dir graut,
- zu dem dein Grauen dich kniefällig lockt,
- den einen Sprung von deinem erkrochenen Gipfel
- in meine allbeschwingende,
- allverschlingende,
- unerschöpfliche Tiefe.
-
-
-Eines Menschen Erwiderung:
-
- Versucher, zielloser du,
- ich danke dir.
- Hab ich nicht schon, was du alles versprichst?
- Die Jagd durchs Luftmeer vom frühen Morgen an,
- die Entzückung, mich wie ein Baum zu fühlen,
- wenn ich die Arme ins Blaue strecke,
- vogelleicht atmend mit heißen Lungenflügeln,
- wurzelhafte Schwermut im Nerven- und Adern-Geflecht,
- Kopf, Herz, Schooß voller Keimtriebe!
- Und hab ein Ziel:
- bei der Heimkehr Abends in stiller Kammer
- den dunkeln Blick meiner lieben Frau,
- mit dem sie mir den Schlaftrunk reicht,
- einen irdnen Krug voll Milch oder Wein
- und voll Ruhe.
-
-
-
-
-Am Opferherd
-
-
- Komm an mein Feuer, mein Weib,
- es ist kalt in der Welt.
- Komm an mein Feuer und lege
- dein Ohr an mein Herz.
- Komm an mein Feuer und mache aus meinen Händen
- eine leuchtende Schale für die Wärme,
- die wir -- o +wir+, mein Weib -- verschwenden
- an die Welt.
-
-
-
-
- Zwei Menschen
-
- Roman in Romanzen
-
- Dritte Ausgabe
-
-
-
-
-Leitlied
-
-
- Öffne still die Fensterscheibe,
- die der volle Mond erhellt;
- zwischen uns liegt Berg und Feld
- und die Nacht, in der ich schreibe.
- Aber öffne nur die Scheibe,
- schau voll über Berg und Feld,
- und hell siehst du, was ich schreibe,
- an den Himmel schreibe: Wir Welt!
-
-
-
-
-Erster Umkreis
-
--- Die Erkenntnis --
-
-
-
-
-Eingang
-
-
- Steig auf, steig auf mit deinen Leidenschaften,
- tu ab die lauliche Klagseligkeit;
- lach oder weine, hab Lust, hab Leid,
- und dann recke dich, bleib nicht haften!
- Um den Drehpunkt des Lebens kreisen
- Wonne und Schmerz mit gleichem Segen;
- sieh, mit unaufhaltsamer Sehnsucht weisen
- die Menschen einander Gott entgegen!
- Stolpert auch Jeder über Leichen,
- schaudre nicht davor zurück!
- denn es gilt, o Mensch, ein Glück
- ohne gleichen zu erreichen.
-
-
-
-
-Vorgänge: I, 1-36
-
-
-1.
-
- Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;
- der Mond lauft mit, sie schaun hinein.
- Der Mond läuft über hohe Eichen;
- kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
- in das die schwarzen Zacken reichen.
- Die Stimme eines Weibes spricht:
-
- Ich trag ein Kind, und nit von Dir,
- ich geh in Sünde neben dir.
- Ich hab mich schwer an mir vergangen.
-
- Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
- und hatte doch ein schwer Verlangen
- nach Lebensinhalt, nach Mutterglück
- und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,
- da ließ ich schaudernd mein Geschlecht
- von einem fremden Mann umfangen,
- und hab mich noch dafür gesegnet.
- Nun hat das Leben sich gerächt:
- nun bin ich Dir, o Dir, begegnet.
-
- Sie geht mit ungelenkem Schritt.
- Sie schaut empor; der Mond läuft mit.
- Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.
- Die Stimme eines Mannes spricht:
-
- Das Kind, das du empfangen hast,
- sei deiner Seele keine Last,
- o sieh, wie klar das Weltall schimmert!
- Es ist ein Glanz um alles her;
- du treibst mit mir auf kaltem Meer,
- doch eine eigne Wärme flimmert
- von dir in mich, von mir in dich.
- Die wird das fremde Kind verklären,
- du wirst es mir von mir gebären;
- du hast den Glanz in mich gebracht,
- du hast mich selbst zum Kind gemacht.
-
- Er faßt sie um die starken Hüften.
- Ihr Atem küßt sich in den Lüften.
- Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.
-
-
-2.
-
- Die Sonne strahlt auf rauhen Reif;
- Baum bei Baum steht weiß, steht steif.
- Aus ihren Pelzen von Kristallen
- lassen die Zweige Tropfen fallen.
- Schon zeigt ein Wipfel nackte Spitzen,
- die feucht und scheu gen Himmel blitzen.
- Der Park will weinen, die Sonne lacht;
- zwei Menschen beschauen die schmelzende Pracht.
- Sie stehn auf eisernem Balkone.
- Ein Mann sagt innig, sagt mit Hohn:
-
- So, Fürstin, wars im blendenden Saale.
- So standest du bei deinem Gemahl
- in deinem Pelz von Silberbrokat,
- als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat.
- Da: fühlst du’s noch? was war da ich,
- der hergeschneite Unbekannte --
- und wie sich plötzlich außer sich
- dein Auge doch in meines brannte
- und immer nackter sich entspannte,
- als ob im glitzernden Gehölze
- das Schwarze aus dem Weißen schmölze.
- Ja, Fürstin, da beherrscht ich mich
- und küßte nicht, o Du, die Hand,
- die schon zu mir herüberfand,
- sonst hätt ich auch den Mund geküßt;
- so klar, so starr ergriff mich dein Gelüst,
- mit mir gleich zwei erschütterten Kristallen,
- die mächtig warm das ewige Licht beschlich,
- in Einen Tropfen zusammenzufallen.
- So bist du mir; so rein, so frei! -- Und ich??
-
- Hoch steht der Park mit Eis befiedert.
- Die starren Wipfel, Trieb an Trieb,
- erschauern wirr. Das Weib erwidert:
- Ich weiß nicht, wie du bist -- du bist mir lieb --
-
- Ein Windstoß stöbert durch den Park.
- Zwei Menschen fröstelt bis ins Mark.
-
-
-3.
-
- Aus erleuchteten Fensterräumen
- tönt in die Nacht Musik und Tanz;
- jenseits der Straße verschwimmt der Glanz
- unter dunklen Trauerbäumen.
- Ein Kirchhof schweigt da, Grab an Grab.
- Das Licht prallt von den Leichensteinen,
- die schwarz durch weiß zu huschen scheinen;
- zwei Menschen wandeln auf und ab.
- Am winterlich durchnäßten Zaune
- tönt eines Weibes zögerndes Geraune:
-
- Schon Einmal wollt sich bei solchen Klängen
- Einer in mein Innres drängen;
- ich hatt ihn Jahr und Tag gekannt.
- Wenn er in meiner Nähe stand,
- ging mir das Blut in Feuerflüssen.
- Als er mich endlich wagte zu küssen,
- war alles in mir abgebrannt.
- Ich hörte nur die Tanzmusik:
- was er wie Sphärenklang empfand,
- war mir Gedudel und Gequiek.
- Ich konnt mir nit ein Wörtchen abringen.
- Jetzt -- hör ich Engelsharfen klingen.
-
- Von den goldig glänzenden Lettern
- der Gräber scheint der Glanz abzublättern,
- das Licht schielt um die nassen Gitter.
- Ein Mann gesteht, fast mit Gezitter:
-
- Wir haben einander sehr ähnlich gelebt.
- Unsre Liebe tanzt auf Leichen,
- die keine fromme Hand begräbt.
- Noch gestern sah ich ein Gesicht erbleichen:
- sie will vom Leben nichts als mich,
- ich konnt ihr nichts als Mitleid reichen,
- in das sich noch Verachtung schlich.
- Ich liebe dich.
-
- Das Licht lacht auf den blanken Steinen.
- Zwei Menschen möchten lachen und weinen.
-
-
-4.
-
- Zwischen geputzten Herren und Damen,
- die durch Zufall zusammenkamen,
- wiegen zwei Menschen sich im Tanz;
- um sie rauscht des Saales Glanz.
- Bebend legt sich im Kreis der Kerzen
- sein dunkles in ihr schwarzes Haar,
- legt sich über zwei bebenden Herzen
- an ihr Ohr sein Lippenpaar:
-
- Ja, du: wiege dich, laß dich führen,
- und fühl’s, fühl’s: Niemand kann uns trennen!
- Laß uns nichts als Uns noch spüren,
- selig Seel in Seele brennen!
- Zehn Jahr lang glaubt ich, daß ich liebte;
- zu Hause sitzt mein Jugendglück,
- sitzt und starrt auf Einst zurück,
- als ich sie noch „ewig“ liebte.
-
- Nimm mich, wiege mich! -- Hingegeben
- bringt sie jetzt ihr Kind zur Ruh;
- ist auch +mein+ Kind! -- Nimm mich, Leben,
- wiege, wiege mich, führ mich Du!
-
- Taumelnd drängt sich im Kreis der Kerzen
- sein wirres in ihr wirres Haar,
- drängt sich über zwei taumelnden Herzen
- an sein Ohr ihr Lippenpaar:
-
- Ja, es wiegt uns! Nit erzählen!
- Führe mich sanfter! Nit uns quälen!
- du bist mir gut, ich bin dir gut.
- Hab doch auch die Seel voll Schmerzen:
- spür ein Kindchen unterm Herzen,
- und ist nicht von Deinem Blut.
- Sanfter noch -- mir braust vor Hitze;
- komm, sei lieb, mein wilder Tor,
- hüte deine Augenblitze --
- nick mal -- lach mal -- mir ins Ohr!
-
- Ihr schwarzes Haar erschauert ganz.
- Zwei Menschen wanken; es stockt ihr Tanz.
-
-
-5.
-
- Hitze schwingt. Ein Raum voll Schlangen
- strömt durch Glas und Gitterstangen
- Dunst; zwei Menschen stehn davor.
- Die gesättigten Gewürme hängen
- still in buntverflochtnen Strängen.
- Einem Manne haucht ein Weib ins Ohr:
-
- Du, die Schlangen muß ich lieben.
- Fühlst du die verhaltne Kraft,
- wenn sie langsam sich verschieben?
- Eine Schlange möcht ich mir wohl zähmen;
- möcht ihr nit ein Gliedche lähmen,
- wenn ihr Hals vor Zorn sich strafft.
- Eh sie noch vermag zu fauchen,
- werden ihre Augen nächtig --
- Sterne tauchen
- wie aus Brunnenlöchern auf --
- setz ich ein Rubinenkrönche
- auf ihr Stirnche: still, mei Söhnche,
- züngle, Jüngle -- Ringle, lauf,
- spiel mit mir! -- Du, Das wär prächtig.
-
- Hitze schwingt. In gleichen Zwischenräumen
- tippt ihr Finger an die Scheibe;
- ihre Augen stehn in Träumen.
- Während sich zwei Vipern bäumen,
- sagt ein Mann zu einem Weibe:
-
- Du mit deinem egyptischen Blick,
- bist du so wie die dadrinnen?
- Noch, du, kann ich dir entrinnen!
- Daraus knüpft man sein Geschick,
- was und wie man haßt und liebt.
- Komm: wir wollen uns besinnen,
- daß es Tiere in uns giebt!
-
- Hitze schwingt. Zwei Augen wühlen
- brandbraun in zwei grauen kühlen;
- doch die stählt ein blauer Bann.
- Und zwei Seelen sehn sich funkelnd an.
-
-
-6.
-
- Durch stille Dämmrung strahlt ein Weihnachtsbaum.
- Zwei Menschen sitzen Hand in Hand und schweigen.
- Die Lichter züngeln auf den heiligen Zweigen.
- Ein Mann erhebt sich, wie im Traum:
-
- Ich kann zu keinem Gott mehr beten
- als dem in dein-und-meiner Brust;
- und an die Gottsucht der Propheten
- denk ich mit Schrecken statt mit Lust.
- Es war nicht Gott, womit sie nächtlich rangen:
- es war das Tier in ihnen: qualbefangen
- erlag’s dem ringenden Menschengeist.
- O Weihnachtsbaum -- o wie sein Schimmer,
- sein paradiesisches Geflimmer
- gen Himmel züngelnd voller Schlänglein gleißt!
- Wer kann noch ernst zum Christkind beten
- und hört nicht tiefauf den Propheten,
- indeß sein Mund die Kindlein preist,
- zu sich und seiner Schlange sprechen:
- du wirst mir in die Ferse stechen,
- ich werde dir den Kopf zertreten!
-
- Ein Weib erhebt sich. Ihre Haut
- schillert braun von Sommersprossen;
- ihr Stirngeäder schwillt und blaut.
- Sie spricht, von goldnem Glanz umflossen:
-
- Ich denk nicht nach um die Legenden,
- die unsern Geist vieldeutig blenden;
- ich freu mich nur, wie schön sie sind.
- „Uns ist geboren heut ein Kind“ --
- das klingt mir so durch meine dunkelsten Gründe,
- durch die zum Glück, dank einer Ahnensünde,
- auch etwas Blut vom König David rinnt,
- daß ich mich kaum vor Stolz und Wonne fasse
- und deine Schlangenfabeln beinah hasse!
-
- Er lächelt eigen; sie sieht es nicht.
- Ein Lied erhebt sich, fern, aus dunkler Gasse.
- Zwei Menschen lauschen -- dem Lied, dem Licht.
-
-
-7.
-
- Kaminfeuer und blauer Tag
- liebkosen ein hohes Damengemach,
- die Wärme scheint schier frühlingshell;
- zwei Menschen ruhn auf einem Eisbärfell.
- Der Mann bestarrt die meergrün seidnen Wände.
- Das Weib faßt zärtlich seine Hände:
-
- Quälst dich schon wieder mit Alltagssachen?
- Lukas! mein Traumprinz! sollst doch lachen!
- Sollst uns mit Märchennamen taufen:
- nit so hinterm Leben herlaufen,
- nit so häßlich auf deiner Hut sein.
- Weißt? wenn du lachst, Lux, muß alle Welt dir gut sein!
-
- Er lacht und küßt die schmeichelnden Fingerspitzen,
- fährt durch den dunkeln Haarbusch sich,
- und seine grauen Augen blitzen:
-
- Ja -- wenn ich traurig bin, hass ich mich;
- dann wird wohl auch die Welt mich hassen.
- Jetzt aber will ich dich beim Worte fassen,
- Lea: höchst wirklich tauf ich dich.
- Es tut nicht not, daß man dem Alltag trotzt;
- es gibt kein Wort, das nicht von Märchen strotzt.
- Drum bleibe nur das Wunder, das du bist,
- und ich bin Lukas dein Evangelist.
- Du bist die Fürstin Isabella Lea,
- die löwenkühne Gottbeschwörerin;
- aus deiner schwarzen Mähne, mea Dea,
- lauscht Mutter Isis, Mutter Gäa
- zum Lichtbringer Osiris hin.
- Denn hier thront Lukas Lux, dein Sekretär,
- das dunkle Raubtier mit den hellen Lichtern,
- der Große Geist-Luchs der Indianermär,
- verhaßt wie Lucifer den Blaßgesichtern.
- So tauf und krön ich dich mit neuem Sinn:
- komm, meine große Geistbeschwörerin!
-
- Er schlägt das weiße Fell um sie und sich.
- Zwei Menschen freun sich königlich.
-
-
-8.
-
- Sylvesternacht. Viel Glocken läuten.
- Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn
- den Dunst des Horizontes leuchten
- und drüber die Millionen Sterne stehn.
- Zwangvoll, um ein Weib nicht zu berühren,
- lehnt ein Mann auf eisernem Balkone,
- sagt mit trunknem, heiserm Ton,
- während im Hause Gläser klirren:
-
- Dort schläft im Dunst mein Eheweib,
- und Du -- besiehst mit mir die Sterne.
- Und hinter uns trinkt Jemand Haut-Sauternes,
- dem du gehörst mit deinem Leib,
- mit deinem hoffnungsvollen Leib.
- Himmel, Himmel, o könnt ich blind sein!
- Lea! blind sein! wirklich noch Kind sein!
- Nimm mir’s ab, dies eisige Grauen:
- klar und kalt wie Gott durchschauen:
- nur aus Leid ist Glück zu bauen.
- Alles Leid ist Einsamkeit,
- alles Glück Gemeinsamkeit --
-
- Er stockt. Die Glocken rings verstummen;
- es ist, als ob die Sterne summen.
- Die Stirn erhebend sagt ein schwangres Weib:
-
- Nur mir, nur Gott gehört mein Leib.
- Mir steht ein andrer Himmel offen,
- als ihn die Leidenden ermessen.
- Hast du dein eignes Wort vergessen:
- Gott ist der Mensch, auf den wir hoffen?!
- Uns ging kein Paradies verloren,
- es wird erst von uns selbst geboren.
- Schon reift in manchem Schooß auf Erden
- ein neuer Menschensohn -- der sagt:
- so ihr das Himmelreich nicht in euch tragt,
- könnt ihr nicht wie die Kindlein werden!
-
- Es glitzern die Millionen Sterne;
- zwei Menschen schauen in die Ferne.
-
-
-9.
-
- Ein Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft,
- zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft.
- Immer wieder blickt ein Weib einen Mann
- verstohlen an --
- seine offne Stirn, den kurzgehaltnen Bart,
- den Mund von träumerisch verschlossener Art,
- Hiebnarben neben den heftigen Nüstern --
- und fängt wie unwillkürlich an zu flüstern:
-
- Diese Nacht war furchtbar. Ich konnt nit schlafen:
- mich quälten die unausgesprochnen Dinge.
- Es war halb Traum halb Höllenstrafe.
- Wie auf der Jagd -- als stäke mein Hals in Schlingen;
- fern stand mein Gatte und schrie hetz-hetz!
- Plötzlich ein Ruck: es war, als klinge
- das Telephon am Kopfend’ meines Betts,
- als wolle die Frau mich Grauenhaftes fragen,
- die du -- o Lux: nit wahr? ich glaub,
- Dir kann ich Alles, Alles sagen;
- o furchtbar, sich mit Heimlichkeiten tragen!
- Nit, du? -- Du! Lukas -- Bist du taub?!
-
- Schweigen. Ihre Augen schauen
- nachtbraun seine morgengrauen
- durch den Rauch verschleiert an.
- Sacht die Lider schließend sagt ein Mann:
-
- Früher konnt ich schwer mit Leuten reden;
- jetzt sprech ich mit dem Fremdesten gern.
- Es geht ein Band von dir durch mich zu Jedem,
- als wenn wir Alle Engel wärn.
- Und doch: wer darf uns Teufeln trauen!
- Schon Eva hat zu klar erkannt:
- das Unerkannte ist es, was uns bannt.
- Denn eine tiefe Wollust schläft im Grauen.
-
- Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.
- Sie hauchen wieder Ringe in die Luft.
- Das Zimmer schwimmt voll Zigarettenduft.
- Zwei Menschen horchen, was ihr Innres spricht.
-
-
-10.
-
- Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,
- blinde Spiegel, rostige Wappenschilder;
- und hohe Aktenwände. Und inmitten
- sitzen zwei Menschen mit seltsam kalten
- Anstandsmienen da und halten
- Konferenz mit einem dritten.
- Dieser blickt korrekt gekleidet
- und gelangweilt in die Welt,
- während er verbindlichst leidet,
- daß ein Mann ihm folgenden Vortrag hält:
-
- Hoheit, ich fand in den Archivpapieren,
- die ich die Ehre habe zu registrieren,
- gewisse halb politische Dokumente,
- die mancher arg mißbrauchen könnte.
- Hoheit wissen, die Welt steckt heute
- voll explosibler Elemente;
- und da in Fürstenhäusern manchmal Leute
- antichambrieren,
- die andern in die Karten schauen,
- möchte ich lieber meinen Dienst quittieren,
- wenn Hoheit mir nicht voll und ganz vertrauen.
-
- Hoheit räuspert sich und blickt voll Schonung
- und gelangweilt in die Welt.
- Da sich hierauf alles still verhält,
- sagt ein Weib mit seltsamer Betonung:
-
- Herr Doktor, wir danken voll Verständnis.
- Und, um Vertrauen mit Vertrauen zu ehren:
- Hoheit mein Gatte huldigt der Erkenntnis,
- dem Lauf der Welt kann niemand wehren.
-
- Ihr rascher Abschied träfe uns empfindlich;
- ein Archivar von gleichen Qualitäten
- scheint mir zur Zeit ganz unauffindlich.
- Sie sind, Herr Doktor, voll und ganz vonnöten.
-
- Sie neigt das Haupt seltsam verbindlich;
- Hoheit verneigt sich, wie es Brauch.
- Zwei Menschen lächeln; der dritte auch.
-
-
-11.
-
- Wolken flattern groß um den Mond;
- als ob in staubenden goldbraunen Lappen
- eine mächtige Zauberspinne thront.
- Die Schritte zweier Menschen tappen
- durch eine schattenflackernde Gasse.
- Ein Weib sagt mit entzücktem Hasse:
-
- Mein Herz darf Freiheit von diesem Menschen verlangen,
- der nichts als meine Mitgift hat gefreit,
- und der nichts liebt als ein alt Krongeschmeid,
- das Einzige, was Ich von ihm empfangen.
- Es ist sehr schön -- ein Nest von blinden Schlangen
- mit rauchtopasenen Stirn- und Rückenflächen;
- draus äugt, wie jetzt der Mond durchs Dunkel,
- ein großer bläulicher Karfunkel --
- den möcht ich ihm, das würde mich rächen,
- über der Wiege meines Kinds zerbrechen!
-
- Wolken wühlen schwer um den Mond;
- als ob durch silbergraue Schollen
- mächtige Maulwürfe dringen wollen.
- Ein Mann entgegnet, sehr betonend:
-
- Was du von ihm empfangen hast,
- ist meiner Seele keine Last;
- auch nicht das Kind von seinem Blut!
- Aber ich hab ein unabwälzbares Grauen
- vor den Gelüsten schwangrer Frauen;
- die sind der Seele blindeste Brut.
- Vergleich mir nicht den Reiz von toten Steinen
- mit dem belebenden Licht, dem reinen;
- daß du jetzt arm bist, leite dich hinauf!
- Was buhlst du mit Topasen und Karfunkeln --
- sei reicher --: hebe deine dunkeln
- Augen mit mir zum Himmel auf!
-
- Er staunt: sie steht jäh still im Schreiten:
- in ihren Augen und Mundwinkeln streiten
- Auflehnung, Pein, Verwundrung, Glück, Ermatten.
- Zwei Menschen werfen Einen Schatten.
-
-
-12.
-
- Kälte glänzt auf den Feldern.
- Arm in Arm, Hand in Hand
- sehen zwei Menschen aus fernen Wäldern
- über das starrgefrorne Land
- die Sonne steigen.
- Ein Mann bricht das Schweigen:
-
- Und wärst du arm wie jetzt die nackte Natur,
- und wär ich jeder andern Empfindung bar
- und spürte nur
- den rauhen Maiduft aus deinem Haar,
- der wie das Moos- und Kienharz-Schwelicht
- meiner Heimatwälder mich beseligt,
- es wär mir Inhalt genug vom Leben:
- du hast mir den ewigen Frühling gegeben.
- Du bist mir blutlieb! -- blick nicht so kalt
- auf deinen Fuß, der meinem gleicht!
- Was tust du stolz, wenn mit Gewalt
- meine Seele sich deiner neigt?
- Komm, sei mein Leichtfuß! komm dort auf den Hügel,
- wo die zwei Rehe im Sonnenglanz ruhn;
- ich geh in deinen, du gehst in meinen Schuhn,
- und wenn wir wollen, haben wir Flügel!
-
- Das Weib blickt nach den scheuen Tieren.
- Dann weicht ein starrer Zug von ihren
- Lippen, als gebe sie etwas preis:
-
- Ja? tu ich kalt? -- Ja: kalt wie Eis,
- eh’s sacht zerschmilzt in warmer Menschenhand,
- daß sie heiß wird wie Feuerbrand.
- Ja --: Kalt oder heiß! nur nit lau!
- schwarz oder weiß! nur nit grau!
- das ist der Wahlspruch einer „armen“ Frau.
-
- Sie lacht; es klingt ihm hell wie Scherz
- und grell wie Schmerz im Sonnenscheine.
- Sie legt die Hand, groß wie die seine,
- aus seinem Arm fest auf ihr Herz.
- Zwei Menschen kämen gern ins Reine.
-
-
-13.
-
- Der Tag hat aufgehört zu schnein.
- Der graue Eichwald reckt sich, weiß belastet,
- von einem letzten Licht betastet.
- Zwei Menschen waten querforstein.
- Tief Atem schöpfend sagt ein Weib und rastet:
-
- Ich bad so gern durch frischen Schnee,
- durch den noch Keiner gegangen ist.
- Wenn ich die reine Spur dann seh,
- die wie vom Himmel gefallen ist,
- dann kommt mein Pfad mir her aus einem Garten,
- wo ich als Kind in einer Schneenacht stand,
- weil ich den lieben Tag nit konnt erwarten,
- der mir zurückgab mein hell Heimatland,
- wo Wald und Berg und Tal nach allen Seiten
- in hundert lachenden Linien sich verzweigt,
- wo in die leuchtenden Ewigkeiten
- Rebhügel über Hügel steigt,
- und all die Höhen, die blauen, verflicht in Eins
- die tiefe grüne Schlucht des Rheins.
- Hier aber -- -- Sie erschauert, schweigt,
-
- ein Mann spricht wie voll jungen Weins:
-
- Hier graut im Schnee mein ernstes märkisches Land,
- dies Land, in dem sich Rußlands Steppen
- schwer zu Deutschlands Bergen hinschleppen.
- O, aber sieh’s erst im Sommergewand,
- wie’s dann drin summt und hummelt und tummelt und tut,
- wenn hoch im Abendsonnenbrand
- der alten Kiefern verschämte Glut
- sich aufreckt aus der Versunkenheit!
- Dann atmen die Wiesen Unendlichkeit.
- Dann blaut hinter den Bäumen her ein Duft
- wie fernes Meer aus tiefer Kluft.
- Dann ins Unabsehbare sieh ihn ziehn:
- in hundert Windungen, himmelhell, den Rhin!
-
- Er glüht; sie strahlt, küßt seine Hand.
- Zwei Menschen danken ihrem Vaterland.
-
-
-14.
-
- Die Sonne scheint in einen Blumenladen,
- durch den ein Flor von Orchideen schwillt;
- ein Eishauch klärt die Stadt. Zwei Menschen baden
- sich in dem Duft, der durch die Scheiben quillt.
- Bunt lechzen Schooß an Schooß die fleckigen Blüten.
- Ein Mann bekennt aus innerm Brüten:
-
- Sonst graute mir vor schwangern Frauen,
- als wär ich einer Verwachsnen begegnet;
- Dich kann ich wie die Blumen beschauen
- und fühle wirklich, du bist „gesegnet“.
- Meine Vaterschaft war mir Zufallsmache,
- alle Vaterliebe Gewohnheitssache --
- jetzt möcht ich beten: o wäre dein Kind von Mir!
- Und doch: auf diese reine Begier,
- Lea, aus der ich eben erwache,
- fällt mir das schamlose Blühen hier
- wie eine Befleckung: ich verübe
- nur Tierisches -- das ist das Trübe.
-
- Er will die Straße weiter, wie duftbeklommen;
- er fühlt sich heimlich beim Arm genommen,
- tief wird das Weib gegrüßt von irgendwem.
- Sie nickt kalt, lächelt angenehm.
- Dann folgt sie ihm, wie zu sich selbst gekommen:
-
- Vergleich dies Glück dem tierischen nicht!
- Einst meint ich zu sterben am Ekel der Begattung,
- und ich begriff das Wort „Beschattung“ --
- jetzt leb ich wie die Pflanze dem Licht:
- mit einer Sehnsucht, Lukas, wie eine Blinde!
- Ich muß dir ja dies Fleisch und Blut noch wehren;
- aber würdest du’s nicht begehren,
- ich würde verkümmern, glaub ich, samt meinem Kinde.
- Was ist da trüb? Ich seh nicht, was.
- Wir leben, wir lieben -- wie klar ist das!
-
- Sie muß von neuem grüßen: Herren zu Pferde.
- Die lächeln mit galanter Geberde.
- Zwei Menschen blicken auf die kalte Erde.
-
-
-15.
-
- Es wird dunkler; immer heller blitzen
- durch die Asche im Kamin die Kohlen.
- Am Klavier, an dem zwei Menschen sitzen,
- stockt ein halbverhaltnes Atemholen.
- Eine Wiegenweise bannt noch beide;
- aber endlich lacht das Weib und spricht,
- blau umrauscht vom Mutterhoffnungskleide:
-
- Du machst schon wieder dein russisch Gesicht.
- Was hast denn wieder Graues zu schleppen?
- Kannst denn nit +auch+ mal aufglühn wie deine Steppen,
- eh der Regen vom Himmel bricht?!
- Du sollst ja all mein, all mein Labsal noch schlürfen,
- darfst doch schon kosten, und sollst es dürfen:
- meine Kniee nehmen, die Schönheitsflecken
- auf meinen braunen Brüsten entdecken,
- meinem Mund, meinem Schooß deine Notdurft stammeln,
- all mein Schmachten auf deine Lippen sammeln --
- ja fühlst denn nit, einfältiger Mann,
- wie vielfältig man küssen kann?!
-
- Halblaut greift sie Töne; sie hüpfen wie Bälle.
- Es wird dunkler; eine breite Welle
- Glut erlischt in seinem Bart.
- Und er sagt unsäglich zart:
-
- Du machst schon wieder zu deinen hellen Terzen
- Augen, die so verwirrend schimmern
- wie Spinnwebnetze in finstern Zimmern,
- wenn ein paar Streifchen Licht drauf fielen;
- ich ließ dich spinnen und weben von Herzen,
- nun willst du Fliege mit mir spielen.
- So spiel denn! spiele, Spinnchen -- und lerne fliegen:
- ich nehme dich mit: komm, Herz, ich weiß ein Land,
- wo wir den Blick des Kindes wiederkriegen,
- der gläubig eine Kachelofenwand,
- auf die der Schein des Nacht-Öllämpchens fällt,
- für einen Himmel voller Sterne hält!
-
- Und zwei Menschen vergessen die Welt.
-
-
-16.
-
- Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel,
- Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel:
- ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin.
- Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel.
- Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel.
- Jetzt reckt er das Kinn:
-
- Lea! seit meinen Jugendjahren
- bin ich nicht so im Fluge gefahren,
- so rasend noch nie.
- Aber noch rasender wars gestern Morgen,
- als ich im Sturm deinen Namen schrie
- und, als wäre mein Gott drin verborgen,
- mit ihm rang um dich, Knie an Knie:
- schleife mich, Sturmgott, um die Erde,
- sei sie unrein, sei sie rein!
- gönne mir nur kein Glück am Herde,
- hingerissen will ich sein!
- Sage mir -- Du! ich frage dich: schreit
- +Dein+ Gott +auch+ so Meinen Namen?
- Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen?
- Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?!
-
- Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon.
- Die Zügel schlackern, die Bügel bäumen schon.
- Das Weib umschlingt ihn fallbereit:
-
- Nenn’s nicht Wahnsinn! nenn’s lieber Ahnsinn!
- Lukas, ich hab in manchen furchtbaren Wochen
- dagelegen wie zerbrochen,
- und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen!
- Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen!
- Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste,
- als ob es die Sonne blindmachen müßte!
- Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche,
- und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche,
- ich lasse mich wiegen, du -- wiegen -- wiegen --
-
- Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel.
- Zwei Menschen glauben sich im Himmel.
-
-
-17.
-
- Ampelschatten hüllt vier bebende Lippen.
- Der Park wankt, als wühlten Geister drin;
- Nachtsturm reißt an den Fensterrippen.
- Die dunkeln Lebensbäume schwippen
- tief zur verschneiten Erde hin.
-
- Die bebenden Lippen atmen so schwer,
- wie Menschen atmen, um nicht zu stöhnen.
- Dumpf horcht der Mann nach den heulenden Tönen,
- die bald aufhimmeln, bald tierisch röcheln.
- Er preßt die Adern auf seinen Knöcheln;
- das Weib, stumm wie er,
- ist ihm zu Füßen vom Diwan gesunken,
- sie ringt die Finger auf seinen Knien.
- Ihre schwangern Hüften umschauern ihn.
- Sie stammelt trunken:
-
- So komm doch! nimm mich doch! trag mich weg!
- ich will ja blindlings Alles dir geben!
- Und wenns mich umbringt hier auf dem Fleck,
- ich will ja mein eigen Blut hergeben!
- Nur schau nicht so grauenhaft tot ins Leben!
-
- Sie klammert sich hoch an seinen Armen
- an seine Brust; die hämmert zum Sturmerbarmen.
- Er stöhnt. Sie schüttelt ihn: komm! Sie hört
- ihn betteln: ja komm! Sie liegt emporgerissen
- auf seinen entbreiteten Fäusten mit schwebenden Füßen,
- und --: verstört
- graben zwei Augen ihr aus den Eingeweiden
- eine Nacht von Entsetzen und Weh:
-
- Geh -- keucht er -- geh!
- Dein -- +sein+ Kind regt sich zwischen uns beiden!
-
- Er reißt sie an sich, reißt sich los;
- der Sturm heult wahre Trauer-Oden.
- Komm! ringen vier Hände Schooß an Schooß.
- Geh! holen zwei Arme riesengroß
- aus zum Stoß.
- Zwei Menschen winden sich am Boden.
-
-
-18.
-
- In das Geräusch eines Bierlokals,
- in das Rauschen großstädtischen Straßenskandals
- mischt sich wie Kettengerassel ein Ton.
- Elektrisches Glühlicht kämpft in den Ecken
- mit blassem Taglicht und Schattenflecken.
- Ein Mann spricht horchend durchs Telephon:
-
- Lea! -- Hörst du? -- Was ist geschehn?
- Gestern Abend -- hörst du? -- es war eben zehn:
- dein Brief aus deinen großen Schmerzen
- lag mir wie Albdruck auf dem Herzen --
- Auf Einmal: ich wagte kein Glied zu regen,
- so hatt ich die Angst des Unterliegens --
- auf einmal kann ich mich frei bewegen:
- mich hebt ein Gefühl vollkommenen Fliegens
- wie über ein Ufer, über ein Meer --
- Sag: hat meine Seele hellgesehen?
- bist du erlöst von deinen Wehen?
- Sprich doch! Was atmest du so schwer?!
-
- Er horcht. Durch das Geräusch des Lokals,
- durch das Rauschen des Straßenskandals,
- durch eine Stille hohlsausend und leer
- kommt eines Weibes Stimme her:
-
- Deine Seele hat hellgesehen:
- ich bin erlöst von meinen Wehen:
- mir lebt ein Kind.
- Es liegt wie Albdruck auf meinem Herzen.
- Es sieht nicht meine großen Schmerzen.
- Es -- ist -- blind -- --
-
- In das Rauschen des Straßenskandals,
- in die Geräusche des Bierlokals
- mischt sich wie Kettengerassel ein Ton;
- ein Mann verläßt das Telephon.
- Er hört im Hintergrund einen Herrn
- „Kellner, mehr Licht auf Erden!“ schrein,
- und ein Gelächter hinterdrein.
- Zwei Menschen sind einander fern.
-
-
-19.
-
- Mondlicht greift durch bleiche Gardinen,
- legt Flecke auf ein Himmelbette.
- Zwei Menschen sehn’s mit bleichen Mienen,
- sehn die Flecke in schleichender Kette
- grell ein Kind, das schläft, umkränzen:
- es schläft mit offnen Augenlidern.
- Die stillen Augensterne glänzen:
- glänzen weiß, wie blindes Eis.
- Ein Weib schluchzt auf mit allen Gliedern.
- Wie aus einem Abgrund gerissen
- starrt ihr schwarzes Haar aus den Kissen,
- haucht sie heiß:
-
- Mir lebt dies Kind, und nicht von Dir;
- ich lieg in Dankbarkeit vor dir.
- Ich lag bis heute wie unter Steinen,
- wie unter einer Sticklast Schnee:
- du bist gekommen, nun kann ich weinen.
- Jetzt aber -- geh!
- Ich will vor dir kein Klagweib sein;
- laß mich, solang ich lieg, allein.
-
- Der bleiche Mann im Vollmondlicht
- neigt sein unbewegtes Gesicht.
- Sein Blick weilt wie in weiten Fernen
- auf den blinden Augensternen.
- Und er spricht:
-
- Das Kind, das du geboren hast,
- sei deiner Seele keine Last:
- sieh, wie sein Schlaf das Helle trinkt!
- Es scheint ein Licht durch unsre Welt zu wehen,
- das alles andere, gröbere Licht beschwingt;
- in ihm wird dieses Kind aufgehen.
- Es wird die irdische Qual nicht sehen.
- Wir werden’s leiten wie auf Wolkenauen.
- Es wird das innere Weltlicht schauen.
-
- Er küßt sie, geht; sein Schatten streift das Kind.
- Zwei Menschen sehn, daß sie auf Erden sind.
-
-
-20.
-
- Eisblumen und Hyazinthenduft
- ringen mit warmer Zimmerluft;
- weiße Seide umbauscht ein braunes Weib.
- Ein Mann sieht ihren genesenen Leib
- auf schmiegsamsten indischen Kissen ruhn;
- ihr Goldbrokatschuh streift den Boden.
- Er steht in blauen Segeltuchschuhn,
- seine Radfahrjacke von graugrünem Loden
- zuknöpfend, einen Brief in Händen,
- und fragt, indem er drin Kniffe zieht:
-
- Willst du dir auch die Augen blenden,
- weil du ein Kind hast, das nicht sieht?!
- Ich soll mit dir „ins Weite gehen“?
- Was gehn heißt, wirst du bald verstehen,
- wenn du mit deinen zarten Zehen
- erst barfuß für uns betteln mußt;
- ich glaube, da würde dir die Lust
- zur blinden Liebe sehr schnell +ver+gehen.
- Einst, ja, da nahm ich Kredit aufs Leben
- und schlug die Schulden in den Wind;
- aber als Vater lernt man eben,
- was wir dem Dasein schuldig sind.
- Das träumt nicht wie die grünen Seelen,
- die sich vorm Leben ins Blaue stehlen,
- bis die ergraute Welt sich rächt.
- Und klein beigeben mit großem Munde:
- dann gehn wir an uns selbst zu Grunde --
- nit, Lea? das steht Uns Beiden schlecht!
-
- Er legt ihren Brief sehr zart auf ihr Knie;
- sie wiegt ihren Goldschuh. Dann antwortet sie:
-
- Du hast sehr blaue Schuh an, sehr blaue;
- du kommst wohl von einer -- „Wolkenaue“?!
- Aber ich dank dir; du sprachst sehr klar
- Ja ja: man träumt oft wunderbar!
-
- Ihr Goldschuh zieht im Teppich einen Strich.
- Zwei Menschen lächeln bitterlich.
-
-
-21.
-
- Nur an den Eichen bebt noch braunes Laub;
- es bebt im Wind. Und wenn die Spechte klettern,
- dann weht der Schnee wie Kieselstaub
- und knistert in den abgefallnen Blättern.
- Zwei Menschen sehn im Park den Abend zaudern.
- Ein Weib bezwingt ein leises Schaudern:
-
- Heut hat ein Mensch mir leidgetan,
- der sonst mein Weichstes zur Erstarrung brachte.
- Er hat mir nie ein Leid getan
- seit jener Nacht, die mich zur Mutter machte;
- er ist fast stumpfer als ein Scherben.
- Heut aber, vor dem blinden Leibeserben,
- vergaß er selbst sein gnädiges Stottern:
- er saß nur da und ließ sich schlottern.
- Ich mußt ihn immerfort betrachten,
- ihn halb bedauern halb verachten.
-
- Der Mann an ihrer Seite nickt;
- er sieht im kahlen Park den Abend dämmern,
- er hört im hohlen Holz die Spechte hämmern.
- Er sagt, indem er einen Zweig zerknickt:
-
- Ich fühle jeden Tag mein Herz in Nöten,
- wenn eine Frau sich mit Erröten,
- und wie zur Abwehr blaß und zart doch,
- samt unserm Töchterchen an mich drängt,
- während vielleicht in meinem Bart noch
- der Hauch von deinen Küssen hängt.
- Ich kann sie nicht so flach bedauern;
- ich würde lieber mit ihr trauern,
- könnt ich wie sie mich sanft und klug besiegen
- und leidenswillig den Nacken biegen.
- Jawohl, wir sind von härterem Holz;
- von Eichen bricht man keine Gerten.
- Drum wolln wir nicht noch selber uns verhärten;
- denn daß wir Mitleid schenken, macht uns +stolz+.
-
- Er horcht: ein Rauschen stört das Spechtgekletter:
- zwei Menschen gehn durch abgefallne Blätter.
-
-
-22.
-
- Die Nacht am Horizont gähnt Strahlen,
- als wolle der Himmel die Erde verzehren
- oder ein neues Gestirn gebären;
- zwei Menschen sehn ein Nordlicht prahlen.
- Sie stehn auf eisernem Balkone;
- sie sehn den Glanz elektrisch zucken,
- sich auf und ab ins Dunkel ducken.
- Ein Mann sagt schmeichelnd, sagt mit Hohn:
-
- Das, Fürstin, scheint mir recht ein Thron
- für deinen neuen Menschensohn.
- Ich möcht ganz lange Arme haben:
- dann setzt’ich dich mit deinem blinden Knaben
- dort auf die herrlichste Flackersträhne.
- Ich seh ihn, wie er deine Mähne
- schwarzstrahlig durch den Weltraum spannt,
- hoch über allen Sinn und Verstand.
- Du hast doch gar zu tolles Haar;
- für eine Mutter sonderbar!
-
- Dem Weib zucken die Augenbrauen;
- wo die schwarzen Bogen sich spalten,
- zittern zwei kleine quere Falten,
- wie ein zerbrochenes Kreuz zu schauen.
- Sie sagt verhalten:
-
- Du zielst fehl auf mein Mutterherz,
- Dir lacht es selbst beim bittersten Scherz.
- Ich gebe Nichts an mein Kind verloren.
- Ich fühle nicht: dies Kind ist Mein.
- Ich fühl: ich hab einen Menschen geboren
- zu seiner eigenen Lust und Pein!
- Ich geb ihm meinen Glückwunsch blos --
- und trage noch manchen Wunsch im Schooß --
- Weib sein ist +doch+ das herrlichste Los! --
-
- Ihr dunkler Blick hat sich gefeuchtet.
- Der Mann streicht ihr wild Haar versonnen
- glatt wie zum Scheitel der Madonnen.
- Zwei Menschen sehn die Nacht erleuchtet.
-
-
-23.
-
- Kaminfeuer und Morgenrotschimmer
- schmücken ein hohes Damenzimmer.
- Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide
- ihre nackten Arme beide
- vor einem Mann breit in die Luft
- und lacht, umschwebt von Mandelduft:
-
- Ich glaub, ich bin noch immer schön;
- mein Kind hat mir nichts weggenommen.
- Und hättst mich eben baden sehn,
- du wärst mit mir gen Himmel geschwommen!
- Was stehst denn wieder wie im Schlaf?
- O Lux, was bist du für ein -- Schaf!
-
- Er lächelt eigen, sie merkt es nicht:
- er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht.
- Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell.
- Er fragt halbhell:
-
- Schönheit? -- das ist mir nichts als Hülle
- um irgend eine Liebreizfülle.
- Der Reiz zur Liebe und zum Leben,
- wenn den die Reize einer Gestalt
- mir wie aus eigner Seele eingeben,
- dann bin ich -- schön in ihrer Gewalt;
- sonst sind sie angeflogne Schäume,
- Nachwehen toter Künstlerträume.
- Du würdest ja Raffael nicht entzücken:
- du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen.
- Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen.
- Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken
- taugen zu keiner klassischen Ode;
- und dein klassisch Kinn ist garnit mehr Mode.
- Aber -- jetzt will ich die Augen zudrücken,
- will nichts mehr fühlen als deinen Bann,
- nichts küssen als deine Wildkatzenstirne;
- und wärst du die durchtriebenste Dirne,
- du wirst mir eine Heilige dann -- --
-
- Prüfend blicken zwei Seelen einander an.
-
-
-24.
-
- Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen;
- sie schweigen schneebedrückt. Zwei Menschen lauschen,
- wenn manchmal durch den schwerbeladnen Wald
- das Eis der fernen Seeen knallt.
- Dann scheinen tiefer noch gesenkt
- die dunkeln, weißgesäumten Äste,
- um die das Frühlicht machtlos hängt.
- Ein Mann spricht mit ergriffner Geste:
-
- Das ist wie eine Versammlung von Greisen
- um ein fremdes Täuflingsbette.
- Keiner rührt mit seinen weisen
- Händen an die Schicksalskette.
- Sie lassen stumm das Unverwandte
- zwischen ihren Seelen schweben.
- Sie segnen fromm das Unbekannte
- es wehrt dem Überdruß am Leben.
- Sie schenken jedem Morgengrauen
- ohne Anspruch ihr Vertrauen.
-
- Durch den schwer beladenen Wald
- geht auf einmal ein Schattenwanken;
- von den Zweigen, die noch schwanken,
- fällt der Schnee, zu Schlacken geballt.
- Über ein Weib kommt ein Gedanke:
-
- Lieber, du sollst dich nicht verstellen!
- Wenn unter diesen starren Bäumen,
- so oft der Eisschreck draußen schallt,
- Echos wie aus schweren Träumen
- in mein warmes Leben kalt
- diesen Todesschauer bellen,
- daß wir unser Glück versäumen --
- dann sollst du nicht mit solchen ausgedachten
- Bildern mich zu prüfen trachten,
- dann sollst du mit mir fühlen und denken:
- wir wollen Nichts, rein Nichts dem Schicksal schenken!
-
- Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen.
- Zwei Menschen scheinen auf ihr Herz zu lauschen.
-
-
-25.
-
- Jeder Hauch stockt. Aus den Mooren
- steht der Nebel wie angefroren,
- ob auch fern der Himmel loht;
- zwei Menschen schaun ins Abendrot.
- Einsam hebt ein Birkenstämmchen
- aus dem bleichen Rauch sein Reisig;
- in der Spitze zaudert eisig
- noch ein Blättchen wie ein Flämmchen.
- Und ein Weib bemerkt verloren:
-
- Das steht nun da wie’n Waisenkind,
- das weder Vater noch Mutter kennt,
- von aller Heimat abgetrennt;
- Stiefmutter Sonne stellt sich blind.
- Und ob auch fern der Himmel brennt,
- es sehnt sich nicht, es rührt sich kaum,
- leidlos wie der Geist im Raum.
-
- Jeder Hauch stockt -- sie erschrickt:
- von dem kahlen Birkenstämmchen
- ist das letzte Blatt geknickt.
- Zaudernd sinkt das fahle Flämmchen
- in das rauchverhüllte Land.
- Und ein Mann hebt Haupt und Hand:
-
- Liebe, du sollst dich nicht verstecken!
- Ich seh aus deinem tiefen Schrecken,
- wie dich der leere Raum bedrückt.
- So wills der Geist; wenn nur drei Birken
- das Grauen der Unendlichkeit bezirken,
- dann ist das Auge schon beglückt.
- Er will und kann nicht einsam sein:
- er lebt davon, sich umzuschauen.
- Drum sinne nicht zuviel in dich hinein!
- Denn eine schlimme Wollust schläft im Grauen.
-
- Jeder Hauch stockt. Rot und stumm
- starrt der Himmel wie eingefroren
- durch den Nebel auf den Mooren.
- Zwei Menschen kehren langsam um.
-
-
-26.
-
- Über altersgrauen offnen Folianten,
- zwischen Schränken mit verstaubten Kanten,
- rostigen Waffen, bunten Wappenschildern,
- blinden Spiegeln, dunkeln Ahnenbildern,
- hängt ein goldner Streifen Licht.
- Sonnenstäubchen schweifen dicht
- um das Schnitzwerk hoher Stühle;
- kommen noch dichter ins Gewühle,
- denn ein Mann berührt ein Weib und spricht:
-
- Das hab ich mir als Kind beim Klettern
- im grünen Forst nicht träumen lassen,
- daß ich in diesen vergilbten Blättern
- einst suchen würde Boden zu fassen.
- Es ist für dich geweihter Boden,
- du willst einen uralten Wipfel lichten;
- ich seh nur tote Wurzelschichten,
- kaum noch wert sie auszuroden.
- Wie zur Erinnerung blüht da matt
- noch manch Blaublümlein Ehrenpreis;
- aber der morsche Stammbaum hat
- als letzten Sproß ein blindes Reis.
-
- Er will zuklappen. Er stockt. Die Funken
- der Sonnenstäubchen stieben wie trunken.
- Denn das Weib umschlingt ihn leis:
-
- Drücken dich wieder die blauen Schuh?
- Was mußt denn gleich so quer immer denken!
- Du mußt dich liebender versenken
- in diese stillen Dinge, du.
- Sonst drückst mir ja das Herz ganz zu;
- und gelt? das willst doch offen sehn.
- Ich soll mich dir doch blos gestehn!
- Ich wollt auch -- wollt dir längst schon sagen:
- mein Kind, Lux -- Nein: ich wollt dich fragen:
- ich möcht dein Töchterchen mal sehn!
-
- Sie klappt zu, hastig; es stiebt zum Blenden.
- Zwei Menschen müssen den Blick abwenden.
-
-
-27.
-
- Unter taktvoll schreitenden Kostümen,
- die den Rausch vergangener Zeiten rühmen,
- überschaut ein Weib ein nächtlich Fest.
- Weiß verschleiert Haar und Ohr und Wange,
- vor der Stirn die goldne Isis-Spange,
- steht sie groß in starrem Asbest.
- Fast so groß wie jener Mann,
- der aus dunkler Magier-Augenbinde
- um sich blickt wie auf Gesinde.
- Und sie naht sich ihm und rührt ihn an:
-
- Zaubrer -- du kennst die Schlange, und kennst den Drachen,
- die den schweren Weg der Liebe auf Erden bewachen.
- Ich kenn eine Mutter in einer Not;
- die streckt allnächtlich zum Tag die dunkeln Hände,
- daß er ein Schicksal von ihrem Herzen abwende,
- mit dem ihr blindes Kind sie bedroht.
- Soll sie mit Augen der Schlange ihr Nest behüten?
- soll sie den Drachen bitten, darin zu wüten? --
- Hell beginnt der wimmelnde Saal zu klingen,
- taktvoll läßt der Schwarm der Kostüme sich leiten,
- bis sie sich rauschend zu Paaren in Kreisen schwingen,
- die der Magier und das Weib umschreiten:
-
- Göttin, ich kenne die Schlange, und kenn auch den Drachen,
- die den schweren Weg der Liebe gen Himmel bewachen --
- und kenn eine Mutter in andern Nöten;
- die würde mit ihren blassen Händen
- ihr Kind, ihr sehendes, lieber noch heute töten,
- als je ihr Herz von ihrer Brut abwenden.
- Mutter Isis, begreif deine Erde freier!
- horch, dein Magier lüftet den Gäa-Schleier:
- Sie träumt seit je das Ungeheuerliche,
- Unwirkliche, höchst Abenteuerliche,
- doch was er wirkt, der Traum, ist das Gewöhnliche,
- und was er birgt, das tiefst Versöhnliche.
-
- Er unterbricht ihr einsam Gewander;
- zwei Menschen tanzen miteinander.
-
-
-28.
-
- Es schwebt ein Klingen übers Eis,
- wie ferne Frühlingsstimmen leis.
- Blaß starrt der See. Auf blitzenden Eisen
- fassen sich, fliehn sich zwei Menschen und kreisen.
- Jetzt kommt der Mann in scharfem Bogen
- vor das Weib herumgeflogen
- und faßt sie fester und bäumt im Sprung:
-
- Halt! -- Gelt, Frau Fürstin, das wär ohne Schwung:
- vom Schlittschuhlaufen zum Strümpfestopfen,
- vom Radfahren zum Steineklopfen,
- das wär doch gar zu harte Bahn?
- Ja, du: ich lief durch manchen Wahn,
- als mich das Jugendblut noch trieb,
- mit offner Hand an jedes Herz zu stürzen,
- bis mir am eignen Herd nichts übrig blieb
- als wenig Fleisch mit viel Gewürzen.
- Zwar, mir ist mancher zugetan
- so in der Welt, der wohl was opfern würde,
- beehrt’ich ihn mit dieser Bürde;
- aber -- -- Er läßt sich rückwärts kreisen.
-
- Blaß starrt der See. Sie folgt. Die Eisen
- blitzen schriller übers Eis.
- Sicher folgt und fragt sie leis:
-
- Und wenns für dich nun +keine+ Bürde wäre,
- Steine für deine arme Herrin zu klopfen?
- Und wenns für mich nun eine Würde wäre,
- Strümpfe für meinen reichen Herrn zu stopfen?
- Und wenn ich wähnte: das ist kein Wahn,
- so ganz bin ich dir zugetan --
- und bin dir auch ganz aufgetan --
-
- Sie schreit wild: Lukas! -- Ein Knall, ein Sprung,
- hoch hat der Mann sie an sich gerissen.
- Es donnert unter ihren Füßen,
- es klafft. Er bäumt mit ihr im Schwung.
- Es ist nur ein ganz schmaler Spalt.
- Zwei Menschen lachen, daß es schallt.
-
-
-29.
-
- Nun scheinen selbst die Blumengewinde
- der indischen Kissen voll Frühlingssehnen;
- am Fenster schmilzt die letzte blinde
- Eisblume unter hellen Tränen.
- Ein Mann sieht die barocken Ranken
- mehr und mehr durchsichtig schimmern,
- gleißend Gold in Silber flimmern;
- er sitzt in drückenden Gedanken.
- Er neigt noch tiefer Stirn und Ohr:
- er hat ein Weib am Herzen liegen,
- mit Augen, die zur Sonne fliegen.
- Sie flüstert, glüht an ihm empor:
-
- Und heb mich wieder so herrlich hoch,
- und trag mich fort, o trag mich fort!
- Und wären die Berge noch so hoch,
- ich will dir folgen an jeden Ort;
- ich will dir alles, alles hingeben!
- Verkauf mein letztes bißchen Schmuck,
- nimm mir mein Eigenstes, nimm mir’s Leben;
- nur fort, nur fort aus diesem Druck!
- Und wenn wirs bis zum Bettelstab bringen,
- und wenn wir verlumpen, wenn wir verdrecken,
- dann wirds wohl überall noch gelingen,
- eine Schachtel Zündhölzchen zu erschwingen
- und den nächsten Wald in Brand zu stecken,
- und selig will ich mit dir zusammen
- wie eine Hindufrau stehn und flammen!
-
- Sie lächelt seltsam; er sieht es nicht.
- Sie hebt das Haupt -- sie sieht ein Gesicht
- heiß von bebenden Narben zerrissen;
- das starrt auf die gleißenden Fenster und Kissen
- mit dem Ausdruck eines Steins,
- der zerspringen will, und spricht
-
- mühsam: Und dein Kind? -- Und -- meins?
-
- Da sinkt ihr Haupt in seinen Schooß;
- zwei Menschen weinen fassungslos.
-
-
-30.
-
- Der Himmel scheint blutunterlaufen.
- Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn
- die Türme hoch in dunkler Rotglut stehn;
- die Stadt raucht wie ein Scheiterhaufen.
- Ein Weib lehnt an der Fensterborte,
- düster, wie aus Erz gebaut.
- Der Glanz macht ihre braune Haut
- glühender als eine Braut.
- So hört sie eines Mannes Worte:
-
- Dein Herr Gemahl? Nein: der ist nicht im Wege.
- Er hat ja Augen, und kann noch welche pachten.
- Und träf er mich in seinem Gehege,
- ich würd ihn mir sehr höflich betrachten:
- Hoheit, Sie dürfen mich verachten,
- Sie können, wenn Sie’s wagen, mich töten.
- Ich würde vielleicht, wer weiß, dabei erröten;
- das tut mein Körper leider noch,
- wenn ihm das Herzblut hochsteigt -- doch
- mein Geist ist +über+ diesen Nöten.
- Ja, Lea: begreifst du, was das heißt:
- ich will getrieben sein vom Geist!?
- Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen
- und nichts mehr wissen will als seine Triebe,
- dann offenbart sich ihm das weise Wesen
- verliebter Torheit: die große Liebe.
- Du bist noch nicht so zwecklos mein;
- du willst noch mich, ich soll noch dich befrein.
- Dies blinde Kind aus fremden Lenden,
- es scheint uns immer zuzuschauen,
- ob wir nicht sein Vertrauen schänden.
- Und siehst du: Das -- jawohl -- das macht mir Grauen!
-
- Er bebt; er zerrt an seinem Bart.
- Das braune Weib wird bleich, wird rot.
- Dann sagt sie leise, mühsam, hart:
-
- Das Kind, vor dem dir graut, ist tot -- --
-
- Zwei Menschen schweigen wie erstarrt.
-
-
-31.
-
- Der Mond bescheint ein steinernes Portal,
- durch kahle Zweige eine feuchte Schwelle.
- Die Zweige leuchten wie aus Stahl.
- Zwei Menschen stehn in einer Grabkapelle.
- Der Mond legt Schatten auf ein totes Kind;
- nur seine beiden offnen Augen glänzen.
- Sie glänzen wie die Blumen an den Kränzen,
- bleich und blind.
- Sie glänzen bleicher als der Vollmondschein.
- Ein Weib höhnt in die Nacht hinein:
-
- Ich hatt ein Kind, und nicht von Dir,
- ich steh in Freiheit neben dir;
- ich bin erlöst, wenn Du, wenn Du es bist!
- Ich bin die Fürstin Isabella Lea,
- die auf dem Weg der Liebe gen Himmel ist --
- ich, Mutter Isis, Mutter Gäa,
- die willig ihre eignen Kinder frißt,
- der irdischen Gerechtigkeit entrückt.
- Ist nun mein Gott, mein Lucifer, beglückt??
-
- Sie wankt; sie hat die Augen zugedrückt.
- Ein Mann legt ihr die Hand auf Stirn und Haare.
- Er spricht -- sein Blick verschlingt die dunkle Bahre:
-
- Das Kind, das du getötet hast,
- war meiner Seele nicht die Last
- auf unsrer Wallfahrt zu der Freiheit,
- die Einheit schafft aus aller Zweiheit.
- Aber du hast mich tief verwandelt;
- du hast für mich aus einem Geist gehandelt,
- der nichts mehr will als klar am Ziele ruhn --
- so komm! -- ich weiß jetzt: du kannst schweigen.
- Ich habe Manches in der Welt zu tun,
- Lea; und Das -- nun ja, das wird sich zeigen.
- Im übrigen, Madam: es wohnen
- noch Krüppel genug auf Fürstenthronen!
-
- Er küßt ihr Stirn und Augen, wie zur Weihe.
- Zwei Menschen wenden sich ins Freie.
-
-
-32.
-
- Hellblauer Himmel mit weißen Streifen
- läßt alle Saatfelder grüner prangen.
- Und den Bäumen am Wege muß wohl ein Bangen
- vor den mächtigen Roßschweifen
- des Windes durch die Knospen wehen:
- sie zittern. Aber zwei Menschen gehen
- ruhig einen Wiesenrain hinan.
- Einem Weibe erwidert ein Mann:
-
- Mein Töchterchen? -- Ja -- sonderbar:
- sie sagte -- sie meinte wohl dein Auge und Haar --:
- du sähst ganz schwarz aus, ganz schwarz und heiß,
- aber inwendig wärst du wohl weiß.
- Nun stehst du wieder, wie zur Erstarrung geneigt.
- Lea, sieh um dich! Sieh, wie alles sich ändert:
- wie jeder Baum sein Wachstum klarer zeigt,
- wie’s lichtbegehrlich aus Spitze an Spitze springt,
- wie er die Triebkraft, die alle zackt und rändert,
- mit eignem Umriß trotzig zum Ausdruck bringt!
- Dann preist dir jedes Hälmchen im Feld
- den Geist der körperlichen Welt.
- Dann sagt dir jeder Lebenshauch:
- wie du dich gibst, so +bist+ du auch!
-
- Er stutzt: Sie lächelt ins Blaue hinein.
- Sie steigt still über den Wiesenrain.
- Sie bricht sich einen Knospenzweig ab.
- Sie hebt ihn wie einen Zauberstab:
-
- Wenn ich nun aber nach jenen Wolken weise,
- die unter der Sonne den Abendhimmel streifen,
- und nun im Geist nach Morgenländern reise --
- dann mögen sie noch so eigen anders schweifen,
- die ganze Landschaft versichert mir:
- wie du mich +nimmst+, so bin ich dir!
-
- Sie stutzt: Er weist still über die Wiesen:
- die sehn noch aus wie abgeweidet.
- Die Wolken werfen Schatten wie Riesen.
- Zwei Menschen merken, was sie scheidet.
-
-
-33.
-
- Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint;
- bis in den Wald herüber klingt es leise.
- Hell vor sich hin erwiedert eine Meise:
- ich fühls, ich fühls, wie lieb, wie lieb sie’s meint.
- Die Finken sind verstummt: ein Rappe schnaubt
- und schüttelt sein Geschirr. Zwei Menschen streichen
- dem edlen Tier die dampfend heißen Weichen.
- Nun hebt das Weib ihr dunkles Haupt:
-
- Als du vorhin so kerzengrad anhieltest,
- fiel mir ein Traum ein, der mir gestern träumte.
- Es war, als ob du fern die Laute spieltest;
- ich stand am Meer, in dem die Nacht noch säumte.
- Da kam, auftauchend mit dem Morgenrot,
- gerudert von zwölf tiefgebückten Herren,
- die Kronen trugen, ein gewaltiges Boot;
- ich sah die Herren wie an Ketten zerren.
- Am Steuer aber, über ihnen frei,
- stand Einer, der war nackt, und glänzte. Und --
-
- sie stockt: der Rappe, zitternd, stampft den Grund,
- sie zittert mit -- sie hören auf zu streichen,
- der Mann nimmt ihr das Wort vom Mund:
-
- Und Er, der Glänzende, gab dir ein Zeichen
- und kam mit seinem Lautenspiel herbei.
- Und Du, du mußtest ihm die Hände reichen
- und folgtest ihm und seiner Melodei.
- Und wenn du staunst, wieso ich alldas weiß,
- dann staune auch, wieso dies Tier mitbebte,
- als meine Seele so in deiner lebte,
- wie seine Haut in unsrer Hand so heiß.
- Und staune, Seele, was dich so beschwingt,
- daß du die Meise zwitschern hörst: ich bin’s!
- und was dich lerchengleich zu jubeln zwingt!
- und wie’s dich wieder wie als Kind durchdringt,
- das Glück folgsamen Eigensinns!
-
- Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint;
- zwei Menschen ahnen, was sie eint.
-
-
-34.
-
- Fern in jungen Birken spielt der Wind,
- scheint das scheue Frührot anzuschüren.
- Von der zarten Glut umglänzt beginnt
- eine Mühle sich zu rühren;
- rosig schauert das grüne Feld.
- Wo der altersgraue Park sich lichtet,
- unweit einer Grabkapelle,
- grüßt ein Weib ins Freie, Helle,
- blitzt ein Stahlrad auf, blitzt und hält,
- schwenkt ein Mann die Rechte, heiß hochgerichtet:
-
- Frühling! -- endlich! -- wie drängt das, mitzutun!
- Mir war, als müßt ich über dies Saatenmeer
- mit meinen blauen Segeltuchschuhn
- wie die Schwalben hin und her!
- Herrlich: so schweben, fliegende Blicke werfen!
- Wie alle Sinne sich an einander schärfen!
- Man wird bis in die volle Brust
- seiner eignen Gotteskraft bewußt;
- und selbst aus Grabesfinsternissen
- lacht es „All Heil, Welt!“ dies neue Gewissen.
-
- Funkelnd streift sein Grußblick die Kapelle.
- Aber da, statt mitzugrüßen,
- bebt das Weib empor, Zorntränen quellen:
-
- Ich weiß nur Eins, und geb’s auch Dir zu wissen:
- mir lacht dein Weltall gar zu bunt!
- Mir ist mein Herz, hier dies mein Herz, zerrissen,
- und wär so gern, o Gott wie gern, gesund!
- Und quälte das Deinen Gott auch nur zum Teilchen
- wie Mich, du küßtest dir die Lippen wund
- und heiltest, heiltest mich! ja nick nur! Und --
- ach, Lukas, sieh: das erste Veilchen!
-
- Sie steht auf einmal ganz beglückt,
- daß er, entzückt, sich bückt, es pflückt,
- es ihr an Herz und Lippen drückt
- und wie ein Junge lacht dazu.
- Zwei Menschen lassen Gott in Ruh.
-
-
-35.
-
- Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht.
- Es regt sich nur das Licht der tausend Sterne.
- Und Frühlingshauch. Und dunkelblaue Ferne.
- Und manchmal eine Fledermaus auf Jagd.
- Und Atemzüge, unterdrückt und schwer,
- voller Spannung, mehr und mehr.
- Jetzt rauscht ein Seidenglanz und bricht den Bann:
- ein Weib drängt sich an einen Mann:
-
- Lukas! was liegst du wie vom Alb gedrückt,
- als ob du nichts von meinem Dasein fühltest!
- Meinst du, mich hat die Zukunft +nicht+ bedrückt,
- wenn du mich Tag für Tag für Tag hinhieltest?
- Und jetzt, wo dieser Druck mich fast erstickt --
- Du -- Lukas?! -- Wenn du -- wenn du mit mir spieltest --
-
- Sie schüttelt ihn, ihr Augenglanz wird hart;
- er starrt hinein, wie vorher in die Ferne.
- Und wieder regt sich nur das Licht der Sterne,
- die Jagd der Fledermäuse. Und sie starrt:
- sie starrt wie er -- will drohn -- da wirkt sein Bann:
- sie zuckt, sie nickt, sie lacht ihn traumhaft an.
- Und traumhaft geht sein Wort ihr zu Gemüt:
-
- Fürstin, ich will nichts halb. Ich will dich sehn,
- in ganzer Schönheit, ganzer Häßlichkeit.
- Ich will vor dir, du sollst vor mir bestehn,
- vom Alb der scheuen Ahnungen befreit;
- ich will die nackteste Befreiung.
- Wenn dann die Male deiner Mutterwehn
- dich nicht dem Gott in meiner Brust verleiden
- oder dem Tier in unsern Eingeweiden,
- will ich nach soviel Sehnsucht und Kasteiung
- nicht wie ein Nachttier mich mit dir vergehn:
- ich will mit dir ins Licht der Menschlichkeit!
- Sei bereit! --
-
- Er küßt sie wach; er drängt sie sanft zurück.
- Sie sitzt und sinnt, wie über Raum und Zeit.
- Zwei Menschen beten für ihr Glück.
-
-
-36.
-
- Und lichter als der lichte Tag im Zimmer
- und immer lichter schauert ein Geflimmer
- von Kerzen über helle Blumen hin.
- Still schwebt um silberblau gestickte Kissen
- der Duft des weißen Flieders, der Narzissen.
- Und durch die Bläue, durch die Blumen hin
- zittert die Luft, als ob sich Herzen rühren:
- zwei Menschen stehn -- noch tönen still die Türen --
- mit Augen, die den Himmel nahe spüren,
- enthüllt bis zu den Hüften da:
-
- ein Mann mahnt: du! -- ein Weib haucht: ja.
-
- Still sinkt ihr Arm von ihren braunen Brüsten,
- die Lichter schauern immer schimmernder;
- sein Blick erbebt, als ob sie lodern müßten.
- Die Blumen atmen immer flimmernder.
- Die Sterne an den silberblauen Wänden
- erstrahlen wie in keiner Nacht so blank.
- Still nestelt sie am Goldband ihrer Lenden;
- sein Körper spannt sich unter innern Bränden,
- wie eines Kämpfers straff und schlank.
- Still schaut sie auf. Er muß die Augen schließen.
- Still weht ein Flor zu Boden. Er will sehn!
- Er sieht nur, wie zwei Augen Licht ergießen,
- zwei dunkle Augen, die ihm zugestehn
- -- still --
- was er will.
- Er will sie ganz mit seinem Blick erkennen;
- er sieht sie ganz nach seinem Blick entbrennen.
- Er will nichts mehr als stehn und stehn
- und still in ihre Seele sehn.
- Er steht und muß die Hände heben,
- als blende ihn das ewige Leben;
- und dunkel rauscht der Weltraum. Da
-
- mahnt +sie+ ihn: du -- da haucht er: ja --
-
- und alles rauscht tief innerlich.
- Zwei nackte Menschen einen sich.
-
-
-
-
-Zweiter Umkreis
-
--- Die Seligkeit --
-
-
-
-
-Eingang
-
-
- Halt ein, halt ein -- weit über jenen Gleisen,
- wo man noch Höhen sieht und Tiefen;
- nun sollst du erst das wahre Leben umkreisen
- und sollst der Allmacht Deine Macht verbriefen.
- Sieh: zwei Adler steuern, vom Sturm getrieben,
- über allem Erdentrott!
- Du aber bist noch Mensch geblieben:
- du atmest und entatmest Gott.
- Willst du nicht das Ewige selbst erreichen?
- oh, dann laß auch Gott zurück!
- denn es gilt, o Mensch, dein Glück
- mit dem Weltglück zu vergleichen.
-
-
-
-
-Vorgänge: II, 1-36
-
-
-1.
-
- Zwei Menschen reiten durch maihellen Hain,
- galopp, galopp, von Schatten zu Sonnenschein;
- alle Blätter sind grüne Flammen.
- Wenn der Himmel erscheint, wenn die Pferde aufschnauben,
- sehn sich die Beiden mit jauchzenden Augen
- immer wieder beisammen
- und werfen den Kopf wie die Tiere.
- Immer wieder streckt durch die goldnen Strahlen
- auf dem schmalen
- Moosweg zwischen den hohen Stämmen
- dann ein dunkler Schemen
- halb Chimäre halb Drache
- hopp alle Viere.
- Da müssen sie lachen
- und werfen dem Untier Kußhände zu.
- Und das Weib kann den Jubel nicht länger dämmen,
- laut scheucht ihr Ruf die Mittagsruh:
-
- Echo! Echo! stimm ein, stimm ein --
- es wollt eine Seele sich befrein,
- da band das Glück ihr die Hände!
- O Meiner, hilf mir die Arme breiten!
- halt mich gefangen, du, ohne Ende!
- ach könnt ich ewig so weiter reiten!
-
- Und der Mann, plötzlich die Sporen gebend,
- in die Brusttasche greifend, im Sattel sich hebend,
- jagt vor ihr her fort:
-
- Komm, ich nehm dich beim Wort!
- Und wenn ich die Freiheit drüber verliere:
- hier -- es lebe die Tat -- ist das nöt’ge klein Geld!
- ~voilà, madame~: Banknoten! -- gelt:
- die sind doch mehr wert als Archivpapiere?!
-
- Er schwenkt die blauen Lappen in der Sonne;
- er lacht, daß ein fast schreckhaft Echo gellt.
- Sie hat kaum zugehört vor Frühlingswonne.
- Aufbäumend gleißt ihr Rappe in der Sonne;
- zwei Menschen reiten in die Welt.
-
-
-2.
-
- Und sie machen Halt und lugen aus.
- Da liegt, von Epheu eingehüllt,
- im Kiefernhochwald still ein kleines Haus;
- die graue Lichtung ist erfüllt
- vom kühlen Duft des Morgentaus.
- Der Mann blickt lange auf die beiden Linden
- am moosbedeckten Zaun des alten Herdes.
- Dann greift er in die Mähne seines Pferdes
- und nimmt ein Haar und übergibt’s den Winden:
-
- Sieh, Meine, so werf ich hinter mich,
- was uns noch scheidet durch Erinnerungen.
- Dort halten Zwei in treuen Armen sich,
- die träumen jetzt vielleicht von ihrem Jungen,
- wie er sein Kind herzt, väterlich.
- Sie haben Alles in mir großgehegt,
- wodurch sich Menschenseelen glücklich schätzen;
- doch wüßten sie, welch Glück mich jetzt bewegt,
- und welches Leid es Andern auferlegt,
- sie würden sich vor ihrem Sohn entsetzen.
-
- Er blickt kalt weg, er lächelt befangen.
- Das Weib hebt sacht vom Sattelknauf die Hand.
- Sie hat das Haar im Flattern aufgefangen;
- sie hält’s wie zum Zerreißen gespannt.
- Nun reicht sie’s ihm zurück mit fröstelnden Wangen:
-
- Nein, Lux: so leicht verwirft man nicht.
- Was hilft dein Lächeln -- ich seh dein wahres Gesicht;
- uns scheidet Alles, was uns nicht gesellt.
- Du willst mir helfen, mich in mein Schicksal schicken;
- wohlan! so zeige mir mit immer wärmeren Blicken
- versöhnt die Zwietracht dieser Welt!
-
- Da fliegt ein Glanz rings übers Haidekraut:
- die Sonne kommt durchs Holz. Ein Hund gibt Laut;
- ein Ruf hallt jenseits des Geheges.
- Das Haar entweht. Hell dräut das Hirschgeweih
- vom grauen First der Försterei;
- zwei Menschen reiten eilends ihres Weges.
-
-
-3.
-
- Und auf einer Landstraße begegnet ihnen
- eine Heerde Schafe, vom Abendrot beschienen;
- sie müssen durch den Staub.
- Der lahme Hirt hebt besorgt seinen Stecken,
- daß die Pferde wie rasend vor der Mißgestalt erschrecken,
- aus den Zügeln gehn, hussa, quer durch den Haufen.
- Hinter ihnen her lärmts blökend und blaffend,
- eine Weile -- dann stoppt der tolle Ritt;
- sie zwingen die Gäule zum spanischen Schritt.
- Und das Weib sagt lächelnd, die Schleppe raffend:
-
- Als ich gestern den Brief -- du weißt -- abschickte,
- da wurde mir auf einmal klar,
- wie dienlich der goldne Käfig mir war,
- in dessen Luft ich beinah erstickte.
- Wie hat diese Luft mir doch erst eingegeben,
- was es bedeutet, sich ganz ausleben:
- ganz in ein anderes Leben hin!
- Wie kann ich jetzt in jedem Baum aufgehen:
- das Wachstum jeder Blüte läßt mich sehen,
- was du mir bist, was ich dir bin.
- Wie glänzt mir selbst der Krüppel dort im Staube:
- er ist so eins mit seinen Hunden
- wie Gott mit seiner Welt! -- Ich glaube,
- das hätt ich früher nicht empfunden.
-
- Früher -- nickt der Mann, und klemmt die Kandare herunter,
- denn sein Blauschimmel halst nach ihrem Rappen,
- als wollten sie wieder durch die Lappen --
- Aber weißt du: steig lieber nicht weiter hinunter
- in diese Welt der einfachen Seelen --
- sonst möchte dir Eins an ihrem Gottglück fehlen:
- sie gehn nicht auf darin, sie gehn drin unter --
- unwissend! -- Ja: gottlob: nicht Einen Tag
- wärst du im Stande, zwischen diesen Viehern
- dich auszuleben -- oder sag:
- möchtest du Tiere zu Erziehern?
-
- Zwei Menschen lachen; zwei Pferde wiehern.
-
-
-4.
-
- Und es führt ein Wildsteg durch Farrenkraut bergan.
- Über Moos und Felsen schlüpft hüpfend das Licht
- und blitzt im Dickicht; fern ruft ein Kuckuk.
- Und es sprudelt ein Wasser durch tiefen, tiefen Tann;
- da sitzt ein nacktes Weib, das Kränze flicht,
- Kränze um einen glitzernden Mann.
- Der singsangt:
-
- Vor der Nixe vom Rhein kniet der Kobold vom Rhin
- und bringt schön bang seine Brautschätze dar:
- blaue Blumen, die nur im Freien blühn,
- Männertreu, Pferdefuß, Jungfer im Grün,
- und zur Hochzeit ein stumm Musikantenpaar:
- Unke, die munkelt nur,
- Glühwurm karfunkelt nur:
- Ellewelline, husch, tanze danach!
- Ein Herr Eidechs hatte einmal zwei Frauen,
- denen er sehr am Herzen lag:
- eine, der gab er sein tiefstes Vertrauen,
- darauf lief er der andern nach.
- Ellewelline, tanz Serpentine:
- schwarz ist die Nacht, und bunt ist der Tag!
- Und der Kuckuk ruft, und der Bergquell sprudelt;
- und das dunkle Weib bekränzt ihr schwarz Haar.
- Und sie summt -- und das Licht in der Welle strudelt
- kühl und warm, wirr und klar --:
-
- Ellewelline tanzt Serpentine,
- o ja, Herr Eidechs, sonderbar!
- Sie schwamm eines Nachts um den Nixenstein:
- da konnt sie den ganzen Tag Kobolde frein,
- jeden Tag ein paar,
- macht fast tausend im Jahr.
- Aber ans Ufer kam einfach ein Mann:
- der hatte blaue Schuh, blaue Himmelschuh an --
- Amen!
-
- Und der Kuckuk ruft, als fänd’er kein Ende;
- da falten die zwei Menschen die Hände.
-
-
-5.
-
- Und es liegt ein Strom im Tal, und Nebel steigen;
- der Strom glänzt gläsern und scheint stillzustehn.
- Aus grüner Dämmrung dehnen und verzweigen
- die Wälder sich zu hundert blauen Höhn.
- Ein dunkles Schloß wiegt zwischen seinen Giebeln
- den großen goldnen Mond; zwei Fenster glühn.
- Und drunter winden sich an Rebenhügeln
- die Lichter kleiner Städte hin.
-
- Dort -- sagt das Weib und weist mit der Gerte
- von ihrem Pferd ins Zwielicht hinab --
- dort ging ich eines Nachts von Grab zu Grab
- und weinte bis zur Herzenshärte.
- In die Strudel im Strom, ins Gewirr der Bäume,
- zu den Sternen, die über die Berge starrten,
- verstieß ich meine Himmelsträume
- und verließ meine Toten, verschloß meinen Garten.
- Keine Seele fragte mehr nach meiner,
- kein Geist der Väter trat her zu mir;
- nur die reiche Erbin wollte manch einer.
- So ging ich ins Leben. So kam ich zu Dir.
-
- Lange schweigt der Mann. Die Pferde scharren.
- Ein Stein rollt zu Tal, ein Echo weckend.
- Und das Weib beginnt in den Mond zu starren.
- Da sagt er leise, den Arm ausstreckend:
-
- Komm -- es wollt eine Seele sich befrein,
- da band ihr die Sehnsucht die Hände.
- Was beschwörst du Schatten am grünen Rhein!
- Sieh dort in die Lichter mit mir hinein,
- in die Heimat ohne Ende!
- Sieh: ist nicht der Himmel herabgesunken,
- dein dunkles Tal wie von innen erhellt!
- Sternbildern gleich glänzt Funken neben Funken,
- vom Geist der Väter alle zusammengestellt.
- Und mild belebt das irdische Gräberfeld
- der tote Mond, vom Licht der Sonne trunken.
-
- Zwei Menschen atmen auf, in ihrer Welt.
-
-
-6.
-
- Und wieder dämpft ein dumpfes Wiehern und Schnauben,
- das durch den Schatten stiller Büsche rauscht,
- im hohen Holz das Gurren der wilden Tauben;
- und das Weib lauscht.
- Der schlafende Mann in ihrem Schooß
- hat schwer gestöhnt; soll sie ihn rütteln?
- Da öffnet er die Augen -- grauengroß.
- Er sieht die Blumen blühn im schwülen Moos.
- Und jäh, als wollt er einen Wurm abschütteln,
- macht er sich los:
-
- Das war, weiß Gott, ein Teufelstraum!
- Ich saß mit dir in einem alten Park;
- zuweilen ritten Leute hin am Saum.
- Und plötzlich kam ein Reiter, jung und stark;
- der fing uns an im Zirkel zu umtraben,
- in immer gleichem, ziellos gleichem Kreise,
- und doch so eifrig wie auf einer Reise,
- als möcht er Ruhe, endlich Ruhe haben.
- Er schien uns beide garnicht zu beachten.
- Und langsam übermannte mich ein Schauer:
- er wurde immer älter, immer grauer.
- Ich mußt ihn immer sinnender betrachten,
- mit immer tiefer angestrengten Blicken.
- Dann sah ich Roß und Reiter gräßlich nicken,
- mit Augen, die mich immer irrer machten;
- ich wollte schrein vor sinnloser Beschwerde.
- Und als mich deine Hände zu mir brachten,
- fühlt ich mit Grauen: das war der Geist der Erde.
-
- Er küßt ihr dankbar die Rechte. Sie nickt und lauscht.
- Er sieht die Blumen blühen im stillen Moos.
- Er hört den Wald antworten; es gurrt und rauscht.
- Er fühlt zwei Augen schweigen. Die sinnen blos:
-
- ich weiß einen Himmel -- grauen+los+ --
-
- und er schließt die Arme um einen Schooß.
- Da rauscht es wieder: zwei Pferde stecken
- die Köpfe durchs Dickicht. Zwei Menschen erschrecken.
-
-
-7.
-
- Und endlich kommt eine Hütte in Sicht.
- Es regnet, daß sich an den Wegen
- die Halme in den Schlamm der Berge legen;
- er spritzt den Reitern ins Gesicht.
- Sie müssen immer mehr die Köpfe neigen:
- Kirschbaum bei Kirschbaum, immer tiefer,
- spritzt Blütenfluten von den Zweigen,
- sie kleben fest wie Ungeziefer.
- Das Weib spricht:
-
- Mir ist, als ritten wir zum Jüngsten Gericht;
- der liebe Gott weint seine dicksten Tränen.
- Ich triefe wie die Pferdemähnen,
- und paradiesisch riecht mein Rappe nicht!
-
- Sie wischt sich heftig den Brei von Hals und Hut.
- Der Mann will längst ein Lächeln verbeißen.
- Aber endlich zwingts ihn: er muß den Mund aufreißen
- und lacht in hellem Übermut:
-
- Ei ei, Frau Fürstin! Gott ist gut!
- er merkt, Ihr wollt in den Himmel kommen;
- drum kommt uns der Himmel höchstselbst entgegengeschwommen --
- o Meine, sei keine Martersäule!
- Allons, was starrst du! mein Schimmel hat Eile:
- komm, im nächsten Pfarrdorf verkaufen wir die Gäule,
- das wird unsrer Pilgerkasse frommen!
- Dann rollst du zu Rade vor mir her,
- wie Frau Fortuna erlaucht im Traum der Ahnen.
- Kein Schmutz, kein Stallgeruch befleckt uns mehr,
- kein Kohlenrauch von Eisenbahnen.
- Dann reisen wir nur noch bei Sonnenschein
- und lassen unsre Herzen brennen.
- Und dann will ich nie mehr, ich schwör’s, dich Frau Fürstin nennen
- und doch -- dein ergebenster Diener sein.
-
- Sie machen vor der Hütte Halt.
- Er wischt den Schmutz von seinen und ihren
- Händen; sie wehrt mit sanfter Gewalt.
- Zwei Menschen steigen von den Tieren.
-
-
-8.
-
- Und im Glanz, im bebenden blauen Glast
- um zwei strahlende Stahlmaschinen
- wiegt der Bergwind Blumen und Bienen;
- traumhaft halten zwei Menschen Rast.
- Traumhaft haucht ein Birkenstrauch
- Duft und Dunkel um sie her.
- Im Laubwerk spielt die Luft, bald sanft, bald sehr.
- Die Gräser zittern zwischen ihnen.
- Ein Mann summt:
-
- Nun laß die goldnen Schatten
- durch deine Locken gleiten;
- ich will dir eine Krone
- aus lauter Licht bereiten.
- Wiege mich, wiege mich: du sollst mir Alles sein:
- wie ein klein Kindchen bedarf ich dein! --
- Siehst du den freien Himmel dort
- aus den Klüften steigen?
- ich seh eine Freifrau thronen,
- ihrem Freiherrn tief leibeigen.
- Wecke mich, wecke mich! ich will dir Alles sein:
- ich kann dir Gott aufwiegen, bedarfst du mein.
-
- Traumhaft blickt das Weib den Weg zurück.
- Um zwei strahlende Stahlmaschinen
- wiegt der Bergwind Blumen und Bienen;
- jede taumelt auf gut Glück.
- Eine Stimme zittert hin zu ihnen:
-
- Siehst du an deiner Krone auch,
- Kind, die schroffen Zinken?
- Ich sah den freien Himmel, Herr,
- in den Klüften versinken.
- Hebe mich, halte mich, ich war so tief allein;
- laß uns zusammen Alles sein!
-
- Traumhaft haucht der Birkenstrauch
- taumelnde Schatten um sie her.
- Im Laubwerk wogt das Licht, unendlich sehr.
- Himmelluft hüllt zwei Menschen ein.
-
-
-9.
-
- Und es wird immer freier.
- Von den Bergen weichen die Morgenschleier.
- Noch wanken Wolken in den Spalten;
- aber aus allen grauen Falten
- quellen und strahlen wie Diamant
- Schneeadern nieder ins grüne Land,
- die sich unten in klaren Bächen
- Bahn zum dunkeln Strom hin brechen,
- steil von Halde zu Halde schäumend.
- Das Weib steht säumend:
-
- Wie strebt das alles weg von sich --
- o Meiner, Meiner: wohin, wohin!
- Jeder Sturzbach zeigt mir, wie dein ich bin;
- und doch lockt jede Wolke mich.
- Mir ist so federleicht, zum Fliegen --
- was will dies Bangen, es ist kein Grauen:
- jeden freien Abgrund möcht ich hinunterschauen,
- zwischen Tod und Leben mich wiegen.
- Zeig mir das Dorf, wo unsre Räder stehn:
- ich kann’s ohne Wanken liegen sehn!
-
- Sie will sich über die Tiefe neigen.
- Sie steht auf einmal tief erschrocken:
- hohl erdröhnt das Tal von Glocken.
- Sie weicht zurück. Der Mann lächelt eigen:
-
- Wohin -- nun fühlst du’s: nicht hinab!
- da droht ein Gott: die Welt ist Mein.
- Und nicht hinauf: da gähnt sein Grab.
- Nur hin, nur hin -- dann ist sie Dein!
- Dann wird sie dir das Ziel enthüllen,
- zu dem der Gießbach stürzend springt:
- mit Willigkeit den Willen zu erfüllen,
- der alles Leben zu Todeslüsten beschwingt:
- du wirst dir selbst, in weltlichen Parabeln,
- der unbekannte Gott der alten Fabeln.
-
- Er winkt ihr, hält sie, läßt sie schweben;
- zwei Menschen sehn ins ewige Leben.
-
-
-10.
-
- Und sie steigen den bleichen Firnen zu,
- von dem fernen stummen Blitzdunst umhaucht,
- der die schwülen Almen, die Pfade, die dunkle Fluh,
- die Hütten, die Heerden in Geisterlicht taucht --
- wie verzaubert staunt der Blick einer Kuh.
- Groß voll Ruhe, weitauf trunken,
- schlürft das Auge die Himmelsfunken,
- reglos ragt das Hörnerpaar --
-
- Wie die Götterfürstin starrte,
- wenn sie auf den Gatten harrte,
- dessen Gruß der Blitzschlag war --
- raunt der Mann dem schauenden Weibe
- seltsam zu und macht sich frei.
- Ein erstickter Schrei --
- sausend zuckt sein Bergstock an ihr vorbei --
- und ein Schritt, und funkelnd mit peitschendem Leibe
- speit unter seinem knirschenden Schuh
- eine Viper den letzten Blick ihr zu,
- noch tötlich lauernd.
- Schützend, schauernd
- naht ihr seine Stimme: Du --
- innig bis ins bangste Mark:
- Lea! meine Löwin! sei stark!
-
- Sie hat die großen Augen geschlossen;
- wie ein klein Mädchen steht sie da
- mit ihrer Haut voll Sommersprossen,
- bleich vom Glanz der Blitze umflossen.
- Wie verzaubert nickt sie: Ja --
-
- ich weiß nit, wie mir eben geschah --
- halt mich noch ein Weilchen umfangen,
- du warst so ruhig, bleib mir nah --
- ich wußt ja nicht: mir +graut+ vor Schlangen --
- bis unters Herz ist mirs gegangen --
- o geh mit deiner Löwin, du:
- ich glaub, ich bin -- lach nit -- dei’ Kuh --
-
- Und zwei Menschen segnen ihr Todesbangen.
-
-
-11.
-
- Und sie seufzen auf aus Sturm und Nacht;
- ohne Grenzen fühlt sich Arm in Arm.
- Durch die rauschende Hütte, unendlich warm,
- wogt und weht das Dunkel hin. Und der Schacht
- des Rauchfangs funkelt so sternenweiß
- wie auf den Bergen das schmelzende Eis.
- Das Weib flüstert heiß:
-
- Und brächen da jetzt Lawinen herein,
- ich würd aufjubeln: wir leben, leben!
- Nicht Leib, nicht Seel mehr fühl ich Mein,
- wenn ich mich dir entgegenhebe
- und du dringst immer tiefer in mich ein.
- Noch rauscht dein Blut mir, dein Herzschlag, durch alle Poren!
- o sag mir, sag mir: solche Sekunden
- hast doch auch Du nie früher empfunden?!
- Ach, hätt ich dich doch selber geboren!!
-
- Sie breitet die Hände zum Firmament.
- Pulsend wogt das Dunkel, unendlich warm.
- Mit suchenden Fingern umglüht sie ein Arm,
- ein Mann bekennt:
-
- Ja, greif nach den Sternen, als ob sie wüßten,
- was Menschenherzen Reinstes verlangen!
- Du hast mich geheilt von allen Lüsten,
- die nicht der Einen Lust entsprangen,
- die ganze Welt im Weib zu umfangen;
- du bist es, bist mir, was mich gebar.
- Du tauchst mich wieder in die Erde,
- als sie noch Eins mit dem Himmel war;
- in Dir fühl ich ihr feuerflüssig Werde
- dem kreisenden Weltraum noch immer sich entwühlen,
- und hingenommen von den Urgefühlen
- bringt ihre Glut uns der ewigen Inbrunst dar.
-
- Er nimmt sie an sich wie ein Riese.
- Durchs Dach der Hütte funkelt die Nacht
- des Sturms mit überirdischer Pracht.
- Zwei Menschen nahn dem Paradiese.
-
-
-12.
-
- Und sie schweben in steiler Gletscherspalte;
- die Seile knirschen, der Atem raucht.
- Aus dämmernden Grabesgründen taucht
- die blaue Klarheit, die schneidend kalte.
- Und sie finden Halt. Der Mann horcht und haucht:
-
- Da kommen die großen Ströme her,
- wo die Tiefen weinen vor eisigem Grausen.
- Hörst du die tausend Tropfen brausen?
- die fernen Wasserstürze? das Meer?
- Hörst du im Brausen das Todesschweigen
- aus den leuchtenden Grüften steigen?
- sieh: es scheint, ein Wanken weitet Allvaters Hallen!
- Lea -- wenn jetzt die Wand zerrisse
- und wir würden einsam ins ungewisse
- Reich des ewigen Daseins fallen:
- wärst du im Sturz noch meine Göttin der Freude?
- oder wieder die Fürstin Herzeleide?
-
- Er sucht ihren Blick; er sieht blaue Kreise,
- er faßt fester Fuß -- der Gletscher schreit.
- Dumpf dröhnt’s im fern zerreißenden Eise;
- meergrün furcht sich die Dunkelheit,
- die starre Wand bebt. Das Weib fragt leise:
-
- Bist du des Todes so kalt gewahr?
- Allmutter sieht in Allvaters Hallen
- einen heimlichen Brunnen überwallen,
- drin dämmert’s warm und wunderbar.
- Es scheint, Opale schmelzen auf seinem Grunde.
- Da entsprießt dem märchenfarbenen Schlunde
- eine rosige Knospe, morgenklar.
- O, die möchte Allmutter Herzeleide
- blühn sehn voll göttlicher Augenweide;
- und ihr Schooß erbebt, des Lebens gewahr.
-
- Sie starrt beklommen. Es starrt der Mann,
- als ob er selbst Tod und Leben erschuf.
- Da schallt von oben der Führerruf;
- zwei Menschen schweben himmelan.
-
-
-13.
-
- Und es ist keine Erde mehr zu sehn.
- Über Meeren von Dampf, Schatten, Wolkenschaum
- dehnt und wölbt sich der reine Raum.
- Höher als die Sonne stehn
- zwei Menschen in gärendem Wetterbrodem,
- führerlos vom Glanz umbrandet,
- der von Berghaupt wild zu Berghaupt strandet;
- alle Gipfel wogen. Das Weib zürnt zu Boden:
-
- Lukas, wir haben uns verstiegen.
- Lächle nicht! War Das dein Ziel?
- mich in stolze Mutterhoffnung zu wiegen,
- um dem irren Zufall zu erliegen?
- Du bist zu ernst für solch ein Spiel! --
- Du kannst in deinem Schwerpunkt ruhn,
- du brauchst nicht bodenlos zu gären;
- es ist nicht Flugkraft, wenn Opale tun,
- als ob sie Seifenblasen wären.
-
- Sie sucht seinen Blick. Der folgt dem Dampfe.
- Zuckend glühn die Narben in seinem Bart;
- seine Nüstern spannen sich wie zum Kampfe.
- Er fragt sehr zart:
-
- Sprach das die Frau, die einst fliegen wollte?
- Nun, der Morgennebel wird bald zergehn;
- dann wirst du die Straßen wiedersehn,
- auf denen gestern da unten dein Glücksrad rollte.
- Auch die Felswände stehn noch unverrückt,
- die meine freie Ebne vermauern --
- Lea! Lea! soll ich bedauern,
- daß ich Seelen verließ, die +Mein+ Glück beglückte?!
- Steht der Himmel dir nur im Gleichnis offen?
- Mutter Isis! -- Ah: nun lächelst auch Du!
- Ja, dann +juble+, Seele: im Himmel herrscht keine Ruh --
- und du wirst noch viel stolzer, viel göttlicher hoffen!
- O sieh die Adler dort, die beiden,
- wie sie strahlend den Dunst zerschneiden --
-
- Strahlend blicken zwei Menschen der Sonne zu.
-
-
-14.
-
- Und es blaut eine Nacht, rings von Monden hell:
- der Gießbach braust in elektrischer Glorie vom Berg.
- Der Mond des Himmels krönt das Menschenwerk;
- einem Zauberschloß gleicht das stille Hotel.
- Fern schwebt silbern die eisige Gipfelkette,
- gleißt in jedes Fenster herein,
- beglänzt ein seidnes Himmelbette.
- Wirr entsinnt sich der Mann: er träumte ein Schreien.
- Auf der schimmernden Lagerstätte
- liegt das Weib, ein Bild starrer Pein.
-
- Lea! -- er reißt sie aus dem Schlaf --
- Du! wach auf! komm! was hat dich bedroht?
- Du machst ja Lippen, blaß wie zum Tod.
- Küsse mich! lebe! sei Meine! sei brav!
- sei wieder braun! sei ringe-range-rot!
-
- Er richtet sie hoch mit schmeichelndem Zwange.
- Sie versucht ein Lächeln zum Erbarmen.
- Sie horcht in das Brausen hinaus, lange, bange.
- Klagend greift sie nach seinen Armen:
-
- Es wollt eine Seele sich befrein,
- da band ihre Tat ihr die Hände!
- Ich sah in zwei blinde Augen hinein;
- die starrten mich an ohne Ende.
- Sie starrten weiß, wie dort das Eis.
- Eine Kälte wehte; es kam eine Mauer von Särgen.
- O Lux, führ mich weg von diesen Bergen!
- hilf mir dies tote Leben versenken!
- Lux, du +darfst+ nicht mehr an dein Töchterchen denken!
- o wär’s doch Mein! o wär’s! -- Nein! nein:
- ich will mich wehren, wehren mit allen Gelenken!
- schüttle mich! bis mirs vom Herzen schmilzt!
- Ich will dir ein viel schöner Kind schenken!
- Ich will mich in Dein, ganz in Dein Herz versenken!
- Nimm mich! führ mich, wohin du willst!
-
- Sie umschlingt ihn, schlotternd, vor Wonne schluchzend, vor Grausen;
- zwei Menschen hören die Mondnacht brausen.
-
-
-15.
-
- Und sie kehren zurück auf bestaubte Bahnen,
- Rad an Rad im Fluge durch graue Schlüfte,
- durch Blütenmatten ohne Düfte.
- Immer dunkler blaut das Moos von Enzianen;
- als wolle der glühende Tag die Lüfte
- tief an himmlische Nächte mahnen.
- Immer finstrer schaut das Weib in die Klüfte:
-
- Lukas, mich peinigt schon seit Stunden ein Ahnen,
- als habest du versucht dort oben,
- meine Weibesohnmacht zu erproben;
- tu das nie wieder, ich bitte dich!
- Wie du heut dich über den Abhang bücktest
- und mir das einsame Edelweiß pflücktest,
- kam eine Empörung über mich:
- ich hätt dich hinunterstoßen können,
- blos um dich keiner Andern zu gönnen.
-
- Sie wirft die Blume wild hinter sich.
- Ein Ruck: sein Rad bäumt. Sie wankt, schreit auf:
- er scheint zu stürzen im Rückwärtslauf.
- Nein: er greift zu Boden in blitzendem Schwunge,
- ist wieder bei ihr mit lachendem Sprunge,
- in der Hand die Blume, und steht, fängt sie auf:
-
- Ja! Ja, du: das +hab+ ich versucht dort oben!
- und wills immer wieder, immer wieder erproben,
- weil du Mein bleiben sollst, weil du stark sein kannst!
- Du +sollst+ nicht an deine alten Sünden denken,
- wenn du mit mir durchs heilige Leben rollst,
- dem du ein Kind von mir geben sollst!
- Nein, die göttliche Unschuld wolln wir ihm schenken;
- und das Edelweiß hier wird zum Andenken
- in deine schwarze Seele gepflanzt,
- bis der Heiland mit den Engeln drum Ringelreih tanzt!
- Sieh, mein ganzes Herz lacht: du Weib, ich Mann,
- o selig, wer dein Gott sein kann!
-
- Er steckt ihr den blühenden Stern ins Haar;
- bräutlich glüht der Tag um ein Menschenpaar.
-
-
-16.
-
- Und der Himmel eilt über Täler und Tau.
- Und im Haar einen Kranz von Windenranken,
- rollt durch den Glanz voll Wundergedanken
- eine irdische Frau.
- Wie die weißen Blüten ins Herz ihr schwanken!
- wie die Straße mitfliegt mit den schlanken
- stählernen Rädern, den sonneblanken!
- Und der Mann jauchzt ins helle Morgenblau:
-
- Heia! All Heil, Welt! jetzt gehts bergab!
- Achtung! gleich wird dein Herz was erleben.
- Flügel, Frau Göttin! Füße heben,
- Augen schließen! hei, ich schwebe,
- alle Sterne sprühn in mein Dunkel herab.
- Das lenkbare Luftschloß ist erfunden,
- Wolken fallen mir in den Schooß;
- und an keine Erdaxe mehr gebunden,
- läßt dein Herrgott auch noch die Lenkstange los.
- Los! frei weg! gradaus ins Blaue,
- wie Herr Andree der Nordpolfahrer!
- Sieh, wie saust die Welt gleich klarer!
- Aufgepaßt: da kommt ein wahrer
- Eisbär! huh, ein griesegrauer!
-
- Er schwingt beide Hände, ein Hökerweib grüßend,
- das brummend durch den Straßenstaub zieht,
- wütend die lachende Dame besieht.
- Die ruft blütenumflattert vorüberschießend:
-
- Aber Lux! Mann! Mensch! die stirbt ja vor Schreck!
- Halt! mein Kranz! na wart du: ich hol dich schon ein,
- du Unmensch! dann renne Ich dir weg --
-
- Und --: ein Stoß, als stürze das Weltall ein:
- Sterne sprühn: nachtwolkenbedeckt
- kommt sie zu sich aus Stahl, Staub, Stein:
- da liegt er blutend hingestreckt.
- Und oben steht das Hökerweib
- und lacht und schlägt sich vor den Leib.
- Zwei Menschen stimmen stöhnend ein.
-
-
-17.
-
- Und ein Regen perlt an zitternde Scheiben;
- ein Bahnzug stampft durch sanfte Gelände.
- Ins Polster gedrückt, verbunden Arme und Hände,
- sieht der Mann die Tropfen rinnen und treiben.
- Seine Augen werden immer grauer;
- er scheint die Frau, die neben ihm lehnt,
- nicht zu fühlen. Sie sagt voll Trauer:
-
- Du hast dich in die Ebne gesehnt,
- nun kommt sie, und -- du sprichst kein Wort;
- als wär dir die ganze Seele verbunden.
- Und ich -- ja, ich weiß, ich stieß dir die Wunden;
- aber sie werden wieder gesunden;
- soll ich denn mitleiden fort und fort? --
- Fühl’s doch endlich, wie Ort bei Ort
- und Tal an Tal sich zur Ernte kränzt!
- das feuchte Korn, wie’s brotgelb glänzt!
- die Obstalleeen, die weidenden Pferde --
- sieh: tausend Freuden wachsen aus der Erde!
-
- Und immer sanfter rinnt das Gelände;
- wilder stampft der Zug und schüttelt die Frau.
- Unwillkürlich hebt der Mann die Hände.
- Sein grauer Blick wird dunkelblau:
-
- Ja, ich fühls, ich sehs! sehr, sehr genau!
- seh schon die Arme der Schnitter sich regen,
- und muß die meinen erbärmlich zur Ruhe legen,
- weil ich mich gehen ließ -- ich! -- ja: Ich --
- meine ganze Seele beschuldigt mich.
- Zu jeder Handlung braucht sie die Hand,
- für unser Wort selbst als Unterpfand;
- wehe dem Menschen, der das vergißt!
- Wie dies Stampfen mich höhnt! Das Gangwerk der Maschine,
- das unsrer Glieder lenksames Nachbild ist,
- mir kann es jetzt als Vorbild dienen!
-
- Er verstummt mit selbstbeherrschter Miene.
- Der Regen rinnt von den zitternden Scheiben.
- Zwei Menschen bedenken ihr Tun und Treiben.
-
-
-18.
-
- Und ein Lichtstreif schielt von getünchten Wänden
- nach blitzenden Messern zwischen Verbänden;
- dunkle Rosen glühn über frischem Blut.
- Ohnmächtig ringt der Duft des Straußes
- mit der Luft des Krankenhauses;
- und lähmend sticht die Mittagsglut
- durch die verhängte Fensterscheibe.
- Ein Mann eröffnet einem Weibe:
-
- Also -- die Ärzte haben befunden,
- meine rechte Hand wird +nicht+ wieder gesunden.
- Ich werde sie wahrscheinlich verlieren,
- oder man wird sie mir lahm kurieren,
- was ungefähr dasselbe sagt;
- kurz, ich hab mich für immer zur Schandgestalt gemacht.
- Nach unserm Gottrausch lieg ich da,
- hilfloser als der Urmensch. Ja:
- stelle dich nur recht aufrecht hin!
- Bei jeder Umarmung wirst du’s erkennen,
- daß ich meiner, deiner nicht mehr mächtig bin.
- Das ist kein Mann mehr nach deinem Sinn --
- auch nicht nach meinem --: wir müssen uns trennen.
- Geh! machs kurz! sei Du! schon seit gestern
- mahnt mich dein Wesen an eine Andre;
- sie würde für mich durch jedes Fegfeuer wandern;
- uns aber schaudert vor barmherzigen Schwestern.
- Geh! Noch kannst du zurück in dein Leben.
- Du sollst einst nicht davor erröten,
- dein Kind einem Krüppel ans Herz zu heben.
- Auch nach Klarheit brauchst du nun nicht mehr zu streben;
- die wird das Kind dir auf jeden Fall geben,
- auch falls du wieder geruhst, es zu -- töten.
- Er lächelt eisig; er glüht. Sie schweigt.
- Sie steht wie über ihr Innres geneigt;
- ohnmächtig duftet ihr Rosenstrauß.
- Sie hebt die Stirn, sie schreitet hinaus,
- ohne Gruß, ohne Blick. Zwei Menschen erbeben.
-
-
-19.
-
- Doch von fernen Höhen springt das Licht
- über Land und Stadt durch den trüben Morgen;
- zwischen rings aufglitzerndem Grün verborgen,
- hebt der Mann sein verwachtes Gesicht.
- In dem einsamen Garten knirschte der Sand.
- Er lauscht noch, ob er träumte, ob wachte
- -- eine Meise huscht um den Laubenrand --
- da steht sie vor ihm, an die er dachte.
- Sie nimmt die lahme, vernarbte Hand.
- Er will sie ihr entreißen, entringen;
- aber heiße Tränen dringen
- über ihr und sein Gesicht,
- er kann es nicht --
-
- Nein, Meiner! -- und würdest du jetzt mich schlagen,
- was wär mirs gegen dies Wiederfinden!
- O, ich wär ja am liebsten mit vier Wagen
- nach allen vier Winden
- auseinandergejagt, dir endlich zu sagen:
- was Du kannst, kann auch Ich ertragen!
- alle, alle Weibeskraft sollst du in mir finden! --
- Sieh: hier hast du +zwei+ Hände statt der einen.
- Ich bin ja nicht mehr wie früher. Schau:
- da mußt ich mein Menschlichstes verneinen,
- um der Welt und mir etwas vorzuscheinen.
- Jetzt +bin+ ich etwas: Deine stolze Frau! --
-
- Ja: sieh auf! mir ist, als müßt ich ersticken,
- bis die Leute mit menschenfreudigen Blicken
- uns wieder nachschaun: welch strahlend Paar!
- Und schlichest du, so die Stirne hebend, an Krücken,
- ich hör ihr Geflüster: Wunderbar,
- wer muß das sein, was für ein Mann,
- dem solch ein Weib gehören kann!
-
- Sie lacht: seine Hand bebt auf ihrem Haar.
- Von den fernen Höhen lacht der Morgen.
- Um die Laube lachen die Vögel gar.
- Zwei Menschen fühlen sich geborgen.
-
-
-20.
-
- Und ein Abend rötet die Dächer alle.
- Eine Taubenschaar kreist mit flammenden Schwingen,
- als habe sie dem schwülen Tale
- eine Himmelsbotschaft herabzubringen.
- Da erklärt das Weib mit einem Male:
-
- Lukas, nun muß ich dir etwas sagen:
- ich hab einen Brief an dich unterschlagen.
- Ich mußt endlich wissen, was du triebst,
- wenn du zuweilen Nachts heimlich schriebst --
- du brauchst dein Erblassen nicht zu verstecken:
- auch mich kam Furcht an, Schmerz, Verwirrung, fast Schrecken.
- Ich konnt die sonderbaren Chiffern
- zwar nit ganz und gar entziffern;
- aber dieser Freund benutzt dich als Helfershelfer zu Zwecken,
- die lichtscheu sind! er spricht von deinem Leben,
- als wärst du gewohnt, falsche Karten zu geben.
- O Lux, vertrau mir! Ich hab nichts, nichts zu verlieren
- als Dich! Ich will mich in jede Armut finden;
- selbst verachtet zu werden, könnt ich verwinden.
- Nur: laß dir nicht für Geld die Hände binden!
- Sag mir --: was ists mit den Archivpapieren? --
-
- Kalt blickt der Mann nach den flammenden Tauben.
- Seine Rechte hat versucht, sich zu ballen.
- Er sagt, und seine Worte fallen
- wie metallen:
-
- Es ist Nichts! ich fordre von dir Glauben.
- Und bis du +reif+ bist, Näheres zu erfahren,
- und um dir weiteres Mißtraun zu ersparen,
- wird dieser Briefwechsel einfach unterbleiben;
- denn ja -- ich kann jetzt nicht mehr heimlich schreiben.
- Einstweilen aber sollte dein eigen Treiben
- dir die Erleuchtung innerst nahe legen:
- kein Licht kommt anders als auf dunklen Wegen! --
- Hier: blick mir in die Augen hinein:
- sag, meinst du wirklich, Ich kann lichtscheu sein??
-
- Zwei Menschenseelen schimmern sich entgegen.
-
-
-21.
-
- Und Wolke über Wolke kommt gekrochen
- und drückt das offne Land in dumpfe Schranken;
- es liegt im Halblicht wie gebrochen,
- der Bergforst steht gesträubt.
- Der Donner brodelt schon, und Blitze wanken;
- und wenn die Funken fahl durchs Dunkle kochen,
- dann ists, als atmeten des Tales Flanken.
- Der Mann macht Halt wie dunstbetäubt:
-
- So sind wir rings umhüllt vom Unbekannten;
- dem Qualm der Niederungen kaum entklommen,
- stehn wir vom Schwall der Höhen schon benommen
- und gehn vielleicht erst recht der Tiefe zu.
- Und wenn der Bann, dem unten wir entrannten,
- hier oben uns ereilt mit glühendem Schuh,
- wenn dann im letzten taumelgrellen Nu
- die eine Frage noch in uns entbrannte:
- ist nicht des Lebens Mißgeschick
- nur unsres Wesens Ungeschick --
- dann wirbelt noch durch unsre tiefste Ruh
- als einzige Antwort aus der Ewigkeit
- des Daseins grausige Unsicherheit.
-
- Und drohender erschallt das Lichtgebebe,
- die hohen Tannen fangen an zu schauern.
- Bis ganz ins Land hängt alles in der Schwebe;
- es ist, als ob das Tal die Flügel hebe.
- Das Weib zeigt in die rollenden Wolkenmauern:
-
- Wenn sonst die Blitze so den Raum durchschossen,
- war mir so grenzenlos, so haltlos bange
- wie damals vor der Todeswut der Schlange;
- jetzt scheint durch jeden mir der Himmel erschlossen.
- Ich brauche blos mit dir ins Licht zu schauen
- und habe vor nichts, vor nichts mehr Grauen.
-
- Und jählings reißt sich aus der Dunkelheit
- blendend und knatternd der erste klare Strahl.
- Mit prasselnder Sohle springt der Regen ins Tal.
- Zwei Menschen atmen wie befreit.
-
-
-22.
-
- Und sie schreiten durch verwüstete Fluren.
- Von Hügel nieder zu Hügel hingeschwemmt
- ziehn sich des Wolkenbruches Spuren.
- Die Bäume stehn noch wie gekämmt.
- Das reife Korn am Weg ist wie geplättet.
- Fern am durchbrochnen Bahndamm hängen,
- Strickleitern gleich, Reste von Schienensträngen;
- die Brücke liegt zerrissen im Fluß gebettet.
- Die Sonne blitzt aus hundert Spiegelflächen.
- Des Weibes Blick folgt den gefüllten Bächen:
-
- Wie wird nun nach dem ersten Staunen und Grauen
- der Mensch hier rings mit doppelt mächtigem Mut
- bahnen und bauen,
- bis die Natur ihm seinen Willen tut!
- So stand ich einst -- o endlich kann ichs sagen --
- nach frischer Tat vor meinem getöteten Kind.
- Im Garten draußen stöhnte die Nacht, der Wind.
- In meinem Innern sah ich Blutstürme jagen.
- Ein Paradies reifer Hoffnungen lag mir zerschlagen.
- Aber ein Glaube schwoll draus auf, so groß,
- als bebe die Erde vor Drang, mich hochzutragen:
- o, unerschöpflich ist der Mutterschooß! --
- Gib mir die Hand, Lux; jedes Mißgeschick
- macht uns geschickt zu neuem Glück.
-
- Sie greift nach seiner gelähmten Rechten,
- eine Himmelsklarheit im dunkeln Augenpaare
- gleich den glanzgefüllten Bächen.
- Er will noch wehren. Er möchte sprechen.
- Da --: ein Schauer reckt sie -- seine Finger umflechten
- ihre stolzen Hüften, ihn zieht das Unsagbare --
- er steht und stammelt, kaum bewußt:
-
- du Liebe, Schöne, Gute, einzig Wahre!
- du Mörderin aus Lebenslust!
- du Kind, du Engel an meiner Brust! --
-
- Der Himmel glänzt aus jeder Wasserrinne;
- zwei Menschen sehn’s wie eines Wunders inne.
-
-
-23.
-
- Und schwarz aus dunklem Erntefeld
- bäumt sich das Denkmal einer Schlacht.
- Tief hinter den Garbenreihen hält
- der große Mond im Dunst blaßrote Wacht.
- Es tränkt ein Duft die weite warme Nacht,
- der jeden Busch zur Wolkenblume schwellt.
- Die Wiesenraine sind wie Geistergleise.
- Ein Mann sagt leise:
-
- Es wollt eine Seele sich befrein,
- da band ihr die Freiheit die Hände.
- Nun sinnt sie in Tod und Leben hinein;
- da schließt eins innerst das andre ein,
- aller Zwang hat willig ein Ende.
- Sieh dort: wie stehn, wie schimmern die vollen Ähren!
- als ob sie stolz die Opfer verklären,
- die einst hier fielen für fremdes Glück.
- Kein Denkmal ruft die Tausende zurück,
- die noch als Leichen Kindeskinder nähren;
- auf diesem Hügel aber stand der Feldherr
- und fühlte sich im Siegesglück als Weltherr.
-
- Er hat den Arm wie zum Befehl gehoben.
- Da schmiegt das Weib ihr Haupt in seine Hand
- und Brust an Brust, und raunt ins dunkle Land,
- als höre sie das Mordgewühl noch toben:
-
- Und fühlte doch vielleicht sein Herz erbeben,
- und hätte gern die Tausende geschont,
- wenn nicht auch Er bereit war, Blut und Leben
- so rückhaltlos der Welt zurückzugeben,
- wie dort sein Licht vergießt der rote Mond.
- Glaub’s, Meiner, glaub’s: kein Glücklicher fühlt einsam:
- was ihn beglückt, er geht drin auf, gemeinsam!
-
- Und warm und wärmer schließt im Nebelkreise
- sich Herz an Herz mit überströmender Macht.
- Die Erde schwillt gen Himmel, leise, leise.
- Die Wiesenraine werden Göttergleise.
- Zwei Menschen sinken in den Duft der Nacht.
-
-
-24.
-
- Und aus verwildert stillen Gärten steigt
- ein altes Städtchen in die Mittagsglut.
- Um die zerborstenen Mauerwehren zweigt sich
- Epheu, Hexenbart, Pfaffenhut;
- weiße Rosen blühn am Tore.
- Im Schatten ruht ein Mann und träumt und schweigt
- zur Giebeluhr hinauf, die nicht mehr zeigt.
- Ein Weib zupft ihn am Ohre:
-
- Du machst ja Augen, so voll entlegener Wonnen,
- als sähst du die Jahrhunderte sich sonnen
- auf den Ruinen.
- Ja: die steinernen Jungfraun hoch am Tor,
- die beten gar „reif“ um ihr Stündlein empor
- mit ihren verwitterten Mienen.
- Wir aber -- o -- wir haben Zeit;
- sehn wir nicht auf zu ihnen
- voll ewiger Seligkeit?!
-
- Der Träumer hat den zarten Spott vernommen.
- Sein Blick ist freudig aufgeglommen.
- Die Gärten glühn. Er lächelt sonderbar.
- Er sucht nach Worten, Blick in Blick gegründet.
- Er spricht, als säh er tief ein Licht entzündet,
- das früher nicht in ihrer Seele war:
-
- Vielleicht sah ich in meinen entlegenen Wonnen
- ein kommendes Jahrhundert schon sich sonnen,
- nicht auf romantischen Ruhestätten zwar.
- Ich sah nach dem edlen Ritter im Fries,
- der seinen Mantel weiland den Bettlern ließ,
- um hilflose Blößen zu decken.
- Vielleicht ist heimlich nach Bettlerart
- mancher edlere Ritter heut auf der Fahrt,
- Helfershelfer zu wecken
- zu jetzt noch „lichtscheuen“ Zwecken --
-
- Er schweigt. Die Gärten glühn. Es ist, als schliefe
- verstohlenes Leben hinter allen Hecken.
- Zwei Menschen sinnen in die Tiefe.
-
-
-25.
-
- Und hoch durch Hallen, die fast blenden,
- braust Dampf; und dumpf donnert Rad bei Rad.
- Hohl durch die offenen Bogen-Enden
- schweelt wie ein Herd mit tausend stillen Bränden
- die Lichter-Dunstnacht einer großen Stadt.
- Bahnzüge dröhnen rhythmisch hinaus, herein,
- hin am Wirrwarr der scheinbar ziellosen Menge.
- Zwei Menschen überschaun das stete Gedränge.
- Ein Mann weist nach den fernen Häuserreihn:
-
- Ists nicht, als wärens Äonen seit ehemals,
- seit wir vom Haus deines Herrn Gemahls
- die finstern, lichtdurchfurchten Mauern
- auch so am Horizont sahn kauern?
- Und ists nicht wieder, nicht immer noch, als lauern
- die roten Fensterhöhlen auch hier wie Augen,
- die alle trüben Begierden einsaugen,
- auf Habsucht Notdurft speichern, und Haß zum Neide?
- Und treibt doch Alle die Liebe, wie uns Beide,
- sich Geist an Geist mit seelenvollen Händen
- zu gleichen Lebenszwecken zu vollenden!
- Wärs da nicht not, daß Freunde des Lebens sich fänden,
- nur zu dem einen Endzweck auserlesen,
- klar Alle dem Willen Aller zuzuwenden?!
- bis einst der Geist, von jedem Zweck genesen,
- nichts mehr zu wissen braucht als seine Triebe,
- um offenbar zu sehn das weise Wesen
- verliebter Torheit wie der großen Liebe?!
-
- Und einer Seherin gleichend steht das Weib,
- und näher drängt um sie das Köpfegewimmel.
- Sie fragt, und hält die Hände in das Getümmel,
- als schütze sie den Mutterleib:
-
- Und wenn nun Einst und Jetzt auch Mir sich einen,
- sodaß ich furchtlos deine Freundin bleib,
- trotz meiner Eheschuld und trotz der deinen?!
-
- Sie schweigt, als ob sie heimlich etwas versprach.
- Zwei Menschen sinnen der Menschheit nach.
-
-
-26.
-
- Und sie stehn vor einer Domfassade.
- Unvollendet hockt der eine der hohen Türme
- im Kranz der gotischen Höllengewürme,
- als bitte er den andern um Gnade.
- Aber vor vermessenem Himmelsverlangen
- scheint die irdische Tragkraft ihnen ausgegangen;
- unten gähnen wie Grüfte die kunstgerechten Pforten.
- Demütig Gebeugte nahen von allen Seiten.
- Und das Weib winkt dem Mann, auch hineinzuschreiten.
- Und die Orgel erbraust zu ihren Worten:
-
- Komm, laß uns einmal wieder voller Kindheit sein.
- Horch, wie die alten Lieder Alle benedein.
- Da spürt kein Herz mehr Sünde;
- die Mutter mit dem Kinde
- schließt ja auch Uns die Gründe
- der Welt und Menschheit auf und ein.
-
- Doch die Orgel verstummt. Dumpf tönen Gesänge
- einer verborgenen Priesterschaar.
- Und über dem weihrauchumdampften Altar
- sehn sie bleich einen Gekreuzigten hängen
- mit gräßlich wahr gemalten Wunden
- und schrecklich schön geformtem Munde --
- Da neigt fromm der Mann dem Weibe sich dar:
-
- Vor deinem künftigen Kinde
- könnt ich dir beichten, den Heiligen gleich:
- ich suchte einst ein bißchen Sünde
- und fand das ganze Himmelreich.
- Hier aber dünkt es ein Wortspiel mich,
- wie dieses Schauspiel stimmungsgeil durchtrieben.
- Komm! Draußen steht’s von Grund auf in Stein geschrieben,
- das schwere Wort: Vollende Dich!
-
- Und die Orgel braust wieder. Er sucht einen Pfad
- ins Freie, scheu umkauert von Betern.
- Ein feister Küster im Ornat
- blickt ihnen nach wie frechen Spöttern.
- Zwei Menschen fliehn vor fremden Göttern.
-
-
-27.
-
- Und ein wüster Traum scheint Wirklichkeit geworden:
- durch grabesstille Säle tobt ein Farbenmeer:
- Nackte Leiber hängen an den Wänden umher,
- und geputzte Damen, Tiere, Bäume, Herren mit Orden.
- Neben blühenden Feldern sieht man arme Leute jammern.
- Aus vergoldeten Rahmen stieren elende Kammern.
- Endlich seufzt der Mann und lächelt schwer:
-
- Ich segne wahrhaftig meine gelähmte Hand,
- wenn soviel gesunde auf käuflicher Leinewand
- mit ihrer natürlichen Ohnmacht Stimmung machen.
- Ob diese Künstler nicht über sich selber lachen,
- wenn sie mit kindischer List vom vollen Leben
- den Schaum abschöpfen? -- Aber eben:
- Stimmung -- die Sprache sagt es -- läßt sich „machen“,
- Gefühl und Geist sind Wenigen voll gegeben.
- Sieh dort: in all dem Schwall das schmale Bild,
- von dem wir hier nur eine Klarheit erkennen,
- die kühn aus tiefem Grau ins Blaue schwillt:
- und magst du’s arm vielleicht an Farbe nennen,
- du fühlst doch, daß da Einer spricht,
- der innerlich so reich ist wie das Licht,
- und der drum Schatten wirft auf das Gelichter
- dieser dürftigen Flunkerwichter.
-
- Sie treten näher. Sie sehn am Strand
- des Nachtmeers schlafend einen Knaben liegen:
- ein großer Stern scheint seinem Atem entstiegen,
- in dessen Glanz sich alle Wellen wiegen.
- Endlich nimmt das Weib des Mannes Hand:
-
- Und stimmt das nicht zum Frieden deinen Geist?
- Mir deucht, vom sichern Ufer kann man dreist
- auch einem Irrlichtschwarm Reiz abgewinnen.
- Ich glaube, dir ist das Herz durch Andres schwer.
- Ich hab auf einmal Sehnsucht nach dem Meer;
- uns fehlt wohl nur der freie Himmel hier drinnen.
-
- Sie lächelt: komm! Er stutzt. Dann nickt er nur.
- Zwei Menschen folgen ihrer Natur.
-
-
-28.
-
- Und es rauscht nur und weht.
- Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen.
- Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen,
- die blaue Glut, die stumm und stet
- die Dünen umschlingt.
- Da gebiert die Erde im Stillen wohl ihr Empfinden
- und nimmt ihre Träume und giebt sie den Wellen, den Winden.
- Die Seele eines Weibes singt:
-
- O laß mich still so liegen,
- an deiner Brust, die Augen zu.
- Ich sehe zwei Wolken fliegen,
- die eine Sonne wiegen;
- wo sind wir, du? --
-
- Und es rauscht und weht.
- Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern.
- Es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern,
- der über den bleichen wilden Hügeln steht
- und golden schwingt.
- Die Seele eines Mannes singt:
-
- Still, laß uns weiter fliegen,
- Beide die Augen zu.
- Ich sehe zwei Meere liegen,
- die einen Himmel wiegen.
- O Du --
-
- es rauscht, es weht;
- über die heißen Höhenzüge geht
- höher und höher der goldne Schein
- ins Blaue hinein,
- wo das Dunkel schwebt.
- Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen,
- kommt die Einsamkeit gezogen.
- Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt,
- wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden,
- die will uns wohl endlich leibeigen werden:
- es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen,
- Menschenherzen! -- Zwei Seelen singen -- --
-
-
-29.
-
- Und sie sehn fünf Sonnen im Nebel stehn,
- von Glanz umzingelt vier blasse kleine
- im Kreise um die große eine;
- der stille Kreis scheint den Nebel zu drehn.
- Und im Dünensand hat im Windeswogen
- jeder Halm um sich einen Kreis gezogen.
- Plötzlich lacht der Mann zu dem Phänomen:
-
- Ists nicht, als will uns der Himmel aus seinen Schätzen
- rings deinen verkauften Perlring ersetzen,
- von dem wir die tolle Überfahrt bezahlten!
- O, wie deine Augen herzehell strahlten,
- deine dunkeln Augen im Sturm neben mir,
- daß michs trieb, dich auf offnem Schiff zu umarmen!
- Und da lagen diese Mitmenschlein zum Erbarmen
- und waren seekrank! -- Hah: da dankt ich dir,
- Du, für deine wellenwild schwungvolle Körperschwere,
- die mich auf den Grund aller irdischen Rhythmen tauchte!
- Da fühlt ich wie ein sintflutlich Tier
- unsre Urverwandschaft mit dem Meere!
- Ja, meine Erlauchte:
- Was +ist+ denn diese äußere Welt,
- dies öde Eiland um uns her?
- nur was die Seele davon hält:
- ein Ufer für das innre Meer!
-
- Er hat sich erhoben. Der Dünensand
- fegt singend über den feuchten Strand.
- Die vier Sonnen im Nebel verschwimmen zu blassen Axen,
- die sacht der leuchtenden Mitte zuwachsen.
- Das Weib streckt die Hand:
-
- Zieh mich hoch! -- ja, rück es mir ins reinste
- Licht, daß deine Welt meine umspannt!
- O, wie schmückt unsre Sonne mein schlicht Gewand!
- Und jeder Flimmer, jeder kleinste,
- verflicht uns mit ins Allgemeinste
- und hat doch hell für sich Bestand --
-
- sieh! -- Zwei Menschen umschlingt ein Strahlenband.
-
-
-30.
-
- Und sie stehn von Morgenschauern erfaßt,
- nackt. Die Küste glüht perlmutterfarben.
- Die Ebbenrillen furchen den Glast
- wie rosige Narben;
- in der See wühlt die Windsbraut und jauchzt und tost.
- Und das Weib erschauert bis in den Schooß
- und wirrt ihr naß Haar vom Nacken los
-
- und breitet die Arme: Jetzt kommt die Flut,
- ich möcht ihr gleich wieder entgegenschwimmen!
- Pulst sie dir auch so heiß ins Blut?
- dies Branden, dies Glimmen!
- Wie sie Kraft schöpft -- bis zum Horizont,
- himmelan schwellend aus ihrem Rauch,
- schwarzzottig, silberkraus übersonnt,
- voll Spannung wie ein hochschwangerer Bauch,
- und der Odem der Allmacht kreist drüber her:
- O Mutter See! o Meer! mein Meer!
-
- Und von Segeln der Morgenröte umschlossen,
- schau -- lacht der Mann und knipst ihr ein Muschelchen ab --
- kommt ihr liebster Sohn durch den Raum geschossen:
-
- mein Schiff hat Regenbogenflossen
- und holt dich ins Raumlose ab,
- wo die fünf Sonnen noch immer am Himmel stehn!
- Und da wollen wir eine zum Ballspielen nehmen,
- einen Knäuel zum Glanzweben,
- eine Kugel, aus der wir Lichtbrot rollen,
- eine, in der wir einander spiegeln wollen,
- und die fünfte bleibt stehn!
- Die bleibt stehn, damit die Menschen es sehn können,
- wie wir über die hohen Wellen gehn
- und den freien Sternen dahinter entgegenrennen,
- um die unsre Sonnen und alle sonnigen Herzen sich drehn
- auf Wieder-Immerwiedersehn!
- Und da weist das Weib nieder: hell wie aus Ätherhöhn
- spiegelt ein Ebbentümpel ihre Geberde --
- zwei Menschen sehn den Himmel durch die Erde.
-
-
-31.
-
- Und sie schaukeln im Boot.
- Die Nacht kommt. Sturm droht.
- Die Wogen gehn hohl wie das Segeltuch.
- Grell im Westen ringt noch und schwingt ein Streifen.
- Die Möwen kreischen.
- Der Mann stemmt sich hoch, visiert den Bug:
-
- Zieh die Leine straffer! so! setz dich fest!
- Hast du Furcht? Ja lache, dann jauchzen die Böen!
- Sahst du mich nicht im Traum einst so stehn,
- über Herren mit Kronen, die Rechte ums Steuer gepreßt?
- Jetzt tut’s die Linke! Los! Freiherr Nord pfeift zum Fest
- wie auf meinen großen Heimatseen!
- Sieh, das Grenzband drüben wird schon blasser;
- nun ruft er die Geister übers Wasser.
- Holla! keine Geister, die jenseits hausen:
- das sind Meine Geister, allseits brausen sie!
- Da: die schäumenden Wonnen mit den sprühenden Haaren.
- Da das tiefschwarze Wehe treibt sie zu Paaren,
- von den grauen Sehnsüchten überrannt.
- Bis die schimmernde Liebe alle hinreißt und außer sich spannt
- und deinen trunknen Blick ins Weiteste lichtet:
- da entspringt dir, vom Odem der Brünste entbrannt,
- deine eigne Inbrunst, zur Gestalt verdichtet --
- halt ihr Stand!!
- Denn: fühlst du selber dich Geist genug,
- dann verschwindet der sinnliche Spuk:
- übern Erdrand auf flüchtendem Wasserbogen
- kommt die Kraft deines Ursprungs hochgezogen,
- und du streckst deine Hand aus, von Toden umbellt,
- und schreist in den Aufruhr: O Meine Welt!
-
- Meine Welt -- mein Traum! -- o nicht einst -- allerwegen
- seh ich dich so! -- stammelt, jubelt das Weib --:
-
- Aus mir selbst -- letzte Nacht -- hoch durch stürzenden Regen --
- mit mir selbst -- ja, ein Geist -- stieg dein lichter Leib:
- Himmelfahrt! Ja, fahr zu! Ich fahr mit! allerwegen
-
- Dein! -- Zwei Menschen steuern dem Sturm entgegen.
-
-
-32.
-
- Und es tönt aus der Brandung wie Schalmein;
- helle Nacht versilbert den fremden Strand.
- Langsam wälzen die Wellen den Mondschein ans Land,
- in die dunkelroten Kliffe hinein;
- da stürzen sie sich die Stirnen ein,
- um zurück immer wieder verklärt zu sein --
-
- Es wollt eine Seele sich befrein,
- sieh -- entfaltet das Weib die Hände --:
- Da ward Tod und Leben ihr zu Schein,
- nur der Liebe ist kein Ende.
- Ja; so sah es meine Seele im Traum:
- es ging Deine Seele wie leuchtender Schaum
- aus meinem Körper deinem entgegen.
- Ich sah voll Angst, wie ihr doppelt standet:
- Ein Haupt hell, Ein Haupt dunkel umströmt von Regen.
- Bis ihr, Leib in Geist, ineinander euch fandet
- und mich ergriffet. Da sprachst du ein Wort;
- wie ein Wirbel klang es. Und über mich fort
- stiegen wir, strömten wir lichtflutvermählt
- hin in deine, meine, unsre Welt!
-
- Es tönt aus der Brandung wie Geraun --
- Horch -- raunt der Mann -- das Zauberwort:
-
- Ja, es hieß wohl: +Wir+ Welt! Nicht Schein! nicht Traum!
- horch, wie’s wirbelt: WIRWelt -- o Urakkord!
- WIRWelt murmeln die Ströme, die großen,
- wenn sie zusammenkommen im Meere!
- WIRWelt jubeln die Sternenchöre,
- WIRWelt die Stürme im Uferlosen!
- WIRWelt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren;
- stammeln’s wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren,
- rein, wie Wellen mit Mondlichtschleiern
- spielend ihre Freiheit feiern,
- die Freiheit, die voll Eintracht spricht:
- o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht!
-
- Es tönt aus der Brandung wie Gesang
- um ein Menschenpaar im Überschwang.
-
-
-33.
-
- Und sie wirbeln im Tanz: glühend im Glanz
- mächtiger Feuer bei heller Sonne, in Feiertagslust:
- Männer und Weiber mit offner Brust,
- mit brennenden Backen, stampfenden Hacken,
- auf offner Tenne, um eine Tonne:
- die paukt ein Fischer voller Wonne,
- um die Wette
- mit einem Hirten, der bläst Klarinette,
- und fernher braust den Takt die See.
- Und nun reihn sich rings die Kinder zur Kette.
- Und es wogt ein Herz: Meine Flammenfee --
-
- weißt noch? damals? unser Tanzen
- zwischen den Modepuppen und Schranzen!
- wie du mir wehrtest: nit erzählen --
- wie du mich lehrtest: nit uns quälen --
- und mich schürtest, wie einen Herd,
- aus dem statt Wärme Feuerwerk sprang!
-
- Und er schwingt sie derber die Tenne entlang,
- unverwehrt;
- singend schüren die Kinder den Feuerkreis.
- Zur Sonne singend. Und in den Pausen
- macht die See die Seelen erbrausen.
- Das Weib lacht heiß:
-
- WIRWelt, Meiner! sei Kind! dann steigt
- deine Fee herab von ihrem Stern.
- O, sie hätt wohl längst von Herzen gern
- vor Mann und Weib den Damen und Herrn
- die Zähne und die Zunge gezeigt:
- Seht, hier tanz ich in selbstgestopften Strümpfen
- und kann noch immer die Nase rümpfen!
- ich habe seit Wochen nichts zu Tische
- als Salz, Brot, Ziegenmilch und Fische,
- aber bin Mutter Isis, die Herrin der Welt --
- gelt, mein lieber Herr Gott: deine liebe Frau Welt!
- Es braust die See; es braust ihr Blut.
- Zwei Menschen jauchzen vor Übermut.
-
-
-34.
-
- Und sie sehn sich schimmern, ruhend vom Bade.
- Und schimmernd ruht das öde Gestade
- im warmen Wind. Sie lauschen ihm nach:
- lauschen, wie die Weiten sich rühren,
- wie alle Tiefen zu Höhen führen --
- wie die Möwen zwischen den Wellen
- schwimmend auf und nieder schnellen --
- Und des Weibes Lächeln wird zur Sprache:
-
- Lux, mein Leuchtender, wenn wir so liegen,
- ich mit meinem schwarzen Windsbrauthaar,
- du wie ein Flußgott der See entstiegen,
- und jeder Wogenkamm bringt uns Liebreize dar,
- und mir versinkt die letzte Schranke,
- die zwischen Leib und Seele noch blieb,
- denn dein kleinstes Härchen ist mir so lieb,
- so wert wie dein größter Gedanke --
- und ich denk an gestern und strahle vor Ehren,
- daß ich dir Haar und Bart durfte scheren --
- ach, und heut Nacht, du, hört ich dich schnarchen
- wie einen braven Patriarchen
- und konnt nit lachen -- Herr meines Lebens,
- es war mir lieb als Äußerung Deines Lebens --
- und ich sag dir dann mit fröhlichem Mut:
- ich bin auch deinem Töchterchen gut --
- und frag dann ohne ein Lächeln des Spottes:
- bin ich nun „reif“ zur Mutter Gottes,
- reif zur Lebensmeisterschaft,
- tauglich, tüchtig, tugendhaft --?
- Dann, mein himmlisches Freudenmädchen du,
- -- reckt sein narbiger Arm sie der Sonne zu --
- dann sag ich lachend ohne Spott:
-
- wir Götter brauchen keinen Gott!
-
- Er läßt sie thronen auf seinen Knien;
- und sie, mitlachend, schaukelt ihn,
- die Brüste zum Triumph gestrafft.
- Zwei Menschen schwelgen in ihrer Kraft.
-
-
-35.
-
- Und es rauscht nur und glüht.
- Es liegt eine Düne im schwülen Licht der Fernen.
- Es füllt ein Geflimmer wie von sprießenden Sternen
- die stille Wildnis; das Sandmeer sprüht.
- Es loht die hohle Hügelwand,
- wie auf ewig vor Schatten behütet,
- ein Nest, in dem der Himmel brütet.
- Und der Mann wiegt das Weib im Mittagsbrand:
-
- Aufgewacht, Seele, aufgewacht!
- Wunderland liegt aufgetan!
- In uns, Seele, da träumt die Nacht;
- aber hier, ein Hauch meines Mundes macht
- diese dürre Insel -- ja, schau sie an --
- zum Paradies und Kanaan,
- wo Adam sündlos bei Eva ruht,
- wo der Tag glüht wie unser Fleisch und Blut,
- wo Alles Frucht ist am reinen Leib der Liebe,
- selbst der Halm dort im Sandgetriebe!
- selbst der Salzgeruch, der von der Küste
- herquillt an deine braunen Brüste
- und Milch aus deinem Mutterblut braut!
- selbst deine honigwabengoldne Haut,
- und deines Schooßes glückstrotzender Schwung,
- und meiner Mannheit Verkörperung!
- Und wenn die Seele noch so schreit:
- sie führt zum Wahnsinn, diese Seligkeit:
- dann, du, dann -- er stammelt plötzlich, lauscht --
-
- das Weib in Sonnetrunkenheit
- jauchzt berauscht:
-
- dann ist der Wahnsinn eben Seligkeit -- --
-
- und fährt zusammen: ein Schatten fällt
- in ihre nackte Glut herab
- wie aus einer fremden Welt:
- Sand rutscht, und übern Hügel tappt
- ein Herr in Reisetracht, steht starr -- o Graus:
- zwei Menschen lachen einen aus.
-
-
-36.
-
- Und bis in ihre Leuchtturmklause
- sucht das Walten der Welt sie auf.
- Unten pocht und schwebt im Dunkeln des Meeres Gebrause;
- und den kleinen Tisch deckt bunt ein Haufen
- Briefe aus aller Herren Ländern.
- Der Mann steht lesend; das Weib spielt zaudernd
- mit den abgerissenen Rändern.
- Endlich sagt sie, wie planlos plaudernd:
-
- Lux, ich glaube: könnten die Menschen erraten,
- mit welcher Eintracht wir uns beglücken,
- ja, ich glaube, sie teilten unser Entzücken,
- +die+ selbst, denen wir Leides taten.
- Denn gelt: auch Dir doch würd’ es gelingen,
- diesem Glück alles Andre zum Opfer zu bringen?
-
- Er schweigt -- sie sucht seinen Blick -- ihr graut:
- sein Mund bewegt sich, aber die bleichen
- Lippen geben keinen Laut.
- Er starrt auf ein Blatt mit seltsamen Zeichen.
- Die Chiffern schwanken. Ihr dröhnt das Meer.
- Fremd tönt seine Stimme zu ihr her:
-
- Es hat eine Seele sich befreit --
- ich hielt ihr Glück einst in Händen.
- Ich versprach ihr lauter Seligkeit --
- das ist nun alles zu Ende.
- In williger Demut schien sie’s zu dulden;
- es war Stolz -- stolz schwieg sie zu meinem Verschulden.
- Ja: hier steht es von Helfershand geschrieben:
- ich habe sie in den Tod getrieben.
- Ich ließ die Verzweiflung über sie kommen.
- Ich hab meinem Kind die Mutter genommen!
- Verlangst du noch Opfer? -- Ich glaube: nit!
- Mir scheint, Mutter Isis: wir sind quitt.
-
- Er setzt sich, sonderbar gelassen.
- Unten schwebt und pocht im Dunkeln des Meeres Gebrause.
- Stechend bebt das Licht der einsamen Klause.
- Zwei Menschen suchen sich zu fassen.
-
-
-
-
-Dritter Umkreis
-
--- Die Klarheit --
-
-
-
-
-Eingang
-
-
- Schweb still, schweb still, triebseliger Geist, und dehne
- dich über alle Kreise aus!
- sieh: mit der Sehnsucht der gespannten Sehne
- greifst du nun ein ins Weltgebraus.
- Sie schnellt zurück, zurück zu ihrem Bogen,
- berührt ihn, schwirrt noch, deckt ihn nie --
- doch was sie mußte, wirkte sie:
- der Pfeil ist frei zum Ziel geflogen.
- Such’s nicht etwa bei Deinesgleichen,
- sehne dich nicht in Dich zurück!
- denn es gilt, o Mensch: das Glück,
- oh das Weltglück zu erreichen.
-
-
-
-
-Vorgänge: III, 1-36
-
-
-1.
-
- Zwei Menschen gehn durch nebelnassen Hain;
- er faßt einen alten Friedhof ein.
- Die feuchten Blätter hängen schwer herab,
- so schwer, als möchten sie die Zweige brechen;
- sie hängen um ein frisches Grab.
- Ein Mann beginnt sich auszusprechen:
-
- Nach diesen Trennungstagen,
- die einen Andern aus mir machten,
- will ich mein wahres Trachten
- nicht länger halb im Dunkeln vor dir tragen.
- Eh ich die Leiche liegen sah,
- hatt ich den Traum, ihr stilles Antlitz trüge
- den Mut der Tat zur Schau; der Traum war Lüge.
- Ich sah in ihre zerlittenen Züge:
- dem Wahnsinn schien die starre Maske nah.
- Ich habe vor dem Anblick nicht gebebt:
- da lag ein Herz, der Einsamkeit erlegen.
- Ich stand und fühlte das Gesetz: wer lebt,
- hilft töten, ob er will ob nicht.
- Und aus dem gramvollen Gesicht
- schlug kalt die Mahnung mir entgegen:
- Keinen zu brauchen, gottgleich allein
- williges Herz der Welt zu sein!
-
- Er neigt sich, um die tropfenschweren
- Blätter von sich abzuwehren.
- Mitwehrend spricht ein Weib in ihn hinein:
-
- Wie du gestanden hast an ihrer Bahre,
- erkenn ich aus dem Büschel grauer Haare,
- der früher nicht an deiner Schläfe drohte.
- Wozu nun noch verstorbnes Leid auffrischen!
- Das Leben wird dir’s ebenso verwischen
- wie hier dies Zeichen -- sieh: ich geb’s der Toten.
-
- Sie legt ihre Hand wie segnend auf das Grab:
- sie drückt sich tief im feuchten Erdreich ab,
- ein Tropfen schimmert in dem schwarzen Ballen.
- Zwei Menschen stehn, als sei ein Schwur gefallen.
-
-
-2.
-
- Durch hohe Pappeln fingert grell der Mond,
- legt harte Schatten vor ein kleines Haus;
- fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.
- Zwei Menschen sinnen in die Nacht hinaus.
- Der Dunst der Felder schleicht, das Mondlicht dämpfend.
- Ein Weib sagt zögernd, mit sich kämpfend:
-
- Die Frau, die du bestattet hast,
- hat uns befreit von einer Last;
- ich weiß ihr Dank! und will ihn offenbaren.
- Wo ist ihr Kind! Dein Kind! -- gib mir’s bei Zeiten;
- noch können wir’s zu unserm Glück anleiten.
- Was planst du immer wieder Heimlichkeiten!
- soll’s etwa so ein Freund dir aufbewahren?
-
- Der Mann am Fenster blickt ins bleiche Land;
- er wirrt in seinen grauen Schläfenhaaren.
- Er spricht verhalten, abgewandt:
-
- Vorläufig darfst du dir den Dank ersparen.
- Auch wird kein Freund in deinem Glück dich stören;
- die Tote wußte nichts von diesen Leuten.
- Mein Kind wird meine Mutter mir verwahren;
- ich schwieg nur, um dein freies Wort zu hören --
- nun laß dir Eins dazu bedeuten:
- Mir haben mehr als eure beiden Seelen
- ihr ganzes Glück geoffenbart;
- in jeder schien ein Stück zu fehlen,
- es lag in mir wie aufgespart.
- Wohl band an Jene mich ihr Leidensfrieden,
- wohl riß zu Dir mich deine Lebenslust,
- doch immer blieb mir frei bewußt:
- mir hat die Welt ein reicheres Glück beschieden.
- Vielleicht entdeckst auch Du dies Glück bei Zeiten
- und lernst mein Kind zu +seinem+ Glück anleiten!
-
- Er kehrt seine Stirn brüsk gegens Licht;
- fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.
- Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.
- Zwei Menschen blicken einsam in den Mond.
-
-
-3.
-
- Sonne lacht; die Stoppelfelder schimmern.
- An verfärbten Blättern zupft der Wind,
- Früchte lüpfend. Heimlich Leben spinnt
- weiße Fäden; rings im Blauen flimmert’s.
- Scheinbar tändelnd hat ein Mann
- einem Weibe solch ein zart Geflechte
- um ihr schwarzes Haar gewunden --
- nun streckt er seine narbige Rechte:
-
- Was doch die Seele brav lernen kann,
- hats nur der Körper erst für gut befunden!
- Kaum hab ich mir die eine Hand lahm geschunden,
- schon stellt sich meine Linke geschickter an
- als je die Rechte. Selbst auf der Jagd:
- wie hat mein Vater mich neulich ausgelacht,
- als ich so schießen wollte -- und dann:
- keinen Fehlschuß tat ich beim Kesseltreiben.
- Ich kann auch wieder heimlich schreiben;
- falls dirs vielleicht mal zuviel Mühe macht,
- Frau Fürstin, meine Sekretärin zu bleiben --
-
- Leichthin hat er das Spinngewebe
- wieder ihrem Haar entnommen,
- leichthin hält er’s in der Schwebe;
- bis es wegschwebt, flimmernd, wehend.
- Wie mit Willen nicht verstehend
- sagt sie, nur ihr Atem geht beklommen:
-
- Du tust sehr glücklich mit deinem Spiel.
- Fast wie Gaukler, die sich schämen,
- Lux, ein Unglück ernst zu nehmen.
- Scheint +diese+ Müh dir +nicht+ zuviel? --
- Doch den reichen Seelen
- muß das Glück wohl fehlen,
- das sie Andern zeigen als ein Ziel --
-
- gelt? -- Er schweigt. Rings lüpft der Wind
- Früchte; heimlich Leben spinnt
- weiße Fäden über Zaun und Dach.
- Zwei Menschen schaun dem fliehenden Sommer nach.
-
-
-4.
-
- Abendröte ruht auf alten Wegen.
- Stille Mühlen stehn im kahlen Land
- wie gebannt;
- hohe Bäume glühn der Nacht entgegen.
- Wo der dämmergraue Park sich lichtet,
- unweit einer Grabkapelle,
- gehn zwei Menschen, Hand in Hand.
- Und als sei ein Streit geschlichtet,
- weist ein Weib ins Freie, Helle:
-
- Du mußt nit meinen, ich sei so schicksalsblind,
- daß ich am Himmel niemals Wolken seh.
- Hier birgt noch jeder Strauch mein einsam Weh:
- hier sahst du kalt auf mein getötetes Kind.
- Jetzt aber, wo dein Leben mich durchrinnt,
- so warm, als klopfe unter meinem Herzen
- Dein Herz mit allen Wonnen, allen Schmerzen,
- jetzt will ich kämpfen, bis ich vor dir steh
- so lauter wie ein wolkenloser Tag.
- Wer +sind+ nun deine dunkeln Freunde? sag!
-
- Abendröte ruht auf alten Wegen;
- durch die glühenden Kiefernkronen
- graut der Nacht ein fahles Haus entgegen,
- hoch mit eisernem Balkone.
- Ein Mann sagt willig, sagt mit Hohn:
-
- So laß dir denn erwidern:
- schon bist du selbst im Bunde.
- Von allen seinen Gliedern
- ist keins so reif wie du zur Stunde.
- Denn diesen Bund hat nur die Sehnsucht gestiftet,
- nichts wider Willen mehr mitanzusehen.
- Man darf sogar Verrat begehen;
- das Schlimmste ist, man wird vielleicht vergiftet.
- Es folgen alle nur dem einen Satze:
- dort, lieber Freund, scheint Ihre Kraft am Platze.
-
- Abendröte ruht auf alten Wegen;
- Wolken glühn zwei Menschen wirr entgegen.
-
-
-5.
-
- Morgennebel brodelt auf fernen Seeen.
- Gelbes Laub tanzt über abgemähte
- Wiesen und zerfahrne Chausseen
- zur Musik der Telegraphendrähte;
- sturmbetroffen stockt ein Menschenpaar.
- Jäh ist eine Wanderschaar
- Schwalben durch die brausenden Pappeln
- und die Drähte hingeschossen,
- unbekümmert um die zerfetzten Genossen,
- die im Grase abgestürzt zappeln.
-
- Der Mann kürzt ihre Qual mit einigen Streichen.
- Nun weist er auf die kleinen Leichen:
-
- Ja, Mutter Isis: blick nur betroffen her!
- kannst du noch fliegen, Seele? und allein!?
- Dein Auge hat sehr stolzen Schein --
- dann ist es gut: dann brauchst du mich nicht mehr.
- Zugvögeln gleich: da ziehn sie, planvoll verbunden,
- und denkt doch keiner an Ich und Du --
- schon sind sie, schau nur nach, im Nebel verschwunden,
- von einer Heimat der andern zu --
- zum jammervollsten Tod bereit
- in ihrer Sehnsuchtsherrlichkeit -- --
- komm weiter!
-
- Er winkt in den Sturm, sein Stock zuckt wie ein Degen.
- Da tritt das Weib ihm voll entgegen:
-
- Lukas! Nun hast du deutlich genug gesprochen!
- kennst du das Wort Selbstherrlichkeit?
- Hältst du die Fürstin Lea für so gebrochen,
- daß sie sich umsieht, was ihr Halt verleiht?
- Nun will ich frei sein! frei auch vom letzten Band,
- das mich noch fesselt an jene Welt der Gecken.
- Frei, weil mirs ziemt; nicht Dir zum Unterpfand.
- Dann biet ich dir vielleicht die Helfershand.
- Warum nicht früher, das wirst du bald entdecken.
-
- Sie nimmt seinen Arm; sie sieht, er lächelt eigen.
- Zwei Menschen fühlen, wie’s stürmt, und schweigen.
-
-
-6.
-
- Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,
- Gaslichtflammen, rostige Wappenschilder,
- und hohe Spiegelwände. Und inmitten
- stehn zwei Menschen mit höflich kühlen
- Mienen neben den steifen Stühlen
- und begrüßen einen Dritten.
- Dieser nickt und sieht voll Schonung
- und gelangweilt in die Welt.
- Und nachdem man Platz gewählt,
- sagt ein Weib mit merklicher Betonung:
-
- Hoheit, ich danke für Ihr Entgegenkommen.
- Und da Sie gütigst in die Scheidung willigen,
- und da uns das Geschick den Erben genommen,
- und um Verwickelungen zuvorzukommen,
- möchte ich fragen, ob Sie’s völlig billigen,
- daß mir auch jetzt, das heißt nach Bruch der Ehe,
- die Hälfte meiner Mitgift noch zustehe;
- sonst will ich mich trotz meines Anspruchs verpflichten,
- so weit wie möglich zu verzichten.
-
- Jener wehrt mit gnädiger Bewegung;
- hierauf hört man nur das Gaslicht raunen.
- Und nach flüchtigem Erstaunen
- nimmt ein Mann das Wort, fast mit Erregung:
-
- Hoheit, auch mich verlangt es, Dank zu sagen --
- ich leg ihn nicht mit leeren Händen nieder;
- hier bring ich die Archivpapiere wieder,
- die ich gewillt war zu unterschlagen.
- Ich möchte aber nicht, daß Hoheit glauben,
- ich sei aus Leichtsinn zu der Tat geschritten;
- ich trat mein Amt an mit dem Zweck, zu rauben.
- Ich möchte nur, daß Hoheit mir erlauben,
- als Mensch den Menschen um Verzeihung zu bitten.
-
- Er legt errötend ein Bündel auf den Tisch;
- Jener wehrt, als ob er Staub wegfächelt.
- Wieder hört man nur das Gasgezisch
- Zwei Menschen fühlen: der Dritte lächelt.
-
-
-7.
-
- Ein Stübchen schwimmt voll Zigarettenduft;
- zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft.
- Immer umwölkter blickt und sinnt der Mann
- das Weib an:
- ihren herrischen Wuchs, ihr sorgsam schlicht Gewand,
- ihr schwer zu glättendes Haar, die große Hand,
- den kühnen Hals, das sanft geschwungene Kinn --
- Endlich wirft er gezwungen hin:
-
- Du hast es äußerst talentvoll angestellt,
- dich mir als reiche Frau zu entpuppen;
- ich hoffe, daß mirs immer öfter wie Schuppen
- von den verliebten Augen fällt.
- Ich bin dir dankbar für das charmant posierte
- Schauspiel der Armut, das du mir geboten;
- beinah so dankbar wie der Toten,
- die mir zu Liebe Demut simulierte.
- Nur glaube nicht, mit allerhand geschickten
- Künsten sei Klarheit zu erzielen;
- im Leben führt das Rollespielen
- zu arg verwirrenden Konflikten.
- Da wird die Wahrheit denn statt Ziel
- ein offenherzig Lügenspiel.
-
- Sein Blick wird schärfer; sie hält ihn aus.
- Sie scheucht den Rauch weg, sie sagt klar heraus:
-
- Wundert dich das, du freier Mann?
- Du wolltest doch, ich sollt dir zeigen,
- ob ich verstünde, planvoll zu schweigen;
- du schuldigst deine eignen Künste an!
- Was unterschied mich denn von einer Dirne,
- bevor ich glauben durfte, wir sind Eins?
- Der Schutz des Reichtums! nicht des schönen Scheins:
- ich biete aller Welt die Stirne.
- Die Tote aber lehre uns fürs Leben:
- nur volles Selbstgefühl kann voll sich selbst hingeben!
-
- Sie blickt ins Freie; er hat die Augen geschlossen.
- Zwei Menschen sitzen rauchumflossen.
-
-
-8.
-
- Die Georginen schütteln sich im Wind;
- gefallnes Obst liegt auf den Gartensteigen.
- Am Straßenzaun steht scheu ein armes Kind
- unter den brausenden Pappelzweigen
- vor einer Frau; sie schenkt ihm von den Früchten.
- Selig rennt’s weg, als müßt es flüchten.
- Sie tritt zu einem Mann, sie sagt gelind:
-
- Jetzt stand gewiß dein Töchterchen vor dir,
- ob ich wohl reif sei, ihm zuzureden
- zu seinem Glück -- o glaube mir:
- ein rechtes Kind vergißt für jeden
- Apfel den ganzen Garten Eden,
- drum ist es glücklicher als wir.
- Wir schwelgen ewig im Geist und putzen
- zu Vorbildern einander aus,
- Einbildung träumt von ihrem Nutzen,
- bis wir verdutzt im Lebensbraus
- zum Sinn des alten Gebots erwachen:
- du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen!
- Statt uns getrost an allen neuen
- Reizen wie Götter frei zu freuen --
-
- Ein fallender Apfel macht sie stocken.
- Er liegt zerplatzt. Der Mann sagt trocken:
-
- Du hast sehr reizend gepredigt -- aber
- mich sticht nicht mehr der Götterhaber.
- Im Geist zwar gehts schön glatt vom Fleck
- auf dem beliebten hohen Pferde;
- aber der Leib liebt halt die Erde,
- und eh mans denkt, liegt man plattweg
- -- pardon -- im Dreck.
- Bis wir nicht lenkbare Lufthäuser bauen,
- wohnen wir nicht auf Wolkenauen;
- inzwischen zeigt uns jeder Kinderdrachen,
- der Mensch muß +Alles+ zum Gleichnis machen.
-
- Die Georginen schütteln sich im Wind.
- Zwei Menschen spüren: der Herbst beginnt.
-
-
-9.
-
- Die Sonnenblumen beugen sich im Regen;
- zuweilen rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen.
- Der wilde Wein hängt schlaff dem Sand entgegen,
- die roten Blätter scheinen Blut zu tropfen.
- Der Mann steht trommelnd an der Fensterscheibe.
- Plötzlich sagt er zu dem Weibe:
-
- Ich will dir einen Traum erzählen.
- Wir standen feierlich in einem Saal,
- als sollten wir vor Zeugen uns vermählen.
- Ich hielt und bot dir einen vollen Pokal,
- um durch den Trunk den Trauschwur zu besiegeln.
- Mit einem Mal
- seh ich tief unten in dem dunkeln Wein,
- wie hoch von oben her, vollkommen rein
- ein lächelndes Gesicht sich spiegeln:
- die Tote lebt. Sie schwebt. Sie lächelt wieder.
- Sie nimmt ein Fläschchen Gift aus ihrem Mieder.
- Sie träufelt es in unser Kelchglas nieder.
- Und ich: ich lächle mit -- und lass dich trinken --
- und trinke selbst -- mir weiten sich die Glieder --
- ich fühle fern mich in die Welt versinken.
-
- Und ich -- beginnt das Weib zu überlegen
- und starrt abwesend in den rauschenden Regen --
-
- ich stand heute Nacht allein im Traum;
- ich war ein leuchtender Schneeglöckchenbaum.
- Aber fern kam furchtbar ein Funkeln an,
- als wollt’s mich zerstören: ein sturmgesträubter Tann,
- ein Wald wilder Lichter, braungolden, grün, blau,
- wie ein riesenhaft sich spreizender Pfau,
- und mir gehts bis ins Mark, so eilt das Ungeheuer.
- Da wird aus mir ein einziges Blütenfeuer;
- von weißen Flammen stiebt die ganze Au
- und flammt frei hoch mit mir, hoch, immer freier --
- und unten prasselt der verbrennende Pfau.
-
- Und wieder rauscht’s vom Dach wie Geisterklopfen.
- Zwei Menschen hören’s wie Herzblut tropfen.
-
-
-10.
-
- Licht kämpft mit Wolken über Forst und See.
- Durchs Wasser jagen Schatten, gleich Kentauern
- aufbäumend an den düstern Kiefernmauern,
- die rings im Bodenlosen schauern;
- durchs Uferdickicht rauscht ein flüchtendes Reh.
- Zwei Menschen treten aus der Waldesruh.
- Innig schaut ein Weib dem Lichtkampf zu.
-
- Ich fange an, dein märkisches Land zu lieben;
- es liegt wie wartend, was der Himmel bringt.
- Und wenn ich seh, wie dort die Winde stieben
- und hier die Stille mit sich selber ringt,
- und wie sich all die Sehnsucht nach dem Licht,
- die aus dem grauen Wasserspiegel bricht,
- paart mit der Sehnsucht in die Nacht
- des Weltenschooßes, drin die Sonne wacht,
- und selbst die Bäume beben, als ob sie ringen
- den Umschwung der Gestirne mitzuschwingen:
- dann geht mir auf, was uns ans Leben bannt
- und doch uns lockt, dem Tod anheimzufallen,
- und immer freier streckt sich meine Hand
- nach deinen Freunden, nach den Menschen allen.
-
- Und gleißend öffnet sich ein Wolkenspalt;
- den See durchfährt ein schlangenhaftes Blenden,
- hinschillernd an den starren Kiefernwänden,
- die rings ins Bodenlose enden --
- ein Mann sagt kalt:
-
- Jawohl, es ist im Himmel wie auf Erden.
- Was sich noch unfrei fühlt, das sehnt sich frei
- und möchte immer freier werden;
- für mich ist dies Gelüst vorbei.
- Ich lernte meine Sehnsucht stillen;
- ich bin so gotteins mit der Welt,
- daß nicht ein Sperling wider meinen Willen
- vom Dache fällt.
-
- Grell greift ein Sonnenstrahl ins Waldesgrauen;
- zwei Menschen müssen zu Boden schauen.
-
-
-11.
-
- Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen:
- Laternen lauern bleich den Fluß entlang.
- Gleich trunknen Nixen zucken schwank
- die Widerscheine unterm Brückenbogen,
- vom Takt der Strömung hin und her gezogen;
- zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang.
- Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen,
- weckt schwanke Erinnerungen:
-
- Ellewelline tanzt Serpentine --
- o, wie war der Maitag wunderbar!
- als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte,
- als ich im Weib noch die Welt umarmte;
- da hatt ich noch kein graues Haar.
- Da hatt ich blaue Himmelschuh an
- und war ein schön feuriger Reitersmann;
- jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott.
- Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen,
- aus „allen neuen Reizen“ Freude schlürfen --
- gelt, Fürstin? freier als ein Gott!
-
- Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht.
- Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften.
- Sie wills nicht sehn -- wegblicken -- Nein, nicht -- o Licht:
- heilig strömt’s über -- sie flammt, sie spricht,
- schauernd bis in die schwangern Hüften:
-
- Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib!
- ich trage dein Blut in meinem Leib!
- Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden!
- du hältst mein nacktes Leben in Händen!
- Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib,
- verschmäht ein Mann ihren willigen Leib!
- Das wars, was Jene zum Äußersten trieb;
- was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir!
- drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr.
- Mich aber hast du blutpflichtig lieb!
-
- Sie zittert; sie will seine Hände fassen.
- Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen.
-
-
-12.
-
- Der Mond erleuchtet scheu ein kleines Zimmer;
- das Licht durchranken Schatten, viele, viele.
- Ein Mann umschreitet schweigend, wie zum Spiele,
- die schwarzen Fensterkreuze auf der Diele.
- Doch nun, als löse sich ein Blatt vom Stiele,
- bebt eines Weibes Stimme durch den Schimmer:
-
- Ich trag ein Kind -- von Dir, von Dir --
- ich tu meine Wonne auf vor dir --
- o trag sie mit mir! gemeinsam! grenzenlos!
- Du mußt ja; fühl’s doch! ich weiß es und ich sag’es,
- mit jedem Pulsschlag sagt mirs Herz und Schooß:
- Wir Beide, wir sind Eines Schlages! --
- Was quälst du uns! o denk an die Nacht zurück,
- als sich’s erfüllte, dein Weisheitswort vom Glück!
- Ja: alle Torheit, alles Leid
- sind Ausgeburt der Einsamkeit.
- Die Stimme schweigt; der Raum schweigt mit, wie leidend.
- Die Fensterkreuze flehn ins kahle Feld;
- doch drüber schwebt die fremde fahle Welt.
- Der Mann sagt schneidend:
-
- O, ich denke an viele Nächte zurück;
- jede war voll Wonne -- doch Glück? ist Das Glück?
- Dein Schooß, ich hab ihn nicht erschlossen:
- ein Andrer hatte ihn vor mir genossen.
- Und dein Herz -- ich wollt mich nicht danach fragen,
- aber wieder und wieder mußt ich mir sagen:
- die reinste Glückseligkeit zwischen Uns Beiden
- ist die zwischen Heiden --
- und daß dein Leib dir nicht heilig gewesen ist,
- das zu vergessen vermag nur ein Christ!
-
- Er stiert plötzlich: es war, als flog
- jäh ein Glanz hoch, überirdisch schlank.
- Da machts ihn aufschrein: Lea! -- Sie wankt --
- will fliehn -- Er -- Licht, Schatten, Alles schwankt --
- er schwankt ans Herz ihr: ich log, ich log! --
- Zwei Menschen weinen -- o Glück! -- o Dank! --
-
-
-13.
-
- Nun krümmt das welke Laub sich sacht zum Falle;
- nun bringt’s die lange verhüllten Früchte alle
- in Feld und Garten voll zu Ehren.
- Die Eberesche schwenkt die hundert schweren
- hochroten Büschel kühn vorm Ziegeldache.
- Nur des Hollunders purpurschwarze Beeren
- betrauern sich am dunkelgrünen Bache,
- zu dem sie lastend niederschwellen.
- Ein Mann verfolgt die Bilder in den Wellen:
-
- Eins greift ins andre -- keins ruht -- nichts ruht --
- o hilf ein Ziel sehn! -- wie’s lockt, wie’s warnt, dies Drängen!
- Es bringt kein Glück, du, still Brust an Brust zu hängen;
- so trieb’s die Tote -- das fraß an ihrem Blut.
- Ich war ihr Vampyr. Du wirst der meine,
- wenn ich noch länger in dir ruh.
- Schon immer bannender werfen deine
- Augen mir ihre Blicke zu.
- Dann kreist die Welt mir, als will sie mich befreien,
- als sind auch Wir nur einsam zu zweien.
-
- Im dunkeln Wasser kreist Bild in Bild.
- Er faßt das Weib an, wie innerst aus den Gleisen.
- Sie neigt sich zu ihm, muttermild:
-
- Du Ungestümer -- so laß die Welt doch kreisen --
- sie kreist durch mich wie dich; was wehrst du ihr!
- Bald wirst du dankbar das Wunder preisen,
- daß dir die Tote aufersteht in mir.
- O Du! wie lag ich einst voll Grauen,
- vom Geist der Unterwelt durchwütet;
- da lehrtest Du mich, ihm vertrauen,
- der Lust wie Leid zur Reife brütet.
- Nun sieh, wie dort ums Dach die Früchte lachen,
- rot uns ins Herz, still wirkende Gebote!
- Heute fühlst du nur das Rote;
- morgen wirst du froh erwachen.
-
- Leis umweht ihr Haar ihm Bart und Wangen.
- Zwei Menschen sehn die Welt gen Himmel prangen.
-
-
-14.
-
- Doch bei Halblicht, grau um etwas Dunkles,
- hocken Menschen in einem Raum, der dumpf ist,
- wie Kaninchen um eine Schlange.
- Denn da läßt von allen möglichen Geistern
- ein berühmtes Medium sich bemeistern,
- und man lauscht ihm immer neugierbanger.
- Und nun zuckt die Schlafende, wimmert, röchelt;
- und ein Weib, das eben stolz noch lächelte,
- rauscht zum Saal hinaus, blaß, fliehend,
- hastig einen Mann mitziehend.
- Draußen, tief ausatmend, haucht sie glühend:
-
- Empörend -- schamlos -- diese entmenschten Augen!
- Nun weiß ich, daß ich nicht zum Vampyr tauge;
- verzeih mein Bitten, dies Schauspiel zu besehn!
- Erniedrigend! Noch fühl ich mein Herz mitpochen
- mit diesem Weibsbild, als könnt’s mich unterjochen --
-
- und Dich? Auch? Sprich doch! -- Sie späht ihn an im Gehn;
- um sie braust die Weltstadt, zur Nacht auf, lichtdurchbrochen.
- Mich? fragt er ruhig und bleibt hell stehn:
-
- Was schiert mich diese feile Verzückte,
- was diese geflissentlich Verrückten,
- die wichtig tun mit dem Geschäfte,
- den überirdischen Geist zu fassen,
- um dann vom Dunst der irdischen Säfte
- ihr bißchen Geist noch benebeln zu lassen.
- Hol sie der Teufel, die hirnschwachen Tröpfe,
- die mit dem Anspruch gottgleicher Geschöpfe
- vor lauter Tiefsinn danach gieren,
- zurückzukehren zu den Tieren!
- Ein Pferd, das Nachts die Ohren spitzt,
- wo Wir, die’s lenken, froh sind Nichts zu hören,
- weiß mehr von derlei Geisterchören
- als solch ein Mensch, das Od ausschwitzt.
- Komm, fasse dich! Das Unfaßbare
- bedeutet nur: bring +Dich+ ins Klare!
-
- Zwei Menschen schreiten weiter, lichtumblitzt.
-
-
-15.
-
- Windfackeln lodern. Rot rauschen die Bäume
- um scharrende Pferde, bunt blinkernde Zäume;
- hoch leuchten die Blätter in der Umnachtung.
- Hoch Wimpel und Seile! und drüber die Sterne!
- so zeigen die fahrenden Leute gerne
- die Künste ihrer Todesverachtung.
- Froh staunt das Dorfvolk unten im Kreise.
- Abseits lehnt ein Paar. Ein Mann rühmt leise:
-
- Ja, sie tun mir wohl, diese Vogelfreien,
- mit ihrer Geistesgegenwart.
- Als ob eine uralte Mannszucht sie feie:
- jeder Griff bedacht, zielbedacht, willenshart.
- Nur auf sich bedacht -- klar im Wirbel des Traums
- der Mitgefühle: nur die Tat gilt, die Tat!
- So üben sie auf schwankem Draht,
- im Flitter der Armut Beherrscher des Raums,
- die großen Tugenden der Zeit:
- Gefaßtheit und Gelassenheit!
-
- Und erregt, als ob er mitschwingen möchte,
- umspannt sein Blick ihr Spiel immer funkelnder.
- Und des Weibes Blick schwankt immer verdunkelter.
- Heftig faßt sie seine vernarbte Rechte.
-
- Lux! was schwärmst du! -- Scheinen dir deine Ziele
- auf einmal nur noch Träume und Spiele?
- bin Ich’s, die dein Gefühl entzweit?
- Ich denke anders von deinen Handlungen!
- Mir winkte strahlend aus all deinen Wandlungen
- die große Tugend der Ewigkeit:
- die Kraft, den Willen der Welt zu fassen
- und nichts, rein nichts beim Alten zu lassen!
- Und da ist mein Stern still dem deinen genaht:
- wie du mich fühlst, ist das nicht meine Tat?!
-
- Und da schmettern Trompeten und Trommelton,
- und das Volk klatscht Beifall den kühnen Springern;
- und sie bitten stolz um den kleinen Lohn.
- Zwei Menschen geben mit hastigen Fingern.
-
-
-16.
-
- Rauch und Funken flüstern im Kamin:
- Unruh ist, wo Feuergeister hausen,
- Unruh, wo die kühlen Wolken ziehn --
- horch, die halbentlaubten Pappeln brausen.
- Horch -- da legt sich das Gemurr der Flammen,
- ein Weib nimmt all ihr Selbstgefühl zusammen:
-
- Mir sagt der Geist, wir wollen Ruhe haben!
- Und sperr ich dir den Weg zur Tat, nun gut:
- du sollst nicht sagen, ich sei dein Wankelmut:
- geh hin, sei frei! und nimm mein Hab und Gut
- in deinen Dienst wie andre Freundesgaben! --
- Was stehst du nun und staunst mich lächelnd an?
- Lukas! -- welch Rätsel bist du, Mann --
-
- Sie will in seinen Augen lesen;
- es blaut ein Glanz darin wie nie zuvor.
- Die Flammen geistern hell und laut empor.
- Ein Mann bekennt sein stillstes Wesen:
-
- Ja, staun ihn an, den Mann -- hier steht er, lacht,
- der einst mit furchtbar heiligem Ernst gedacht:
- ich bin bös gut, ich bin ein Geist,
- an dem die Überlebten sterben,
- verführt von ihm, sich vollends zu verderben,
- damit der Weltlauf schneller kreist --
- so macht sich der gebrechlichste Verbrecher
- im Handumdrehn zum Richter und zum Rächer,
- bis ihn die Welt in seine Schranken weist.
- Das wars; drum hatt ich Helfershelfer vonnöten.
- Drum steh ich jetzt und beichte mit Erröten:
- Gewichtige Mittel zu nichtigen Zwecken,
- das ist die Taktik der Gaukler und Gecken;
- ein einzig Fünkchen neue Tugend wecken
- frommt mehr, als tausend alte Sünder töten.
- Und bist du jetzt noch mein mit Hab und Gut,
- dann, Fünkchen, sieh: hell lacht die Glut!
-
- Die Flammen murmeln eine Wunder-Erzählung:
- zwei Geister feiern ihre Vermählung.
-
-
-17.
-
- Und sie staunen ins Land: es atmet Glanz ohne Ende.
- Mittagsnebel wandern und weiten alle Grenzen;
- aus jedem der tausend Schleier scheint die Sonne zu glänzen.
- Und der Mann berührt des Weibes gefaltete Hände:
-
- Also morgen geh ich uns mein Töchterchen holen.
- Du wirst dich wundern, Lea -- vielleicht auch nicht:
- sie wird dein Ebenbild -- Gang, Haltung, Gesicht --
- nur daß sie blond ist wie ein Goldfuchsfohlen.
- Ja, Meine, du hast mir schon im Geist geschlafen,
- bevor sich unsre wachen beiden Körper trafen;
- und nun begreifst du wohl mein Mannesbangen.
- Der Geist, der Alles antreibt, in Eins zu gehören,
- der strebt das Einzelgeschöpf zu zerstören;
- denk, wie wir todeslüstern am Meer uns umschlangen!
- Da jauchzten wir den irresten Lebenstrieben;
- da hätte die Liebesgier uns aufgerieben,
- hätt ich nicht Botschaft von der Toten empfangen.
- Jetzt seh ich dort die Nebelgeister walten
- und freu mich unsrer festeren Gestalten.
-
- Es wogt; und blaß, wie ferne Inseln, erscheinen
- die Wälder durch die leuchtend wehenden Falten.
- Das Weib legt schwer die Hände in die seinen:
-
- So laß uns denn den Leib recht heilig halten;
- die Seele weiß sich schon allein zu frommen.
- Mir ahnt ohnehin, uns wird von deinen alten
- Geistesfreunden noch Unheil kommen.
- Nimms nicht für Furcht! O, umso stolzer bin ich,
- daß du nicht loskonntest von mir.
- Und umso demutwilliger weiß ich innig,
- daß ich nicht lassen kann von Dir.
- Und so, leibhaftig, ist dein Kind auch mein;
- ich will ihm eine Mutter sein,
- als hätt’s in meinem Schooß geruht,
- es ist ja Blut von Deinem Blut.
-
- Und blaß und blasser wehn die Nebel ins Leere.
- Zwei Seelen segnen ihre Erdenschwere.
-
-
-18.
-
- Doch funkeln Sterne wie von je.
- Der Nachtwind irrt ums Haus mit Sehnsuchtsrufen
- und rüttelt an den morschgewordenen Stufen;
- die Pappeln brausen wie die See.
- Ergriffen lauscht das Weib den hohen Bäumen,
- ein Mädchenseelchen ruht vor ihr in Träumen;
- sie dämpft besorgt das Lampenlicht.
- Sie tritt ans Fenster zu dem Mann. Sie spricht:
-
- Lieber! wir müssen nun wohl streben,
- dem kommenden Geschlecht zu leben.
- Wenn meine schwere Stunde naht,
- dann ist kein Raum hier. Noch kann ich reisen,
- und -- gelt? uns wird auf jedem Pfad
- das Wunder der Ehe sich neu erweisen,
- beim alleroffenherzigsten Treiben
- uns doch ein reizend Geheimnis zu bleiben --
- und drum: frei heraus, Lux: ich möcht, wir fahren
- nach den Inseln, wo wir +selig+ waren!
- Da kann keine fremde Hand uns hindern,
- ein Paradies zu bauen mit unsern Kindern.
- Und deine alten Eltern, so sehr sie jetzt grollen,
- ich glaube, dann werden sie mitbauen wollen.
-
- Die Sterne funkeln wie von je.
- Der Nachtwind rauscht ums Haus wie Wogenrollen.
- Der Mann blickt lächelnd auf die dunkle Chaussee:
-
- Und wenn die alten Eltern nun niemals wollen?
- kannst du die Welt zu Deinem Glück bekehren?
- Willst du den kommenden Geschlechtern lehren,
- man brauche Inseln, um selig zu sein?
-
- Ja, komm, wir reisen! hoch steht dein Schloß am Rhein!
- Da rauscht das Leben rings kreuz und quer,
- an dem alles Menschenstreben sich mißt!
- Wer in der weiten Welt nicht selig ist,
- der wirds auf einer Insel nimmermehr.
-
- Und horch: da dehnt ein Hauch den engen Raum --
- zwei Menschen sehn: ein Kind lächelt im Traum.
-
-
-19.
-
- Und es glänzt ein Strom im Tal; Rebhügel steigen
- von kleinen Städten zu Berg und Burg empor.
- Herbstfeierlich in letzter Prunksucht umzweigen
- die Wälder sie mit hundertfarbigem Flor.
- Am Schloßteich spielt ein Mädchen im Sonnenschein
- und schmückt sich mit den sterbebunten Blättern;
- ihr goldrot Haar huscht durch den alten Hain --
-
- Husch -- lacht der Mann -- gleich wird’s ein Eichkätzchen sein
- und über uns im Efeu klettern.
- Und der Himmel, schau, wie hochzeitsblau!
- ich möcht am liebsten, wir gingen beide
- in edlem Sammet und lautrer Seide,
- wie deine Ahnen einst hier schritten.
- Wir dürftens wagen, aus diesem Freiherrnbau
- die Toten alle heraufzubitten
- zur Feier der Freiheit, die Unsern Bund umschwebt:
- Vivat, ihr Herrn! wie schwarz das Grab auch nachtet,
- Erinnrung schimmert, und wer’s recht betrachtet,
- der hat das Leben hundertmal gelebt;
- hier soll der Odem eines Glückes wehn,
- das Macht hat, tausend Tode zu bestehn!
-
- Das Weib lächelt; sie hat das Wappen besehn,
- das unterm Efeu nistet überm Tor.
- Sie weist empor:
-
- Schau dort: da lugt dasselbe Glück hervor:
- für diesen Sternschild hat manch Herz gelodert,
- das einst die Welt zu stürmen sich verschwor,
- und das jetzt unter unsern Füßen modert.
- O Lux, hier rührt mich jeder Strauch und Baum,
- und jeder raunt mir doch: die Welt ist Traum.
- Nur Du, du bist wie ich so wirklich mir;
- du lebst, du leibst, du liebst mit mir.
-
- Da raschelt’s. Blätter flattern; durchs Buschwerk schlüpft
- das Kind, den Lockenkopf umrankt mit Reben.
- Bin ich nicht schön?! jubelt’s und hüpft es.
- Zwei Menschen öffnen beide Arme dem Leben.
-
-
-20.
-
- Und Kerzen schimmern; und still ins Schlafgemach
- dürfen die Träume Ewigen Lebens treten.
- Rings im gebräunten Schnitzwerk beten
- Engel aus Erz und hüten immerwach
- die Sterne auf den silberblauen Tapeten.
- Die hohen Spiegel stehn gleich Lichtportalen,
- aus denen, in verklärte Schatten getaucht,
- die Leiber zweier seliger Geister strahlen --
- das Weib haucht:
-
- Bin ich nicht schön? O wie das liebreizend klang,
- als unser Eichkätzchen so vor uns sprang;
- ich sah uns nackt vor Gott in Wonne stehn --
- wie jetzt. O Meiner! Uns hat mit Urgewalt
- das Meer getraut! Und diese Muttergestalt,
- nicht wahr, du kannst sie fromm beschauen
- wie Meister Dürers benedeiete Frauen,
- und sie darf jubeln: in Himmelshöhn
- brennt keine Scham mehr! -- sag: Bin ich noch schön? --
-
- Die Schatten beben; die Kerzenflammen wehn.
- Es flimmern Menschensterne rings im Blauen.
- Des Mannes Blick scheint über weite Auen
- hinzugehn:
-
- Als du auf wildem Meer mit mir
- wogtest im Boot, sahst weg von mir,
- sahst unter uns das Grab hinschwanken
- und über uns den grauen Himmel wanken
- und bebtest nicht -- da warst du schön.
- Jetzt aber, hier, vor diesem klaren Spiegel,
- wo jeder deiner Makel mir ein Siegel
- auf meine eignen Häßlichkeiten drückt,
- und siehst mich an und fühlst nun, wie wir rangen,
- bis wir das wüste Element bezwangen,
- und bebst beglückt --
- o Du, jetzt sind wir mehr als schön!
-
- Es schimmern Erzengel aus Lichtportalen.
- Zwei Menschen strahlen.
-
-
-21.
-
- Und Kerzen wehn noch in den hellen Tag;
- entzückte Lippen glühn, verschämte Wangen.
- Geburtstagsblumensträuße prangen.
- Das Kind hat seinen Glückwunsch aufgesagt;
- nun darf’s mit Gärtnersmann und Magd
- und mit dem riesigen Rosinenkuchen
- wohlgemut das Weite suchen.
- Und während draußen Tanz und Trubel lacht,
- nimmt zart der Mann des Weibes Blick gefangen:
-
- Komm, Seele -- weißt du noch? heut jährt sichs grad,
- als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat
- und deinen Blick empfing, der Ketten sprengte.
- Und nun, in diesem freien Turmgemach,
- an diesem lichterloh gekrönten Tag,
- der dir und mir dein Leben schenkte,
- der jedes Wort belebt zum Dankausruf,
- daß uns die Welt zu denkenden Wesen schuf,
- daß wir uns nicht mehr dumpf im Urnebel drehn,
- daß wir zu weinen und zu lachen verstehn,
- nicht mehr in Sümpfen uns ungetümlich plagend,
- nicht mehr wie Brüllaffen mondsüchtig klagend,
- auch nicht mehr wie solch Kindlein handelnd,
- das sich, von jeder Laune betört,
- sein eignes Himmelreich verstört --
- wir, Adam und Eva, gen Eden wandelnd --
- Komm --: Siehst du dort den Schieferberg im Tann?
- da ließ dein Ururahn sechs Knechte henken!
- Willst du mir diesen kahlen Berg heut schenken,
- der hundert freie Menschen nähren kann,
- wenn wir sie mitmenschlich zum Werk anlenken?!
-
- Sie blickt den Berg, sie blickt den Himmel an:
- er scheint sich auf ein Zukunftsland zu senken.
- Sie blickt zu Tal, wie übermannt vom Denken --
-
- sie lacht: hab Dank, mein Herr und Lehensmann!
- Und talher prangt voll Sonnengold der Fluß.
- Zwei Menschen tauschen einen Festtagskuß.
-
-
-22.
-
- Und eine Mondverfinsterung beginnt;
- den blanken Ball beschleicht ein scharfer Schatten.
- Der Schatten schwillt und macht mit seinem matten
- Erdschwarz den Himmelskörper blind.
- Der kahle Burghain steht um Turm und Erker
- wie ein Gespensterschwarm um einen Kerker.
- Das Weib sinnt:
-
- Es hat eine Seele sich befreit:
- sie band sich selber die Hände.
- Da kam die Ruhe: Nun bist du gefeit.
- Ich halt dich umfangen wie Raum und Zeit:
- unser Band hat nicht Anfang noch Ende.
- Nun seh ich ohne Sehnen und Bangen
- um unsre Sterne das ewige Dunkel hangen;
- wir wissen ungeblendet heimzufinden.
- Und selbst der Mond, der alte Bösewicht
- mit seinem unheimlich geborgten Licht,
- kann uns das Sonnenband nicht mehr entwinden.
-
- Im Mond der Schatten schwillt und schwillt;
- im dunkeln Weltraum blinkt immer befreiter
- das Licht, das von den Sternen quillt.
- Der Mann sinnt weiter:
-
- Und man erkennt: Verbindlichkeit ist Leben,
- und Jeder lebt so innig, wie er liebt:
- die Seele will, was sie erfüllt, hingeben,
- damit die Welt ihr neue Fülle giebt.
-
- Dann wirst du Gott im menschlichen Gewühle
- und sagst zu mir, der dich umfangen hält:
- du bist mir nur ein Stück der Welt,
- der ich mich ganz verbunden fühle.
- Bei Tag, bei Nacht umschlingt uns wie ein Schatten
- im kleinsten Kreis die große Pflicht:
- wir alle leben von geborgtem Licht
- und müssen diese Schuld zurückerstatten.
-
- Im Mond der Schatten schickt sich an zu weichen;
- zwei Menschen sehn den Himmel voller Zeichen.
-
-
-23.
-
- Und immer kühner greift der Morgenwind
- durch Wolken in die nebelvollen Täler;
- die Wolken flüchten immer schneller,
- die Nebel eilen stromgeschwind.
- Von Berg zu Berg wehn breite Sonnensträhnen.
- Der Mann steht auf von Rechnungen und Plänen:
-
- Sieh, jetzt im Zwielicht kannst du deutlich sehn,
- wie mächtig unser Zukunftsland sich streckt;
- wenn wir im Frühjahr an den Schachtbau gehn,
- ist schon zum Herbst das Lager aufgedeckt.
- Dann soll mein Grubenvölkchen bald verstehn,
- daß freies Land noch freiere Leute heckt,
- auch +ohne+ die soziale Republik;
- und unsern Kindern wird ein Licht aufgehn,
- wozu sich da vom Schornstein der Fabrik
- die Rauchfahne der Arbeit reckt,
- wenn hier zum Turm her Sonntags längs des Flusses
- von Hütte zu Hütte auf allen Höhn
- die bunten Wimpel des Genusses
- um dein Sternenbanner wehn.
- Gelt, das wird schön? und mehr als schön!
-
- Er legt beide Fäuste auf seine Pläne.
- Die Nebel eilen stromgeschwind.
- Die Sonne streift mit ihrer Strahlenmähne
- die kleinen Städte unten, Schiffe, Kähne.
- Mit strahlt das Weib, hell lacht der Wind:
-
- Es wird! Wo kreisend die Sterne sich rühren,
- da greift jeder Bannkreis in andre ein!
- Und wenns statt Hundert nur ein Dutzend spüren,
- dann wird das Dutzend unermeßlich sein!
- Und mitgebannt mit dir in alle Sphären,
- o Mann, ich helf dir Freiheit gebären!
-
- Sie lehnt sich an ihn muttergroß.
- Die Berge schwellen im Morgenduft.
- Es ragt sein Haupt, es wogt ihr Schooß.
- Zwei Menschen schaun wie Götter in die Luft.
-
-
-24.
-
- Doch erdschwer stockt die weiche Luft und läßt
- noch manch verblichnes Blatt zu Boden schauern;
- der alte Hain steht bis ins Mark durchnäßt,
- der Nebel trieft vom Moos der Mauern.
- Das Weib, die Hände unters Herz gepreßt,
- unterdrückt ein fröstelnd Trauern:
-
- Du meinst, du hast mehr Willen als ein Baum?
- Und lernte nun dein eigen Kind uns hassen
- mit unserm herrischen Freiheitstraum?
- Lux -- unser Eichkätzchen -- dir zeigt sie’s kaum --
- weiß sich vor Heimweh nicht mehr zu lassen!
- Ich hätt’s im zehnten Jahr +auch+ schlecht ertragen,
- so jählings in ein ander Land verschlagen;
- wir aber können allerorten bestehn.
- Du kannst jedwedem Erdfleck Zukunft spenden;
- und halt ich erst mein Mutterglück in Händen,
- dann laß uns heim in Deine Heimat gehn!
-
- Sie sieht, er nickt -- schwer, ohne aufzusehn;
- er streicht den grauen Fleck in seinen Haaren --
-
- Meinst du, mir sei dies Leid nie widerfahren?
- Bei deinen Worten hört ich fern am Rhin
- die Schnitter ihre Sensen dengeln
- und sah zum Hammerschlag gleich Engeln
- die Nebel durch die Haide ziehn.
- Ich lief vor Heimweh noch mit fünfzehn Jahren
- fünf Meilen weit in einer Nacht nach Haus.
- Da, Morgens, trat mein Vater zur Tür heraus:
- Du?? Marsch, zurück! -- Und da: ich habs halt müssen:
- da lernt ich zähneknirschend mit wunden Füßen
- in jedem Straßenbaum die Heimat grüßen;
- und so -- so muß auch +mein+ Kind durch die Welt!
- Ihr kleiner Wille möge sich nur bäumen;
- dann wird sie einst wie Wir so herrisch träumen,
- so frei von Weiberlaunen -- gelt?!
-
- Er sieht, sie nickt -- sie atmet auf im stillen.
- Zwei Menschen baun auf ihren Willen.
-
-
-25.
-
- Und rauher wetterts über die Berge herab.
- Die hohen Tannen fangen den Wind und juchen;
- aus den Taltiefen langen die kahlen Buchen,
- als ob sie oben Kräfte zu schöpfen suchen,
- so sehnig schlank. Der Mann weist hinab:
-
- Da sieh, wie’s wächst, wo Leidenschaften sich drängen!
- Hier reckt sich jeder Baum mit kühnerer Kraft;
- wie riesige Schlangen, die sich im Kampf hochzwängen.
- O, ich erfuhr’s, wie man nach Raum ringt im Engen,
- immer bestärkter vom Leid der Leidenschaft!
- Wer’s aber zu ersticken versucht,
- dies tierisch Trübe, göttlich Klare,
- von Lust und Liebe Unlösbare,
- der ist von Anfang an verflucht:
- verdammt zur Ohnmacht: verrückt, verrucht,
- wird er an jedem Glück zum Diebe,
- zu schwach zum Haß selbst -- aus Liebe zur Liebe.
-
- Er rührt das Weib an, weiter zu schreiten.
- Sie steht wie wehrend; und sonderbar
- bäumt sich im Wind ihr schwarz schlängelnd Haar.
- Sie glättet’s. Ihr Blick flammt wie vor Zeiten:
-
- Wem sagst du das? Kam mir je ein Leid,
- das ich nicht hinnahm mit rüstigen Händen?!
- Wußt ich nicht jedes in Lust zu wenden,
- seit wir einander eingeweiht:
- derselbe Geist eint und entzweit --
- ich seh ihn walten nun aller Enden.
- Ich sehe im Geist sogar die Zeit,
- da wird sich Menschenwitz getrauen,
- die Erde aus ihrer Axe zu biegen
- und anders um die Sonne zu fliegen --
- ich sehe das Eis der Pole tauen,
- der Blitz wird uns auf Wolken wiegen --
- doch bis in alle Ewigkeit
- wird Haß und Liebe alldem obsiegen!
-
- Zwei Menschen schüttelt ein Wonnegrauen.
-
-
-26.
-
- Doch ruhig geht der Schein der Sonne unter.
- Durchs Rebgelände kriecht der Abendrauch
- der kleinen Talstadt und der Moderhauch
- des welken Laubes wie verzagt.
- Ein Baum wirft sacht ein letztes Blatt herunter.
- Das Weib fragt:
-
- Doch die dort unten? sind sie je zu belehren,
- daß ihnen unser herrischer Wandel dient?
- Einst ritt der Held gepanzert und geschient;
- heut muß sich Jeder wie ein Handelsjud wehren.
- Ich will an deinem menschlichen Zukunftsglauben
- nicht mit Zweifelsfingern klauben,
- aber gläubiger hüt ich unser göttlich Glück.
- Die Welt befeindet’s. Denk dich zurück:
- dein nächster Freund, wie hat er’s uns erschwert!
- Scheint er dir jetzt nicht hassenswert?
-
- Ihre Stirn treibt Schatten in die Flucht;
- in ihrem dunklen Blick zuckt erwachend
- ein Irrlicht alter Eifersucht.
- Der Mann sagt lachend:
-
- Er ist mir doch zu gottvoll zum Hasse:
- ein so urdeutscher Menschheitstyrann,
- daß nur der Vollblutjude Liebermann
- ihn malen könnte: so schön voll Rasse.
- Was sind denn hassenswerte Kreaturen?
- Vorwand für unser eigen häßlich Wesen!
- Der Deutsche reißt am Zopf des Chinesen,
- den Britten wurmt der Eigennutz des Buren.
- Du fühlst, wir leben widersittig --
- doch laß uns drum den Gott nicht schmähen,
- mit dem die Sittsamen sich blähen;
- uns treibt er zum Aufschwung mit seinem Fittig.
- Wir haben durch ihn den Weg zur Liebe gefunden!
- Ich hasse nur in meinen schwachen Stunden.
-
- Da glänzt ihre Stirn auf wie die Abendflur.
- Zwei Menschen schweben über ihrer Natur.
-
-
-27.
-
- Und an fernen Dächern und Kirchen hin wie an Särgen
- fliegt der Morgen mit phönixgoldnem Schweif.
- Die Nebel lösen sich von den kalten Bergen
- und schmücken die Tannen mit reinstem Reif.
- Und im Geist aufgehend in den verklärten Landen,
- sagt der Mann dem Weib, als sei aller Kampf überstanden:
-
- Sieh, Seele: so werd ichs immer wieder spüren,
- und bin ich noch so menschenmüd, Du:
- nur dein Blick braucht sonnig mich anzurühren,
- dann fliegen mir Gotteskräfte zu.
- Nicht so wie damals, als wir uns noch
- hochtrabende Götternamen gaben --
- die hab ich mit der Toten begraben;
- jetzt tragen wir willig das Menschenlebensjoch.
-
- Jetzt weiß unser Wille erst recht die Flügel zu breiten,
- jeden Augenblick kann er hinaus über Räume und Zeiten;
- denn selig Seel in Seele ergeben
- begreifen wir das Ewige Leben,
- das Leben ohne Maß und Ziel,
- selbst Haß wird Liebe, selbst Liebe wird Spiel.
- Dann ist der Geist von jedem Zweck genesen,
- dann weiß er unverwirrt um seine Triebe,
- dann offenbart sich ihm das weise Wesen
- jedweder Torheit -- durch die Liebe.
-
- Er sucht ihren Blick; er will ihr Dunkelstes lesen.
- Sie steht, als höre sie ferne Glocken klingen.
- Sie spricht, als sei sie in der Zukunft gewesen:
-
- Dann wird uns Segen aus jedem Werk entspringen.
- Dann lebst du nicht mehr mit dem Leben in Streit.
- Dann kann uns ganz die Lust der Allmacht durchdringen.
- Nicht Mann, nicht Weib mehr wird um die Obmacht ringen.
- Klar über aller Menschenfreundlichkeit
- steht Mensch vor Mensch in Menschenfreudigkeit!
-
- Sie öffnet die Arme, als will sie die Welt umschlingen.
- Fern flammt der Himmel in goldner Herrlichkeit.
- Mit flammt ein Seelenpaar auf Geistesschwingen.
-
-
-28.
-
- Doch weit und hoch und funkelnd spannt die Nacht
- ihr Grauen aus um Turm und Hain und Garten.
- Im Tal bezeugt ein Lichtlein ihre Macht.
- Die Stadt schläft, von den Sternen bewacht.
- Und über die Wipfel deutend, die frosterstarrten,
- fragt das Weib mit Vorbedacht:
-
- Doch wenn nach unsern göttlichen Augenblicken
- die menschlichen Stunden das Herz beschleichen?
- können wir uns wie diese Eichen
- mit sichern Wurzeln in jedes Schicksal schicken?
- Das Kind kanns noch -- da sprachst du wahr;
- sie denkt schon dran, hier Spielgefährten zu finden.
- Sie kann ihr Herz noch frei an Alles binden;
- selbst ihren Büchern bringt sie’s dar.
- Wir aber, die wir nicht mehr einsam sind
- und doch den Zwiespalt dieser Welt empfinden,
- dürfen wir träumen wie ein Kind?
-
- Das Licht im Tal erzittert; sie sehn’s verschwinden.
- Des Mannes Lächeln wird seltsam wild.
- Es ist ein Lächeln, das allem Schicksal gilt.
- Sein Blick erhebt sich in die nächtigen Fernen,
- als lese er die Antwort aus den Sternen,
- seltsam mild:
-
- Es ist in uns ein +Ewig+ Einsames --
- es ist Das, was uns Alle eint.
- Es tut sich kund als Urgemeinsames,
- je eigner es die Seele meint.
- Sie wurzelt rings im grenzenlos Alleinen;
- sie liebt es, sich im Weltspiel zu entzwein,
- um immer wieder selig sich zu einen
- durch Zwei, die grenzenlos allein.
- So lebt die Liebe; das ist kein Traum.
- So, Herz, erlebst du’s mit am dürrsten Baum,
- was ihm wie dir wohl oder wehe tut;
- nur leiser, ferner, nicht so nah dem Blut.
-
- Zwei Menschen lächeln über Zeit und Raum.
-
-
-29.
-
- Und der Wald schweigt wie von Andacht gepackt;
- der erste Schnee liegt tief und schwer.
- Aus Höfen und Scheunen vom Talgrund her
- tönt gedämpft der Dreschertakt.
- Fern, groß, im weißen Sonnenglast,
- steht eine Bäurin und worfelt Korn;
- zuweilen blitzt ihr Sieb auf wie voll Zorn,
- dann flattern Spatzen. Der Mann macht Rast:
-
- Dieses Schauspiel ergreift mich immer,
- als sei’s der Mutter Menschheit Bild.
- Da steht das riesige Frauenzimmer,
- ihre Worfel schüttelnd, wild, schaffenswild,
- die Körner hütend mit harten Tatzen,
- vor Eifer glühend, vor Freude rot:
- tanzt auch manch leichtes zu den Spatzen,
- die schweren geben Menschenbrot.
- Und jetzt auf einmal fühl ich’s mit Beben:
- deines Schooßes Frucht ist der Allmacht vonnöten!
- Und käme auch dieses Kind blind ins Leben
- und du hast nicht wieder die Kraft, es zu töten,
- dann will ich glauben, du hast die höhere Kraft,
- die Licht aus tiefstem Dunkel schafft.
-
- Er will sie küssen -- ihm stockt das Herz:
- sie steht wie weit hinweggetragen.
- Ihrem Blick entquillt ein Licht in sein Herz:
- das stillt alle Wonne, allen Schmerz:
- ein Licht goldner Ruhe -- er hört sie sagen:
-
- Bei deinen Worten hat dein Kind
- die Augen in mir aufgeschlagen --
- es wird nicht blind.
- Es sah mich an wie aus tiefem Bronnen.
- Seine Augen waren zwei blaue Sonnen.
- Es wird wie Du durchs Leben gehen.
- Ich hab’s gesehen.
-
- Traumhaft flüstert sie: Dein Kind und meins.
- Traumhaft schauern zwei Herzen in eins.
-
-
-30.
-
- Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach,
- und leise summt die Glut in den Kaminen.
- Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach;
- breit vom Morgenglanz beschienen
- sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder.
- Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder.
- Leise naht sie ihm in heller Freude,
- weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide:
-
- Lukas -- mir war so fröhlich eben:
- ich saß und dachte in dich hinein:
- der Name, den wir unserm Kind bald geben,
- soll auch der Name deines Bergwerks sein.
- Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel
- nimm all dein Schicksal als Kinderspiel!
- Denn gelt: den reichen Seelen
- darf das Glück +nicht+ fehlen,
- das sie Andern zeigen als ein Ziel --
-
- Da blickt er auf -- sie fühlt sich erbleichen:
- seine Augen gleißen, Spott nistet drin.
- Seine Hand weist auf einen Bauplan hin:
- da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen.
- Die Chiffern wogen ihr wie ein Meer.
- Rauh kommt seine Stimme zu ihr her:
-
- Ja, ein Spiel -- nenn’s Schicksal, nenn’s Glück, Gott, Welt --
- nur: lerne verlieren, willst du gewinnen!
- Ich werde mein Werk hier nicht beginnen.
- Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen;
- was du ahntest, hat sich eingestellt.
- Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen
- gnädigen Wink „von oben“ verschafft:
- binnen vier Wochen bin ich verhaftet
- oder verbannt -- auf amtsdeutsch: landesverwiesen.
- Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn,
- damit wir vor dem Gott in uns bestehn!
-
- Aus seinen Augen weicht aller Spott.
- Zwei Menschen beugen sich vor Gott.
-
-
-31.
-
- Und es tanzt der Schnee; kalt flimmern die Flocken
- wie Sterne im schwachen Sonnenschein.
- Immer stiller starrt das Weib landein.
- Aber wärmer immer, als will er sie feien,
- streicht der Mann ihre schwarzen Locken:
-
- Wir haben einst als Menschen gefehlt,
- nun kommt die Menschheit und will uns strafen.
- Aber sieh: ihr Geist hat uns so beseelt,
- daß wir wie Kinder, wenn Mutters Schläge trafen,
- nur umso lieber an Mutters Herzen schlafen,
- der eignen Unvollkommenheit entrückt,
- vom Glück aller Seelen mitbeglückt.
- Und gleich den Flocken, die irrend vom Himmel tanzen
- und findet doch jede ihr irdisch Ziel,
- laß uns nun hingehn, als seis zum Spiel,
- und in fremdes Land deutsche Edelsaat pflanzen.
- Denn im blutigen Ernst deiner schweren Stunde
- -- o, ich fühls, ich sehs: dann liegst du allein --
- aber eilend winkt dir jede Sekunde:
- bald wirst du wieder bei mir sein,
- wie unsre Kinder mit leichtem Schritt,
- und bringst mir die Heimat in jede Ferne mit.
- O schweig nicht länger -- ja blick mich an:
- sieh, hilfebittend steht hier ein Mann,
- den keine Einsamkeit mehr quält,
- langsam durch heißen Haß zur Liebe gestählt,
- und dem nun heimlich die Heimwehwunde klafft --
- o sage mir ein Wort voll tiefer Kraft!
-
- Und er sieht, er fühlt: er muß niederknien --
- und ein Blick, eine Stimme, so unermessen
- wie rings die Stille, kommt über ihn:
-
- Hast du das Machtwort „Wir Welt“ vergessen? --
-
- Und es tanzt der Schnee, und die Flocken wehn
- wie Saat des Lichts von Himmel zu Erden.
- Keine Grenze mehr. Zwei Menschen sehn
- ihr Vaterland unendlich werden.
-
-
-32.
-
- Doch eine Nacht kommt, da drohn die Weiten;
- da hat der Mond Macht. Grausig rein
- erleuchtet sein erlauchtes Licht den Hain.
- Und das Weib schluchzt auf, wild auf, wie vor Zeiten:
-
- Ich trag ein Kind -- o Du, von Dir --
- ich tu meine Schwachheit auf vor dir!
- Du hast meine Seele von mir befreit,
- nun kommt leerer als je die Einsamkeit!
- Wenn du gehst, und ich taste nach einer Hand
- in meiner jammervollen Stunde --
-
- Und sie wirft sich an ihn mit stammelndem Munde,
- und mit schmerzgekrümmten Fingern umspannt
- seine lahme Rechte sie hart wie Stahl
- und rafft sie auf aus ihrer Qual:
-
- Dann laß mein Töchterchen bei dir stehn!
- Dann wirst du stark sein! laß sie es sehn!
- sehn, wie das Mutterwehe dich schüttelt!
- daß sie’s mit heiligem Schrecken durchrüttelt!
- daß sie bei Zeiten lernt, sich dem Leben
- opferherrlich hinzugeben!
- daß unsre Kinder einst einfach handeln,
- wo wir noch voller Zwiespalt wandeln,
- einfältig lieben oder hassen,
- mit ganzem Willen die Welt umfassen,
- sich heimisch fühlen selbst zwischen den Sternen
- und mit jedem Feuer spielen lernen!
- Und wehrt mir der Tod, euch wiederzusehn,
- dann laß mich in dir verklärt auferstehn!
- Und lebt dir ein Sohn, dann lehr ihn mit Lachen
- aus jeder Not eine Tugend machen!
- Und unsre Mädchen, die leite an:
- das Recht der Frau ist der rechte Mann!
- Allen Beiden aber leg ins Herz
- die Macht der Liebe über den Schmerz!
-
- Und es leuchtet wie seines ihr Gesicht.
- Zwei Menschen sehn sich eins mit allem Licht.
-
-
-33.
-
- Und es sprießen wohl Sterne aus der Erde,
- so strahlt der Schnee im Mittagsglanz,
- so sind die Berge Ein Silberkranz.
- Aber strahlender noch als all der Glanz
- wird nun des Mannes Blick und Geberde:
-
- Nun schau und lausche, ganz wie wir sind,
- ganz Geist in Leib, nicht trunken blind,
- klar aufgetan bis ins Unendliche,
- Unüberwindliche, Unabwendliche,
- bis wir im Schooß alles Daseins sind:
- und du wirst sehn, Herz, daß die Erde
- noch immer mitten im Himmel liegt,
- und daß Ein Blick von Stern zu Stern genügt,
- damit dein Geist zum Weltgeist werde.
- Es ist ihm eingefügt jeder Leib,
- vom kleinsten Stäubchen bis zum herrlichsten Sterne,
- verknüpft noch in verlorenster Ferne,
- Weltkörper alle, auch wir, mein Weib!
- Und so, schon jetzt durchkreist vom Schwung
- der einst im Tod uns ureins wirrenden Triebe,
- aus innerster Erinnerung
- im Leben eins durch wissende Liebe,
- sieh mich nun stehn in ferner Nacht, allein,
- vom Anschaun der Gestirne so durchglutet,
- wie wenn die Wonnewelle zwischen uns flutet:
- in diesem Anschaun bin ich Ewig Dein
- und kann dir treuer als je mir selber sein.
- Ja, neige dich her -- o Mein -- o wunderbar:
- nun schmückt auch Dich ein erstes graues Haar --
-
- Er schlingt es los aus ihrer Lockennacht;
- ihm scheint kein Schnee so zart und rein
- wie dieses Silberfadens Schein --
-
- Sie nickt und flüstert wie erwacht:
- es ist bis in die Seele Gottes Dein -- --
-
- Und Sterne sprießen, soweit die Sonne scheint.
- Zwei Seelen wissen, was sie eint.
-
-
-34.
-
- Doch die Stunde des Scheidens naht und naht,
- wie wenn die Zukunft eilender rollte.
- Und sie gehn noch einmal den steinigen Pfad,
- wo das Werk ihres Geistes wachsen sollte.
- Und inmitten der kahlen, vereisten Flächen
- muß das Weib einen alten Zweifel aussprechen:
-
- Wenn ich spüre, wie’s wächst, mein Fleisch und Blut,
- und still neuen Sinn ins Dasein tut,
- als fasse der Mensch das Göttliche nur
- kraft seiner tierischen Natur,
- als hülle, was wir reden, nur Handlungen,
- die wir im Grunde nicht verstehen,
- und was wir lehren, nur Verwandlungen,
- die währenddem mit uns geschehen --
- dann frag ich mich: blickt nicht der blödeste Tor
- gottvoller noch als wir zu Gott empor?
- Und schauernd sinnt sie nach: zu Gott --
- Da sagt der Mann mit mildem Spott:
-
- Zu welchem? Zu dem biblischen Erdaufseher?
- Ja, dem tats not, Weltweisheit zu verbieten;
- die Hunde meines Vaters sind ihm näher
- als alle Priester und Leviten.
- Wir aber, wir Menschen der wachsenden Einsicht, kennen
- ihn anders, den Gott in unsrer Brust,
- dank jenem Geist allrühriger Liebeslust,
- den ich nicht wage „Gott“ zu nennen.
- Gott ist ein Geist, der klar zu Ende tut,
- was er zu Anfang nicht gedacht hat --
- dann sieht er Alles an, was Ihn gemacht hat,
- und siehe da: es ist sehr gut! --
- Und beugst du dann vor ihm das Knie
- und weihst ihm willig deinen Menschenschmerz;
- dann spricht der heilige Geist des Fleisches: sieh,
- so spielt Gott mit sich selbst, o Herz!
-
- Und kindlich lächelnd, göttlich klar,
- schweigt Herz an Herz ein Geisterpaar.
-
-
-35.
-
- Und Seel in Seele neu begnadet
- umschreiten sie die alte Ahnengruft.
- In den verschneiten Wäldern badet
- ein goldenblauer Morgenduft.
- Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum
- erzählt der Mann dem Weib einen Traum:
-
- Es war, als ging ich irr auf Schicksalswegen,
- und nur das Eine wußte ich:
- ich kam vom Tod und ging dem Tod entgegen --
- da fand ich in der dunkeln Wüste Dich.
- Dein Haupt beschirmend hob zur Sternenzone
- ein Palmbaum seine starre schwarze Krone;
- doch eins der Blätter neigte sich,
- als sollten wir’s auf einen Friedhof bringen.
- Und da wir’s nun zu uns herniederzwingen,
- da fängt es an zu knistern und zu glühen,
- und seine zitternden Adern sprühen
- ein leuchtendes Gefäßnetz aus.
- Und von dem Ätherglanz mit dir umschlungen,
- entschweb’ich, aller Irrsal hell entrungen,
- still heimathin durchs Weltgebraus.
-
- Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum
- erzählt das Weib: Es muß dein Traum
- in meinen Schlaf geleuchtet haben:
-
- Ich schwebte über einem breiten Graben,
- und jenseits, hoch am grauen Himmelssaum,
- stand deine strahlende Gestalt, doch schlief,
- bewacht von sieben dunklen, die sich beugten.
- Und während sie im Wasserspiegel tief
- mir ihre Ähnlichkeit mit dir bezeugten,
- begannen sie in dich hinein zu schwinden.
- Und du, erwachend, sprachst, mir beigesellt:
- wir sind so innig eins mit aller Welt,
- daß wir im Tod nur neues Leben finden.
-
- Und ringsher träumt die Waldung, weiß verkleidet.
- Zwei Menschen fühlen, daß der Tod nicht scheidet.
-
-
-36.
-
- Und Tal und Berge ruhn in bleicher Pracht;
- groß blühn die Sterne durch die Bäume,
- und lautlos über Raum und Räume
- erdehnt ins Leere sich die blaue Nacht.
- Und nun ist bald das Schwere vollbracht;
- schon rührt sich fern durchs Land, als schlüge
- ein Herz im Schnee mit dumpfer Macht,
- eisern das Bahngeräusch der Züge.
- Und heiß, mit einem Lächeln heiliger Lüge,
- haucht das Weib: Nun magst du gehn --
-
- hier, wo wir noch durch unsern Himmel schreiten,
- sag ich dir ruhig -- -- Sie bleibt jäh stehn,
- ihre Stimme bricht, ihre Hände gleiten
- ihr schützend unters Mutterherz,
- ihre Lippen zwingen sich zum Scherz:
- in guter Hoffnung auf Wiedersehn --
-
- Da muß weit der Mann die Arme breiten:
-
- Nicht aber so! -- ja weine, weine --
- o sieh: aus tiefster Quelle klar
- quillt meine Träne heiß in deine --
- und mich verklärend mit dem Glorienscheine
- um dein nachtentsprossen Haar,
- steh ich hier vor dir und schwör dir: Nie
- wird diese Klarheit enden! -- Sieh:
- es legt das Dunkel sich in meine Hände,
- als ob es Zuflucht suchte und nun fände:
- zu Sternen heb’ich meinen sichern Blick!
- Da -- o Glück:
- ahnst du sie, die Pflicht der Welt?
- Ja: von Sphären hin zu Sphären
- muß sie Saat aus Saaten gebären,
- bringt sie uns das Licht der Welt:
- rieselnd wie aus dunklem Siebe
- sät es Liebe, Liebe, Liebe
- von Nacht zu Nacht, von Pol zu Pol -- --
-
- Zwei Menschen sagen sich Lebwohl.
-
-
-
-
-Ausgang
-
-
- Leb wohl, leb wohl -- du hältst dich selbst in Händen.
- Du sahst, o Mensch, zwei Wesen deinesgleichen
- im kleinsten Kreis Unendliches erreichen.
- Auch Dein Glück wird ins Weltglück enden.
-
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-
- Der Kindergarten
-
- Gedichte, Spiele und Geschichten
-
- Auswahl
-
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-
-Gärtnerspruch
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-
- Alle Frucht der Welt
- ist nur des Keims Gewand.
- Pflege das Land,
- auf das dein Same fällt!
- Mag Gott es hüten
- vor tauben Blüten.
-
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-
-Muttersprache
-
-
- Kindersinn und Vätergeist:
- Muttersprache ist ihr Band.
- Wirket, daß es nicht zerreißt,
- all ihr Geister, Hand in Hand!
-
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-Vatergruß
-
-
- Wandre, wandre, Seelenklang:
- Berge werden Hügel.
- Wird die Wandrung dir zu lang,
- gibt mein Herz dir Flügel.
-
- Gibt dir Flügel wundergut,
- die kann niemand hindern:
- meinen ganzen Lebensmut!
- bring ihn meinen Kindern!
-
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-Der Vogel Wandelbar
-
-Ein Märchen
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-
- War einst ein Vöglein Wandelbar,
- an dem fast alles seltsam war.
- Ein rechter Wildfang wollt es sein
- und hatte doch ein Humpelbein
- und viel zu krumme Flügel.
-
- Allein die Flügel sah man kaum,
- so schön war sein Gefieder;
- das schimmerte wie Purpurschaum,
- und auf der Brust der weiche Flaum
- wie ein Perlmuttermieder.
-
- Vom vielen Zwitschern eigner Art
- bekam’s ein Schnäblein silberzart;
- und Augen trug’s im Köpfchen
- so lieblich-launisch-glitzerblau
- wie morgens die Tautröpfchen.
-
- Das gab dem Vöglein Wandelbar
- ein Aussehn, sonderlich fürwahr.
- Doch was das Sonderlichste war:
- tief innen trug’s +un+wandelbar
- ein Herz von lautrem Golde.
-
- Und Alles war dem Vöglein gut,
- wie’s humpelte und glänzte;
- und Jeder nahm’s in seine Hut,
- solang es brav im Hofe saß,
- der hoch sein Nest umgrenzte.
-
- Bis unser Vöglein endlich
- ein Vogel wurde; ei der Daus,
- da lief es aus dem sichern Haus
- allein ins weite Land hinaus,
- und da ergings ihm schändlich.
-
- Die Andern liefen gar so schnell,
- das Ihre zu erjagen;
- da kommt mit seinem Wackelschritt
- solch armes Entlein nicht gut mit,
- und muß den Spott noch tragen.
-
- Sie stießen es und traten es
- und rupften es gescheit;
- und in dem wilden Drängen
- blieb bald sein schönes Schimmerkleid
- an Busch und Dornen hängen.
-
- Zwar mancher blieb auch stehen;
- vermahnten dann und schalten
- den ungeschickten Wandelbar,
- und wußten doch, wie lahm er war,
- und -- blieben selbst die alten.
-
- Doch schließlich war es ihm geglückt,
- mit letzten Kräften, arg zerpflückt,
- ein Bäumlein zu erschwingen;
- da dacht er heimlich auszuruhn
- und sich in Schutz zu bringen.
-
- Verwandelt war nun ganz und gar
- der arme Vogel Wandelbar;
- nur hier und da noch glänzte ein
- zerschlissnes Purpurfederlein
- in seinem grauen Kittel.
-
- Und auch der Augen helles Licht
- war blaß, wie welk Vergißmeinnicht
- nur noch das Silberschnäbelein
- war ihm geblieben, blank und rein,
- wenn’s auch recht kläglich zirpte.
-
- So saß er weitab vom Gewühl
- und fragte sich voll Wehgefühl,
- warum er so verlassen;
- und wußte doch, daß Lahme nicht
- zu soviel Schnellen passen.
-
- Ein Rabe aber kam vorbei;
- den ärgerte die Melodei
- und auch das Silberschnäbelein.
- Er schrie: „Ich mag nicht solch Geschrei!
- marsch, lamentier wo anders!
-
- Ich will mir hier mein Nest her baun,
- und für uns Beide ist kein Raum!“
- und stieß das Vögelchen vom Baum
- und riß ihm aus dem Kleide
- auch noch sein letzt Geschmeide.
-
- Da war ihm aller Mut dahin,
- der Mut sogar zum Klagen.
- Mit seinem müden Humpelbein
- lief’s weinend in die Nacht hinein
- und dachte voll Verzagen:
-
- Jetzt ist rein garnichts mehr an mir,
- jetzt kann ich nur gleich sterben;
- jetzt will ich in die Wüstenei,
- wo Keinen ärgert mein Geschrei,
- und still für mich verderben.
-
- Ja, garnichts, garnichts mehr war sein
- von all dem schönen bunten Schein;
- sogar das Schnäblein hatte ganz
- verloren seinen Silberglanz
- von all den vielen Tränchen.
-
- Und als das Vöglein Das gesehn,
- ist fast sein Herz gebrochen.
- Zum Sterben hat sich’s hingesetzt.
- Da kam der goldne Mond zuletzt
- und hat zu ihm gesprochen:
-
- „Du armes Vöglein Wandelbar,
- was grämst du dich denn immerdar
- um deine paar Juwelen?
- Du dummes Vöglein Wandelbar,
- vergaßest du denn ganz und gar,
- was Keiner dir kann stehlen!
-
- Hast du denn nicht viel mehr in dir
- als diese ganze Lust und Zier,
- worauf die Andern sinnen?
- Was weinst du denn und machst dir Schmerz?
- denkst du denn garnicht an dein Herz
- von lautrem Gold tief innen!“
-
- Da ward dem Vogel Wandelbar
- auf einmal alles licht und klar,
- und lebte gerne weiter;
- da pfiff er bis an seinen Tod
- auf allen Spott, auf alle Not,
- unwandelbarlich heiter.
-
-
-
-
-Kutscher Tod
-
-
- In einem Wagen, einem schönen Wagen,
- fahren zwei Menschen seit vielen schönen Tagen.
- Sie fahren bei Regen wie bei Sonnenschein
- immer gradaus ins Blaue hinein.
- Auch das schlechteste Wetter ist ihnen nicht grau;
- hell lacht der Mann, warm lächelt die Frau.
- Sie schaukeln das Glück auf ihren Knien,
- und an einem Sommertag fragt sie ihn:
-
- Wenn wir so immer weiter reisen
- und lassen den Weg uns einzig vom Himmel weisen,
- kümmern uns um kein irdisch Ziel,
- treiben nur mit dem Glück unser Spiel,
- aber endlich wird’s uns vom Kutscher Tod weggenommen --
- was meinst du wohl, wohin wir kommen?
-
- Der Mann blickt nach den milchweißen Kühen,
- die den bunten Wagen ruhig ziehen,
- er blickt nach dem Kutscher, der Augen macht
- so unergründlich schwarz wie die Nacht --
- dann sagt er heiter:
-
- Ich meine, wir kommen immer weiter!
-
- Der Kutscher nickt. Der Himmel ist blau;
- warm lächelt der Mann, hell lacht die Frau.
- Und die weißen Kühe sagen sich beide:
- zwei Menschen fahren auf lebensgrüner Weide.
-
-
-
-
-Triumphgeschrei
-
-
- Alle kleinen Kinder
- schrein Hurrah, Hurrah.
- Mutterchen liegt still zu Bett,
- Kindchen schreit Hurrah.
-
- Vater steht daneben,
- steht und brummt: ja ja,
- ist ein schweres Leben.
- Kindchen schreit Hurrah.
-
- Mutterchen brummt garnicht,
- selig liegt sie da.
- Denn das kleine Menschenkind
- schreit Hurrah, Hurrah.
-
-
-
-
-Schnurrige Predigt
-
-
- Na lach doch, Kind! Dein Zuckerschneckchen,
- schwarz Sammetjäckchen, rote Bäckchen,
- dein ausgestopftes Häschen,
- dein Mäulchen, Händchen, Näschen
- hat all der liebe Gott gemacht.
- Ei, Herzekindchen, rasch: zerbeiß,
- zerreiß, zerschmeiß --
- hei, wie der liebe Gott nun lacht! --
-
-
-
-
-Käuzchenspiel
-
-
- Kinder, kommt, verzählt euch nicht,
- Jeder hat zehn Zehen;
- wer die letzte Silbe krigt,
- der muß suchen gehen.
- Suche, suche, warte noch,
- Käuzchen schreit im Turmloch,
- macht zwei Augen wie Feuerschein,
- die leuchten in die Nacht hinein,
- fliegt aus seinem Häuschen,
- sucht im Feld nach Mäuschen,
- husch, husch, huh,
- das Käuzchen, das -- bist -- du! --
-
-
-
-
-Fliegerschule
-
-
- Kommt, wir lernen fliegen!
- Woher denn Flügel kriegen?
- Von den achtzig Winden.
- Wo sind die zu finden?
- Überm ewigen Eise.
- Wer bezahlt die Reise?
- Da oben steht ein goldner Stern,
- der belohnt die Sieger gern;
- holt euch nur die Preise!
-
-
-
-
-Der Reitersmann
-
-Von Paula und Richard Dehmel
-
-
- Schimmel, willst du laufen,
- will ich dir was kaufen!
- Heißa, lauf nach Mexiko,
- da kaufe ich dir Bohnenstroh;
- laufe nach der Mongolei
- da kauf ich mir ein Oster-Ei.
-
- Eile, Schimmel, eile,
- oder du krigst Keile!
- Hopßa, lauf nach Hindostan,
- da kaufe ich mir Marzipan;
- laufe nach Kap Morgenrot,
- da kauf ich dir ein Dreierbrot.
-
-
-
-
-Geschäftsleutchen
-
-
- Lottchen will Jahrmarkt spielen,
- Musik ist schon bestellt.
- Nur ach, es fehlt die Warenbude;
- der Peter hat kein Geld.
-
- Ach, hab dich nicht! sagt Lottchen;
- als ob das nötig wäre.
- Wir nehmen Vaters Sorgenstuhl,
- jetzt sind wir Millionäre.
-
-
-
-
-Geburtstagsgeschenke
-
-
-I
-
- Lieber Vater! ich kann dir garnichts schenken,
- blos mein kleines Herz und alle meine Küsse,
- und -- eins, zwei, drei, vier, fünf Haselnüsse,
- dabei kannst du dir
- was Wunderschönes denken.
- Du kannst dir denken, jede Nuß
- hat ein kleines Herz, noch kleiner als das meine;
- und hätte sie auch zwei kleine Beine,
- liefe sie auf dich zu und gäb dir einen Kuß,
- einen wundervollen, herzhaften Geburtstagskuß!
-
-
-II
-
- Liebe Mutter! Du zählst sie gerne,
- alle deine vielen Geburtstagssterne.
- Hier stehn sie strahlend; und daneben
- siehst du zwei silberne Halbmonde schweben.
- Das sind zwei Lampen fürs Klavier,
- eine von Vater, die andre von mir.
- Kommt nun der Abend mit müden Beinen,
- dann läßt du deine Monde scheinen
- und spielst; und wir, wir hören und träumen
- von den hohen himmlischen Räumen,
- von deinem Sternenringelreihn --
- Vater wacht noch, ich schlafe ein.
-
-
-
-
-Abendgebet
-
-
- Müde bin ich, geh zur Ruh;
- lieber Himmel, deck mich zu!
- Laß die Sterne alle dein
- meines Schlafes Hüter sein!
-
- Schick im Traum ihr Licht mir zu,
- daß mein Herz in Reinheit ruh!
- Flecken, die der Tag gemacht,
- lösch sie gnädig aus, o Nacht!
- Amen.
-
-
-
-
-Freund Husch
-
-Von Paula und Richard Dehmel
-
-
- Husch, husch, husch,
- ich putze meinen Busch.
- Der Mond ist da, der Mond ist hell;
- der Mond, der ist mein Spielgesell,
- husch.
-
- Husch, husch, husch,
- ich schlüpfe aus dem Busch.
- Ich stecke mein Laternchen an,
- ich zünde uns die Sternchen an,
- husch.
-
- Husch, husch, husch,
- ich schüttel meinen Busch.
- Die Kinderchen sind all zur Ruh,
- ich schüttel ihnen Träume zu;
- die haben wir vergangne Nacht,
- der Mond und ich, uns ausgedacht,
- husch.
-
- Husch, husch, husch,
- ich schlüpfe in den Busch.
- Ich puhste mein Laternchen aus,
- ich suche mir ein Sternchen aus,
- das lass ich droben Wache stehn,
- nun kann ich ruhig schlafen gehn,
- husch, husch, husch,
- im Busch.
-
-
-
-
-Das Maiwunder
-
-Von Paula und Richard Dehmel
-
-
- Maikönig kommt gefahren,
- in seinem grüngoldnen Wagen,
- mit Saus und Gesinge.
- Seine Zügel sind Sonnenstrahlen;
- große blaue Schmetterlinge
- ziehn ihn über Busch und Bach,
- daß die weißen Blütenglocken
- in seinen Locken
- schwingen und springen.
- Und Hans kuckt ihm nach
- und hört sein Lied:
- wer zieht mit? zieht mit?
-
- Kommt das Maienweibchen,
- trägt ein weißes Kleidchen,
- trägt ein grünes Kränzchen,
- sagt zu unserm Hänschen:
- Eia, Hans,
- komm zum Tanz!
- Einen Schritt Frau Nixe,
- einen Schritt Herr Nix,
- Ringeldireih, Ringeldireih,
- Dienerchen,
- Knix!
-
-
-
-
-Puhstemuhme
-
-
- Krause, krause Muhme,
- alte Butterblume,
- Puhsterchen, nanu?
- Wo hast du denn dein Hütchen,
- dein gelbes Federschütchen?
- worauf wartest du?
-
- „Warte aufs Kindchen,
- auf ein lieb Mündchen,
- ich alte griese
- Trauerliese,
- puh, puh, puh.
- Ach bitte, puhst mich doch
- rasch in den Himmel hoch:
- tausend kleine Nackedeys
- spielen da im Gras,
- tausend kleine Nackedeys
- lachen sich da was.“
-
-
-
-
-Das große Karussell
-
-
- Im Himmel ist ein Karussell,
- das dreht sich Tag und Nacht.
- Es dreht sich wie im Traum so schnell,
- wir sehn es nicht, es ist zu hell
- aus lauter Licht gemacht;
- still, mein Wildfang, gib Acht!
-
- Gib Acht, es dreht die Sterne, du,
- im ganzen Himmelsraum.
- Es dreht die Sterne ohne Ruh
- und macht Musik, Musik dazu,
- so fein, wir hören’s kaum;
- wir hören’s nur im Traum.
-
- Im Traum, da hören wirs von fern,
- von fern im Himmel hell.
- Drum träumt mein Wildfang gar so gern,
- wir drehn uns mit auf einem Stern;
- es geht uns nicht zu schnell,
- das große Karussell.
-
-
-
-
-Aurikelchen
-
-
- Aurikelchen, Aurikelchen
- stehn auf meinem Beet,
- und sehn den blauen Himmel an,
- wo schon den ganzen Morgen
- die goldne Sonne sieht.
-
- Aurikelchen, Aurikelchen,
- was guckt ihr denn so sehr?
- Ihr seid ja selbst so gelb wie Gold,
- und habt ein hellrot Herzchen,
- was braucht ihr denn noch mehr!
-
-
-
-
-Der Schatten
-
-Nach R. L. Stevenson
-
-
- Ich hab einen kleinen Schatten;
- der geht, wohin ich geh.
- Aber wozu ich ihn habe,
- ist mehr, als ich versteh.
- Er ist ganz ebenso wie ich,
- blos nicht ganz so schwer;
- und wenn ich in mein Bettchen hüpfe,
- dann hüpft er hinterher.
-
- Das Sonderbarste an ihm ist,
- wie er sich anders macht;
- garnicht wie artige Kinder tun,
- hübsch alles mit Bedacht.
- Nein, manchmal springt er schneller hoch
- als mein Gummimann;
- und manchmal macht er sich so klein,
- daß Keiner ihn finden kann.
-
- Neulich ganz früh, da stand ich auf,
- noch eh die Sonne schien,
- und ging spazieren durch den Tau,
- im Gras, und suchte ihn.
- Aber mein kleiner fauler Schatten,
- als wenn er Schnupfen hätt,
- lag wie ein altes Murmeltier
- noch fest im Bett.
-
-
-
-
-Morgenlied
-
-
- Tapp tapp, wer kommt da querfeldein?
- Nur rasch, nur rasch, Herr Morgenschein,
- trab trab!
- Die Jungfer Tauduft putzt sich hier;
- sie schlägt den Schleier auf vor dir,
- klapp klapp!
-
- Klapp klapp, sie lädt dich ein zum Tanz;
- nur hol erst deinen goldnen Kranz,
- trab trab!
- Wer zu ihr will, muß früh aufstehn;
- wers tut, dem patscht sie auf die Zehn,
- schwapp!
-
-
-
-
-Der kleine Sünder
-
-Von Paula und Richard Dehmel
-
-
- Gestern lief der Peter weg,
- spinnefix verstohlen;
- setzt sich Mutter den Bänderhut auf:
- wart, ich will dich holen!
- Sausepeter,
- Flausepeter,
- kleiner Sünder, wo bist du?
-
- Hahnematz steht auf der Wiese,
- „kiek ins Grüne!“ kräht er;
- sag mir, bunter Kickeriki,
- wo ist unser Peter?
- Bummelpeter,
- Schummelpeter,
- kleiner Sünder, wo bist du?
-
- Wie sie sich im Garten umkuckt,
- ist er nicht zu sehen;
- bleibt sie neben dem Spargelbeet
- unterm Pflaumbaum stehen.
- Aber Peter,
- nirgends steht er;
- kleiner Sünder, wo bist du?
-
- Hört sie etwas lachen, horch,
- oben aus dem Baume;
- sitzt der Peter seelenvergnügt,
- pflückt sich eine Pflaume.
- Wirft ein Steinchen,
- schwenkt die Beinchen,
- wupptich --: Mutter, da +bin+ ich!
-
-
-
-
-Fragefritz und Plappertasche
-
-Von Paula und Richard Dehmel
-
-
- Fritz, ich möcht den Spaten haben.
- „Mutterchen, warum?“
- Möchte eine Grube graben.
- „Mutterchen, warum?“
-
- Möchte drin ein Bäumchen pflanzen.
- „Mutterchen, warum?“
- Wird mein Fritze drunter tanzen.
- „Mutterchen, warum?“
-
- Wird das Bäumchen Kirschen tragen.
- „Mutterchen, warum?“
- Ei, du mußt die Spatzen fragen,
- die sind nicht so dumm! --
-
- Kommt die kleine Plappertasche:
- „Mutterchen, nicht wahr,
- ich bin klüger als der Fritze,
- bin schon bald sechs Jahr!
-
- Mutterchen, nicht wahr, der Fritze
- ist ein Schaf, o jee!
- Ich kann schon bis zwanzig zählen
- und das A-B-C!“
-
- I, du kleine Plappertasche,
- laß den Fritz in Ruh!
- Plappertasche, wische wasche,
- halt das Mäulchen zu!
-
- Übermorgen in acht Wochen
- kommt der Weihnachtsmann;
- wenn du dann noch immer plapperst,
- was bekommst du dann?
-
- Einen großen Maulkorb! --
-
-
-
-
-Furchtbar schlimm
-
-
- Vater, Vater, der Weihnachtsmann!
- Eben hat er ganz laut geblasen,
- viel lauter als der Postwagenmann.
- Er ist gleich wieder weitergegangen,
- und hat zwei furchtbar lange Nasen,
- die waren ganz mit Eis behangen.
- Und die eine war wie ein Schornstein,
- die andre ganz klein wie’n Fliegenbein,
- darauf ritten lauter, lauter Engelein,
- die hielten eine großmächtige Leine;
- und seine Stiefel waren wie Deine.
- Und an der Leine, da ging ein Herr,
- ja wirklich, Vater, wie’n alter Bär,
- und die Engelein machten hottehott;
- ich glaube, das war der liebe Gott.
- Denn er brummte furchtbar mit dem Mund,
- ganz furchtbar schlimm! ja wirklich! und --
-
- „Aber Detta, du schwindelst ja;
- das sind ja wieder lauter Lügen!“
-
- Na, was schad’t denn das, Papa?
- Das macht mir doch soviel Vergnügen!
-
- „So? -- Na ja.“
-
-
-
-
-Fitzebutze
-
-
- Lieber ßöner Hampelmann,
- deine Detta sieht dich an!
- Ich bin dhoß, und Du bist tlein;
- willst du Fitzebutze sein?
- Tomm!
-
- Tomm auf Haterns dhoßen Tuhl,
- Vitzlibutzki, Blitzepul!
- Hater sagt, man weiß es nicht,
- wie man deinen Namen sp’icht.
- Pst!
-
- Pst, sagt Hater, Fitzebott
- war eimal ein lieber Dott,
- der auf einem Tuhle saß
- und sebratne Menßen aß.
- Huh!
-
- Huh, sei dut, ich bin so tlein
- und will immer a’tig sein.
- Fitzebutze, du bist dhoß;
- kleine Detta spaßt ja blos.
- Ja?
-
- Ja, ich bin dir wirktlich dut!
- Willst du einen neuen Hut?
- Tlinglingling: wer b’ingt das Band?
- Königin aus Mohrenland!
- Tnicks!
-
- Tnix, ich bin F’au Tönidin,
- hab zvei Lippen von Zutterrosin;
- Fitzebutze, sieh mal an,
- ei, wie Detta tanzen kann!
- Hoppß!
-
- Hopßa, hopßa, hopßassa:
- Tönigin von Af’ika!
- Flitzeputzig, Butzebein,
- wann soll unse Hochzeit sein?
- Du!
-
- Du! Mein tleiner lieber Dott!
- Du?! sonst geh ich von dir fo’t! --
- Ach, du dummer Hampelmann,
- siehst ja Detta garnicht an!
- Marsch! --
-
-
-
-
-Käferlied
-
-
- Maiker, Maiker, surr,
- bleib schön sitzen, burr!
- Breite deine Fühler aus,
- mach zwei kleine Fächer draus,
- schwing sie kreuz und quer,
- zähle mir was her!
- Zähle, ich will mit dir zählen,
- wieviel noch Minuten fehlen,
- bis Herr Heuschreck wuppt
- und mir auf die Nase huppt.
- Maikäber, Maiker,
- sonst holt dich der Deiker.
-
-
-
-
-Die Reise
-
-
- Tipp, tapp, Stuhlbein,
- hüh, du sollst mein Pferdchen sein!
- Klipp, klapp, Hutsche,
- du bist meine Kutsche,
- wutsch!
-
- Wipp, wapp, zu langsam;
- hott, wir fahren Eisenbahn!
- Alle meine Pferde,
- um die ganze Erde,
- rrrutsch!
-
- Tipp, tapp; zipp, zapp;
- halt, wann geht das Luftschiff ab?
- Fertig, Kinder, eingestiegen!
- wollen in den Himmel fliegen!
- futsch!
-
-
-
-
-Die Schaukel
-
-
- Auf meiner Schaukel in die Höh,
- was kann es Schöneres geben!
- So hoch, so weit: die ganze Chaussee
- und alle Häuser schweben.
-
- Weit über die Gärten hoch, juchhee,
- ich lasse mich fliegen, fliegen;
- und alles sieht man, Wald und See,
- ganz anders stehn und liegen.
-
- Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh?
- Im Himmel! ich glaube, ich falle!
- Das tut so tief, so süß dann weh,
- und die Bäume verbeugen sich alle.
-
- Und immer wieder in die Höh,
- und der Himmel kommt immer näher;
- und immer süßer tut es weh --
- der Himmel wird immer höher.
-
-
-
-
-Das richtige Pferd
-
-Von Paula und Richard Dehmel
-
-
- Wer schenkt mir ein lebendiges Pferd,
- mein Schaukelpferd ist garnichts wert,
- es hat so steife Beine.
- Es stampft nicht, frißt nicht, wiehert nicht,
- und macht solch ledernes Gesicht;
- es weiß nicht, was ich meine.
-
- Wenn mir der Weihnachtsmann ein Pferd,
- ein wirklich richtiges Pferd beschert,
- dann reit ich über die Brücke,
- und reite durch den Kiefernforst
- nach Vehlefanz und Haselhorst,
- und noch fünf große Stücke.
-
- Dann bin ich mitten in der Welt;
- da such ich mir ein Haberfeld
- und lasse meine Pferdchen grasen.
- Und dann, dann reit ich ans Ende der Welt,
- wo der Riese den Regenbogen hält,
- und -- schick euch ’ne Ansichtspostkarte.
-
-
-
-
-Die ganze Welt
-
-
- Wo hängt der größte Bilderbogen?
- Beim Kaufmann, Kinder! ungelogen!
- Man braucht blos draußen stehn zu bleiben,
- kuckt einfach durch die Ladenscheiben,
- da sieht man ohne alles Geld
- die ganze Welt.
-
- Man sieht die braunen Kaffeebohnen;
- die wachsen, wo die Affen wohnen.
- Man sieht auf Waschblau, Reis und Mandeln
- Kameele unter Palmen wandeln,
- und einen Ochsen ganz bepackt
- mit Fleischextrakt.
-
- Man sieht auch Zimmt und Apfelsinen,
- und Zuckerhüte zwischen ihnen.
- Man sieht auf rot lackierten Blechen
- Matrosen mit Chinesen sprechen;
- und manchmal steht ein bunter Mohr,
- der lacht, davor.
-
- Am Eingang aber lehnt ’ne Leiter
- mit Hasen, Hühnern und so weiter.
- Und manchmal hängt an ihren Sprossen
- ein großer Hirsch, ganz totgeschossen;
- dann kommt so’n kleiner Hundemann
- und schnuppert dran.
-
-
-
-
-Lazarus
-
-Nach R. L. Stevenson
-
-
- Ich bin der kleine Lazarus,
- der still zu Bette liegen muß;
- die Nacht ist immer schrecklich lang,
- ich bin schon sieben Tage krank.
-
- Ich weiß, im ganzen Hause gehn
- die großen Leute auf den Zehn;
- ich mach mir aber garnichts draus,
- ich packe sacht mein Spielzeug aus.
-
- Ich schicke mein Soldatenheer
- durch meine Kissen kreuz und quer,
- von Tal zu Tal, bergauf bergab,
- und manchmal kommt ein tiefes Grab.
-
- Und auf dem Laken weiß wie Schnee
- ziehn meine Schiffe über See;
- und um die Wellen geht ein Wall,
- da bau ich Burgen überall.
-
- Ich bin der Riese groß und still,
- der Alles tun kann, was er will,
- vom Bettberg bis zum Lakenstrand
- im Reich der weißen Leinewand.
-
-
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-
-Der kleine Held
-
-Eine Lehrjungen-Dichtung
-
-
- Allen braven Trotzköpfchen zugedacht.
- Bengels, daß ihr Kerls aus euch macht!
-
-
-Inhalt:
-
- Wie ein ganz armer Junge sich sagt was er alles werden kann.
-
-
-
-
-Anfang
-
-
- „Du bist ein armer Junge“
- sagt Mutter oft und weint,
- wenn ich Herr Rittersmann spielen will.
- Aber Vater hat gemeint:
- „er ist ein kleiner Held!“
-
- Neulich nahm ich ganz einfach
- meinen Drachen mit als Schild,
- und dem reichen Kurt sein Schwesterchen
- hat mich geküßt wie wild:
- „du bist ein kleiner Held!“
-
- Ich ließ meinen Drachen steigen,
- dann ging es in die Schlacht;
- ich wollt meinen Schild blos +zeigen+,
- ich hab ihn selbst gemacht,
- ich bin ein kleiner Held!
-
- Ich wills schon machen, daß Mutter
- nicht mehr weint um mich.
- O! sie soll mal sehn und lachen,
- was ich alles werden kann, ich
- kleiner Held! --
-
-
-
-
-Ein Zimmermann
-
-
- Ich kann ein Zimmermann werden,
- dann zimmr’ich mir ein Haus;
- hoch überm höchsten Giebelbalken
- krönt meinen Richtfeststrauß
- -- Achtung! -- mein Meisterhut.
-
- Dann zimmr’ich noch viele Häuser;
- meine Richtschnur knippst und knappst,
- die Spähne schießen vor Angst kobolz
- um meine blanke Axt,
- und hurr, wie knirscht meine Säge!
-
- Meine Säge knirscht mit den Zähnen:
- mir ist kein Holz zu hart,
- ich werd’s schon kirre kriegen,
- wart nur, wart nur, wart!
- So knirscht meine große Säge.
-
- Fertig! Nun fix nach oben,
- wo der Wind mich kämmt und küßt;
- und mag er rütteln und toben,
- ich fall nicht vom Gerüst,
- ich bin ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Dachdecker
-
-
- Ich kann ein Dachdecker werden,
- denn ich bin schwindelfrei.
- Ich kletter bis auf den Kirchturmhahn,
- und die Dohlen und Krähn schrein: ei,
- was will der Herr denn hier?
-
- Der will die Kirchtürme flicken,
- es tut schon lange not!
- Die Glocken, wenn mein Fahrstuhl kommt,
- brummen: ßapperlot,
- da baumelt ’ne Himmelsleiter!
-
- Und unten kribbeln die Leutchen,
- und steigt kein Laut mir nach.
- Blos mein Freund, der Schornsteinfeger,
- ruft manchmal vom nächsten Dach:
- Komm, Bruder, es gibt ein Gewitter!
-
- Aber dann bleib ich lieber
- ruhig auf meinem Sitz
- und hör, wie der Donner losbrüllt:
- Bravo! Sieh, Bruder Blitz,
- das ist ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Feuerwehrmann
-
-
- Ich kann Feuerwehrmann werden;
- kaum daß die Brandflamme prasselt,
- kommt schon galopp mit Fackelgesprüh
- unser Wagen angerasselt,
- alle Mann wie auf Sprungfedern stehend.
-
- Wie mit Donner und Blitz um die Wette:
- unsre Fackeln sind Rettungszeichen!
- Meine Pfeife gellt: beiseit, beiseit!
- und alle Menschen weichen
- uns voll Ehrfurcht aus.
-
- Denn dort die glühenden Fenster --
- horch: durch den Qualm ein Schrei!
- Da wird nicht lange gefackelt mehr:
- rasch den Rauchhelm auf, die Spritzen in Reih,
- und mit Beil und Seil wird gerettet!
-
- Vielleicht ein schönes Mädchen;
- das wird dann meine Braut.
- Oder ein kleiner Betteljunge;
- der schießt dann wie ich ins Kraut
- und wird ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Schmied
-
-
- Ich kann Schmiedemeister werden;
- knuff! sagt mein Hammer und saust,
- dann springen die Funken vor Freude
- um meine rußige Faust
- bis an den Blasebalg.
-
- Herr Blasebalg, was stöhnst du?
- Nur zu! die Glut geschürt!
- Und laß die Schlacken nur spucken,
- wenn meine Zange drin rührt;
- gut Eisen will auf den Ambos!
-
- Dem soll ich den Rücken klopfen,
- dann lacht er und trällert ein Lied:
- Lieb Hammergeläut, lieb Hammergeläut,
- gut Eisen dankt dem Schmied,
- er klopft es hart zu Stahl.
-
- Drum streut’s vor Freude Funken
- und hüpft bei jedem Streich;
- die Heuchler und Halunken,
- die klopft er windelweich,
- knuff, der kleine Held.
-
-
-
-
-Ein Maschinenbauer
-
-
- Ich kann Maschinbauer werden;
- da sträubt sich manchem das Haar.
- Das ist viel toller als Märchenspuk,
- da hausen wirklich wahr
- tausend Zauberkräfte.
-
- Die toben, wirbeln, krachen
- mit Kolben, Kurbeln, Gelenken,
- mit feuerschnaubenden Rachen,
- man muß an die Hölle denken,
- an die großen Tiere der Urzeit.
-
- Und sind viel stärker als Riesen;
- was können sie alles tun!
- Bergwerke bohren, Dampfschiffe treiben,
- Bahn brechen mit eisernen Schuhn;
- weh dem, der ihnen zu nah tritt!
-
- Schnurstracks reißt Schwungrad und Riemen
- die täppische Hand in Fetzen.
- Mit solchen Ungetümen
- auf guten Fuß sich setzen
- lernt nur ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Eisenbahner
-
-
- Ich kann Eisenbahn-Zugführer werden;
- nein, Lokomotivführer lieber.
- Dann bin ich kleiner Menschenknirps
- der größten Maschine über,
- die tausend Pferdekraft stark ist.
-
- Und tausend andre Menschen
- regiert Ein Griff meiner Hand,
- tagein tagaus, bei Nacht, bei Nebel,
- im Sturm von Land zu Land;
- Bahn frei! schreit meine Maschine.
-
- Bahn frei -- was schreit da wider?
- im Dunkeln welch Gestampf?
- Woher, wohin? Vorwärts, zurück?
- Halt! bremsen! Gegendampf!
- jetzt gilts, Mensch: Einer für Alle!
-
- Und fliegt der Kopf vom Kragen,
- so stirbt sichs ohne Grämen;
- dann braucht man sich doch wenigstens
- des Lebens nicht zu schämen!
- So denkt ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Weltreisender
-
-
- Ich kann Weltreisender werden,
- wo keine Eisenbahn geht:
- wo überm ewigen Eismeergrab
- die Nordlichtkrone steht,
- die Krone der ganzen Erde.
-
- Oder wo heiß die Wildnis
- nur Grüße Gottes haucht,
- und wo die liebe Seele
- keinen andern Wegweiser braucht
- als Sonne, Mond und Sterne.
-
- Und treff ich mal auf Menschen,
- die sind wohl nicht wie ich;
- ihr Gott, der heißt wohl Fitzebutze,
- ihr Häuptling Duckedich --
- hurra, das gibt einen Hauptspaß!
-
- Ich ducke sie noch ein bißchen
- tiefer zum Schabernack;
- und wollen sie’s übel nehmen,
- dann los! habt Mut, ihr Pack!
- hier steht ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein König
-
-
- Ich kann ein König werden;
- nicht etwa bei uns, i wo!
- Bei uns, da muß man Kronprinz heißen,
- dann wird man’s sowieso.
- Ich werd bei den Negern König!
-
- Die fragen nicht nach dem Taufschein,
- wenn man nur orndtlich regiert.
- Erst zähm ich mir ein Dutzend Löwen,
- dann komm ich ankutschiert,
- acht Zebras vorgespannt:
-
- Was lauft ihr weg wie die Affen?
- Mein Reich ist vogelfrei!
- Wer stark ist, darf’s erobern helfen;
- die Klugen sind stark für zwei!
- Kommt, Kinder, dankt euerm Herrgott!
-
- Ihr habt einen König und Priester,
- der braucht keinen Polsterthron,
- keinen Feldherrn, Hofherrn, Minister
- und sonstige Dienstperson;
- euch führt ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Tierbändiger
-
-
- Ich kann Tierbändiger werden,
- ich bin den Bestien gut;
- sie würden gerne Menschen sein,
- nur Qual ist ihre Wut,
- drum sind ihre Augen so traurig.
-
- So wie in Wahnsinn versunken,
- so gläsern manchmal, so stier.
- Aber man braucht sie blos zu lieben,
- das fühlen sie ganz wie wir
- und lernen Vernunft annehmen.
-
- Neulich am Raubtierkäfig
- bot ich dem Tiger die Hand.
- Er sah mich lange schnurrig an,
- bis er mein Herz verstand;
- dann ließ er sich ruhig tatzeln.
-
- Er gähnte wie im Zirkus
- und bog die Schwanzspitze sacht.
- Ich wette, den dürft ich karbatschen,
- er dachte: Du hast die Macht,
- du bist ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Kunstreiter
-
-
- Ich kann ein Kunstreiter werden,
- das kann nicht jedermann;
- nur wer bis in die Zehenspitzen
- sich selber bändigen kann,
- bis in die Turnschuhspitzen!
-
- Hei, wenn beim großen Luftsprung
- meine stolzen Pferde sich bücken!
- Die Herren Leutnants lächeln vor Neid,
- die Damen vor Entzücken;
- ich lächle immer mit.
-
- Ich lächle, ihr schönen Damen:
- Klatscht Beifall! still, Musik!
- freut euch, gleich kommt der Doppel-Luftsprung,
- vielleicht brech ich’s Genick!
- Ich werde auch dann noch lächeln.
-
- Dann kommt ihr angefahren
- mit Kränzen und Trauermärschen;
- ich aber lächle noch im Sarg,
- ich kann mich selbst beherrschen,
- ich bin ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Jägersmann
-
-
- Ich kann ein Jägersmann werden,
- ich hab eine sichre Hand;
- ich werde von der Schießbudenfrau
- immer „klein Tell“ genannt.
- Ich hab auch kaltes Blut.
-
- Ich zucke nicht mit der Wimper,
- drück ich die Knallbüchse ab.
- Mir soll kein Wilddieb ins Handwerk pfuschen;
- ich bringe ihn auf den Trab,
- und wär er schlau wie ein Teckel.
-
- Ich würde wohl selber wildern,
- hätt ich kein eigen Revier.
- So aber, Kerl: Mann gegen Mann,
- ich schütze den Forst vor dir,
- das ist meine Pflicht, Halunke!
-
- Gewehr her! oder -- gib Feuer!
- Auge in Auge! Laß sehn:
- piff paff, wen’s trifft, dem wird noch
- sein ärgster Feind gestehn:
- da liegt ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Gärtner
-
-
- Ich kann ein Gärtnersmann werden,
- mit allen Pflanzen vertraut.
- Mir schadet keine Treibhausluft
- und auch kein giftiges Kraut;
- ich bin so zäh wie ein Buchsbaum.
-
- Ich nutze die giftigen Kräuter,
- ich züchte Heilkräuter draus,
- mitunter auch Küchenkräuter;
- nur die Unkräuter reiß ich aus
- oder veredle sie.
-
- Und meine Baumschule, Leute,
- schmückt alle Landstraßen, seht!
- Jawohl, Herr Nachbar, es lohnt sich,
- wenn man noch mehr versteht
- als schöne Sträuße zu binden!
-
- Mein Garten wird nicht verschmachten,
- gefällt er manchem schlecht.
- Er kann euern Beifall verachten,
- und euer Schimpfen erst recht;
- ihn pflegt ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Ackersmann
-
-
- Ich kann ein Ackersmann werden;
- auch der muß tapfer sein.
- Mit Himmel und Erde muß er kämpfen,
- daß seine Felder gedeihn,
- ein Kriegsmann Schritt für Schritt.
-
- Um Haus, Hof, Heimat kämpft er,
- potz Hagel, Blitz und Brand!
- Mit Gleichmut ist sein Herz gepanzert,
- mit Schwielen seine Hand,
- hart wie das Korn, das er sät.
-
- Und wills daheim nicht fruchten,
- um Deutschland geht kein Zaun;
- noch manchen Urwald gibts zu lichten,
- da kann man Blockhütten baun
- und neue Heimat schaffen.
-
- Vielleicht stößt doch das Heimweh
- langsam das Herz ihm ab?
- Dann aber rauschen die Ähren
- weithin um sein Grab:
- hier ruht ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Seemann
-
-
- Ich kann ein Seemann werden,
- Kapitän oder Steuermann.
- Den macht sein Steuerrad so stark,
- wie der Pflug den Ackersmann;
- kommt nur, ihr Wolken und Wellen!
-
- Der Wind pflügt tausend Furchen
- von einem zum andern Strand.
- Nur Eine Furche pflügt mein Schiff:
- die bricht unserm Vaterland
- nach allen Erdteilen Bahn.
-
- Ob noch so undurchdringlich
- ringsum der Nebel graut,
- daß selbst die Sonne durch den Dunst
- wie’n blindes Auge schaut:
- unser Kompaß kennt den Weg.
-
- Wenn wir die Flagge hissen,
- du fremde Hafenstadt,
- soll jeder Matrose wissen,
- der Ehre im Leibe hat:
- dir naht ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Lotse
-
-
- Ich kann auch Lotse werden;
- da, wo die Schiffbrüche drohn.
- Ich darf das Sturmboot kommandieren,
- wenn vor der Wachtstation
- plötzlich der Notschuß dröhnt.
-
- Los, Jungens! an die Riemen!
- Und in den schwarzen Braus
- sprüht der Raketen-Apparat
- Leuchtschnur auf Leuchtschnur aus;
- grell klafft die Nacht ums Wrack.
-
- Mit brüllendem Rachen schnappen
- die Sturzseen über Deck.
- Die Mannschaft reißt die Passagiere
- vom krachenden Mastbaum weg;
- der Gischt fegt ihn von Bord.
-
- Und in den bleichen Haufen
- prasselt mein Rettungstau;
- da kriegen auch die Feigsten Mut,
- und manche schwache Frau
- wird ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Taucher
-
-
- Ich kann ein Taucher werden,
- einsam auf Meeres Grund.
- Da könnt ihr Stürme nicht hinab;
- still wie in Todes Schlund
- tu ich mein kühnes Werk.
-
- Lautlose Wirbel schauern
- über und unter mir;
- mit dunklen Fangarmen lauert
- heimtückisches Getier
- zwischen den grauen Riffen.
-
- Da muß ich die Schätze heben,
- die für die Menschen taugen;
- gespenstische Wesen schweben
- mit bunten Phosphor-Augen
- um meine Glocke hin.
-
- Und hab ich sie gehoben,
- dann sperrt wohl noch ein Hai
- sein schiefes Maulwerk nach mir auf.
- Dem bringt’s mein Fußtritt bei:
- hier schwebt ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Goldgräber
-
-
- Ich kann ein Goldgräber werden
- und des Erdgrunds Schätze schürfen.
- Mutter Erde spendet immer mehr,
- je mehr die Menschen bedürfen;
- mein Lehrer hats gesagt.
-
- Wohl kostets Schweiß in Strömen,
- den Bergschutt auszuschmelzen,
- oder tief aus unterirdischen Flüssen
- den Schlamm heraufzuwälzen,
- der die paar Goldkörner birgt.
-
- Aber endlich ists ein Klumpen,
- blitzblendeblank gewaschen!
- Nun kann ich Vater, Mutter und Alle
- zum Geburtstag überraschen;
- auch den reichen Kurt!
-
- Mutter Erde soll sich wundern,
- wie meine Schatztaler springen:
- Hand auf! nehmt hin den Plunder,
- ich kann mir mehr erringen,
- ich bin ein kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Bergführer
-
-
- Ich kann ein Bergsteiger werden,
- der die andern alle führt.
- Pfade, wo nie ein Schritt erklang:
- wer hat sie aufgespürt!
- Das tat meine Herzenslust!
-
- Die treibt mich hin zu den Gipfeln,
- über Schnee, durch Wetterschlag,
- am Sturzbach hin, am Gletscherrand,
- hinauf! Nun klettert nach,
- ihr andern Wagehälse!
-
- Mir nach mit glühendem Herzen,
- hinauf ins freie Eis!
- Wer stürzt, den schmückt im Paradies
- die Blume Edelweiß!
- Kommt! jauchzend grüß ich euch.
-
- Aber am liebsten steh ich
- hoch oben ganz allein,
- mitten im stillen Himmelskreis,
- und höre die Adler schrein:
- grüß Gott, du kleiner Held!
-
-
-
-
-Ein Luftschiffer
-
-
- Ich kann ein Luftschiffer werden,
- immer höher schlägt mein Herz:
- da fliehn die Flüsse unter mir
- wie dünne Adern Erz,
- meine Gondel steigt und steigt.
-
- Die Luft wird immer reiner;
- das wirre Erdgewühl
- wird alles klein und kleiner,
- wird alles wie ein Spiel.
- Ich gleite drüber hin.
-
- Hin, wo die Wolken schweigen;
- kaum noch ein Berghaupt blinkt.
- Ich fühle mich nicht mehr steigen,
- nur die Erde sinkt und sinkt;
- mir träumt ein Schaukellied.
-
- Ich schwebe nur und schwebe,
- in die blaue Welt hinein.
- Wer weiß wohin -- ade, ade --
- der Himmel wiegt mich ein:
- fahr wohl, du kleiner Held.
-
-
-
-
-Ein Dichter
-
-
- Ich kann ein Dichtersmann werden,
- ich weiß schon, was das heißt;
- das ist ein Mensch auf Erden
- mit einem himmlischen Geist,
- und der auf Leben und Tod pfeift.
-
- Er pfeift: mir lacht das Leben,
- weil ich unsterblich bin!
- Er pfeift: ich lache aufs Sterben,
- mir lebt ein Lied im Sinn,
- das geht so weit wie die Welt!
-
- So einen Dichter kenn ich;
- er streicht mir manchmal die Stirn,
- und wie ein Fernrohr rührt sein Blick
- hell an mein Gehirn,
- dann seh ich den Himmel offen.
-
- Da tanzen die Sterne und singen:
- Nur wen wir auserwählt,
- dem kann das Lied gelingen;
- wird er’s wohl fertig bringen,
- unser kleiner Held?
-
-
-
-
-Ein Engel
-
-
- Ich kann ein Engel werden,
- wenn ich gestorben bin.
- Dann jagt wohl mit Wolkenpferden,
- die wir nicht sehn auf Erden,
- meine Kraft durchs Luftmeer hin.
-
- Meine Flügel sind wohl die Stürme,
- der Blitzstrahl wohl mein Pfad.
- Ich weiß es nicht, ich leuchte nur;
- mich treibt ein Geist zur Tat,
- der braucht wohl meine Kraft.
-
- Ich leuchte in tausend Gestalten,
- vielleicht wo die Sonne loht,
- vielleicht wo Sterne erkalten,
- die bleich noch Nachtwache halten,
- vielleicht im Morgenrot.
-
- Da darf ich überall wirken;
- und bin doch vor dem Geist,
- der mich und all die andern Engel
- zu Seinem Werk hinreißt,
- nur ein kleiner Held.
-
-
-
-
-Schluß
-
-
- Ich kann noch manch andres werden,
- solang ich kein Engel bin.
- Aber immer trag ich armer Junge
- die eine Frage im Sinn:
- was wirst du auf jeden Fall?
-
- Und trage in meinem Herzen
- manch eines Mannes Bild,
- der so beherzt war, daß er uns
- als +großer+ Held nun gilt:
- Wilhelm Tell, König Fritz, der Herr Jesus.
-
- Dazu gehört nicht Reichtum
- noch lange Lebensfrist.
- Mir hat mein Dichtersmann gesagt:
- jedes Kind auf Erden ist
- ein kleiner Welterobrer.
-
- Das will ich an jeder Stelle
- sein, so sehr ich kann.
- Dann werd ich auf alle Fälle
- ein ganzer Mann -- und dann
- vielleicht ein ganzer Held.
-
-
-
-
-Knecht Ruprecht und die Christfee
-
-Ein Weihnachtsspiel
-
-
- Knecht Ruprecht und die Christfee treten in die Weihnachtsstube,
- während am Klavier die Chorweise „Tochter Zion, freue dich“ aus
- Händels „Judas Makkabäus“ ertönt.
-
-Ruprecht
-
- zu den Kleinen, nachdem es still geworden ist:
-
- Ich bin der alte Weihnachtsmann,
- ich hab ein’n bunten Wunderpelz an;
- mein Haar ist weiß
- von Reif und Eis.
-
- Ich komm weit hinter Hamburg her,
- mit langen Stiefeln durchs kalte Meer,
- meinen Mummelsack
- huckepack.
-
- Er nimmt den Sack von der Schulter und stellt ihn vor sich auf den
- Boden.
-
- Da sind viel gute Sachen drin,
- Nüss und Äpfel und große Rosin’n;
- ich bin ein lieber Mann,
- seht an!
-
- Er öffnet den Sack und langt dabei verstohlen die Rute aus dem
- Gürtel.
-
- Ich kann aber auch böse sein.
- Dann fahr ich mit der Rute drein
- und schüttel den Bart:
- na wart’t!
-
- Nein, seid nicht bang; seid lieb und fein,
- seid wie mein schön gut Schwesterlein!
- Ist die euch hold,
- schenk ich, was ihr wollt.
-
-Die Christfee
-
- in weißem Kleid und Schleier, mit Engelsflügeln und Sterndiadem, in
- der Linken einen Tannenzweig haltend, wendet sich an die Großen:
-
- Ich bin aus einem hellen Lande;
- da wächst und blüht ein Baum, um den
- wir all in strahlendem Gewande
- mit silberweißen Flügeln stehn.
-
- Der Baum ist grün, grün ohne Ende,
- und seine Höhe mißt kein Sinn;
- und seine Zweige sind wie Hände,
- die strecken sich nach Jedem hin.
-
- Der Baum trägt viele tausend Kerzen,
- und jede ist der andern gleich;
- und ihre Flammen sind wie Herzen,
- die leuchten klar und warm und weich.
-
- Er hängt voll Gold bis an die Spitze,
- und seine Jahre zählt kein Mund;
- und seine Wurzeln sind wie Blitze,
- die dringen in den härtesten Grund.
-
- O komm, komm! Tausend Früchte warten,
- dein goldner Apfel pflückt sich leicht;
- denn Jedem öffnet sich der Garten,
- wer sinnt, wie man den Baum erreicht.
-
- Kommt, seht ihn schimmern! Heut aufs neue
- erfüllt sich, was die Schrift verhieß:
- Einst pflanzte, daß der Mensch sich freue,
- Gott einen Baum ins Paradies.
-
-Ruprecht
-
- hat inzwischen die Teller der Kinder mit Pfefferkuchen, Nüssen,
- Äpfeln gefüllt und tritt nun zu der kleinen Veradetta:
-
- Möchtest du wohl in den Garten,
- wo so schöne Äpfel warten?
- Ja? -- Dann mußt du fein
- sittsam sein.
-
- Mußt dich nicht so wild geberden,
- mußt so wie die Christfee werden.
- Es ist garnicht schwer;
- kuck mal her!
-
- Muß dir nur recht viel dran liegen,
- auch zwei Flügelchen zu kriegen.
- Wenn du groß bist, ah:
- dann sind sie da.
-
-Die Christfee
-
- zum kleinen Peter-Heinz, eindringlich:
-
- Und Du, mein kleiner Heinzelmann,
- machst dich gern zu wichtig.
- Sieh dir mal den Ruprecht an:
- siehst du, +der+ machts richtig.
-
- Jedem schenkt er was und lacht,
- aber höchst bescheiden;
- daß man dumme Witze macht,
- kann er garnicht leiden.
-
- Und wer mault, den haut er sehr,
- und dann sagt er: schade! --
- So, nun sag uns auch was her,
- und halt den Kopf hübsch grade!
-
-Heinz
-
- sagt mit seiner verschmitztesten Miene folgende Schnurre (von
- Paula und Richard Dehmel) auf:
-
- Der Esel, der Esel,
- wo kommt der Esel her?
- Von Wesel, von Wesel,
- er will ans schwarze Meer.
-
- Wer hat denn, wer hat denn
- den Esel so bepackt?
- Knecht Ruprecht, Knecht Ruprecht
- mit seinem Klappersack.
-
- Mit Nüssen, mit Äpfeln,
- mit Spielzeug allerlei,
- und Kuchen, ja Kuchen
- aus seiner Bäckerei.
-
- Wo bäckt denn, wo bäckt denn
- Knecht Ruprecht seine Speis?
- In Island, in Island,
- drum ist sein Bart so weiß.
-
- Die Rute, die Rute,
- die ist dabei verbrannt;
- heut sind die Kinder artig
- im ganzen deutschen Land.
-
- Ach Ruprecht, ach Ruprecht,
- du lieber Weihnachtsmann,
- komm auch zu +mir+ mit deinem
- Sack heran!
-
-Ruprecht
-
- lachend, indem er in den Sack langt:
-
- Na! dann muß der Ruprecht wohl
- seine Rute rasch verstecken;
- denn er hat die Jungens gern,
- die nicht gleich vor ihm erschrecken.
-
- Hier, mein kleiner tapfrer Mann,
- schenk ich dir ein Spiel Soldaten.
-
- Noch eine Schachtel herausnehmend:
-
- Und in diesem Kasten steckt
- Handwerkzeug zu andern Taten.
-
- Peter Heinz! Soldat sein heißt:
- fürcht dich nit und lern brav hauen!
- Aber noch viel braver ist es,
- lernst du recht was Schönes +bauen+.
-
- Jedes Werkzeug sagt dir: lerne
- festen Griff mit Fug und Fleiß --
-
-Die Christfee
-
- neckend:
-
- denn das hat der Ruprecht gerne,
- daß man zuzugreifen weiß.
-
- Dann den andern Heinz anredend:
-
- Und Heinz Lux -- sieh blos mal her:
- Rehe, Hirsche und ein Bär,
- Hühner, Hasen, Füchse, Raben:
- gelt, die möchtest du wohl haben?
-
- Ja? Dann mußt du aber balde
- wie der Jägersmann im Walde
- aufmerksam und achtsam werden,
- darfst dich nicht wie’n Tapps geberden.
-
- Sonst wird gleich der Eber hier
- dreimal größer als die Tür,
- kommt und stößt dich mausetot,
- ißt dich auf zum Abendbrot.
-
- Wenn du aber orndtlich bist,
- bleibt das alles, wie es ist;
- und dann kannst du mit den vielen
- wilden Tieren ruhig spielen.
-
-Ruprecht:
-
- Na, und Du, Prinzeßchen da,
- Veradetta, ganz in Seide,
- kannst wohl auch ein Liedchen? ja?
- Ei, dann mach uns mal die Freude!
-
-Detta
-
- die Hände faltend:
-
- Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all,
- o kommet zur Krippe in Bethlehems Stall,
- und seht, was in dieser hochheiligen Nacht
- der Vater im Himmel für Freude uns macht!
-
- O seht, in der Krippe, im nächtlichen Stall,
- seht hier bei des Lämpchens still glänzendem Strahl
- in reinlichen Windeln das liebliche Kind,
- viel schöner, viel holder, als Engel wohl sind.
-
- Da liegt es, ach Kinder! auf Heu und aus Stroh;
- Maria und Josef betrachten es froh,
- die redlichen Hirten knien betend davor,
- hoch oben schwebt jubelnd der himmlische Chor.
-
-Ruprecht
-
- hat dem alten Lied mit Andacht zugehört, nickt und sagt:
-
- Das war wirklich wunderschön,
- ja, das muß ich sagen!
-
- Ein Geschenk vorholend:
-
- Dafür krigst du, sieh mal, den
- reizenden Kinderwagen.
-
-Die Christfee:
-
- Und in lauter Silberflaum,
- ei, welch Engelspüppchen!
- Und da unterm Tannenbaum,
- sieh nur, steht ein Stübchen.
-
- O, wie wird sich Püppchen freun,
- wenn du’s da wirst wiegen!
- braucht nicht wie arm Jesulein
- in einem Stall zu liegen.
-
- Liegt und lacht, o sieh doch, ganz
- wie klein Liselotte,
- Schwesterchen im Lichterglanz,
- träumt vom lieben Gotte.
-
- Träumt von einer andern Welt,
- die wir hier nur ahnen;
- da sät Gottes Mutter hell
- ihren Sternensamen.
-
-Ruprecht:
-
- +Euer+ Mutting aber krigt
- diese bunte Schürze,
- drin ein Bündel Scheren liegt
- jeder Läng und Kürze.
- Damit soll sie säuberlich
- Vaters Dichterflügel putzen
- und ihm, übereilt er sich,
- seine wilden Federn stutzen.
-
- Er legt das Geschenk auf den Weihnachtstisch, greift dann weiter in
- den Sack:
-
- Und für Onkel Mombert hab ich
- einen Leuchter aufgegabelt,
- in Gestalt des rasenden Drachens,
- über den die Sage fabelt,
- daß er einst das ewige Licht
- losriß aus den finstern Gründen;
- mag er nun dasselbe Licht
- dir im Kämmerlein entzünden!
-
- Dann eine Flasche Benediktiner auspackend:
-
- Onkel Scheerbart -- ha! -- der krigt
- diesen Seelenwärmer;
- seht, schon macht er ein Gesicht
- wie’n religiöser Schwärmer!
-
- Hier können, je nach Mehrbedarf, weitere Bescherungsreime
- eingestickt werden; wie überhaupt die Einzelheiten der Bescherung
- nur als Anleitung zu ähnlichem Mummenschanz gemeint sind.
-
- Tante Lisbeth, brumm brum brumm,
- will ich lieber meiden;
- denn die kann, Gott weiß warum,
- den Weihnachtsmann nicht leiden.
-
- Aber unsre Guste hier,
- unser Hausmamsellchen,
- daß sie nicht beim Ausgehn frier,
- krigt ein warmes Fellchen.
-
- Er nimmt sich die Pelzjacke von der Schulter und hängt sie dem
- Dienstmädchen über. Steht nun in einem abgetragenen blauen
- Arbeitskittel da und sagt zur Christfee:
-
- Na, und jetzt, mein Schwesterlein,
- können wir wohl gehen.
- Oder fällt dir noch was ein?
- Siehst mir gar so ernsthaft drein.
- Warum bleibst du stehen?
-
-Die Christfee:
-
- Ich hab ein Wort vernommen,
- das läßt mich nimmer los.
- Ich mag zum Ärmsten kommen,
- und sei er ganz beklommen,
- ich sage immer blos:
- liebe!
-
- O -- dann atmet Jeder wärmer;
- war doch Er noch viel, viel ärmer,
- der das Wort einst sprach.
- Selbst die stummste Menschenseele,
- ob ihr jeder Laut sonst fehle,
- stammelt heimlich nach:
- ich liebe.
-
- Aller Orten, aller Zungen,
- Jedem ist es schon erklungen,
- selig oder scheu.
- Jedem wohnt das Blümlein inne,
- dem ich jetzt ein Lied beginne,
- Lied so alt wie neu:
-
- Nachdem auf dem Klavier die Weise angeschlagen ist, spricht die
- Christfee jede Zeile einzeln vor und Alle singen Zeile für Zeile
- nach:
-
- Es ist ein Reis entsprungen
- aus einer Wurzel zart;
- wie uns die Alten sungen,
- vom Himmel kam die Art.
- Und hat ein Blümlein bracht,
- mitten im kalten Winter,
- wohl zu der halben Nacht.
-
- Das Blümlein war so kleine
- und doch von Duft so süß;
- mit seinem milden Scheine
- verklärt’s die Finsternis.
- Und blüht nun immerdar,
- tröstet die Menschenkinder,
- holdselig, wunderbar.
-
- Ein Stern mit hellen Gleisen
- hat es der Welt verkündt,
- den Kindlein und den Weisen,
- wie man dies Blümlein findt.
- Nun ist uns nicht mehr bang,
- seit aus der dunklen Erde
- solch leuchtend Reis entsprang.
-
-Ruprecht
-
- nach kurzem Schweigen:
-
- Amen! -- Ja, geliebte Kinder,
- voller Wunder ist die Welt;
- solch ein Lied ist doch noch schöner
- als das schönste Spielzeug, gelt?!
-
-Die Christfee
-
- zu den Großen gewendet:
-
- Fühlt denn, wie aus zweien Landen
- Bruder sich und Schwester fanden;
- Ruprecht, gib mir deine Hand!
- Ich aus Morgen, Er aus Abend,
- Ich im Silberkleid, Er trabend
- in verwittertem Gewand.
- Beugt euch Ihm, dem Überlegnen:
- er kann wirken, ich nur segnen,
- er bringt Frucht, ich will nur Licht.
- Ich aus Süden, Er aus Norden,
- seine Welt ist stark geworden --
-
-Ruprecht
-
- ihr den Mund zuhaltend:
-
- ja, daß sie mich fast unterkrigt;
- Schwesterherz, blamier mich nicht! --
-
- Dann wieder zu den Kleinen:
-
- Und nun wüßtet ihr wohl gerne,
- wer das ist, der Weihnachtsmann --
-
- sich den weißen Bart und alten Hut abnehmend:
-
- das ist euer lieber Vater,
- schaut ihn euch nur näher an!
-
- Und die Christfee mit den Flügeln --
-
- ihr den Schleier und das Diadem abnehmend:
-
- das ist eure Mutter, seht!
- Und so ists mit all den Wundern,
- die ihr anfangs nicht versteht.
-
- All das Schöne auf der Erde,
- das ihr einzusehn begehrt,
- wird von Vater oder Mutter,
- wenn es Zeit ist, euch erklärt.
-
- Auch die Englein, Mond und Sterne,
- und das liebe Jesuskind,
- und der gute Gott im Himmel,
- und was sonst für Märchen sind.
-
- Denn das alles, Kinder, alles,
- was die Erde schöner macht,
- ist von lieben, guten, klugen
- Menschen langsam ausgedacht.
-
- Ist drum aber nicht gelogen;
- nein, was Haupt und Herz verklärt,
- Abglanz ist es einer wahren
- Zauberkraft, die ewig währt,
-
- die von Stern zu Stern geheime
- Lichtbefehle traumhaft schickt
- und euch weihnachtshell begeistert,
- wenn ihr gläubig aufwärts blickt.
-
- Nachdem er seine Kinder der Reihe nach auf die Stirn geküßt hat:
-
- So, nun spielt und freut euch sehr!
- Übers Jahr erzähl ich mehr.
-
- Vom Klavier ertönt aufs neue die Chorweise „Tochter Zion, freue
- dich!“
-
-
-
-
-Das Dichterspiel
-
-
-Jedes Jahr am Sylvesterabend machte die kleine Ursula bei Tante Li
-und Onkel Ri Besuch, und diesmal hatte sie ihren Vetter Heinz Peter
-und seinen Freund Heinz Lux mitgebracht, die beide schon etwas größer
-waren. Es sollte das Dichterspiel gespielt werden; und die Ursel, die
-nun bald dreizehn Jahre alt wurde, war ganz aufgeregt vor Spannung,
-ob sie wohl auch einen Preis kriegen könnte, oder ob ihr die großen
-Bengels, die immer alles besser wußten, wieder eine lange Nase drehn
-würden.
-
-„Zu dem Dichterspiel“, erklärte der Onkel Ri, „gehört nichts weiter,
-meine Herrschaften, als die nötige Menge Papier und Bleistifte,
-ein bißchen Zeit und ein bißchen Grips. Jeder von uns sagt zwei
-Hauptwörter, und die schreiben wir alle auf. Dann muß jeder um
-diese Wörter herum eine kurze Geschichte dichten und natürlich auch
-aufschreiben, innerhalb einer bestimmten Frist. Da wir fünf Dichter
-sind, kommen zehn Wörter ins Spiel; setzen wir also zehn Minuten
-Frist! Nachher liest jeder seine Geschichte vor, und wir stimmen ab,
-wer die beste ersonnen hat; der darf sich als Preis ein Licht vom
-Weihnachtsbaum holen. Wer den Abend über die meisten Lichter gewinnt,
-der ist Sieger und krigt den Sternpreis, wenn der Weihnachtsbaum
-geplündert wird.“
-
-Der Sternpreis, das war ein Stern mit fünf Zacken, der in jedem
-Jahr auf der Baumspitze stak; und an den Zacken hing immer allerlei
-Süßes, wie die Ursel aus Erfahrung wußte. Ach, ob sie wohl heute
-siegen würde? Wäre sie blos nicht so dumm gewesen, die zwei Bengels
-mitzubringen, statt wieder ein paar Freundinnen. Grips genug hatte
-sie selbstverständlich, aber an Fixigkeit waren die Buben ihr über.
-Was für ausgefallene Wörter sie gleich bei der ersten Aufgabe nahmen!
-+Krauskopf+, +Bewußtsein+, +Element+, +Sportkostüm+. Dann sagten die
-Tante und der Onkel: +Ufer+, +Brücke+, +Jagd+, +Pfeil+. Und zuletzt die
-Ursel: +Spitze+, +Stern+. Und o weh: als die zehn Minuten vorbei waren,
-hatte sie richtig ihre Geschichte höchstens erst dreiviertel fertig.
-Aber ein Trost war es wenigstens, daß nach der Abstimmung keiner der
-Heinze das erste Licht vom Baum holen durfte, sondern einstimmig gewann
-Tante Li. Ihre Geschichte lautete:
-
-Ich stand einmal vor einer Brücke. Über diese Brücke jagte auf einem
-Rappen eine junge Negerin, umflattert von einem weiten buntwollenen
-Mantel. Hoch in der rechten Hand, über ihrem Krauskopf, hielt sie
-einen langen Pfeil. Ihr ganzer Körper war Aufgeregtheit. Sie trieb
-ihren Gaul zu rasender Hetzjagd an, und als sie die Brücke hinter sich
-hatte, stürmte sie den Fluß entlang und ließ endlich ihren Pfeil in den
-Ufersand sausen. Sie hob ihn auf, und wieder gings wie ein entfesseltes
-Element über die Brücke zurück, dann jenseits ein Stück das Ufer
-entlang, und als Ende der Jagd: der Pfeil in den Sand. Es war in diesem
-verbohrten Treiben eine so schrecklich sinnlose Wildheit, daß ich immer
-noch stand, als sie noch einmal über die Brücke herüberkam und wie
-beim ersten Mal umkehrte und abermals zurückstürmte. Da, als sie grad
-auf der Mitte der Brücke war, geht mit ruhigen Schritten eine Dame ihr
-nach, ebenso jung, aber weißhäutig, mit maisgoldnem Haar, sehr hoch
-und schlank, gekleidet in ein schlichtes, schwarzes, eng anliegendes
-Sportkostüm. Sie trug auch einen langen Pfeil in der Hand, aber ganz
-leicht und unauffällig. Als sie dort angekommen war, wo vor ihr her die
-Wilde jagte, hielt sie an, zielte einen einzigen Augenblick, aber mit
-äußerstem Bewußtsein, schleuderte ihren Pfeil, und dieser flog, scharf
-über dem Kopf der Wilden hin, schneller als deren Pfeil, erst gradaus,
-dann im Bogen über die Brückenecke, aber nicht in den Sand des Ufers,
-sondern ihr Ziel war ein fünfzackiger Stern, der auf der Spitze eines
-Bootmastes stak.
-
-Die Ursel war ganz blaß geworden und strich sich ihr blondes Haar aus
-der Stirn; sie hatte gemerkt, worauf die Tante anspielte, und nahm sich
-vor, bei der nächsten Aufgabe vielviel ruhiger nachzudenken. Aber sie
-wurde doch wieder nicht fertig, und das zweite Licht gewann der Heinz
-Lux. Diesmal hießen die Hauptwörter: +China+, +Bahnhofsuhr+, +Teppich+,
-+Karaffe+, +Kachel+, +Gardine+, +Elefant+, +Neptun+, +Schlafzimmer+,
-+Büffett+ -- und dazu hatte der freche Lux folgende Geschichte erfunden:
-
-Im Kaiserreich China befindet sich eine seltsame Bahnhofsuhr. Sobald
-sie zwölf zu schlagen anfängt, springt aus dem Zifferblatt eine
-flache Kachel, gemustert wie ein persischer Teppich, und darauf steht
-ein weißer Porzellan-Elefant. Wenn du dich auf den Elefanten setzt,
-trägt er dich so schnell im Kreise um die große Uhr herum, daß du die
-Besinnung zu verlieren glaubst; bis er auf einmal stehen bleibt und
-dich in einer Meergrotte absetzt. Nach dem ersten Erstaunen erkennst
-du, daß du im Schlafzimmer Neptuns bist, des Gottes der Ertrunkenen --
-und der Betrunkenen. Denn wenn du die Gardine zurückschlägst, stehst du
-einem unübersehbaren Büffett gegenüber, in dem Karaffe neben Karaffe
-glänzt, und jede Karaffe enthält einen Likör, worin der tolle Gott die
-Träume jeder ertrunkenen Seele aufbewahrt. Davon mußt du natürlich mal
-kosten; und in dem Augenblick, wo du den ersten Tropfen schmeckst,
-kommst du wieder zur Besinnung, und die Uhr tut den letzten der zwölf
-Schläge.
-
-Nur die Ursel hatte dagegen gestimmt und bei dem Wort „Betrunkenen“
-pfui gerufen; wofür ihr der Peter Heinz einen Puff versetzte, wofür
-ihm der Onkel Ri das Punschglas entzog. „Jetzt wollen wir aber,“ fuhr
-der Onkel fort, der bis dahin auch noch nichts fertig gebracht hatte
-oder vielleicht auch blos so tat, „die Sache ein bißchen schwerer
-machen. Jedes der aufgegebenen Wörter darf nur Einmal gebraucht werden;
-dafür darf aber jeder drei Wörter aufgeben, und die Frist dauert
-fünfzehn Minuten.“ Dabei plinkte er der Ursel zu, sodaß sie guten Mut
-faßte. Es kamen folgende Wörter ins Spiel: +Schehresade+, +Karamelle+,
-+Zitadelle+, +Abenteurer+, +Prophet+, +Gazelle+, +Winternacht+,
-+Sommermittag+, +Paradies+, +Wüstensand+, +Palast+, +Feuer+, +Braut+,
-+Lied+, +Quelle+ -- aber die Ursel wurde wieder nicht fertig. Doch
-diesmal machte sie sich nichts draus, denn Onkel Ri hatte jetzt in
-Versen gedichtet, da konnte natürlich kein Andrer siegen; und wenn
-der Onkel oder die Tante den Sternpreis bekamen, dann würden sie
-ihn nachher doch ihr schenken. Nun las er vor: „Morgenländisches
-Preislied“ -- und indem er die Tante sonderbar ansah, schob er erst
-noch die Bemerkung ein, daß ihm am heutigen Abend ein Hymnus auf
-die orientalische Phantasie sehr angebracht scheine, weil ja das
-Weihnachtsfest und die Neujahrsfeier aus dem Morgenland zu uns gekommen
-seien. Hierauf deklamierte er:
-
- O Schehresade, Fee der Nacht,
- in der die Wunderschelle klingt,
- o Fee, welch Lied ist hold genug,
- die hohe Wonne anzustimmen,
- die uns zu deiner Schwelle zwingt --
-
- so hold, wie durch den Palmenhain
- im Frühling die Gazelle springt,
- so hold, wie aus dem Wüstensand
- am dürren Sommermittag plötzlich
- durchs Dorngestrüpp die Quelle dringt --
-
- so hold, wie durch die Winternacht
- die Glut der Feuerstelle singt,
- wenn unterm dichtverhängten Zelt
- dem heimgekehrten Abenteurer
- die Braut die Lagerfelle bringt --
-
- so hold, wie der Prophet den Mond
- aus Allahs Zitadelle schwingt
- und dann beim goldnen Sternetanz
- feucht aus dem Mund der schönsten Huri
- die Honigkaramelle schlingt --
-
- so, Fee der tausendzweiten Nacht,
- die uns zu Deiner Schwelle zwingt,
- so hält uns dein Palast im Bann,
- bis deinen bunten Zauberteppich
- die rosige Morgenhelle schminkt --
-
- bis uns das ganze Firmament
- wie eine Wunderschelle klingt,
- bei deren Ton das Paradies
- samt allen Wonnen dieser Erde
- in jede ärmste Zelle sinkt! --
-
-Aber der Onkel bekam den Preis nicht. Tante Li erklärte mit strenger
-Miene das Gedicht für „unverständlich“; und die Ursel merkte, wie
-sich die beiden Heinze unterm Tisch mit den Beinen anstießen, und daß
-der Lux dem Peter was ins Ohr flüsterte, worin das Wort „unanständig“
-vorkam. Da fuhr sie aber entrüstet dazwischen: „Was! Ihr? Erst
-vorgestern hab ich euch alle beide an meinem Bonbon mitlutschen lassen,
-und das hat euch sehr nach mehr geschmeckt! Und überhaupt sind die
-Gedichte von Onkel Ri genau so verständlich, wie die von Onkel Goethe
-und Schiller! Und Tausendundeine Nacht hab ich auch gelesen!“ Die
-Heinze waren krebsrot geworden, und der Peter brummelte: „dummes Jöhr!“
-Aber die Tante legte ihm die Hand auf den Mund, und mit der andern Hand
-fuhr sie der Ursel liebkosend über die heißen Backen. Dann sagte sie zu
-Onkel Ri, der still in sein Punschglas hineinlachte: „Es ist aber gegen
-die Spielregel, daß du uns hier mit Versen den Kopf verdrehst; also
-hat diesmal keiner gewonnen. Von jetzt an wird wieder blos zehn Minuten
-gedichtet, und in ebenso einfacher Sprache, wie Schehresade gedichtet
-hat. Ich glaube, das Einfache ist das Schwerste; andre Schwierigkeiten
-sind überflüssig. Wers am einfachsten kann, krigt das nächste Licht.“
-Die zehn Hauptwörter lauteten nun: +Trauerweide+, +Vogel+, +Rock+,
-+Hütte+, +Arbeit+, +Spieldose+, +Kinderjubel+, +Pfauenauge+, +Prinz+,
-+Bettler+. Und wirklich: die Ursel wurde zur rechten Zeit fertig, sogar
-schon eine Minute zu früh, während Onkel Ri mit gerunzelter Stirn noch
-allerhand verbesserte und die beiden Buben noch lauter Unsinn klierten.
-O, wie sie die Bengels verachtete! besonders aber den frechen Heinz
-Lux! Freilich, das Licht gewann sie drum doch nicht. Sondern, wie sie
-sichs schon gedacht hatte, da der Onkel sich solche Mühe gab: die Tante
-holte ihm selbst das Licht, er hatte eine richtige Fabel gedichtet:
-
-Neben einer Hütte stand eine Trauerweide; darunter saß ein alter Mann
-und flickte seinen zerlumpten Rock. Da flog ein Pfauenauge vorüber,
-ohne daß der Mann es bemerkte; und aus der Krone des Baumes kam ein
-Vogel und verfolgte den Schmetterling. Zugleich begann im Innern der
-Hütte eine Spieldose zu klingen, so entzückend wie ferner Kinderjubel,
-sodaß der Mann von seiner Arbeit aufsah, und da verschlang der Vogel
-den Schmetterling. Der Mann aber, der das mitansah, dachte: Weil ich
-ein alter Bettler bin, möchte ich sterben wie dieses Pfauenauge; wenn
-ich ein junger Prinz wäre, wollte ich leben wie dieser Vogel.
-
-Die nächste Aufgabe hörte sich lustiger an. Sie bestand aus den
-Wörtern: +Löwe+, +Strohwisch+, +Strumpfband+, +Tür+, +Bart+, +Igel+,
-+Hampelmann+, +Tintenwischer+, +Badehose+, +Käsestulle+. Da machte die
-Ursel sich wenig Hoffnung; da würde gewiß der ulkige Peter gewinnen. Er
-kam auch gleich als erster zum Vorlesen dran, und seine Geschichte war
-wirklich gelungen:
-
-Einst schlief ich am Weihnachts-Heiligabend über meinen Spielsachen
-ein. Nach etlicher Zeit erwachte ich und sah das Zimmer in sehr
-verändertem Licht. Die Wände waren blutrot tapeziert, und durch den
-Fußboden floß ein blanker, durch und durch himmelblauer Fluß, an
-dem lauter knallgrüne Bäume standen, einer genau wie der andere.
-Auf einmal öffnete sich die Tür, und mein alter Hampelmann trat mir
-entgegen, in einer nagelneuen Uniform, und hinter ihm her ein ganz
-Regiment Soldaten. Die Soldaten waren aber nicht etwa Bleisoldaten,
-sondern Igel in Kürassier-Uniform, die auf gepanzerten Löwen ritten.
-Es sollte großes Manöver sein; darum hatte sich jeder Igel an seiner
-Waffe einen Tintenwischer oder auch Strohwisch angebracht, um nur ja
-niemand zu verletzen. Jeder Löwe hatte außer dem Panzer noch eine
-Badehose an, von der ein Strumpfband als Ordensband herabhing. Nun gab
-der Hampelmann ein Zeichen, und die Soldaten stellten sich zu beiden
-Seiten des Flusses auf, schlugen sich und schossen sich und machten
-kolossal viel Musik dazu. Bald darauf war Frühstückspause, und jeder aß
-eine Käsestulle. Ich hatte mich immerfort geärgert, daß mein Hampelmann
-als Soldat keinen Schnurrbart trug. Jetzt in der Pause bemerkte ich
-plötzlich, daß ihm aus seinen Nasenlöchern ein riesenhafter „Es ist
-erreicht“ wuchs. Davon krigte ich solchen Schreck, daß ich nun wirklich
-aus meinem Traum erwachte.
-
-Die beiden Heinze sahen sehr siegesbewußt aus, denn Onkel Ri hatte
-mehrmals Beifall genickt, und der Lux war natürlich sofort bereit, dem
-Peter seine Stimme zu geben. Aber ihre Gesichter veränderten sich, als
-jetzt die Tante ihre Geschichte vorlas:
-
-Mitten in der Nacht, denkt mal, erscheint neulich bei verschlossener
-Tür ein Hampelmann vor meinem Bett. Kinder, Kinder, wie sah der aus!
-Ein grüner Bart -- denkt nur: ein grüner Bart -- hing ihm von den
-Augenwimpern bis auf sein gelbes Strumpfband herab, das er aber nicht
-ums Bein, sondern um den Hals trug. Von seiner übrigen Kleidung läßt
-sich wenig erzählen, denn er hatte nichts weiter an als eine weiße
-Badehose. Und auf was kam das Männlein dahergeritten? Ihr denkt auf
-einem Strohwisch? Falsch. Ihr denkt auf einem Igel? Noch falscher.
-Auf einem Löwen kam er daher! Aber der Löwe war so sanft, als hätte
-er niemals Menschen und Tiere gefressen, sondern als wäre er mit
-Käsestullen großgefüttert worden. So glich denn auch sein Haarschmuck
-mehr einem Tintenwischer, als einer königlichen Mähne. Aber jetzt
-öffnete er seinen Rachen; sogleich riß der Hampelmann auch seinen
-Mund auf, beide rollten wie rasend die Augen, sie verknäulten sich
-ineinander, und ich wüßte meiner Treu nicht zu sagen, ob der Löwe den
-Hampelmann oder der Hampelmann den Löwen verschlungen hat, denn schon
-im nächsten Augenblick war von Beiden keine Spur mehr übrig.
-
-Heinz Peter erklärte ritterlich, dagegen sei seine Geschichte ein
-Quark; und nun stimmte der Lux auch für Tante Li. Aber da sagte Onkel
-Ri, indem er lächelnd sein eignes Blatt zerriß: „Aber Peters Geschichte
-ist einfacher!“ Worauf die Tante ebenso lächelte und ihre Stimme dem
-Peter gab. Also stand die Entscheidung bei der Ursel, und sie ging
-schon mit sich zu Rate, ob sie wirklich großmütig sein und als dritte
-für ihn stimmen sollte, als er plötzlich großspurig auftrumpfte, er
-wolle nicht aus Gnade gewinnen. Worauf der Onkel ihm erst die Schulter
-klopfte und ihm dann das Punschglas gefüllt zurückgab. „Da also“,
-fügte der Onkel hinzu, „wieder keiner gewonnen hat, wollen wirs jetzt
-noch einfacher machen, d. h. so schwer wie irgend möglich. Außer den
-ausgegebenen Wörtern darf kein anderes Hauptwort benutzt werden; jedes
-aufgegebene Wort darf nur einmal verwendet werden und nur in der
-vorgeschriebenen Reihenfolge. Je knapper die Sätze sind, desto besser.“
-
-Die Ursel war nahe daran, zu weinen; der Onkel Ri hatte sicher
-gemerkt, daß sie den Bengels den Sternpreis nicht gönnte, darum
-stellte er so verschmitzte Spielregeln auf, die ihr den Kopf ganz
-wirblig machten. Und noch dazu wurden auch diesmal wieder lauter
-Ulkwörter vorgeschlagen; sogar sie selber nannte solche, sie wußte
-garnicht wieso eigentlich. Die zehn Wörter standen in folgender
-Reihe: +Elefantenküken+, +Ballettdame+, +Aquavit+, +Hundekuchen+,
-+Stricknadel+, +Menschenfeind+, +Rosenkranz+, +Pfropfenzieher+,
-+Monokel+, +Kiste+. Da konnte doch wirklich kein artiges Mädchen,
-das eine richtige Dame werden wollte, einen vernünftigen Sinn
-hineinbringen. Trotzdem brachte sie zu ihrem Erstaunen eine ganz
-hübsche Schnurre zustande, worin das Elefantenküken, die Ballettdame
-und der Menschenfeind mit all den andern Dummheiten in eine große Kiste
-gepackt und so lange geschüttelt wurden, bis der Menschenfeind sich zu
-bessern versprach. Sowohl der Onkel wie die Tante waren sehr zufrieden
-damit; blos das Wort Menschenfeind hatte sie zweimal gebraucht. Und das
-Licht gewann doch der Peter Heinz, er trug im Leutnantston Folgendes
-vor:
-
-Äh, wissen schon? Elefantenküken. Äh: verliebt in Ballettdame. Sie
-abjeschnappt, er sich in Aquavit besoffen und Hundekuchen dazu
-jefressen; äh, mit Stricknadeln notabene, janz verrückt. Menschenfeind
-dabei jemimt: äh, Rosenkranz jebetet, Pfropfenzieher jeschluckt,
-Monokel injeklemmt, krepiert. Dolle Kiste.
-
-Da mußten sie alle so kreuzvergnügt lachen, daß er einstimmig das
-vierte Licht bekam. „Und nun,“ sprach der Onkel Ri mit erhobenem
-Zeigefinger, „nachdem wir nun zur Genüge gelernt haben, worauf es bei
-dem Dichterspiel ankommt, darf sichs jeder wieder so leicht machen,
-wie ihm der Schnabel gewachsen ist, nur muß es nachher auch allen
-Andern ebenso leicht in den Schnabel passen; das nämlich ist das
-Allerschwerste. Und deshalb darf sich diesmal jeder zwanzig Minuten
-Zeit lassen.“ Aber das ließ die Ursel nicht gelten; was sollte
-denn der Lux von ihr denken! „Höchstens fünfzehn Minuten,“ rief sie
-beharrlich; denn sie wußte sehr wohl, daß Onkel Ri blos ihretwegen
-zwanzig vorschlug, und daß die Buben sie beim Nachhauseweg immerfort
-damit foppen würden. Und dann nahm sie sich so mächtig zusammen, daß
-sie garnicht mehr an den Sternpreis dachte und schon nach neuneinhalb
-Minuten als allererste fertig wurde. Die ausgegebenen Wörter hießen:
-+Bücherschrank+, +Drehorgel+, +Roastbeef+, +Schnapsflasche+,
-+Radieschen+, +Blauschwänzchen+, +Kirchturm+, +Gemüsewagen+,
-+Puppentheater+, +Glasfabrikation+. Und siehe da: das fünfte Licht
-wurde auf Antrag der beiden Heinze einstimmig der Ursel zugesprochen.
-Ihre Geschichte lautete:
-
-Ein Blauschwänzchen hatte Freundschaft mit einem Radieschen
-geschlossen. Sie waren aber beide sehr arm, und das Blauschwänzchen
-litt manchmal großen Hunger. Das Radieschen, dessen Kusinen öfters auf
-dem Gemüsewagen zur Stadt gefahren waren, sagte zu dem Blauschwänzchen:
-Fliege doch auch mal in die Stadt, da gibt es Roastbeef und Leipziger
-Allerlei. Aber das Roastbeef war zu grob für das Blauschwänzchen, und
-das Leipziger Allerlei war versalzen. Da wollte es sich bei einem
-Puppentheater als Singvögelchen anstellen lassen; aber es kam nur ein
-Mann mit einer Schnapsflasche, und eine Drehorgel wurde gespielt, und
-auf der Bühne stand ein Bücherschrank, aber zu essen gab es nichts.
-Der Mann war der Theaterdirektor und sagte zu dem Blauschwänzchen: Ich
-rate dir die Glasfabrikation zu erlernen, dabei kann man viel Geld
-verdienen und sich die feinsten Sachen kaufen. Aber die Glasfabrikation
-war für das Blauschwänzchen eine viel zu heiße Arbeit. Da flog es
-auf den Kirchturm hinauf und sah sich nach allen Seiten um und flog
-wieder zurück aufs Feld; und weil es noch immer hungrig war, fraß es
-das kleine Radieschen auf. Als es aber damit fertig war, fiel dem
-Blauschwänzchen plötzlich ein, daß das Radieschen sein Freundchen
-gewesen war; und nun grämte es sich so sehr, daß es wie unsinnig hin
-und her flog und sich endlich zu Tode flog. Dicht bei dem Kirchturm in
-der Stadt ist es aus der Luft heruntergefallen.
-
-Die Ursel konnte es garnicht fassen, daß die Andern die Geschichte so
-lobten. Und kaum hatte der Heinz Lux ihr das Licht geholt, als die
-Uhr Mitternacht zu schlagen anfing, und draußen auf der Straße wurde
-„Prost Neujahr“ gerufen. Nun stießen sie alle mit den Punschgläsern
-an, und da fiel der Ursel der Sternpreis wieder ein, denn nun wurde ja
-gleich der Weihnachtsbaum geplündert. Merkwürdig, daß ihr jetzt auf
-einmal garnichts mehr an dem Leckerkram lag; es war doch eigentlich
-das Schönste, daß schließlich jeder gesiegt hatte. Aber da sprach der
-Onkel Ri: „Jeder von uns, meine Herrschaften, hat heute Abend ein Licht
-gewonnen, aber die Ursula ist die Jüngste und weiß noch am wenigsten
-von der Welt; also hat sie am meisten aus sich selbst ersonnen, und
-deshalb gebührt der Sternpreis ihr.“
-
-Und als nun die Heinze ganz ehrlich Beifall klatschten, da stieg ihr
-die Glückseligkeit so siedend heiß in die Augen hoch, daß sie der
-Tante Li um den Hals fiel, damit die Andern das Tränchen nicht sehen
-sollten. Und sie nahm sich vor, die leckersten Zacken beim Nachhauseweg
-den Buben zu geben, besonders aber dem frechen Heinz Lux, den sie doch
-eigentlich garnicht leiden konnte.
-
-
-
-
-Der Allerseelenspiegel
-
-Eine Traumgeschichte
-
-
-Es fing schon an dunkel zu werden, und Liselotte saß noch immer ganz
-alleine in dem großen Hause, in dem es so schaurig nach Essig roch und
-weißen Blumen. Denn vorgestern Nacht war der Großvater gestorben, und
-jetzt waren Alle hinaus nach dem Friedhof, um ihn begraben zu helfen;
-darum saß sie allein.
-
-Sie fürchtete sich aber garnicht. Denn sie war schon fast sieben Jahre
-alt, und Großvater hatte immer gesagt: wer sich fürchtet, der kommt
-nicht in’n Himmel.
-
-Blos hungern tat sie ein bißchen. Aber von Tante Agathens Topfkuchen,
-der in der dunklen Stube stand, mochte sie lieber nichts nehmen heute:
-weil alles so sehr nach Essig roch. Also sah sie zum Fenster hinaus.
-
-Sie traute sich aber nicht aufzumachen: weil sonst auch der schöne
-Blumengeruch mit wegging. Darum legte sie nur das Kinn auf das
-Fensterbrett, und sah hinunter über den Fluß, und drüben den schwarzen
-Bergwald hinauf, wo oben der runde Mond schon glänzte, ganz still wie
-ein Spiegel.
-
-Wenn der nun auf einmal herunterrollte! den hohen Berg und ins Wasser.
-Denn Großvater hatte immer gesagt, es sei gar kein Spiegel; es sei eine
-schwere steinerne Kugel, viel schwerer als ein Zentner.
-
-Die würde dann also alles totschlagen: die Bäume, die Schiffe und die
-Häuser, und Großvaters Lehnstuhl, in dem sie saß. Und Liselotte machte
-die Augen zu: weil sie sich doch nicht fürchten wollte.
-
-Denn er konnte ja garnicht herunterrollen. Er war ja festgebunden an
-den Himmel, vom lieben Gott, mit unsichtbaren Ketten.
-
-Wenn er nun aber +doch+ herunterrollte? -- Da faltete sie die
-Hände zusammen, und machte die Augen noch fester zu, und betete
-heimlich ein Lied, das Großvater ihr gedichtet hatte:
-
- Ich heiße Liselotte,
- ich will zum lieben Gotte.
- Ach, Mondchen, leuchte mir empor
- und öffne mir das Himmelstor,
- ich bin so sehr alleine!
-
- Ich will dir auch was schenken:
- lila Bulabenken.
- Die wachsen hinter Wundertal
- alle hundert Jahre mal;
- such, dann sind sie deine!
-
-Und als sie das gebetet hatte, kam ihr der Mond auf einmal so
-wunderlich vor, daß sie die Augen garnicht mehr aufmachen mochte, wie
-im Traum. Ganz hell und offen stand der goldne Kreis da oben, daß man
-nur einfach hineinzugehn brauchte, dann war man im Himmel.
-
-Blos großen Hunger mußte er auch wohl haben; noch größeren als sie
-selber. Denn solchen großen dunkeln Mund, wie er in seinem blanken
-Gesicht jetzt machte, hatte sie nie im Leben gesehen.
-
-Aber von Tante Agathens Topfkuchen konnte sie ihm doch wirklich nichts
-bringen; da waren ja nicht einmal Mandeln drin. Also nahm sie ihr neues
-Handkörbchen mit, das silberne, und ging durch den Garten die Gasse
-hinunter, wo der Konditor Friedrich Zerwes wohnte, und kaufte zwei
-Stückchen frische Nußtorte; davon wollte sie ihm eins abgeben.
-
-Als sie nun immer weiter wanderte, über die Brücke den Berg hinauf, kam
-sie auch an dem Friedhof vorbei, in dem der Großvater begraben lag;
-dicht neben Mutterchen, hatte Vater gesagt. Und auch ihr Schwesterchen
-Liselore lag da; das hatte sie aber nicht mehr gekannt. Und als
-sie durch das dunkle Gittertor sah, da brannten lauter Lichter auf
-all den Gräbern, und weiße Blumen blühten dazwischen, denn es war
-Allerseelentag.
-
-Da wollte sie schnell noch erst nachsehen, ob Großvaters Seele wirklich
-noch lebte; denn neulich hatte er ihr erzählt, daß man die Seele nicht
-mitbegraben könne. Aber da suchten schon so viel fremde Leute nach
-Seelen, daß sie sich zwischen den tausend Lichtern verirrte; und als
-sie endlich müde beiseite ging, da war auch der Mond oben weggegangen,
-und Keiner kümmerte sich um sie.
-
-So stand sie traurig mit ihrem Körbchen im Dunkeln, da wo die Gräber
-der Armenkinder sind, und wollte fast schon zu weinen anfangen, so sehr
-alleine war ihr zumute.
-
-Auf einmal regte sich etwas hinter ihr, und als sie erschrak und sich
-umdrehte, kam zwischen den Gräbern ein kleines Mädchen auf sie zu, mit
-einem geflickten Röckchen an und einer lila Schürze darüber. Das hatte
-solche goldigen Augen, daß Liselotte im stillen dachte: noch schöner
-als mein silbernes Körbchen.
-
-Das arme Mädchen aber sprach leise: ich habe nichts weiter für mein
-Schwesterchen -- und dabei holte es unter der Schürze einen kleinen
-kreisrunden Spiegel hervor und stellte ihn auf ein kahles Grab.
-
-Da wollte doch Liselotte sie trösten, und streichelte freundlich den
-kleinen Hügel und kniete wie sie vor dem Spiegelchen nieder. Als sie
-nun aber hineinblickte so: siehe, da waren die tausend Lichter des
-ganzen Friedhofs darin zu sehen, und alle die weißen Blumen dazwischen,
-daß ihr das Körbchen fast hinfiel vor Staunen, und war Ein Glanz und
-Eine Herrlichkeit.
-
-Das arme Mädchen aber lächelte nur und nickte Liselotten still zu;
-und ganz glückselig zeigten sich beide, wie reich nun das Grab des
-Schwesterchens war, viel reicher als irgend ein anderes.
-
-Und manchmal kamen auch fremde Leute vorbei; die merkten, wie sehr sie
-sich freuten zusammen, und wollten nun sehen, warum und wieso, und
-bückten sich neugierig über das Hügelchen.
-
-Aber mit ihren dicken Köpfen, sobald sie dem Spiegel zu nahe kamen,
-sahen sie nichts als ihr eignes Gesicht, als ob sie selbst da im Grabe
-säßen, bis an den Hals. Da krigten sie Furcht vor dem armen Mädchen,
-und alle liefen rasch wieder weg.
-
-Blos Liselotte, die niemals sich fürchtete, blieb wie im Himmel neben
-ihr sitzen, und strich ihr das Röckchen glatt und sagte: Wie wird sich
-nun aber dein Schwesterchen freuen, daß alle Seelen vom ganzen Friedhof
-in ihrem Spiegel beisammen sind! Mein Großvater ist auch darunter! und
-Mutterchen!
-
-Dann machte sie heimlich ihr silbernes Körbchen auf und wollte die
-Nußtorte mit ihr teilen, und dabei fragte sie: Wie heißt du denn?
-
-Da lächelte wieder das arme Mädchen, und blickte noch goldiger vor sich
-hin, und sagte leise, als ob sie träumte:
-
- Ich heiße Liselore.
- Ich komm vom Himmelstore.
- Ich sah mein Schwesterchen hier stehn,
- es wollte in den Mond hingehn,
- es stand so sehr alleine.
-
- Es wollt dem Mond was schenken:
- lila Bulabenken.
- Komm, Schwesterchen, nach Wundertal
- in den Allerseelensaal:
- sieh, nun sind sie deine!
-
-Und während sie das sagte, war sie aufgestanden, und hatte ihr lila
-Schürzchen abgebunden, und schwenkte es hoch im Kreise mit beiden
-Händen über sich. Und plötzlich war sie gar kein kleines Mädchen mehr,
-sondern eine große lila Blume; die neigte sich tief zu Liselotte
-hernieder und nahm sie mit den Blättern zu sich hoch und setzte sie
-sanft in ihren Blütenschooß.
-
-Und als nun Liselotte nach dem Spiegelchen sah, da wurde es größer und
-immer größer, viel größer als der Mond vorhin, und stand weit offen
-wie ein goldener Saal, und drinnen bewegten sich leuchtende Säulen;
-die waren durchsichtig wie Lichter im Wasser, viel tausend tausend und
-immer mehr, als ob sie mit einander tanzten. Und plötzlich schrie sie
-laut auf vor Schreck und mußte weinen vor Seligkeit; denn ganz weit
-hinten kam auch ihr Mutterchen her und leuchtete heller als alle die
-andern.
-
-Und als sie die Augen noch weiter aufmachte, stand Vater im Mondschein
-neben Großvaters Lehnstuhl, und Tante Agathe wischte die Tränchen vom
-Fensterbrett, und Alle lobten die kleine Liselotte, wie schön allein
-sie zuhause geblieben war, und daß sie sich garnicht gefürchtet hatte.
-
-
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-
-Kleinkindergeschichten
-
-
-1) Tippel und Tappel
-
-Ist euch schon einmal langweilig zumute gewesen? Dann paßt mal auf, wie
-lustig man mit sich selber spielen und sich die Zeit vertreiben kann!
-
-Auf dem Dachsfell vor Großvaters Schlafstube saß der kleine Peter, und
-hatte seine Schuhchen ausgezogen, und besah sich seine dicken, drallen,
-rosablanken Beinchen mit den blau und rot gestreiften Socken dran. Auf
-einmal aber waren es gar keine Beinchen mehr, sondern er legte sich auf
-den Rücken und hob sie in die Luft, da waren es zwei große richtige
-Soldaten, und der eine hieß Tippel, der andere Tappel.
-
-Tippel hatte eine rote Nasenspitze, und Tappel eine blaue; denn sie
-waren eben erst von draußen gekommen, und draußen war es furchtbar kalt.
-
-Nun kommandierte der kleine Peter: rrührt euch, marrsch -- ganz wie der
-große Herr Leutnant auf dem Exerzierplatz. Und da schwenkte erst Tippel
-die rote und dann Tappel die blaue Nasenspitze hin und her, und hatten
-wunderschöne blau und rot gestreifte Jacken an, und Peter kommandierte
-immerfort: rrechts schwenkt, llinks schwenkt -- rechts schwenkt,
-marsch! --
-
-Das ging so eine ganze Weile lang; bis Tippel und Tappel wütend wurden.
-Denn sie waren währenddem warm geworden, und waren nun beide eigentlich
-müde, und wollten dem kleinen Peter nicht mehr recht gehorchen. Also
-fingen sie an zu zappeln und zu strampeln.
-
-Halt! schrie da plötzlich der kleine Peter, ganz wie der große Herr
-Leutnant auf dem Exerzierplatz. Denn er war nun auch warm und wütend
-geworden und wollte Großvaters lange Flinte aus der Schlafstube holen
-und die beiden faulen Soldaten totschießen.
-
-Aber da krigten die solchen Schreck, daß sie bautz zurück auf das
-Dachsfell fielen; und da waren es wieder zwei kleine dicke Beinchen mit
-blau und rot gestreiften Socken dran.
-
-
-2) Der Sonnenstrahl
-
-Ganz hoch oben über den Wolken wohnte einmal ein Sonnenstrahl, ein
-richtiger Spinnefix; dem war die Zeit zu lang, und deshalb ging er
-immer mit den Wolken spielen. Ich sage euch, ganz prachtvoll kann man
-damit spielen! Morgens spielte er Ball mit ihnen, oder Greifen, und
-Abends Schaukelpferd; und manchmal ließ er seine langen gelben Beine
-bis auf den Mond herunterbaumeln, oder er schoß kobolz, quer über die
-blaue Himmelsrutschbahn. Und wenn er einmal hinpurzelte, dann tat es
-garnicht weh; denn wißt ihr, Wolken sind noch viel, viel weicher als
-ein Federbett.
-
-Eines Tages aber purzelte er nicht auf eine Wolke, sondern zwischen
-zweien mittendurch, und fiel auf die Erde, in den Potsdamer Schloßpark;
-da lag er unter einer großen Kastanie, nachmittags um sieben, ganz blaß
-und schmal, im grünen Gras. Doch weil es ringsherum sehr still war,
-bekam er wieder Mut und fing ein lustiges Liedchen zu summen an, das
-seine Mutter Sonne ihm eingelernt hatte:
-
- Ich bin so blank wie Butter,
- ich hab eine goldne Mutter,
- ich laufe schneller als alle Pferde,
- und manchmal fall ich auf die Erde;
- kribbel, krabbel, kringel,
- was wird nun aus dem Schlingel?
-
-Auf einmal kam der Bäckermeister Paul Lommatsch anspaziert, der
-die schönen gelben Prezeln zu backen versteht, und sah den blanken
-Sonnenstrahl so durch den grünen Schatten krabbeln, und blieb stehen.
-Na! dachte der Sonnenstrahl: was will denn +der+ von mir? und
-machte sich ganz klein vor Angst. Der dicke Herr Lommatsch aber
-sah ihn doch und brummelte vergnügt: „Ei, was für’n schöner gelber
-Sonnenstrahl! Da wolln wir mal ’ne Prezel draus backen; und wenn so’n
-rechter braver Goldbub in meinen Laden kommt, dann krigt er die.“ Und
-grips-graps hob er den Sonnenstrahl auf und steckte ihn in die Tasche.
-
-Nun braucht ihr aber nicht traurig zu sein, weil einer von euch die
-Prezel vielleicht geschenkt bekommt und den schönen Sonnenstrahl dann
-mit aufißt. Denn seht ihr, ich kenne den Herrn Lommatsch, und der hat
-mir neulich ins Ohr gesagt: das schad’t dem blanken Spinnefix nix. Denn
-wenn ihr dann recht fröhlich hinaufguckt in den blauen Himmel, dann
-wird der Sonnenstrahl wieder lebendig und kommt aus euern hellen Augen
-herausgekrabbelt und springt mit Einem Blutz auf die nächste weiße
-Wolke hinauf und fliegt zurück zu seiner goldenen Mutter.
-
-
-3) Die Pfauenfeder
-
-Jetzt will ich euch aber eine ganz, ganz wahre Geschichte erzählen; die
-fängt auf einem Heuwagen an und hört im obersten Himmel auf.
-
-Der Heuwagen nämlich kam von der Wiese; und obendrauf, da saß der
-kleine Richard, mitten zwischen dem frischen Heu, das süßer roch als
-Tee und Honigkuchen, und hatte eine grüne Sammtmütze auf, mit einer
-herrlichen Pfauenfeder dran. Die hatte seine liebe Mutter ihm selbst
-angenäht; und deshalb, und weil sie gar so herrlich grün und blau und
-goldbunt aussah, war seine Mütze ihm schrecklich lieb.
-
-Auf einmal, als er in dem süßen Heu schon beinah einschlafen wollte,
-kam hui ein Wind übers Feld, nahm ihm die Mütze mir nichts dir nichts
-aus den Locken und warf sie auf die Erde.
-
-Der kleine Richard, der immer schon ein großer Wildfang war, bekam erst
-einen mächtigen Schreck, dann sprang er schnurstracks seiner lieben
-Mütze nach, bautz von dem hohen Wagen herunter.
-
-Eine Weile lang sah er nichts als schwarze Nacht und hörte immerfort
-den Himmel brausen. Die Erde fühlte er überhaupt nicht mehr, blos einen
-furchtbaren Ruck im Kopf, der garnicht aufhören wollte, als ob ein
-hohles Faß mit ihm durch einen dunkeln Keller rollte, und seine Beine
-lagen ganz weit weg von ihm.
-
-Endlich wurde es wieder etwas heller: viel tausend silberne Sterne
-tanzten durch die schwarze Nacht. Und zwischen den Sternen sah er seine
-Pfauenfeder fliegen, und sah sie größer und immer größer werden, und
-immer grüner, blauer und goldbunter funkeln, wie eine große goldbunte
-Schaukel. Und plötzlich saß auf dieser großen Schaukel seine liebe
-Mutter, und hatte hellblaue Engelsflügel an, und flocht sich ihre
-langen schönen Haare, und schwebte immer höher vor ihm her.
-
-Da fing der wilde Richard an zu weinen, weil seine liebe Mutter ihn
-garnicht dabei ansehen wollte; und so sehr weh war ihm ums Herz, daß er
-die kleinen Arme hochheben mußte, immer höher, bis über die silbernen
-Sterne hoch -- und da auf einmal wurde der ganze Himmel hell, denn
-seine liebe Mutter hatte ihn angesehen, so tief ins Herz, daß er die
-Augen zumachen mußte.
-
-Und wie er sie schüchtern wieder aufmachte, da hatte Mutter ihn auf
-dem Schooß und streichelte seine heißen Locken, und sagte weinend: du
-böser, böser Junge du!
-
-Im Grase aber, neben ihr, lag seine schöne Sammetmütze mitsamt der
-Pfauenfeder; und als er nun verwundert danach langte, da sah die liebe
-Mutter gleich wieder ebenso selig aus, wie oben über den Sternen, und
-küßte ihn. Und seht ihr, da merkte der kleine Richard, daß er vom
-Heuwagen ’runtergefallen und dann im obersten Himmel war, und daß der
-auf der Erde liegt.
-
-
-
-
-Das Märchen vom Maulwurf
-
-
-Vor vielen tausend Jahren, als die Menschen noch keine Kleider trugen,
-lebte mitten in der Erde ein Zwerg, so tief unten, daß kein Mensch
-etwas von ihm wußte. Und er selber wußte von den Menschen auch nichts;
-denn er hatte sehr viel zu tun. Er war ein König über die andern
-Zwerge, und schon fünf mächtige Höhlen hatte er sich ausputzen lassen,
-und war ganz alt und grämlich dabei geworden, so viel hatte er zu
-befehlen.
-
-Es war aber nicht dunkel da unten in den Höhlen, sondern eine glänzte
-immer bunter als die andre, so viel Diamanten und Opale hatte das
-Zwergvolk drin aufgebaut, und die Wände waren von blankem Kristall,
-jede in einer besonderen Farbe. Und da saß nun der König der Zwerge,
-in seinem Mantel von schwarzem Sammet, auf einem großen grünen
-Smaragdstein, und faßte sich an seine spitze Nase und überlegte mit
-seinen alten Fingern, ob auch alles hell genug wäre. Er fand es aber
-durchaus nicht hell genug.
-
-Da machten ihm die andern Zwerge eine sechste Höhle zurecht, mit Wänden
-von lauter Rubinen, die wie ein einziger Feuerschein glühten, und das
-dauerte tausend Jahre; aber er fand auch Das noch nicht hell genug. Als
-er nun immer trauriger wurde in seinem schwarzen Sammetmantel, kamen
-die andern alle zusammen, und die Jüngsten sagten zu den Alten: kommt,
-laßt uns eine +blaue+ Höhle machen!
-
-Dafür wären sie beinahe totgeschimpft worden, denn bis dahin hatte das
-Zwergvolk die blaue Farbe nicht leiden können. Weil aber alle andern
-Farben in den sechs Höhlen schon durchprobiert waren, sagten endlich
-auch die ältesten Zwerge ja und gaben den jungen die Hände. Dann gingen
-alle an die Arbeit und putzten heimlich eine siebente Höhle aus, mit
-Wänden von echten Türkisen, die so hell und blau wie der Himmel waren,
-und das dauerte wieder tausend Jahre.
-
-Die gefiel nun dem König wirklich, und der allerälteste Zwerg, der
-fast so alt wie der König selbst war, schoß vor Verwunderung einen
-Purzelbaum. Darauf trugen sie den großen Smaragdstein in die neue Höhle
-hinein, und der König setzte sich auf ihn und freute sich, wie schön
-sein schwarzer Sammetmantel zu den hellblauen Wänden paßte. Nachdem
-er aber fünfhundert Jahre so gesessen hatte, fand er auch Das nicht
-mehr hell genug; er wurde trauriger als je zuvor und seine Nase immer
-spitzer.
-
-Fünfhundert Jahre saß er noch und überlegte seinen Kummer, sodaß er
-schon ganz fett zu werden anfing. Endlich ertrug er das nicht länger,
-ließ sich die jüngsten Zwerge kommen und sagte: macht mir eine Höhle,
-die ein Licht hat wie alle Farben in +eine+ verschmolzen! Das aber
-verstanden auch die allerjüngsten nicht, und glaubten, ihr König sei
-verrückt geworden.
-
-Da beschloß er, sie zu verlassen und selbst nach seinem hellen Lichte
-zu suchen. Er stieg herunter von seinem Smaragdstein, und schnitt den
-schwarzen Sammetmantel etwas kürzer, sodaß er Hände und Füße frei
-bewegen konnte, und fing an zu graben. Weil aber unten in der Erde die
-Andern schon alles abgesucht hatten, so meinte er, das Licht, wonach
-er solche Sehnsucht fühlte, müsse wohl weiter oben liegen, und grub
-sich in die Höhe; und weil das Zwergvolk damals den Spaten noch nicht
-erfunden hatte, so mußte er die Finger zum Wühlen nehmen. Das tat ihm
-nun sehr weh, denn er war das nicht gewohnt; aber er hatte solche
-Sehnsucht nach dem Licht.
-
-Dreitausend Jahre wühlte der König der Zwerge und grub sich höher
-und höher hinauf. Die Haut um seine Finger war schon ganz dünn davon
-geworden, sodaß die kleinen Hände ganz rosarot aus seinem schwarzen
-Sammtmantel kuckten; aber immer sah er das Licht noch nicht. Nur tief
-von unten schimmerte noch ein blaues Pünktchen zu ihm herauf, aus
-seiner siebenten Höhle her; aber um ihn und über ihm war alles schwarz.
-Auch etwas magerer war er geworden, und die Nase noch spitzer.
-
-Da überlegte er, ob er nicht lieber zu seinem Volk zurückkehren sollte;
-aber er fürchtete, dann würden sie ihn absetzen und wirklich in ein
-Irrenhaus sperren. Also ging er aufs neue an die Arbeit mit seinen
-rosaroten Zwerghänden, und grub nochmals dreitausend Jahre lang, und
-es wurde immer dunkler um ihn her, bis schließlich auch das blaßblaue
-Pünktchen tief unten hinter ihm verschwand. Als er nun garnichts mehr
-sehen konnte, hörte er auf zu wühlen und sprang in die Höhe und wollte
-sich den Kopf einstoßen, so furchtbar traurig war ihm zumute.
-
-Da ging auf einmal die Erde entzwei über ihm, und er schrie laut auf
-vor Entzücken und schloß die Augen vor hellem Schmerz, so viele Farben
-gab es da oben, als ob ihn tausend bunte Messer stachen, bis ins Herz.
-Denn hoch im Blauen über der Erde, viel höher als er gegraben hatte,
-so hell wie alle Farben in +eine+ verschmolzen, stand eine große
-strahlende Kugel, und Alles war Ein Licht.
-
-Als er es aber ansehen wollte und seine Augen wieder aufschlug, da war
-er blind geworden und fiel auf die Stirn. Und er fühlte, wie schwach
-sein Königsherz war, und wie sein schwarzer Mantel vor Schreck mit
-ihm zusammenwuchs, und daß er kleiner und kleiner wurde und seine Nase
-immer spitzer, und plötzlich rutschte er zurück in die Erde.
-
-Seit dem Tage gibt es Maulwürfe hier oben, und darum haben sie ein
-schwarzes Sammetfell und rosarote Zwerghände und sind blind. Und
-manchmal, wenn die Sonne recht kräftig scheint, dann stoßen sie ein
-Häufchen Erde hoch und stecken die spitze Nase an die Luft, vor
-Sehnsucht nach dem Licht.
-
-
-
-
-Die bekümmerte Löwenkröte
-
-Ein Märchen für kleine und große Leute
-
-
-Nun will ich euch eine Geschichte erzählen, die mir einmal vor einem
-Schaufenster eingefallen ist, als ich eine kleine chinesische oder
-vielmehr koreanische Porzellandose betrachtete, die in sonderbarer
-Verschnörkelung einen schwermütigen Löwen vorstellte. Ich tue es
-nur, damit ihr Lust kriegt, euch bei merkwürdigen Dingen, die ihr
-seht, selber allerlei Neues zu denken. Wenn ihr das dann mit rechter
-Lebendigkeit Andern mitteilt, kommt ihr in den Ruf, daß ihr furchtbar
-tiefsinnig seid und schreckliche Dinge in euerm Herzen beherbergt, die
-ihr nur deshalb den Leuten aufbinden wollt, damit sie euch für ein
-Wundertier halten. Und außerdem habt ihr noch das Vergnügen, daß ihr so
-klug bleibt, wie ihr wart, während die Andern sich so die Köpfe über
-euch zerbrechen, daß sie manchmal rein dumm davon werden. Also paßt auf!
-
-In einem asiatischen Urwald lebte zu Olims Zeiten ein großes Tier, wie
-vorher noch keins zur Welt gekommen war und wohl auch nie mehr eins
-wiederkommen wird, von so erstaunlicher Mißgestalt. Es hatte den Kopf
-eines Löwen und den Leib einer Kröte, das heißt einer Riesenkröte,
-sodaß es noch größer war als ein gewöhnlicher Löwe. Dabei war es nicht
-etwa ein bösartiges Tier, obwohl es mit seinem gewaltigen Rachen
-und seiner dicken Panzerhaut allgemeines Entsetzen erregte; sondern
-weil es eben den Magen einer Kröte hatte, nährte es sich wie alle
-Kröten von unnützen kleinen Kriechtieren. Besonders den Giftschlangen
-stellte es nach, trieb sie aus ihren Schlupflöchern und ließ sich ihre
-Eier schmecken. Sonst machte es von seinen Raubtierkräften nur dann
-Gebrauch, wenn irgend ein anderes großes Tier sich einmal gar zu dreist
-aufspielte; dann brachte es ihm Mores bei, war also im ganzen den
-Urwaldbewohnern recht nützlich.
-
-Auch war es durchaus kein häßliches Tier. Seine harte runzlige
-Krötenhaut schimmerte goldbunt wie ein Paradiesvogelsittig, mit großen
-tiefblauen Tupfen gesprenkelt, wovon sich die hellbraune Löwenmähne
-in majestätischen Locken abhob. Nur etwas schwerfällig war es gebaut;
-der breite Leib war zwar nicht so plump wie bei den gewöhnlichen
-Riesenkröten, drückte aber die mächtigen Löwentatzen beim Gehen doch
-etwas zu Boden, und das bekümmerte sein Gemüt. Es gelang ihm wohl,
-riesige Sprünge zu machen, die selbst die Sprünge der Löwen übertrafen,
-aber richtig rennen konnte es nicht und gemächlich laufen auch nicht
-recht; und das traurige Untier meinte immer, wenn es das könnte, würde
-es lustig werden.
-
-Je älter es wurde, umso bekümmerter wurde es, weil es immerfort drüber
-nachdachte, was es wohl mit sich anstellen solle, um einmal recht
-lustig lachen zu können. Besonders wenn es frühmorgens hörte, wie
-der ganze Urwald vom Gelächter der Affen und Papageien zu schallen
-begann, stierte es eifrig aus seiner Höhle nach den Zweigen hinauf
-in den blauen Himmel, als müsse ihm dorther die Erleuchtung kommen.
-Aber so sehr ihm der Himmel auch in die Augen lachte: jedesmal wenn es
-meinte, nun werde das Herz ihm vor Freude schwellen, und lustig ins
-Grüne hinausrennen wollte, dann konnte das langsame Krötenherz mit dem
-raschen Löwengehirn nicht mit, und der ganze Tag war ihm verleidet.
-
-Endlich fragte die Löwenkröte einen alten Papageien um Rat, der klüger
-als die andern zu sein schien und nur in seltenen Fällen lachte, dann
-freilich umso kräftiger. Weil sie sich aber nicht verraten wollte, da
-sie befürchtete ausgelacht zu werden, stellte sie ihre Frage so: Wie
-kommt es denn, daß du so selten lachst? und warum lachst du dann so
-kräftig?
-
-Weiß nicht! krächzte der Papagei; frag mal das heilige Kameel! Und dann
-lachte er wie besessen.
-
-Daraus merkte die Löwenkröte, daß der alte Papagei närrisch war. Denn
-von dem heiligen Kameel war allgemein im Urwald bekannt, daß es nicht
-im geringsten lachen konnte, nicht einmal lächeln; und lächeln konnte
-die Löwenkröte, wenn auch nur ziemlich mühsam. Bei näherer Überlegung
-bedachte sie aber, daß die Narren mitunter gescheitere Einfälle haben,
-als sie selber in ihrer Narrheit wissen. Vielleicht verstand sich das
-heilige Kameel im stillen wirklich sehr gut aufs Lachen und hatte
-sich’s nur abgewöhnt aus irgend einem triftigen Grunde. Also begab sie
-sich auf den Weg nach dem Tempel, wo das Kameel sich verehren ließ.
-
-Das heilige Tier erschrak nicht wenig, als es das fremde Untier
-erblickte. Dann jedoch witterte es wohl, daß sich das bunte Riesenvieh
-in freundlicher Absicht näherte, dachte wohl auch an das schützende
-Gittertor, steckte daher den Kopf heraus und fragte von oben herab
-feierlich: Was wünschen Sie?
-
-Die Löwenkröte, da sie nicht zu befürchten brauchte, von dieser ernsten
-Person belächelt zu werden, erwiderte treuherzig: Ich möchte gern
-wissen, Euer Hochehrwürden, wie ich wohl lachen lernen kann.
-
-Das heilige Kameel, das wohl nicht recht gehört zu haben glaubte, oder
-nicht wußte, ob es die Frage ernst nehmen sollte, steckte den Kopf noch
-ein bißchen weiter heraus und fragte noch feierlicher: Wie meinen Sie?
-
-Da brüllte die Löwenkröte: +lachen+! ich will +lachen+
-lernen, Ehrwürden! Und nun zog das Kameel rasch den Kopf zurück; denn
-nun wußte es, daß es ernst gemeint war.
-
-Es besah sich durch die Gitterstäbe die unwirsche Mißgeburt genauer,
-nahm eine teilnehmende Miene an, wobei es seinen höckrigen Rücken
-noch etwas krummer machte als sonst, und bog und wiegte den langen
-Hals nachdenklich hin und her. Dann sagte es noch viel feierlicher:
-Besänftige dich, betrübte Seele! Da wird uns der Himmel auf meine Bitte
-wohl an den Weg der Erleuchtung führen. Da wirst du entweder ganz ein
-Löwe oder ganz eine Kröte werden müssen.
-
-Das hab ich schon selbst gewußt -- knurrte die Löwenkröte. Aber wie hab
-ich das anzufangen?!
-
-Das heilige Kameel bog nochmals den Hals gewichtig hin und her, machte
-den Buckel noch krummer und sagte: Auch dazu wird uns das himmlische
-Licht den rechten Weg der Erleuchtung weisen. Da wirst du aber dem
-gütigen Himmel erst eine kleine Opfergabe darbringen müssen. Du darfst
-sie einstweilen zu meinen Füßen, der ich der Diener des Lichtes bin,
-vor diesem Gittertor niederlegen.
-
-Die Löwenkröte besann sich ein bißchen, was sie dem Himmel wohl
-Wohlgefälliges darbringen konnte, und fragte dann schüchtern: Willst du
-vielleicht ein paar Giftschlangenköpfe? ich habe heut Mittag ein ganzes
-Nest voll getötet.
-
-Nein -- sagte das heilige Kameel und schüttelte sich von oben bis
-unten -- Giftschlangen sind hier nicht am Platze, insonderheit keine
-getöteten; denn des Himmels Gnade läßt auch die Giftschlangen leben.
-Aber zuweilen sollen sich in den Nestern der Schlangen kostbare
-Edelsteine finden; wenn du deren vielleicht eine kleine Portion geraubt
-haben solltest, die würden dem Himmelslicht angenehm sein! -- Und ganz
-verklärt verdrehte das heilige Tier bei diesen Worten seine Augen.
-
-Da fiel der Löwenkröte ein, daß ihr am Mittag, als sie den Schlangen
-die Köpfe abbiß, etwas sehr Hartes ins Maul geraten war, das sie nicht
-hatte zerknacken können, und das ihr noch immer im Rachen steckte. Das
-spie sie nun schleunigst durch das Gitter dem Diener des Lichtes vor
-die Füße.
-
-Das Kameel, als ihm der heftige Strahl so plötzlich
-entgegengeschleudert wurde, tat erst wieder einen entsetzten Satz.
-Als es aber vor sich im nassen Sande den großen Edelstein funkeln
-sah, gewann es seine Fassung zurück, nahm wieder eine würdige Haltung
-an und sprach mit gnädiger Halsneigung: Es ist zwar nur ein einziger
-Edelstein, aber dem Himmel ist auch Geringes willkommen, wenn es aus
-willigem Herzen kommt; ich werde für deine Erleuchtung beten.
-
-Also werd’ich nun endlich Antwort kriegen? brauste die Löwenkröte auf,
-die schon vor Ungeduld zitterte.
-
-Sobald ich gebetet habe -- sprach das Kameel und zog sich etwas tiefer
-in seine Zelle zurück, den Edelstein mit dem Fuß an sich scharrend.
-Dann ließ es sich umständlich, wie die Kameele zu tun pflegen, auf
-beide Vorderkniee nieder, den Höcker so krumm wie nur möglich machend,
-und die Löwenkröte mußte warten, obgleich ihr die Mähne schon schwoll
-vor Zorn. Endlich erhob sich das heilige Tier, blieb weihevoll im
-Hintergrund stehen und sagte mit prophetischer Stimme: Der Himmel hat
-mein Gebet erhört. Er läßt dir durch seinen Diener sagen: wenn du
-wissen willst, wie dein Leib sich verwandeln soll, damit deine Seele
-zum Preise des Lichtes lachen lerne, dann mußt du dich auf den Weg
-machen und entweder die Löwen oder die Kröten danach fragen --
-
-Aber das wollt ich ja grade nicht! brüllte die Löwenkröte verzweifelt.
-Warte, du ruppiges buckliges Biest! Und damit sprang sie in voller Wut
-gegen das Tor der Tempelzelle.
-
-Aber auf solche Überfälle mußte dies wohl schon eingerichtet sein;
-denn trotz ihrer Riesenkräfte vermochte die wütende Löwenkröte das
-eiserne Gitter nicht zu sprengen, nur ein paar Stäbe verbogen sich. Und
-das Kameel blieb ruhig im Hintergrund stehen, besah sich das rasende
-Ungetüm, als könne es dessen Grimm nicht begreifen, und sagte nur mit
-tiefster Entrüstung: du undankbare Kreatur! Dann wandte es langsam dem
-Gitter den Rücken zu, und die Löwenkröte hatte den Eindruck, als ob
-sich’s nun wirklich im stillen die Hucke voll lachte.
-
-Das brachte sie wieder zur Besinnung. Und da ihr nichts andres mehr
-übrig blieb, faßte sie jetzt in der Tat den Entschluß, bei den
-gewöhnlichen Löwen und Kröten so höflich wie möglich ihr Glück zu
-versuchen. Ihr braves Krötenherz schämte sich schon des löwenhäuptigen
-Wutanfalls, und sie verzieh dem gekränkten Kameel seine unerträgliche
-Redseligkeit. Vielleicht hatte es doch sein dummes Getue von A bis Z
-völlig ernst gemeint und hielt sich nur in seiner Dummheit für einen
-Ausbund von himmlischer Weisheit.
-
-Mit solchen Gedanken kam sie an den Sumpf, in dem die Riesenkröten
-hausten, und hörte richtig schon von ferne ihr glucksendes Lachen
-durchs Röhricht tönen. Halt! sagte sie sich in ihrem Löwensinn: da
-brauch ich vielleicht erst garnicht zu fragen, sondern sehe, was sie so
-fröhlich macht.
-
-Vorsichtig schlich sie im Röhricht näher und spähte durch die
-dichten Halme. Da saß eine ganze Krötengesellschaft um ein riesiges
-Wasserpflanzenblatt, auf dem es von kleinen Schnecken und Würmern,
-Maden und Schlammkäfern wimmelte, und die Kröten glucksten vor
-Vergnügen über die fette Abendmahlzeit und patschten sich die feisten
-Bäuche, daß der Sumpfboden davon wackelte.
-
-Nein! dachte unser trauriges Untier in seinem vornehmen Löwensinn:
-Wenn +das+ ihre ganze Freude ist, dann will ich lieber darauf
-verzichten; das ist denn doch zu ekelhaft! -- Also beschloß es, die
-Löwen aufzusuchen.
-
-Inzwischen war die Nacht angebrochen, und im Urwald herrschte bereits
-tiefe Stille, sodaß die Löwenkröte schon meinte, den Besuch bis morgen
-aufschieben zu müssen. Aber es war eine helle Mondnacht, und plötzlich
-erscholl durch die Dämmerung ein so gewaltig donnerndes Lachen, daß es
-nur von mehreren Löwen herrühren konnte, und zugleich ein jämmerliches
-Geschrei.
-
-Unser Untier kroch durch das dunkle Dickicht so rasch wie möglich der
-Stelle zu, wo der seltsame Lärm sich erhoben hatte, und kam an eine
-schmale Lichtung, die ganz verklärt vom Mondschein war. Da sah es nun,
-wie vier große Löwen einen armen Affen an Händen und Beinen gepackt
-hielten und ihn so bei lebendigem Leibe in vier Stücke zerreißen
-wollten. Der schnitt natürlich mit seinem Gesicht die fürchterlichsten
-Grimassen dabei, und das machte den Löwen solchen Spaß, daß sie wieder
-ihr brüllendes Lachen ausstießen und so den Gequälten ein wenig locker
-ließen; der schrie dann natürlich noch jämmerlicher, worauf sie noch
-gräßlicher an ihm rissen und dazwischen wieder laut loslachten.
-
-Unser Untier konnte nicht länger still zusehn; sein gutmütiges
-Krötenherz empörte sich schließlich bis in sein wildes Löwengehirn,
-und plötzlich sprang es mit einem Gebrüll, wie noch nie eins im Urwald
-erschollen war, mitten hinein in den scheußlichen Knäuel. Erst schlug
-es den armen Affen tot, daß der sich nicht länger zu quälen brauchte;
-dann fuhr es mit seinen klotzigen Tatzen auf die verdutzten Löwen los.
-Der eine hatte vor Schreck gleich Reißaus genommen; die andern drei
-merkten nach einigem Katzbalgen, oder wußten auch schon von Hörensagen,
-daß sie der bunten Panzerhaut der Löwenkröte nichts anhaben konnten,
-und zogen sich nach etlichen Maulschellen, die sie weniger ausgeteilt
-als empfangen hatten, mit respektvollem Grunzen ins Dickicht zurück.
-
-Da saß nun das siegreiche Ungetüm in der vom Mondschein verklärten
-Lichtung neben der blutigen Affenleiche; und da auf einmal -- wie
-ihr euch denken könnt -- ging ihm durch Herz und Hirn zugleich eine
-unendliche Erleuchtung. Es konnte zwar immer noch nicht lachen; aber
-mit einem Lächeln gen Himmel, das jeder Traurigkeit hellen Hohn sprach,
-ergab es sich in sein Untierschicksal, gern eine Löwenkröte bleibend.
-
-Und auch die Affen sind Affen geblieben, die Papageien Papageien, und
-das heilige Kameel ein Kameel.
-
-
-
-
-Die Geschichte vom alten Wodtke und Michel Krist
-
-oder der Weg über den Balken
-
-Eine Geschichte die wirklich einmal geschehen sein soll
-
-
-Nämlich, Jungens -- die Leute waren schon jahrelang unzufrieden mit
-dem alten Wodtke, alle Leute in der ganzen Gegend. Er aber saß oben
-auf seinem Berge, in seinem einsamen Wärterhäuschen, und kümmerte sich
-nicht darum.
-
-Eigentlich hätte er tun müssen, was die Leute unten im Land verlangten;
-so wenigstens meinten diese selber, besonders die reichen unter ihnen,
-denn die hatten ihn angestellt. Er sollte die große Wasserleitung
-in Ordnung halten, die oben auf dem Berge lag, und deren Röhren
-hinabliefen in alle Felder und Wiesen und Bauernhöfe, um alle richtig
-mit Wasser zu versorgen. Und er hielt sie auch ganz gut in Ordnung;
-aber wenn einer mal viel Wasser brauchte, dann meinte der Nachbar, er
-kriege zu wenig, oder wenn dieser nun nachbekam, dann schrieen alsbald
-die andern Nachbarn, das sei die reine Überschwemmung, und schließlich
-wars keinem recht gemacht.
-
-Darum hatte der alte Wodtke sich eines Tages anders besonnen: hatte den
-Leuten den Zutritt versperrt zu seinem amtlichen Gebiet und kümmerte
-sich um Niemandes Wünsche mehr. Sondern er saß da hinter seinem Zaun,
-zwischen den mächtigen Wasserbecken, die in Terrassen über einander
-lagen; und auf der obersten Terrasse, mitten im größten der großen
-Becken, stand wie ein Turm sein steinernes Häuschen, zu dem nur ein
-langer schmaler Balken über das stille Wasser führte. Von dort aus
-besah er mit seinem einen Auge -- denn auf dem andern war er blind
--- durch ein Fernrohr die ganze Gegend, die Dörfer und das flache
-Land, bis dahin wo die Wälder anfingen und bläulich in den Himmel
-verschwanden, und ließ zu jedermann soviel Wasser laufen, wie’s ihm von
-oben gut und nötig schien.
-
-Das gab nun zuerst einen wahren Aufstand unter den Leuten ringsherum,
-obgleich sie im ganzen nicht schlechter versorgt wurden, vielleicht
-sogar etwas besser als früher; doch weil sie nicht mehr dreinreden
-durften, fühlte sich jeder zurückgesetzt, und kamen in hellen Haufen
-herauf und wollten das Wärterhäuschen stürmen. Je näher sie aber
-an den Zaun kamen, umso stiller und stiller wurden sie; die großen
-Wasserbecken, die alle den Himmel spiegelten, lagen da so feierlich,
-daß sich keiner mehr laut zu reden traute. Blos etwa ein Dutzend der
-ärgsten Murrer, die kletterten dennoch über den Zaun und näherten sich
-dem einsamen Turm.
-
-Der alte Wodtke stand ganz ruhig in seiner weitgeöffneten Türe, blickte
-erst auf die Leute drüben, dann auf den langen Balken vor sich, und
-lachte in seinen grauen Bart; hinter ihm blitzten die hundert Hähne und
-Drehklinken der Leitungsröhren. Da merkte das Dutzend Störenfriede,
-daß man nur einzeln hinüberkommen könne; und wie der Alte sein eines
-Auge funkelnd von Mann zu Mann richtete, hatte keiner den Mut dazu.
-Und plötzlich erhob sich in dem Turm ein seltsames Kreischen und
-Gekrächze, daß jeder verwirrt in den Himmel glotzte; worauf der Alte
-ihnen den Rücken wandte und schließlich alle froh waren, daß sie zum
-Zaun zurücklaufen konnten. Dort sagten sie den Wartenden, es gehe hier
-nicht mit rechten Dingen zu, der alte Wodtke habe den Zauberblick und
-stehe mit bösen Geistern im Bunde; und also zog der ganze Haufen wieder
-hinunter ins flache Land.
-
-Es gab aber doch verschiedene Schlauköpfe, die an den Geisterspuk nicht
-recht glaubten, und meinten, sie würden den Alten schon unterkriegen;
-das waren natürlich die Unzufriedensten. Die schlichen jetzt öfters
-allein um den Zaun, weil keiner dem andern das Wasser gönnte, und
-dachten jeder dem alten Bären einen besonderen Vorteil abzuluchsen. Sie
-hatten auch bald herausgekundschaftet, daß er Nachmittags gewöhnlich
-ein Schläfchen machte, und was es mit dem Gekreisch und Gekrächze für
-eine einfache Bewandtnis hatte.
-
-Vollkommen einsam nämlich lebte der alte Wodtke nicht. Sondern er hatte
-sich zwei Vögel gezähmt, einen weißen und einen schwarzen, eine Möwe
-und eine Krähe. Die saßen meistens bei ihm im Turm; nur wenn er bei der
-Arbeit war oder bei seinem Nachmittagsschläfchen, dann flogen sie über
-den großen Wasserbecken wie eifrige Wächter hin und her. Sie flogen
-dann ganz leise und lautlos, immer im Zickzack schwarz und weiß, als ob
-sie Tod und Leben spielten. Ich habe sie selbst mal so fliegen sehen,
-als ich vorbeiging und über den Zaun kuckte; doch braucht ihr drum
-nicht etwa zu denken, ich hätte hinüberklettern wollen, denn ich bin
-mit dem alten Wodtke niemals unzufrieden gewesen.
-
-Die unzufriedenen Schlauköpfe aber, wenn sie sich auch bei Nacht nicht
-hinauftrauten, weils ihnen mit den wachsamen Vögeln doch nicht recht
-geheuer schien, die wollten sich seine Nachmittagsruhe heimtückisch
-zunutze machen und ihn dabei überrumpeln und zwingen.
-
-Wenn dann so einer -- ich habe von weitem mal zugesehen und sage euch,
-es war sehr komisch -- vor den langen Balken kam, dann stand er zuerst
-wie angewurzelt und sah sich furchtsam um wie ein Dieb. Er faßte sich
-aber doch ein Herz und setzte einen Fuß vor den andern, bis etwa in
-die Mitte des Balkens. Wenn er dann aber ins glatte Wasser sah, wo
-sich tief unten der Himmelkreis spiegelte, und sah sich selbst da im
-Wasser hängen, den Kopf nach unten, am schmalen Balken, und nirgends
-ein Halt im tiefen Luftraum, und plötzlich kamen die stillen Vögel mit
-Kreischen und Krächzen herbeigeschossen, ihm immer kreuz und quer um
-den Kopf, und unten im Himmel ebenso, bis alles ihm drunter und drüber
-ging und ihm vorm Tod wie vorm Leben schwindelte: da wollte er wohl die
-Augen schließen, lag aber plumps schon drin im Wasser. Und während er
-pruhstend mit Mühe und Not ans Ufer des Beckens zurückschwamm, erschien
-der alte Wodtke wieder in seiner weitgeöffneten Türe, und lachte daß
-das Echo dröhnte, und streichelte seine beiden Vögel, die sich auf
-seine Schultern setzten.
-
-Ein Einziger hat es einmal versucht, bei Nacht über den Balken zu
-kommen; das war der dicke Herr Landgendarm. Der hatte eigentlich gar
-kein Recht, sich um die Wasserleitung zu kümmern, besonders da der alte
-Wodtke selbst eine Art Polizeiperson war und ohne Aufseher über sich.
-Aber der dicke Herr Landgendarm hatte die Andern immer gefoppt, wenn
-sie so pudelnaß vom Berge kamen, und wollte den Bauern mal beweisen,
-daß er der schlauste von allen sei; dachte vielleicht auch eine
-Belohnung zu kriegen, wenn er den alten einäugigen Kerl mal orndtlich
-bei den Ohren nähme und ihm die Hochmutsmucken austriebe.
-
-Also faßte er den Plan, nicht aufrecht über den Balken zu gehen,
-sondern rittlings bei Nacht hinüberzurutschen, indem er meinte, dann
-schliefen die Vögel. Die Vögel schliefen aber nur abwechselnd; und als
-er mit seinen dicken Beinen in der Mitte des Balkens saß, weckte die
-Möwe den alten Wodtke. Schwapp, kippte er den Balken ein bißchen. Und
-der erschrockene Herr Gendarm, den seine enge Uniform und der schwere
-Säbel am Schwimmen verhinderten, wäre beinahe elendig ertrunken, wenn
-nicht im letzten Augenblick der alte Wodtke den Hahn gedreht und das
-Wasser des Beckens hätte ablaufen lassen; da konnte der zappelnde
-Reitersmann, naß wie er war, zurückwaten.
-
-Seit der Zeit meinten die Leute im Ernst, die Möwe und Krähe seien zwei
-böse Geister, und da begann erst der Schabernack arg zu werden. Wenn
-der Alte bei seiner Arbeit war, gingen sie hinterrücks an den Zaun und
-warfen mit Steinen nach seinen Vögeln. Die Vögel konnte zwar keiner
-treffen, weil sie zu hoch und zu schnell im Zickzack flogen; aber die
-Steine fielen herunter und schlugen in seine Gartenbeete, die rings
-um die Wasserbecken lagen. Anfangs nahm er es ruhig hin und warf sie
-einfach zurück übern Zaun; das machte die Leute aber nicht friedlicher,
-sondern im Gegenteil nur noch erboster, und sie ließen sich einen
-Geisterbeschwörer kommen, der ihm die Vögel wegfangen sollte. Na! den
-bespritzte der alte Wodtke so gründlich mit einem kalten Strahl, daß
-er schleunigst wieder nach Hause reiste; und nun erging es den Bauern
-schlimm.
-
-Denn der Alte vom Berge -- so nannten sie ihn jetzt -- war durch die
-ewige Einsamkeit allmählich menschenfeindlich geworden, und beschloß es
-ihnen mal einzutränken. Er ließ auf einmal am nächsten Tag so mächtig
-viel Wasser ins Land laufen, daß nun wirklich eine Überschwemmung
-entstand, und die dauerte von Ostern bis Pfingsten. Mancher bekam
-dadurch ein Einsehn, aber grade die reichsten nicht; denn die meinten,
-sie hätten den größten Schaden, und warfen ihm Briefe über den Zaun,
-worin sie drohten ihn abzusetzen, trotzdem sie ihn lebenslänglich
-angestellt hatten. Worauf er einfach sofort den Haupthahn abstellte
-und gar kein Wasser mehr laufen ließ, sodaß eine schreckliche Dürre
-eintrat. Und Niemand wußte mehr aus noch ein, denn in der ganzen Gegend
-war Keiner, der von der Wasserleitung genug Verstand, um rasch sein
-Nachfolger werden zu können.
-
-Da lebte nun dort in einer Hütte ein armer kleiner Hirtenjunge. Seine
-Eltern stammten aus einer fremden Gegend und hatten deshalb kein eigen
-Land, und er mußte den Bauern die Schafe hüten. Er war an Heiligabend
-geboren und letzte Weihnacht zwölf Jahre alt geworden; und mit Namen
-hieß er Michel Krist. Es konnte ihm eigentlich gleichgiltig sein, daß
-es den Bauern jetzt so schlecht ging; denn er war das Hungern und
-Dursten gewohnt, auch wenn sie gute Ernten hatten. Aber es tat ihm
-trotzdem leid, wenn Menschen und Tiere jammerten, besonders wenn seine
-Schafe blökten auf den vertrockneten Weidefeldern.
-
-Dem war es nun immer ein Rätsel gewesen, warum sich der alte einäugige
-Mann so einsam auf seinem Berge hielt, und warum die Leute ihn
-schimpften und ärgerten, und warum er sie dann noch ärger ärgerte.
-Denn Michel Krist hatte zwei helle Augen, die in jedermann etwas Gutes
-entdeckten; und wen er mit diesen Augen anlachte, der mußte unfehlbar
-mitlachen, selbst wenn man ihm vorher böse sein wollte. Drum hatte
-er auch vor bösen Geistern nicht die geringste Furcht im Leibe; ihm
-waren noch niemals welche begegnet, obwohl er sehr oft im Dunkeln
-allein war, und kannte alle Vögel des Himmels, wie sie bei Tag und
-bei Nacht herumfliegen. Und über einen Balken zu gehen, schien ihm
-erst recht kein gefährliches Kunststück; denn er war von klein auf
-barfuß gegangen, und an den breiten Wiesengräben, wo seine Heerde am
-liebsten weidete, lief er tagtäglich zum Zeitvertreib, ohne daß ihm je
-schwindlig wurde, über die längsten Brückengeländer.
-
-Als die Gräben nun immer mehr austrockneten, kam er zuletzt auf den
-Gedanken, den Alten vom Berge mal zu besuchen und ihn einfach zu
-fragen und zu bitten, ob er nicht wieder gut sein wolle. Also begab
-er sich eines Morgens in aller Frühe auf den Weg; ging aber erst auf
-einen Acker und grub sich einen Engerling aus. Den wollte er der Krähe
-mitbringen; denn unser kleiner Michel wußte, daß Krähen die Engerlinge
-gern essen. Und aus einem Gemüsegarten nahm er sich eine recht fette
-Schnecke mit; die sollte für die Möwe sein.
-
-Damit sie ihm nicht die Tasche beschmutzten und unterwegs nicht
-etwa erstickten, wickelte er die zwei kleinen Tiere säuberlich in
-ein großes Kohlblatt und trug sie behutsam in der Hand. Natürlich,
-Jungens, wie ihr euch denken könnt, tat es ihm auch etwas leid um sie,
-daß sie lebendig aufgefressen werden sollten. Aber der kleine Michel
-wußte, daß alles Lebendige einmal sterben muß auf Erden; und seine
-halbverdursteten Schafe und die vielen unzufriedenen Menschen taten
-ihm doch noch etwas mehr leid als so ein häßlicher Engerling und eine
-schleimige Gartenschnecke. Und er wollte doch auch den Vögeln was
-zukommen lassen.
-
-So kam er oben auf dem Berge an und brauchte garnicht erst über den
-Zaun zu klettern, weil er die Pforte offen fand; denn die hatte neulich
-der Geisterbeschwörer mit seinen Geheimschlüsseln glücklich aufgekrigt,
-und der alte Wodtke hatte vergessen, sie nach der Bespritzung wieder zu
-verriegeln.
-
-Michel Krist sah die beiden Vogel fliegen, und als er an den Balken
-kam, wickelte er das Kohlblatt auf, nahm den Engerling in die rechte
-Hand, die Schnecke in die linke, und ging mit ausgebreiteten Armen
-ruhig der Tür des Türmchens zu. Als die Vögel in seinen flachen Händen
-die fetten Gewürme kribbeln sahen, vergaßen sie ihren Zickzackflug,
-womit sie den Leuten immer die Köpfe verwirrt hatten, dachten auch
-nicht an Kreischen und Krächzen, sondern freuten sich über die
-Leckerbissen, und die Krähe flog rechts, die Möwe links neben dem
-kleinen Michel entlang, bis er auf einmal drüben stillstand und ihnen
-die kribbligen Dinger reichte. Dann trat er in das Wärterhäuschen.
-
-Der alte Wodtke war grade dabei, seine Leitungshähne und Klinken zu
-putzen, und wunderte sich natürlich nicht wenig, als plötzlich der
-barfuße Junge vor ihm stand, begleitet von seinen zahmen Vögeln. Und
-ehe er noch den Putzlappen weglegen konnte, gab Michel Krist ihm schon
-die Hand und sagte dazu mit lachenden Augen: Guten Morgen, lieber Vater
-Wodtke!
-
-Vater Wodtke brummte guten Morgen, legte den Lappen an seinen Platz,
-sah sich mit seinem einen Auge den kleinen Michel durch und durch an,
-griff dann in seinen weißen Bart und fragte etwas weniger brummig: Was
-willst du denn hier oben bei mir?
-
-Unser Michel hatte den funkelnden Blick mit ruhigem Herzen ausgehalten
-und gab ganz einfach und wahr zur Antwort: Ich wollte blos fragen,
-warum du böse bist, und warum du von den Menschen nichts wissen willst,
-und ob du nicht wieder gut sein möchtest?! Ich will dir auch helfen die
-Hähne putzen.
-
-Der alte Wodtke lachte grimmig, und sein Blick wurde dunkler, während
-er sprach: Sie wollens nicht besser haben, die Menschen! Wenns ihnen zu
-gut geht, werden sie übermütig! genau so wie deine Schafe im Frühling.
-
-Eine Weile wußte Michel Krist auf diese Worte nichts zu erwidern und
-ließ den Kopf ein bißchen hängen. Dann aber hob er wieder die Stirn
-und blickte mit seinen zwei hellen Augen den Vater Wodtke groß an und
-sagte: Ja aber, ich lasse doch meine Schafe, wenn sie verbiestert sind,
-ruhig blöken, und treibe sie nicht weg von mir, und laufe auch nicht
-weg von ihnen! Laß doch die Menschen zu dir kommen, und wehre ihnen
-nicht zu reden; du kannst ja nachher doch tun, was du willst! -- Und
-dabei mußte er leise lachen.
-
-Und als Vater Wodtke nun mitlachen mußte, nahm Michel Krist ihn wieder
-beim Arm und fuhr mit rechter Bitte fort: Und wenn du’s ihnen nicht
-selber gestehen willst, dann laß mich hinuntergehen zu ihnen und ihnen
-sagen, du bist wieder gut! Ich werds schon alles so ausrichten, daß sie
-sich gerne mit dir vertragen -- genau so wie meine Schafe mit mir.
-
-Da mußte der alte Vater Wodtke so furchtbar laut und herzlich lachen,
-daß seine beiden zahmen Vogel verschüchtert zum kleinen Michel hüpften.
-Und während er sich heimlich ein Tränchen aus seinem einen Auge
-wischte, schrie er und schlug mit der andern Faust an seine größte
-Leitungsröhre: Junge, du sollst mein Nachfolger werden! --
-
-Und Michel Krist ging hinunter ins Land und richtete alles richtig
-aus. Und Sonntags kam er immer herauf und durfte die Hähne putzen
-helfen, bis er sich bald auf die Wasserleitung so gut verstand wie
-sein Lehrvater selber. Und als der schließlich sterben mußte, zog er
-wirklich statt seiner hinauf in das Wärterhäuschen, und die Leute sind
-heut noch zufrieden mit ihm. Den alten einäugigen Wodtke aber, trotzdem
-sie sich mit ihm versöhnt und ihn in Ehren begraben haben, halten sie
-doch noch für einen Hexenmeister; und manche behaupten, er lebe noch
-heimlich.
-
-
-
-
- Druck der
- Spamerschen Buchdruckerei
- in Leipzig
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Gesammelte Werke in drei Bänden (2/3), by
-Richard Dehmel
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESAMMELTE WERKE IN DREI ***
-
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-Literary Archive Foundation
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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