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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-04 02:22:59 -0800 |
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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die Vergiftung - -Author: Maria Lazar - -Release Date: August 1, 2020 [EBook #62801] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERGIFTUNG *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was -made from scans of public domain material at Austrian -Literature Online. - - - - - - - Maria Lazar - - - - - DIE VERGIFTUNG - - - 1920 - LEIPZIG - E. P. TAL & Co., VERLAG - WIEN - - - Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten. - Copyright 1920 by E. P. Tal & Co., Verlag Leipzig und Wien. - - - - - Die Tür - - -Eine braune Holztür, glatt, mit vielen dunklen Flecken. Eine Tür wie sie -überall ist, überall ist. Eine Tür -- - -Nein, eine dunkle Macht, feindlich, glatt, mit vielen dunklen Flecken. -Das schlägt ins Gesicht, dem ganzen Körper entgegen. Eine Schicht, eine -dünne, harte Wand. - -Und da verloren sich die schmiegsamen Formen ihres Leibes. Das -Immerweitertasten ihrer Hände blieb stecken. Sie wurde platt -zusammengedrückt zu einer Fläche, einem Ding, aus dem nur der ungeheure -Schrecken herausgestiegen war und draußen stehen blieb, verwundert. - -Als sie über die Treppe des Alltagshauses ging, trat sie in die Abdrücke -der hundert geschäftigen Füße, die täglich hier vorüberliefen. - -Wieso war sie überhaupt dahergekommen? Immer daher gekommen und nur da -her, daß alles übrige draußen liegen blieb? - -Heute drang das Licht blendend durch Steine und die erstarrte Haut ihres -Leibes. Von den Blättern troff es, grell und heiß, und duftete nach dem -Blut aller, die auf der Straße gingen. Das Blau war zu tief, -zusammengedichtet aus trotzigen Kräften. - -Ach, die furchtbare Helle. Und in sie hineingelegt die Tür, mit den -dunkelbraunen Flecken. Die sich niemals, aber auch niemals einschlagen -läßt. - -Diese Tür war schon damals gewesen, als sie so klein war, daß sie den -Kopf ganz nach hinten legen mußte, um die ersten Stockfenster zu sehen. -War es die Tür aus dem Kinderzimmer heraus oder von der Küche in den -dunklen Gang, an die sie sich nicht zu hämmern traute, als man sie -einmal dort eingesperrt hatte? Die Tür, die sich nie und nie zertrümmern -läßt. - -Wievielmal schon hatte sie diese Türe geöffnet, mit Händen, die dem -eigenen Sieg nicht glauben wollen. Nur ein leichter Druck auf die Klinke --- und hatte doch immer den Mut gehabt, zu wissen, daß diese Türe einmal -verschlossen sein muß. Jedesmal hatte sie den einen gräßlichen Moment -erlebt, der heute Wahrheit geworden war -- verschlossen. - -Heute, es ist ja gar nicht heute. Das war schon immer, das hat sie ja -schon hunderttausendmal erlebt. Tritt man nicht aus der Zeit heraus, -wenn dann eine Stunde kommt, die sich einbildet, die erste zu sein. Ein -Heute, das ewig ist -- ein Schritt aus dem warmen Leben -- vielleicht -ist ihr deshalb so entsetzlich kalt. Und sie muß die Augen schließen, -während das Sonnenlicht des Tages die Wimpern versengt. - -Verschlossen -- undurchdringlich. - -Sie geht durch Straßen, wo die Nachmittagsröte die Mauern frißt. Und -weiß: Der breiten Kastanie vor seinem Fenster ist heute ein Ast -abgehauen worden. Blendend weiß bietet sich die Wunde der gierigen -Sommersonne dar. - -Sie kann nie mehr weiter tasten. Steht fest, undurchdringlich -- -verschlossen. - -Ich muß denken, sagte Ruth. Sie nahm den Brief, der in seine Tür -geklemmt war und dachte: Ein zu kleines Kouvert. Und warum macht er dem -R bei Ruth so einen Schnörkel? Eine wütende Lust überkam sie, den Brief -von sich zu werfen, irgendwohin, vielleicht in den Straßengraben. Und -dann nie mehr ... Aber sie hielt ihn fest und ging so lange, bis die -erste Dämmerung sich mit dem Staub der Großstadt mischte, der in die -Höhe stieg, langsam, leise und unerbittlich. - -Es schlug neun Uhr vom Kirchturm. Sie dachte: Mutter ist böse, wenn ich -zu spät zum Abendessen komme. Und Richard macht seine verwunderten -Augen. Ich will sie nicht ärgern. Aber ich bin nur so elend, wie sie gar -nicht wissen, daß man sein kann. - -Sie spürte den Essensgeruch der aus der Küche quoll, als die Köchin -öffnete. Und war gespannt was es gäbe, während ihr die Tränen in die -Augen traten, daß sie jetzt daran denken könne. - -Sie sah nicht auf Mutter und Bruder, während sie schweigend würgte. Sie -hörte nicht die Nörgeleien der Schwester. Sie schluckte eilig große, -trockene Bissen hinunter und fragte sich nur: Was habe ich? Sie wußte es -nicht mehr. - -Aber als sie in ihr Zimmer trat, schrie der Spiegel seinen Namen. Und -sie sah ihr Bild darin, wie sie sich den Schleier vorgebunden hatte, -bevor sie weggegangen war, heute. Die Bücher auf dem Tisch, die -vernachlässigt und zusammengeworfen waren, und die zerrissene Mappe -atmeten seinen Duft aus. Und von dem seidengelben Lampenschirm herab -träufelten in weichen Farben ihre nächtlichen Gedanken. - -Sie öffnete den Brief. Und las verächtlich seine großen Lügen. - -Der Spiegel schrie seinen Namen. Sie sah sich drinnen, wie sie sich den -Schleier vorgebunden hatte. Wird sie so nie mehr zu ihm gehen. - -Aber ja, morgen geht sie zu ihm, ganz so wie sonst. Was hat sie nur -heute. Der Brief ist ja so einfach zu verstehen. Warum soll er denn -nicht einmal verhindert sein, geschäftlich. - -Ruth las den Brief noch einmal. Die lächerliche Schlinge des R und die -kriecherische Windung des L in Liebe. - -Er lügt. Aber das macht ja nichts, das wußte sie schon immer. Und doch --- sie kann nicht mehr. - -O Gott, was ist nur geschehen? Was ist mit ihr? Durch das Fenster -strahlt die warme Sommernacht, wie eine Fülle leuchtender -Versprechungen. Die Welt ist hell. Sie war bis jetzt nur in einer -dunklen Stube. Dunkle Stühle, dunkle Flecken an der dunklen Tür. Die -Welt ist hell. Ihre Glieder, ihr armer vergessener Körper schreien nach -Licht. Sie kniet am Boden. Ihre Zähne beißen in die Tischkante, oh, daß -sie nicht aufschluchzt. - -Sie will denken. Sie weiß, daß seine Augen durch alle Mauern auf sie -sehen. Aber ihre Hand sagt nein, ihr Knie schlägt in trotzigen Stößen -auf die Diele. - -Ihr Hirn schmerzt vor Sehnsucht nach ihm, ihre Zähne beißen in die -Tischkante. - -So lange sie denkt, gehört sie ihm. Aber da ist noch etwas an ihr, das -nicht denkt. Das treibt, das schlägt, das stößt, das treibt sie zu ... - -Er stand vor dem Spiegel mit dem zu dicken Rahmen, der alles verdüsterte -und doch so hervorstach, als wolle er es nicht zugeben, daß eine -eigentümliche Frechheit von dem bespritzten Glas ausging. - - * * * * * - -Er stand vor dem Spiegel und sah aufmerksam auf seine schlecht rasierten -hageren Backen. Auf die etwas zigeunerhafte Locke, die über die Stirn -hing. Sie war nur zu licht, um wild zu sein. - -Er stand vor dem Spiegel und versuchte die Regelmäßigkeit seiner -schmalen Züge zu genießen, durch die die zu weit nach hinten liegende -Stirn durchfuhr, wie ein querer Strich in einer regelmäßigen Zeichnung. -Seine Schultern standen zu weit nach hinten, künstlich steif. Sie -wollten offen und frei erscheinen. Aber die Augen lagen tief versteckt. -Die Pupillen waren nicht in sich abgeschlossen, sie liefen über, -ausstrahlend und doch wie verirrt in das Weiße des Auges. - -Er stand vor dem Spiegel und der zusammengepreßte Mund, mit den dunklen, -schmalen Zähnen erkannte alle Schwächen der kraftlos weichen Hände, die -sich auf den Rücken legten, während die Schultern sich nach hinten -streckten, gewaltsam, künstlich. - -Als Ruth zur Tür hereinkam, saß er vor dem Pianino und spielte eine -Beethoven-Sonate. Er trat ihr entgegen mit beiden ausgestreckten Händen. --- Du kommst spät, sagte er liebenswürdig spöttisch. Aber seine Augen -blickten böse in eine Ecke des Zimmers. - -Ruth erschrak. Wie immer legte sich der süßlichherbe Geruch der Räume, -den sie nie wo anders getroffen hatte, betäubend um ihre Stirn. Sie -lachte dann: Ja, denk nur, wieso, ich bin einen verkehrten Weg gegangen. - --- Du hast nicht kommen wollen, sagte er langsam und schwer. - -Alles stand still. Das Zimmer stand still, jeder Stuhl, selbst die Uhr, -die sonst immer zu laut schnarrte. Etwas lebte nicht mehr, es war etwas -gestorben, jetzt, in dieser Minute, etwas Furchtbares war ausgesprochen -worden. - -Ruth dachte: Weinen können. Sie sah die hochmütigen Globen auf dem -Wandregal, die alle staubig waren. Und die sattgelben Minerale auf dem -unordentlichen Schreibtisch. - -Er rückte ihr den Stuhl zurecht, wie immer. Immer denselben Stuhl. - --- Aber was sagst du denn da? lachte Ruth. Es war ihr schlankes frohes -Kinderlachen, das so seltsam hinaufkletterte über die grau verschossenen -Wände, die zu hoch waren. - --- Mein Kind, sagte er, mit überschlagenen Beinen und fremden Augen, ich -habe dich seit drei Wochen nicht gesehen und heute kommst du zu spät. - --- Du mußt mir erzählen, stöhnte Ruth, alles was da war, alles was du -erlebt hast, was du gearbeitet hast. - --- Ruth, sagte er. Und sie haßte ihn. Spürte den Schnörkel in der -Schlinge des R. - -Sie sah seine weißen, kraftlosen Hände. Wußte, daß sie diese Hände -niemals vermissen könne. Seine Krawatte war zerschlissen. - -Eine heiße Welle stieg in ihr empor, würgte die Kehle. Aber sie war so -müde. Hilf mir, sagte sie. - -Vor ihr war eine große, schwere Wage. Eine Schale war voll eiserner -Gewichte, schwer und kalt. Die andere leer, ganz leer und hoch oben, -mutterseelenallein. - -Die ganze Welt war aus dem Gleichgewicht durch diese Wage. Und durch die -Disharmonie seiner Bewegungen. So wie er jetzt die Zigarre zum Munde -führte. - --- Du kannst mich eben nicht mehr aushalten, sagte er langsam. Nein, er -wußte nichts, er konnte ihr nicht helfen. - -Er erzählte ihr von seinem neuesten chemischen Experiment. Und sah sie -an, als wäre sie eine schillernde Phiole. - -Ihr Gehirn wollte mitarbeiten, aber wieder wehrten sich ihre Hände, ihre -Knie, ihr Blut dagegen. - -Die Nacht war hereingebrochen. - -Du, sagte Ruth plötzlich, als er ihr seine letzten Tage schilderte, wie -er sich elend in Gasthäusern herumgetrieben. Hör' auf. Ihre Stimme klang -hart und hell. Sie sprang auf und nahm seine Hand. Und ein grenzenloses -Mitleid, ein Schmerz, der sich selber zerbrach, lähmten ihren Atem. -- -Jetzt geh ich und komme nicht mehr. Deine Tür war verschlossen, -letztesmal. Sie war immer verschlossen. Lüg nicht! Vielleicht weißt du -es nicht. Ach, diese Kälte herinnen. Und ich liebe dich. Hörst du mich -nicht. Das ganze Zimmer hört mich ja. Die Bäume draußen hören mich. So -hör mich. - --- Ich höre, mein Kind, sagte er und sie stampfte mit dem Fuß, weil er -mein Kind sagte. - --- Du weißt, daß ich seit zwei Jahren für dich gelebt habe, fuhr sie -fort und ihre Stimme überschlug sich. Aber ich sage dir, ich spüre eine -Erschöpfung, eine Gefahr, ich bin zu voll von dir, ich kann dich nicht -mehr ertragen. O, was tust du mit mir. - --- Wohin willst du, sagte er und nahm einen Zug aus seiner Zigarre. - --- Fort, schrie Ruth. Was bin ich dir? Eine Phiole mehr für deine -Experimente. - --- Törichtes Kind, sprach er und seine Stimme war schwarz in der lauen -Nacht. Fort -- du kannst nicht mehr fort. Du warst die Phiole für mein -kostbarstes Experiment. In dir habe ich mich selber experimentiert. - -In diesem Augenblick sah Ruth vor sich auf dem Schreibtisch ein -schmales, scharf geschliffenes Messer liegen. - --- Wohin willst du, fragte er und vertrat ihr den Weg zur Türe. Du -Kleine, die du die ganze Last eines verbrauchten Lebens in dir trägst. - -Ruth roch Blut. Oder waren das seine Chemikalien. - --- Nein, sagte sie. Und ging hinaus ohne ihm die Hand zu geben. - -Im Stiegenhaus brannte grellrot elektrisches Licht. Und die Straße -lärmte. - - - - - Der Kleiderkasten - - -Ruth erwachte. Durch das Fenster stieß peinigend laut Licht. Es kam von -drüben, von der fahlgelben Hofmauer, zerbrochen und unverschämt schrill. -Es saugte die Menschen aus ihren Betten, aus ihren Häusern, ihren -Gewohnheiten. Und weil heute Sonntag war, liefen sie alle hinaus. In -eine Freiheit, die zu hell war. Daß die großen grünen Blätter schon -verdeckt lagen von Staub und zu viel erlebt haben. Wie das schmerzt. Und -alle schreien. Irgendwo wird Bier ausgeschenkt. - -Dasselbe Licht kroch über die Gegenstände ihres Zimmers, die sonst -dunkel waren. Sie traten heraus aus sich selbst, aus ihrem farblosen -Dasein und jede Kontur wurde scharf und kam weit hervor. - -Es war nicht zum Aushalten. Ruth sprang auf. Sie ließ die Jalousie -herunter und war erleichtert, als die Eisenstangen auf dem Fensterbrett -aufschlugen. Dann legte sie sich wieder in das zerwühlte Bett, -obendrauf, den Kopf weit nach hinten. - -Vor ihr stand der Kirschholzkasten. Der liebe, lichte, gerade -Kirschholzkasten. - -Tisch und Stühle und vor allem das dunkle Bücherbrett trugen noch sein -Gepräge. Sie waren immer nur dagewesen, um zu warten, daß sie zu ihm -gehe. Und wenn sie wieder kam, waren sie voll Warten für das nächstemal. -Und nur voll Warten. - -Aber der lichte Kirschholzkasten war schon früher dagewesen. Sie sah -starr auf ihn mit halbgeschlossenen Lidern. Um die anderen nicht zu -sehen. - -Der Kasten hatte etwas vom lieben Gott. Ganz bestimmt. Von dem lieben -Gott, vor dem man die Hände faltet, um zu ihm zu beten. Der einen weißen -Bart hat. Und man braucht nur brav zu sein und es kann einem gar nichts -geschehen. Er schmeckt nach Zuckerlämmchen, die zu Ostern verkauft -werden. Und auch ein bißchen verstaubt. - -Dieser liebe, breitlinige Kasten war einmal groß, so groß, daß man nicht -bis zum Schlüssel reichen konnte. Und alles war darin, was man nur -brauchte. - -Ruth bäumte sich auf. Der liebe Gott war tot. In dem lichten -Kirschholzkasten hing eine Menge dunkler Stoffe. Die rochen alle ein -wenig nach fremden Chemikalien, süßlich herb. Stundenlang war sie -gesessen, den Kopf in diesen Kleidern vergraben, um den geheimnisvollen -Duft einzusaugen. Nein, sie wird den Kasten nie mehr aufsperren können. - -Sie betrachtete mißtrauisch ihre braunen Kinderhände. Mit den kurzen -Fingern, die noch niemals etwas sein wollten und noch niemals etwas -festgehalten hatten, immer nur alles fragend betastet. Rochen sie nicht -in ihrem Innern, ganz drinnen in der Handfläche, aus den Poren heraus -nach ihm? Sie dachte an das Versinken in seinen großen, zu weißen Händen -und ihr wurde übel. Ihre widerspenstig flockigen Haare rochen ja auch -nach dort -- ist sie denn ganz von ihm durchzogen, vergiftet -- - -Sie wird ein Bad nehmen. Und sich die Haare waschen mit sehr viel Seife. -Das wird nützen. Und die Möbel heute gut abstauben, mit einem neuen -Staubtuch. - -O Gott, wenn sie nicht auf den Kasten sieht, sieht sie überall ihn, -nein, nicht ihn und auch nicht seine Augen, nur seinen Blick. Der dunkel -ist und wie ein Band sich um ihre Glieder legt. Den sie nicht versteht -und nie verstanden hat, weil er aus einem Land kommt, das sie nicht -kennt. Dessen Unkörperlichkeit sie verzweifeln ließ und dem sie nun -entflieht, von heute an. - -Es ist merkwürdig, dachte Ruth, daß ich die ganze Nacht geschlafen habe. -Es ist überhaupt merkwürdig, daß man bei einem großen Unglück doch ganz -bleibt, wie sonst. Nur alles andere wird anders. - -Und wieder sieht sie auf den hellen freundlichen Kasten. Und vergleicht -ihn mit dem lieben Gott. Sie möchte die Hände falten, ganz wie damals. -Und kann es nicht mehr. Und fürchtet sich, ganz wie damals. - -Denn da ist sie wieder, die alte Kinderangst, über die sie schon -hinweggegangen zu sein glaubte mit hochmütig erwachsenem Schritt. Die -Angst, die die Nacht fürchtet und die blasse Frühlingsdämmerung. Die -sich krümmt unter der Eintönigkeit des Mittags. Die Angst, die auf der -Schulbank hockt neben dem patzenschwarzen Tintenfaß, den strengen -Scheitel der Lehrerin streift, die nach zerkauten Federstielen schmeckt -und liniertem Papier, die Angst, die aufschreit in einsamen Nächten und -keinen Ausweg findet durch den fest verschlossenen Mund. Die von -Leichenzügen träumt und alle Pest und Hungersnot der Jugendbüchereien -durchlebt hat. - -Wer ist sie heute? Was war sie seit der Zeit, als sie in kurzen Röcken -über die Gassen lief und das Zopfband verlor? Ist sie bestohlen, -beraubt? - -Nein, Ruth wußte es, sie war mißhandelt worden. Eine zarte Hülle blieb -übrig, die leben wollte. Und was war in ihr? Was roch wie die lebendig -gewordene Wissenschaft? Was klebte an ihren Händen, in ihren Haaren, in -ihren Kleidern? Was füllte den lieben, alten Kasten? - -Da wird sie sich einer furchtbaren Gefahr bewußt: Leer werden. Leer -- -was heißt das, was ist das? Leer -- das sind die Augen in Totenschädeln. - -Sie will nach der goldenen Fülle greifen. Und das Licht kann nicht -herein und dahinter steht das Nichts, das Leere. - -Leer -- das heißt ihn verlieren, ihn verloren haben. Und die Wucht -seiner Schmerzen, die Qualen seiner Einsamkeit. - -Hoch aufgerichtet steht sie vor dem Bett. Sie sieht an sich herunter. -Bis zu den schlanken, braunen Knöcheln. Und haßt sich. - -Leer -- das ist das Stück vom Fenster hinab bis zu dem harten Pflaster. -Worauf die Menschen ihren grünen Schleim spucken und das die Hunde -beschmutzen. - -Frei sein und leer sein und weniger als elend sein -- - --- Fräulein Ruth sollen zum Frühstück kommen. -- Ruth sah das große -überkräftige Stubenmädchen mit der hohen vergnügten Stimme. Und wußte: -heute abends geht sie aus, da wartet einer unten auf sie, vielleicht der -vom letztenmal oder auch ein anderer. - --- Ruth, rief die Mutter aus dem Nebenzimmer. -- Ich komme, antwortete -sie mit einer Stimme, die voll Musik und Jubel war. - -Mutter stand in der Sonne. Und Mutter war lebendigstes Gewesensein. - - * * * * * - -Mutter ging alle Morgen nachsehen, ob das Mädchen gut aufgeräumt habe. -Sie ließ keinen Stuhl so stehen, wie diese ihn gestellt hatte. Mutter -wollte ein eigenes Haus haben, wie sie sagte. Ob dieses Haus besser war, -als alle anderen, ist nicht bestimmt. Aber daß es anders war als alle -anderen, daß es ihr eigen war und nur durchtränkt von der kindhaften -Unruhe ihrer zu langen Finger, die niemals jung gewesen sein konnten, -daß ihr Haus fremd und versperrt war allen, die nicht ihres Blutes -waren, das hatte sie erreicht. Und Ruth empfand es mit einem Stolz, der -sich selbst nicht anerkennen will. - -Mutter küßte Ruth, wie man ein Stück Eigentum küßt oder ein Stück von -sich selbst. Und Ruth fühlte die Schmerzen der vergangenen Nacht ganz -klein werden und wollte weinen. - -Mutter frühstückte nicht mit. Sie war nie imstande eine Mahlzeit durch -sitzen zu bleiben. Sie mußte immer rasch noch etwas anderes tun. - -Mutter war groß. Aber nicht groß genug für das, was sie der Welt zeigen -wollte. Deshalb schien sie fast klein. - -Und auch ihre Wohnung war groß. Aber zu klein, um sich vor allen -zurückziehen zu können. Denn das wollte sie. Deshalb waren die hohen -Räume eng und drückend. - -Als Ruth mit dem schmalen, silbernen Brotmesser das Brot schnitt, -empfand sie einen seltsamen Besitzerstolz und dachte: zuhause sein. - -Sie hatte keinen anderen Wunsch, als Mutters Kleid zwischen beide Hände -fassen zu können, ganz, ganz fest. Wie gut war es, daß Mutter immer so -alte Kleider trug. Und schon wollte sie aufspringen und Mutter alles -sagen -- - -Da kam Richard herein. Nein, sie konnte nicht. Richard war zu klug. Und -Richard war Mutters Sohn. Von so etwas konnte sie nie zu Mutter -sprechen. - -Und Martha war Mutters Tochter. Martha war häßlich und verbittert. Wenn -sie die Tür aufmachte, war das Zimmer voll Lärm. Da konnte Ruth von so -etwas doch nie zu Mutter sprechen. - -Ruth wußte nicht, daß Mutters Leben nur Enttäuschung war, die nicht -eingestanden werden durfte. Und daß Mutter so grenzenlos arm war, weil -sie nie den Mut gehabt hatte, das zu erkennen. - -Mutter war so klug, daß sie die Dinge nicht wirklich sah, sondern in -Karikatur auf dem Hintergrund ihrer Wünsche und Vorurteile. Aber sie sah -sie alle bis auf eines: Das war sie selbst. Sie wußte so wenig von ihrer -eigenen Existenz wie ein ganz kleines Kind. Und ahnte nicht, daß sie -selber auch etwas beigetragen habe in der Symphonie der Ereignisse, die -ihr enges, tiefes Dasein bildeten. - -In ihrer Jugend hatte sie nur eines gekannt: Die Pose. Die Verwandten -und Freunde, ja selbst der Kutscher ihres väterlichen Hauses sprachen -mit Handbewegungen, wie Schauspieler in ihren Rollen. Das hatten sie von -ihrem Vater gelernt. Dessen ganzes Leben ein großer Faltenwurf war. -Hinter dem steckte nichts als Jagd und Rausch und etwas Verwesung. Aber -ihre Mutter war träge. - -Sie hatte nie den Mann gefunden, den sie lieben konnte. Das wäre auch -nicht so nötig gewesen, nur hätte sie sich Zeit nehmen sollen, ihn zu -suchen. Denn nur dann hätte sie sich entwickeln können. - -Aber sie zerschnitt sich alle Möglichkeit weiterzukommen, indem sie in -früher Jugend einen Mann heiratete, der vielleicht ein Heiliger geworden -wäre, wenn sie ihn unter Menschen gelassen hätte. Denn er liebte die -Welt mit der zarten, naiven Freude junger Knaben, die an einem -Frühlingstag ein blühendes Tal durchstreifen. Aber sie hielt ihn als -Eigentum, wie ihr Vater Pferde und Bediente gehalten hatte. Sie sperrte -ihn ein in Räume, die von ihren Atemzügen übersättigt waren. Daß seine -weiche Menschlichkeit zur Seite treten mußte und sein säurenscharfer -Verstand allein ihn beherrschte. Er rechnete Tage und Monate und Jahre. -Als seine große Erfindung fast fertig war, starb er. Aber noch eine -Stunde vor seinem Tod erzählte er das Märchen vom Schneewittchen. Denn -er hatte immer Königstöchter geliebt, die eigentlich kleine Mädchen -waren und in rote Äpfel bissen. Die ein bißchen Puppentheater an sich -hatten. - -Ruth hatte Vater gegenüber ein schlechtes Gewissen. Weil Mutter alles -war, weil Mutters große, vielgliedrige Hände auf ihren Augen gelegen -waren, wenn sie zu Vaters Schreibtisch sehen wollte. - -Als sie noch ganz klein war, hatte er sie einmal in eine Konditorei -geführt. Es war ein schneidend kalter Wintertag und ein elendes -Geschäftchen in der Vorstadt. Dort kaufte er Bonbons, einen großen Sack -voll großer, dicker, gelber, malziger Bonbons. Und gab sie ihr mit dem -vergessen gütigen Lächeln, mit dem Christus das Brot an die -Zehntausenden verteilt. Da wurde sie traurig. Am Abend saß er an seinem -Schreibtisch und Mutter schalt mit der Köchin. Ruth ging in das dunkle -Vorzimmer, steckte den Kopf in seinen Winterrock und küßte, küßte das -weiche, kalte Tuch. Später sagte Richard: -- Gib mir davon. -- Sie hielt -den Sack fest zu. -- Du bist geizig, sagte Richard. -- Gib! -- Sie -preßte den Sack an sich. Da schlug er sie. Sie weinte. Er zerriß das -Papier. Aber sie kämpfte um jedes einzelne Bonbon. Und legte alle unter -ihren Kopfpolster. So war Vater. Aber Richard konnte das nie verstehen. -Und sie hatte viel Respekt vor Richard. Fast noch mehr als vor Mutter. - -Am Abend sagte Mutter: -- Warum bist du noch nicht angezogen. In einer -Stunde müssen wir im Theater sein. - -Ruth dachte an den Kleiderkasten. An den dunklen Duft, der aus ihm -herausströmen soll. Und sie empfindet das dunkle Band, das von weither -kommt und sich um alle ihre Glieder legt, schmiegt, sich einschneidet in -die furchtsame Haut. - -Und sie weiß, wenn sie das blaue Seidenkleid anzieht, ist sie morgen -wieder bei ihm. - --- Ich gehe nicht ins Theater, antwortete sie. Und blieb allein in der -Wohnung. Da geht sie aus, sich zu suchen. Sie schleicht, sie kriecht -fast durch die Zimmer. Sie betastet die Stühle mit den verbogenen Füßen, -die überflüssigen Vasen, den Samt der Vorhänge. Überall war Mutter. Und -noch Richards Bücher. Und ein paar gestopfte Handschuhe von Martha. Aber -Ruth war nirgends. - -Da überfiel sie eine Qual, die sie zu Boden schlug, sich wie ein Strick -um ihren Hals legte und würgte ... - -Mutter kam von Lohengrin und war entzückt, wie immer. Sie liebte derbe -Romantik und laute Musik. Dann sang sie den Hochzeitsmarsch mit ihrer -kräftigen Stimme. Ruth sah sie an wie eine Fremde. - -Richard war zufrieden, wie nach einer gut überstandenen Prüfung. Und -Martha jammerte, daß ihr Schal ein Loch bekommen hatte. Ruth war nur -ganz verwundert. - -Aber dann setzte sie sich auf Mutters Bett, tief hinein. Sie starrte in -das schläferige Weiß des Linnens und wünschte sich klein zu sein und -Fieber zu haben. - -Mutter sagte: -- Aber jetzt geh schlafen. Und warum bist du heute so -blaß? Was hast du denn? Geh nur schlafen und gib mir noch vorher meinen -Roman. - -Richard meinte gähnend: -- Möchte nur wissen, warum du deinen Sitz hast -verfallen lassen. So was Dummes. - -Ruth wußte nur: -- Wenn ich den Kasten aufmachen muß, werde ich -wahnsinnig. Da ist ein Abgrund drinnen, der stürzt über mich, der -erdrückt mich durch seine Leere. Und dann wissen sie alles. Oh, die -Schande. Dann bin ich ausgezogen. Nackt vor allen. Auf der Straße. Mein -Körper ist voll eiternder Wunden, oh, die Schande. - -Der liebe, lichte Kirschholzkasten stand glatt in ihrem dunklen Zimmer. - -Nach zwei Tagen sagte das Stubenmädchen: -- Wenn Fräulein Ruth nicht den -Kasten aufmachen, kann ich den grauen Mantel nicht zum Putzen tragen. - -Die Schande. - -Und Mutter sagte: -- Wenn du den Schlüssel verloren hast, lasse ich den -Schlosser holen. - -Die Schande. - -Sie weinte heraus: -- Ich will nicht. - --- Ich glaube wirklich, du bist krank, meinte Mutter. - -Aber Richard rief aus dem Nebenzimmer: -- Geh, mach dich nur nicht -interessant. - -Oh, die entsetzliche Schande. - -Und sie wird sich zwingen lassen. - -Was tut sie nur den ganzen Tag. Sie geht herum und erklärt es ihm, ihm, -zu dem sie nie mehr kommen wird. Sie macht ihm alles begreiflich, er -versteht es, er weiß es, er weiß ja alles. Wie kommt es nur, daß er ihr -so ähnlich ist. Oder sie ihm -- - -Sie nimmt zum zehntenmal ein neues Staubtuch und wischt alle Möbel ihres -Zimmers ab. Damit sein Duft doch endlich weggehe. Und wäscht sich dann -die Hände mit kochend heißem Wasser. - -Am nächsten Abend sagte die Mutter: -- Wenn du dir morgen nicht ein -anderes Kleid anziehst und den Kasten aufsperrst, so hol ich den -Schlosser. Also überleg es dir. - -Ruth stand an ihrem Fenster und sah in die schmutziglaue Sommernacht -hinunter und fühlte: Warum kann Mutter, die den Lohengrin so gern hat, -die so nobel ist, wenn Gäste kommen, so zu mir sein? Warum stehe ich -hier und schau auf eine staubige Straße, wo doch draußen die vielen -Felder sind mit den endlosen Schienen -- in die Ferne gleiten -- und -warum -- - --- Ich muß jetzt Bett machen, sagte das Stubenmädchen und zündete das -grelle elektrische Licht an. Ruth sah auf sie. Auf ihre kräftigen Arme, -die fast aus der Bluse quollen, ihre übermütig starken Hüften, ihre -brennend heißen Wangen. -- Hören sie, Agnes, sagte sie heiser und ging -ganz nahe zu ihr ... Sie waren jetzt unten, da beim Haustor und er war -dabei, o bitte, sagen Sie nicht nein, ich habe Sie ja gesehen ... Nein, -Sie müssen nicht schreien, aber sagen Sie mir doch bitte, war es der -selbe, mit dem ich Ihnen begegnet bin, damals, Sie wissen schon, wie ich -im Konzert war, aber so sagen Sie doch. -- Nein, sagte Agnes, mehr -verblüfft als verlegen. -- Aber eines, Agnes, müssen Sie mir noch sagen. -War es schön, unten jetzt, meine ich, war das schön -- Oh Gott, sagte -Agnes, nein, das ist nichts für Sie, Fräulein. -- Hören Sie, Agnes, und -Ruth kämpfte mit ihrem Atem, Sie haben so starke Arme. Agnes, liebe -Agnes, ich habe meinen Kastenschlüssel verloren. Mama ist sehr böse. -Nehmen Sie das Küchenmesser, das große, und machen Sie mir den Kasten -auf, nicht wahr, Sie tun es. Aber leise, ich geh einstweilen in das -Speisezimmer. Und kein Wort davon, Agnes, Sie verstehen. Die Kleider -hängen Sie über Nacht ins Vorzimmer, aber es darf niemand davon wissen, -und zeitlich früh wieder herein, o ja, Agnes, Sie verstehen, sie tun es -gleich -- - --- Ich verstehe schon, Fräulein Ruth, sagte Agnes mit blödem Lachen. - - - - - Die Mutter - - -Ich liebe Mutter, dachte Ruth. Kein Mensch weiß, wie groß sie ist und -stolz. Es ist schade, daß das niemand weiß. Aber ich kann es ja auch -nicht vertragen, daß sie die Türen zuwirft und durch die Zimmer läuft. -Daß sie mit dem Mädchen schreit. - -Sie flüchtete in Gärten. In kleine, engbrüstige Vorstadtgärten mit -zerrauften Büschen und wackligen Bänken. Mit großen Sandhaufen voll -schmutziger Kinder. - -Sie ging hin, weil sie dort noch niemals, niemals gewesen war. Und saß -brutheiße Sommernachmittage durch und versuchte nur an Mutter zu denken -und ihn zu vergessen. - -Denn noch immer verfolgte sie sein Blick wie ein dunkles Band, das so -weich war, wie das Innere seiner Hand, so daß man nichts wünscht, als -sich hineinlegen zu können und nichts mehr weiß von Steinen und Bergen. -Wie im Sand vor dem Meer. - -Als sie einmal so saß, den Kopf in den Händen, mitten unter -Proletarierfrauen und Ladenmädchen, setzte sich jemand ganz nahe neben -sie. Sie fühlte nur immer den Blick, das Band, wie es sich um ihre -Stirne legte und alle Nerven, den Rücken hinunter strich. Jemand sagte -zu ihr: -- Fräulein, gestatten, daß ich mich zu Ihnen setze. Neben ihr -war ein Commis voyageur mit aufgewirbelten Schnurrbartspitzchen und rot -geblümter Krawatte. Noch empfand sie den weichen Abgrund, der zu tief -war, um zu duften und sah sich doch hier unter kleinen Leuten, im -kleinen täglichen Leben, rundherum der graue Spielsand. Sie lachte ihrem -Nachbarn ins Gesicht, laut und plötzlich, daß er zurückfuhr. Dann ging -sie. Hinter ihr schimpften die Proletarierfrauen. - -Sie mußte immer von zuhause weggehen. Denn, wenn sie zuhause war, liebte -sie Mutter nicht und das war doch schon ganz unmöglich. - -Mutter sagte zu Richard: -- Man sollte doch sehen, wo das Kind sich -herumtreibt. Sonst dachte sie nicht weiter an Ruth. Nur in der Nacht -wachte sie manchmal auf und wurde unruhig. Sie meinte, das käme von -ihren angegriffenen Nerven und nahm Schlafpulver. - -Daß etwas ihr Fremdes in Ruth vorging, wußte sie. Soweit sie überhaupt -wissen konnte, was sie nicht wissen wollte. Und sie wollte nichts -wissen, was sie nicht seit ihrem zwölften Jahr kannte und besaß. Das -beleidigte sie schon durch seine bloße Existenz. - -Für sie war Ruth das Kind. Das etwas verträumte Kind, das sie unbedingt -liebte, weil es ihr Kind war, das sie bemitleidete, weil es das Kind -ihres Mannes war. Und das sie deshalb schützen zu müssen glaubte. - -Solange Ruth klein war, sagte sie mit Stolz zu allen Verwandten: -- Das -Kind wird ganz wie ich. Und Ruth war fast ebenso angesehen im Hause wie -Richard. Aber mit zehn Jahren enttäuschte sie ihre Mutter zum erstenmal. -Von da an immer wieder. - -Sie ging mit Mutter an einem naßkalten Novembertag durch die Stadt, -Einkäufe machen. Sie war traurig, weil alle Leute in den Geschäften -unfreundlich waren, die Herren dicke Tröpfchen im Bart hatten und die -Damen in zu kleinen Schuhen gingen, die sicher weh taten. Weil sie eine -erfrorene Nase hatte und einen häßlichen Hut. Deshalb dachte sie an ein -Schloß im Hochsommer und zerbrach sich den Kopf, wie sie dort -Rosensträucher und Marmorbrunnen verteilen sollte. Da kam ein Bettler. -Er war so wie alle anderen Bettler auf der Welt. Die selbe verkrüppelte -Demut, die Geschäfte macht und ihre Krücken schwingt. Schamloses Elend. -Mutter sagte: -- Gib ihm zwei Kreuzer. -- Nein, erwiderte das Kind, ich -mag nicht. -- Was, rief die Mutter entsetzt, warum? Oh, du bist -schlecht. -- Ja, sagte sie, ich bin nicht gut, ich kann alle Bettler -nicht leiden. - -Damals war Mutter sehr böse. Und Ruth sagte zuhause: -- Wenn ich alle -Bettler wirklich gern hätte, müßten sie zu mir kommen, aber ganz. Und -ich möchte ihnen nie Kreuzer schenken, aber ich mag sie gar nicht. -- Da -schlug Mutter sie und Richard und Martha waren voll Verachtung. - -Denn man mußte gut sein zuhause. Das war wie ein Dogma. Richard schenkte -jedem Bettler etwas und Martha nähte Puppenkleider für Armeleutekinder. - -Als Ruth zwölf Jahre alt war, sagte sie lächelnd zu ihren Freundinnen: --- Natürlich sind wir Juden, aber schon lang getauft, doch das macht -nichts aus. - -Als sie vierzehn Jahre alt war, erklärte sie: -- Unsere Möbel sind -häßlich. -- Ich lüge oft, nicht gern aber doch oft. -- Wenn ich ganz arm -wäre, würde ich sicher einbrechen. - -Da wußte man in der Familie: das Kind ist dumm. Man muß sie zum -Schweigen bringen, sonst macht es nichts. - -Und Ruth glaubte, daß sie dumm sei. Nur kränkte es sie gar nicht. Sie -konnte einfach nie auf die Idee kommen, anders sein zu wollen, als sie -war. Höchstens, daß sie sich wünschte, strähnenglatte blonde Haare zu -haben und eine griechische Nase. - -Hier aber war die erste große Spaltung zwischen ihr und Mutter. Denn -Mutter fühlte zu genau, wie sehr Ruth ihr Kind war, um diese -Aufrichtigkeit zu gestatten. Sie empfand es als eine Verletzung. - -Ruth sagte einmal auf jemanden: Den liebe ich, den möchte ich auf der -Stelle heiraten. Ich glaube wirklich, ich könnte mich wahnsinnig in ihn -verlieben. -- Aber schämst du dich nicht, rief die Mutter. - -Mutter schämte sich immer. Weil sie einen so unmäßigen Stolz in sich -trug. Was dieser Stolz wollte, wußte sie eigentlich selbst nicht, er -hatte etwas sinn- und zweckloses. Er erinnerte an die hohen Zimmer, die -man in den Achtzigerjahren baute, deren Größe etwas Leeres und Zugiges -an sich hat. Und die nie auszufüllen sind, weil die Kostbarkeiten, nach -denen sie verlangen, gar nicht aufgetrieben werden können. - -Das, was Mutter wollte, existierte nicht. Und deshalb war sie arm -geblieben in der Fülle ihrer zügellos reichen Empfindungen. - -Wenn Ruth in der Nacht sich im Bett aufrichtete und sie war plötzlich -ganz wer anderer als am Tage, so daß sie ihre eigenen Bewegungen mit -süßem Mitleid und verborgener Zärtlichkeit beobachtete, dann war es -genau so, wie wenn sie Mutter beim Schreibtisch sitzen sah, mit einer -Unzahl Rechnungen, bei denen sie sich fortwährend irrte und die sie doch -so genau nahm. Oder wie wenn sie einem nackten Säugling zuschaute, wie -er sinnlos mit den winzigen Füßen in die Luft strampelt. - -Mutters Reserve der Menschheit gegenüber war nur etwas rein -gedankliches, äußerlich war sie allen vollkommen ausgeliefert. Ihre -Haare steckten immer schief. Der Mund war zu voll. Die Unterlippe hing -herunter. Das war aber nicht notwendig. Es war nur, weil Mutter eben so -gar nicht verstand, in den Spiegel zu schauen. - -Ihre dunkelsehnigen Arme hätten Erdarbeit leisten sollen. Ihr kräftiger -Körper brauchte Bergluft. So daß er fast hinfällig scheinen konnte in -den Zimmern der Großstadt. - -Mutter hatte sich nicht erziehen können und deshalb ihre eigenen Kinder -nicht, weil die ihr zu ähnlich waren. Aber sie hatte einen jüngeren -Bruder, der weich und bildsamer war als Lehm. Er war Musiker, er war -Dichter, er war Maler. Und endigte als Zeichenlehrer in einer -Mittelschule. Sie hatte ihm zu viel geholfen. - -Ihre eigenen Talente hatte Mutter verschleudert. In ihrer Jugend war sie -die wildeste Tänzerin der Stadt. Und trug doch immer abgetretene Schuhe. - -Onkel Gustav wuchsen die Haare zu lang in den Nacken. Nur ein ganz klein -wenig, so daß man es bei anderen Menschen gar nicht bemerkt hätte. Aber -bei ihm schien es viel zu viel zu sein. Er wurde in der Familie verlacht -und als Narr behandelt. Und lächelte dann demütig. Ruth ging an ihm -vorbei. Sie konnte Bettler nicht leiden. - -Mutters Kommode war das interessanteste Stück im ganzen Haus. Zweimal im -Jahr wurde sie »groß« aufgeräumt. Kein Mensch durfte ins Zimmer kommen, -nur Gustav und Ruth waren zur Hilfe kommandiert. Weil Gustav so schön -die einzelnen Päckchen einwickeln und mit Spagat zusammenbinden konnte. -Und weil Ruth es lieber tat, als ins Theater gehen. Der dumpfe -Lawendelgeruch erweckte in ihr eine müde Erinnerung an Geheimnisse, die -sie einmal gekannt hatte, aber nun nie und nimmermehr erfahren durfte. - -An einem langweiligen Sonntagnachmittag mit Regentropfen rief die Mutter -Gustav und Ruth zum großen Aufräumen. Ruth kam widerwillig, sie hatte -sich stumpf geschlafen und eine fade Sattheit klebte in ihren Haaren, -die heute gar nicht unternehmungslustig um die Stirne herumstanden, -sondern schläfrig nach hinten lagen. Als Mutter die großen Schubladen -aufzog, mit ihren zu hastigen, etwas blinden Bewegungen, bekam Ruth -einen dumpfen Druck in den Kopf von starkem Lawendelgeruch und wie im -Zorn sagte sie: -- Alt. Gustav sah verwundert auf. Er hatte die -Hemdärmeln aufgestreift und seine kleine, gedrungene Gestalt, die gerne -dick sein wollte, aber nie dazu kam, weil er ja immer hungerte, war auf -dem Sprung, Mutters Wünsche zu erfüllen. Er knüpfte alle die braunen, -grauen, gelben, weißen Päckchen auf und schichtete ihren Inhalt -sorgfältig auf dem Boden hin. Ruth rührte sich nicht und sagte plötzlich -zu Mutter: -- Ich möchte Seidenpapier kaufen, weißes und einfärbige -Bänder. Nicht so in irgend ein Papier und Spagat. -- Was fällt dir ein, -das wäre viel zu teuer. -- - -Ruth verstand das nicht. Sie legte sich auf einen Teppich und wühlte wie -sonst in alten Photographien hochschöpfiger Damen und befrackter Herren -mit Zylindern. In Wickelkindbildern, wo alle immer in der gleichen Weise -auf dem Bauche liegen. Es langweilte sie. - -Gustav pfiff. Er pfiff wunderschön. - -Ruth durchstöberte Briefe, die wie gestochen aussahen auf vergilbtem -Papier. Sie suchte etwas. Sie suchte etwas, um aus der gräßlichen Leere -des Sonntagnachmittags herauszukommen. Und weil es doch ganz und gar -unmöglich war, daß die geliebte, geheimnisvolle Kommode nichts anderes -barg als dieses öde Zeug. Nein, bestimmt nicht. Nicht einmal die -Schäferinnenspieluhr kam ihr sehenswert vor oder das Stammbuch der -Urgroßmutter. - -Mutter zeigte ihnen einen Liebesbrief, den sie bekommen hatte, als sie -sechzehn Jahre alt war. Es war der Brief eines überspannten Gymnasiasten -und schloß mit Selbstmordgedanken. Mutter war sehr stolz darauf. Aber -Ruth fand ihn so überflüssig aufzuheben, wie Großvaters Brautbriefe an -Großmutter. Sie wurde zornig. Und sie bekam Angst. - -Denn da war noch mehr in dieser Kommode. Mutter log. Sie, Ruth, wußte -es. Da drinnen lag ein zerbrochenes Schicksal, ein Ruin, ein Kampf gegen -den Irrsinn. Mit dunklen Blicken sah Ruth auf den grauen Scheitel der -Mutter, wie sie eben vor ihr kniete. Sie fühlte ein kaltes, -entsetzliches Alter in ihren jungen Händen, das alles wußte, das man -nicht mehr täuschen konnte. Und ihr Mund war greisenhaft erbittert. - -Mutter staubte soeben eine graue Pappschachtel ab, die mit einem -goldenen Bändchen zusammengebunden war, als das Dienstmädchen sie rief. --- Das laß stehen, sagte sie zu Ruth und ging hinaus. Ruth warf sich auf -die Schachtel. Gustav kehrte ihr den Rücken zu. Sie streifte das Band -los, schob den Deckel weg, seine Schrift -- und der große Schnörkel bei -»Liebe«. Eine dunkle Tür tat sich auf. Sie bekam einen brennenden Schlag -auf die Hand. Und da wurde es licht, schreiend licht, grell, schmerzhaft -... - -Mutter schrie etwas, das sie nicht verstehen konnte. Und nahm die Briefe -und ging hinaus, wutentstellt. - --- Onkel Gustav, sagte Ruth ruhig und ernst und totenblaß. Von wem waren -diese Briefe? - -Gustav zitterte am ganzen Leib: -- Warum machst du solche Sachen, wenn -Mutter es verbietet. Von wem die Briefe sind. Ich weiß es wirklich -nicht, wirklich nicht. - --- Onkel Gustav, wiederholte Ruth und trat ganz nahe zu ihm hin. Du -weißt das alles. Aber wenn du es nicht sagen willst, wenn du dich nicht -traust, so werde ich es sagen: in diesen Menschen war Mutter verliebt. - -Ihre Stimme klang wie höhnende Beleidigung in dem dämmernden Zimmer. Die -Worte fielen abgehackt in das Dunkle und Mutters Rechenbücher lagen auf -dem Schreibtisch im hintersten Winkel. - --- Danach habe ich dich nicht fragen wollen. Aber eines mußt du mir -sagen, wann war es, du? -- und sie kniete neben ihm und krallte die -Finger ein in seinen willenlosen Arm -- wann? war ich damals schon groß, -wie alt, ein kleines Kind? sag, du mußt! - --- Du warst ganz klein, eben zur Welt gekommen. - -Ruth sah vor sich einen Horizont, der in gerader Richtung in die Höhe -steigt. Wo es nicht rechts gibt, nicht links, nur das Oben. Und das -Oben, der Blick, das Band, das glatte, weiche Band. - --- Weiter, sagte sie hart -- und früher? - --- Er sagte dein Schicksal voraus aus den Sternen, erzählte Gustav, der -ins Schwätzen kam, -- als Mutter dich erwartete. Deshalb ist er auch so -viel zu euch gekommen. - -Ruth empfand in sich eine graue, steinschwere Halle, die sich selbst -erdrücken wollte und nur getragen wurde durch ihre entsetzliche, hohe -Leere. Wo verschnörkelte Stühle an den Wänden standen, ganz vereinzelt -und wo etwas von ihr war, ein Hauch, ehe sie selbst noch war, und wo er -war, voll und ganz, nur daß man ihn nicht sehen konnte. Diese Halle, die -sie aus den frühen, angstvollen Dämmerstunden kannte. - --- Wann ging er weg, fragte sie kurz. -- Bald darauf. Er nahm ein Teil -von der Erfindung deines Vaters und verwendete sie für seine Zwecke. Er -hat viel damit erreicht. Aber natürlich wollte ihn dein Vater nicht mehr -sehen. Er ist übrigens von selbst nicht gekommen und -- - --- Schweig, unterbrach sie ihn. Sie fühlte sich umgeben von lauter -schwarzen, weichen Bändern und Spagatschnüren, die alle ineinander -übergingen. Fesseln, Fesseln. - -Und aus ungeheurer Tiefe heraus quillt dunkel empor eine formlose Masse. -Die sie nicht modeln darf. - -Sie ist machtlos. - --- Ruth, bat Gustav erschrocken, wenn Mutter davon erfährt. Nein, das -tust du mir nicht an. Nicht wahr, gewiß nicht. Überdies, das was du von -verliebt sagst, ist natürlich dummes Zeug. Mutter war sehr gekränkt. Er -war doch ein Freund von ihr. Auch von deinem Vater. Und er war jünger -als sie. Und überhaupt, deine Mutter war nie verliebt, überhaupt nicht. -Wie du nur so etwas sagen kannst. Du bist wirklich ein Fratz -- - --- Und du ein Esel. -- Glühende Zornestränen standen in ihren Augen. - -Sie trat an das Fenster. Unten wurden die ersten Gaslaternen angezündet. -Sie stöhnte: was kann ich Mutter geben, was kann ich ihr schenken, alles -schenken, meiner lieben, armen Mutter, Mutter, Mutter -- - -Zum Abendessen kam Mutter mit verweinten Augen. Ruths Hände wurden -eiskalt. Und eine harte Wut überkam sie. Sie haßte alle Weinenden. Nie -konnte Mutter ihr das zeigen. Nein, pfui, das war eine Schande, nein. - --- Was hast du Mutter wieder geärgert, zankte Richard über den Tisch -hinüber. - --- O nichts, erwiderte sie achselzuckend. Wenn Mama so empfindlich ist --- ich kann nichts dafür. - -Sie ging in den nächsten Tagen, in den nächsten Monaten an ihrer Mutter -vorbei, ohne sie zu sehen. Aber in den Nächten erlebte sie alle ihre -Schmerzen hundertfach wieder. Sie vergaß die eigene Sehnsucht vor der -Sehnsucht, an der Mutter litt, die eigenen Qualen vor Mutters Qualen und -ihren großen Zorn vor Mutters unsäglichem Schmerz, der ja so nicht zum -Ausdenken furchtbar sein mußte, weil er nicht wagte sich zu erkennen, -sich einzugestehen, weil Mutter täglich über den Rechenbüchern saß und -die Liebe zu ihren Kindern für ihren einzig würdigen Lebenstrieb -erklärte. Und der doch so an der Oberfläche war, daß Mutter es sie sehen -ließ, als sie weinte. Nein, deshalb mußte sie Mutter bei Tag ausweichen. -Und wieder in die kleinen Vorstadtgärten fliehen. - -Zuhause aber wurde sie unerträglich. - -Als Mutter einmal einem Gast bei Tisch eine glänzende Schilderung -Großvaters gab, der ein Kavalier war vom Scheitel bis zur Sohle, nur von -Geld habe er freilich wenig verstanden, warf Ruth ein: -- er muß ein -roher, betrunkener Mensch gewesen sein. Daß er seine Bedienten geprügelt -hat, finde ich ekelhaft und ich ärgere mich noch heute darüber, daß er -das ganze Vermögen verspielt hat. Es ist doch gräßlich unintelligent, -wenn einem fremde Pferde mehr wert sind als die eigenen Kinder. - -Und Ruth sagte, wenn Mutter Hexenglauben und Wahrsagerwesen als -Schwindel und Unsinn verdammte: -- Ich glaube bestimmt an alles -Übernatürliche -- obwohl sie überhaupt nichts glaubte und ihr Leben -nahm, wie der Tag es hinstreute, mit einem Grauen, das zu tief war, um -über sich selber nachzudenken. - -Und Ruth sagte: -- Ich gehe in die Kirche, nicht weil ich muß, sondern -damit die Leute sehen, daß wir auch Christen sind. -- Dabei ging sie -überhaupt nie zur Kirche. - -In diesen Tagen konnte sie nichts essen als altes Brot und harte, -unzerbeißbare Dinge, an denen sie sich die Kiefer wund riß. Ein -fortwährendes Übelsein drückte ihr den Magen leer. Und die große -Bosheit, die in ihr war, würgte die Kehle, zerfraß die Haut und zehrte -an den braunen Kinderhänden. - -Sie wußte nicht, ob diese Bosheit etwas ihr eigenes war. Oder ob sie sie -mitgebracht hatte aus dem Zimmer mit der braunen Holztür. Oder ob es die -Bosheit des Schicksals war, das sie zwang, Sprachrohr zu sein für ein -unterdrücktes Leben, unterdrückte Sehnsucht und unterdrückte Kraft. Nur -Sprachrohr oder war noch etwas in ihr, das ihr die Augen offen hielt mit -großen, weichen, weißen Händen. Daß sie nicht einmal blinzeln konnte und -nur die heißen Tränen brennen fühlte. - -Sie ließ von dem müden Druck der Spätsommernächte den Kopf in ihr -kleines Kissen pressen. Und sie bohrte das Gesicht hinein, um nicht -denken zu müssen. Sie sehnte sich maßlos nach einer Bonne, die sie als -dreijähriges Kind gepflegt hatte und täglich vor dem Einschlafen an -ihrem Bett gesessen war. Wenn die wieder hier sein könnte, wäre alles -besser. Sie wußte nicht mehr, wie das Mädchen ausgesehen hatte, aber sie -erinnerte sich an eine kühle, behutsame Hand und weiße Mullgardinen vor -dem Fenster. - -Wenn sie aber Mutters Stimme aus dem Nebenzimmer hörte, sagte sie -halblaut in das heißgehauchte Kissen hinein: er ist ein Schuft -- ich -liebe ihn -- er hat Vater bestohlen -- ich liebe ihn -- er hat uns -gemordet -- ich liebe ihn -- er hat unsere Zimmer trüb und drückend -gemacht und unser Leben mißtrauisch und eng -- ich liebe ihn -- er sucht -das Böse, weil das Licht ihn verlassen hat -- ich liebe ihn -- ich habe -ihn immer geliebt -- ich liebe -- - -So das Sprachrohr. Und unter dem Bett lag, staubdick geschichtet, -wehrlose Wut. - - - - - Onkel Gustav - - -Onkel Gustav war klein. Er war nur ein ganz wenig kleiner als die andern -und doch glaubte er, an ihnen hinaufsehen zu müssen. Er spielte Geige. -Um ein klein wenig schlechter, als man spielen muß, um ein helles Leben -zu haben. Er malte. Und es hätte nur eines Funkens Kraft, eines -Fußtritts Persönlichkeit bedurft und er wäre ein großer Künstler -geworden. So war er klein, sogar sehr klein. - -Ein Sprung und er hätte den Gipfel erreicht. Zu diesem Sprung kam er -nie. Und so blieb er hoch oben hängen, über dem Abgrund. Und die von -unten lachten ihn aus. - -Als Onkel Gustav drei Jahre alt war, waren es seine Zartheit, seine -rührend fragende Stimme, seine samtenen, etwas zu großen Augen, die -seine träge Mutter das erstemal in ihrem Leben lebendig machten. - -Sein Vater behandelte ihn wie einen überempfindlichen Rassehund. Die -Mutter liebte seine glänzenden Locken. Und die große Schwester stürzte -sich auf ihn in zügelloser Leidenschaft. Die vielleicht nicht ganz ihm -galt, sondern auch der Freude zu herrschen, herrschen zu dürfen über -einen andern, während ihre fordernden Finger sich krümmten unter der -Zuchtrute des väterlichen Hauses. - -Onkel Gustavs zarte, etwas bräunliche Haut hatte einen leicht verwelkten -Geruch an sich. Der angenehm war, wie der Duft ermüdeter Rosen. Und -lähmte. - -Vor dem Hause seiner Kindheit war ein tropisch üppiger Garten gewesen. -Und alles wurde verspielt. - -Gustav wußte nie, was wirklich um ihn vorging. Das teilte er mit der -Schwester. Sein Zuhause war ein Königschloß, Vater der König, Mutter die -Königin, ganz wie im Kindermärchen. Und die große Schwester erklärte ihm -die Welt. Die richtig gezeichnet war, nur mit zu langen Strichen. So daß -überall spitze Ecken waren und Anhängsel. Doch das konnte er nicht -wissen. - -Er hatte eine runde Kopfform. Eine runde, etwas kindische Nase, runde -Augen. Er geigte in weichen, abgerundeten Tönen, die nicht zu Ende -kommen wollten. Mischte auf seinen Bildern mollige, runde Wolken -ineinander und seine griechischen Vokabeln bissen eine in die andere, -immer im Kreis. - -Im Gymnasium war er durchgefallen. Vater verachtete ihn. Mutter weinte. -Die Schwester erklärte, er sei ein Künstler und die Prüfer gehören -gehenkt. - -Die Dienstboten verspotteten ihn. Seine Kameraden gingen mit ihm um wie -mit einem verwachsenen Kind. Aber er hatte einen Freund, der groß und -stark war, etwas zu klug und ganz gemein blond. Der studierte ihn genau. -Bis er mit derselben nachlässigen Gebärde die Schulbücher über den Tisch -warf, die Haare, genau wie er, etwas zu lang in den Nacken trug und eine -ebenso tolle Zusammensetzung französischer Gassenhauer pfeifen konnte. -Dann verließ er ihn. Er galt für sehr interessant. Und kam bei allen -Prüfungen durch. - -Alte Damen hatten ein unverschämtes Bedürfnis, sich Gustavs anzunehmen. -Der Kondukteur der Straßenbahn behandelte ihn mitleidig lächelnd, weil -er ihm zu viel Trinkgeld gab. - -Aber alle Hunde hatten ihn gern. Weil er nicht besser sein wollte als -sie. Er liebkoste sie wie eine fremde, seltsame Sache, der man nicht zu -nahe gehen dürfe, er respektierte sie. Als er sehr klein war, sagte er -den großen Jagdhunden seines Vaters »Sie«. Später sprach er nicht mehr -mit den Hunden. Er wußte, daß sie ihn nicht verstanden. Aber er lebte -mit ihnen und sie durften ihr eigenes Leben führen. Was ihm versagt war. -Das wußte er nicht. Sie saßen neben ihm beim Schreibtisch, wenn er -schrieb, neben ihm, wenn er aß, sie lagen neben seinem Bett. Sie hatten -alle keine Namen. Aber seine Schwester gab ihnen englische Sportsnamen. -Er konnte nichts dagegen machen. - -Junge Frauen liebten ihn plötzlich und stürmisch. Ja, sie verehrten ihn -sogar. Er sah in jeder eine Mutter Gottes. Und sie waren sein Stolz. - -Er hatte eine Schreibtischlade voll Liebesbriefen. Davon wußte die -Schwester nichts. Er hob das nicht auf aus Eitelkeit. Aber wenn er -hungrig war und erfroren, nahm er sie vor und wurde warm und glücklich. -Er lebte von dem Glauben der Frauen an ihn, der immer gar zu rasch -verflogen war. Das wußte er nicht. Als er achtzehn Jahre war, verliebte -sich eine blonde, junge Wilde in ihn. Sein Vater wollte ihn gerade durch -die Schule zwingen. Sie kam ins Haus und erklärte wutsprühend, er -brauche keine Prüfungen, er käme in die Fabrik ihres Vaters, er sei -geboren, Massen zu lenken, so wie er unlängst mit dem Werkführer -gesprochen ... - -Es gab Augenblicke in Gustavs Dasein, die wie rote Raketen emporstiegen, -leuchtend, hoch. Und dieses falsche Feuer durfte sein Leben erwärmen. -Denn er hatte ein gläubiges Herz. - -So ein Augenblick war es, als sie, die blonde, junge Wilde vor seinem -Vater stand. Sie war überflutet von einer weißgelben Märzsonne. Und -draußen schmolz der Schnee. Sie schlug mit ihrer etwas zu großen Faust -auf den Tisch, daß die Gläser klirrten und die dunklen Eichenmöbel ganz -verwundert schienen. Vater war auch ganz verwundert. Und er selbst war -so glücklich, daß er vergaß, um was es sich handelte. - -Dann war er drei Wochen verlobt. Länger ließ es die Schwester nicht zu. -Denn sie wußte ja, daß er ein großer Künstler werden würde. Und da -glaubte er es auch. Die blonde, junge Wilde heiratete später einen -Ofenröhrenfabrikanten. - -Gustav konnte nicht über die Straße gehen, ohne daß sich ein blondes -Mädel an seine Rocktaschen hing. Und er liebte sie alle. Nur wußte er -nicht, sollte er sich so benehmen, wie seine Freunde es taten oder sich -der strengen Moral der Schwester fügen. Während er sich das überlegte, -verschwand das blonde Mädel. - -Eine grobknochige Malerin hatte ihn in einer Ausstellung untergebracht, -sechs Wochen lag er in ihrem Atelier herum, als ihr erklärter Liebling. -Ihre Freundinnen stutzten seine zu langen Locken. Und ihre wilden -Umarmungen standen wie riesige Raketen auf seinem Lebenshimmel. Dann -holte ihn die Schwester. Die Malerin reiste nach Paris. - -Sein Zimmer wurde immer enger. Vater und Mutter waren tot. Das viele -Geld fort. Er wußte nie genau, wie es gekommen war. Er bastelte eine -eigene Liegestatt für seinen großen Terrier. Schrieb eine -rechtsphilosophische Abhandlung, lernte indisch. Des Abends ging er zu -seiner Schwester. Sie setzte ihm auseinander, er sei ein verfolgter -Märtyrer seiner Kunst. Sie schmiedete die schwierigsten Intriguen gegen -seine Feinde, schickte ihn zu großen Herren betteln. Schrieb Gesuche für -ihn. Er empfand ihre Geschäftigkeit angenehm um sich herumspülen, wie -lauwarmes Wasser. Und steckte die Finger hinein und spielte drinnen mit -den Zehen. Trank Limonade und hielt die Kinder auf seinem Schoß. Nach -jedem neuen Schicksalsentwurf, den sie machte, ging er lächelnd -nachhause. Seine dunkle, schmutzige Straße beleuchteten grellrote, kalte -Lichtfetzen. Und in seinem Zimmer waren Wanzen. - --- Du mußt nicht so ungeduldig sein, sagte er zu der Schwester, wenn sie -klagte und in verzweifelt großen Schritten durch das Zimmer jagte, -- -nein, schau, eigentlich sind wir -- er sagte immer wir -- stark im -Hinaufsteigen begriffen. Die Exzellenz hat mir versprochen, ich bekomme -die Violinstunden bei dem jungen Prinzen. Also, bin ich dort, dann ist -alles fertig. Ich spiele im Salon vor. Lauter Fürsten und solche Leute. -Man arrangiert ein Wohltätigkeitskonzert. Ich bin dabei. Dann kann -überhaupt niemand anderer für die Dirigentenstelle in Betracht kommen. -Setze ich dann erst meine Kompositionen durch -- du wirst schon sehen. -Überdies habe ich die größten Aussichten, daß meine Feuilletons gedruckt -werden. Ich habe zwar erst eines, aber die andern sind fertig im Kopf. -Wart' nur, nächstens bring ich dir die Zeitung. - -Eines Abends kam er bleich vor Erregung: -- Ich bin an einem technischen -Unternehmen beteiligt. Eine Riesensache. Ich darf es nicht näher sagen. -Ich glaube, ich habe auch schon eine Erfindung gemacht. Aeroplan. - -Drei Monate später hatte er sein letztes Geld verloren. Ein Zufall -verschaffte ihm eine Stelle als Zeichenlehrer in einer Provinzstadt. Die -Schwester war böse. Warum hatte er ihren Rat nicht befolgt, nicht das -Gymnasium gemacht? - -Gustav kam in eine Welt, die aus Fabrikschloten bestand und holprigen -Gassen. Grauem Nebel, einem grauen Haus, feucht riechenden Kleidern, -kaltem Rauch. Er mußte täglich eine halbe Stunde in der Früh in die -Schule gehen. Mit zerrissenen Sohlen und fadem Kaffeegeschmack. Er ging -durch eine gerade, lange Straße voll Schwerfuhrwerken mit fluchenden -Kutschern, schrillen Schulkinderschreien, Papierfetzen. Er fürchtete -sich vor seinen Vorgesetzten, wie als Kind vor den Lehrern. Er konnte -die Vorschriften so wenig erlernen, wie als Kind die Aufgaben. Er -fürchtete sich vor seinen Schülern, die ihn verachteten, weil er mit -ihnen höflich war. - -In der Stadt hieß es allgemein, er schreibe ein Drama. Ein ganz -modernes, verrücktes. Er bekam vier Liebesbriefe von höheren Töchtern. -Die er sorgfältig aufhob in der bewußten Lade. - -Die Tochter seiner Hausfrau liebte ihn. Sie war stark geschnürt und -hatte Blumen auf dem Hut, die aussahen wie von Papier. Und sie brachte -ihm täglich das Frühstück. Auch bat sie ihn, ihr Zeichnungen zu machen, -nach Photographien gewesener Liebhaber. Was er geschickt und sorgfältig -ausführte. Aber sie war nie ganz zufrieden. Er merkte es nicht. Aus der -Bluse heraus guckte färbige Unterwäsche. - -Eines Abends war er bei seinem Direktor eingeladen. Das Zimmer war zum -Ersticken rauchig. Die Frau des Direktors hatte eine hart abgerundete -Stimme. Sie sprach sehr laut. Und am meisten mit einem breitschultrigen -Mathematikprofessor. Von Gustavs Anwesenheit schien sie überhaupt nichts -zu bemerken. Gustav dachte: unangenehm, daß sie so eine weiße Haut hat. -Wie ein frisch enthülltes Denkmal. Oder Stiegen, die einen schwindeln -machen. Auch schaut sie nach allen Seiten auf einmal, als ob sie -vierfach schielte. Wie sie wohl aussieht wenn sie schläft ... Und dann -sehnte er sich nach seinem Terrier und dachte nach, ob der Ofen in -seinem Zimmer schon ausgegangen sein wird, bis er nach Hause kommt. Als -er fort ging und schlaftrunken über die dunklen Stiegen taumelte, rief -ihm die Direktorsfrau nach: -- Hallo, Sie, Herr Zeichenlehrer, oder wie -Sie heißen, vergessen Sie Ihren Hut nicht, da, gute Nacht! -- Er fühlte -einen heftigen Schlag auf das Hinterhaupt und am nächsten Morgen eilte -er sich, in die Schule zu kommen, vielleicht steht die Frau des -Direktors beim Fenster, vielleicht geht sie gerade Einkäufe machen ... -vielleicht ... - -Er erzählte den Jungen von der griechischen Kunst, daß selbst die -Dümmsten und Klotzigsten Augen und Ohren aufrissen. Er sprang über das -Reck im Turnsaal und kaufte seinem Hund eine Extrafleischportion. Er -merkte nicht, daß der Nebel ihm ins Zimmer kroch und der Ofen rauchte. - -Zu Weihnachten bat ihn der Direktor, seine Frau zu zeichnen. Er saß in -einem warmen Zimmer, mit glatten, dunklen Möbeln und loderndem Kamin. -Brand, raketenroter Brand. Vor dem Fenster der geradwegige Schulgarten, -abgerundet im Schnee. Sie saß vor ihm mit einer Handarbeit, weiß und -überreif, wie eine süße, tropische, wie eine ungekannte, ungeahnte -Frucht. Das Zimmer roch nach Mandelblüten. Und ihr Haar war schwarz und -zu glatt nach hinten gelegt. - --- Sehen Sie, sagte er, hier kann man zeichnen. Das ist doch was anderes -als zuhause, immer kalt, und wenn ich meinen Hund nicht hätte, -- es kam -ihm vor, als ob er etwas Unpassendes gesagt hätte, er wurde dunkelrot -und machte einen Strich quer durch die ersten Umrisse ihres großzügigen -Gesichtes. Sie sah ihn an, beobachtend, wie ein neues Möbelstück, ob es -brauchbar wäre. Und er dachte: nein, die hält mich nicht für groß, nein, -die hebt mich nicht in den Himmel, sie traut mir gar nichts zu, rein gar -nichts. Und sie hat recht. Einen Augenblick dachte er in glühendem Haß -an seine Schwester. Und dann: Es ist alles eins. Aber ich zeichne sie -jetzt nur einmal und dann nie mehr. Ich zeichne sie, wie sie ist, o so -ganz, wie sie ist. - -Und aus dem grauweißen Papier heraus wuchsen, Zug um Zug, unterdrückte -Entbehrung und uneingestandene Wünsche. Der bleiche Widerschein ihres -Körpers und Mandelduft. Das Gefängnisgitter ihres Kinderbettes und der -Brief, mit dem sie die Werbung ihres Mannes beantwortet hatte. Gustav -wußte alles und er, der nur sein eigenes unechtes Bild gekannt hatte und -die blonden Madonnen mit den Liebesbriefen, er sah ein Leben vor sich -und wieder aufwachen und bluten unter seinen Händen. - --- Bring dem Herrn Professor eine Schale Tee, sagte sie zu ihrem kleinen -Sohn, der etwas hervorstehende Augen hatte, wie sein Vater. Ihre Stimme -war wie Schläge gegen das Hinterhaupt. Da war die Zeichnung fertig. - -Sie wurde rot, als sie sie sah. Und sagte nur Danke. Gustav ging. - -Er traf sie das nächstemal Anfang Mai in der Dämmerung auf dem Friedhof. -Er ging gerne auf dem Friedhof spazieren mit seinem Hund. Er liebte -Zypressen und fühlte sich so seltsam unbehelligt. - -Die Blätter dufteten nach dem Sich-schon-geöffnet-haben. Die Erde auf -den offenen Gräbern war tiefschwarz. Sie kam ihm entgegen, schimmernd -und licht, wie ein ganz weites und reiches Ährenfeld in der Julisonne. -Ein Schlag auf den Hinterkopf. Er küßte ihre Hand, langsam und -vorsichtig. Sie sah auf dem Weg vor sich dicke, runde Kieselsteine. Die -hervorstehenden Augen ihres Mannes. Aber ringsum die Blätter waren grün -und zart und jung und die Erde schwarz. Sie nahm seinen weichen, -knabenhaft lockigen Kopf und küßte ihn. Große leuchtende Rakete. Und -jeder ging seines Weges. - -Am andern Tag warf ihn seine Hausfrau hinaus. Er hatte nicht beachtet, -daß ihre Tochter ihm durch nunmehr schon zwei Wochen das Frühstück nicht -brachte. Er war ein unanständiger Mensch. Und der Hund machte alles -schmutzig. Auch wollte ein anderer einziehen. - -In der Schule hatte er staatsfeindliche Reden geführt. Sein verrücktes -Drama kam ewig nicht zum Vorschein. Er ging herum wie in berauschtem -Schlaf, in einer andern Welt. Was ihm diese Welt nicht verzeihen konnte. -Er war gar nicht so dumm, wie er aussah, zum mindesten machte er keine -genügenden Dummheiten. Er zog ohne Recht die Aufmerksamkeit auf sich. -Das war unverschämt. Er beantwortete einen Backfischbrief höflich und -herzlich. Die Eltern fingen ihn auf. Die Empörung stieg. Er wurde -hinausgeworfen. - -Als er seine kleine Stube räumte mit dem zu kleinen Eisenofen, der immer -rauchte, weinte er. Er weinte, wie ein kleines Kind, hilflos und lange -mit großen Tränen, bis sein Gesicht verschwollen war und sein Denken -verdumpft. Und er schaute aus dem papierverklebten Fensterchen über -gleichgültige Dächer und Schornsteine in den grauen Nebel. Der das erste -war, was er in seinem Leben frei und allein gesehen hatte. Denn hier war -die Schwester nicht dabei gewesen. Und der fade Ruß deckte nur eine -weiße üppige Blässe, ein unendliches Ährenfeld weit, weit dahinter im -Winde. - -Er konnte nicht atmen in den letzten Tagen. In seiner Kehle saß das -Hierbleibenwollen. Er verteidigte sich gegen niemanden, er sprach mit -niemandem, er haßte niemanden, er sorgte nur für das Essen seines -Hundes. Er liebte jedes Schild den weiten Schulweg entlang. Die -Buchstaben standen schwarz und steif auf dem nicht mehr weißen -Hintergrund. - -Es war unmöglich abzureisen. Es war unmöglich zu bleiben. - -Und er sah sie nicht mehr. - -Da traf er einen erwachsenen Schüler auf der Straße, der ihn grüßte. -Einen großen, etwas dummen Menschen mit treuen Bewegungen. Er sprach mit -ihm. Und bat ihn, ihn zum Bahnhof zu begleiten. Er kaufte ein Billet. So -mußte er reisen. - -Und er sah sie nicht mehr. - -Er saß in der Bahn an einem nachtschwarzen Nachmittag, in dem stickigen -Dritter-Klasse-Kupee, zusammengepfercht mit Fabriksarbeitern und -wichtigen Kleinbürgern. Unten fror man entsetzlich in den Füßen und oben -fraß sich schmieriger Zigarrenrauch ins Gesicht, der noch den Speichel -aller der ungepflegten Münder in sich hatte. - -Gustav fühlte sich hier wieder groß. Er wußte, daß alle die Leute um ihn -herum nicht einmal ahnen konnten, welche Schmerzen er litt. Er fühlte -sein Schicksal unbändig schwer und mächtig vorne auf den Schienen -liegen. Die Lokomotive stapfte mit ihrem eisenharten Leib darüber hin. - -Eine süße Wollust betäubte ihn. Sein Vater mußte einmal eine sehr schöne -Frau geliebt haben. Und er schlief ein. - -Dann war er wieder ein kleiner, verschreckter Bettler, der zu seiner -Schwester ging und sich von ihr auszanken ließ mit harten Worten. Deren -Ungerechtigkeit er wohl kannte. Und die er nicht beantwortete. - -Er verstand nicht, sich zu ernähren. Und auch nicht, zu verhungern. So -ließ er sich in die Mittelschule der Stadt hineinprotegieren und ging -Mittwoch und Samstag zu seiner Schwester essen. Dort war er nicht mehr, -als Mutters Bruder, ein höheres Wesen, sondern trotzdem er Mutters -Bruder war, ein trauriger Narr. Man war gut mit ihm. Und Richard und -Martha wurden sehr herablassend. - -Eines Tages, als er einige Heller mehr hatte als nichts, ging er an -einer kleinen Ansichtskartenhandlung vorbei. Das ganze Fenster war voll -grellfarbiger Gebirgslandschaften, schmachtender Mädchenköpfe, -Blumenstücke, Liebesszenen. Er liebte Ansichtskarten. In seinem Zimmer -hingen immer abwechselnd sechs Stück an der nackten Wand. Nicht mehr und -nicht weniger. Mit Reißnägeln befestigt. - -Er ging in das Geschäft und unterhandelte lang mit der kleinen, blonden -Verkäuferin. Dann kaufte er ein weißes Kaninchen auf grasgrünem -Hintergrund. Obwohl er selbst es häßlich fand. - -Er kam wieder jede Woche, jeden Tag. Gisa, die kleine Verkäuferin, hatte -zu wenige und zu lichte Haare und dumme kleine Zähne, die übereinander -lagen. Sie war nicht mehr ganz jung und doch kindlich zart. Sie liebte -ihn und er fror alle Abende allein in seinem dunklen Zimmer. - -Er zeichnete Ansichtskarten für das Geschäft. Eines Abends, als sie ihm -zusah, küßte er sie auf die Stirne. Sie lehnte sich an ihn und sagte, -sie seien verlobt und ihr häuslicher Herd werde ein Paradies sein, wie -keines in der Welt. Er war erstaunt und sehr glücklich. - -Sie waren lange verlobt. Sie verehrte seinen Geist und seine Kunst und -plapperte ihm alles nach. Es kam drollig heraus, in ihrem Deutsch, das -vom Dialekt nicht ganz zu reinigen war. - -Er war glücklich. Nur konnte er zornig werden, wenn ihr Bruder, ein -Soldat, nach Wirtshaus roch und ihre Mutter wollene Strümpfe auf den -Tisch legte, auf dem eine goldene Vase mit verwelkten Gräsern stand. -Dann schlug er auf den Tisch mit der Faust. Sie weinte hysterisch und zu -laut. - -Sie hätten sicher geheiratet, wenn er das Geheimnis ihrer Verlobung -nicht doch zu zeitlich Mutter verraten hätte. Sie zog ihn vor das Grab -seines Vaters und beschwor ihn, seinen toten Eltern diese Schmach nicht -anzutun. An sein väterliches Haus zu denken. An seine Erziehung. Er floh -vor ihr. Sie ließ nicht locker. Sie holte ihn von der Schule ab, sie -lauerte des Abends auf ihn vor der Haustür. Es kam zu häßlichen Szenen -zwischen ihr und Gisa, wo er kaum die einzelnen Worte verstand und sich -fragte, ob man denn so schreien könne, ohne betrunken zu sein. - -Und Mutter siegte. Mutter war die Stärkere. Mutter war sehr stark. - -Er aber schrieb, als alles endgültig vorüber war, seinen ersten und -einzigen Brief an die Frau des Direktors. Er wollte ja nur wissen, ob -sie lebe, ob sie gesund sei, ganz gewiß gesund. Es war vielleicht ein -wunderbarer Brief. Der nie beantwortet wurde. - -Das war vor einigen Jahren. Seither führte man Gustav nicht in das -Zimmer, wenn Gäste da waren. - - * * * * * - -Ruth ging an einem staubigen Spätsommerabend durch den großen, -öffentlichen Park. Die Blätter hingen welk an den Bäumen, zu kraftlos, -um sich abzubröckeln. Und zogen alle Säfte nach unten. Während graue -Dämmerung die Wipfel drückte. - -Auf den braungelben, eisernen Klappsesseln saßen in langen Alleen -Liebespaare. Die Sesselfrau humpelte zwischen ihnen herum und -kontrollierte sie. Und jedes hatte ein Gegenüber. Das saß schon dort -seit Mai und nichts hatte sich geändert. - -Vom Kaffeehaus herüber spielte die Kapelle Ouvertüren und -Operettenlieder. Eintönig und zu rasch. Alles war hier so langsam und -müde. Runde, dunkle Holzreifen trennten den Rasen vom Weg. Aber der Kies -lag verstreut noch weit im grauen Gras. - -Ruth dachte daran, daß sie möglichst spät nach Hause kommen wollte. Daß -sie vergessen hatte, die Schuhe vom Schuster abzuholen. Daß sie ihren -neuen Koh-i-noor verloren hatte. - -Ihre Sohlen spürten, daß sie bei jedem Schritt in dem zerwühlten Sand -etwas hinter sich ließen, das dunkel war und weich und wenn man ganz -hinsah, tief hinunterging. Abgrund. Und ein chemischer Geruch aus -trübgelben Phiolen. Eine Beethovensonate, die gerade verklang und doch -lebte, obwohl sie ohne Verständnis gespielt worden war. - --- Guten Abend, Onkel Gustav, sagte Ruth, tottraurig. -- Guten Abend, -Ruth, bist du auch hier. -- Der große Terrier preßte sich dicht an -seinen rechten Fuß. - -Sie setzten sich in eine Allee, in die das gelbe Licht der Gaskandelaber -nicht mehr dringen konnte. Ruth zeichnete mit der Fußspitze in dem -bleichen Sand runde, dunkle Furchen. Sie sagte: -- Weiß Gott, wer da -heute schon ausgespuckt hat! - -Der Terrier bekam auch einen Stuhl und legte den Kopf auf Onkel Gustavs -Schulter. - -Sie dachte, es sei doch langweilig hier zu sitzen mit Onkel Gustav und -was wohl Richard dazu sagen möchte. - -Da sagte Onkel Gustav leise: -- Sie werden böse sein, wenn du zu spät -zum Abendessen kommst. - --- Ach was, jetzt bleib ich hier. Was mir schon daran liegt. -- Das -solltest du nicht tun, Ruth, sagte Onkel Gustav mit sanfter, fast -demütiger Stimme. -- Warum kränkst du Mutter in letzter Zeit so viel? - -Ruth ärgerte sich rasend über diese, seine Stimme. -- Was soll ich tun, -sagte sie hart, mir alles gefallen lassen, so wie du? - -Onkel Gustav schwieg. Dann murmelte er: -- Du hast recht. Und dann -wieder, nach einer Pause. -- Nimm dich in acht! - -Sie schämte sich für ihre Worte. Und flüsterte nur: -- Aber du. - --- Ich, Ruth, -- und sie spürte sein Lächeln durch die Dunkelheit, daß -ihr war, als könne sie nie wieder froh werden. -- Nein, mit mir ist -nichts mehr zu machen. Du mußt jetzt nichts andres sagen, Ruth, nein -wirklich nicht. Nicht heute. Vielleicht bei Tage, wenn wir uns auf der -Straße treffen oder wenn ich bei euch bin und Richard ist unverschämt -mit mir. Dann weiß ich auch nicht, was ich jetzt weiß, denn ich bin sehr -schwach. - --- Aber so reiß dich doch los, schrie Ruth, daß der Terrier erschrocken -auffuhr. - -Die Gebüsche hinter ihnen waren näher gekrochen. Legten sich ihnen fast -auf den Rücken mit all der toten Hitze, die sie den Sommer durch -verschluckt hatten. Ganz nahe. Und schwer. - --- Du mußt acht geben! wiederholte Onkel Gustav dumpf. Und ihr war, als -sähe sie dicht neben sich, in einem alten verblichenen Spiegel, ihr -eigenes Bild. Kaltes Grauen machte die Finger steif. - --- Von mir darfst du nicht sprechen, fuhr er fort. Stell dir einen -Wurzelbund vor, den die Erde ganz fest in sich hineingefressen hat. Nie -mehr herausziehen. Manchmal glaub' ich, es gibt irgendwo um mich herum -ein Fenster, wenn ich da durchsehen könnte, ich sähe alles richtig. Aber -Mutter hat das nicht zugelassen. Ich mußte alles durch ihr Fenster -sehen. Das ist nicht aus reinem Glas. Deshalb haben meine Bilder auch -etwas Verzeichnetes. Du mußt achtgeben, Ruth! Wie du mir da -entgegengekommen bist, ich bin erschrocken; du hast mir so ähnlich -geschaut, es war derselbe Rhythmus im Schritt, eigentlich kein Rhythmus. - --- Onkel Gustav, ich habe dich sehr lieb. - -Es war ganz dunkel geworden. Und die nächsten Bäume in der Allee standen -wie wachende Ungeheuer, riesengroß, verworren, unankämpfbar. - --- Ich fürchte mich, sagte Ruth in der entsetzlichen, toten -Beklommenheit. Hier, vor allem. Aber noch mehr, wenn wir weggehen. Die -Menschen drüben im Kaffeehaus bei der Musik, sie sind nur dort so glatt -und unschädlich. Wenn sie jetzt hieherkämen, sie wären wie die Räuber im -Wald, Verbrecher -- - -Sie konnte ihn nicht mehr sehen. Und er sagte keuchend, kaum hörbar: -- -Die Blätter faulen im Erdboden, damit die Wurzeln Nahrung bekommen. Die -Tiere fressen einander auf. Und die Menschen, Ruth, sind alle Mörder. -Aber unsere Nächsten -- hörst du, Ruth, hörst du, -- unsere Nächsten, -das sind unsere nächsten Mörder. Doch das darfst du Mutter niemals -sagen! - - - - - Mittagessen - - -Bevor man zu Tische ging, rückte Mutter alle Teller noch einmal zurecht -und die Stühle mit den ledergepreßten Lehnen. Dann stand alles schief. - -Ruth haßte unaufgeräumte Zimmer. Wie schmutziges Wasser, Ungeziefer, -weggeworfene Zahnstocher. Ihr war jeden Morgen übel. Sie konnte nie das -Frühstück essen. Immer empfand sie eine dumpfe Verantwortung in sich: -mach' es gut, mach' es rein, mach' es hell. Aber der Widerwille ihrer -braunen Kinderfinger, die sich weiche Öle wünschten, hinderte sie an -jedem Handgriff. Wenn das Mädchen dann aufgeräumt hatte, fand sie alles -kalt, leer und fremd. Mutter sagte: -- Warum hilfst du nie mit? -- Sie -gab mit ihren ungemessenen Bewegungen der Wohnung »den letzten -Anstrich«, wie sie es nannte. Und dann -- nun dann stand eben alles -schief. Aus den Dingen heraus kroch eine seltsame verborgene Unruhe. -Alle Ecken wurden zu lang, Ruths Gestalt zu schmal, zu knochig in den -hohen Räumen -- tastend und auch schon verzeichnet. - -Wie hatte Onkel Gustav gesagt: -- nimm dich in acht! Vor wem, vor Mutter --- vor Onkel Gustav -- dunklen Zimmern -- dämmernden Spätsommergärten -- -vor ihrem eigenen flüchtenden Spiegelbild -- vor wem? - -Was war geschehen? Mutter rückte heute die Teller zurecht. Die große -Speisezimmeruhr, mit ihrem lichtmetallisch harten Klang streckte den -langen Zeiger auf fünf bis vier Minuten vor Eins. Also genau wie immer. -Sie, Ruth, stand beim Fenster, die Zeitung in der Hand, die sie doch nie -las -- genau wie immer. - -Kann man denn da gar nichts machen? Die breite, bürgerlich grüne -Hängelampe zerschlagen, etwas in sie hineinwerfen. Am liebsten die -eigene lebendige Faust. Oder die dummen Suppenlöffel neben den -geduldigen Suppentellern. Etwas machen, das hineinfährt, wie ein Blitz, -wie ein Schrecken, wie eine Erlösung in dieses Wie-immer. - -Und sie hatte es ja nie gewußt. Sie saß dort an dem großen -Familientisch, immer an demselben Platz. Viele Jahre hindurch. Und war -klein und zart und viel zu jung -- ganz wie immer. Sie hatte es nie -gewußt. - -Als Kind hatte sie geweint in der Frühlingsdämmerung. Und sich geekelt, -wenn Mutter beim Essen über die schlechte Köchin gejammert hatte. Aber -dann kam das große, das einzige Gefühl. Noch lag der Druck der grauen -Alltäglichkeit tief in ihr eingegraben in weichem Grund. Aber hoch -darüber hinaus jauchzte eine selige Hingabe. Was sonst um sie vorging, -ließ sie ruhig, kostbar verantwortungslos ruhig. Ihr Leben war ein -Rahmen geworden, der sich fest und unwillkürlich krampfhaft um das seine -schloß, zärtlich, ohne nachdenken zu müssen, kostbar verantwortungslos. - -Wer hat ihr jetzt eine Maschine in den Kopf gesetzt? Die arbeitet und -wühlt, denkt, denkt, denkt. Aus müdem Halbdunkel herausgerissen, sieht -sie alles mit lichtgepeinigten Augen, grell, schreiend grell, laut. -Höhnend scharfe, wilde Konturen, zu lange Ecken, zu runde Bogen -- - -Es ist ein Verbrechen begangen worden. Etwas Schlimmeres. Etwas noch nie -Geschehenes. Ein Mensch hat sich verloren und sucht sich. Und weiß es -und denkt das durch, ganz durch ... - -Noch einmal ging Mutter um den Tisch und rückte die Teller zurecht und -die ledergepreßten Stühle. Und alles stand schief. - -Sie, Ruth, lehnte am Fenster. Sie wußte es. Und wußte, warum Onkel -Gustav nichts weiter geworden war, als ein trauriger Narr. Wußte, daß -sie selbst, wenn sie jetzt mithelfen wollte bei den Tellern, es genau so -machen müßte wie Mutter, so ungeschickt und doch selbstzufrieden. Daß -sie Mutters ungeduldige Nasenflügel hatte, Mutters dunkle Brauen. - -Sie fürchtet Mutter maßlos. Sie fürchtet sich. Sie möchte sich schlagen, -weil sie Mutters Kind ist. - -Onkel Gustav war da. Wie jeden Samstag. Er hatte einen Freund -mitgebracht. Der war so unscheinbar, daß Ruth ihn erst nach der Suppe -bemerkte und auch da nur, weil Mutter gar so höflich war. Man nannte ihn -von und dann etwas mit »-berg«. Gustav sagte Norbert und du. Er hatte -tadellos gepflegte Nägel und einen festgeklebten hellbraunen Scheitel. - -Richard erzählte vom Geschäft. Die geringste Kleinigkeit war wichtig und -wurde mit Aufmerksamkeit angehört. - -Draußen fällt ein grauer, dünner Regen. So sitzen jetzt an jedem -Mittagstisch die Männer und erzählen ihre Wichtigkeiten. Am Abend gehen -sie in das Kaffeehaus und erzählen sie ihren Freunden. Das ist alles. - -Onkel Gustav sollte den Kopf nicht so vorsichtig zur Seite legen. Das -ist eine Gemeinheit. Wie sagte er vorgestern: Nimm dich in acht. Das hat -er gewagt. Er hat es gewagt, sie zu durchschauen. Dumm wie er ist. Und -jetzt schielt er nur so mitleidig auf sie her. - -Sie senkt den Kopf tief über den Teller. Sinkt ganz in sich zusammen. -Und ißt irgend was, das schmeckt wie graugrüner Kohl. Ist aber etwas -anderes. Sie hört das Klappern der Bestecke und das sinnlose, etwas -faule Durcheinander der anderen über sich. So daß sie wieder fühlt, sie -ist ganz klein und krank und liegt im Nebenzimmer in Mutters riesigem -Bett. Die Tür ist offen, damit man sie schreien hört, wenn sie etwas -braucht. Sie wundert sich über das Aufschlagen der Gabeln in dem -Porzellan, das die kaum verständlichen Redebrocken drinnen begleitet. -Sie möchte schreien und etwas verlangen und traut sich doch nicht. - -Sie fragte Onkel Gustav, ob er letztesmal gut nach Hause gekommen sei. -Es war doch zu gemütlich im Park. Überdies hätte sie einen Haufen -Knochen für seinen Terrier gesammelt. Er solle sie nur vor dem Fortgehen -daran erinnern. Sie wird ihm auch ein Buch zeigen -- - -Sie fragte Martha, was die Schneiderin von ihrem neuen Kleid gesagt -habe. Ob es bald fertig sei. Und wie es aussehe so auf dem Kleiderhaken. -Ob es ihr schon ein bißchen ähnlich sehe -- - -Sie erzählte Richard, daß sein Buch, das er gestern gesucht habe, in -ihrem Zimmer liege, sie wisse selbst nicht wieso -- - -Sie bat Mutter, nicht zu vergessen, die Konzertkarten holen zu lassen -- - -Sie fragte den neuen Gast, ob er gern Kartoffelsuppe esse. Und ob er -noch Gemüse haben wolle -- - -Sie wußte: Wenn ich jetzt schweige, hört man mein Besteck allein auf dem -Teller. In was für einem häßlichen Rhythmus es darauf klopft. Gefräßig. -Deshalb muß ich reden. Alle reden. Wäre es nicht besser, man würde mit -den Füßen strampeln? - -Der neue Gast spricht von seiner Braut. Das heißt, Onkel Gustav spricht -von ihr. Aber es ist klar, daß er eine Braut hat. So jemand hat immer -eine Braut. Und dann kommt die Hochzeit mit Myrte und Schleier. - -Was ist dort oben, nahe der Decke und doch tief unten -- - -Ist es der Rauch aus Onkel Gustavs ewig ausgehender Zigarre. Aber nein, -der raucht ja doch nicht. Man ist erst bei der Mehlspeise. Große, gelbe -Patzen, glitschig in einer lichten Eiersauce. - -Nein, es ist nicht Rauch, aber grau und massig, ineinander überlaufend, -ohne Grenzen. Schwergewichtig und doch oben schwebend. Zu bleich, um es -wirklich sehen zu können. Und doch da. Verbunden mit allen Adern, allen -Sehnen, durch die Fingerspitzen hindurch -- - -Es steigt auf aus Richards kühlen, vorsichtigen Gelenken, wie er langsam -die Mehlspeise zerlegt. - -Aus den hundetreu furchtsamen Augen des Fremden. - -Aus Marthas abgetragener Samtbluse. - -Aus Onkel Gustavs rundem Rücken, aus Mutters lauten Reden. - -Es steigt auf aus ihr selbst, aus Ruth, aus ihrem farblos -schlafsuchenden Vormittag. Und dort oben ist es eng hineingefügt, -schlangenartig umwickelt von all dem anderen, festgebissen. - -Hier um den Tisch herum glaubt jeder, daß er etwas für sich ist. Richard -vor allem, der so klug ist, daß Mutter immer sagt, er muß Bankdirektor -werden oder Finanzminister. Aber das ist gar nicht wahr. Richard gehört -dazu, genau so wie alle anderen, die hier um den runden Tisch schwatzen. -Die sich ähnlicher sind als die eintönigen Ledersessel, auf denen sie -sitzen. - -Da oben ballt es sich zusammen. Viele Kleinschicksale -- ein -Kleinschicksal. - -Da oben schwingt es in einem kraftlosen Rhythmus. Selbstbewußt. In dem -selben Rhythmus, in dem man in das Geschäft geht oder in das Amt oder in -die Schule, wenn man brav gelernt hat. In dem man zum Traualtar geht, wo -man eine anständige Partie macht, in dem man Sonntags am Korso seinen -neuen Hut zeigt, in dem man sich zum Geburtstag gratuliert, in dem man -hinter dem Sarg seiner Lieben geht, in dem man ins Himmelreich hinein -trottet, in dem man -- - -Agnes zerbrach ein Glas. Ein flüchtiger Sonnenstrahl stahl sich durch -den feinen sprühenden Regen über das verschobene Tischtuch. - -Gott sei Dank. Es schadet auch nichts, daß Mutter und Martha böse -Gesichter machten. Auch nichts, daß sie drei Tage darüber unglücklich -sein werden. Gott sei Dank. - -Ruth nickte dem Herrn Norbert von -- und dann kommt etwas mit »berg«, -strahlend zu. Der brauchte doch nicht auch betrübt sein über das -zerbrochene Glas. Er sah sehr unglücklich drein. Wahrscheinlich mehr aus -Höflichkeit. Oder vielleicht wegen irgend etwas anderem. - -Diese Agnes war doch wirklich nicht salonfähig. Zu kräftig. Wenn sie bei -der Tür hereinkam, mußte eigentlich etwas umfallen in den hohen, -schmächtigen Räumen. Durch die bloße Anwesenheit ihrer saftvollen Arme. -Sicher hatte sie an den Kerl gedacht mit den aufgewirbelten, schwarzen -Schnurrbartspitzen. Der immer in der Küche steckte und den Hut nie -herunternahm. Einen riesengroßen, hellgrauen Deckel, der schief über dem -linken Ohr saß, immer ganz gleichmäßig schief über dem linken Ohr. Toll -einfach. Morgen ist Sonntag, sie geht mit ihm zum Karussel, mit -knallblauem Seidenhut und das Werkel spielt -- - -Ruth pfiff, wie man von Tisch aufstand, einen Gassenhauer und konnte -trotz Mutters Entsetzen so nicht aufhören, daß sie in ihr Zimmer lief, -um weiter zu pfeifen. Dort riß sie das Fenster auf. Die Sonne schien -hell. - -Norbert sagte mit seiner zu leisen, fast näselnden Stimme zu Gustav: -- -Deine Nichte Ruth scheint etwas -- nun -- etwas aus der Art zu schlagen. - --- Ruth? ... Gustav war ungeheuer erstaunt -- Ruth, die ist doch wie wir -alle. Er betonte das »wir« mit einer gewissen gesättigten Befriedigung. -Allerdings, sie ist sehr kindisch und ganz unreif, eigentlich viel zu -unreif für ihr Alter, denk nur, schon zwanzig Jahre. Man weiß gar nicht, -was mit ihr anfangen. Übrigens, findest du, daß sie mir ähnlich ist? -- -Nein. - - - - - Geld - - -Mutter war nicht zum Glück geboren. Aber sie hätte eine entthronte -Königin werden müssen. Und in Schmerz und Größe schwelgen. So war sie -kleinlich und mißtrauisch, zankte mit der Köchin um jeden Heller. Und -wurde dann bestohlen, wie überhaupt von allen Leuten des unteren -Standes. Weil ihre Stimme so befehlend schroff war, daß sie sie für -mächtig, Ehrerbietung fordernd und hassenswert hielten. - -Auch Ruth hielt Mutter für mächtig, für allmächtig. Sie stand himmelhoch -über den Dienstboten und Bonnen. Sie besaß die Schlüssel zum -Wäschekasten, zu jener blendenden Fülle weichen, weißen Leinens, die zu -sehen allein schon schläfrig macht wie ein zu heißes Bad. Sie besaß -jeden Silberlöffel, jede Schüssel, jedes Glas Milch so intensiv und -eigentumsdurchsättigt wie fanatische Sammler ihre Kunstschätze. Und war -daher reich in einer Dürftigkeit, die sie selber am schmerzlichsten -empfand. - -Ruth fuhr einmal als kleines Kind mit ihrer Schwester und einer Bonne in -einem Eisenbahnkupee. Es war eine Sommerfrischenreise. Da sagte Martha -mit ihrer überlegenen Stimme: -- Nein, wissen Sie, in dieses Hotel -können wir nicht gehen, da sind lauter reiche Leute. -- Ein ungeheures -Erstaunen hinderte Ruth damals am Fragen. So waren sie nicht reich? Aber -wieso, sie hungerten doch nicht? Und Mutter trug schwarze Seidenkleider; -was das nur heißen sollte? Sie glaubte, mißverstanden zu haben. - -Auch als sie schon erwachsen war, liebte sie einen Radiergummi mehr als -ihre goldene Uhr, konnte sie Festtagskleider nicht leiden und verlor -immer ihr Taschengeld. - -Geld war und blieb ihr etwas unbedingt Schmutziges. Etwas, das schon -durch tausend häßliche Hände gegangen war, über Wirtshausfußboden -rollte. Mutter besaß es in ungezählten Mengen. Es war nur ein Prinzip, -daß sie damit knauserte. Aber Martha war geizig und das war viel -schlimmer. Nur Richard war nobel. Er lächelte immer verächtlich, wenn -man von Geld sprach. - -Ruth hatte kein Gefühl für Zahlenverhältnisse. Den Unterschied zwischen -hundert, tausend, hunderttausend begriff sie so wenig, wie ein -Unmusikalischer die Differenzen in der Tonreihe. Das war ein Erbe von -Mutter. Nur daß diese es sich niemals zugeben wollte und um wenige -Heller trauerte, während sie Tausende verschleuderte. - -Aber Ruth schenkte mit Leidenschaft. Nicht aus Güte oder um anderen eine -Freude zu machen. Einen Gegenstand verschenken, heißt, ihn ganz von sich -losreißen, sich auf ewig von ihm trennen, ihn ins Ungewisse schicken. -Und das war herrlich, war Abenteuer, Tat und Befreiung. Sie gab ihre -liebste Bluse plötzlich dem Stubenmädchen und wenn eine Freundin auf -Besuch kam, war nichts im Zimmer, auch das am liebsten gehegte, sicher -vor plötzlichem Ausgestoßenwerden. - --- Es ist schade, daß man in unserer Religion keine richtigen Opfer mehr -bringt, sagte sie einmal. - -Jedes Kleid, jedes Buch, jeder Sessel ihres Zimmers waren ihr persönlich -eigen. Aber nicht im selben Sinn wie der Mutter, die alles an sich riß. -Sie gab sich den Dingen hin und füllte sie so voll mit ihren dämmernden -Gedanken, daß ihre Umgebung manchmal vernebelt wurde, übersättigt vom -eigenen Selbst. Und sie mußte plötzlich auf die Straße laufen, stöhnend -vor Sehnsucht nach dem ganz Fremden. - -Dieses Selbst in allen Dingen verschleuderte sie mit wollüstiger Freude -und Grauen. Sie war immer unbeschreiblich reich dabei. Wenn etwas sie in -Grenzen hielt, war es die Dankbarkeit der Beschenkten. Sie schämte sich -darüber. Danken war sich erniedrigen. Und ein heißer Zorn wühlte in ihr, -wenn alle anderen nicht größer waren als sie. Sie wollte das Kleinste -sein, denn sie suchte das Oben. Wie sagte doch Onkel Gustav zu seinem -Freunde: -- sehr kindisch -- und sehr unreif -- eigentlich viel zu -unreif für ihr Alter. - -Ruth bewunderte alle Menschen, die stehlen konnten. Jemandem eine Münze -aus der Geldbörse zu nehmen, war für sie ein Wagnis, ein Heldenstück, -das ihr immer unmöglich sein würde. Ein Eingriff in fremdes Reich, ein -Festnehmen von feindlichen Objekten -- schwieriger, als einen nassen -Salamander in der Hand zu halten. - -Ruth verbrachte den ganzen Sommer in den engbrüstigen Vorstadtgärten, -zwischen Ladenschwengeln, Proletarierfrauen und klebrigen Kindern. Man -konnte dieses Jahr keine Sommerfrische aufsuchen. Mutter war im Winter -krank gewesen und mußte im Frühling eine Reise machen. So war nicht -genug Geld da, noch einmal fortzufahren. - -Als Ruth zum ersten Mal davon reden hörte, daß sie heuer nicht wegfahren -müsse, hatte sie laut aufgejubelt. Aber Mutter weinte eine halbe Woche. - -Von Ruth war ein Alpdruck weggefallen. Wie eine drohende Gefahr, -unaufhaltsam näher rückend, empfand sie den ganzen Winter durch: Es -kommt ein Tag, da muß ich fort. Man zwingt mich dazu. Fort. Man reißt -mich aus meinem Zimmer. Meine Gedanken stecken noch in den Stuhlbeinen, -auf der Hauptstraße liegt etwas ganz Besonderes von mir, ich muß alle -Tage vorübergehen, meine Adern sind verwoben mit dem Himmel über unserem -Dach und dann soll ich fort. Und sie haben die Macht, mich zu zwingen. -Nein, ich liebe mein Zimmer nicht, es ist mir zu eng, zu sehr mit mir -verwachsen. Aber fortmüssen und drei Monate in einem ganz fremden Raum -sein, wo vielleicht ein pensionierter General gewohnt hat oder eine -schmutzige Frau. Und sie haben die Macht, mich zu zwingen. - -Sie wußte nicht, daß jeder Mensch mit seiner täglichen Umgebung -organisch verbunden ist. Daß ein Weiterrücken im Raum auch ein -Weiterrücken im Leben sein muß. Und doch stöhnte sie unter dem Zwang. - -Von dem Fenster seines Zimmers hatte sie einen weiten, hohen Himmel -gesehen. Mit verschwommenen Kirchtürmen. Das war ihr Horizont, ihre -Ferne, ihr Land gewesen. - - * * * * * - -Und nun saß sie in den staubgeschwängerten Vorstadtgärten. Ihre müden -Blicke wuschen den Ruß von den welkenden Blättern. Sie dachte an einen -Wald, eine grünsatte, schwelgende Fülle. Die schlank hinansteigt in -abendhelles Blau. Und sie mußte hier sein. - -Ihre Strümpfe waren grau vom Staub, ihre Schuhe alt und faltig. Neben -ihr auf der Bank erzählte ein Dienstmädchen einem anderen, sie habe -fünfzig Kronen Lohn monatlich. Wenn sie aber mehr bekäme -- sie roch -nach Schweiß. - -Im Sand lag ein vertretener Kupferkreuzer. Zwischen Kinderschaufeln und -Blechkübeln. Und es rollte ein ferner Donner. - -Ruth ekelte der Kreuzer. Sie dachte an eine durchlöcherte Hosentasche. -Aber sie konnte nicht wegsehen. Sie starrte auf den Kreuzer, bis sie ihn -doppelt sah und dann dreifach und dann vierfach und dann immer mehr, -immer mehr ... - -Eine einzige ineinander rollende Masse. Schmutzig kupfergelb. Schmeckt -wie geschmolzenes Metall. - -Ruths Schuh hatte einen Riß, quer mitten durch. Er sah wohl aus wie eine -Falte. Aber es war ein Riß. Quer mitten durch. - -Sie stand auf und ging durch die Straßen, wo die größten, üppigsten -Geschäfte waren. Schon wurden die Lichter angezündet. Gierig -aufflackernde, rote kleine Scheinwerfer. - -Ruth dachte: Über meinen Schuh geht ein Riß -- keine Falte -- über meine -Hand geht ein Riß -- ist das Schmutz -- und über mein Gesicht -- -vielleicht ist das Blut. - -Sie ging hinter einer üppigen, blonden Kokotte. Nachgezogen von ihren -wunderbaren, geraden, feinen Absätzen, die nicht einen Millimeter zu -hoch oder zu niedrig waren. Eine keuchende Lust überkam sie, das weiche, -eng anliegende Leder zu fühlen, zu streicheln, an sich zu locken. - -Das Parfüm roch betäubend nach unaufrichtigen Blumen. Ruth dachte: -- Es -ist abscheulich, aber teuer. Furchtbar teuer. Ungezählte schmierige -Kupferkreuzer. Und die lichte Flasche, auf hellrosa Seide gelegt mit der -durchsichtigen Flüssigkeit. Ich möchte sie nicht berühren. Aber teuer. -Nicht auszudenken teuer. Und ihre Schminke -- ich könnte sie niemals -darauf küssen -- ist auch so teuer, oder noch mehr. Wie ich sie -verachte. Aber die gelben Schuhe möchte ich besitzen -- - -Ein paar große, schwere Regentropfen klatschten auf das schleimige -Pflaster. In den Häusern flammten protzig die Lichter auf. Schmiegsame -Vorhänge wurden zugezogen. - -Die große Blonde ging in ein großes Haus. Über breite Stiegen mit dicken -Teppichen. Vornehme Damen kamen ihnen entgegen mit großnetzigen -Schleiern vor den Gesichtern. - -Sie gingen durch eine große Glastür. Es roch betäubend nach Seife, -dickem Parfüm, warmen Haaren. Ein Friseur. Ein schlankes junges Mädchen -in vergilbter Seidenbluse, mit zu hellem, großgewellten Schopf fragte -Ruth, was sie wünsche. Ruth antwortete automatisch was ihre Vorgängerin -sagte. Und wie diese wurde sie in eine Zelle geführt, wo ein -gelbmarmorner Waschtisch in die Wand eingelassen war. - -Eine Welle mattweißen Schaums ging über ihr Gesicht, über ihren Kopf, -über die Wurzeln der Haare. Sie empfand den Duft durch die -Scheitelknochen dringen, sich in das Hirn einfressen. Ihre Nerven -dehnten sich weich und ringförmig. Das junge Mädchen hatte schlanke -Hände mit spitzen Fingern, die nicht mehr ganz ihr eigen waren. So sehr -schmeckten sie nach tausenderlei weichen Wassern. - -Ruth dachte: -- Sie ist sicher arm. Aber sie darf den ganzen Tag hier -sein und ihre Hände sind schön und unnahbar. Am Abend geht sie nicht -nachhause. Wo sie da hingeht -- - -Die schmutzige Kupfermasse aus dem Sand war gelb geworden und lockte wie -verwischtes Gold in der marmornen Waschschüssel. - -Sie spricht nicht mit mir, -- wußte Ruth, -- weil ich ein verwaschenes -altes Kleid trage. Es ist auch zu eng, das merkt sie sicher. Wenn sie -erst den Riß über meinem Schuh sähe, oder ist es nur eine Falte? -- Ruth -schämte sich maßlos. - -In der Zelle daneben aber plauderte die große Blonde lustig darauf los -mit einem von den anderen jungen Mädchen. Sie schwatzten wie zwei -Schulfreundinnen, von denen die eine ein besseres Zeugnis bekommen hat -als die andere und sich daher etwas herausnehmen darf -- aber sie tut es -nicht viel. Die Blonde sprach immer von einem Er -- Ruth spürte, daß er -ein Monokel trug und manikürte Nägel hatte -- und die Blonde kicherte -fortwährend. Die kleine Friseurin daneben sagte immer strahlend und -bewundernd: -- Aber gnädige Frau und dann sprach man von einem Armband. -Ruth sah wieder in der marmorgelben Waschschüssel eine Fülle von -Kristallen, in denen sich das Licht brach, so daß die Farbenmenge -schwindeln machte. Sie wußte, das gibt es alles, zwei Häuser weit weg, -bei dem großen Juwelier. Ich brauche nur hinzugehen. Aber nein, ich habe -ja kein Geld -- und ein entsetzlicher Schrecken durchfuhr sie, ob sie -dem Friseur auch werde zahlen können. Sie dachte sich Unsummen aus, die -es kosten müsse, ja müsse, und getraute sich nicht, ihr abgegriffenes -Portemonnaie aus der Tasche zu ziehen. Wie der Mörder auf das -Todesurteil, wartete sie auf den Augenblick, in dem sie vor dem -glattrasierten Herrn bei der Kassa stehen mußte. - -Die Blonde daneben plapperte noch rascher und glückseliger. Ruth dachte -in ihrer Herzensangst: Herrgott, ist sie dumm. Wenn ich nur einmal in -meinem Leben so hirnverbrannt dumm sein dürfte. Ich könnte mich dann gar -nicht so fürchten vor dem geschniegelten Kerl dorten. So dumm sein -- -das hieße ausruhen. - -Sie zahlte den Preis fast weinend vor Aufregung. Drückte in die kühlen -Hände des jungen Mädchens ein fürstliches Trinkgeld. Und stürzte davon -wie ein ertappter Bettler. - -Auf der Treppe griff sie sich unter den Hut. Da war etwas Fremdes. Waren -es die kühlen, langen Nadeln, die ihr das Mädchen in den Knoten gesteckt -hatte. Waren es ihre eigenen, weichen Haare, die noch warm dufteten. Und -sie sehnte sich das Haar lösen zu können und den Kopf hineinzuwühlen. - -Nur nicht nach Hause gehen. Dort lagen Mutters Rechenbücher. Die Lampe -über dem Speisezimmertisch hatte einen fahlgrünen Schirm. Nur um Gottes -Willen nicht nach Hause. Die Gassen waren alle rot, die Schaufenster -waren rot und die Frauen in den großen Straßen hatten rote Wangen. Hier -grüßten sich alle, hier kannten sich alle und die Luft war rot und -weich. - -Zwischen den Pflastersteinen lockte es schmutzig kupfergelb. Aber in den -ledernen Handtäschchen der Damen blinkte es silberhell. In den -Geschäften lag dick geschichtet lichte Seide, wunderbares, braunrotes -Holz, fremde Blütenkelche, zarte Porzellanteller, flaumig weiche Hüte, -Diamantarmbänder ... - -Heute bemerkte Ruth, daß sie langsamer ging als alle andern Leute. Sie -fühlte einen Taumel fremder Geschäftigkeit um sich, dem sie nicht -gewachsen war. Sie suchte mitzukommen. Sie hatte doch ein Recht darauf. -Sie empfand ihre duftenden Haare in einer wilden Glückseligkeit. Sie -wollte mitkommen. Ihre Schultern schmerzten vor Müdigkeit. Quer über den -einen Schuh lief ein Riß. - -Blendend helle Buchstaben zogen sie an: Kino. Sie ging hinein, rasch, -sehr rasch, flüchtend vor den zu roten Straßen und verbarg ihre Schuhe -unter dem dunklen Sitz. - -Neben ihr dampften verschwitzte Kleider, gewürztes Essen, unreine Haare. -Das Orchester spielte Richards Lieblingswalzer. - -Der Graf kam. Er fuhr in einem Auto, fast erstickt von der Blütenfülle, -die er im Arm trug. Er hatte fabelhaft gerade, lange Beine. Und ein -glattes Gesicht, zu sehr rasiert. Der Rauch aus seiner Zigarette mußte -kostbar sein. - -Die Tochter des amerikanischen Milliardärs trug lange Korkzieherlocken -und strahlte mit blendend weißen Zähnen. Ihr Körper war schlank und frei -wie nach einem lauen, spielenden Bad. Sie kochte den Tee für sich und -den Grafen in einem bauchigen Samowar. Dieser Tee war sicher -bernsteinklar und duftete durch das Zimmer, das dumpf gemacht war mit -weißen Fellen und samtenen Vorhängen. - -Ruth liebte die Milliardärstochter. Liebte den Grafen. Schielte mit -dumpfer Wut auf das verkrümmte Ladenfräulein neben sich, das an den -Nägeln kaute und schnalzte. - -Der Freund des Grafen, ebenso glatt, ebenso wohlgebaut. Nur trug er -einen Schlapphut. War also ein Künstler. - -Das Atelier. Köstliche, großgeblümte Teppiche. Glatter weißer Marmor. -Hinter den Riesenfenstern Aussicht bis an das Meer. Sonnenaufgang. - -Der Park des Milliardärs in Rom. Eine zitternde, flimmernde, prickelnde -Blätterfülle. Kleine, schlanke Zypressen. Sonnenflecken auf der Erde, -verstreut wie flache Goldgulden. Puccini. Die Milliardärstochter reitet -auf einem Schimmel. Lange Korkzieherlocken, rechts der Graf, links sein -Freund. Hinten ein Diener. Der riecht auch nach Parfüm, wie die Blonde -heute auf der Gasse. - -In der Pause sagte Ruths Nachbarin zu jemand in der hinteren Reihe: -- -Ja, jetzt hat er halt eine Lungenentzündung. Ich komme gerade aus dem -Spital. Was soll man machen? Aber schön ist es, das Stück. - -Und Ruth dachte: -- Der Mann im Spital hat sicher sein ganzes Leben in -einer Kellerwohnung gelebt. Moder und Schweiß. Vielleicht hat er -Schuhriemen gemacht für den Grafen. Oder Zaumzeug für seine Pferde. Aber -die Milliardärstochter geht nicht in das Kino, wenn der Graf krank ist. -Obwohl sie ihn mit seinem Freund betrügt. - -Ihr schwindelte. Sie empfand einen Abgrund zwischen sich und der -Nachbarin. Zwischen sich und dem Boy, der grinsend Perolin versprengte. -Zwischen sich und dem Grafen, der eigentlich genau so aussah, wie der -Friseur an der Kasse, nur daß er so gut angezogen war. Und einen Abgrund -vor der Milliardärstochter, die genau so strahlende Zähne hatte, wie die -große Blonde. - -Nichts als Abgründe, Löcher, Klüfte, Leersein und Alleinsein. Es gibt -irgendwo ein dunkles Zimmer. Schillernde Phiolen. - -Die Musik setzte wieder ein mit jenem Auftakt, der so lange und -proletarisch vielversprechend auf den zweiten warten läßt. Nein, nicht -mehr. - -Sie ging langsam nachhause. Die Gassen waren dunkler geworden, das Licht -bleicher. Und zwischen den Pflastersteinen war nicht ein Kupferkreuzer. -Nur Schmutz. - -Über Ruths linken Schuh lief ein Riß. Es war bestimmt keine Falte, es -war ein Riß. - -Sie wünschte sich den ganzen Abend: ich möchte Seidenstrümpfe haben, wie -die Milliardärstochter und die Blonde. Und weiche, lederne Schuhe. Aber -ein anderes Gesicht. Vielleicht mein Gesicht. Oder noch ein anderes. - -Zuhause behandelte man sie mit stummer Verachtung. Sie kam nie mehr -zurecht zu den Mahlzeiten. Sie ergab sich einem sträflichen Müßiggang, -den Richard nicht vergaß, wenigstens einmal des Tages um die Ecke herum -zu erwähnen. - -Mutter schüttelte trostlos den Kopf und sagte zu Martha: -- Es nützt -alles nichts. Sie wird ganz wie Gustav, er ist nicht umsonst ihr Onkel. -Und Vater war auch so. Wie das alles zu mir kommt? - -Ruth wusch sich von nun an zehnmal des Tages die Hände mit fast zu -heißem Wasser. Sie trug es heimlich in ihr Zimmer, kannenweise. Niemand -durfte davon wissen, o Gott nein, es war etwas Unrechtes, das sie damit -tat, etwas wie stehlen. Denn wenn sie die Hände ganz tief in die -Waschschüssel steckte und das heiße Wasser durch alle Poren in sich -hineinströmen ließ, schlossen sich ihre Augen und sie fühlte sich über -Marmorstufen in ein tiefes, warmes Bad hinuntersteigen. - -Sie mißhandelte ihr Zimmer. Es war häßlich. Alte, verschnörkelte Möbel. -Ein Teppich, der nicht mehr rein zu bekommen war. Der Lampenschirm aus -zerschlissener Seide. Sie stülpte ihn verkehrt auf den Boden, rückte den -Tisch schief in eine Ecke. -- Schämst du dich nicht, wie dein Zimmer -aussieht, sagte Mutter. - -Sie stand vom Tisch auf, weil Agnes mit einem verbundenen Finger -servierte. - -Sie wollte nicht mit Mutter auf die Straße gehen, weil Mutters Mantel -schon sechs Jahre alt war. - -Sie warf Marthas mit farbiger Seide gestopfte Handschuhe in den Herd. - -Und sie schenkte Agnes ihre neuesten Schuhe. - -Es war alles gleichgültig, alles eins. Je mehr zugrunde ging, desto -besser. Wozu die Heller sparen, wenn man Tausende braucht. Dann war man -armselig und fast lächerlich, wie Mutter. Aber sie, Ruth, wollte lieber -ganz elend sein, betteln gehen. - -Die Welt lag hinter der harteckigen Wohnung. Auf den langen, gierigen -Schienen rollten die Lokomotiven. Schleppten hinten in den Waggons -glückliche Menschen in dunklen, einfachen Kleidern, deren Schnitt allein -ein Vermögen kostete. Die legten ihre wunderbaren Schuhe auf samtene -Kissen. Und dann saßen sie in hochwandigen Speisesälen und sahen hinaus -über ungemessene Entfernungen. - -Geld haben heißt weiterkommen. Weiterrücken im Raum. Und das heißt, -weiterrücken im Leben. Und sie steckte in ihrer Wohnung, eingekeilt -zwischen Mutter, Martha, Richard und jetzt auch Norbert. Denn Norbert -war sehr viel da. Mutter liebte ihn. - -Einmal ging sie Martha ein Geburtstagsgeschenk kaufen. Norbert erbot -sich, sie zu begleiten. Sie war unordentlich angezogen, in alten -Kleidern, die ihr schlecht saßen. Sie ging durch die elegantesten -Straßen. Vielleicht eben deshalb. Und weil Norbert dabei war. - -Sie traten in eine der ersten Parfümerien. -- Hier wollen sie etwas -kaufen? fragte Norbert ganz erschrocken. -- Ja, warum nicht? - -Sie wählte ein halbes Dutzend der kostbarsten Seifen. Es überstieg weit -den schmächtigen Inhalt ihres Portemonnaies. -- Ich habe mein Geld -vergessen, können Sie für mich zahlen? Norbert zahlte aus seiner -biederen Geldbörse. - -Auf der Straße sagte sie, totenbleich vor Erregung, heiser: -- Wissen -Sie, was ich da in meiner Tasche habe? Noch eine Seife, hellviolett, ich -habe sie aus dem Korb gestohlen. - --- Um Gottes Willen, aber das ist doch nicht ihr Ernst. - --- Doch, sehen Sie, hier. Ist sie nicht wunderbar. Und so weich. Die -behalte ich mir, die gehört mir, mir ganz allein. -- Fräulein Ruth, -nein, das ist nicht möglich, nein, kommen Sie, gehen wir zurück, gehen -wir. -- Gewiß nicht, ich glaube gar, Sie fürchten sich, mit mir zu -gehen? Bitte. -- Nein, aber Ruth, so etwas dürfen Sie doch nicht tun, -Herrgott, das ist ja furchtbar. -- Ach, lachte Ruth, das mache ich immer --- und fast schämte sie sich, so zu lügen. Sie hielt die Seife -krampfhaft fest mit der Hand umschlossen, daß die Schulter schmerzte. -Und war stolz darauf. Ein gieriges Habenmüssen preßte ihr die Zähne -zusammen. - -Sie gingen durch trübe, nachmittagsstille Gassen, die sonnenlos waren -und arbeitsgewohnt. Norbert sah die ganze Zeit zu Boden und war -dunkelrot. Dann stotterte er: -- Wenn Sie die Seife haben wollen und -haben müssen, Ruth, und Sie haben vielleicht kein Geld mehr -- Sie -lachte grell und höhnisch: -- Nein, wie Sie um meine Seele besorgt sind. - -Und dachte: Du kleinseliger Krämer du, du ahnungsloser. -- Lassen Sie -das, Norbert, -- fuhr sie fort, -- es steht nicht dafür. Es nützt doch -nichts. Ich habe es vom Großvater. Der hat auch alle seine Pferde -verspielt. Mutter sagt immer, mit mir nimmt es ein schlechtes Ende. Wenn -ich dann ganz heruntergekommen bin und so bettelarm, daß ich einen -grauen Lappen um den Kopf binden muß, wenn es schneit, wenn ich dann so -ganz richtig elend bin, komm ich zu Ihnen. Sie geben mir dann etwas aus -ihrer Börse, nicht wahr? -- Ich werde Ihnen immer alles geben, Fräulein -Ruth, aber Sie sollen nicht so sprechen. -- Vielleicht komme ich auch -ins Kriminal, wer kann es wissen. Aber Norbert, eines, können Sie sich -vorstellen, daß man etwas haben muß, so unbedingt haben muß, daß man -einem andern auch Böses tut, ihn umbringt, für Geld umbringt? Können Sie -sich das vorstellen, o, so sagen Sie doch. -- Ruth, Sie sind krank. -- -Warum denn? sowas steht doch alle Tage in der Zeitung und die Leute sind -gar nicht alle krank. - -Nach einer Weile sagte er noch einmal bestimmt und ohne sie anzusehen: --- Wir tragen die Seife jetzt zurück. Wenn Sie das Geld nicht nehmen -wollen. Es war ein Irrtum. - -Ruth warf die Seife einem verkrüppelten Bettler, der an der Mauer -lehnte, in den Hut und sprach im Vorübergehen: -- Er soll sich auch -einmal mit etwas Gutem waschen können. Und sie sah Norbert nicht mehr an -und gab ihm nicht die Hand zum Abschied. - -In den nächsten Tagen aber trauerte sie um das Stück Seife, wie um ein -Stück verlorene Seligkeit. Sie haßte Norbert. Einmal hatte sie es gewagt -und er hatte alles verdorben. Und warum -- weil er dumm war, grenzenlos -dumm. Sie holte lauter Detektivromane aus der Leihbibliothek und -verschlang sie. - -Sie versuchte Geld zu nehmen aus der Lade der Köchin. Aber es war wieder -ganz unmöglich. - -Sie fühlte sich umgeben von einer erstickenden Masse schmutzig gelben -Metalls. Das nach Schweiß stank und den Duft exotischer Blüten in sich -trug und ein Rauschen von seidenen Röcken. - -Marthas Kasten war immer doppelt versperrt. Sie trug die Schlüssel mit -sich in einem uralten Handtäschchen. Ruth verachtete sie deshalb. Denn -was war schon in dem Kasten, wenn man ihn aufbrechen wollte? Wäsche mit -gehäkelten Spitzen und ein paar ziemlich abgelegene Liebesbriefe. Eine -Nagelschere und ein Nähkästchen und vielleicht noch eine Photographie. -Nein, davon hätte Ruth nichts haben wollen. - -Und von Richards Sachen erst recht nicht. Die waren alle abgebürstet und -ordnungsgemäß aufgestellt. Numeriert. Vom ersten Schulzeugnis an bis zur -letzten Tagebuchseite. Denn Richard führte ein Tagebuch. Das war sehr -genau. Es standen alle Einnahmen und Ausgaben darinnen. - -Mutters Besitztümer aber steckten in vierfach verbundenen Papiersäckchen -und rochen nach Lawendel. - -Ruth wollte und mußte etwas haben. Etwas Außergewöhnliches, etwas -unsagbar Schönes, etwas Wunderbares, etwas noch nie Dagewesenes, -wenigstens noch nicht in ihren düsteren Zimmern. - -Als sie ihr nächstes Taschengeld bekam, ging sie durch die ganze Stadt -es zu suchen. Als es schon Abend war, fand sie in einer Auslage einen -Korb voll tiefroter Rosen. Festgeschlossen hingen sie schwer in den -schlanken, wiegenden Stengeln. Und die wenigen Blätter, die schon offen -waren, waren weich und dunkel in ihrem Innern, daß sie Ruths Kopf zur -Seite senken ließen und die Augen schließen. - -Sie kaufte sechs von den schönsten, strich mit den Händen über die -heißen, großen Stacheln und ging mit federnden Schritten nach Hause. - -Im Speisezimmer stand Richard unter der fahlgrünen Lampe und hielt eine -Rechnung in den Händen. Mutter lief erregt um den Tisch und Martha -stellte verdrossen die Gläser auf. - --- Was ist das Ruth, fragte Richard -- eine Rechnung für vier paar -Lederhandschuhe? Er war ganz ruhig, zog nur die Augenbrauen ungeheuer -verwundert in die Höhe. Aber seine Stimme war häßlich vor Zorn. - -Mutter rang die Hände. - --- Ich weiß nicht, sagte Ruth atemlos. -- Du weißt nicht und was hast Du -da? Was sind das für Rosen, Ruth? Du bist wohl verrückt. Du weißt nicht, -was du tust. Wie treibst du dich denn herum? - --- Laß die Rosen, sie gehören mir. - --- Dir, dir gehören sie? Ja, was gehört denn überhaupt Dir? Du stiehlst. -Du stiehlst Mutter das Geld aus der Tasche. Sollen die Handschuhe -vielleicht Dir gehören? Und diese Rosen? -- - -Ruth dachte: Er nimmt mir alles. Alles. Aber er hat eine wohlgefüllte -Geldbörse in der Tasche. Kupfergelb, silberweiß, blaue Scheine. Nur die -Rosen soll er nicht nehmen, die Rosen nicht. Wenn er wirklich danach -greift -- - -Sie war umgeben von einer schwarzen, kochenden Masse. Und erstickt griff -sie nach dem Brotmesser auf dem Tisch und schleuderte es -- - -Ein Kreischen, ein Stoßen -- - -Sie war allein in ihren Zimmer. - -Von der Straßenlaterne strömte weißgelbes Licht herein. Aber der Zorn -tanzte noch in kochend schwarzen Klumpen um sie herum, würgte die Kehle, -machte ihre Hände gierig. - -Sie fuhr hinein in die blassen Fensterscheiben. Mitten durch. - -Aus ihrer Handfläche quoll es langsam heraus, dunkelrot. Sie war ganz -ruhig. - -Aus immer mehr Stellen heraus, immer mehr. Das Blut fiel zu Boden, -langsam, in dicken Tropfen. - -Und ihre Augen wurden satt. - -Da waren irgendwo heiße, durstende Glieder, die sich zur Ruhe strecken -konnten. Und ausgekühlte Marmorbäder. Und verlöschte, grellrote Lichter. - -Zu ihren Füßen lagen viele Münzen. Kupferne, silberne, goldene. Die -rollten nicht mehr durcheinander. Die lagen ganz kalt, eine über der -anderen. - -Und das Blut fiel zu Boden, langsam, in dicken Tropfen. Und das Geld -fraß das Blut. - - - - - Gott - - -Als Ruth so klein war, daß das Kindermädchen sie sitzend auf dem Arm -trug und ihr der eigene Matrosenkragen wie eine riesige, abenteuerliche -Fläche erschien, sah sie an einem Abend ein Kreuz im Wald. In den Tannen -hing verstecktes Gewitter. Und das Kreuz wuchs aus der felsigen Erde. -Ruth fürchtete sich. - -In der Nacht nahm Mutter sie zu sich in das Bett. Am Morgen hatte sie -Fieber. Man zog ihr ein frisches, kühles Hemd an, legte sie in Mutters -riesige Polster hinein und Mutter küßte und streichelte sie. - -Wenn Ruth krank war, den ganzen Tag in Mutters Zimmer liegen durfte und -von unten herauf jede von Mutters ungeduldigen, viel zu vielen -Bewegungen beobachten konnte, war sie ganz zufrieden. Dann vergaß ihr -kleines Hirn mit den Schwierigkeiten des Tages zu kämpfen, den grell -bemalten Tapetenblumen, den Vorsprüngen auf Mutters kompliziertem -Luster, der widerhaarigen Zahnbürste. Dann legte sie ihr kleines Haupt -tief nach hinten und alle ihre kleinen Gedanken in Mutters zu große, -harte Hände. - -Mutter war groß. Mutter war allmächtig. Mutter war unfehlbar. Mutter war -gütig. Mutter war edel und -- Mutter war gekränkt, mißhandelt von aller -Welt. Deshalb wollte Ruth nicht mit den andren Kindern im Park spielen, -keinem fremden Menschen die Hand reichen, deshalb fürchtete sie sich vor -den Hunden. Weil ihre Mutter unter diesen allen leiden mußte. - -Ruth küßte im Geheimen Mutters Hausschuhe. Schluchzte die ganze Nacht -durch, wenn Mutter vergessen hatte, zuletzt an ihr Bett zu kommen. Und -starb vor würgender Sehnsucht, wenn Mutter auf acht Tage verreist war. -Aber das durfte niemand wissen. - -Richard durfte das nicht wissen, ach nein, er war ja so klug. Gewiß, er -liebte Mutter. Aber er trug alle seine Empfindungen sorgsam eingeordnet -in seiner schwarzledernen Brieftasche und zusammengepreßt wie die -Banknoten. - -Martha liebte Mutter nicht. Obwohl sie an Mutters Geburtstag am -eifrigsten den Tisch deckte. Aber alle Morgen stritt sie mit Mutter mit -einer schrillen Stimme. Zu ihren Freundinnen nannte sie Mutter nur -»sie«. - -Zu Mutter flüchtete Ruth sich, als sie die große Angst bekam vor dem -großen Gott im Himmel oben. Der gar nicht half, wenn man zu ihm betete. -Der seinen lieben, wunderbaren Sohn am Kreuz hatte verbluten lassen, der -es duldete, daß es eine Hölle gibt, während es ihm dort oben am besten -geht. Der die Menschen in den Spitälern sterben läßt und noch will, daß -man dankbar dafür ist. - -Ruth bekam eine Bonne, deren winziger Koffer voll war mit Marienbildern -und Rosenkränzen. Die führte Ruth in alle Kirchen. Sie fror stundenlang -in den kalten, zu hohen Räumen mit den dunkel nassen Mauern. Weihrauch -versperrte ihr die Kehle und der Kirchendiener hatte schmutzige -Pantoffel. Vorne am Altar war Christus gekreuzigt. Rostige Nägel -durchbohrten die Knochen. Das Blut war geronnen. Und er konnte nie und -nie herunterfallen. - -So hing er in allen Kirchen und die Menschen beteten um schönes Wetter -und Glück bei ihren Geschäften. Ach, wie arm war er. Für alle hatte er -sterben müssen, und keiner liebte ihn. - -Eines abends stritt Mutter mit Vater. Es war so ein kleiner häßlicher -Grund, daß Ruth ihn vergessen wollte, nein, nie mehr daran denken. Vater -schwieg. Mutter warf Vaters Zeichnungen auf den Boden. Vater schwieg. -Ruth schlich aus dem Zimmer. In dem kleinen Gang neben der Küche drückte -sie die Stirne an das Fenster und betete: Lieber Christus, ich habe dich -lieb. Ich bete nicht, ich will nichts von dir, ich habe dich nur lieb -... An diesem Abend kam Mutter nicht zum Gutenachtkuß. Ruth rief nicht -nach ihr. Aber sie hatte ein rotgoldenes Christusbild unter dem -Kopfkissen. - -Sie wollte Nonne werden. In der Abenddämmerung in niederen Kreuzgängen -wandeln und über das Meer schauen und Christus lieben. - -In die Messe mochte sie doch nie gehen. Wie entsetzlich war es, zu -denken, daß der fettige Geistliche da vorne das reinste Blut trank. Wenn -es auch für die ganze Welt gut war, es war eine ungeheure Grausamkeit -- -ein Verbrechen -- und daß das alle Morgen geschah ... - -Ruth besaß ein Kinderbuch, in dem opferten die Chinesen grell gemalten, -glotzäugigen Buddhas. Vor diesem Buch graute ihr. Und vor den fetten -Altären der katholischen Kirchen. - -Zu Hause aber steckte sie ihren liebsten Bleistift in den Ofen -- Opfer -für Christus. - -Dem lieben Gott versprach sie alle Tage ein Gebet mehr. Was anderes -konnte sie ihm nicht geben. Als es zu viel wurde, gab sie es überhaupt -auf. Und von dieser Stunde an stand sie nicht mehr gut mit ihm. - -Aber sie küßte den schmutzigen Steinboden im Stiegenhaus. Christus zu -liebe. - -Dann bekam sie eine andere Bonne. Mit sehr roten Wangen und gekräuselten -Haaren, die alle Nacht zwei Stunden lang mit der Brennschere bearbeitet -wurden. Diese Bonne liebte Ruth sehr. Sie erzählte ihr ungeheuer viel -von einer Baronin, die schon zweimal verheiratet war und Ruths -Schuhnummer hatte und alle Monate vier Paar Schuhe brauchte. Eines -Nachmittags führte sie Ruth zu der Baronin. Das Zimmer war voll mit -parfümiertem Rauch und schweren Teppichen. In einem Erker saß die -Baronin neben einer riesigen Palme. Sie trug einen grauseidenen -Schlafrock. Seine Falten krochen über ihre müde, duftende Haut. Sie -sprach lange mit der Bonne und liebkoste Ruths Zöpfchen. Sie schenkte -Ruth ein Bonbon. Ruth schlief diesen Abend ein, das Bonbon in der Hand, -das am nächsten Morgen als zähe Masse die kleine Faust verklebte. - -Sie schrieb den Anfangsbuchstaben des Namens der Baronin auf die -Löschblätter in allen Heften. Als die Bonne plötzlich fortgehen mußte, -weinte sie die Nacht durch. - -In einem großen Hotel liebte sie einen gazellenschönen, argentinischen -Knaben. Sie sprach nie ein Wort mit ihm, dachte gar nicht an diese -Möglichkeit. Aber sie zählte die Stunden, bis sie ihn wieder in den -Speisesaal kommen sehen könnte, neben seiner überüppigen Mutter. - -An einem lichtgoldenen Frühlingstag sah sie auf dem Markt einen Korb -weißer Hyazinthen. Kaum erblühter, strahlend weißer, schlanker -Hyazinthen. Sie hatte kein Geld. Was sollte sie tun? Sagen, daß sie -diese Hyazinthen haben mußte, sehen mußte, einatmen mußte. Nein, -niemals, so etwas spricht man nicht aus. Das ist etwas so ungehöriges, -wie die Dinge, die in den verbotenen Büchern stehen. Über so etwas -schweigt man. Und wenn es nur wäre, um nicht ausgelacht zu werden. Das -aber ist Schande und Schändung. Das ist so wie der gepeinigte Christus -an jeder Wegkreuzung. - -Im Sommer darauf bemerkte sie zum erstenmal, wie sich das saftige Grün -der Buchenblätter in die Sonnenbläue des Himmels schmiegt. Und sie -berührte schüchtern das Waldgras, das hoch und gebogen war, während auf -den Felsen die Erde duftete. -- Geh nicht in den Wald, sagte die Mutter, -dort sind Holzhauer und Schlangen. - -In diesem Sommer wuchs Ruth überraschend schnell und bekam kräftige, -braune Arme. - -Im nächsten Winter entbrannte sie in wilder Leidenschaft für Napoleon. -Der mit gekreuzten Armen über die Menschen gegangen war und sie -zertreten hatte. - -Damals war es, daß Ruth eine Macht über sich fühlte, die sie fausthart -in die Knie zwang. Und von der ihre weichen, unentwickelten Gelenke sich -in sehnsüchtiger Wollust kneten ließen. Sie wollte nicht lieben, nicht -Liebe empfangen, aber unterworfen werden. - -Im hintersten Winkel des Kleiderkastens war ein wunderliches Gemisch von -Kostbarkeiten: Eine falsche Rose, die Mutter getragen hatte als sie -einmal in das Theater ging und so besonders schön war. Gepreßte Zyklamen -aus dem Buchenwald. Das rotgoldene Christusbild. Eine Unterschrift der -Baronin aus einem Brief an die Bonne. Ein Ausschnitt aus einem -französischen Werk über Napoleon. Und das Wort Beethoven mit roter Tinte -auf die verkehrte Seite einer Visitkarte geschrieben. - -Wenn Ruth ihren Kasten zusammenräumte, wischte sie diese Dinge mit einem -Batisttaschentuch ab. Jedes war einzeln in weißes Seidenpapier gewickelt -und mit Christbaumschnüren zugebunden. Ruth rührte aber keines gerne an. -Sie fürchtete den Tag, wo ein quälendes Gewissen sie dazu trieb, alles -frisch zu ordnen und neu einzuwickeln. Sie wusch sich vorher dreimal die -Hände und fürchtete, daß ein unreiner Atemzug diese Heiligtümer -beleidigen könnte. - -Denn das alles waren Heiligtümer, nicht Erinnerungsstücke. Kleine, -nichtige Gegenstände, vollgetränkt mit dem Empfinden einer -überströmenden Liebe. Und als Christus, als die Baronin, als Napoleon -Ruth fremd geworden waren, behielten die einzelnen Dinge doch ihre -seltsame Macht. Ja, diese Macht war sogar gewachsen, wenn das Ideal tot -war. Und noch unbegreiflicher, furchteinflößender geworden. Es war -besser, man berührte diese Gegenstände nicht, ging ihnen aus dem Weg und -sperrte den Kasten zu. Wodurch allerdings auch der Schlüssel lebendig -wurde und schwer zu behandeln. - -Es kam noch vielerlei dazu. Schmächtige Seidenfransen, die sie einem -Freund Richards, einem langlockig, grobbeinigen Menschen von seinem -Kragenschoner weggeschnitten hatte. Ein weißblondes Haar der -Englischlehrerin. Und noch vieles andere. Es gibt keine Kirche, die so -viele Reliquien hat wie Ruths Kleiderkasten. - -Einmal saß Ruth bei dem Speisezimmertisch und sollte eine Schulaufgabe -machen. Mutter saß mit ihren Rechenbüchern daneben. Da kam ein -Dienstmädchen herein, die Mutter einst wegen Diebstahls hinausgeworfen -hatte. Die brachte ihr Kind. Mutter schob alle Rechenbücher beiseite und -nahm den Säugling auf den Arm und küßte und hätschelte ihn. Ruth sah -sich wieder ganz klein und der Mutter so nackt und hilflos überlassen, -wie dem lieben Gott selbst. Sie zeichnete Mutters Kopf in ihr Schulheft. - -Onkel Gustav erklärte, sie sei ein Genie. Mutter war stolz. Sie hatte in -ihrer Jugend selbst viel gemalt, große, bunte, talentierte Bilder. Man -schickte sie in eine Zeichenschule. Und dort war Hilde. - -Wenn die Sonne aufgeht, brechen alle Pflanzen aus der Erde und die -Steine werden licht. Denn das ist die große Kraft. - -Wenn Hilde in das Zimmer kam, wurde der Raum weiter und höher. Und durch -alle Muskeln zuckte Ungeduld und Sprungkraft. Denn sie besaß große -Kraft. - -Sie sehen, hieß einen Trunk frischen Wassers tun. Und vor Ruth sanken -die schwerblütigen Vorhänge der elterlichen Wohnung in einen fetzigen -Haufen zusammen. Und sie verstand, daß es wichtiger war Fensterscheiben -zu zerschlagen als einem Bettler ein paar Kreuzer zu schenken. Denn die -Sonne muß hereingelassen werden. Sie ist die große Kraft. - -Mit Hilde konnte man nicht sprechen. Ihre Nähe war grell und fast -schmerzhaft laut. Ruth flüchtete vor ihr. Alle Reliquien durften -verstauben. - -Hilde reiste nach Italien. Sie sah Hilde nicht mehr. Ein greller Funken -hatte ihr Leben grell gemacht, ganz kurz, momentan. Sie war feige und -blieb in der Dämmerung. Aber sie kannte das Licht. Und wartete. - -Während aus dem Graugelb leerer Nachmittage er herauswuchs, riesengroß -und dunkel. Und sie saß bei ihm alle Wochen, alle Tage. Und trank die -Worte abgelebter Erinnerungen, die noch leben möchten. Dumpfer -Männernächte, die ihre Kinderhände weinen machten. - -Er war ein Gott. Die Maske fiel. - -Er war ein armer Mensch. Die Maske fiel. - -Er war ein Schuft. Wird noch eine Maske fallen. - - * * * * * - -Ruth saß am Sonntag in dem großen Dom. Die Orgel spielte und vor den -brennenden Kerzen lag die Menge. - -Ruth hörte auf das ewig gleiche Thema der Orgel und wußte, daß draußen -ein eintöniger Regen fiel. Die nassen Kleider der Leute stanken in den -Weihrauch hinein. Sie saß ganz hinten, in einer dunklen Bank. Vor ihr -war eine alte Dame in schwarzem Schleier. Die betete halblaut. - -Ruth dachte: mit wem spricht sie da. Gott -- das ist eine Maske mit -gerader strenger Nase und weißem Bart. In jeder Spielwarenhandlung zu -kaufen, wenn erst Fasching ist. Christus ist tot. Gekreuzigt. Sie soll -sich nicht zum Narren halten lassen von den Reliquien hinter dem Gitter. -Das sind Masken für nichts. Ich möchte meinen Schrank verbrennen. Mutter -macht uns alle unglücklich, weil sie nicht glücklich sein kann. Das -Muttersein ist Maske. Dahinter steckt ein furchtbarer Mensch. Und die -Liebe bei der Baronin mit dem parfümierten Rauch macht Übligkeiten. Sie -soll nicht lächeln. Es ist eine Krankheit in ihr. Maske. Napoleon hat -die Welt unterworfen weil er die größte Maske trug. Alle Buchenblätter -sind faul und die weißen Hyazinthen verwelkt, verkrümmt. - -Sie zog einen Taschenspiegel aus ihrem Handtäschchen. -- Da sitze ich in -der Kirche bei der Komödie. Warum schrei ich denn nicht. O ich bin -gesittet. Und mein Gesicht ist nicht verzerrt. Ich trage ja auch meine -Maske. Aber die Augen sind furchtbar. Ich habe Angst vor mir. - -Ob Hilde auch eine Maske hat -- - -Aber er trägt viele tausend Masken. Nein, er weiß gar nicht, welches -sein wahres Gesicht sein könnte. Lauter weiche, schmiegsame Masken, -innen etwas faul. Grünbleich und müde. Ach, und sich hineinlegen können -und ausruhen ... - -Als sie aus dem Tor herausging, traf sie Onkel Gustav und Richard. Beide -zogen den Hut vor der Kirche. -- Warum tut ihr das, sagte Ruth -ärgerlich, ihr glaubt ja doch nichts. - --- Das macht man so, sagte Onkel Gustav verlegen. - --- Ruth, du bist wieder einmal dumm, erklärte Richard. - --- Aber ein Tier tut das nicht, sagte Ruth und streichelte Onkel Gustavs -namenlosen Hund. - - - - - Gute Familie - - -Martha unterrichtete in der Schule, die Norberts jüngste Schwester -besuchte. In der sie selbst ihre erste und letzte Bildung empfangen -hatte und wo Ruth einmal fast hinausgeworfen worden war, weil sie -öffentlich zu erklären wagte, vor der französischen Grammatik brauche -man den lieben Gott nicht im Gebet anzurufen. - -Mutter hatte darauf gehalten, daß ihre Töchter diese Schule besuchten -und keine andere. Es war die vornehmste Schule der Stadt, die -Bureaukratenschule. Es galt als Zeichen von Ruths Dummheit, daß sie -nicht einmal in dieser Schule gute Noten bekommen konnte. - -Ruth dachte niemals an ihre Schuljahre zurück. Sie mied den Weg, der an -der Anstalt vorbeiführte. Sie empfand schon in der Nähe des Hauses den -dumpfen Tintengeruch aller der Rehlederfleckchen, die zu besitzen dort -so streng verlangt wurde und die sie immer verlor. Französische Verben, -verwischte Diktate, alte Butterbrote, schwarze Clothschürzen mit -knallblauem Rand und das unbedingte Bedürfnis, sich auf den Tisch zu -setzen, jetzt, gerade jetzt, weil das so entsetzlich unpassend ist. - -Vor allem aber hielt sie ein wurmendes Schamgefühl zurück, wenn sie sich -an diese Zeit erinnerte. Sie wollte nicht eines sein mit dem faulen, -boshaften Fratzen, der der Mademoiselle alles nachwies, was sie in -Geschichte falsch unterrichtete, ihre gefärbten Haare bewunderte und -stundenlang darüber grübelte, was sie ihr Verletzendes sagen könne. Denn -die Mademoiselle war dumm. Es war eine Unverschämtheit, andere belehren -zu wollen, ohne klüger zu sein. Das einzige, was Ruth aus der Schule -brachte, war ein glühender Haß auf den Kardinal Richelieu. Der bestimmt -der Mademoiselle ähnlich gesehen haben mußte, ihre kaltadrige, rote -Gesichtsfarbe gehabt hatte und ihre steifglänzenden Halskragen. Damals -hatte Ruth den Haß gelernt. Nicht den hochlodernden, kämpfenden. Aber -den sich ekelnden, nagenden, den man gegen Fleischfliegen hat und Maden. -Den allerunbarmherzigsten. - -Und damals hatte Ruth die Roheit kennen gelernt, die nicht zögert, sich -selbst zu beschmutzen. Als ein Kind der Schule gestorben war, kam der -Literaturprofessor wankend in die Klasse. Er war ein kleiner, -lächerlicher Mensch mit strohgelb in die Höhe stehenden Haaren. An die -Tafel gelehnt, schluchzte er überlaut, wischte sich die Tränen ab mit -einem blauen Taschentuch, schneuzte sich -- und dazu mußte ein Mädchen -ein ganz blödsinniges Lesestück vorlesen. Da begannen alle Kinder zu -lachen. Und Ruth mit ihnen, sie zerbiß ihr Taschentuch -- er weinte ja -auch immer, wenn er von Theodor Körner sprach. - -O die viele, viele Schande, die sie dort erdulden mußte. Alle Morgen -eine Krankheit erfinden, um nicht hinzugehen. In einer Zeit, wo der -unbeugsame Kindersinn nach unbedingter Reinheit verlangt und der -geringste Schmutzfleck ratlos macht und ausliefert. - -Konnte man je wieder rein werden, wenn man in diese Schule gegangen war? -Wo alle unterdrückte Sinnlichkeit der vertrockneten Lehrerinnen unter -den Bänken wieder erwuchs, aufgezogen von der schmierigen Neugier -halbwüchsiger Kinder, die von Liebe nichts wissen dürfen. Ruth wurde -später rot, wenn sie an die Gespräche dachte, die sie mit zwölf Jahren -hören und führen mußte. Und dann wurde alles verraten. Und ein Kind -wurde ausgeschult, weil es die Tochter einer Schauspielerin war. - -Nein, an diese Schule durfte man niemals zurückdenken. Ruth wich Martha -aus, wenn sie des Morgens dorthin ging. Sie hätte sie bedauert, wenn sie -sie nicht so maßlos verachtet hätte. - -Es war ganz selbstverständlich, daß Norberts Schwester diese Schule -besuchte. - -Norbert kam nicht mehr bloß Samstag. Er kam auch Mittwoch. Jeden -Mittwoch und Samstag zum Mittagessen. Vorher spielte er noch mit Gustav -zwei Sonaten, eine neu und eine, die sie schon das letztemal gespielt -hatten. Ruth kam an diesen Tagen immer zu spät nachhause. - -Ruth verachtete Norbert. Diese Verachtung war mit einem ihr sonst -fremden Ekel untermischt. Der sich bis zur Wut steigern konnte, wenn er -sie über den Tisch herüber ansah, hundetreu und Vertraulichkeit -vortäuschend. - -Mutters Vorliebe für Norbert stieg immer mehr. Martha konnte gar nicht -aufhören, mit Norbert zu sprechen. Er gab als Mitglied seiner Kaste -etwas verächtlich Auskunft über die Familienchronik der Stadt -- aber -immer als Mitglied seiner Kaste. Martha bekam hektisch rote Wangen. Ruth -dachte: Mein Gott, wie wenn ich den Uilenspiegel von de Coster lese. -Aber da ist es nicht ein Mensch, ein Volk, eine Welt, nur eine ehemalige -Tanzstunde. - -Deshalb hatte sie Martha in den letzten Jahren beiseite liegen lassen. -Neben ihr starb eine Seele in der Sehnsucht nach dem gelobten Land. - -Eines Mittags kam ihr auf der Straße ein ältliches Fräulein entgegen, -trotz der lichten Sonne in einem langen, grauen Regenmantel. Scharfe -Nase, weltfremde Augen, unter dem Arm eine Aktentasche. Ruth dachte: -Lehrerin, die hat heute sicher ein ungezogenes Kind gequält. Vielleicht -so eines wie ich war. - -Sie ging weiter. Um die Ecke herum begegnete ihr Martha, die eben aus -der Schule kam. Sie hing sich hastig an Marthas Arm und fragte einige -ganz überflüssige Fragen. Martha antwortete mürrisch. Ruth dachte: Um -Gottes Willen, vielleicht sieht sie in ein paar Jahren so aus wie die -andere, die Lehrerin von vorher. Nein, das ist unmöglich, das darf nicht -sein. - -Derselbe glühendheiße Druck legte sich ihr zwischen die Brust, den sie -als Kind empfunden hatte, als der Arzt sagte, daß Vater sterben müsse. -Sie hatte sich in einem Kasten versteckt und schrie in sich hinein: -unmöglich. - -So ging sie heute neben Martha. Bei einem Blumenweib blieb sie stehen -und kaufte ein winziges Büschelchen Veilchen. -- Ruth, um diese -Jahreszeit. Du fängst also schon wieder so an mit dem Geld. -- Nimm sie. --- Unsinn. -- Bitte. -- Nein, könnte mir einfallen. - -Ruth hielt die Veilchen ganz tief unten. Nur nicht weinen vor Zorn. Pfui -Teufel. Und Marthas Schleier hatte ein Loch quer über die Wange hin. -Ach, was ging diese langweilige Person sie eigentlich an. Sie ließ die -Veilchen in den Rinnstein fallen, knapp bevor sie in das Haustor traten -und sprang voraus über die Stiegen. - -Dann aber schalt Mutter mit Martha kreischend laut und ungerecht. Ruth -stand im Nebenzimmer mit geballten Fäusten. Mutter schrie. Martha -schwieg. Ach, da war wieder der entsetzliche Druck, der brennende Druck --- Angst -- - -Ruth warf eine alte Porzellanvase zu Boden, daß die Splitter sprangen. -Mutter stürzte wütend herein. Sie schüttelte Ruth und stampfte mit dem -Fuß auf die Scherben. Aber sie war wieder gut mit Martha. Denn Martha -jammerte mit. - -Ruth weinte so lange, daß sie am Abend krank war und in das Bett -gesteckt wurde. Mutter brachte ihr besonders aufgegossenen Tee und -setzte sich an den Bettrand wie in alten Zeiten. Aber Ruth drehte den -Kopf weg. Das Licht schmerze sie. Plötzlich sagte sie: -- du hast Martha -nicht gern. -- Was soll das heißen? -- Du hast Martha gar nicht gerne. -Weil sie häßlich und unglücklich ist. Häßliche und unglückliche Menschen -mag man nicht. Ich liebe Martha auch nicht, o nein. Aber ich will nicht -mehr mit ihr streiten. - -Und nach einer Weile: -- Weißt du Mutter, eigentlich wünsche ich, daß -Martha auch aus dem Fenster gesprungen wäre, wie ihre verrückte Freundin -voriges Jahr. Wenn sie es heute noch tun wollte, ich glaube, ich würde -ihr helfen und -- Ruth, Mutter stand vor dem Bett, dunkelrot -- du -willst also, daß ich hinausgehe ... Nein Mutter, ich habe nur manchmal -so Angst. Aber wenn du gehen willst, gib mir etwas zu lesen, irgendein -Buch, nur etwas, was gerade auf dem Tisch liegt. -- Schillers Dramen? -- -Nein, nicht das. Wozu. Ich sage dir, heute Mittag habe ich auf der -Straße im Sonnenschein eine Frau gesehen, viel, viel schlimmer als die -Maria Stuart, bevor sie auf das Schafott geht. -- Du träumst. -- Nein, -ich habe die Augen offen, sehr weit offen -- gute Nacht Mutter. - -Ruth versuchte nicht mehr, mit Martha zu sprechen. Aber in den nächsten -Tagen vergaß Martha, als sie in das Theater ging, den Schlüssel ihres -Kastens abzuziehen. Ruth schlich in ihr Zimmer. Ihr Herz klopfte in die -Kehle hinauf. Sie verschloß die Türe. Sie dachte: jetzt mache ich etwas -Niederträchtiges, Schmutziges. Aber ich kann ihm nicht entgehen, es -geschieht von selbst, notwendig -- - -Sie fand nichts, nein, sie fand gar nichts in dem Kasten, nicht einmal -die Photographie, die sie erwartet hatte. Wozu sperrte denn Martha den -Kasten immer auch dreifach zu. Nur ein Buch lag da, in Leder -eingebunden, mit vorgedrucktem Datum, darinnen standen alle Theater, -Vergnügungen, Bälle und Tänzer. - -Ruth empfand wieder den Geruch von Gaze, Spitzen, gebranntem Haar, -Straußfedern und frischen Blumen, die alle nach Parfüm und Puder -schmeckten. Jene festliche Erregung, die die ganze Familie bis zur -Hausmeisterin hinunter beherrschte, wenn Martha mit Mutter auf einen -Ball ging. Die ihr Kinderherz nicht schlafen ließ und an rauschende -Seidenröcke denken und blonde Prinzessinnenlocken. - -Heute abends war sie mit Mutter allein beim Abendessen. Mutter sollte -erzählen. - -Mutter tat das gerne, leichthin, ohne Ruths brennendes Interesse zu -spüren. Ruth zerkrümmelte das Brot über das Tischtuch. - -Mutter sagte: -- Du brauchst nicht glauben, daß Martha immer so war, wie -sie jetzt ist. Sie ist ein armes Mädchen, aber gut. Und du bist manchmal -sehr abscheulich zu ihr, Ruth. Da ist Richard ganz anders. Er ist doch -immer so rücksichtsvoll, das hat er bei Martha am besten gezeigt. Gott, -das ist schon lange her und von so etwas spricht man lieber nicht mehr. -Überhaupt zu dir, du könntest eine Bemerkung machen -- - --- Natürlich. Ich verstehe nicht, warum du dann davon redest? Was es -schon sein wird, sie wird eben ein Kind bekommen haben. - --- Ruth, so etwas sagst du zu mir? Wie du jetzt immer sprichst. Mit wem -gehst du eigentlich um? Schon in der Schule hast du dir immer die -Minderwertigsten ausgesucht. Bei Martha war das ganz anders. Wenn du -wüßtest mit wem Martha verkehrt hat -- - --- Das hat ja auch herrliche Folgen gehabt. - --- Martha war immer nur in den besten Familien eingeladen. Die Leute -haben sich um sie gerissen. Sie war hübsch und liebenswürdig. Alle haben -ihr den Hof gemacht, wie toll. Menschen wie Norbert -- - --- O weh ... - --- Ja, das ist dir natürlich zu gut. Aber ich sage dir, Martha hat ein -schönes Leben gehabt und war glücklich. Das verdankt sie mir. - -Ruth bückte sich, um die Serviette vom Boden aufzuheben. - --- Du weißt eben gar nichts. Wenn du eine Ahnung hättest, wer Martha -heiraten wollte -- - --- Und warum hat er es nicht getan? - -Mutter erzählte von dem jungen Baron, der Martha so sehr geliebt hatte. - -Ruth dachte: Sicher hat er ihr Blumen geschenkt beim Kotillon. - -Der Baron reiste ihnen nach, einen Sommer lang. Man wohnte in den -feinsten Hotels, o, es kostete ein Vermögen. An der Ostsee. Martha trug -nur Pariser Toiletten. Am Abend saß der Baron mit ihr und Mutter bei -Champagner auf bis zwölf Uhr, jede Nacht bis zwölf -- - -Ruth dachte: Warum ist sie nicht lieber am Strand mit ihm spazieren -gegangen und hat ihn geküßt. - -Alle morgen standen Blumen auf dem Frühstückstisch. Und Martha wußte -ihre Haltung zu bewahren -- - -Ruth fragte: -- Warum? - -Aber Mutter erzählte weiter, stolz, glückselig. - -Sie waren allein in dem Bad. Ruth und Richard waren zu Hause. Der Baron -hielt Vater für einen großen Unternehmer -- - -Ruth dachte: Vaters arme Zeichnungen. - -Und dann im Herbst waren sie verlobt. -- Mutters Stimme brach fast ab. --- Ganz richtig verlobt. Natürlich geheim. Aber er kam alle Tage zum -Abendessen und war mit Richard eng befreundet. Richard hätte damals in -ein Ministerium kommen können. Ach, es war herrlich ... - -Mutter schwieg. Ruth fragte: -- Nun, und? ... Und nichts. - --- Was heißt das? - --- Die Verhältnisse. - --- Die Verhältnisse also, das heißt, daß Vater kein Unternehmer war, daß -ihr geschwindelt habt. - --- Ruth, was sagst du mir da? Mir, die ich immer dem Glück meiner Kinder -gelebt habe. Richard sollte dich hören. Ja Richard überhaupt ... Wir -fuhren zu Weihnachten in das Gebirge. Du hattest Keuchhusten. Erinnerst -du dich -- - --- Ja, da war der Tierarzt. - --- Richtig. Nun und wenn Richard nicht so energisch aufgetreten wäre. -Martha war zu jeder Dummheit bereit. Der Landtölpel -- - -Ruth sah vor sich den bärenhaft trotzigen Menschen, mit den zarten -Händen und der Bauernsprache, auf dessen Rücken sie oft genug geritten -war. - --- Mutter, das ist eine Gemeinheit. - -Richard und Martha kamen aus dem Theater nachhause. Norbert war auch -dort gewesen. Ruth hatte Norbert am Abend vorher beleidigt. Richard -sagte: -- Natürlich, du kannst immer nur rüpelhaft sein. Es ist wirklich -schade, wenn ein Mensch aus guter Familie zu uns kommt. - -Ruth sprang auf: -- Ich glaube, ihr wißt alle nicht, wer Vater war. - -Und sie drehte Vaters Photographie an der Wand um. - -Am nächsten Tag suchte Ruth ein junges Mädchen auf, dessen Verkehr ihr -von Mutter streng verboten war. Sie hatte sie in einer Nähschule kennen -gelernt. Das junge Mädchen hatte grellrote Haare, die sie zu hoch -hinaufgesteckt trug. Sie lebte mit ihrer Mutter in einem schäbigen -Vorstadthaus, aber in der Wohnung waren viele Teppiche und Erker mit -heimlichen Palmen. Sie verkehrten nur mit Offizieren. - -Ruth traf Mutter und Tochter, wie sie sich eben manikürten. Sie wurde -mit überströmender Liebenswürdigkeit empfangen. Aber sie haßte manikürte -Nägel, die rund und glatt sind, wie Klauen von Tieren. So war sie kühl, -obwohl sie sich vorgenommen hatte, herzlich zu sein. Als Bella sich an -den Toilettetisch setzte, wo die vielen silberglänzenden Schächtelchen -waren und die rote Lampe darüberhing, bekam sie eine tolle Lust, -mitzutun. Sie schmierte sich rotes, weißes, gelbes Puder vermischt über -das Gesicht, bis Bellas Mutter in einen Lachkrampf ausbrach und sie in -die Arbeit nahm. - -Als sie sich dann in dem Spiegel betrachtete, von der Seite her und -verlegen vor sich selber, war das genau so, wie wenn sie sich vor Jahren -mit Marthas Garderobe zur Jungfrau von Orleans drapiert hatte. Das war -ja herrlich, so ganz jemand anderer zu sein, als man wirklich ist. -Verlockend und spielerisch. Maske. Ein bißchen wie der liebe Gott mit -dem weißen Bart. Nur daß die Schminke rot war. - -Und alle Lampen in diesem Haus waren rot. Sie fiel Bella um den Hals und -beide tanzten durch das Zimmer. - -Dann kamen drei Herren. Zwei Offiziere und ein Theaterdirektor. Sie -saßen in einem halbdunklen Raum und tranken Tee aus winzigen Tassen. Der -Zigarettenrauch war klebrig schwer. Man konnte nicht mehr sehen, daß die -Wände überfüllt waren mit Photographien, Bilderchen nackter Engel und -trockenen Maiskolben. - -Aber es war sehr lustig. Direkt gemütlich. Ruth fühlte sich wunderbar -wohl. Sie spielte ihre Rolle, als ob sie ihr von dem liebenswürdigen -Theaterdirektor eigens einstudiert worden wäre. Eigentlich wußte sie -nicht genau, ob nicht daneben ein Orchester spiele mit kreischenden -Fiedeln und ein Boy unter ihr Perolin aufsprenge. - -Ein Leutnant mit etwas herunterhängender Unterlippe setzte sich an das -Klavier und spielte eine abscheuliche Melodie. Bella sang dazu ein -schmieriges Lied. Dann setzte sie sich auf seinen Schoß und er küßte -sie. Er hatte große, schwarzgerauchte Zähne. Ruth dachte an Norbert. -Ekelhaft. - --- Ich muß nach Hause gehen. O man war sehr betrübt darüber. -- Aber ich -komme bald wieder. Und Ruth setzte sich den Hut schief in die Stirne -hinein und quer über ihr gerötetes Gesicht. - -Auf der Straße verfolgte sie ein Mann bis in ihr Haus. - -Bei Mutter war Besuch. Eine Freundin Mutters mit drei unverheirateten -Töchtern. Die alte Frau machte eine verwunderte Bemerkung, daß Ruth so -spät abends allein nachhause käme. Die drei Schwestern schielten -eigentümlich auf den schiefsitzenden Hut. Und die Älteste öffnete den -Mund, um etwas Boshaftes zu sagen. -- Da ging Ruth aus dem Zimmer. Ihr -war ja so übel. - -Bella war glücklich. Die drei Mädchen da drinnen zankten sich alle -Morgen. Gingen dann einträchtig den ganzen Vormittag Einkäufe machen für -ihre unbedeutende Wirtschaft. Trafen bei dieser Gelegenheit Bekannte, -die sie grüßten, mit denen sie sprachen. Nie ging eine allein auf der -Gasse. Immer waren sie zu zweit oder zu dritt und gewöhnlich war die -Mutter zwischen ihnen. - -Sie warteten ihr ganzes Leben, daß einer käme. Aber einer, der vornehm -war. Eigentlich war es dasselbe wie bei der Prinzessin im Märchen. Und -sie, Ruth, wartete auch. Nur daß sie so gar nicht wußte auf was. Bella -war glücklich. Die hatte alle Tage ihren Leutnant. Aber der hatte -schwarze Zähne. - -Martha war arm. Doch sie hatte einen Gott. Der saß an erster Stelle in -einem hohen Amt. Vielleicht hatte er auch einen weißen Bart. Sie, Ruth, -hatte keinen Gott mehr. Sie war wie Gustavs namenloser Hund. Aber sie -konnte selbst eine Maske anziehen. Gott werden für Bella, für den -Leutnant, für den Theaterdirektor. Vielleicht auch für Mutter. Es war -eine Bosheit, wenn sie es nicht tat. Ach, wozu so viel denken, -überhaupt, lieber Masken tragen und ganz anders sein -- und schlafen -- -sie streckte sich lang aus in ihrem zu kleinen Bett ... - -In der Nacht träumte sie von einem breitästigen Baum voll dichter, -gelbwelkender Blätter und rosa Riesendolden. Sie stand auf der Brücke -und der Baum war weit draußen in einem dunkelglatten See. Aber hinter -ihm stieg ein Berg auf mit beschneiten Tannen und die Luft war bleich, -wie im Winter. Der Baum hing voll schwerer rosa Blütendolden. Über die -Brücke kam Mutter mit ihren gierig fordernden Bewegungen, die immer -alles haben wollten und deshalb so ungeheuer armselig waren. Hinter ihr -ging Martha in einem rosa Ballkleid. Aber die Augen waren geschlossen -und die Wangen gelb. Ruth stand auf der Brücke und sie war ganz klein, -hatte kurze weiße Socken an, ein weißes Matrosenkleid mit hellrosa -Kragen. Oben auf dem Berg begann es sicher zu schneien. Und Mutters -Haare waren weiß. - -Am nächsten Tag brachte Norbert eine Einladung seiner Mutter für die -ganze Familie. Zu einer kleinen Gesellschaft, wie er leichthin sagte. -Dabei sah er Ruth an. Ruth sagte: -- Ich gehe nicht in Gesellschaft. - -Aber nachher mußte sie gehen. Sie war die Jüngste und mußte Martha -begleiten. Das sah so am besten aus. Mutter ließ ihr Abendkleid -herrichten und kaufte Lederhandschuhe und Seidenstrümpfe. Da fand Ruth, -daß die Sache eigentlich doch dafür stehe. Sie setzte sich vergnügt auf -den Tisch und probierte die Seidenstrümpfe an. Richard kam in das -Zimmer. Mutter rief: -- Ruth, schämst du dich nicht. -- Nein du hast sie -mir ja gekauft, damit man sie sehen soll. - -Sie machte einen langen Spaziergang durch Kot und Regen und erklärte -dann, die Strümpfe seien zerrissen und schmutzig, einfach unbrauchbar. -Und sie ging ohne Seidenstrümpfe zu Norberts Eltern. - -Norberts Schwester war ein halberwachsenes Ding mit zu kurzer Oberlippe -und vornehm tiefer Stimme. Sie grinste allen Gästen zu und war -übertrieben freundlich mit einer unscheinbaren, dicklichen Freundin. Der -Salon war verschnörkelt, Gold in braunem Holz, mindestens drei -überflüssige Tische standen da und in der Ecke hing ein großer Makart. -Sonst unzählige Photographien in kostbaren Rahmen und konventionelle -Geschenksvasen. - -Ruth dachte: Ich möchte wissen, wer in diesem Raum zuhause ist. Norbert -nicht, er tut nur so, wenn er die Zigaretten anbietet. Sonst aber paßt -er noch besser an unser Klavier. Und seine Mutter auch nicht. Was für -eine proletarisch dicke Nase sie doch hat und der lose, ungebändigte -Mund -- nein, die habe ich mir ganz anders vorgestellt. Aber sein Vater -hat einen eleganten, schneeweißen Scheitel. Und das ist auch alles. - -Norberts Braut kam zu ihr und war besonders freundlich. Sie war ein -hübsches, liebes Mädchen mit gerader Nase und langen, hellgrauen Augen. -Ruth fand, daß Norbert einen sehr vernünftigen Geschmack habe. Ihr -gelblicher Spitzeneinsatz paßte wunderbar zu seiner grauen Weste. - -Ruth merkte wohl, daß man sie wie ein kleines Tier aus der Menagerie -betrachtete. Weil ihr Kleid keinen Kragen hatte und die Haare -eigenwillig um die Stirne herumstanden. Norberts Freunde schauten ihm -eigentlich alle ähnlich. Lauter Menschen, die man erst monatelang sehen -muß, um zu wissen, wie sie aussehen. Wenn man denen allen die Hände -abschneiden wollte, man könnte die einzelnen Paare durcheinander werfen -und sie wären nicht zu unterscheiden. Wie alle ihre Krawatten und -Handschuhe. Ruth lachte bei dem Gedanken und wollte gähnen. - -Da kam ein Leutnant zur Tür herein mit herabhängender Unterlippe und -dunklen Zähnen. Um Gotteswillen, was wollte der hier. Den hatte sie ja -bei Bella getroffen. Nur daß er heute im Waffenrock war und ganz frisch -rasiert. - -Er wurde mit Jubel begrüßt. Norberts Vater schüttelte ihm beide Hände. -Er lächelte nach allen Seiten auf einmal. Aber vor Ruth verbeugte er -sich dunkelrot vor Bestürzung. Sie sagte strahlend: -- Uns brauchen sie -einander nicht vorzustellen, Norbert, wir kennen uns schon. - -Ruth war nicht mehr schläfrig. Ein Interesse, daß sie erwachen gefühlt -hatte, als sie mit Bella und deren Freunden Tee trank, trieb sie unter -die Leute. Sie schwatzte. Aber dabei verfolgte sie fortwährend den -Leutnant. Er wich ihr aus. - -Man bat den Leutnant stürmisch, etwas auf dem Klavier zu begleiten. -Neueste Chansons. Norberts Braut sollte singen. Sie hatte doch so eine -entzückende, kleine Stimme. Aber er wollte heute nicht. Ruth trat vor -und sagte, liebenswürdigst lächelnd, während ihre grünen Augen -forderten: -- Du mußt -- Spielen Sie doch das von dem kleinen Hotel, Sie -wissen schon. - -Und er trat vor und spielte es. Ja, spielte, was er bei Bella gespielt -hatte, was Bella gesungen hatte. Und -- war denn das möglich? War das -möglich, daß Norberts Braut dazu sang mit ihrer zarten Mädchenstimme, -diese Worte? War es möglich, daß man rasend Beifall klatschte und -Norberts Mutter duldsam lächelte, während sein eleganter Vater sich -köstlich unterhielt? Nein, da war etwas, worüber man nachdenken mußte. - -Ruth setzte sich in eine Ecke. Gleich darauf kam der Leutnant. Er redete -schlüpfrige Dinge und nahm ihre Hand. Sie ließ ihn gewähren, sie war -interessiert, brennend interessiert. - --- Sagen Sie Herr Leutnant, singt man dieses Lied jetzt überall? -- Ja, -es ist sehr beliebt. -- Ach, ich dachte, das singt nur Bella. Es ist -abscheulich. -- Gnädiges Fräulein scheinen sehr streng zu sein. -- O -nein, ich hasse nur schlechte Musik. - -Der Leutnant redete weiter. Dinge, süß wie zerlaufener Tortenüberguß und -prickelnder Champagner. Eigentlich hatte er eine hübsche Nase und schöne -Augen mit klugen Wimpern. Wenn nur der Mund nicht so schmierig gewesen -wäre. - -Sie sprachen von dem Makartbild. Der Leutnant behauptete, in Norberts -Zimmer hänge ein noch viel schöneres. Sie möge ihm doch folgen. Nein, -dachte sie, ich bin doch zu neugierig. Und sie ging mit ihm. Aber sie -ballte die Fäuste. - -Die Gesellschaft hatte sich zerstreut. Der Leutnant führte sie durch ein -dunkles Zimmer in Norberts Zimmer. Er zündete kein Licht an. Und küßte -sie. - -Ruth dachte in der Sekunde: Norbert -- wie er mich liebt -- sein Zimmer --- die Braut -- das Lied -- also so ist das -- aber die schwarzen Zähne --- so ist das -- Dabei schlug sie dem Leutnant mit der Faust ins -Gesicht. - -Er schrie auf, halblaut. Dann flüsterte er: -- Gehen Sie, gehen Sie -rasch. -- Sie sagte: -- Grüß Gott, Herr Leutnant und ging wieder in den -Salon. Auf ihrer Hand war ein Blutfleck. Den wischte sie sorgsam ab in -einem hellblauen Seidenvorhang. Dann mischte sie sich unter die jungen -Mädchen. - -Norbert kam und legte den Arm um seine Braut. Man sprach von Musik. Ruth -sagte: -- Onkel Gustav läßt Sie grüßen. Er hat eine ganze Menge Noten -für Sie bei uns liegen lassen. Norberts Braut fragte interessiert: -- -Wer ist das? Ist das der sagenhafte Künstler, der so wunderbar Mozart -spielt und den man niemals zu sehen bekommen kann. - -Norbert war dunkelrot. Ruth sah ihn aufmerksam an und sagte: -- Er hat -heute nicht kommen können, weil er keinen reinen Kragen gehabt hat. -Übrigens ist er kein Künstler, nur Zeichenlehrer an einer Mittelschule. -Aber er ist mein Onkel. - -Norbert ging den Leutnant suchen. Er kam bestürzt wieder. Der Leutnant -habe heftiges Nasenbluten und liege auf dem Sopha in seinem Zimmer. Ruth -schlich sich an Norbert heran: -- Norbert, Sie dürfen niemanden etwas -sagen, aber ich muß mir die Hände waschen. -- Jetzt gleich? -- Ja, aber -schweigen Sie. - -Norbert führte Ruth in das Badezimmer. Sie standen sich gegenüber in dem -weißgekachelten, grellen Raum, der voll heißem Dunst war. Ihre Haare -verdeckten die grünen Augen, so dicht hingen sie in die Stirne. Sie sah -ihn an. -- Wo ist heißes Wasser, ich möchte sehr heißes Wasser. -- Hier, -aber was ist Ihnen, was haben Sie? -- Sehen Sie den Fleck da auf meiner -Hand. Ich habe mich zuvor schon in einen Vorhang gewischt: Blut ist es. -Vom Nasenbluten von ihrem Freund da. -- Ruth, nein. -- Doch, soll ich -Ihnen den Vorhang zeigen? Im Salon rechts. Er hat mich geküßt in ihrem -Zimmer und dann hat er auf einmal Nasenbluten bekommen. -- Nein. - -Er hatte sich abgewendet und seine hohe, zu gerade Gestalt wurde klein -und verschwand im feuchtschweren Dunst. Aber irgend etwas stöhnte in dem -Badezimmer. - -Ruth wusch sich die Hände mit einer Bürste, daß das Wasser sprühte. -- -Sie sollten Ihre Braut nicht solche Lieder singen lassen. - -Er schwieg. Und nach einer Weile: -- Überhaupt, was Sie für Freunde -haben. Schämen Sie sich. - -Norbert wandte sich nicht um. Sie fühlte eine warme Welle um ihre Füße -spielen, weich und kosend, die sich doch nicht traute, höher zu steigen. -Er hielt den Kopf gesenkt. Sicher war er ganz rot. Warum schlug er sie -denn nicht? - --- Norbert, schauen Sie mich doch an, ob ich auch ganz rein bin. Er -richtete seine hundetreue dunklen Augen auf sie, langsam, verzweifelnd, -ergeben. -- Auf Ihrem Schuh ist auch ein Fleck, Ruth. -- Ach, was soll -ich jetzt tun? Mich wieder beklexen? - -Er kniete nieder und putzte ihr mit einem nassen Handtuch den Schuh, -sehr sorgsam. Sie sah auf ihn herab und fühlte: immer habe ich -gewünscht, es soll mir jemand Liebesgedichte machen. Aber das ist ja -viel mehr. Und doch ist es furchtbar. Soll ich ihm sagen, daß ich den -Leutnant geschlagen habe, oder soll ich ihn küssen, auf den braven -Scheitel da -- ach, Christus, hilf mir -- - -Da war Norbert fertig und sie gingen rasch wieder in den Salon. - -Am nächsten Tag kaufte sie ein paar japanische Nelken und erwartete -Norbert vor seinem Amt. -- Ich muß Sie sprechen. -- Ruth, ich werde Sie -nach Hause begleiten. -- Dort nicht, gehen wir in ein Kaffeehaus, ich -will allein sein. -- Nein aber -- was würde Ihre Mutter sagen. -- Dann -auf Wiedersehen ... -- Halt, Ruth, so bleiben Sie doch. - -Sie gingen zusammen in ein Kaffeehaus. Er schielte ängstlich auf alle -Tische. -- Da, nehmen Sie die Nelken, sie gehören Ihnen. -- Mir, nein -ich verstehe Sie nicht, wie können Sie nur ... -- Wahrscheinlich ist das -auch nicht schicklich, aber nehmen Sie. - -Ruth sah über das nüchtern glatte Kaffeehaus, wo eben die ersten -elektrischen Flammen angezündet wurden. Und wütend dachte sie: Herrgott, -wenn ich nur eine Ahnung hätte, was ich dem Kerl habe sagen wollen. -Nein, so was Dummes. - -Sie aß drei Portionen Eis nacheinander und er sah sie schweigend an. -Dann sagte er: -- Sie müssen nicht kleinlich von mir denken, weil ich -nicht in ein Kaffeehaus gehen wollte. Aber Ihre Mutter -- und ich bin -doch auch verlobt. Aber Ruth, vielleicht wird das jetzt ganz anders -werden -- - --- Norbert, sprechen Sie nicht weiter, o bitte, gewiß nicht, Sie wollen -eine riesige Dummheit sagen -- - --- Ruth, Sie wissen doch alles -- - --- Nein, ich weiß nichts, gar nichts. Nichts, Norbert. Ich bin Ihnen -dankbar, daß Sie mir gestern den Schuh geputzt haben. Deshalb die -Nelken. Und im übrigen -- ja, im übrigen, ich wollte Sie dringend -bitten, sich Onkel Gustavs etwas mehr anzunehmen. Er hat eine schwere -Bronchitis und liegt mutterseelenallein in seiner Dachkammer. Außerdem: -er liebt Sie, weil Sie so elegant sind. Nicht wahr, Norbert, Ihr -Großvater war doch Minister -- eigentlich könnten wir jetzt die Sitzung -aufheben. - -Ruth besuchte Onkel Gustav noch an diesem Abend. Er lag in seinem -ungeglätteten Bett. Neben seinem Kopf ein Öllämpchen und auf dem Boden -davor der Hund. Der Hund war auch krank und hatte das Zimmer beschmutzt. - --- Onkel Gustav, wie kannst du das aushalten? Sie riß das Fenster auf. -Er hustete furchtbar. -- Gib doch den Hund weg, wenn er krank ist. -- -Nein Ruth, daß du so etwas sagen kannst. -- Ich verstehe überhaupt -nicht, wie man sich einen Hund halten kann. Es ist doch immer etwas -Schmieriges im Zimmer. Ein Tier, mir graut vor allen Tieren. Schau nur -die Schnauze, lang, spitz, mit den langen, spitzen Zähnen. Die ist doch -zum Beißen da. -- Ruth, weißt du, daß du mir weh tust? ... Onkel Gustav -richtete sich im Bett auf und seine großen, runden Kinderaugen glänzten -noch mehr als sonst ... Natürlich ist es nur ein Tier. Aber er hat mich -lieb. Weißt du, was das ist? O, vielleicht hast du es noch nie -gebraucht. Ich will ja auch nicht seine Schnauze haben. Aber da ist eine -große Treue neben mir, wenn ich so im Bett liege. Ein großes Gefühl. Du -glaubst ja nicht an Gott, Ruth. Ich auch nicht. Aber an ein so großes -Gefühl. Deshalb ziehe ich auch ruhig den Hut vor einer Kirche. - -Ruth sah auf die Schmutzpfütze des Hundes mitten im Zimmer und dachte: -Nein, daß Norbert sich dazu hergegeben hat mir das Blut von dem Schuh zu -wischen, mit einem Handtuch -- wie ekelhaft. - -Martha unterrichtete jeden Tag von acht bis ein Uhr die Kinder der guten -Familien. Verstimmt kam sie zum Mittagessen nach Hause. Ruth versuchte -nie mehr, mit ihr gut zu sein. Auch nicht, Mutter das Streiten mit -Martha abzugewöhnen, da hätte sie viele Vasen zerbrechen müssen. Und sie -erkannte mit schauderndem Entsetzen, daß alles Mitleid zu Verachtung -wird, wenn es der Alltag abnützt. Da hilft kein Verstehen. - -Bella suchte sie nie mehr auf. Wozu noch -- - -Norbert kam Mittwoch und Samstag zum Mittagessen. Eines Tages traf sie -ihn auf der Straße, eingehängt in seinen Freund, den Leutnant. - - - - - Brand - - -Als Ruth das nächstemal Onkel Gustav besuchte, stand ein Mensch beim -Fenster. Dessen grobe, breitästige Knochen preßten das Zimmer zusammen, -ließen die Frühdämmerung nicht herein. Und von seinem Hinterkopf hingen -die Haare kurz und strähnenglatt herunter. - -Onkel Gustav hustete so furchtbar, daß Ruth Schleim und Blut vor sich -tanzen sah. - -Als der Fremde seine ungelenk hohe Gestalt rasch umwendete, war ihr, als -fiele ein ungeheurer Knochenhaufen in sich zusammen und zersplittere auf -dem Boden, steinhart. - -Onkel Gustav hustete. Blut und Schleim. Er konnte nicht sprechen. Der -Mensch verbeugte sich linkisch hochmütig vor Ruth, murmelte etwas und -ging fort. - --- Wer war das? fragt Ruth, als Onkel Gustav wieder still und erschöpft -da lag. -- Ein Freund von mir, du kennst ihn nicht. -- Wie heißt er? -- -Thomas. -- Und noch? -- Wozu willst du das wissen? -- Ich bin eben -neugierig, warum Mutter nicht wissen darf, daß er zu dir kommt. -- Das -ist abscheulich von dir. Das sagst du nur um mich zu kränken. Jeder -Mensch darf zu mir kommen, ich bin doch kein kleines Kind ... Er begann -wieder zu husten. - --- Sei ruhig, Onkel Gustav, ich war wirklich nur neugierig. Weil er mir -gefällt, dieser dein Freund oder was er ist. -- Er ist mein Freund. -Ruth, wenn du den kennen würdest, wirklich kennen. -- Wie verhält sich -Norbert zu ihm? -- Er hat ihn noch nicht gesehen. -- Ach so ... Gustav -hustete wieder und Ruth stand auf, um fortzugehen. -- Was ist das für -ein Ungeheuer? Sie nahm eine in graue Sackleinwand gebundene -Riesenmappe, die auf dem Tisch lag. -- O weh, die hat Thomas vergessen. --- Dann wird er sie wohl holen. Ruth wollte sich wieder setzen. -- Nein, -er vergißt bestimmt ganz daran, und wenn er morgen in die Schule geht, -hat er keine Hefte. Und wieder Unannehmlichkeiten. -- Weißt du was, ich -möchte sie ihm bringen. Ich will sowieso noch spazieren gehen. -- Nein, -Ruth, das geht nicht -- Onkel Gustav richtete sich ganz entsetzt auf -- -das kannst du nicht, nein wirklich nicht, auch ist es viel zu weit, er -wohnt ganz draußen in der Vorstadt. -- Das macht mir gar nichts. - -Ruth hatte die Mappe schon unter dem Arm: -- rasch, die Adresse. Onkel -Gustav hustete und sagte dann den Namen von Mutters ehemaliger -Friseurin. Ruth lachte schrill: -- nein, mit was für Leuten du verkehrst -... und sie sprang über die Stiegen. - -Die Luft war weich und frühlingshaft schwer. Wie um Mitternacht im Mai. -Aber die kahlen Bäume waren herbstmatt und ergeben. - -Ruth lief durch die dunklen Gassen und fühlte, wie sie mit jedem Schritt -in das Ungewisse hineintrat. Das weich und nachgiebig war wie ein -verprügelter Hund. Und doch lockte und zog. - -Sie wollte den nacktsträhnigen, groben Kopf nicht berühren, nein, -niemals, o um Gotteswillen nicht. Onkel Gustavs Husten schrie ihr nach. -Ganz arme übermüdete Pferde hatten solche schwer hervorspringende -Knochen. Deren Kraft um Mitleid schreit. Während die Muskeln zu schlaff -sind, das Gerüst zu tragen. - -Nein, sie konnte nicht weiter. Eine wütende Angst hielt sie zurück, sie -könne einem Kutscher begegnen, der seine Pferde prügelt, erbarmungslos -über die steinige Straße, brüllend, schimpfend, fluchend und mit der -Peitsche. - -Nein, sie wollte nicht weiter. Wie kam sie auch dazu, einem fremden -Menschen seine Sachen in das Haus nachzutragen. Sie wird das -Mappenungeheuer in einen Straßengraben werfen. Oder doch vielleicht -zuerst hineinsehen -- ja, zuerst hineinsehen. - -Ruth ging in ein kleines Kaffeehaus, wo ein paar Dienstmänner und -Kutscher Karten spielten. Sie setzte sich in eine halbdunkle Ecke und -schämte sich. Bei einer unanständig dicken Kellnerin bestellte sie Tee. -Und war verzweifelt über die schmierig braune Marmorplatte. - -Aber die Mappe. Ein armseliger zerbissener Bleistift rollt heraus. Und -dann Schulhefte der dritten Volksschulklasse. Immer mehr Schulhefte. In -jedem beginnt die Aufgabe: Alle Haustiere ... - -Ruth schließt die Mappe. Den Bleistift steckt sie zu sich. Sie muß -Thomas seine Hefte bringen. - -Sie trat in das Ungewisse. Es wich und lockte. Und die Nacht war ganz -dunkel. - -Das einstöckig verkrochene Haus lag weit draußen, am Rand der ersten -fahlen Fabrikswiesen. Gelbrötliches Licht träufelte aus seinen niedrigen -Fenstern. Das Ungewisse war nah und furchtbar. - -Eine fremde Wohnung suchen ist entsetzlich. Wie leicht läutet man bei -fremden Menschen an und die sind dann böse. Und eigentlich war Thomas -sogar auch ein fremder Mensch. - -Ein grünblasser Proletarierbub mit abstehenden Ohren öffnete Ruth die -Türe. Es roch nach aufgewärmtem Essen. Im Zimmer war eine Nähmaschine. -Darauf eine Petroleumlampe. Ein Mensch bei der Nähmaschine, in der -Nähmaschine, ein Stück der Nähmaschine, in sie hineinverwachsen, bucklig -verkrümmt, eng. - -Ruth dachte: Wieder weg, gleich -- - -Da kam Thomas herein in blaugestreiften Hemdärmeln. Sie stotterte etwas, -dunkelrot, besinnungslos verlegen. Der blasse Bub glotzte sie an. Thomas -Schwester steckte den Kopf aus ihrem Buckel heraus. Er selbst war gar -nicht erstaunt. Sagte fast grob: danke. Sie bemerkte, daß ihm ein großer -Augenzahn fehle, daß eine schmutzige Unterhose auf dem Sessel neben ihr -lag. Ihr ekelte wild. - -Eine Stimme, die weich war, wie die laue Nacht draußen, sagte: -- -Bleiben sie doch noch ein wenig und ruhen Sie sich aus. Sie sind ja ganz -erhitzt. - -Das bucklige Ungeheuer. Ruth hätte ihr die zu langen, kranken Hände -küssen wollen. - -Thomas und sein Bruder waren hinausgegangen. Die Nähmaschine ruhte. Und -die Petroleumlampe war noch heruntergeschraubt. - -Thomas Schwester hatte stechend graue Augen mit müden Lidern. Sie sprach -von Onkel Gustav wie von einem Halbgott und fragte sehr viel. - -Ruth dachte: Der große, schwarze Kasten in der Ecke dort schaut Thomas -ähnlich. Er ist schön und mächtig, aber was da nur drinnen hängt. Ich -möchte meine Kleider nicht hineingeben. Wie es hier riecht -- nach -Baumwollstrümpfen, die nicht gewaschen werden. - -Thomas Mutter schlürfte herein. Sie hatte rote Wangen, als ob sie früher -einmal geschminkt gewesen wäre und war furchtbar häßlich. Sie begrüßte -Ruth als alte Bekannte und stellte graue Teller auf den ungedeckten -Tisch. - -Thomas kam wieder in das Zimmer und schien sehr unzufrieden, daß Ruth -noch da war. Sie sprang auf. Er begleitete sie vor die Haustüre, hinten -im Hof bellte der Hund. Sie gab ihm die Hand und ihr war, als ergreife -sie einen toten Knochen. - --- Ich danke Ihnen, sagte Thomas mit seiner zerbrochenen Stimme. -- Aber -wir müssen jetzt zu Abend essen. Unser Petroleum reicht nur bis halb -zehn. - -Sie hielt seine Hand noch fest und sah nur, wie er mit der anderen Hand -an den Hals griff, der Daumen stand eigentümlich scharf weg wie die -Klinge eines Messers. - -Ruth wußte, als sie nach Hause ging: Thomas kann als kleines Kind keine -Milch bekommen haben. Nur zähes Fleisch von wilden, geschlachteten -Tieren. Und sie sah während des Abendessens fortwährend auf Richards -Hände, die wohl noch nie ein Tier geschlachtet hatten. - -Die kleine Weißnäherin Gertrud ließ sich den ganzen Abend durch von -ihrer Mutter Ruths erste Kindheit schildern. Damals war die Friseurin -oft in das Haus gekommen, o ja und die gnädige Frau hatte Perlen, eine -endlose Kette hinunter. Ruth lag immer schon in ihrem weißlackierten -Gitterbettchen und steckte die frischgebadeten Fingerchen durch das -Netz. Und die gnädige Frau erzählte von Paris, immer von Paris, sie -hatte auch Pariser Parfüm. - -Die Wangen der alten Friseurin glänzten wie frisch geschminkt. Gertrud -fuhr mit feuchten Händen über die Tischplatte, daß große nasse Flecken -auf dem Holz zurückblieben. Thomas starrte in seinen Teller und hielt -mit aufgestützten Armen Gabel und Messer, kampfbereit. -- Was habt ihr -mit den fremden Leuten, grollte er. - -Gertrud sagte: -- Das Leben. Ihre ermüdeten Augen starrten an ihnen -vorbei. Sie empfand in diesem Augenblick: Nach Paris reisen -- in der -Bahn liegen, einen zärtlichen Atem neben sich -- genießen -- oder: ganz -klein sein und in einem weißen Gitterbett liegen mit geraden Gliedern, -die wachsen dürfen. - -Gertruds Buckel war das Nest eines Vampyrs. Brut und Beutestatt. Alle -unerlebten Träume, alle schäbigen Wirklichkeiten der Mutter steckten -darin. Thomas' Schulstunden. Und die Reißbretter des kleinen Bruders, -der in die Realschule gehen durfte und ein zufriedener Techniker werden -sollte, werden mußte. - -Aber es war noch viel mehr in Gertruds Buckel. Ihre spinnenlangen, -blauadrigen Finger nähten und trennten eigentlich gar nicht den ganzen -Tag. Sie tasteten zum Fenster hinaus über die Rücken der Vorübergehenden -nach neuem Leben. Und die schwangere Nachbarsfrau, die alle Tage sich -erbrach und heulte, daß man es genau hören konnte, trug ein Kind, dessen -Schicksale sie schon im Voraus empfand, wie ein hohes Glück. - -Gertrud schätzte den Wert ihres erwürgten Lebens wie ein Sterbender den -letzten Atem. Seligkeit war die erste Morgensonne, die ihr in den dünnen -Kaffee schien. Seligkeit der graue Tag voll wuchernder Gedanken. Sie -nähte schöne Hemden, schmeichelnd glatte, aus Leinenbatist, aus Seide. -Seligkeit, die anziehen zu dürfen. Seligkeit, alle Tage in die Schule -gehen zu dürfen und hundert schmutzige Kinder zu unterrichten, wie -Thomas. Welche Betätigung der eigenen Kraft. Wie herrlich für ihn, daß -er sie alle erhalten durfte und es dem kleinen Bruder ermöglichen, etwas -besseres zu werden -- das war Menschenglück. - -Thomas' Schulkinder saßen Nachmittage lang an Gertruds Nähmaschine. Sie -erzählte ihnen vom lieben Gott und ratterte und nähte. Die Kinder waren -zufrieden. Hier war jemand, der nichts von ihnen wollte. So streuten sie -ihr das kleine, schmutzige Leben willig in den Schoß. Das sie nicht -verstand und doch aufsaugte. - -Thomas merkte nichts davon. Er hielt Gertrud für eine Heilige. Denn sie -liebte und stützte die verkommene Mutter, den tuberkulosen Bruder. Er -wußte, daß, wenn sie eines abends nicht da wäre, die fettige -Petroleumlampe nicht mehr brennen könnte, auch nicht bis halb zehn. Und -dann wäre alles aus. - -Sie war die Liebe, und er beugte sich vor ihr. Aber er glaubte nicht an -die Liebe. Er glaubte an das Wort. - -Das Wort war in ihm und in ihm war die Welt. Sprechen können -- dann -müßte sein ungebadeter Körper rein werden. - -Er verbesserte alle Abende bis halb zehn Uhr die Schreibübungen der -Kinder. Und dann mußte das Licht gelöscht werden. Zwei bis drei Hefte -blieben noch zurück für den blassen Morgen. Aber daran war nichts zu -ändern. - -Ruth empfand es in den nächsten Tagen zum erstenmal in ihrem Leben als -peinlich mit entblößtem Hals herumzugehen. Sie legte sich einen alten -Pelz von Martha um, der nach Kampfer roch und kitzelte. Und sie dachte: -es müßte gut sein, zu wissen, daß man nie mehr im Leben einem Mann die -Hand gibt. Was das nur ist, fremde Knochen -- ach nein, entsetzlich. - -Sie wollte nie mehr zu Thomas gehen. Wegen seiner Mutter. Was für -struppige graugelbe Haare die hatte, diese Friseurin. Und dann, sie -hatte das kleine, bucklige Ungeheuer in die Welt gesetzt. Wie konnte man -so etwas verbrechen. Wenn ich Christus wäre, ich müßte zum Fenster -hinausspringen nur weil Gertrud lebt, dachte Ruth. Und ekelte sich vor -Thomas riesengroßer Zahnlücke. - -Eine Woche später war Ruth wieder bei Thomas. An dem ersten, kalten -Wintertag, der ohne Schnee war, aber ganz voll Dämmerung. Die -Nähmaschine ratterte. Thomas stand in der hintersten Ecke, bei dem -winzigen Eisenofen. Er hatte den Deckel zurückgeschlagen und die roten -Flammen verzerrten seine knochigen Züge. -- Ich komme Ihnen erzählen, -daß es Onkel Gustav sehr schlecht geht. -- So. - --- Ja ich komme Ihnen das erzählen, Sie sind doch sein Freund, oder -nicht? -- - -Thomas ging in das Nebenzimmer. Ruth dachte wütend: Eigentlich könnte -ich ja zu Norbert gehen. Gertrud blickte sich interessiert um. Da ging -Ruth ihm nach. - -In seinem Zimmer standen zwei graue Eisenbetten. Und zwei eiserne -Bücherregale. Und ein eiserner Ofen. Der Tisch war mit verschmierten -Schulbüchern verdeckt und geometrischen Zeichnungen von dem Bruder. -Nichts in diesem Raum gehörte Thomas. Nur seine eigenen massigen -Knochen. - -Er starrte an ihr vorbei mit stumpfen toten Augen. Er sieht mich nicht, -klagte Ruth, er sieht mich nicht, jubelte Ruth, er sieht mich nicht, er -sieht überhaupt nicht heraus, er sieht hinein. Und sie bemerkte, daß -sein proletarisch hoher Kopf aristokratisch lange, leidende Schläfen -hatte. - --- Was machen Sie eigentlich da, fragte Ruth und sie setzte sich auf den -Tisch, mitten in die Zeichnungen des Bruders und baumelte mit den -Beinen. Den kahlen Wintermantel knöpfte sie auf. Und sie nahm sich vor, -den stickigen Dunst ganz in sich einzusaugen und aus allen Poren -wiederzugeben, dann müßte er sie spüren. - -Thomas ging hin und her, ohne sie noch einmal anzusehen. -- Höflich sind -Sie nicht, lachte Ruth. -- Er blieb vor ihr stehen. -- Wozu auch. -Glauben Sie, ich kann nicht, wenn ich will. Aber warum. - -Ruth dachte: Ich kann die Luft herinnen doch nicht so leicht einatmen. -Sie zerdrückt mir die Lunge. Sie ist zu schwer. Schwer wie Thomas' -Knochen, oder noch schwerer, ich kann nicht und um Gotteswillen, wer -keucht, wer stöhnt da, wer erbricht sich, bin ich es selbst -- o wie -schlecht ist mir -- - --- Sie brauchen nicht zu erschrecken, sagte Thomas und setzte seine -rastlosen Wanderungen um den Tisch fort. Die Frau von unserem Nachbar -daneben erwartet ein Kind und das hören wir immer so genau. - --- Was ist noch in ihrem Zimmer, Thomas. -- Sie stand vor ihm, ihre -grünen Augen waren ganz groß geworden. - --- Was noch -- O Thomas, Sie müssen furchtbare Nächte haben. - -Da küßte er ihr die Hand mit den groben, aufgesprungenen Lippen. Ihr -graute. Sie wurde zornig. Und sie lief davon. - -Sie wollte nicht mehr zu Thomas gehen. Da sah sie ihn zwei Tage später -auf der Straße. In den frühen, toten Nachmittagsstunden. - -Sie dachte: wenn ich ihm jetzt nicht entgegenspringe, er rennt dort in -die Mauer hinein, zerschellt sich seine großen Knochen. Nein, wie er -friert. - -Sie packte ihn beim Arm. -- Thomas, grüß Gott, aber warum haben Sie -keinen Mantel, Teufel noch einmal! - -Er war ganz blau und sie wußte, ohne daß er antwortete, daß den einzigen -Mantel der Familie der kleine Bruder trug. - -Sie begleitete ihn und kombinierte: Wenn Onkel Gustav stirbt, kann -Thomas vielleicht den Wintermantel bekommen, oder ich stehle den von -Richard. Der ist so gut wattiert. Ach, wenn ich nur nicht so feig wäre, -ich müßte Onkel Gustav auch töten können, aber ich traue mich ja nicht. - -Thomas sagte: -- Mir ist gar nicht kalt, was fällt Ihnen ein. Aber man -sollte mir nicht um halb zehn Uhr das Licht wegnehmen, nein, das sollte -Mutter nicht. Und wir haben gar kein Geld mehr für nächste Woche. - -Ruth gab Gertrud ihr letztes bißchen Taschengeld. Gertrud nahm das -bißchen mit Tränen in den Augen und verklärt. - -Als Weihnachten kam, wußte Ruth nicht, was sie Thomas schenken sollte. -Sie verkaufte zwei goldene Ringe, die sie nie getragen hatte, und kaufte -ihm dafür einen wunderschönen Band Schopenhauer. Sie half heuer nicht -den Weihnachtsbaum putzen. Sie empfand zum erstenmal nicht die gespannte -Erregung vor dem wunderbaren Abend, der doch alle Jahre der gleiche -blieb. Sie empfand auch nicht, daß die Straßen anders waren als sonst, -weil so viele frohe Menschen mit Paketen durcheinanderliefen. Sie wußte -nur, daß Thomas bei der furchtbaren Kälte keinen Wintermantel besaß, daß -der Band Schopenhauer in weiches, mattbraunes Leder eingebunden war. - -Sie nahm aus ihrem Schreibtisch noch rasch eine Schachtel Briefpapier -für Gertrud und eine Rolle herrlichstes, weißes Kanzleipapier, auf das -sie einst ihre Lebensgeschichte hatte schreiben wollen, aber das war -schon lange her. Jetzt sollte es Thomas' Bruder bekommen, der immer -klagte, er habe zu wenig Papier für seine deutschen Aufsätze und die -langen mathematischen Formeln. Etwas Besseres hatte sie nicht. - -Gertrud schmückte den winzigen Weihnachtsbaum mit Silberketten vom -vorigen Jahr. Sie humpelte vergnügt in der kalten Stube herum und sang -ein Weihnachtslied. Auf dem Tisch standen noch von dem Mittagessen -Teller mit übrig gebliebenem, gelbem Brei. Ruth ging rasch in Thomas' -Zimmer. - -Er lag mit toten Augen über den Tisch hinüber, gierig, lauernd. Ruth -legte das sattbleiche Kanzleipapier neben ihn hin. - -Ein Schrei, wie ein Tier, das nach Wasser sucht: -- Ruth, das bringst Du -mir, Du weißt also, weißt alles, doch und Du glaubst daran, und noch -kein Wort, noch immer kein Wort, aber du glaubst daran -- - -Er lag vor ihr und umfaßte ihre Schenkel mit tastenden, greifenden, -packenden, schaffenden Bewegungen. Er keuchte. Seine Hände waren feucht, -er gurgelte mit halberstickter Kehle. Ruth graute und sie sagte weinend: --- nicht wahr, jetzt schreiben Sie das Buch -- und sie streichelte -seinen Kopf wie einem ganz kleinen Kind und küßte die aristokratisch -hohen Schläfen. Jetzt ganz gewiß, ganz gewiß. Ihr ekelte vor seinen -strähnig fetten Proletarierhaaren und sie streichelte seinen Kopf. - -Zuhause konnte sie das Licht der Weihnachtskerzen nicht vertragen. Die -Stimmen der Verwandten machten sie rasend. Bei Tisch sagte Richard zu -einem alten Onkel: -- gewiß ist ein rechter Künstler noch nie den -widrigen Verhältnissen unterlegen. Im Gegenteil ... - -Ruth sagte: -- wo liegt die Statistik der Untergegangenen. Ich glaube -bei der Mordstatistik im Strafgericht, nicht wahr, dort liegt das auf. - -Dann wurde ihr schlecht und sie mußte die ganze Nacht lang erbrechen. -Das Zimmer war überheizt und sie empfand nur, wie sehr Thomas diese -Nacht frieren müsse, denn sicher waren alle Kohlen für das -Weihnachtszimmer aufgegangen. Vielleicht verbrannte er das weiße -Kanzleipapier. Den Schopenhauer bekam ja Onkel Gustav, der war noch gar -nicht tot. Nur wollte sie nie mehr zu Thomas gehen, ganz gewiß nie mehr. -O, wie sie seine gierig schaffenden Hände fürchtete, grauenhaft war es -und unverschämt gegen die Natur, gegen ihren eigenen Körper. Und die -Frau daneben erbrach ja auch fortwährend, weil sie ein Kind erwartete. - -Sie bekam einen Brief von Gertrud: warum kommst Du nicht mehr? Thomas -ist krank. Sie war zornig und ging nicht hin. - -Sie bekam einen Brief von Gertrud: warum kommst Du nicht mehr? - -Da kaufte sie ein Dutzend verschiedener Federn und tiefschwarze Tinte -und ging wieder zu Thomas. Gertrud saß in der Nähmaschine und sah sie -vorwurfsvoll an: Du hättest früher achtgeben sollen, Ruth. -- Worauf? -- -Thomas liebt Dich. -- Mach Dich nicht lächerlich. -- Doch Ruth, seit Du -fortgeblieben bist, kann er nicht mehr unterrichten. Gestern hat er den -Kleinen geschlagen. Denk Dir, Thomas und schlagen, wegen irgend eines -kostbaren Papiers. -- Er hätte ihn erschlagen sollen, Ihr wißt alle -nicht, was Thomas braucht. -- Ruth, ich verstehe Dich nicht -- Gertruds -Stimme war so weich, daß Ruth mit dem Fuß darauf stampfen mußte. -- Und -denke Dir, er will plötzlich um zwei Uhr nachts Licht brennen. Aber die -Mutter hat doch kein Petroleum. Er streitet mit den Leuten in der -Schule. Seit acht Tagen war er überhaupt nicht mehr dort ... Gertrud -weinte. Ruth war ganz kalt: Gertrud, wer ist Dir lieber, Thomas oder die -Mutter, oder der Kleine? -- Das weiß ich nicht, mir sind alle drei ganz -gleich lieb. -- Dann kann ich Euch nicht helfen. -- Aber Thomas liebt -Dich. -- Du bist dumm, näh deine Hemden weiter. - -Thomas kam aus seinem Zimmer und zog Ruth an beiden Handgelenken zu sich -herein. -- Wo bist Du solange geblieben? Du hättest kommen sollen. -Nichts als Farben -- Töne, mit der Hand zu greifen -- Worte noch nicht --- Worte -- - -Sie gab ihm Tinte und Federn. Er nahm eine Feder und kratzte sich einen -tiefen Strich in die zerklüftete Hand: aus der Spitze muß es kommen, -fließen, strömen -- Gesetz -- Ruth bleib da. - -Er hielt sie fest mit beiden Armen. -- Kannst Du beten? -- Nein. -- Das -macht nichts. Bete, es darf nicht finster werden. Mutter darf das -Petroleum nicht versperren. Der Bengel darf nicht nachhause kommen. Die -Nähmaschine darf nicht rattern. So bet doch. - -Als es dunkel wurde, begleitete er sie nachhause. -- Man muß Licht -sparen ... Und wieder die Bewegung an den Hals, der Daumen steht -eigentümlich scharf weg, wie die Klinge eines Messers. - --- Siehst Du den Eckstein hinter der Straßenlaterne, die Biegung, die -rund sein soll und doch eigentlich voll Ecken ist. Spürst Du. Wie meine -Finger. Der Stein ist grau, so grau, daß unsere Augen daran sterben -müßten. Aber das gelbe Licht aus der Laterne schleicht darauf -- mein -Licht ist eigentlich größer. Und lauter Ecken, die aussehen wie -Biegungen, Rundungen. Wie wir uns täuschen. Nur die Lügen sprechen sich -leicht. Aber die Wahrheit ist furchtbar, sie ist das Wort, das war im -Anfang. Hörst Du die eisigen Pfützen, wer hat je so sprechen können. Und -unlängst in der Nacht war ich fließendes Wasser. Ich weiß, wie es tönt, -übereinander fällt, ich weiß, wie es sich berührt ... Meine Stimme ist -häßlich, vorne fehlt mir ein Zahn, ich weiß wie Dir das widersteht, -Ruth, laß, aber weißt Du, was meine Hände können, über die weißen -Flächen gleiten, nein, das ist nicht Schnee, es schneit ja heuer gar -nicht. Aber erst sollen meine Fäuste den Reichen die Fenster -einschlagen. Was machen sie bei dem elektrischen Licht. Bei dem vielen -Licht. Meine Hände können doch Mutter das Petroleum nicht stehlen, da -ist kein Mark in den Knochen. Der Hund heult die ganze Nacht im Hof und -die Frau daneben erbricht sich noch immer die ganze Nacht ... - --- Thomas, wart doch, aber wart, ich werde Dich heiraten. Was Du da von -dem Zahn gesagt hast, ist Unsinn. Ich habe nicht viel Geld, aber ein -bißchen etwas muß mir Mutter schon geben. So viel, daß wir ein halbes -Jahr, ja ein halbes Jahr schon in einem ruhigen, schönen Zimmer wohnen -können. Nur ein Badezimmer noch daneben. Und du kannst schreiben, den -ganzen Tag, auch in der Nacht. Ich werde eben im Badezimmer schlafen. -Aber warten mußt Du, wart doch, Thomas, wart nur noch ein ganz klein -wenig. - -Thomas stöhnte wie ein Pferd nach dem letzten Peitschenhieb. -- In der -Schule haben sie mich hinausgeworfen. Ich kann dem Buben das Geld für -seine Studien nicht mehr geben. Und Mutter muß leben und Gertrud, die -Arme. Und in der Nacht müssen sie alle schlafen. Da heult der Hund. - -Er fuhr Ruth mit einer wilden Bewegung an den Hals. Der Daumen stand -eigentümlich scharf weg, wie die Klinge eines Messers. Sie schrie. - --- Schweig, sagte er heiser, es ist ja nicht auf Deinem Hals. Auf meinem -ist es. Die fremde Hand. Sie würgt noch nicht, aber sie wird es tun, -sofort, gleich, jeden Moment und dann ganz. Sie würgt noch nicht. Und -doch habe ich schon einen flammend roten Streifen da vorn auf meinem -Hals. - -Ruth sah, daß alle Fenster der Wohnung dunkel waren. Und nahm Thomas mit -sich in ihr Zimmer. Der Ofen glühte. - -Thomas warf sich auf dem Teppich der Länge nach nieder und starrte mit -toten Augen in die Glut. Ruth blieb stehen und dachte: wie schön die -wilden Knochen geordnet sind, wie schlank sie liegen. Thomas sagte: -- -meine Farbe ist mehr gelb, aber nicht so gelb, wie auf dem Eckstein. - -Ruth warf sich neben ihn vor das Feuer. Er preßte sie an sich, daß sie -die Rippen brechen fühlte. Seine groben Lippen waren blutig -aufgesprungen. Schon fast zerfetzt. Der eine Vorderzahn fehlte. Zurück -um Gotteswillen. Sie riß sich los. - -Er stand vor ihr, seine Hände hingen herab. Eine große Knochenmasse, -bereit, zusammenzufallen. - --- Ruth, sagte er langsam, ich danke Dir. Es ist so viel Wärme in Deinem -Zimmer. Mich friert nicht mehr. Aus dem Mark der Knochen stößt sich die -Kraft heraus -- heute abend wird -- - -Er war schon lange fortgegangen. Ruth lag vor der erloschenen Glut auf -genau demselben Fleck, wo er gelegen war. Und stöhnte: aus dem Mark der -Knochen heraus. Thomas. Ein Kind. Von ihm ... - -Thomas ging aufrecht nachhause. Beim Abendessen teilte die Mutter vor: -Kraut und jedem sein Stück Brot. Die Petroleumlampe brannte sehr -schwach, tief heruntergeschraubt. Thomas sprach in sich hinein: heute -abend wag ich es, heute endlich. Ich habe ihnen ja noch nie etwas -weggenommen. Aber heute, das bißchen Petroleum, das werden sie mir schon -geben, können sie gar nicht verweigern. Und der Bub schiebt sein Bett -einfach herein. Aus der Straßensteinrundung heraus bricht das Wort. -Schon ist es nahe, nahe -- - --- Heute können wir zeitlich schlafen gehen, sagte die Mutter -weinerlich, überhaupt jetzt, wo der Thomas so keine Hefte mehr zu -korrigieren hat. - --- Muß ich wirklich aus der Schule heraus, fragte der blasse Bub. - --- Wird schon so sein, sagte die Mutter mürrisch. -- Warten wir es ab, -sang Gertruds milde Stimme dazwischen und ihre Augen suchten Thomas, -flehend, verzweifelnd und doch gleich wieder voll Vertrauen. - --- Was geht Ihr mich alle an, dachte Thomas, das Wort, aber ich muß erst -um Petroleum bitten. - -Wieder lag die Hand auf seinem Hals. Aber nicht mehr ein Messer mit -stumpfer Klinge. Lange Finger mit verschiebbaren Gelenken drückten sich -in die Kehle hinein. - --- Gertrud, sagte er und zog sie in eine Ecke, gib mir alles Petroleum, -was wir haben, heute Nacht, nur heute Nacht. -- Die Mutter hat den -Schlüssel. Aber ich muß mit Dir reden, ob Du uns wirklich alle zugrunde -richten willst, lieber, einziger Thomas, wenn Deine Schule -- Laß das -jetzt, ich brauche Licht. -- Die Mutter hat das Petroleum. -- Mutter gib -mir alles Petroleum. -- Geh schlafen. -- Mutter, nur heute. -- - -Die alte Friseurin grinste höhnisch: -- hab keines mehr. - -Thomas wußte, es ist nicht wahr. Und war machtlos. - --- So geh ich zu den Nachbarn. -- Die schlafen. Die Frau hat Nachmittag -ein Kind bekommen. - --- Gott ... Thomas brach auf seinem Bett zusammen. Gott war das Wort. -Und das Wort durfte nicht gesprochen werden. - -Dunkel. Der Bub schnarcht und hustet abwechselnd. Die Hand -- - -Nachtkälte kriecht durch das Fenster und Tagwärme schleicht in sie -hinein. Die Hand legt sich an die Kehle, den Daumen eigentümlich scharf -weg. - -Gertrud und die Mutter im Nebenzimmer atmen schwer. Stöhnen. Die Hand -würgt. - -Schwarz. Aber aus den Knochen heraus, aus dem zarten Mark bricht es -dunkel glühend, ächzend. Gestalt, Klang, tasten, berühren, drängen, -steigen, sich heben. Die Poren saugt es hinaus in die kalte Luft. Und -ist doch drinnen, noch im Mark, flammend rot, brennend -- - -Ach wozu liegen, tot sein. Wer kann sterben, wenn das Innerste leben -will. - -In schwarzen Ballen fällt es aus sich heraus, in blutigen Brocken. -Gedrückt von fremden, arbeitsamen Fingern. Eine brühende Masse schwelt -in den Gliedern. Kocht, brodelt und schmeißt sich nach oben -- - -daß die Haut sich dehnt der steinharten Knochen. - -Gewalt. - -Und alle schlafen -- dunkel -- - -Nein -- licht soll es werden -- licht -- hell -- grell. - -Er schleicht hinaus vor das Haus mit Katzentritten. - -Der Hund bellt -- heult -- - -Alle schlafen -- aber das Wort kann nicht schlafen -- das Wort muß leben --- lodern -- zerstören -- - -Er klettert auf die Straßenlaterne, zerschlägt sie vorsichtig, entzündet -die Fackel aus dem Schuppen, schlägt das Fenster ein -- Licht fällt in -das Haus -- das Wort fällt in das Haus und der Dichter rast durch die -dunklen Gassen. - - * * * * * - -Ruth fährt auf aus dem Schlaf. Sie trägt ein Kind im Leib. Ach nein. Die -Feuerwehr ... - - * * * * * - -Der Säugling der Nachbarin ist verbrannt. Sonst wurde alles gerettet. -Und die Teilnahme der ganzen Stadt wendet sich der Familie des -geisteskranken Volksschullehrers zu. - -Ruth besuchte Thomas mit Onkel Gustav in seiner Zelle. Er saß -zusammengekrümmt über einem leeren Papier. Seine Augen blickten nicht -mehr in sich hinein, aber hinaus und in das Leere. Und seine Knochen -waren ohne Mark. Leer. - --- Ruth, sagte er, denk bloß, alles ist verbrannt. - -Sie gingen. Onkel Gustav weinte. Ruth schwieg. Aber sie trug eine kleine -Leiche in sich, fühlte die winzigen, angstverkrümmten Knochen. - -Drei Tage später kam der blasse Bub, rot geheult. Thomas war zum Fenster -hinausgesprungen. Ruth nickte nur. Auf dem Steinpflaster liegt ein -schwerer Knochenhaufen. Zerschmettert. - --- Sei ruhig, sagte sie zu dem aufgeregten Buben, was weinst du. Schäm -dich. - - - - - Eine Mutter - - -Ruth sah einmal im dunklen Zimmer Mutter vor einer zerbrochenen Tasse -stehen. Die Scherben zerschnitten die Luft, weiß, mit scharfen Kanten. -Mutter starrte dumpf darauf hin. Ihre zerstückelten Bewegungen hingen -herunter. Und in das trübe Grau der Augen wollte das Weiße -hereinbrechen, mit scharfen Kanten. - -Das war lange her. Jetzt haßte Ruth Mutter, weil die alte Friseurin -ihren Sohn zum Brandstifter hatte werden lassen. - -Mutter steckte sie als kleines Kind punkt acht Uhr in das Bett. Dann -kaufte sie ihr Schulhefte, die viel zu breit liniert waren. Mutter -glaubte einem boshaften Dienstmädchen mehr als ihr. Mutter zwang sie -große Gläser mit gekochter Milch zu trinken, wo noch die Haut -herumschwamm. Mutter ließ sie nächtelang bei geschlossenen Fensterladen -schlafen, so daß sie glauben mußte, sie sei blind. Mutter durchblätterte -ihre Bücher, die doch ihr allein gehörten. Mutter rückte den Tisch ihres -Zimmers in die Mitte, obwohl er unbedingt an der Seite stehen mußte. -Mutter löschte das Licht, wenn es zu spät wurde. Es war ja nur ein -Zufall, daß sie nicht auch schon zum Fenster hinausgesprungen war -- - -Mutter war schuld an dem entsetzlichen Brandunglück. War auch schuld, -daß der arme Säugling elend umgekommen war. Mutter, die alle kleinen -Kinder so sehr liebte. - -Ruth sah auf Mutters langfingerige Hände. Wieso hatten die keine roten -Brandwunden. Nein, sie waren weiß und schlank, nur durch viele Falten -und Sprünge zerklüftet. Von welcher Arbeit ... - -Mutter suchte die alte Friseurin selbst auf und tröstete sie, wie sie -wortlos dasaß neben der Nähmaschine der Tochter. Ruth ging nicht mit. -Man sprach von Thomas immer wie von einem Geisteskranken. Das war eine -Unverschämtheit. - -Als Mutter nach Hause kam, hatte sie rotgeweinte Lider. Ruth stand in -einer Fensternische, tief hineingepreßt in den dunkel samtenen Vorhang. -Sie wollte schreien: -- ihr habt alle kein Recht um ihn zu trauern. Da -sagte Mutter: ich weiß schon Ruth, daß du immer mit Thomas warst. Er war -ein armer Narr. Aber du solltest dich schämen. - -Eine zorndurchschüttelte, blutende Faust -- oder ist das die Flamme -- -Thomas' Flamme -- Mutter brüllt auf. - -Onkel Gustav trug Ruth aus dem Zimmer. Riesenkraft war in seinen -willenlosen Armen, wie er sie durch den langen Gang schleppte. Er zog -sie in den Vorratsraum, wo ein Faß mit altem Kraut stand. Hier warf er -sie auf den Boden. - -Er stand vor ihr weißblaß und sehr groß. -- Ruth, weißt du, was du getan -hast. Du kannst es nicht wissen. Du hast Mutter schlagen wollen. - -Er ging hinaus und zog den Schlüssel ab. - -Ruth dachte nur: jetzt muß ich zum Fenster hinausspringen. Das ist -selbstverständlich, natürlich. Ich brauche bloß auf den Stuhl dort zu -steigen, es macht nichts, daß das eine Bein wackelt. Er trägt mich so -weit. O, und dann stürze ich. Eine breiige Masse. Aber es tut sicher -weh, furchtbar weh, furchtbar, nein, ich fürchte mich, um Gotteswillen, -ich habe ja so gräßliche Angst -- - -Sie kroch in den hintersten Winkel der Kammer. Sie bohrte den Kopf in -die Steinfliesen. Verbrecher sein. So also war es. Das heißt vor allen -Dingen ganz allein sein. Ganz allein. Aber das darf man doch nicht zu -Ende denken. Jetzt gehen die Menschen aus den Geschäften nachhause. Man -schließt die Laden so wie alle Tage. Und in den Straßen die -gleichgültige Menge. Aber sie ist allein. - -Was war nur mit dem Mann, der seine Mutter geschlagen hatte. Als Kind -hielt sie sich die Ohren zu, wenn man die Geschichte erzählte. Aber sie -weiß es doch: die Hand war aus dem Grab herausgewachsen. Man hieb sie -ab. Und sie wuchs immer wieder. Ruth sieht vor sich eine gelbe Steppe. -Und aus ihr steht graugrün heraus die Leichenhand mit entsetzten -Fingern. Oder ist das ihre Hand -- - -Sie hat nicht den Mut zu sterben. Sie wird nie den Mut haben. Aber sie -kann auch nicht leben. Denn sie kann nicht denken. So etwas kann man -doch nicht denken, immer denken, immer denken. - -Mutter kam am späten Abend mit einer flackernden Kerze und wirren -Haaren. -- Mutter, sagte Ruth mit toter Stimme, habe ich dich wirklich -geschlagen? -- Nein Ruth, dazu ist es nicht -- Mutter wenn ich dich -berührt habe, ich müßte sterben. Aber ich fürchte mich vor dem Tod. Und -ich müßte sterben. Und du müßtest mir helfen. - -Mutter kniete zu ihr nieder und küßte sie. - -Am Abend setzte sich Mutter an Ruths Bett. Aber Ruth preßte die Lider zu -in erstarrtem Entsetzen. Das Weiße in Mutters Augen war zerbrochen. So -wie einmal vor langer Zeit eine Tasse. Und wie Thomas' Stimme, wenn er -sagte: ich habe kein Licht. Ja, wie Thomas. Mutters suchender -Mittelfingerknochen war wie bei Thomas, zu kräftig. - -Überhaupt, wie kommt sie dazu, Thomas gegen die Mutter zu verteidigen. -Thomas ist gestorben, weil die Kraft in ihm nicht leben durfte. Er war -stark. Und es ist gut, daß er tot ist. Aber Mutter ist schwach und ihre -Kraft kann die Knochen nicht sprengen. Zerfrißt nur das Mark und macht -die Gelenke schwippend nachgiebig. Mutters Leben -- - -Ruth legte den Kopf in Mutters Hand und weinte. Aus den zerklüfteten -Handrinnen stieg ihr ein wohlbekannter, warmer, ein nie beachteter Atem -entgegen. - -Irgendwo liegt im Gras eine duftende Frucht. Und über das Mark des -Baumstammes preßt sich eisenhart die dürre Rinde ... - -Mutter war auch einmal ganz klein gewesen. Man hatte ihr unmäßig große -Schärpen über die weißen Kleidchen gebunden. Und sie saß in einem großen -Kinderwagen, ganz allein. - -Sie trug ihr kleines Schicksal in krampfhaft zusammengeballten Fäusten. -Und erreichte nie etwas, weil diese Fäuste immer zu schwer von dem -kleinen Körper herunterhingen. Sie gewöhnte sich an den Mißerfolg und -deshalb war ihr kein Ideal zu groß. Sie wollte Königin werden, dann -Sängerin, und dann -- o, was sie alles werden sollte. Sie trug ihr -ganzes Leben die Last von unzähligen untergegangenen Existenzen in sich. -Und ihr Vater hatte alle Pferde verspielt. - -Sie hatte einmal einen Tag, vielleicht nur eine Stunde, oder nur eine -Sekunde lang mit Ruths saugendem Blick aus sich herausgeschaut. Oder -vielleicht nur einmal den Kopf hart und eckig zur Seite geworfen, wie -Ruth es immer tat. - -Und sie hatte ihr eigenes, einziges Dasein gesucht. Dann heiratete sie. -Dann gebar sie drei Kinder. Und dann war ihr nichts mehr von sich -geblieben, als eine suchende Vergangenheit und drei neue, fremde -Menschen. - -Die alte Friseurin träumte einst davon, die erste Tänzerin der Welt zu -werden. Ihr häßlicher Sohn sprang aus dem Fenster und zerschmetterte -sich in einem Gefängnishof, ohne daß sie je verstehen konnte, warum. -Ihre mißgebildete Tochter nähte Hemden für vornehme Damen. Und nichts -war von ihr übriggeblieben als das bißchen Schminke auf den -eingefallenen Wangen, das sich nicht wegwaschen ließ. Das bißchen -Schminke. - -Und die Kinder laufen wie Diebe in die Welt hinaus. Man kann ihnen das -Eigentum nie mehr abnehmen. Denn es ist untrennbar, unkennbar verbunden -mit fremden Säften, denen man sich einmal geschenkt hat. - -Ruth wurde sehr krank. Sie lag ein paar Wochen durch mit hohem Fieber -und keuchendem Atem. Die graue Tapete ihres Zimmers wurde zu einer -einzigen, ungeheuren Ebene, in die alles hineinversank wie in einen -Moorboden. Müde und wohlig. Mutter saß Tag und Nacht an ihrem Bett mit -überwachen Augen und Teelöffeln in der Hand. Ruth dachte: wenn ich -wieder gesund bin, schenke ich Mutter das Schönste und Beste, das ich -habe. Aber sie wußte nie, was das sei und wünschte sich auch gar nicht, -bald gesund zu werden. Besser immer so liegen können. Und niemand kann -einem Vorwürfe machen. Sogar Richard brachte ihr Veilchen. - -Als sie den ersten Tag wieder fieberfrei im Bett lag und Mutter ihr die -Kissen gerade frisch gerichtet hatte, fragte sie: -- was möchtest du, -daß aus mir werden soll? Mutter sah sie erstaunt an. -- Ja, ich kann -doch nicht weiter so in den Tag hinein leben. -- Ich möchte, daß du -glücklich wirst, Ruth. -- Wie ist das? -- Du mußt froh sein und gesund -und auch heiraten. -- Weißt du Mutter, von Thomas hätte ich gerne ein -Kind bekommen. -- Aber Ruth -- Nein, nicht böse sein, Mutter, bitte, -bitte nicht. Ich möchte dir nur von Thomas erzählen, weil das so -wunderschön war. - -Ruth erzählte von Thomas' Buch, als ob sie es schon hundertmal gelesen -hätte. Mutter sagte: -- armes Kind. Und küßte sie. -- Aber du mußt jetzt -schlafen. Sie löschte das Licht aus. Ruth fragte in das Dunkel hinein: -warum arm ... - -Sie erwachte am nächsten Morgen sehr zeitlich. Mutter sagte im -Nebenzimmer zu Martha: -- wir hätten eben besser auf sie acht geben -müssen. - -Da sah Ruth hinter dem Fenster in der Frühdämmerung wieder die Hand des -Mannes aus dem Grab wachsen, der seine Mutter geschlagen hatte. Nein, es -waren viele, es waren unzählige solcher Hände. Sie sah diese Hände -draußen vor dem Fenster und wußte: im Nebenzimmer wird jetzt eine -ungeheure Schändlichkeit geflüstert. Ein Heiligtum wird besudelt. Dann -geht Mutter in die Küche zu der Köchin und Martha in die Schule. Nein, -das hatte Thomas nicht verdient. - -Sie wollte aufstehn und fliehen, weit, weit weg über sumpfige Wiesen und -Felder. In das Graue hinein. Nur Mutter nicht mehr sehen. Und in der -Kommode daneben liegen ja sorglich eingeordnet seine Briefe an Mutter. -Mutters Seele steckt auch drinnen in den gelben Phiolen. Und richtig, in -Mutters Bewegungen zerbricht sich dieselbe Disharmonie wie in seinen, -wenn er die Zigarre zum Mund führte. Wie kann Mutter es wagen, ihr Leben -bewachen zu wollen. Draußen wachsen die Hände aus den Gräbern. Aber das -Weiße in Mutters Augen ist zerbrochen. Sie kann Mutter nicht helfen. Sie -ist allein. Weiß Mutter das nicht? Die Nabelschnur, an der sie hing, ist -längst zerrissen. Arme Mutter! -- Aus allen Gräbern wachsen die -mörderischen Hände. - -Mutter sagte am Nachmittag zu Onkel Gustav: ich werde Ruths Leben von -nun an zu lenken wissen. Ich muß ihr weiter helfen. Sie ist -- Laß das, -antwortete Gustav müde. -- Das lassen? -- ja wozu bin ich denn sonst da -...? - -Und sie saß bis in die Nacht hinein und berechnete ein neues Kleid für -Ruth. Als es nach ihrer Angabe genäht war, hing Ruth es in die hinterste -Kastenecke und zog es niemals an. - - - - - Der Tod - - -Mein Thomas hat auch nicht auf mich hören wollen, sagte die alte -Friseurin weinerlich zu Mutter, während sie ihr das widerspenstige Haar -zu bändigen versuchte. - -Wie hatte Onkel Gustav einmal gesagt, in traumhafter Sommerdämmerung: -Unsere Nächsten -- das sind unsere nächsten Mörder. Und nun war die -Wirklichkeit gekommen, winterkalt und hart. Und Ruth mochte sich die -Augen mit den Fäusten zudrücken. Thomas hatte diese Wirklichkeit nie -gesehen. Deshalb hatte er an ihr zugrunde gehen dürfen. Wie gut muß es -sein, wenn alles ganz vorbei ist. Nichts mehr sehen, hören, tasten. Ihn -schließt eine Wand ab von der Welt. Und er erstickt doch nicht mehr. - -Ruth saß an einem nebligen Schneeabend allein zu Hause bei dem großen -Speisezimmertisch. Mit aufgestützten Armen. Ihre immer noch fiebermüden -Glieder wollten nicht recht gehorchen, wollten sich legen, sich -strecken, ganz ausdehnen. Durch die Fenster flimmerte gelb das Licht der -Straßenlaterne. Draußen muß viel Schnee fallen. - -Und die lebendige Uhr hinter ihr zerschneidet die Zeit, metallhart. Aber -der Kasten dort und die Stühle ringsherum rücken weit weg, fort in das -Graue, daß sich die hohen Fensterkreuze dehnen müssen. Und nichts um sie -als luftloser Abgrund. Weite. Leere. Da drinnen muß einmal eine Fliege -ertrunken sein. Über Ruths Haupt hebt sich die Decke. Ihre Füße treten -das oben. Noch saugt ihr Blick das Zimmer in sich. Noch kann ihr Blick -die Weite überwinden. Noch. Aber das Lid wird ihn verdecken. Dann ist -sie ganz allein. - -Wie Vater. Wie Thomas. - -Sie ist auch allein, wenn Mutter im Nebenzimmer mit Martha spricht. Wenn -sie Richard und Gustav auf der Straße trifft oder mit Norbert -zusammenkommt. Wenn sie einen Schutzmann nach einer Hausnummer fragt -oder nicht weiß, wieviel Trinkgeld der Kellner bekommen soll. Ach, so -allein, mit offenen Augen. Die alles sehen. - -Eine Woche später brachte man Ruth in ein Sanatorium wegen einer -Operation. Sie war sehr müde. Aber auch sehr neugierig. Sie dachte: es -ist doch unglaublich, daß man so einfach in mich hineinschneiden kann. -Und man spritzt mir etwas unter die Nase und dann bin ich nicht mehr da. -Wo ich nur sein werde. Ich muß sehr gut acht geben. - -Der Chirurg hatte ein schmales, feines Gesicht mit zu großem Kinn. Seine -Hände waren grobknochig, wie von einem Fleischhauergehilfen. Aber er zog -sich dann Gummihandschuhe an. Und seine Hände wurden zum Werkzeug, das -ineinander beißt. - -Sechs junge Ärzte standen herum wie Schachfiguren. Und Schwestern -leidend und demütig. Der Operationsraum war groß, zu licht, blitzend, -spiegelnd. Ruth sah in den schneetoten Park hinunter, auf die uralten, -schneebeladenen Bäume. Die Wintersonne stieß gegen die dicken Wolken. -Ruth empfand die kühle Verzweiflung eines Sterbenden, der einmal, im -ersten jungen Frühling dort unten gelegen sein mußte, mit zerfleischtem -Körper eingepackt in weiße Tücher. - -So wie man sie jetzt einpackte. Sie wollte schreien: Was tut ihr mit -mir? Da lag sie schon auf dem blanken Tisch: Sie spürte einen -niederträchtigen Geruch sich in die Kehle hineinfressen, dachte: Ihr -zwingt mich doch nicht -- - -Da war sie aus sich heraus gestiegen und stand neben ihrem starren -Körper. Sah sich selbst nackt und preisgegeben daliegen, sah jeden Zug -ihres Gesichtes, das sie ja gar nicht gekannt hatte. Mit geschlossenen -Lidern. Sah die strengen, furchtbar fremden Augen der Ärzte, die bloßen -sehnigen Arme des Chirurgen, die Schwestern über die Instrumente gebeugt -... - -Die weiße, glattgetünchte Wand riecht so sonderbar. Sie muß sehr hoch -sein. Man kann gar nicht an ihr hinaufsehen. Und die Gelenke sind -gefesselt, stöhnen unter eisernem Druck. Der auch von oben kommen muß. - -In den tiefblauen Himmel stößt sich ein weißer, steifer Ast. - -Neben Ruth steht eine Schwester mit bleichem Gesicht. Eine Schwester, -die sie nie gesehen hat. Ein Ast, den sie nie gesehen hat. Eine Wand, -die sie nie gesehen hat. - -Sie kann ihr Bett kaum überblicken. Dort am Fußende sitzt ja Mutter. -Ihre Bluse ist zerdrückt. Wie unangenehm. Und sie lächelt so, als ob sie -alles wüßte, genau wüßte, was sie ja gar nicht wissen kann. - -Sie ist in einer Welt, in der sie noch nie war. Sie muß einmal -Ungeheures erlebt haben. Aber hier kann man davon nichts wissen. Darum -liegt sie gefesselt an allen Gliedern, Sehnen und Gelenken, an allen -Muskeln, allen Nerven. Vielleicht hat man ihr beide Füße weggeschnitten. -Sie muß tasten. Sie kommt nicht bis dorthin. - -Mutter und die Schwester lächeln. Das ruchlose Lächeln der -Nichtverstehenden. Sie will weinen vor Zorn. Und erbricht. - -Sie liegt stumm und verzweifelt, bis sie fragt: Ist mein neues Kleid -schon gekommen? Dann gehört sie wieder der Welt, die von Mutters -Rechenbüchern beherrscht wird und Richards verwunderten Augenbrauen. -Aber irgendwo sind doch auch gelbe Phiolen und der Duft fremdartiger -Chemikalien, ätzend, zersetzend. - -Ruth saß mit Mutter an dem gedeckten Tisch mit dem rotgestickten Milieu -und den glotzäugigen Teetassen. Die Lampe brannte fetzig grün. Aber sie -war ihr dankbar. Und den Teetassen und den fetten Butterbroten, die an -Agnes kräftige Arme erinnerten. Wie das nach Alltag schmeckte. Und wie -wunderbar sicher das war, wohlig geborgen. Sie möchte sich in die -saftgrünen Vorhänge hinein verstecken und ein ganz dummes Backfischbuch -lesen, wo es nur Schulsorgen gibt und wunderbare Bräutigame. - -In der Nacht kann sie nicht schlafen. Sie liest die Zeitung bis zur -letzten Annonce. Das Zeitungsblatt schlägt eine Ecke nach oben, leckend. -Sie löscht das Licht. So müde. Das Zeitungsblatt war leckend, saugend. -Das Blatt ist eine rote, fleischige Tierzunge. Die Zunge saugt, leckt. - -Da ist nur noch die weiße, glattgetünchte Wand. Und der lange, gräßlich -arme Tierkopf, der aus ihr herauskommt. Schmal. Die Augen arm, in sich -geknechtet. Er schleckt mit schiefer, gieriger Zunge eine salzige -Flüssigkeit von der blendenden Wandfläche. Er schleckt, leckt, saugt -sich an -- - -Sonst ist nichts mehr da. Der Kopf steht in die Luft hinaus, brüllt -- - -Rechts steht ein Mann und links steht eine Frau. Ein Mann, eine Frau. -Sie hält den großen Spitalslöffel in der Hand, sieht den Mann fragend -an. Und er sagt mit unendlicher Geringschätzung: Gib. Was ist das ganze -Leben denn mehr wert als ein Schluck Wasser für ein durstiges Maul. - -Der Tierkopf schleckt -- - -Ruth saß schreiend im Bett. Mutter kam hereingestürzt. Ruth konnte nicht -sagen was ihr fehle. Daß das lange, armselige Tiermaul alles war, die -ganze Welt und immer weiter an der Wand saugen mußte. Nein, das konnte -man nicht sagen und sie ließ sich fortwährend von den anderen die -wichtigsten Zeitungsereignisse erzählen. - -Damals sehnte sie sich maßlos nach allen Menschen, die sie je gesehen -hatte, am meisten nach einem kleinen, verwachsenen Stubenmädchen, das -ihr vor Jahren Geschichten aus einem böhmischen Dorf erzählt hatte, wo -die Kinder im Hemd im Dorfteich schwammen. - -Sie bettelte sich hinter der grauesten Alltäglichkeit durch. Sie -verdurstete vor Sehnsucht, wieder in sie aufgenommen werden zu dürfen. -In eine Sphäre von Geschäftsbesen, Kaffeetassen und Nachtwächtern. Ihr -war jeder Schuhriemen wichtig. - -Norbert kam am nächsten Mittwoch. Aber ohne Onkel Gustav. Der lag wieder -elend in seiner Dachkammer. - -Norbert war avanciert in seinem Amt. Er unterstand dem Vater seiner -Braut. Alle gratulierten ihm. Ruth schüttelte ihm beide Hände. Er sah -sie an, hundetreu, traurig. - -Nach dem Essen setzte er sich in ihr Zimmer auf das kleine, wacklige -Kindersofa. Sie saß neben ihm und dachte: Warum bin ich jetzt nicht in -Australien oder auf einem großen Schiff. - --- Nicht wahr, Ruth, Sie verachten mich? ... -- Ruth sah auf. -- Nein, -warum denn? -- Weil ich avanciert bin. -- Was meinen Sie damit? -- Ach -Ruth, Sie wissen ganz gut was ich meine. - -Ruth sah in den winterblauen Nachmittag hinaus und wußte auf einmal, was -er meinte. Sie dachte: Und dann nach Australien mit einem großen Schiff. -Sonnenuntergang weit hinten im Meer und weiße, wehende Schleier. Das -wäre freilich etwas. - -Dann sah sie seine graue Weste und dachte an den Spitzeneinsatz der -Braut und mußte fast lachen. -- Nein, Norbert, sagte sie hochmütig, ich -verstehe Sie nicht. - -Aber sie sah ihn in der flimmernden Sonne eingezäunt in einer streng -gekrümmten Linie. Seine Grenze. Über die durften seine treuen Hände -nicht hinaus. Wenn er stirbt, dann wird die Linie zum Viereck und macht -Wände und ist der Sarg. - -Ruth schauderte und einen Augenblick dachte sie: Ich muß ihm helfen, -vielleicht ihn lieben. Aber sie verstand seinen beamtenbrav -geschniegelten Kopf und ekelte sich vor der schnurgeraden Scheitellinie. -Unmöglich. Da war die Grenze. - --- Wissen Sie schon, daß mein Freund, der Leutnant fast gestorben ist, -sagte Norbert. -- Nein, wieso? -- In einem Duell wegen einer -Ballettänzerin. Zwei Schüsse durch die Lunge. - -Ruth sah vor sich dicke rosa Schminke, rosa Ballettröckchen und rosa -glatte Füße. Dazwischen blutend aufgedunsen die Lunge des Leutnants. -Seine schwarzen Zähne. Das war der Tod. - -Am nächsten Tag kam die alte Friseurin heulend. Der Arzt habe gesagt, -wenn ihr Bub nicht bald in eine Anstalt käme, sei seine Tuberkulose -nicht mehr heilbar. Ruth schnitt sich mit den Nägeln in die Hände. Was -schreit sie so, Thomas ist doch schon lange tot und das kleine -Ungeheuer, die Nähmaschine ist ein Leichnam, der sich aufbläht mit den -Erlebnissen anderer. Und was will der grüne Bub vom Leben. In einer -Schreibstube geometrische Zeichnungen machen. Keiner kommt bis -Australien. - -Mutter versprach, ihr Möglichstes zu tun. Am Abend sagte Ruth -verzweifelt: -- Mutter, müssen wir denn alle sterben? - -Richard hatte sich verlobt. Mit Norberts Schwester. Ruth erinnerte sich: -aufgestülpte Nase, aristokratisch tiefe Stimme, dicke kleine Freundin. -Auch gut. Im übrigen war es ihr ziemlich gleichgültig. - -Einmal, während des Mittagessens, kam ein Mädchen, bleich, trostlos, das -Richard sprechen wollte. Ruth hatte ihr die Türe geöffnet. Richard war -bei seiner Verlobten. Das Mädchen stöhnte auf. Sie packte Ruth beim Arm: -Helfen Sie mir. Ruth sah ihr in die hübschen Kinderaugen, die voll -Tränen standen und führte sie in den Salon. - -Mutter kam dazu. Die alte Geschichte. Das Kanzleimädchen. Mutter weinte -auf und versprach fast flehend zu helfen. Aber sie müsse schweigen, um -Gottes willen. - -Als das Mädchen gegangen war, fragte Ruth: Wie willst du ihr helfen? -Mutter sagte: Geld. Und Ruth haßte sie. Sie dachte an das winzige -Geschöpf, das schon im Mutterleib erwürgt wurde von fremden Händen. -Wirklich fremden Händen -- - -Mutter weinte den ganzen Nachmittag durch: Daß sie keine Ahnung haben -konnte. -- Mir hätte er es doch sagen können, mir, immer habe ich alles -von ihm gewußt, seit er ein ganz kleiner Bub war. Da ist auch nur dieses -Frauenzimmer schuld. Aber er hat mir ja geschworen -- - -Ruth kam es lächerlich vor, daß Mutter jemals glauben konnte, Richards -Vertraute zu sein. Aber Mutters Augen waren wieder so zerbrochen. Mit -zornbebender Stimme sagte sie: -- Dazu bin ich doch da, um von euch -alles zu wissen. Ruth ging aus dem Zimmer, etwas in ihr rief: Und dann -bist du eben tot. - -Wo war Mutters Leben -- bei ihren drei Kindern, in Vaters Grab -- bei -den gelben Phiolen -- - -Ruth sagte zu Martha: -- Da bekommt Richard ein Kind und Mutter weiß es -nicht einmal. Das ist wirklich eine Schmach, aber sie wird ja alles mit -Geld gutmachen. -- Woher weißt du, daß das Kind zur Welt kommt? sagte -Martha, lehrerinnenhaft überlegen. -- Martha, du gehörst auf den -Scheiterhaufen. - -In der Nacht sah Ruth Martha auf der Straße, im Sonnenlicht, mit einem -langen grauen Regenmantel. Ernst, streng und emsig, mit toten Augen und -blauen Nägeln. - -So war sie denn von lauter Toten umgeben. Richard war ja auch tot. Er -tat nur so überlegen. Aber sein Leben lag im Leib jenes jungen Mädchens -und seine eigenen Finger erdrosselten es. - -Er steckte auch in einer Grenze, wie Norbert. Die lief weiter weg von -ihm als bei diesem, aber sie war tief eingegraben. Er verstand sieben -Sprachen. Er kannte alle Wagner-Opern. Er heiratete Norberts Schwester. -Er eroberte sich einen guten Platz in der Welt. Er hatte einen großen -Sarg. - -Ruth sehnte sich wieder unsäglich danach, tot zu sein wie Thomas. Nicht -mehr scheinlebendig. Aber nur nicht sterben. Sterben tat ja sicher -entsetzlich weh. Schon lange tot sein. Ohne denken, ohne Verantwortung -für den nächsten Tag -- - -An Onkel Gustav hatte man über Richards Verlobung ganz vergessen. Eines -Tages kam seine Hausmeisterin mit sensationslüsternen Augen. Es gehe ihm -sehr schlecht, er röchle furchtbar. - -Mutter weinte zuerst, ehe sie sich ankleidete, um hinzugehen. Ruth ging -empört in ihr Zimmer. - -Sie wollte Onkel Gustav nicht mehr sehen. Was liegt ihr überhaupt an -Onkel Gustav. Sie hat ihn immer verachtet. Sie wird sich heute nichts -vormachen, so wie Mutter. Gewiß nicht. - -Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und versuchte eine italienische -Übersetzung zu schreiben. Ihr Geist war dabei. Aber in ihren Händen -kochte ein fremder, fieberhafter Puls. - -Durch die Fasern des Fleisches gräbt sich, stößt sich blühende -Lebenskraft. Aber ganz innen in ihrem Leib fällt etwas ab, bröckelt -etwas ab, mürb und müde. Wer preßt ihr die Brust zusammen und würgt sie, -daß sie husten muß -- Ist das Schleim und Blut -- Ist das ihre eigene -Kehle -- - -Über Ruths italienisches Übersetzungsbuch steigt wie Frühlingsatem empor -die freche Liebe der jungen Wilden, die Gustav einmal an sich reißen -wollte. Von der sie nie etwas gehört hat. Und es riecht nach faden, -blonden Madonnenhaaren, Ansichtskarten mit weißen Kaninchen. In weiter -Ferne leuchtet ein lichtes Ährenfeld im Juliwind, eine marmorbleiche -Haut. Und die alte Geige lehnt an dem rußigen Eisenofen. - -In Ruths Knochen bricht etwas. Das Mark wird zerrissen. Ein Leben -stirbt, das sie nie gekannt hat. Ein Leben, das sie mitgetragen hat in -ahnungslosen Händen. Onkel Gustav stirbt. - -Ruth steht auf in erstarrtem Entsetzen. -- Agnes, ruft sie in die Küche -hinein, singen sie nicht so laut, wir sterben heute. - -Sie geht durch die weißerstarrten Gassen. Deren grelles Gefunkel in der -Sonne schmerzt. Der Himmel ist tief dunkelblau. Onkel Gustavs höchster -Wunsch war immer, einmal nach Italien zu kommen. Der Schnee zerbricht -unter ihren Schritten. - -Vor Gustavs Haustor will sie noch umkehren. Mutter wird sicher weinen. -Richard und Martha machen traurige Gesichter. Norbert ist gewiß auch da. -Nein, es ist unmöglich hinaufzugehen. Aber da ist noch Onkel Gustavs -Hund. Sie kriecht über die Treppen. - -Onkel Gustav hat das Gesicht zur Wand gekehrt. Der Hund liegt auf seinen -Füßen. Den läßt er nicht von sich. Aber sonst kennt er niemanden. - -Ruth will die weinenden, die gefaßten, die wichtigen Gesichter nicht -sehen. Sie geht an das Fenster. Sie möchte es aufmachen. Aber sie ist -gelähmt. Auf dem Fensterbrett steht eine halbgefüllte Teetasse mit -schief abgebröckeltem Rand. Und ein rostiger Löffel. Es ist doch gut, -daß Onkel Gustav stirbt. - -Der Arzt unterhandelte mit Richard und Martha, wie man Mutter am besten -aus dem Zimmer bringen könne. Er hatte seine geschäftsmäßig traurige -Miene. Ruth wollte sich nicht umwenden. - -Die Sonne war untergegangen, draußen in ferner Ebene. - -Onkel Gustav röchelte. - -Norbert trat zu ihr: Ruth -- Lassen Sie mich. -- Aber Ruth -- So lassen -Sie mich doch, was wollen Sie von mir. Gehen Sie hin zu ihm. Legen Sie -sich auf seine Füße. Wärmen Sie ihn. - -Onkel Gustav röchelte. - -Blut und Schleim. - -Es wurde ganz dunkel. - -Mutter war von Martha weggebracht worden. Der Arzt war fort. Norbert -auch. Richard saß in einem Sessel, den Kopf in die Hände gestützt. Die -schmierige Hausmeisterin machte sich an Gustavs Bett zu schaffen. Ruth -stand unbewegbar erstarrt an dem Fenster. - -Da schrie der Hund. - -Ruth war bei Gustav. Aus seinem herabgefallenen Kiefer quoll das Blut -auf die sterbende Brust. Ruth legte die Hand darauf. In Liebe. Dann -brach sie zusammen. In Ekel ... - -Alles roch nach dem Leichenbitter, der vor Gustavs Türe stand. Auch die -Blumen in der Blumenhandlung. Mutters schwarzgerändertes Taschentuch. -Und das italienische Übersetzungsheft. Die dumpfen Kreppschleier. - -Alle sprachen lieb von Onkel Gustav. Ruth haßte alle. Nicht weil sie ihn -gemordet hatten. Aber weil sie mit ihrem bißchen kläglichen Gernehaben -protzten. Keiner kannte das große Erbarmen. Auch sie nicht mehr. Eine -Sekunde lang hatte sie es empfunden. Seither war ihr, als trügen ihre -Hände vernarbt Kreuzeswunden, mit rostigen Nägeln durchschlagen. Aber -vernarbt. - -Sie trauerte nicht. Kam nicht einmal mit zum Leichenbegängnis. Ging zur -selben Stunde mit dem namenlosen Hund spazieren. In einer blauen Bluse, -durch taubelebte, klatschende Gassen. - -Sie bürstete den Hund und fütterte ihn. Aber sie hatte eine furchtbare -Angst vor seiner langen, spitzigen Schnauze. Die dem schmalen Tiermaul -an der weißgetünchten Wand immer ähnlicher wurde. Ach Gott, wie so -ähnlich -- - -In den verständnislosen, angstvollen Augen des Hundes lag der Schmerz -einer geprügelten Welt. Und unendliche Sehnsucht. Wonach -- Nach dem -Schluck Wasser -- - -Wie einsam mußte Onkel Gustav gewesen sein. - -Ruth fürchtete sich vor den langen, spitzen Zähnen des Hundes. Er lief -ihr nach auf Schritt und Tritt. Und sie konnte ihn nicht zu den andern -zwingen. Die riefen ihn bei dem englischen Namen, den Mutter ihm gegeben -hatte. - -In der Nacht lief er winselnd vor ihrer Türe hin und her, bis sie ihn in -das Zimmer ließ. Dann schlief er in einer Ecke. Sie aber hielt die Augen -weit offen vor Grauen. Dort lag das Tier. - -Fell, gierige Zähne, saugende Zunge. - -Das Tier atmete lauter und rascher als sie. Zerstörte den Rhythmus ihres -Zimmers. Das war zum Stall geworden. - -Alle riefen den Hund bei dem englischen Namen. Er gehorchte keinem. - -Einmal riß sie ihn an dem Halsband zurück, als er aus dem Kübel trinken -wollte. Da schnappte er nach ihr. Das Blut tropfte aus drei großen, -tiefen Löchern in ihrer Hand. Ihrer schmalen, braunen, suchenden Hand. -Wie sie diese Hand liebte. Ihre Hand. Ihre glatte Menschenhand. - -Sie bekümmerte sich nicht mehr um den Hund. Er folgte niemandem und -Mutter ließ ihn vertilgen. - -An diesem Abend saßen sie alle unter der Speisezimmerlampe. Und Mutters -Rechenbücher beherrschten die Mitte. Richard sagte: -- Der arme Kerl. -Eigentlich bist du schuld an seinem Tod, Ruth. -- An Onkel Gustavs Tod? --- Nein doch, ich meine den Hund. -- Ach so. - --- Hilf mir, Richard, sagte Mutter über den Tisch herüber. Ich kenne -mich da nicht aus. -- Richard beugte sich über ihre Schulter. Dann sagte -er mit traurigem Gesicht: -- Diese Rubrik können wir jetzt streichen. -Und zog mit rotem Bleistift einen dicken Strich über eine halbe Seite. -Ruth sah oben den Namen Gustav. - -Nein, das war unmöglich, nein, das konnte man doch nicht tun, mit rotem -Bleistift, rotem Bleistift -- - -Ruth sagt noch immer: Roter Bleistift, vor sich hin. Sie geht durch -dunkle, frostdumpfe Gassen. Sie läuft. Sie fliegt. - -Jemand ist geschändet worden. Wer ist geschändet worden. Der Tod ist -geschändet worden. Christus ist am Kreuz gestorben und man betet zu ihm -um gutes Wetter. Gustav ist gestorben und man streicht die Ausgaben für -ihn mit rotem Bleistift aus dem Einschreibebuch. - -Sie will nie mehr nachhause zurück. Lieber in ein Freudenhaus. - -Wer will nicht zurück -- Ihre Glieder tragen Mutters Ungeduld und Vaters -Leiden. Richards Hochmut und Marthas Resignation geben ihr ihre -Kopfhaltung, ihre kindische Würde. Als Onkel Gustav sterben mußte, war -etwas in ihrem innersten Mark zerrissen. - -Jedes einzelne Blutgefäß spinnt einen langen Faden aus sich heraus in -Mutters Hände hinein, die ja so fremd sind, so in sich zerbrochen. Aber -eine Stimme schreit aus Ruths Kehle, die ist ganz neu. Vielleicht kommt -sie von den Obstbäumen auf den wilden Feldern, die alle in ein paar -Monaten blühen werden. - -Noch preßte die Kälte die Häuser zusammen. Und alle Menschen steckten in -wollenen Jacken, deren Farbe nicht schön war. - -Ruth kauerte tagelang vor ihrem kleinen Ofen. Ihr Körper war steif -geworden und ihr selber unbekannt. Vor diesem Ofen war Thomas an seinem -letzten Abend gelegen. Und sie selbst. Und vielleicht noch ein dritter. - -Nun ist sie müde, nicht zum Sagen müde. Sie möchte sich die Haut von den -Armen streifen. Sie möchte sich in sich hinein verkriechen und in einer -dunklen Ecke verstecken. Allein sein. Sie kennt niemanden mehr. Was -wollen alle diese von ihr, diese Lügner, die nur zum Schein ganz leben -und an hundert Stellen getötet sind. Diese heimlichen Mörder -untereinander. - -Wo ist ihre Grenze. Sie kann sie nicht erblicken. Sie späht um sich mit -leeren Augen. Wer sieht aus ihr heraus? Wer wühlt mit bleichen, -schweren, kraftlos vollen Händen in ihrem Hirn? Das alles kann sie doch -allein so ganz unmöglich verstehen. Sie ist ja jung, in ihren Zehen -federt die Sprungkraft ihrer Jahre. - -Sie möchte schon lange tot sein. Aber sie wird jetzt nicht sterben. Sie -genießt nur die süße Müdigkeit und darf sie doch nicht bis an das Ende -kosten. In ihr lebt ein Fremder, Mächtiger. Und denkt. - -So kauert sie vor dem verglühenden Ofen. Der immer weiter brennt. - - - - - Vision - - -Unter den hochkreuzigen Fenstern läuft die Straße. Die Straße, die alle -gehen müssen. Die eine Straße. Der eine Weg. - -Pferdehufe schlagen das bucklige Pflaster. Wagenräder, die in sich -zerbrechen, kratzen darüber hin. Und so viel Schuhe. Hochmütig spitze -aus weichem Leder, behäbig breite, löcherige und Holzsandalen. - -Vielleicht sind alle die Eilenden lautlos. Und nur der rohe Stein lärmt. -Poltert, rattert, zerschmettert -- in nichts. - -Die Luft war weich geworden und der Schnee schmolz in großen, brandigen -Klumpen. Strähnig schleckte er sich über die Dächer. Schwamm in den -braunen Pfützen. Die Schaufenster waren frisch gewaschen. Straßenlichter -stritten mit langer Dämmerung. - -Das war schon immer gewesen. Ruth lag vor ihrem Fenster und getraute -sich nicht, es zu öffnen. So war sie einen ganzen, langen Scharlach -hindurch einmal an den Fenstern gelegen. Als sie so klein war, daß sie -ein Fragezeichen von einem großen S nicht unterscheiden konnte. Und -beide ineinander an das trübe Fensterglas zeichnete. Als sie zu Mutter -betete und ihre Furcht vor der nahen Nacht unter erdachten Abenteuern -vergrub. - -Nun lag sie an dem Fenster und wußte: Dieses junge Mädchen wird bald ein -neues, lustig blaues Sommerkostüm bekommen. Der Mann dort schleppt die -eine Achsel schwer. Er muß viele Lasten darauf getragen haben. Warum -lebt die alte Frau noch, mit den traurigen weißen Haaren? Ob das kleine -Mädchen mit der Springschnur auch so parkmüde ist, wie sie es immer war, -nach den stundenmäßig eingeteilten Spaziergängen -- - -Sie gingen alle in einem Rhythmus. Ruth spürte das gleichmäßige -Aufschlagen der Sohlen -- jetzt -- und jetzt -- wieder -- und jetzt -- -wieder -- und jetzt. Ein Betrunkener johlte unten in dem Wirtshaus, daß -man den sauren Weingeruch heraufwirbeln fühlte. Dann das Schweigen der -Schritte -- jetzt -- und jetzt -- wieder und jetzt -- - -Bis ein Lastwagen dieses Schweigen zerbricht, so daß tausend lebendige -Splitter über den Rinnstein springen. - -Richard kommt die Straße herunter. Er trägt noch den steifen, schwarzen -Hut, wie im Winter. Er weiß nicht, daß heute Sommer ist. Daß sich alle -ungefesselten Glieder ausziehen müssen und dem durstenden Föhn anbieten. -Mutter schlägt im Nebenzimmer eine Tür zu -- - -Ruth suchte sich pfeifend ihren alten Strohhut aus einem eingekampferten -Kasten. Schlug ihn platt auf den Tisch, daß das Geflecht knirschte. Und -lief davon. Ohne Handschuhe. - -Lief durch die eine Straße. Den einen Weg. - -Wann war es das erste Mal, daß sie so gelaufen war? Daß ihre selig -gläubigen Füße sie über Tiefen springen ließen, die zwischen den -Pflastersteinen lauerten. Wann war es -- gestern -- heute -- morgen wird -es sein -- - -Die Erde ist schwanger von blühendem Leben. Und das Geborene ist tot. -Und die Luft ist schwer zu atmen vor erstickten Keimen. - -Braungrün schwimmen die Pfützen im letzten Tageslicht. Die Laternen -flimmern bloß. - -Ruth läuft den einen Weg. Die eine Straße. Es ist ja immer dieselbe -eine. Mit jedem Schritt fällt ein Stück Last von ihren schmalen -Schultern. In die tauende Erde. Aber sie kehrt nicht um, damit sie -dieses Stück in den Boden hinein zertritt. Recht fest. Nein, sie läuft -ja immer weiter. - -Ein Kutscher knallt mit der Peitsche. Ein altes Weib keift -- oder -vielleicht erzählt sie nur. Aber immer weiter, immer weiter, den einen -Weg. Die Straße ist ja furchtbar schrill, die Häuser haben so empörend -scharfe Kanten, die die Luft zerschneiden, wie aufgestellte Messer. - -Aus den offenen Fenstern fällt eine grauweiße Masse heraus. Sind das -schmutzige Leintücher -- Die wollen sie hindern am Weiterkommen auf dem -einen Weg. - -Nein, diese vielen, empörend fremden, gleichgültigen Menschen. Da -schmeißen sie die ganze Winterausdünstung auf die Straße herunter. Ihr -entgegen. Diese vielen. Und sie sucht nur den einen. - -Wer sind die alle, die sie nicht lieben darf -- Diese Holzpuppen, die es -wagen ihr Schuhe zu machen und Gesetze zu geben. Die nach Schweiß -stinken und Bier. Sie sucht den einen. - -Sie will die alle ja gar nicht kennen, die da gierig an ihr -vorbeilaufen. Sie weiß so schmerzhaft gut, was sie suchen, was sie -niemals finden. Warum weiß sie es so gut. Sie will es gar nicht wissen. -Will zu dem einen. - -Unverständige Kinder dulden stumm die Schmerzen der Eltern mit. Und -heben, aufgewachsen, die Hand gegen ihre Erzeuger. Spitze Tiermäuler -saugen die Menschenliebe von den Mittagstischen. Und Krieg liegt in den -nahen Grenzen. - -Warum weiß sie das. Sie geht nur zu dem einen. Der weiß es auch. - -Die grauen Leintücher werden immer dichter. Man sollte die kantigen -Häuser untergraben, sprengen, daß alles Geschirr aus den Fenstern -stäubt, die blumigen Suppenschüsseln, die blauen Kochtöpfe. O, wie sie -lachen wird. Mutter schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Aber -Thomas hätte auch gelacht. Die Grundmauern der Häusermassen sind lange -nicht so fest wie die beschmutzten Ecksteine. Aber was braucht sie das -zu wissen. Sie geht zu dem einen. Er soll es wissen. - -Man darf nicht warten bis die Häuser einfallen. Die große Fackel muß man -nehmen, Thomas' Fackel. Die liegt bereit, nicht weit weg. Lichtzüngelnde -Flammen sollen die grauen Leintücher zerfetzen. Hoch hinauf, das muß -geschehen. Sie weiß es. Nein, sie wird es nicht lange mehr wissen. Sie -läuft hin zu dem einen. Er soll es wissen. - -Da steht sie vor seinem Haus. Seine Fenster sind dunkel. Viel dunkler -als die verschwommene Straße. Und ganz leer. - -Er ist also auch heraußen. Vielleicht geht er sogar hinter ihr, neben -ihr. Sie kann nur den Kopf nicht wenden. Weil sie immer weiter gehen -muß, geradeaus. - -Ihre Hände sind heute schwer und voll und weich und weiß. Die Schultern -legen sich nach rückwärts, künstlich steif. Eine lichtbraune Locke, die -gerne zigeunerhaft sein möchte, hängt in die Stirne. - -Wie jung der Winterfrühling ist. Und wie alt die Einsamkeit. Wohin -gehen, wenn das Zimmer nur voll ist von einem selber. In den gelben -Phiolen brodelt man selbst, verdickt, kondensiert. - -Es gibt Kaffeehäuser mit rauchigen Tischen und zahllosen Zeitungen. Dort -sich niedersetzen. Die Kellnerinnen sind liebenswürdig, bedienen gerne. - -Eine dicke Brille schützt den scharfen Blick gut. Sie ist aus solidem -Fensterglas. Besser in das hohe Weinglas schauen als um sich herum. Die -Luft ist dick von grauen Leintüchern. In denen die kampfunfähigen -Glieder schon oft sich vergraben haben. - -Zwei Commis spielen Billard. Die Glücklichen. Und jeder weiß, wohin er -dann gehen wird. Die Glücklichen. - -Die Indianerhäuptlinge in den Knabenbüchern wußten auch immer wohin sie -gingen, nach den furchtbaren Schlachten. Diese Leute langweilten sich -nie. Dachten auch nie. Das hatten sie nicht notwendig. Sie lebten auf -wilden Pferden in unabsehbaren Prärien. Wehendes Gras unter licht -schwimmendem Himmel. Wo sind diese Füße -- Sechs Häuser weit weg von der -Gasse. Aber die Füße sind steif. Und der Kopf arbeitet an einem -mathematischen Problem. - -In den schmierigen Marmor des Kaffeehaustisches zeichnen schwere, -bleiche Hände tote Formeln. - -Die weiche Luft, die zugig durch den Rauch schlägt, ärgert diese -Formeln. Diese Formeln bekommen blühende Rundungen. Leberblümchen, -Primeln -- o, nein, grinsend verzerrte Buchstaben. - -Die Knochen sind sehr schwer. Aber sie sind einander wohlerzogen -angegliedert. Und bleich. Nicht roh durcheinander gebeutelt wie bei -Thomas. Zum Glück -- oder Unglück. - -Sie gehören einem Menschen an, der im Parkett des Theaters sitzt und den -Vorgängen auf der Bühne zusieht, sehr interessiert und sehr fremd. Aber -zuhause wartet kein verschlossenes Zimmer auf ihn, vor dem er Angst hat, -weil er nicht alle seine Geheimnisse kennt. - -Deshalb sehen die erlebnislosen Zuschauerblicke alles so genau, viel zu -genau und verstehen alles genau, viel zu genau, wissen alles. - -An einem Sommerabend kniete einmal ein kleines Mädchen vor dem Tisch und -biß in die Kante, daß das Holz zersplitterte. Ihre Seele lag nackt und -zitternd einsam auf einem dunklen Seziertisch vor fremden, prüfenden -Augen. Zerschnitten. Aber die Zähne zerbissen den alten Tisch. Kräftige -Zähne. Ein fremdes kleines Mädchen. - -Durch die Kaffeehaustür geht eine üppige Frauensperson. -Selbstgeschlossen in ihrer Reife. Rotblondes Haar und Lippen, die Geld -fressen wollen. Der Hut wippt zu hoch, über einer häßlichen Stirne. Ihr -nach. - -Ihr nach durch schlüpfrige Gassen und winkelige Höfe. Wie stolz sie -geht, sie ist eine Königin der Erde. Karminrot geschminkt. Alle -Königinnen sind karminrot geschminkt. - -Nicht die volle Hand berühren. Aber hinter ihr her gehen. Langsam, -kostend. - -Sie geht auf ein Haus zu mit verschlossenen Laden. Im Parterre sind -weiße Spitzenvorhänge und über dem Tor glüht brünstig die rote Laterne --- - --- Wohin will das Fräulein -- ein junger Kellner mit schwarzen Zähnen im -grünbleichen Gesicht tritt ihr entgegen. Die Zähne des Leutnants. In der -kleinen Halle stehen rote Korbsessel. - --- Entschuldigen Sie, sagte Ruth aufmerksam und langsam, ich glaube, ich -bin in ein falsches Haus geraten. Lief dort nicht jemand über die -Treppen mit zurückgelegten Schultern? -- - -Ruth fuhr mit der Straßenbahn nachhause. Im roten, lärmenden -Tabaksdunst. Ihre schmalen, braunen Hände spielten auf den Knien. Da -waren noch die Narben von dem Hundebiß. Ihre Hände. Braun. Vielleicht -auch etwas gelb von den Phiolen. - -Auf seinem Schreibtisch war einmal ein scharf geschliffenes Messer -gelegen. Das schneidet gut. Es riecht nach Blut und Chemikalien. - -Soll sie sich das Messer holen? Die zarten Adern aufschneiden? Was kann -das nützen. Von den feinsten Poren des Hirns aus durch den ganzen Körper -strömen die müden Säfte eines verbrauchten Lebens. Gift. - -Das findet kein Messer. Er hat gut experimentiert. Die Phiole brodelt. - -Ruth sieht um sich. Aber in ihren entkleidenden Blicken leuchtet eine -junge Kraft. - - - - - Abrechnung - - -Ich komme zu dir, sagte Ruth. Und seine Augen zitterten. Triumph. - -Das ganze Zimmer warf sich ihr entgegen in einer Staubwolke. Verweste -Gedanken. Sie lächelte. - --- Wie ich mich freue, daß du wieder da bist. Er drückte liebenswürdig -ihre Hände. Sie fühlte, daß sie müdbraune Handschuhe hatte. In den -Schaufenstern der Juweliere liegen Diamantarmbänder. - -Auf dem unordentlichen Schreibtisch kollern sattgelb Minerale. Wo sind -die Phiolen -- und das scharfgeschliffene Messer -- ist das Thomas' -Messer -- - --- Warum hast du die Fenster nicht offen? In den Gärten liegt Flieder. -Doch nein, laß es. - -Ruth lächelte, während sie dachte: wozu die wirren Locken -- Er könnte -genau so gut einen braven Scheitel haben wie Norbert. - -Und als er mit den großen, zerbrochenen Bewegungen die Zigarre anzündete --- wie immer -- stürzte das Gleichgewicht der Frühlingsstraßen draußen -in sich zusammen und zwischen den zersplitterten Pflastersteinen tanzte -Bella mit Thomas. Aus Mutters Kommode taumelten Briefe -- - --- Du sprichst gar nichts, sagte er. -- Du weißt alles, sagte sie. - -Dann schwiegen beide. Aber wie die Dämmerung so weit hereingekrochen -war, daß das steifbeinige Zifferblatt der Uhr verschwimmen mußte, sagte -Ruths Stimme, fremd und hell: - --- Du wartest, daß ich dir erzähle. Was soll ich dir erzählen? Es ist -nichts geschehen. Es ist etwas Ungeheures geschehen. Ich trage bis heute -die ganze Last deines verbrauchten Lebens in mir. - -Ich sehe deine weißen, mörderischen Hände. Wenn es auch dunkel ist. -Warum hast du niemals Leberblümchen mit ihnen gepflückt oder Primeln. -Stiefmütterchen, die zwischen den Bahnschwellen liegen. Warum bist du -denn immer hinter den langweiligen Bahnschranken stehen geblieben und -niemals mitgefahren in federnden Kissen. Deine Hände sind auf den weiß -gestrichenen Schranken gelegen. Noch als du ein kleiner Junge warst und -hinauf greifen mußtest. Sie haben sich nicht getraut, eure Kaninchen zu -erwürgen. Obwohl sie es so gerne getan hätten. O, du hättest es tun -sollen -- - -Aber das Weiße in Mutters Augen ist zerbrochen. Ich weiß es. - -Ich weiß jetzt alles. Und ich fühle den Zorn, der deshalb in dir tobt. -Und die blutlechzende Freude, mit der du mich wiederkommen siehst. Denn -ich bin wiedergekommen. - -Weil ich deine feigen Nächte kenne. Deine Phiolen -- - -Er war aufgesprungen und stand vor ihr, so groß und dunkel, daß die -Dämmerung bleich werden mußte und verdrängt. - -Da sank sie in sich zusammen: -- Ich liebe deine Hände. Ich liebe deine -Minerale. Ich liebe dein Gift -- dich -- - -Er beugte sich über sie, tief, erdrückend. - -Sie bäumte sich auf. Und fühlte seine kampfbereiten Muskeln. - -Er keuchte: -- und -- - -Sie neigte den Kopf: -- Ich habe mich ergeben ... - -Als sie wieder aufschaute stand er in einer Fensternische, bleicher als -die Dämmerung. Und das Zimmer war weich geworden und willenlos -ausdehnbar. Ohne Kampfkraft. - -Ruth stand auf und lächelte: -- Ich glaube, jetzt haben wir einander -nichts mehr zu sagen. - -Und sie ging durch die nachtschweren Gassen, sich badend in dem -blütenschwangeren Regen des Mai. - - - Anmerkungen zur Transkription - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 62]: - ... Wer hat ihr jetzt eine Maschine in den Kopf gesetzt. ... - ... Wer hat ihr jetzt eine Maschine in den Kopf gesetzt? ... - - [S. 62]: - ... mit licht gepeinigten Augen, grell, schreiend grell, laut. ... - ... mit lichtgepeinigten Augen, grell, schreiend grell, laut. ... - - [S. 86]: - ... hat eine wohlgefühlte Geldbörse in der Tasche. Kupfergelb, ... - ... hat eine wohlgefüllte Geldbörse in der Tasche. Kupfergelb, ... - - [S. 145]: - ... soll. Mutter sah sie erstaunt an. -- Ja, ich kann doch nicht ... - ... soll? Mutter sah sie erstaunt an. -- Ja, ich kann doch nicht ... - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Vergiftung, by Maria Lazar - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERGIFTUNG *** - -***** This file should be named 62801-8.txt or 62801-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/2/8/0/62801/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was -made from scans of public domain material at Austrian -Literature Online. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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P. Tal & Co., Leipzig, Wien" --> - <!-- DATE="1920" --> - <!-- COVER="images/cover.jpg" --> - -<style type='text/css'> - -body { margin-left:15%; margin-right:15%; } - -div.frontmatter { page-break-before:always; } -.logo { margin-top:4em; margin-bottom:4em; } -.aut { text-indent:0; text-align:center; font-weight:bold; - margin-top:1em; margin-bottom:1em; } -h1.title { text-indent:0; text-align:center; margin-bottom:6em; } -.pub { text-indent:0; text-align:center; } -.cop { text-indent:0; text-align:center; margin-top:6em; margin-bottom:6em; - font-size:0.8em; line-height:2em; } - -div.chapter{ page-break-before:always; } -h2 { text-indent:0; text-align:center; margin-top:2em; margin-bottom:1em; } - -p { margin:0; text-align:justify; text-indent:1em; } -p.noindent { text-indent:0; } -p.first { text-indent:0; } -span.firstchar { float:left; font-size:3em; line-height:0.83em; } -p.tb { margin:1em; } - -.underline { text-decoration: underline; } -.hidden { display:none; } - -a:link { text-decoration: none; color: rgb(10%,30%,60%); } -a:visited { text-decoration: none; color: rgb(10%,30%,60%); } -a:hover { text-decoration: underline; } -a:active { text-decoration: underline; } - -/* Transcriber's note */ -.trnote { font-size:0.8em; line-height:1.2em; background-color: #ccc; - color: #000; border: black 1px dotted; margin: 2em; padding: 1em; - page-break-before:always; margin-top:3em; } -.trnote p { text-indent:0; margin-bottom:1em; } -.trnote ul { margin-left: 0; padding-left: 0; } -.trnote li { text-align: left; margin-bottom: 0.5em; margin-left: 1em; } -.trnote ul li { list-style-type: square; } -.trnote .transnote { text-indent:0; text-align:center; font-weight:bold; } - -/* page numbers */ -a[title].pagenum { position: absolute; right: 1%; } -a[title].pagenum:after { content: attr(title); color: gray; background-color: inherit; - letter-spacing: 0; text-indent: 0; text-align: right; font-style: normal; - font-variant: normal; font-weight: normal; font-size: x-small; - border: 1px solid silver; padding: 1px 4px 1px 4px; - display: inline; } - -div.centerpic { text-align:center; text-indent:0; display:block; } - -@media handheld { - body { margin-left:0; margin-right:0; } - span.firstchar { float:left; } - a.pagenum { display:none; } - a.pagenum:after { display:none; } -} - -</style> -</head> - -<body> - - -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Die Vergiftung, by Maria Lazar - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die Vergiftung - -Author: Maria Lazar - -Release Date: August 1, 2020 [EBook #62801] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERGIFTUNG *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was -made from scans of public domain material at Austrian -Literature Online. - - - - - - -</pre> - - -<div class="frontmatter chapter"> -<div class="centerpic logo"> -<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="aut"> -Maria Lazar -</p> - -<h1 class="title"> -DIE VERGIFTUNG -</h1> - -<p class="pub"> -1920<br /> -LEIPZIG - E. P. TAL & Co., VERLAG - WIEN -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="cop"> -Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten.<br /> -Copyright 1920 by E. P. Tal & Co., Verlag Leipzig und Wien. -</p> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-1"> -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -Die Tür -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">E</span><span class="postfirstchar">ine</span> braune Holztür, glatt, mit vielen dunklen -Flecken. Eine Tür wie sie überall ist, überall ist. -Eine Tür – -</p> - -<p> -Nein, eine dunkle Macht, feindlich, glatt, mit vielen -dunklen Flecken. Das schlägt ins Gesicht, dem ganzen -Körper entgegen. Eine Schicht, eine dünne, harte -Wand. -</p> - -<p> -Und da verloren sich die schmiegsamen Formen -ihres Leibes. Das Immerweitertasten ihrer Hände -blieb stecken. Sie wurde platt zusammengedrückt zu -einer Fläche, einem Ding, aus dem nur der ungeheure -Schrecken herausgestiegen war und draußen stehen -blieb, verwundert. -</p> - -<p> -Als sie über die Treppe des Alltagshauses ging, -trat sie in die Abdrücke der hundert geschäftigen Füße, -die täglich hier vorüberliefen. -</p> - -<p> -Wieso war sie überhaupt dahergekommen? Immer -daher gekommen und nur da her, daß alles übrige draußen -liegen blieb? -</p> - -<p> -Heute drang das Licht blendend durch Steine und -die erstarrte Haut ihres Leibes. Von den Blättern troff -es, grell und heiß, und duftete nach dem Blut aller, -die auf der Straße gingen. Das Blau war zu tief, zusammengedichtet -aus trotzigen Kräften. -</p> - -<p> -<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a> -Ach, die furchtbare Helle. Und in sie hineingelegt -die Tür, mit den dunkelbraunen Flecken. Die sich niemals, -aber auch niemals einschlagen läßt. -</p> - -<p> -Diese Tür war schon damals gewesen, als sie so -klein war, daß sie den Kopf ganz nach hinten legen -mußte, um die ersten Stockfenster zu sehen. War es -die Tür aus dem Kinderzimmer heraus oder von der -Küche in den dunklen Gang, an die sie sich nicht zu -hämmern traute, als man sie einmal dort eingesperrt -hatte? Die Tür, die sich nie und nie zertrümmern läßt. -</p> - -<p> -Wievielmal schon hatte sie diese Türe geöffnet, mit -Händen, die dem eigenen Sieg nicht glauben wollen. -Nur ein leichter Druck auf die Klinke – und hatte -doch immer den Mut gehabt, zu wissen, daß diese Türe -einmal verschlossen sein muß. Jedesmal hatte sie den -einen gräßlichen Moment erlebt, der heute Wahrheit -geworden war – verschlossen. -</p> - -<p> -Heute, es ist ja gar nicht heute. Das war schon -immer, das hat sie ja schon hunderttausendmal erlebt. -Tritt man nicht aus der Zeit heraus, wenn dann eine -Stunde kommt, die sich einbildet, die erste zu sein. -Ein Heute, das ewig ist – ein Schritt aus dem warmen -Leben – vielleicht ist ihr deshalb so entsetzlich kalt. -Und sie muß die Augen schließen, während das Sonnenlicht -des Tages die Wimpern versengt. -</p> - -<p> -Verschlossen – undurchdringlich. -</p> - -<p> -Sie geht durch Straßen, wo die Nachmittagsröte -die Mauern frißt. Und weiß: Der breiten Kastanie vor -seinem Fenster ist heute ein Ast abgehauen worden. -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -Blendend weiß bietet sich die Wunde der gierigen -Sommersonne dar. -</p> - -<p> -Sie kann nie mehr weiter tasten. Steht fest, undurchdringlich -– verschlossen. -</p> - -<p> -Ich muß denken, sagte Ruth. Sie nahm den Brief, -der in seine Tür geklemmt war und dachte: Ein zu -kleines Kouvert. Und warum macht er dem R bei Ruth -so einen Schnörkel? Eine wütende Lust überkam sie, -den Brief von sich zu werfen, irgendwohin, vielleicht -in den Straßengraben. Und dann nie mehr ... Aber -sie hielt ihn fest und ging so lange, bis die erste -Dämmerung sich mit dem Staub der Großstadt mischte, -der in die Höhe stieg, langsam, leise und unerbittlich. -</p> - -<p> -Es schlug neun Uhr vom Kirchturm. Sie dachte: -Mutter ist böse, wenn ich zu spät zum Abendessen -komme. Und Richard macht seine verwunderten Augen. -Ich will sie nicht ärgern. Aber ich bin nur so elend, -wie sie gar nicht wissen, daß man sein kann. -</p> - -<p> -Sie spürte den Essensgeruch der aus der Küche -quoll, als die Köchin öffnete. Und war gespannt was -es gäbe, während ihr die Tränen in die Augen traten, -daß sie jetzt daran denken könne. -</p> - -<p> -Sie sah nicht auf Mutter und Bruder, während sie -schweigend würgte. Sie hörte nicht die Nörgeleien der -Schwester. Sie schluckte eilig große, trockene Bissen -hinunter und fragte sich nur: Was habe ich? Sie wußte -es nicht mehr. -</p> - -<p> -Aber als sie in ihr Zimmer trat, schrie der Spiegel -seinen Namen. Und sie sah ihr Bild darin, wie sie sich -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -den Schleier vorgebunden hatte, bevor sie weggegangen -war, heute. Die Bücher auf dem Tisch, die vernachlässigt -und zusammengeworfen waren, und die zerrissene -Mappe atmeten seinen Duft aus. Und von dem seidengelben -Lampenschirm herab träufelten in weichen -Farben ihre nächtlichen Gedanken. -</p> - -<p> -Sie öffnete den Brief. Und las verächtlich seine -großen Lügen. -</p> - -<p> -Der Spiegel schrie seinen Namen. Sie sah sich -drinnen, wie sie sich den Schleier vorgebunden hatte. -Wird sie so nie mehr zu ihm gehen. -</p> - -<p> -Aber ja, morgen geht sie zu ihm, ganz so wie -sonst. Was hat sie nur heute. Der Brief ist ja so einfach -zu verstehen. Warum soll er denn nicht einmal -verhindert sein, geschäftlich. -</p> - -<p> -Ruth las den Brief noch einmal. Die lächerliche -Schlinge des R und die kriecherische Windung des -L in Liebe. -</p> - -<p> -Er lügt. Aber das macht ja nichts, das wußte sie -schon immer. Und doch – sie kann nicht mehr. -</p> - -<p> -O Gott, was ist nur geschehen? Was ist mit ihr? -Durch das Fenster strahlt die warme Sommernacht, wie -eine Fülle leuchtender Versprechungen. Die Welt ist -hell. Sie war bis jetzt nur in einer dunklen Stube. -Dunkle Stühle, dunkle Flecken an der dunklen Tür. -Die Welt ist hell. Ihre Glieder, ihr armer vergessener -Körper schreien nach Licht. Sie kniet am Boden. Ihre -Zähne beißen in die Tischkante, oh, daß sie nicht aufschluchzt. -</p> - -<p> -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -Sie will denken. Sie weiß, daß seine Augen durch -alle Mauern auf sie sehen. Aber ihre Hand sagt nein, -ihr Knie schlägt in trotzigen Stößen auf die Diele. -</p> - -<p> -Ihr Hirn schmerzt vor Sehnsucht nach ihm, ihre -Zähne beißen in die Tischkante. -</p> - -<p> -So lange sie denkt, gehört sie ihm. Aber da ist -noch etwas an ihr, das nicht denkt. Das treibt, das -schlägt, das stößt, das treibt sie zu ... -</p> - -<p> -Er stand vor dem Spiegel mit dem zu dicken -Rahmen, der alles verdüsterte und doch so hervorstach, -als wolle er es nicht zugeben, daß eine eigentümliche -Frechheit von dem bespritzten Glas ausging. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Er stand vor dem Spiegel und sah aufmerksam -auf seine schlecht rasierten hageren Backen. Auf die -etwas zigeunerhafte Locke, die über die Stirn hing. Sie -war nur zu licht, um wild zu sein. -</p> - -<p> -Er stand vor dem Spiegel und versuchte die Regelmäßigkeit -seiner schmalen Züge zu genießen, durch -die die zu weit nach hinten liegende Stirn durchfuhr, -wie ein querer Strich in einer regelmäßigen Zeichnung. -Seine Schultern standen zu weit nach hinten, künstlich -steif. Sie wollten offen und frei erscheinen. Aber die -Augen lagen tief versteckt. Die Pupillen waren nicht -in sich abgeschlossen, sie liefen über, ausstrahlend und -doch wie verirrt in das Weiße des Auges. -</p> - -<p> -Er stand vor dem Spiegel und der zusammengepreßte -Mund, mit den dunklen, schmalen Zähnen erkannte -alle Schwächen der kraftlos weichen Hände, -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -die sich auf den Rücken legten, während die Schultern -sich nach hinten streckten, gewaltsam, künstlich. -</p> - -<p> -Als Ruth zur Tür hereinkam, saß er vor dem -Pianino und spielte eine Beethoven-Sonate. Er trat ihr -entgegen mit beiden ausgestreckten Händen. – Du -kommst spät, sagte er liebenswürdig spöttisch. Aber -seine Augen blickten böse in eine Ecke des Zimmers. -</p> - -<p> -Ruth erschrak. Wie immer legte sich der süßlichherbe -Geruch der Räume, den sie nie wo anders getroffen -hatte, betäubend um ihre Stirn. Sie lachte dann: -Ja, denk nur, wieso, ich bin einen verkehrten Weg -gegangen. -</p> - -<p> -– Du hast nicht kommen wollen, sagte er langsam -und schwer. -</p> - -<p> -Alles stand still. Das Zimmer stand still, jeder -Stuhl, selbst die Uhr, die sonst immer zu laut schnarrte. -Etwas lebte nicht mehr, es war etwas gestorben, jetzt, -in dieser Minute, etwas Furchtbares war ausgesprochen -worden. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Weinen können. Sie sah die hochmütigen -Globen auf dem Wandregal, die alle staubig -waren. Und die sattgelben Minerale auf dem unordentlichen -Schreibtisch. -</p> - -<p> -Er rückte ihr den Stuhl zurecht, wie immer. Immer -denselben Stuhl. -</p> - -<p> -– Aber was sagst du denn da? lachte Ruth. Es -war ihr schlankes frohes Kinderlachen, das so seltsam -hinaufkletterte über die grau verschossenen Wände, -die zu hoch waren. -</p> - -<p> -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -– Mein Kind, sagte er, mit überschlagenen Beinen -und fremden Augen, ich habe dich seit drei Wochen -nicht gesehen und heute kommst du zu spät. -</p> - -<p> -– Du mußt mir erzählen, stöhnte Ruth, alles was da -war, alles was du erlebt hast, was du gearbeitet hast. -</p> - -<p> -– Ruth, sagte er. Und sie haßte ihn. Spürte den -Schnörkel in der Schlinge des R. -</p> - -<p> -Sie sah seine weißen, kraftlosen Hände. Wußte, -daß sie diese Hände niemals vermissen könne. Seine -Krawatte war zerschlissen. -</p> - -<p> -Eine heiße Welle stieg in ihr empor, würgte die -Kehle. Aber sie war so müde. Hilf mir, sagte sie. -</p> - -<p> -Vor ihr war eine große, schwere Wage. Eine Schale -war voll eiserner Gewichte, schwer und kalt. Die -andere leer, ganz leer und hoch oben, mutterseelenallein. -</p> - -<p> -Die ganze Welt war aus dem Gleichgewicht durch -diese Wage. Und durch die Disharmonie seiner Bewegungen. -So wie er jetzt die Zigarre zum Munde -führte. -</p> - -<p> -– Du kannst mich eben nicht mehr aushalten, sagte -er langsam. Nein, er wußte nichts, er konnte ihr nicht -helfen. -</p> - -<p> -Er erzählte ihr von seinem neuesten chemischen -Experiment. Und sah sie an, als wäre sie eine -schillernde Phiole. -</p> - -<p> -Ihr Gehirn wollte mitarbeiten, aber wieder wehrten -sich ihre Hände, ihre Knie, ihr Blut dagegen. -</p> - -<p> -Die Nacht war hereingebrochen. -</p> - -<p> -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -Du, sagte Ruth plötzlich, als er ihr seine letzten -Tage schilderte, wie er sich elend in Gasthäusern -herumgetrieben. Hör’ auf. Ihre Stimme klang hart -und hell. Sie sprang auf und nahm seine Hand. Und -ein grenzenloses Mitleid, ein Schmerz, der sich selber -zerbrach, lähmten ihren Atem. – Jetzt geh ich und -komme nicht mehr. Deine Tür war verschlossen, letztesmal. -Sie war immer verschlossen. Lüg nicht! Vielleicht -weißt du es nicht. Ach, diese Kälte herinnen. Und ich -liebe dich. Hörst du mich nicht. Das ganze Zimmer -hört mich ja. Die Bäume draußen hören mich. So hör mich. -</p> - -<p> -– Ich höre, mein Kind, sagte er und sie stampfte -mit dem Fuß, weil er mein Kind sagte. -</p> - -<p> -– Du weißt, daß ich seit zwei Jahren für dich gelebt -habe, fuhr sie fort und ihre Stimme überschlug sich. -Aber ich sage dir, ich spüre eine Erschöpfung, eine -Gefahr, ich bin zu voll von dir, ich kann dich nicht -mehr ertragen. O, was tust du mit mir. -</p> - -<p> -– Wohin willst du, sagte er und nahm einen Zug -aus seiner Zigarre. -</p> - -<p> -– Fort, schrie Ruth. Was bin ich dir? Eine -Phiole mehr für deine Experimente. -</p> - -<p> -– Törichtes Kind, sprach er und seine Stimme war -schwarz in der lauen Nacht. Fort – du kannst nicht -mehr fort. Du warst die Phiole für mein kostbarstes -Experiment. In dir habe ich mich selber experimentiert. -</p> - -<p> -In diesem Augenblick sah Ruth vor sich auf dem -Schreibtisch ein schmales, scharf geschliffenes Messer -liegen. -</p> - -<p> -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -– Wohin willst du, fragte er und vertrat ihr den -Weg zur Türe. Du Kleine, die du die ganze Last eines -verbrauchten Lebens in dir trägst. -</p> - -<p> -Ruth roch Blut. Oder waren das seine Chemikalien. -</p> - -<p> -– Nein, sagte sie. Und ging hinaus ohne ihm die -Hand zu geben. -</p> - -<p> -Im Stiegenhaus brannte grellrot elektrisches Licht. -Und die Straße lärmte. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-2"> -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -Der Kleiderkasten -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">R</span><span class="postfirstchar">uth</span> erwachte. Durch das Fenster stieß peinigend -laut Licht. Es kam von drüben, von der fahlgelben -Hofmauer, zerbrochen und unverschämt schrill. Es saugte -die Menschen aus ihren Betten, aus ihren Häusern, ihren -Gewohnheiten. Und weil heute Sonntag war, liefen sie -alle hinaus. In eine Freiheit, die zu hell war. Daß die -großen grünen Blätter schon verdeckt lagen von Staub -und zu viel erlebt haben. Wie das schmerzt. Und alle -schreien. Irgendwo wird Bier ausgeschenkt. -</p> - -<p> -Dasselbe Licht kroch über die Gegenstände ihres -Zimmers, die sonst dunkel waren. Sie traten heraus -aus sich selbst, aus ihrem farblosen Dasein und jede -Kontur wurde scharf und kam weit hervor. -</p> - -<p> -Es war nicht zum Aushalten. Ruth sprang auf. Sie -ließ die Jalousie herunter und war erleichtert, als die -Eisenstangen auf dem Fensterbrett aufschlugen. Dann -legte sie sich wieder in das zerwühlte Bett, obendrauf, -den Kopf weit nach hinten. -</p> - -<p> -Vor ihr stand der Kirschholzkasten. Der liebe, -lichte, gerade Kirschholzkasten. -</p> - -<p> -Tisch und Stühle und vor allem das dunkle Bücherbrett -trugen noch sein Gepräge. Sie waren immer nur -dagewesen, um zu warten, daß sie zu ihm gehe. Und -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -wenn sie wieder kam, waren sie voll Warten für das -nächstemal. Und nur voll Warten. -</p> - -<p> -Aber der lichte Kirschholzkasten war schon früher -dagewesen. Sie sah starr auf ihn mit halbgeschlossenen -Lidern. Um die anderen nicht zu sehen. -</p> - -<p> -Der Kasten hatte etwas vom lieben Gott. Ganz -bestimmt. Von dem lieben Gott, vor dem man die -Hände faltet, um zu ihm zu beten. Der einen weißen -Bart hat. Und man braucht nur brav zu sein und es -kann einem gar nichts geschehen. Er schmeckt nach -Zuckerlämmchen, die zu Ostern verkauft werden. Und -auch ein bißchen verstaubt. -</p> - -<p> -Dieser liebe, breitlinige Kasten war einmal groß, -so groß, daß man nicht bis zum Schlüssel reichen -konnte. Und alles war darin, was man nur brauchte. -</p> - -<p> -Ruth bäumte sich auf. Der liebe Gott war tot. In -dem lichten Kirschholzkasten hing eine Menge dunkler -Stoffe. Die rochen alle ein wenig nach fremden -Chemikalien, süßlich herb. Stundenlang war sie gesessen, -den Kopf in diesen Kleidern vergraben, um -den geheimnisvollen Duft einzusaugen. Nein, sie wird -den Kasten nie mehr aufsperren können. -</p> - -<p> -Sie betrachtete mißtrauisch ihre braunen Kinderhände. -Mit den kurzen Fingern, die noch niemals etwas -sein wollten und noch niemals etwas festgehalten hatten, -immer nur alles fragend betastet. Rochen sie nicht in -ihrem Innern, ganz drinnen in der Handfläche, aus den -Poren heraus nach ihm? Sie dachte an das Versinken -in seinen großen, zu weißen Händen und ihr wurde -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -übel. Ihre widerspenstig flockigen Haare rochen ja auch -nach dort – ist sie denn ganz von ihm durchzogen, -vergiftet – -</p> - -<p> -Sie wird ein Bad nehmen. Und sich die Haare -waschen mit sehr viel Seife. Das wird nützen. Und -die Möbel heute gut abstauben, mit einem neuen -Staubtuch. -</p> - -<p> -O Gott, wenn sie nicht auf den Kasten sieht, sieht -sie überall ihn, nein, nicht ihn und auch nicht seine -Augen, nur seinen Blick. Der dunkel ist und wie ein -Band sich um ihre Glieder legt. Den sie nicht versteht -und nie verstanden hat, weil er aus einem Land -kommt, das sie nicht kennt. Dessen Unkörperlichkeit -sie verzweifeln ließ und dem sie nun entflieht, von -heute an. -</p> - -<p> -Es ist merkwürdig, dachte Ruth, daß ich die ganze -Nacht geschlafen habe. Es ist überhaupt merkwürdig, -daß man bei einem großen Unglück doch ganz bleibt, -wie sonst. Nur alles andere wird anders. -</p> - -<p> -Und wieder sieht sie auf den hellen freundlichen -Kasten. Und vergleicht ihn mit dem lieben Gott. Sie -möchte die Hände falten, ganz wie damals. Und kann -es nicht mehr. Und fürchtet sich, ganz wie damals. -</p> - -<p> -Denn da ist sie wieder, die alte Kinderangst, über -die sie schon hinweggegangen zu sein glaubte mit -hochmütig erwachsenem Schritt. Die Angst, die die -Nacht fürchtet und die blasse Frühlingsdämmerung. Die -sich krümmt unter der Eintönigkeit des Mittags. Die -Angst, die auf der Schulbank hockt neben dem patzenschwarzen -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -Tintenfaß, den strengen Scheitel der Lehrerin -streift, die nach zerkauten Federstielen schmeckt und -liniertem Papier, die Angst, die aufschreit in einsamen -Nächten und keinen Ausweg findet durch den fest verschlossenen -Mund. Die von Leichenzügen träumt und -alle Pest und Hungersnot der Jugendbüchereien durchlebt -hat. -</p> - -<p> -Wer ist sie heute? Was war sie seit der Zeit, als -sie in kurzen Röcken über die Gassen lief und das -Zopfband verlor? Ist sie bestohlen, beraubt? -</p> - -<p> -Nein, Ruth wußte es, sie war mißhandelt worden. -Eine zarte Hülle blieb übrig, die leben wollte. Und -was war in ihr? Was roch wie die lebendig gewordene -Wissenschaft? Was klebte an ihren Händen, in ihren -Haaren, in ihren Kleidern? Was füllte den lieben, alten -Kasten? -</p> - -<p> -Da wird sie sich einer furchtbaren Gefahr bewußt: -Leer werden. Leer – was heißt das, was ist das? -Leer – das sind die Augen in Totenschädeln. -</p> - -<p> -Sie will nach der goldenen Fülle greifen. Und das -Licht kann nicht herein und dahinter steht das Nichts, -das Leere. -</p> - -<p> -Leer – das heißt ihn verlieren, ihn verloren haben. -Und die Wucht seiner Schmerzen, die Qualen seiner -Einsamkeit. -</p> - -<p> -Hoch aufgerichtet steht sie vor dem Bett. Sie sieht -an sich herunter. Bis zu den schlanken, braunen Knöcheln. -Und haßt sich. -</p> - -<p> -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -Leer – das ist das Stück vom Fenster hinab bis -zu dem harten Pflaster. Worauf die Menschen ihren -grünen Schleim spucken und das die Hunde beschmutzen. -</p> - -<p> -Frei sein und leer sein und weniger als elend sein – -</p> - -<p> -– Fräulein Ruth sollen zum Frühstück kommen. – -Ruth sah das große überkräftige Stubenmädchen mit der -hohen vergnügten Stimme. Und wußte: heute abends -geht sie aus, da wartet einer unten auf sie, vielleicht -der vom letztenmal oder auch ein anderer. -</p> - -<p> -– Ruth, rief die Mutter aus dem Nebenzimmer. – Ich -komme, antwortete sie mit einer Stimme, die voll Musik -und Jubel war. -</p> - -<p> -Mutter stand in der Sonne. Und Mutter war -lebendigstes Gewesensein. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Mutter ging alle Morgen nachsehen, ob das Mädchen -gut aufgeräumt habe. Sie ließ keinen Stuhl so stehen, -wie diese ihn gestellt hatte. Mutter wollte ein eigenes -Haus haben, wie sie sagte. Ob dieses Haus besser war, -als alle anderen, ist nicht bestimmt. Aber daß es anders -war als alle anderen, daß es ihr eigen war und nur -durchtränkt von der kindhaften Unruhe ihrer zu langen -Finger, die niemals jung gewesen sein konnten, daß -ihr Haus fremd und versperrt war allen, die nicht ihres -Blutes waren, das hatte sie erreicht. Und Ruth -empfand es mit einem Stolz, der sich selbst nicht -anerkennen will. -</p> - -<p> -Mutter küßte Ruth, wie man ein Stück Eigentum -küßt oder ein Stück von sich selbst. Und Ruth fühlte -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -die Schmerzen der vergangenen Nacht ganz klein werden -und wollte weinen. -</p> - -<p> -Mutter frühstückte nicht mit. Sie war nie imstande -eine Mahlzeit durch sitzen zu bleiben. Sie mußte immer -rasch noch etwas anderes tun. -</p> - -<p> -Mutter war groß. Aber nicht groß genug für das, -was sie der Welt zeigen wollte. Deshalb schien sie -fast klein. -</p> - -<p> -Und auch ihre Wohnung war groß. Aber zu klein, -um sich vor allen zurückziehen zu können. Denn das -wollte sie. Deshalb waren die hohen Räume eng und -drückend. -</p> - -<p> -Als Ruth mit dem schmalen, silbernen Brotmesser -das Brot schnitt, empfand sie einen seltsamen Besitzerstolz -und dachte: zuhause sein. -</p> - -<p> -Sie hatte keinen anderen Wunsch, als Mutters -Kleid zwischen beide Hände fassen zu können, ganz, -ganz fest. Wie gut war es, daß Mutter immer so alte -Kleider trug. Und schon wollte sie aufspringen und -Mutter alles sagen – -</p> - -<p> -Da kam Richard herein. Nein, sie konnte nicht. -Richard war zu klug. Und Richard war Mutters Sohn. -Von so etwas konnte sie nie zu Mutter sprechen. -</p> - -<p> -Und Martha war Mutters Tochter. Martha war -häßlich und verbittert. Wenn sie die Tür aufmachte, -war das Zimmer voll Lärm. Da konnte Ruth von so -etwas doch nie zu Mutter sprechen. -</p> - -<p> -Ruth wußte nicht, daß Mutters Leben nur Enttäuschung -war, die nicht eingestanden werden durfte. -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -Und daß Mutter so grenzenlos arm war, weil sie nie -den Mut gehabt hatte, das zu erkennen. -</p> - -<p> -Mutter war so klug, daß sie die Dinge nicht wirklich -sah, sondern in Karikatur auf dem Hintergrund -ihrer Wünsche und Vorurteile. Aber sie sah sie alle -bis auf eines: Das war sie selbst. Sie wußte so wenig -von ihrer eigenen Existenz wie ein ganz kleines Kind. -Und ahnte nicht, daß sie selber auch etwas beigetragen -habe in der Symphonie der Ereignisse, die ihr enges, -tiefes Dasein bildeten. -</p> - -<p> -In ihrer Jugend hatte sie nur eines gekannt: Die -Pose. Die Verwandten und Freunde, ja selbst der -Kutscher ihres väterlichen Hauses sprachen mit Handbewegungen, -wie Schauspieler in ihren Rollen. Das hatten -sie von ihrem Vater gelernt. Dessen ganzes Leben ein -großer Faltenwurf war. Hinter dem steckte nichts als -Jagd und Rausch und etwas Verwesung. Aber ihre -Mutter war träge. -</p> - -<p> -Sie hatte nie den Mann gefunden, den sie lieben -konnte. Das wäre auch nicht so nötig gewesen, nur -hätte sie sich Zeit nehmen sollen, ihn zu suchen. Denn -nur dann hätte sie sich entwickeln können. -</p> - -<p> -Aber sie zerschnitt sich alle Möglichkeit weiterzukommen, -indem sie in früher Jugend einen Mann heiratete, -der vielleicht ein Heiliger geworden wäre, wenn -sie ihn unter Menschen gelassen hätte. Denn er liebte -die Welt mit der zarten, naiven Freude junger Knaben, -die an einem Frühlingstag ein blühendes Tal durchstreifen. -Aber sie hielt ihn als Eigentum, wie ihr Vater -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -Pferde und Bediente gehalten hatte. Sie sperrte ihn -ein in Räume, die von ihren Atemzügen übersättigt -waren. Daß seine weiche Menschlichkeit zur Seite treten -mußte und sein säurenscharfer Verstand allein ihn beherrschte. -Er rechnete Tage und Monate und Jahre. -Als seine große Erfindung fast fertig war, starb er. -Aber noch eine Stunde vor seinem Tod erzählte er -das Märchen vom Schneewittchen. Denn er hatte immer -Königstöchter geliebt, die eigentlich kleine Mädchen -waren und in rote Äpfel bissen. Die ein bißchen Puppentheater -an sich hatten. -</p> - -<p> -Ruth hatte Vater gegenüber ein schlechtes Gewissen. -Weil Mutter alles war, weil Mutters große, vielgliedrige -Hände auf ihren Augen gelegen waren, wenn -sie zu Vaters Schreibtisch sehen wollte. -</p> - -<p> -Als sie noch ganz klein war, hatte er sie einmal -in eine Konditorei geführt. Es war ein schneidend kalter -Wintertag und ein elendes Geschäftchen in der Vorstadt. -Dort kaufte er Bonbons, einen großen Sack voll -großer, dicker, gelber, malziger Bonbons. Und gab sie -ihr mit dem vergessen gütigen Lächeln, mit dem -Christus das Brot an die Zehntausenden verteilt. Da -wurde sie traurig. Am Abend saß er an seinem Schreibtisch -und Mutter schalt mit der Köchin. Ruth ging in -das dunkle Vorzimmer, steckte den Kopf in seinen -Winterrock und küßte, küßte das weiche, kalte Tuch. -Später sagte Richard: – Gib mir davon. – Sie hielt den -Sack fest zu. – Du bist geizig, sagte Richard. – Gib! – -Sie preßte den Sack an sich. Da schlug er sie. Sie weinte. -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -Er zerriß das Papier. Aber sie kämpfte um jedes -einzelne Bonbon. Und legte alle unter ihren Kopfpolster. -So war Vater. Aber Richard konnte das nie verstehen. -Und sie hatte viel Respekt vor Richard. Fast noch mehr -als vor Mutter. -</p> - -<p> -Am Abend sagte Mutter: – Warum bist du noch -nicht angezogen. In einer Stunde müssen wir im Theater -sein. -</p> - -<p> -Ruth dachte an den Kleiderkasten. An den dunklen -Duft, der aus ihm herausströmen soll. Und sie empfindet -das dunkle Band, das von weither kommt und sich -um alle ihre Glieder legt, schmiegt, sich einschneidet -in die furchtsame Haut. -</p> - -<p> -Und sie weiß, wenn sie das blaue Seidenkleid anzieht, -ist sie morgen wieder bei ihm. -</p> - -<p> -– Ich gehe nicht ins Theater, antwortete sie. Und -blieb allein in der Wohnung. Da geht sie aus, sich -zu suchen. Sie schleicht, sie kriecht fast durch die -Zimmer. Sie betastet die Stühle mit den verbogenen -Füßen, die überflüssigen Vasen, den Samt der Vorhänge. -Überall war Mutter. Und noch Richards Bücher. -Und ein paar gestopfte Handschuhe von Martha. Aber -Ruth war nirgends. -</p> - -<p> -Da überfiel sie eine Qual, die sie zu Boden schlug, -sich wie ein Strick um ihren Hals legte und würgte ... -</p> - -<p> -Mutter kam von Lohengrin und war entzückt, wie -immer. Sie liebte derbe Romantik und laute Musik. -Dann sang sie den Hochzeitsmarsch mit ihrer kräftigen -Stimme. Ruth sah sie an wie eine Fremde. -</p> - -<p> -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -Richard war zufrieden, wie nach einer gut überstandenen -Prüfung. Und Martha jammerte, daß ihr Schal ein -Loch bekommen hatte. Ruth war nur ganz verwundert. -</p> - -<p> -Aber dann setzte sie sich auf Mutters Bett, tief -hinein. Sie starrte in das schläferige Weiß des Linnens -und wünschte sich klein zu sein und Fieber zu haben. -</p> - -<p> -Mutter sagte: – Aber jetzt geh schlafen. Und warum -bist du heute so blaß? Was hast du denn? Geh nur -schlafen und gib mir noch vorher meinen Roman. -</p> - -<p> -Richard meinte gähnend: – Möchte nur wissen, warum -du deinen Sitz hast verfallen lassen. So was Dummes. -</p> - -<p> -Ruth wußte nur: – Wenn ich den Kasten aufmachen -muß, werde ich wahnsinnig. Da ist ein Abgrund drinnen, -der stürzt über mich, der erdrückt mich durch seine -Leere. Und dann wissen sie alles. Oh, die Schande. -Dann bin ich ausgezogen. Nackt vor allen. Auf der -Straße. Mein Körper ist voll eiternder Wunden, oh, -die Schande. -</p> - -<p> -Der liebe, lichte Kirschholzkasten stand glatt in -ihrem dunklen Zimmer. -</p> - -<p> -Nach zwei Tagen sagte das Stubenmädchen: – Wenn -Fräulein Ruth nicht den Kasten aufmachen, kann ich -den grauen Mantel nicht zum Putzen tragen. -</p> - -<p> -Die Schande. -</p> - -<p> -Und Mutter sagte: – Wenn du den Schlüssel verloren -hast, lasse ich den Schlosser holen. -</p> - -<p> -Die Schande. -</p> - -<p> -Sie weinte heraus: – Ich will nicht. -</p> - -<p> -– Ich glaube wirklich, du bist krank, meinte Mutter. -</p> - -<p> -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -Aber Richard rief aus dem Nebenzimmer: – Geh, -mach dich nur nicht interessant. -</p> - -<p> -Oh, die entsetzliche Schande. -</p> - -<p> -Und sie wird sich zwingen lassen. -</p> - -<p> -Was tut sie nur den ganzen Tag. Sie geht herum -und erklärt es ihm, ihm, zu dem sie nie mehr kommen -wird. Sie macht ihm alles begreiflich, er versteht es, -er weiß es, er weiß ja alles. Wie kommt es nur, daß -er ihr so ähnlich ist. Oder sie ihm – -</p> - -<p> -Sie nimmt zum zehntenmal ein neues Staubtuch -und wischt alle Möbel ihres Zimmers ab. Damit sein -Duft doch endlich weggehe. Und wäscht sich dann die -Hände mit kochend heißem Wasser. -</p> - -<p> -Am nächsten Abend sagte die Mutter: – Wenn du -dir morgen nicht ein anderes Kleid anziehst und den -Kasten aufsperrst, so hol ich den Schlosser. Also -überleg es dir. -</p> - -<p> -Ruth stand an ihrem Fenster und sah in die -schmutziglaue Sommernacht hinunter und fühlte: -Warum kann Mutter, die den Lohengrin so gern hat, -die so nobel ist, wenn Gäste kommen, so zu mir sein? -Warum stehe ich hier und schau auf eine staubige -Straße, wo doch draußen die vielen Felder sind mit -den endlosen Schienen – in die Ferne gleiten – -und warum – -</p> - -<p> -– Ich muß jetzt Bett machen, sagte das Stubenmädchen -und zündete das grelle elektrische Licht an. -Ruth sah auf sie. Auf ihre kräftigen Arme, die fast -aus der Bluse quollen, ihre übermütig starken Hüften, -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -ihre brennend heißen Wangen. – Hören sie, Agnes, -sagte sie heiser und ging ganz nahe zu ihr ... Sie waren -jetzt unten, da beim Haustor und er war dabei, -o bitte, sagen Sie nicht nein, ich habe Sie ja -gesehen ... Nein, Sie müssen nicht schreien, aber sagen -Sie mir doch bitte, war es der selbe, mit dem -ich Ihnen begegnet bin, damals, Sie wissen schon, wie -ich im Konzert war, aber so sagen Sie doch. – Nein, -sagte Agnes, mehr verblüfft als verlegen. – Aber -eines, Agnes, müssen Sie mir noch sagen. War es -schön, unten jetzt, meine ich, war das schön – Oh -Gott, sagte Agnes, nein, das ist nichts für Sie, -Fräulein. – Hören Sie, Agnes, und Ruth kämpfte mit -ihrem Atem, Sie haben so starke Arme. Agnes, liebe -Agnes, ich habe meinen Kastenschlüssel verloren. -Mama ist sehr böse. Nehmen Sie das Küchenmesser, -das große, und machen Sie mir den Kasten auf, nicht -wahr, Sie tun es. Aber leise, ich geh einstweilen in -das Speisezimmer. Und kein Wort davon, Agnes, Sie -verstehen. Die Kleider hängen Sie über Nacht ins -Vorzimmer, aber es darf niemand davon wissen, und -zeitlich früh wieder herein, o ja, Agnes, Sie verstehen, -sie tun es gleich – -</p> - -<p> -– Ich verstehe schon, Fräulein Ruth, sagte Agnes -mit blödem Lachen. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-3"> -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -Die Mutter -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> liebe Mutter, dachte Ruth. Kein Mensch weiß, -wie groß sie ist und stolz. Es ist schade, daß das -niemand weiß. Aber ich kann es ja auch nicht vertragen, -daß sie die Türen zuwirft und durch die -Zimmer läuft. Daß sie mit dem Mädchen schreit. -</p> - -<p> -Sie flüchtete in Gärten. In kleine, engbrüstige -Vorstadtgärten mit zerrauften Büschen und wackligen -Bänken. Mit großen Sandhaufen voll schmutziger -Kinder. -</p> - -<p> -Sie ging hin, weil sie dort noch niemals, niemals -gewesen war. Und saß brutheiße Sommernachmittage -durch und versuchte nur an Mutter zu denken und ihn -zu vergessen. -</p> - -<p> -Denn noch immer verfolgte sie sein Blick wie ein -dunkles Band, das so weich war, wie das Innere seiner -Hand, so daß man nichts wünscht, als sich hineinlegen -zu können und nichts mehr weiß von Steinen und -Bergen. Wie im Sand vor dem Meer. -</p> - -<p> -Als sie einmal so saß, den Kopf in den Händen, -mitten unter Proletarierfrauen und Ladenmädchen, -setzte sich jemand ganz nahe neben sie. Sie fühlte nur -immer den Blick, das Band, wie es sich um ihre Stirne -legte und alle Nerven, den Rücken hinunter strich. -Jemand sagte zu ihr: – Fräulein, gestatten, daß ich mich -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -zu Ihnen setze. Neben ihr war ein Commis voyageur -mit aufgewirbelten Schnurrbartspitzchen und rot geblümter -Krawatte. Noch empfand sie den weichen Abgrund, -der zu tief war, um zu duften und sah sich doch hier -unter kleinen Leuten, im kleinen täglichen Leben, -rundherum der graue Spielsand. Sie lachte ihrem -Nachbarn ins Gesicht, laut und plötzlich, daß er -zurückfuhr. Dann ging sie. Hinter ihr schimpften die -Proletarierfrauen. -</p> - -<p> -Sie mußte immer von zuhause weggehen. Denn, -wenn sie zuhause war, liebte sie Mutter nicht und das -war doch schon ganz unmöglich. -</p> - -<p> -Mutter sagte zu Richard: – Man sollte doch sehen, -wo das Kind sich herumtreibt. Sonst dachte sie nicht -weiter an Ruth. Nur in der Nacht wachte sie manchmal -auf und wurde unruhig. Sie meinte, das käme von -ihren angegriffenen Nerven und nahm Schlafpulver. -</p> - -<p> -Daß etwas ihr Fremdes in Ruth vorging, wußte sie. -Soweit sie überhaupt wissen konnte, was sie nicht -wissen wollte. Und sie wollte nichts wissen, was sie -nicht seit ihrem zwölften Jahr kannte und besaß. Das -beleidigte sie schon durch seine bloße Existenz. -</p> - -<p> -Für sie war Ruth das Kind. Das etwas verträumte -Kind, das sie unbedingt liebte, weil es ihr -Kind war, das sie bemitleidete, weil es das Kind -ihres Mannes war. Und das sie deshalb schützen zu -müssen glaubte. -</p> - -<p> -Solange Ruth klein war, sagte sie mit Stolz zu -allen Verwandten: – Das Kind wird ganz wie ich. Und -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -Ruth war fast ebenso angesehen im Hause wie Richard. -Aber mit zehn Jahren enttäuschte sie ihre Mutter zum -erstenmal. Von da an immer wieder. -</p> - -<p> -Sie ging mit Mutter an einem naßkalten Novembertag -durch die Stadt, Einkäufe machen. Sie war traurig, -weil alle Leute in den Geschäften unfreundlich waren, -die Herren dicke Tröpfchen im Bart hatten und die -Damen in zu kleinen Schuhen gingen, die sicher weh -taten. Weil sie eine erfrorene Nase hatte und einen -häßlichen Hut. Deshalb dachte sie an ein Schloß im -Hochsommer und zerbrach sich den Kopf, wie sie dort -Rosensträucher und Marmorbrunnen verteilen sollte. Da -kam ein Bettler. Er war so wie alle anderen Bettler -auf der Welt. Die selbe verkrüppelte Demut, die -Geschäfte macht und ihre Krücken schwingt. Schamloses -Elend. Mutter sagte: – Gib ihm zwei Kreuzer. -– Nein, erwiderte das Kind, ich mag nicht. – Was, rief -die Mutter entsetzt, warum? Oh, du bist schlecht. – -Ja, sagte sie, ich bin nicht gut, ich kann alle Bettler -nicht leiden. -</p> - -<p> -Damals war Mutter sehr böse. Und Ruth sagte -zuhause: – Wenn ich alle Bettler wirklich gern hätte, -müßten sie zu mir kommen, aber ganz. Und ich möchte -ihnen nie Kreuzer schenken, aber ich mag sie gar -nicht. – Da schlug Mutter sie und Richard und Martha -waren voll Verachtung. -</p> - -<p> -Denn man mußte gut sein zuhause. Das war wie -ein Dogma. Richard schenkte jedem Bettler etwas und -Martha nähte Puppenkleider für Armeleutekinder. -</p> - -<p> -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -Als Ruth zwölf Jahre alt war, sagte sie lächelnd -zu ihren Freundinnen: – Natürlich sind wir Juden, aber -schon lang getauft, doch das macht nichts aus. -</p> - -<p> -Als sie vierzehn Jahre alt war, erklärte sie: -– Unsere Möbel sind häßlich. – Ich lüge oft, nicht gern -aber doch oft. – Wenn ich ganz arm wäre, würde -ich sicher einbrechen. -</p> - -<p> -Da wußte man in der Familie: das Kind ist dumm. -Man muß sie zum Schweigen bringen, sonst macht -es nichts. -</p> - -<p> -Und Ruth glaubte, daß sie dumm sei. Nur kränkte -es sie gar nicht. Sie konnte einfach nie auf die Idee -kommen, anders sein zu wollen, als sie war. Höchstens, -daß sie sich wünschte, strähnenglatte blonde Haare zu -haben und eine griechische Nase. -</p> - -<p> -Hier aber war die erste große Spaltung zwischen -ihr und Mutter. Denn Mutter fühlte zu genau, wie -sehr Ruth ihr Kind war, um diese Aufrichtigkeit zu -gestatten. Sie empfand es als eine Verletzung. -</p> - -<p> -Ruth sagte einmal auf jemanden: Den liebe ich, -den möchte ich auf der Stelle heiraten. Ich glaube -wirklich, ich könnte mich wahnsinnig in ihn verlieben. – -Aber schämst du dich nicht, rief die Mutter. -</p> - -<p> -Mutter schämte sich immer. Weil sie einen so -unmäßigen Stolz in sich trug. Was dieser Stolz wollte, -wußte sie eigentlich selbst nicht, er hatte etwas sinn- -und zweckloses. Er erinnerte an die hohen Zimmer, -die man in den Achtzigerjahren baute, deren Größe -etwas Leeres und Zugiges an sich hat. Und die nie -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -auszufüllen sind, weil die Kostbarkeiten, nach denen -sie verlangen, gar nicht aufgetrieben werden können. -</p> - -<p> -Das, was Mutter wollte, existierte nicht. Und -deshalb war sie arm geblieben in der Fülle ihrer -zügellos reichen Empfindungen. -</p> - -<p> -Wenn Ruth in der Nacht sich im Bett aufrichtete -und sie war plötzlich ganz wer anderer als am Tage, -so daß sie ihre eigenen Bewegungen mit süßem Mitleid -und verborgener Zärtlichkeit beobachtete, dann war -es genau so, wie wenn sie Mutter beim Schreibtisch -sitzen sah, mit einer Unzahl Rechnungen, bei denen -sie sich fortwährend irrte und die sie doch so genau -nahm. Oder wie wenn sie einem nackten Säugling -zuschaute, wie er sinnlos mit den winzigen Füßen in -die Luft strampelt. -</p> - -<p> -Mutters Reserve der Menschheit gegenüber war -nur etwas rein gedankliches, äußerlich war sie allen -vollkommen ausgeliefert. Ihre Haare steckten immer -schief. Der Mund war zu voll. Die Unterlippe hing -herunter. Das war aber nicht notwendig. Es war nur, -weil Mutter eben so gar nicht verstand, in den Spiegel -zu schauen. -</p> - -<p> -Ihre dunkelsehnigen Arme hätten Erdarbeit leisten -sollen. Ihr kräftiger Körper brauchte Bergluft. So daß -er fast hinfällig scheinen konnte in den Zimmern der -Großstadt. -</p> - -<p> -Mutter hatte sich nicht erziehen können und deshalb -ihre eigenen Kinder nicht, weil die ihr zu ähnlich -waren. Aber sie hatte einen jüngeren Bruder, der -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -weich und bildsamer war als Lehm. Er war Musiker, -er war Dichter, er war Maler. Und endigte als -Zeichenlehrer in einer Mittelschule. Sie hatte ihm zu -viel geholfen. -</p> - -<p> -Ihre eigenen Talente hatte Mutter verschleudert. -In ihrer Jugend war sie die wildeste Tänzerin der -Stadt. Und trug doch immer abgetretene Schuhe. -</p> - -<p> -Onkel Gustav wuchsen die Haare zu lang in den -Nacken. Nur ein ganz klein wenig, so daß man es bei -anderen Menschen gar nicht bemerkt hätte. Aber bei -ihm schien es viel zu viel zu sein. Er wurde in der -Familie verlacht und als Narr behandelt. Und lächelte -dann demütig. Ruth ging an ihm vorbei. Sie konnte -Bettler nicht leiden. -</p> - -<p> -Mutters Kommode war das interessanteste Stück -im ganzen Haus. Zweimal im Jahr wurde sie „groß“ -aufgeräumt. Kein Mensch durfte ins Zimmer kommen, -nur Gustav und Ruth waren zur Hilfe kommandiert. -Weil Gustav so schön die einzelnen Päckchen einwickeln -und mit Spagat zusammenbinden konnte. Und -weil Ruth es lieber tat, als ins Theater gehen. Der -dumpfe Lawendelgeruch erweckte in ihr eine müde -Erinnerung an Geheimnisse, die sie einmal gekannt -hatte, aber nun nie und nimmermehr erfahren durfte. -</p> - -<p> -An einem langweiligen Sonntagnachmittag mit -Regentropfen rief die Mutter Gustav und Ruth zum -großen Aufräumen. Ruth kam widerwillig, sie hatte -sich stumpf geschlafen und eine fade Sattheit klebte -in ihren Haaren, die heute gar nicht unternehmungslustig -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -um die Stirne herumstanden, sondern schläfrig -nach hinten lagen. Als Mutter die großen Schubladen -aufzog, mit ihren zu hastigen, etwas blinden Bewegungen, -bekam Ruth einen dumpfen Druck in den -Kopf von starkem Lawendelgeruch und wie im Zorn -sagte sie: – Alt. Gustav sah verwundert auf. Er hatte -die Hemdärmeln aufgestreift und seine kleine, gedrungene -Gestalt, die gerne dick sein wollte, aber nie -dazu kam, weil er ja immer hungerte, war auf dem -Sprung, Mutters Wünsche zu erfüllen. Er knüpfte alle -die braunen, grauen, gelben, weißen Päckchen auf und -schichtete ihren Inhalt sorgfältig auf dem Boden hin. -Ruth rührte sich nicht und sagte plötzlich zu Mutter: -– Ich möchte Seidenpapier kaufen, weißes und einfärbige -Bänder. Nicht so in irgend ein Papier und Spagat. -– Was fällt dir ein, das wäre viel zu teuer. – -</p> - -<p> -Ruth verstand das nicht. Sie legte sich auf einen -Teppich und wühlte wie sonst in alten Photographien -hochschöpfiger Damen und befrackter Herren mit -Zylindern. In Wickelkindbildern, wo alle immer in -der gleichen Weise auf dem Bauche liegen. Es langweilte -sie. -</p> - -<p> -Gustav pfiff. Er pfiff wunderschön. -</p> - -<p> -Ruth durchstöberte Briefe, die wie gestochen -aussahen auf vergilbtem Papier. Sie suchte etwas. Sie -suchte etwas, um aus der gräßlichen Leere des Sonntagnachmittags -herauszukommen. Und weil es doch -ganz und gar unmöglich war, daß die geliebte, -geheimnisvolle Kommode nichts anderes barg als dieses -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -öde Zeug. Nein, bestimmt nicht. Nicht einmal die -Schäferinnenspieluhr kam ihr sehenswert vor oder das -Stammbuch der Urgroßmutter. -</p> - -<p> -Mutter zeigte ihnen einen Liebesbrief, den sie -bekommen hatte, als sie sechzehn Jahre alt war. Es -war der Brief eines überspannten Gymnasiasten und -schloß mit Selbstmordgedanken. Mutter war sehr stolz -darauf. Aber Ruth fand ihn so überflüssig aufzuheben, -wie Großvaters Brautbriefe an Großmutter. Sie wurde -zornig. Und sie bekam Angst. -</p> - -<p> -Denn da war noch mehr in dieser Kommode. Mutter -log. Sie, Ruth, wußte es. Da drinnen lag ein zerbrochenes -Schicksal, ein Ruin, ein Kampf gegen den Irrsinn. Mit -dunklen Blicken sah Ruth auf den grauen Scheitel der -Mutter, wie sie eben vor ihr kniete. Sie fühlte ein -kaltes, entsetzliches Alter in ihren jungen Händen, das -alles wußte, das man nicht mehr täuschen konnte. Und -ihr Mund war greisenhaft erbittert. -</p> - -<p> -Mutter staubte soeben eine graue Pappschachtel -ab, die mit einem goldenen Bändchen zusammengebunden -war, als das Dienstmädchen sie rief. – Das laß -stehen, sagte sie zu Ruth und ging hinaus. Ruth warf -sich auf die Schachtel. Gustav kehrte ihr den Rücken -zu. Sie streifte das Band los, schob den Deckel -weg, seine Schrift – und der große Schnörkel -bei „Liebe“. Eine dunkle Tür tat sich auf. Sie bekam -einen brennenden Schlag auf die Hand. Und da wurde -es licht, schreiend licht, grell, schmerzhaft ... -</p> - -<p> -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -Mutter schrie etwas, das sie nicht verstehen konnte. -Und nahm die Briefe und ging hinaus, wutentstellt. -</p> - -<p> -– Onkel Gustav, sagte Ruth ruhig und ernst -und totenblaß. Von wem waren diese Briefe? -</p> - -<p> -Gustav zitterte am ganzen Leib: – Warum machst -du solche Sachen, wenn Mutter es verbietet. Von wem -die Briefe sind. Ich weiß es wirklich nicht, wirklich -nicht. -</p> - -<p> -– Onkel Gustav, wiederholte Ruth und trat ganz -nahe zu ihm hin. Du weißt das alles. Aber wenn du es -nicht sagen willst, wenn du dich nicht traust, so werde -ich es sagen: in diesen Menschen war Mutter verliebt. -</p> - -<p> -Ihre Stimme klang wie höhnende Beleidigung in -dem dämmernden Zimmer. Die Worte fielen abgehackt -in das Dunkle und Mutters Rechenbücher lagen auf -dem Schreibtisch im hintersten Winkel. -</p> - -<p> -– Danach habe ich dich nicht fragen wollen. Aber -eines mußt du mir sagen, wann war es, du? – und -sie kniete neben ihm und krallte die Finger ein in -seinen willenlosen Arm – wann? war ich damals -schon groß, wie alt, ein kleines Kind? sag, du mußt! -</p> - -<p> -– Du warst ganz klein, eben zur Welt gekommen. -</p> - -<p> -Ruth sah vor sich einen Horizont, der in gerader -Richtung in die Höhe steigt. Wo es nicht rechts gibt, -nicht links, nur das Oben. Und das Oben, der Blick, -das Band, das glatte, weiche Band. -</p> - -<p> -– Weiter, sagte sie hart – und früher? -</p> - -<p> -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -– Er sagte dein Schicksal voraus aus den Sternen, -erzählte Gustav, der ins Schwätzen kam, – als Mutter -dich erwartete. Deshalb ist er auch so viel zu euch -gekommen. -</p> - -<p> -Ruth empfand in sich eine graue, steinschwere -Halle, die sich selbst erdrücken wollte und nur getragen -wurde durch ihre entsetzliche, hohe Leere. Wo verschnörkelte -Stühle an den Wänden standen, ganz vereinzelt -und wo etwas von ihr war, ein Hauch, ehe sie -selbst noch war, und wo er war, voll und ganz, nur -daß man ihn nicht sehen konnte. Diese Halle, die sie -aus den frühen, angstvollen Dämmerstunden kannte. -</p> - -<p> -– Wann ging er weg, fragte sie kurz. – Bald darauf. -Er nahm ein Teil von der Erfindung deines Vaters und -verwendete sie für seine Zwecke. Er hat viel damit -erreicht. Aber natürlich wollte ihn dein Vater nicht -mehr sehen. Er ist übrigens von selbst nicht gekommen -und – -</p> - -<p> -– Schweig, unterbrach sie ihn. Sie fühlte sich umgeben -von lauter schwarzen, weichen Bändern und -Spagatschnüren, die alle ineinander übergingen. Fesseln, -Fesseln. -</p> - -<p> -Und aus ungeheurer Tiefe heraus quillt dunkel -empor eine formlose Masse. Die sie nicht modeln darf. -</p> - -<p> -Sie ist machtlos. -</p> - -<p> -– Ruth, bat Gustav erschrocken, wenn Mutter davon -erfährt. Nein, das tust du mir nicht an. Nicht wahr, -gewiß nicht. Überdies, das was du von verliebt sagst, ist -natürlich dummes Zeug. Mutter war sehr gekränkt. Er -<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> -war doch ein Freund von ihr. Auch von deinem Vater. -Und er war jünger als sie. Und überhaupt, deine Mutter -war nie verliebt, überhaupt nicht. Wie du nur so etwas -sagen kannst. Du bist wirklich ein Fratz – -</p> - -<p> -– Und du ein Esel. – Glühende Zornestränen -standen in ihren Augen. -</p> - -<p> -Sie trat an das Fenster. Unten wurden die ersten -Gaslaternen angezündet. Sie stöhnte: was kann ich -Mutter geben, was kann ich ihr schenken, alles schenken, -meiner lieben, armen Mutter, Mutter, Mutter – -</p> - -<p> -Zum Abendessen kam Mutter mit verweinten -Augen. Ruths Hände wurden eiskalt. Und eine harte -Wut überkam sie. Sie haßte alle Weinenden. Nie konnte -Mutter ihr das zeigen. Nein, pfui, das war eine -Schande, nein. -</p> - -<p> -– Was hast du Mutter wieder geärgert, zankte -Richard über den Tisch hinüber. -</p> - -<p> -– O nichts, erwiderte sie achselzuckend. Wenn -Mama so empfindlich ist – ich kann nichts dafür. -</p> - -<p> -Sie ging in den nächsten Tagen, in den -nächsten Monaten an ihrer Mutter vorbei, ohne sie zu -sehen. Aber in den Nächten erlebte sie alle ihre -Schmerzen hundertfach wieder. Sie vergaß die eigene -Sehnsucht vor der Sehnsucht, an der Mutter litt, die -eigenen Qualen vor Mutters Qualen und ihren großen -Zorn vor Mutters unsäglichem Schmerz, der ja so nicht -zum Ausdenken furchtbar sein mußte, weil er nicht -wagte sich zu erkennen, sich einzugestehen, weil Mutter -täglich über den Rechenbüchern saß und die Liebe zu -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> -ihren Kindern für ihren einzig würdigen Lebenstrieb -erklärte. Und der doch so an der Oberfläche war, daß -Mutter es sie sehen ließ, als sie weinte. Nein, deshalb -mußte sie Mutter bei Tag ausweichen. Und wieder in -die kleinen Vorstadtgärten fliehen. -</p> - -<p> -Zuhause aber wurde sie unerträglich. -</p> - -<p> -Als Mutter einmal einem Gast bei Tisch eine glänzende -Schilderung Großvaters gab, der ein Kavalier war vom -Scheitel bis zur Sohle, nur von Geld habe er freilich -wenig verstanden, warf Ruth ein: – er muß ein roher, -betrunkener Mensch gewesen sein. Daß er seine Bedienten -geprügelt hat, finde ich ekelhaft und ich ärgere -mich noch heute darüber, daß er das ganze Vermögen -verspielt hat. Es ist doch gräßlich unintelligent, wenn -einem fremde Pferde mehr wert sind als die eigenen -Kinder. -</p> - -<p> -Und Ruth sagte, wenn Mutter Hexenglauben und -Wahrsagerwesen als Schwindel und Unsinn verdammte: -– Ich glaube bestimmt an alles Übernatürliche – obwohl -sie überhaupt nichts glaubte und ihr Leben nahm, wie -der Tag es hinstreute, mit einem Grauen, das zu tief -war, um über sich selber nachzudenken. -</p> - -<p> -Und Ruth sagte: – Ich gehe in die Kirche, nicht -weil ich muß, sondern damit die Leute sehen, daß wir -auch Christen sind. – Dabei ging sie überhaupt nie -zur Kirche. -</p> - -<p> -In diesen Tagen konnte sie nichts essen als altes -Brot und harte, unzerbeißbare Dinge, an denen sie sich -<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> -die Kiefer wund riß. Ein fortwährendes Übelsein drückte -ihr den Magen leer. Und die große Bosheit, die in -ihr war, würgte die Kehle, zerfraß die Haut und zehrte -an den braunen Kinderhänden. -</p> - -<p> -Sie wußte nicht, ob diese Bosheit etwas ihr eigenes -war. Oder ob sie sie mitgebracht hatte aus dem -Zimmer mit der braunen Holztür. Oder ob es die -Bosheit des Schicksals war, das sie zwang, Sprachrohr -zu sein für ein unterdrücktes Leben, unterdrückte -Sehnsucht und unterdrückte Kraft. Nur Sprachrohr -oder war noch etwas in ihr, das ihr die Augen offen -hielt mit großen, weichen, weißen Händen. Daß sie -nicht einmal blinzeln konnte und nur die heißen Tränen -brennen fühlte. -</p> - -<p> -Sie ließ von dem müden Druck der Spätsommernächte -den Kopf in ihr kleines Kissen pressen. Und sie -bohrte das Gesicht hinein, um nicht denken zu müssen. -Sie sehnte sich maßlos nach einer Bonne, die sie als dreijähriges -Kind gepflegt hatte und täglich vor dem -Einschlafen an ihrem Bett gesessen war. Wenn die -wieder hier sein könnte, wäre alles besser. Sie wußte -nicht mehr, wie das Mädchen ausgesehen hatte, aber -sie erinnerte sich an eine kühle, behutsame Hand und -weiße Mullgardinen vor dem Fenster. -</p> - -<p> -Wenn sie aber Mutters Stimme aus dem Nebenzimmer -hörte, sagte sie halblaut in das heißgehauchte -Kissen hinein: er ist ein Schuft – ich liebe ihn – er -hat Vater bestohlen – ich liebe ihn – er hat uns -gemordet – ich liebe ihn – er hat unsere Zimmer -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -trüb und drückend gemacht und unser Leben mißtrauisch -und eng – ich liebe ihn – er sucht das Böse, weil -das Licht ihn verlassen hat – ich liebe ihn – ich habe -ihn immer geliebt – ich liebe – -</p> - -<p> -So das Sprachrohr. Und unter dem Bett lag, -staubdick geschichtet, wehrlose Wut. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-4"> -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -Onkel Gustav -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">O</span><span class="postfirstchar">nkel</span> Gustav war klein. Er war nur ein ganz -wenig kleiner als die andern und doch glaubte er, an -ihnen hinaufsehen zu müssen. Er spielte Geige. Um -ein klein wenig schlechter, als man spielen muß, um -ein helles Leben zu haben. Er malte. Und es hätte nur -eines Funkens Kraft, eines Fußtritts Persönlichkeit bedurft -und er wäre ein großer Künstler geworden. So -war er klein, sogar sehr klein. -</p> - -<p> -Ein Sprung und er hätte den Gipfel erreicht. Zu -diesem Sprung kam er nie. Und so blieb er hoch oben -hängen, über dem Abgrund. Und die von unten -lachten ihn aus. -</p> - -<p> -Als Onkel Gustav drei Jahre alt war, waren es -seine Zartheit, seine rührend fragende Stimme, seine -samtenen, etwas zu großen Augen, die seine träge -Mutter das erstemal in ihrem Leben lebendig machten. -</p> - -<p> -Sein Vater behandelte ihn wie einen überempfindlichen -Rassehund. Die Mutter liebte seine glänzenden -Locken. Und die große Schwester stürzte sich auf ihn -in zügelloser Leidenschaft. Die vielleicht nicht ganz -ihm galt, sondern auch der Freude zu herrschen, -herrschen zu dürfen über einen andern, während ihre -fordernden Finger sich krümmten unter der Zuchtrute -des väterlichen Hauses. -</p> - -<p> -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -Onkel Gustavs zarte, etwas bräunliche Haut hatte -einen leicht verwelkten Geruch an sich. Der angenehm -war, wie der Duft ermüdeter Rosen. Und lähmte. -</p> - -<p> -Vor dem Hause seiner Kindheit war ein tropisch -üppiger Garten gewesen. Und alles wurde verspielt. -</p> - -<p> -Gustav wußte nie, was wirklich um ihn vorging. -Das teilte er mit der Schwester. Sein Zuhause war ein -Königschloß, Vater der König, Mutter die Königin, -ganz wie im Kindermärchen. Und die große Schwester -erklärte ihm die Welt. Die richtig gezeichnet war, nur -mit zu langen Strichen. So daß überall spitze Ecken -waren und Anhängsel. Doch das konnte er nicht wissen. -</p> - -<p> -Er hatte eine runde Kopfform. Eine runde, etwas -kindische Nase, runde Augen. Er geigte in weichen, -abgerundeten Tönen, die nicht zu Ende kommen wollten. -Mischte auf seinen Bildern mollige, runde Wolken ineinander -und seine griechischen Vokabeln bissen eine -in die andere, immer im Kreis. -</p> - -<p> -Im Gymnasium war er durchgefallen. Vater verachtete -ihn. Mutter weinte. Die Schwester erklärte, er -sei ein Künstler und die Prüfer gehören gehenkt. -</p> - -<p> -Die Dienstboten verspotteten ihn. Seine Kameraden -gingen mit ihm um wie mit einem verwachsenen Kind. -Aber er hatte einen Freund, der groß und stark war, -etwas zu klug und ganz gemein blond. Der studierte -ihn genau. Bis er mit derselben nachlässigen Gebärde -die Schulbücher über den Tisch warf, die Haare, genau -wie er, etwas zu lang in den Nacken trug und eine -ebenso tolle Zusammensetzung französischer Gassenhauer -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -pfeifen konnte. Dann verließ er ihn. Er galt für -sehr interessant. Und kam bei allen Prüfungen durch. -</p> - -<p> -Alte Damen hatten ein unverschämtes Bedürfnis, -sich Gustavs anzunehmen. Der Kondukteur der Straßenbahn -behandelte ihn mitleidig lächelnd, weil er ihm zu -viel Trinkgeld gab. -</p> - -<p> -Aber alle Hunde hatten ihn gern. Weil er nicht -besser sein wollte als sie. Er liebkoste sie wie eine -fremde, seltsame Sache, der man nicht zu nahe gehen -dürfe, er respektierte sie. Als er sehr klein war, sagte -er den großen Jagdhunden seines Vaters „Sie“. Später -sprach er nicht mehr mit den Hunden. Er wußte, daß -sie ihn nicht verstanden. Aber er lebte mit ihnen und -sie durften ihr eigenes Leben führen. Was ihm versagt -war. Das wußte er nicht. Sie saßen neben ihm beim -Schreibtisch, wenn er schrieb, neben ihm, wenn er aß, -sie lagen neben seinem Bett. Sie hatten alle keine -Namen. Aber seine Schwester gab ihnen englische -Sportsnamen. Er konnte nichts dagegen machen. -</p> - -<p> -Junge Frauen liebten ihn plötzlich und stürmisch. -Ja, sie verehrten ihn sogar. Er sah in jeder eine Mutter -Gottes. Und sie waren sein Stolz. -</p> - -<p> -Er hatte eine Schreibtischlade voll Liebesbriefen. -Davon wußte die Schwester nichts. Er hob das nicht -auf aus Eitelkeit. Aber wenn er hungrig war und erfroren, -nahm er sie vor und wurde warm und glücklich. -Er lebte von dem Glauben der Frauen an ihn, der -immer gar zu rasch verflogen war. Das wußte er nicht. -Als er achtzehn Jahre war, verliebte sich eine blonde, -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -junge Wilde in ihn. Sein Vater wollte ihn gerade durch -die Schule zwingen. Sie kam ins Haus und erklärte -wutsprühend, er brauche keine Prüfungen, er käme in -die Fabrik ihres Vaters, er sei geboren, Massen zu -lenken, so wie er unlängst mit dem Werkführer gesprochen -... -</p> - -<p> -Es gab Augenblicke in Gustavs Dasein, die wie -rote Raketen emporstiegen, leuchtend, hoch. Und dieses -falsche Feuer durfte sein Leben erwärmen. Denn er -hatte ein gläubiges Herz. -</p> - -<p> -So ein Augenblick war es, als sie, die blonde, -junge Wilde vor seinem Vater stand. Sie war überflutet -von einer weißgelben Märzsonne. Und draußen schmolz -der Schnee. Sie schlug mit ihrer etwas zu großen Faust -auf den Tisch, daß die Gläser klirrten und die dunklen -Eichenmöbel ganz verwundert schienen. Vater war auch -ganz verwundert. Und er selbst war so glücklich, daß -er vergaß, um was es sich handelte. -</p> - -<p> -Dann war er drei Wochen verlobt. Länger ließ es -die Schwester nicht zu. Denn sie wußte ja, daß er ein -großer Künstler werden würde. Und da glaubte er es -auch. Die blonde, junge Wilde heiratete später einen -Ofenröhrenfabrikanten. -</p> - -<p> -Gustav konnte nicht über die Straße gehen, ohne -daß sich ein blondes Mädel an seine Rocktaschen hing. -Und er liebte sie alle. Nur wußte er nicht, sollte er -sich so benehmen, wie seine Freunde es taten oder sich -der strengen Moral der Schwester fügen. Während er -sich das überlegte, verschwand das blonde Mädel. -</p> - -<p> -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -Eine grobknochige Malerin hatte ihn in einer -Ausstellung untergebracht, sechs Wochen lag er in -ihrem Atelier herum, als ihr erklärter Liebling. Ihre -Freundinnen stutzten seine zu langen Locken. Und ihre -wilden Umarmungen standen wie riesige Raketen auf -seinem Lebenshimmel. Dann holte ihn die Schwester. -Die Malerin reiste nach Paris. -</p> - -<p> -Sein Zimmer wurde immer enger. Vater und Mutter -waren tot. Das viele Geld fort. Er wußte nie genau, -wie es gekommen war. Er bastelte eine eigene Liegestatt -für seinen großen Terrier. Schrieb eine rechtsphilosophische -Abhandlung, lernte indisch. Des Abends -ging er zu seiner Schwester. Sie setzte ihm auseinander, -er sei ein verfolgter Märtyrer seiner Kunst. Sie schmiedete -die schwierigsten Intriguen gegen seine Feinde, schickte -ihn zu großen Herren betteln. Schrieb Gesuche für ihn. -Er empfand ihre Geschäftigkeit angenehm um sich -herumspülen, wie lauwarmes Wasser. Und steckte die -Finger hinein und spielte drinnen mit den Zehen. Trank -Limonade und hielt die Kinder auf seinem Schoß. Nach -jedem neuen Schicksalsentwurf, den sie machte, ging er -lächelnd nachhause. Seine dunkle, schmutzige Straße -beleuchteten grellrote, kalte Lichtfetzen. Und in seinem -Zimmer waren Wanzen. -</p> - -<p> -– Du mußt nicht so ungeduldig sein, sagte er zu -der Schwester, wenn sie klagte und in verzweifelt -großen Schritten durch das Zimmer jagte, – nein, schau, -eigentlich sind wir – er sagte immer wir – stark im -Hinaufsteigen begriffen. Die Exzellenz hat mir -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -versprochen, ich bekomme die Violinstunden bei dem -jungen Prinzen. Also, bin ich dort, dann ist alles fertig. -Ich spiele im Salon vor. Lauter Fürsten und solche -Leute. Man arrangiert ein Wohltätigkeitskonzert. Ich -bin dabei. Dann kann überhaupt niemand anderer für -die Dirigentenstelle in Betracht kommen. Setze ich dann -erst meine Kompositionen durch – du wirst schon -sehen. Überdies habe ich die größten Aussichten, daß -meine Feuilletons gedruckt werden. Ich habe zwar erst -eines, aber die andern sind fertig im Kopf. Wart’ nur, -nächstens bring ich dir die Zeitung. -</p> - -<p> -Eines Abends kam er bleich vor Erregung: – Ich -bin an einem technischen Unternehmen beteiligt. Eine -Riesensache. Ich darf es nicht näher sagen. Ich glaube, -ich habe auch schon eine Erfindung gemacht. Aeroplan. -</p> - -<p> -Drei Monate später hatte er sein letztes Geld verloren. -Ein Zufall verschaffte ihm eine Stelle als Zeichenlehrer -in einer Provinzstadt. Die Schwester war böse. -Warum hatte er ihren Rat nicht befolgt, nicht das -Gymnasium gemacht? -</p> - -<p> -Gustav kam in eine Welt, die aus Fabrikschloten -bestand und holprigen Gassen. Grauem Nebel, einem -grauen Haus, feucht riechenden Kleidern, kaltem Rauch. -Er mußte täglich eine halbe Stunde in der Früh in die -Schule gehen. Mit zerrissenen Sohlen und fadem Kaffeegeschmack. -Er ging durch eine gerade, lange Straße -voll Schwerfuhrwerken mit fluchenden Kutschern, schrillen -Schulkinderschreien, Papierfetzen. Er fürchtete sich vor -seinen Vorgesetzten, wie als Kind vor den Lehrern. Er -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -konnte die Vorschriften so wenig erlernen, wie als -Kind die Aufgaben. Er fürchtete sich vor seinen -Schülern, die ihn verachteten, weil er mit ihnen -höflich war. -</p> - -<p> -In der Stadt hieß es allgemein, er schreibe ein -Drama. Ein ganz modernes, verrücktes. Er bekam vier -Liebesbriefe von höheren Töchtern. Die er sorgfältig -aufhob in der bewußten Lade. -</p> - -<p> -Die Tochter seiner Hausfrau liebte ihn. Sie war -stark geschnürt und hatte Blumen auf dem Hut, die -aussahen wie von Papier. Und sie brachte ihm täglich -das Frühstück. Auch bat sie ihn, ihr Zeichnungen zu -machen, nach Photographien gewesener Liebhaber. Was -er geschickt und sorgfältig ausführte. Aber sie war nie -ganz zufrieden. Er merkte es nicht. Aus der Bluse -heraus guckte färbige Unterwäsche. -</p> - -<p> -Eines Abends war er bei seinem Direktor eingeladen. -Das Zimmer war zum Ersticken rauchig. Die -Frau des Direktors hatte eine hart abgerundete Stimme. -Sie sprach sehr laut. Und am meisten mit einem breitschultrigen -Mathematikprofessor. Von Gustavs Anwesenheit -schien sie überhaupt nichts zu bemerken. Gustav -dachte: unangenehm, daß sie so eine weiße Haut hat. -Wie ein frisch enthülltes Denkmal. Oder Stiegen, die -einen schwindeln machen. Auch schaut sie nach allen -Seiten auf einmal, als ob sie vierfach schielte. Wie sie -wohl aussieht wenn sie schläft ... Und dann sehnte -er sich nach seinem Terrier und dachte nach, ob der -Ofen in seinem Zimmer schon ausgegangen sein wird, -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -bis er nach Hause kommt. Als er fort ging und schlaftrunken -über die dunklen Stiegen taumelte, rief ihm -die Direktorsfrau nach: – Hallo, Sie, Herr Zeichenlehrer, -oder wie Sie heißen, vergessen Sie Ihren Hut nicht, -da, gute Nacht! – Er fühlte einen heftigen Schlag auf -das Hinterhaupt und am nächsten Morgen eilte er sich, -in die Schule zu kommen, vielleicht steht die Frau des -Direktors beim Fenster, vielleicht geht sie gerade Einkäufe -machen ... vielleicht ... -</p> - -<p> -Er erzählte den Jungen von der griechischen Kunst, -daß selbst die Dümmsten und Klotzigsten Augen und -Ohren aufrissen. Er sprang über das Reck im Turnsaal -und kaufte seinem Hund eine Extrafleischportion. Er -merkte nicht, daß der Nebel ihm ins Zimmer kroch und -der Ofen rauchte. -</p> - -<p> -Zu Weihnachten bat ihn der Direktor, seine Frau -zu zeichnen. Er saß in einem warmen Zimmer, mit -glatten, dunklen Möbeln und loderndem Kamin. Brand, -raketenroter Brand. Vor dem Fenster der geradwegige -Schulgarten, abgerundet im Schnee. Sie saß vor ihm -mit einer Handarbeit, weiß und überreif, wie eine süße, -tropische, wie eine ungekannte, ungeahnte Frucht. Das -Zimmer roch nach Mandelblüten. Und ihr Haar war -schwarz und zu glatt nach hinten gelegt. -</p> - -<p> -– Sehen Sie, sagte er, hier kann man zeichnen. Das -ist doch was anderes als zuhause, immer kalt, und -wenn ich meinen Hund nicht hätte, – es kam ihm vor, -als ob er etwas Unpassendes gesagt hätte, er wurde -dunkelrot und machte einen Strich quer durch die ersten -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -Umrisse ihres großzügigen Gesichtes. Sie sah ihn an, -beobachtend, wie ein neues Möbelstück, ob es brauchbar -wäre. Und er dachte: nein, die hält mich nicht für -groß, nein, die hebt mich nicht in den Himmel, sie -traut mir gar nichts zu, rein gar nichts. Und sie hat -recht. Einen Augenblick dachte er in glühendem Haß -an seine Schwester. Und dann: Es ist alles eins. Aber -ich zeichne sie jetzt nur einmal und dann nie mehr. Ich -zeichne sie, wie sie ist, o so ganz, wie sie ist. -</p> - -<p> -Und aus dem grauweißen Papier heraus wuchsen, -Zug um Zug, unterdrückte Entbehrung und uneingestandene -Wünsche. Der bleiche Widerschein ihres -Körpers und Mandelduft. Das Gefängnisgitter ihres -Kinderbettes und der Brief, mit dem sie die Werbung -ihres Mannes beantwortet hatte. Gustav wußte alles -und er, der nur sein eigenes unechtes Bild gekannt -hatte und die blonden Madonnen mit den Liebesbriefen, -er sah ein Leben vor sich und wieder aufwachen und -bluten unter seinen Händen. -</p> - -<p> -– Bring dem Herrn Professor eine Schale Tee, -sagte sie zu ihrem kleinen Sohn, der etwas hervorstehende -Augen hatte, wie sein Vater. Ihre Stimme -war wie Schläge gegen das Hinterhaupt. Da war die -Zeichnung fertig. -</p> - -<p> -Sie wurde rot, als sie sie sah. Und sagte nur -Danke. Gustav ging. -</p> - -<p> -Er traf sie das nächstemal Anfang Mai in der -Dämmerung auf dem Friedhof. Er ging gerne auf dem -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -Friedhof spazieren mit seinem Hund. Er liebte Zypressen -und fühlte sich so seltsam unbehelligt. -</p> - -<p> -Die Blätter dufteten nach dem Sich-schon-geöffnet-haben. -Die Erde auf den offenen Gräbern war tiefschwarz. -Sie kam ihm entgegen, schimmernd und licht, wie -ein ganz weites und reiches Ährenfeld in der Julisonne. -Ein Schlag auf den Hinterkopf. Er küßte ihre -Hand, langsam und vorsichtig. Sie sah auf dem Weg -vor sich dicke, runde Kieselsteine. Die hervorstehenden -Augen ihres Mannes. Aber ringsum die Blätter waren -grün und zart und jung und die Erde schwarz. Sie -nahm seinen weichen, knabenhaft lockigen Kopf und -küßte ihn. Große leuchtende Rakete. Und jeder ging -seines Weges. -</p> - -<p> -Am andern Tag warf ihn seine Hausfrau hinaus. -Er hatte nicht beachtet, daß ihre Tochter ihm durch -nunmehr schon zwei Wochen das Frühstück nicht brachte. -Er war ein unanständiger Mensch. Und der Hund -machte alles schmutzig. Auch wollte ein anderer einziehen. -</p> - -<p> -In der Schule hatte er staatsfeindliche Reden geführt. -Sein verrücktes Drama kam ewig nicht zum -Vorschein. Er ging herum wie in berauschtem Schlaf, -in einer andern Welt. Was ihm diese Welt nicht verzeihen -konnte. Er war gar nicht so dumm, wie er -aussah, zum mindesten machte er keine genügenden -Dummheiten. Er zog ohne Recht die Aufmerksamkeit -auf sich. Das war unverschämt. Er beantwortete einen -Backfischbrief höflich und herzlich. Die Eltern fingen -ihn auf. Die Empörung stieg. Er wurde hinausgeworfen. -</p> - -<p> -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -Als er seine kleine Stube räumte mit dem zu -kleinen Eisenofen, der immer rauchte, weinte er. Er -weinte, wie ein kleines Kind, hilflos und lange mit -großen Tränen, bis sein Gesicht verschwollen war und -sein Denken verdumpft. Und er schaute aus dem papierverklebten -Fensterchen über gleichgültige Dächer und -Schornsteine in den grauen Nebel. Der das erste war, -was er in seinem Leben frei und allein gesehen hatte. -Denn hier war die Schwester nicht dabei gewesen. Und -der fade Ruß deckte nur eine weiße üppige Blässe, ein -unendliches Ährenfeld weit, weit dahinter im Winde. -</p> - -<p> -Er konnte nicht atmen in den letzten Tagen. In -seiner Kehle saß das Hierbleibenwollen. Er verteidigte -sich gegen niemanden, er sprach mit niemandem, er -haßte niemanden, er sorgte nur für das Essen seines -Hundes. Er liebte jedes Schild den weiten Schulweg -entlang. Die Buchstaben standen schwarz und steif auf -dem nicht mehr weißen Hintergrund. -</p> - -<p> -Es war unmöglich abzureisen. Es war unmöglich -zu bleiben. -</p> - -<p> -Und er sah sie nicht mehr. -</p> - -<p> -Da traf er einen erwachsenen Schüler auf der -Straße, der ihn grüßte. Einen großen, etwas dummen -Menschen mit treuen Bewegungen. Er sprach mit ihm. -Und bat ihn, ihn zum Bahnhof zu begleiten. Er kaufte -ein Billet. So mußte er reisen. -</p> - -<p> -Und er sah sie nicht mehr. -</p> - -<p> -Er saß in der Bahn an einem nachtschwarzen Nachmittag, -in dem stickigen Dritter-Klasse-Kupee, zusammengepfercht -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -mit Fabriksarbeitern und wichtigen -Kleinbürgern. Unten fror man entsetzlich in den Füßen -und oben fraß sich schmieriger Zigarrenrauch ins -Gesicht, der noch den Speichel aller der ungepflegten -Münder in sich hatte. -</p> - -<p> -Gustav fühlte sich hier wieder groß. Er wußte, -daß alle die Leute um ihn herum nicht einmal ahnen -konnten, welche Schmerzen er litt. Er fühlte sein -Schicksal unbändig schwer und mächtig vorne auf den -Schienen liegen. Die Lokomotive stapfte mit ihrem -eisenharten Leib darüber hin. -</p> - -<p> -Eine süße Wollust betäubte ihn. Sein Vater mußte -einmal eine sehr schöne Frau geliebt haben. Und er -schlief ein. -</p> - -<p> -Dann war er wieder ein kleiner, verschreckter -Bettler, der zu seiner Schwester ging und sich von -ihr auszanken ließ mit harten Worten. Deren Ungerechtigkeit -er wohl kannte. Und die er nicht -beantwortete. -</p> - -<p> -Er verstand nicht, sich zu ernähren. Und auch -nicht, zu verhungern. So ließ er sich in die Mittelschule -der Stadt hineinprotegieren und ging Mittwoch und -Samstag zu seiner Schwester essen. Dort war er nicht -mehr, als Mutters Bruder, ein höheres Wesen, sondern -trotzdem er Mutters Bruder war, ein trauriger Narr. -Man war gut mit ihm. Und Richard und Martha wurden -sehr herablassend. -</p> - -<p> -Eines Tages, als er einige Heller mehr hatte als -nichts, ging er an einer kleinen Ansichtskartenhandlung -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -vorbei. Das ganze Fenster war voll grellfarbiger Gebirgslandschaften, -schmachtender Mädchenköpfe, Blumenstücke, -Liebesszenen. Er liebte Ansichtskarten. In -seinem Zimmer hingen immer abwechselnd sechs Stück -an der nackten Wand. Nicht mehr und nicht weniger. -Mit Reißnägeln befestigt. -</p> - -<p> -Er ging in das Geschäft und unterhandelte lang -mit der kleinen, blonden Verkäuferin. Dann kaufte er -ein weißes Kaninchen auf grasgrünem Hintergrund. -Obwohl er selbst es häßlich fand. -</p> - -<p> -Er kam wieder jede Woche, jeden Tag. Gisa, die -kleine Verkäuferin, hatte zu wenige und zu lichte Haare -und dumme kleine Zähne, die übereinander lagen. Sie -war nicht mehr ganz jung und doch kindlich zart. Sie -liebte ihn und er fror alle Abende allein in seinem -dunklen Zimmer. -</p> - -<p> -Er zeichnete Ansichtskarten für das Geschäft. Eines -Abends, als sie ihm zusah, küßte er sie auf die Stirne. -Sie lehnte sich an ihn und sagte, sie seien verlobt und -ihr häuslicher Herd werde ein Paradies sein, wie keines -in der Welt. Er war erstaunt und sehr glücklich. -</p> - -<p> -Sie waren lange verlobt. Sie verehrte seinen Geist -und seine Kunst und plapperte ihm alles nach. Es kam -drollig heraus, in ihrem Deutsch, das vom Dialekt nicht -ganz zu reinigen war. -</p> - -<p> -Er war glücklich. Nur konnte er zornig werden, -wenn ihr Bruder, ein Soldat, nach Wirtshaus roch und -ihre Mutter wollene Strümpfe auf den Tisch legte, auf -dem eine goldene Vase mit verwelkten Gräsern stand. -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -Dann schlug er auf den Tisch mit der Faust. Sie weinte -hysterisch und zu laut. -</p> - -<p> -Sie hätten sicher geheiratet, wenn er das Geheimnis -ihrer Verlobung nicht doch zu zeitlich Mutter -verraten hätte. Sie zog ihn vor das Grab seines Vaters -und beschwor ihn, seinen toten Eltern diese Schmach -nicht anzutun. An sein väterliches Haus zu denken. An -seine Erziehung. Er floh vor ihr. Sie ließ nicht locker. -Sie holte ihn von der Schule ab, sie lauerte des -Abends auf ihn vor der Haustür. Es kam zu häßlichen -Szenen zwischen ihr und Gisa, wo er kaum die einzelnen -Worte verstand und sich fragte, ob man denn so -schreien könne, ohne betrunken zu sein. -</p> - -<p> -Und Mutter siegte. Mutter war die Stärkere. -Mutter war sehr stark. -</p> - -<p> -Er aber schrieb, als alles endgültig vorüber war, -seinen ersten und einzigen Brief an die Frau des -Direktors. Er wollte ja nur wissen, ob sie lebe, ob sie -gesund sei, ganz gewiß gesund. Es war vielleicht ein -wunderbarer Brief. Der nie beantwortet wurde. -</p> - -<p> -Das war vor einigen Jahren. Seither führte man -Gustav nicht in das Zimmer, wenn Gäste da waren. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Ruth ging an einem staubigen Spätsommerabend -durch den großen, öffentlichen Park. Die Blätter hingen -welk an den Bäumen, zu kraftlos, um sich abzubröckeln. -Und zogen alle Säfte nach unten. Während graue -Dämmerung die Wipfel drückte. -</p> - -<p> -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -Auf den braungelben, eisernen Klappsesseln saßen -in langen Alleen Liebespaare. Die Sesselfrau humpelte -zwischen ihnen herum und kontrollierte sie. Und jedes -hatte ein Gegenüber. Das saß schon dort seit Mai -und nichts hatte sich geändert. -</p> - -<p> -Vom Kaffeehaus herüber spielte die Kapelle -Ouvertüren und Operettenlieder. Eintönig und zu -rasch. Alles war hier so langsam und müde. Runde, -dunkle Holzreifen trennten den Rasen vom Weg. Aber -der Kies lag verstreut noch weit im grauen Gras. -</p> - -<p> -Ruth dachte daran, daß sie möglichst spät nach -Hause kommen wollte. Daß sie vergessen hatte, die -Schuhe vom Schuster abzuholen. Daß sie ihren neuen -Koh-i-noor verloren hatte. -</p> - -<p> -Ihre Sohlen spürten, daß sie bei jedem Schritt in -dem zerwühlten Sand etwas hinter sich ließen, das -dunkel war und weich und wenn man ganz hinsah, -tief hinunterging. Abgrund. Und ein chemischer Geruch -aus trübgelben Phiolen. Eine Beethovensonate, die -gerade verklang und doch lebte, obwohl sie ohne Verständnis -gespielt worden war. -</p> - -<p> -– Guten Abend, Onkel Gustav, sagte Ruth, tottraurig. -– Guten Abend, Ruth, bist du auch hier. – Der -große Terrier preßte sich dicht an seinen rechten Fuß. -</p> - -<p> -Sie setzten sich in eine Allee, in die das gelbe -Licht der Gaskandelaber nicht mehr dringen konnte. -Ruth zeichnete mit der Fußspitze in dem bleichen Sand -runde, dunkle Furchen. Sie sagte: – Weiß Gott, wer da -heute schon ausgespuckt hat! -</p> - -<p> -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -Der Terrier bekam auch einen Stuhl und legte -den Kopf auf Onkel Gustavs Schulter. -</p> - -<p> -Sie dachte, es sei doch langweilig hier zu sitzen -mit Onkel Gustav und was wohl Richard dazu sagen -möchte. -</p> - -<p> -Da sagte Onkel Gustav leise: – Sie werden böse -sein, wenn du zu spät zum Abendessen kommst. -</p> - -<p> -– Ach was, jetzt bleib ich hier. Was mir schon daran -liegt. – Das solltest du nicht tun, Ruth, sagte Onkel -Gustav mit sanfter, fast demütiger Stimme. – Warum -kränkst du Mutter in letzter Zeit so viel? -</p> - -<p> -Ruth ärgerte sich rasend über diese, seine Stimme. -– Was soll ich tun, sagte sie hart, mir alles gefallen -lassen, so wie du? -</p> - -<p> -Onkel Gustav schwieg. Dann murmelte er: – Du -hast recht. Und dann wieder, nach einer Pause. – Nimm -dich in acht! -</p> - -<p> -Sie schämte sich für ihre Worte. Und flüsterte -nur: – Aber du. -</p> - -<p> -– Ich, Ruth, – und sie spürte sein Lächeln durch die -Dunkelheit, daß ihr war, als könne sie nie wieder froh -werden. – Nein, mit mir ist nichts mehr zu machen. Du -mußt jetzt nichts andres sagen, Ruth, nein wirklich -nicht. Nicht heute. Vielleicht bei Tage, wenn wir uns -auf der Straße treffen oder wenn ich bei euch bin und -Richard ist unverschämt mit mir. Dann weiß ich auch -nicht, was ich jetzt weiß, denn ich bin sehr schwach. -</p> - -<p> -– Aber so reiß dich doch los, schrie Ruth, daß -der Terrier erschrocken auffuhr. -</p> - -<p> -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -Die Gebüsche hinter ihnen waren näher gekrochen. -Legten sich ihnen fast auf den Rücken mit all der -toten Hitze, die sie den Sommer durch verschluckt -hatten. Ganz nahe. Und schwer. -</p> - -<p> -– Du mußt acht geben! wiederholte Onkel Gustav -dumpf. Und ihr war, als sähe sie dicht neben sich, in -einem alten verblichenen Spiegel, ihr eigenes Bild. -Kaltes Grauen machte die Finger steif. -</p> - -<p> -– Von mir darfst du nicht sprechen, fuhr er -fort. Stell dir einen Wurzelbund vor, den die Erde -ganz fest in sich hineingefressen hat. Nie mehr herausziehen. -Manchmal glaub’ ich, es gibt irgendwo um mich -herum ein Fenster, wenn ich da durchsehen könnte, -ich sähe alles richtig. Aber Mutter hat das nicht zugelassen. -Ich mußte alles durch ihr Fenster sehen. -Das ist nicht aus reinem Glas. Deshalb haben meine -Bilder auch etwas Verzeichnetes. Du mußt achtgeben, -Ruth! Wie du mir da entgegengekommen bist, ich bin erschrocken; -du hast mir so ähnlich geschaut, es war -derselbe Rhythmus im Schritt, eigentlich kein Rhythmus. -</p> - -<p> -– Onkel Gustav, ich habe dich sehr lieb. -</p> - -<p> -Es war ganz dunkel geworden. Und die nächsten -Bäume in der Allee standen wie wachende Ungeheuer, -riesengroß, verworren, unankämpfbar. -</p> - -<p> -– Ich fürchte mich, sagte Ruth in der entsetzlichen, -toten Beklommenheit. Hier, vor allem. Aber -noch mehr, wenn wir weggehen. Die Menschen drüben -im Kaffeehaus bei der Musik, sie sind nur dort so -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -glatt und unschädlich. Wenn sie jetzt hieherkämen, sie -wären wie die Räuber im Wald, Verbrecher – -</p> - -<p> -Sie konnte ihn nicht mehr sehen. Und er sagte -keuchend, kaum hörbar: – Die Blätter faulen im Erdboden, -damit die Wurzeln Nahrung bekommen. Die -Tiere fressen einander auf. Und die Menschen, Ruth, -sind alle Mörder. Aber unsere Nächsten – hörst du, -Ruth, hörst du, – unsere Nächsten, das sind unsere -nächsten Mörder. Doch das darfst du Mutter niemals -sagen! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-5"> -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -Mittagessen -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">B</span><span class="postfirstchar">evor</span> man zu Tische ging, rückte Mutter alle -Teller noch einmal zurecht und die Stühle mit den -ledergepreßten Lehnen. Dann stand alles schief. -</p> - -<p> -Ruth haßte unaufgeräumte Zimmer. Wie schmutziges -Wasser, Ungeziefer, weggeworfene Zahnstocher. Ihr -war jeden Morgen übel. Sie konnte nie das Frühstück -essen. Immer empfand sie eine dumpfe Verantwortung -in sich: mach’ es gut, mach’ es rein, mach’ es hell. Aber -der Widerwille ihrer braunen Kinderfinger, die sich -weiche Öle wünschten, hinderte sie an jedem Handgriff. -Wenn das Mädchen dann aufgeräumt hatte, fand sie alles -kalt, leer und fremd. Mutter sagte: – Warum hilfst du -nie mit? – Sie gab mit ihren ungemessenen Bewegungen -der Wohnung „den letzten Anstrich“, wie sie es nannte. -Und dann – nun dann stand eben alles schief. Aus -den Dingen heraus kroch eine seltsame verborgene -Unruhe. Alle Ecken wurden zu lang, Ruths Gestalt zu -schmal, zu knochig in den hohen Räumen – tastend -und auch schon verzeichnet. -</p> - -<p> -Wie hatte Onkel Gustav gesagt: – nimm dich in -acht! Vor wem, vor Mutter – vor Onkel Gustav – -dunklen Zimmern – dämmernden Spätsommergärten – -vor ihrem eigenen flüchtenden Spiegelbild – vor -wem? -</p> - -<p> -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -Was war geschehen? Mutter rückte heute die Teller -zurecht. Die große Speisezimmeruhr, mit ihrem lichtmetallisch -harten Klang streckte den langen Zeiger -auf fünf bis vier Minuten vor Eins. Also genau -wie immer. Sie, Ruth, stand beim Fenster, die Zeitung -in der Hand, die sie doch nie las – genau wie -immer. -</p> - -<p> -Kann man denn da gar nichts machen? Die breite, -bürgerlich grüne Hängelampe zerschlagen, etwas in sie -hineinwerfen. Am liebsten die eigene lebendige Faust. -Oder die dummen Suppenlöffel neben den geduldigen -Suppentellern. Etwas machen, das hineinfährt, wie ein -Blitz, wie ein Schrecken, wie eine Erlösung in dieses -Wie-immer. -</p> - -<p> -Und sie hatte es ja nie gewußt. Sie saß dort an -dem großen Familientisch, immer an demselben Platz. -Viele Jahre hindurch. Und war klein und zart und viel -zu jung – ganz wie immer. Sie hatte es nie gewußt. -</p> - -<p> -Als Kind hatte sie geweint in der Frühlingsdämmerung. -Und sich geekelt, wenn Mutter beim Essen -über die schlechte Köchin gejammert hatte. Aber dann -kam das große, das einzige Gefühl. Noch lag der Druck -der grauen Alltäglichkeit tief in ihr eingegraben in -weichem Grund. Aber hoch darüber hinaus jauchzte -eine selige Hingabe. Was sonst um sie vorging, ließ -sie ruhig, kostbar verantwortungslos ruhig. Ihr Leben -war ein Rahmen geworden, der sich fest und unwillkürlich -krampfhaft um das seine schloß, zärtlich, ohne -nachdenken zu müssen, kostbar verantwortungslos. -</p> - -<p> -<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> -Wer hat ihr jetzt eine Maschine in den Kopf gesetzt<a id="corr-5"></a>? -Die arbeitet und wühlt, denkt, denkt, denkt. -Aus müdem Halbdunkel herausgerissen, sieht sie alles -mit <a id="corr-6"></a>lichtgepeinigten Augen, grell, schreiend grell, laut. -Höhnend scharfe, wilde Konturen, zu lange Ecken, zu -runde Bogen – -</p> - -<p> -Es ist ein Verbrechen begangen worden. Etwas -Schlimmeres. Etwas noch nie Geschehenes. Ein Mensch -hat sich verloren und sucht sich. Und weiß es und -denkt das durch, ganz durch ... -</p> - -<p> -Noch einmal ging Mutter um den Tisch und rückte -die Teller zurecht und die ledergepreßten Stühle. Und -alles stand schief. -</p> - -<p> -Sie, Ruth, lehnte am Fenster. Sie wußte es. Und -wußte, warum Onkel Gustav nichts weiter geworden -war, als ein trauriger Narr. Wußte, daß sie selbst, -wenn sie jetzt mithelfen wollte bei den Tellern, es -genau so machen müßte wie Mutter, so ungeschickt -und doch selbstzufrieden. Daß sie Mutters ungeduldige -Nasenflügel hatte, Mutters dunkle Brauen. -</p> - -<p> -Sie fürchtet Mutter maßlos. Sie fürchtet sich. Sie -möchte sich schlagen, weil sie Mutters Kind ist. -</p> - -<p> -Onkel Gustav war da. Wie jeden Samstag. Er -hatte einen Freund mitgebracht. Der war so unscheinbar, -daß Ruth ihn erst nach der Suppe bemerkte und auch -da nur, weil Mutter gar so höflich war. Man nannte ihn -von und dann etwas mit „-berg“. Gustav sagte Norbert -und du. Er hatte tadellos gepflegte Nägel und einen -festgeklebten hellbraunen Scheitel. -</p> - -<p> -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -Richard erzählte vom Geschäft. Die geringste -Kleinigkeit war wichtig und wurde mit Aufmerksamkeit -angehört. -</p> - -<p> -Draußen fällt ein grauer, dünner Regen. So sitzen -jetzt an jedem Mittagstisch die Männer und erzählen -ihre Wichtigkeiten. Am Abend gehen sie in das Kaffeehaus -und erzählen sie ihren Freunden. Das ist alles. -</p> - -<p> -Onkel Gustav sollte den Kopf nicht so vorsichtig -zur Seite legen. Das ist eine Gemeinheit. Wie sagte er -vorgestern: Nimm dich in acht. Das hat er gewagt. Er -hat es gewagt, sie zu durchschauen. Dumm wie er ist. -Und jetzt schielt er nur so mitleidig auf sie her. -</p> - -<p> -Sie senkt den Kopf tief über den Teller. Sinkt -ganz in sich zusammen. Und ißt irgend was, das -schmeckt wie graugrüner Kohl. Ist aber etwas anderes. -Sie hört das Klappern der Bestecke und das sinnlose, -etwas faule Durcheinander der anderen über sich. So -daß sie wieder fühlt, sie ist ganz klein und krank und -liegt im Nebenzimmer in Mutters riesigem Bett. Die -Tür ist offen, damit man sie schreien hört, wenn sie -etwas braucht. Sie wundert sich über das Aufschlagen -der Gabeln in dem Porzellan, das die kaum verständlichen -Redebrocken drinnen begleitet. Sie möchte schreien -und etwas verlangen und traut sich doch nicht. -</p> - -<p> -Sie fragte Onkel Gustav, ob er letztesmal gut nach -Hause gekommen sei. Es war doch zu gemütlich im -Park. Überdies hätte sie einen Haufen Knochen für -seinen Terrier gesammelt. Er solle sie nur vor dem Fortgehen -daran erinnern. Sie wird ihm auch ein Buch zeigen – -</p> - -<p> -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -Sie fragte Martha, was die Schneiderin von ihrem -neuen Kleid gesagt habe. Ob es bald fertig sei. Und -wie es aussehe so auf dem Kleiderhaken. Ob es ihr -schon ein bißchen ähnlich sehe – -</p> - -<p> -Sie erzählte Richard, daß sein Buch, das er gestern -gesucht habe, in ihrem Zimmer liege, sie wisse selbst -nicht wieso – -</p> - -<p> -Sie bat Mutter, nicht zu vergessen, die Konzertkarten -holen zu lassen – -</p> - -<p> -Sie fragte den neuen Gast, ob er gern Kartoffelsuppe -esse. Und ob er noch Gemüse haben wolle – -</p> - -<p> -Sie wußte: Wenn ich jetzt schweige, hört man -mein Besteck allein auf dem Teller. In was für einem -häßlichen Rhythmus es darauf klopft. Gefräßig. Deshalb -muß ich reden. Alle reden. Wäre es nicht besser, man -würde mit den Füßen strampeln? -</p> - -<p> -Der neue Gast spricht von seiner Braut. Das heißt, -Onkel Gustav spricht von ihr. Aber es ist klar, daß er -eine Braut hat. So jemand hat immer eine Braut. Und -dann kommt die Hochzeit mit Myrte und Schleier. -</p> - -<p> -Was ist dort oben, nahe der Decke und doch tief -unten – -</p> - -<p> -Ist es der Rauch aus Onkel Gustavs ewig ausgehender -Zigarre. Aber nein, der raucht ja doch nicht. -Man ist erst bei der Mehlspeise. Große, gelbe Patzen, -glitschig in einer lichten Eiersauce. -</p> - -<p> -Nein, es ist nicht Rauch, aber grau und massig, -ineinander überlaufend, ohne Grenzen. Schwergewichtig -und doch oben schwebend. Zu bleich, um es wirklich -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -sehen zu können. Und doch da. Verbunden mit allen -Adern, allen Sehnen, durch die Fingerspitzen hindurch – -</p> - -<p> -Es steigt auf aus Richards kühlen, vorsichtigen -Gelenken, wie er langsam die Mehlspeise zerlegt. -</p> - -<p> -Aus den hundetreu furchtsamen Augen des Fremden. -</p> - -<p> -Aus Marthas abgetragener Samtbluse. -</p> - -<p> -Aus Onkel Gustavs rundem Rücken, aus Mutters -lauten Reden. -</p> - -<p> -Es steigt auf aus ihr selbst, aus Ruth, aus ihrem -farblos schlafsuchenden Vormittag. Und dort oben ist -es eng hineingefügt, schlangenartig umwickelt von all -dem anderen, festgebissen. -</p> - -<p> -Hier um den Tisch herum glaubt jeder, daß -er etwas für sich ist. Richard vor allem, der so klug -ist, daß Mutter immer sagt, er muß Bankdirektor werden -oder Finanzminister. Aber das ist gar nicht wahr. -Richard gehört dazu, genau so wie alle anderen, die -hier um den runden Tisch schwatzen. Die sich ähnlicher -sind als die eintönigen Ledersessel, auf denen sie sitzen. -</p> - -<p> -Da oben ballt es sich zusammen. Viele Kleinschicksale -– ein Kleinschicksal. -</p> - -<p> -Da oben schwingt es in einem kraftlosen Rhythmus. -Selbstbewußt. In dem selben Rhythmus, in dem man in -das Geschäft geht oder in das Amt oder in die Schule, -wenn man brav gelernt hat. In dem man zum Traualtar -geht, wo man eine anständige Partie macht, in dem -man Sonntags am Korso seinen neuen Hut zeigt, in -dem man sich zum Geburtstag gratuliert, in dem man -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -hinter dem Sarg seiner Lieben geht, in dem man ins -Himmelreich hinein trottet, in dem man – -</p> - -<p> -Agnes zerbrach ein Glas. Ein flüchtiger Sonnenstrahl -stahl sich durch den feinen sprühenden Regen -über das verschobene Tischtuch. -</p> - -<p> -Gott sei Dank. Es schadet auch nichts, daß Mutter -und Martha böse Gesichter machten. Auch nichts, daß -sie drei Tage darüber unglücklich sein werden. Gott -sei Dank. -</p> - -<p> -Ruth nickte dem Herrn Norbert von – und dann -kommt etwas mit „berg“, strahlend zu. Der brauchte doch -nicht auch betrübt sein über das zerbrochene Glas. Er -sah sehr unglücklich drein. Wahrscheinlich mehr aus -Höflichkeit. Oder vielleicht wegen irgend etwas anderem. -</p> - -<p> -Diese Agnes war doch wirklich nicht salonfähig. -Zu kräftig. Wenn sie bei der Tür hereinkam, mußte -eigentlich etwas umfallen in den hohen, schmächtigen -Räumen. Durch die bloße Anwesenheit ihrer saftvollen -Arme. Sicher hatte sie an den Kerl gedacht mit den -aufgewirbelten, schwarzen Schnurrbartspitzen. Der immer -in der Küche steckte und den Hut nie herunternahm. -Einen riesengroßen, hellgrauen Deckel, der schief über -dem linken Ohr saß, immer ganz gleichmäßig schief -über dem linken Ohr. Toll einfach. Morgen ist Sonntag, -sie geht mit ihm zum Karussel, mit knallblauem Seidenhut -und das Werkel spielt – -</p> - -<p> -Ruth pfiff, wie man von Tisch aufstand, einen -Gassenhauer und konnte trotz Mutters Entsetzen so -nicht aufhören, daß sie in ihr Zimmer lief, um weiter -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -zu pfeifen. Dort riß sie das Fenster auf. Die Sonne -schien hell. -</p> - -<p> -Norbert sagte mit seiner zu leisen, fast näselnden -Stimme zu Gustav: – Deine Nichte Ruth scheint etwas -– nun – etwas aus der Art zu schlagen. -</p> - -<p> -– Ruth? ... Gustav war ungeheuer erstaunt – -Ruth, die ist doch wie wir alle. Er betonte das „wir“ -mit einer gewissen gesättigten Befriedigung. Allerdings, -sie ist sehr kindisch und ganz unreif, eigentlich viel zu -unreif für ihr Alter, denk nur, schon zwanzig Jahre. -Man weiß gar nicht, was mit ihr anfangen. Übrigens, -findest du, daß sie mir ähnlich ist? – Nein. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-6"> -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -Geld -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">M</span><span class="postfirstchar">utter</span> war nicht zum Glück geboren. Aber sie -hätte eine entthronte Königin werden müssen. Und in -Schmerz und Größe schwelgen. So war sie kleinlich und -mißtrauisch, zankte mit der Köchin um jeden -Heller. Und wurde dann bestohlen, wie überhaupt von -allen Leuten des unteren Standes. Weil ihre Stimme -so befehlend schroff war, daß sie sie für mächtig, -Ehrerbietung fordernd und hassenswert hielten. -</p> - -<p> -Auch Ruth hielt Mutter für mächtig, für allmächtig. -Sie stand himmelhoch über den Dienstboten und -Bonnen. Sie besaß die Schlüssel zum Wäschekasten, -zu jener blendenden Fülle weichen, weißen Leinens, -die zu sehen allein schon schläfrig macht wie ein zu -heißes Bad. Sie besaß jeden Silberlöffel, jede Schüssel, -jedes Glas Milch so intensiv und eigentumsdurchsättigt -wie fanatische Sammler ihre Kunstschätze. Und -war daher reich in einer Dürftigkeit, die sie selber am -schmerzlichsten empfand. -</p> - -<p> -Ruth fuhr einmal als kleines Kind mit ihrer -Schwester und einer Bonne in einem Eisenbahnkupee. -Es war eine Sommerfrischenreise. Da sagte Martha mit -ihrer überlegenen Stimme: – Nein, wissen Sie, in dieses -Hotel können wir nicht gehen, da sind lauter reiche -Leute. – Ein ungeheures Erstaunen hinderte Ruth damals -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -am Fragen. So waren sie nicht reich? Aber wieso, sie -hungerten doch nicht? Und Mutter trug schwarze -Seidenkleider; was das nur heißen sollte? Sie glaubte, -mißverstanden zu haben. -</p> - -<p> -Auch als sie schon erwachsen war, liebte sie einen -Radiergummi mehr als ihre goldene Uhr, konnte sie -Festtagskleider nicht leiden und verlor immer ihr -Taschengeld. -</p> - -<p> -Geld war und blieb ihr etwas unbedingt Schmutziges. -Etwas, das schon durch tausend häßliche Hände -gegangen war, über Wirtshausfußboden rollte. Mutter -besaß es in ungezählten Mengen. Es war nur ein -Prinzip, daß sie damit knauserte. Aber Martha war -geizig und das war viel schlimmer. Nur Richard war -nobel. Er lächelte immer verächtlich, wenn man von -Geld sprach. -</p> - -<p> -Ruth hatte kein Gefühl für Zahlenverhältnisse. -Den Unterschied zwischen hundert, tausend, hunderttausend -begriff sie so wenig, wie ein Unmusikalischer -die Differenzen in der Tonreihe. Das war ein Erbe -von Mutter. Nur daß diese es sich niemals zugeben -wollte und um wenige Heller trauerte, während sie -Tausende verschleuderte. -</p> - -<p> -Aber Ruth schenkte mit Leidenschaft. Nicht aus Güte -oder um anderen eine Freude zu machen. Einen Gegenstand -verschenken, heißt, ihn ganz von sich losreißen, -sich auf ewig von ihm trennen, ihn ins Ungewisse -schicken. Und das war herrlich, war Abenteuer, Tat -und Befreiung. Sie gab ihre liebste Bluse plötzlich dem -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -Stubenmädchen und wenn eine Freundin auf Besuch -kam, war nichts im Zimmer, auch das am liebsten -gehegte, sicher vor plötzlichem Ausgestoßenwerden. -</p> - -<p> -– Es ist schade, daß man in unserer Religion keine -richtigen Opfer mehr bringt, sagte sie einmal. -</p> - -<p> -Jedes Kleid, jedes Buch, jeder Sessel ihres -Zimmers waren ihr persönlich eigen. Aber nicht im -selben Sinn wie der Mutter, die alles an sich riß. Sie -gab sich den Dingen hin und füllte sie so voll mit -ihren dämmernden Gedanken, daß ihre Umgebung -manchmal vernebelt wurde, übersättigt vom eigenen -Selbst. Und sie mußte plötzlich auf die Straße laufen, -stöhnend vor Sehnsucht nach dem ganz Fremden. -</p> - -<p> -Dieses Selbst in allen Dingen verschleuderte sie -mit wollüstiger Freude und Grauen. Sie war immer -unbeschreiblich reich dabei. Wenn etwas sie in Grenzen -hielt, war es die Dankbarkeit der Beschenkten. Sie -schämte sich darüber. Danken war sich erniedrigen. -Und ein heißer Zorn wühlte in ihr, wenn alle anderen -nicht größer waren als sie. Sie wollte das Kleinste -sein, denn sie suchte das Oben. Wie sagte doch -Onkel Gustav zu seinem Freunde: – sehr kindisch – -und sehr unreif – eigentlich viel zu unreif für ihr -Alter. -</p> - -<p> -Ruth bewunderte alle Menschen, die stehlen -konnten. Jemandem eine Münze aus der Geldbörse zu -nehmen, war für sie ein Wagnis, ein Heldenstück, das -ihr immer unmöglich sein würde. Ein Eingriff in fremdes -Reich, ein Festnehmen von feindlichen Objekten – -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -schwieriger, als einen nassen Salamander in der Hand -zu halten. -</p> - -<p> -Ruth verbrachte den ganzen Sommer in den -engbrüstigen Vorstadtgärten, zwischen Ladenschwengeln, -Proletarierfrauen und klebrigen Kindern. Man konnte -dieses Jahr keine Sommerfrische aufsuchen. Mutter war -im Winter krank gewesen und mußte im Frühling eine -Reise machen. So war nicht genug Geld da, noch -einmal fortzufahren. -</p> - -<p> -Als Ruth zum ersten Mal davon reden hörte, daß -sie heuer nicht wegfahren müsse, hatte sie laut aufgejubelt. -Aber Mutter weinte eine halbe Woche. -</p> - -<p> -Von Ruth war ein Alpdruck weggefallen. Wie eine -drohende Gefahr, unaufhaltsam näher rückend, empfand -sie den ganzen Winter durch: Es kommt ein Tag, da -muß ich fort. Man zwingt mich dazu. Fort. Man reißt -mich aus meinem Zimmer. Meine Gedanken stecken -noch in den Stuhlbeinen, auf der Hauptstraße liegt -etwas ganz Besonderes von mir, ich muß alle Tage -vorübergehen, meine Adern sind verwoben mit dem -Himmel über unserem Dach und dann soll ich fort. -Und sie haben die Macht, mich zu zwingen. Nein, ich -liebe mein Zimmer nicht, es ist mir zu eng, zu sehr -mit mir verwachsen. Aber fortmüssen und drei Monate -in einem ganz fremden Raum sein, wo vielleicht ein -pensionierter General gewohnt hat oder eine schmutzige -Frau. Und sie haben die Macht, mich zu zwingen. -</p> - -<p> -Sie wußte nicht, daß jeder Mensch mit seiner -täglichen Umgebung organisch verbunden ist. Daß ein -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -Weiterrücken im Raum auch ein Weiterrücken im Leben -sein muß. Und doch stöhnte sie unter dem Zwang. -</p> - -<p> -Von dem Fenster seines Zimmers hatte sie einen -weiten, hohen Himmel gesehen. Mit verschwommenen -Kirchtürmen. Das war ihr Horizont, ihre Ferne, ihr -Land gewesen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Und nun saß sie in den staubgeschwängerten -Vorstadtgärten. Ihre müden Blicke wuschen den Ruß -von den welkenden Blättern. Sie dachte an einen Wald, -eine grünsatte, schwelgende Fülle. Die schlank hinansteigt -in abendhelles Blau. Und sie mußte hier -sein. -</p> - -<p> -Ihre Strümpfe waren grau vom Staub, ihre Schuhe -alt und faltig. Neben ihr auf der Bank erzählte ein -Dienstmädchen einem anderen, sie habe fünfzig Kronen -Lohn monatlich. Wenn sie aber mehr bekäme – sie roch -nach Schweiß. -</p> - -<p> -Im Sand lag ein vertretener Kupferkreuzer. -Zwischen Kinderschaufeln und Blechkübeln. Und es -rollte ein ferner Donner. -</p> - -<p> -Ruth ekelte der Kreuzer. Sie dachte an eine -durchlöcherte Hosentasche. Aber sie konnte nicht wegsehen. -Sie starrte auf den Kreuzer, bis sie ihn doppelt -sah und dann dreifach und dann vierfach und dann -immer mehr, immer mehr ... -</p> - -<p> -Eine einzige ineinander rollende Masse. Schmutzig -kupfergelb. Schmeckt wie geschmolzenes Metall. -</p> - -<p> -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -Ruths Schuh hatte einen Riß, quer mitten durch. -Er sah wohl aus wie eine Falte. Aber es war ein Riß. -Quer mitten durch. -</p> - -<p> -Sie stand auf und ging durch die Straßen, wo die -größten, üppigsten Geschäfte waren. Schon wurden -die Lichter angezündet. Gierig aufflackernde, rote kleine -Scheinwerfer. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Über meinen Schuh geht ein Riß – -keine Falte – über meine Hand geht ein Riß – ist das -Schmutz – und über mein Gesicht – vielleicht ist -das Blut. -</p> - -<p> -Sie ging hinter einer üppigen, blonden Kokotte. -Nachgezogen von ihren wunderbaren, geraden, feinen -Absätzen, die nicht einen Millimeter zu hoch oder zu -niedrig waren. Eine keuchende Lust überkam sie, das -weiche, eng anliegende Leder zu fühlen, zu streicheln, -an sich zu locken. -</p> - -<p> -Das Parfüm roch betäubend nach unaufrichtigen -Blumen. Ruth dachte: – Es ist abscheulich, aber teuer. -Furchtbar teuer. Ungezählte schmierige Kupferkreuzer. -Und die lichte Flasche, auf hellrosa Seide gelegt mit -der durchsichtigen Flüssigkeit. Ich möchte sie nicht berühren. -Aber teuer. Nicht auszudenken teuer. Und ihre -Schminke – ich könnte sie niemals darauf küssen – -ist auch so teuer, oder noch mehr. Wie ich sie verachte. -Aber die gelben Schuhe möchte ich besitzen – -</p> - -<p> -Ein paar große, schwere Regentropfen klatschten -auf das schleimige Pflaster. In den Häusern flammten -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -protzig die Lichter auf. Schmiegsame Vorhänge wurden -zugezogen. -</p> - -<p> -Die große Blonde ging in ein großes Haus. Über -breite Stiegen mit dicken Teppichen. Vornehme Damen -kamen ihnen entgegen mit großnetzigen Schleiern vor -den Gesichtern. -</p> - -<p> -Sie gingen durch eine große Glastür. Es roch betäubend -nach Seife, dickem Parfüm, warmen Haaren. -Ein Friseur. Ein schlankes junges Mädchen in vergilbter -Seidenbluse, mit zu hellem, großgewellten Schopf fragte -Ruth, was sie wünsche. Ruth antwortete automatisch -was ihre Vorgängerin sagte. Und wie diese wurde sie -in eine Zelle geführt, wo ein gelbmarmorner Waschtisch -in die Wand eingelassen war. -</p> - -<p> -Eine Welle mattweißen Schaums ging über ihr -Gesicht, über ihren Kopf, über die Wurzeln der Haare. -Sie empfand den Duft durch die Scheitelknochen dringen, -sich in das Hirn einfressen. Ihre Nerven dehnten sich -weich und ringförmig. Das junge Mädchen hatte schlanke -Hände mit spitzen Fingern, die nicht mehr ganz ihr -eigen waren. So sehr schmeckten sie nach tausenderlei -weichen Wassern. -</p> - -<p> -Ruth dachte: – Sie ist sicher arm. Aber sie darf -den ganzen Tag hier sein und ihre Hände sind schön -und unnahbar. Am Abend geht sie nicht nachhause. -Wo sie da hingeht – -</p> - -<p> -Die schmutzige Kupfermasse aus dem Sand war -gelb geworden und lockte wie verwischtes Gold in der -marmornen Waschschüssel. -</p> - -<p> -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -Sie spricht nicht mit mir, – wußte Ruth, – weil ich -ein verwaschenes altes Kleid trage. Es ist auch zu eng, -das merkt sie sicher. Wenn sie erst den Riß über -meinem Schuh sähe, oder ist es nur eine Falte? – -Ruth schämte sich maßlos. -</p> - -<p> -In der Zelle daneben aber plauderte die große -Blonde lustig darauf los mit einem von den anderen -jungen Mädchen. Sie schwatzten wie zwei Schulfreundinnen, -von denen die eine ein besseres Zeugnis bekommen -hat als die andere und sich daher etwas herausnehmen -darf – aber sie tut es nicht viel. Die Blonde sprach -immer von einem Er – Ruth spürte, daß er ein Monokel -trug und manikürte Nägel hatte – und die Blonde -kicherte fortwährend. Die kleine Friseurin daneben sagte -immer strahlend und bewundernd: – Aber gnädige -Frau und dann sprach man von einem Armband. Ruth -sah wieder in der marmorgelben Waschschüssel eine -Fülle von Kristallen, in denen sich das Licht brach, so -daß die Farbenmenge schwindeln machte. Sie wußte, -das gibt es alles, zwei Häuser weit weg, bei dem -großen Juwelier. Ich brauche nur hinzugehen. Aber nein, -ich habe ja kein Geld – und ein entsetzlicher Schrecken -durchfuhr sie, ob sie dem Friseur auch werde zahlen -können. Sie dachte sich Unsummen aus, die es kosten -müsse, ja müsse, und getraute sich nicht, ihr abgegriffenes -Portemonnaie aus der Tasche zu ziehen. Wie der Mörder -auf das Todesurteil, wartete sie auf den Augenblick, -in dem sie vor dem glattrasierten Herrn bei der Kassa -stehen mußte. -</p> - -<p> -<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> -Die Blonde daneben plapperte noch rascher und -glückseliger. Ruth dachte in ihrer Herzensangst: Herrgott, -ist sie dumm. Wenn ich nur einmal in meinem Leben -so hirnverbrannt dumm sein dürfte. Ich könnte mich -dann gar nicht so fürchten vor dem geschniegelten Kerl -dorten. So dumm sein – das hieße ausruhen. -</p> - -<p> -Sie zahlte den Preis fast weinend vor Aufregung. -Drückte in die kühlen Hände des jungen Mädchens ein -fürstliches Trinkgeld. Und stürzte davon wie ein ertappter -Bettler. -</p> - -<p> -Auf der Treppe griff sie sich unter den Hut. Da -war etwas Fremdes. Waren es die kühlen, langen -Nadeln, die ihr das Mädchen in den Knoten gesteckt -hatte. Waren es ihre eigenen, weichen Haare, die -noch warm dufteten. Und sie sehnte sich das Haar -lösen zu können und den Kopf hineinzuwühlen. -</p> - -<p> -Nur nicht nach Hause gehen. Dort lagen Mutters -Rechenbücher. Die Lampe über dem Speisezimmertisch -hatte einen fahlgrünen Schirm. Nur um Gottes Willen -nicht nach Hause. Die Gassen waren alle rot, die -Schaufenster waren rot und die Frauen in den großen -Straßen hatten rote Wangen. Hier grüßten sich alle, -hier kannten sich alle und die Luft war rot und weich. -</p> - -<p> -Zwischen den Pflastersteinen lockte es schmutzig -kupfergelb. Aber in den ledernen Handtäschchen der -Damen blinkte es silberhell. In den Geschäften lag dick -geschichtet lichte Seide, wunderbares, braunrotes Holz, -fremde Blütenkelche, zarte Porzellanteller, flaumig weiche -Hüte, Diamantarmbänder ... -</p> - -<p> -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -Heute bemerkte Ruth, daß sie langsamer ging als -alle andern Leute. Sie fühlte einen Taumel fremder -Geschäftigkeit um sich, dem sie nicht gewachsen war. -Sie suchte mitzukommen. Sie hatte doch ein Recht -darauf. Sie empfand ihre duftenden Haare in einer -wilden Glückseligkeit. Sie wollte mitkommen. Ihre -Schultern schmerzten vor Müdigkeit. Quer über den -einen Schuh lief ein Riß. -</p> - -<p> -Blendend helle Buchstaben zogen sie an: Kino. -Sie ging hinein, rasch, sehr rasch, flüchtend vor den -zu roten Straßen und verbarg ihre Schuhe unter dem -dunklen Sitz. -</p> - -<p> -Neben ihr dampften verschwitzte Kleider, gewürztes -Essen, unreine Haare. Das Orchester spielte Richards -Lieblingswalzer. -</p> - -<p> -Der Graf kam. Er fuhr in einem Auto, fast erstickt -von der Blütenfülle, die er im Arm trug. Er hatte fabelhaft -gerade, lange Beine. Und ein glattes Gesicht, zu -sehr rasiert. Der Rauch aus seiner Zigarette mußte -kostbar sein. -</p> - -<p> -Die Tochter des amerikanischen Milliardärs trug -lange Korkzieherlocken und strahlte mit blendend weißen -Zähnen. Ihr Körper war schlank und frei wie nach einem -lauen, spielenden Bad. Sie kochte den Tee für sich und -den Grafen in einem bauchigen Samowar. Dieser Tee -war sicher bernsteinklar und duftete durch das Zimmer, -das dumpf gemacht war mit weißen Fellen und samtenen -Vorhängen. -</p> - -<p> -<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> -Ruth liebte die Milliardärstochter. Liebte den Grafen. -Schielte mit dumpfer Wut auf das verkrümmte Ladenfräulein -neben sich, das an den Nägeln kaute und -schnalzte. -</p> - -<p> -Der Freund des Grafen, ebenso glatt, ebenso wohlgebaut. -Nur trug er einen Schlapphut. War also ein -Künstler. -</p> - -<p> -Das Atelier. Köstliche, großgeblümte Teppiche. -Glatter weißer Marmor. Hinter den Riesenfenstern -Aussicht bis an das Meer. Sonnenaufgang. -</p> - -<p> -Der Park des Milliardärs in Rom. Eine zitternde, -flimmernde, prickelnde Blätterfülle. Kleine, schlanke -Zypressen. Sonnenflecken auf der Erde, verstreut wie -flache Goldgulden. Puccini. Die Milliardärstochter reitet -auf einem Schimmel. Lange Korkzieherlocken, rechts -der Graf, links sein Freund. Hinten ein Diener. Der -riecht auch nach Parfüm, wie die Blonde heute auf der -Gasse. -</p> - -<p> -In der Pause sagte Ruths Nachbarin zu jemand in -der hinteren Reihe: – Ja, jetzt hat er halt eine Lungenentzündung. -Ich komme gerade aus dem Spital. Was -soll man machen? Aber schön ist es, das Stück. -</p> - -<p> -Und Ruth dachte: – Der Mann im Spital hat -sicher sein ganzes Leben in einer Kellerwohnung gelebt. -Moder und Schweiß. Vielleicht hat er Schuhriemen gemacht -für den Grafen. Oder Zaumzeug für seine Pferde. -Aber die Milliardärstochter geht nicht in das Kino, wenn -der Graf krank ist. Obwohl sie ihn mit seinem Freund -betrügt. -</p> - -<p> -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -Ihr schwindelte. Sie empfand einen Abgrund zwischen -sich und der Nachbarin. Zwischen sich und dem Boy, -der grinsend Perolin versprengte. Zwischen sich und -dem Grafen, der eigentlich genau so aussah, wie der -Friseur an der Kasse, nur daß er so gut angezogen -war. Und einen Abgrund vor der Milliardärstochter, die -genau so strahlende Zähne hatte, wie die große Blonde. -</p> - -<p> -Nichts als Abgründe, Löcher, Klüfte, Leersein und -Alleinsein. Es gibt irgendwo ein dunkles Zimmer. -Schillernde Phiolen. -</p> - -<p> -Die Musik setzte wieder ein mit jenem Auftakt, -der so lange und proletarisch vielversprechend auf den -zweiten warten läßt. Nein, nicht mehr. -</p> - -<p> -Sie ging langsam nachhause. Die Gassen waren -dunkler geworden, das Licht bleicher. Und zwischen -den Pflastersteinen war nicht ein Kupferkreuzer. Nur -Schmutz. -</p> - -<p> -Über Ruths linken Schuh lief ein Riß. Es war bestimmt -keine Falte, es war ein Riß. -</p> - -<p> -Sie wünschte sich den ganzen Abend: ich möchte -Seidenstrümpfe haben, wie die Milliardärstochter und -die Blonde. Und weiche, lederne Schuhe. Aber ein -anderes Gesicht. Vielleicht mein Gesicht. Oder noch -ein anderes. -</p> - -<p> -Zuhause behandelte man sie mit stummer Verachtung. -Sie kam nie mehr zurecht zu den Mahlzeiten. -Sie ergab sich einem sträflichen Müßiggang, den Richard -nicht vergaß, wenigstens einmal des Tages um die -Ecke herum zu erwähnen. -</p> - -<p> -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -Mutter schüttelte trostlos den Kopf und sagte zu -Martha: – Es nützt alles nichts. Sie wird ganz wie Gustav, -er ist nicht umsonst ihr Onkel. Und Vater war auch -so. Wie das alles zu mir kommt? -</p> - -<p> -Ruth wusch sich von nun an zehnmal des Tages -die Hände mit fast zu heißem Wasser. Sie trug es -heimlich in ihr Zimmer, kannenweise. Niemand durfte -davon wissen, o Gott nein, es war etwas Unrechtes, -das sie damit tat, etwas wie stehlen. Denn wenn sie -die Hände ganz tief in die Waschschüssel steckte und -das heiße Wasser durch alle Poren in sich hineinströmen -ließ, schlossen sich ihre Augen und sie fühlte sich über -Marmorstufen in ein tiefes, warmes Bad hinuntersteigen. -</p> - -<p> -Sie mißhandelte ihr Zimmer. Es war häßlich. Alte, -verschnörkelte Möbel. Ein Teppich, der nicht mehr rein -zu bekommen war. Der Lampenschirm aus zerschlissener -Seide. Sie stülpte ihn verkehrt auf den Boden, rückte -den Tisch schief in eine Ecke. – Schämst du dich -nicht, wie dein Zimmer aussieht, sagte Mutter. -</p> - -<p> -Sie stand vom Tisch auf, weil Agnes mit einem -verbundenen Finger servierte. -</p> - -<p> -Sie wollte nicht mit Mutter auf die Straße gehen, -weil Mutters Mantel schon sechs Jahre alt war. -</p> - -<p> -Sie warf Marthas mit farbiger Seide gestopfte -Handschuhe in den Herd. -</p> - -<p> -Und sie schenkte Agnes ihre neuesten Schuhe. -</p> - -<p> -Es war alles gleichgültig, alles eins. Je mehr zugrunde -ging, desto besser. Wozu die Heller sparen, -wenn man Tausende braucht. Dann war man armselig -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -und fast lächerlich, wie Mutter. Aber sie, Ruth, wollte -lieber ganz elend sein, betteln gehen. -</p> - -<p> -Die Welt lag hinter der harteckigen Wohnung. -Auf den langen, gierigen Schienen rollten die Lokomotiven. -Schleppten hinten in den Waggons glückliche Menschen -in dunklen, einfachen Kleidern, deren Schnitt allein ein -Vermögen kostete. Die legten ihre wunderbaren Schuhe -auf samtene Kissen. Und dann saßen sie in hochwandigen -Speisesälen und sahen hinaus über ungemessene Entfernungen. -</p> - -<p> -Geld haben heißt weiterkommen. Weiterrücken im -Raum. Und das heißt, weiterrücken im Leben. Und sie -steckte in ihrer Wohnung, eingekeilt zwischen Mutter, -Martha, Richard und jetzt auch Norbert. Denn Norbert -war sehr viel da. Mutter liebte ihn. -</p> - -<p> -Einmal ging sie Martha ein Geburtstagsgeschenk -kaufen. Norbert erbot sich, sie zu begleiten. Sie war -unordentlich angezogen, in alten Kleidern, die ihr -schlecht saßen. Sie ging durch die elegantesten Straßen. -Vielleicht eben deshalb. Und weil Norbert dabei war. -</p> - -<p> -Sie traten in eine der ersten Parfümerien. – Hier -wollen sie etwas kaufen? fragte Norbert ganz erschrocken. -– Ja, warum nicht? -</p> - -<p> -Sie wählte ein halbes Dutzend der kostbarsten -Seifen. Es überstieg weit den schmächtigen Inhalt ihres -Portemonnaies. – Ich habe mein Geld vergessen, können -Sie für mich zahlen? Norbert zahlte aus seiner biederen -Geldbörse. -</p> - -<p> -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -Auf der Straße sagte sie, totenbleich vor Erregung, -heiser: – Wissen Sie, was ich da in meiner Tasche -habe? Noch eine Seife, hellviolett, ich habe sie aus -dem Korb gestohlen. -</p> - -<p> -– Um Gottes Willen, aber das ist doch nicht ihr -Ernst. -</p> - -<p> -– Doch, sehen Sie, hier. Ist sie nicht wunderbar. -Und so weich. Die behalte ich mir, die gehört mir, mir -ganz allein. – Fräulein Ruth, nein, das ist nicht möglich, -nein, kommen Sie, gehen wir zurück, gehen wir. – -Gewiß nicht, ich glaube gar, Sie fürchten sich, mit mir -zu gehen? Bitte. – Nein, aber Ruth, so etwas dürfen -Sie doch nicht tun, Herrgott, das ist ja furchtbar. – -Ach, lachte Ruth, das mache ich immer – und fast -schämte sie sich, so zu lügen. Sie hielt die Seife krampfhaft -fest mit der Hand umschlossen, daß die Schulter -schmerzte. Und war stolz darauf. Ein gieriges Habenmüssen -preßte ihr die Zähne zusammen. -</p> - -<p> -Sie gingen durch trübe, nachmittagsstille Gassen, -die sonnenlos waren und arbeitsgewohnt. Norbert sah -die ganze Zeit zu Boden und war dunkelrot. Dann -stotterte er: – Wenn Sie die Seife haben wollen und -haben müssen, Ruth, und Sie haben vielleicht kein Geld -mehr – Sie lachte grell und höhnisch: – Nein, wie Sie -um meine Seele besorgt sind. -</p> - -<p> -Und dachte: Du kleinseliger Krämer du, du ahnungsloser. -– Lassen Sie das, Norbert, – fuhr sie fort, – -es steht nicht dafür. Es nützt doch nichts. Ich habe es -vom Großvater. Der hat auch alle seine Pferde verspielt. -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -Mutter sagt immer, mit mir nimmt es ein schlechtes -Ende. Wenn ich dann ganz heruntergekommen bin und -so bettelarm, daß ich einen grauen Lappen um den -Kopf binden muß, wenn es schneit, wenn ich dann so -ganz richtig elend bin, komm ich zu Ihnen. Sie geben -mir dann etwas aus ihrer Börse, nicht wahr? – Ich -werde Ihnen immer alles geben, Fräulein Ruth, aber Sie -sollen nicht so sprechen. – Vielleicht komme ich auch -ins Kriminal, wer kann es wissen. Aber Norbert, eines, -können Sie sich vorstellen, daß man etwas haben muß, -so unbedingt haben muß, daß man einem andern auch -Böses tut, ihn umbringt, für Geld umbringt? Können -Sie sich das vorstellen, o, so sagen Sie doch. – Ruth, -Sie sind krank. – Warum denn? sowas steht doch -alle Tage in der Zeitung und die Leute sind gar nicht -alle krank. -</p> - -<p> -Nach einer Weile sagte er noch einmal bestimmt -und ohne sie anzusehen: – Wir tragen die Seife jetzt -zurück. Wenn Sie das Geld nicht nehmen wollen. Es -war ein Irrtum. -</p> - -<p> -Ruth warf die Seife einem verkrüppelten Bettler, -der an der Mauer lehnte, in den Hut und sprach im -Vorübergehen: – Er soll sich auch einmal mit etwas -Gutem waschen können. Und sie sah Norbert nicht -mehr an und gab ihm nicht die Hand zum Abschied. -</p> - -<p> -In den nächsten Tagen aber trauerte sie um das -Stück Seife, wie um ein Stück verlorene Seligkeit. Sie -haßte Norbert. Einmal hatte sie es gewagt und er hatte -alles verdorben. Und warum – weil er dumm war, -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -grenzenlos dumm. Sie holte lauter Detektivromane aus -der Leihbibliothek und verschlang sie. -</p> - -<p> -Sie versuchte Geld zu nehmen aus der Lade der -Köchin. Aber es war wieder ganz unmöglich. -</p> - -<p> -Sie fühlte sich umgeben von einer erstickenden -Masse schmutzig gelben Metalls. Das nach Schweiß -stank und den Duft exotischer Blüten in sich trug und -ein Rauschen von seidenen Röcken. -</p> - -<p> -Marthas Kasten war immer doppelt versperrt. Sie -trug die Schlüssel mit sich in einem uralten Handtäschchen. -Ruth verachtete sie deshalb. Denn was war -schon in dem Kasten, wenn man ihn aufbrechen -wollte? Wäsche mit gehäkelten Spitzen und ein paar -ziemlich abgelegene Liebesbriefe. Eine Nagelschere und -ein Nähkästchen und vielleicht noch eine Photographie. -Nein, davon hätte Ruth nichts haben wollen. -</p> - -<p> -Und von Richards Sachen erst recht nicht. Die -waren alle abgebürstet und ordnungsgemäß aufgestellt. -Numeriert. Vom ersten Schulzeugnis an bis zur letzten -Tagebuchseite. Denn Richard führte ein Tagebuch. -Das war sehr genau. Es standen alle Einnahmen und -Ausgaben darinnen. -</p> - -<p> -Mutters Besitztümer aber steckten in vierfach -verbundenen Papiersäckchen und rochen nach Lawendel. -</p> - -<p> -Ruth wollte und mußte etwas haben. Etwas Außergewöhnliches, -etwas unsagbar Schönes, etwas Wunderbares, -etwas noch nie Dagewesenes, wenigstens noch -nicht in ihren düsteren Zimmern. -</p> - -<p> -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -Als sie ihr nächstes Taschengeld bekam, ging sie -durch die ganze Stadt es zu suchen. Als es schon -Abend war, fand sie in einer Auslage einen Korb voll -tiefroter Rosen. Festgeschlossen hingen sie schwer in -den schlanken, wiegenden Stengeln. Und die wenigen -Blätter, die schon offen waren, waren weich und dunkel -in ihrem Innern, daß sie Ruths Kopf zur Seite senken -ließen und die Augen schließen. -</p> - -<p> -Sie kaufte sechs von den schönsten, strich mit -den Händen über die heißen, großen Stacheln und -ging mit federnden Schritten nach Hause. -</p> - -<p> -Im Speisezimmer stand Richard unter der fahlgrünen -Lampe und hielt eine Rechnung in den Händen. Mutter -lief erregt um den Tisch und Martha stellte verdrossen -die Gläser auf. -</p> - -<p> -– Was ist das Ruth, fragte Richard – eine -Rechnung für vier paar Lederhandschuhe? Er war ganz -ruhig, zog nur die Augenbrauen ungeheuer verwundert -in die Höhe. Aber seine Stimme war häßlich vor Zorn. -</p> - -<p> -Mutter rang die Hände. -</p> - -<p> -– Ich weiß nicht, sagte Ruth atemlos. – Du -weißt nicht und was hast Du da? Was sind das für -Rosen, Ruth? Du bist wohl verrückt. Du weißt nicht, -was du tust. Wie treibst du dich denn herum? -</p> - -<p> -– Laß die Rosen, sie gehören mir. -</p> - -<p> -– Dir, dir gehören sie? Ja, was gehört denn -überhaupt Dir? Du stiehlst. Du stiehlst Mutter das Geld -aus der Tasche. Sollen die Handschuhe vielleicht Dir -gehören? Und diese Rosen? – -</p> - -<p> -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -Ruth dachte: Er nimmt mir alles. Alles. Aber er -hat eine <a id="corr-9"></a>wohlgefüllte Geldbörse in der Tasche. Kupfergelb, -silberweiß, blaue Scheine. Nur die Rosen soll er -nicht nehmen, die Rosen nicht. Wenn er wirklich -danach greift – -</p> - -<p> -Sie war umgeben von einer schwarzen, kochenden -Masse. Und erstickt griff sie nach dem Brotmesser auf -dem Tisch und schleuderte es – -</p> - -<p> -Ein Kreischen, ein Stoßen – -</p> - -<p> -Sie war allein in ihren Zimmer. -</p> - -<p> -Von der Straßenlaterne strömte weißgelbes Licht -herein. Aber der Zorn tanzte noch in kochend schwarzen -Klumpen um sie herum, würgte die Kehle, machte ihre -Hände gierig. -</p> - -<p> -Sie fuhr hinein in die blassen Fensterscheiben. -Mitten durch. -</p> - -<p> -Aus ihrer Handfläche quoll es langsam heraus, -dunkelrot. Sie war ganz ruhig. -</p> - -<p> -Aus immer mehr Stellen heraus, immer mehr. Das -Blut fiel zu Boden, langsam, in dicken Tropfen. -</p> - -<p> -Und ihre Augen wurden satt. -</p> - -<p> -Da waren irgendwo heiße, durstende Glieder, die -sich zur Ruhe strecken konnten. Und ausgekühlte -Marmorbäder. Und verlöschte, grellrote Lichter. -</p> - -<p> -Zu ihren Füßen lagen viele Münzen. Kupferne, -silberne, goldene. Die rollten nicht mehr durcheinander. -Die lagen ganz kalt, eine über der anderen. -</p> - -<p> -Und das Blut fiel zu Boden, langsam, in dicken -Tropfen. Und das Geld fraß das Blut. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-7"> -<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> -Gott -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">A</span><span class="postfirstchar">ls</span> Ruth so klein war, daß das Kindermädchen sie -sitzend auf dem Arm trug und ihr der eigene Matrosenkragen -wie eine riesige, abenteuerliche Fläche erschien, -sah sie an einem Abend ein Kreuz im Wald. In den -Tannen hing verstecktes Gewitter. Und das Kreuz -wuchs aus der felsigen Erde. Ruth fürchtete sich. -</p> - -<p> -In der Nacht nahm Mutter sie zu sich in das Bett. -Am Morgen hatte sie Fieber. Man zog ihr ein frisches, -kühles Hemd an, legte sie in Mutters riesige Polster -hinein und Mutter küßte und streichelte sie. -</p> - -<p> -Wenn Ruth krank war, den ganzen Tag in Mutters -Zimmer liegen durfte und von unten herauf jede von Mutters -ungeduldigen, viel zu vielen Bewegungen beobachten -konnte, war sie ganz zufrieden. Dann vergaß ihr -kleines Hirn mit den Schwierigkeiten des Tages zu -kämpfen, den grell bemalten Tapetenblumen, den Vorsprüngen -auf Mutters kompliziertem Luster, der widerhaarigen -Zahnbürste. Dann legte sie ihr kleines Haupt -tief nach hinten und alle ihre kleinen Gedanken in -Mutters zu große, harte Hände. -</p> - -<p> -Mutter war groß. Mutter war allmächtig. Mutter -war unfehlbar. Mutter war gütig. Mutter war edel und -– Mutter war gekränkt, mißhandelt von aller Welt. -Deshalb wollte Ruth nicht mit den andren Kindern im -<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> -Park spielen, keinem fremden Menschen die Hand -reichen, deshalb fürchtete sie sich vor den Hunden. -Weil ihre Mutter unter diesen allen leiden mußte. -</p> - -<p> -Ruth küßte im Geheimen Mutters Hausschuhe. -Schluchzte die ganze Nacht durch, wenn Mutter vergessen -hatte, zuletzt an ihr Bett zu kommen. Und -starb vor würgender Sehnsucht, wenn Mutter auf acht -Tage verreist war. Aber das durfte niemand wissen. -</p> - -<p> -Richard durfte das nicht wissen, ach nein, er war -ja so klug. Gewiß, er liebte Mutter. Aber er trug alle -seine Empfindungen sorgsam eingeordnet in seiner -schwarzledernen Brieftasche und zusammengepreßt wie -die Banknoten. -</p> - -<p> -Martha liebte Mutter nicht. Obwohl sie an Mutters -Geburtstag am eifrigsten den Tisch deckte. Aber alle -Morgen stritt sie mit Mutter mit einer schrillen Stimme. -Zu ihren Freundinnen nannte sie Mutter nur „sie“. -</p> - -<p> -Zu Mutter flüchtete Ruth sich, als sie die große Angst -bekam vor dem großen Gott im Himmel oben. Der -gar nicht half, wenn man zu ihm betete. Der seinen -lieben, wunderbaren Sohn am Kreuz hatte verbluten -lassen, der es duldete, daß es eine Hölle gibt, während -es ihm dort oben am besten geht. Der die Menschen -in den Spitälern sterben läßt und noch will, daß man -dankbar dafür ist. -</p> - -<p> -Ruth bekam eine Bonne, deren winziger Koffer -voll war mit Marienbildern und Rosenkränzen. Die -führte Ruth in alle Kirchen. Sie fror stundenlang in -den kalten, zu hohen Räumen mit den dunkel nassen -<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> -Mauern. Weihrauch versperrte ihr die Kehle und der -Kirchendiener hatte schmutzige Pantoffel. Vorne am -Altar war Christus gekreuzigt. Rostige Nägel durchbohrten -die Knochen. Das Blut war geronnen. Und er -konnte nie und nie herunterfallen. -</p> - -<p> -So hing er in allen Kirchen und die Menschen -beteten um schönes Wetter und Glück bei ihren -Geschäften. Ach, wie arm war er. Für alle hatte er -sterben müssen, und keiner liebte ihn. -</p> - -<p> -Eines abends stritt Mutter mit Vater. Es war so -ein kleiner häßlicher Grund, daß Ruth ihn vergessen -wollte, nein, nie mehr daran denken. Vater schwieg. -Mutter warf Vaters Zeichnungen auf den Boden. Vater -schwieg. Ruth schlich aus dem Zimmer. In dem kleinen -Gang neben der Küche drückte sie die Stirne an das -Fenster und betete: Lieber Christus, ich habe dich lieb. -Ich bete nicht, ich will nichts von dir, ich habe dich -nur lieb ... An diesem Abend kam Mutter nicht -zum Gutenachtkuß. Ruth rief nicht nach ihr. Aber sie -hatte ein rotgoldenes Christusbild unter dem Kopfkissen. -</p> - -<p> -Sie wollte Nonne werden. In der Abenddämmerung -in niederen Kreuzgängen wandeln und über das Meer -schauen und Christus lieben. -</p> - -<p> -In die Messe mochte sie doch nie gehen. Wie -entsetzlich war es, zu denken, daß der fettige Geistliche -da vorne das reinste Blut trank. Wenn es auch für die -ganze Welt gut war, es war eine ungeheure Grausamkeit -– ein Verbrechen – und daß das alle Morgen -geschah ... -</p> - -<p> -<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> -Ruth besaß ein Kinderbuch, in dem opferten -die Chinesen grell gemalten, glotzäugigen Buddhas. -Vor diesem Buch graute ihr. Und vor den fetten -Altären der katholischen Kirchen. -</p> - -<p> -Zu Hause aber steckte sie ihren liebsten Bleistift -in den Ofen – Opfer für Christus. -</p> - -<p> -Dem lieben Gott versprach sie alle Tage ein -Gebet mehr. Was anderes konnte sie ihm nicht geben. -Als es zu viel wurde, gab sie es überhaupt auf. Und -von dieser Stunde an stand sie nicht mehr gut mit ihm. -</p> - -<p> -Aber sie küßte den schmutzigen Steinboden im -Stiegenhaus. Christus zu liebe. -</p> - -<p> -Dann bekam sie eine andere Bonne. Mit sehr -roten Wangen und gekräuselten Haaren, die alle Nacht -zwei Stunden lang mit der Brennschere bearbeitet -wurden. Diese Bonne liebte Ruth sehr. Sie erzählte ihr -ungeheuer viel von einer Baronin, die schon zweimal -verheiratet war und Ruths Schuhnummer hatte und -alle Monate vier Paar Schuhe brauchte. Eines Nachmittags -führte sie Ruth zu der Baronin. Das Zimmer -war voll mit parfümiertem Rauch und schweren -Teppichen. In einem Erker saß die Baronin neben -einer riesigen Palme. Sie trug einen grauseidenen -Schlafrock. Seine Falten krochen über ihre müde, -duftende Haut. Sie sprach lange mit der Bonne und -liebkoste Ruths Zöpfchen. Sie schenkte Ruth ein -Bonbon. Ruth schlief diesen Abend ein, das Bonbon -in der Hand, das am nächsten Morgen als zähe -Masse die kleine Faust verklebte. -</p> - -<p> -<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> -Sie schrieb den Anfangsbuchstaben des Namens der -Baronin auf die Löschblätter in allen Heften. Als -die Bonne plötzlich fortgehen mußte, weinte sie die -Nacht durch. -</p> - -<p> -In einem großen Hotel liebte sie einen gazellenschönen, -argentinischen Knaben. Sie sprach nie ein -Wort mit ihm, dachte gar nicht an diese Möglichkeit. -Aber sie zählte die Stunden, bis sie ihn wieder in den -Speisesaal kommen sehen könnte, neben seiner überüppigen -Mutter. -</p> - -<p> -An einem lichtgoldenen Frühlingstag sah sie auf -dem Markt einen Korb weißer Hyazinthen. Kaum -erblühter, strahlend weißer, schlanker Hyazinthen. Sie -hatte kein Geld. Was sollte sie tun? Sagen, daß sie -diese Hyazinthen haben mußte, sehen mußte, einatmen -mußte. Nein, niemals, so etwas spricht man nicht aus. -Das ist etwas so ungehöriges, wie die Dinge, die in -den verbotenen Büchern stehen. Über so etwas schweigt -man. Und wenn es nur wäre, um nicht ausgelacht zu -werden. Das aber ist Schande und Schändung. Das -ist so wie der gepeinigte Christus an jeder Wegkreuzung. -</p> - -<p> -Im Sommer darauf bemerkte sie zum erstenmal, -wie sich das saftige Grün der Buchenblätter in die -Sonnenbläue des Himmels schmiegt. Und sie berührte -schüchtern das Waldgras, das hoch und gebogen war, -während auf den Felsen die Erde duftete. – Geh -nicht in den Wald, sagte die Mutter, dort sind -Holzhauer und Schlangen. -</p> - -<p> -<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> -In diesem Sommer wuchs Ruth überraschend schnell -und bekam kräftige, braune Arme. -</p> - -<p> -Im nächsten Winter entbrannte sie in wilder Leidenschaft -für Napoleon. Der mit gekreuzten Armen über -die Menschen gegangen war und sie zertreten hatte. -</p> - -<p> -Damals war es, daß Ruth eine Macht über sich -fühlte, die sie fausthart in die Knie zwang. Und von -der ihre weichen, unentwickelten Gelenke sich in sehnsüchtiger -Wollust kneten ließen. Sie wollte nicht lieben, -nicht Liebe empfangen, aber unterworfen werden. -</p> - -<p> -Im hintersten Winkel des Kleiderkastens war ein -wunderliches Gemisch von Kostbarkeiten: Eine falsche -Rose, die Mutter getragen hatte als sie einmal in das -Theater ging und so besonders schön war. Gepreßte -Zyklamen aus dem Buchenwald. Das rotgoldene Christusbild. -Eine Unterschrift der Baronin aus einem Brief an die -Bonne. Ein Ausschnitt aus einem französischen Werk -über Napoleon. Und das Wort Beethoven mit roter -Tinte auf die verkehrte Seite einer Visitkarte geschrieben. -</p> - -<p> -Wenn Ruth ihren Kasten zusammenräumte, wischte -sie diese Dinge mit einem Batisttaschentuch ab. Jedes -war einzeln in weißes Seidenpapier gewickelt und mit -Christbaumschnüren zugebunden. Ruth rührte aber -keines gerne an. Sie fürchtete den Tag, wo ein -quälendes Gewissen sie dazu trieb, alles frisch zu -ordnen und neu einzuwickeln. Sie wusch sich vorher -dreimal die Hände und fürchtete, daß ein unreiner -Atemzug diese Heiligtümer beleidigen könnte. -</p> - -<p> -<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> -Denn das alles waren Heiligtümer, nicht Erinnerungsstücke. -Kleine, nichtige Gegenstände, vollgetränkt mit -dem Empfinden einer überströmenden Liebe. Und als -Christus, als die Baronin, als Napoleon Ruth fremd -geworden waren, behielten die einzelnen Dinge doch -ihre seltsame Macht. Ja, diese Macht war sogar gewachsen, -wenn das Ideal tot war. Und noch unbegreiflicher, -furchteinflößender geworden. Es war besser, man -berührte diese Gegenstände nicht, ging ihnen aus dem -Weg und sperrte den Kasten zu. Wodurch allerdings -auch der Schlüssel lebendig wurde und schwer zu -behandeln. -</p> - -<p> -Es kam noch vielerlei dazu. Schmächtige Seidenfransen, -die sie einem Freund Richards, einem langlockig, -grobbeinigen Menschen von seinem Kragenschoner -weggeschnitten hatte. Ein weißblondes Haar -der Englischlehrerin. Und noch vieles andere. Es gibt -keine Kirche, die so viele Reliquien hat wie Ruths -Kleiderkasten. -</p> - -<p> -Einmal saß Ruth bei dem Speisezimmertisch und -sollte eine Schulaufgabe machen. Mutter saß mit ihren -Rechenbüchern daneben. Da kam ein Dienstmädchen -herein, die Mutter einst wegen Diebstahls hinausgeworfen -hatte. Die brachte ihr Kind. Mutter schob -alle Rechenbücher beiseite und nahm den Säugling auf -den Arm und küßte und hätschelte ihn. Ruth sah sich -wieder ganz klein und der Mutter so nackt und hilflos -überlassen, wie dem lieben Gott selbst. Sie zeichnete -Mutters Kopf in ihr Schulheft. -</p> - -<p> -<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> -Onkel Gustav erklärte, sie sei ein Genie. Mutter -war stolz. Sie hatte in ihrer Jugend selbst viel gemalt, -große, bunte, talentierte Bilder. Man schickte sie in eine -Zeichenschule. Und dort war Hilde. -</p> - -<p> -Wenn die Sonne aufgeht, brechen alle Pflanzen -aus der Erde und die Steine werden licht. Denn das -ist die große Kraft. -</p> - -<p> -Wenn Hilde in das Zimmer kam, wurde der Raum -weiter und höher. Und durch alle Muskeln zuckte -Ungeduld und Sprungkraft. Denn sie besaß große -Kraft. -</p> - -<p> -Sie sehen, hieß einen Trunk frischen Wassers tun. -Und vor Ruth sanken die schwerblütigen Vorhänge -der elterlichen Wohnung in einen fetzigen Haufen -zusammen. Und sie verstand, daß es wichtiger war -Fensterscheiben zu zerschlagen als einem Bettler ein -paar Kreuzer zu schenken. Denn die Sonne muß hereingelassen -werden. Sie ist die große Kraft. -</p> - -<p> -Mit Hilde konnte man nicht sprechen. Ihre Nähe -war grell und fast schmerzhaft laut. Ruth flüchtete vor -ihr. Alle Reliquien durften verstauben. -</p> - -<p> -Hilde reiste nach Italien. Sie sah Hilde nicht mehr. -Ein greller Funken hatte ihr Leben grell gemacht, ganz -kurz, momentan. Sie war feige und blieb in der -Dämmerung. Aber sie kannte das Licht. Und wartete. -</p> - -<p> -Während aus dem Graugelb leerer Nachmittage -er herauswuchs, riesengroß und dunkel. Und sie saß -bei ihm alle Wochen, alle Tage. Und trank die Worte -abgelebter Erinnerungen, die noch leben möchten. -<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> -Dumpfer Männernächte, die ihre Kinderhände weinen -machten. -</p> - -<p> -Er war ein Gott. Die Maske fiel. -</p> - -<p> -Er war ein armer Mensch. Die Maske fiel. -</p> - -<p> -Er war ein Schuft. Wird noch eine Maske fallen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Ruth saß am Sonntag in dem großen Dom. Die -Orgel spielte und vor den brennenden Kerzen lag die -Menge. -</p> - -<p> -Ruth hörte auf das ewig gleiche Thema der Orgel -und wußte, daß draußen ein eintöniger Regen fiel. Die -nassen Kleider der Leute stanken in den Weihrauch -hinein. Sie saß ganz hinten, in einer dunklen Bank. -Vor ihr war eine alte Dame in schwarzem Schleier. Die -betete halblaut. -</p> - -<p> -Ruth dachte: mit wem spricht sie da. Gott – -das ist eine Maske mit gerader strenger Nase und -weißem Bart. In jeder Spielwarenhandlung zu kaufen, -wenn erst Fasching ist. Christus ist tot. Gekreuzigt. -Sie soll sich nicht zum Narren halten lassen von den -Reliquien hinter dem Gitter. Das sind Masken für -nichts. Ich möchte meinen Schrank verbrennen. Mutter -macht uns alle unglücklich, weil sie nicht glücklich sein -kann. Das Muttersein ist Maske. Dahinter steckt ein -furchtbarer Mensch. Und die Liebe bei der Baronin mit -dem parfümierten Rauch macht Übligkeiten. Sie soll -nicht lächeln. Es ist eine Krankheit in ihr. Maske. -Napoleon hat die Welt unterworfen weil er die größte -<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> -Maske trug. Alle Buchenblätter sind faul und die -weißen Hyazinthen verwelkt, verkrümmt. -</p> - -<p> -Sie zog einen Taschenspiegel aus ihrem Handtäschchen. -– Da sitze ich in der Kirche bei der -Komödie. Warum schrei ich denn nicht. O ich bin -gesittet. Und mein Gesicht ist nicht verzerrt. Ich trage -ja auch meine Maske. Aber die Augen sind furchtbar. -Ich habe Angst vor mir. -</p> - -<p> -Ob Hilde auch eine Maske hat – -</p> - -<p> -Aber er trägt viele tausend Masken. Nein, er weiß -gar nicht, welches sein wahres Gesicht sein könnte. -Lauter weiche, schmiegsame Masken, innen etwas faul. -Grünbleich und müde. Ach, und sich hineinlegen können -und ausruhen ... -</p> - -<p> -Als sie aus dem Tor herausging, traf sie Onkel -Gustav und Richard. Beide zogen den Hut vor der -Kirche. – Warum tut ihr das, sagte Ruth ärgerlich, ihr -glaubt ja doch nichts. -</p> - -<p> -– Das macht man so, sagte Onkel Gustav -verlegen. -</p> - -<p> -– Ruth, du bist wieder einmal dumm, erklärte -Richard. -</p> - -<p> -– Aber ein Tier tut das nicht, sagte Ruth und -streichelte Onkel Gustavs namenlosen Hund. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-8"> -<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> -Gute Familie -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">M</span><span class="postfirstchar">artha</span> unterrichtete in der Schule, die Norberts -jüngste Schwester besuchte. In der sie selbst ihre erste -und letzte Bildung empfangen hatte und wo Ruth einmal -fast hinausgeworfen worden war, weil sie öffentlich -zu erklären wagte, vor der französischen Grammatik -brauche man den lieben Gott nicht im Gebet anzurufen. -</p> - -<p> -Mutter hatte darauf gehalten, daß ihre Töchter -diese Schule besuchten und keine andere. Es war die -vornehmste Schule der Stadt, die Bureaukratenschule. -Es galt als Zeichen von Ruths Dummheit, daß sie nicht -einmal in dieser Schule gute Noten bekommen konnte. -</p> - -<p> -Ruth dachte niemals an ihre Schuljahre zurück. Sie -mied den Weg, der an der Anstalt vorbeiführte. Sie -empfand schon in der Nähe des Hauses den dumpfen -Tintengeruch aller der Rehlederfleckchen, die zu besitzen -dort so streng verlangt wurde und die sie immer verlor. -Französische Verben, verwischte Diktate, alte Butterbrote, -schwarze Clothschürzen mit knallblauem Rand -und das unbedingte Bedürfnis, sich auf den Tisch zu -setzen, jetzt, gerade jetzt, weil das so entsetzlich unpassend -ist. -</p> - -<p> -Vor allem aber hielt sie ein wurmendes Schamgefühl -zurück, wenn sie sich an diese Zeit erinnerte. -Sie wollte nicht eines sein mit dem faulen, boshaften -<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> -Fratzen, der der Mademoiselle alles nachwies, was sie -in Geschichte falsch unterrichtete, ihre gefärbten Haare -bewunderte und stundenlang darüber grübelte, was sie -ihr Verletzendes sagen könne. Denn die Mademoiselle -war dumm. Es war eine Unverschämtheit, andere belehren -zu wollen, ohne klüger zu sein. Das einzige, -was Ruth aus der Schule brachte, war ein glühender -Haß auf den Kardinal Richelieu. Der bestimmt der -Mademoiselle ähnlich gesehen haben mußte, ihre kaltadrige, -rote Gesichtsfarbe gehabt hatte und ihre steifglänzenden -Halskragen. Damals hatte Ruth den Haß -gelernt. Nicht den hochlodernden, kämpfenden. Aber -den sich ekelnden, nagenden, den man gegen Fleischfliegen -hat und Maden. Den allerunbarmherzigsten. -</p> - -<p> -Und damals hatte Ruth die Roheit kennen gelernt, -die nicht zögert, sich selbst zu beschmutzen. Als ein -Kind der Schule gestorben war, kam der Literaturprofessor -wankend in die Klasse. Er war ein kleiner, -lächerlicher Mensch mit strohgelb in die Höhe stehenden -Haaren. An die Tafel gelehnt, schluchzte er überlaut, -wischte sich die Tränen ab mit einem blauen Taschentuch, -schneuzte sich – und dazu mußte ein Mädchen -ein ganz blödsinniges Lesestück vorlesen. Da begannen -alle Kinder zu lachen. Und Ruth mit ihnen, sie zerbiß -ihr Taschentuch – er weinte ja auch immer, wenn er -von Theodor Körner sprach. -</p> - -<p> -O die viele, viele Schande, die sie dort erdulden -mußte. Alle Morgen eine Krankheit erfinden, um nicht -hinzugehen. In einer Zeit, wo der unbeugsame Kindersinn -<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> -nach unbedingter Reinheit verlangt und der geringste -Schmutzfleck ratlos macht und ausliefert. -</p> - -<p> -Konnte man je wieder rein werden, wenn man in -diese Schule gegangen war? Wo alle unterdrückte -Sinnlichkeit der vertrockneten Lehrerinnen unter den -Bänken wieder erwuchs, aufgezogen von der schmierigen -Neugier halbwüchsiger Kinder, die von Liebe nichts -wissen dürfen. Ruth wurde später rot, wenn sie an die -Gespräche dachte, die sie mit zwölf Jahren hören und -führen mußte. Und dann wurde alles verraten. Und ein -Kind wurde ausgeschult, weil es die Tochter einer -Schauspielerin war. -</p> - -<p> -Nein, an diese Schule durfte man niemals zurückdenken. -Ruth wich Martha aus, wenn sie des Morgens -dorthin ging. Sie hätte sie bedauert, wenn sie sie nicht -so maßlos verachtet hätte. -</p> - -<p> -Es war ganz selbstverständlich, daß Norberts -Schwester diese Schule besuchte. -</p> - -<p> -Norbert kam nicht mehr bloß Samstag. Er kam -auch Mittwoch. Jeden Mittwoch und Samstag zum -Mittagessen. Vorher spielte er noch mit Gustav zwei -Sonaten, eine neu und eine, die sie schon das letztemal -gespielt hatten. Ruth kam an diesen Tagen immer zu -spät nachhause. -</p> - -<p> -Ruth verachtete Norbert. Diese Verachtung war -mit einem ihr sonst fremden Ekel untermischt. Der sich -bis zur Wut steigern konnte, wenn er sie über den -Tisch herüber ansah, hundetreu und Vertraulichkeit -vortäuschend. -</p> - -<p> -<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> -Mutters Vorliebe für Norbert stieg immer mehr. -Martha konnte gar nicht aufhören, mit Norbert zu -sprechen. Er gab als Mitglied seiner Kaste etwas verächtlich -Auskunft über die Familienchronik der Stadt – -aber immer als Mitglied seiner Kaste. Martha bekam -hektisch rote Wangen. Ruth dachte: Mein Gott, wie -wenn ich den Uilenspiegel von de Coster lese. Aber -da ist es nicht ein Mensch, ein Volk, eine Welt, nur -eine ehemalige Tanzstunde. -</p> - -<p> -Deshalb hatte sie Martha in den letzten Jahren beiseite -liegen lassen. Neben ihr starb eine Seele in der -Sehnsucht nach dem gelobten Land. -</p> - -<p> -Eines Mittags kam ihr auf der Straße ein ältliches -Fräulein entgegen, trotz der lichten Sonne in einem -langen, grauen Regenmantel. Scharfe Nase, weltfremde -Augen, unter dem Arm eine Aktentasche. Ruth dachte: -Lehrerin, die hat heute sicher ein ungezogenes Kind -gequält. Vielleicht so eines wie ich war. -</p> - -<p> -Sie ging weiter. Um die Ecke herum begegnete -ihr Martha, die eben aus der Schule kam. Sie hing -sich hastig an Marthas Arm und fragte einige ganz -überflüssige Fragen. Martha antwortete mürrisch. Ruth -dachte: Um Gottes Willen, vielleicht sieht sie in ein -paar Jahren so aus wie die andere, die Lehrerin von -vorher. Nein, das ist unmöglich, das darf nicht sein. -</p> - -<p> -Derselbe glühendheiße Druck legte sich ihr zwischen -die Brust, den sie als Kind empfunden hatte, als der -Arzt sagte, daß Vater sterben müsse. Sie hatte sich in -<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> -einem Kasten versteckt und schrie in sich hinein: -unmöglich. -</p> - -<p> -So ging sie heute neben Martha. Bei einem Blumenweib -blieb sie stehen und kaufte ein winziges Büschelchen -Veilchen. – Ruth, um diese Jahreszeit. Du fängst also -schon wieder so an mit dem Geld. – Nimm sie. – -Unsinn. – Bitte. – Nein, könnte mir einfallen. -</p> - -<p> -Ruth hielt die Veilchen ganz tief unten. Nur nicht -weinen vor Zorn. Pfui Teufel. Und Marthas Schleier -hatte ein Loch quer über die Wange hin. Ach, was -ging diese langweilige Person sie eigentlich an. Sie -ließ die Veilchen in den Rinnstein fallen, knapp bevor -sie in das Haustor traten und sprang voraus über -die Stiegen. -</p> - -<p> -Dann aber schalt Mutter mit Martha kreischend laut -und ungerecht. Ruth stand im Nebenzimmer mit geballten -Fäusten. Mutter schrie. Martha schwieg. Ach, da war -wieder der entsetzliche Druck, der brennende Druck – -Angst – -</p> - -<p> -Ruth warf eine alte Porzellanvase zu Boden, daß -die Splitter sprangen. Mutter stürzte wütend herein. Sie -schüttelte Ruth und stampfte mit dem Fuß auf die -Scherben. Aber sie war wieder gut mit Martha. Denn -Martha jammerte mit. -</p> - -<p> -Ruth weinte so lange, daß sie am Abend krank -war und in das Bett gesteckt wurde. Mutter brachte ihr -besonders aufgegossenen Tee und setzte sich an den -Bettrand wie in alten Zeiten. Aber Ruth drehte den -Kopf weg. Das Licht schmerze sie. Plötzlich sagte sie: -<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a> -– du hast Martha nicht gern. – Was soll das heißen? – -Du hast Martha gar nicht gerne. Weil sie häßlich und -unglücklich ist. Häßliche und unglückliche Menschen mag -man nicht. Ich liebe Martha auch nicht, o nein. Aber -ich will nicht mehr mit ihr streiten. -</p> - -<p> -Und nach einer Weile: – Weißt du Mutter, eigentlich -wünsche ich, daß Martha auch aus dem Fenster gesprungen -wäre, wie ihre verrückte Freundin voriges -Jahr. Wenn sie es heute noch tun wollte, ich glaube, -ich würde ihr helfen und – Ruth, Mutter stand vor -dem Bett, dunkelrot – du willst also, daß ich hinausgehe -... Nein Mutter, ich habe nur manchmal so Angst. -Aber wenn du gehen willst, gib mir etwas zu lesen, -irgendein Buch, nur etwas, was gerade auf dem Tisch -liegt. – Schillers Dramen? – Nein, nicht das. Wozu. -Ich sage dir, heute Mittag habe ich auf der Straße im -Sonnenschein eine Frau gesehen, viel, viel schlimmer -als die Maria Stuart, bevor sie auf das Schafott geht. – -Du träumst. – Nein, ich habe die Augen offen, sehr -weit offen – gute Nacht Mutter. -</p> - -<p> -Ruth versuchte nicht mehr, mit Martha zu sprechen. -Aber in den nächsten Tagen vergaß Martha, als sie in -das Theater ging, den Schlüssel ihres Kastens abzuziehen. -Ruth schlich in ihr Zimmer. Ihr Herz klopfte in -die Kehle hinauf. Sie verschloß die Türe. Sie dachte: -jetzt mache ich etwas Niederträchtiges, Schmutziges. -Aber ich kann ihm nicht entgehen, es geschieht von -selbst, notwendig – -</p> - -<p> -<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> -Sie fand nichts, nein, sie fand gar nichts in dem -Kasten, nicht einmal die Photographie, die sie erwartet -hatte. Wozu sperrte denn Martha den Kasten immer -auch dreifach zu. Nur ein Buch lag da, in Leder -eingebunden, mit vorgedrucktem Datum, darinnen -standen alle Theater, Vergnügungen, Bälle und -Tänzer. -</p> - -<p> -Ruth empfand wieder den Geruch von Gaze, Spitzen, -gebranntem Haar, Straußfedern und frischen Blumen, -die alle nach Parfüm und Puder schmeckten. Jene festliche -Erregung, die die ganze Familie bis zur Hausmeisterin -hinunter beherrschte, wenn Martha mit Mutter -auf einen Ball ging. Die ihr Kinderherz nicht schlafen -ließ und an rauschende Seidenröcke denken und blonde -Prinzessinnenlocken. -</p> - -<p> -Heute abends war sie mit Mutter allein beim Abendessen. -Mutter sollte erzählen. -</p> - -<p> -Mutter tat das gerne, leichthin, ohne Ruths brennendes -Interesse zu spüren. Ruth zerkrümmelte das Brot über -das Tischtuch. -</p> - -<p> -Mutter sagte: – Du brauchst nicht glauben, daß -Martha immer so war, wie sie jetzt ist. Sie ist ein armes -Mädchen, aber gut. Und du bist manchmal sehr abscheulich -zu ihr, Ruth. Da ist Richard ganz anders. Er -ist doch immer so rücksichtsvoll, das hat er bei Martha -am besten gezeigt. Gott, das ist schon lange her -und von so etwas spricht man lieber nicht mehr. -Überhaupt zu dir, du könntest eine Bemerkung -machen – -</p> - -<p> -<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> -– Natürlich. Ich verstehe nicht, warum du dann -davon redest? Was es schon sein wird, sie wird eben -ein Kind bekommen haben. -</p> - -<p> -– Ruth, so etwas sagst du zu mir? Wie du jetzt -immer sprichst. Mit wem gehst du eigentlich um? Schon -in der Schule hast du dir immer die Minderwertigsten -ausgesucht. Bei Martha war das ganz anders. Wenn du -wüßtest mit wem Martha verkehrt hat – -</p> - -<p> -– Das hat ja auch herrliche Folgen gehabt. -</p> - -<p> -– Martha war immer nur in den besten Familien -eingeladen. Die Leute haben sich um sie gerissen. Sie -war hübsch und liebenswürdig. Alle haben ihr den Hof -gemacht, wie toll. Menschen wie Norbert – -</p> - -<p> -– O weh ... -</p> - -<p> -– Ja, das ist dir natürlich zu gut. Aber ich sage -dir, Martha hat ein schönes Leben gehabt und war -glücklich. Das verdankt sie mir. -</p> - -<p> -Ruth bückte sich, um die Serviette vom Boden -aufzuheben. -</p> - -<p> -– Du weißt eben gar nichts. Wenn du eine Ahnung -hättest, wer Martha heiraten wollte – -</p> - -<p> -– Und warum hat er es nicht getan? -</p> - -<p> -Mutter erzählte von dem jungen Baron, der Martha -so sehr geliebt hatte. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Sicher hat er ihr Blumen geschenkt -beim Kotillon. -</p> - -<p> -Der Baron reiste ihnen nach, einen Sommer lang. -Man wohnte in den feinsten Hotels, o, es kostete ein -Vermögen. An der Ostsee. Martha trug nur Pariser -<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> -Toiletten. Am Abend saß der Baron mit ihr und Mutter -bei Champagner auf bis zwölf Uhr, jede Nacht bis -zwölf – -</p> - -<p> -Ruth dachte: Warum ist sie nicht lieber am Strand -mit ihm spazieren gegangen und hat ihn geküßt. -</p> - -<p> -Alle morgen standen Blumen auf dem Frühstückstisch. -Und Martha wußte ihre Haltung zu bewahren – -</p> - -<p> -Ruth fragte: – Warum? -</p> - -<p> -Aber Mutter erzählte weiter, stolz, glückselig. -</p> - -<p> -Sie waren allein in dem Bad. Ruth und Richard -waren zu Hause. Der Baron hielt Vater für einen großen -Unternehmer – -</p> - -<p> -Ruth dachte: Vaters arme Zeichnungen. -</p> - -<p> -Und dann im Herbst waren sie verlobt. – Mutters -Stimme brach fast ab. – Ganz richtig verlobt. Natürlich -geheim. Aber er kam alle Tage zum Abendessen und -war mit Richard eng befreundet. Richard hätte damals -in ein Ministerium kommen können. Ach, es war herrlich ... -</p> - -<p> -Mutter schwieg. Ruth fragte: – Nun, und? ... -Und nichts. -</p> - -<p> -– Was heißt das? -</p> - -<p> -– Die Verhältnisse. -</p> - -<p> -– Die Verhältnisse also, das heißt, daß Vater -kein Unternehmer war, daß ihr geschwindelt habt. -</p> - -<p> -– Ruth, was sagst du mir da? Mir, die ich immer -dem Glück meiner Kinder gelebt habe. Richard sollte -dich hören. Ja Richard überhaupt ... Wir fuhren zu -Weihnachten in das Gebirge. Du hattest Keuchhusten. -Erinnerst du dich – -</p> - -<p> -<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> -– Ja, da war der Tierarzt. -</p> - -<p> -– Richtig. Nun und wenn Richard nicht so energisch -aufgetreten wäre. Martha war zu jeder Dummheit bereit. -Der Landtölpel – -</p> - -<p> -Ruth sah vor sich den bärenhaft trotzigen Menschen, -mit den zarten Händen und der Bauernsprache, auf -dessen Rücken sie oft genug geritten war. -</p> - -<p> -– Mutter, das ist eine Gemeinheit. -</p> - -<p> -Richard und Martha kamen aus dem Theater nachhause. -Norbert war auch dort gewesen. Ruth hatte -Norbert am Abend vorher beleidigt. Richard sagte: -– Natürlich, du kannst immer nur rüpelhaft sein. Es ist -wirklich schade, wenn ein Mensch aus guter Familie -zu uns kommt. -</p> - -<p> -Ruth sprang auf: – Ich glaube, ihr wißt alle nicht, -wer Vater war. -</p> - -<p> -Und sie drehte Vaters Photographie an der Wand um. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag suchte Ruth ein junges Mädchen -auf, dessen Verkehr ihr von Mutter streng verboten -war. Sie hatte sie in einer Nähschule kennen gelernt. -Das junge Mädchen hatte grellrote Haare, die sie zu -hoch hinaufgesteckt trug. Sie lebte mit ihrer Mutter in -einem schäbigen Vorstadthaus, aber in der Wohnung -waren viele Teppiche und Erker mit heimlichen Palmen. -Sie verkehrten nur mit Offizieren. -</p> - -<p> -Ruth traf Mutter und Tochter, wie sie sich eben -manikürten. Sie wurde mit überströmender Liebenswürdigkeit -empfangen. Aber sie haßte manikürte Nägel, -die rund und glatt sind, wie Klauen von Tieren. So -<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> -war sie kühl, obwohl sie sich vorgenommen hatte, -herzlich zu sein. Als Bella sich an den Toilettetisch setzte, -wo die vielen silberglänzenden Schächtelchen waren -und die rote Lampe darüberhing, bekam sie eine tolle -Lust, mitzutun. Sie schmierte sich rotes, weißes, gelbes -Puder vermischt über das Gesicht, bis Bellas Mutter -in einen Lachkrampf ausbrach und sie in die Arbeit nahm. -</p> - -<p> -Als sie sich dann in dem Spiegel betrachtete, von -der Seite her und verlegen vor sich selber, war das -genau so, wie wenn sie sich vor Jahren mit Marthas -Garderobe zur Jungfrau von Orleans drapiert hatte. -Das war ja herrlich, so ganz jemand anderer zu sein, -als man wirklich ist. Verlockend und spielerisch. Maske. -Ein bißchen wie der liebe Gott mit dem weißen Bart. -Nur daß die Schminke rot war. -</p> - -<p> -Und alle Lampen in diesem Haus waren rot. Sie -fiel Bella um den Hals und beide tanzten durch das -Zimmer. -</p> - -<p> -Dann kamen drei Herren. Zwei Offiziere und ein -Theaterdirektor. Sie saßen in einem halbdunklen Raum -und tranken Tee aus winzigen Tassen. Der Zigarettenrauch -war klebrig schwer. Man konnte nicht mehr -sehen, daß die Wände überfüllt waren mit Photographien, -Bilderchen nackter Engel und trockenen Maiskolben. -</p> - -<p> -Aber es war sehr lustig. Direkt gemütlich. Ruth -fühlte sich wunderbar wohl. Sie spielte ihre Rolle, als -ob sie ihr von dem liebenswürdigen Theaterdirektor -eigens einstudiert worden wäre. Eigentlich wußte sie -nicht genau, ob nicht daneben ein Orchester spiele mit -<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> -kreischenden Fiedeln und ein Boy unter ihr Perolin -aufsprenge. -</p> - -<p> -Ein Leutnant mit etwas herunterhängender Unterlippe -setzte sich an das Klavier und spielte eine abscheuliche -Melodie. Bella sang dazu ein schmieriges -Lied. Dann setzte sie sich auf seinen Schoß und er -küßte sie. Er hatte große, schwarzgerauchte Zähne. -Ruth dachte an Norbert. Ekelhaft. -</p> - -<p> -– Ich muß nach Hause gehen. O man war sehr -betrübt darüber. – Aber ich komme bald wieder. Und -Ruth setzte sich den Hut schief in die Stirne hinein -und quer über ihr gerötetes Gesicht. -</p> - -<p> -Auf der Straße verfolgte sie ein Mann bis in -ihr Haus. -</p> - -<p> -Bei Mutter war Besuch. Eine Freundin Mutters mit -drei unverheirateten Töchtern. Die alte Frau machte -eine verwunderte Bemerkung, daß Ruth so spät abends -allein nachhause käme. Die drei Schwestern schielten -eigentümlich auf den schiefsitzenden Hut. Und die -Älteste öffnete den Mund, um etwas Boshaftes zu -sagen. – Da ging Ruth aus dem Zimmer. Ihr war ja -so übel. -</p> - -<p> -Bella war glücklich. Die drei Mädchen da drinnen -zankten sich alle Morgen. Gingen dann einträchtig den -ganzen Vormittag Einkäufe machen für ihre unbedeutende -Wirtschaft. Trafen bei dieser Gelegenheit Bekannte, -die sie grüßten, mit denen sie sprachen. Nie ging eine -allein auf der Gasse. Immer waren sie zu zweit oder -zu dritt und gewöhnlich war die Mutter zwischen ihnen. -</p> - -<p> -<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> -Sie warteten ihr ganzes Leben, daß einer käme. -Aber einer, der vornehm war. Eigentlich war es dasselbe -wie bei der Prinzessin im Märchen. Und sie, Ruth, -wartete auch. Nur daß sie so gar nicht wußte auf was. -Bella war glücklich. Die hatte alle Tage ihren Leutnant. -Aber der hatte schwarze Zähne. -</p> - -<p> -Martha war arm. Doch sie hatte einen Gott. Der -saß an erster Stelle in einem hohen Amt. Vielleicht -hatte er auch einen weißen Bart. Sie, Ruth, hatte keinen -Gott mehr. Sie war wie Gustavs namenloser Hund. -Aber sie konnte selbst eine Maske anziehen. Gott -werden für Bella, für den Leutnant, für den Theaterdirektor. -Vielleicht auch für Mutter. Es war eine Bosheit, -wenn sie es nicht tat. Ach, wozu so viel denken, überhaupt, -lieber Masken tragen und ganz anders sein – -und schlafen – sie streckte sich lang aus in ihrem zu -kleinen Bett ... -</p> - -<p> -In der Nacht träumte sie von einem breitästigen -Baum voll dichter, gelbwelkender Blätter und rosa -Riesendolden. Sie stand auf der Brücke und der Baum -war weit draußen in einem dunkelglatten See. Aber -hinter ihm stieg ein Berg auf mit beschneiten Tannen -und die Luft war bleich, wie im Winter. Der Baum -hing voll schwerer rosa Blütendolden. Über die Brücke -kam Mutter mit ihren gierig fordernden Bewegungen, -die immer alles haben wollten und deshalb so ungeheuer -armselig waren. Hinter ihr ging Martha in einem rosa -Ballkleid. Aber die Augen waren geschlossen und die -Wangen gelb. Ruth stand auf der Brücke und sie war -<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> -ganz klein, hatte kurze weiße Socken an, ein weißes -Matrosenkleid mit hellrosa Kragen. Oben auf dem Berg -begann es sicher zu schneien. Und Mutters Haare -waren weiß. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag brachte Norbert eine Einladung -seiner Mutter für die ganze Familie. Zu einer kleinen -Gesellschaft, wie er leichthin sagte. Dabei sah er Ruth -an. Ruth sagte: – Ich gehe nicht in Gesellschaft. -</p> - -<p> -Aber nachher mußte sie gehen. Sie war die Jüngste -und mußte Martha begleiten. Das sah so am besten -aus. Mutter ließ ihr Abendkleid herrichten und kaufte -Lederhandschuhe und Seidenstrümpfe. Da fand Ruth, -daß die Sache eigentlich doch dafür stehe. Sie setzte -sich vergnügt auf den Tisch und probierte die Seidenstrümpfe -an. Richard kam in das Zimmer. Mutter rief: -– Ruth, schämst du dich nicht. – Nein du hast sie mir -ja gekauft, damit man sie sehen soll. -</p> - -<p> -Sie machte einen langen Spaziergang durch Kot -und Regen und erklärte dann, die Strümpfe seien zerrissen -und schmutzig, einfach unbrauchbar. Und sie -ging ohne Seidenstrümpfe zu Norberts Eltern. -</p> - -<p> -Norberts Schwester war ein halberwachsenes Ding -mit zu kurzer Oberlippe und vornehm tiefer Stimme. -Sie grinste allen Gästen zu und war übertrieben freundlich -mit einer unscheinbaren, dicklichen Freundin. Der -Salon war verschnörkelt, Gold in braunem Holz, -mindestens drei überflüssige Tische standen da und in -der Ecke hing ein großer Makart. Sonst unzählige -<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> -Photographien in kostbaren Rahmen und konventionelle -Geschenksvasen. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Ich möchte wissen, wer in diesem -Raum zuhause ist. Norbert nicht, er tut nur so, wenn -er die Zigaretten anbietet. Sonst aber paßt er noch -besser an unser Klavier. Und seine Mutter auch nicht. -Was für eine proletarisch dicke Nase sie doch hat und -der lose, ungebändigte Mund – nein, die habe ich -mir ganz anders vorgestellt. Aber sein Vater hat einen -eleganten, schneeweißen Scheitel. Und das ist auch alles. -</p> - -<p> -Norberts Braut kam zu ihr und war besonders -freundlich. Sie war ein hübsches, liebes Mädchen mit -gerader Nase und langen, hellgrauen Augen. Ruth fand, -daß Norbert einen sehr vernünftigen Geschmack habe. -Ihr gelblicher Spitzeneinsatz paßte wunderbar zu seiner -grauen Weste. -</p> - -<p> -Ruth merkte wohl, daß man sie wie ein kleines -Tier aus der Menagerie betrachtete. Weil ihr Kleid -keinen Kragen hatte und die Haare eigenwillig um die -Stirne herumstanden. Norberts Freunde schauten ihm -eigentlich alle ähnlich. Lauter Menschen, die man erst -monatelang sehen muß, um zu wissen, wie sie aussehen. -Wenn man denen allen die Hände abschneiden wollte, -man könnte die einzelnen Paare durcheinander werfen -und sie wären nicht zu unterscheiden. Wie alle ihre -Krawatten und Handschuhe. Ruth lachte bei dem Gedanken -und wollte gähnen. -</p> - -<p> -Da kam ein Leutnant zur Tür herein mit herabhängender -Unterlippe und dunklen Zähnen. Um Gotteswillen, -<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> -was wollte der hier. Den hatte sie ja bei Bella -getroffen. Nur daß er heute im Waffenrock war und -ganz frisch rasiert. -</p> - -<p> -Er wurde mit Jubel begrüßt. Norberts Vater -schüttelte ihm beide Hände. Er lächelte nach allen -Seiten auf einmal. Aber vor Ruth verbeugte er sich -dunkelrot vor Bestürzung. Sie sagte strahlend: – Uns -brauchen sie einander nicht vorzustellen, Norbert, wir -kennen uns schon. -</p> - -<p> -Ruth war nicht mehr schläfrig. Ein Interesse, daß -sie erwachen gefühlt hatte, als sie mit Bella und deren -Freunden Tee trank, trieb sie unter die Leute. Sie -schwatzte. Aber dabei verfolgte sie fortwährend den -Leutnant. Er wich ihr aus. -</p> - -<p> -Man bat den Leutnant stürmisch, etwas auf dem -Klavier zu begleiten. Neueste Chansons. Norberts Braut -sollte singen. Sie hatte doch so eine entzückende, kleine -Stimme. Aber er wollte heute nicht. Ruth trat vor und -sagte, liebenswürdigst lächelnd, während ihre grünen -Augen forderten: – Du mußt – Spielen Sie doch das -von dem kleinen Hotel, Sie wissen schon. -</p> - -<p> -Und er trat vor und spielte es. Ja, spielte, was -er bei Bella gespielt hatte, was Bella gesungen hatte. -Und – war denn das möglich? War das möglich, daß -Norberts Braut dazu sang mit ihrer zarten Mädchenstimme, -diese Worte? War es möglich, daß man rasend -Beifall klatschte und Norberts Mutter duldsam lächelte, -während sein eleganter Vater sich köstlich unterhielt? -Nein, da war etwas, worüber man nachdenken mußte. -</p> - -<p> -<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> -Ruth setzte sich in eine Ecke. Gleich darauf kam -der Leutnant. Er redete schlüpfrige Dinge und nahm -ihre Hand. Sie ließ ihn gewähren, sie war interessiert, -brennend interessiert. -</p> - -<p> -– Sagen Sie Herr Leutnant, singt man dieses Lied -jetzt überall? – Ja, es ist sehr beliebt. – Ach, ich -dachte, das singt nur Bella. Es ist abscheulich. – -Gnädiges Fräulein scheinen sehr streng zu sein. – O -nein, ich hasse nur schlechte Musik. -</p> - -<p> -Der Leutnant redete weiter. Dinge, süß wie zerlaufener -Tortenüberguß und prickelnder Champagner. -Eigentlich hatte er eine hübsche Nase und schöne -Augen mit klugen Wimpern. Wenn nur der Mund nicht -so schmierig gewesen wäre. -</p> - -<p> -Sie sprachen von dem Makartbild. Der Leutnant -behauptete, in Norberts Zimmer hänge ein noch viel -schöneres. Sie möge ihm doch folgen. Nein, dachte sie, -ich bin doch zu neugierig. Und sie ging mit ihm. Aber -sie ballte die Fäuste. -</p> - -<p> -Die Gesellschaft hatte sich zerstreut. Der Leutnant -führte sie durch ein dunkles Zimmer in Norberts Zimmer. -Er zündete kein Licht an. Und küßte sie. -</p> - -<p> -Ruth dachte in der Sekunde: Norbert – wie er -mich liebt – sein Zimmer – die Braut – das Lied – -also so ist das – aber die schwarzen Zähne – so ist -das – Dabei schlug sie dem Leutnant mit der Faust -ins Gesicht. -</p> - -<p> -Er schrie auf, halblaut. Dann flüsterte er: – Gehen -Sie, gehen Sie rasch. – Sie sagte: – Grüß Gott, Herr -<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> -Leutnant und ging wieder in den Salon. Auf ihrer -Hand war ein Blutfleck. Den wischte sie sorgsam ab -in einem hellblauen Seidenvorhang. Dann mischte sie -sich unter die jungen Mädchen. -</p> - -<p> -Norbert kam und legte den Arm um seine Braut. -Man sprach von Musik. Ruth sagte: – Onkel Gustav läßt -Sie grüßen. Er hat eine ganze Menge Noten für Sie -bei uns liegen lassen. Norberts Braut fragte interessiert: -– Wer ist das? Ist das der sagenhafte Künstler, der so -wunderbar Mozart spielt und den man niemals zu sehen -bekommen kann. -</p> - -<p> -Norbert war dunkelrot. Ruth sah ihn aufmerksam -an und sagte: – Er hat heute nicht kommen können, -weil er keinen reinen Kragen gehabt hat. Übrigens ist -er kein Künstler, nur Zeichenlehrer an einer Mittelschule. -Aber er ist mein Onkel. -</p> - -<p> -Norbert ging den Leutnant suchen. Er kam bestürzt -wieder. Der Leutnant habe heftiges Nasenbluten und -liege auf dem Sopha in seinem Zimmer. Ruth schlich -sich an Norbert heran: – Norbert, Sie dürfen niemanden -etwas sagen, aber ich muß mir die Hände waschen. – -Jetzt gleich? – Ja, aber schweigen Sie. -</p> - -<p> -Norbert führte Ruth in das Badezimmer. Sie standen -sich gegenüber in dem weißgekachelten, grellen Raum, -der voll heißem Dunst war. Ihre Haare verdeckten die -grünen Augen, so dicht hingen sie in die Stirne. Sie -sah ihn an. – Wo ist heißes Wasser, ich möchte sehr -heißes Wasser. – Hier, aber was ist Ihnen, was haben -Sie? – Sehen Sie den Fleck da auf meiner Hand. -<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> -Ich habe mich zuvor schon in einen Vorhang gewischt: -Blut ist es. Vom Nasenbluten von ihrem Freund da. -– Ruth, nein. – Doch, soll ich Ihnen den Vorhang zeigen? -Im Salon rechts. Er hat mich geküßt in ihrem Zimmer -und dann hat er auf einmal Nasenbluten bekommen. – -Nein. -</p> - -<p> -Er hatte sich abgewendet und seine hohe, zu -gerade Gestalt wurde klein und verschwand im feuchtschweren -Dunst. Aber irgend etwas stöhnte in dem -Badezimmer. -</p> - -<p> -Ruth wusch sich die Hände mit einer Bürste, daß -das Wasser sprühte. – Sie sollten Ihre Braut nicht -solche Lieder singen lassen. -</p> - -<p> -Er schwieg. Und nach einer Weile: – Überhaupt, -was Sie für Freunde haben. Schämen Sie sich. -</p> - -<p> -Norbert wandte sich nicht um. Sie fühlte eine -warme Welle um ihre Füße spielen, weich und kosend, -die sich doch nicht traute, höher zu steigen. Er hielt -den Kopf gesenkt. Sicher war er ganz rot. Warum -schlug er sie denn nicht? -</p> - -<p> -– Norbert, schauen Sie mich doch an, ob ich -auch ganz rein bin. Er richtete seine hundetreue dunklen -Augen auf sie, langsam, verzweifelnd, ergeben. – Auf -Ihrem Schuh ist auch ein Fleck, Ruth. – Ach, was -soll ich jetzt tun? Mich wieder beklexen? -</p> - -<p> -Er kniete nieder und putzte ihr mit einem nassen -Handtuch den Schuh, sehr sorgsam. Sie sah auf ihn -herab und fühlte: immer habe ich gewünscht, es soll -mir jemand Liebesgedichte machen. Aber das ist ja -<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> -viel mehr. Und doch ist es furchtbar. Soll ich ihm -sagen, daß ich den Leutnant geschlagen habe, oder -soll ich ihn küssen, auf den braven Scheitel da – ach, -Christus, hilf mir – -</p> - -<p> -Da war Norbert fertig und sie gingen rasch wieder -in den Salon. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag kaufte sie ein paar japanische -Nelken und erwartete Norbert vor seinem Amt. – Ich -muß Sie sprechen. – Ruth, ich werde Sie nach Hause -begleiten. – Dort nicht, gehen wir in ein Kaffeehaus, -ich will allein sein. – Nein aber – was würde Ihre -Mutter sagen. – Dann auf Wiedersehen ... – Halt, -Ruth, so bleiben Sie doch. -</p> - -<p> -Sie gingen zusammen in ein Kaffeehaus. Er schielte -ängstlich auf alle Tische. – Da, nehmen Sie die Nelken, -sie gehören Ihnen. – Mir, nein ich verstehe Sie nicht, -wie können Sie nur ... – Wahrscheinlich ist das auch -nicht schicklich, aber nehmen Sie. -</p> - -<p> -Ruth sah über das nüchtern glatte Kaffeehaus, wo -eben die ersten elektrischen Flammen angezündet wurden. -Und wütend dachte sie: Herrgott, wenn ich nur eine -Ahnung hätte, was ich dem Kerl habe sagen wollen. -Nein, so was Dummes. -</p> - -<p> -Sie aß drei Portionen Eis nacheinander und er sah -sie schweigend an. Dann sagte er: – Sie müssen nicht -kleinlich von mir denken, weil ich nicht in ein Kaffeehaus -gehen wollte. Aber Ihre Mutter – und ich bin -doch auch verlobt. Aber Ruth, vielleicht wird das jetzt -ganz anders werden – -</p> - -<p> -<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> -– Norbert, sprechen Sie nicht weiter, o bitte, -gewiß nicht, Sie wollen eine riesige Dummheit -sagen – -</p> - -<p> -– Ruth, Sie wissen doch alles – -</p> - -<p> -– Nein, ich weiß nichts, gar nichts. Nichts, -Norbert. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir gestern -den Schuh geputzt haben. Deshalb die Nelken. Und -im übrigen – ja, im übrigen, ich wollte Sie dringend -bitten, sich Onkel Gustavs etwas mehr anzunehmen. -Er hat eine schwere Bronchitis und liegt mutterseelenallein -in seiner Dachkammer. Außerdem: er liebt Sie, -weil Sie so elegant sind. Nicht wahr, Norbert, Ihr Großvater -war doch Minister – eigentlich könnten wir jetzt -die Sitzung aufheben. -</p> - -<p> -Ruth besuchte Onkel Gustav noch an diesem -Abend. Er lag in seinem ungeglätteten Bett. Neben -seinem Kopf ein Öllämpchen und auf dem Boden davor -der Hund. Der Hund war auch krank und hatte das -Zimmer beschmutzt. -</p> - -<p> -– Onkel Gustav, wie kannst du das aushalten? -Sie riß das Fenster auf. Er hustete furchtbar. – Gib -doch den Hund weg, wenn er krank ist. – Nein Ruth, -daß du so etwas sagen kannst. – Ich verstehe überhaupt -nicht, wie man sich einen Hund halten kann. Es -ist doch immer etwas Schmieriges im Zimmer. Ein Tier, -mir graut vor allen Tieren. Schau nur die Schnauze, -lang, spitz, mit den langen, spitzen Zähnen. Die ist -doch zum Beißen da. – Ruth, weißt du, daß du mir -weh tust? ... Onkel Gustav richtete sich im Bett auf -<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> -und seine großen, runden Kinderaugen glänzten noch -mehr als sonst ... Natürlich ist es nur ein Tier. Aber -er hat mich lieb. Weißt du, was das ist? O, vielleicht -hast du es noch nie gebraucht. Ich will ja auch nicht -seine Schnauze haben. Aber da ist eine große Treue -neben mir, wenn ich so im Bett liege. Ein großes -Gefühl. Du glaubst ja nicht an Gott, Ruth. Ich auch -nicht. Aber an ein so großes Gefühl. Deshalb ziehe ich -auch ruhig den Hut vor einer Kirche. -</p> - -<p> -Ruth sah auf die Schmutzpfütze des Hundes mitten -im Zimmer und dachte: Nein, daß Norbert sich dazu -hergegeben hat mir das Blut von dem Schuh zu wischen, -mit einem Handtuch – wie ekelhaft. -</p> - -<p> -Martha unterrichtete jeden Tag von acht bis ein -Uhr die Kinder der guten Familien. Verstimmt kam -sie zum Mittagessen nach Hause. Ruth versuchte nie -mehr, mit ihr gut zu sein. Auch nicht, Mutter das -Streiten mit Martha abzugewöhnen, da hätte sie viele -Vasen zerbrechen müssen. Und sie erkannte mit -schauderndem Entsetzen, daß alles Mitleid zu Verachtung -wird, wenn es der Alltag abnützt. Da hilft kein Verstehen. -</p> - -<p> -Bella suchte sie nie mehr auf. Wozu noch – -</p> - -<p> -Norbert kam Mittwoch und Samstag zum Mittagessen. -Eines Tages traf sie ihn auf der Straße, eingehängt -in seinen Freund, den Leutnant. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-9"> -<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> -Brand -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">A</span><span class="postfirstchar">ls</span> Ruth das nächstemal Onkel Gustav besuchte, -stand ein Mensch beim Fenster. Dessen grobe, breitästige -Knochen preßten das Zimmer zusammen, ließen -die Frühdämmerung nicht herein. Und von seinem -Hinterkopf hingen die Haare kurz und strähnenglatt -herunter. -</p> - -<p> -Onkel Gustav hustete so furchtbar, daß Ruth -Schleim und Blut vor sich tanzen sah. -</p> - -<p> -Als der Fremde seine ungelenk hohe Gestalt rasch -umwendete, war ihr, als fiele ein ungeheurer Knochenhaufen -in sich zusammen und zersplittere auf dem -Boden, steinhart. -</p> - -<p> -Onkel Gustav hustete. Blut und Schleim. Er konnte -nicht sprechen. Der Mensch verbeugte sich linkisch -hochmütig vor Ruth, murmelte etwas und ging fort. -</p> - -<p> -– Wer war das? fragt Ruth, als Onkel Gustav -wieder still und erschöpft da lag. – Ein Freund von -mir, du kennst ihn nicht. – Wie heißt er? – Thomas. -– Und noch? – Wozu willst du das wissen? – Ich -bin eben neugierig, warum Mutter nicht wissen darf, -daß er zu dir kommt. – Das ist abscheulich von dir. -Das sagst du nur um mich zu kränken. Jeder Mensch -darf zu mir kommen, ich bin doch kein kleines -Kind ... Er begann wieder zu husten. -</p> - -<p> -<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> -– Sei ruhig, Onkel Gustav, ich war wirklich nur -neugierig. Weil er mir gefällt, dieser dein Freund oder -was er ist. – Er ist mein Freund. Ruth, wenn du den -kennen würdest, wirklich kennen. – Wie verhält sich -Norbert zu ihm? – Er hat ihn noch nicht gesehen. – -Ach so ... Gustav hustete wieder und Ruth stand -auf, um fortzugehen. – Was ist das für ein Ungeheuer? -Sie nahm eine in graue Sackleinwand gebundene Riesenmappe, -die auf dem Tisch lag. – O weh, die hat -Thomas vergessen. – Dann wird er sie wohl holen. -Ruth wollte sich wieder setzen. – Nein, er vergißt -bestimmt ganz daran, und wenn er morgen in die -Schule geht, hat er keine Hefte. Und wieder Unannehmlichkeiten. -– Weißt du was, ich möchte sie ihm -bringen. Ich will sowieso noch spazieren gehen. – -Nein, Ruth, das geht nicht – Onkel Gustav richtete -sich ganz entsetzt auf – das kannst du nicht, nein -wirklich nicht, auch ist es viel zu weit, er wohnt ganz -draußen in der Vorstadt. – Das macht mir gar nichts. -</p> - -<p> -Ruth hatte die Mappe schon unter dem Arm: – -rasch, die Adresse. Onkel Gustav hustete und sagte -dann den Namen von Mutters ehemaliger Friseurin. -Ruth lachte schrill: – nein, mit was für Leuten du -verkehrst ... und sie sprang über die Stiegen. -</p> - -<p> -Die Luft war weich und frühlingshaft schwer. Wie -um Mitternacht im Mai. Aber die kahlen Bäume waren -herbstmatt und ergeben. -</p> - -<p> -Ruth lief durch die dunklen Gassen und fühlte, -wie sie mit jedem Schritt in das Ungewisse hineintrat. -<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> -Das weich und nachgiebig war wie ein verprügelter -Hund. Und doch lockte und zog. -</p> - -<p> -Sie wollte den nacktsträhnigen, groben Kopf nicht -berühren, nein, niemals, o um Gotteswillen nicht. Onkel -Gustavs Husten schrie ihr nach. Ganz arme übermüdete -Pferde hatten solche schwer hervorspringende -Knochen. Deren Kraft um Mitleid schreit. Während die -Muskeln zu schlaff sind, das Gerüst zu tragen. -</p> - -<p> -Nein, sie konnte nicht weiter. Eine wütende Angst -hielt sie zurück, sie könne einem Kutscher begegnen, -der seine Pferde prügelt, erbarmungslos über die -steinige Straße, brüllend, schimpfend, fluchend und mit -der Peitsche. -</p> - -<p> -Nein, sie wollte nicht weiter. Wie kam sie auch -dazu, einem fremden Menschen seine Sachen in das -Haus nachzutragen. Sie wird das Mappenungeheuer -in einen Straßengraben werfen. Oder doch vielleicht -zuerst hineinsehen – ja, zuerst hineinsehen. -</p> - -<p> -Ruth ging in ein kleines Kaffeehaus, wo ein paar -Dienstmänner und Kutscher Karten spielten. Sie setzte -sich in eine halbdunkle Ecke und schämte sich. Bei -einer unanständig dicken Kellnerin bestellte sie Tee. -Und war verzweifelt über die schmierig braune -Marmorplatte. -</p> - -<p> -Aber die Mappe. Ein armseliger zerbissener Bleistift -rollt heraus. Und dann Schulhefte der dritten Volksschulklasse. -Immer mehr Schulhefte. In jedem beginnt -die Aufgabe: Alle Haustiere ... -</p> - -<p> -<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> -Ruth schließt die Mappe. Den Bleistift steckt sie -zu sich. Sie muß Thomas seine Hefte bringen. -</p> - -<p> -Sie trat in das Ungewisse. Es wich und lockte. -Und die Nacht war ganz dunkel. -</p> - -<p> -Das einstöckig verkrochene Haus lag weit draußen, -am Rand der ersten fahlen Fabrikswiesen. Gelbrötliches -Licht träufelte aus seinen niedrigen Fenstern. Das -Ungewisse war nah und furchtbar. -</p> - -<p> -Eine fremde Wohnung suchen ist entsetzlich. Wie -leicht läutet man bei fremden Menschen an und die -sind dann böse. Und eigentlich war Thomas sogar -auch ein fremder Mensch. -</p> - -<p> -Ein grünblasser Proletarierbub mit abstehenden -Ohren öffnete Ruth die Türe. Es roch nach aufgewärmtem -Essen. Im Zimmer war eine Nähmaschine. -Darauf eine Petroleumlampe. Ein Mensch bei der Nähmaschine, -in der Nähmaschine, ein Stück der Nähmaschine, -in sie hineinverwachsen, bucklig verkrümmt, -eng. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Wieder weg, gleich – -</p> - -<p> -Da kam Thomas herein in blaugestreiften Hemdärmeln. -Sie stotterte etwas, dunkelrot, besinnungslos -verlegen. Der blasse Bub glotzte sie an. Thomas -Schwester steckte den Kopf aus ihrem Buckel heraus. -Er selbst war gar nicht erstaunt. Sagte fast grob: -danke. Sie bemerkte, daß ihm ein großer Augenzahn -fehle, daß eine schmutzige Unterhose auf dem Sessel -neben ihr lag. Ihr ekelte wild. -</p> - -<p> -<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> -Eine Stimme, die weich war, wie die laue Nacht -draußen, sagte: – Bleiben sie doch noch ein wenig und -ruhen Sie sich aus. Sie sind ja ganz erhitzt. -</p> - -<p> -Das bucklige Ungeheuer. Ruth hätte ihr die zu -langen, kranken Hände küssen wollen. -</p> - -<p> -Thomas und sein Bruder waren hinausgegangen. -Die Nähmaschine ruhte. Und die Petroleumlampe war -noch heruntergeschraubt. -</p> - -<p> -Thomas Schwester hatte stechend graue Augen -mit müden Lidern. Sie sprach von Onkel Gustav wie -von einem Halbgott und fragte sehr viel. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Der große, schwarze Kasten in der -Ecke dort schaut Thomas ähnlich. Er ist schön und -mächtig, aber was da nur drinnen hängt. Ich möchte -meine Kleider nicht hineingeben. Wie es hier riecht – -nach Baumwollstrümpfen, die nicht gewaschen werden. -</p> - -<p> -Thomas Mutter schlürfte herein. Sie hatte rote -Wangen, als ob sie früher einmal geschminkt gewesen -wäre und war furchtbar häßlich. Sie begrüßte Ruth -als alte Bekannte und stellte graue Teller auf den ungedeckten -Tisch. -</p> - -<p> -Thomas kam wieder in das Zimmer und schien -sehr unzufrieden, daß Ruth noch da war. Sie sprang -auf. Er begleitete sie vor die Haustüre, hinten im Hof -bellte der Hund. Sie gab ihm die Hand und ihr war, -als ergreife sie einen toten Knochen. -</p> - -<p> -– Ich danke Ihnen, sagte Thomas mit seiner zerbrochenen -Stimme. – Aber wir müssen jetzt zu Abend -essen. Unser Petroleum reicht nur bis halb zehn. -</p> - -<p> -<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> -Sie hielt seine Hand noch fest und sah nur, wie -er mit der anderen Hand an den Hals griff, der -Daumen stand eigentümlich scharf weg wie die Klinge -eines Messers. -</p> - -<p> -Ruth wußte, als sie nach Hause ging: Thomas -kann als kleines Kind keine Milch bekommen haben. -Nur zähes Fleisch von wilden, geschlachteten Tieren. -Und sie sah während des Abendessens fortwährend -auf Richards Hände, die wohl noch nie ein Tier -geschlachtet hatten. -</p> - -<p> -Die kleine Weißnäherin Gertrud ließ sich den -ganzen Abend durch von ihrer Mutter Ruths erste -Kindheit schildern. Damals war die Friseurin oft in das -Haus gekommen, o ja und die gnädige Frau hatte -Perlen, eine endlose Kette hinunter. Ruth lag immer -schon in ihrem weißlackierten Gitterbettchen und -steckte die frischgebadeten Fingerchen durch das Netz. -Und die gnädige Frau erzählte von Paris, immer von -Paris, sie hatte auch Pariser Parfüm. -</p> - -<p> -Die Wangen der alten Friseurin glänzten wie -frisch geschminkt. Gertrud fuhr mit feuchten Händen -über die Tischplatte, daß große nasse Flecken auf dem -Holz zurückblieben. Thomas starrte in seinen Teller -und hielt mit aufgestützten Armen Gabel und Messer, -kampfbereit. – Was habt ihr mit den fremden Leuten, -grollte er. -</p> - -<p> -Gertrud sagte: – Das Leben. Ihre ermüdeten Augen -starrten an ihnen vorbei. Sie empfand in diesem Augenblick: -Nach Paris reisen – in der Bahn liegen, einen -<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> -zärtlichen Atem neben sich – genießen – oder: -ganz klein sein und in einem weißen Gitterbett liegen -mit geraden Gliedern, die wachsen dürfen. -</p> - -<p> -Gertruds Buckel war das Nest eines Vampyrs. -Brut und Beutestatt. Alle unerlebten Träume, alle -schäbigen Wirklichkeiten der Mutter steckten darin. -Thomas’ Schulstunden. Und die Reißbretter des kleinen -Bruders, der in die Realschule gehen durfte und -ein zufriedener Techniker werden sollte, werden -mußte. -</p> - -<p> -Aber es war noch viel mehr in Gertruds Buckel. -Ihre spinnenlangen, blauadrigen Finger nähten und -trennten eigentlich gar nicht den ganzen Tag. Sie -tasteten zum Fenster hinaus über die Rücken der -Vorübergehenden nach neuem Leben. Und die -schwangere Nachbarsfrau, die alle Tage sich erbrach -und heulte, daß man es genau hören konnte, trug ein -Kind, dessen Schicksale sie schon im Voraus empfand, -wie ein hohes Glück. -</p> - -<p> -Gertrud schätzte den Wert ihres erwürgten Lebens -wie ein Sterbender den letzten Atem. Seligkeit war die -erste Morgensonne, die ihr in den dünnen Kaffee -schien. Seligkeit der graue Tag voll wuchernder -Gedanken. Sie nähte schöne Hemden, schmeichelnd -glatte, aus Leinenbatist, aus Seide. Seligkeit, die anziehen -zu dürfen. Seligkeit, alle Tage in die Schule -gehen zu dürfen und hundert schmutzige Kinder zu -unterrichten, wie Thomas. Welche Betätigung der -eigenen Kraft. Wie herrlich für ihn, daß er sie alle -<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> -erhalten durfte und es dem kleinen Bruder ermöglichen, -etwas besseres zu werden – das war Menschenglück. -</p> - -<p> -Thomas’ Schulkinder saßen Nachmittage lang an -Gertruds Nähmaschine. Sie erzählte ihnen vom lieben -Gott und ratterte und nähte. Die Kinder waren -zufrieden. Hier war jemand, der nichts von ihnen -wollte. So streuten sie ihr das kleine, schmutzige -Leben willig in den Schoß. Das sie nicht verstand und -doch aufsaugte. -</p> - -<p> -Thomas merkte nichts davon. Er hielt Gertrud für -eine Heilige. Denn sie liebte und stützte die verkommene -Mutter, den tuberkulosen Bruder. Er wußte, -daß, wenn sie eines abends nicht da wäre, die fettige -Petroleumlampe nicht mehr brennen könnte, auch nicht -bis halb zehn. Und dann wäre alles aus. -</p> - -<p> -Sie war die Liebe, und er beugte sich vor ihr. -Aber er glaubte nicht an die Liebe. Er glaubte an -das Wort. -</p> - -<p> -Das Wort war in ihm und in ihm war die Welt. -Sprechen können – dann müßte sein ungebadeter -Körper rein werden. -</p> - -<p> -Er verbesserte alle Abende bis halb zehn Uhr die -Schreibübungen der Kinder. Und dann mußte das -Licht gelöscht werden. Zwei bis drei Hefte blieben -noch zurück für den blassen Morgen. Aber daran war -nichts zu ändern. -</p> - -<p> -Ruth empfand es in den nächsten Tagen zum -erstenmal in ihrem Leben als peinlich mit entblößtem -Hals herumzugehen. Sie legte sich einen alten Pelz -<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> -von Martha um, der nach Kampfer roch und kitzelte. -Und sie dachte: es müßte gut sein, zu wissen, daß -man nie mehr im Leben einem Mann die Hand gibt. -Was das nur ist, fremde Knochen – ach nein, -entsetzlich. -</p> - -<p> -Sie wollte nie mehr zu Thomas gehen. Wegen -seiner Mutter. Was für struppige graugelbe Haare die -hatte, diese Friseurin. Und dann, sie hatte das kleine, -bucklige Ungeheuer in die Welt gesetzt. Wie konnte -man so etwas verbrechen. Wenn ich Christus wäre, -ich müßte zum Fenster hinausspringen nur weil Gertrud -lebt, dachte Ruth. Und ekelte sich vor Thomas riesengroßer -Zahnlücke. -</p> - -<p> -Eine Woche später war Ruth wieder bei Thomas. -An dem ersten, kalten Wintertag, der ohne Schnee -war, aber ganz voll Dämmerung. Die Nähmaschine -ratterte. Thomas stand in der hintersten Ecke, bei dem -winzigen Eisenofen. Er hatte den Deckel zurückgeschlagen -und die roten Flammen verzerrten seine -knochigen Züge. – Ich komme Ihnen erzählen, daß -es Onkel Gustav sehr schlecht geht. – So. -</p> - -<p> -– Ja ich komme Ihnen das erzählen, Sie sind doch sein -Freund, oder nicht? – -</p> - -<p> -Thomas ging in das Nebenzimmer. Ruth dachte -wütend: Eigentlich könnte ich ja zu Norbert gehen. -Gertrud blickte sich interessiert um. Da ging Ruth -ihm nach. -</p> - -<p> -In seinem Zimmer standen zwei graue Eisenbetten. -Und zwei eiserne Bücherregale. Und ein eiserner Ofen. -<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> -Der Tisch war mit verschmierten Schulbüchern verdeckt -und geometrischen Zeichnungen von dem Bruder. -Nichts in diesem Raum gehörte Thomas. Nur seine -eigenen massigen Knochen. -</p> - -<p> -Er starrte an ihr vorbei mit stumpfen toten Augen. -Er sieht mich nicht, klagte Ruth, er sieht mich nicht, -jubelte Ruth, er sieht mich nicht, er sieht überhaupt -nicht heraus, er sieht hinein. Und sie bemerkte, -daß sein proletarisch hoher Kopf aristokratisch lange, -leidende Schläfen hatte. -</p> - -<p> -– Was machen Sie eigentlich da, fragte Ruth -und sie setzte sich auf den Tisch, mitten in die -Zeichnungen des Bruders und baumelte mit den Beinen. -Den kahlen Wintermantel knöpfte sie auf. Und sie -nahm sich vor, den stickigen Dunst ganz in sich einzusaugen -und aus allen Poren wiederzugeben, dann -müßte er sie spüren. -</p> - -<p> -Thomas ging hin und her, ohne sie noch einmal -anzusehen. – Höflich sind Sie nicht, lachte Ruth. – -Er blieb vor ihr stehen. – Wozu auch. Glauben Sie, -ich kann nicht, wenn ich will. Aber warum. -</p> - -<p> -Ruth dachte: Ich kann die Luft herinnen doch -nicht so leicht einatmen. Sie zerdrückt mir die Lunge. -Sie ist zu schwer. Schwer wie Thomas’ Knochen, oder -noch schwerer, ich kann nicht und um Gotteswillen, -wer keucht, wer stöhnt da, wer erbricht sich, bin ich -es selbst – o wie schlecht ist mir – -</p> - -<p> -– Sie brauchen nicht zu erschrecken, sagte Thomas -und setzte seine rastlosen Wanderungen um den Tisch -<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> -fort. Die Frau von unserem Nachbar daneben erwartet -ein Kind und das hören wir immer so genau. -</p> - -<p> -– Was ist noch in ihrem Zimmer, Thomas. – -Sie stand vor ihm, ihre grünen Augen waren ganz -groß geworden. -</p> - -<p> -– Was noch – O Thomas, Sie müssen furchtbare -Nächte haben. -</p> - -<p> -Da küßte er ihr die Hand mit den groben, aufgesprungenen -Lippen. Ihr graute. Sie wurde zornig. -Und sie lief davon. -</p> - -<p> -Sie wollte nicht mehr zu Thomas gehen. Da sah -sie ihn zwei Tage später auf der Straße. In den -frühen, toten Nachmittagsstunden. -</p> - -<p> -Sie dachte: wenn ich ihm jetzt nicht entgegenspringe, -er rennt dort in die Mauer hinein, zerschellt -sich seine großen Knochen. Nein, wie er friert. -</p> - -<p> -Sie packte ihn beim Arm. – Thomas, grüß Gott, -aber warum haben Sie keinen Mantel, Teufel noch -einmal! -</p> - -<p> -Er war ganz blau und sie wußte, ohne daß er -antwortete, daß den einzigen Mantel der Familie der -kleine Bruder trug. -</p> - -<p> -Sie begleitete ihn und kombinierte: Wenn Onkel -Gustav stirbt, kann Thomas vielleicht den Wintermantel -bekommen, oder ich stehle den von Richard. Der ist -so gut wattiert. Ach, wenn ich nur nicht so feig wäre, -ich müßte Onkel Gustav auch töten können, aber ich -traue mich ja nicht. -</p> - -<p> -<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> -Thomas sagte: – Mir ist gar nicht kalt, was fällt -Ihnen ein. Aber man sollte mir nicht um halb zehn -Uhr das Licht wegnehmen, nein, das sollte Mutter -nicht. Und wir haben gar kein Geld mehr für nächste -Woche. -</p> - -<p> -Ruth gab Gertrud ihr letztes bißchen Taschengeld. -Gertrud nahm das bißchen mit Tränen in den Augen -und verklärt. -</p> - -<p> -Als Weihnachten kam, wußte Ruth nicht, was sie -Thomas schenken sollte. Sie verkaufte zwei goldene -Ringe, die sie nie getragen hatte, und kaufte ihm dafür -einen wunderschönen Band Schopenhauer. Sie half -heuer nicht den Weihnachtsbaum putzen. Sie empfand -zum erstenmal nicht die gespannte Erregung vor dem -wunderbaren Abend, der doch alle Jahre der gleiche -blieb. Sie empfand auch nicht, daß die Straßen anders -waren als sonst, weil so viele frohe Menschen mit -Paketen durcheinanderliefen. Sie wußte nur, daß -Thomas bei der furchtbaren Kälte keinen Wintermantel -besaß, daß der Band Schopenhauer in weiches, mattbraunes -Leder eingebunden war. -</p> - -<p> -Sie nahm aus ihrem Schreibtisch noch rasch eine -Schachtel Briefpapier für Gertrud und eine Rolle -herrlichstes, weißes Kanzleipapier, auf das sie einst -ihre Lebensgeschichte hatte schreiben wollen, aber das -war schon lange her. Jetzt sollte es Thomas’ Bruder -bekommen, der immer klagte, er habe zu wenig Papier -für seine deutschen Aufsätze und die langen mathematischen -Formeln. Etwas Besseres hatte sie nicht. -</p> - -<p> -<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> -Gertrud schmückte den winzigen Weihnachtsbaum -mit Silberketten vom vorigen Jahr. Sie humpelte vergnügt -in der kalten Stube herum und sang ein -Weihnachtslied. Auf dem Tisch standen noch von dem -Mittagessen Teller mit übrig gebliebenem, gelbem Brei. -Ruth ging rasch in Thomas’ Zimmer. -</p> - -<p> -Er lag mit toten Augen über den Tisch hinüber, -gierig, lauernd. Ruth legte das sattbleiche Kanzleipapier -neben ihn hin. -</p> - -<p> -Ein Schrei, wie ein Tier, das nach Wasser sucht: -– Ruth, das bringst Du mir, Du weißt also, weißt alles, -doch und Du glaubst daran, und noch kein Wort, noch -immer kein Wort, aber du glaubst daran – -</p> - -<p> -Er lag vor ihr und umfaßte ihre Schenkel mit -tastenden, greifenden, packenden, schaffenden Bewegungen. -Er keuchte. Seine Hände waren feucht, er -gurgelte mit halberstickter Kehle. Ruth graute und sie -sagte weinend: – nicht wahr, jetzt schreiben Sie das -Buch – und sie streichelte seinen Kopf wie einem -ganz kleinen Kind und küßte die aristokratisch hohen -Schläfen. Jetzt ganz gewiß, ganz gewiß. Ihr ekelte -vor seinen strähnig fetten Proletarierhaaren und sie -streichelte seinen Kopf. -</p> - -<p> -Zuhause konnte sie das Licht der Weihnachtskerzen -nicht vertragen. Die Stimmen der Verwandten machten -sie rasend. Bei Tisch sagte Richard zu einem alten -Onkel: – gewiß ist ein rechter Künstler noch -nie den widrigen Verhältnissen unterlegen. Im Gegenteil -... -</p> - -<p> -<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> -Ruth sagte: – wo liegt die Statistik der Untergegangenen. -Ich glaube bei der Mordstatistik im Strafgericht, -nicht wahr, dort liegt das auf. -</p> - -<p> -Dann wurde ihr schlecht und sie mußte die ganze -Nacht lang erbrechen. Das Zimmer war überheizt und -sie empfand nur, wie sehr Thomas diese Nacht frieren -müsse, denn sicher waren alle Kohlen für das Weihnachtszimmer -aufgegangen. Vielleicht verbrannte er das -weiße Kanzleipapier. Den Schopenhauer bekam ja -Onkel Gustav, der war noch gar nicht tot. Nur wollte -sie nie mehr zu Thomas gehen, ganz gewiß nie mehr. -O, wie sie seine gierig schaffenden Hände fürchtete, -grauenhaft war es und unverschämt gegen die Natur, -gegen ihren eigenen Körper. Und die Frau daneben -erbrach ja auch fortwährend, weil sie ein Kind -erwartete. -</p> - -<p> -Sie bekam einen Brief von Gertrud: warum -kommst Du nicht mehr? Thomas ist krank. Sie war -zornig und ging nicht hin. -</p> - -<p> -Sie bekam einen Brief von Gertrud: warum -kommst Du nicht mehr? -</p> - -<p> -Da kaufte sie ein Dutzend verschiedener Federn -und tiefschwarze Tinte und ging wieder zu Thomas. -Gertrud saß in der Nähmaschine und sah sie vorwurfsvoll -an: Du hättest früher achtgeben sollen, -Ruth. – Worauf? – Thomas liebt Dich. – Mach -Dich nicht lächerlich. – Doch Ruth, seit Du fortgeblieben -bist, kann er nicht mehr unterrichten. Gestern -hat er den Kleinen geschlagen. Denk Dir, Thomas und -<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> -schlagen, wegen irgend eines kostbaren Papiers. – -Er hätte ihn erschlagen sollen, Ihr wißt alle nicht, was -Thomas braucht. – Ruth, ich verstehe Dich nicht – -Gertruds Stimme war so weich, daß Ruth mit dem Fuß -darauf stampfen mußte. – Und denke Dir, er will -plötzlich um zwei Uhr nachts Licht brennen. Aber die -Mutter hat doch kein Petroleum. Er streitet mit den -Leuten in der Schule. Seit acht Tagen war er überhaupt -nicht mehr dort ... Gertrud weinte. Ruth -war ganz kalt: Gertrud, wer ist Dir lieber, Thomas -oder die Mutter, oder der Kleine? – Das weiß ich -nicht, mir sind alle drei ganz gleich lieb. – Dann -kann ich Euch nicht helfen. – Aber Thomas liebt -Dich. – Du bist dumm, näh deine Hemden -weiter. -</p> - -<p> -Thomas kam aus seinem Zimmer und zog Ruth -an beiden Handgelenken zu sich herein. – Wo bist -Du solange geblieben? Du hättest kommen sollen. -Nichts als Farben – Töne, mit der Hand zu greifen – -Worte noch nicht – Worte – -</p> - -<p> -Sie gab ihm Tinte und Federn. Er nahm eine -Feder und kratzte sich einen tiefen Strich in die zerklüftete -Hand: aus der Spitze muß es kommen, -fließen, strömen – Gesetz – Ruth bleib da. -</p> - -<p> -Er hielt sie fest mit beiden Armen. – Kannst Du -beten? – Nein. – Das macht nichts. Bete, es darf -nicht finster werden. Mutter darf das Petroleum nicht -versperren. Der Bengel darf nicht nachhause kommen. -Die Nähmaschine darf nicht rattern. So bet doch. -</p> - -<p> -<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> -Als es dunkel wurde, begleitete er sie nachhause. -– Man muß Licht sparen ... Und wieder die -Bewegung an den Hals, der Daumen steht eigentümlich -scharf weg, wie die Klinge eines Messers. -</p> - -<p> -– Siehst Du den Eckstein hinter der Straßenlaterne, -die Biegung, die rund sein soll und doch -eigentlich voll Ecken ist. Spürst Du. Wie meine Finger. -Der Stein ist grau, so grau, daß unsere Augen daran -sterben müßten. Aber das gelbe Licht aus der Laterne -schleicht darauf – mein Licht ist eigentlich größer. -Und lauter Ecken, die aussehen wie Biegungen, -Rundungen. Wie wir uns täuschen. Nur die Lügen -sprechen sich leicht. Aber die Wahrheit ist furchtbar, -sie ist das Wort, das war im Anfang. Hörst Du die -eisigen Pfützen, wer hat je so sprechen können. Und -unlängst in der Nacht war ich fließendes Wasser. Ich -weiß, wie es tönt, übereinander fällt, ich weiß, wie es -sich berührt ... Meine Stimme ist häßlich, vorne -fehlt mir ein Zahn, ich weiß wie Dir das widersteht, -Ruth, laß, aber weißt Du, was meine Hände können, -über die weißen Flächen gleiten, nein, das ist nicht -Schnee, es schneit ja heuer gar nicht. Aber erst sollen -meine Fäuste den Reichen die Fenster einschlagen. -Was machen sie bei dem elektrischen Licht. Bei dem -vielen Licht. Meine Hände können doch Mutter das -Petroleum nicht stehlen, da ist kein Mark in den -Knochen. Der Hund heult die ganze Nacht im Hof -und die Frau daneben erbricht sich noch immer -die ganze Nacht ... -</p> - -<p> -<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> -– Thomas, wart doch, aber wart, ich werde Dich -heiraten. Was Du da von dem Zahn gesagt hast, ist -Unsinn. Ich habe nicht viel Geld, aber ein bißchen etwas -muß mir Mutter schon geben. So viel, daß wir ein -halbes Jahr, ja ein halbes Jahr schon in einem ruhigen, -schönen Zimmer wohnen können. Nur ein Badezimmer -noch daneben. Und du kannst schreiben, den ganzen -Tag, auch in der Nacht. Ich werde eben im Badezimmer -schlafen. Aber warten mußt Du, wart doch, Thomas, -wart nur noch ein ganz klein wenig. -</p> - -<p> -Thomas stöhnte wie ein Pferd nach dem letzten -Peitschenhieb. – In der Schule haben sie mich hinausgeworfen. -Ich kann dem Buben das Geld für seine -Studien nicht mehr geben. Und Mutter muß leben und -Gertrud, die Arme. Und in der Nacht müssen sie alle -schlafen. Da heult der Hund. -</p> - -<p> -Er fuhr Ruth mit einer wilden Bewegung an den -Hals. Der Daumen stand eigentümlich scharf weg, wie -die Klinge eines Messers. Sie schrie. -</p> - -<p> -– Schweig, sagte er heiser, es ist ja nicht auf -Deinem Hals. Auf meinem ist es. Die fremde Hand. -Sie würgt noch nicht, aber sie wird es tun, sofort, -gleich, jeden Moment und dann ganz. Sie würgt noch -nicht. Und doch habe ich schon einen flammend roten -Streifen da vorn auf meinem Hals. -</p> - -<p> -Ruth sah, daß alle Fenster der Wohnung dunkel -waren. Und nahm Thomas mit sich in ihr Zimmer. Der -Ofen glühte. -</p> - -<p> -<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> -Thomas warf sich auf dem Teppich der Länge -nach nieder und starrte mit toten Augen in die Glut. -Ruth blieb stehen und dachte: wie schön die wilden -Knochen geordnet sind, wie schlank sie liegen. Thomas -sagte: – meine Farbe ist mehr gelb, aber nicht so gelb, -wie auf dem Eckstein. -</p> - -<p> -Ruth warf sich neben ihn vor das Feuer. Er preßte -sie an sich, daß sie die Rippen brechen fühlte. Seine -groben Lippen waren blutig aufgesprungen. Schon fast -zerfetzt. Der eine Vorderzahn fehlte. Zurück um Gotteswillen. -Sie riß sich los. -</p> - -<p> -Er stand vor ihr, seine Hände hingen herab. Eine -große Knochenmasse, bereit, zusammenzufallen. -</p> - -<p> -– Ruth, sagte er langsam, ich danke Dir. Es ist so -viel Wärme in Deinem Zimmer. Mich friert nicht mehr. -Aus dem Mark der Knochen stößt sich die Kraft -heraus – heute abend wird – -</p> - -<p> -Er war schon lange fortgegangen. Ruth lag vor -der erloschenen Glut auf genau demselben Fleck, wo -er gelegen war. Und stöhnte: aus dem Mark der -Knochen heraus. Thomas. Ein Kind. Von ihm ... -</p> - -<p> -Thomas ging aufrecht nachhause. Beim Abendessen -teilte die Mutter vor: Kraut und jedem sein Stück -Brot. Die Petroleumlampe brannte sehr schwach, tief -heruntergeschraubt. Thomas sprach in sich hinein: heute -abend wag ich es, heute endlich. Ich habe ihnen ja noch nie -etwas weggenommen. Aber heute, das bißchen Petroleum, -das werden sie mir schon geben, können sie gar nicht -verweigern. Und der Bub schiebt sein Bett einfach -<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> -herein. Aus der Straßensteinrundung heraus bricht das -Wort. Schon ist es nahe, nahe – -</p> - -<p> -– Heute können wir zeitlich schlafen gehen, sagte -die Mutter weinerlich, überhaupt jetzt, wo der Thomas -so keine Hefte mehr zu korrigieren hat. -</p> - -<p> -– Muß ich wirklich aus der Schule heraus, fragte -der blasse Bub. -</p> - -<p> -– Wird schon so sein, sagte die Mutter mürrisch. -– Warten wir es ab, sang Gertruds milde Stimme dazwischen -und ihre Augen suchten Thomas, flehend, -verzweifelnd und doch gleich wieder voll Vertrauen. -</p> - -<p> -– Was geht Ihr mich alle an, dachte Thomas, das -Wort, aber ich muß erst um Petroleum bitten. -</p> - -<p> -Wieder lag die Hand auf seinem Hals. Aber nicht -mehr ein Messer mit stumpfer Klinge. Lange Finger -mit verschiebbaren Gelenken drückten sich in die -Kehle hinein. -</p> - -<p> -– Gertrud, sagte er und zog sie in eine Ecke, -gib mir alles Petroleum, was wir haben, heute Nacht, -nur heute Nacht. – Die Mutter hat den Schlüssel. -Aber ich muß mit Dir reden, ob Du uns wirklich alle -zugrunde richten willst, lieber, einziger Thomas, wenn -Deine Schule – Laß das jetzt, ich brauche Licht. – -Die Mutter hat das Petroleum. – Mutter gib mir alles -Petroleum. – Geh schlafen. – Mutter, nur heute. – -</p> - -<p> -Die alte Friseurin grinste höhnisch: – hab keines mehr. -</p> - -<p> -Thomas wußte, es ist nicht wahr. Und war machtlos. -</p> - -<p> -– So geh ich zu den Nachbarn. – Die schlafen. -Die Frau hat Nachmittag ein Kind bekommen. -</p> - -<p> -<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> -– Gott ... Thomas brach auf seinem Bett -zusammen. Gott war das Wort. Und das Wort durfte -nicht gesprochen werden. -</p> - -<p> -Dunkel. Der Bub schnarcht und hustet abwechselnd. -Die Hand – -</p> - -<p> -Nachtkälte kriecht durch das Fenster und Tagwärme -schleicht in sie hinein. Die Hand legt sich an -die Kehle, den Daumen eigentümlich scharf weg. -</p> - -<p> -Gertrud und die Mutter im Nebenzimmer atmen -schwer. Stöhnen. Die Hand würgt. -</p> - -<p> -Schwarz. Aber aus den Knochen heraus, aus dem -zarten Mark bricht es dunkel glühend, ächzend. Gestalt, -Klang, tasten, berühren, drängen, steigen, sich heben. -Die Poren saugt es hinaus in die kalte Luft. Und ist -doch drinnen, noch im Mark, flammend rot, brennend – -</p> - -<p> -Ach wozu liegen, tot sein. Wer kann sterben, -wenn das Innerste leben will. -</p> - -<p> -In schwarzen Ballen fällt es aus sich heraus, in -blutigen Brocken. Gedrückt von fremden, arbeitsamen -Fingern. Eine brühende Masse schwelt in den Gliedern. -Kocht, brodelt und schmeißt sich nach oben – -</p> - -<p> -daß die Haut sich dehnt der steinharten Knochen. -</p> - -<p> -Gewalt. -</p> - -<p> -Und alle schlafen – dunkel – -</p> - -<p> -Nein – licht soll es werden – licht – hell -– grell. -</p> - -<p> -Er schleicht hinaus vor das Haus mit Katzentritten. -</p> - -<p> -Der Hund bellt – heult – -</p> - -<p> -<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> -Alle schlafen – aber das Wort kann nicht schlafen -– das Wort muß leben – lodern – zerstören – -</p> - -<p> -Er klettert auf die Straßenlaterne, zerschlägt sie -vorsichtig, entzündet die Fackel aus dem Schuppen, -schlägt das Fenster ein – Licht fällt in das Haus – -das Wort fällt in das Haus und der Dichter rast durch -die dunklen Gassen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Ruth fährt auf aus dem Schlaf. Sie trägt ein Kind -im Leib. Ach nein. Die Feuerwehr ... -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Der Säugling der Nachbarin ist verbrannt. Sonst -wurde alles gerettet. Und die Teilnahme der ganzen -Stadt wendet sich der Familie des geisteskranken -Volksschullehrers zu. -</p> - -<p> -Ruth besuchte Thomas mit Onkel Gustav in seiner -Zelle. Er saß zusammengekrümmt über einem leeren -Papier. Seine Augen blickten nicht mehr in sich hinein, -aber hinaus und in das Leere. Und seine Knochen -waren ohne Mark. Leer. -</p> - -<p> -– Ruth, sagte er, denk bloß, alles ist verbrannt. -</p> - -<p> -Sie gingen. Onkel Gustav weinte. Ruth schwieg. -Aber sie trug eine kleine Leiche in sich, fühlte die -winzigen, angstverkrümmten Knochen. -</p> - -<p> -Drei Tage später kam der blasse Bub, rot geheult. -Thomas war zum Fenster hinausgesprungen. Ruth -nickte nur. Auf dem Steinpflaster liegt ein schwerer -Knochenhaufen. Zerschmettert. -</p> - -<p> -– Sei ruhig, sagte sie zu dem aufgeregten Buben, -was weinst du. Schäm dich. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-10"> -<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> -Eine Mutter -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">R</span><span class="postfirstchar">uth</span> sah einmal im dunklen Zimmer Mutter vor -einer zerbrochenen Tasse stehen. Die Scherben zerschnitten -die Luft, weiß, mit scharfen Kanten. Mutter -starrte dumpf darauf hin. Ihre zerstückelten Bewegungen -hingen herunter. Und in das trübe Grau der Augen -wollte das Weiße hereinbrechen, mit scharfen Kanten. -</p> - -<p> -Das war lange her. Jetzt haßte Ruth Mutter, weil -die alte Friseurin ihren Sohn zum Brandstifter hatte -werden lassen. -</p> - -<p> -Mutter steckte sie als kleines Kind punkt acht Uhr -in das Bett. Dann kaufte sie ihr Schulhefte, die viel zu -breit liniert waren. Mutter glaubte einem boshaften -Dienstmädchen mehr als ihr. Mutter zwang sie große -Gläser mit gekochter Milch zu trinken, wo noch die -Haut herumschwamm. Mutter ließ sie nächtelang bei -geschlossenen Fensterladen schlafen, so daß sie glauben -mußte, sie sei blind. Mutter durchblätterte ihre Bücher, -die doch ihr allein gehörten. Mutter rückte den Tisch -ihres Zimmers in die Mitte, obwohl er unbedingt an -der Seite stehen mußte. Mutter löschte das Licht, wenn -es zu spät wurde. Es war ja nur ein Zufall, daß sie -nicht auch schon zum Fenster hinausgesprungen war – -</p> - -<p> -Mutter war schuld an dem entsetzlichen Brandunglück. -War auch schuld, daß der arme Säugling elend -<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> -umgekommen war. Mutter, die alle kleinen Kinder so -sehr liebte. -</p> - -<p> -Ruth sah auf Mutters langfingerige Hände. Wieso -hatten die keine roten Brandwunden. Nein, sie waren -weiß und schlank, nur durch viele Falten und Sprünge -zerklüftet. Von welcher Arbeit ... -</p> - -<p> -Mutter suchte die alte Friseurin selbst auf und -tröstete sie, wie sie wortlos dasaß neben der Nähmaschine -der Tochter. Ruth ging nicht mit. Man sprach -von Thomas immer wie von einem Geisteskranken. Das -war eine Unverschämtheit. -</p> - -<p> -Als Mutter nach Hause kam, hatte sie rotgeweinte -Lider. Ruth stand in einer Fensternische, tief hineingepreßt -in den dunkel samtenen Vorhang. Sie wollte -schreien: – ihr habt alle kein Recht um ihn zu trauern. -Da sagte Mutter: ich weiß schon Ruth, daß du immer -mit Thomas warst. Er war ein armer Narr. Aber du -solltest dich schämen. -</p> - -<p> -Eine zorndurchschüttelte, blutende Faust – oder -ist das die Flamme – Thomas’ Flamme – Mutter -brüllt auf. -</p> - -<p> -Onkel Gustav trug Ruth aus dem Zimmer. Riesenkraft -war in seinen willenlosen Armen, wie er sie durch -den langen Gang schleppte. Er zog sie in den Vorratsraum, -wo ein Faß mit altem Kraut stand. Hier warf er -sie auf den Boden. -</p> - -<p> -Er stand vor ihr weißblaß und sehr groß. – Ruth, -weißt du, was du getan hast. Du kannst es nicht wissen. -Du hast Mutter schlagen wollen. -</p> - -<p> -<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a> -Er ging hinaus und zog den Schlüssel ab. -</p> - -<p> -Ruth dachte nur: jetzt muß ich zum Fenster hinausspringen. -Das ist selbstverständlich, natürlich. Ich -brauche bloß auf den Stuhl dort zu steigen, es macht -nichts, daß das eine Bein wackelt. Er trägt mich so -weit. O, und dann stürze ich. Eine breiige Masse. Aber -es tut sicher weh, furchtbar weh, furchtbar, nein, ich -fürchte mich, um Gotteswillen, ich habe ja so gräßliche -Angst – -</p> - -<p> -Sie kroch in den hintersten Winkel der Kammer. -Sie bohrte den Kopf in die Steinfliesen. Verbrecher -sein. So also war es. Das heißt vor allen Dingen ganz -allein sein. Ganz allein. Aber das darf man doch nicht -zu Ende denken. Jetzt gehen die Menschen aus den -Geschäften nachhause. Man schließt die Laden so wie -alle Tage. Und in den Straßen die gleichgültige Menge. -Aber sie ist allein. -</p> - -<p> -Was war nur mit dem Mann, der seine Mutter geschlagen -hatte. Als Kind hielt sie sich die Ohren zu, -wenn man die Geschichte erzählte. Aber sie weiß es -doch: die Hand war aus dem Grab herausgewachsen. -Man hieb sie ab. Und sie wuchs immer wieder. Ruth -sieht vor sich eine gelbe Steppe. Und aus ihr steht -graugrün heraus die Leichenhand mit entsetzten Fingern. -Oder ist das ihre Hand – -</p> - -<p> -Sie hat nicht den Mut zu sterben. Sie wird nie den -Mut haben. Aber sie kann auch nicht leben. Denn sie -kann nicht denken. So etwas kann man doch nicht -denken, immer denken, immer denken. -</p> - -<p> -<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> -Mutter kam am späten Abend mit einer flackernden -Kerze und wirren Haaren. – Mutter, sagte Ruth mit -toter Stimme, habe ich dich wirklich geschlagen? – -Nein Ruth, dazu ist es nicht – Mutter wenn ich dich -berührt habe, ich müßte sterben. Aber ich fürchte mich -vor dem Tod. Und ich müßte sterben. Und du müßtest -mir helfen. -</p> - -<p> -Mutter kniete zu ihr nieder und küßte sie. -</p> - -<p> -Am Abend setzte sich Mutter an Ruths Bett. Aber -Ruth preßte die Lider zu in erstarrtem Entsetzen. Das -Weiße in Mutters Augen war zerbrochen. So wie einmal -vor langer Zeit eine Tasse. Und wie Thomas’ -Stimme, wenn er sagte: ich habe kein Licht. Ja, wie -Thomas. Mutters suchender Mittelfingerknochen war wie -bei Thomas, zu kräftig. -</p> - -<p> -Überhaupt, wie kommt sie dazu, Thomas gegen die -Mutter zu verteidigen. Thomas ist gestorben, weil die -Kraft in ihm nicht leben durfte. Er war stark. Und es -ist gut, daß er tot ist. Aber Mutter ist schwach und -ihre Kraft kann die Knochen nicht sprengen. Zerfrißt -nur das Mark und macht die Gelenke schwippend -nachgiebig. Mutters Leben – -</p> - -<p> -Ruth legte den Kopf in Mutters Hand und weinte. -Aus den zerklüfteten Handrinnen stieg ihr ein wohlbekannter, -warmer, ein nie beachteter Atem entgegen. -</p> - -<p> -Irgendwo liegt im Gras eine duftende Frucht. Und -über das Mark des Baumstammes preßt sich eisenhart -die dürre Rinde ... -</p> - -<p> -<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> -Mutter war auch einmal ganz klein gewesen. Man -hatte ihr unmäßig große Schärpen über die weißen -Kleidchen gebunden. Und sie saß in einem großen -Kinderwagen, ganz allein. -</p> - -<p> -Sie trug ihr kleines Schicksal in krampfhaft zusammengeballten -Fäusten. Und erreichte nie etwas, weil -diese Fäuste immer zu schwer von dem kleinen Körper -herunterhingen. Sie gewöhnte sich an den Mißerfolg -und deshalb war ihr kein Ideal zu groß. Sie wollte -Königin werden, dann Sängerin, und dann – o, was -sie alles werden sollte. Sie trug ihr ganzes Leben die -Last von unzähligen untergegangenen Existenzen in sich. -Und ihr Vater hatte alle Pferde verspielt. -</p> - -<p> -Sie hatte einmal einen Tag, vielleicht nur eine -Stunde, oder nur eine Sekunde lang mit Ruths saugendem -Blick aus sich herausgeschaut. Oder vielleicht nur einmal -den Kopf hart und eckig zur Seite geworfen, wie -Ruth es immer tat. -</p> - -<p> -Und sie hatte ihr eigenes, einziges Dasein gesucht. -Dann heiratete sie. Dann gebar sie drei Kinder. Und -dann war ihr nichts mehr von sich geblieben, als eine -suchende Vergangenheit und drei neue, fremde Menschen. -</p> - -<p> -Die alte Friseurin träumte einst davon, die erste -Tänzerin der Welt zu werden. Ihr häßlicher Sohn sprang -aus dem Fenster und zerschmetterte sich in einem -Gefängnishof, ohne daß sie je verstehen konnte, warum. -Ihre mißgebildete Tochter nähte Hemden für vornehme -Damen. Und nichts war von ihr übriggeblieben als das -<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> -bißchen Schminke auf den eingefallenen Wangen, das -sich nicht wegwaschen ließ. Das bißchen Schminke. -</p> - -<p> -Und die Kinder laufen wie Diebe in die Welt -hinaus. Man kann ihnen das Eigentum nie mehr abnehmen. -Denn es ist untrennbar, unkennbar verbunden -mit fremden Säften, denen man sich einmal geschenkt hat. -</p> - -<p> -Ruth wurde sehr krank. Sie lag ein paar Wochen -durch mit hohem Fieber und keuchendem Atem. Die -graue Tapete ihres Zimmers wurde zu einer einzigen, -ungeheuren Ebene, in die alles hineinversank wie in -einen Moorboden. Müde und wohlig. Mutter saß Tag -und Nacht an ihrem Bett mit überwachen Augen und -Teelöffeln in der Hand. Ruth dachte: wenn ich wieder -gesund bin, schenke ich Mutter das Schönste und Beste, -das ich habe. Aber sie wußte nie, was das sei und -wünschte sich auch gar nicht, bald gesund zu werden. -Besser immer so liegen können. Und niemand kann -einem Vorwürfe machen. Sogar Richard brachte ihr -Veilchen. -</p> - -<p> -Als sie den ersten Tag wieder fieberfrei im Bett -lag und Mutter ihr die Kissen gerade frisch gerichtet -hatte, fragte sie: – was möchtest du, daß aus mir werden -soll<a id="corr-22"></a>? Mutter sah sie erstaunt an. – Ja, ich kann doch nicht -weiter so in den Tag hinein leben. – Ich möchte, daß -du glücklich wirst, Ruth. – Wie ist das? – Du mußt -froh sein und gesund und auch heiraten. – Weißt du -Mutter, von Thomas hätte ich gerne ein Kind bekommen. -– Aber Ruth – Nein, nicht böse sein, Mutter, bitte, -<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> -bitte nicht. Ich möchte dir nur von Thomas erzählen, -weil das so wunderschön war. -</p> - -<p> -Ruth erzählte von Thomas’ Buch, als ob sie es -schon hundertmal gelesen hätte. Mutter sagte: – armes -Kind. Und küßte sie. – Aber du mußt jetzt schlafen. -Sie löschte das Licht aus. Ruth fragte in das Dunkel -hinein: warum arm ... -</p> - -<p> -Sie erwachte am nächsten Morgen sehr zeitlich. -Mutter sagte im Nebenzimmer zu Martha: – wir hätten -eben besser auf sie acht geben müssen. -</p> - -<p> -Da sah Ruth hinter dem Fenster in der Frühdämmerung -wieder die Hand des Mannes aus dem -Grab wachsen, der seine Mutter geschlagen hatte. Nein, -es waren viele, es waren unzählige solcher Hände. Sie -sah diese Hände draußen vor dem Fenster und wußte: -im Nebenzimmer wird jetzt eine ungeheure Schändlichkeit -geflüstert. Ein Heiligtum wird besudelt. Dann geht -Mutter in die Küche zu der Köchin und Martha in die -Schule. Nein, das hatte Thomas nicht verdient. -</p> - -<p> -Sie wollte aufstehn und fliehen, weit, weit weg -über sumpfige Wiesen und Felder. In das Graue hinein. -Nur Mutter nicht mehr sehen. Und in der Kommode -daneben liegen ja sorglich eingeordnet seine Briefe an -Mutter. Mutters Seele steckt auch drinnen in den gelben -Phiolen. Und richtig, in Mutters Bewegungen zerbricht -sich dieselbe Disharmonie wie in seinen, wenn er die -Zigarre zum Mund führte. Wie kann Mutter es wagen, -ihr Leben bewachen zu wollen. Draußen wachsen die -Hände aus den Gräbern. Aber das Weiße in Mutters -<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> -Augen ist zerbrochen. Sie kann Mutter nicht helfen. -Sie ist allein. Weiß Mutter das nicht? Die Nabelschnur, -an der sie hing, ist längst zerrissen. Arme Mutter! – -Aus allen Gräbern wachsen die mörderischen Hände. -</p> - -<p> -Mutter sagte am Nachmittag zu Onkel Gustav: -ich werde Ruths Leben von nun an zu lenken wissen. -Ich muß ihr weiter helfen. Sie ist – Laß das, antwortete -Gustav müde. – Das lassen? – ja wozu bin ich denn -sonst da ...? -</p> - -<p> -Und sie saß bis in die Nacht hinein und berechnete -ein neues Kleid für Ruth. Als es nach ihrer Angabe -genäht war, hing Ruth es in die hinterste Kastenecke -und zog es niemals an. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-11"> -<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> -Der Tod -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">M</span><span class="postfirstchar">ein</span> Thomas hat auch nicht auf mich hören wollen, -sagte die alte Friseurin weinerlich zu Mutter, während -sie ihr das widerspenstige Haar zu bändigen versuchte. -</p> - -<p> -Wie hatte Onkel Gustav einmal gesagt, in traumhafter -Sommerdämmerung: Unsere Nächsten – das -sind unsere nächsten Mörder. Und nun war die Wirklichkeit -gekommen, winterkalt und hart. Und Ruth -mochte sich die Augen mit den Fäusten zudrücken. -Thomas hatte diese Wirklichkeit nie gesehen. Deshalb -hatte er an ihr zugrunde gehen dürfen. Wie gut muß -es sein, wenn alles ganz vorbei ist. Nichts mehr sehen, -hören, tasten. Ihn schließt eine Wand ab von der Welt. -Und er erstickt doch nicht mehr. -</p> - -<p> -Ruth saß an einem nebligen Schneeabend allein -zu Hause bei dem großen Speisezimmertisch. Mit aufgestützten -Armen. Ihre immer noch fiebermüden Glieder -wollten nicht recht gehorchen, wollten sich legen, sich -strecken, ganz ausdehnen. Durch die Fenster flimmerte -gelb das Licht der Straßenlaterne. Draußen muß viel -Schnee fallen. -</p> - -<p> -Und die lebendige Uhr hinter ihr zerschneidet die -Zeit, metallhart. Aber der Kasten dort und die Stühle -ringsherum rücken weit weg, fort in das Graue, daß -sich die hohen Fensterkreuze dehnen müssen. Und -<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> -nichts um sie als luftloser Abgrund. Weite. Leere. Da -drinnen muß einmal eine Fliege ertrunken sein. Über -Ruths Haupt hebt sich die Decke. Ihre Füße treten -das oben. Noch saugt ihr Blick das Zimmer in sich. -Noch kann ihr Blick die Weite überwinden. Noch. Aber -das Lid wird ihn verdecken. Dann ist sie ganz allein. -</p> - -<p> -Wie Vater. Wie Thomas. -</p> - -<p> -Sie ist auch allein, wenn Mutter im Nebenzimmer -mit Martha spricht. Wenn sie Richard und Gustav auf -der Straße trifft oder mit Norbert zusammenkommt. -Wenn sie einen Schutzmann nach einer Hausnummer -fragt oder nicht weiß, wieviel Trinkgeld der Kellner -bekommen soll. Ach, so allein, mit offenen Augen. -Die alles sehen. -</p> - -<p> -Eine Woche später brachte man Ruth in ein -Sanatorium wegen einer Operation. Sie war sehr -müde. Aber auch sehr neugierig. Sie dachte: es -ist doch unglaublich, daß man so einfach in mich hineinschneiden -kann. Und man spritzt mir etwas unter die -Nase und dann bin ich nicht mehr da. Wo ich nur sein -werde. Ich muß sehr gut acht geben. -</p> - -<p> -Der Chirurg hatte ein schmales, feines Gesicht mit -zu großem Kinn. Seine Hände waren grobknochig, wie -von einem Fleischhauergehilfen. Aber er zog sich dann -Gummihandschuhe an. Und seine Hände wurden zum -Werkzeug, das ineinander beißt. -</p> - -<p> -Sechs junge Ärzte standen herum wie Schachfiguren. -Und Schwestern leidend und demütig. Der Operationsraum -war groß, zu licht, blitzend, spiegelnd. Ruth sah -<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> -in den schneetoten Park hinunter, auf die uralten, -schneebeladenen Bäume. Die Wintersonne stieß gegen -die dicken Wolken. Ruth empfand die kühle Verzweiflung -eines Sterbenden, der einmal, im ersten jungen Frühling -dort unten gelegen sein mußte, mit zerfleischtem Körper -eingepackt in weiße Tücher. -</p> - -<p> -So wie man sie jetzt einpackte. Sie wollte schreien: -Was tut ihr mit mir? Da lag sie schon auf dem blanken -Tisch: Sie spürte einen niederträchtigen Geruch sich in -die Kehle hineinfressen, dachte: Ihr zwingt mich doch -nicht – -</p> - -<p> -Da war sie aus sich heraus gestiegen und stand -neben ihrem starren Körper. Sah sich selbst nackt und -preisgegeben daliegen, sah jeden Zug ihres Gesichtes, -das sie ja gar nicht gekannt hatte. Mit geschlossenen -Lidern. Sah die strengen, furchtbar fremden Augen der -Ärzte, die bloßen sehnigen Arme des Chirurgen, die -Schwestern über die Instrumente gebeugt ... -</p> - -<p> -Die weiße, glattgetünchte Wand riecht so sonderbar. -Sie muß sehr hoch sein. Man kann gar nicht an ihr -hinaufsehen. Und die Gelenke sind gefesselt, stöhnen -unter eisernem Druck. Der auch von oben kommen muß. -</p> - -<p> -In den tiefblauen Himmel stößt sich ein weißer, -steifer Ast. -</p> - -<p> -Neben Ruth steht eine Schwester mit bleichem -Gesicht. Eine Schwester, die sie nie gesehen hat. Ein -Ast, den sie nie gesehen hat. Eine Wand, die sie nie -gesehen hat. -</p> - -<p> -<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> -Sie kann ihr Bett kaum überblicken. Dort am Fußende -sitzt ja Mutter. Ihre Bluse ist zerdrückt. Wie unangenehm. -Und sie lächelt so, als ob sie alles wüßte, -genau wüßte, was sie ja gar nicht wissen kann. -</p> - -<p> -Sie ist in einer Welt, in der sie noch nie war. Sie -muß einmal Ungeheures erlebt haben. Aber hier kann -man davon nichts wissen. Darum liegt sie gefesselt an -allen Gliedern, Sehnen und Gelenken, an allen Muskeln, -allen Nerven. Vielleicht hat man ihr beide Füße weggeschnitten. -Sie muß tasten. Sie kommt nicht bis dorthin. -</p> - -<p> -Mutter und die Schwester lächeln. Das ruchlose -Lächeln der Nichtverstehenden. Sie will weinen vor Zorn. -Und erbricht. -</p> - -<p> -Sie liegt stumm und verzweifelt, bis sie fragt: Ist -mein neues Kleid schon gekommen? Dann gehört sie -wieder der Welt, die von Mutters Rechenbüchern beherrscht -wird und Richards verwunderten Augenbrauen. -Aber irgendwo sind doch auch gelbe Phiolen und der -Duft fremdartiger Chemikalien, ätzend, zersetzend. -</p> - -<p> -Ruth saß mit Mutter an dem gedeckten Tisch mit -dem rotgestickten Milieu und den glotzäugigen Teetassen. -Die Lampe brannte fetzig grün. Aber sie war -ihr dankbar. Und den Teetassen und den fetten Butterbroten, -die an Agnes kräftige Arme erinnerten. Wie -das nach Alltag schmeckte. Und wie wunderbar sicher -das war, wohlig geborgen. Sie möchte sich in die saftgrünen -Vorhänge hinein verstecken und ein ganz -dummes Backfischbuch lesen, wo es nur Schulsorgen -gibt und wunderbare Bräutigame. -</p> - -<p> -<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> -In der Nacht kann sie nicht schlafen. Sie liest die -Zeitung bis zur letzten Annonce. Das Zeitungsblatt -schlägt eine Ecke nach oben, leckend. Sie löscht das -Licht. So müde. Das Zeitungsblatt war leckend, saugend. -Das Blatt ist eine rote, fleischige Tierzunge. Die Zunge -saugt, leckt. -</p> - -<p> -Da ist nur noch die weiße, glattgetünchte Wand. -Und der lange, gräßlich arme Tierkopf, der aus ihr -herauskommt. Schmal. Die Augen arm, in sich geknechtet. -Er schleckt mit schiefer, gieriger Zunge eine salzige -Flüssigkeit von der blendenden Wandfläche. Er schleckt, -leckt, saugt sich an – -</p> - -<p> -Sonst ist nichts mehr da. Der Kopf steht in die -Luft hinaus, brüllt – -</p> - -<p> -Rechts steht ein Mann und links steht eine Frau. -Ein Mann, eine Frau. Sie hält den großen Spitalslöffel -in der Hand, sieht den Mann fragend an. Und er sagt -mit unendlicher Geringschätzung: Gib. Was ist das -ganze Leben denn mehr wert als ein Schluck Wasser -für ein durstiges Maul. -</p> - -<p> -Der Tierkopf schleckt – -</p> - -<p> -Ruth saß schreiend im Bett. Mutter kam hereingestürzt. -Ruth konnte nicht sagen was ihr fehle. Daß -das lange, armselige Tiermaul alles war, die ganze Welt -und immer weiter an der Wand saugen mußte. Nein, -das konnte man nicht sagen und sie ließ sich fortwährend -von den anderen die wichtigsten Zeitungsereignisse -erzählen. -</p> - -<p> -<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> -Damals sehnte sie sich maßlos nach allen Menschen, -die sie je gesehen hatte, am meisten nach einem kleinen, -verwachsenen Stubenmädchen, das ihr vor Jahren Geschichten -aus einem böhmischen Dorf erzählt hatte, wo -die Kinder im Hemd im Dorfteich schwammen. -</p> - -<p> -Sie bettelte sich hinter der grauesten Alltäglichkeit -durch. Sie verdurstete vor Sehnsucht, wieder in sie aufgenommen -werden zu dürfen. In eine Sphäre von -Geschäftsbesen, Kaffeetassen und Nachtwächtern. Ihr -war jeder Schuhriemen wichtig. -</p> - -<p> -Norbert kam am nächsten Mittwoch. Aber ohne -Onkel Gustav. Der lag wieder elend in seiner Dachkammer. -</p> - -<p> -Norbert war avanciert in seinem Amt. Er unterstand -dem Vater seiner Braut. Alle gratulierten ihm. Ruth -schüttelte ihm beide Hände. Er sah sie an, hundetreu, -traurig. -</p> - -<p> -Nach dem Essen setzte er sich in ihr Zimmer auf -das kleine, wacklige Kindersofa. Sie saß neben ihm -und dachte: Warum bin ich jetzt nicht in Australien -oder auf einem großen Schiff. -</p> - -<p> -– Nicht wahr, Ruth, Sie verachten mich? ... – -Ruth sah auf. – Nein, warum denn? – Weil ich -avanciert bin. – Was meinen Sie damit? – Ach Ruth, -Sie wissen ganz gut was ich meine. -</p> - -<p> -Ruth sah in den winterblauen Nachmittag hinaus -und wußte auf einmal, was er meinte. Sie dachte: Und -dann nach Australien mit einem großen Schiff. Sonnenuntergang -<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> -weit hinten im Meer und weiße, wehende -Schleier. Das wäre freilich etwas. -</p> - -<p> -Dann sah sie seine graue Weste und dachte an -den Spitzeneinsatz der Braut und mußte fast lachen. – -Nein, Norbert, sagte sie hochmütig, ich verstehe -Sie nicht. -</p> - -<p> -Aber sie sah ihn in der flimmernden Sonne eingezäunt -in einer streng gekrümmten Linie. Seine Grenze. -Über die durften seine treuen Hände nicht hinaus. -Wenn er stirbt, dann wird die Linie zum Viereck und -macht Wände und ist der Sarg. -</p> - -<p> -Ruth schauderte und einen Augenblick dachte sie: -Ich muß ihm helfen, vielleicht ihn lieben. Aber sie -verstand seinen beamtenbrav geschniegelten Kopf und -ekelte sich vor der schnurgeraden Scheitellinie. Unmöglich. -Da war die Grenze. -</p> - -<p> -– Wissen Sie schon, daß mein Freund, der -Leutnant fast gestorben ist, sagte Norbert. – Nein, -wieso? – In einem Duell wegen einer Ballettänzerin. -Zwei Schüsse durch die Lunge. -</p> - -<p> -Ruth sah vor sich dicke rosa Schminke, rosa Ballettröckchen -und rosa glatte Füße. Dazwischen blutend -aufgedunsen die Lunge des Leutnants. Seine schwarzen -Zähne. Das war der Tod. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag kam die alte Friseurin heulend. -Der Arzt habe gesagt, wenn ihr Bub nicht bald in eine -Anstalt käme, sei seine Tuberkulose nicht mehr heilbar. -Ruth schnitt sich mit den Nägeln in die Hände. Was -schreit sie so, Thomas ist doch schon lange tot und -<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> -das kleine Ungeheuer, die Nähmaschine ist ein Leichnam, -der sich aufbläht mit den Erlebnissen anderer. Und -was will der grüne Bub vom Leben. In einer Schreibstube -geometrische Zeichnungen machen. Keiner kommt -bis Australien. -</p> - -<p> -Mutter versprach, ihr Möglichstes zu tun. Am -Abend sagte Ruth verzweifelt: – Mutter, müssen wir -denn alle sterben? -</p> - -<p> -Richard hatte sich verlobt. Mit Norberts Schwester. -Ruth erinnerte sich: aufgestülpte Nase, aristokratisch -tiefe Stimme, dicke kleine Freundin. Auch gut. Im -übrigen war es ihr ziemlich gleichgültig. -</p> - -<p> -Einmal, während des Mittagessens, kam ein Mädchen, -bleich, trostlos, das Richard sprechen wollte. Ruth hatte -ihr die Türe geöffnet. Richard war bei seiner Verlobten. -Das Mädchen stöhnte auf. Sie packte Ruth beim Arm: -Helfen Sie mir. Ruth sah ihr in die hübschen Kinderaugen, -die voll Tränen standen und führte sie in -den Salon. -</p> - -<p> -Mutter kam dazu. Die alte Geschichte. Das Kanzleimädchen. -Mutter weinte auf und versprach fast flehend -zu helfen. Aber sie müsse schweigen, um Gottes willen. -</p> - -<p> -Als das Mädchen gegangen war, fragte Ruth: Wie -willst du ihr helfen? Mutter sagte: Geld. Und Ruth -haßte sie. Sie dachte an das winzige Geschöpf, das -schon im Mutterleib erwürgt wurde von fremden Händen. -Wirklich fremden Händen – -</p> - -<p> -Mutter weinte den ganzen Nachmittag durch: Daß -sie keine Ahnung haben konnte. – Mir hätte er es doch -<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> -sagen können, mir, immer habe ich alles von ihm gewußt, -seit er ein ganz kleiner Bub war. Da ist auch nur dieses -Frauenzimmer schuld. Aber er hat mir ja geschworen – -</p> - -<p> -Ruth kam es lächerlich vor, daß Mutter jemals -glauben konnte, Richards Vertraute zu sein. Aber -Mutters Augen waren wieder so zerbrochen. Mit zornbebender -Stimme sagte sie: – Dazu bin ich doch da, um -von euch alles zu wissen. Ruth ging aus dem Zimmer, -etwas in ihr rief: Und dann bist du eben tot. -</p> - -<p> -Wo war Mutters Leben – bei ihren drei -Kindern, in Vaters Grab – bei den gelben Phiolen – -</p> - -<p> -Ruth sagte zu Martha: – Da bekommt Richard ein -Kind und Mutter weiß es nicht einmal. Das ist wirklich -eine Schmach, aber sie wird ja alles mit Geld gutmachen. -– Woher weißt du, daß das Kind zur Welt -kommt? sagte Martha, lehrerinnenhaft überlegen. – -Martha, du gehörst auf den Scheiterhaufen. -</p> - -<p> -In der Nacht sah Ruth Martha auf der Straße, im -Sonnenlicht, mit einem langen grauen Regenmantel. -Ernst, streng und emsig, mit toten Augen und blauen -Nägeln. -</p> - -<p> -So war sie denn von lauter Toten umgeben. -Richard war ja auch tot. Er tat nur so überlegen. Aber -sein Leben lag im Leib jenes jungen Mädchens und -seine eigenen Finger erdrosselten es. -</p> - -<p> -Er steckte auch in einer Grenze, wie Norbert. Die -lief weiter weg von ihm als bei diesem, aber sie war -tief eingegraben. Er verstand sieben Sprachen. Er kannte -alle Wagner-Opern. Er heiratete Norberts Schwester. Er -<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> -eroberte sich einen guten Platz in der Welt. Er hatte -einen großen Sarg. -</p> - -<p> -Ruth sehnte sich wieder unsäglich danach, tot zu -sein wie Thomas. Nicht mehr scheinlebendig. Aber nur -nicht sterben. Sterben tat ja sicher entsetzlich weh. -Schon lange tot sein. Ohne denken, ohne Verantwortung -für den nächsten Tag – -</p> - -<p> -An Onkel Gustav hatte man über Richards Verlobung -ganz vergessen. Eines Tages kam seine Hausmeisterin -mit sensationslüsternen Augen. Es gehe ihm -sehr schlecht, er röchle furchtbar. -</p> - -<p> -Mutter weinte zuerst, ehe sie sich ankleidete, um -hinzugehen. Ruth ging empört in ihr Zimmer. -</p> - -<p> -Sie wollte Onkel Gustav nicht mehr sehen. Was -liegt ihr überhaupt an Onkel Gustav. Sie hat ihn immer -verachtet. Sie wird sich heute nichts vormachen, so wie -Mutter. Gewiß nicht. -</p> - -<p> -Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und versuchte -eine italienische Übersetzung zu schreiben. Ihr Geist war -dabei. Aber in ihren Händen kochte ein fremder, fieberhafter -Puls. -</p> - -<p> -Durch die Fasern des Fleisches gräbt sich, stößt -sich blühende Lebenskraft. Aber ganz innen in ihrem -Leib fällt etwas ab, bröckelt etwas ab, mürb und müde. -Wer preßt ihr die Brust zusammen und würgt sie, daß -sie husten muß – Ist das Schleim und Blut – Ist das -ihre eigene Kehle – -</p> - -<p> -Über Ruths italienisches Übersetzungsbuch steigt -wie Frühlingsatem empor die freche Liebe der jungen -<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> -Wilden, die Gustav einmal an sich reißen wollte. Von -der sie nie etwas gehört hat. Und es riecht nach faden, -blonden Madonnenhaaren, Ansichtskarten mit weißen -Kaninchen. In weiter Ferne leuchtet ein lichtes Ährenfeld -im Juliwind, eine marmorbleiche Haut. Und die alte -Geige lehnt an dem rußigen Eisenofen. -</p> - -<p> -In Ruths Knochen bricht etwas. Das Mark wird -zerrissen. Ein Leben stirbt, das sie nie gekannt hat. -Ein Leben, das sie mitgetragen hat in ahnungslosen -Händen. Onkel Gustav stirbt. -</p> - -<p> -Ruth steht auf in erstarrtem Entsetzen. – Agnes, -ruft sie in die Küche hinein, singen sie nicht so laut, -wir sterben heute. -</p> - -<p> -Sie geht durch die weißerstarrten Gassen. Deren -grelles Gefunkel in der Sonne schmerzt. Der Himmel -ist tief dunkelblau. Onkel Gustavs höchster Wunsch -war immer, einmal nach Italien zu kommen. Der Schnee -zerbricht unter ihren Schritten. -</p> - -<p> -Vor Gustavs Haustor will sie noch umkehren. -Mutter wird sicher weinen. Richard und Martha machen -traurige Gesichter. Norbert ist gewiß auch da. Nein, es -ist unmöglich hinaufzugehen. Aber da ist noch Onkel -Gustavs Hund. Sie kriecht über die Treppen. -</p> - -<p> -Onkel Gustav hat das Gesicht zur Wand gekehrt. -Der Hund liegt auf seinen Füßen. Den läßt er nicht -von sich. Aber sonst kennt er niemanden. -</p> - -<p> -Ruth will die weinenden, die gefaßten, die wichtigen -Gesichter nicht sehen. Sie geht an das Fenster. Sie -möchte es aufmachen. Aber sie ist gelähmt. Auf dem -<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> -Fensterbrett steht eine halbgefüllte Teetasse mit schief -abgebröckeltem Rand. Und ein rostiger Löffel. Es ist -doch gut, daß Onkel Gustav stirbt. -</p> - -<p> -Der Arzt unterhandelte mit Richard und Martha, -wie man Mutter am besten aus dem Zimmer bringen -könne. Er hatte seine geschäftsmäßig traurige Miene. -Ruth wollte sich nicht umwenden. -</p> - -<p> -Die Sonne war untergegangen, draußen in ferner -Ebene. -</p> - -<p> -Onkel Gustav röchelte. -</p> - -<p> -Norbert trat zu ihr: Ruth – Lassen Sie mich. – -Aber Ruth – So lassen Sie mich doch, was wollen -Sie von mir. Gehen Sie hin zu ihm. Legen Sie sich -auf seine Füße. Wärmen Sie ihn. -</p> - -<p> -Onkel Gustav röchelte. -</p> - -<p> -Blut und Schleim. -</p> - -<p> -Es wurde ganz dunkel. -</p> - -<p> -Mutter war von Martha weggebracht worden. Der -Arzt war fort. Norbert auch. Richard saß in einem -Sessel, den Kopf in die Hände gestützt. Die schmierige -Hausmeisterin machte sich an Gustavs Bett zu schaffen. -Ruth stand unbewegbar erstarrt an dem Fenster. -</p> - -<p> -Da schrie der Hund. -</p> - -<p> -Ruth war bei Gustav. Aus seinem herabgefallenen -Kiefer quoll das Blut auf die sterbende Brust. Ruth -legte die Hand darauf. In Liebe. Dann brach sie zusammen. -In Ekel ... -</p> - -<p> -Alles roch nach dem Leichenbitter, der vor Gustavs -Türe stand. Auch die Blumen in der Blumenhandlung. -<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> -Mutters schwarzgerändertes Taschentuch. Und das -italienische Übersetzungsheft. Die dumpfen Kreppschleier. -</p> - -<p> -Alle sprachen lieb von Onkel Gustav. Ruth haßte -alle. Nicht weil sie ihn gemordet hatten. Aber weil sie -mit ihrem bißchen kläglichen Gernehaben protzten. -Keiner kannte das große Erbarmen. Auch sie nicht -mehr. Eine Sekunde lang hatte sie es empfunden. Seither -war ihr, als trügen ihre Hände vernarbt Kreuzeswunden, -mit rostigen Nägeln durchschlagen. Aber vernarbt. -</p> - -<p> -Sie trauerte nicht. Kam nicht einmal mit zum -Leichenbegängnis. Ging zur selben Stunde mit dem -namenlosen Hund spazieren. In einer blauen Bluse, durch -taubelebte, klatschende Gassen. -</p> - -<p> -Sie bürstete den Hund und fütterte ihn. Aber sie -hatte eine furchtbare Angst vor seiner langen, spitzigen -Schnauze. Die dem schmalen Tiermaul an der weißgetünchten -Wand immer ähnlicher wurde. Ach Gott, -wie so ähnlich – -</p> - -<p> -In den verständnislosen, angstvollen Augen des -Hundes lag der Schmerz einer geprügelten Welt. Und -unendliche Sehnsucht. Wonach – Nach dem Schluck -Wasser – -</p> - -<p> -Wie einsam mußte Onkel Gustav gewesen sein. -</p> - -<p> -Ruth fürchtete sich vor den langen, spitzen Zähnen -des Hundes. Er lief ihr nach auf Schritt und Tritt. -Und sie konnte ihn nicht zu den andern zwingen. Die -riefen ihn bei dem englischen Namen, den Mutter ihm -gegeben hatte. -</p> - -<p> -<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> -In der Nacht lief er winselnd vor ihrer Türe hin -und her, bis sie ihn in das Zimmer ließ. Dann schlief -er in einer Ecke. Sie aber hielt die Augen weit offen -vor Grauen. Dort lag das Tier. -</p> - -<p> -Fell, gierige Zähne, saugende Zunge. -</p> - -<p> -Das Tier atmete lauter und rascher als sie. Zerstörte -den Rhythmus ihres Zimmers. Das war zum Stall geworden. -</p> - -<p> -Alle riefen den Hund bei dem englischen Namen. -Er gehorchte keinem. -</p> - -<p> -Einmal riß sie ihn an dem Halsband zurück, als er -aus dem Kübel trinken wollte. Da schnappte er nach -ihr. Das Blut tropfte aus drei großen, tiefen Löchern -in ihrer Hand. Ihrer schmalen, braunen, suchenden -Hand. Wie sie diese Hand liebte. Ihre Hand. Ihre glatte -Menschenhand. -</p> - -<p> -Sie bekümmerte sich nicht mehr um den Hund. -Er folgte niemandem und Mutter ließ ihn vertilgen. -</p> - -<p> -An diesem Abend saßen sie alle unter der Speisezimmerlampe. -Und Mutters Rechenbücher beherrschten -die Mitte. Richard sagte: – Der arme Kerl. Eigentlich -bist du schuld an seinem Tod, Ruth. – An Onkel -Gustavs Tod? – Nein doch, ich meine den Hund. – -Ach so. -</p> - -<p> -– Hilf mir, Richard, sagte Mutter über den Tisch -herüber. Ich kenne mich da nicht aus. – Richard -beugte sich über ihre Schulter. Dann sagte er mit -traurigem Gesicht: – Diese Rubrik können wir jetzt -streichen. Und zog mit rotem Bleistift einen dicken -<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> -Strich über eine halbe Seite. Ruth sah oben den -Namen Gustav. -</p> - -<p> -Nein, das war unmöglich, nein, das konnte man -doch nicht tun, mit rotem Bleistift, rotem Bleistift – -</p> - -<p> -Ruth sagt noch immer: Roter Bleistift, vor sich -hin. Sie geht durch dunkle, frostdumpfe Gassen. Sie -läuft. Sie fliegt. -</p> - -<p> -Jemand ist geschändet worden. Wer ist geschändet -worden. Der Tod ist geschändet worden. Christus ist -am Kreuz gestorben und man betet zu ihm um gutes -Wetter. Gustav ist gestorben und man streicht die Ausgaben -für ihn mit rotem Bleistift aus dem Einschreibebuch. -</p> - -<p> -Sie will nie mehr nachhause zurück. Lieber in -ein Freudenhaus. -</p> - -<p> -Wer will nicht zurück – Ihre Glieder tragen Mutters -Ungeduld und Vaters Leiden. Richards Hochmut und -Marthas Resignation geben ihr ihre Kopfhaltung, ihre -kindische Würde. Als Onkel Gustav sterben mußte, -war etwas in ihrem innersten Mark zerrissen. -</p> - -<p> -Jedes einzelne Blutgefäß spinnt einen langen Faden -aus sich heraus in Mutters Hände hinein, die ja so fremd -sind, so in sich zerbrochen. Aber eine Stimme schreit -aus Ruths Kehle, die ist ganz neu. Vielleicht kommt -sie von den Obstbäumen auf den wilden Feldern, die -alle in ein paar Monaten blühen werden. -</p> - -<p> -Noch preßte die Kälte die Häuser zusammen. Und -alle Menschen steckten in wollenen Jacken, deren Farbe -nicht schön war. -</p> - -<p> -<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> -Ruth kauerte tagelang vor ihrem kleinen Ofen. -Ihr Körper war steif geworden und ihr selber unbekannt. -Vor diesem Ofen war Thomas an seinem letzten Abend -gelegen. Und sie selbst. Und vielleicht noch ein dritter. -</p> - -<p> -Nun ist sie müde, nicht zum Sagen müde. Sie -möchte sich die Haut von den Armen streifen. Sie -möchte sich in sich hinein verkriechen und in einer -dunklen Ecke verstecken. Allein sein. Sie kennt -niemanden mehr. Was wollen alle diese von ihr, diese -Lügner, die nur zum Schein ganz leben und an hundert -Stellen getötet sind. Diese heimlichen Mörder untereinander. -</p> - -<p> -Wo ist ihre Grenze. Sie kann sie nicht erblicken. -Sie späht um sich mit leeren Augen. Wer sieht aus -ihr heraus? Wer wühlt mit bleichen, schweren, kraftlos -vollen Händen in ihrem Hirn? Das alles kann sie doch -allein so ganz unmöglich verstehen. Sie ist ja jung, in -ihren Zehen federt die Sprungkraft ihrer Jahre. -</p> - -<p> -Sie möchte schon lange tot sein. Aber sie wird -jetzt nicht sterben. Sie genießt nur die süße Müdigkeit -und darf sie doch nicht bis an das Ende kosten. In -ihr lebt ein Fremder, Mächtiger. Und denkt. -</p> - -<p> -So kauert sie vor dem verglühenden Ofen. Der -immer weiter brennt. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-12"> -<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> -Vision -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">U</span><span class="postfirstchar">nter</span> den hochkreuzigen Fenstern läuft die Straße. -Die Straße, die alle gehen müssen. Die eine Straße. -Der eine Weg. -</p> - -<p> -Pferdehufe schlagen das bucklige Pflaster. Wagenräder, -die in sich zerbrechen, kratzen darüber hin. Und -so viel Schuhe. Hochmütig spitze aus weichem Leder, -behäbig breite, löcherige und Holzsandalen. -</p> - -<p> -Vielleicht sind alle die Eilenden lautlos. Und nur -der rohe Stein lärmt. Poltert, rattert, zerschmettert – -in nichts. -</p> - -<p> -Die Luft war weich geworden und der Schnee -schmolz in großen, brandigen Klumpen. Strähnig schleckte -er sich über die Dächer. Schwamm in den braunen -Pfützen. Die Schaufenster waren frisch gewaschen. -Straßenlichter stritten mit langer Dämmerung. -</p> - -<p> -Das war schon immer gewesen. Ruth lag vor ihrem -Fenster und getraute sich nicht, es zu öffnen. So war -sie einen ganzen, langen Scharlach hindurch einmal an -den Fenstern gelegen. Als sie so klein war, daß sie -ein Fragezeichen von einem großen S nicht unterscheiden -konnte. Und beide ineinander an das trübe Fensterglas -zeichnete. Als sie zu Mutter betete und ihre Furcht vor -der nahen Nacht unter erdachten Abenteuern vergrub. -</p> - -<p> -<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> -Nun lag sie an dem Fenster und wußte: Dieses -junge Mädchen wird bald ein neues, lustig blaues -Sommerkostüm bekommen. Der Mann dort schleppt die -eine Achsel schwer. Er muß viele Lasten darauf getragen -haben. Warum lebt die alte Frau noch, mit den -traurigen weißen Haaren? Ob das kleine Mädchen mit -der Springschnur auch so parkmüde ist, wie sie es immer -war, nach den stundenmäßig eingeteilten Spaziergängen – -</p> - -<p> -Sie gingen alle in einem Rhythmus. Ruth spürte -das gleichmäßige Aufschlagen der Sohlen – jetzt – -und jetzt – wieder – und jetzt – wieder – und -jetzt. Ein Betrunkener johlte unten in dem Wirtshaus, -daß man den sauren Weingeruch heraufwirbeln fühlte. -Dann das Schweigen der Schritte – jetzt – und jetzt -– wieder und jetzt – -</p> - -<p> -Bis ein Lastwagen dieses Schweigen zerbricht, so -daß tausend lebendige Splitter über den Rinnstein -springen. -</p> - -<p> -Richard kommt die Straße herunter. Er trägt noch -den steifen, schwarzen Hut, wie im Winter. Er weiß -nicht, daß heute Sommer ist. Daß sich alle ungefesselten -Glieder ausziehen müssen und dem durstenden Föhn -anbieten. Mutter schlägt im Nebenzimmer eine Tür zu – -</p> - -<p> -Ruth suchte sich pfeifend ihren alten Strohhut aus -einem eingekampferten Kasten. Schlug ihn platt auf den -Tisch, daß das Geflecht knirschte. Und lief davon. Ohne -Handschuhe. -</p> - -<p> -Lief durch die eine Straße. Den einen Weg. -</p> - -<p> -<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> -Wann war es das erste Mal, daß sie so gelaufen -war? Daß ihre selig gläubigen Füße sie über Tiefen -springen ließen, die zwischen den Pflastersteinen lauerten. -Wann war es – gestern – heute – morgen wird -es sein – -</p> - -<p> -Die Erde ist schwanger von blühendem Leben. -Und das Geborene ist tot. Und die Luft ist schwer zu -atmen vor erstickten Keimen. -</p> - -<p> -Braungrün schwimmen die Pfützen im letzten Tageslicht. -Die Laternen flimmern bloß. -</p> - -<p> -Ruth läuft den einen Weg. Die eine Straße. Es ist -ja immer dieselbe eine. Mit jedem Schritt fällt ein Stück -Last von ihren schmalen Schultern. In die tauende Erde. -Aber sie kehrt nicht um, damit sie dieses Stück in den -Boden hinein zertritt. Recht fest. Nein, sie läuft ja -immer weiter. -</p> - -<p> -Ein Kutscher knallt mit der Peitsche. Ein altes -Weib keift – oder vielleicht erzählt sie nur. Aber immer -weiter, immer weiter, den einen Weg. Die Straße ist -ja furchtbar schrill, die Häuser haben so empörend -scharfe Kanten, die die Luft zerschneiden, wie aufgestellte -Messer. -</p> - -<p> -Aus den offenen Fenstern fällt eine grauweiße -Masse heraus. Sind das schmutzige Leintücher – Die -wollen sie hindern am Weiterkommen auf dem einen Weg. -</p> - -<p> -Nein, diese vielen, empörend fremden, gleichgültigen -Menschen. Da schmeißen sie die ganze Winterausdünstung -auf die Straße herunter. Ihr entgegen. Diese -vielen. Und sie sucht nur den einen. -</p> - -<p> -<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> -Wer sind die alle, die sie nicht lieben darf – Diese -Holzpuppen, die es wagen ihr Schuhe zu machen und -Gesetze zu geben. Die nach Schweiß stinken und Bier. -Sie sucht den einen. -</p> - -<p> -Sie will die alle ja gar nicht kennen, die da gierig -an ihr vorbeilaufen. Sie weiß so schmerzhaft gut, was -sie suchen, was sie niemals finden. Warum weiß sie es -so gut. Sie will es gar nicht wissen. Will zu dem einen. -</p> - -<p> -Unverständige Kinder dulden stumm die Schmerzen -der Eltern mit. Und heben, aufgewachsen, die Hand -gegen ihre Erzeuger. Spitze Tiermäuler saugen die -Menschenliebe von den Mittagstischen. Und Krieg liegt -in den nahen Grenzen. -</p> - -<p> -Warum weiß sie das. Sie geht nur zu dem einen. -Der weiß es auch. -</p> - -<p> -Die grauen Leintücher werden immer dichter. Man -sollte die kantigen Häuser untergraben, sprengen, daß -alles Geschirr aus den Fenstern stäubt, die blumigen -Suppenschüsseln, die blauen Kochtöpfe. O, wie sie -lachen wird. Mutter schlägt die Hände über dem Kopf -zusammen. Aber Thomas hätte auch gelacht. Die Grundmauern -der Häusermassen sind lange nicht so fest wie -die beschmutzten Ecksteine. Aber was braucht sie das -zu wissen. Sie geht zu dem einen. Er soll es wissen. -</p> - -<p> -Man darf nicht warten bis die Häuser einfallen. -Die große Fackel muß man nehmen, Thomas’ Fackel. -Die liegt bereit, nicht weit weg. Lichtzüngelnde Flammen -sollen die grauen Leintücher zerfetzen. Hoch hinauf, das -muß geschehen. Sie weiß es. Nein, sie wird es nicht -<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a> -lange mehr wissen. Sie läuft hin zu dem einen. Er soll -es wissen. -</p> - -<p> -Da steht sie vor seinem Haus. Seine Fenster sind -dunkel. Viel dunkler als die verschwommene Straße. -Und ganz leer. -</p> - -<p> -Er ist also auch heraußen. Vielleicht geht er sogar -hinter ihr, neben ihr. Sie kann nur den Kopf nicht -wenden. Weil sie immer weiter gehen muß, geradeaus. -</p> - -<p> -Ihre Hände sind heute schwer und voll und weich und -weiß. Die Schultern legen sich nach rückwärts, künstlich -steif. Eine lichtbraune Locke, die gerne zigeunerhaft -sein möchte, hängt in die Stirne. -</p> - -<p> -Wie jung der Winterfrühling ist. Und wie alt die -Einsamkeit. Wohin gehen, wenn das Zimmer nur voll -ist von einem selber. In den gelben Phiolen brodelt -man selbst, verdickt, kondensiert. -</p> - -<p> -Es gibt Kaffeehäuser mit rauchigen Tischen und -zahllosen Zeitungen. Dort sich niedersetzen. Die Kellnerinnen -sind liebenswürdig, bedienen gerne. -</p> - -<p> -Eine dicke Brille schützt den scharfen Blick gut. -Sie ist aus solidem Fensterglas. Besser in das hohe -Weinglas schauen als um sich herum. Die Luft ist dick -von grauen Leintüchern. In denen die kampfunfähigen -Glieder schon oft sich vergraben haben. -</p> - -<p> -Zwei Commis spielen Billard. Die Glücklichen. Und -jeder weiß, wohin er dann gehen wird. Die Glücklichen. -</p> - -<p> -Die Indianerhäuptlinge in den Knabenbüchern wußten -auch immer wohin sie gingen, nach den furchtbaren -Schlachten. Diese Leute langweilten sich nie. Dachten -<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> -auch nie. Das hatten sie nicht notwendig. Sie lebten auf -wilden Pferden in unabsehbaren Prärien. Wehendes -Gras unter licht schwimmendem Himmel. Wo sind diese -Füße – Sechs Häuser weit weg von der Gasse. Aber -die Füße sind steif. Und der Kopf arbeitet an einem -mathematischen Problem. -</p> - -<p> -In den schmierigen Marmor des Kaffeehaustisches -zeichnen schwere, bleiche Hände tote Formeln. -</p> - -<p> -Die weiche Luft, die zugig durch den Rauch schlägt, -ärgert diese Formeln. Diese Formeln bekommen blühende -Rundungen. Leberblümchen, Primeln – o, nein, grinsend -verzerrte Buchstaben. -</p> - -<p> -Die Knochen sind sehr schwer. Aber sie sind -einander wohlerzogen angegliedert. Und bleich. Nicht -roh durcheinander gebeutelt wie bei Thomas. Zum Glück -– oder Unglück. -</p> - -<p> -Sie gehören einem Menschen an, der im Parkett -des Theaters sitzt und den Vorgängen auf der Bühne -zusieht, sehr interessiert und sehr fremd. Aber zuhause -wartet kein verschlossenes Zimmer auf ihn, vor dem er -Angst hat, weil er nicht alle seine Geheimnisse kennt. -</p> - -<p> -Deshalb sehen die erlebnislosen Zuschauerblicke -alles so genau, viel zu genau und verstehen alles -genau, viel zu genau, wissen alles. -</p> - -<p> -An einem Sommerabend kniete einmal ein kleines -Mädchen vor dem Tisch und biß in die Kante, daß das -Holz zersplitterte. Ihre Seele lag nackt und zitternd -einsam auf einem dunklen Seziertisch vor fremden, -prüfenden Augen. Zerschnitten. Aber die Zähne zerbissen -<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a> -den alten Tisch. Kräftige Zähne. Ein fremdes kleines -Mädchen. -</p> - -<p> -Durch die Kaffeehaustür geht eine üppige Frauensperson. -Selbstgeschlossen in ihrer Reife. Rotblondes -Haar und Lippen, die Geld fressen wollen. Der Hut -wippt zu hoch, über einer häßlichen Stirne. Ihr nach. -</p> - -<p> -Ihr nach durch schlüpfrige Gassen und winkelige -Höfe. Wie stolz sie geht, sie ist eine Königin der Erde. -Karminrot geschminkt. Alle Königinnen sind karminrot -geschminkt. -</p> - -<p> -Nicht die volle Hand berühren. Aber hinter ihr -her gehen. Langsam, kostend. -</p> - -<p> -Sie geht auf ein Haus zu mit verschlossenen Laden. -Im Parterre sind weiße Spitzenvorhänge und über dem -Tor glüht brünstig die rote Laterne – -</p> - -<p> -– Wohin will das Fräulein – ein junger Kellner mit -schwarzen Zähnen im grünbleichen Gesicht tritt ihr entgegen. -Die Zähne des Leutnants. In der kleinen Halle -stehen rote Korbsessel. -</p> - -<p> -– Entschuldigen Sie, sagte Ruth aufmerksam und -langsam, ich glaube, ich bin in ein falsches Haus geraten. -Lief dort nicht jemand über die Treppen mit zurückgelegten -Schultern? – -</p> - -<p> -Ruth fuhr mit der Straßenbahn nachhause. Im -roten, lärmenden Tabaksdunst. Ihre schmalen, braunen -Hände spielten auf den Knien. Da waren noch die Narben -von dem Hundebiß. Ihre Hände. Braun. Vielleicht auch -etwas gelb von den Phiolen. -</p> - -<p> -<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> -Auf seinem Schreibtisch war einmal ein scharf geschliffenes -Messer gelegen. Das schneidet gut. Es riecht -nach Blut und Chemikalien. -</p> - -<p> -Soll sie sich das Messer holen? Die zarten Adern -aufschneiden? Was kann das nützen. Von den feinsten -Poren des Hirns aus durch den ganzen Körper strömen -die müden Säfte eines verbrauchten Lebens. Gift. -</p> - -<p> -Das findet kein Messer. Er hat gut experimentiert. -Die Phiole brodelt. -</p> - -<p> -Ruth sieht um sich. Aber in ihren entkleidenden -Blicken leuchtet eine junge Kraft. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="part-13"> -<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> -Abrechnung -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> komme zu dir, sagte Ruth. Und seine Augen -zitterten. Triumph. -</p> - -<p> -Das ganze Zimmer warf sich ihr entgegen in einer -Staubwolke. Verweste Gedanken. Sie lächelte. -</p> - -<p> -– Wie ich mich freue, daß du wieder da bist. Er -drückte liebenswürdig ihre Hände. Sie fühlte, daß sie -müdbraune Handschuhe hatte. In den Schaufenstern -der Juweliere liegen Diamantarmbänder. -</p> - -<p> -Auf dem unordentlichen Schreibtisch kollern sattgelb -Minerale. Wo sind die Phiolen – und das -scharfgeschliffene Messer – ist das Thomas’ Messer – -</p> - -<p> -– Warum hast du die Fenster nicht offen? In -den Gärten liegt Flieder. Doch nein, laß es. -</p> - -<p> -Ruth lächelte, während sie dachte: wozu die wirren -Locken – Er könnte genau so gut einen braven Scheitel -haben wie Norbert. -</p> - -<p> -Und als er mit den großen, zerbrochenen Bewegungen -die Zigarre anzündete – wie immer – stürzte -das Gleichgewicht der Frühlingsstraßen draußen in sich -zusammen und zwischen den zersplitterten Pflastersteinen -tanzte Bella mit Thomas. Aus Mutters Kommode -taumelten Briefe – -</p> - -<p> -– Du sprichst gar nichts, sagte er. – Du weißt -alles, sagte sie. -</p> - -<p> -<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> -Dann schwiegen beide. Aber wie die Dämmerung -so weit hereingekrochen war, daß das steifbeinige Zifferblatt -der Uhr verschwimmen mußte, sagte Ruths Stimme, -fremd und hell: -</p> - -<p> -– Du wartest, daß ich dir erzähle. Was soll ich dir -erzählen? Es ist nichts geschehen. Es ist etwas Ungeheures -geschehen. Ich trage bis heute die ganze -Last deines verbrauchten Lebens in mir. -</p> - -<p> -Ich sehe deine weißen, mörderischen Hände. Wenn -es auch dunkel ist. Warum hast du niemals Leberblümchen -mit ihnen gepflückt oder Primeln. Stiefmütterchen, die -zwischen den Bahnschwellen liegen. Warum bist du -denn immer hinter den langweiligen Bahnschranken -stehen geblieben und niemals mitgefahren in federnden -Kissen. Deine Hände sind auf den weiß gestrichenen -Schranken gelegen. Noch als du ein kleiner Junge -warst und hinauf greifen mußtest. Sie haben sich nicht -getraut, eure Kaninchen zu erwürgen. Obwohl sie es -so gerne getan hätten. O, du hättest es tun -sollen – -</p> - -<p> -Aber das Weiße in Mutters Augen ist zerbrochen. -Ich weiß es. -</p> - -<p> -Ich weiß jetzt alles. Und ich fühle den Zorn, der -deshalb in dir tobt. Und die blutlechzende Freude, mit -der du mich wiederkommen siehst. Denn ich bin wiedergekommen. -</p> - -<p> -Weil ich deine feigen Nächte kenne. Deine -Phiolen – -</p> - -<p> -<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> -Er war aufgesprungen und stand vor ihr, so groß -und dunkel, daß die Dämmerung bleich werden mußte -und verdrängt. -</p> - -<p> -Da sank sie in sich zusammen: – Ich liebe deine -Hände. Ich liebe deine Minerale. Ich liebe dein Gift – -dich – -</p> - -<p> -Er beugte sich über sie, tief, erdrückend. -</p> - -<p> -Sie bäumte sich auf. Und fühlte seine kampfbereiten -Muskeln. -</p> - -<p> -Er keuchte: – und – -</p> - -<p> -Sie neigte den Kopf: – Ich habe mich ergeben ... -</p> - -<p> -Als sie wieder aufschaute stand er in einer Fensternische, -bleicher als die Dämmerung. Und das Zimmer -war weich geworden und willenlos ausdehnbar. Ohne -Kampfkraft. -</p> - -<p> -Ruth stand auf und lächelte: – Ich glaube, jetzt -haben wir einander nichts mehr zu sagen. -</p> - -<p> -Und sie ging durch die nachtschweren Gassen, -sich badend in dem blütenschwangeren Regen des Mai. -</p> - -<div class="trnote chapter"> -<p class="transnote"> -Anmerkungen zur Transkription -</p> - -<p> -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. -Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -</p> - - - -<ul> - -<li> -... Wer hat ihr jetzt eine Maschine in den Kopf gesetzt<span class="underline">.</span> ...<br /> -... Wer hat ihr jetzt eine Maschine in den Kopf gesetzt<a href="#corr-5"><span class="underline">?</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... mit <span class="underline">licht gepeinigten</span> Augen, grell, schreiend grell, laut. ...<br /> -... mit <a href="#corr-6"><span class="underline">lichtgepeinigten</span></a> Augen, grell, schreiend grell, laut. ...<br /> -</li> - -<li> -... hat eine <span class="underline">wohlgefühlte</span> Geldbörse in der Tasche. Kupfergelb, ...<br /> -... hat eine <a href="#corr-9"><span class="underline">wohlgefüllte</span></a> Geldbörse in der Tasche. Kupfergelb, ...<br /> -</li> - -<li> -... soll<span class="underline">.</span> Mutter sah sie erstaunt an. – Ja, ich kann doch nicht ...<br /> -... soll<a href="#corr-22"><span class="underline">?</span></a> Mutter sah sie erstaunt an. – Ja, ich kann doch nicht ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Vergiftung, by Maria Lazar - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERGIFTUNG *** - -***** This file should be named 62801-h.htm or 62801-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/2/8/0/62801/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. 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By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. 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