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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Der rote Stern - Ein utopischer Roman - -Author: Alexander Bogdanow - -Translator: Hermynia Zur Mühlen - -Release Date: August 20, 2020 [EBook #62985] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ROTE STERN *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was -produced from scanned images of public domain material, -provided by the German National Library. - - - - - - - Erstes Buch der Internationalen Jugendbücherei - - - A. Bogdanoff - - - - - Der rote Stern - - - Ein utopischer Roman - - - Aus dem Russischen übertragen - von Hermynia Zur Mühlen - - - 1923 - Verlag der Jugendinternationale - Berlin-Schöneberg - - - Die mit diesem Eindruck versehenen Exemplare dürfen nur - an Mitglieder der der 3. Internationale angeschlossenen - Organisationen zu ermäßigten Preisen abgegeben werden. - - Alle Rechte insbesondere das der Uebersetzung vorbehalten - Copyright by Verlag der Jugendinternationale, Berlin-Schöneberg, - 1923 - Druck der Vereinsdruckerei G. m. b. H., Potsdam - - - - - Dr. Werner an den Schriftsteller Mirski - - -Lieber Genosse, ich sende Ihnen Leonids Schriften. Er wollte sie -veröffentlichen, -- Sie verstehen sich auf diese Dinge besser als ich. -Leonid hat sich verborgen. Ich verlasse das Krankenhaus, um ihn zu -suchen. Meiner Ansicht nach wird er in den Bergwerksgebieten zu finden -sein, wo sich eben gewaltige Ereignisse vorbereiten. Anscheinend ist das -Ziel seiner Flucht -- ein verborgener Selbstmordversuch, die Folge -seiner Geisteskrankheit. Und er war doch der völligen Heilung schon so -nahe. - -Sobald ich etwas erfahre, werde ich Sie verständigen. - - Mit herzlichen Grüßen - Ihr - N. Werner. - -24. Juli 19.. - - - - - Leonids Manuskript - - - Erster Teil - - - Der Bruch - -Es war zu jener Zeit, da in unserem Lande der gewaltige Zusammenbruch -seinen Anfang nahm, jener Zusammenbruch, der noch heute weiter geht und -der sich, meiner Ansicht nach, dem unvermeidlichen, drohenden Ende -nähert. - -Die ersten blutigen Tage erschütterten dermaßen das gesellschaftliche -Bewußtsein, daß alle den raschen und leuchtenden Ausgang des Kampfes -erwarteten; es schien, als wäre das Aergste bereits geschehen, als könne -es gar nichts Aergeres mehr geben. Niemand vermochte sich vorzustellen, -wie unerbittlich starr die knochige Gespensterhand sei, die alles -Lebendige erdrosselt hat und auch noch heute in ihrer verkrampften -Umarmung festhält. - -Die Erregung des Kampfes durchströmte die Massen. Die Seelen der -Menschen eilten unbändig der Zukunft entgegen, die Gegenwart verschwamm -in einem rosigen Nebel, die Vergangenheit entschwand irgendwo, in weiten -Fernen, wurde aus den Augen verloren. Alle menschlichen Verhältnisse -waren unsicher und verschwommen, wie noch nie zuvor. - -In jenen Tagen ereignete sich all das, was mein Leben verwandelte und -mich aus der Sturzflut des proletarischen Kampfes fortriß. - -Trotz meiner siebenundzwanzig Jahre war ich in der Arbeiterpartei einer -der »Alten«. Es wurden mir sechs Jahre der Arbeit angerechnet, -unterbrochen durch ein Jahr Gefängnis. Früher als manch anderer fühlte -ich das Nahen des Sturmes, und ging ihm auch gelassener entgegen. Es war -nötig, weit mehr als bisher zu arbeiten, dennoch gab ich meine Studien -nicht auf; besonders interessierten mich die Fragen der Struktur der -Materie. Doch war dies nicht nur platonisch, sondern ich schrieb auch -für wissenschaftliche Zeitschriften, verdiente auf diese Art mein Brot. -Zu jener Zeit liebte ich, oder glaubte zumindest zu lieben. - -In der Partei war ihr Name Anna Nikolajewna. - -Sie gehörte der anderen, der gemäßigteren Richtung unserer Partei an. -Ich erklärte mir dies aus der Weichheit ihres Charakters, sowie aus der -allgemeinen Verworrenheit der politischen Verhältnisse unseres Landes. -Obgleich sie älter war als ich, hielt ich sie dennoch nicht für einen -völlig geklärten Charakter. Doch irrte ich. - -Bald nachdem wir einander näher gekommen waren, zeigte sich die -Verschiedenheit unserer Charaktere auf schmerzlichste Art. Allmählich -bildeten sich die tiefsten gedanklichen Widersprüche aus, die sich -sowohl auf unsere Stellung zur revolutionären Arbeit, als auch auf unser -persönliches Verhältnis bezogen. - -Sie war unter der Fahne der Pflicht und des Opfers zur Revolution -gekommen -- ich unter der Fahne des eigenen freien Verlangens. Sie hatte -sich der großen proletarischen Bewegung als Moralistin angeschlossen, -suchte darin die Befriedigung höherer Sittlichkeit -- ich hingegen -gehörte der Bewegung als Amoralist an, als Mensch, der das Leben liebt, -dessen höchste Blüte ersehnt und sich jener Bewegung zuwendet, die den -zur Entwicklung und Blüte führenden Weg der Geschichte verkörpert. Für -Anna Nikolajewna war die proletarische Ethik heilig in sich selbst, ich -jedoch betrachtete diese als nützliche Anpassung, die im Klassenkampf -wohl unerläßlich sei, aber vergänglich wie der Kampf selbst, und bloß -aus der Lebensordnung geboren. Anna Nikolajewna erwartete von der -sozialistischen Gesellschaft ausschließlich eine Umwandlung und -Erneuerung der proletarischen Klassenmoral, während ich behauptete, daß -das Proletariat schon heute die Vernichtung jeglicher Moral anstrebe und -daß das sozialistische Gefühl, indem es die Menschen zu Kameraden der -Arbeit, der Freude und des Leids mache, nur dann völlig ungehemmt -herrschen könne, wenn es den Fetisch-Mantel der Sittlichkeit von sich -werfe. Aus dieser Meinungsverschiedenheit entstanden gar häufig -Widersprüche über die Wertung politischer und sozialistischer Faktoren, -Widersprüche, die zu schlichten unmöglich war. - -Noch weit schärfer zeigte sich unsere Meinungsverschiedenheit, wenn es -sich um unser persönliches Verhältnis handelte. Sie fand, daß die Liebe -zur Nachgiebigkeit, zum Opfer, vor allem aber zur Treue verpflichte, -solange der Bund bestehe. Ich dachte gar nicht daran, eine neue -Verbindung einzugehen, doch vermochte ich die Treue als Pflicht nicht -anzuerkennen. Ja, ich behauptete sogar, daß die Polygamie höher stehe -als die Monogamie, weil sie dem Menschen ein reicheres persönliches -Leben und den Nachkommen mehr Vielartigkeit zu geben vermag. Meiner -Ansicht nach ist die sogenannte Unmöglichkeit der Polygamie nur von den -Widersprüchen der bürgerlichen Ordnung geschaffen, gehört zu den -Privilegien der Ausbeuter und Parasiten, zu deren schmutzigen, sich -zersetzenden Psychologie. Auch hierin muß die Zukunft eine gewaltige -Wandlung bringen. Diese Auffassung erschütterte Anna Nikolajewna aufs -tiefste: sie sah darin einen Versuch, in der Form der Idee die groben -sinnlichen Beziehungen zum Leben zu rechtfertigen. - -Trotz allem sah ich, ahnte ich nicht die Unvermeidlichkeit eines -Bruches. Da drang in unser Leben ein von außen kommender Einfluß, der -die Entscheidung beschleunigte. - -Um diese Zeit kam in die Hauptstadt ein junger Mann, der den in unseren -Kreisen ungewöhnlichen Decknamen Menni trug. Er brachte aus dem Süden -Berichte und Aufträge mit, die klar erkennen ließen, daß er das völlige -Vertrauen der Genossen besitze. Nachdem er seine Aufgabe erfüllt hatte, -beschloß er, noch einige Zeit in der Hauptstadt zu verweilen, und suchte -uns häufig auf; es schien ihm viel daran gelegen, meine Freundschaft zu -erwerben. - -Er war in vielem ein origineller Mensch. Schon sein Aeußeres war -ungewöhnlich. Seine Augen wurden derart von dunklen Brillen verdeckt, -daß ich nicht einmal ihre Farbe kannte, sein Kopf war unproportioniert -groß, seine Gesichtszüge waren schön, doch seltsam unbeweglich und -leblos, sie harmonisierten nicht im geringsten mit der weichen -ausdrucksvollen Stimme und der schlanken, jünglinghaft-biegsamen -Gestalt. Er sprach frei und fließend, und was er sagte, war stets -gehaltvoll. Seine Bildung war äußerst einseitig; dem Beruf nach schien -er Ingenieur zu sein. - -Im Gespräch hatte Menni die Gepflogenheit, einzelne praktische Fragen -auf allgemeine Grundideen zurückzuführen. Befand er sich bei uns, so -geschah es stets, daß die zwischen meiner Frau und mir bestehenden -Charakter- und Meinungsverschiedenheiten irgendwie in den Vordergrund -gelangten, und zwar derart deutlich und scharf, daß wir voller Qual die -Aussichtslosigkeit des Ganzen erkannten. Mennis Weltanschauung glich der -meinen; er verlieh ihr der Form nach voller Vorsicht und Zartheit, dem -Inhalt nach jedoch voller Schärfe und Tiefgründigkeit Ausdruck. Er -verstand es, unsere verschiedenartigen politischen Ansichten derart -geschickt mit der Verschiedenartigkeit unserer Weltanschauung zu -verknüpfen, daß dieser Unterschied als psychologische Notwendigkeit -erschien, ja schier als logische Schlußfolgerung; jegliche Hoffnung der -gegenseitigen Annäherung entschwand, der Möglichkeit, über die -Meinungsverschiedenheiten hinweg, zu irgendetwas Gemeinsamem zu -gelangen. Anna Nikolajewna empfand für Menni eine Art mit lebhaftem -Interesse gemischten Haß. In mir erweckte er große Achtung und ein -unklares Mißtrauen; ich fühlte, daß er ein Ziel verfolgte, wußte jedoch -nicht, welches. - -An einem Januartag -- es war bereits gegen Ende Januar -- wurde den -Parteiführern beider Richtungen der Plan einer Massendemonstration -unterbreitet, einer Demonstration, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu -einem bewaffneten Zusammenstoß führen würde. Am Vorabend der -Demonstration erschien Menni bei uns und warf die Frage auf, ob Anna -Nikolajewna entschlossen wäre, falls die Demonstration stattfände, -selbst die Parteiangehörigen anzuführen. Es entstand ein Streit, der -bald einen erbitterten Charakter annahm. - -Anna Nikolajewna vertrat die Ansicht, daß ein jeder, der für die -Demonstration gestimmt habe, moralisch verpflichtet sei, in den ersten -Reihen mitzugehen. Ich hingegen behauptete, dies wäre keineswegs -verpflichtend, es müßten nur jene mitgehen, die unentbehrlich oder von -wirklichem Nutzen seien; ich dachte dabei an mich selbst, als an einen -in derartigen Dingen erfahrenen Menschen. Menni ging noch weiter und -erklärte, angesichts des unvermeidlichen Zusammenstoßes mit der -bewaffneten Macht dürften nur redegewandte Agitatoren und -Kampforganisatoren mitgehen; die politischen Führer hingegen hätten bei -der Demonstration nichts zu suchen, Schwächlinge und nervöse Leute -könnten sogar gefährlich werden. Anna Nikolajewna war über dieses Urteil -gekränkt; es schien ihr, als sei es gegen sie gerichtet. Sie brach das -Gespräch ab und zog sich in ihr Zimmer zurück. Auch Menni entfernte sich -bald darauf. - -Am folgenden Tage stand ich frühmorgens auf und verließ das Haus, ohne -Anna Nikolajewna gesehen zu haben. Es wurde Abend, ehe ich heimkehrte. -Die Demonstration war von unserem Komitee abgelehnt worden, und soweit -mir bekannt war, hatten auch die Führer der anderen Richtung den -gleichen Beschluß gefaßt. Ich war mit dieser Lösung äußerst zufrieden, -denn ich wußte genau, wie wenig wir auf einen Konflikt mit Waffen -vorbereitet waren, und hielt ein derartiges Vorgehen für eine nutzlose -Kraftvergeudung. Auch glaubte ich, der Entschluß werde Anna Nikolajewnas -Erregung über das gestrige Gespräch ein wenig beschwichtigen ... Daheim -fand ich auf Anna Nikolajewnas Tisch folgenden Brief: - -»Ich gehe fort. Je mehr ich mich selbst und Sie begreife, desto klarer -wird mir, daß wir verschiedene Wege gehen und daß wir uns beide geirrt -haben. Es ist besser, wenn wir einander nicht mehr begegnen. Verzeihen -Sie mir.« - -Lange durchwanderte ich die Straßen, erschöpft, mit dem Gefühl der Leere -im Kopf und der Kälte im Herzen. Als ich heimkehrte, fand ich einen -unerwarteten Gast vor; am Tisch saß Menni und schrieb einen Brief. - - - Die Aufforderung - -»Ich muß mit Ihnen über eine äußerst wichtige und einigermaßen seltsame -Angelegenheit sprechen«, sagte Menni. - -Mir war alles einerlei; ich setzte mich nieder, bereit, ihn anzuhören. - -»Ich las Ihre Abhandlung über die Elektrone und die Materie«, begann er. -»Ich studierte selbst einige Jahre diese Frage und finde in Ihrer -Abhandlung viele wertvolle, richtige Ideen.« - -Ich verbeugte mich schweigend, und er fuhr fort: - -»Ihre Arbeit enthält eine für mich besonders interessante Bemerkung. Sie -gelangen dort zu der Annahme, daß die elektrische Theorie der Materie -zur unvermeidlichen Voraussetzung eine Schwerkraft hat, die sich aus der -elektrischen Kraft, sowohl als Anziehungskraft wie auch als -Abstoßungskraft ergibt, was zu einer neuen Auffassung der elektrischen -Schwerkraft unter einer andern Formel führen muß. Das heißt: wir -erhalten dadurch eine Art der Materie, welche die Erde abstößt anstatt -sie anzuziehen, und das gleiche gilt auch für die Sonne und die anderen -uns bekannten Körper. Sie bringen als Vergleich die diamagnetische -Abstoßungskraft der Körper und die Abstoßung der Parallelströme. All -dies ist bei Ihnen nur angedeutet, doch glaube ich trotzdem, daß Sie -diesen Voraussetzungen größere Bedeutung beimessen, als Sie in Ihrer -Arbeit zugeben wollten.« - -»Sie haben recht«, erwiderte ich. »Ich glaube, dies ist der einzige Weg, -auf dem die Menschheit das Problem der freien Bewegung in der Luft, -sowie jenes der Verbindung zwischen den Planeten zu lösen vermag. Aber -mag nun diese Idee in sich richtig sein oder nicht, jedenfalls ist sie -bis zum heutigen Tage fruchtlos geblieben, weil uns die richtige Theorie -der Materie und der Schwerkraft fehlt. Gibt es noch eine andere Art der -Materie, so ist es scheinbar unmöglich, diese zu entdecken: die -Anziehungskraft besteht für das ganze Sonnensystem, aber ebenso wahr -ist, daß sie bei dessen Entstehung, als sich dieses aus der Nebulosität -herausbildete, noch nicht bestand. Dies bedeutet, daß wir diese Art der -Materie noch theoretisch bilden und erst dann praktisch schaffen müssen. -Heute fehlen uns hierzu noch Mittel und Wege, wir ahnen bloß die -Aufgabe, die wir zu lösen haben.« - -»Trotzdem ist das Problem bereits gelöst«, erklärte Menni. - -Ich blickte ihn verblüfft an. Sein Gesicht war, wie immer, völlig -unbewegt, aber im Ton seiner Stimme lag etwas, das mich hinderte, ihn -für einen Charlatan zu halten. - -»Vielleicht ist er geisteskrank«, fuhr es mir durch den Kopf. - -»Ich habe keineswegs den Wunsch, Sie zu täuschen, weiß genau, was ich -sage«, mit diesen Worten antwortete er auf meine Gedanken. »Hören Sie -mich geduldig an, später, wenn es nötig ist, werde ich Ihnen die Beweise -erbringen.« Und nun berichtete er folgendes: - -»Die gewaltige Entdeckung, von der hier die Rede ist, war nicht die -Leistung einzelner Personen. Sie gehört einer ganzen wissenschaftlichen -Gesellschaft an, die seit recht geraumer Zeit besteht und schon lange an -diesem Problem arbeitete. Diese war bis heute eine Geheimgesellschaft, -und ich bin nicht bevollmächtigt, Ihnen Näheres über deren Ursprung und -Geschichte mitzuteilen, solange ich nicht mit dem Oberhaupt -zusammengekommen bin. - -Unsere Gesellschaft hat in vielen wichtigen Dingen die akademische Welt -weit überholt. Die Radium-Elemente und deren Zersetzung waren uns lange -vor Curie und Ramsey bekannt, und unseren Genossen gelang eine weit -tiefgehendere Analyse der Materie. Auf diesem Weg ahnten wir die -Möglichkeit des Bestehens von Elementen, die die Erdkörper abstoßen und -vervollkommneten die Synthese dieser Minus-Materie, wie wir sie -abgekürzt nennen. - -Nun fiel uns die technische Ausarbeitung und Anwendung dieser Entdeckung -nicht mehr schwer, -- vor allem, einen Flugapparat zu bauen, der sich in -der Atmosphäre unserer Erde zu bewegen vermag, dann einen Apparat, der -imstande ist, die Verbindung mit den übrigen Planeten herzustellen.« - -Mennis gelassener, überzeugter Ton vermochte nicht zu verhindern, daß -mir seine Erzählung äußerst seltsam und unwahrscheinlich erschien. - -»Und es gelang Ihnen tatsächlich, all dies zu leisten und dabei das -Geheimnis zu wahren«, unterbrach ich seine Rede. - -»Ja, denn dies erschien uns von ungeheuerer Wichtigkeit. Wir fanden, daß -es äußerst gefährlich wäre, unsere wissenschaftliche Entdeckung bekannt -zu geben, solange der größte Teil der Länder eine reaktionäre Regierung -besitzt. Und Ihr russischen Revolutionäre müßt, mehr als alle anderen, -mit dieser unserer Ansicht übereinstimmen. Betrachtet doch, wozu -Eure asiatische Regierung die europäischen Verbindungs- und -Vernichtungsmittel benützt: sie wendet sie an, um hier alles Lebendige, -Fortschrittliche zu erdrosseln und samt der Wurzel auszureißen. Was ist -an diesem halb feudalen, halb konstitutionellen Reich Gutes, auf dessen -Thron ein kriegslustiger, schwatzhafter Dummkopf sitzt, der sich von -allbekannten Gaunern lenken läßt? Wozu bestehen in Europa bereits zwei -kleinbürgerliche Republiken? Es ist klar, daß, wenn unsere Flugmaschinen -bekannt würden, die Regierung sich ihrer bemächtigen, sie zu einem -Monopol umwandeln würde, um sie zur Machtstärkung der herrschenden -Klassen auszubeuten und anzuwenden. Dies wollen wir auf keinen Fall -gestatten, deshalb soll auch in der Erwartung günstigerer Bedingungen -das Monopol in unseren Händen bleiben.« - -»Ist es Ihnen tatsächlich gelungen, einen anderen Planeten zu -erreichen?« erkundigte ich mich. - -»Ja, wir erreichten die zwei nächsten tellurischen Planeten, Venus und -Mars; den toten Mond rechne ich selbstverständlich nicht mit. Wir sind -nun damit beschäftigt, die Einzelheiten genauer kennen zu lernen. Wir -besitzen alle nötigen Mittel; was uns fehlt, sind starke, hoffnungsvolle -Menschen. Bevollmächtigt von meinen Genossen, fordere ich Sie auf, sich -uns anzuschließen. Selbstverständlich würden Sie dadurch alle unsere -Pflichten auf sich nehmen und alle unsere Rechte genießen.« - -Er verstummte, wartete auf eine Antwort. - -»Die Beweise«, sagte ich. »Sie versprachen mir Beweise zu geben.« - -Menni zog aus der Tasche eine Glasflasche, gefüllt mit einer -metallischen Flüssigkeit, die ich für Quecksilber hielt. Seltsamerweise -jedoch füllte diese Flüssigkeit bloß den dritten Teil der Flasche, und -zwar befand sie sich nicht auf dem Grund, sondern im oberen Teil, in der -Nähe des Flaschenhalses, ja sie reichte sogar bis an den Pfropfen. Menni -drehte die Flasche um, und nun sank die Flüssigkeit auf den Grund, das -heißt, sie strebte abermals in die Höhe. Menni ließ das Fläschchen los, -und es schwebte in der Luft. Dies war unglaublich, aber dennoch sah ich -es genau, konnte nicht daran zweifeln. - -»Die Flasche besteht aus gewöhnlichem Glas«, erklärte Menni. »Sie ist -mit einer Flüssigkeit angefüllt, die die Körper des Sonnensystems -abstößt. Die Flüssigkeit verfolgt nur den Zweck, der Flasche -Gleichgewicht zu verleihen; hat sonst keinerlei Bedeutung. Nach dieser -Methode verfertigten wir die Flugapparate. Sie bestehen aus gewöhnlichem -Material, enthalten aber ein Reservoir, das mit der nötigen Menge der -Materie der negativen Art gefüllt ist. Dann galt es noch, diesem Apparat -die gebührende Bewegungsschnelligkeit zu verleihen. Für die irdischen -Flugmaschinen genügt ein elektrischer Motor mit Luftschrauben, für die -interplanetare Bewegung freilich genügen diese Mittel nicht. Dort -verwenden wir eine völlig andere Methode, mit der ich Sie später bekannt -machen werde.« - -Es war unmöglich, noch weitere Zweifel zu hegen. - -»Was fordert Ihre Gesellschaft außer der Pflicht, das Geheimnis zu -wahren, von jenen, die sich ihr anschließen?« - -»Sie stellt fast keine anderen Forderungen. Kümmert sich weder um das -Privatleben, noch um die gesellschaftliche Tätigkeit der Genossen, falls -letztere nicht für die Ziele unserer Gesellschaft schädlich ist. Doch -muß ein jeder, der sich der Gesellschaft anschließt, irgendeine wichtige -verantwortungsvolle, von der Gesellschaft gestellte Aufgabe erfüllen. -Dies dient einerseits dazu, die Verbindung zwischen ihm und der -Gesellschaft zu verstärken, andrerseits aber dazu, seine Fähigkeiten und -seine Energie zu beweisen.« - -»Es würde also auch mir ein derartiger Auftrag, eine derartige Aufgabe -auferlegt werden?« - -»Ja.« - -»Was?« - -»Sie müßten sich der Expedition anschließen, die sich morgen im großen -Aetheroneff nach dem Planeten Mars begibt.« - -»Wie lange wird diese Expedition währen?« - -»Das ist noch unbekannt. Der Flug hin und zurück nimmt wenigstens fünf -Monate in Anspruch. Es ist auch möglich, daß die Expedition überhaupt -nicht zurückkehrt.« - -»Das begreife ich, und daran liegt mir auch nichts. Aber meine -revolutionäre Arbeit? Sie sind, wenn ich nicht irre, selbst -Sozialdemokrat und werden diese Schwierigkeit begreifen.« - -»Wählen Sie! Wir halten die Unterbrechung Ihrer Arbeit unumgänglich -notwendig für Ihr Werk. Für die einmal Aufgenommenen gibt es kein -Zurück. Eine einzige Weigerung ist eine Weigerung auf ewig.« - -Ich überlegte. Ob sich der eine oder andere Arbeiter aus der breiten -Masse ausschaltete, hatte für die Sache und das Ziel nicht die geringste -Bedeutung. Auch vermöchte ich, nach dieser vorübergehenden Unterbrechung -der Arbeit, unserer revolutionären Bewegung vermittels der neuen -Verbindungen, Kenntnisse und Mittel weit nützlicher zu sein. Ich -entschloß mich. - -»Wann muß ich zur Stelle sein?« - -»Sofort, Sie kommen gleich mit mir.« - -»Können Sie mir noch zwei Stunden geben, damit ich die Genossen -verständige? Sie müssen mich morgen im Bezirk vertreten.« - -»Dies ist schon fast getan. Heute kam Andrej, der aus dem Süden geflohen -ist. Ich teilte ihm mit, Sie würden vielleicht verreisen, und er ist -bereit, Ihre Stelle einzunehmen. Während ich Sie hier erwartete, schrieb -ich auf gut Glück an ihn und erteilte ihm die nötigen Anweisungen. Wir -können unterwegs den Brief für ihn abgeben.« - -Ich vermochte nicht länger zu schwanken. Rasch vernichtete ich einige -persönliche Schriften, schrieb an meine Wirtin und kleidete mich an. -Menni war schon bereit. - -»So, gehen wir. Von diesem Augenblick an bin ich Ihr Gefangener.« - -»Sie sind mein -- Genosse«, entgegnete Menni. - - - Die Nacht - -Mennis Wohnung nahm das ganze fünfte Stockwerk eines großen Gebäudes -ein, das an dem einen Ende der Stadt vereinsamt zwischen niederen -Häuschen aufragte. Wir begegneten niemandem. Die Zimmer, die ich mit -Menni durchschritt, waren leer; im grellen Licht der elektrischen Lampen -mutete diese Leere besonders trübselig und unnatürlich an. Im dritten -Zimmer blieb Menni stehen. - -»Hier«, und er wies auf die Tür des vierten Zimmers, »befindet sich das -kleine Luftschiff, in dem wir uns nach dem Aetheroneff begeben werden. -Vorher aber muß ich noch eine kleine Verwandlung bewerkstelligen. In -dieser Maske fiele es mir schwer, das Schiff zu lenken.« Er knöpfte den -Kragen auf, nahm zugleich mit den Brillen die erstaunliche Maske ab, die -wir, sowohl ich wie alle anderen, bis dahin für sein wahres Gesicht -gehalten hatten. Ich war von dem sich mir bietenden Anblick äußerst -verblüfft. Mennis Augen waren ungeheuer groß, waren größer, als dies -Menschenaugen je zu sein pflegen. Die Pupillen waren sogar für diese -unnatürlich großen Augen außerordentlich geweitet, was einen schier -erschreckenden Eindruck hervorrief. Der obere Teil des Gesichtes und der -Schädel waren so breit, wie dies bei den großen Augen notwendig schien, -hingegen war der untere, völlig bartlose Teil des Gesichtes ungewöhnlich -klein. All das machte einen sehr originellen Eindruck, gemahnte an eine -Mißgeburt, doch keineswegs an eine Karikatur. - -»Sie sehen, was für ein Aeußeres mir die Natur gab«, sprach Menni. -»Werden begreifen, daß ich es verbergen muß, schon um die Menschen nicht -zu erschrecken, mehr noch aber aus konspirativen Gründen. Sie jedoch -müssen sich an meine Häßlichkeit gewöhnen, denn Sie werden gezwungen -sein, lange Zeit mit mir zu verbringen.« - -Er öffnete die Tür des anstoßenden Zimmers und entzündete das Licht. Ich -erblickte einen großen Saal. In der Mitte lag ein kleiner, ziemlich -breiter Kahn aus Metall und Glas. Vorderteil, Bord und Boden bestanden -aus Glas und Stahlgeflecht; die durchsichtigen Wände von etwa zwei -Zentimeter Dicke waren augenscheinlich sehr fest. Am Vorderteil des -Schiffes befanden sich, in einem spitzen Winkel vereinigt, zwei starke -Kristallplatten; diese mochten die Luft zerschneiden und gleichzeitig -die Passagiere gegen den durch die rasche Bewegung erzeugten Wind -schützen. Die Maschine füllte den Mittelteil des Schiffes aus, die -Schrauben und die etwa einen halben Meter breiten Schaufeln nahmen den -Hinterteil des Schiffes ein. Der halbe Vorderteil des Schiffes, sowie -die Maschinen waren von einem feinen, dünnplattigen Schutzdach bedeckt; -den Glasbord verstärkten Metallbänder und leichte Stahlsäulen. Das Ganze -war fein und zierlich wie ein Spielzeug. - -Menni gebot mir, auf der Seitenbank der Gondel Platz zu nehmen, dann -verlöschte er das elektrische Licht und öffnete das riesige Saalfenster. -Er selbst setzte sich vorne an die Maschine und warf aus der Gondel -einige Säcke Ballast. Das Schiff zitterte, setzte sich langsam in -Bewegung und schwebte lautlos zum offenen Fenster hinaus. - -»Dank der Minus-Materie«, sagte Menni, »brauchen unsere Aeroplane nicht -die wichtigtuerischen und ungelenken Flügel.« - -Ich saß wie angeschmiedet, wagte nicht, mich zu rühren. Der Lärm der -Schrauben wurde immer stärker, die kalte Winterluft überströmte uns, -kühlte mir das glühende Gesicht, doch vermochte sie nicht durch meine -warmen Kleider zu dringen. Ringsum funkelten, schwebten tausend Sterne, -und unter uns ... Durch den durchsichtigen Boden der Gondel sah ich, wie -die dunklen Flecken der Häuser immer kleiner wurden und die hellen -Pünktchen der elektrischen Lampen immer mehr in der Ferne verschwammen; -in der Tiefe leuchteten die schneeigen Ebenen unter dem düsteren, -blaßblauen Himmel. Das Gefühl des Schwindels, das mich zuerst leicht und -fast angenehm gedeucht hatte, nahm heftig zu, und ich schloß die Augen, -um ihm zu entkommen. - -Schärfer wurde die Luft, mächtiger der Lärm der Schrauben und das -Pfeifen des Windes -- augenscheinlich steigerte sich unsere -Geschwindigkeit. Mein Ohr unterschied durch alle Geräusche einen feinen -ununterbrochenen, gleichmäßigen, silbrigen Ton -- die Luft peitschend, -erschütterte dieser die Glaswände der Gondel. Eine seltsame Musik -erfüllte das Bewußtsein, die Gedanken verwirrten sich, verschwanden, -zurück blieb einzig und allein das Gefühl einer elementar-leichten und -ungehemmten Bewegung, die uns weitertrug, vorwärts, vorwärts in den -unendlichen Raum. - -»Vier Kilometer in der Minute«, sprach Menni, und ich öffnete die Augen. - -»Ist es noch weit?« fragte ich. - -»Noch etwa eine Wegstunde auf eisgebundenem See.« - -Wir hatten eine Höhe von etlichen hundert Metern erreicht; das -Flugschiff bewegte sich horizontal, ohne sich zu senken und ohne höher -zu steigen. Nun hatten sich meine Augen bereits an das Dunkel gewöhnt -und ich vermochte alles ringsum klar zu erkennen. Wir waren in der -Gegend der Seen und Granitfelsen. Ueber den Schnee aufragend, dunkelten -die Felsen. Zwischen ihnen klebten Dörfchen. - -Zu unserer Linken blieben in der Ferne zurück die Flächen der von -gefrorenem Schnee bedeckten Felder, zu unserer Rechten die weiße Ebene -eines ungeheueren Sees. In dieser leblosen Winterlandschaft schickten -wir uns an, das Band zwischen uns und der alten Erde zu zerreißen. Und -jählings fühlte ich nicht nur die Ahnung, nein, die Gewißheit, daß -dieses Band nun auf ewig zerrissen werde ... - -Die Gondel senkte sich langsam zwischen die Felsen nieder, hielt an in -der kleinen Bucht des Bergsees, vor einem dunklen, aus dem Schnee -aufragenden Bau. Weder Fenster noch Türen waren zu sehen. Die -Metallhülle schob sich langsam zur Seite, eine schwarze Oeffnung kam zum -Vorschein, in die unsere Gondel hineinflog. Dann schloß sich die -Oeffnung von neuem, der Raum, in den wir gelangt waren, erhellte sich im -Licht elektrischer Lampen. Es war dies ein großes, langgestrecktes -Zimmer ohne Möbel; auf dem Fußboden lagen viele Säcke mit Ballast. - -Menni befestigte die Gondel an einem eigens dazu bestimmten Pfosten und -schob eine der Seitentüren auf. Sie führte auf einen langen, hell -erleuchteten Korridor. An den Seiten des Korridors befanden sich -Kajüten. Menni geleitete mich in eine derselben und sprach: - -»Hier ist Ihre Kajüte. Richten Sie sich hier ein; ich muß mich ins -Maschinenabteil begeben. Wir sehen uns morgen früh wieder.« - -Ich war froh, allein zu sein. Nach der durch die seltsamen Ereignisse -des Abends hervorgerufenen Aufregung machte sich bei mir große -Erschöpfung bemerkbar. Ohne das auf dem Tisch vorbereitete Abendessen -anzurühren, verlöschte ich die Lampe und warf mich aufs Bett. In meinem -Kopf vermischten sich auf unsinnigste Art die Gedanken, jagten von Thema -zu Thema, nahmen die unerwartetsten Formen an. Ich bemühte mich -hartnäckig, einzuschlafen, doch wollte mir dies lange Zeit nicht -gelingen. Endlich jedoch verdunkelte sich das Bewußtsein, unklare, -schwankende Gestalten begannen vor meinen Augen zu reigen, meine -Umgebung zerfloß ins Weite, und schwere Träume suchten mein Gehirn heim. - -Das Ganze endete mit einem furchtbaren Alpdruck. Ich stand am Rande -eines ungeheueren schwarzen Abgrunds, in dessen Untiefe Sterne -funkelten. Menni riß mich mit unbesiegbarer Kraft hinab, sagend, ich -dürfe nicht die Schwerkraft fürchten, wir würden nach einigen -hunderttausend Jahren des Sturzes die nächsten Sterne erreichen. Ich -stöhnte auf in der Qual des letzten Kampfes und erwachte. - -Weiches blaues Licht erfüllte meine Stube. Niedergebeugt zu mir, saß auf -meinem Lager -- Menni? Ja, er war es, aber phantastisch verändert: mir -schien, als sei er um vieles kleiner und seine Augen blickten nicht mehr -so scharf aus dem Antlitz; seine Züge waren weich und gütig, nicht kalt -und abstoßend, wie sie am Rande des Abgrunds gewesen ... - -»Wie gut Sie sind ...«, murmelte ich, unklar diese Veränderung -erfassend. - -Er lächelte und legte mir die Hand auf die Stirne. Eine kleine weiche -Hand. Ich schloß die Augen, mir kam der sinnlose Gedanke, daß ich diese -Hand küssen müßte, dann vergaß ich alles und versank in einen ruhigen, -wohltuenden Schlaf. - - - Die Erklärung - -Als ich erwachte und meine Stube erhellte, war es zehn Uhr. Nachdem ich -mich angekleidet hatte, drückte ich auf die Schelle, und gleich darauf -betrat Menni das Zimmer. - -»Werden wir bald abfahren?« fragte ich. - -»In einer Stunde«, erwiderte Menni. - -»Kamen Sie heute Nacht zu mir, oder träumte ich dies nur?« - -»Es war kein Traum, doch kam nicht ich zu Ihnen, sondern unser junger -Arzt Netti. Sie schliefen unruhig und gequält, er mußte Sie mit Hilfe -des blauen Lichtes und der Hypnose einschläfern.« - -»Ist er Ihr Bruder?« - -»Nein«, entgegnete Menni lächelnd. - -»Sie sagten mir noch nie, welcher Nation Sie angehören. Sind auch Ihre -übrigen Genossen vom gleichen Typus, wie Sie?« - -»Ja«, antwortete Menni. - -»Dies bedeutet, daß Sie mich betrogen haben«, sprach ich scharf. »Hier -handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Gesellschaft, sondern um -etwas ganz anderes?« - -»Ja«, erwiderte Menni gelassen. »Wir alle sind Bewohner eines anderen -Planeten, gehören einer andersgearteten Menschheit an. Wir sind -- -Marsbewohner.« - -»Weshalb betrogen Sie mich?« - -»Hätten Sie mich angehört, wenn ich Ihnen mit einem Male die ganze -Wahrheit gesagt haben würde? Ich hatte äußerst wenig Zeit, um Sie zu -überzeugen. Deshalb mußte ich um der Wahrscheinlichkeit willen die -Wahrheit fälschen. Ohne diesen Uebergang wäre Ihr Bewußtsein allzusehr -erschüttert worden. In der Hauptsache aber -- was diese unsere Reise -anbelangt -- sprach ich die Wahrheit.« - -»Ich bin also dennoch Ihr Gefangener?« - -»Nein, noch sind Sie frei. Es bleibt Ihnen eine Stunde Zeit, Ihren -Entschluß zu fassen. Wollen Sie die Fahrt aufgeben, so werden wir Sie -zurückbringen und unsere Reise aufgeben, denn es hätte für uns keinen -Sinn, allein heimzukehren.« - -»Wozu brauchen Sie mich?« - -»Um ein lebendiges Band zwischen uns und der irdischen Menschheit -herzustellen. Damit Sie unsere Lebensordnung kennen lernen und den -Marsbewohnern die nähere Bekanntschaft mit der irdischen Ordnung -vermitteln, damit Sie, falls Ihnen dies erwünscht ist, in unserer Welt -Vertreter Ihres Planeten seien.« - -»Ist dies nun bereits die volle Wahrheit?« - -»Ja, die volle Wahrheit. Falls Sie die Kraft fühlen, diese Rolle -durchzuführen.« - -»In einem solchen Fall muß ich es eben versuchen. Ich bleibe bei Ihnen.« - -»Ist dies Ihr endgültiger Entschluß?« fragte Menni. - -»Ja, wenn nicht auch diese letzte Erklärung irgend eine Art Uebergang -bedeutet.« - -»Also wir reisen«, sprach Menni, ohne meine Stichelei zu beachten. »Ich -gehe noch, um dem Maschinisten einige Weisungen zu erteilen, dann komme -ich wieder und wir wollen zusammen die Abfahrt des Aetheroneff -beobachten.« - -Er verließ das Zimmer, und ich blieb von den verschiedensten Gedanken -bewegt zurück. Noch war die Erklärung nicht vollständig. Es blieb eine -recht bedeutsame Frage übrig. Doch konnte ich mich nicht entschließen, -sie an Menni zu stellen. Hatte er bewußt, wissentlich meinen Bruch mit -Anna Nikolajewna herbeigeführt? Mir erschien dies so. Wahrscheinlich sah -er in ihr ein Hindernis für seine Ziele. Vielleicht mit Recht. Doch -hatte er den Bruch höchstens beschleunigen, nicht aber schaffen können. -Freilich war dies eine dreiste Einmischung in meine persönlichen -Angelegenheiten gewesen. Da ich aber nun bereits mit Menni verbunden -war, mußte ich meine Feindseligkeit gegen ihn unterdrücken. Es galt, das -Vergangene nicht mehr zu berühren; am besten würde es sein, nicht mehr -an diese Frage zu denken. - -Im allgemeinen bedeutete diese neue Wendung für mich keinerlei besondere -Erschütterung. Der Schlaf hatte mich gekräftigt, und es war schwer, nach -dem am gestrigen Abend Verlebten noch über irgend etwas in Verblüffung -zu geraten. Nun galt es bloß, den Plan künftiger Tätigkeit -auszuarbeiten. - -Offensichtlich bestand meine Aufgabe darin, mich so schnell und so -vollkommen wie möglich mit meiner neuen Umgebung vertraut zu machen. Am -besten wird es wohl sein, ich befasse mich zuerst mit dem -Zunächstliegenden, strebe dann Schritt für Schritt dem Fernerliegenden -zu. Als Zunächstliegendes erschienen mir der Aetheroneff, seine Bewohner -und unsere beginnende Fahrt. Der Mars war noch fern, im besten Fall -würden wir ihn, Mennis Worten zufolge, in zwei Monaten erreichen. - -Die äußere Form des Aetheroneff hatte ich bereits am vorhergehenden -Abend erblickt: sie war fast kugelförmig, mit abpolierten Enden, -gemahnte an das aufgestellte Ei des Kolumbus. Selbstverständlich war -diese Form gewählt worden, um bei möglichst kleiner Oberfläche die -größtmögliche Ausdehnung zu erhalten, das heißt, bei dem geringsten -Aufwand von Material die der Abkühlung ausgesetzte möglichst geringe -Fläche. Was das Material anbelangte, so schien dieses aus Aluminium und -Glas zu bestehen. Die innere Einrichtung sollte mir von Menni gezeigt -und erklärt werden, auch wollte er mich mit den übrigen »Ungeheuern« -bekannt machen, wie ich bei mir meine neuen Genossen nannte. - -Menni kehrte zurück und führte mich zu den übrigen Marsbewohnern. Sie -waren alle in dem Seitensaal versammelt, dessen ungeheueres -Kristallfenster die eine Hälfte der Wand einnahm. Das echte Sonnenlicht -wirkte nach der phantastischen Helle der elektrischen Lampen angenehm. -Es waren etwa zwanzig Marsbewohner zugegen; mich deuchte, sie hätten -alle die gleichen Gesichter. Der Mangel eines Bartes oder Schnurrbartes, -ja sogar das völlige Fehlen von Runzeln und Falten schien die -Verschiedenheit ihres Wuchses gleichsam zu verwischen. Unwillkürlich -heftete ich die Augen auf Menni, um ihn unter diesen mir fremden -Kameraden nicht zu verlieren. Uebrigens gelang es mir bald, zwischen -ihnen meinen nächtlichen Gast Netti zu erkennen, der sich durch seine -Jugendlichkeit und Lebhaftigkeit auszeichnete, sowie den -breitschultrigen Riesen Sterni zu unterscheiden, der mich mit kaltem, -fast unheildrohendem Gesichtsausdruck betrachtete. Außer Menni sprach -nur Netti Russisch. Sterni und drei oder vier andere redeten -Französisch, noch andere Englisch oder Deutsch; untereinander -unterhielten sie sich in einer mir völlig neuen Sprache, anscheinend -ihrer Muttersprache. Diese war wohlklingend und schön, und ich bemerkte -mit Vergnügen, daß die Aussprache offensichtlich keine großen -Schwierigkeiten bot. - - - Die Abfahrt - -Wie interessant auch immer die »Ungeheuer« sein mochten, so wurde meine -Aufmerksamkeit dennoch unwillkürlich von ihnen abgelenkt und richtete -sich auf den feierlichen, immer näher kommenden Augenblick der -»Abfahrt«. Ich starrte beharrlich auf die sich vor uns dehnende -schneeige Fläche und nach der steil aufragenden Granitwand. Jeden -Augenblick erwartete ich, einen starken Stoß zu verspüren, glaubte, -alles werde rasch zurückbleiben, in weiter Ferne verschwimmen. Doch -wurde ich in meiner Erwartung enttäuscht. - -Eine geräuschlose, langsame, kaum wahrnehmbare Bewegung entfernte uns -ein wenig von der Schneeplatte. Nach etlichen Sekunden erst wurde der -Aufstieg bemerkbar. - -»Eine Beschleunigung von zwei Zentimeter«, erklärte Menni. - -Ich verstand, was dies bedeute. In der ersten Sekunde legten wir einen -Zentimeter zurück, in der zweiten drei, in der dritten fünf, in der -vierten sieben usw. Die Geschwindigkeit veränderte sich unablässig, -entwickelte sich nach dem Gesetz der arithmetischen Progression. In vier -Minuten hatten wir die Schnelligkeit eines gehenden Menschen, in -fünfzehn die eines Personenzuges erreicht usw. - -Wir bewegten uns dem Gesetze der Schwerkraft zufolge, doch fielen wir -hinauf, und zwar um fünfhundertmal langsamer, als auf der Erde ein -Körper von gewöhnlicher Schwere fällt. - -Die Glasplatte des Fensters begann sich vom Feld zu erheben, bildete mit -diesem einen stumpfen Winkel, analog der Kugelform des Aetheroneff, -dessen einer Teil nun sichtbar wurde. Wir vermochten, uns vorneigend, -all das zu sehen, was sich gerade unter uns befand. - -Immer rascher sank die Erde unter uns nieder, immer weiter ward der -Horizont. Die dunklen Flecken der Felsen und Dörfchen wurden kleiner, -die Umrisse des Sees zeichneten sich ab wie auf einem Plan. Der Himmel -aber ward immer dunkler; während ein blauer dem Meer gleichender -Streifen den westlichen Horizont überzog, vermochten meine Augen trotz -dem Tageslicht die heller leuchtenden großen Sterne zu unterscheiden. - -Die äußerst langsame, kreisende Bewegung des Aetheroneff um die eigene -vertikale Achse gestattete uns, den ganzen Raum ringsum zu überblicken. - -Es deuchte, als erhebe sich der Horizont zusammen mit uns, die -Erdoberfläche erschien als ungeheuere, ausgehöhlte, mit Reliefs -geschmückte Schüssel. Die Konturen wurden verschwommener, die Reliefs -flacher, immer mehr nahm die Landschaft den Charakter einer Landkarte -an, scharf gezeichnet in der Mitte, verschwommen und unklar an den -Rändern, die von halbdurchsichtigem, bläulichem Nebel bedeckt waren. Der -Himmel wurde immer schwärzer, und zahllose Sterne, dicht gesät, -funkelten ungetrübt in ihrem stillen Licht, nicht fürchtend die -strahlende Sonne, deren Helle schier schmerzhaft brannte. - -»Sagen Sie mir, Menni, wird sich diese Beschleunigung von zwei -Zentimetern, mit der wir uns jetzt bewegen, bis ans Ende der Reise -erhalten?« - -»Ja«, entgegnete er. »Nur daß die Richtung etwa auf halbem Weg ins -Gegenteil umschlägt, wir mit jeder Sekunde die Geschwindigkeit nicht -beschleunigen, sondern verzögern. So daß diese, wenn die höchste -Geschwindigkeit des Aetheroneff ungefähr fünfzig Kilometer in der -Sekunde beträgt, die mittlere aber fünfundzwanzig Kilometer, im -Augenblick der Ankunft abermals ebenso gering ist, wie sie im Augenblick -der Abfahrt war. Dies ermöglicht uns, ohne Stoß und Erschütterungen an -der Oberfläche des Mars zu landen. Ohne diese ungeheuerliche wechselnde -Geschwindigkeit vermöchten wir niemals weder die Erde, noch die Venus zu -erreichen, denn sogar die kürzeste Strecke beträgt sechzig bis hundert -Millionen Kilometer, -- bei der Geschwindigkeit, sagen wir, Ihrer -Erdeneisenbahnen würde eine derartige Reise ein Jahrhundert, aber nicht, -wie in unserem Fall, Monate währen. Was den »Schuß mit der Kanonenkugel« -anbelangt, über den ich in Eueren phantastischen Romanen las, so ist -dies selbstverständlich ein bloßer Scherz, denn den Gesetzen der -Mechanik zufolge gäbe es dabei nur eine praktische Möglichkeit -- -entweder sich im Augenblick des Schusses im Inneren der Kanonenkugel zu -befinden, oder sie im eigenen Inneren zu haben.« - -»Auf welche Art erhalten Sie diese gleichmäßige Beschleunigung und -Verlangsamung?« - -»Die bewegende Kraft des Aetheroneff ist einer jener -radiumausstrahlenden Stoffe, die uns in großen Mengen hervorzubringen -gelang. Wir fanden ein Mittel, um die Zerlegung der Elemente ums -Hunderttausendfache zu beschleunigen; dies geschieht in unseren Motoren -durch ein äußerst einfaches elektrisches Verfahren. Durch unsere Methode -wird eine ungeheure Menge Energie entbunden. Die Teilchen der -zerfallenden Atome besitzen im Flug, wie Ihnen bekannt ist, eine -zehntausendmal größere Geschwindigkeit, als das Artilleriegeschoß. Wenn -diese Teile nun aus dem Aetheroneff bloß nach einer einzigen bestimmten -Richtung fliegen können, -- das heißt, durch einen einzigen Kanal -zwischen den sonst undurchdringlichen Wänden, -- dann bewegt sich der -Aetheroneff in der entgegengesetzten Richtung, wie der Rückschlag beim -Gewehr. Da Ihnen das Gesetz der lebendigen Kraft bekannt ist, werden Sie -ja auch wissen, daß ein unbedeutender, milligrammgroßer Teil pro Sekunde -völlig genügt, um unserem Aetheroneff die regelmäßige Beschleunigung zu -verleihen.« - -Während wir also redeten, hatten sich die übrigen Marsbewohner entfernt. -Menni forderte mich auf, mit ihm in seiner Kajüte zu frühstücken. Wir -gingen zusammen hin. Die Kajüte glich den Wänden des Aetheroneff, auch -sie hatte das gleiche große Kristallfenster. Wir frühstückten. Ich -wußte, daß mir neue, noch nie empfundene Gefühle bevorstanden, da ich ja -die Schwere meines Körpers verlieren würde. Ich befragte Menni darüber. - -»Ja«, erwiderte er. »Obgleich uns die Sonne noch immer anzieht, so ist -doch hier ihre Anziehungskraft eine sehr geringe. Und auch jene der Erde -wird morgen oder übermorgen unmerklich werden. Nur dank der stets -zunehmenden Geschwindigkeit des Aetheroneff bleibt uns ein -Vierhundertstel, mindestens ein Fünfhundertstel unseres Gewichtes -bewahrt. Es fällt ein wenig schwer, sich zum ersten Mal daran zu -gewöhnen, obwohl die Veränderung ganz allmählich vor sich geht. Mit -zunehmender Leichtigkeit werden Sie Ihre Geschicklichkeit verlieren, -eine Menge falscher, nicht berechneter Bewegungen machen, über das Ziel -hinausschießen. Was das unvermeidliche Herzklopfen, das Schwindelgefühl -und die Uebelkeit anbelangt, so wird Ihnen Netti darüber hinweghelfen. -Es wird Ihnen auch schwer fallen, Wasser und andere Flüssigkeiten zu -handhaben, die beim leichtesten Anstoß aus dem Gefäß fließen und sich -überallhin verbreiten. Doch waren wir nach Kräften bemüht, derartige -Unbequemlichkeiten zu vermeiden und abzuschwächen. Möbel und Gefäße sind -an Ort und Stelle befestigt, die Flüssigkeiten verkorkt, überall -befinden sich Griffe und Riemen, um den unfreiwilligen Sturz zu -verhindern, der bei rascherer Bewegung leicht vorkommt. Sie werden sich -schon daran gewöhnen, haben hierzu genügend Zeit.« - -Seit der Abfahrt waren etwa zwei Stunden verflossen. Schon war die -verminderte Schwere fühlbar, doch war diese Empfindung bis jetzt noch -angenehm: der Körper fühlte Leichtigkeit, die Bewegungen waren frei und -ungehemmt, dies war alles. Dem atmosphärischen Druck wichen wir völlig -aus; er kümmerte uns nicht, besaßen wir doch in unserem hermetisch -verschlossenen Schiff einen genügenden Vorrat an Sauerstoff. Das uns -sichtbare Erdgebiet glich immer mehr einer Landkarte im verkleinerten -Maßstab. Im Süden, am Mittelländischen Meer, waren zwischen dem blauen -Dunst Nordafrika und Arabien klar ersichtlich, im Norden, über -Skandinavien, verlor sich der Blick in schneeigen vereisten Leeren, nur -die Felsen Spitzbergens dunkelten als schwarze Flecke empor. Im Osten, -im grüngestreiften Ural, wurde das Grün von weißen Schneeflecken -durchbrochen, hier herrschte wieder völlig das weiße Licht, vermischt -mit leichtem, grünlichem Schimmer, eine zärtliche Erinnerung an die -ungeheueren Nadelwälder Sibiriens. Im Westen verloren sich in den hellen -Konturen Mitteleuropas die Küste von England und Nordfrankreich. Ich -vermochte nicht lange auf dieses gigantische Bild zu blicken; der -Gedanke an die schauerliche Untiefe, über der wir schwebten, erweckte in -mir ein ohnmachtsnahes Gefühl. Ich wandte mich abermals an Menni. - -»Sind Sie der Kapitän dieses Schiffes?« - -Menni nickte bejahend und erwiderte: - -»Doch bedeutet dies keineswegs, daß ich über die Macht eines -Kommandanten verfüge, wie dies Ihrer irdischen Auffassung entspräche. -Ich habe bloß in der Führung des Aetheroneff mehr Erfahrung als die -anderen; meine Verfügungen in dieser Hinsicht werden berücksichtigt, wie -ich Sternis astronomische Berechnungen annehme, oder wie wir Nettis -medizinische Ratschläge zur Erhaltung unserer Gesundheit und -Arbeitskraft befolgen.« - -»Wie alt ist Doktor Netti? Er dünkte mich äußerst jung.« - -»Ich erinnere mich nicht genau, sechzehn oder siebzehn«, entgegnete -Menni lächelnd. - -Das hatte auch ich gedacht. Staunte aber über eine derart junge -Gelehrsamkeit. - -»In diesem Alter bereits Arzt sein!«, entfuhr es mir unwillkürlich. - -»Und fügen Sie hinzu: ein äußerst geschickter und erfahrener Arzt«, -ergänzte Menni. - -Damals überlegte ich nicht, -- und Menni erinnerte mich absichtlich -nicht daran, -- daß die Marsjahre fast doppelt so lang sind, wie die -unseren: der Mars umkreist die Sonne in 686 Erdentagen und Nettis -sechzehn Jahre kamen etwa dreißig Erdenjahren gleich. - - - Der Aetheroneff - -Nach dem Frühstück forderte mich Menni auf, unser »Schiff« zu -besichtigen. Vor allem begaben wir uns in den Maschinenraum. Dieser nahm -das unterste Stockwerk des Aetheroneff ein -- stieß direkt an dessen -verdichteten Boden und bildete die Scheidewand zwischen fünf Zimmern -- -das eine in der Mitte, die anderen an den Seiten gelegen. Inmitten des -zentralen Raumes erhob sich der Treibmotor, an seinen vier Seiten von in -den Boden eingelassenen runden Glasfenstern umgeben; das eine Fenster -bestand aus reinem Kristall, die anderen waren bunt gefärbt; das Glas -hatte eine Dicke von etwa drei Zentimetern und war außerordentlich -durchsichtig. Im gegebenen Augenblick vermochten wir durch diese Fenster -bloß einen Teil der Erdoberfläche zu sehen. - -Die Basis der Maschine bildete ein vertikaler Metallzylinder, drei Meter -hoch und einen halben Meter im Durchmesser. Menni erklärte mir, dieser -Zylinder bestehe aus Osmium, einem schwer schmelzenden Edelmetall, aus -der Gruppe des Platins. In diesem Zylinder ging die Zerlegung der -radiumausstrahlenden Stoffe vor sich; die zwanzig Zentimeter dicken -Wände bewiesen zur Genüge die bei diesem Prozeß entwickelten Energien. -Im Raum herrschte keine besondere Hitze; der ganze Zylinder war von zwei -großen, breiten, aus irgendeinem durchsichtigen Material bestehenden -Futteralen umgeben. Diese Futterale schützten vor der Hitze; beide -vereinigten sich unter der Decke zu einem Rohr, aus dem die erhitzte -Luft nach allen Seiten ausströmte und den Aetheroneff gleichmäßig -»heizte«. - -Die übrigen Teile der Maschine waren durch verschiedene Zylinder -miteinander verbunden, bestanden aus elektrischen Spulen, Akkumulatoren, -einem Meßapparat mit Zifferblatt usw. Alles befand sich in tadelloser -Ordnung, und verschiedene Spiegel gestatteten dem diensthabenden -Maschinisten, den ganzen Umkreis zu überblicken, ohne sich von seinem -Lehnstuhl zu erheben. - -Von den Seitenstuben war die eine das »astronomische« Zimmer, rechts und -links von diesem befanden sich der »Wasserraum« und der »Sauerstoffraum« -und auf der entgegengesetzten Seite der »Rechenraum«. Im astronomischen -Zimmer waren der Fußboden und die Wände aus dickem Kristall; das in -geometrischen Formen geschliffene Glas zeigte ideale Reinheit. Die -Durchsichtigkeit dieses Glases war so groß, daß ich, während ich Menni -über die Schwebebrücke folgte und hinabblickte, zwischen mir und dem -Abgrund unter uns nichts sah; ich mußte die Augen schließen, um nicht -von qualvollem Schwindel überwältigt zu werden. Ich bemühte mich, -seitwärts, nach den Instrumenten zu schauen, die sich zwischen der -Brücke auf Stativen befanden, oder sich von der Decke und der Außenwand -herabsenkten. Das Hauptteleskop war etwa zwei Meter lang, die Linse von -unproportionierter Größe und augenscheinlich von einer entsprechenden -optischen Stärke. - -»Als Ferngläser verwenden wir nur Diamanten«, sagte Menni. »Sie geben -ein bedeutend größeres Gesichtsfeld.« - -»Wie stark ist die gewöhnliche Vergrößerung dieses Teleskops?« fragte -ich. - -»Die klare Vergrößerung beträgt etwa das Sechshundertfache«, entgegnete -Menni. »Genügt uns dies nicht, so photographieren wir das Gesichtsfeld -und betrachten die Photographie unter dem Mikroskop. Derart vermögen wir -eine sechzigtausendfache und noch bedeutendere Vergrößerungen zu -erzielen, und das Photographieren nimmt kaum eine Minute Zeit in -Anspruch.« - -Menni forderte mich auf, durch das Teleskop die entschwindende Erde zu -betrachten und stellte es ein. - -»Die Entfernung beträgt nun ungefähr zweitausend Kilometer«, erklärte -er. »Wissen Sie, was vor Ihnen liegt?« - -Mit einem Mal erkannte ich den Hafen der skandinavischen Hauptstadt, die -ich häufig in Parteiangelegenheiten besucht hatte ... Es interessierte -mich, die Dampfer in der Reede zu betrachten. Menni drehte einen an der -Seite befestigten Griff, setzte anstelle des Fernrohrs den -photographischen Apparat, nahm dann nach wenigen Sekunden Teleskop und -Apparat und schob beide in eine riesenhafte, in der Ecke stehende -Vorrichtung, die sich als Mikroskop erwies. - -»Wir entwickeln und fixieren das Bild dort«, sprach er, ohne die Platte -mit den Händen zu berühren. Nach wenigen belanglosen Griffen, die -höchstens eine halbe Minute währten, schob er das Mikroskop vor mich -hin. Mit verblüffender Klarheit sah ich einen mir bekannten, einer -nordischen Gesellschaft gehörenden Dampfer; er schien sich etliche zehn -Schritte von mir entfernt langsam zu bewegen; im kreisenden Licht war -das Bild reliefartig und hatte eine völlig natürliche Färbung. Auf der -Brücke stand der grauhaarige Kapitän, mit dem ich auf meinen Fahrten -häufig geplaudert hatte. Ein Matrose, der eine Kiste an Deck schleppte, -blieb plötzlich stehen, neben ihm ein Passagier, der mit der Hand auf -etwas wies. Und all dies war zweitausend Kilometer entfernt ... - -Ein junger Marsbewohner, Sternis Gehilfe, betrat den Raum. Er mußte über -die vom Aetheroneff zurückgelegte Strecke eine genaue Messung anstellen. -Wir wollten ihn in seiner Arbeit nicht stören und begaben uns weiter, in -den »Wasserraum«. Dort befanden sich ein ungeheures mit Wasser gefülltes -Reservoir und große Filtrierapparate. Eine Anzahl Röhren leitete das -Wasser durch den ganzen Aetheroneff. - -Nun betraten wir den »Rechenraum«. Hier standen für mich unverständliche -Maschinen mit unzähligen Zifferblättern und Zeigern. Sterni arbeitete an -der größten Maschine. Von dieser hing ein langes Band nieder, -augenscheinlich das Resultat der Berechnungen. Die auf dem Band -stehenden, sowie die auf den Zifferblättern sich befindenden Zeichen -waren mir völlig unbekannt. Ich wollte Sterni nicht stören, empfand -überhaupt keine Lust, mit ihm zu sprechen. Rasch verließen wir diesen -Raum und betraten die letzte Seitenstube. - -Diese war der »Sauerstoffraum«. Hier wurden die Sauerstoffvorräte -aufbewahrt, in der Gestalt von fünfundzwanzig Tonnen Bertholetschen -Salzen, aus denen, durch eine entsprechende Methode, bis zu zehntausend -Kubikmetern Sauerstoff hergestellt werden konnten, eine genügende Menge -für einige Fahrten gleich der unseren. Hier befanden sich auch die -Apparate zur Spaltung der Salze, sowie Vorräte von Bariumoxyd und -Aetzkali, die die Bestimmung hatten, der Luft die Kohlensäure zu -entziehen, Vorräte von Schwefel-Anhydrid zur Absorbierung der -überschüssigen Feuchtigkeit und des Leuhomain, -- jenes durch das Atmen -erzeugten physiologischen Giftes, das unvergleichlich gefährlicher ist, -als die Kohlensäure. Dieser Raum unterstand Dr. Netti. - -Dann kehrten wir in den mittleren Maschinenraum zurück, fuhren mit einem -kleinen Aufzug ins höchste Stockwerk des Aetheroneff. Hier war der -Mittelraum als zweites Observatorium eingerichtet; es glich in allem dem -unteren Raum, nur daß hier die Kristallhülle sich oben und nicht unten -befand, und daß die Instrumente größere Dimensionen hatten. Aus diesem -Observatorium vermochte man die andere Hälfte der Himmelssphäre zu -sehen, und die Planeten zu bestimmen. Der Mars leuchtete mit seinem -roten Licht etwas abseits vom Zenith. Menni richtete auf ihn das -Teleskop, und ich erblickte die mir durch Schiaparellis Landkarten -bekannten Konturen, die Meere und Kanäle. Menni photographierte den -Planeten und legte unter das Mikroskop eine detaillierte Karte. Doch -vermochte ich von dieser ohne Mennis Erklärungen nichts zu verstehen: -die Flecken der Städte, Wälder und Seen unterschieden sich voneinander -durch für mich unmerkliche und unverständliche Einzelheiten. - -»Wie groß ist die Entfernung?« fragte ich. - -»Verhältnismäßig gering; sie beträgt ungefähr hundert Millionen -Kilometer.« - -»Weshalb befindet sich der Mars nicht im Zenith der Kuppel? Fliegen wir -denn nicht geradewegs, sondern seitlich auf ihn zu?« - -»Ja, anders geht es nicht. Indem wir uns von der Erde fortbewegen, -bewahren wir unter anderem durch die Kraft der Trägheit auch die -Geschwindigkeit, mit der die Erde um die Sonne kreist, das heißt, -dreißig Kilometer in der Sekunde. Die Geschwindigkeit des Mars jedoch -beträgt vierundzwanzig Kilometer, und flögen wir perpendikular in der -Bahn zwischen Mars und Erde, so würden wir mit der restlichen -Geschwindigkeit von sechs Kilometern in der Sekunde gegen die Oberfläche -des Mars stoßen. Dies darf nicht geschehen, wir müssen deshalb den -krummlinigen Pfad wählen, damit die überflüssige Geschwindigkeit ins -Gleichgewicht kommt.« - -»Wie lange ist in diesem Fall unser Weg?« - -»Etwa hundertsechzig Millionen Kilometer. Die zur Zurücklegung dieser -Strecke nötige Zeit beträgt im Mindestfall zweieinhalb Monate.« - -Wäre ich nicht Mathematiker gewesen, so hätten diese Zahlen meinem -Herzen nichts gesagt. So jedoch erweckten sie in mir ein dem Alpdruck -ähnliches Gefühl, und ich beeilte mich, den astronomischen Raum zu -verlassen. Die sechs Seitenabteilungen des obersten Abschnitts umgaben -ringförmig das Observatorium; sie hatten keine Fenster, und ihre Decke, -die ein Teil der Oberfläche der Kugel war, neigte sich fast zum Fußboden -hinab. An der Decke waren große Reservoire für die Minus-Materie -angebracht, deren Repulsion alles auf dem Aetheroneff zu paralysieren -vermochte. - -Die mittleren Stockwerke, das dritte und vierte, umfaßten Säle, -Laboratorien für die einzelnen Mitglieder der Expedition, Kajüten, -Baderäume, die Bibliothek, den Turnsaal usw. - -Nettis Kajüte befand sich neben der meinen. - - - Die Menschen - -Immer merklicher empfand ich den Verlust der Schwere. Das sich -steigernde Gefühl der Leichtigkeit hörte auf, angenehm zu sein. Es -vermischte sich mit einem Element des Mißtrauens, irgendeiner unklaren -Unruhe. Ich begab mich in meine Kammer und legte mich auf die Pritsche. - -Zwei Stunden des ruhigen Liegens und angestrengten Nachdenkens ließen -mich unmerklich in Schlaf versinken. Als ich erwachte, saß Netti vor dem -Tisch. Mit einer unwillkürlichen heftigen Bewegung erhob ich mich vom -Lager, wurde gleichsam hochgeschleudert und prallte mit dem Kopf gegen -die Decke. - -»Wenn man weniger als zwanzig Pfund wiegt, muß man vorsichtiger sein«, -bemerkte Netti in gutmütig philosophischem Ton. - -Er hatte mich aufgesucht, um mir die nötigen Anweisungen zu geben, für -den Fall, daß ich »seekrank« würde. Tatsächlich fühlte ich bereits die -durch den Verlust der Schwere erzeugten ersten Symptome. Von meiner -Kajüte ging eine elektrische Schelle in die seine, so daß ich ihn immer -zu rufen vermochte, falls ich seines Beistandes bedurfte. - -Ich benützte die Gelegenheit, um mit dem jungen Arzt zu plaudern; dieser -sympathische, gelehrte und dennoch so fröhliche junge Bursche zog mich -an. Ich fragte ihn, wie es komme, daß außer Menni von allen sich auf dem -Schiff befindlichen Marsbewohnern nur noch er meine Muttersprache könne. - -»Dies ist ganz einfach«, erklärte er. »Als wir _Menschen suchten_, -wählte Menni für sich und mich Ihr Vaterland, und wir verbrachten -daselbst mehr als ein Jahr, bis es uns endlich gelang, mit Ihnen die -Angelegenheit zu erledigen.« - -»Die andern suchten Menschen in anderen Ländern?« - -»Selbstverständlich; bei allen größeren Völkern der Erde. Aber, es fiel, -wie Menni vorausgesehen hatte, in Ihrem Lande am leichtesten, jemanden -zu finden, denn bei Ihnen ist das Leben entschlossener und glühender, -die Menschen sind mehr als in anderen Ländern gezwungen, vorwärts zu -blicken. Nachdem wir einen Menschen gefunden hatten, benachrichtigten -wir die übrigen; sie kamen aus allen Ländern herbei, und wir traten die -Fahrt an.« - -»Was verstehen Sie, persönlich, unter den Ausdrücken >einen Menschen -suchen< und >einen Menschen finden<? Ich begreife, daß es sich hier -darum handelte, ein Subjekt zu finden, das der vorgeschriebenen Rolle -entsprach, -- darüber hat mich Menni aufgeklärt. Es schmeichelt mir, daß -gerade ich gewählt wurde, doch möchte ich wissen, welchen Ursachen ich -dies verdanke.« - -»In großen Umrissen vermag ich es Ihnen mitzuteilen. Wir brauchten einen -Menschen, dessen Natur äußerst gesund, aber auch schmiegsam und -anpassungsfähig ist, der für die verschiedenartigsten Arbeiten -Fähigkeiten besitzt, durch möglichst wenig persönliche Bande an die Erde -geknüpft und so wenig wie möglich individualistisch veranlagt ist. -Unsere Physiologen und Psychologen legten dar, daß der Uebergang aus den -Lebensbedingungen Ihrer Gesellschaft zu den Lebensbedingungen der -unseren, die sozialistisch organisiert ist, für den einzelnen Menschen -äußerst schwer sei und eine besonders günstige Anpassungsfähigkeit -erfordere. Menni entdeckte, daß Sie diese Ansprüche besser erfüllten, -als andere.« - -»Und Mennis Ansicht war für Sie alle maßgebend?« - -»Ja, wir haben völliges Vertrauen in sein Urteil. Er ist ein Mensch von -hervorragenden Kräften und klarem Verstand, der sich äußerst selten -irrt. Auch besitzt er mehr Erfahrungen und eine engere Verbindung mit -den Erdenmenschen, als irgendeiner von uns; er hat als erster diese -Verbindungen angeknüpft.« - -»Wer eröffnete die Verbindung zwischen den Planeten?« - -»Dies war nicht das Werk eines Einzelnen, sondern vieler. Die -Minus-Materie wurde schon vor etlichen zehn Jahren entdeckt. Doch -vermochten wir sie anfangs bloß in geringer Menge herzustellen, -bedurften hierzu der Kraft äußerst vieler Fabrikskollegen, um die Mittel -zu finden, durch die sie in größeren Mengen gewonnen werden konnte. -Dann galt es, die Technik der Gewinnung und Entwicklung der -radiumausstrahlenden Stoffe zu vervollkommnen, um den Motor des -Aetheroneff herstellen zu können. Dies nahm ebenfalls viele Kräfte in -Anspruch. Auch die klimatischen Verhältnisse zwischen den Planeten -verursachten große Schwierigkeiten: die furchtbare Kälte, sowie die -brennende Sonnenhitze, die Unmöglichkeit, die umhüllende Luft zu -temperieren. Desgleichen war die Berechnung des Weges sehr schwer; es -unterliefen dabei Fehler, die man nicht hatte voraussehen können. Mit -einem Wort: die früheren Expeditionen nach der Erde endeten mit dem Tod -aller Teilnehmer, bis es endlich Menni gelang, die erste erfolgreiche -Expedition zu organisieren. Jetzt jedoch gelang es uns unlängst, dank -seiner Methode, auch die Venus zu erreichen.« - -»Wenn dem so ist, dann ist Menni wahrlich ein großer Mensch«, sprach -ich. - -»Wenn es Ihnen beliebt, einen Menschen, der tatsächlich viele und gute -Arbeit geleistet hat, so zu nennen.« - -»Nicht dies wollte ich sagen: viele und gute Arbeit vermögen auch -vollkommen gewöhnliche Leute zu leisten, genaue, pflichttreue Menschen. -Menni jedoch ist offensichtlich etwas ganz anderes: er ist ein Genie, -ein schöpferischer Mensch, der Neues gibt und die Menschheit vorwärts -bringt.« - -»Was Sie da sagen, ist unklar und unrichtig. Jeder Arbeiter ist ein -schöpferischer Mensch, aber in jedem Arbeiter schaffen die ganze -Menschheit und die Natur. Besaß denn Menni nicht alle Versuche -vorhergegangener Geschlechter, und auch die seiner Zeitgenossen, -benützte er nicht bei jedem Schritt seiner Arbeit diese Versuche? Gab -ihm die Natur nicht alle Elemente, alle von ihr hervorgebrachten -Kombinationen? Hat nicht gerade der Kampf des Menschen gegen die Natur -den lebendigen Anstoß zu neuen Kombinationen gegeben? Der Mensch ist -persönlich, -- aber sein Werk ist unpersönlich. Der Mensch stirbt früher -oder später, -- das Werk jedoch bleibt im unermeßlich sich entwickelnden -Leben bestehen. Hierin gleichen sich alle Arbeiter, der Unterschied -besteht nur darin, was von ihrem Schaffen sie überlebt, was im Leben -weiterbesteht.« - -»Ja, aber zum Beispiel: der Name eines Menschen wie Menni stirbt nicht -zusammen mit ihm, sondern lebt weiter in der Erinnerung der Menschheit, -während unzählige andere Namen völlig verschwinden.« - -»Der Name eines jeden wird so lange vor dem Vergessen bewahrt, wie jene -leben, die zusammen mit ihm lebten und ihn kannten. Die Menschheit -bedarf keineswegs der toten Symbole der Persönlichkeit, wenn diese nicht -mehr ist. Unsere Wissenschaft und unsere Kunst bewahrt auf unpersönliche -Art das, was von der allgemeinen Arbeit geschaffen wurde. Der Ballast -vergangener Namen ist nutzlos für das Gedächtnis der Menschheit.« - -»Sie haben recht, aber das Gefühl unserer Welt lehnt sich gegen diese -Logik auf. Für uns sind die Namen der Meister des Gedankens und der -Werke lebendige Symbole, ohne die weder unsere Wissenschaft, noch unsere -Kunst, noch unser ganzes gesellschaftliches Leben zu bestehen -vermöchten. Im Kampf der Gewalt gegen die Ideen bedeutet der auf den -Fahnen stehende Name häufig mehr, als die gegebene Losung. Und der Name -des Genies ist wahrlich kein Ballast für unser Gedächtnis.« - -»Dies kommt daher, weil für Euch das einzige Werk der Menschheit noch -nicht das einzige Werk ist; in den durch den Kampf der Menschen -hervorgebrachten Illusionen wird das Werk scheinbar zerstückelt, -erscheint Euch als Werk einzelner Menschen und nicht der Menschheit. -Auch mir fiel es schwer, mich an Euere Auffassung zu gewöhnen, als ich -nach Ihnen suchte.« - -»Nun, möge dies gut oder schlecht sein, bei Ihnen gibt es also keine -Unsterblichen. Aber die Sterblichen hier sind wohl alle auserlesen von -jenen, die >viele und gute Arbeit leisten<, nicht wahr?« - -»Im allgemeinen: ja. Menni wählte die Genossen aus vielen Tausenden -heraus, die den Wunsch hegten, mit ihm zu gehen.« - -»Der gröbste und kräftigste von allen dürfte wohl Sterni sein?« - -»Ja, wenn Sie hartnäckig darauf bestehen wollen, die Leute zu messen und -zu vergleichen. Sterni ist ein hervorragender Gelehrter, wenngleich von -ganz anderer Art, als Menni. Er ist Mathematiker. Er war es auch, der -eine ganze Anzahl jener Berechnungsfehler entdeckte, denen zufolge alle -vorherigen Expeditionen nach der Erde mißglückten, er bewies, daß selbst -wenige dieser Fehler genügten, um den Untergang der Menschen und des -Werkes herbeizuführen. Er fand neue Berechnungsmethoden, und von dieser -Zeit an sind die Berechnungen fehlerlos.« - -»So stellte ich ihn mir nach Mennis Worten und meinem ersten Eindruck -vor. Trotzdem, es ist mir selbst unbegreiflich, erweckt sein Anblick in -mir ein unbehagliches Gefühl, eine unbegründete Unruhe, eine Art -sinnlose Antipathie. Können Sie mir, Doktor, dafür eine Erklärung -geben?« - -»Sehen Sie, Sterni hat einen starken, aber kalten, vor allem: -analysierenden Verstand. Er zergliedert alles auf unerbittliche, -folgerichtige Art, seine Schlüsse jedoch sind oft einseitig, bisweilen -außerordentlich streng, denn die Analyse der einzelnen Teile ergibt -nicht das Ganze, sondern weniger als das Ganze. Sie wissen, daß überall, -wo Leben besteht, das Ganze größer ist, als seine einzelnen Teile, und -so ist denn auch der lebendige menschliche Körper größer, als dessen -einzelne Glieder. Die Folge dieser Charaktereigenschaften ist, daß -Sterni sich weit weniger als andere in die Stimmung und die Gedanken -anderer Leute zu versetzen vermag. Er wird Ihnen stets gerne bei jenen -Dingen behilflich sein, die Sie ihm selbst klar machen, niemals aber -wird er erraten, was Sie brauchen. Dies hängt natürlich auch damit -zusammen, daß seine Aufmerksamkeit fast immer völlig von der Arbeit in -Anspruch genommen wird, sein Kopf stets von irgend einer schweren -Aufgabe erfüllt ist. Darin unterscheidet er sich von Menni in hohem -Maße: dieser sieht immer alles ringsum, und mehr als einmal erklärte er -mir, wonach ich selbst verlangte, was mich beunruhigte, was mein -Verstand oder mein Gefühl suchte.« - -»Wenn die Dinge so stehen, so muß Sterni uns widerspruchsvollen, -fehlerhaften Erdenmenschen gegenüber doch Feindseligkeit empfinden?« - -»Feindseligkeit! Nein, dieses Gefühl ist ihm fremd. Aber ich glaube: -starken Skeptizismus. Er verbrachte ein halbes Jahr in Frankreich und -telegraphierte an Menni: >Hier hat es keinen Sinn, zu suchen.< -Vielleicht hatte er zum Teil recht, denn auch Letta, der mit ihm war, -fand keinen entsprechenden Menschen. Aber seine Charakteristik der Leute -jenes Landes war bei weitem strenger, als jene Lettas, und -selbstverständlich auch viel einseitiger, wenngleich sie nichts -tatsächlich Unwahres enthielt.« - -»Wer ist dieser Letta, von dem Sie sprechen? Ich entsinne mich seiner -nicht.« - -»Ein Chemiker, Mennis Gehilfe; er gehört nicht zu den Jüngsten, ist auf -unserem Aetheroneff der älteste. Mit ihm werden Sie sich leicht -verständigen können, und dies wird für Sie sehr nützlich sein. Er -besitzt einen weichen Charakter und viel Verständnis für eine fremde -Seele, obgleich er nicht, wie Menni, Psychologe ist. Suchen Sie ihn im -Laboratorium auf; er wird sich darüber freuen und Ihnen allerlei -Interessantes zeigen.« - -In diesem Augenblick fiel mir ein, daß wir uns von der Erde schon weit -entfernt hatten, und es verlangte mich, sie zu betrachten. Wir begaben -uns zusammen in einen der mit großen Fenstern versehenen Seitensäle. - -»Werden wir uns nicht dem Mond nähern?«, erkundigte ich mich im Gehen. - -»Nein, der Mond bleibt weit abseits liegen, und dies ist recht schade. -Auch ich sähe den Mond gerne aus der Nähe. Von der Erde aus erschien er -mir so seltsam. Groß, kalt, langsam, rätselhaft ruhig, gleicht er nicht -im geringsten unseren zwei kleinen Monden, die so eilig am Himmel -dahinrennen, und ihre Gesichtchen so rasch verändern wie lebhafte -launische Kinder. Auch Euere Sonne ist bei weitem leuchtender, darin -seid Ihr glücklicher als wir. Euere Welt ist doppelt so hell als unsere, -deshalb bedürft Ihr auch nicht derartiger Augen, wie wir, braucht nicht -die großen Pupillen, um das schwache Licht unserer Tage und unserer -Nächte aufzufangen.« - -Wir setzten uns ans Fenster. In der Ferne glänzte die Erde wie eine -ungeheuere Sichel, auf der bloß die Umrisse Westamerikas und des -nordöstlichen Asiens als dunkle Flecke erkennbar waren; auch ein Teil -des Stillen Ozeans war sichtbar, und ein heller Fleck: das Nördliche -Eismeer. Der Atlantische Ozean und die alte Welt versanken in Nacht, -konnten am verschwommenen Rand der Sichel bloß erraten werden, denn der -unsichtbare Teil der Erde verbarg die Sterne im ungeheuren Raum. Unsere -schiefe Bahn, sowie die Drehung der Erde um ihre Achse, verursachten -dieses veränderte Bild. - -Ich blickte hinab, und mir wurde schwer ums Herz, weil ich nicht mehr -meine Heimat sah, wo so viel Leben, Kampf und Leiden herrschen, wo ich -noch gestern in den Reihen der Genossen stand, und wo heute ein anderer -meine Stelle einnimmt. Zweifel schlichen sich in meine Seele. - -»Dort unten fließt Blut«, sprach ich. »Hier jedoch ist aus dem gestrigen -Arbeiter ein beschaulicher Betrachter geworden.« - -»Das Blut fließt um einer besseren Zukunft willen«, entgegnete Netti. -»Und dieser Kampf fordert das _Kennen_ einer besseren Zukunft. Um diese -Kenntnisse zu erwerben, sind Sie hier.« - -Von unwillkürlicher Bewegung erfaßt, griff ich nach seiner kleinen, fast -kindlichen Hand. - - - Die Annäherung - -Die Erde entfernte sich immer mehr und verwandelte sich, gleichsam als -zürnte sie ob dieser Trennung, in eine Mondsichel, die die winzige -Sichel des wirklichen Mondes begleitete. Parallel damit waren wir, die -Bewohner des Aetheroneff, gleich phantastischen Akrobaten, die ohne -Flügel zu fliegen und nach Belieben im Raum jede Stellung einzunehmen -vermögen, mit dem Kopf bald auf dem Fußboden, bald auf der Decke, bald -auf den Wänden stehen ... darin fast keinen Unterschied sehen ... -Allmählich näherte ich mich meinen neuen Gefährten und begann mich unter -ihnen heimisch zu fühlen. - -Schon am Tag nach unserer Abfahrt (wir hielten an dieser Zeitberechnung -fest, obgleich es für uns natürlich weder wirkliche Tage, noch Nächte -gab) legte ich, dem eigenen Wunsch zufolge, die Kleidung der -Marsbewohner an, um weniger von den übrigen abzustechen. Freilich gefiel -mir diese Kleidung auch an und für sich: sie war einfach, bequem, ohne -nutzlose Einzelheiten wie Kragen und Manschetten, gestattete die -größtmöglichste Freiheit der Bewegung. Die einzelnen Teile des Gewandes -wurden durch Klammern verbunden, so daß das ganze Gewand zwar -einheitlich, aber dennoch leicht an- und auszuziehen war; so vermochte -man zum Beispiel den einen, oder beide Aermel, oder aber die ganze Bluse -abzulegen. Und die Manieren meiner Mitreisenden glichen ihrem Gewand: -sie waren einfach, ermangelten alles Ueberflüssigen, jeder -Konventionalität. Sie begrüßten einander nicht, verabschiedeten sich -nicht, dankten nicht, verlängerten nicht aus Höflichkeit ein Gespräch, -wenn der Zweck desselben erreicht war. Zur gleichen Zeit jedoch gaben -sie voller Geduld jedem die erwünschten Erklärungen, paßten sich genau -der geistigen Einstellung des Fragenden an, nahmen Rücksicht auf dessen -Psychologie, wenngleich diese auch nicht im geringsten der ihren glich. - -Selbstverständlich ging ich gleich am ersten Tag an das Erlernen ihrer -Sprache, und sie waren alle gerne bereit, mir als Lehrer zu dienen, vor -allem aber Netti. Die Sprache war äußerst originell, und trotz der -einfachen Grammatik und Regeln eigneten ihr Einzelheiten, an die ich -mich schwer anzupassen vermochte. Die Regeln hatten keine Ausnahmen, es -gab auch keine Unterschiede, kein männliches, weibliches oder sächliches -Geschlecht. Hingegen besaßen die Namen der Gegenstände und die -Eigennamen eine Biegung, die sich auf das Zeitliche bezog. Dies wollte -mir nicht recht in den Kopf. - -»Was für einen Sinn haben diese Formen?« fragte ich Netti. - -»Begreifen Sie es denn nicht? Wenn Sie in Ihrer Sprache einen Gegenstand -benennen, so achten sie sorgsam darauf, ob er männlich oder weiblich -ist, was bei leblosen Gegenständen äußerst unwichtig, bei lebendigen -aber sehr merkwürdig erscheint. Es ist bei weitem wichtiger, zwischen -jenen Gegenständen zu unterscheiden, die jetzt bestehen, und jenen, die -waren oder erst sein werden. Bei Euch ist das Haus sächlich, der Kahn -männlich, bei den Franzosen ist das Haus weiblichen Geschlechtes, das -Ding an sich aber bleibt dasselbe. Wenn Ihr aber von einem Haus redet, -das bereits abgebrannt oder das noch nicht erbaut ist, so verwendet Ihr -das gleiche Wort und die gleiche Form, wie wenn Ihr von dem Hause -sprecht, in dem Ihr lebt. Gibt es denn in der Natur einen größeren -Unterschied als den zwischen einem lebenden und einem toten Menschen, -zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist? Ihr braucht ganze Worte -und Sätze, um diesen Unterschied auszudrücken -- ist es nicht weit -besser, dies durch das Hinzufügen eines Buchstabens zu tun?« - -Netti war mit meinem Gedächtnis zufrieden; seine Lehrmethode schien -äußerst gut, und ich kam rasch vorwärts. Dies half mir bei der -Annäherung an meine Reisegefährten, ich begann der Reise auf dem -Aetheroneff mit großem Vertrauen entgegenzusehen, begab mich in Kajüten -und Laboratorien, befragte die Marsbewohner über alles, was mich -beschäftigte. - -Der junge Astronom Enno, Sternis Gehilfe, ein lebhafter, heiterer -Mensch, dem Wuchs nach fast noch ein Knabe, zeigte mir eine Menge -interessanter Dinge, nicht bloß Berechnungen und Formeln -- auf diesem -Gebiet war er Meister -- sondern auch die Schönheit dieser -Beobachtungen. Mir war in der Gesellschaft des jungen Astronom-Dichters -wohl zumute; der Trieb, mich über unsere Lage in der Natur genau zu -orientieren, lenkte meine Schritte immer von neuem zu Enno und seinem -Teleskop. - -Einmal zeigte mir Enno durch das stärkste Vergrößerungsglas den winzigen -Planeten Eros; ein Teil seiner Bahn lag zwischen Erde und Mars, der -andere befand sich weiter als der Mars, im Gebiet der Asteroiden. Damals -befand sich der Eros auf hundertfünfzig Millionen Kilometer von uns -entfernt, aber die Photographie seiner kleinen Scheibe zeigte im -mikroskopischen Maßstab die ganze Landkarte, die der des Mondes glich. -Selbstverständlich war auch der Eros ein toter Stern, gleich dem Monde. - -Ein anderes Mal photographierte Enno einen Schwarm Meteore, die etliche -hundert Millionen Kilometer von uns entfernt waren. Auf diesem Bild -waren natürlich nur verschwommene Nebel zu sehen. Bei dieser Gelegenheit -erzählte mir Enno, daß eine der früheren Expeditionen zur gleichen Zeit -zugrunde ging, als ein derartiger Schwarm Meteore niederschoß. Die -Astronomen, die mit großen Teleskopen die Fahrt des Aetheroneff -beobachteten, sahen, wie plötzlich das elektrische Licht erlosch -- der -Aetheroneff verschwand auf ewig im Raum. - -Wahrscheinlich war der Aetheroneff mit einigen dieser winzigen Körper -zusammengestoßen; bei der ungeheuerlichen Geschwindigkeit mochten diese -die Wände durchbohrt haben. Die Luft drang in den Raum und die Kälte der -zwischen den Planeten befindlichen Sphäre ließ die bereits toten Körper -der Reisenden gefrieren. Nun fliegt der Aetheroneff dahin, folgt der -Bahn der Kometen, entfernt sich auf immer von der Sonne. Niemand weiß, -wo der Weg dieses schauerlichen, von Leichen bemannten Schiffes enden -wird. - -Bei diesen Worten schien eine eisige Leere in mein Herz zu dringen. Ich -stellte mir lebhaft vor, wie unser winziges leuchtendes Schifflein im -unendlichen toten Ozean des Raumes schwebt. Ohne Stützpunkt in der -schwindelerregend schnellen Bewegung, und ringsum die schwarze Leere ... -Enno erriet meine Stimmung. - -»Menni ist ein vortrefflicher Steuermann ...«, sagte er. »Und Sterni -irrt sich nicht ... Und der Tod ... Sie haben ihm sicherlich schon oft -im Leben ins Auge geblickt ... Was uns droht ... ist der Tod, weiter -nichts.« - -Gar bald kam die Stunde, da wir im Kampf mit einem schweren Kummer -gezwungen wurden, an diese Worte zu denken. - -Der Chemiker Letta zog mich nicht nur durch seine sanfte Natur an, von -der mir Netti bereits gesprochen hatte, sondern auch durch sein großes -Wissen und sein Interesse für eine von mir viel studierte Frage: die -Struktur der Materie. Außer ihm war in dieser Frage nur noch Menni -kompetent, doch wandte ich mich so wenig wie möglich an Menni, -verstehend, daß dessen Zeit äußerst wertvoll sei, sowohl im Interesse -der Wissenschaft, als auch in dem der Expedition, und daß ich nicht das -Recht habe, sie für mich in Anspruch zu nehmen. Der gutmütige alte Letta -hingegen ließ sich mit derart unerschöpflicher Geduld zu meiner -Unwissenheit herab, erklärte mir mit solcher Bereitwilligkeit, ja sogar -mit offensichtlicher Freude das Alphabet dieser Wissenschaft, daß ich -niemals das Gefühl hatte, ihn zu belästigen. - -Letta hielt mir einen ganzen Kurs über die Struktur der Materie, -illustrierte diesen durch verschiedene Experimente der Zerlegung der -Elemente und durch deren Synthese. Viele dieser Experimente hatte er -anscheinend allein ausführen und sich darauf beschränken müssen, bloß -Schlagworte niederzuschreiben, insbesondere bei jenen, die einen -stürmischen Verlauf nehmen; diese Elemente zersetzten sich in der Form -einer Explosion, oder die Zersetzung konnte zumindest unter gegebenen -Bedingungen diese Form annehmen. - -Einmal betrat während einer mir erteilten Lektion Menni das -Laboratorium. Letta beendete eben die Niederschrift eines äußerst -interessanten Experimentes und schickte sich an, dasselbe anzustellen. - -»Seien Sie vorsichtig«, sprach Menni. »Ich entsinne mich, daß dieses -Experiment eines Tages für mich schlecht ausfiel; es genügt die kleinste -Menge nebensächlicher Ingredienzien in der von Ihnen zu zerlegenden -Materie, um bei der Erhitzung selbst durch den schwächsten elektrischen -Strom eine Explosion herbeizuführen.« - -Schon wollte Letta das geplante Experiment aufgeben, aber Menni, der mir -gegenüber unveränderlich aufmerksam und liebenswürdig war, schlug vor, -bei der genauen Vorbereitung für das Experiment zu helfen; das -Experiment wurde ohne Unfall beendet. - -Am folgenden Tag stellten wir mit dem gleichen Stoff neue Experimente -an. Mir schien es, als entnähme Letta die Materie nicht demselben Glas -wie am vorhergehenden Tag. Als er bereits die Retorte in das elektrische -Bad stellte, dachte ich daran, ihn darüber zu befragen. Gelassen schritt -er an den die Reagenten enthaltenden Schrank, stellte das Bad mit der -Retorte auf das an der Wand stehende Tischchen; an die gläserne -Außenwand des Aetheroneff. Ich folgte ihm. - -Jählings erfolgte ein ohrenbetäubender Knall, und wir wurden beide mit -ungeheurer Kraft gegen die Schranktür geschleudert. Ein furchtbar lauter -Pfiff, entsetzlicher Lärm und metallisches Klirren. Ich fühlte, daß eine -orkanartige, unbezwingliche Kraft mich nach rückwärts, an die Außenwand -riß. Schier mechanisch gelang es mir, nach dem starken Riemen zu -greifen, der horizontal befestigt am Schrank hing. In dieser Lage -vermochte ich dem gewaltigen Luftstrom standzuhalten. Letta war meinem -Beispiel gefolgt. - -»Halten Sie sich fest«, schrie er mir zu; ich vermochte im Dröhnen des -Orkans kaum seine Stimme zu vernehmen. Eine scharfe Kälte durchdrang -meinen Körper. - -Letta blickte sich rasch um. Seine Züge waren erschreckend in ihrer -Blässe, doch verwandelte sich plötzlich der Ausdruck des Entsetzens in -den klarer Vernunft und festen Entschlusses. Er sprach bloß zwei Worte, --- ich vermochte sie nicht zu hören, erriet aber, daß sie ein Abschied -auf ewig waren. Dann ließ er den Riemen los. - -Ein dumpfer Schlag, und das Dröhnen des Orkans verebbte. Ich fühlte, daß -ich nun den Riemen loslassen und um mich blicken könne. Vom Tischchen -war nichts mehr zu sehen, an der Wand jedoch, dicht mit dem Rücken an -sie gepreßt, stand unbeweglich Letta. Seine Augen waren geweitet, das -ganze Gesicht schien gleichsam erstarrt. Ich vernahm an der Tür ein -Geräusch und öffnete sie. Ein starker warmer Wind stieß mich zurück. -Eine Sekunde nachher betrat Menni das Zimmer. Er eilte zu Letta hin. - -Wenige Augenblicke später war der Raum voller Menschen. Netti stieß alle -zur Seite, stürzte zu Letta. Die übrigen umringten uns in bewegtem -Schweigen. - -»Letta ist tot«, klang Mennis Stimme auf. »Die bei dem chemischen -Experiment erfolgte Explosion zerschmetterte die Wand des Aetheroneff, -und Letta verstopfte mit seinem Leib die Bresche. Der Luftdruck zerriß -seine Lungen und lähmte sein Herz. Der Tod war ein augenblicklicher. -Letta rettete unseren Gast, hätte er anders gehandelt, sie hätten beide -unweigerlich den Tod gefunden.« - -Netti brach in heftiges Schluchzen aus. - - - Vergangenes - -Die ersten Tage nach der Katastrophe blieb Netti in seinem Zimmer, und -ich las in Sternis Augen einen fast mißgünstigen Ausdruck. Zweifellos -ergab sich aus Lettas Tod eine Lehre, und Sternis mathematisch -eingestelltes Gehirn konnte nicht umhin, einen Vergleich zwischen dem -hohen Wert jenes Lebens zu ziehen, das geopfert, und jenes das bewahrt -worden war. Menni blieb, wie immer, unverändert freundlich und gelassen, -brachte mir sogar noch mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge entgegen; seinem -Beispiel folgten auch Enno und die übrigen. - -Ich lernte eifrig die Sprache der Marsbewohner; bei der ersten günstigen -Gelegenheit wandte ich mich an Menni und bat ihn, mir irgendein Buch zu -geben, das die Geschichte ihrer Menschheit behandle. Menni fand diesen -Gedanken vortrefflich und brachte mir ein Werk, das die Marskinder in -die allgemeine Weltgeschichte einführte. - -Ich begann mit Nettis Hilfe dieses Buch zu lesen und zu übersetzen. Der -Geschmack, mit dem der unbekannte Verfasser die auf den ersten Blick -abstrakt, allgemein und schematisch wirkenden Dinge zu beleben, zu -konkretisieren und zu illustrieren verstanden hatte, versetzte mich in -Erstaunen. Dieser Geschmack gestattete ihm, ein geometrisch aufgebautes -System mit derart folgerichtigen Schlüssen für Kinder zu erörtern, wie -dies bei keinem unserer populär schreibenden irdischen Verfasser -gelungen wäre. - -Der erste Teil des Werkes hatte geradezu einen philosophischen Charakter -und war der Idee des Weltalls als einheitliches Ganzes geweiht, das in -sich alles einschließt und sich alles dienstbar macht. Dieser Teil -erinnerte lebhaft an die Ausführungen jener Arbeiter-Denker, die auf -naive und schlichte Art die erste proletarische Naturphilosophie -schufen. - -Im folgenden Teil wandte sich die Ausführung jener unermeßlich fernen -Zeit zu, da im Weltall noch keine uns bekannten Formen bestanden hatten, -im gewaltigen Raum das Chaos und die Unbestimmtheit die Herrschaft -geführt. Der Verfasser berichtete über die Abtrennung der ersten -formlosen, unmerklich feinen Materie, die chemisch nicht festzustellen -ist. Diese Abtrennung bewirkte die Entstehung der gigantischen -Sternenwelt, die als Sternnebel erscheint und zu der auch die -Milchstraße mit zwanzig Millionen Sonnen gehört, unter denen unsere -Sonne eine der kleinsten ist. - -Weiterhin war die Rede von der Konzentrierung der Materie und dem -Uebergang zu einer festeren Verbindung, die die Form chemischer Elemente -annahm; zu diesen ersten formlosen Materien gehören auch die gasförmigen -Sonnennebel, von denen wir mit Hilfe des Teleskops viele Tausend zu -unterscheiden vermögen. Die Geschichte der Entwicklung dieser Nebel, die -Herauskristallisierung der Sonnen und Planeten, ist bei uns nur in der -Kant-Laplaceschen Entstehungstheorie zu finden, aber mit größerer -Bestimmtheit und mehr Einzelheiten. - -»Sagen Sie mir, Menni«, fragte ich, »halten Sie es wirklich für richtig, -den Kindern gleich zu Anfang diese allgemeinen, fast abstrakten Ideen zu -vermitteln, diese farblosen Weltbilder zu zeigen, die der ihnen -naheliegenden konkreten Umgebung so fern sind? Bedeutet dies nicht, das -kindliche Gehirn mit leeren, fast nur wörtlichen Bildern füllen?« - -»Die Sache ist die«, erwiderte Menni, »daß bei uns der Unterricht -niemals mit dem Buch beginnt. Das Kind schöpft seine Kenntnisse aus der -lebendigen, von ihm beobachteten Natur, aus der lebendigen Verbindung -mit anderen Menschen. Ehe es nach einem derartigen Buch greift, hat es -bereits allerlei Reisen unternommen, verschiedene Bilder der Natur -betrachtet, es kennt viele Pflanzen- und Tierarten, kennt das Teleskop, -das Mikroskop, die Photographie, den Phonograph, hat von älteren Kindern -und erwachsenen Freunden allerlei Erzählungen über Vergangenes und -Fernes gehört. Das Buch erfüllt bloß die Aufgabe, all diese Kenntnisse -zu verknüpfen und zu stärken, zufälliges Wissen zu vervollkommnen und -den künftigen Bildungsweg zu weisen. Vor allem gilt es natürlich, ein -genaues Wissen zu erzielen, das Kind vom Anfang bis zum Ende zu führen, -auf daß es sich nicht in Einzelheiten verliere. Der vollkommene Mensch -muß bereits im Kind geschaffen werden.« - -All dies erschien mir äußerst ungewohnt, doch wollte ich Menni nicht -weiter befragen; ich werde ja unmittelbar die Bekanntschaft der -Marskinder machen, sowie des dort herrschenden Erziehungssystems. Ich -kehrte zu meinem Buch zurück. - -Der Gegenstand des folgenden Teils war die geologische Geschichte des -Mars. Diese Ausführungen brachten trotz ihrer Kürze zahllose Vergleiche -mit der Geschichte der Erde und der Venus. Bei einem bedeutenden -Parallelismus aller drei ergab sich als wichtigster Unterschied, daß der -Mars doppelt so alt wie die Erde und viermal so alt wie die Venus war. -Es wurde in Zahlen die Entwicklung der Planeten angegeben, ich entsinne -mich ihrer noch genau, doch will ich sie hier nicht anführen, um den -irdischen Gelehrten eine Erschütterung zu ersparen, denn diese Zahlen -wären für sie etwas äußerst Unerwartetes. - -Dieser Abhandlung folgte die Geschichte des Lebens von seinem Anbeginn. -Es wurden hier geschildert jene ersten Verbindungen, die das Cyanradical -enthielten und die noch keine lebendige Materie waren, obzwar sie viele -ihrer Eigenheiten besaßen. Desgleichen wurden hier jene geologischen -Bedingungen geschildert, unter denen sich die chemischen Verbindungen -vollzogen. Die Ursachen wurden erklärt, vermittels derer sich die eine -Materie im Gegensatz zu anderen, die zwar eine stärkere aber weniger -schmiegsame Verbindung besaßen, bewahrte und anhäufte. Schritt für -Schritt wurde hier die Entwicklung und Differenzierung dieser chemischen -Ahnen jeglichen Lebens verfolgt, bis zur Bildung der ersten wahrhaft -lebendigen Zelle, mit der die »Herrschaft der Einzeller« anhebt. - -Nun folgte das Bild der stufenweisen Entwicklung der lebendigen Wesen, -ihrer allgemeinen Genealogie, vom Einzeller bis zu ihrer höchsten -Entwicklung -- dem Menschen einerseits, sowie andrerseits zu seinen -verschiedenen Abarten. Im Vergleich mit der »irdischen« -Entwicklungslinie zeigte sich, daß auf dem Weg von der ersten Zelle bis -zum Menschen die ersten Glieder der Kette fast gleich waren und auch bei -den folgenden nur ein geringer Unterschied bemerkbar wurde; bei den -mittleren Gliedern jedoch begann der Unterschied bedeutsam zu werden. -Das erschien mir äußerst seltsam. - -»Diese Frage«, sagte Netti, »ist, so viel ich weiß, noch nicht zum -Spezialstudium geworden. Wußten wir doch vor zwanzig Jahren noch nicht, -wie die höchst entwickelten Erdentiere beschaffen seien. Wir waren -äußerst erstaunt, als wir sahen, wie sehr sie unserem Typus gleichen. -Anscheinend ist die mögliche Zahl der höchsten, das vollkommenste Leben -ausdrückenden Typen eine geringe, und auf den dem unseren gleichenden -Planeten vermag bei den gleichartigen Bedingungen der Natur dieses -Maximum des Lebens bloß eine Form hervorzubringen.« - -»Außerdem«, bemerkte Menni, »ist der höchste Typus, der sich der -Planeten bemächtigt hat, jener, der am stärksten der ganzen Summe der -Lebensbedingungen Ausdruck verleiht, bei den Zwischenstufen hingegen, -die sich nur einem Teil der Bedingungen anzupassen vermögen, bleibt mehr -Raum für Verschiedenheit.« - -Ich entsann mich, daß mir bereits in meinen Studentenjahren der Gedanke -an die mögliche Zahl der höchsten Typen durch den Kopf gegangen war, -aber freilich aus einer ganz anderen Ursache: bei den Achtfüßlern, den -Kopffüßlern des Meeres, besitzt die höchstentwickelte Art Augen, die -denen unserer Wirbeltiere seltsam ähnlich sind. Und doch ist die -Entwicklung des Auges bei den Kopffüßlern eine ganz andere, insofern, -als die entsprechenden Gewebe des Sehapparates bei ihnen in -entgegengesetzter Ordnung angebracht sind. - -Wie dem auch immer sei, eines stand fest: auf dem anderen Planeten -lebten Menschen, die uns gleichen und es verlangte mich, mit ihrem Leben -und ihrer Geschichte bekannt zu werden. - -Was die prähistorische Zeit und die ersten Phasen des menschlichen -Lebens auf dem Mars anbelangte, so bestand zwischen diesen und denen der -Erde eine ungeheure Aehnlichkeit. Die gleichen Stammesverhältnisse -hatten geherrscht, einzelne Stämme hatten bestanden, die untereinander -durch Tauschhandel verbunden gewesen waren. Nachher jedoch zeigte sich -ein Auseinandergehen, nicht in der Richtung der Entwicklung, sondern in -der Schnelligkeit und der Art ihres Charakters. - -Der Gang der Geschichte auf dem Mars war irgendwie glatter und -einfacher, als der auf der Erde. Freilich gab es Kriege zwischen den -Stämmen und Völkern, und es gab auch den Klassenkampf; doch spielten im -historischen Leben die Kriege eine äußerst kleine Rolle und wurden -verhältnismäßig früh aus der Welt geschafft; auch der Klassenkampf war -geringer und weniger scharf, was die rohe Gewalt anbelangte. Dies ging -selbstverständlich nicht alles aus dem Buch hervor, aber ich vermochte -es dennoch zu erkennen. - -Die Sklaverei hatten die Marsbewohner überhaupt nie gekannt; ihre -Feudalzeit war im geringen Maßstab militaristisch gewesen, -ihr Kapitalismus befreite sich frühzeitig vom -nationalistisch-imperialistischen Charakter, und es gab nichts, was -unserer zeitgenössischen Armee entsprach. - -Die Erklärung für alle diese Tatsachen mußte ich selbst finden. Die -Marsbewohner und selbst Menni begannen erst jetzt die Geschichte der -Erdenmenschheit zu studieren, und es war ihnen noch nicht gelungen, aus -unserer und ihrer Vergangenheit vergleichende Folgerungen zu ziehen. - -Ich entsann mich eines früheren Gespräches mit Menni. Als ich mich -anschickte, die von meinen Reisegefährten benützte Sprache zu lernen, -interessierte es mich zu erfahren, ob diese von allen Marssprachen die -verbreitetste sei. Menni erklärte mir, sie sei die einzige auf dem Mars -geredete Sprache. - -»Auch bei uns«, fügte Menni hinzu, »verstanden die Bewohner der -verschiedenen Länder einander nicht, aber schon vor langer Zeit, etliche -hundert Jahre vor dem sozialistischen Umsturz, wurden alle Dialekte zu -einer einzigen Sprache verschmolzen. Dies vollzog sich auf freie, -elementare Art -- niemand bemühte sich darum oder schenkte der -Angelegenheit besondere Aufmerksamkeit. Etliche örtliche Sprachgebräuche -erhielten sich noch längere Zeit, doch waren diese allen verständlich. -Und die Entwicklung der Literatur fegte auch diese hinweg.« - -»Diese Tatsache vermag bloß auf eine Art erklärt zu werden«, meinte ich. -»Offensichtlich ist auf Ihrem Planeten die Verbindung zwischen den -Menschen weit besser, leichter und enger, als bei uns.« - -»Dies stimmt«, erwiderte Menni. »Auf dem Mars gibt es weder Euere -ungeheuren Ozeane, noch Euere unübersteigbaren Berggipfel. Unsere Meere -sind klein, trennen nirgends die einzelnen Landteile in selbständige -Kontinente, unsere Berge sind nicht hoch, abgesehen von einigen Gipfeln. -Die ganze Oberfläche unseres Planeten ist viermal kleiner, als die der -Erde. Außerdem ist bei uns die Schwerkraft zweieinhalbmal geringer, als -bei Euch; dank der Leichtigkeit unseres Körpers vermögen wir uns auch -ohne besondere Mittel rasch und leicht zu bewegen, wir laufen ohne zu -ermüden ebenso schnell wie Ihr zu Pferde weiterkommt. Die Natur hat -zwischen unseren Völkern weit weniger Mauern und Scheidewände -aufgerichtet, als bei Euch.« - -Dies war offensichtlich eine der Hauptursachen, die bei der -Marsmenschheit die scharfe Trennung der Rassen und Nationen verhindert -hatte, sowie das Emporkommen der Kriegerkaste, des Militarismus und des -ganzen Systems des Massenmordens. Wahrscheinlich hatte auch hier der -Kapitalismus mit seinen Widersprüchen zur Erschaffung all dieser, der -höheren Kultur angehörenden Eigenheiten geführt, doch wurde die -Entwicklung des Kapitalismus von der Nebenerscheinung begleitet, für die -politische Vereinigung aller Völker und Nationen neue Bedingungen zu -schaffen. Grund und Boden der Kleinbauern wurden frühzeitig vom -Großgrundbesitz verschlungen, und bald darauf wurde der ganze Grund und -Boden nationalisiert. - -Die Ursache hierfür lag in der stetig stärker werdenden Trockenheit des -Bodens, gegen welche die Kleinbauern nicht erfolgreich zu kämpfen -vermochten. Die Erde des Planeten verschlang das Wasser und gab es nicht -wieder zurück. Dies war die Fortsetzung jenes elementaren Prozesses, -vermittels dessen die einst auf dem Mars bestehenden Ozeane seichter -geworden und sich in kleine Binnenmeere verwandelt hatten. Ein -derartiger Prozeß geht auch auf unserer Erde vor sich, doch ist er noch -nicht so weit gediehen; auf dem Mars hingegen, der doppelt so alt ist -wie die Erde, wurde die Lage bereits vor tausend Jahren äußerst ernst. -Die Verminderung der Meere führte zu einer Verminderung der Wolken und -des Regens, zum Seichterwerden der Flüsse und zum Austrocknen der -Quellen. An den meisten Orten mußte die künstliche Bewässerung -eingeführt werden. Wie hätten sich unter diesen Bedingungen die -unabhängigen Kleinbauern halten können? - -In dem einen Fall gingen sie einfach zugrunde und ihr Boden fiel in die -Hände der benachbarten Großgrundbesitzer, die über genügend Kapital -verfügten, um die künstliche Bewässerung durchführen zu können. Im -anderen Fall schlossen sich die Bauern zusammen, vereinigten ihre Kräfte -für das gemeinsame Werk. Doch gingen diesen Genossenschaften früher oder -später die Mittel aus; anfangs dünkte sie dies ein vorübergehendes -Uebel, sie machten bei den großen Kapitalisten die ersten Anleihen. -Trotzdem ging es mit ihnen immer rascher bergab, die Prozente der -Anleihe vergrößerten ihre Ausgaben, führten unweigerlich zu neuen -Anleihen usw. Die bäuerlichen Genossenschaften unterlagen der -wirtschaftlichen Macht ihrer Gläubiger und gingen zugrunde, rissen ihre -Mitglieder, bisweilen hundert oder tausend Bauern, auf einmal mit sich. - -Derart gelangte die urbar gemachte Erde in den Besitz etlicher tausend -großer Bodenkapitalisten; aber der innere Teil des Landes blieb eine -Wüste; hierher gelangte kein Wasser, und die einzelnen Kapitalisten -besaßen nicht genügend Mittel, um diese Landstriche zu bewässern. Als -die Staatsgewalt, die damals schon völlig demokratisch war, sich -gezwungen sah, diese Sache in die Hand zu nehmen, um das allzu zahlreich -werdende Proletariat zu beschäftigen und der sterbenden Bauernschaft zu -Hilfe zu kommen, verfügte selbst sie nicht über die zum Bau der -gigantischen Kanäle nötigen Mittel. Kapitalistische Syndikate wollten -die Sache übernehmen, -- doch war das ganze Volk dagegen, wohl wissend, -das dies eine Stärkung der Syndikate und deren Herrschaft bedeuten -würde. Nach langem Kampf und verzweifeltem Widerstand von seiten der -Bodenkapitalisten wurde eine große progressive Einkommensteuer auf -landwirtschaftliche Erzeugnisse eingeführt. Die durch diese Steuer -erzielten Summen wurden zum Fonds der ungeheuren Arbeit: des Baues der -Kanäle. Die Macht der Gutsbesitzer war gebrochen, und der Uebergang zur -Nationalisierung von Grund und Boden vollzog sich rasch. Damit -verschwanden auch die letzten Reste der Kleinbauern, da die Regierung im -eigenen Interesse ausschließlich den Großkapitalisten Land überlassen -hatte, so daß die landwirtschaftlichen Unternehmungen noch größer -geworden waren als zuvor. Nun wurden die hauptsächlichsten Kanäle -geschaffen, was zu einer mächtigen wirtschaftlichen Entwicklung führte -und die politische Vereinigung der Menschheit näher brachte. Dies -lesend, konnte ich nicht umhin, Menni meine Verwunderung darüber -auszudrücken, daß Menschenhände vermocht hatten, solche riesenhaften -Wasserwege zu erbauen, die selbst mit unseren mangelhaften Teleskopen -von der Erde aus gesehen werden konnten. - -»Sie befinden sich in einem kleinen Irrtum«, erwiderte Menni. »Zwar sind -diese Kanäle tatsächlich ungeheuer groß, aber sie müßten noch um etliche -zehn Kilometer breiter sein, um von Eueren Astronomen unterschieden -werden zu können. Was diese sehen, sind die gewaltigen Waldstreifen, die -wir längs der Kanäle pflanzten, damit eine gleichmäßige Verdunstung der -Feuchtigkeit erzielt und das allzurasche Austrocknen des Wassers -verhindert werde. - -Die Zeit der Kanalbauten brachte einen ungeheueren wirtschaftlichen -Aufschwung; die Industrie blühte und der Klassenkampf ebbte ab. Es gab -eine große Nachfrage nach Arbeitskräften, die Arbeitslosigkeit -verschwand völlig. Als jedoch das große Werk beendet war, und zusammen -mit ihm auch die kapitalistische Kolonisierung der wüsten Gegenden, kam -es bald zu einer wirtschaftlichen Krise, und die »soziale Welt« wurde -durchschaut. Die soziale Revolution brach aus. Und abermals spielte sich -alles verhältnismäßig friedlich ab; die Hauptwaffe der Arbeiter war der -Streik, und nur in seltenen Fällen und an einigen Orten, fast -ausschließlich in ländlichen Bezirken, kam es zu Aufständen. Schritt für -Schritt unterlagen die Grundbesitzer dem Unvermeidlichen; selbst als die -Regierungsgewalt schon in den Händen der Arbeiterpartei lag, versuchten -die Sieger nicht, ihre Sache mit Gewalt zu fördern. - -Es gab, nachdem die Produktionsmittel sozialisiert worden waren, keine -Entschädigung im wahren Sinne des Wortes, doch wurden die Kapitalisten -pensioniert. Später spielten viele von ihnen bei der Organisation -kooperativer Unternehmungen eine große Rolle. Zuerst fiel es schwer, der -Schwierigkeit bei der Verteilung der Arbeit im Sinne der Arbeiter zu -begegnen. Ungefähr hundert Jahre bestand für alle, ausgenommen die -pensionierten Kapitalisten, die allgemeine Arbeitspflicht; zuerst der -Sechsstundentag; später wurde die Arbeitszeit verkürzt. Der Fortschritt -der Technik sowie die genaue Berechnung der freien Arbeit gestatteten, -bei dieser die letzten Ueberreste des alten Systems auszumerzen.« - -Das ganze Bild war schön und harmonisch, nicht wie bei uns von Blut und -Pulverrauch befleckt; ich empfand unwillkürlich ein Gefühl des Neides -und sprach darüber mit Netti, da wir zusammen das Buch lasen. - -»Ich weiß nicht«, meinte der Jüngling, »mir scheint, daß Sie unrecht -haben. Es ist wahr, daß auf der Erde die Gegensätze weit stärker sind, -und daß die Natur der Erde weit freigebiger Schläge und Tod verteilt, -als unser Mars. Doch ist dies vielleicht darauf zurückzuführen, daß der -Reichtum der Erde von allem Anfang an unvergleichlich größer war, als -der unsere; die bedeutend größere Sonne gibt ihr die lebendige Kraft. -Bedenken Sie, um wie viele Millionen Jahre unser Planet älter ist, als -der Euere; unsere Menschheit jedoch entstand bloß einige zehntausend -Jahre vor der Eueren, und ist letzterer heute vielleicht nur um zwei, -höchstens drei Jahrhunderte voraus. Ich stelle mir diese beiden -Menschheiten als zwei Brüder vor. Der ältere besitzt einen ruhigen, -gleichmäßigen Charakter, der Jüngere ist stürmisch und explosiv. Der -jüngere Bruder versteht es schlechter, seine Kräfte zu verwerten, -vergeudet sie, begeht mancherlei Fehler; seine Kindheit war voller -Krankheiten und unruhig. Jetzt, da er ins Jünglingsalter kommt, leidet -er unter qualvollen krampfartigen Anfällen. Wird er aber nicht zu einem -schaffenden Künstler werden, der weit größer und stärker ist, als der -ältere Bruder, wird er nicht dann unsere alte Natur weit schöner und -reicher gestalten? Ich weiß es nicht, doch scheint mir, daß dem so sein -wird.« - - - Die Ankunft - -Geführt von Mennis klarem Kopf, setzte der Aetheroneff ohne weitere -Unfälle den Weg nach dem fernen Ziel fort. Schon war es mir gelungen, -mich den ungewohnten Lebensbedingungen anzupassen und auch mit den -größten Schwierigkeiten der Marssprache fertig zu werden, als Menni uns -eines Tages mitteilte, die Hälfte des Weges sei zurückgelegt, die -höchste Geschwindigkeit erreicht worden, von nun an werde sich diese -vermindern. - -Im gleichen Augenblick, da Menni diese Worte sprach, drehte sich rasch -und gleitend der Aetheroneff. Die Erde, die sich schon seit langer Zeit -aus einer großen, leuchtenden Sichel in eine kleine, und aus der kleinen -Sichel in einen grünschimmernden, nahe der Sonnenscheibe schwebenden -Stern verwandelt hatte, glitt nun aus dem unteren Teil des schwarzen -Himmelsgewölbes in die obere Halbkugel, und der rote Stern, der Mars, -der hell über uns gefunkelt hatte, sank zu unseren Füßen nieder. - -Noch einige hundert Stunden, und der Mars verwandelte sich in eine -kleine helle Scheibe, und gar bald unterschieden wir auch zwei kleine -Sternchen, seine Weggenossen, -- Deimos und Phobos, unschuldige, winzige -Planeten, die ihre furchtbaren Namen wirklich nicht verdienten. Diese -Namen bedeuten auf griechisch »Schrecken« und »Grauen«. Die ernsten -Marsbewohner wurden lebhafter, begaben sich immer häufiger in Ennos -Observatorium, um ihre Heimat zu betrachten. Auch ich tat dies, doch -verstand ich, trotz Ennos geduldigen Erklärungen, gar schlecht, was ich -vor mir sah; freilich gab es da viel, was mir völlig fremd war. - -Die roten Flecken erwiesen sich als Wälder und Wiesen, und die dunkleren -als erntebereite Felder. Die Städte erschienen als bläuliche Flecken, -- -und einzig und allein Wasser und Schnee hatten eine mir verständliche -Farbe. Der muntere Enno ließ mich bisweilen erraten, was es sei, das ich -auf der Linse des Apparates erblickte, und meine naiven Irrtümer reizten -ihn und Netti zum Lachen; ich rächte mich, indem ich über ihre Ordnung -scherzte, ihren Planeten das Königreich der gelehrten Eulen und der -verwirrten Farben nannte. - -Der Umfang der roten Scheibe wuchs immer mehr an. Schon übertraf sie an -Größe die merklich kleiner werdende Sonnenscheibe und glich einer -astronomischen Karte ohne Aufschriften. Auch die Schwerkraft begann sich -zu steigern, was mich sehr angenehm berührte. Deimos und Phobos -verwandelten sich aus leuchtenden Pünktchen in winzige, aber klar -umrissene Scheiben. - -Noch fünfzehn bis zwanzig Stunden -- und schon umkreiste uns der Mars -als Planiglob und ich vermochte mit freiem Auge mehr zu sehen, als auf -allen astronomischen Karten unserer Gelehrten vermerkt ist. Die Scheibe -des Deimos glitt über diese runde Landkarte dahin, Phobos jedoch war -nicht zu sehen, -- befand sich nun auf der anderen Seite des Planeten. - -Freude herrschte ringsum, nur ich allein vermochte nicht eine zitternde, -quälende Erwartung zu überwinden. - -Näher und näher ... Keiner von uns brachte es über sich, etwas zu tun, --- alle blickten unentwegt abwärts, dorthin, wo eine andere Welt -kreiste, -- eine Welt, die für sie die Heimat, für mich aber ein Ort des -Geheimnisses und der Rätsel war. Nur Menni befand sich nicht unter uns, -er stand im Maschinenraum: die letzten Wegstunden waren die -allergefährlichsten, es galt, die Entfernung festzustellen und die -Schnelligkeit zu regulieren. - -Wie kam es eigentlich, daß ich, ein unfreiwilliger Kolumbus dieser Welt, -weder Freude, noch Stolz, ja nicht einmal Beruhigung fühlte, jetzt, da -wir ans feste Land gelangen sollten? - -Künftige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus ... - -Noch etwa zwei Stunden! Rasch überschritten wir die atmosphärische -Grenze. Mein Herz begann schmerzhaft zu pochen, ich vermochte nichts -mehr zu sehen, eilte in meine Stube. Netti folgte mir. - -Er begann mit mir zu plaudern, -- nicht über die Gegenwart, sondern über -die Vergangenheit, die ferne Erde, die dort oben lag. - -»Sie werden noch dorthin zurückkehren, wenn Sie Ihre Aufgabe erfüllt -haben«, sprach er, und seine Worte klangen mir wie eine zarte -Aufforderung, mich mannhaft zu halten. - -Wir redeten über diese Aufgabe, über ihre unbedingte Notwendigkeit und -Schwere. Unmerklich verging die Zeit. - -Netti blickte auf den Chronometer. »Wir sind angekommen«, sagte er. -»Gehen wir zu ihnen!« - -Der Aetheroneff stand still, schaukelte die breiten ungeheueren -Metallplatten; von außen drang frische Luft herein. Ueber unseren -Häuptern leuchtete klar der grünlich blaue Himmel, -- eine Menschenschar -umdrängte uns. - -Menni und Sterni gingen als erste an Land; sie trugen den durchsichtigen -Sarg, in dem der tote Kamerad Letta lag. - -Ihnen folgten die anderen. Ich und Netti kamen als letzte; Hand in Hand -verließen wir den Aetheroneff, schritten hinein in die Menschenmenge, -die völlig Netti glich ... - - - Zweiter Teil - - - Bei Menni - -Die erste Zeit lebte ich bei Menni in der Fabrikstadt, deren Mittelpunkt -und Basis das große chemische, sich tief unter der Erde erstreckende -Laboratorium bildete. Der sich über der Erde befindende Teil der Stadt, -der, zwischen Parken und Anlagen erbaut, etwa zehn Quadratkilometer -einnahm, beherbergte etwa hundert Arbeiterhäuser, die von den -Laboratoriumsarbeitern bewohnt wurden, sowie das große Versammlungshaus, -das Konsumwarenhaus und die Verbindungsstation, die diese Stadt mit der -ganzen umgrenzenden Welt verband. Hier war Menni der Leiter der Arbeit; -er lebte in einem der Gemeinschaftsgebäude, nahe dem Abstieg zum -Laboratorium. - -Das erste, was mich bei der Natur des Mars verblüffte und woran ich mich -nicht recht gewöhnen konnte, war die rote Farbe der Pflanzen. Dieser -Farbstoff, seiner Substanz nach dem Chlorophyll der irdischen Pflanzen -äußerst ähnlich, spielte auch hier in der Natur eine völlig analoge -Rolle: er schuf das Gewebe der Pflanzen aus dem Sauerstoff der Luft und -der Kraft des Sonnenlichtes. - -Der vorsorgliche Netti schlug mir vor, Schutzbrillen zu tragen, um das -Auge vor der ungewohnten Reizung zu bewahren. Ich weigerte mich, dies zu -tun. - -»Diese Farbe trägt auch unsere sozialistische Fahne«, sagte ich. »Ich -muß daher mit Ihrer sozialistischen Natur vertraut werden.« - -»Wenn dem so ist, so müssen Sie wissen«, warf Menni ein, »daß auch bei -der Erdflora der Sozialismus besteht, freilich auf eine verborgene Art. -Die Blätter der Erdpflanzen besitzen eine rote Färbung, maskieren diese -bloß durch eine starke grüne Farbe. Es genügt, Brillen anzulegen, die -das grüne Licht verschlingen und das rote Licht abstoßen, damit auch -Ihre Wälder und Felder, gleich den unseren, rot erscheinen.« - -Ich darf nicht Zeit und Platz vergeuden, indem ich die eigenartigen -Formen der Pflanzen und Tiere auf dem Mars beschreibe, noch die reine -und durchsichtige Atmosphäre, die zwar äußerst dünn, aber dennoch voller -Sauerstoff ist, noch den tiefen, dunklen, grünlichen Himmel, mit der -mageren Sonne und den winzigen Monden, mit dem doppelt so hellen Abend- -und Morgenstern -- der Venus und der Erde. Alldies, damals seltsam und -fremdartig, deucht mich heute, durch die Erinnerung verklärt, schön und -teuer. Aber es stand mit der Aufgabe meiner Sendung nur in losem -Zusammenhang. Die Menschen, die Verhältnisse, in denen sie lebten, dies -war für mich wichtig, und sie waren selbst in dieser märchenhaften -Umgebung das Allerphantastischste, das Allerrätselhafteste. - -Menni wohnte in einem nicht sonderlich großen zweistöckigen Haus, das -sich der Architektur nach nicht von den übrigen Gebäuden unterschied. -Der originellste Zug dieser Architektur bestand in dem durchsichtigen, -aus riesenhaften himmelblauen Platten gebildeten Dach. Unter diesem Dach -befanden sich die Schlaf- und Wohnzimmer. Die Marsbewohner verbrachten -ihre Mußestunden in dieser blauen Beleuchtung, schätzten deren -beruhigenden Einfluß, und fanden die Farbe, die jenes Licht auf den -Gesichtern hervorruft, keineswegs unangenehm, wie es bei uns der Fall -gewesen wäre. - -Die Arbeitszimmer, das Hauslaboratorium, sowie der Verbindungsraum lagen -im unteren Stockwerk; große Fenster ließen gewaltige Wogen des -beunruhigenden roten Lichtes, das von den Blättern der Parkbäume -ausging, in die Räume fluten. Dieses Licht, das in der ersten Zeit bei -mir eine unruhige und verwirrte Stimmung hervorrief, erregte bei den -Marsbewohnern eine gewohnte, der Arbeit günstige Erregung. - -In Mennis Arbeitszimmer befanden sich viele Bücher und die -verschiedensten Schreibgeräte, angefangen vom einfachen Bleistift bis -zum Druckphonographen. Dieser Apparat besaß einen äußerst komplizierten -Mechanismus: jedes deutlich ausgesprochene Wort wurde sofort vermittels -eines Hebels auf der Schreibmaschine wiedergegeben und von dieser, je -nach Bedarf, auf die Setzmaschine gebracht. - -Auf Mennis Schreibtisch stand das Porträt eines mittelgroßen -Marsbewohners. Die Gesichtszüge erinnerten lebhaft an Menni, doch -eignete ihnen ein Ausdruck strenger Energie und kalter Entschlossenheit, -ja fast der Grausamkeit, die Menni fehlte, dessen Gesicht nur einen -ruhigen, festen Willen ausdrückte. Menni erzählte mir die Geschichte -dieses Mannes. - -Er war ein Ahne Mennis, ein großer Ingenieur. Er lebte vor der sozialen -Revolution, zur Zeit der großen Kanalbauten. Dieses grandiose Werk wurde -nach seinen Plänen und unter seiner Leitung ausgeführt. Sein erster -Gehilfe, der ihm den Ruhm und die Macht neidete, zettelte gegen ihn -Intrigen an. Einer der Hauptkanäle, an dem einige hunderttausend -Menschen arbeiteten, mußte in einer sumpfigen, ungesunden Gegend -begonnen werden. Viele tausend Arbeiter starben und erkrankten, -allgemeine Unzufriedenheit gärte. Zur gleichen Zeit, als der -Oberingenieur mit der Zentralregierung des Mars Besprechungen pflog, um -für die Familien der bei dem Bau verstorbenen Arbeiter und für jene, die -durch Krankheit an weiterer Arbeit gehindert wurden, Pensionen -durchzusetzen, agitierte der erste Gehilfe im Geheimen wider ihn, hetzte -zum Streik für die Forderung, die Arbeit an einen anderen Ort zu -verlegen, was bei dem jetzigen Stand der Arbeit unmöglich war, weil -dadurch der ganze Plan des großen Werkes und des Ingenieurs zerstört -worden wäre. Als der Ingenieur dies erfuhr, berief er den ersten -Gehilfen zu sich, verlangte von ihm eine Aufklärung und tötete ihn auf -der Stelle. Vor Gericht verschmähte der Ingenieur jegliche Verteidigung, -beschränkte sich auf die Erklärung, daß er seine Handlung für völlig -gerecht und notwendig halte. Er wurde zu vielen Jahren Gefängnis -verurteilt. - -Doch stellte sich gar bald heraus, daß keiner seiner Nachfolger die -Kraft besaß, die gigantische Organisation der Arbeit durchzuführen. -Mißverständnisse entstanden, Raub und Betrug, gewaltige Verwirrung; der -ganze Apparat des Werkes war nahe daran zugrunde zu gehen, die Ausgaben -wuchsen in die Hunderte von Millionen, unter den Arbeitern gärte heftige -Unzufriedenheit, die bereits fast zu Aufständen führte. Die -Zentralregierung wandte sich in aller Eile an den früheren Ingenieur, -bot ihm Begnadigung und Wiedereinsetzung ins Amt an. Er wies die -Begnadigung zurück, willigte jedoch ein, vom Gefängnis aus die Arbeit zu -leiten. - -Durch die Berichte seiner Revisoren wurden die Vorgänge an der -Arbeitsstelle rasch aufgeklärt. Hundert Ingenieure und Unternehmer -wurden fortgejagt und vor Gericht gestellt. Der Arbeitslohn wurde -erhöht, ein neues System für die Lieferung der Nahrung, Kleidung und -Werkzeuge eingeführt, der Arbeitsplan revidiert und verbessert. Bald war -die Ordnung wieder völlig hergestellt, der gewaltige Apparat arbeitete -rasch und genau, wie ein gehorsames Werkzeug in der Hand des Meisters. - -Aber dieser Meister leitete nicht bloß das ganze Werk, sondern arbeitete -auch die Pläne für dessen Fortsetzung in den folgenden Jahren aus, -bereitete gleichzeitig auch noch einen Stellvertreter vor, einen jungen, -energischen, begabten, dem Arbeiterstand entstammenden Ingenieur. Da der -Tag nahte, an dem er aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, war -alles so gut vorbereitet, daß der große Meister die Möglichkeit hatte, -das Werk, ohne es zu gefährden, einer anderen Hand zu übergeben. Im -Augenblick, als sich der erste Minister der Zentralregierung dem -Gefängnis näherte, um den Gefangenen freizulassen, tötete dieser sich -selbst. - -Während Menni mir dies erzählte, veränderte sich sein Gesicht auf -seltsame Art; es erschien darauf der gleiche unbeugsam strenge Ausdruck, -der seinem Ahnen eignete, und in diesem Augenblick glich er ihm. Ich -fühlte, wie sehr er diesem Ahnen, der hundert Jahre vor seiner, Mennis, -Geburt gestorben war, nahestand und wie gut er ihn begriff. - -Das Verbindungsbureau nahm den mittleren Raum des unteren Stockwerkes -ein. Hier befanden sich die Telephone und die optischen Apparate, die -auf jede beliebige Entfernung hin das Bild all dessen wiedergaben, was -sich vor ihrer Linse befand. Einer dieser optischen Apparate verband -Mennis Wohnung mit der Verbindungsstation, und über diese mit allen -Städten des Planeten. Ein anderer stellte die Verbindung mit dem -unterirdischen Laboratorium her, das von Menni geleitet wurde. Dieser -letztere arbeitete unaufhörlich: etliche dünne, gitterartige Platten -zeigten verkleinert das Bild eines hellerleuchteten Saals, wo sich -mächtige Metallmaschinen und gläserne Apparate befanden, an denen -Tausende von Leuten arbeiteten. Ich wandte mich an Menni mit der Bitte, -mich in das Laboratorium zu führen. - -»Dies geht nicht«, erwiderte er. »Dort wird mit der noch nicht stabilen -Materie gearbeitet, und wie gering auch immer, dank unserer -Vorsichtsmaßregeln, die Gefahr einer Explosion oder einer Vergiftung -durch unsichtbare Strahlen ist, so besteht trotzdem noch eine gewisse -Gefahr. Sie dürfen sich dieser nicht aussetzen, denn Sie sind hier -einzigartig, und Sie zu ersetzen wäre unmöglich.« - -In seinem Privatlaboratorium verwahrte Menni bloß jene Apparate und -Materialien, die zu seinen früheren Experimenten und Untersuchungen in -Beziehung standen. - -Im Korridor des untersten Stockwerkes war an der Decke ein Luftschiff -befestigt, mit dem man in jedem Augenblick dorthin fliegen konnte, wohin -es einem beliebte. - -»Wo lebt Netti?« fragte ich Menni. - -»In einer großen Stadt, auf zwei Luftschiffstunden entfernt. Dort -befindet sich eine große Maschinenfabrik mit etlichen zehntausend -Arbeitern, so daß Netti für seine Untersuchungen weit mehr Material -besitzt, als hier. Wir haben einen anderen Arzt.« - -»Ist mir auch nicht gestattet, die Maschinenfabrik zu besuchen?« -erkundigte ich mich. - -»Nein; dort droht ja keine besondere Gefahr. Wenn es Ihnen recht ist, -werden wir uns morgen zusammen hinbegeben.« - -Wir beschlossen, dies zu tun. - - - In der Fabrik - -Ungefähr fünfhundert Kilometer in zwei Stunden, -- die Schnelligkeit -eines Falkenflugs, die bisher nicht einmal von unseren elektrischen -Eisenbahnen erreicht worden ist ... Unter uns kreiste in raschem Wechsel -die unbekannte, fremdartige Landschaft, und noch rascher flogen -seltsame, mir fremde Vögel an uns vorbei. Das Sonnenlicht warf blaue -Farben auf die Dächer der Häuser und färbte mit dem mir gewohnten gelben -Licht die ungeheuere Kuppel eines unbekannten großen Gebäudes. Flüsse -und Kanäle schimmerten als Stahlbänder, mein Auge ruhte auf ihnen, weil -sie denen der Erde glichen. In der Ferne ward eine gewaltige Stadt -sichtbar, umsäumt von kleinen Seen und durchschnitten von Kanälen. Das -Luftschiff verlangsamte seine Fahrt und senkte sich gleitend zu einem -kleinen schönen Haus nieder, Nettis Wohnung. - -Netti war daheim und begrüßte uns freudig. Er stieg in unser Luftschiff, -und wir flogen weiter; die Fabrik befand sich noch etliche Kilometer -entfernt, an dieser Seite des Sees. - -Fünf riesenhafte Gebäude, kreuzförmig gelegen, vereinigten sich zu einem -einzigen Bau; Kuppeln aus reinem Glas wurden von etlichen zehn dunklen -Säulen getragen, bildeten einen Kreis oder eine verlängerte Ellipse. Die -Glasplatten waren abwechselnd durchsichtig oder matt, bildeten zwischen -den Säulen die Wände. Wir machten am Mittelbau Halt, vor dem Tor, das -den ganzen Raum zwischen zwei Säulen, zehn Meter breit und zwölf Meter -hoch, einnahm. Die Decke des ersten Stockwerks durchschnitt horizontal -den Mittelraum des Tores; etliche Schienenpaare mündeten beim Tor, zogen -sich durch den äußeren Korridor. - -Wir glitten zur halben Höhe des Tores, und jählings stürzte sich das -alles verschlingende Geräusch der Maschinen aus dem zweiten Stockwerk -auf uns nieder. Uebrigens war dieses Stockwerk nicht im eigentlichen -Sinne des Wortes ein eigenes, abgetrenntes Stockwerk; es war vielmehr -ein Netz aus Luftbrücken, das über den gewaltigen, mir unbekannten -Maschinen schwebte. Wenige Meter über den Maschinen befand sich ein -ähnliches Netz, noch höher ein drittes, viertes, fünftes; diese Netze -bestanden aus einem Glasparkett, das von vierkantigen Eisengittern -eingefaßt war; alle waren durch Fallgatter und Stufen miteinander -verbunden, und jedes Netz war kleiner, als das vorhergehende. - -Weder Dunst, noch Ruß, noch Gestank, noch Staub. In der reinen, frischen -Luft arbeiteten die Maschinen kraftvoll und gleichmäßig, das Licht war -nicht schmerzlich grell, doch drang es überall hin. Die Maschinen -schnitten, sägten, hobelten ungeheuere Eisenstücke, Aluminium, Nickel, -Kupfer. Hebel, stählernen Riesenhänden ähnlich, bewegten sich -gleichmäßig und glatt, große Plattformen glitten mit sorgfältig -berechneter Genauigkeit hin und her; die Räder und Transmissionsriemen -schienen hingegen unbeweglich. Hier herrschte nicht die rohe Gewalt des -Feuers und Dampfes; die feine und dabei weit mächtigere Kraft der -Elektrizität war die Seele dieses unheimlichen Mechanismus. - -Sogar der Lärm der Maschinen schien, sobald man sich ein wenig daran -gewöhnt hatte, schier melodisch, ausgenommen in jenen Augenblicken, da -der gewaltige Hammer niederschlug, und von dem mächtigen Schlag alles -ringsum erbebte. - -Hunderte von Arbeitern gingen gelassen durch den Raum; in dem -Meeresrauschen der Maschinen waren ihre Schritte und Stimmen nicht -vernehmbar. Auf ihren Zügen lag keine angespannte Sorge, sondern bloß -ruhige Aufmerksamkeit; sie glichen wißbegierigen, gelehrsamen -Betrachtern; es interessierte sie nur, zu sehen, wie die ungeheueren -Metallstücke auf den unter der durchsichtigen Kuppel gelegenen -Schienenplattformen in die eiserne Umarmung der dunklen Ungeheuer -stürzten, wie die Ungeheuer diese mit ihren starken Kinnbacken -zermalmten, mit den schweren, harten Tatzen festhielten, mit den -scharfen, glänzenden Krallen durchbohrten und schließlich, im grausamen -Spiel innehaltend, sie auf die andere Seite zu den dort befindlichen -elektrischen Eisenbahnwaggons beförderten, als prächtige Maschinenteile, -deren Bestimmung rätselhaft war. Es erschien völlig natürlich, daß die -stählernen Ungeheuer die kleinen großäugigen Betrachter nicht anrührten, -die so vertrauensvoll zwischen ihnen dahinschritten. Diese Tatsache -entsprang der Geringschätzung ihrer Schwäche, der Erkenntnis, daß diese -kleinen Geschöpfe eine allzu unbedeutende Beute seien, unwürdig der -ungeheueren Kraft der Giganten. Unmerkbar und unsichtbar waren jene -Fäden, die das zarte Menschenhirn mit dem unzerstörbaren Organ des -Mechanismus verbanden. - -Als wir endlich den Bau verließen, fragte der uns führende Techniker, ob -wir sofort die anderen Gebäude besichtigen, oder ob wir uns zur Erholung -eine kleine Unterbrechung gönnen wollten? Ich war für eine -Unterbrechung. - -»Ich sah nun die Maschinen und die Arbeiter«, sprach ich. »Die -Organisation der Arbeit jedoch vermag ich mir nicht vorzustellen. Und -gerade darüber möchte ich Sie befragen.« - -Statt einer Antwort führte uns der Techniker in einen kubisch gebauten, -zwischen dem Mittel- und einem Eckgebäude gelegenen Bau. Aehnlicher -Bauten gab es noch drei, die alle die analoge Lage hatten. Die schwarzen -Mauern waren mit Reihen von glänzend weißen Zeichen bedeckt; dies waren -die statistischen Arbeitstabellen. Auf der einen, mit Nummer eins -bezeichneten, stand: - -»Der Maschinen-Betrieb verfügt über einen Ueberschuß von 968757 -täglichen Arbeitsstunden, davon 11325 Arbeitsstunden erfahrener -Spezialisten. - -Die Fabrik weist einen Ueberschuß von 753 Stunden auf, davon 29 Stunden -erfahrener Spezialisten. - -In den folgenden Zweigen herrscht kein Mangel an Arbeitskraft: in der -Landwirtschaft, in den Bergwerken, bei den Erdarbeiten, in den -chemischen Betrieben usw. (Die verschiedenen Arbeitszweige wurden in -alphabetischer Reihenfolge aufgezählt.)« - -Auf der Tabelle, die die Nummer zwei trug, war zu lesen: - -»In den Konfektionsbetrieben ist ein Mangel von 392685 täglichen -Arbeitsstunden, davon 21380 Arbeitsstunden erfahrener Mechaniker für -Spezialmaschinen und 7852 Arbeitsstunden der Spezialisten für -Organisation.« - -»Die Schuhfabriken benötigen 79360 Arbeitsstunden, davon ...« usw. - -»Das Institut für Rechnungswesen benötigt 3078 Arbeitsstunden ...« - -Der Inhalt der Tabellen Nummer drei und vier war ein ähnlicher. Auf den -Listen der Arbeitszweige stand auch die Erziehung von kleinen, sowie von -mittelgroßen Kindern, medizinische Hilfe für die Stadt, oder für -Landbezirke usw. - -»Weshalb ist der Ueberschuß an Arbeitskraft nur in der Maschinenfabrik -so genau angegeben, der Mangel an Arbeitskräften jedoch überall so -ausführlich vermerkt?« fragte ich. - -»Das ist leicht zu erklären«, entgegnete Menni. »Vermittels dieser -Tabellen wird die Verteilung der Arbeit vorgenommen. Dazu ist nötig, daß -ein jeder zu sehen vermöge, wo die Arbeitskräfte nicht ausreichen, in -welchem Maße sie fehlen. Dann vermag der Mensch, der für zwei -Beschäftigungen die gleiche oder verhältnismäßig gleiche Neigung -besitzt, jene der beiden Beschäftigungen zu wählen, bei der es an -Arbeitskraft gebricht. Den genauen Ueberschuß an Arbeitskraft zu kennen, -ist jedoch nur dort vonnöten, wo dieser Ueberschuß besteht. Auf diese -Art kann jeder Arbeiter selbst die Berechnung und das Maß des -Ueberschusses feststellen, sowie seine Neigung, die Beschäftigung zu -wechseln.« - -Während wir so sprachen, bemerkte ich plötzlich, daß auf den Tabellen -einige Zahlen verschwanden und durch andere, neue, ersetzt wurden. Ich -fragte, was dies bedeute. - -»Die Zahlen ändern sich stündlich«, erklärte Menni. »Im Verlauf einer -Stunde melden einige tausend Arbeiter ihren Wunsch, zu einer anderen -Arbeit überzugehen. Dies wird vom zentralen statistischen Apparat -vermerkt, und die Mitteilung wird auf elektrischem Wege stündlich -weitergeleitet.« - -»Auf welche Art vermag der zentrale statistische Apparat die Zahlen des -Ueberschusses und des Mangels festzustellen?« - -»Unser Institut für Rechnungswesen besitzt überall seine Agenturen; -diese verfolgen genau die Bewegung in der Produktion, die Warenmengen -der einzelnen Betriebe, die Zahl der dort schaffenden Arbeiter. Auf -diesem Weg wird genau ersichtlich, wieviel Arbeitsstunden erforderlich -sind. Das Institut berechnet, welcher Unterschied zwischen den -tatsächlichen und den erforderlichen Arbeitsstunden in den einzelnen -Betrieben besteht, und gibt dies überall bekannt. Die Flut der -Freiwilligen verteilt sich auf gleichmäßige Art.« - -»Ist das Anrecht auf Produkte in keiner Weise eingeschränkt?« - -»Nein; jeder nimmt das, was er braucht, nimmt soviel, wie er will.« - -»Und wird niemals etwas unserem Gelde entsprechendes verlangt? Ein -Beweis für die Menge der geleisteten Arbeit, oder der Verpflichtung, -diese zu leisten?« - -»Keineswegs. Bei uns ist die Arbeit frei, es herrscht an nichts Mangel. -Der erwachsene soziale Mensch fordert nur eines: Arbeit. Wir brauchen -ihn weder auf verhüllte noch auf offene Art zur Arbeit zu zwingen.« - -»Wenn aber die Forderungen durch nichts begrenzt werden, ergibt sich -daraus nicht die Möglichkeit scharfer Schwankungen, die alle -Berechnungen des Instituts über den Haufen werfen?« - -»Selbstverständlich nicht. Der einzelne Mensch kann für einen oder zwei -Menschen essen, ja auch die für drei Leute bestimmte Menge von -Nahrungsmitteln verzehren, oder aber er kann in zehn Tagen zehn Anzüge -tragen; bei einer Gesellschaft von dreitausend Millionen Menschen -hingegen gibt es keine derartigen Schwankungen. Bei so großen Zahlen -bedeuten die Schwankungen nach der einen oder anderen Seite hin nichts, -verteilen sich gleichmäßig; der Durchschnitt verändert sich äußerst -langsam, in strenger, gesetzmäßiger Kontinuität.« - -»Dann arbeitet also Ihre Statistik völlig automatisch, ist weiter -nichts, als eine Berechnung?« - -»Das will ich nicht sagen. Es gibt dabei auch große Schwierigkeiten. Das -Institut für Rechnungswesen muß scharfsichtig alle neuen Erfindungen -verfolgen, sowie die durch diese im Betrieb hervorgerufenen -Veränderungen, damit es diese richtig einzuschätzen vermag. Erscheint -eine neue Maschine, so fordert dies nicht nur eine Veränderung der -Arbeit in jenen Betrieben, wo sie benützt wird, sondern auch in den -Maschinenfabriken, und bisweilen in den Betrieben für Rohmaterial bei -ganz anderen Zweigen. Wird eine Erzgrube erschöpft, oder werden neue -mineralische Reichtümer entdeckt, so bedeutet das abermals eine völlige -Veränderung der Arbeit in einer ganzen Reihe von Betrieben, -- in den -Bergwerken, dem Bau der Eisenbahnstrecken usw. All dies muß von allem -Anfang an berechnet werden, wenn auch nicht ganz genau, so doch -annähernd, und das ist keineswegs leicht, solange nicht die Daten von -Augenzeugen erbracht werden können.« - -»Bei derartigen Schwierigkeiten«, bemerkte ich, »ist es offensichtlich -nötig, stets über einen Vorrat an überschüssigen Arbeitskräften zu -verfügen?« - -»Ja, gerade dies ist der Stützpunkt unseres Systems. Vor zweihundert -Jahren, als die kollektive Arbeit nur gerade genügte, um die Forderungen -der Gesellschaft zu befriedigen, war eine völlige Genauigkeit der -Berechnung unentbehrlich, und die Verteilung der Arbeit konnte nicht -ganz frei sein. Es gab Pflicht-Arbeitstage, und die Verteilung derselben -fand nicht immer die Zustimmung unserer Genossen. Doch brachte jede -Erfindung, wenngleich sie zuerst vorübergehende statistische -Schwierigkeiten bedeutete, eine gewaltige Erleichterung der Aufgabe. -Zuerst wurden die Arbeitstage gekürzt, dann, als sich allerorts ein -Ueberschuß an Arbeitskraft zeigte, wurde die Verpflichtung zur Arbeit -endgültig aufgehoben. Beobachten Sie, wie unbedeutend die Zahlen sind, -die sich auf den Mangel an Arbeitsstunden beziehen: tausend, zehn-, -hunderttausend Arbeitsstunden, nicht mehr, -- und dies bei Millionen und -zehn Millionen von Arbeitsstunden, die in den Betrieben unnötig -verbracht werden.« - -»Dennoch besteht ein Mangel an Arbeitsstunden«, warf ich ein. »Freilich -dürfte er durch den darauffolgenden Ueberschuß gedeckt werden.« - -»Nicht bloß durch diesen Ueberschuß. Bei den lebenswichtigen Betrieben -wird derart gearbeitet, daß die Grundziffern noch überboten werden. In -den für die Gesellschaft wichtigsten Industriezweigen -- den Betrieben -für Lebensmittel, Kleidung, Maschinen, Bauten -- erreicht dieses -Ueberangebot die Höhe von 6 Prozent, bei den weniger wichtigen 1 bis 2 -Prozent. Auf diese Art drücken die den Mangel bezeichnenden Zahlen, -allgemein gesprochen, nur den relativen, aber nicht den absoluten Mangel -aus. Selbst wenn auf den Tabellen ein Mangel von zehn- und -hunderttausend Arbeitsstunden vermerkt ist, so bedeutet dies noch nicht, -daß die Gesellschaft unter einem wirklichen Mangel leidet.« - -»Wieviel Stunden werden täglich vom Einzelnen, zum Beispiel in dieser -Fabrik, gearbeitet?« - -»Die meisten arbeiten zwei, anderthalb und zweieinhalb Stunden«, -erwiderte der Techniker. »Doch gibt es auch welche, die länger oder -kürzer arbeiten. Jener Genosse dort, der den großen Hammer handhabt, -läßt sich derart von seiner Arbeit fortreißen, daß er niemandem -gestattet, ihn abzulösen, ehe nicht die volle Arbeitszeit, sechs -Stunden, vorüber ist.« - -Ich übertrug im Gedanken die Marszahlen auf irdische Zahlen: ihr Tag -bestand, da ihre Stunden etwas länger waren aus zehn Stunden. Demzufolge -war ein Arbeitstag von vier, fünf, sechs Stunden ungefähr unserem -Arbeitstag von fünfzehn Stunden gleich, -- einer Arbeitszeit, die nur -bei den ausbeuterischsten Unternehmen vorkam. - -»Ist es denn für den Genossen am großen Hammer nicht schädlich, so lange -zu arbeiten?« fragte ich. - -»Bisher noch nicht«, entgegnete Netti. »Er wird sich diesen Luxus noch -ein halbes Jahr lang gestatten können. Ich habe ihn selbstverständlich -auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die ihm von seiner Leidenschaft -drohen. Eine derselben ist die Möglichkeit eines krampfartigen -psychischen Anfalls, der ihn mit unwiderstehlicher Kraft unter den -Hammer reißen würde. Im Vorfahr ereignete sich in dieser Fabrik ein -derartiger Fall mit einem jungen Mechaniker, der ebenfalls die starken -Empfindungen liebte. Dank eines glücklichen Zufalls gelang es, den -Hammer aufzuhalten, und der unfreiwillige Selbstmord mißlang. Die Gier -nach starken Empfindungen ist an und für sich noch keine Krankheit, doch -kann sie sich leicht in eine verwandeln, falls das Nervensystem durch -Erschöpfung, seelische Kämpfe oder eine zufällige Krankheit erschüttert -ist. Selbstverständlich verliere ich niemals jene Genossen aus dem Auge, -die sich hemmungslos der gleichen Arbeit hingeben.« - -»Sollte aber nicht jener Genosse, von dem die Rede ist, seine -Arbeitszeit auch schon deshalb abkürzen, weil in der Maschinenfabrik ein -Ueberschuß an Arbeitsstunden besteht?« - -»Selbstverständlich nicht«, lachte Menni. »Weshalb sollte gerade er das -Gleichgewicht herstellen? Die Statistik verpflichtet keinen. Jeder nimmt -sie zur Kenntnis, doch kann er sich nicht einzig und allein von ihr -leiten lassen. Wenn es Sie danach verlangte, baldigst in dieser Fabrik -zu arbeiten, so würden Sie höchstwahrscheinlich eine Anstellung finden, -und die statistische Zahl des Ueberschusses würde sich auf ein bis zwei -Stunden vergrößern. Der Einfluß der Statistik macht sich bei der -_Massen_-Umstellung der Arbeit ununterbrochen bemerkbar, doch ist jeder -Einzelne frei.« - -Wir hatten uns nun zur Genüge ausgeruht und gingen daran, die -Besichtigung der Fabrik fortzusetzen. Nur Menni begab sich heim, denn er -war ins Laboratorium gerufen worden. - -Am Abend beschloß ich, bei Netti zu bleiben; er versprach, mir am -folgenden Tag das »Haus der Kinder« zu zeigen, wo seine Mutter eine der -Erzieherinnen war. - - - Das Haus der Kinder - -Das »Haus der Kinder« nahm den wichtigsten und schönsten Teil einer -Stadt von fünfzehn- bis zwanzigtausend Einwohnern ein. Diese Einwohner -bestanden freilich hauptsächlich aus Kindern und deren Erziehern. Es gab -in allen größeren Städten auf dem Planeten derartige Anstalten, in -vielen Fällen bildeten sie sogar selbständige Städte; bloß an kleineren -Orten, wie etwa in Mennis »Chemischer Stadt«, fehlten sie bisweilen. - -Das große zweistöckige Haus mit dem üblichen blauen Dach lag in von -Bächen durchzogenen Gärten; hier gab es auch Teiche, Spiel- und -Turnplätze, Gemüsegärten, Blumen und nützliche Gräser, Häuschen für -zahme Tiere und Vögel ... Eine Menge kleiner Ungeheuer spielten dort, -man vermochte, dank der für Mädchen und Knaben gleichen Bekleidung, -nicht zu unterscheiden, welchem Geschlecht sie angehörten ... Es war ja -auch bei den erwachsenen Marsbewohnern schwierig, der Kleidung nach die -Männer von den Frauen zu unterscheiden, -- die Grundzüge der Gewänder -waren die gleichen, nur bei kleinen Einzelheiten bestand ein -Unterschied: die engeren Gewänder der Männer paßten sich genauer an den -Körper an, während bei den Frauen dieser mehr verhüllt wurde. Jedenfalls -aber war die ältliche Person, die uns beim Verlassen der Gondel an der -Tür eines der großen Häuser begrüßte, eine Frau, denn Netti umarmte sie -und nannte sie »Mama«. Im weiteren Gespräch jedoch redete er sie, gleich -den anderen Genossen, nur mit dem Namen: »Nella« an. - -Nella hatte bereits gewußt, daß wir kommen würden und führte uns sofort -in das »Haus der Kinder«, zeigte uns alle Abteilungen, bei der von ihr -geleiteten für die Allerkleinsten beginnend, bis zu jener, die für die -ans Knaben- und Mädchenalter grenzenden Kinder bestimmt war. Unterwegs -schlossen sich uns die kleinen Ungeheuer an, betrachteten mit ihren -riesigen Augen den Menschen, der von einem anderen Planeten stammte; sie -wußten genau, wer ich sei, und als wir die letzte Abteilung erreichten, -begleitete uns bereits eine ganze Schar, wenngleich die meisten Kinder -seit dem Morgen im Garten spielten. - -Im Haus der Kinder lebten etwa dreihundert Kinder verschiedenen Alters. -Ich fragte Nella, weshalb die verschiedenaltrigen Kinder zusammen, und -nicht in einzelnen Häusern untergebracht waren, was doch sicherlich die -Arbeit der Erzieher erleichtern und vereinfachen würde. - -»Weil es auf diese Art keine wirkliche Erziehung geben könnte«, -erwiderte Nella. »Um für die Gesellschaft erzogen zu werden, muß das -Kind ein gesellschaftliches Leben führen. Jede lebendige Erfahrung, -jedes lebendige Wissen verbindet die Kinder miteinander. Wollten wir das -eine Alter vom anderen isolieren, so gäben wir den Kindern dadurch ein -einseitiges und enges Milieu, in dem die Entwicklung der zukünftigen -Menschen nur langsam, träge und einseitig vor sich ginge. Die -verschiedenen Alter hingegen lassen der Aktivität weit mehr Spielraum. -Die älteren Kinder sind unsere besten Gehilfen beim Erziehen der -Kleinen. Doch bringen wir nicht nur deshalb absichtlich die Kinder der -verschiedenen Altersstufen zusammen, sondern die Erzieher in jedem -Kinderhaus bemühen sich auch, die verschiedenen Alter und verschiedenen -praktischen Eigenheiten gleichsam zu sammeln.« - -»Dennoch sind in diesem Haus der Kinder die Kleinen dem Alter nach in -den verschiedenen Abteilungen untergebracht«, warf ich ein. »Dies -widerspricht Ihren Worten.« - -»Die Kinder begeben sich nur in die verschiedenen Abteilungen, um dort -zu schlafen und zu speisen; hierbei muß man selbstverständlich die -einzelnen Altersstufen trennen. Beim Spiel und der Beschäftigung jedoch -gruppieren sich die Kinder, wie es ihnen beliebt. Auch wenn irgend -welche belletristischen oder wissenschaftlichen Vorträge gehalten -werden, finden sich unter den Zuhörern stets auch Kinder aus anderen -Abteilungen ein. Die Kinder wählen sich selbst ihren Umgang, und lieben -es, mit den andersaltrigen Kameraden, vor allem aber mit den Erwachsenen -zu verkehren.« - -»Nella«, rief aus der Menge hervorspringend ein kleiner Junge. »Esta hat -das Schiff, das ich selbst verfertigt, fortgenommen. Nimm es ihr wieder -und gib es mir.« - -»Wo ist sie?« fragte Nella. - -»Sie lief zum Teich, um das Schiff auf dem Wasser schwimmen zu lassen«, -erklärte das Kind. - -»Ich habe jetzt keine Zeit, um dorthin zu gehen; eines von den älteren -Kindern soll mit dir gehen und Esta sagen, sie möge dich nicht kränken. -Am besten aber wäre es, du gingest allein hin und hülfest ihr, das -Schiff schwimmen zu lassen. Es ist gar nicht erstaunlich, daß ihr das -Schiff gefällt, wenn du es schön gemacht hast.« - -Das Kind lief fort und Nella wandte sich an die Uebrigen. - -»Hört Kinder, es wäre gut, wenn Ihr uns allein ließet. Dem Fremden kann -es nicht angenehm sein, von hundert Kinderaugen angestarrt zu werden. -Stelle dir einmal vor, Elwi, daß dich eine ganze Schar Fremder -anstarrte. Was tätest du?« - -»Ich liefe fort«, entgegnete tapfer das uns zunächst stehende Kind, an -das sich Nella gewandt hatte. Und schon im gleichen Augenblick rannten -alle Kinder lachend von dannen. - -»Da sehen Sie selbst, wie mächtig die Vergangenheit ist«, meinte -lächelnd die Erzieherin. »Man könnte glauben, bei uns herrsche -vollkommener Kommunismus, von dem die Kinder fast nie abweichen, -- -woher stammt das Gefühl des Privateigentums? Da kommt nun ein Kind und -sagt »mein« Schiff, das »ich selbst« verfertigt habe. Und derartiges -ereignet sich häufig, führt manchmal bis zu Prügeleien. Dagegen läßt -sich nichts tun -- ein allgemeines Lebensgesetz lautet: die Entwicklung -des Organismus gibt im verkleinerten Maßstab die Entwicklung des -Aeußeren wieder, und die Entwicklung des Einzelnen wiederholt auf -gleiche Art die Entwicklung der Gesellschaft. Der Selbstbestimmung der -Kinder mittleren und reiferen Alters eignet in vielen Fällen dieser -unklar individualistische Charakter. Und diese Färbung wird mit der -Reife stärker. Nur bei der jüngsten Generation besiegt das -sozialistische Milieu endgültig die Reste der Vergangenheit.« - -»Machen Sie die Kinder mit dieser Vergangenheit bekannt?« fragte ich. - -»Selbstverständlich. Sie lieben sehr die Gespräche und Erzählungen über -vergangene Zeiten. Zuerst erscheinen diese ihnen als Märchen, als -schöne, ein wenig seltsame Märchen von einer anderen Welt, die mit ihren -aufregenden Bildern des Krieges und der Gewalt in den atavistischen -Tiefen des Kinderinstinktes einen Widerhall finden. Die unbesieglichen -lebendigen Ueberreste der Vergangenheit, die es in der eigenen Seele -findet, ermöglichen dem Kinde genau den Zusammenhang der Zeiten zu -erkennen, die Märchen und Bilder verwandeln sich in wahrhafte -Weltgeschichte, -- in die lebendigen Glieder einer unzerreißbaren -Kette.« - -Wir durchwanderten die Alleen eines weiten Gartens, begegneten von Zeit -zu Zeit Kindergruppen, mit Spielen beschäftigt, Graben auswerfend, mit -Werkzeugen arbeitend, in ernste Gespräche vertieft, oder lebhaft -plaudernd. Alle wandten sich mir mit Aufmerksamkeit zu, doch folgte uns -niemand; anscheinend waren sie bereits von den andern benachrichtigt -worden. Die meisten Gruppen bestanden aus Kindern verschiedenen Alters; -in vielen gab es auch ein bis zwei Erwachsene. - -»In diesem Hause sind viele Erzieher«, bemerkte ich. - -»Ja, besonders wenn wir, was nur gerecht ist, die größeren Kinder dazu -rechnen. Wirkliche Erziehungsspezialisten gibt es hier nur drei; die -übrigen Erwachsenen, die Sie sehen, sind zum großen Teil Väter und -Mütter, die auf kurze Zeit bei ihren Kindern leben, oder junge Leute, -die sich für den Erzieherberuf vorbereiten wollen.« - -»Wie, es ist den Eltern gestattet, hier mit ihren Kindern zu leben?« -»Natürlich. Einige der Mütter leben etliche Jahre hier. Die meisten -jedoch kommen von Zeit zu Zeit her, verbringen hier eine Woche, zwei -Wochen, einen Monat. Die Väter leben selten hier. In unserem Haus gibt -es sechzig Einzelzimmer für die Eltern, oder für jene Kinder, die den -Wunsch nach Einsamkeit verspüren. Ich entsinne mich nicht, daß diese -Zimmer je unbenützt blieben.« - -»Es kommt demnach auch vor, daß Kinder nicht in den allgemeinen Räumen -leben?« - -»Ja; die älteren Kinder verlangt es häufig danach, abgesondert zu leben. -Dies ist zum Teil ein Ueberrest jenes unbesieglichen Individualismus, -von dem ich bereits sprach, zum Teil das bei Kindern häufige Verlangen, -sich in die Studien zu vertiefen, der Wunsch, all das zu verbannen, was -die Aufmerksamkeit ablenkt und zerstreut. Gibt es doch bei uns auch -Erwachsene, die einsam zu leben wünschen, insbesondere jene, die sich -mit wissenschaftlichen Forschungen, oder aber mit Kunst beschäftigen.« - -In diesem Augenblick sahen wir vor uns auf einer kleinen Wiese ein Kind, --- es mochte sechs oder sieben Jahre zählen -- das, mit einem Stock in -der Hand, ein Tier verfolgte. Wir beschleunigten unsere Schritte; das -Kind beachtete uns nicht. Als wir an es herantraten, hatte es eben seine -Beute erreicht -- diese schien eine Art großer Frosch zu sein. Das Kind -schlug heftig auf die Pfote des Tieres los. Dann schleppte sich das Tier -mit gebrochener Pfote langsam über den Rasen. - -»Weshalb tatest du dies, Aldo?« fragte Nella in aller Ruhe. - -»Ich konnte es nicht fangen, es lief immer fort«, erklärte der Knabe. - -»Weißt du auch, was du tatest? Du hast dem Frosch weh getan und ihm die -Pfote gebrochen. Gib den Stock her, ich werde es dir erklären.« - -Das Kind gab Nella den Stock, und diese schlug ihm mit rascher Bewegung -kräftig auf die Hand. Der Knabe schrie auf. - -»Tut es weh, Aldo?«, fragte die Erzieherin gelassen. - -»Sehr weh; böse Nella!«, entgegnete das Kind. - -»Ich verletzte dir nur leicht die Hand, du aber hast den Frosch noch -viel stärker geschlagen. Hast ihm die Pfote gebrochen. Er hat nicht nur -viel größere Schmerzen, als du, sondern kann auch nicht mehr laufen und -springen, kann sich nicht mehr seine Nahrung suchen, wird vor Hunger -sterben, oder von einem bösen Tier, dem er jetzt nicht entfliehen kann, -verschlungen werden. Was denkst du darüber, Aldo?« - -Das Kind schwieg; in seinen Augen standen Tränen des Schmerzes, es hielt -die verletzte Hand mit der anderen fest. Dann sagte es: »Man muß ihm die -Pfote flicken.« - -»Das ist richtig«, erwiderte Netti. »Komm, ich werde dir zeigen, wie man -es macht.« - -Sie begaben sich zu dem verwundeten Tier, das sich nur auf wenige -Schritte hatte entfernen können. Netti nahm sein Taschentuch hervor, -zerriß es in Streifen, gebot Aldo, einige dünne Zweiglein zu bringen. -Mit dem tiefen Ernst echter Kinder, die einer äußerst wichtigen -Beschäftigung obliegen, legten sie beide dem Frosch einen festen Verband -an. - -Bald darauf schickten Netti und ich uns an, heimzukehren. - -»Ach ja«, erinnerte sich Nella. »Heute Abend können Sie bei uns Ihren -alten Freund Enno antreffen. Er wird den älteren Kindern eine Vorlesung -über den Planeten Venus halten.« - -»Wohnt er denn in dieser Stadt?« erkundigte ich mich. - -»Nein, das Observatorium, in dem er arbeitet, liegt auf drei Stunden von -hier. Aber er liebt die Kinder sehr und vergißt auch mich, seine alte -Erzieherin, nicht. Deshalb kommt er häufig her und erzählt den Kindern -jedesmal etwas interessantes.« - -Am Abend fanden wir uns selbstverständlich zur festgesetzten Stunde -abermals im »Hause der Kinder« ein. Alle Kinder, mit Ausnahme der -allerkleinsten, hatten sich bereits versammelt; unter ihnen befanden -sich auch einige Erwachsene. Enno begrüßte mich freudig. - -»Ich wählte Ihnen zuliebe dieses Thema«, meinte er scherzend. »Sie sind -betrübt über die Rückständigkeit Ihres Planeten und die schlechten -Sitten der dort lebenden Menschheit. Ich werde von einem Planeten -erzählen, wo die höchsten Vertreter des Lebens -- Dinosaurier und -fliegende Eidechsen sind, bei denen ärgere Sitten und Gebräuche -herrschen, als bei Ihrer Bourgeoisie. Dort brennen Euere Steinkohlen -nicht im Herde des Kapitalismus, sondern befinden sich noch im -Pflanzenzustand, als gewaltige Wälder. Wollen wir uns dorthin begeben -und zusammen auf die Ichthyosaurusjagd gehen? Diese Tiere stellen die -dortigen Rothschilds und Rockefellers vor; freilich sind sie gemäßigter -und gelinder als die Ihren, dafür aber besitzen sie weniger Kultur. Dort -finden wir das Reich der ersten Kapitalsanhäufung in ihren Uranfängen, -die im »Kapitalismus« Ihres Marx vergessen wurde ... Aber Nella runzelt -schon die Stirne über mein leichtfertiges Geschwätz. Ich beginne -sofort.« - -Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er den fernen Planeten mit den -tiefen, sturmgepeitschten Ozeanen, den furchtbar hohen Bergen, der -brennenden Sonne, den dichten, weißen Wolken, den schauerlichen Orkanen -und Gewittern, den unförmigen Ungeheuern und der üppigen, riesenhaften -Vegetation. Seine Erzählung illustrierte er durch die Vorführung -lebendig wirkender Photographien, die auf der über die eine Wand des -Saales gespannten Leinwand dahinzogen. Einzig und allein Ennos Stimme -durchtönte die Dunkelheit; tiefes, aufmerksames Schweigen herrschte im -ganzen Raum. Als er das Schicksal der ersten Reisenden in jener Welt -schilderte und berichtete, wie einer derselben mit einer Handgranate -eine Rieseneidechse tötete, spielte sich eine seltsame, von den meisten -Zuhörern nicht bemerkte, kleine Szene ab. Aldo, der sich in Nellas Nähe -hielt, brach plötzlich in leises Weinen aus. - -»Was fehlt dir?« fragte Nella, sich zu ihm niederbeugend. - -»Das Ungeheuer tut mir leid. Man hat ihm weh getan und dann mußte es -sterben«, flüsterte der Knabe. - -Nella schlang den Arm um den Kleinen und versuchte ihn zu -beschwichtigen, doch dauerte es lange Zeit, bis er sich beruhigte. - -Enno berichtete von den zahllosen einzigartigen Reichtümern dieses -herrlichen Planeten, von den gewaltigen, viele Millionen Pferdekräfte -besitzenden Wasserfällen, von den Edelmetallen, die sich auf den Gipfeln -der Berge befinden, von den reichen Radiumlagern, die schon bei einer -Tiefe von etlichen hundert Metern zutage gefördert werden könnten, von -dem Vorrat an Energie für hunderttausend Jahre. Ich beherrschte die -Sprache noch nicht genügend, um die ganze Schönheit des Vortrags zu -empfinden, die Bilder aber fesselten meine Aufmerksamkeit im gleichen -Maße, wie die der Kinder. Als Enno endete und der Saal erhellt ward, -wurde mir schier ein wenig traurig zumute, wie mochten da wohl erst die -Kinder das Ende des schönen Märchens bedauern. - -Als der Vortrag zu Ende war, begannen die Zuhörer Fragen zu stellen, -ihre Bemerkungen zu machen. Die Fragen waren verschiedenartig, wie es ja -auch die Zuhörer waren; sie betrafen die Genauigkeit der Photographien, -die Mittel, die im Kampf gegen die Natur angewendet wurden. Es wurde -auch die Frage aufgeworfen, wann sich auf der Venus von selbst Menschen -entwickeln würden und wie deren Körper beschaffen sein werde? - -Die Bemerkungen waren meist naiv, häufig jedoch scharfsinnig; sie -wandten sich vor allem gegen Ennos Behauptung, daß zu unserer Zeit die -Venus für die Menschen ein äußerst nutzloser Planet sei und daß es kaum -möglich sein würde, ihre gewaltigen Reichtümer bald auszubeuten. Gegen -diese Ansichten lieferten die jungen Optimisten einen erbitterten Kampf, -dem sich die meisten anschlossen. Enno bewies ihnen, daß die Sonnenglut -und die feuchte Luft eine Unmenge Bazillen hervorbringe, die für die -Menschen äußerst gefährlich seien, sie mit vielen Krankheiten bedrohten; -dies erfuhren alle Reisenden auf der Venus am eigenen Leibe, sowie auch, -daß die Orkane und gewaltigen Gewitter jegliche Arbeit erschwerten, das -Leben der Menschen gefährdeten, und dergleichen mehr. Die Kinder jedoch -fanden, es sei merkwürdig, sich von derartigen Hindernissen abschrecken -zu lassen, wenn es um die Eroberung eines so herrlichen Planeten gehe. -Zur Bekämpfung der Bakterien und Krankheiten müßte man so rasch wie -möglich Tausende von Aerzten auf die Venus senden, und auch den Orkanen -und Gewittern könnte Trotz geboten werden, indem man hunderttausend -Bauarbeiter hinschickt, die überall dort, wo es nötig ist, hohe Mauern -errichten und Blitzableiter anbringen. »Mögen neun, zehn und mehr -Menschen umkommen!« rief ein entflammter zwölfjähriger Knabe. »Dort gibt -es Dinge, um derentwillen es sich zu sterben lohnt, es kommt ja nur -darauf an, den Sieg zu erringen.« Und seine glühenden Augen verrieten, -daß er sich nicht weigern würde, zu jenen zehn Menschen zu gehören. - -Sanft und gelassen warf Enno diese Kartenhäuser über den Haufen; doch -war ihm anzumerken, daß er in der Tiefe seiner Seele das gleiche -empfinde wie die Kinder, und daß seine junge lodernde Phantasie -entschlossene Pläne verberge, die zwar bedachter und ausgeklügelter -waren, aber ebenso hartnäckig. Er selbst war noch nicht auf der Venus -gewesen, und seine Begeisterung bewies klar, wie sehr ihn deren -Schönheit und Gefahren anzogen. - -Als der Gedankenaustausch beendet war, verließ Enno mit mir und Netti -den Saal. Er beschloß, noch einige Tage in dieser Stadt zu verweilen und -schlug mir vor, am folgenden Tag das Kunstmuseum zu besichtigen. Netti -würde beschäftigt sein; er war in eine andere Stadt zu einem großen -Aerztekonsilium gerufen worden. - - - Das Kunstmuseum - -»Ich hätte nie gedacht, daß auch bei Euch ein eigenes Museum für -Kunstgegenstände existiere«, meinte ich, mit Enno dem Museum zustrebend. -»Glaubte, daß Bildergalerien und Skulpturausstellungen eine Eigenheit -des Kapitalismus mit seinem prunkhaften Luxus und grob zur Schau -getragenen Reichtum seien. In der sozialistischen Gesellschaft erwartete -ich die Kunst überall im Leben zu finden, als Schmuck dieses Lebens.« - -»Darin irren Sie auch nicht«, antwortete Enno. »Der größte Teil der -Kunstgegenstände ist bei uns für die Gemeinschaftsgebäude bestimmt, für -jene, wo wir unsere allgemeinen Angelegenheiten regeln, wo wir studieren -und Forschungen anstellen oder der Ruhe pflegen. Fabriken und Betriebe -werden weit weniger geschmückt, die Aesthetik der gewaltigen Maschinen -und deren Bewegung ist an und für sich ein schöner Anblick, und es gibt -nur wenig Kunstgegenstände, die völlig mit den Maschinen harmonieren, in -deren Gegenwart nicht einen abgeschwächten, verminderten Eindruck -machten. Am wenigsten aber schmücken wir unsere Häuser, wo wir uns ja -auch äußerst selten aufhalten. Unser Kunstmuseum jedoch ist eine -ästhetisch-wissenschaftliche Anstalt, eine Schule, in der man die -Entwicklung der Kunst zu verfolgen vermag, oder, richtiger gesagt, die -Entwicklung der Menschheit in ihrer künstlerischen Tätigkeit.« - -Das Museum befand sich auf einer kleinen Insel inmitten eines Sees, -durch eine schmale Brücke mit dem Ufer verbunden. Das viereckige Gebäude -war von einem Garten umgeben, in dem hohe Springbrunnen plätscherten und -unzählige blaue, weiße, schwarze und gelbe Blumen prunkten; außen war es -herrlich geschmückt, innen hell von Licht überflutet. - -Hier gab es wahrlich nicht jene unsinnige Anhäufung von Gemälden und -Statuen wie in den großen Museen der Erde. Vor mir erläuterten einige -hundert Abbildungen die Entwicklung der plastischen Kunst, angefangen -von den groben, ersten Gegenständen der prähistorischen Zeit bis zu den -technisch-idealen Erzeugnissen des letzten Jahrhunderts. Und vom Anfang -bis zum Ende war überall der Stempel jener innerlichen Vollkommenheit -fühlbar, die wir »Genie« nennen. Offensichtlich gehörte alles hier -ausgestellte zu den besten Erzeugnissen jeder Epoche. - -Um die Schönheit einer anderen Welt klar zu erfassen, gilt es, deren -Leben genau zu kennen, aber um anderen das Verständnis für diese -Schönheit zu übermitteln, dazu muß man selbst deren teilhaftig sein. -Deshalb vermag ich auch nicht zu _schildern_, was ich dort sah; ich -vermag nur Andeutungen zu geben, kann bloß ausdrücken, was mich am -meisten in Staunen versetzte. - -Das Hauptmotiv der Skulptur war bei den Marsbewohnern ebenso wie bei uns -der schöne menschliche Körper. Die körperliche Beschaffenheit der -Marsbewohner unterscheidet sich nur wenig von jener der Erdenmenschen, -abgesehen von der Verschiedenheit der Augen, die zum Teil durch die -Schädelformation bedingt ist, doch übersteigt auch diese Verschiedenheit -nicht jene, die bei den einzelnen irdischen Rassen vorkommt. Ich kann -diesen Unterschied nicht genau erklären, verstehe mich schlecht auf -Anatomie; jedenfalls aber gewöhnte sich mein Auge bald an die -Marsbewohner, sah in ihnen keineswegs Mißgeburten, sondern vielmehr -etwas Originelles. - -Ich bemerkte, daß der männliche und weibliche Körperbau weit ähnlicher -war, als bei den Erdenrassen; die Breite der Frauenschultern entsprach -häufig der der Männer, und das gleiche galt von der Muskulatur. Dies -zeigte sich besonders in den Abbildungen aus der letzten Zeit, der Zeit -der freien menschlichen Entwicklung; bei den Werken aus der -kapitalistischen Periode trat der Unterschied zwischen dem männlichen -und weiblichen Körper weit stärker zutage. Anscheinend hatte die -häusliche Sklaverei der Frau und das Schuften des Mannes die Körper nach -verschiedenen Richtungen hin beeinflußt. - -Ich verlor auf keinen Augenblick die bald klare, bald verschwommene -Erkenntnis, daß ich vor mir die Bilder einer fremden Welt sehe; sie -trugen für mich den Stempel des Seltsamen, Gespenstischen. Sogar die -herrlichen Frauenkörper dieser Statuen und Bilder erweckten in mir ein -unverständliches Gefühl, das mit dem mir bekannten aesthetisch -verliebten Entzücken nichts gemein hatte, sondern vielmehr den unklaren -Ahnungen und Empfindungen glich, die mich vor langer Zeit, an der Grenze -zwischen Kindheit und Jünglingsalter, heimgesucht hatten. - -Die Statuen der frühesten Epochen waren, wie dies auch bei uns der Fall -ist, einfarbig. Die späteren jedoch besaßen die Farben der Natur. Dies -wunderte mich keineswegs; ich fand stets, daß das Verwerfen der -Wirklichkeit nicht ein unentbehrliches Element der Kunst sein könne, ja, -daß es sogar unkünstlerisch wirke, insbesondere, wenn es die -Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung vermindert, wie dies bei einfarbigen -Skulpturen der Fall zu sein pflegt. In solchen Fällen wird die -künstlerische Idealisierung des konzentrierten Lebens gestört. - -Bei den Statuen und Bildern der alten Zeiten herrschte ebenso wie bei -unseren antiken Kunstgegenständen große Ruhe und Gelassenheit vor; diese -waren voller Harmonie, frei von jeglicher Anspannung. In den folgenden -Uebergangsepochen zeigte sich ein anderer Charakter: Leidenschaft, -Aufregung, bisweilen gemildert zu irren Träumen, Träumen erotischer oder -religiöser Natur, mitunter den schmerzhaften Widerspruch zwischen -seelischer und körperlicher Kraft scharf betonend. In der -sozialistischen Epoche veränderte sich abermals der Grundcharakter: hier -überwogen harmonische Bewegung, gelassen vertrauensvolle Entfaltung der -Kräfte, fremd jeder schmerzlichen Vergewaltigung, ein freies Streben, -eine lebendige Tätigkeit, das konzentrierte Bewußtsein der -Einheitlichkeit des Körpers und der unbesieglichen Vernunft. - -Wenn die ideale Frauenschönheit der antiken Zeiten die Möglichkeit -grenzenloser Liebe, die der Renaissance den Durst nach mystischer und -gefühlicher Liebe ausdrückte, so verkörperte jene, die sich nun meinen -Augen zeigte, die Liebe selbst in ihrem ganzen ruhigen und stolzen -Selbstbewußtsein -- klar, leuchtend, alles besiegend ... - -Den späteren sowie den frühesten künstlerischen Schöpfungen eignete ein -äußerst einfacher Charakter; sie behandelten ein einziges Motiv. Ihre -Aufgabe bestand darin, ein kompliziertes menschliches Wesen -wiederzugeben, dessen Leben reich und ausgefüllt war; deshalb wählten -sie jenen Augenblick des Lebens, in dem sich irgend ein Gefühl oder ein -Streben konzentriert hatte ... Bei den neuesten Künstlern schienen -beliebte Themen: die Extase des schöpferischen Gedankens, die Extase der -Liebe, die Extase des Naturgenusses, der ruhige freiwillige Tod -- -lauter Themen, die charakteristisch waren für eine große Rasse, eine -Rasse, die intensiv und vollkommen zu leben und bewußt und würdig zu -sterben verstand. - -Die Abteilung für Gemälde und Skulptur nahm die eine Hälfte des Museums -ein; die andere war der Architektur gewidmet. Unter Architektur -verstanden die Marsbewohner nicht nur die Aesthetik der Bauten und der -großen technischen Konstruktionen, sondern auch die der Möbel, der -Werkzeuge, der Maschinen, überhaupt die Aesthetik alles materiell -Nützlichen. Welche gewaltige Rolle in ihrem Leben gerade diese Kunst -spielte, ließ sich aus dem Reichtum und der Vollständigkeit dieser -Sammlung ersehen. Von den ersten Höhlenwohnungen mit den primitiven -Geräten bis zu den luxuriösen Gemeinschaftshäusern aus Glas und -Aluminium, bis zu den gigantischen Fabriken mit den schauerlich schönen -Maschinen, bis zu den gewaltigen Kanälen mit den mächtigen Ufern und -Schwebebrücken -- war hier alles in der typischen Form dargestellt, in -Bildern, Plänen, Modellen, besonders aber in großen Stereoskopen, die -eine Illusion der Wirklichkeit gaben. Eine besondere Stelle nahm die -Aesthetik der Gärten, der Felder und Parke ein; und wie ungewohnt auch -immer mir die Natur dieses Planeten war, so vermochte ich dennoch die -Schönheit der Blumen- und Formenkombinationen zu erkennen, die das -Kollektivgenie dieses großäugigen Volkes der Natur verliehen hatte. - -In den Uebergangsepochen kam es, wie auch bei uns, häufig vor, daß die -Pracht die Nützlichkeit beeinträchtigte, der äußere Schmuck hinderlich -für die Dauerhaftigkeit wurde; die Kunst vergewaltigte die Gegenstände. -Hier jedoch, in den Erzeugnissen der neuen Epoche, schauten meine Augen -nichts derartiges, weder bei den Möbeln, noch bei den Geräten oder -Konstruktionen. Ich fragte Enno, ob die zeitgenössische Architektur -jemals die Neigung zeige, um der Schönheit willen die praktische -Vollkommenheit zu vernachlässigen. - -»Niemals«, entgegnete er. »Diese wäre eine falsche Schönheit, wäre etwas -Gekünsteltes, aber keine Kunst.« - -Bis zur sozialistischen Zeit ward das Andenken der großen Männer durch -Denkmäler geehrt; jetzt jedoch wurden Denkmäler nur mehr zur Erinnerung -an große Ereignisse errichtet: wie etwa der erste Versuch, die Erde zu -erreichen, der mit dem Tode aller Mitglieder der Expedition endete, oder -aber die völlige Ausrottung einer tödlichen Infektionskrankheit, oder -die Entdeckung und Synthese der Spaltung aller chemischen Elemente. Im -Stereogramm sah man zusammen mit den Denkmälern Grabmäler und Kirchen. -(Früher hatte es bei den Marsbewohnern auch eine Religion gegeben.) -Eines der letzten Denkmäler großer Männer war das jenes Ingenieurs, von -dem mir Menni erzählt hatte. Es war dem Künstler trefflich gelungen, die -ganze Seelenstärke dieses Mannes wiederzugeben, der die Armee der Arbeit -siegreich in den Kampf wider die Natur geführt und stolz das feige -Urteil der Sitten über seine Tat zurückgewiesen hatte. Als ich in -unwillkürlicher Versonnenheit vor dem Panorama dieses Denkmals -verweilte, sprach Enno leise einige Verse, in denen der seelischen -Verfassung des Helden Ausdruck verliehen wurde. - -»Von wem sind diese Verse?« fragte ich. - -»Von mir«, erwiderte Enno. »Ich schrieb sie für Menni.« - -Ich vermochte nicht völlig die innere Schönheit dieser mir noch immer -fremden Sprache zu beurteilen, aber die Gedanken waren zweifellos klar, -der Reim war stark, der Rhythmus klingend und mächtig. Dies lenkte meine -Gedanken in eine neue Richtung. - -»Euere Dichtung hat also noch strenge Reime und Rhythmus?« - -»Selbstverständlich«, entgegnete Enno erstaunt. »Finden Sie das etwa -nicht schön?« - -»Doch«, erklärte ich, »bei uns hingegen war die Ansicht verbreitet, daß -diese Form dem Geschmack der herrschenden Klassen unserer Gesellschaft -entspringe, der Ausdruck ihrer Laune und ihrer Leidenschaft für -Begrenztes sei, eine Fessel für die freie künstlerische Rede bedeute. -Wir glaubten, die Poesie der Zukunft, die Dichtung der sozialistischen -Epoche werde diese engen Gesetze abschütteln und vergessen.« - -»Das ist völlig falsch«, meinte Enno. »Die reinen Reime erscheinen uns -schön, aber keineswegs aus Leidenschaft für das Begrenzte, sondern weil -sie zutiefst mit dem rhythmischen Prozeß unseres Lebens und unseres -Bewußtseins harmonieren. Und der Rhythmus, der das Vielförmige zu einem -einzigen Schlußakkord vereint, hat nicht auch er seinen tiefgründigen -Ursprung in der lebendigen Verbindung der Menschen, die das Mannigfache -des Aeußern mit der Lust der einheitlichen Liebe krönt? Der Arbeit mit -dem einheitlichen Ziel, der Einheitlichkeit der Stimmung in der Kunst? -Ohne Reim und Rhythmus gibt es überhaupt keine künstlerische Form. Wo -der Rhythmus der Töne fehlt, muß er durch den umso strengeren Rhythmus -der Bilder oder Ideen ersetzt werden ... Und wenn Reim und Rhythmus -tatsächlich feudalen Ursprungs sind, so läßt sich dies ja auch von -vielen anderen guten und schönen Dingen sagen.« - -»Aber der Reim an und für sich beschränkt und erschwert den poetischen -Ausdruck der Idee.« - -»Was hat das zu bedeuten? Diese Begrenzung entspringt dem vom Künstler -frei gewählten Ziel. Sie erschwert nicht nur, sondern vervollkommnet -auch den Ausdruck der dichterischen Idee, verfolgt ausschließlich diesen -Zweck. Je komplizierter das Ziel, desto schwerer der dazu führende Weg -und desto größer der Zwang, den sich der Künstler auferlegen muß. Wenn -Sie einen schönen Bau errichten wollen, wie viel richtiger Technik und -Harmonie bedürfen Sie dabei, das heißt: wie viel »Zwang« müssen Sie sich -auferlegen! Bei der Wahl des Zieles sind Sie frei. Dies ist die einzige -menschliche Freiheit. Wenn Sie aber nach dem Ziel verlangen, so -verlangen Sie gleichzeitig auch nach den Mitteln, durch die es zu -erreichen ist.« - -Wir schlenderten in den Garten hinaus, um uns von den zahlreichen -Eindrücken zu erholen. Der Abend war bereits niedergesunken, ein klarer -milder Frühlingsabend. Die Blumen zogen Kelche und Blätter ein, um sie -für die Nacht zu schließen; dies war eine Eigenheit der Marspflanzen, -verursacht von den kalten Nächten. Ich wandte mich abermals an meinen -Gefährten: - -»Sagen Sie mir, welche Art der Belletristik ist heutzutage bei Ihnen die -vorherrschende?« - -»Im Drama die Tragödie, in der Dichtung die Naturschilderung«, -antwortete Enno. - -»Was ist der Inhalt der Tragödien? Wo finden Sie bei Ihrem glücklichen -friedlichen Dasein den Stoff für Tragödien?« - -»Glücklich? Friedlich? Woher nehmen Sie das? Es ist ja wahr, daß bei uns -zwischen den Menschen Frieden herrscht, aber keineswegs herrscht Frieden -zwischen uns und den Kräften der Natur, das wäre ja auch unmöglich. -Diese ist ein Feind, bei dem selbst jeder Sieg eine neue drohende Gefahr -bedeutet. In der letzten Epoche der Geschichte haben wir die Ausbeutung -unseres Planeten um das zehnfache erhöht, unsere Bevölkerung wächst an -und noch weit mehr steigern sich unsere Bedürfnisse. Schon mehr als -einmal bedrohte uns auf dem einen oder anderen Arbeitsfeld die -Erschöpfung der Naturkräfte und Mittel. Bis heute gelang es uns noch -immer, diese Gefahr zu besiegen, ohne zu der hassenswerten Verkürzung -des Lebens greifen zu müssen, der Verkürzung des Lebens bei uns selbst -und unseren Nachkommen. Aber gerade jetzt nimmt der Kampf abermals einen -besonders ernsthaften Charakter an.« - -»Ich hätte niemals gedacht, daß bei Ihrer technischen und -wissenschaftlichen Vollkommenheit eine derartige Gefahr bestehen könnte. -Sie sagten, dies habe sich auf dem Mars bereits ereignet?« - -»Ja, vor siebzig Jahren; als unsere Steinkohlenvorräte versiegten und -der Uebergang zur Wasser- und Elektrizitätskraft noch lange nicht -bewerkstelligt war; damals mußten wir, um die gewaltigen Maschinen -herstellen zu können, einen bedeutenden Teil unserer Wälder abholzen, -was auf Jahre hinaus unseren Planeten verunstaltete und das Klima -verschlechtert hat. Als dann diese Krise überwunden war, zeigte es sich, -vor etwa zwanzig Jahren, daß die Eisenerzlager erschöpft waren. Nun galt -es, in aller Eile die richtige dauerhafte Legierung des Aluminiums -herzustellen, und ein großer Teil unserer technischen Kraft wurde auf -die elektrische Gewinnung des Aluminiums aus der Erde verwandt. Heute, -da sich, wie auch aus der Statistik ersichtlich ist, die Bevölkerung -äußerst rasch vermehrt, wissen wir bereits, daß uns in dreißig Jahren -ein furchtbarer Mangel an Lebensmitteln bedrohen wird, falls es uns bis -dorthin nicht gelingen sollte, die Synthese des Eiweiß aus den Elementen -zu entdecken.« - -»Aber die anderen Planeten«, warf ich ein, »könnten Sie nicht auf denen -das Fehlende finden?« - -»Wo? Die Venus ist anscheinend noch unzugänglich. Und die Erde? Die -besitzt ihre eigene Menschheit, und es ist bis heute noch nicht klar -ersichtlich, inwieweit wir deren Kräfte ausnützen können. Jede Fahrt -nach der Erde verschlingt große Vorräte an radiumausstrahlenden Stoffen; -dies weiß ich von Menni, der mir unlängst über seine letzte Expedition -berichtete, und unser Vorrat an diesen Stoffen ist ziemlich gering. -Nein, die sich uns überall entgegenstellenden Schwierigkeiten sind -keineswegs zu unterschätzen, und je enger sich unsere Menschheit im -Kampfe gegen die Natur zusammenschließt, desto enger schließen sich auch -die Elemente zusammen.« - -»Aber es würde doch genügen, die Vermehrung zu beschränken?« - -»Die Vermehrung beschränken! Das bedeutete den Sieg der Natur. Bedeutete -den Verzicht auf das unbegrenzte Anwachsen des Lebens, bedeutete das -Stehenbleiben auf der gleichen Stufe. Wir siegen, weil wir in gewaltigen -Massen gegen die Natur vorgehen. Wenn wir aber auf das Anwachsen unseres -Heeres verzichten, dann sind wir von allen Seiten durch die -Elementargewalten belagert. Dann würde auch der Glaube an unsere -Kollektivkraft geschwächt werden, an unser großes Gemeinschaftsleben. -Und zusammen mit diesem Glauben ginge auch für jeden Einzelnen der Sinn -des Lebens verloren, weil ja doch in jedem von uns die kleine Zelle des -großen Organismus lebt, vollständig lebt, und jeder wieder in dieser -Zelle sein Dasein hat. Nein, eine Beschränkung der Vermehrung, -- das -wäre das allerletzte, wozu wir uns entschließen könnten, und wenn dies -gegen unseren Willen geschähe, so würde es den Anfang vom Ende -bedeuten.« - -»Nun begreife ich, daß auch bei Ihnen stets Tragödienstoffe vorhanden -sind, zumindest als drohende Möglichkeit. Solange jedoch der Sieg noch -auf Seiten der Menschheit ist, sieht sich der Einzelne zur Genüge vor -dieser Tragödie der Gemeinschaft bewahrt; ja selbst wenn die Gefahr in -unmittelbare Nähe rückt, so verteilen sich die gigantische Anstrengung -und die Leiden des Kampfes so gleichmäßig unter den zahllosen -Einzelwesen, daß deren ruhiges Glück kaum gestört werden kann. Und zu -diesem Glück fehlt anscheinend bei Ihnen nichts.« - -»Ruhiges Glück! Ist es denn möglich, daß der Einzelne nicht zutiefst die -Erschütterung eines ganzen Lebens, in dem sein Anfang und sein Ende -liegt, empfinde? Und zeigen sich nicht auch die tiefen Widersprüche des -Lebens in der Begrenztheit des Einzelwesens verglichen mit dessen Ziel, -in seiner Ohnmacht, mit diesem Ziel zu verschmelzen, es völlig mit -seinem Bewußtsein zu umfassen und sein Bewußtsein selbst aus dem Ziel zu -schöpfen? Begreifen Sie diese Widersprüche nicht? Das kommt daher, weil -sie in Euerer Welt von anderen, näherliegenden und gröberen Dingen -verdunkelt werden. Der Kampf der Klassen, der Gruppen, der Einzelwesen -raubt Euch die Idee des Zieles, und zugleich damit das Glück sowie das -Leid, die darin enthalten sind. Ich sah Ihre Welt; und ich vermag auch -nicht den zehnten Teil des Wahnsinns zu erfassen, in dem Ihre Brüder -leben. Eben deshalb vermag ich nicht zu beurteilen, wer von uns dem -ruhigen Glück näher ist: je stärker und harmonischer das Leben, desto -quälender und unvermeidlicher wirken die Dissonanzen.« - -»Sagen Sie, Enno, sind Sie zum Beispiel nicht glücklich? Sie besitzen -Jugend, Wissen, Poesie und sicher auch Liebe ... Was können Sie Schweres -erfahren haben, daß Sie so glühend von der Tragödie des Lebens -sprechen?« - -»Das ist prächtig«, lachte Enno, und sein Lachen klang seltsam. »Sie -wissen nicht, daß der heitere Enno bereits einmal zu sterben beschlossen -hatte. Und wenn Menni nur einen einzigen Tag später sechs Worte -geschrieben hätte, in denen unsäglich viel lag: »Wollen Sie auf die Erde -mitkommen?« so würde Ihnen Ihr heiterer Reisegefährte gefehlt haben. -Doch kann ich Ihnen augenblicklich nichts Näheres verraten. Sie werden -ja selbst sehen, daß, wenn es bei uns ein Glück gibt, dieses keineswegs -das friedliche und ruhige Glück ist, von dem Sie sprechen.« - -Ich konnte mich nicht entschließen, weitere Fragen zu stellen. Aber ich -konnte auch nicht länger systematisch die Kunstsammlung besichtigen. -Meine Aufmerksamkeit war abgelenkt, meine Gedanken schweiften umher. In -der Abteilung für Skulptur verharrte ich vor einer der neuesten Statuen, -die einen schönen Jüngling darstellte. Seine Gesichtszüge erinnerten an -Netti; mich erschütterte das Talent, mit dem der Künstler in dem -leblosen Stoff, in unvollendeten Zügen, in den glühenden Augen des -Knaben die Geburt des Genies wiedergegeben hatte. Lange verweilte ich -reglos vor dieser Statue, und die ganze Umgebung entschwand meinem -Bewußtsein; Ennos Stimme durchbrach meine Gedanken: - -»Das seid Ihr«, sprach er, auf den Jüngling weisend. »Dies ist Ihre -Welt. Sie wird eine wundervolle Welt sein; heute befindet sie sich noch -in ihrer Kindheit, beachten Sie, was für dunkle Träume, was für bebende -Bilder noch ihr Bewußtsein erregen ... Noch liegt sie im Halbschlaf, -doch wird sie erwachen; ich fühle es, glaube zutiefst daran!« - -In das freudige Gefühl, das diese Worte in mir erweckten, mischte sich -ein seltsames Bedauern: - -»Weshalb war es nicht Netti, der diese Worte sprach?« - - - Im Krankenhaus - -Ich kehrte äußerst ermüdet heim; nach zwei schlaflosen Nächten und einem -qualvollen Tag, da ich zu keiner Arbeit fähig war, beschloß ich, mich an -Netti zu wenden. Ich wollte den mir unbekannten Arzt der chemischen -Stadt nicht zu Rate ziehen. Netti arbeitete seit dem Morgen im -Krankenhaus, dort fand ich ihn in der Vorhalle, mit der Aufnahme der -eben eingetroffenen Kranken beschäftigt. - -Als Netti mich im Vorraum erblickte, eilte er sofort auf mich zu, -betrachtete aufmerksam mein Gesicht, nahm mich bei der Hand und führte -mich in ein kleines Zimmer. Hier herrschte weiches blaues Licht, ein -leichter angenehmer, mir unbekannter Duft erfüllte den Raum, dessen -Stille durch nichts gestört wurde. Netti drückte mich in einen bequemen -Lehnstuhl und sprach: - -»Denken Sie an nichts, machen Sie sich über nichts Sorgen. Für heute -nehme ich alles auf mich. Rasten Sie; später komme ich wieder.« - -Er verließ das Zimmer, und ich dachte an nichts, machte mir über nichts -Sorgen, als habe er tatsächlich alle meine Gedanken und Sorgen auf sich -genommen. Dies war äußerst angenehm, und nach wenigen Minuten schlief -ich ein. Als ich erwachte, stand Netti vor mir, blickte mich lächelnd -an. - -»Fühlen Sie sich besser?« fragte er. - -»Ich bin vollkommen gesund, Sie aber sind ein genialer Arzt«, erwiderte -ich. »Gehen Sie zu Ihren Kranken und beunruhigen Sie sich meinetwegen -nicht.« - -»Meine Arbeit ist schon beendet. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen unser -Krankenhaus zeigen«, schlug Netti vor. - -Ich empfand dafür lebhaftes Interesse, und wir schickten uns an, das -ganze schöne Gebäude zu besichtigen. - -Chirurgische Fälle und Nervenkrankheiten schienen hier vorzuherrschen. -Die meisten chirurgischen Fälle waren durch Maschinen verursachte -Verletzungen. - -»Es ist doch nicht möglich, daß es in Eueren Betrieben an -Schutzvorrichtungen fehlt?« fragte ich Netti. - -»Vollkommene Schutzvorrichtungen, die jeden Unglücksfall ausschließen, -gibt es überhaupt nicht. Aber Sie sehen hier die Verletzten aus einem -Gebiet mit zwei Millionen Einwohnern -- bei einem derartigen Gebiet sind -etliche zehn Verwundete gar nicht so viel. Meist handelt es sich hier um -Neulinge, die sich noch nicht recht auf die Maschinen verstehen, an -denen sie arbeiten. Bei uns behagt es den Leuten, von dem einen -Arbeitszweig zum anderen überzugehen. Die Erziehungs- und -Kunstspezialisten sind am häufigsten die Opfer ihrer Zerstreutheit; ihre -Aufmerksamkeit schweift oft ab, sie versinken in Gedanken und -Betrachtungen.« - -»Die Nervenkrankheiten werden wohl meistens durch Erschöpfung -verursacht?« - -»Ja, dieser Fälle gibt es viele. Doch werden derartige Krankheiten auch -ebenso oft durch eine Krise im Geschlechtsleben oder aber eine andere -seelische Erschütterung hervorgerufen, wie etwa der Tod geliebter -Menschen.« - -»Werden hier auch Geisteskranke mit verdunkeltem oder verwirrtem -Bewußtsein aufgenommen?« - -»Nein. Für diese gibt es ein eigenes Krankenhaus. Bei ihnen bedarf es -besonderer Vorrichtungen, damit sie in gewissen Fällen weder sich, noch -anderen Schaden zufügen können.« - -»Und wird bei Euch in solchen Fällen gegen die Kranken Gewalt -angewandt?« - -»Bisweilen; selbstverständlich aber nur dann, wenn es sich als -unumgänglich nötig erweist.« - -»Nun begegne ich in Ihrer Welt bereits zum zweiten Mal der Gewalt! Das -erste Mal geschah dies im »Haus der Kinder«. Sagen Sie mir, es gelingt -also auch auf dem Mars nicht, dieses Element völlig aus dem Leben zu -verbannen? Sie sind gezwungen, es mit Bewußtsein anzunehmen.« - -»Ja; ebenso wie wir gezwungen sind, Krankheit und Tod hinzunehmen, oder -etwa eine bittere Medizin zu schlucken. Welches vernünftige Wesen würde -zum Beispiel im Fall der Selbstverteidigung auf die Gewalt verzichten?« - -»Wissen Sie, daß diese Tatsache mir die Kluft zwischen Ihrer und unserer -Welt weit weniger groß erscheinen läßt?« - -»Der Unterschied besteht nicht darin, daß bei Ihnen notgedrungenerweise -viel, bei uns aber wenig Gewalt angewandt wird, sondern vielmehr darin, -daß sich bei Ihnen die Gewalt als Gesetz verkleidet, sei es nun als -äußeres oder inneres, daß sie als sittliche und rechtliche Norm -auftritt, die die Menschen beherrscht und belastet. Bei uns hingegen -tritt die Gewalt entweder als Krankheitserscheinung auf, oder aber als -vernünftige Handlung eines vernunftbegabten Wesens. In keinem dieser -Fälle bedeutet sie irgendein gesellschaftliches Gesetz, oder eine -gesellschaftliche Norm, ist weder persönliches noch unpersönliches -Gebot.« - -»Gibt es denn keine Regel, nach der Sie die Freiheit der Geisteskranken -oder der Kinder einschränken?« - -»Ja, eine Art wissenschaftliche, der Medizin oder Pädagogik entstammende -Regel. Freilich sind in dieser technischen Regel nicht alle jene Fälle -vorausgesehen, in denen die Gewalt angewandt werden muß, noch aber die -Mittel bei ihrer Anwendung, die Stufen -- alldies hängt -selbstverständlich von der Gesamtheit der Vorbedingungen ab.« - -»Wird dadurch der Willkür der Erzieher oder Krankenpfleger nicht völlig -freier Lauf gelassen?« - -»Was bedeutet das Wort »Willkür«? Wenn es unnötige, überflüssige -Anwendung der Gewalt bedeutet, so kann es nur in bezug auf einen Kranken -angewandt werden, der sich im Krankenhaus befindet. Ein vernünftiger, -bewußt handelnder Mensch ist der Willkür nicht fähig.« - -Wir durchschritten die Krankensäle, die Operationsräume, die Zimmer, in -denen die Medizinen aufbewahrt wurden, die Stuben der Pfleger. Im -obersten Stockwerk betraten wir einen geräumigen, schönen Saal, dessen -durchsichtige Wände den Ausblick auf den See, den Wald und die fernen -Berge gestatteten. Der Raum war mit Statuen und Gemälden von hohem -künstlerischem Wert geschmückt, die Möbel waren prächtig und luxuriös. - -»Dies ist das Zimmer der Sterbenden«, sprach Netti. - -»Bringen Sie alle Sterbenden hierher?« fragte ich. - -»Ja, oder sie begeben sich selbst in diesen Saal«, lautete die Antwort. - -»Können denn bei Ihnen die Sterbenden noch selbst gehen?« staunte ich. - -»Jene, die körperlich gesund sind, vermögen es selbstverständlich.« - -Ich begriff, daß es sich hier um Selbstmörder handle. - -»Sie überlassen diesen Saal den Selbstmördern zur Ausführung ihres -Vorhabens?« - -»Ja, sowie alle Mittel, die einen ruhigen schmerzlosen Tod bringen.« - -»Und Sie legen ihnen kein einziges Hindernis in den Weg?« - -»Wenn der Patient bei klarem Verstand ist und sein Entschluß feststeht, -kann es doch gar kein Hindernis geben. Natürlich wird dem Kranken -Gelegenheit gewährt, sich vorher mit dem Arzt zu beraten. Einige tun -dies, -- andere nicht.« - -»Kommen bei Ihnen viele Selbstmorde vor?« - -»Ja, besonders unter den alten Leuten. Wenn sich das Gefühl des Lebens -abstumpft und schwächer wird, ziehen es viele vor, nicht das natürliche -Ende abzuwarten.« - -»Begehen auch junge, völlig gesunde und starke Menschen Selbstmord?« - -»Auch dies kommt vor, aber äußerst selten. Seitdem ich im Krankenhaus -arbeite, kann ich mich bloß an zwei Fälle erinnern, der dritte ließ von -seinem Vorhaben ab.« - -»Wer waren die beiden Unglücklichen und was trieb sie in den Tod?« - -»Der erste war mein Lehrer, ein hervorragender Arzt, der der -Wissenschaft viel Neues gegeben hat. Bei ihm war die Fähigkeit, die -Leiden anderer mitzufühlen, in einem unglaublich hohen Maße entwickelt. -Dies führte seinen Verstand und seine Energie zum Studium der Medizin, -war aber auch sein Verderben. Er ertrug es nicht. Verbarg aber seine -geistige Einstellung so gut vor allen Menschen, daß seine Tat völlig -überraschend wirkte. Er beging diese nach einer schweren Epidemie, die -als Folge der Trockenlegung einer Meeresbucht auftrat, als die toten -Fische tonnenweise verwesend am Strand lagen. Die Krankheit war ebenso -schmerzhaft wie bei Ihnen die Cholera, aber noch weit gefährlicher. Von -zehn Erkrankungen nahmen neun einen tödlichen Verlauf. Da aber dennoch -eine geringe Möglichkeit der Genesung bestand, konnten die Aerzte den -Bitten der Kranken um einen raschen und schmerzlosen Tod nicht -nachkommen; es war ja auch nicht möglich, von einem Menschen, den -starkes Fieber und große Schmerzen peinigten, anzunehmen, daß er sich -bei völlig klarem Bewußtsein befinde. Mein Lehrer arbeitete wie ein -Wahnsinniger, und seine Forschungen trugen viel dazu bei, die Epidemie -abzukürzen. Als diese völlig verschwunden war, beging er Selbstmord.« - -»Wie alt war er damals?« - -»Ihrer Berechnung nach ungefähr Fünfzig. Bei uns ist dies noch ein -jugendliches Alter.« - -»Und der zweite Fall?« - -»Eine Frau, der am gleichen Tag Mann und Kind gestorben waren.« - -»Und der dritte Fall?« - -»Den kann Ihnen nur jener Genosse erzählen, der ihn selbst erlebte.« - -»Das ist wahr«, meinte ich. »Erklären Sie mir aber nun etwas anderes: -wie kommt es, daß sich die Marsbewohner so lange jung erhalten? Ist dies -eine Eigenheit Ihrer Rasse oder hängt es von den günstigen -Lebensbedingungen, oder aber noch von etwas anderem ab?« - -»Mit der Rasse hat es nichts zu tun; noch vor zweihundert Jahren waren -wir weit weniger langlebig. Die günstigeren Lebensbedingungen? Ja, -selbstverständlich spielen auch diese eine bedeutsame Rolle, die -Hauptursache jedoch ist eine ganz andere: nämlich die _Erneuerung_ des -Lebens.« - -»Was ist das?« - -»Eine dem Wesen nach äußerst einfache Sache, Ihnen jedoch wird sie -wahrscheinlich seltsam erscheinen, obgleich Ihre Wissenschaft bereits -alle Daten für diese Methode kennt. Sie wissen, daß die Natur, um die -Lebensfähigkeit der Zelle oder des Organismus zu steigern, das -Einzelwesen durch ein anderes ergänzt. Um dieses Ziel zu erreichen, -verschmilzt sich das Einzelwesen aus zweien zu einem, und auf diese Art -erhält es die Lebens- und Vermehrungsfähigkeit, die »Unsterblichkeit« -des Protoplasma. Derselbe Gedanke beherrscht die Kreuzungen der höheren -Pflanzen- und Tierarten; hier vereinigen sich lebendige Elemente zweier -verschiedener Wesen, auf daß ein drittes geboren werde. Schließlich -wissen Sie wohl auch um die Einimpfung des Blutes, von dem einen zum -anderen Geschöpf, um diesem anderen eine stärkere Lebensfähigkeit zu -verleihen, wie dies beim Serum gegen verschiedene Krankheiten der Fall -ist. Wir gehen hierin noch weiter: verwenden die _Transfusion des -Blutes_ zwischen zwei menschlichen Wesen, von denen jedes dem anderen -eine gesteigerte Lebensfähigkeit zu geben vermag. Diese einmalige -Transfusion des Blutes zwischen zwei Menschen wird durch einen die -Blutgefäße der beiden verbindenden Apparat bewerkstelligt. Bei -Beobachtung der nötigen Vorsichtsmaßregeln ist der Prozeß völlig -ungefährlich. Das Blut des einen Menschen lebt weiter im Organismus des -anderen, vermischt sich mit dem eigenen Blut und erneuert die Gewebe.« - -»Auf diese Art vermögen Sie durch die Transfusion jungen Blutes den -Alten die Jugend wiederzugeben?« - -»Zum Teil; freilich nicht ganz. Denn das Blut ist im Organismus nicht -alles, der Organismus verarbeitet es. Deshalb altert auch der junge -Mensch nach der Transfusion alten Blutes nicht; alles, was in ihm -Schwäche, Alter ist, verteilt sich rasch im jungen Organismus, und zur -gleichen Zeit scheidet er aus dem Organismus all das aus, dessen er -nicht bedarf; dadurch werden die Energie und Anpassungsfähigkeit seines -ganzen Wesens gesteigert.« - -»Wenn dies so einfach ist, weshalb hat bis heute unsere irdische Medizin -das Mittel noch nicht angewandt? Die Transfusion des Blutes ist, wenn -ich nicht irre, bereits seit etlichen hundert Jahren bekannt.« - -»Ich weiß es nicht; vielleicht besteht irgendeine organische Eigenheit, -die bei den Erdenmenschen diesem Mittel seine Wirksamkeit raubt. -Vielleicht aber kommt dies auch von dem bei Ihnen herrschenden -Individualismus, der so sehr den einen Menschen vom anderen trennt, daß -der Gedanke an eine lebendige Verschmelzung Ihren Gelehrten schier als -ein Ding der Unmöglichkeit erscheint. Außerdem gibt es bei Ihnen eine -Unzahl das Blut vergiftender Krankheiten, Krankheiten, von denen die -Befallenen oft gar nicht wissen, oder die sie verheimlichen. Die bei -Ihnen äußerst selten vollzogene Transfusion des Blutes trägt irgendwie -einen philanthropischen Charakter: jener, der viel Blut besitzt, gibt -davon jenem, der dessen äußerst nötig bedarf, zum Beispiel in Fällen, wo -durch Wunden ein großer Blutverlust entstanden ist. Freilich kommt dies -auch bei uns vor; meist aber verhält es sich anders, entspricht unserer -ganzen Ordnung: unser Leben ist nicht nur dem Geist nach ein -kameradschaftliches, sondern sogar dem Körper nach.« - - - Arbeit und Gespenster - -Die Eindrücke der ersten Tage, die wie ein stürmischer Wasserfall mein -Bewußtsein überfluteten, ließen mich erkennen, was für eine ungeheuere -Arbeit mir bevorstand. Vor allem galt es, diese Welt zu _begreifen_, -diese unermeßlich reiche und in ihrer Ordnung so eigenartige Welt. Dann -aber mußte ich mich ihr _nähern_, jedoch nicht wie einem interessanten -Museumsgegenstand, sondern wie ein Mensch den Menschen, ein Arbeiter den -Arbeitern. Nur so vermochte ich meine Mission zu erfüllen, als -wahrhaftes Band zwischen zwei Welten zu dienen, zwischen denen ich, der -an der Grenze stehende Sozialist, einen unendlich winzigen Augenblick -der Gegenwart bedeutete, der Vergangenheit und Zukunft verband. - -Als ich das Krankenhaus verließ, sprach Netti zu mir: »Beeilen Sie sich -nicht allzu sehr.« Mir schien es, als habe er unrecht. Im Gegenteil: ich -mußte mich beeilen, mußte alle Kräfte, alle Energie anspannen -- denn -meine Verantwortung war eine ungeheuer große. Welcher gewaltige Nutzen -konnte unserer alten zerquälten Menschheit erwachsen, welche gigantische -Beschleunigung ihrer Entwicklung durch den Einfluß dieser lebendigen, -energischen, hohen Kultur, die so mächtig und harmonisch war! Und jeder -Augenblick der Verzögerung in meiner Arbeit konnte ein Hinausschieben -dieses Einflusses bedeuten ... Nein, ich durfte nicht erwarten, durfte -nicht rasten. Und ich arbeitete viel. Lernte die Wissenschaft und die -Technik der neuen Welt kennen, beobachtete genau ihr gesellschaftliches -Leben, studierte ihre Literatur. Und dabei boten sich mir viele -Schwierigkeiten. - -Die wissenschaftlichen Methoden verblüfften mich völlig: ich prägte sie -mir mechanisch ein, vermeinte anfangs, sie seien leicht, einfach, ohne -Fehler; bald aber bemerkte ich, daß ich sie nicht verstand, daß ich -nicht begriff, wieso sie zum Ziele führten, ihre Verbindung nicht fand -und ihr Wesen nicht erfaßte. Ich glich einem alten Mathematiker des 17. -Jahrhunderts, dessen begrenzter unbeweglicher Geist die lebendige -Dynamik der unendlich kleinen Größen nicht zu erfassen vermag. - -Die allgemein zugänglichen Versammlungen der Marsbewohner versetzten -mich durch ihren rein sachlichen Charakter in großes Erstaunen. Ob sie -nun wissenschaftlichen Fragen, oder aber der Organisation der Arbeit -oder Kunstfragen galten, -- stets waren die Ausführungen und Reden -seltsam nüchtern und kurz, die Argumente genau, sachlich, niemand -wiederholte sich und keiner wiederholte, was ein anderer gesagt hatte. -Der Beschluß der Versammlung, der häufig ein einstimmiger war, wurde mit -märchenhafter Geschwindigkeit durchgeführt. Beschloß die Versammlung der -Lehrer, daß eine neue Lehranstalt gegründet werden müsse, oder die -Versammlung der Arbeitsstatistiker, daß ein neues Unternehmen gegründet -werden solle, oder die Versammlung der Stadtbewohner, daß irgendein -Gebäude zu schmücken sei, -- sofort erschienen auch schon die neuen -Zahlen der erforderlichen Arbeitskraft, das Zentralbureau schaffte auf -dem Luftweg Hunderte und Tausende von neuen Arbeitern herbei; nach -einigen Tagen oder einer Woche war bereits alles beendet, und die neuen -Arbeiter verschwanden; niemand wußte, wohin. All dies erweckte in mir -schier den Eindruck der Magie, einer seltsamen, gelassenen, kalten, -Beschwörungen und Mystik verachtenden Magie, die vielleicht eben deshalb -durch ihre übermenschliche Macht besonders rätselhaft wirkte. - -Auch die Literatur der neuen Welt, sogar die rein künstlerische, -bedeutete für mich weder Erholung noch Beruhigung. Ihre Form erschien -zwar klar und unkompliziert, aber der Inhalt mutete mich fremd an. Es -verlangte mich, tiefer in sie einzudringen, sie zu begreifen, ihr näher -zu kommen, doch führten meine Bemühungen zu einem völlig unerwarteten -Ergebnis: die Formen wurden gespenstisch, von Nebel umhüllt. - -Besuchte ich das Theater, so überkam mich ebenfalls das Gefühl der -Verständnislosigkeit. Die Reden der Helden waren so zurückhaltend und -gedämpft, ihre Gefühle so schwach betont, daß es fast schien, als -wollten sie bei dem Zuschauer keinerlei Stimmung erregen, als wären sie -nur abgeklärte Philosophen, freilich äußerst idealisierte. Nur die -historischen, in der fernen Vergangenheit spielenden Dramen weckten in -mir einen vertrauten Eindruck; hier war auch das Spiel der Darsteller -bedeutend lebhafter, der Ausdruck persönlicher Gefühle um vieles -unverhüllter, glich weit mehr dem, woran ich in unseren Theatern gewöhnt -war. - -Ein Umstand zog mich trotz allem immer wieder ins Theater unserer -kleinen Stadt: nämlich der, daß es hier keine Schauspieler gab. Die hier -aufgeführten Stücke wurden uns durch optische und akustische Apparate -vermittelt, die sich in anderen großen Städten befanden, oder aber, und -dies kam noch häufiger vor, es wurden Stücke aufgeführt, die so alt -waren, daß die meisten der darin auftretenden Schauspieler nicht mehr -unter den Lebenden weilten. Die Marsbewohner kannten die Momentaufnahmen -in natürlichen Farben, benützten sie, um Leben und Bewegung -wiederzugeben, wie dies in unseren Kinos geschieht. Aber sie vereinigten -nicht nur den Kinematograph mit dem Phonograph, wie das bereits, wenn -auch ohne rechten Erfolg, auf der Erde getan wurde, sondern sie wandten -auch das Stereogramm an und verliehen dadurch den Kinobildern Relief. -Auf der Leinwand erschienen gleichzeitig zwei Abbildungen, -- zwei halbe -Stereogramme; vor jedem Sitz war ein entsprechendes stereoskopisches -Glas befestigt, das die beiden flachen Abbildungen zu einer vereinigte. -Es schien seltsam, klar und genau lebendige Menschen zu sehen, die sich -bewegten, handelten, ihren Gefühlen in Worten Ausdruck verliehen, und -gleichzeitig zu wissen, daß von all dem nichts existierte, als die -Mattscheibe, der Phonograph und das elektrische Licht mit dem Uhrwerk. -Ja, dies war fast mystisch seltsam, und erweckte unklare Zweifel an -aller Wirklichkeit. - -Selbstverständlich wurde durch all diese Tatsachen meine Aufgabe, das -Verstehen der fremden Welt, in hohem Maße erschwert. Ich hätte -entschieden fremder Hilfe bedurft. Doch wandte ich mich nur sehr selten -an Menni mit der Bitte um Erklärungen. Ich wollte ihn nicht in Anspruch -nehmen, denn er war eben mit seinen Forschungen über die Gewinnung der -»Minus-Materie« beschäftigt. Er arbeitete unermüdlich, schlief oft -nächtelang nicht, und ich wollte ihn nicht stören und ablenken. Seine -Arbeitsfreudigkeit war für mich ein lebendiges Beispiel, das mich -unwillkürlich dazu verleitete, meine Anstrengungen fortzusetzen. - -Die übrigen Freunde waren von meinem Horizont verschwunden. Netti -verreiste auf etliche hundert Kilometer, um den Bau und die Organisation -eines riesenhaften neuen Krankenhauses auf der anderen Halbkugel des -Planeten zu leiten. Enno, Sternis Gehilfe, war ebenfalls viel -beschäftigt; in seinem Observatorium wurden Messungen und Berechnungen -für neue Expeditionen nach der Venus und der Erde angestellt, sowie für -Expeditionen nach dem Mond und dem Merkur; letztere sollten -photographiert und von den Mineralien sollten Proben zurückgebracht -werden. Mit den anderen Marsbewohnern war ich nicht näher bekannt, -beschränkte meine Gespräche mit ihnen auf praktische Fragen; es fiel mir -schwer, mich diesen so fremden und hoch über mir stehenden Wesen zu -nähern. - -Allmählich begann ich zu finden, daß, allgemein gesprochen, meine Arbeit -gute Fortschritte machte. Ich bedurfte immer weniger der Rast, ja sogar -des Schlafes. Alles, was ich fast mechanisch leicht und frei erlernte, -brachte ich bequem in meinem Kopf unter, und dies rief irgendwie das -Gefühl hervor, als sei mein Kopf völlig leer und könne noch viel, sehr -viel beherbergen. Freilich, wenn ich nach alter Gewohnheit versuchte, -für mich selbst genau zu formulieren, was ich wußte, so mißlang das fast -immer; doch deuchte mich, es sei nicht wichtig, Einzelheiten und Teile -klar definieren zu können. Vor allem gelte es einen Allgemeinbegriff zu -haben, und den besaß ich. - -Eine besonders lebhafte Befriedigung fand ich in meiner Arbeit nicht; es -gab nichts, das in mir das frühere Gefühl unmittelbaren Interesses -wachgerufen hätte, doch erschien mir dies selbstverständlich: nach all -dem, was ich gesehen und erfahren hatte, fiel es mir schwer, noch über -irgendetwas zu staunen. Es kam ja auch gar nicht darauf an, ob mir etwas -angenehm sei, sondern vielmehr darauf, daß ich alles begreife und mir zu -eigen mache. - -Eines nur war peinlich: es wurde mir täglich schwerer, meine -Aufmerksamkeit völlig auf einen Gegenstand zu konzentrieren. Die -Gedanken schweiften von einer Sache, von einer Seite zur anderen; klare, -gänzlich unerwartete Erinnerungen fluteten bisweilen über mein -Bewußtsein hinweg, ließen mich meine Umgebung vergessen, raubten mir die -kostbaren Minuten. Ich bemerkte dies, zwang mich mit neuer Energie zur -Arbeit, aber nach kurzer Zeit suchten abermals flüchtige Bilder und -Phantasien der Vergangenheit mein Gehirn heim, und es galt von neuem, -ihrer Gewalt zu widerstehen. - -Immer häufiger überkam mich ein bebendes, seltsam beunruhigendes Gefühl; -bekannte Gesichter tauchten vor mir auf, alte Geschehnisse. Eine -übermächtige Flut riß mich zurück, in ferne Zeiten, in die Jugend und -früheste Kindheit, dort verlor sich mein Bewußtsein in Unklarheit und -Wirrnis. Nach solchen Stunden vermochte ich die andauernde Zerstreutheit -nicht zu bewältigen. - -In meinem Inneren entstand ein heftiger Widerstand, der mich hinderte, -einer Sache lange Zeit zu widmen; ich hastete von Gegenstand zu -Gegenstand, schleppte in meine Stube einen Haufen Bücher, die früher am -rechten Ort aufbewahrt waren, Tabellen, Karten, Stereogramme, -Phonographen usw. Auf diese Art hoffte ich, den Zeitverlust wieder -einzubringen, aber die furchtbare Zerstreutheit übermannte mich stets -von neuem, und häufig ertappte ich mich dabei, daß ich lange reglos auf -einen Punkt starrte, nichts begriff, nichts tat. - -Lag ich auf meinem Bett und blickte durch das Glasdach zum düsteren -Nachthimmel empor, so begannen meine Gedanken eigenwillig mit -erstaunlicher Lebhaftigkeit und Energie zu arbeiten. Vor meinem Geiste -erschienen ganze Zahlenreihen und Formeln, sie waren von einer -derartigen Klarheit, daß ich sie, Zeile um Zeile, abzulesen vermochte. -Doch verblaßten diese Erscheinungen gar bald, machten anderen Platz, -mein Bewußtsein kehrte zum Panorama eines unglaublich lebendigen und -klar umrissenen Bildes zurück, das nichts mit meiner Beschäftigung und -meinen Sorgen zu tun hatte. Ich schaute irdische Landschaften, -theatralische Szenen, Bilder aus Kindermärchen, sah sie wie in einem -Spiegel. Sie durchdrangen meine Seele, verschwammen, vermischten sich, -erweckten keinerlei Aufregung, sondern bloß ein leichtes Interesse, eine -gewisse Neugierde, der eine schwache Befriedigung eignete. Dieser -Vorgang vollzog sich in meinem Bewußtsein, vermengte sich nicht mit der -äußeren Umgebung; später jedoch griff er auch auf sie über. Ich versank -in Schlummer, in Träume, die voll lebendiger und komplizierter -Erscheinungen waren; der Schlummer war ein leichter und gab mir nicht, -wonach mich so sehr verlangte -- das Gefühl der Rast und Erholung. - -Schon längere Zeit störte mich Ohrensausen, jetzt wurde dieses immer -unaufhörlicher und stärker, hinderte mich bisweilen sogar daran, die -Töne des Phonographen zu vernehmen. Des Nachts raubte es mir den Schlaf. -Immer wieder vermeinte ich dazwischen Menschenstimmen zu hören, bekannte -und unbekannte, bisweilen glaubte ich, mein Name würde gerufen, oder -aber ich vernähme Gespräche, deren Worte ich wegen des Sausens nicht zu -verstehen vermochte. Ich sah ein, daß ich nicht völlig gesund sei, daß -mich Verwirrung und Zerstreutheit überwältigten, vermochte ich doch -nicht einmal einige Zeilen im Zusammenhang zu lesen. - -»Das ist selbstverständlich nur Uebermüdung«, sprach ich zu mir. »Ich -muß mehr rasten, habe tatsächlich zu viel gearbeitet. Doch brauche ich -Menni davon nichts zu sagen, denn was jetzt mit mir vorgeht, erweckt gar -sehr den Eindruck, als machte ich bereits zu Anfang meiner Arbeit -Bankrott.« - -Wenn mich Menni in meiner Stube aufsuchte, dies kam freilich zu jener -Zeit selten vor, gab ich mir den Anschein, äußerst beschäftigt zu sein. -Er warnte mich: ich arbeite zu viel, setze mich der Gefahr der -Erschöpfung aus. - -»Heute sehen Sie besonders schlecht aus«, sagte er. »Schauen Sie in den -Spiegel, wie Ihre Augen glänzen, wie blaß Sie sind. Sie müssen sich -ausruhen, das wird später Früchte tragen.« - -Mich verlangte ja selbst nach Ruhe, doch vermochte ich keine zu finden. -Zwar tat ich fast nichts, aber alles ermüdete mich, sogar die geringste -Anstrengung. Die stürmische Flut lebendiger Bilder, Erinnerungen und -Phantasien ebbte weder bei Tag noch bei Nacht ab. In ihr verblaßte meine -Umgebung, verlor sich, nahm etwas Gespenstisches an. - -Schließlich mußte ich mich ergeben; ich sah, daß Schlaffheit und Apathie -immer stärker meinen Willen schwächten, daß ich immer weniger gegen sie -anzukämpfen vermochte. Eines Abends, als ich zu Bette lag, wurde es mir -plötzlich schwarz vor den Augen. Doch verging dies rasch, und ich trat -ans Fenster, um auf die Bäume des Parkes zu blicken. Jählings fühlte -ich, daß mich jemand anstarre. Ich wandte mich um -- vor mir stand Anna -Nikolajewna Ihr Antlitz war blaß und traurig, aus ihren Blicken sprach -Vorwurf. Ich wurde erregt, dachte gar nicht an das Seltsame ihrer -Erscheinung, tat einen Schritt vor, um ihr entgegenzugehen und etwas zu -sagen. Sie aber verschwand, als habe sie sich in Luft aufgelöst. - -Und in diesem Augenblick begann der Gespensterreigen. An vieles erinnere -ich mich nicht; mein Bewußtsein war verdunkelt, ich befand mich in einer -Art Traum. Es kamen und gingen, erschienen vor mir allerlei Menschen, -denen ich in meinem früheren Leben begegnet war, aber auch Unbekannte. -Merkwürdigerweise befanden sich unter ihnen keine Marsbewohner, es waren -lauter Erdenmenschen. Die Bekannten gehörten meist zu jenen, die ich -seit langem nicht gesehen hatte, alte Schulkameraden, mein junger -Bruder, der noch als Kind gestorben war. Durchs Fenster erblickte ich -einen berüchtigten Spion, der mich mit bösem Lachen aus seinen listigen, -unsteten Augen anblickte. Die Gespenster redeten nicht mit mir; in der -Nacht jedoch, da alles still war, vernahm ich halluzinierende Töne, -hörte unzusammenhängende, sinnlose Gespräche, geführt von den -Unbekannten: ein Fahrgast, der mit einem Droschkenkutscher stritt, ein -Kommis überredete einen Kunden, die Ware zu kaufen, der Lärm eines -Universitätsauditoriums tobte, der Pedell versuchte Ruhe zu schaffen, -verkündete, daß der Herr Professor gleich kommen würde. Die -Gesichtshalluzinationen waren weit interessanter und störten mich viel -weniger und seltener. - -Nach der Erscheinung Anna Nikolajewnas sprach ich selbstverständlich mit -Menni über meinen Zustand. Er schickte mich sofort ins Bett, berief den -Arzt und telephonierte den sechstausend Kilometer entfernten Netti an. -Der Arzt erklärte, er könne sich nicht entschließen, etwas zu tun, da er -den Organismus der Erdenmenschen zu wenig kenne; jedenfalls bedürfe ich -vor allem der Ruhe und Erholung. Befolgte ich diesen Rat, so sei es -nicht gefährlich, einige Tage zu warten, bis Netti zurückkäme. - -Netti stellte sich am dritten Tag ein. Als er sah, in was für einem -Zustand ich mich befand, blickte er Menni mit traurigem Vorwurf an. - - - Netti - -Trotz der Behandlung durch einen so ausgezeichneten Arzt wie Netti -währte meine Krankheit einige Wochen. Ich lag zu Bett, ruhig und -apathisch, betrachtete mit der gleichen Seelenruhe die Wirklichkeit und -die Gespenster. Nettis stete Gegenwart erweckte in mir ein kaum -merkliches, leichtes Gefühl der Zufriedenheit. - -Heute erscheint mir in der Erinnerung mein damaliges Verhältnis zu den -Halluzinationen sehr merkwürdig; obgleich ich mich an die hundert Mal -von ihrer Unwirklichkeit überzeugte, so vergaß ich dies, sobald sie -erschienen; selbst wenn sich mein Bewußtsein nicht verdunkelte und -verwirrte, hielt ich die Erscheinungen für wirkliche Gesichter und -Dinge. Bloß wenn sie bereits verschwunden waren, oder im Augenblick vor -ihrem Verschwinden, erkannte ich ihre Gespensterhaftigkeit. - -Nettis Hauptbestreben ging dahin, mir Schlaf und Ruhe zu verschaffen. Er -konnte sich nicht dazu entschließen, mir irgendeine Medizin zu -verabreichen, fürchtete, diese könnte auf den irdischen Organismus als -Gift wirken. Etliche Tage vermochte er mich mit den gewöhnlichen Mitteln -nicht zum Schlafen zu bringen; die Halluzinationen verhinderten dies. -Endlich aber gelang es ihm dennoch, und als ich nach zwei- bis -dreistündigem Schlaf erwachte, sprach er: - -»Nun zweifle ich nicht mehr an Ihrer Genesung, wenngleich die Krankheit -noch lange währen dürfte.« - -Und die Krankheit nahm ihren Verlauf. Die Halluzinationen wurden -seltener, doch waren sie um nichts weniger lebhaft und klar, wurden -sogar etwas komplizierter; bisweilen ließen sich die gespenstischen -Gäste mit mir in ein Gespräch ein. - -Von diesen Gesprächen hatte nur ein einziges für mich Sinn und -Bedeutung; es war schon gegen Ende meiner Krankheit, als es geführt -wurde. - -Eines Morgens erwachend, sah ich Netti wie gewöhnlich in meiner Nähe; -vor seinem Lehnstuhl aber stand mein alter Revolutionskamerad, der -lebhafte, boshaft spöttische Agitator Ibrahim. Er schien etwas zu -erwarten. Als sich Netti ins anstoßende Zimmer begab, um das Bad -vorzubereiten, sprach Ibrahim grob und entschlossen zu mir: - -»Du Dummkopf! Was hältst du Maulaffen feil? Siehst du denn etwa nicht, -wer dein Arzt ist?« - -Ich wunderte mich weder über die in seinen Worten enthaltene Andeutung, -noch über den zynischen Ton, ich kannte ja seine Art. Doch entsann ich -mich des eisernen Griffs, mit dem Nettis kleine Hände zupackten und -glaubte Ibrahim nicht. - -»Umso ärger für dich!« meinte er mit verächtlichem Lachen und -verschwand. - -Netti betrat das Zimmer. Bei seinem Anblick empfand ich ein seltsames -Unbehagen. Er schaute mich scharf an. - -»Nun«, sprach er, »Ihre Genesung macht rasche Fortschritte.« - -Den ganzen Tag über war Netti schweigsam und versonnen. Am folgenden -Tag, überzeugt davon, daß ich mich wohl fühle und die Halluzinationen -sich nicht wiederholen würden, ging er seiner Arbeit nach und kehrte -erst gegen Abend heim, ließ sich durch einen anderen Arzt vertreten. -Etliche Tage kam er nur des Abends zu mir, um mich einzuschläfern. Erst -nun wurde es mir klar, wie wichtig und angenehm mir seine Anwesenheit -sei. Zusammen mit der Erregung der Genesung, die irgendwie aus der -ganzen Natur in meinen Organismus einzudringen schien, verfolgte mich -immer häufiger Ibrahims Andeutung. Ich schwankte, versicherte mir -selbst, das ganze sei Unsinn, der Gedanke entspringe meiner Krankheit; -weshalb hätten Netti und die übrigen Freunde mich in dieser Beziehung -irreführen sollen? Nichtsdestoweniger blieb ein unklarer Zweifel zurück, -der etwas Angenehmes besaß. - -Einmal fragte ich Netti, mit was für einer Arbeit er eben beschäftigt -sei. Er erwiderte, es gebe jetzt viele Beratungen, auf denen über eine -neue Expedition nach den anderen Planeten verhandelt werde, er sei als -Experte zugezogen. Menni leite die Beratungen, doch dächte weder er noch -Netti daran, die Expedition in nächster Zeit zu unternehmen, was mich -mit großer Freude erfüllte. - -»Aber Sie selbst, beabsichtigten Sie nicht heimzukehren?« fragte Netti, -und aus seinem Ton klang leise Unruhe. - -»Es gelang mir doch noch nicht, irgendetwas zu tun«, entgegnete ich. -Nettis Gesicht strahlte. - -»Sie irren, Sie haben bereits viel getan, ... schon diese Antwort allein -...«, erwiderte er. - -Ich ahnte in dieser Andeutung etwas, das ich nicht wußte, das mich aber -betraf. - -»Kann ich Sie nicht zu einer dieser Beratungen begleiten?« erkundigte -ich mich. - -»Auf keinen Fall. Abgesehen davon, daß Sie noch der Erholung bedürfen, -müssen Sie noch einige Monate alles vermeiden, was mit dem Beginn Ihrer -Krankheit im Zusammenhang steht.« - -Ich wollte nicht streiten. Es war so angenehm, sich zu erholen; die -Pflicht der Menschheit gegenüber schien in weite Ferne gerückt. Jetzt -beunruhigten mich nur mehr, und zwar in immer stärkerem Maße, die -Gedanken über Netti. - -Eines Abends stand ich am Fenster und blickte durch die Dämmerung in die -geheimnisvolle Schönheit des Parkes; dieser dünkte mich herrlich, und -nichts an ihm war meinem Herzen fremd. Ein leises Klopfen an der Tür -wurde vernehmbar, und ich fühlte mit einem Mal -- dies sei Netti. Er -näherte sich mit seinen leichten raschen Schritten, streckte mir -lächelnd die Hand hin: der alte Erdengruß, der ihm gefiel. Freudig griff -ich nach seiner Hand, drückte sie so heftig, daß es sogar seine festen -Finger schmerzte. - -»Ich sehe, daß meine Rolle als Arzt zu Ende ist«, lächelte er. »Doch muß -ich noch einige Fragen an Sie richten, um meiner Sache ganz gewiß zu -sein.« - -Er richtete Fragen an mich, ich gab Antwort, erfaßt von unverständlicher -Verwirrung, und las in der Tiefe seiner großen, großen Augen heimliches -Lachen. Schließlich vermochte ich mich nicht länger zu beherrschen. - -»Erklären Sie mir, weshalb ich mich so stark zu Ihnen hingezogen fühle? -Weshalb freut es mich so ungemein, Sie zu sehen?« - -»Hauptsächlich wohl aus dem Grunde, weil ich Sie behandelt habe und Sie -unbewußt die Freude der Genesung auf mich übertragen. Vielleicht aber -auch ... deshalb, weil ich ... eine Frau bin ...« - -Dunkle Punkte kreisten vor meinen Augen, alles ringsum versank in Nacht, -das Herz hörte schier zu schlagen auf ... Einen Augenblick lang hielt -ich wie ein Wahnsinniger Netti in meiner Umarmung fest, küßte ihre -Hände, ihr Gesicht, ihre großen tiefen Augen, die grünlich blau -leuchteten, wie der Himmel ihres Planeten ... - -Schlicht und großherzig überließ sich Netti meiner Umarmung ... Als ich -meine sinnlose Freude beherrschte und von neuem ihre Hände und ihr -Gesicht küßte, die Augen voller Freudentränen, die selbstverständlich -von der durch die Krankheit verursachten Schwäche herrührten, sprach -Netti mit ihrem lieben Lächeln: - -»Es schien mir, als fühlte ich in Ihrer Umarmung Ihre ganze junge Welt, -deren Despotismus, deren verzweifeltes Glücksverlangen -- all dies lag -in Ihrer Liebkosung. Ihre Liebe gleicht dem Mord ... Aber ... ich liebe -Sie, Lenni ...« - -Dies war Glück. - - - Dritter Teil - - - Glück! - -Diese Monate! ... Gedenke ich ihrer, so erfaßt gewaltiges Zittern meinen -Leib, Nebel verdunkeln mein Auge, alles ringsum erscheint mir nichtig. -Und es gibt keine Worte, um das vergangene Glück zu schildern. - -Die neue Welt kam mir nahe, schien mir mit einem Mal völlig -verständlich. Die erlittene Niederlage bekümmerte mich nicht. Jugend und -Glaube kehrten zu mir zurück, um, wie ich glaubte, mich nie mehr zu -verlassen. Ich besaß Hoffnung und einen starken Verbündeten; für die -Schwäche war kein Raum. Die ganze Zukunft gehörte mir. - -In die Vergangenheit schweiften meine Gedanken nur selten zurück, sie -beschäftigten sich mit dem, was Netti und unsere Liebe anbelangte. - -»Weshalb verbargen Sie mir Ihr Geschlecht?« fragte ich bald nach jenem -Abend. - -»Anfangs ergab sich dies von selbst, zufällig. Dann aber unterstützte -ich absichtlich Ihre Täuschung, entfernte sogar von meiner Kleidung -alles, was Ihnen die Wahrheit hätte verraten können. Mich erschreckte -die Schwere und Kompliziertheit Ihrer Aufgabe, ich fürchtete, diese noch -verwickelter zu gestalten, besonders als ich später Ihre unbewußte -Zuneigung zu mir wahrnahm. Auch verstand ich mich selbst nicht recht ... -bis zu Ihrer Krankheit.« - -»Diese also hat die Lösung herbeigeführt ... Wie segne ich meine lieben -Halluzinationen!« - -»Ja, als ich von Ihrer Erkrankung erfuhr, traf es mich wie ein -Hammerschlag. Hätte ich nicht vermocht, Sie vollständig zu heilen, ich -wäre vielleicht gestorben.« - -Nach einigen Augenblicken des Schweigens fügte sie hinzu: - -»Wissen Sie auch, daß sich unter Ihren Freunden noch eine Frau befindet, -von der Sie dies gleichfalls nicht ahnten? Sie ist Ihnen sehr zugetan, -freilich nicht so wie ich ...« - -»Enno!« erriet ich sofort. - -»Selbstverständlich. Und auch Enno führte Sie absichtlich irre, befolgte -dabei meinen Rat.« - -»Ach, wie viel Trug und Feigheit gibt es doch in Eurer Welt!« rief ich -mit scherzhaftem Pathos. »Laßt nur, bitte, Menni einen Mann bleiben, -denn verliebte ich mich in ihn, so wäre dies furchtbar.« - -»Ja, dies ist furchtbar«, entgegnete Netti gedankenvoll, und ich -verstand ihren seltsamen Ernst nicht. - -Tage reihten sich an Tage, und beglückt nahm ich von der schönen neuen -Welt Besitz. - - - Trennung - -Und dennoch kam ein Tag, kam der Tag, an den ich nicht ohne -Verwünschungen zu denken vermag -- der Tag, da sich zwischen Netti und -mir der schwarze Schatten einer verhaßten und unvermeidlichen Trennung -erhob. - -Mit dem gleichen gelassenen, abgeklärten Gesichtsausdruck, der ihr eigen -war, erklärte mir Netti unvermittelt, sie müsse sich im Verlauf eines -Tages der Riesenexpedition nach der Venus anschließen, die von Menni -geleitet wurde. Als sie sah, wie sehr mich diese Nachricht verstörte, -sprach sie: - -»Es ist ja nicht auf lange Zeit. Hat die Expedition Erfolg, und ich -zweifle nicht daran, so wird ein Teil der Mitglieder baldigst -zurückkehren, und auch ich werde diesem Teil angehören.« - -Dann berichtete sie mir, worum es sich handle. Auf dem Mars waren die -Vorräte der radiumausstrahlenden Materie, die für die Motoren der -interplanetarischen Luftschiffe und für die Zerlegung und Synthese aller -Elemente unentbehrlich waren, erschöpft und konnten nicht erneuert -werden. Auf der Venus hingegen, einem jungen Planeten, der fast viermal -kürzere Zeit bestand als der Mars, gab es auf Grund untrüglicher -Anzeichen ungeheure Lager dieser Materie, die sich fast an der -Erdoberfläche befand und sich nicht selbständig zerlegen konnte. Auf -einer Insel, die in dem gigantischen Ozean der Venus lag und von den -Marsbewohnern die »Insel des glühenden Sturms« genannt ward, gab es ein -reiches Lager der radiumausstrahlenden Materie, und es war beschlossen -worden, dieses Lager so rasch wie möglich auszubeuten. Doch war vorher -nötig, äußerst hohe und dicke Mauern zu errichten, die die Arbeiter -gegen den verderblichen glühenden Wind schützen sollten, der in seiner -Wildheit und Grausamkeit die Sandstürme unserer Wüsten bei weitem -übertraf. Diese Arbeit erforderte eine Expedition von zehn Aetheroneffs -und von zweitausend Menschen, unter denen sich zwanzig Chemiker -befanden; die übrigen sollten den Bau der Mauer übernehmen. Die besten -wissenschaftlichen Kräfte sowie die erfahrensten Aerzte würden sich -anschließen; die Gesundheit aller Expeditionsmitglieder war vom Klima -gefährdet und auch von der mörderischen Glut, sowie von den Emanationen -der radiumausstrahlenden Stoffe. Netti vermochte sich, den eigenen -Worten zufolge, nicht von der Expedition zu drücken, doch hatte sie sich -ausbedungen, daß, wenn die Arbeit gut von statten gehe, bereits nach -drei Monaten ein Aetheroneff zurückkehre, um Nachrichten und die zutage -geförderte Materie mitzubringen. Mit diesem Aetheroneff wollte dann auch -Netti heimkommen, also etwa zehn bis elf Monate nach Ausfahrt der -Expedition. - -Ich vermochte nicht zu begreifen, weshalb Netti unbedingt an der -Expedition teilnehmen müsse. Sie meinte, das Unternehmen sei ein derart -ernstes, daß sie sich ihm nicht entziehen könne, außerdem sei es auch -für meine Aufgabe von großer Bedeutung, denn der Erfolg würde die -Möglichkeit einer engeren Verbindung mit der Erde schaffen. Uebrigens -würde ein jeder Irrtum auf dem Gebiet der medizinischen Hilfe das -Unternehmen von allem Anfang an zum Mißerfolg verurteilen. All dies -klang überzeugend, ich wußte ja auch, daß Netti als der beste Arzt galt, -besonders in Fällen, die nicht in den Rahmen der alten erfahrungsgemäßen -Medizin paßten; dennoch schien mir irgendwie, daß dies nicht alles sei, -als gäbe es noch etwas Unausgesprochenes. - -An einem zweifelte ich nicht; an Netti selbst und ihrer Liebe. Wenn sie -sagte, es sei unbedingt nötig, die Expedition mitzumachen, so war dies -wirklich unvermeidlich, erklärte sie mir aber nicht, weshalb dies so -sein mußte, so bedeutete es, daß ich sie nicht weiter befragen dürfe. -Wenn sie sich von mir unbeobachtet glaubte, sah ich in ihren schönen -Augen Angst und Schmerz. - -»Enno wird dir ein guter und liebevoller Freund sein«, sprach sie mit -wehmütigem Lächeln. »Und auch Nella wird dich nicht vergessen, sie liebt -dich um meinetwillen, besitzt viel Verstand und Erfahrung; in den -schweren Augenblicken des Lebens ist ihre Hilfe von hohem Wert. Wenn du -an mich denkst, so denke immer nur das eine: daß ich zurückkehre, sobald -dies irgendwie möglich ist.« - -»Ich vertraue dir, Netti«, sprach ich, »und deshalb glaube ich auch an -mich, an den Menschen, den du liebst.« - -»Du hast recht, Lenni, und ich bin überzeugt, daß dich keinerlei -Schicksalsschläge, keinerlei Prüfungen von deiner Aufgabe ablenken -werden, daß du dir selbst ebenso treu und daß du ebenso stark und rein -bleiben wirst wie bisher.« - -Die Zukunft warf ihre Schatten auf unsere Abschiedsliebkosungen und -erschütterte Netti bis zu Tränen. - - - Die Kleiderfabrik - -In diesen kurzen Monaten war es mir dank Nettis Hilfe in hohem Maße -gelungen, mich auf die Verwirklichung meines Hauptplanes vorzubereiten: -ein nützlicher Arbeiter der Marsgesellschaft zu werden. Ich schlug -wohlüberlegt alle Aufforderungen ab, über die Erde und deren Menschen -Vorträge zu halten; es wäre sinnlos gewesen, dies zu meiner Spezialität -zu machen, da es ja auf künstliche Art mein Bewußtsein an die Dinge der -Vergangenheit gefesselt hätte und mir dadurch die Zukunft, für die es zu -kämpfen galt, verloren gegangen wäre. Ich beschloß ganz einfach, in -einen Betrieb zu gehen und wählte, nach verschiedenen Vergleichen und -reiflicher Ueberlegung, als erste Arbeitsstelle die Kleiderfabrik. - -Selbstverständlich wählte ich eine leichtere Arbeit. Dennoch forderte -diese von mir eine nicht geringe und ernsthafte Vorbereitung. Vor allem -galt es, mich mit der Ausarbeitung des wissenschaftlichen Prinzips der -Fabrikorganisationen im allgemeinen bekannt zu machen, dann aber mit -jener besonderen Organisation der von mir gewählten Fabrik, mit deren -Architektur, deren Arbeitseinteilung, mit den Maschinen, an denen ich -arbeiten würde, kurzum mit allen Einzelheiten. Zu diesem -Vorbereitungsstudium mußte ich gewisse Gebiete der Mechanik, der -Technik, ja sogar der mathematischen Analyse studieren. Die -Hauptschwierigkeit bestand für mich nicht in den Gegenständen selbst, -sondern in den Formeln. Die Lehrbücher und Anleitungen rechneten nicht -mit der weit niedrigeren Erdenkultur. Ich erinnerte mich daran, wie ich -als Kind gequält wurde, indem man mir ein französisches Lehrbuch der -Mathematik gab. Ich empfand für diesen Gegenstand eine ernsthafte -Vorliebe, und anscheinend auch eine ungewöhnliche Begabung. Die -Schwierigkeiten, die dem Anfänger meist so viel Kopfzerbrechen bereiten, -die Idee des »Grenzwertes« und der »Ableitung« machten mir so wenig -Mühe, als wären sie mir immer bekannt gewesen. Doch fehlten mir jene -logische Disziplin und das praktische Wissen, die von dem französischen -Professor vorausgesetzt wurden; das ganze Lehrbuch war dem Ausdruck nach -äußerst klar und genau, doch geizte es mit Erklärungen. Es gab hier -keine jener logischen Brücken, die sich ein Mensch von höherer -wissenschaftlicher Kultur selbst hinzudenken kann, die aber für den -jungen Asiaten vonnöten sind. Bisweilen dachte ich ganze Stunden lang -über irgendeine magische Reduktion nach, die auf die Worte folgte: »Wenn -wir unsere Aufmerksamkeit auf den vorangegangenen Vergleich richten, so -kommen wir zu dem Ergebnis ...« -- Derart war es mir damals ergangen, -und das gleiche empfand ich in noch verstärktem Maße beim Studium der -wissenschaftlichen Bücher des Mars. Die Illusion, die mich zu Beginn -meiner Krankheit irregeführt hatte, daß alles leicht und verständlich -sei, verschwand spurlos. Aber Netti hatte mir mit ihrer geduldigen Hilfe -stets zur Seite gestanden und mir den schweren Weg geebnet. - -Bald nach Nettis Abfahrt faßte ich meinen Entschluß und trat in den -Betrieb ein. Die Fabrik war ein riesenhaftes und äußerst kompliziertes -Unternehmen; sie glich nicht im geringsten unserer üblichen Vorstellung -von einer Kleiderfabrik. Hier waren Spinnerei, Weberei, das Zuschneiden, -Nähen und Färben der Kleider vereinigt, das Material jedoch, das zur -Verarbeitung gelangte, war weder Flachs, noch Baumwolle, noch -Pflanzenfasern überhaupt, noch Wolle, noch Seide, sondern etwas ganz -anderes. - -In der ersten Zeit verfertigten die Marsbewohner ihre Gewänder aus den -gleichen Stoffen wie wir; sie bauten jene Pflanzen an, deren Gewebe -diesem Zweck diente, schoren die wolletragenden Tiere, zogen ihnen die -Haut ab, züchteten eine besondere Art Spinnen, deren Gewebe die -Eigenschaften der Seide besaß usw. Die wirtschaftlichen Veränderungen -und die Vervollkommnung der Technik erforderten jedoch eine immer -größere Getreideproduktion. Die Pflanzenfasern wurden durch mineralische -Fasern ersetzt. Später wandten die Gelehrten alle Aufmerksamkeit der -Erforschung der Spinnengewebe zu, suchten nach einer Synthese neuer -Stoffe mit analogen Eigenschaften. Als ihnen dies gelungen war, erfolgte -auf diesem ganzen Gebiet eine gewaltige Umwälzung, und heute konnte man -die Gewebe des alten Typus nur noch in historischen Museen sehen. - -Unsere Fabrik war die wahrhafte Verkörperung dieser Umwälzung. Etliche -Mal im Monat wurde aus der zunächstgelegenen chemischen Fabrik auf dem -Schienenweg für die Spinnerei »Material« geliefert, das heißt: eine -durchsichtige Flüssigkeit in gewaltigen Zisternen. Aus diesen Zisternen -wurde vermittels besonderer luftdichter Apparate das Material in -ungeheure, hohe Metallreservoire geleitet, deren dichter Boden -hunderttausend mikroskopisch kleine Oeffnungen besaß. Durch diese -Oeffnungen gelangte die klebrige Flüssigkeit unter einen starken -Luftdruck und verhärtete sich zu zähen Fasern. Zehntausend mechanische -Spindeln erfaßten diese Fasern, spannen sie zu Fäden verschiedener -Dicke, schafften das Gespinst in die Webeabteilung. Hier wurden die -verschiedenen Stoffe gewebt, von den allerfeinsten, wie Musselin und -Batist, bis zu den dicksten, wie Tuch und Filz. Die endlosen breiten -Streifen gelangten nun weiter in die Zuschneidewerkstätte. Hier wurden -sie von neuen Maschinen gepackt, sorgfältig gefaltet, geschichtet, zu -genau ausgemessenen Stücken zerschnitten, zu Stücken, die die einzelnen -Teile des Gewandes bildeten. - -In der Schneiderwerkstatt wurden aus den zugeschnittenen Stücken fertige -Kleider hergestellt, jedoch ohne daß dabei Nadel, Faden oder Nähmaschine -angewandt worden wären. Durch einen chemischen Prozeß wurden die Ränder -der Kleidungsstücke erweicht und abermals in ihren ersten flüssigen -Zustand versetzt. Sobald die chemische Substanz verdunstete, waren die -Kleider gleichsam zusammengelötet, fester, als es bei der besten -Schneiderarbeit der Fall gewesen wäre. Diese Lötung wurde gleichzeitig -überall vollzogen, wo es nottat, so daß auf diese Art fertige Kleider -hergestellt wurden, und zwar in einigen tausend Mustern, der Form und -dem Maß nach verschieden. - -Es gab für jede Größe einige hundert Muster, aus denen ein jeder fast -immer das geeignete zu wählen vermochte, und dies umso mehr, als sich -die Marsbewohner äußerst ungezwungen kleideten. War dennoch das -Geeignete nicht vorhanden, wie etwa im Fall einer körperlichen -Unnormalität, so kam das Stück abermals unter die Zuschneidemaschine; es -wurde ein besonderer Anzug »genäht«, was etwa eine Stunde in Anspruch -nahm. - -Was die Farbe der Gewänder anbelangte, so trugen die Marsbewohner meist -dunkle weiche Farben, die dem Material entsprachen. Wurde jedoch eine -andere Farbe verlangt, so kam der Anzug in die Färbeabteilung und -erhielt vermittels eines chemisch-elektrischen Prozesses die gewünschte -Farbe, die ideal gleichmäßig und ideal dauerhaft war. - -Aus den gleichen, nur viel dickeren Geweben wurden das Schuhwerk und die -warmen Winterkleider hergestellt. Unsere Fabrik verfertigte diese nicht, -doch gab es andere, noch größere Betriebe, in denen alles verfertigt -wurde, was ein Mensch vom Kopf bis zu den Füßen an Bekleidung braucht. - -Ich arbeitete der Reihe nach in allen Abteilungen des Betriebes, ließ -mich anfangs völlig von meiner Arbeit hinreißen. Besonders interessant -erschien mir die Zuschneidewerkstatt; hier mußte ich bei meiner Arbeit -mir bisher unbekannte Hilfsmittel in Anspruch nehmen: die mathematische -Analyse. Die Aufgabe bestand darin, aus einem gegebenen Stück bei dem -geringstmöglichen Materialverlust alle Teile eines Anzugs zu gewinnen. -Dies war natürlich eine äußerst prosaische, aber auch ernste Sache, denn -selbst der geringste Irrtum, der sich im Verlauf der Arbeit viele -Millionen Mal wiederholte, bedeutete einen ungeheuren Verlust. Einen -erfolgreichen Entschluß zu fassen, gelang mir meist »nicht schlechter« -als andern. - -Nicht »schlechter« zu arbeiten als die anderen, das strebte ich aus -allen Kräften an, und fast immer mit einem gewissen Erfolg. Doch mußte -ich bemerken, daß dies für mich eine weit größere Anstrengung bedeutete -als für meine Kameraden. Nach den gewöhnlichen vier bis sechs -Arbeitsstunden -- die Erdenberechnung als Grundlage genommen -- fühlte -ich heftige Erschöpfung und mußte sofort rasten, während die andern noch -in Museen, Bibliotheken, Laboratorien gingen oder aber in andere -Fabriken, um dort die Arbeit zu beobachten, bisweilen auch noch selbst -mitzuarbeiten ... - -Ich hoffte, mich allmählich an die neue Arbeit zu gewöhnen und meinen -Genossen gleich zu werden. Doch geschah dies nicht. Ich überzeugte mich -immer mehr davon, daß mir die _Kultur der Aufmerksamkeit_ fehle. -Körperliche Bewegungen wurden äußerst wenig erfordert, und was deren -Schnelligkeit und Gewandtheit anbelangte, so stand ich nicht hinter den -anderen zurück, ja, ich übertraf sie sogar. Aber die ununterbrochene -aufmerksame Beobachtung der Maschine und des Materials fiel meinem -Gehirn ungeheuer schwer: diese Fähigkeit vermag sich offensichtlich erst -im Verlauf einiger Generationen zu jener Stufe zu entwickeln, die hier -als Durchschnitt und völlig alltäglich erscheint. - -Wenn mich, und dies war meist am Ende des Arbeitstages der Fall, -Erschöpfung ankam und meine Aufmerksamkeit nachließ, ich Fehler beging -oder auf eine Sekunde die Ausführung einer Arbeit unterließ, brachte die -unermüdliche, unbeirrte Hand meines Nachbarn die Sache immer in Ordnung. - -Die merkwürdige Fähigkeit dieser Menschen, alles ringsum zu beobachten, -ohne dabei auch nur im geringsten die eigene Arbeit zu vernachlässigen, -versetzte mich in Erstaunen und reizte mich sogar. Ihre Fürsorge störte -mich nicht nur, nein, sie rief in mir auch Aerger und Ungeduld wach; -erregte in mir das Gefühl, als ob alle ununterbrochen meine Tätigkeit -verfolgten ... Diese Unruhe verstärkte noch meine Zerstreutheit und ließ -mich schlechter arbeiten. - -Heute, nach langer Zeit, da ich genau und leidenschaftslos an all dies -zurückdenke, sehe ich ein, daß ich es damals falsch aufgefaßt habe. Mit -der gleichen Fürsorge und auf dieselbe Art halfen meine Genossen in der -Fabrik einander. Ich war keineswegs der Gegenstand irgendeiner -ausschließlichen Aufsicht oder Kontrolle, wie es mich damals dünkte. Ich -selbst, der Mensch aus einer individualistischen Welt, sonderte mich von -den übrigen ab und verkannte auf krankhafte Art ihre Güte und ihre -kameradschaftlichen Dienste, für die sie, die Menschen einer -kameradschaftlichen Welt, von mir nicht gewürdigt werden konnten. - - - Enno - -Der lange Herbst war vorüber, nun beherrschte bereits der schneearme, -aber kalte Winter unsere Gegend, die nördliche Mitte der Halbkugel. Die -kleine Sonne wärmte gar nicht mehr und leuchtete noch weniger als zuvor. -Die Natur warf die hellen Farben ab, erschien fahl und streng. Die Kälte -schlich sich ins Herz, der Zweifel in die Seele ein, und die Einsamkeit -des Sprößlings aus einer anderen Welt wurde immer qualvoller. - -Ich suchte Enno auf, die ich seit langer Zeit nicht gesehen hatte. Sie -empfing mich wie einen ihr nahestehenden lieben Menschen; mir war, als -durchbreche das strahlende Licht der nahegelegenen Vergangenheit die -Winterkälte und die Nacht der Sorgen. Dann aber bemerkte ich, daß auch -sie blaß und von Kummer erschöpft zu sein schien. In ihrem Verhalten und -ihren Worten lag verborgener Gram. Wir hatten einander viel zu sagen, -und einige Stunden vergingen für mich angenehm und gut, wie dies seit -Nettis Abfahrt nicht mehr gewesen war. - -Als ich mich erhob, um heimzukehren, wurde uns beiden schwer ums Herz. - -»Wenn Ihre Arbeit Sie nicht hier festhält, so kommen Sie mit mir«, sagte -ich. - -Enno ging sofort auf meinen Vorschlag ein. Sie nahm ihre Arbeit mit. Zu -jener Zeit hatte sie nichts im Observatorium zu tun, trug einen -ungeheuren Vorrat von Berechnungen zusammen, und wir begaben uns in die -chemische Stadt, wo ich Mennis Wohnung allein bewohnte. Allmorgendlich -fuhr ich in meine Fabrik, die sich hundert Kilometer, also eine halbe -Wegstunde, entfernt befand. Die langen Winterabende verbrachte ich von -nun an mit Enno; wir beschäftigten uns mit wissenschaftlichen Arbeiten, -plauderten oder unternahmen Spaziergänge in die Umgebung. - -Enno erzählte mir ihre Geschichte. Sie liebte Menni und war dessen Frau -gewesen. Es verlangte sie sehnlichst danach, von ihm ein Kind zu haben, -aber Jahr um Jahr verstrich, ohne daß ihr Wunsch in Erfüllung ging. Sie -wandte sich an Netti um Rat. Diese erforschte alle Umstände und gelangte -zu dem kategorischen Ausspruch, daß Enno von Menni niemals ein Kind -haben werde. Menni hatte sich allzu spät vom Knaben zum Mann entwickelt -und allzu früh das anstrengende Leben eines Gelehrten und Denkers zu -führen begonnen. Die übertriebene Tätigkeit seines Gehirnes und dessen -außerordentliche Entwicklung hatten von allem Anfang an die lebendigen -Elemente der Vermehrung zerstört und erdrückt; dies war nicht mehr gut -zu machen. - -Nettis Urteil bedeutete einen furchtbaren Schlag für Enno, bei der die -Liebe zu dem genialen Menschen und der starke Mutterinstinkt zu einem -Streben verschmolzen waren, das sich nun als hoffnungslos erwies. - -Doch war dies noch nicht alles: Nettis Untersuchungen führten auch zu -einem zweiten Ergebnis. Es zeigte sich, daß für Mennis gigantische -geistige Arbeit, für die Entwicklung seiner genialen Fähigkeiten die -größte Enthaltsamkeit vonnöten sei, daß er sich so wenig wie möglich den -Liebkosungen der Liebe hingeben dürfe. Enno fühlte sich verpflichtet, -Nettis Rat zu befolgen und konnte sich bald von dessen Richtigkeit -überzeugen. Menni war wie neubelebt, er arbeitete mit größerer Energie -als je zuvor, neue Pläne entstanden mit außergewöhnlicher Schnelligkeit -in seinem Kopfe, er führte sie mit Erfolg durch und schien -offensichtlich nichts zu entbehren. Enno, der ihre Liebe teuerer war als -das Leben, die aber das Genie des geliebten Menschen noch höher wertete -als ihre Liebe, zog die Folgen dieser Erkenntnis. - -Sie trennte sich von Menni. Dieser war im Anfang äußerst erzürnt, fand -sich jedoch bald mit der Tatsache ab. Der wahre Grund des Bruches war -ihm vielleicht unbekannt. Enno und Netti hielten ihn geheim, doch konnte -man freilich nicht sicher wissen, ob nicht Mennis durchdringender -Verstand die Ursache erraten habe. Für Enno aber war nun das Leben so -unsäglich leer, das Unterdrücken ihrer Gefühle quälte sie derart, daß -die junge Frau schon nach kurzer Zeit beschloß, Selbstmord zu begehen. - -Netti, an die sich Enno gewandt hatte, schob die Tat, die sie verhindern -wollte, unter verschiedenen Vorwänden immer wieder hinaus und -benachrichtigte schließlich Menni. Dieser organisierte damals gerade die -Expedition nach der Erde und sandte sofort eine Aufforderung an Enno, -sie möge sich diesem bedeutsamen und gefährlichen Unternehmen -anschließen. Es war schwer, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten; -Enno nahm sie an. Eine Unmenge neuer Eindrücke halfen ihr, den -Seelenschmerz zu überwinden, und zur Zeit der Rückkehr auf den Mars -vermochte sie sich bereits so weit zu beherrschen, um als der heitere, -junge Dichter zu erscheinen, den ich auf dem Aetheroneff kennen gelernt -hatte. - -An der neuen Expedition hatte Enno nicht teilgenommen, weil sie -fürchtete, sich allzu sehr an Mennis Gegenwart zu gewöhnen. Aber die -Angst um dessen Schicksal folterte sie in ihrer Einsamkeit, denn sie -kannte genau die große Gefahr des Unternehmens. An den langen -Winterabenden kreisten unsere Gedanken und Worte beständig um den einen -Punkt des Weltalls: um jenen, wo unter der Glut der gigantischen Sonne, -unter dem sengenden Hauch des Windes, die beiden uns liebsten Wesen mit -fieberhafter Energie ihre titanisch kühne Arbeit verrichteten. Dieser -gemeinsame Gedanke und die gleichartige Stimmung brachte uns einander -sehr nahe. Enno war mir mehr als eine Schwester. - -Schier selbstverständlich, ohne Kampf und ohne Erschütterungen führte -unsere Freundschaft zu einem Liebesverhältnis. Die unbeirrbar ehrliche -und gütige Enno wich dieser Entwicklung nicht aus, wenngleich sie sie -nicht angestrebt hatte. Sie beschloß nur, von mir kein Kind zu haben ... -Der Schatten einer leisen Trauer verdunkelte ihre Liebkosungen, -- die -Liebkosungen einer zärtlichen Freundschaft, die alles gestattet ... - -Der Winter breitete seine kalten weißen Flügel über uns, -- der lange -Marswinter, ohne Tau, ohne Winde und Schneestürme, ruhig, starr wie der -Tod. Wir beide fühlten kein Verlangen, nach dem Süden zu fliegen, wo um -diese Zeit die Sonne glühte und die Natur ihr leuchtendes Gewand -angelegt hatte. Enno sehnte sich nicht nach einer derartigen Natur, die -so schlecht mit ihrer Stimmung harmoniert hätte, und ich floh fast vor -neuen Menschen und neuen Umgebungen, denn die Gewöhnung an diese würde -neue nutzlose Arbeit gefordert, neue Erschöpfung verursacht haben; ich -näherte mich ohnehin nur gar langsam meinem Ziel. Unserer Freundschaft -eignete etwas seltsam Gespenstisches -- Liebe, die Herrschaft des -Winters, Sorgen und angstvolle Erwartung ... - - - Bei Nella - -Enno war seit ihrer frühesten Jugend mit Netti befreundet gewesen und -wußte mir über sie viel zu erzählen. Während eines unserer Gespräche -wurden Nettis und Sternis Namen in einer gewissen Verbindung genannt, -die mir merkwürdig erschien. Als ich darauf eine direkte Frage stellte, -überlegte Enno eine Weile, wurde schier verwirrt und erwiderte -schließlich: - -»Netti war früher Sternis Frau. Wenn sie Ihnen dies nicht gesagt hat, so -steht mir kein Recht zu, darüber zu reden. Ich beging offensichtlich -einen Irrtum und Sie dürfen mich nicht weiter befragen.« - -Das Vernommene erschütterte mich seltsam ... Eigentlich war es ja nichts -Neues, Unerwartetes ... Ich hatte niemals angenommen, daß ich Nettis -erster Mann sei. Es wäre Torheit gewesen, zu glauben, daß eine -lebensvolle, gesunde Frau mit schönem Leib und schöner Seele, das Kind -einer freien, hochkultivierten Rasse, bis zu unserer Begegnung ohne -Liebe gelebt habe. Weshalb also meine unbegreifliche Verblüffung? Ich -vermochte keine Erklärung dafür zu finden, kannte bloß ein Gefühl: ich -müsse alles erfahren, alles genau und klar wissen. Enno zu befragen, -ging offensichtlich nicht an. Ich erinnerte mich an Nella. - -Netti hatte vor ihrer Abfahrt zu mir gesprochen: »Vergiß Nella nicht; -suche sie auf in deinen schweren Augenblicken.« Ich hatte schon mehr als -einmal daran gedacht, zu Nella zu gehen, war aber zum Teil durch meine -Arbeit, zum Teil durch die unklare Angst vor den Hunderten von -neugierigen Kinderaugen zurückgehalten worden. Jetzt jedoch schwand -jegliche Unentschlossenheit; noch am gleichen Tag begab ich mich nach -dem Haus der Kinder, in die große Maschinenstadt. - -Nella ließ sogleich ihre Arbeit liegen, bat eine der Erzieherinnen, sie -zu vertreten und führte mich in ihre Stube, wo uns die Kinder nicht -stören würden. - -Ich beschloß, ihr nicht sofort den Zweck meines Besuches zu bekennen, -umsomehr, als mir dieser Zweck auch selbst nicht recht vernünftig und -ganz richtig erschien. Es war ja vollkommen natürlich, daß ich das -Gespräch auf jenes Wesen lenkte, das uns beiden das teuerste war, und -dann den günstigsten Augenblick für meine Frage abwartete. Nella -erzählte voller Eifer von Netti, deren Kindheit und Jugend. - -Ihre ersten Lebensjahre hatte Netti bei der Mutter verbracht, wie dies -auf dem Mars allgemein üblich war. Als dann die Zeit kam, da Netti ins -Haus der Kinder gebracht werden mußte, damit sie nicht den -erzieherischen Einfluß des Umgangs mit anderen Kindern entbehre, brachte -es Nella nicht übers Herz, sich schon von ihr zu trennen und lebte mit -ihr zusammen in dieser Anstalt, wo sie dann schließlich als Erzieherin -blieb. Das ergab sich zum Teil aus ihrem Spezialstudium: sie hatte sich -vornehmlich mit Psychologie befaßt. - -Netti war ein lebhaftes, energisches, wildes Kind mit großem Wissens- -und Tatendurst. Am meisten interessierte und zog sie die geheimnisvolle -astronomische Welt jenseits des Planeten an. Die Erde, die zu erreichen -damals noch nicht gelungen war, und deren unbekannte Menschheit waren -Nettis Lieblingstraum, das Hauptthema ihrer Gespräche mit den anderen -Kindern und den Erwachsenen. - -Als der Bericht über Mennis erste erfolgreiche Expedition nach der Erde -veröffentlicht wurde, verlor das kleine Mädchen vor Freude und Entzücken -fast den Verstand. Die kleine Netti kannte Mennis Bericht Wort für Wort -auswendig und quälte die Mutter sowie die Erzieherinnen ewig mit Fragen -über die ihr unverständlichen technischen Ausdrücke, die in dem Bericht -vorkamen. Netti verliebte sich in Menni, ohne ihn zu kennen, schrieb ihm -einen begeisterten Brief, flehte ihn unter anderem an, er möge sie zu -den Erdenkindern bringen, denen keine Erziehung zu Teil werde, sie -übernehme es, diese auf vortreffliche Art zu erziehen. Sie schmückte ihr -Zimmer mit Erdenbildern und den Porträts der Erdenmenschen und stürzte -sich auf das Studium der Erdensprachen, sobald die dazu nötigen Bücher -erschienen waren. Sie entrüstete sich über die Gewalt, mit der Menni und -dessen Gefährten dem ersten Erdenmenschen begegnet waren: sie hatten ihn -gefangen genommen, damit er ihnen beim Erlernen der Erdensprachen -behilflich sei; zur gleichen Zeit jedoch bedauerte sie heftig, daß Menni -und die seinen bei der Rückkehr in die Heimat den Erdenmenschen -freigelassen und nicht nach dem Mars mitgenommen hatten. Sie faßte den -festen Entschluß, eines Tages nach der Erde zu fliegen, und auf die -Scherze der Mutter, sie würde sich dort sicher mit einem Erdenmenschen -verheiraten, entgegnete sie sinnend: »Das ist sehr möglich.« - -All diese Dinge hatte mir Netti niemals erzählt; in ihren Gesprächen -schien sie vielmehr der Vergangenheit auszuweichen. Selbstverständlich -konnte niemand, nicht einmal sie selbst, jene Dinge besser berichten, -als Nella. Bisweilen vergaß ich völlig meine Person, sah vor mir das -reizende kleine Mädchen mit den großen funkelnden Augen und der -rätselhaften Sehnsucht nach der fernen, fernen Welt ... Doch verging -diese Stimmung rasch, das Bewußtsein meiner Umgebung kehrte zurück und -damit auch die Erinnerung an den Zweck unseres Gesprächs; von neuem -drang eisige Kälte in meine Seele. - -Als sich das Gespräch den letzten Jahren aus Nettis Leben zuwandte, -beschloß ich, meine Frage zu stellen, mich so ruhig und ungezwungen wie -nur möglich nach Nettis und Sternis Verhältnis zu erkundigen. Nella -dachte einen Augenblick lang nach. - -»Also deshalb suchten Sie mich auf! ... Weshalb sagten Sie es nicht -gerade heraus?« - -Unerbittliche Strenge klang aus ihrer Stimme. Ich schwieg. - -»Selbstverständlich kann ich es Ihnen erzählen«, fuhr sie fort. »Es ist -eine ganz einfache Geschichte. Sterni war einer von Nettis Lehrern. Er -hielt den Jüngeren Vorträge über Mathematik und Astronomie. Als er von -seiner ersten Expedition nach der Erde zurückkehrte, -- ich glaube, dies -war Mennis zweite Expedition, -- hielt er eine Reihe Vorträge über -diesen Planeten und dessen Bewohner. Netti zählte zu seinen ständigen -Hörern. Die Geduld und Aufmerksamkeit, mit der er ihren ewigen Fragen -begegnete, brachte die beiden einander näher. Schließlich führte all -dies zu ihrer Verbindung. Beide waren grundverschiedene Charaktere. Das -Ergebnis der Verschiedenheit zeigte sich bald auch in ihrem Privatleben, -führte zur Entfremdung und schließlich zum Bruch. Das ist alles.« - -»Sagen Sie mir, wann kam es zum Bruch?« - -»Zum endgültigen Bruch kam es nach Lettas Tode. Die innige Freundschaft -zwischen Netti und Letta gab dazu den ersten Anstoß. Netti litt unter -Sternis analytisch kaltem Verstand; er zerstörte allzu systematisch und -hartnäckig alle Luftschlösser, alle Phantasien des Geistes und des -Gefühls, die für sie einen Teil des Lebens bedeuten. Unwillkürlich -suchte sie nach einem Menschen, der sich diesen Dingen gegenüber anders -verhielt. Und dem alten Letta eigneten ein selten teilnahmsvolles Herz -sowie ein schier kindlicher Enthusiasmus. Netti suchte in ihm jenen -Gefährten, dessen sie bedurfte: Letta hatte mit ihren Phantasien nicht -nur Geduld, sondern ließ sich auch häufig selbst von ihnen fortreißen. -Bei ihm konnte sie von der strengen selbstzerfleischenden Kritik Sternis -Erholung finden. Letta liebte gleich ihr die Erdenträume und Phantasien, -glaubte an die künftige Verbindung der beiden Welten, die eine herrliche -Blüte und eine gewaltige Lebenspoesie zur Folge haben würde. Als dann -Netti erfuhr, daß ein Mensch, in dessen Seele derartige Gefühle -verborgen lagen, niemals Frauenliebe und Zärtlichkeit kennen gelernt -habe, konnte sie sich damit nicht abfinden. Auf diese Art kam Nettis -zweiter Bund zustande.« - -»Einen Augenblick«, unterbrach ich sie. »Verstehe ich Sie recht, Sie -sagten, Netti sei Lettas Frau gewesen?« - -»Ja«, erwiderte Nella. - -»Sie sagten aber doch, daß der endgültige Bruch mit Sterni erst nach -Lettas Tode erfolgte.« - -»Ja; erscheint Ihnen dies unbegreiflich?« - -»Nein, ich verstehe Sie, wußte bloß nicht darum.« - -In diesem Augenblick wurde unser Gespräch unterbrochen. Eines der Kinder -hatte einen nervösen Anfall erlitten und einer der Schüler rief Nella. -Ich blieb eine Zeitlang allein. Die Gedanken wirbelten durch meinen -Kopf; mir war so seltsam zumute, daß ich dies in Worten nicht -auszudrücken vermag. Weshalb eigentlich? Es war doch nichts Besonderes -vorgefallen. Netti war ein freier Mensch, hatte als freier Mensch -gehandelt. Letta ist ihr Mann gewesen? Ich hatte ihn stets verehrt, für -ihn warme Zuneigung empfunden, hätte ihn selbst dann geliebt, wenn er -sich nicht für mich geopfert haben würde. Netti war also gleichzeitig -mit zwei Genossen verheiratet gewesen? Ich hatte immer gefunden, daß die -Monogamie in unserer Welt ausschließlich den wirtschaftlichen -Bedingungen entspringe, die den Menschen bei jedem Schritt begrenzen und -hemmen. Hier existierten diese Bedingungen nicht, auf dem Mars -herrschten andere Verhältnisse, die dem persönlichen Gefühl und den -persönlichen Verbindungen keine Fesseln anlegten. Woher kam aber meine -Erregung und der unbegreifliche Schmerz, über den ich aufschreien, dann -aber wieder lachen hätte mögen? Konnte ich das, was ich _dachte_, nicht -auch _fühlen_? Anscheinend nicht. Und mein eigenes Verhältnis zu Enno? -Wo blieb da meine Logik? Und was bin ich eigentlich? Welch törichte -Stimmung! - -Ach ja, und auch dies berührte mich peinlich: weshalb hatte Netti nicht -mit mir darüber gesprochen? Wie viele Geheimnisse, wie viel Betrug -umgeben mich noch? Wie viele harren meiner in der Zukunft? Aber nein, -auch dies stimmt nicht! Geheimnisse, ja, aber kein Betrug. Ist aber -nicht auch schon das Geheimnis ein Betrug? - -Derartige Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, als sich die Tür öffnete -und Nella zurückkam. Sie las augenscheinlich von meinen Zügen ab, wie -schwer mir ums Herz war, denn der Ton, mit dem sie sich an mich wandte, -war frei von Strenge und Kälte. - -»Es ist natürlich schwer«, meinte sie, »sich an die völlig fremden -Lebensbedingungen und an die Sitten einer anderen Welt zu gewöhnen, mit -der Sie keine Blutsverwandtschaft verbindet. Sie haben bereits in dieser -Beziehung manchen Sieg errungen, finden Sie sich nun auch in diese -Dinge. Netti glaubt an Sie, und mir scheint, daß sie recht hat. Ist etwa -Ihr Vertrauen zu Netti, Ihr Glaube an sie schwankend geworden?« - -»Weshalb verbarg sie diese Tatsache vor mir? Wo blieb da ihr Glaube? Ich -begreife sie nicht.« - -»Ich weiß nicht, weshalb sie so handelte. Doch bin ich davon überzeugt, -daß sie hierfür gewichtige und edle Gründe hatte, es keineswegs aus -kleinlichen Motiven tat. Vielleicht vermag Sie dieser Brief aufzuklären. -Sie ließ ihn mir für den Fall zurück, daß wir ein derartiges Gespräch -führen sollten, wie wir es heute taten.« - -Der Brief war in meiner Muttersprache geschrieben, die Netti so gut -beherrschte. Ich las folgendes: - -»Mein Lenni! Ich sprach niemals mit Dir über meine früheren persönlichen -Verhältnisse, doch geschah es keineswegs deshalb, weil ich Dir -irgendetwas aus meinem Leben verheimlichen wollte. Ich vertraue fest auf -Deinen klaren Kopf und Dein edles Herz; zweifle gar nicht daran, daß Du, -wie auch immer fremd und ungewohnt unsere Sitten für Dich sein mögen, -sie zu verstehen und richtig zu werten vermagst. - -Eines jedoch fürchtete ich ... Nach der Krankheit kehrte Deine -Arbeitskraft rasch zurück, jenes seelische Gleichgewicht hingegen, von -dem in jeder Minute die Selbstbeherrschung in Wort und Tat abhängt, hast -Du noch nicht völlig wiedererlangt. Würdest Du Dich, beeinflußt vom -Augenblick und von der elementaren Gewalt, die in der Tiefe jeder -Menschenseele verborgen liegt, mir gegenüber wie gegen eine schlechte -Frau verhalten, die sich aus der Vergewaltigung und Sklaverei der alten -Welt befreit hat -- Du würdest es Dir selbst niemals verzeihen. Ja, -Teuerster, ich weiß es, Du bist gegen Dich selbst streng, bisweilen -sogar grausam -- diesen Zug brachtest Du aus Eurer harten Schule mit, -aus den jahrhundertealten Kämpfen der Erdenwelt -- eine einzige Sekunde -böser, schmerzlicher Entzweiung würde genügen, um in Deinem Herzen auf -unsere Liebe für immer einen dunklen Schatten zu werfen. - -Mein Lenni, ich will und kann Dich beruhigen. Möge in Deiner Seele ewig -schlummern und niemals erwachen jenes böse Gefühl, das in die Liebe zu -einem Menschen die Unruhe und Sorge um ein lebendiges Eigentum mischt. -Ich werde _keine persönlichen_ Verhältnisse mehr haben. Das vermag ich -Dir leicht und mit Bestimmtheit zu versprechen, weil im Vergleich zu -meiner Liebe für Dich, zu dem leidenschaftlichen Wunsch, Dir bei Deiner -großen lebendigen Aufgabe zu helfen, alles andere gering und nichtig -erscheint. Ich liebe Dich nicht nur wie eine Gattin, sondern auch wie -eine Mutter, die ihr Kind in ein neues und ihm fremdes Leben einführt, -das voller Gefahren und Mühen ist. Diese Liebe aber ist stärker und -tiefer, als irgendeine andere Liebe zwischen Mensch und Mensch. Deshalb -bedeutet auch mein Versprechen kein Opfer. - - Auf Wiedersehen, mein teueres, geliebtes Kind, - Deine Netti.« - -Als ich den Brief zu Ende gelesen hatte, blickte mich Nella fragend an. - -»Sie hatten Recht«, sprach ich und küßte ihr die Hand. - - - Auf der Suche - -Der oben geschilderte Vorfall ließ in meiner Seele das Gefühl tiefster -Demütigung zurück. Noch weit schmerzlicher als früher empfand ich die -Ueberlegenheit meiner Umgebung, in der Fabrik und überall. Zweifellos -übertrieb ich diese Ueberlegenheit sowie das Gefühl der eigenen -Schwäche. Ich begann in der mich umgebenden Dienstbereitschaft und -Fürsorge eine leichte Färbung halb verächtlicher Herablassung zu sehen, -in der vorsichtigen Zurückhaltung meiner Arbeitsgefährten eine heimliche -Abneigung gegen das niedrigere Wesen. In einer derartigen Stimmung -verlor ich die Fähigkeit genauer Beobachtung und richtiger Wertung. - -In allen anderen Beziehungen blieben meine Gedanken klar, arbeiteten nun -vor allem an dem Problem, das sich auf Nettis Abreise bezog. Ich fühlte -immer stärker die Ueberzeugung, daß es für Nettis Teilnahme an der -Expedition ein mir noch unbekanntes Motiv gab, eines, das stärker und -gewichtiger war, als jene, die sie mir gegenüber vorgebracht hatte. Der -neue Beweis von Nettis Liebe und von der ungeheueren Bedeutung, die sie -meiner Mission, die zwei Welten einander nahe zu bringen, beilegte, -bestärkte mich in der Annahme, daß sie sich ohne zwingende Gründe nicht -entschlossen haben würde, mich für lange Zeit auf dem tiefen, durch -Sandbänke und Klippen gefahrvollen Meer des fremden Lebens allein zu -lassen, mußte doch ihr heller und scharfer Verstand besser als jeder -andere begreifen, welche Gefahren mich hier bedrohten. Es gab _etwas_, -um das ich nicht wußte, doch war ich fest überzeugt, dieses Etwas stehe -in enger Verbindung mit mir, und es sei nötig, um jeden Preis zu -erfahren, worum es sich handle. - -Ich beschloß, systematisch Nachforschungen anzustellen. Es fielen mir -Beobachtungen ein, zu denen mich einige zufällige und unwillkürliche -Andeutungen Nettis veranlaßt hatten: der beunruhigte Ausdruck, der auf -ihrem Gesicht lag und mich in Erstaunen versetzte, sobald die Rede auf -die Kolonialexpeditionen kam; ich begann zu ahnen, daß Netti sich zu -unserer Trennung nicht erst damals entschlossen hatte, als sie mir davon -sprach, sondern bereits weit früher, schon in den ersten Tagen unserer -Vereinigung. Demnach mußte der Grund aus jener Zeit stammen. Wo aber war -er zu suchen? - -Er konnte eine rein persönliche Angelegenheit Nettis sein, konnte aber -auch mit der besonderen Bedeutung der Expedition zusammenhängen. Die -erste Annahme erschien mir, nachdem ich Nettis Brief gelesen hatte, -unwahrscheinlich. Vor allem galt es also, die Einzelheiten zu -erforschen, mit jenen zu beginnen, die die Geschichte dieser -Expeditionen zu erklären vermochten. - -Es verstand sich von selbst, daß die Expedition auf den Beschluß der -»Kolonialgruppe« zurückzuführen war. -- Diesen Namen trug -die Vereinigung jener Arbeiter, die aktive Teilnehmer der -interplanetarischen Reisen waren, zusammen mit dem Vorsitzenden des -Zentralen statistischen Bureaus und jener Fabriken, die die Aetheroneffs -herstellten, sowie alle für die Expedition unentbehrlichen Mittel. Ich -wußte, daß die letzte Sitzung der »Kolonialgruppe« während meiner -Krankheit stattgefunden hatte. Menni und Netti hatten an ihr -teilgenommen. Damals befand ich mich bereits auf dem Wege der Genesung, -langweilte mich ohne Netti und verlangte, ebenfalls der Sitzung -beizuwohnen. Netti jedoch erwiderte, dies wäre gefährlich für meine -Gesundheit. Hing diese »Gefahr« vielleicht von etwas ab, das ich nicht -wissen durfte? Ich mußte demnach das Protokoll der Sitzung lesen, dort -alles suchen, was mit dieser Frage in Zusammenhang stehen konnte. - -Doch stieß ich bereits hier auf Schwierigkeiten. In der -Kolonialbibliothek wurde mir nur die auf der Sitzung gefaßte Resolution -vorgelegt. In dieser Resolution wurde bis in alle Einzelheiten die ganze -Organisation des grandiosen Unternehmens geschildert, doch fand ich -nirgends das, was mich im Augenblick interessierte. Ich erhielt auf -meine Fragen keine Antwort. Die Resolution wurde ohne jedes Motiv -wiedergegeben, ohne irgendeinen Hinweis auf die Ausführungen, die ihr -vorangegangen waren. Als ich dem Bibliothekar erklärte, ich wolle das -Protokoll, erwiderte er, das Protokoll werde nicht veröffentlicht, -außerdem würden detaillierte Protokolle überhaupt nicht geführt, wie -dies auch bei den technischen Sitzungen der Fall sei. - -Auf den ersten Blick erschien mir dies richtig. Die Marsbewohner -veröffentlichten meist nur die »_Beschlüsse_« dieser Sitzungen, sie -nahmen an, daß jede dort geäußerte verständige und nützliche Ansicht, -sowie gegenteilige Meinungen und Auffassungen besser in Artikeln, -Broschüren, Büchern usw. verfochten werden konnten, als in einer kurzen -Rede. Ueberhaupt behagte es den Marsbewohnern nicht, die »Literatur« -übermäßig zu vermehren und man suchte bei ihnen vergeblich etwas, das -unserer »Arbeitskommission« gleichkam; sie bemühten sich, alles so wenig -umfangreich wie möglich zu gestalten. Im gegebenen Fall jedoch schenkte -ich den Worten des Bibliothekars keinen Glauben. Auf dieser Sitzung -hatte es sich um große und gewichtige Dinge gehandelt, als daß man sie -der öffentlichen Beurteilung hätte entziehen können, wie das bei den -gewöhnlichen technischen Fragen der Fall war. - -Ich versuchte selbstverständlich mein Mißtrauen zu verbergen, um -keinerlei Verdacht zu erregen, vertiefte mich ergeben in das mir -gewährte Material und entwickelte unterdessen den Plan meines weiteren -Vorgehens. - -Es war offensichtlich, daß ich von den Büchern der Bibliothek nicht jene -erhalten würde, deren ich bedurfte; entweder gab es über diese -Angelegenheit gar kein Protokoll, oder aber der Bibliothekar war auf -meine Fragen vorbereitet gewesen und versteckte es vor mir. Doch blieb -noch die Phonographen-Abteilung der Bibliothek übrig. - -Dort konnten auch jene Protokolle, die nicht zur Veröffentlichung -freigegeben wurden, gefunden werden. Der Phonograph ersetzte bei den -Marsbewohnern häufig die Stenographie, und in den Archiven wurden viele -phonographische Platten der verschiedenen wichtigen Versammlungen -aufbewahrt. - -Ich benützte den Augenblick, da der Bibliothekar in seine Arbeit -vertieft war und verfügte mich unbemerkt in die Phonographen-Abteilung. -Dort erbat ich von dem diensthabenden Genossen den Katalog der Platten. -Er gab ihn mir. - -Aus dem Katalog ersah ich gar bald die Nummer der Platte der mich -interessierenden Sitzung und ich begab mich unter dem Vorwand, daß ich -den Genossen nicht belästigen wolle, selbst auf die Suche. Auch hier -errang ich einen Erfolg. - -Es gab von dieser Sitzung fünfzehn Phonogramme. An jeder der Platten war -entsprechend dem hier üblichen Brauch ein Inhaltsverzeichnis befestigt. -Ich studierte rasch diese Verzeichnisse. - -Die fünf ersten waren den Berichten über die Expedition gewidmet, -stammten noch aus einer früheren Sitzung und beschäftigten sich mit -technischen, den Aetheroneff betreffenden Fragen. - -Die Ueberschrift der vierten Platte lautete: - -»Vorschlag des Zentralen statistischen Bureaus für den Uebergang zur -Massenkolonisation. Wahl der Planeten -- Erde oder Venus. Reden und -Vorschläge Sternis, Nettis, Mennis und anderer. Beschluß zu Gunsten der -Venus.« - -Ich fühlte, dies sei, was ich suche und steckte die Platte in den -Apparat. Was ich nun vernahm, schnitt mir für ewige Zeiten in die Seele. -Es war Folgendes. - -Menni eröffnete die Sitzung als Vorsitzender des Kongresses. Als erster -ergriff der Vorsitzende des Zentralen statistischen Bureaus das Wort. - -Er bewies auf Grund genauer Zahlen, daß bei der gegebenen Vermehrung der -Bevölkerung und der Steigerung ihrer Bedürfnisse selbst für den Fall, -daß die Marsbewohner die Ausbeutung ihres Planeten einschränkten, in -etwa dreißig Jahren ein Mangel an Lebensmitteln eintreten müsse. Dieser -Gefahr vermöchte freilich die Entdeckung der Synthese des Eiweiß aus -unorganischen Stoffen zu begegnen, doch könne niemand dafür bürgen, daß -diese Entdeckung in den nächsten dreißig Jahren gemacht würde. Deshalb -sei es unbedingt nötig, daß die Kolonialgruppe von den rein -wissenschaftlichen Expeditionen nach anderen Planeten zur Organisation -einer Massenauswanderung der Marsbewohner übergehe. In Frage kämen zwei -vom Mars aus erreichbare Planeten, beide reich an Naturschätzen. Es -müsse schleunigst beschlossen werden, welcher der beiden als Zentrum der -Kolonisation zu wählen sei, damit dann sofort an die Ausarbeitung des -Planes gegangen werden könne. - -Menni stellte die Frage, ob jemand gegen den Antrag des Redners oder -gegen dessen Motivierung etwas einzuwenden habe. Doch verlangte niemand -das Wort. - -Dann warf Menni die Frage auf, welcher Planet als erster für die -Massenkolonisation gewählt werden solle. - -Sterni ergriff das Wort. - - - Sterni - -»Die erste, von dem Vorsitzenden des Zentralen statistischen Bureaus -gestellte Frage«, hub Sterni in seinem üblichen, mathematisch nüchternen -Ton an, »bezieht sich auf die Wahl des zu kolonisierenden Planeten. -Meiner Ansicht nach bedarf es hier gar keiner Entscheidung, denn die -Wahl wurde schon längst von der Wirklichkeit getroffen. Es hat gar -keinen Sinn, zwischen den zwei Planeten wählen zu wollen, denn von den -beiden uns erreichbaren ist für die Massenkolonisation bloß der eine -geeignet: und zwar die Erde. Wir besitzen über die Venus eine -ausführliche Literatur, mit der Sie alle selbstverständlich gut bekannt -sind. Das Ergebnis aller unserer Versammlungen und Beratungen war stets -das gleiche: es ist uns unmöglich, in diesem Augenblick von der Venus -Besitz zu ergreifen. Ihre versengende Sonne erschöpft und schwächt -unsere Kolonisten, ihre furchtbaren Stürme und Gewitter zerstören unsere -Bauten, schleudern unsere Aeroplane in den Raum, zerschmettern sie an -den riesenhaften Bergen. Mit ihren Ungeheuern vermöchten wir, freilich -um den Preis nicht geringer Opfer, fertig zu werden; aber ihre -unglaublich reiche Bakterienwelt, mit der wir noch ungenügend bekannt -sind -- wie viele neue Krankheiten vermag diese in sich zu bergen? Ihre -Vulkane befinden sich noch in Tätigkeit; wie viele unerwartete Erdbeben, -Lavaströme, Sturzfluten würden uns dort bedrohen? Der Versuch, die Venus -zu kolonisieren, würde unzählige und völlig nutzlose Opfer fordern, -Opfer, nicht der Wissenschaft und dem Glück der Allgemeinheit gebracht, -sondern der Unvernunft und Phantasterei. Diese Frage erscheint mir -völlig klar, und der Bericht über die letzte Expedition nach der Venus -zerstört endgültig alle Zweifel. - -Wenn es sich also um eine Massenauswanderung handelt, so kommt dafür nur -die Erde in Betracht. Dort sind die durch die Natur bedingten -Hindernisse gering, der Reichtum der Natur ist grenzenlos, übertrifft -den unseres Planeten um das achtfache. Die Kolonisation selbst ist -bereits durch die auf der Erde lebenden Wesen gut vorbereitet, -wenngleich diesen Erdengeschöpfen eine höhere Kultur mangelt. All dies -ist dem Zentralen statistischen Bureau wohlbekannt. Wenn es uns daher -vorschlägt, die Wahl des Planeten zu treffen und wir es auch selbst für -nötig halten, so besteht dafür ein einziger Grund, nämlich, daß sich uns -auf der Erde ein äußerst ernstes Hindernis entgegenstellt: ihre -Menschheit. - -Die Erdenmenschen bewohnen die ganze Erde, werden auf keinen Fall bereit -sein, sie gutwillig, und sei es auch nur einen Teil, an uns abzutreten. -Das hängt mit dem ganzen Charakter ihrer Kultur zusammen, deren Basis -der Besitz und die organisierte Gewalt sind. Wenngleich selbst die -zivilisiertesten Völker der Erde bloß einen geringen Teil der ihnen -erreichbaren Schätze der Natur ausbeuten, so verlangt es sie dennoch -immer nach der Eroberung weiterer Territorien, und diese Gier schwächt -sich niemals ab. Der systematisch betriebene Raub der Länder und des -Besitzes der weniger zivilisierten Völker trägt bei ihnen die -Bezeichnung Kolonialpolitik und wird als eine der Hauptaufgaben des -staatlichen Lebens betrachtet. Man kann sich demnach vorstellen, wie -sich die Erdenmenschen unserem ganz natürlichen und vernünftigen -Vorschlag gegenüber verhalten würden: uns einen Teil ihres Gebietes -abzutreten, wofür wir sie lehren und ihnen behilflich sein würden, den -ihnen gebliebenen Teil in unvergleichlich höherem Maße auszunützen ... -Für sie ist die Kolonisation eine Frage der rohen Kraft und der -Vergewaltigung und wir wären, ob wir nun wollen oder nicht, gezwungen, -ihnen gegenüber ebenfalls diesen Standpunkt einzunehmen. - -Handelte es sich hier ausschließlich darum, ihnen ein einziges Mal -unsere größere Kraft zu beweisen, so wäre dies sehr einfach und würde -nicht mehr Opfer kosten, als die bei ihnen so beliebten unsinnigen, -nutzlosen Kriege. Es existiert bei ihnen eine gewaltige Herde für den -Mord dressierter Leute, die mit dem Wort Armee bezeichnet wird. Freilich -vermöchten wir vom Aetheroneff aus vermittels der verderblichen, durch -die beschleunigte Spaltung des Radiums erzeugten Lichtfluten in wenigen -Augenblicken ein oder zwei dieser Herden zu vernichten, und dies wäre -für die Zivilisation der Erde weit mehr nützlich als schädlich. Leider -jedoch ist das, was nachher käme, lange nicht so einfach, die wahren -Schwierigkeiten würden erst mit diesem Augenblick beginnen. - -In dem jahrhundertealten Kampf der Erdenvölker gegen einander -entwickelte sich bei ihnen eine psychologische Eigenheit, die -Patriotismus heißt. Dieses unbestimmbare, aber starke und tiefe Gefühl -enthält ebensowohl boshaftes Mißtrauen gegen alle Völker und Rassen, als -auch eine schier elementare Anhänglichkeit für die Sitten und Gebräuche -der eigenen Umgebung. Besonders ist dies in jenen Ländern der Fall, wo -die Erdenvölker gleich Schildkröten mit ihrer Umgebung verwachsen sind; -oft aber ist dieser Patriotismus nichts anderes, als die Gier nach -Zerstörung, Vergewaltigung und Raub. Die patriotische Einstellung wird -besonders stark nach kriegerischen Niederlagen; nehmen die Sieger den -Besiegten einen Teil ihres Landes fort, dann nimmt der Patriotismus -dieser Besiegten den Charakter eines hartnäckigen und grausamen Hasses -gegen die Sieger an, und die Rache wird zum Lebensideal des ganzen -Volkes, nicht nur der schlechteren Elemente, der »oberen«, der -reaktionären Klassen, sondern auch der besten, der Arbeitermassen. - -Wenn wir uns nun eines Teiles der Erdoberfläche durch Gewalt -bemächtigten, so würde dies zweifellos zu einer Vereinigung aller -Erdenmenschen in einem einzigen Gefühl des Erdenpatriotismus führen, zu -einem unbarmherzigen Rassenhaß, zu wilder Wut gegen unsere Kolonisten; -die Ausrottung der Eindringlinge, gleichviel mit welchen Mitteln, bis -zum gemeinsten Verrat, würde als heilige und edle Sache gelten, die -unsterblichen Ruhm verleiht. Unseren Kolonisten würde das Leben -unerträglich gemacht werden. Sie wissen, daß die Vernichtung des Lebens -selbst bei einer niederen Kulturstufe etwas äußerst einfaches ist. Im -offenen Kampf sind wir unvergleichlich stärker als die Erdenmenschen, -dennoch vermöchten sie durch unerwartete Ueberfälle uns ebenso zu töten, -wie sie dies untereinander zu tun pflegen. Außerdem darf nicht außer -acht gelassen werden, daß bei ihnen die Kunst der Zerstörung weit -stärker entwickelt ist, als irgendetwas anderes in ihrer Kultur. - -Unter diesen Umständen wäre das Leben auf der Erde geradezu unmöglich; -es würde auf ihrer Seite Verschwörungen und Terror, auf der unserer -Genossen beständige Gefahr und unzählige Opfer bedeuten. Diese müßten -sich zu zehn oder vielleicht sogar hundert Millionen ansiedeln. Bei dem -auf der Erde herrschenden gesellschaftlichen System, das keine -gegenseitige Hilfe kennt, bei den dort herrschenden sozialen -Verhältnissen, Dienste und Hilfe mit Geld zu entlohnen, bei der -unzulänglichen und verschwenderischen Art der Produktion, die sich nicht -rasch genug auf die gewaltige Vermehrung der Bewohner einzustellen -vermöchte, würden Millionen der von uns Vertriebenen größtenteils zu -einem schmerzlichen Hungertod verdammt sein. Die Minderheit des -kolonisierten Teiles würde gegen uns bei der übrigen Erdenmenschheit -eine grausam fanatische Agitation betreiben. - -Wir müßten also den Kampf fortsetzen. Unser ganzer Erdenteil müßte sich -in ein uneinnehmbares, festes Kriegslager verwandeln. Die Angst vor -künftigen Eroberungen unsererseits, sowie der starke Rassenhaß würden -alle Erdenvölker dazu vereinigen, sich auf einen Krieg gegen uns -vorzubereiten. Sind schon heute ihre Waffen weit vollkommener als ihre -Arbeitswerkzeuge, so würde in diesem Fall die technische Vervollkommnung -der Mordinstrumente mit rasender Schnelligkeit vor sich gehen. Zu -gleicher Zeit würden sie absichtlich eine Ursache für den Beginn des -gewaltigen Krieges herbeiführen und erzwingen, eines Krieges, der für -uns, selbst im Falle eines Sieges, ungeheure Verluste bedeutete. Es ist -nicht ausgeschlossen, daß ihnen auch die Aneignung und Verwertung -unserer besten Mittel gelingen könnte. Sie kennen bereits die -radiumausstrahlenden Stoffe; die Methode der beschleunigten Spaltung -vermöchten sie vielleicht irgendwie durch uns erfahren, oder aber ihre -Gelehrten könnten diese selbst entdecken. Es ist Ihnen allen bekannt, -daß bei Anwendung dieser Waffen jener, der auch nur um wenige Minuten -früher angreift als der Feind, diesen unweigerlich vernichtet; in diesem -Fall erfolgt das Zerstören des höchsten Lebens ebenso leicht, wie durch -ein Elementarereignis. - -Welch ein Leben müßten unsere Genossen führen, umgeben von diesen -Gefahren, gefoltert von der ewigen Erwartung ähnlicher Ueberfälle? Nicht -nur alle Lebensfreude würde ihnen vergällt, nein, sogar ihr Typus würde -sich verändern, verschlechtern. Allmählich schlichen sich in sie -Argwohn, Mißtrauen ein, der egoistische Trieb der Selbsterhaltung und -die von ihm unzertrennliche Grausamkeit. Die Kolonie würde aufhören, -_unsere_ Kolonie zu sein, würde sich in eine kriegerische Republik -inmitten der geschlagenen, von Feindseligkeit erfüllten Völker -verwandeln. Die sich wiederholenden blutige Opfer fordernden Ueberfälle -würden immer mehr das Gefühl der Rache und der Feindschaft vergrößern, -das uns teure Bild des Menschen entstellen und unsere Leute wären, -objektiv gesprochen, aus Notwehr gezwungen, die grausamsten Mittel -anzuwenden. Schließlich, nach langem Schwanken und einer qualvollen -Kräftevergeudung, müßten wir unvermeidlich zu jener Lösung der Frage -gelangen, die wir bereits von allem Anfang an hätten anerkennen müssen: -_die Kolonisierung der Erde fordert die völlige Ausrottung der -Erdenmenschen_.« - -(Unter den hundert Zuhörern entstand ein Gemurmel des Entsetzens, aus -dem sich Nettis mißbilligender Protest laut abhob. Als die Ruhe wieder -hergestellt war, fuhr Sterni gelassen fort:) - -»Das Unvermeidliche muß _begriffen_, und, wie hart auch immer es -erscheint, es muß ihm ins Auge gesehen werden. Es gibt für uns zwei -Möglichkeiten: entweder eine Stagnation in der Entwicklung unseres -Lebens oder die Vernichtung des uns fremden Lebens auf der Erde. Ein -drittes gibt es nicht. (Nettis Stimme durchklang den Raum: »Das ist -nicht wahr!«) Ich weiß, woran Netti denkt, wenn sie gegen meine Worte -protestiert und gehe auch schon zu der dritten Möglichkeit über, die sie -im Auge hat. - -Diese aber ist -- der sofortige Versuch einer sozialistischen Erziehung -der Erdenmenschheit, ein Plan, den wir alle noch unlängst befürwortet -haben, der aber, meiner Ansicht nach, unbedingt aufgegeben werden muß. -Wir kennen die Erdenmenschheit nun schon zur Genüge, um einzusehen, daß -diese Idee völlig sinnlos sei. - -Die Kulturstufe der führenden Erdenvölker ist etwa die gleiche, wie die -unserer Vorfahren zur Zeit der großen Kanalbauten gewesen ist. Auf der -Erde herrscht das Kapital, und es gibt ein Proletariat, das für den -Sozialismus kämpft. Deshalb könnte man glauben, daß der Augenblick jener -Umwälzung nicht mehr ferne sei, die die organisierte Gewalt vernichtet -und die Möglichkeit einer freien und raschen Entwicklung des Lebens -gibt. Doch besitzt der Erdenkapitalismus eine wichtige Eigenheit, die -die Sache völlig verändert. - -Einerseits ist die ganze Erdenwelt in politische und nationale Teile -gespalten, so daß der Kampf um den Sozialismus nicht als einheitlicher -vollkommener Prozeß einer Riesengesellschaft vor sich geht, sondern eine -ganze Reihe selbständiger, eigenartiger Prozesse darstellt, geführt in -den verschiedenen Staaten der Gesellschaft, die durch ihre staatliche -Organisation, durch die Sprache und die Rasse getrennt sind. Andrerseits -ist auf der Erde die Form des Klassenkampfes weit gröber und -mechanischer, als dies bei uns der Fall gewesen ist, und die gleichsam -materielle Kraft, verkörpert durch das stehende Heer und die bewaffneten -Aufstände, spielt dabei eine große Rolle. - -Aus allen diesen Umständen ergibt sich, daß die Frage der sozialen -Revolution eine unbestimmbare ist: voraussichtlich wird es nicht eine, -sondern verschiedene soziale Revolutionen geben, in den verschiedenen -Ländern und zu verschiedenen Zeiten. Ja, diese Revolutionen werden sogar -einen verschiedenen Charakter haben, sowie einen unsicheren, nicht -festzustellenden Ausgang. Die herrschenden Klassen verfügen über die -Armee und eine hochentwickelte Kriegstechnik und vermögen daher in -gewissen Fällen dem aufständischen Proletariat eine vernichtende -Niederlage beizubringen, die in den großen Reichen den Kampf für den -Sozialismus auf zehn Jahre zurückwirft. Derartige Fälle finden wir -bereits in den Schriften der Erde erwähnt. Außerdem wird die Lage jener -Länder, in denen der Sozialismus triumphiert hat, die einer Insel sein, -umgeben von ihr feindlichen kapitalistischen Staaten, zum Teil sogar von -Staaten, die noch nicht die Phase des Kapitalismus erreicht haben. Um -ihre Herrschaft bangend, werden die besitzenden Klassen der nicht -sozialistischen Länder alle Anstrengungen machen, um diese Insel zu -zerstören, sie werden unaufhörlich kriegerische Ueberfälle gegen sie -organisieren und sogar bei den sozialistischen Nationen genügend -Verbündete finden, die, den früheren besitzenden Klassen angehörend, zu -jedem Verrat bereit sind. Das Ergebnis dieser Kämpfe ist schwer -vorauszusagen. Aber selbst dort, wo sich der Sozialismus kräftigt und wo -er siegreich vordringt, wird sein Charakter auf viele Jahre hinaus -getrübt werden, durch Terror, Kampf, sowie durch einen unvermeidlichen -barbarischen Patriotismus. Dieser Sozialismus steht dem unseren äußerst -fern. - -Unsere Pflicht wäre demnach, falls wir an dem ersten Plan festhalten, -ausschließlich für den beschleunigten Sieg des Sozialismus zu wirken. -Welche Mittel stehen uns hierfür zur Verfügung? Wir vermögen den -Erdenmenschen unsere Technik zu geben, unsere Wissenschaft, unser Wissen -um die Beherrschung der Natur, sowie unsere Kultur, die mit den -wirtschaftlichen und politischen Formen der Erde im schroffsten -Widerspruch steht. Wir können auch das sozialistische Proletariat bei -seinem revolutionären Umsturz unterstützen und ihm helfen, den -Widerstand der übrigen Klassen zu brechen. Ueber andere Mittel verfügen -wir nicht. Werden aber diese beiden zum Ziel führen? Wir wissen heute -bereits genug von der Erde, um diese Frage mit einem endgültigen Nein -beantworten zu können. - -Was würden die Erdenmenschen mit unserem technischen Wissen und unseren -Methoden anfangen? - -Vor allem würden sich deren die _besitzenden_ Klassen aller Länder -bemächtigen. Dies wäre unvermeidlich, weil sich ja in ihren Händen alle -Produktionsmittel befinden und weil ihnen neunzig- bis hunderttausend -Gelehrte und Ingenieure zu Diensten stehen; das aber bedeutete, daß -ihnen alle _Möglichkeiten_ der neuen Industrie gehörten. Sie jedoch -würden diese nur insofern ausnützen, als es für sie vorteilhaft wäre und -ihre Macht über die Massen stärkt. Noch eines: jene gewaltigen neuen -Zerstörungsmittel, die ihnen auf diese Art in die Hände fielen, würden -sie zur Erdrosselung des sozialistischen Proletariats verwenden. Sie -würden es verfolgen, würden eine Provokation in grandiosem Maßstab -organisieren, um das Proletariat so rasch wie möglich zum offenen Kampf -zu zwingen und in diesem Ringen dessen beste und klügste Kräfte zu -morden, falls es diesem nicht gelänge, seinerseits bessere Kampfmethoden -zu finden. Derart würde unsere Einmischung in die Angelegenheiten der -Erde bloß der Reaktion von oben einen Antrieb geben und ihr zu gleicher -Zeit Waffen von ungeheurer Gewalt in die Hände spielen. Das aber würde -zumindest auf zehn Jahre den Fortschritt des Sozialismus hemmen. - -Und was würden wir erreichen, wenn wir das sozialistische Proletariat -gegen seine Feinde unterstützten? - -Angenommen, und dies ist keineswegs gewiß, daß es sich mit uns -verbündet. Die ersten Siege würden leicht errungen werden. Aber dann? -Die unvermeidliche Entwicklung des Patriotismus bei den anderen Klassen -würde sich gegen uns und gegen die Sozialisten der Erde wenden ... Das -Proletariat aber stellt noch in den meisten Ländern der Erde die -Minderheit dar, die Mehrheit hingegen besteht aus den in ihrer -Entwicklung zurückgebliebenen Kleinbürgern, aus dunklen, unwissenden -Menschen. Diese gegen das Proletariat zu verhetzen, wird den -Großkapitalisten und deren Söldlingen, den Beamten und Lehrern, nur -allzu leicht fallen. Umsomehr, als diese Massen, die dem Wesen nach -konservativ, häufig sogar reaktionär sind, eine krankhafte Angst vor dem -raschen Fortschritt empfinden. Das Proletariat sieht sich also auf allen -Seiten von erbosten, erbarmungslosen Feinden umgeben, die größere -Entwicklung des Proletariats verstärkt nur noch diese Feindseligkeit, es -befindet sich in der gleichen furchtbaren Lage, in der sich unsere -Kolonisten zwischen den Völkern der Erde befinden würden. Es wird zu -zahllosen verräterischen Ueberfällen kommen, die Stellung des -Proletariats in der Gesellschaft wird um so schwieriger sein, als es die -Erneuerung der Gesellschaft durchführen muß. Und auch in diesem Falle -wird unsere Einmischung die soziale Umwälzung verzögern, statt sie zu -beschleunigen. - -Die Zeit der Umwälzung ist demnach nicht zu bestimmen, und es hängt -nicht von uns ab, sie früher herbeizuführen. Jedenfalls können wir nicht -so lange warten. Im Verlauf von dreißig Jahren zeigt sich bei uns eine -Vermehrung der Einwohner um fünfzehn bis zwanzig Millionen, die sich in -jedem folgenden Jahr auf zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen steigern -wird. Es gilt daher, _schon früher_ die Kolonisation zu organisieren, -denn sonst werden uns die Kräfte und Mittel hierzu mangeln und wir -werden unser Unternehmen nicht im richtigen Maßstab durchführen können. - -Uebrigens ist es auch äußerst ungewiß, ob wir uns mit den -sozialistischen Staaten der Erde, falls sich solche unerwartet bilden -sollten, zu verständigen vermögen. Wie bereits gesagt: ihr Sozialismus -ist noch lange nicht _unser Sozialismus_. - -Die Jahrhunderte nationaler Unterdrückung, verstärkt durch die für uns -unbegreiflich rohen und blutigen Kriege, können nicht spurlos -vorübergehen, -- sie werden ihre psychologischen Spuren bei den -Erdbewohnern auf lange Zeit hinterlassen. Und wir wissen gar nicht, wie -viel Barbarei und Wildheit die Erdensozialisten mit sich in die neue -Gesellschaft hinübernehmen werden. - -Wir haben vor Augen ein Beispiel, das uns klar ersichtlich beweist, wie -fern selbst die Psychologie des besten Vertreters der Erdenmenschheit -der unseren steht. Von unserer letzten Expedition brachten wir einen -Erdensozialisten mit, einen Mann, der sich in seiner Umgebung durch -Geisteskraft und körperliche Gesundheit auszeichnete. Und was ereignete -sich? Unser ganzes Leben erschien ihm dermaßen fremd, stand so sehr im -Widerspruch zu seinem Organismus, daß er in kürzester Zeit von einer -schweren psychischen Krankheit befallen wurde. - -Dies ereignete sich bei einem der Besten, den Menni selbst ausgewählt -hatte; was können wir da von den übrigen erwarten? - -Derart geraten wir in ein Dilemma: entweder wir müssen auf unserem -Planeten die Vermehrung beschränken, was mit einer Schwächung unserer -ganzen Lebensentwicklung gleichbedeutend wäre, oder aber wir müssen die -Erde kolonisieren, was die Ausrottung der ganzen Erdenmenschheit -bedingt. - -Ich rede von der Ausrottung der ganzen Erdenmenschheit, weil wir auch -bei deren sozialistischen Avantgarde keine Ausnahmen gelten lassen -dürfen. Wir verfügen ja auch nicht über die technische Möglichkeit, -diese Avantgarde aus der übrigen Masse auszuscheiden, deren -unbedeutenden Teil sie darstellt. Aber selbst wenn es uns gelänge, die -Sozialisten zu schonen, so würden diese gegen uns einen unerbittlich -grausamen Krieg beginnen, sich selbst zur völligen Vernichtung -aufopfern, weil sie sich niemals mit dem Töten von hundert Millionen -Menschen abfinden könnten, die ihnen gleichen, und die mit ihnen durch -viele, häufig äußerst enge lebendige Bande verknüpft waren. Beim -Zusammenprall der beiden Welten gibt es kein Kompromiß. - -Wir müssen die Wahl treffen. Und ich sage: wir haben bloß eine Wahl. - -Das höhere Leben darf nicht dem niedern geopfert werden. Unter den -Erdenmenschen gibt es kaum etliche Millionen, die bewußte Stufen zu dem -wahrhaft menschlichen Leben sind. Um dieser Zellenwesen willen dürfen -wir nicht auf die Geburt von zehn, ja vielleicht von hundert Millionen -Wesen unserer Welt verzichten, Wesen, die in unvergleichlich höherem -Sinn des Wortes Menschen sind. Unser Vorgehen wird keineswegs grausam -sein, denn wir vermögen die Ausrottung der Erdenmenschen auf eine weit -weniger schmerzliche Art zu bewerkstelligen, als sie dies untereinander -zu tun gewohnt sind. - -Das Weltenleben ist einheitlich. Es bedeutet daher keinen Verlust, wenn -sich auf der Erde anstelle des noch fernen, halb barbarischen -Sozialismus schon heute _unser_ Sozialismus verwirklicht, das -unvergleichlich harmonischere Leben mit seiner ununterbrochenen, -unbesieglichen Entwicklung.« - -(Sternis Rede folgte tiefe Stille. Schließlich wurde sie von Menni -durchbrochen, der Anhänger einer anderen Ansicht aufforderte, sich zu -äußern. Netti ergriff das Wort.) - - - Netti - -»Das Weltenleben ist einheitlich, sprach Sterni. Und was schlug er uns -vor? - -Einen einzigartigen Typus dieses Lebens auf ewig zu vernichten, -auszurotten, einen Typus, den wir niemals wiederbeleben, noch ersetzen -können. - -Hundert Millionen Jahre lebte der schöne Planet, lebte sein besonderes -eigenes Leben, war anders als die übrigen ... Aus den mächtigen -Elementen ging das Bewußtsein hervor, erhob sich im grausamen und harten -Kampf von den niedersten Stufen zu den höchsten, bis zu der uns nahen, -verwandten _menschlichen Form_. Diese Form ist nicht _die gleiche_ wie -die unsere, wurde beeinflußt von der Geschichte einer anderen Natur, -eines anderen Kampfes; sie birgt in sich andere Gewalten, andere -Widersprüche, andere Entwicklungsmöglichkeiten. Nun brach die Epoche an, -da sich die Möglichkeit einer Vereinigung der beiden großen Lebenslinien -ergibt. Welche Mannigfaltigkeit, welche erhabene Harmonie könnte sich -aus dieser Vereinigung entfalten! Und nun wird uns gesagt: das -Weltenleben ist einheitlich, deshalb sollen wir es nicht vereinigen -- -sondern zerstören. - -Als Sterni bewies, wie sehr sich die Erdenmenschen, deren Geschichte und -Sitten, sowie deren Psychologie von der unseren unterscheiden, -widerlegte er selbst seine Ideen weit mehr, als ich dies zu tun vermag. -Glichen die Erdenmenschen uns in allem, ausgenommen in ihrer -Entwicklungsstufe, wären sie das, was unsere Vorfahren zur Zeit unseres -Kapitalismus gewesen sind, dann könnte ich Sterni zustimmen: die -niederen Stufen müssen den höheren, die Schwachen den Starken geopfert -werden. Aber die Erdenmenschen sind etwas anderes; sie sind nicht nur -von niedrigerer Kultur und schwächer als wir, sie sind auch anders als -wir. Wollten wir sie beseitigen, so würden wir sie nicht in der -Entwicklung der Welt ersetzen, sondern bloß auf mechanische Art jene -Leere ausfüllen, die wir in der herrschenden Form des Lebens verursacht -hätten. - -Der grundlegende Unterschied zwischen den Erdenmenschen und uns liegt -nicht in der grausamen und barbarischen Kultur der Erde. Barbarei und -Grausamkeit sind nur vorübergehende Erscheinungen jener allgemeinen -_Verschwendung_ im Entwicklungsprozeß, durch die sich das ganze -Erdenleben kennzeichnet. Dort erscheint der Kampf ums Dasein energischer -und mühevoller, das Ringen mit der Natur nimmt vielartigere Formen an -und die Entwicklung fordert weit mehr Opfer. Und dies kann auch gar -nicht anders sein; denn die Erde erhält vom Quell alles Lebens, der -Sonne, achtmal mehr Lichtenergien als unser Planet. Deshalb entwickeln -und verbreiten sich dort so viele Leben, eine so große Verschiedenheit -der Formen, aus denen sich gewaltige Widersprüche ergeben, so viele -schmerzliche Hemmungen, deren Schlichtung gar oft scheitert. Im -Pflanzen- und Tierreich herrschte erbitterter Kampf, das Leben und der -Tod dieser Arten aber ergaben neue, vollendetere und harmonischere, -synthetischere Typen. Dies ist auch im Reich der Menschen der Fall. - -Wenn wir unsere Geschichte mit jener der Erdenmenschen vergleichen, so -erscheint erstere erstaunlich einfach, frei von Irrtümern, und fast -schematisch richtig. Der ruhige, friedliche Uebergang vom Kapitalismus -zum Sozialismus, das Verschwinden der Kleinbürger, das stufenweise sich -entwickelnde Proletariat, all dies geschah ohne Schwanken und -Zusammenstöße auf dem ganzen Planeten, der zu einer politischen Einheit -verbunden war. Freilich wurde gekämpft, doch verstand ein Mensch den -anderen, das Proletariat blickte nicht allzuweit voraus, die Bourgeoisie -war in ihrer Reaktion nicht utopisch, die verschiedenen Epochen und -gesellschaftlichen Formen vermischten sich nicht derart stark wie auf -der Erde, wo in einem hoch kapitalistischen Land bisweilen das Einsetzen -einer feudalen Reaktion möglich ist, und wo eine zahlreiche -Bauernschaft, die sich kulturell in einer ganz anderen historischen -Periode befindet, häufig den oberen Klassen als Werkzeug zur Abwürgung -des Proletariats dient. Wir gingen einen ebenen, glatten Weg, erreichten -vor einigen Generationen jenen Aufbau, der alle Kräfte der -sozialistischen Entwicklung entbindet und vereinigt. - -Unsere Erdenbrüder hingegen mußten einen anderen Weg gehen, einen -dornenvollen Weg voller Krümmungen und Klüfte. Wenigen von uns ist -bekannt, und keiner von uns vermag sich klar vorzustellen, bis zu -welcher Stufe die Kunst des Menschenschindens selbst bei den -kultiviertesten Völkern der Erde gediehen war, keiner von uns kennt -genau die politisch organisierte Herrschaft der oberen Klassen, -ausgedrückt in Kirche und Staat. Und was ist das Ergebnis? Eine -Verlangsamung der Entwicklung? Nein, wir haben keinen Grund, dies zu -behaupten, denn von den ersten Stadien des Kapitalismus entwickelte sich -im Wirrsal und in den grausamen Kämpfen der verschiedensten Arten das -proletarische Bewußtsein nicht langsamer, sondern schneller als bei uns, --- wo die Wandlung stufenweise und ruhiger vor sich ging. Die Härte und -Erbarmungslosigkeit des Kampfes aber erzeugte in den Kämpfern eine -derartige Fülle an Energie und Leidenschaft, einen solchen Heldenmut und -eine so gewaltige Leidenskraft, wie sie der aussichtsreichere und weit -weniger tragische Kampf unserer Vorfahren gar nicht kennt. Bei diesem -Typus des Erdenlebens sind die Menschen nicht niedriger, sondern höher -als wir, wenngleich wir, deren Kultur älter ist, auf einer viel höheren -Stufe stehen. - -Die Erdenmenschen sind gespalten, die verschiedenen Rassen und Nationen -eng verwachsen mit ihren Ländern und historischen Traditionen, sie reden -verschiedene Sprachen, und ein gegenseitiges tiefgreifendes -Nichtverstehen kennzeichnet alle ihre Verhältnisse ... All das trifft zu -und es ist auch wahr, daß die allgemeinmenschliche Vereinigung, die sich -mit großer Anstrengung einen Weg über alle Grenzen bahnt, bei unseren -Erdenbrüdern weit später verwirklicht werden wird, als dies bei uns der -Fall war. Betrachten Sie aber die Ursache und werten Sie deren Folgen. -Die Spaltung wurde verursacht durch die Größe der Erdenwelt, den -Reichtum und die Mannigfaltigkeit ihrer Natur. Das führte zu den -verschiedensten Auffassungen über das Weltall. Ist aber all dies etwa -der Beweis, daß die Erdenmenschheit niederer und nicht höher steht als -unsere Welt in den analogen Epochen der Geschichte? - -Schon die rein mechanische Verschiedenheit der Sprachen, in denen die -Menschen reden, unterstützte die Entwicklung des Denkens, befreite den -Begriff von der plumpen Herrschaft des Wortes. Vergleichen Sie die -Philosophie der Erdenmenschen mit jener unserer kapitalistischen Ahnen. -Die Philosophie der Erde ist nicht nur weit vielseitiger, sondern auch -weit feiner, sie geht nicht nur von einem bei weitem komplizierteren -Material aus, sondern ihre Analyse ist, in den besten Schulen, eine viel -tiefgründigere, die weit richtiger die Verbindung der Tatsachen und -Begriffe darstellt. Selbstverständlich ist jede Philosophie der Ausdruck -der Schwäche und der fehlerhaften Erkenntnis, hervorgerufen durch -mangelhafte wissenschaftliche Entwicklung; der Versuch, ein -einheitliches Bild des Seins zu geben, ist ein unbeschriebenes Blatt der -wissenschaftlichen Erfahrung, deshalb wird auch von der Erde die -Philosophie verschwinden, wie dies bei uns mit dem wissenschaftlichen -Monismus geschah. Betrachten Sie aber, wie viele philosophische -Voraussetzungen, gegeben von den ersten Denkern und Kämpfern bereits in -groben Umrissen die Entdeckungen unserer Wissenschaft voraussehen -- so -zum Beispiel fast alle sozialwissenschaftlichen Philosophien. Es ist -klar, daß eine Rasse, die unsere Ahnen in der Schaffung einer -Philosophie übertraf, auch imstande sein wird, diese in der Schaffung -einer Wissenschaft zu übertreffen. - -Und Sterni will diese Menschen aus der Liste der Gerechten streichen -mitsamt den bewußten Sozialisten, die sich unter ihnen befinden; er will -sie nach ihren niedersten Widersprüchen beurteilen, nicht aber nach -jenen Kräften, die zur gegebenen Zeit diese Widersprüche ausgleichen -werden. Er will auf ewig diesen stürmischen, aber schönen Ozean des -Lebens austrocknen. - -Fest und entschlossen müssen wir ihm die Antwort geben: _niemals_! - -Wir müssen unseren künftigen Bund mit der Erdenmenschheit vorbereiten. -Freilich können wir den Uebergang zu einer freien Welt nur wenig -beschleunigen, aber auch das Wenige, was wir zu leisten vermögen, sind -wir zu tun verpflichtet. Und wenn es uns nicht gelang, den ersten -Abgesandten der Erde vor unnötigen Leiden und Krankheiten zu bewahren, --- so gereicht dies keineswegs zu unserer Ehre. Zum Glück wird er bald -hergestellt sein, und selbst wenn ihn der allzu rasche Uebergang in ein -ihm fremdes Leben tötete, so hat er immerhin viel für den künftigen Bund -der beiden Welten geleistet. - -Unsere eigenen Schwierigkeiten und Gefahren müssen wir auf eine andere -Art besiegen. Neue wissenschaftliche Kräfte müssen sich mit der -chemischen Herstellung der Eiweißstoffe befassen und wir müssen, soweit -dies möglich ist, die Kolonisation der Venus vorbereiten. Gelingt es uns -nicht, diese Aufgabe in kürzester Zeit zu erfüllen, so müssen wir -vorübergehend die Vermehrung einschränken. Welcher vernünftige -Geburtshelfer opferte nicht das Leben des ungeborenen Kindes, um die -Frau zu retten? Auch wir müssen, wenn dies unvermeidlich wird, einen -Teil jenes Lebens opfern, das noch nicht ist, um das, wenn auch fremde -Leben zu retten, das schon besteht und sich entwickelt. Die Verbindung -der Welten wird dieses Opfer reichlich lohnen. - -Die Einheitlichkeit des Lebens ist das höchste Ziel, und Liebe ist die -höchste Weisheit!« - -(Tiefes Schweigen. Dann ergriff Menni das Wort.) - - - Menni - -»Ich beobachtete aufmerksam die Stimmung der Genossen und sehe nun, daß -die Mehrheit auf seiten Nettis ist. Das freut mich sehr, denn auch meine -Ansicht deckt sich ungefähr mit der ihren. Ich möchte nur noch eine -praktische Erläuterung hinzufügen, die mir äußerst wichtig erscheint. Es -besteht für den Fall, daß wir uns zu einer Massenkolonisation auf einem -anderen Planeten entschließen, die ernste Gefahr, daß unsere technischen -Mittel in kürzester Zeit nicht mehr ausreichen werden. - -Wir vermögen zehntausend große Aetheroneffs herzustellen, und es kann -geschehen, daß es uns an den zur Fortbewegung nötigen Stoffen mangelt. -Jene radiumausstrahlende Materie, vermittels derer sich die Aetheroneffs -für gewöhnlich bewegen, müßte um das Hundertfache vermehrt werden. -Inzwischen aber versiegen die alten Lager, und neue werden immer -seltener entdeckt. - -Sie müssen auch wissen, daß wir der radiumausstrahlenden Materie nicht -nur dazu bedürfen, um dem Aetheroneff seine ungeheure Geschwindigkeit zu -verleihen. Sie wissen ja, daß unsere ganze technische Chemie auf diesen -Stoffen beruht. Wir bedürfen ihrer auch zur Erzeugung der Minus-Materie, -ohne die sich unsere Aetheroneffs und unsere zahllosen Luftschiffe in -nutzlose schwerfällige Kisten verwandeln würden. Diesem unentbehrlichen -Gebrauch dürfen wir die Materie nicht entziehen. - -Noch ärger ist, daß die einzige Möglichkeit, die Kolonisation zu -ersetzen, die Synthese des Eiweiß, aus dem gleichen Mangel an -radiumausstrahlenden Stoffen zur Unmöglichkeit wird. Eine technisch -leichte und entsprechende fabrikmäßige Herstellung der ungeheuer -komplizierten Synthese des Eiweiß ist undenkbar bei der alten Methode -der Synthese, einer äußerst komplizierten Methode. Sie wissen, daß es -uns bereits vor etlichen Jahren gelang, auf diesem Wege ein vorzügliches -Eiweiß herzustellen, aber nur in geringer Quantität und bei einem großen -Verlust an Energie und Zeit, so daß die ganze Arbeit ausschließlich eine -theoretische Bedeutung besaß. Die Massenproduktion des Eiweiß aus -unorganischen Stoffen ist nur möglich vermittels der raschen und -scharfen Umwandlung des chemischen Bestandes, der bei uns von einem -nicht stabilen Element zu einer stabilen Materie wird. Die erfolgreiche -Durchführung dieses Prozesses erfordert von zehntausend Arbeitern eine -Spezialforschung über die Gewinnung des Eiweiß, sowie Millionen von -neuen Experimenten. Demnach würde selbst im Fall eines Erfolges eine -ungeheure Vergeudung der Kollektivaktivität unvermeidlich sein, eine -Vergeudung, der wir nicht gewachsen sind. - -Von diesem Gesichtspunkt aus gilt es, schleunigst die einzige für uns -wichtige Frage zu beantworten: vermögen wir neue Quellen der -radiumausstrahlenden Stoffe zu entdecken? Und wo sollen wir diese -suchen? Offensichtlich auf einem anderen Planeten, das heißt: entweder -auf der Erde oder auf der Venus. Meiner Ansicht nach muß der erste -Versuch unbedingt auf der Venus gemacht werden. - -Was die Erde anbelangt, so können wir annehmen, daß sich auf ihr -reichliche Vorräte an radioaktiven Elementen befinden. Bei der Venus -hingegen ist diese _Tatsache bereits festgestellt_. Wo sich auf der Erde -diese Quellen befinden, ist uns unbekannt, denn jene, die von den -Erdengelehrten gefunden wurden, taugen nichts. Auf der Venus aber -entdeckte unsere Expedition sofort die bewußten Quellen. Außerdem -befinden sich diese ganz nahe der Erdoberfläche, sind leicht erreichbar, -so daß wir ihr Bestehen vermittels der Photographie feststellen konnten, -während sich jene der Erde, gleich den unseren, tief unter dem Erdboden -befinden. Wollten wir auf der Erde das Radium suchen, so müßten wir bis -in die Tiefen dringen, wie das auch auf unserem Planeten der Fall ist. -Dies aber bedeutete einen Verlust von vielleicht zehn Jahren, und es -bestünde auch noch die Gefahr, daß wir uns in der Wahl des Ortes geirrt -haben. Auf der Venus hingegen gilt es bloß, die bereits gefundenen Lager -auszubeuten, und dies kann ohne jegliche Verzögerung geschehen. - -Deshalb halte ich es für unbedingt notwendig, unabhängig davon, wie wir -die Frage der Massenkolonisation lösen, sofort an eine teilweise, -vielleicht auch nur vorübergehende Kolonisation der Venus zu schreiten, -zu dem ausschließlichen Zweck, die dort befindliche radioaktive Materie -zu gewinnen. - -Die uns von der Natur entgegengestellten Hindernisse sind freilich -ungeheuer groß, doch brauchen wir sie ja augenblicklich nicht völlig zu -überwinden. Es gilt nur, von einem kleinen Teil des Planeten Besitz zu -ergreifen. Wir müssen demnach eine große Expedition ausrüsten, die -nicht, wie die erste, Monate auf der Venus verbringt, sondern Jahre, und -deren Zweck es ist, das Radium zu gewinnen. Selbstverständlich muß zur -gleichen Zeit ein energischer Kampf wider die Natur geführt werden, das -Klima, wider die uns noch unbekannten Krankheiten, sowie gegen andere -Gefahren. Es wird viele Opfer geben, vielleicht wird auch nur ein -geringer Teil der Expedition heimkehren. Der Versuch jedoch muß gemacht -werden. - -Als erstes Feld unserer Tätigkeit kommt die »Insel des glühenden -Sturmes« in Betracht. Ich habe deren Natur genau studiert und einen -detaillierten Plan unserer Tätigkeit ausgearbeitet. Wenn Sie, Genossen, -jetzt bereit sind, diesen zu beurteilen, so werde ich ihn sofort -vorlegen.« - -(Niemand erhob Einwände, und Menni ging an die Erläuterung seines -Planes, der sich mit allen technischen Einzelheiten befaßte. Nach -Beendigung seiner Rede traten noch andere Redner auf, doch nahmen sie -alle Mennis Vorschlag an, besprachen nur die Details. Etliche zweifelten -an dem Erfolg der Expedition, alle aber waren damit einverstanden, daß -sie unternommen werde. Schließlich wurde die von Menni vorgeschlagene -Resolution angenommen.) - - - Der Mord - -Die gewaltige Bestürzung, die mich übermannt hatte, verhinderte selbst -den Versuch, meine Gedanken zu sammeln. Ich fühlte bloß, daß ein kalter -Schmerz wie mit eisernen Fingern mein Herz zusammenpresse. Vor meinem -Bewußtsein erhoben sich mit halluzinierender Lebendigkeit Sternis -riesenhafte Gestalt, sein unerbittlich gelassenes Gesicht. Alles übrige -versank in schwerem, nächtlichem Chaos. - -Wie ein Automat verließ ich die Bibliothek und bestieg mein Luftschiff. -Der durch den raschen Flug erzeugte kalte Wind hüllte mich wie ein -Mantel ein und erweckte in mir auf irgendeine Art einen neuen Gedanken, -einen Gedanken, der gleichsam in meinem Bewußtsein erstarrte und in mir -die Gewißheit hervorrief: eines müsse geschehen. Heimgekehrt, ging ich -daran, den Gedanken zu verwirklichen; all dies geschah schier -mechanisch, als handelte nicht ich, sondern ein anderer. - -Ich schrieb dem Leiter des Fabrikrates, daß ich auf einige Zeit meine -Arbeit aufgebe. Enno sagte ich, wir müßten uns vorläufig trennen. Sie -blickte mich beunruhigt, forschend an, erblaßte, sprach jedoch kein -Wort. Bloß im Augenblick des Abschieds fragte sie, ob ich nicht Nella -sehen möchte. Ich verneinte und küßte Enno zum letzten Mal. - -Dann versank ich in ein dumpfes, tödliches Grübeln. Kalter Gram ließ -mich erschaudern, zerriß meine Gedanken. Von Nettis und Mennis Reden war -mir bloß eine blasse, gleichgültige Erinnerung geblieben, als wären sie -etwas Unwichtiges, Uninteressantes. Nur ein einziges Mal durchzuckte -mein Gehirn die Erkenntnis: also deshalb verließ mich Netti, von dieser -Expedition hängt _alles_ ab. Hingegen hatte ich Sternis Worte und sogar -ganze Sätze seiner Rede getreu im Gedächtnis behalten: »Das -Unvermeidliche muß _begriffen_ werden ... einige Millionen Zellenwesen -... die völlige Ausrottung der Erdenmenschheit ... er wurde von einer -schweren psychischen Krankheit befallen ...« Doch vermochte ich weder -Zusammenhänge, noch einen Ausweg zu finden. Bisweilen erschien mir die -Ausrottung der Erdenmenschheit als eine bereits vollzogene Tatsache, -aber auf unklare, abstrakte Art. Mein Schmerz wurde größer, und in mir -erwachte der Gedanke, daß an dieser Ausrottung ich die Schuld trage. -Dann wieder sah ich ein, daß ja noch nichts geschehen war, vielleicht -niemals etwas derartiges geschehen würde. Aber selbst das vermochte -nicht meinen Kummer zu lindern. Ich konstatierte bei mir: »Alle werden -sterben ... auch Anna Nikolajewna ... und der Arbeiter Vania ... und -Netti, nein, Netti bleibt am Leben, sie ist ein Marsmensch ... sonst -aber werden alle sterben ... doch ist dies nicht grausam, denn sie -werden nicht leiden ... so sagte Sterni ... alle werden sterben, weil -ich erkrankte ... das bedeutet, daß ich daran die Schuld trage ...« -Zerrissene schwere Gedanken erstarrten in meinem Bewußtsein, kalt, -reglos. Und zugleich mit ihnen schien die Zeit stehen zu bleiben. - -Auf mir wuchtete eine schwere, qualvolle, nicht abzuschüttelnde Last. -Die Gespenster befanden sich nicht außerhalb meiner selbst; in meiner -Seele hockte ein einziges, schwarzes Gespenst, und dieses Gespenst -bedeutete für mich _alles_. Ich sah kein Ende der Qual, war doch die -Zeit stehen geblieben. - -Der Gedanke an Selbstmord suchte mich heim, drang aber nicht völlig in -mein Bewußtsein. Der Selbstmord erschien mir nutzlos und öde, -- konnte -er denn meinen schwarzen Gram heilen? Ich vermochte nicht an den -Selbstmord zu glauben, weil ich den Glauben an mein Sein verloren hatte. -Qual, Kälte und Haß existierten, aber mein »Ich« verlor sich in ihnen, -wie etwas Richtiges, unsäglich Kleines. Es gab kein »Ich«. - -Es kamen Augenblicke, da meine Stimmung so unerträglich war, daß in mir -der wilde Wunsch erwachte, mich auf meine ganze Umgebung zu stürzen, auf -Lebendiges und Totes, alles zu zerschlagen, zu zerreißen, zu vernichten, -damit davon auch nicht die geringste Spur zurückbleibe. Doch besaß ich -noch genügend Verstand, um zu wissen, daß dies sinnlos und kindisch -wäre; ich biß die Zähne zusammen und beherrschte mich. - -Ohne Unterlaß umkreisten meine Gedanken Sterni; sein Bild haftete starr -in meinem Bewußtsein, war der Mittelpunkt aller Qualen und Leiden. -Allmählich, äußerst langsam, kristallisierte sich um diesen Mittelpunkt -ein Entschluß heraus, der immer klarer und fester ward: »Ich muß Sterni -sehen«. Weshalb, aus welchem Grund ich ihn sehen wollte, vermochte ich -nicht zu sagen. Ich wußte bloß, daß ich es tun müsse. Zugleich aber fiel -es mir qualvoll schwer, die auf mir lastende Starre und Unbeweglichkeit -zu durchbrechen, um meinen Entschluß auszuführen. - -Ich begab mich in den großen Observatoriumssaal und sprach dort zu einem -der Arbeiter: »Ich muß Sterni sehen.« Der Genosse ging, um Sterni zu -rufen, kehrte nach wenigen Augenblicken zurück und erklärte, Sterni sei -eben mit der Prüfung eines Instrumentes beschäftigt, er werde in einer -Viertelstunde frei sein, und ich möge so lange in seinem Arbeitszimmer -warten. - -Der Genosse führte mich ins Arbeitszimmer. Ich setzte mich in einen -Lehnstuhl vor den Schreibtisch und wartete. Der Raum war voll der -verschiedensten Apparate und Maschinen, von denen ich einige kannte, -während mir die anderen fremd waren. Meinem Lehnstuhl gegenüber ragte -ein Instrument mit einem schweren Metallstativ auf, an dessen Ende sich -drei Messer befanden. Auf dem Tisch lag ein offenes Buch über die Erde -und deren Bewohner. Ich begann mechanisch darin zu lesen, hielt aber -schon nach den ersten Zeilen inne und versank in ein dem früheren -ähnliches Grübeln. In meinem Inneren fühlte ich, zusammen mit der alten -Qual, eine unbezwingliche, fast krampfartige Erregung. So verging die -Zeit. - -Auf dem Korridor wurden schwere Schritte vernehmbar, die Tür öffnete -sich, und Sterni betrat das Zimmer; auf seinen Zügen lag der -gewöhnliche, gelassen beschäftigte Ausdruck. Er setzte sich in den -Lehnstuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches und blickte mich -fragend an. Ich schwieg. Er wartete noch einen Augenblick, wandte sich -dann an mich mit der Frage: »Womit kann ich Ihnen dienen?« - -Ich verharrte noch immer stumm, starrte ihn an, als wäre er ein lebloser -Gegenstand. Er zuckte kaum merklich die Achseln und lehnte sich -abwartend im Lehnstuhl zurück. - -»Nettis Mann ...« sprach ich schließlich halbbewußt, mit Anstrengung, -mehr zu mir selbst, als zu ihm. - -»Ich war Nettis Mann«, verbesserte er mich gelassen. »Wir haben uns -bereits vor langer Zeit getrennt.« - -»Die Ausrottung ... wird nicht ... grausam ...« stammelte ich, langsam -fast unbewußt jenen Gedanken Ausdruck verleihend, die mein Gehirn -durchwirbelten. - -»Also darum handelt es sich«, meinte er ruhig. »Jetzt ist doch davon -nicht mehr die Rede. Es wurde, wie Sie ja wissen, ein völlig anderer -Beschluß gefaßt.« - -»Ein anderer Beschluß ...«, wiederholte ich mechanisch. - -»Was meinen damaligen Plan anbelangt«, fuhr Sterni fort, »so muß ich -zugeben, daß ich ihn noch nicht gänzlich aufgegeben habe. Doch bin ich -von seiner Richtigkeit nicht mehr so fest überzeugt.« - -»Nicht mehr so fest ...« wiederholte ich abermals. - -»Ihre Genesung und Ihre Teilnahme an unserer Gemeinschaftsarbeit haben -zum Teil meine Argumente widerlegt ...« - -»Ausrottung ... zum Teil ...« murmelte ich, und das ganze von mir -empfundene Leid und Weh mochten wohl aus meiner unbewußten Ironie -klingen. Sterni erblaßte, schaute mich bekümmert an. Dann trat Schweigen -ein. - -Jählings preßte die kalte Hand des Schmerzes mit übermächtiger, -ungeahnter Kraft mein Herz zusammen. Ich warf mich in den Lehnstuhl -zurück, um den in mir aufsteigenden wahnsinnigen Schrei zu unterdrücken. -Meine Finger umklammerten krampfhaft etwas Hartes, Kaltes. Ich fühlte in -der Hand eine schwere Waffe. Mein Kummer verwandelte sich in sinnlose -Verzweiflung. Ich schnellte vom Lehnstuhl empor und führte gegen Sterni -einen gewaltigen Schlag. - -Eines der drei Messer fiel auf ihn nieder; ohne einen Laut stürzte er -zur Seite wie ein lebloser Körper. - -Ich rannte auf den Korridor hinaus und sprach zum ersten mir begegnenden -Genossen: »Ich habe Sterni getötet.« Der Genosse erbleichte und eilte -ins Arbeitszimmer, doch mußte er sich wohl auf den ersten Blick -überzeugt haben, daß es hier keine Rettung mehr gebe, denn er kehrte -sofort zu mir zurück. Er führte mich in seine Stube, beauftragte einen -anderen Genossen, telephonisch einen Arzt zu berufen und sich dann zu -Sterni zu begeben. Wir blieben allein zurück. Anscheinend konnte er sich -nicht entschließen, mit mir zu sprechen. Ich selbst brach das Schweigen, -indem ich ihn fragte: - -»Ist Enno hier?« - -»Nein«, entgegnete er, »sie fuhr für einige Tage zu Nella.« - -Wir schwiegen abermals, bis sich der Arzt einfand. Er versuchte mich -über das Vorgefallene zu befragen, doch erwiderte ich, ich wolle nichts -sagen. Dann brachte er mich in die nahegelegene Heilanstalt für -Geisteskranke. - -Hier stellte man mir ein großes behagliches Zimmer zur Verfügung, und -ich wurde lange Zeit nicht belästigt. Etwas Besseres konnte ich mir gar -nicht wünschen. - -Für mich erschien jetzt die Lage völlig geklärt. Ich hatte Sterni -getötet und dadurch alles vereitelt. Die Marsbewohner sahen nun an einem -lebendigen Beispiel, was sie von einer Annäherung an die Erdenmenschen -erwarten durften. Sie sahen, daß sogar jener, den sie für befähigt -gehalten hatten, ihr Leben zu teilen, ihnen nichts anderes zu bringen -vermocht hatte, als Gewalt und Tod. Sterni war tot, aber seine Idee -feierte ihre Auferstehung. Die letzte Hoffnung entschwand, die Erdenwelt -war verdammt. Und an all dem trug ich die Schuld. - -Nach dem Mord kreisten diese Gedanken in meinem Gehirn, beherrschten es -zusammen mit der Erinnerung an meine Tat. Anfangs eignete der kalten -Gewißheit eine Art Beruhigung. Dann aber steigerten sich Qual und -Schmerz ins Grenzenlose. - -Ich empfand gegen mich selbst die heftigste Abneigung. Fühlte mich als -Verräter an der ganzen Menschheit. Einen Augenblick lang empfand ich die -unklare leise Hoffnung, die Marsbewohner würden mich töten, doch -erkannte ich dann, ich müsse sie allzu sehr ekeln, und daß ihre -Verachtung für mich sie daran hindern würde. Freilich verbargen sie ihre -Abneigung gegen mich, dennoch bemerkte ich sie trotz all ihrer -Bemühungen genau. - -Ich weiß nicht, wie viel Zeit auf diese Art verstrich. Endlich betrat -der Arzt das Zimmer und teilte mir mit, ich solle mich auf die Rückkehr -nach der Erde vorbereiten. Ich glaubte, dies bedeute ein verschleiertes -Todesurteil, doch empfand ich keinen Wunsch, mich dagegen zu wehren. Bat -nur, mein Leichnam möge von allen Planeten so weit wie möglich geworfen -werden, damit ich diese nicht verunreinige. - -Die Eindrücke der Rückreise sind äußerst unklar und verschwommen. In -meiner Umgebung sah ich keine bekannten Gesichter, sprach auch mit -niemandem. Mein Bewußtsein war zwar nicht getrübt, doch bemerkte ich -nichts von meiner Umgebung. Mir war alles einerlei. - - - Vierter Teil - - - Bei Werner - -Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich mich plötzlich im Krankenhaus des -Doktor Werner, meines alten Genossen, befand. Es war das -Kreiskrankenhaus eines der nördlichen Gouvernements, das mir schon lange -aus Werners Briefen bekannt war. Das Gebäude befand sich einige Werst -von der Gouvernementsstadt entfernt, war äußerst schlecht geleitet, -stets überfüllt, hatte zum wirtschaftlichen Verwalter einen großen -Betrüger und verfügte über ein zahlenmäßig geringes, stark -überarbeitetes Personal. Doktor Werner sah sich gezwungen, zusammen mit -der äußerst liberalen Kreisverwaltung einen erbitterten Kampf gegen den -wirtschaftlichen Verwalter zu führen, gegen die von diesem äußerst -schlecht geleiteten Baracken, gegen den Bau der Kirche, den der -Verwalter um jeden Preis beendigen wollte, sowie um die angemessene -Entlohnung der Angestellten usw. Die Kranken starben aus Schwäche statt -zu gesunden, wurden infolge der schlechten Luft und ungenügenden Nahrung -von der Tuberkulose befallen. Werner selbst hätte natürlich schon längst -das Krankenhaus verlassen, würden ihn nicht ganz besondere, mit seiner -revolutionären Vergangenheit zusammenhängende Umstände dort festgehalten -haben. - -Mich ließen alle diese Reize des Krankenhauses kalt. Werner war ein -ausgezeichneter Genosse und zögerte nicht, mir seine Bequemlichkeit zu -opfern. Er überließ mir in der großen Wohnung, auf die er als erster -Arzt ein Anrecht besaß, zwei Stuben; in der anstoßenden dritten wohnte -ein junger Feldscher, in der vierten, die dem Schein nach der -Krankenpflege diente, verbarg sich ein verfolgter Genosse. Freilich -umgab mich keine besondere Behaglichkeit, und die Aufsicht, der ich -unterworfen war, dünkte mich trotz dem großen Taktgefühl des jungen -Genossen weit stärker ausgeprägt und fühlbarer, als auf dem Mars. Doch -war mir all dies völlig gleichgültig. Doktor Werner verabreichte mir -ebenso wie die Aerzte auf dem Mars fast keine Medizin, gab mir nur -bisweilen ein Schlafmittel ein und sorgte vor allem dafür, daß ich Ruhe -habe und mich wohl fühle. Allmorgendlich und allabendlich suchte er mich -nach dem Bad auf, das mir der fürsorgliche Genosse zu bereiten pflegte. -Doch dauerte sein Besuch stets nur wenige Minuten, und er beschränkte -sich auf die Frage, ob ich nichts brauche. In den langen Monaten meiner -Krankheit hatte ich mir das Sprechen fast abgewöhnt und begnügte mich -damit, nein zu sagen, oder aber überhaupt keine Antwort zu geben. Seine -Fürsorge jedoch störte mich, denn ich fühlte, daß ich eine derartige -Behandlung gar nicht verdiene und daß ich ihm dies eigentlich mitteilen -müßte. Schließlich gelang es mir auch mit Anstrengung aller Kräfte, ihm -zu bekennen, daß ich ein Mörder und Verräter sei und daß durch meine -Schuld die ganze Menschheit zugrunde gehen müsse. Er widersprach nicht, -lächelte bloß und kam von da an häufiger. - -Allmählich übte die Umgebung auf mich eine heilsame Wirkung aus. Der -Schmerz krampfte mir weit weniger stark das Herz zusammen, die Qual -verblaßte, die Gedanken wurden beweglicher, ihre Färbung wurde heller. -Ich _begann das Zimmer zu verlassen_, im Garten und im Hain zu -spazieren. Irgendeiner der Genossen hielt sich immer in meiner Nähe auf; -das war peinlich, doch begriff ich sehr wohl, daß man einen Mörder nicht -frei umhergehen lassen könne. Bisweilen sprach ich auch mit den -Genossen, freilich nur über gleichgültige Dinge. - -Es war zu Beginn des Frühlings, und die Wiedergeburt des Lebens ringsum -schwächte ein wenig das Qualvolle meiner Erinnerungen ab; das Zwitschern -der Vögel rief in mir eine gewisse traurige Beruhigung wach, erweckte -den Gedanken, daß wenigstens sie nicht vergehen würden, sondern weiter -leben, und daß nur die Menschen verloren seien. Einmal begegnete mir im -Hain ein Schwachsinniger, der sich unter Aufsicht aufs Feld zur Arbeit -begab. Er empfahl sich von mir mit außerordentlich stolzer Gebärde -- er -litt an Größenwahn, erklärte, er sei ein Gendarm, anscheinend die -höchste Macht, die er während seines Lebens in der Freiheit gekannt -hatte. Zum ersten Mal in meiner ganzen Krankheit mußte ich unwillkürlich -lachen. Ich fühlte, daß mich das Vaterland umgebe, und gleich dem Riesen -Antheus schöpfte ich, wenngleich äußerst langsam, neue Kraft aus der -Heimaterde. - - - War es -- war es nicht? - -Als sich die Gedanken mehr meiner Umgebung zuwandten, verlangte es mich -zu wissen, ob Werner und den beiden anderen Genossen bekannt sei, was -sich mit mir ereignet und was ich getan hatte. Ich fragte Werner, wer -mich ins Krankenhaus gebracht habe? Er erwiderte, ich sei mit zwei ihm -unbekannten jungen Leuten gekommen, die nichts Genaues über meine -Krankheit zu berichten wußten. Sie erklärten, mir in der Hauptstadt -begegnet zu sein. Sie bemerkten, daß ich krank sei, hatten mich bereits -vor der Revolution gekannt und damals durch mich von Doktor Werner -gehört. Deshalb wandten sie sich nun an ihn. Sie reisten noch am -gleichen Tag ab. Bei Werner hatten sie den Eindruck anständiger junger -Menschen erweckt, an deren Worten nicht zu zweifeln war. Er selbst hatte -mich bereits seit etlichen Jahren aus dem Auge verloren und es war ihm -nicht gelungen, über mich Nachricht zu erhalten. - -Ich wollte Werner über den von mir begangenen Mord berichten, doch fiel -mir dies furchtbar schwer. War doch die ganze Geschichte unsäglich -kompliziert, mit unzähligen Umständen verknüpft, die sie einem -leidenschaftslos beurteilenden Menschen äußerst seltsam erscheinen -lassen mußte. Ich erklärte Werner die Schwierigkeit und erhielt von ihm -die unerwartete Antwort: - -»Das beste wäre es, Sie würden mir jetzt überhaupt nichts erzählen. -Derartiges ist Ihrer Genesung nicht förderlich. Ich will natürlich nicht -mit Ihnen streiten, doch vermag ich an Ihre ganze Geschichte nicht zu -glauben. Sie sind an Melancholie erkrankt, und diese Krankheit veranlaßt -die ehrbarsten anständigsten Menschen, sich allerlei nie begangener -Verbrechen zu zeihen. Das Gedächtnis unterstützt die Phantasie und -erzeugt trügerische, unwahre Erinnerungen. Sie werden mir dies erst dann -glauben, wenn Sie wieder hergestellt sind, deshalb ist es auch besser, -die Erzählung bis zu jenem Zeitpunkt hinauszuschieben.« - -Hätte dieses Gespräch einige Monate früher stattgefunden, so hätte ich -zweifellos aus Werners Worten ein großes Mißtrauen und die Verachtung -meiner Person herausgelesen. Jetzt jedoch, da meine Seele bereits nach -Rast und Erholung suchte, faßte ich die ganze Sache anders auf. Es war -mir angenehm, daß mein Verbrechen den Genossen nicht bekannt sei und daß -die Tatsache angezweifelt werden könne. Ich begann von nun an immer -seltener an meine Tat zu denken. - -Meine Genesung machte rasche Fortschritte, nur bisweilen übermannte mich -wieder die frühere Qual, doch dauerten diese Anfälle niemals lange. -Werner war offensichtlich mit mir zufrieden, ich wurde auch nicht mehr -so scharf beobachtet. Seiner Ansicht über meine »Phantasien« gedenkend, -bat ich ihn, mir einen typischen Fall meiner Krankheit zum Lesen zu -geben, den er im Krankenhaus beobachtet und niedergeschrieben hatte. -Zögernd und ungern erfüllte er meine Bitte. Er wählte aus den -verschiedensten Krankheitsgeschichten eine und gab sie mir. - -In dieser Krankheitsgeschichte wurde der Fall eines Bauern erzählt, den -die Not aus einem entlegenen Dörfchen in eine der größten Fabriken der -Hauptstadt trieb. Das Leben der großen Stadt erschütterte offensichtlich -sein seelisches Gleichgewicht; den Worten seiner Frau zufolge war er -lange Zeit »völlig außer sich«. Dann verging dies, er lebte und -arbeitete wie alle übrigen. Als in der Fabrik ein Streik ausbrach, stand -er auf Seiten der Genossen. Der Streik war lange und hartnäckig, der -Bauer mußte mit Frau und Kindern Hunger leiden. Plötzlich begann er sich -zu grämen, machte sich Vorwürfe, weil er geheiratet und ein Kind gezeugt -habe und überhaupt »gottlos« lebe. - -Dann begann er irre zu reden, wurde zuerst ins städtische Spital und von -dort in das Krankenhaus seines Heimatkreises gebracht. Er behauptete -steif und fest, daß er den Streik gebrochen und die Genossen verkauft -habe, sowie jenen »guten Ingenieur«, der im Geheimen den Streik -unterstützte, und der von der Regierung aufgehängt wurde. Zufällig -kannte ich genau die ganze Geschichte des Streiks -- ich arbeitete -damals in der Hauptstadt -- wußte genau, daß bei diesem Streik kein -Verrat vorgekommen, der »gute Ingenieur« nicht bloß nicht gehängt, -sondern nicht einmal verhaftet worden war. Die Krankheit des Arbeiters -endete mit seiner Genesung. - -Diese Geschichte verlieh meinen Gedanken eine neue Färbung. In mir wurde -der Zweifel wach, ob ich tatsächlich den Mord begangen, oder aber ob, -wie Werner sagte, »die Phantasie der Melancholie« mein Gedächtnis -beeinflußt habe. Zu jener Zeit waren meine Erinnerungen an das Leben auf -dem Mars seltsam verworren und verblaßt, zusammenhanglos und -unvollständig, und wenngleich das Bild des Verbrechens klar in meinem -Gedächtnis haftete, so verlor es sich doch in den einfachen und scharfen -Eindrücken der Gegenwart. Bisweilen schüttelte ich den kleinlichen, -beruhigenden Zweifel ab, erkannte klar, daß alles _tatsächlich_ so -gewesen und daß es unmöglich sei, dies abzuleugnen. Dann aber kehrten -Zweifel und Sophismen zurück, halfen mir, meine Gedanken von der -Vergangenheit abzuwenden. Die Menschen glauben so gerne das, was ihnen -angenehm ist ... Und wenngleich in der Tiefe meiner Seele die Erkenntnis -lebte, daß diese Auffassung eine Lüge sei, so überließ ich mich ihr -dennoch freudig, wie man sich einem Glückstraum überläßt. - -Heute glaube ich, daß meine Genesung ohne diese betrügerische -Autosuggestion nicht so rasch und so völlig erfolgt wäre. - - - Das Leben der Heimat - -Werner hielt von mir sorgsam jeden Eindruck fern, der für meine -Gesundheit irgendwie »schädlich« hätte sein können. Er gestattete mir -nicht, mit ihm ins Krankenhaus zu gehen, und von den dort beherbergten -Geisteskranken durfte ich nur die unheilbar Schwachsinnigen und -Degenerierten beobachten, die frei umhergingen und sich mit -verschiedenen Arbeiten auf dem Feld, in Hain und Garten beschäftigten. -Ich muß gestehen, daß mich diese Fälle nicht sonderlich interessierten, -habe ich doch mein Lebtag alles Hoffnungslose, Nutzlose, für -Immer-Verurteilte gehaßt. Es verlangte mich weit mehr danach, akute -Fälle zu studieren, vor allem jene, bei denen die Hoffnung auf Genesung -bestand, die Melancholiker und die heiteren Maniaken. Werner versprach -mir, mich mit ihnen bekannt zu machen, sobald meine eigene Genesung -genügend Fortschritte gemacht habe; doch schob er es immer wieder von -neuem hinaus. - -Noch mehr aber bemühte sich Werner, mich von dem politischen Leben der -Heimat zu isolieren. Anscheinend nahm er an, meine ganze Erkrankung -rühre von den furchtbaren Eindrücken der Revolution her. Er wollte nicht -glauben, daß ich mich die ganze Zeit über fern der Heimat befunden habe -und nicht einmal wußte, was sich hier ereignet hat. Er hielt meine -Unkenntnis der Lage für bloße Vergeßlichkeit und fand diese Tatsache sei -für mich und meine Gesundheit äußerst günstig. Er weigerte sich nicht -nur, mir etwas über die Vorfälle zu berichten, sondern verbot dies auch -meinen Wärtern; in der ganzen Wohnung war keine einzige Zeitung, keine -einzige Zeitschrift aus den letzten Jahren zu finden, er verbarg alle -derartigen Dinge in seinem Arbeitszimmer oder im Krankenhaus. Ich war -gezwungen, auf einer unbewohnten politischen Insel zu leben. - -Anfangs, da es mich einzig und allein nach Ruhe und Stille verlangte, -erschien mir diese Lage sehr angenehm. Später jedoch, als meine Kräfte -zunahmen, wurde es mir in der Austernschale zu eng; ich stellte an meine -Gefährten allerlei Fragen, die sie, dem Gebot des Arztes gehorchend, -nicht beantworteten. Ich ärgerte und langweilte mich. Versuchte, meine -politische Quarantäne zu durchbrechen, Werner davon zu überzeugen, daß -ich gesund genug sei, um Zeitungen lesen zu dürfen. Vergeblich; Werner -erklärte, es wäre verfrüht, und er selbst werde beurteilen, wann es an -der Zeit sei, meine geistige Diät abzuändern. - -Nun nahm ich zur List meine Zuflucht. Es galt, in meiner Umgebung einen -Spießgesellen zu finden, der seiner Freiheit nicht beraubt war. Den -Feldscher für mich zu gewinnen, wäre äußerst schwierig gewesen: er hatte -eine übertrieben hohe Auffassung von seiner Berufspflicht. Deshalb -wandte ich mich an den anderen Krankenpfleger, den Genossen Wladimir. -Bei ihm stieß ich auf keinen großen Widerstand. - -Wladimir war früher Arbeiter gewesen. Fast noch ein unwissender Knabe, -hatte er sich den Revolutionären angeschlossen, war aber jetzt bereits -ein erfahrener Soldat. Zur Zeit eines gewaltigen Pogroms, als eine -Unzahl Genossen unter den Kugeln gefallen und in den Flammen der -Feuersbrunst zugrundegegangen waren, hatte er sich einen Weg durch die -Menge der Pogromisten gebahnt, etliche derselben erschossen und war -durch einen glücklichen Zufall mit heiler Haut davongekommen. Dann lebte -er lange Zeit illegal in verschiedenen Städten und Dörfern, widmete sich -der bescheidenen aber gefährlichen Aufgabe, Literatur und Waffen zu -transportieren. Schließlich, als ihm schon der Boden unter den Füßen -brannte, sah er sich gezwungen, bei Werner ein Versteck zu suchen. Diese -Einzelheiten erfuhr ich selbstverständlich erst später. Doch bemerkte -ich gleich zu Anfang, daß der junge Mann unter seiner geringen Bildung -litt und daß es ihn, dem die frühere wissenschaftliche Disziplin fehlte, -viel Mühe kostete, sich selbst weiterzubilden. Ich begann mich mit ihm -zu beschäftigen, wir kamen gut vorwärts, und ich gewann auf ewig sein -Herz. Später fiel es mir leichter, mich meinem Ziel zu nähern: Wladimir -hielt nur wenig von medizinischen Anordnungen und wir zettelten eine -kleine Verschwörung an, um Doktor Werners Strenge zu paralysieren. -Wladimirs Erzählungen, die Zeitungen, Zeitschriften und politischen -Broschüren, die er mir zusteckte, gaben mir gar bald ein Bild vom Leben -der Heimat während meiner Abwesenheit. - -Die Revolution war nicht glatt vor sich gegangen, hatte sich qualvoll -lange hingezogen. Das aus seiner Stumpfheit erwachende Proletariat hatte -anfangs, dank unerwarteter Angriffe, große Siege errungen, doch wurde es -im entscheidenden Augenblick von den Bauernmassen im Stich gelassen, und -die vereinigten Kräfte der Reaktion brachten ihm furchtbare Niederlagen -bei. Während es für einen neuen Kampf Kräfte sammelte und die Nachhut -der bäuerlichen Revolutionäre erwartete, wurden zwischen den -Großgrundbesitzern und der Bourgeoisie Verhandlungen angebahnt, die ein -gemeinsames Vorgehen und die Erdrosselung der Revolution bezweckten. -Diese Absichten nahmen die Form einer parlamentarischen Komödie an; sie -endeten infolge der unversöhnlichen Haltung der Agrarier-Reaktionäre mit -einem Mißerfolg. Das Spielzeug-Parlament berief seine Mitglieder ein, -jagte sie dann, eines nach dem anderen, auf die gröbste Weise wieder -fort. Die Bourgeoisie, erschöpft von den Stürmen der Revolution, -erschreckt durch die ersten selbstbewußten energischen Angriffe des -Proletariats, ging immer weiter nach rechts. Die Bauernschaft, in ihren -Massen revolutionär gesinnt, machte sich rasch die politische Erfahrung -zu eigen; die Flammen zahlloser Feuersbrünste erhellten den von ihr -eingeschlagenen Weg des Kampfes. Die alte Macht versuchte auf blutigste -Art die bäuerliche Erhebung abzuwürgen, wollte zu gleicher Zeit die -Bauernschaft durch Verteilung von Grund und Boden versöhnen, doch -geschah letzteres auf eine so geizige, schmutzige Art, das es völlig -ergebnislos blieb. Tagtäglich ereigneten sich auf allen Seiten, von -allen Parteien und Gruppen unternommene Ueberfälle. Im Lande wütete ein -noch nie dagewesener, in keinem Reiche der Erde je geahnter Terror, oben -und unten. - -Das Land ging einem neuen entscheidenden Kampf entgegen. Doch war dieser -Weg so lang und so voller Schwanken und Zweifeln, daß viele von -Erschöpfung und sogar von Verzweiflung übermannt wurden. Die radikale -Intelligenz, die am Kampf teilnahm, vor allem die Sympathisierenden, -gingen fast vollständig ins Lager der Feinde über. Freilich bedauerte -das niemand. Aber sogar unter meinen einstigen Genossen entstanden -Verzagtheit und Hoffnungslosigkeit. Diese Tatsache bewies mir klar, wie -schwer und kraftraubend das revolutionäre Leben dieser Zeit gewesen war. -Ich selbst, ein ausgeruhter Mensch, der sich der Vorrevolutionszeit und -des Anfangs des Kampfes erinnerte, ohne jedoch die Härte der späteren -Niederlagen erlitten zu haben, sah klar das sinnlose Untergraben der -Revolution, sah, wie sehr sich alles in diesen Jahren verändert habe, -wie viele neue Elemente des Kampfes hinzugekommen waren, wie unmöglich -es war, das Gleichgewicht herzustellen. Die neue Woge der Revolution -mußte kommen und war schon nahe. - -Es gab bloß eine Möglichkeit: warten. Ich ahnte, wie qualvoll schwer -unter diesen Umständen die Arbeit der Genossen sein mußte. Mich selbst -verlangte es nicht, allzu rasch wieder an die Arbeit zu gehen. Und dies -unabhängig von Werners Ansichten; ich fand, es sei klüger, Kräfte zu -sammeln, um sie erst dann anzuwenden, wenn sie wieder ihre ganze Stärke -erreicht hatten. - -Auf unseren langen Spaziergängen im Hain erwogen wir, Wladimir und ich, -die Aussichten und Bedingungen des bevorstehenden Kampfes. Die heroisch -naiven Träume und Pläne meines Gefährten erschütterten mich zutiefst, er -schien mir ein edles, liebes Kind, dem ein schlichter, anspruchslos -schöner Kämpfertod bevorstand, erhaben und einfach, wie sein ganzes -junges Leben gewesen. Der Weg der Revolution wird mit edlen Opfern -bezeichnet, und schönes Blut färbt die proletarische Fahne. - -Aber nicht nur Wladimir kam mir wie ein Kind vor. Selbst Werner, dieser -alte Revolutionär, erschien mir weit naiver und kindlicher, als ich -früher geglaubt hatte -- und das gleiche Gefühl empfand ich auch anderen -Genossen, ja sogar etlichen unserer Führer gegenüber ... Alle jene -Menschen, die ich auf der Erde gekannt hatte, machten auf mich den -Eindruck halbkindlicher, noch nicht völlig erwachsener Wesen, die das -Leben in sich und ringsum nur unklar zu erfassen vermögen, die äußeren -und inneren Gewalten gehorchen. In dieser Empfindung war kein Tropfen -von Selbstüberhebung, oder Verachtung, sondern tiefe Zuneigung und -brüderliches Interesse für diese embryonalen Geschöpfe, die Kinder einer -jungen Menschheit. - - - Der Briefumschlag - -Die glühende Sommersonne schien das Eis, in dem das Leben des Landes -erstarrt war, zu schmelzen. Es erwachte, und die Morgenröte neuer Stürme -zeigte sich am Horizont. Aus der Tiefe drang von neuem dumpfes Murren. -Diese Sonne, dieses Erwachen erwärmten meine Seele, steigerten meine -Kräfte; ich fühlte, bald würde ich gesünder sein, als ich es je zuvor -gewesen. - -In dieser Stimmung unklarer Lebensfreude wollte ich nicht mehr an die -Vergangenheit denken. Das Bewußtsein, ich sei von der ganzen Welt, von -allen vergessen, tat mir wohl ... Für die Genossen wollte ich erst zu -einer Zeit auferstehen, da es keinem mehr einfallen würde, mich über die -Jahre meiner Abwesenheit zu befragen, es für derartiges kein Interesse -geben und meine Vergangenheit in den stürmischen Wogen einer neuen Flut -versunken sein werde. Bemerkte ich jedoch Tatsachen, die diese meine -Hoffnung als zweifelhaft erscheinen ließen, so erfaßten mich Erregung -und Unruhe, sowie eine sinnlose Feindseligkeit gegen jene, die sich noch -an mich erinnern konnten. - -An einem Sommerabend fand sich Werner bei der Rückkehr aus dem -Krankenhaus nicht, wie gewöhnlich, im Garten ein, um sich zu erholen -- -er bedurfte dieser Erholung, denn der Rundgang durchs Krankenhaus -ermüdete ihn sehr, -- sondern suchte mich auf und begann mich -ausführlich über mein Befinden zu befragen. Mir schien, als strenge er -sich an, meine Antworten im Gedächtnis zu behalten. Das war etwas -ungewöhnliches, und ich glaubte, er habe vielleicht durch einen Zufall -meine kleine Verschwörung entdeckt. Doch merkte ich bald, daß er -keinerlei Verdacht hege. Dann verließ er die Stube und begab sich in -sein Arbeitszimmer. Erst eine halbe Stunde später sah ich durchs -Fenster, daß er in seiner dunklen Lieblingsallee spazieren ging. Ich -konnte nicht umhin, diese Kleinigkeiten zu beobachten, gab es ja in -meiner Umgebung keinerlei große Vorfälle und Ereignisse. Nachdem ich -verschiedene Vermutungen verworfen hatte, kam ich zu der -allerwahrscheinlichsten Lösung, Werner wolle vielleicht auf eine -besondere Aufforderung hin jemandem über meine Gesundheit einen Bericht -schreiben. Die Post wurde ihm allmorgendlich in sein Arbeitszimmer -gebracht, -- vielleicht hatte er heute einen Brief erhalten, der sich -nach mir erkundigte. - -Von wem war dieser Brief, was bezweckte er? Ich mußte dies unbedingt -erfahren, um meine Seelenruhe wiederzufinden. Werner selbst zu befragen, -wäre vergeblich gewesen -- er schien einen besonderen Grund zu haben, -mir den Brief zu verheimlichen, hätte sonst von selbst darüber -gesprochen. Ob vielleicht Wladimir etwas wußte? Aber es erwies sich, daß -auch ihm nichts bekannt war. Ich überlegte, auf welche Art und Weise ich -die Wahrheit erfahren könnte. - -Wladimir war zu jedem Dienst bereit. Meine Neugierde erschien ihm völlig -berechtigt, Werners geheimnisvolles Wesen hingegen fand er unbegründet. -Er scheute sich nicht, Werners Zimmer einer wahren Durchsuchung zu -unterziehen, desgleichen das medizinische Kabinett, doch fand er nichts -Interessantes. - -»Entweder hat er den Brief eingesteckt«, meinte Wladimir, »oder aber -zerrissen und fortgeworfen.« - -»Wohin wirft er gewöhnlich die zerrissenen Briefe und Papiere?« fragte -ich. - -»In den Korb, der unter dem Tisch seines Arbeitszimmers steht.« - -»Gut, bringen Sie mir alle Papiere, die Sie im Korb finden.« Wladimir -ging und kehrte eiligst zurück. - -»Es sind gar keine Papiere im Korb«, erklärte er. »Doch fand ich diesen -Briefumschlag, den er, dem Stempel nach, heute erhalten haben muß.« - -Ich griff nach dem Umschlag und betrachtete die Aufschrift. Plötzlich -schien unter meinen Füßen die Erde zu versinken, und die Wände drohten -über mir einzustürzen ... - -Es war Nettis Schrift! - - - Der Abschluß - -Aus dem Chaos der Erinnerungen und Gedanken, in dem meine Seele versank, -als ich sah, daß sich Netti auf der Erde befinde und nicht mit mir -zusammentreffen wolle, erhob sich nur das Endergebnis klar und deutlich. -Dies kristallisierte sich gleichsam von selbst heraus, ohne irgendeinen -logischen Prozeß, und stand über jedem Zweifel. Doch vermochte ich mich -damit nicht abzufinden. Ich wollte meine Tat mir und anderen gegenüber -begründen. Vor allem aber konnte ich mich nicht in den Gedanken finden, -daß Netti meine Tat nicht begreifen, sie für einen bloßen Ausbruch des -Gefühls halten könnte, obschon sie doch eine logische Notwendigkeit -gewesen war, die sich unvermeidlich aus meiner ganzen Geschichte -entwickelt hatte. - -Es galt also, vor allen folgerichtig meine Geschichte zu erzählen, um -der Genossen, um meiner, um Nettis willen ... Deshalb wurde dieses -Manuskript geschrieben. Werner, der es als erster lesen wird -- am Tage -nach Wladimirs und meiner Flucht -- möge für dessen Veröffentlichung -sorgen, -- selbstverständlich muß er die nötigen, durch unsere -konspirative Tätigkeit bedingten Abänderungen vornehmen. Das ist meine -einzige Bitte. Ich bedaure sehr, daß ich ihm nicht zum Abschied die Hand -drücken kann ... - -Während ich an diesen Erinnerungen schrieb, erhob sich die Vergangenheit -immer heller und klarer vor mir, das Chaos verwandelte sich in -Gewißheit, die von mir gespielte Rolle, sowie meine Lage zeichneten sich -scharf in meinem Bewußtsein ab. Mit gesundem Verstand und klarer -Erinnerung vermag ich alles zum Abschluß zu führen ... - -Zweifellos überstieg die mir gestellte Aufgabe meine Kräfte. Worin aber -ist die Ursache meines Mißerfolges zu suchen? Und wie ist der Irrtum zu -erklären, den sich Mennis durchdringender, hoher Verstand bei meiner -Wahl zu schulden kommen ließ? - -Ich entsann mich eines Gespräches, das ich mit Menni über meine Wahl -geführt hatte. Es war zu jener glücklichen Zeit gewesen, als Nettis -Liebe in mir den unbegrenzten Glauben an meine Kraft erweckt hatte. - -»Wie kam es, Menni«, fragte ich, »daß Sie aus der großen Menge -verschiedenartigster Menschen unseres Landes, deren Bekanntschaft Sie -während Ihres Aufenthaltes auf der Erde gemacht hatten, gerade mich für -den geeignetsten Vertreter der Erde gehalten haben?« - -»Die Auswahl war nicht besonders groß«, entgegnete er. »Sie mußte im -Rahmen der Vertreter des wissenschaftlich-revolutionären Sozialismus -getroffen werden, denn alle anderen Weltanschauungen standen der unseren -noch weit ferner.« - -»Mag sein. Wäre es aber nicht viel leichter gewesen, unter den -Proletariern, die die Basis und die Kraft unserer Bewegung bedeuten, das -richtige zu finden?« - -»Ja, es wäre richtiger gewesen, dort zu suchen. Aber ... ich hätte bei -ihnen nicht das gefunden, was mir unentbehrlich schien: die umfassende, -vielseitige Bildung, die höchste Stufe Ihrer Kultur. Diese Tatsache -lenkte mein Suchen nach der anderen Seite.« - -So sprach Menni. Seine Annahme bewahrheitete sich nicht. Bedeutet dies, -daß er überhaupt keinen Erdenmenschen hätte mitnehmen dürfen, daß der -Unterschied zwischen den beiden Kulturen ein unüberbrückbarer Abgrund -ist, über den der _Einzelne_ nicht hinüberzugelangen, und den bloß die -Gesellschaft zu besiegen vermag? Das zu glauben, wäre für mich -persönlich ein großer Trost, doch zweifle ich ernstlich daran. Ich -glaube vielmehr, daß sich Menni in jener Ansicht, die unsere -Arbeitergenossen betrifft, geirrt habe. - -Wodurch erlitt ich Schiffbruch? - -Die erste Ursache war vielleicht der Umstand, daß sich eine Unmenge -Eindrücke des fremden Lebens auf meinen Geist stürzte, daß deren -Reichhaltigkeit mein Bewußtsein überflutete und die Ufer verwischte. Mit -Nettis Hilfe überlebte ich die Krise und fand mich wieder zurecht. Aber -war nicht diese Krise selbst die Folge jener erhöhten Empfindsamkeit, -jener verfeinerten Wahrnehmung, die rein geistig arbeitenden Menschen -eigen ist? Würde vielleicht einer primitiveren, etwas weniger -komplizierten, widerstandsfähigeren und einfacheren Natur alles leichter -gefallen, und für sie der rasche Uebergang weniger schmerzlich gewesen -sein? Vielleicht wäre es für den mindergebildeten Proletarier weniger -schwer gewesen, sich in ein neues, höheres Dasein zu finden, freilich -hätte er weit mehr Neues lernen müssen, doch wäre in seinem Fall nicht -nötig gewesen, so viel Altes zu verlernen, und gerade dies ist das -schwerste ... Mir scheint, daß ich in dieser Hinsicht recht habe und daß -sich in Mennis Berechnung ein Fehler eingeschlichen hatte, indem er dem -Kulturniveau mehr Bedeutung beimaß, als der kulturellen -Entwicklungskraft. - -Ferner wurden meine Seelenkräfte von dem _Charakter_ jener Kultur -zermalmt, an die ich mich mit meinem ganzen Wesen anzupassen versuchte. -Ihre Erhabenheit erdrückte mich, die Tiefgründigkeit ihrer sozialen -Bande, die Reinheit und Durchsichtigkeit der Verhältnisse zwischen -Mensch und Mensch. Sternis Rede, die auf etwas plumpe Art die -Unermeßlichkeit der zwei Lebenstypen beleuchtete, war bloß die -Veranlassung, der letzte Anstoß, der mich in die Untiefe stürzte, an -deren Rand mich mit elementarer, unbezwinglicher Kraft der Widerspruch -zwischen meinem Innenleben und dem ganzen sozialen Milieu, in der -Fabrik, der Familie, der Gesellschaft, unter Freunden getrieben hatte. -Und abermals muß ich fragen, ob diese Widersprüche nicht gerade bei mir -doppelt so stark und scharf fühlbar wurden, bei mir, dem revolutionären -Intellektuellen, der neun Zehntel seiner Arbeit entweder in der -Einsamkeit verrichtet hatte, oder zumindest unter Bedingungen, die ihn -von seinen auf einer anderen Bildungsstufe stehenden Mitarbeitern -absonderten? Bei mir, dessen Persönlichkeit sich von den anderen -_abgesondert_ hatte? Würden sich diese Widersprüche nicht weit schwächer -bei einem Menschen ausgewirkt haben, der neun Zehntel seines -Arbeitslebens auf primitive, undifferenzierte Art verbracht, sich aber -stets in einem Kameradenkreis aufgehalten hatte, mit diesem durch eine -grobe, aber tatsächliche Gleichheit verbunden? Mir schien, daß dem so -sei, und daß Menni seinen Versuch in anderer Richtung wiederholen müßte -... - -Zwischen den beiden von mir erlittenen Schiffbrüchen hatte es eine Zeit -der Entschlossenheit und der männlichen Tatkraft im Kampfe gegeben. Das, -was damals meine Kraft aufrecht erhielt, half mir auch heute ohne ein -Gefühl allzu großer Demütigung den Abschluß zu machen: Nettis Liebe. - -Freilich war Nettis Liebe ein edler und liebevoller Irrtum gewesen, -dennoch war eine solche Liebe _möglich_; diese Tatsache konnte durch -nichts und niemanden weggeleugnet und verändert werden. Für uns -bedeutete sie eine Bürgschaft für die tatsächliche Annäherung der beiden -Welten, und für ihre künftige Verschmelzung zu einer einzigen, ungeahnt -schönen und starken Welt. - -Und ich selbst ... Für mich gibt es keinen Abschluß. Für das neue Leben -war ich nicht geeignet, nach dem alten verlangt es mich nicht mehr. Ich -gehöre ihm nicht mehr an, weder den Gedanken, noch den Gefühlen nach. Es -gibt nur einen Ausweg. - -Die Zeit ist vorüber. Mein Spießgeselle erwartet mich im Garten; eben -hörte ich sein Signal. Morgen werden wir bereits fern von hier sein, auf -dem Wege dorthin, wo das Leben brodelt und die Ufer überflutet, wo es -leicht sein wird, die mir so verhaßte Grenze zwischen Vergangenheit und -Zukunft zu verwischen. Leb wohl, Werner, guter, alter Genosse. - -Gegrüßt seiest du, neues strahlendes Leben, und auch du, dessen -leuchtende Erscheinung: meine Netti! - - - - - Aus einem Brief des Doktor Werner an den Schriftsteller Mirski - - - (Der Brief trägt kein Datum; diese Unterlassung ist - offenbar durch Werners Zerstreutheit verschuldet.) - - * * * * * - -Die Kanonade war bereits seit langem verstummt, und noch immer wurden -neue und neue Verwundete gebracht. Die meisten davon waren Milizleute -und nicht Soldaten, oder friedliche Einwohner, darunter auch viele -Frauen und sogar Kinder: vor den Schrapnellen sind alle gleich. In mein -nahe dem Schlachtfeld gelegenes Krankenhaus wurden vor allem Milizleute -und Soldaten eingebracht. Die von den Granaten und Schrapnellen -verursachten furchtbaren Verwundungen machten sogar auf mich, den alten -Arzt, der seit Jahren nicht mehr chirurgisch gearbeitet hat, einen -tiefen Eindruck. Doch erhob sich aus dem Grauen triumphierend der -leuchtende Gedanke: Sieg! - -Es war unser erster großer Sieg im gegenwärtigen Ringen, war ein -entscheidender Sieg. Die Wagschale senkte sich nach der anderen Seite. -Ein furchtbares Gericht hub an. Hier wird es keine Gnade, sondern -Gerechtigkeit geben. Schon längst war die Zeit reif ... - -Auf den Straßen Blut und Trümmer. Feuersbrünste und der Rauch der -Kanonade hatten die Sonne blutrot gefärbt. Doch erschien sie unserem -Auge nicht böse und zornig, sondern freudenvoll. In der Seele klang ein -Kampflied, eine Siegeshymne. - - * * * * * - -Leonid wurde gegen Mittag ins Krankenhaus gebracht. Er hatte eine -gefährliche Wunde in der Brust und einige leichte Verletzungen, fast nur -Schrammen. Er hatte sich zur Nachtzeit mit dem fünften Grenadierregiment -in jenen Teil der Stadt begeben, der sich in den Händen der Regierung -befand. Der Kampf endete damit, daß einige verzweifelte Ueberfälle -Schrecken und Demoralisation hervorriefen. Leonid selbst hatte diesen -Plan entworfen und dessen Ausführung geleitet. Er hatte in früheren -Jahren viel in dieser Stadt gearbeitet und kannte alle Winkel und -Verstecke, konnte deshalb dieses tollkühne Unternehmen besser -durchführen als jeder andere. Der Führer der Miliz, der zuerst gegen den -Plan gewesen war, stimmte schließlich zu. Es gelang Leonid, mit seinen -Granaten bis zu einer der feindlichen Batterien vorzudringen und etliche -Kisten mit Munition zu zerschmettern. Während der durch die Explosion -entstandenen Panik gelang es den Unseren, die feindlichen Waffen zu -zerstören, sowie die Batterien. Dabei erhielt Leonid einige leichte -Verwundungen. Beim Rückzug gelangten die Unseren in die Reihen der -feindlichen Dragoner. Leonid übergab das Kommando Wladimir, der sein -Adjutant war, schlich sich selbst mit den beiden letzten Granaten zum -nächsten Tor, hielt sich im Hinterhalt, bis es den anderen gelungen war, -sich zurückzuziehen. Er ließ die feindlichen Reihen zum Teil an sich -vorüberschreiten, warf dann die erste Granate gegen einen Offizier, die -zweite in die nächste Gruppe der Dragoner. Die ganzen Reihen flüchteten -eiligst; die Unseren kehrten zurück und fanden Leonid schwer verletzt -neben seinen Granaten. Sie brachten ihn noch vor dem Morgengrauen in -unsere Linien und übergaben ihn mir. - -Es gelang mir, den Granatsplitter zu entfernen, doch waren die Lungen -verletzt und Leonid befand sich in einem kritischen Zustand. Ich brachte -den Kranken so gut wie möglich unter, freilich konnte ich ihm nicht das -geben, dessen er am meisten bedurfte: die völlige Ruhe, die ihm so sehr -not tat. Am Morgen begann die Schlacht von neuem, ihr Dröhnen drang bis -zu uns. Die unruhige Erwartung des Ausgangs der Schlacht verstärkte -Leonids Fieber. Als noch weitere Verwundete eingebracht wurden, -steigerte sich seine Erregung, und ich war gezwungen, vor sein Bett -einen Wandschirm zu stellen, damit er die fremden Wunden nicht sehe. - - * * * * * - -Nach etwa vier Stunden ging der Kampf bereits seinem Ende zu, und der -Ausgang war klar ersichtlich. Ich war mit der Unterbringung der -Verwundeten beschäftigt. Da wurde mir die Karte jener Frau gebracht, die -sich vor einigen Wochen schriftlich nach Leonids Befinden erkundigt und -mich nach Leonids Flucht aufgesucht hatte. Ich sandte sie damals mit -einem Empfehlungsschreiben zu Ihnen, damit sie in Leonids Manuskript -Einsicht nehme. Sie war zweifellos eine Genossin und anscheinend -Aerztin. Deshalb führte ich sie in mein Zimmer. Sie trug auch heute wie -damals einen dichten schwarzen Schleier, der ihre Züge völlig verdeckte. - -»Ist Leonid bei Ihnen?« fragte sie, ohne mich zu begrüßen. - -»Ja«, erwiderte ich, »doch darf er sich keiner Aufregung aussetzen; -wenngleich seine Verwundung eine ernste ist, so hoffe ich dennoch, ihn -heilen zu können.« - -Sie stellte hastig eine Reihe von Fragen an mich, die den Zustand des -Verwundeten betrafen. Dann erklärte sie, ihn sehen zu wollen. - -»Wird das Wiedersehen ihn nicht aufregen?« fragte ich. - -»Zweifellos«, lautete die Antwort. »Doch wird ihm diese Aufregung weit -mehr nützlich als schädlich sein. Dafür kann ich Ihnen bürgen.« - -Ihre Stimme klang entschlossen und sicher. Ich fühlte, daß sie genau -wisse, was sie sage und konnte ihre Bitte nicht abschlagen. Wir begaben -uns in jenen Raum, wo Leonid lag und ich zeigte mit einer Gebärde, sie -möge sich hinter den Wandschirm begeben. Ich selbst verharrte in der -Nähe, am Bett eines anderen Schwerverwundeten, um den ich mich bemühte. -Es verlangte mich danach, das Gespräch der Frau mit Leonid zu -erlauschen, um eingreifen zu können, sobald dies notwendig wurde. - -Während sie sich hinter den Schirm begab, hob sie ein wenig den -Schleier. Ich erblickte ihre Silhouette durch das undichte Gewebe des -Schirms und sah, wie sie sich zu dem Verwundeten niederbeugte. - -»Die Maske ...« ertönte Leonids schwache Stimme. - -»Deine Netti«, entgegnete sie. Und in diesen leise, melodisch -gesprochenen Worten lag so viel Liebe und Zärtlichkeit, daß mein altes -Herz erbebte, erfaßt von schmerzlich freudigen Gefühlen. - -Die Frau machte eine scharfe hastige Gebärde, fast, als wollte sie ihren -Kragen lösen, nahm dann Hut und Schleier ab und beugte sich noch näher -zu Leonid nieder. Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen. - -»Das bedeutet wohl, daß ich sterbe?« fragte Leonid leise. - -»Nein, Lenni, das ganze Leben liegt vor uns. Deine Wunde ist nicht -tödlich, ist nicht einmal gefährlich.« - -»Und der Mord?« rief er schmerzlich erregt. - -»Das war eine Krankheit, mein Lenni. Sei ruhig, diese tödliche Wunde -wird niemals zwischen uns stehen, auch nicht auf dem Wege zu unserem -erhabenen gemeinsamen Ziel. Wir werden das Ziel erreichen, mein Lenni -...« - -Ein leises Stöhnen löste sich aus seiner Brust, doch war es kein -Schmerzenston. Ich verließ das Zimmer; mein Patient hatte mir bereits -alles verraten, was ich zu wissen verlangte. Es hätte keinen Sinn -gehabt, weiter zu lauschen. Einige Minuten später erschien die -Unbekannte abermals in Hut und Schleier bei mir. - -»Ich nehme Leonid mit«, sprach sie. »Er wünscht dies selbst, und die -Bedingungen für seine Genesung sind bei mir günstiger als hier; Sie -können ganz unbesorgt sein. Zwei Genossen warten unten, werden Leonid zu -mir schaffen. Lassen Sie uns, bitte, eine Tragbahre zur Verfügung -stellen.« - -Ich hatte keine Ursache, mich zu weigern: in unserem Spital waren die -Bedingungen tatsächlich keineswegs glänzend. Ich fragte die Unbekannte -nach ihrer Adresse, -- sie wohnte ganz nahe von hier. Ich beschloß, am -folgenden Tag hinzugehen und Leonid zu besuchen. Zwei Arbeiter -erschienen und trugen Leonid vorsichtig auf einer Bahre fort. - - * * * * * - -PS. geschrieben am folgenden Tag. - -Leonid und Netti sind spurlos verschwunden. Ich war eben in ihrer -Wohnung: die Türen waren geöffnet, die Zimmer leer. Im großen Saal stand -ein ungeheures Fenster sperrangelweit offen, auf dem Tisch lag ein an -mich gerichteter Brief. Mit zitternder Hand waren bloß einige wenige -Worte geschrieben: - - »Grüße an die Genossen. Auf Wiedersehen. - Ihr Leonid.« - -Seltsam, ich fühle keinerlei Unruhe und Sorge. Diese Tage haben mich zu -Tode erschöpft; ich sah viel Blut, sah viele Leiden, die ich nicht zu -lindern vermochte, erblickte Bilder der Zerstörung und des Untergangs; -dennoch herrschen in meiner Seele Freude und Licht. - -Das Aergste liegt hinter uns. Noch harrt unser ein langer und schwerer -Kampf, aber vor uns leuchtet der Sieg ... Und der neue Kampf wird -leichter sein. - - - Ende. - - - - - Inhaltsverzeichnis - - - Seite - - Dr. Werner an den Schriftsteller Mirski 5 - - Leonids Manuskript - - Erster Teil - Der Bruch 9 - Die Aufforderung 14 - Die Nacht 20 - Die Erklärung 24 - Die Abfahrt 28 - Der Aetheroneff 33 - Die Menschen 38 - Die Annäherung 45 - Vergangenes 51 - Die Ankunft 61 - - Zweiter Teil - Bei Menni 64 - In der Fabrik 69 - Das Haus der Kinder 77 - Das Kunstmuseum 86 - Im Krankenhaus 97 - Arbeit und Gespenster 103 - Netti 111 - - Dritter Teil - Glück 116 - Trennung 117 - Die Kleiderfabrik 120 - Enno 125 - Bei Nella 129 - Auf der Suche 136 - Sterni 140 - Netti 151 - Menni 156 - Der Mord 159 - - Vierter Teil - Bei Werner 165 - War es -- war es nicht 167 - Das Leben der Heimat 170 - Der Briefumschlag 174 - Der Abschluß 176 - - Aus einem Brief des Doktor Werner an den Schriftsteller Mirski 181 - - - Anmerkungen zur Transkription - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 15]: - ... daß sie diesen Voraussetzungen größere Bedeutung beimessen, ... - ... daß Sie diesen Voraussetzungen größere Bedeutung beimessen, ... - - [S. 18]: - ... ich sie später bekannt machen werde.« ... - ... ich Sie später bekannt machen werde.« ... - - [S. 23]: - ... Menni befestigte die Gondel an einen eigens dazu bestimmten ... - ... Menni befestigte die Gondel an einem eigens dazu bestimmten ... - - [S. 104]: - ... war eine ungeheuer große. Welchen gewaltigen Nutzen konnte ... - ... war eine ungeheuer große. Welcher gewaltige Nutzen konnte ... - - [S. 130]: - ... über die ihm unverständlichen technischen Ausdrücke, die ... - ... über die ihr unverständlichen technischen Ausdrücke, die ... - - [S. 136]: - ... haben würde, mich für lange Zeit auf dem tiefen, durch - Sandbänken ... - ... haben würde, mich für lange Zeit auf dem tiefen, durch - Sandbänke ... - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Der rote Stern, by Alexander Bogdanow - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ROTE STERN *** - -***** This file should be named 62985-8.txt or 62985-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/2/9/8/62985/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. 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You may copy it, give it away or -re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included -with this eBook or online at www.gutenberg.org/license - - -Title: Der rote Stern - Ein utopischer Roman - -Author: Alexander Bogdanow - -Translator: Hermynia Zur Mühlen - -Release Date: August 20, 2020 [EBook #62985] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ROTE STERN *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was -produced from scanned images of public domain material, -provided by the German National Library. - - - - - - -</pre> - - -<div class="frontmatter chapter"> -<div class="centerpic"> -<img src="images/cover.jpg" alt="" /></div> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="ser"> -<span class="line1">Erstes Buch der Internationalen Jugendbücherei</span> -</p> - -<p class="aut"> -A. Bogdanoff -</p> - -<h1 class="title"> -Der rote Stern -</h1> - -<p class="subt"> -Ein utopischer Roman -</p> - -<p class="trn"> -Aus dem Russischen übertragen<br /> -von Hermynia Zur Mühlen -</p> - -<div class="centerpic logo"> -<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div> - -<p class="pub"> -<span class="line1">1923</span><br /> -<span class="line2">Verlag der Jugendinternationale</span><br /> -<span class="line3">Berlin-Schöneberg</span> -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="price"> -Die mit diesem Eindruck versehenen Exemplare dürfen nur an Mitglieder -der der 3. Internationale angeschlossenen Organisationen zu ermäßigten -Preisen abgegeben werden. -</p> - -<p class="cop"> -<i>Alle Rechte insbesondere das der Uebersetzung vorbehalten</i><br /> -Copyright by Verlag der Jugendinternationale, Berlin-Schöneberg, 1923<br /> -Druck der Vereinsdruckerei G. m. b. H., Potsdam -</p> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="letter" id="DR._WERNER_AN_DEN_SCHRIFTSTELLER_MIRSKI"> -<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a> -Dr. Werner an den Schriftsteller Mirski -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Lieber Genosse, ich sende Ihnen Leonids Schriften. Er -wollte sie veröffentlichen, – Sie verstehen sich auf diese -Dinge besser als ich. Leonid hat sich verborgen. Ich verlasse -das Krankenhaus, um ihn zu suchen. Meiner Ansicht -nach wird er in den Bergwerksgebieten zu finden sein, wo -sich eben gewaltige Ereignisse vorbereiten. Anscheinend ist -das Ziel seiner Flucht – ein verborgener Selbstmordversuch, -die Folge seiner Geisteskrankheit. Und er war doch der -völligen Heilung schon so nahe. -</p> - -<p> -Sobald ich etwas erfahre, werde ich Sie verständigen. -</p> - -<p class="sign"> -Mit herzlichen Grüßen<br /> -Ihr<br /> -N. Werner. -</p> - -<p class="noindent"> -24. Juli 19.. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="main" id="LEONIDS_MANUSKRIPT"> -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -Leonids Manuskript -</h2> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h3 class="part" id="ERSTER_TEIL"> -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -Erster Teil -</h3> - -</div> - -<h4 class="chapter" id="DER_BRUCH"> -Der Bruch -</h4> - -<p class="first"> -Es war zu jener Zeit, da in unserem Lande der gewaltige -Zusammenbruch seinen Anfang nahm, jener Zusammenbruch, -der noch heute weiter geht und der sich, meiner Ansicht nach, -dem unvermeidlichen, drohenden Ende nähert. -</p> - -<p> -Die ersten blutigen Tage erschütterten dermaßen das gesellschaftliche -Bewußtsein, daß alle den raschen und leuchtenden -Ausgang des Kampfes erwarteten; es schien, als wäre -das Aergste bereits geschehen, als könne es gar nichts Aergeres -mehr geben. Niemand vermochte sich vorzustellen, wie unerbittlich -starr die knochige Gespensterhand sei, die alles -Lebendige erdrosselt hat und auch noch heute in ihrer verkrampften -Umarmung festhält. -</p> - -<p> -Die Erregung des Kampfes durchströmte die Massen. Die -Seelen der Menschen eilten unbändig der Zukunft entgegen, -die Gegenwart verschwamm in einem rosigen Nebel, die -Vergangenheit entschwand irgendwo, in weiten Fernen, -wurde aus den Augen verloren. Alle menschlichen Verhältnisse -waren unsicher und verschwommen, wie noch nie zuvor. -</p> - -<p> -In jenen Tagen ereignete sich all das, was mein Leben -verwandelte und mich aus der Sturzflut des proletarischen -Kampfes fortriß. -</p> - -<p> -Trotz meiner siebenundzwanzig Jahre war ich in der Arbeiterpartei -einer der „Alten“. Es wurden mir sechs Jahre -der Arbeit angerechnet, unterbrochen durch ein Jahr Gefängnis. -Früher als manch anderer fühlte ich das Nahen des -Sturmes, und ging ihm auch gelassener entgegen. Es war -nötig, weit mehr als bisher zu arbeiten, dennoch gab ich -meine Studien nicht auf; besonders interessierten mich die -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -Fragen der Struktur der Materie. Doch war dies nicht nur -platonisch, sondern ich schrieb auch für wissenschaftliche Zeitschriften, -verdiente auf diese Art mein Brot. Zu jener -Zeit liebte ich, oder glaubte zumindest zu lieben. -</p> - -<p> -In der Partei war ihr Name Anna Nikolajewna. -</p> - -<p> -Sie gehörte der anderen, der gemäßigteren Richtung -unserer Partei an. Ich erklärte mir dies aus der Weichheit -ihres Charakters, sowie aus der allgemeinen Verworrenheit -der politischen Verhältnisse unseres Landes. Obgleich sie -älter war als ich, hielt ich sie dennoch nicht für einen völlig -geklärten Charakter. Doch irrte ich. -</p> - -<p> -Bald nachdem wir einander näher gekommen waren, -zeigte sich die Verschiedenheit unserer Charaktere auf -schmerzlichste Art. Allmählich bildeten sich die tiefsten gedanklichen -Widersprüche aus, die sich sowohl auf unsere -Stellung zur revolutionären Arbeit, als auch auf unser -persönliches Verhältnis bezogen. -</p> - -<p> -Sie war unter der Fahne der Pflicht und des Opfers -zur Revolution gekommen – ich unter der Fahne des -eigenen freien Verlangens. Sie hatte sich der großen -proletarischen Bewegung als Moralistin angeschlossen, suchte -darin die Befriedigung höherer Sittlichkeit – ich hingegen -gehörte der Bewegung als Amoralist an, als Mensch, der -das Leben liebt, dessen höchste Blüte ersehnt und sich jener -Bewegung zuwendet, die den zur Entwicklung und Blüte -führenden Weg der Geschichte verkörpert. Für Anna Nikolajewna -war die proletarische Ethik heilig in sich selbst, ich -jedoch betrachtete diese als nützliche Anpassung, die im -Klassenkampf wohl unerläßlich sei, aber vergänglich wie -der Kampf selbst, und bloß aus der Lebensordnung geboren. -Anna Nikolajewna erwartete von der sozialistischen Gesellschaft -ausschließlich eine Umwandlung und Erneuerung der -proletarischen Klassenmoral, während ich behauptete, daß -das Proletariat schon heute die Vernichtung jeglicher Moral -anstrebe und daß das sozialistische Gefühl, indem es die -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -Menschen zu Kameraden der Arbeit, der Freude und des -Leids mache, nur dann völlig ungehemmt herrschen könne, -wenn es den Fetisch-Mantel der Sittlichkeit von sich werfe. -Aus dieser Meinungsverschiedenheit entstanden gar häufig -Widersprüche über die Wertung politischer und sozialistischer -Faktoren, Widersprüche, die zu schlichten unmöglich war. -</p> - -<p> -Noch weit schärfer zeigte sich unsere Meinungsverschiedenheit, -wenn es sich um unser persönliches Verhältnis handelte. -Sie fand, daß die Liebe zur Nachgiebigkeit, zum Opfer, -vor allem aber zur Treue verpflichte, solange der Bund -bestehe. Ich dachte gar nicht daran, eine neue Verbindung -einzugehen, doch vermochte ich die Treue als Pflicht nicht -anzuerkennen. Ja, ich behauptete sogar, daß die Polygamie -höher stehe als die Monogamie, weil sie dem Menschen ein -reicheres persönliches Leben und den Nachkommen mehr Vielartigkeit -zu geben vermag. Meiner Ansicht nach ist die sogenannte -Unmöglichkeit der Polygamie nur von den Widersprüchen -der bürgerlichen Ordnung geschaffen, gehört zu den -Privilegien der Ausbeuter und Parasiten, zu deren -schmutzigen, sich zersetzenden Psychologie. Auch hierin muß -die Zukunft eine gewaltige Wandlung bringen. Diese Auffassung -erschütterte Anna Nikolajewna aufs tiefste: sie sah -darin einen Versuch, in der Form der Idee die groben sinnlichen -Beziehungen zum Leben zu rechtfertigen. -</p> - -<p> -Trotz allem sah ich, ahnte ich nicht die Unvermeidlichkeit -eines Bruches. Da drang in unser Leben ein von außen -kommender Einfluß, der die Entscheidung beschleunigte. -</p> - -<p> -Um diese Zeit kam in die Hauptstadt ein junger Mann, -der den in unseren Kreisen ungewöhnlichen Decknamen -Menni trug. Er brachte aus dem Süden Berichte und -Aufträge mit, die klar erkennen ließen, daß er das völlige -Vertrauen der Genossen besitze. Nachdem er seine Aufgabe -erfüllt hatte, beschloß er, noch einige Zeit in der Hauptstadt -zu verweilen, und suchte uns häufig auf; es schien -ihm viel daran gelegen, meine Freundschaft zu erwerben. -</p> - -<p> -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -Er war in vielem ein origineller Mensch. Schon sein -Aeußeres war ungewöhnlich. Seine Augen wurden derart -von dunklen Brillen verdeckt, daß ich nicht einmal ihre -Farbe kannte, sein Kopf war unproportioniert groß, seine -Gesichtszüge waren schön, doch seltsam unbeweglich und leblos, -sie harmonisierten nicht im geringsten mit der weichen -ausdrucksvollen Stimme und der schlanken, jünglinghaft-biegsamen -Gestalt. Er sprach frei und fließend, und was -er sagte, war stets gehaltvoll. Seine Bildung war äußerst -einseitig; dem Beruf nach schien er Ingenieur zu sein. -</p> - -<p> -Im Gespräch hatte Menni die Gepflogenheit, einzelne -praktische Fragen auf allgemeine Grundideen zurückzuführen. -Befand er sich bei uns, so geschah es stets, daß die zwischen -meiner Frau und mir bestehenden Charakter- und Meinungsverschiedenheiten -irgendwie in den Vordergrund gelangten, -und zwar derart deutlich und scharf, daß wir voller Qual -die Aussichtslosigkeit des Ganzen erkannten. Mennis Weltanschauung -glich der meinen; er verlieh ihr der Form nach -voller Vorsicht und Zartheit, dem Inhalt nach jedoch voller -Schärfe und Tiefgründigkeit Ausdruck. Er verstand es, -unsere verschiedenartigen politischen Ansichten derart geschickt -mit der Verschiedenartigkeit unserer Weltanschauung -zu verknüpfen, daß dieser Unterschied als psychologische Notwendigkeit -erschien, ja schier als logische Schlußfolgerung; -jegliche Hoffnung der gegenseitigen Annäherung entschwand, -der Möglichkeit, über die Meinungsverschiedenheiten hinweg, -zu irgendetwas Gemeinsamem zu gelangen. Anna -Nikolajewna empfand für Menni eine Art mit lebhaftem -Interesse gemischten Haß. In mir erweckte er große Achtung -und ein unklares Mißtrauen; ich fühlte, daß er ein -Ziel verfolgte, wußte jedoch nicht, welches. -</p> - -<p> -An einem Januartag – es war bereits gegen Ende -Januar – wurde den Parteiführern beider Richtungen der -Plan einer Massendemonstration unterbreitet, einer Demonstration, -die aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem bewaffneten -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -Zusammenstoß führen würde. Am Vorabend der -Demonstration erschien Menni bei uns und warf die Frage -auf, ob Anna Nikolajewna entschlossen wäre, falls die -Demonstration stattfände, selbst die Parteiangehörigen anzuführen. -Es entstand ein Streit, der bald einen erbitterten -Charakter annahm. -</p> - -<p> -Anna Nikolajewna vertrat die Ansicht, daß ein jeder, der -für die Demonstration gestimmt habe, moralisch verpflichtet -sei, in den ersten Reihen mitzugehen. Ich hingegen behauptete, -dies wäre keineswegs verpflichtend, es müßten nur -jene mitgehen, die unentbehrlich oder von wirklichem Nutzen -seien; ich dachte dabei an mich selbst, als an einen in derartigen -Dingen erfahrenen Menschen. Menni ging noch -weiter und erklärte, angesichts des unvermeidlichen Zusammenstoßes -mit der bewaffneten Macht dürften nur redegewandte -Agitatoren und Kampforganisatoren mitgehen; die -politischen Führer hingegen hätten bei der Demonstration -nichts zu suchen, Schwächlinge und nervöse Leute könnten -sogar gefährlich werden. Anna Nikolajewna war über dieses -Urteil gekränkt; es schien ihr, als sei es gegen sie gerichtet. -Sie brach das Gespräch ab und zog sich in ihr Zimmer -zurück. Auch Menni entfernte sich bald darauf. -</p> - -<p> -Am folgenden Tage stand ich frühmorgens auf und -verließ das Haus, ohne Anna Nikolajewna gesehen zu -haben. Es wurde Abend, ehe ich heimkehrte. Die Demonstration -war von unserem Komitee abgelehnt worden, und -soweit mir bekannt war, hatten auch die Führer der anderen -Richtung den gleichen Beschluß gefaßt. Ich war mit dieser -Lösung äußerst zufrieden, denn ich wußte genau, wie wenig -wir auf einen Konflikt mit Waffen vorbereitet waren, und -hielt ein derartiges Vorgehen für eine nutzlose Kraftvergeudung. -Auch glaubte ich, der Entschluß werde Anna Nikolajewnas -Erregung über das gestrige Gespräch ein wenig beschwichtigen -... Daheim fand ich auf Anna Nikolajewnas -Tisch folgenden Brief: -</p> - -<p> -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -„Ich gehe fort. Je mehr ich mich selbst und Sie begreife, -desto klarer wird mir, daß wir verschiedene Wege -gehen und daß wir uns beide geirrt haben. Es ist besser, -wenn wir einander nicht mehr begegnen. Verzeihen Sie -mir.“ -</p> - -<p> -Lange durchwanderte ich die Straßen, erschöpft, mit dem -Gefühl der Leere im Kopf und der Kälte im Herzen. Als -ich heimkehrte, fand ich einen unerwarteten Gast vor; am -Tisch saß Menni und schrieb einen Brief. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_AUFFORDERUNG"> -Die Aufforderung -</h4> - -<p class="first"> -„Ich muß mit Ihnen über eine äußerst wichtige und -einigermaßen seltsame Angelegenheit sprechen“, sagte Menni. -</p> - -<p> -Mir war alles einerlei; ich setzte mich nieder, bereit, ihn -anzuhören. -</p> - -<p> -„Ich las Ihre Abhandlung über die Elektrone und die -Materie“, begann er. „Ich studierte selbst einige Jahre -diese Frage und finde in Ihrer Abhandlung viele wertvolle, -richtige Ideen.“ -</p> - -<p> -Ich verbeugte mich schweigend, und er fuhr fort: -</p> - -<p> -„Ihre Arbeit enthält eine für mich besonders interessante -Bemerkung. Sie gelangen dort zu der Annahme, daß die -elektrische Theorie der Materie zur unvermeidlichen Voraussetzung -eine Schwerkraft hat, die sich aus der elektrischen -Kraft, sowohl als Anziehungskraft wie auch als Abstoßungskraft -ergibt, was zu einer neuen Auffassung der elektrischen -Schwerkraft unter einer andern Formel führen muß. Das -heißt: wir erhalten dadurch eine Art der Materie, welche -die Erde abstößt anstatt sie anzuziehen, und das gleiche gilt -auch für die Sonne und die anderen uns bekannten Körper. -Sie bringen als Vergleich die diamagnetische Abstoßungskraft -der Körper und die Abstoßung der Parallelströme. All -dies ist bei Ihnen nur angedeutet, doch glaube ich trotzdem, -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -daß <a id="corr-0"></a>Sie diesen Voraussetzungen größere Bedeutung beimessen, -als Sie in Ihrer Arbeit zugeben wollten.“ -</p> - -<p> -„Sie haben recht“, erwiderte ich. „Ich glaube, dies ist -der einzige Weg, auf dem die Menschheit das Problem der -freien Bewegung in der Luft, sowie jenes der Verbindung -zwischen den Planeten zu lösen vermag. Aber mag nun -diese Idee in sich richtig sein oder nicht, jedenfalls ist sie bis -zum heutigen Tage fruchtlos geblieben, weil uns die richtige -Theorie der Materie und der Schwerkraft fehlt. Gibt es -noch eine andere Art der Materie, so ist es scheinbar unmöglich, -diese zu entdecken: die Anziehungskraft besteht für -das ganze Sonnensystem, aber ebenso wahr ist, daß sie bei -dessen Entstehung, als sich dieses aus der Nebulosität herausbildete, -noch nicht bestand. Dies bedeutet, daß wir diese -Art der Materie noch theoretisch bilden und erst dann praktisch -schaffen müssen. Heute fehlen uns hierzu noch Mittel -und Wege, wir ahnen bloß die Aufgabe, die wir zu lösen -haben.“ -</p> - -<p> -„Trotzdem ist das Problem bereits gelöst“, erklärte -Menni. -</p> - -<p> -Ich blickte ihn verblüfft an. Sein Gesicht war, wie -immer, völlig unbewegt, aber im Ton seiner Stimme lag -etwas, das mich hinderte, ihn für einen Charlatan zu halten. -</p> - -<p> -„Vielleicht ist er geisteskrank“, fuhr es mir durch den -Kopf. -</p> - -<p> -„Ich habe keineswegs den Wunsch, Sie zu täuschen, weiß -genau, was ich sage“, mit diesen Worten antwortete er auf -meine Gedanken. „Hören Sie mich geduldig an, später, -wenn es nötig ist, werde ich Ihnen die Beweise erbringen.“ -Und nun berichtete er folgendes: -</p> - -<p> -„Die gewaltige Entdeckung, von der hier die Rede ist, -war nicht die Leistung einzelner Personen. Sie gehört einer -ganzen wissenschaftlichen Gesellschaft an, die seit recht geraumer -Zeit besteht und schon lange an diesem Problem arbeitete. -Diese war bis heute eine Geheimgesellschaft, und ich bin -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -nicht bevollmächtigt, Ihnen Näheres über deren Ursprung -und Geschichte mitzuteilen, solange ich nicht mit dem Oberhaupt -zusammengekommen bin. -</p> - -<p> -Unsere Gesellschaft hat in vielen wichtigen Dingen die -akademische Welt weit überholt. Die Radium-Elemente -und deren Zersetzung waren uns lange vor Curie und -Ramsey bekannt, und unseren Genossen gelang eine weit -tiefgehendere Analyse der Materie. Auf diesem Weg ahnten -wir die Möglichkeit des Bestehens von Elementen, die die -Erdkörper abstoßen und vervollkommneten die Synthese -dieser Minus-Materie, wie wir sie abgekürzt nennen. -</p> - -<p> -Nun fiel uns die technische Ausarbeitung und Anwendung -dieser Entdeckung nicht mehr schwer, – vor allem, einen -Flugapparat zu bauen, der sich in der Atmosphäre unserer -Erde zu bewegen vermag, dann einen Apparat, der imstande -ist, die Verbindung mit den übrigen Planeten herzustellen.“ -</p> - -<p> -Mennis gelassener, überzeugter Ton vermochte nicht zu -verhindern, daß mir seine Erzählung äußerst seltsam und unwahrscheinlich -erschien. -</p> - -<p> -„Und es gelang Ihnen tatsächlich, all dies zu leisten und -dabei das Geheimnis zu wahren“, unterbrach ich seine Rede. -</p> - -<p> -„Ja, denn dies erschien uns von ungeheuerer Wichtigkeit. -Wir fanden, daß es äußerst gefährlich wäre, unsere wissenschaftliche -Entdeckung bekannt zu geben, solange der größte -Teil der Länder eine reaktionäre Regierung besitzt. Und Ihr -russischen Revolutionäre müßt, mehr als alle anderen, mit -dieser unserer Ansicht übereinstimmen. Betrachtet doch, wozu -Eure asiatische Regierung die europäischen Verbindungs- -und Vernichtungsmittel benützt: sie wendet sie an, um hier -alles Lebendige, Fortschrittliche zu erdrosseln und samt der -Wurzel auszureißen. Was ist an diesem halb feudalen, halb -konstitutionellen Reich Gutes, auf dessen Thron ein kriegslustiger, -schwatzhafter Dummkopf sitzt, der sich von allbekannten -Gaunern lenken läßt? Wozu bestehen in Europa bereits -zwei kleinbürgerliche Republiken? Es ist klar, daß, wenn -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -unsere Flugmaschinen bekannt würden, die Regierung sich -ihrer bemächtigen, sie zu einem Monopol umwandeln würde, -um sie zur Machtstärkung der herrschenden Klassen auszubeuten -und anzuwenden. Dies wollen wir auf keinen Fall -gestatten, deshalb soll auch in der Erwartung günstigerer -Bedingungen das Monopol in unseren Händen bleiben.“ -</p> - -<p> -„Ist es Ihnen tatsächlich gelungen, einen anderen Planeten -zu erreichen?“ erkundigte ich mich. -</p> - -<p> -„Ja, wir erreichten die zwei nächsten tellurischen Planeten, -Venus und Mars; den toten Mond rechne ich selbstverständlich -nicht mit. Wir sind nun damit beschäftigt, die -Einzelheiten genauer kennen zu lernen. Wir besitzen alle -nötigen Mittel; was uns fehlt, sind starke, hoffnungsvolle -Menschen. Bevollmächtigt von meinen Genossen, fordere -ich Sie auf, sich uns anzuschließen. Selbstverständlich würden -Sie dadurch alle unsere Pflichten auf sich nehmen und alle -unsere Rechte genießen.“ -</p> - -<p> -Er verstummte, wartete auf eine Antwort. -</p> - -<p> -„Die Beweise“, sagte ich. „Sie versprachen mir Beweise -zu geben.“ -</p> - -<p> -Menni zog aus der Tasche eine Glasflasche, gefüllt mit -einer metallischen Flüssigkeit, die ich für Quecksilber hielt. -Seltsamerweise jedoch füllte diese Flüssigkeit bloß den dritten -Teil der Flasche, und zwar befand sie sich nicht auf dem -Grund, sondern im oberen Teil, in der Nähe des Flaschenhalses, -ja sie reichte sogar bis an den Pfropfen. Menni -drehte die Flasche um, und nun sank die Flüssigkeit auf den -Grund, das heißt, sie strebte abermals in die Höhe. Menni -ließ das Fläschchen los, und es schwebte in der Luft. Dies -war unglaublich, aber dennoch sah ich es genau, konnte nicht -daran zweifeln. -</p> - -<p> -„Die Flasche besteht aus gewöhnlichem Glas“, erklärte -Menni. „Sie ist mit einer Flüssigkeit angefüllt, die die -Körper des Sonnensystems abstößt. Die Flüssigkeit verfolgt -nur den Zweck, der Flasche Gleichgewicht zu verleihen; hat -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -sonst keinerlei Bedeutung. Nach dieser Methode verfertigten -wir die Flugapparate. Sie bestehen aus gewöhnlichem Material, -enthalten aber ein Reservoir, das mit der nötigen -Menge der Materie der negativen Art gefüllt ist. Dann -galt es noch, diesem Apparat die gebührende Bewegungsschnelligkeit -zu verleihen. Für die irdischen Flugmaschinen -genügt ein elektrischer Motor mit Luftschrauben, für die interplanetare -Bewegung freilich genügen diese Mittel nicht. -Dort verwenden wir eine völlig andere Methode, mit der -ich <a id="corr-2"></a>Sie später bekannt machen werde.“ -</p> - -<p> -Es war unmöglich, noch weitere Zweifel zu hegen. -</p> - -<p> -„Was fordert Ihre Gesellschaft außer der Pflicht, das -Geheimnis zu wahren, von jenen, die sich ihr anschließen?“ -</p> - -<p> -„Sie stellt fast keine anderen Forderungen. Kümmert -sich weder um das Privatleben, noch um die gesellschaftliche -Tätigkeit der Genossen, falls letztere nicht für die Ziele unserer -Gesellschaft schädlich ist. Doch muß ein jeder, der sich -der Gesellschaft anschließt, irgendeine wichtige verantwortungsvolle, -von der Gesellschaft gestellte Aufgabe erfüllen. -Dies dient einerseits dazu, die Verbindung zwischen ihm -und der Gesellschaft zu verstärken, andrerseits aber dazu, -seine Fähigkeiten und seine Energie zu beweisen.“ -</p> - -<p> -„Es würde also auch mir ein derartiger Auftrag, eine -derartige Aufgabe auferlegt werden?“ -</p> - -<p> -„Ja.“ -</p> - -<p> -„Was?“ -</p> - -<p> -„Sie müßten sich der Expedition anschließen, die sich -morgen im großen Aetheroneff nach dem Planeten Mars -begibt.“ -</p> - -<p> -„Wie lange wird diese Expedition währen?“ -</p> - -<p> -„Das ist noch unbekannt. Der Flug hin und zurück -nimmt wenigstens fünf Monate in Anspruch. Es ist auch -möglich, daß die Expedition überhaupt nicht zurückkehrt.“ -</p> - -<p> -„Das begreife ich, und daran liegt mir auch nichts. Aber -meine revolutionäre Arbeit? Sie sind, wenn ich nicht irre, -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -selbst Sozialdemokrat und werden diese Schwierigkeit begreifen.“ -</p> - -<p> -„Wählen Sie! Wir halten die Unterbrechung Ihrer Arbeit -unumgänglich notwendig für Ihr Werk. Für die einmal -Aufgenommenen gibt es kein Zurück. Eine einzige -Weigerung ist eine Weigerung auf ewig.“ -</p> - -<p> -Ich überlegte. Ob sich der eine oder andere Arbeiter aus -der breiten Masse ausschaltete, hatte für die Sache und das -Ziel nicht die geringste Bedeutung. Auch vermöchte ich, nach -dieser vorübergehenden Unterbrechung der Arbeit, unserer -revolutionären Bewegung vermittels der neuen Verbindungen, -Kenntnisse und Mittel weit nützlicher zu sein. Ich entschloß -mich. -</p> - -<p> -„Wann muß ich zur Stelle sein?“ -</p> - -<p> -„Sofort, Sie kommen gleich mit mir.“ -</p> - -<p> -„Können Sie mir noch zwei Stunden geben, damit ich -die Genossen verständige? Sie müssen mich morgen im Bezirk -vertreten.“ -</p> - -<p> -„Dies ist schon fast getan. Heute kam Andrej, der aus -dem Süden geflohen ist. Ich teilte ihm mit, Sie würden -vielleicht verreisen, und er ist bereit, Ihre Stelle einzunehmen. -Während ich Sie hier erwartete, schrieb ich auf -gut Glück an ihn und erteilte ihm die nötigen Anweisungen. -Wir können unterwegs den Brief für ihn abgeben.“ -</p> - -<p> -Ich vermochte nicht länger zu schwanken. Rasch vernichtete -ich einige persönliche Schriften, schrieb an meine Wirtin -und kleidete mich an. Menni war schon bereit. -</p> - -<p> -„So, gehen wir. Von diesem Augenblick an bin ich Ihr -Gefangener.“ -</p> - -<p> -„Sie sind mein – Genosse“, entgegnete Menni. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_NACHT"> -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -Die Nacht -</h4> - -<p class="first"> -Mennis Wohnung nahm das ganze fünfte Stockwerk -eines großen Gebäudes ein, das an dem einen Ende der -Stadt vereinsamt zwischen niederen Häuschen aufragte. Wir -begegneten niemandem. Die Zimmer, die ich mit Menni -durchschritt, waren leer; im grellen Licht der elektrischen -Lampen mutete diese Leere besonders trübselig und unnatürlich -an. Im dritten Zimmer blieb Menni stehen. -</p> - -<p> -„Hier“, und er wies auf die Tür des vierten Zimmers, -„befindet sich das kleine Luftschiff, in dem wir uns nach dem -Aetheroneff begeben werden. Vorher aber muß ich noch -eine kleine Verwandlung bewerkstelligen. In dieser Maske -fiele es mir schwer, das Schiff zu lenken.“ Er knöpfte den -Kragen auf, nahm zugleich mit den Brillen die erstaunliche -Maske ab, die wir, sowohl ich wie alle anderen, bis dahin -für sein wahres Gesicht gehalten hatten. Ich war von dem -sich mir bietenden Anblick äußerst verblüfft. Mennis Augen -waren ungeheuer groß, waren größer, als dies Menschenaugen -je zu sein pflegen. Die Pupillen waren sogar für -diese unnatürlich großen Augen außerordentlich geweitet, was -einen schier erschreckenden Eindruck hervorrief. Der obere -Teil des Gesichtes und der Schädel waren so breit, wie -dies bei den großen Augen notwendig schien, hingegen war -der untere, völlig bartlose Teil des Gesichtes ungewöhnlich -klein. All das machte einen sehr originellen Eindruck, gemahnte -an eine Mißgeburt, doch keineswegs an eine Karikatur. -</p> - -<p> -„Sie sehen, was für ein Aeußeres mir die Natur gab“, -sprach Menni. „Werden begreifen, daß ich es verbergen -muß, schon um die Menschen nicht zu erschrecken, mehr noch -aber aus konspirativen Gründen. Sie jedoch müssen sich an -meine Häßlichkeit gewöhnen, denn Sie werden gezwungen -sein, lange Zeit mit mir zu verbringen.“ -</p> - -<p> -Er öffnete die Tür des anstoßenden Zimmers und entzündete -das Licht. Ich erblickte einen großen Saal. In -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -der Mitte lag ein kleiner, ziemlich breiter Kahn aus Metall -und Glas. Vorderteil, Bord und Boden bestanden aus -Glas und Stahlgeflecht; die durchsichtigen Wände von etwa -zwei Zentimeter Dicke waren augenscheinlich sehr fest. Am -Vorderteil des Schiffes befanden sich, in einem spitzen Winkel -vereinigt, zwei starke Kristallplatten; diese mochten die -Luft zerschneiden und gleichzeitig die Passagiere gegen den -durch die rasche Bewegung erzeugten Wind schützen. Die -Maschine füllte den Mittelteil des Schiffes aus, die Schrauben -und die etwa einen halben Meter breiten Schaufeln -nahmen den Hinterteil des Schiffes ein. Der halbe Vorderteil -des Schiffes, sowie die Maschinen waren von einem -feinen, dünnplattigen Schutzdach bedeckt; den Glasbord verstärkten -Metallbänder und leichte Stahlsäulen. Das Ganze -war fein und zierlich wie ein Spielzeug. -</p> - -<p> -Menni gebot mir, auf der Seitenbank der Gondel Platz -zu nehmen, dann verlöschte er das elektrische Licht und öffnete -das riesige Saalfenster. Er selbst setzte sich vorne an die -Maschine und warf aus der Gondel einige Säcke Ballast. -Das Schiff zitterte, setzte sich langsam in Bewegung und -schwebte lautlos zum offenen Fenster hinaus. -</p> - -<p> -„Dank der Minus-Materie“, sagte Menni, „brauchen -unsere Aeroplane nicht die wichtigtuerischen und ungelenken -Flügel.“ -</p> - -<p> -Ich saß wie angeschmiedet, wagte nicht, mich zu rühren. -Der Lärm der Schrauben wurde immer stärker, die kalte -Winterluft überströmte uns, kühlte mir das glühende Gesicht, -doch vermochte sie nicht durch meine warmen Kleider -zu dringen. Ringsum funkelten, schwebten tausend Sterne, -und unter uns ... Durch den durchsichtigen Boden der -Gondel sah ich, wie die dunklen Flecken der Häuser immer -kleiner wurden und die hellen Pünktchen der elektrischen -Lampen immer mehr in der Ferne verschwammen; in der -Tiefe leuchteten die schneeigen Ebenen unter dem düsteren, -blaßblauen Himmel. Das Gefühl des Schwindels, das mich -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -zuerst leicht und fast angenehm gedeucht hatte, nahm heftig -zu, und ich schloß die Augen, um ihm zu entkommen. -</p> - -<p> -Schärfer wurde die Luft, mächtiger der Lärm der Schrauben -und das Pfeifen des Windes – augenscheinlich steigerte -sich unsere Geschwindigkeit. Mein Ohr unterschied durch alle -Geräusche einen feinen ununterbrochenen, gleichmäßigen, silbrigen -Ton – die Luft peitschend, erschütterte dieser die -Glaswände der Gondel. Eine seltsame Musik erfüllte das -Bewußtsein, die Gedanken verwirrten sich, verschwanden, -zurück blieb einzig und allein das Gefühl einer elementar-leichten -und ungehemmten Bewegung, die uns weitertrug, -vorwärts, vorwärts in den unendlichen Raum. -</p> - -<p> -„Vier Kilometer in der Minute“, sprach Menni, und -ich öffnete die Augen. -</p> - -<p> -„Ist es noch weit?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Noch etwa eine Wegstunde auf eisgebundenem See.“ -</p> - -<p> -Wir hatten eine Höhe von etlichen hundert Metern erreicht; -das Flugschiff bewegte sich horizontal, ohne sich zu senken -und ohne höher zu steigen. Nun hatten sich meine Augen -bereits an das Dunkel gewöhnt und ich vermochte alles -ringsum klar zu erkennen. Wir waren in der Gegend der -Seen und Granitfelsen. Ueber den Schnee aufragend, dunkelten -die Felsen. Zwischen ihnen klebten Dörfchen. -</p> - -<p> -Zu unserer Linken blieben in der Ferne zurück die Flächen -der von gefrorenem Schnee bedeckten Felder, zu unserer -Rechten die weiße Ebene eines ungeheueren Sees. In dieser -leblosen Winterlandschaft schickten wir uns an, das Band -zwischen uns und der alten Erde zu zerreißen. Und jählings -fühlte ich nicht nur die Ahnung, nein, die Gewißheit, daß -dieses Band nun auf ewig zerrissen werde ... -</p> - -<p> -Die Gondel senkte sich langsam zwischen die Felsen nieder, -hielt an in der kleinen Bucht des Bergsees, vor einem dunklen, -aus dem Schnee aufragenden Bau. Weder Fenster noch -Türen waren zu sehen. Die Metallhülle schob sich langsam -zur Seite, eine schwarze Oeffnung kam zum Vorschein, in -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -die unsere Gondel hineinflog. Dann schloß sich die Oeffnung -von neuem, der Raum, in den wir gelangt waren, erhellte sich -im Licht elektrischer Lampen. Es war dies ein großes, langgestrecktes -Zimmer ohne Möbel; auf dem Fußboden lagen -viele Säcke mit Ballast. -</p> - -<p> -Menni befestigte die Gondel an <a id="corr-4"></a>einem eigens dazu bestimmten -Pfosten und schob eine der Seitentüren auf. Sie -führte auf einen langen, hell erleuchteten Korridor. An -den Seiten des Korridors befanden sich Kajüten. Menni -geleitete mich in eine derselben und sprach: -</p> - -<p> -„Hier ist Ihre Kajüte. Richten Sie sich hier ein; ich -muß mich ins Maschinenabteil begeben. Wir sehen uns -morgen früh wieder.“ -</p> - -<p> -Ich war froh, allein zu sein. Nach der durch die seltsamen -Ereignisse des Abends hervorgerufenen Aufregung machte -sich bei mir große Erschöpfung bemerkbar. Ohne das auf -dem Tisch vorbereitete Abendessen anzurühren, verlöschte ich -die Lampe und warf mich aufs Bett. In meinem Kopf vermischten -sich auf unsinnigste Art die Gedanken, jagten von -Thema zu Thema, nahmen die unerwartetsten Formen an. -Ich bemühte mich hartnäckig, einzuschlafen, doch wollte mir -dies lange Zeit nicht gelingen. Endlich jedoch verdunkelte -sich das Bewußtsein, unklare, schwankende Gestalten begannen -vor meinen Augen zu reigen, meine Umgebung zerfloß ins -Weite, und schwere Träume suchten mein Gehirn heim. -</p> - -<p> -Das Ganze endete mit einem furchtbaren Alpdruck. Ich -stand am Rande eines ungeheueren schwarzen Abgrunds, in -dessen Untiefe Sterne funkelten. Menni riß mich mit unbesiegbarer -Kraft hinab, sagend, ich dürfe nicht die Schwerkraft -fürchten, wir würden nach einigen hunderttausend -Jahren des Sturzes die nächsten Sterne erreichen. Ich -stöhnte auf in der Qual des letzten Kampfes und erwachte. -</p> - -<p> -Weiches blaues Licht erfüllte meine Stube. Niedergebeugt -zu mir, saß auf meinem Lager – Menni? Ja, er war -es, aber phantastisch verändert: mir schien, als sei er um -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -vieles kleiner und seine Augen blickten nicht mehr so scharf -aus dem Antlitz; seine Züge waren weich und gütig, nicht -kalt und abstoßend, wie sie am Rande des Abgrunds gewesen -... -</p> - -<p> -„Wie gut Sie sind ...“, murmelte ich, unklar diese -Veränderung erfassend. -</p> - -<p> -Er lächelte und legte mir die Hand auf die Stirne. Eine -kleine weiche Hand. Ich schloß die Augen, mir kam der -sinnlose Gedanke, daß ich diese Hand küssen müßte, dann -vergaß ich alles und versank in einen ruhigen, wohltuenden -Schlaf. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_ERKLYRUNG"> -Die Erklärung -</h4> - -<p class="first"> -Als ich erwachte und meine Stube erhellte, war es zehn -Uhr. Nachdem ich mich angekleidet hatte, drückte ich auf die -Schelle, und gleich darauf betrat Menni das Zimmer. -</p> - -<p> -„Werden wir bald abfahren?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„In einer Stunde“, erwiderte Menni. -</p> - -<p> -„Kamen Sie heute Nacht zu mir, oder träumte ich dies -nur?“ -</p> - -<p> -„Es war kein Traum, doch kam nicht ich zu Ihnen, sondern -unser junger Arzt Netti. Sie schliefen unruhig und -gequält, er mußte Sie mit Hilfe des blauen Lichtes und der -Hypnose einschläfern.“ -</p> - -<p> -„Ist er Ihr Bruder?“ -</p> - -<p> -„Nein“, entgegnete Menni lächelnd. -</p> - -<p> -„Sie sagten mir noch nie, welcher Nation Sie angehören. -Sind auch Ihre übrigen Genossen vom gleichen Typus, wie -Sie?“ -</p> - -<p> -„Ja“, antwortete Menni. -</p> - -<p> -„Dies bedeutet, daß Sie mich betrogen haben“, sprach -ich scharf. „Hier handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche -Gesellschaft, sondern um etwas ganz anderes?“ -</p> - -<p> -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -„Ja“, erwiderte Menni gelassen. „Wir alle sind Bewohner -eines anderen Planeten, gehören einer andersgearteten -Menschheit an. Wir sind – Marsbewohner.“ -</p> - -<p> -„Weshalb betrogen Sie mich?“ -</p> - -<p> -„Hätten Sie mich angehört, wenn ich Ihnen mit einem -Male die ganze Wahrheit gesagt haben würde? Ich hatte -äußerst wenig Zeit, um Sie zu überzeugen. Deshalb mußte -ich um der Wahrscheinlichkeit willen die Wahrheit fälschen. -Ohne diesen Uebergang wäre Ihr Bewußtsein allzusehr erschüttert -worden. In der Hauptsache aber – was diese -unsere Reise anbelangt – sprach ich die Wahrheit.“ -</p> - -<p> -„Ich bin also dennoch Ihr Gefangener?“ -</p> - -<p> -„Nein, noch sind Sie frei. Es bleibt Ihnen eine Stunde -Zeit, Ihren Entschluß zu fassen. Wollen Sie die Fahrt aufgeben, -so werden wir Sie zurückbringen und unsere Reise aufgeben, -denn es hätte für uns keinen Sinn, allein heimzukehren.“ -</p> - -<p> -„Wozu brauchen Sie mich?“ -</p> - -<p> -„Um ein lebendiges Band zwischen uns und der irdischen -Menschheit herzustellen. Damit Sie unsere Lebensordnung -kennen lernen und den Marsbewohnern die nähere Bekanntschaft -mit der irdischen Ordnung vermitteln, damit Sie, falls -Ihnen dies erwünscht ist, in unserer Welt Vertreter Ihres -Planeten seien.“ -</p> - -<p> -„Ist dies nun bereits die volle Wahrheit?“ -</p> - -<p> -„Ja, die volle Wahrheit. Falls Sie die Kraft fühlen, -diese Rolle durchzuführen.“ -</p> - -<p> -„In einem solchen Fall muß ich es eben versuchen. Ich -bleibe bei Ihnen.“ -</p> - -<p> -„Ist dies Ihr endgültiger Entschluß?“ fragte Menni. -</p> - -<p> -„Ja, wenn nicht auch diese letzte Erklärung irgend eine -Art Uebergang bedeutet.“ -</p> - -<p> -„Also wir reisen“, sprach Menni, ohne meine Stichelei -zu beachten. „Ich gehe noch, um dem Maschinisten einige -Weisungen zu erteilen, dann komme ich wieder und wir -wollen zusammen die Abfahrt des Aetheroneff beobachten.“ -</p> - -<p> -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -Er verließ das Zimmer, und ich blieb von den verschiedensten -Gedanken bewegt zurück. Noch war die Erklärung nicht -vollständig. Es blieb eine recht bedeutsame Frage übrig. -Doch konnte ich mich nicht entschließen, sie an Menni zu -stellen. Hatte er bewußt, wissentlich meinen Bruch mit Anna -Nikolajewna herbeigeführt? Mir erschien dies so. Wahrscheinlich -sah er in ihr ein Hindernis für seine Ziele. Vielleicht -mit Recht. Doch hatte er den Bruch höchstens beschleunigen, -nicht aber schaffen können. Freilich war dies eine -dreiste Einmischung in meine persönlichen Angelegenheiten gewesen. -Da ich aber nun bereits mit Menni verbunden war, -mußte ich meine Feindseligkeit gegen ihn unterdrücken. Es -galt, das Vergangene nicht mehr zu berühren; am besten -würde es sein, nicht mehr an diese Frage zu denken. -</p> - -<p> -Im allgemeinen bedeutete diese neue Wendung für mich -keinerlei besondere Erschütterung. Der Schlaf hatte mich -gekräftigt, und es war schwer, nach dem am gestrigen Abend -Verlebten noch über irgend etwas in Verblüffung zu geraten. -Nun galt es bloß, den Plan künftiger Tätigkeit auszuarbeiten. -</p> - -<p> -Offensichtlich bestand meine Aufgabe darin, mich so schnell -und so vollkommen wie möglich mit meiner neuen Umgebung -vertraut zu machen. Am besten wird es wohl sein, ich befasse -mich zuerst mit dem Zunächstliegenden, strebe dann -Schritt für Schritt dem Fernerliegenden zu. Als Zunächstliegendes -erschienen mir der Aetheroneff, seine Bewohner -und unsere beginnende Fahrt. Der Mars war noch fern, -im besten Fall würden wir ihn, Mennis Worten zufolge, in -zwei Monaten erreichen. -</p> - -<p> -Die äußere Form des Aetheroneff hatte ich bereits am -vorhergehenden Abend erblickt: sie war fast kugelförmig, mit -abpolierten Enden, gemahnte an das aufgestellte Ei des Kolumbus. -Selbstverständlich war diese Form gewählt worden, -um bei möglichst kleiner Oberfläche die größtmögliche Ausdehnung -zu erhalten, das heißt, bei dem geringsten Aufwand -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -von Material die der Abkühlung ausgesetzte möglichst geringe -Fläche. Was das Material anbelangte, so schien dieses -aus Aluminium und Glas zu bestehen. Die innere Einrichtung -sollte mir von Menni gezeigt und erklärt werden, -auch wollte er mich mit den übrigen „Ungeheuern“ bekannt -machen, wie ich bei mir meine neuen Genossen nannte. -</p> - -<p> -Menni kehrte zurück und führte mich zu den übrigen -Marsbewohnern. Sie waren alle in dem Seitensaal versammelt, -dessen ungeheueres Kristallfenster die eine Hälfte -der Wand einnahm. Das echte Sonnenlicht wirkte nach der -phantastischen Helle der elektrischen Lampen angenehm. Es -waren etwa zwanzig Marsbewohner zugegen; mich deuchte, -sie hätten alle die gleichen Gesichter. Der Mangel eines -Bartes oder Schnurrbartes, ja sogar das völlige Fehlen von -Runzeln und Falten schien die Verschiedenheit ihres Wuchses -gleichsam zu verwischen. Unwillkürlich heftete ich die Augen -auf Menni, um ihn unter diesen mir fremden Kameraden -nicht zu verlieren. Uebrigens gelang es mir bald, zwischen -ihnen meinen nächtlichen Gast Netti zu erkennen, der sich -durch seine Jugendlichkeit und Lebhaftigkeit auszeichnete, sowie -den breitschultrigen Riesen Sterni zu unterscheiden, der -mich mit kaltem, fast unheildrohendem Gesichtsausdruck betrachtete. -Außer Menni sprach nur Netti Russisch. Sterni -und drei oder vier andere redeten Französisch, noch andere -Englisch oder Deutsch; untereinander unterhielten sie sich in -einer mir völlig neuen Sprache, anscheinend ihrer Muttersprache. -Diese war wohlklingend und schön, und ich bemerkte -mit Vergnügen, daß die Aussprache offensichtlich -keine großen Schwierigkeiten bot. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_ABFAHRT"> -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -Die Abfahrt -</h4> - -<p class="first"> -Wie interessant auch immer die „Ungeheuer“ sein mochten, -so wurde meine Aufmerksamkeit dennoch unwillkürlich von -ihnen abgelenkt und richtete sich auf den feierlichen, immer -näher kommenden Augenblick der „Abfahrt“. Ich starrte -beharrlich auf die sich vor uns dehnende schneeige Fläche -und nach der steil aufragenden Granitwand. Jeden Augenblick -erwartete ich, einen starken Stoß zu verspüren, glaubte, -alles werde rasch zurückbleiben, in weiter Ferne verschwimmen. -Doch wurde ich in meiner Erwartung enttäuscht. -</p> - -<p> -Eine geräuschlose, langsame, kaum wahrnehmbare Bewegung -entfernte uns ein wenig von der Schneeplatte. Nach -etlichen Sekunden erst wurde der Aufstieg bemerkbar. -</p> - -<p> -„Eine Beschleunigung von zwei Zentimeter“, erklärte -Menni. -</p> - -<p> -Ich verstand, was dies bedeute. In der ersten Sekunde -legten wir einen Zentimeter zurück, in der zweiten drei, in -der dritten fünf, in der vierten sieben usw. Die Geschwindigkeit -veränderte sich unablässig, entwickelte sich nach dem -Gesetz der arithmetischen Progression. In vier Minuten -hatten wir die Schnelligkeit eines gehenden Menschen, in -fünfzehn die eines Personenzuges erreicht usw. -</p> - -<p> -Wir bewegten uns dem Gesetze der Schwerkraft zufolge, -doch fielen wir hinauf, und zwar um fünfhundertmal langsamer, -als auf der Erde ein Körper von gewöhnlicher -Schwere fällt. -</p> - -<p> -Die Glasplatte des Fensters begann sich vom Feld zu erheben, -bildete mit diesem einen stumpfen Winkel, analog der -Kugelform des Aetheroneff, dessen einer Teil nun sichtbar -wurde. Wir vermochten, uns vorneigend, all das zu sehen, -was sich gerade unter uns befand. -</p> - -<p> -Immer rascher sank die Erde unter uns nieder, immer -weiter ward der Horizont. Die dunklen Flecken der Felsen -und Dörfchen wurden kleiner, die Umrisse des Sees zeichneten -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -sich ab wie auf einem Plan. Der Himmel aber ward immer -dunkler; während ein blauer dem Meer gleichender Streifen -den westlichen Horizont überzog, vermochten meine Augen -trotz dem Tageslicht die heller leuchtenden großen Sterne zu -unterscheiden. -</p> - -<p> -Die äußerst langsame, kreisende Bewegung des Aetheroneff -um die eigene vertikale Achse gestattete uns, den ganzen -Raum ringsum zu überblicken. -</p> - -<p> -Es deuchte, als erhebe sich der Horizont zusammen mit -uns, die Erdoberfläche erschien als ungeheuere, ausgehöhlte, -mit Reliefs geschmückte Schüssel. Die Konturen wurden -verschwommener, die Reliefs flacher, immer mehr nahm die -Landschaft den Charakter einer Landkarte an, scharf gezeichnet -in der Mitte, verschwommen und unklar an den Rändern, die -von halbdurchsichtigem, bläulichem Nebel bedeckt waren. Der -Himmel wurde immer schwärzer, und zahllose Sterne, dicht -gesät, funkelten ungetrübt in ihrem stillen Licht, nicht fürchtend -die strahlende Sonne, deren Helle schier schmerzhaft -brannte. -</p> - -<p> -„Sagen Sie mir, Menni, wird sich diese Beschleunigung -von zwei Zentimetern, mit der wir uns jetzt bewegen, bis ans -Ende der Reise erhalten?“ -</p> - -<p> -„Ja“, entgegnete er. „Nur daß die Richtung etwa auf -halbem Weg ins Gegenteil umschlägt, wir mit jeder Sekunde -die Geschwindigkeit nicht beschleunigen, sondern verzögern. -So daß diese, wenn die höchste Geschwindigkeit des Aetheroneff -ungefähr fünfzig Kilometer in der Sekunde beträgt, die -mittlere aber fünfundzwanzig Kilometer, im Augenblick der -Ankunft abermals ebenso gering ist, wie sie im Augenblick -der Abfahrt war. Dies ermöglicht uns, ohne Stoß und -Erschütterungen an der Oberfläche des Mars zu landen. -Ohne diese ungeheuerliche wechselnde Geschwindigkeit vermöchten -wir niemals weder die Erde, noch die Venus zu erreichen, -denn sogar die kürzeste Strecke beträgt sechzig bis -hundert Millionen Kilometer, – bei der Geschwindigkeit, -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -sagen wir, Ihrer Erdeneisenbahnen würde eine derartige -Reise ein Jahrhundert, aber nicht, wie in unserem Fall, Monate -währen. Was den „Schuß mit der Kanonenkugel“ anbelangt, -über den ich in Eueren phantastischen Romanen las, -so ist dies selbstverständlich ein bloßer Scherz, denn den Gesetzen -der Mechanik zufolge gäbe es dabei nur eine praktische -Möglichkeit – entweder sich im Augenblick des Schusses im -Inneren der Kanonenkugel zu befinden, oder sie im eigenen -Inneren zu haben.“ -</p> - -<p> -„Auf welche Art erhalten Sie diese gleichmäßige Beschleunigung -und Verlangsamung?“ -</p> - -<p> -„Die bewegende Kraft des Aetheroneff ist einer jener -radiumausstrahlenden Stoffe, die uns in großen Mengen -hervorzubringen gelang. Wir fanden ein Mittel, um die -Zerlegung der Elemente ums Hunderttausendfache zu beschleunigen; -dies geschieht in unseren Motoren durch ein äußerst -einfaches elektrisches Verfahren. Durch unsere Methode -wird eine ungeheure Menge Energie entbunden. Die Teilchen -der zerfallenden Atome besitzen im Flug, wie Ihnen bekannt -ist, eine zehntausendmal größere Geschwindigkeit, als -das Artilleriegeschoß. Wenn diese Teile nun aus dem -Aetheroneff bloß nach einer einzigen bestimmten Richtung -fliegen können, – das heißt, durch einen einzigen Kanal -zwischen den sonst undurchdringlichen Wänden, – dann bewegt -sich der Aetheroneff in der entgegengesetzten Richtung, -wie der Rückschlag beim Gewehr. Da Ihnen das Gesetz der -lebendigen Kraft bekannt ist, werden Sie ja auch wissen, -daß ein unbedeutender, milligrammgroßer Teil pro Sekunde -völlig genügt, um unserem Aetheroneff die regelmäßige Beschleunigung -zu verleihen.“ -</p> - -<p> -Während wir also redeten, hatten sich die übrigen Marsbewohner -entfernt. Menni forderte mich auf, mit ihm in -seiner Kajüte zu frühstücken. Wir gingen zusammen hin. -Die Kajüte glich den Wänden des Aetheroneff, auch sie -hatte das gleiche große Kristallfenster. Wir frühstückten. Ich -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -wußte, daß mir neue, noch nie empfundene Gefühle bevorstanden, -da ich ja die Schwere meines Körpers verlieren -würde. Ich befragte Menni darüber. -</p> - -<p> -„Ja“, erwiderte er. „Obgleich uns die Sonne noch immer -anzieht, so ist doch hier ihre Anziehungskraft eine sehr geringe. -Und auch jene der Erde wird morgen oder übermorgen -unmerklich werden. Nur dank der stets zunehmenden Geschwindigkeit -des Aetheroneff bleibt uns ein Vierhundertstel, -mindestens ein Fünfhundertstel unseres Gewichtes bewahrt. -Es fällt ein wenig schwer, sich zum ersten Mal daran -zu gewöhnen, obwohl die Veränderung ganz allmählich vor -sich geht. Mit zunehmender Leichtigkeit werden Sie Ihre -Geschicklichkeit verlieren, eine Menge falscher, nicht berechneter -Bewegungen machen, über das Ziel hinausschießen. -Was das unvermeidliche Herzklopfen, das Schwindelgefühl -und die Uebelkeit anbelangt, so wird Ihnen Netti darüber -hinweghelfen. Es wird Ihnen auch schwer fallen, Wasser -und andere Flüssigkeiten zu handhaben, die beim leichtesten -Anstoß aus dem Gefäß fließen und sich überallhin verbreiten. -Doch waren wir nach Kräften bemüht, derartige Unbequemlichkeiten -zu vermeiden und abzuschwächen. Möbel und Gefäße -sind an Ort und Stelle befestigt, die Flüssigkeiten verkorkt, -überall befinden sich Griffe und Riemen, um den unfreiwilligen -Sturz zu verhindern, der bei rascherer Bewegung -leicht vorkommt. Sie werden sich schon daran gewöhnen, -haben hierzu genügend Zeit.“ -</p> - -<p> -Seit der Abfahrt waren etwa zwei Stunden verflossen. -Schon war die verminderte Schwere fühlbar, doch war diese -Empfindung bis jetzt noch angenehm: der Körper fühlte -Leichtigkeit, die Bewegungen waren frei und ungehemmt, dies -war alles. Dem atmosphärischen Druck wichen wir völlig -aus; er kümmerte uns nicht, besaßen wir doch in unserem -hermetisch verschlossenen Schiff einen genügenden Vorrat an -Sauerstoff. Das uns sichtbare Erdgebiet glich immer mehr -einer Landkarte im verkleinerten Maßstab. Im Süden, am -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -Mittelländischen Meer, waren zwischen dem blauen Dunst -Nordafrika und Arabien klar ersichtlich, im Norden, über -Skandinavien, verlor sich der Blick in schneeigen vereisten -Leeren, nur die Felsen Spitzbergens dunkelten als schwarze -Flecke empor. Im Osten, im grüngestreiften Ural, wurde -das Grün von weißen Schneeflecken durchbrochen, hier -herrschte wieder völlig das weiße Licht, vermischt mit leichtem, -grünlichem Schimmer, eine zärtliche Erinnerung an die -ungeheueren Nadelwälder Sibiriens. Im Westen verloren -sich in den hellen Konturen Mitteleuropas die Küste von England -und Nordfrankreich. Ich vermochte nicht lange auf dieses -gigantische Bild zu blicken; der Gedanke an die schauerliche -Untiefe, über der wir schwebten, erweckte in mir ein -ohnmachtsnahes Gefühl. Ich wandte mich abermals an -Menni. -</p> - -<p> -„Sind Sie der Kapitän dieses Schiffes?“ -</p> - -<p> -Menni nickte bejahend und erwiderte: -</p> - -<p> -„Doch bedeutet dies keineswegs, daß ich über die Macht -eines Kommandanten verfüge, wie dies Ihrer irdischen Auffassung -entspräche. Ich habe bloß in der Führung des -Aetheroneff mehr Erfahrung als die anderen; meine Verfügungen -in dieser Hinsicht werden berücksichtigt, wie ich -Sternis astronomische Berechnungen annehme, oder wie wir -Nettis medizinische Ratschläge zur Erhaltung unserer Gesundheit -und Arbeitskraft befolgen.“ -</p> - -<p> -„Wie alt ist Doktor Netti? Er dünkte mich äußerst -jung.“ -</p> - -<p> -„Ich erinnere mich nicht genau, sechzehn oder siebzehn“, -entgegnete Menni lächelnd. -</p> - -<p> -Das hatte auch ich gedacht. Staunte aber über eine derart -junge Gelehrsamkeit. -</p> - -<p> -„In diesem Alter bereits Arzt sein!“, entfuhr es mir -unwillkürlich. -</p> - -<p> -„Und fügen Sie hinzu: ein äußerst geschickter und erfahrener -Arzt“, ergänzte Menni. -</p> - -<p> -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -Damals überlegte ich nicht, – und Menni erinnerte mich -absichtlich nicht daran, – daß die Marsjahre fast doppelt -so lang sind, wie die unseren: der Mars umkreist die Sonne -in 686 Erdentagen und Nettis sechzehn Jahre kamen etwa -dreißig Erdenjahren gleich. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DER_AETHERONEFF"> -Der Aetheroneff -</h4> - -<p class="first"> -Nach dem Frühstück forderte mich Menni auf, unser -„Schiff“ zu besichtigen. Vor allem begaben wir uns in -den Maschinenraum. Dieser nahm das unterste Stockwerk -des Aetheroneff ein – stieß direkt an dessen verdichteten -Boden und bildete die Scheidewand zwischen fünf Zimmern -– das eine in der Mitte, die anderen an den Seiten -gelegen. Inmitten des zentralen Raumes erhob sich der -Treibmotor, an seinen vier Seiten von in den Boden eingelassenen -runden Glasfenstern umgeben; das eine Fenster -bestand aus reinem Kristall, die anderen waren bunt gefärbt; -das Glas hatte eine Dicke von etwa drei Zentimetern -und war außerordentlich durchsichtig. Im gegebenen Augenblick -vermochten wir durch diese Fenster bloß einen Teil der -Erdoberfläche zu sehen. -</p> - -<p> -Die Basis der Maschine bildete ein vertikaler Metallzylinder, -drei Meter hoch und einen halben Meter im -Durchmesser. Menni erklärte mir, dieser Zylinder bestehe -aus Osmium, einem schwer schmelzenden Edelmetall, aus -der Gruppe des Platins. In diesem Zylinder ging die Zerlegung -der radiumausstrahlenden Stoffe vor sich; die zwanzig -Zentimeter dicken Wände bewiesen zur Genüge die -bei diesem Prozeß entwickelten Energien. Im Raum -herrschte keine besondere Hitze; der ganze Zylinder war von -zwei großen, breiten, aus irgendeinem durchsichtigen Material -bestehenden Futteralen umgeben. Diese Futterale -schützten vor der Hitze; beide vereinigten sich unter der -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -Decke zu einem Rohr, aus dem die erhitzte Luft nach allen -Seiten ausströmte und den Aetheroneff gleichmäßig „heizte“. -</p> - -<p> -Die übrigen Teile der Maschine waren durch verschiedene -Zylinder miteinander verbunden, bestanden aus elektrischen -Spulen, Akkumulatoren, einem Meßapparat mit Zifferblatt -usw. Alles befand sich in tadelloser Ordnung, und verschiedene -Spiegel gestatteten dem diensthabenden Maschinisten, -den ganzen Umkreis zu überblicken, ohne sich von seinem -Lehnstuhl zu erheben. -</p> - -<p> -Von den Seitenstuben war die eine das „astronomische“ -Zimmer, rechts und links von diesem befanden sich der -„Wasserraum“ und der „Sauerstoffraum“ und auf der entgegengesetzten -Seite der „Rechenraum“. Im astronomischen -Zimmer waren der Fußboden und die Wände aus dickem -Kristall; das in geometrischen Formen geschliffene Glas -zeigte ideale Reinheit. Die Durchsichtigkeit dieses Glases -war so groß, daß ich, während ich Menni über die Schwebebrücke -folgte und hinabblickte, zwischen mir und dem Abgrund -unter uns nichts sah; ich mußte die Augen schließen, -um nicht von qualvollem Schwindel überwältigt zu werden. -Ich bemühte mich, seitwärts, nach den Instrumenten zu -schauen, die sich zwischen der Brücke auf Stativen befanden, -oder sich von der Decke und der Außenwand herabsenkten. -Das Hauptteleskop war etwa zwei Meter lang, die Linse von -unproportionierter Größe und augenscheinlich von einer entsprechenden -optischen Stärke. -</p> - -<p> -„Als Ferngläser verwenden wir nur Diamanten“, sagte -Menni. „Sie geben ein bedeutend größeres Gesichtsfeld.“ -</p> - -<p> -„Wie stark ist die gewöhnliche Vergrößerung dieses -Teleskops?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Die klare Vergrößerung beträgt etwa das Sechshundertfache“, -entgegnete Menni. „Genügt uns dies nicht, so -photographieren wir das Gesichtsfeld und betrachten die -Photographie unter dem Mikroskop. Derart vermögen -wir eine sechzigtausendfache und noch bedeutendere Vergrößerungen -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -zu erzielen, und das Photographieren nimmt -kaum eine Minute Zeit in Anspruch.“ -</p> - -<p> -Menni forderte mich auf, durch das Teleskop die entschwindende -Erde zu betrachten und stellte es ein. -</p> - -<p> -„Die Entfernung beträgt nun ungefähr zweitausend -Kilometer“, erklärte er. „Wissen Sie, was vor Ihnen -liegt?“ -</p> - -<p> -Mit einem Mal erkannte ich den Hafen der skandinavischen -Hauptstadt, die ich häufig in Parteiangelegenheiten -besucht hatte ... Es interessierte mich, die Dampfer in -der Reede zu betrachten. Menni drehte einen an der Seite -befestigten Griff, setzte anstelle des Fernrohrs den photographischen -Apparat, nahm dann nach wenigen Sekunden -Teleskop und Apparat und schob beide in eine riesenhafte, -in der Ecke stehende Vorrichtung, die sich als Mikroskop -erwies. -</p> - -<p> -„Wir entwickeln und fixieren das Bild dort“, sprach er, -ohne die Platte mit den Händen zu berühren. Nach -wenigen belanglosen Griffen, die höchstens eine halbe -Minute währten, schob er das Mikroskop vor mich hin. -Mit verblüffender Klarheit sah ich einen mir bekannten, -einer nordischen Gesellschaft gehörenden Dampfer; er schien -sich etliche zehn Schritte von mir entfernt langsam zu bewegen; -im kreisenden Licht war das Bild reliefartig und -hatte eine völlig natürliche Färbung. Auf der Brücke stand -der grauhaarige Kapitän, mit dem ich auf meinen Fahrten -häufig geplaudert hatte. Ein Matrose, der eine Kiste an -Deck schleppte, blieb plötzlich stehen, neben ihm ein Passagier, -der mit der Hand auf etwas wies. Und all dies war zweitausend -Kilometer entfernt ... -</p> - -<p> -Ein junger Marsbewohner, Sternis Gehilfe, betrat den -Raum. Er mußte über die vom Aetheroneff zurückgelegte -Strecke eine genaue Messung anstellen. Wir wollten ihn -in seiner Arbeit nicht stören und begaben uns weiter, in -den „Wasserraum“. Dort befanden sich ein ungeheures mit -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -Wasser gefülltes Reservoir und große Filtrierapparate. -Eine Anzahl Röhren leitete das Wasser durch den ganzen -Aetheroneff. -</p> - -<p> -Nun betraten wir den „Rechenraum“. Hier standen -für mich unverständliche Maschinen mit unzähligen Zifferblättern -und Zeigern. Sterni arbeitete an der größten -Maschine. Von dieser hing ein langes Band nieder, augenscheinlich -das Resultat der Berechnungen. Die auf dem -Band stehenden, sowie die auf den Zifferblättern sich befindenden -Zeichen waren mir völlig unbekannt. Ich wollte -Sterni nicht stören, empfand überhaupt keine Lust, mit ihm -zu sprechen. Rasch verließen wir diesen Raum und betraten -die letzte Seitenstube. -</p> - -<p> -Diese war der „Sauerstoffraum“. Hier wurden die -Sauerstoffvorräte aufbewahrt, in der Gestalt von fünfundzwanzig -Tonnen Bertholetschen Salzen, aus denen, durch -eine entsprechende Methode, bis zu zehntausend Kubikmetern -Sauerstoff hergestellt werden konnten, eine genügende -Menge für einige Fahrten gleich der unseren. Hier befanden -sich auch die Apparate zur Spaltung der Salze, sowie -Vorräte von Bariumoxyd und Aetzkali, die die Bestimmung -hatten, der Luft die Kohlensäure zu entziehen, -Vorräte von Schwefel-Anhydrid zur Absorbierung der überschüssigen -Feuchtigkeit und des Leuhomain, – jenes durch -das Atmen erzeugten physiologischen Giftes, das unvergleichlich -gefährlicher ist, als die Kohlensäure. Dieser Raum -unterstand Dr. Netti. -</p> - -<p> -Dann kehrten wir in den mittleren Maschinenraum zurück, -fuhren mit einem kleinen Aufzug ins höchste Stockwerk -des Aetheroneff. Hier war der Mittelraum als -zweites Observatorium eingerichtet; es glich in allem dem -unteren Raum, nur daß hier die Kristallhülle sich oben und -nicht unten befand, und daß die Instrumente größere Dimensionen -hatten. Aus diesem Observatorium vermochte man -die andere Hälfte der Himmelssphäre zu sehen, und die -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -Planeten zu bestimmen. Der Mars leuchtete mit seinem -roten Licht etwas abseits vom Zenith. Menni richtete auf -ihn das Teleskop, und ich erblickte die mir durch Schiaparellis -Landkarten bekannten Konturen, die Meere und -Kanäle. Menni photographierte den Planeten und legte -unter das Mikroskop eine detaillierte Karte. Doch vermochte -ich von dieser ohne Mennis Erklärungen nichts zu -verstehen: die Flecken der Städte, Wälder und Seen unterschieden -sich voneinander durch für mich unmerkliche und -unverständliche Einzelheiten. -</p> - -<p> -„Wie groß ist die Entfernung?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Verhältnismäßig gering; sie beträgt ungefähr hundert -Millionen Kilometer.“ -</p> - -<p> -„Weshalb befindet sich der Mars nicht im Zenith der -Kuppel? Fliegen wir denn nicht geradewegs, sondern seitlich -auf ihn zu?“ -</p> - -<p> -„Ja, anders geht es nicht. Indem wir uns von der -Erde fortbewegen, bewahren wir unter anderem durch die -Kraft der Trägheit auch die Geschwindigkeit, mit der die -Erde um die Sonne kreist, das heißt, dreißig Kilometer in -der Sekunde. Die Geschwindigkeit des Mars jedoch beträgt -vierundzwanzig Kilometer, und flögen wir perpendikular -in der Bahn zwischen Mars und Erde, so würden -wir mit der restlichen Geschwindigkeit von sechs Kilometern -in der Sekunde gegen die Oberfläche des Mars stoßen. -Dies darf nicht geschehen, wir müssen deshalb den krummlinigen -Pfad wählen, damit die überflüssige Geschwindigkeit -ins Gleichgewicht kommt.“ -</p> - -<p> -„Wie lange ist in diesem Fall unser Weg?“ -</p> - -<p> -„Etwa hundertsechzig Millionen Kilometer. Die zur -Zurücklegung dieser Strecke nötige Zeit beträgt im Mindestfall -zweieinhalb Monate.“ -</p> - -<p> -Wäre ich nicht Mathematiker gewesen, so hätten diese -Zahlen meinem Herzen nichts gesagt. So jedoch erweckten -sie in mir ein dem Alpdruck ähnliches Gefühl, und ich beeilte -<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> -mich, den astronomischen Raum zu verlassen. -Die sechs Seitenabteilungen des obersten Abschnitts umgaben -ringförmig das Observatorium; sie hatten keine -Fenster, und ihre Decke, die ein Teil der Oberfläche der -Kugel war, neigte sich fast zum Fußboden hinab. An der -Decke waren große Reservoire für die Minus-Materie -angebracht, deren Repulsion alles auf dem Aetheroneff zu -paralysieren vermochte. -</p> - -<p> -Die mittleren Stockwerke, das dritte und vierte, umfaßten -Säle, Laboratorien für die einzelnen Mitglieder der -Expedition, Kajüten, Baderäume, die Bibliothek, den Turnsaal -usw. -</p> - -<p> -Nettis Kajüte befand sich neben der meinen. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_MENSCHEN"> -Die Menschen -</h4> - -<p class="first"> -Immer merklicher empfand ich den Verlust der Schwere. -Das sich steigernde Gefühl der Leichtigkeit hörte auf, angenehm -zu sein. Es vermischte sich mit einem Element des -Mißtrauens, irgendeiner unklaren Unruhe. Ich begab mich -in meine Kammer und legte mich auf die Pritsche. -</p> - -<p> -Zwei Stunden des ruhigen Liegens und angestrengten -Nachdenkens ließen mich unmerklich in Schlaf versinken. -Als ich erwachte, saß Netti vor dem Tisch. Mit einer unwillkürlichen -heftigen Bewegung erhob ich mich vom Lager, -wurde gleichsam hochgeschleudert und prallte mit dem Kopf -gegen die Decke. -</p> - -<p> -„Wenn man weniger als zwanzig Pfund wiegt, muß -man vorsichtiger sein“, bemerkte Netti in gutmütig philosophischem -Ton. -</p> - -<p> -Er hatte mich aufgesucht, um mir die nötigen Anweisungen -zu geben, für den Fall, daß ich „seekrank“ würde. -Tatsächlich fühlte ich bereits die durch den Verlust der -Schwere erzeugten ersten Symptome. Von meiner Kajüte -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> -ging eine elektrische Schelle in die seine, so daß ich ihn -immer zu rufen vermochte, falls ich seines Beistandes bedurfte. -</p> - -<p> -Ich benützte die Gelegenheit, um mit dem jungen Arzt -zu plaudern; dieser sympathische, gelehrte und dennoch so -fröhliche junge Bursche zog mich an. Ich fragte ihn, wie -es komme, daß außer Menni von allen sich auf dem Schiff -befindlichen Marsbewohnern nur noch er meine Muttersprache -könne. -</p> - -<p> -„Dies ist ganz einfach“, erklärte er. „Als wir <em>Menschen -suchten</em>, wählte Menni für sich und mich Ihr -Vaterland, und wir verbrachten daselbst mehr als ein Jahr, -bis es uns endlich gelang, mit Ihnen die Angelegenheit zu -erledigen.“ -</p> - -<p> -„Die andern suchten Menschen in anderen Ländern?“ -</p> - -<p> -„Selbstverständlich; bei allen größeren Völkern der Erde. -Aber, es fiel, wie Menni vorausgesehen hatte, in Ihrem -Lande am leichtesten, jemanden zu finden, denn bei Ihnen -ist das Leben entschlossener und glühender, die Menschen sind -mehr als in anderen Ländern gezwungen, vorwärts zu -blicken. Nachdem wir einen Menschen gefunden hatten, benachrichtigten -wir die übrigen; sie kamen aus allen Ländern -herbei, und wir traten die Fahrt an.“ -</p> - -<p> -„Was verstehen Sie, persönlich, unter den Ausdrücken -‚einen Menschen suchen‘ und ‚einen Menschen finden‘? -Ich begreife, daß es sich hier darum handelte, ein Subjekt -zu finden, das der vorgeschriebenen Rolle entsprach, – darüber -hat mich Menni aufgeklärt. Es schmeichelt mir, daß -gerade ich gewählt wurde, doch möchte ich wissen, welchen -Ursachen ich dies verdanke.“ -</p> - -<p> -„In großen Umrissen vermag ich es Ihnen mitzuteilen. -Wir brauchten einen Menschen, dessen Natur äußerst gesund, -aber auch schmiegsam und anpassungsfähig ist, der -für die verschiedenartigsten Arbeiten Fähigkeiten besitzt, -durch möglichst wenig persönliche Bande an die Erde geknüpft -<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> -und so wenig wie möglich individualistisch veranlagt -ist. Unsere Physiologen und Psychologen legten dar, daß -der Uebergang aus den Lebensbedingungen Ihrer Gesellschaft -zu den Lebensbedingungen der unseren, die sozialistisch -organisiert ist, für den einzelnen Menschen äußerst schwer -sei und eine besonders günstige Anpassungsfähigkeit erfordere. -Menni entdeckte, daß Sie diese Ansprüche besser erfüllten, -als andere.“ -</p> - -<p> -„Und Mennis Ansicht war für Sie alle maßgebend?“ -</p> - -<p> -„Ja, wir haben völliges Vertrauen in sein Urteil. Er -ist ein Mensch von hervorragenden Kräften und klarem -Verstand, der sich äußerst selten irrt. Auch besitzt er mehr -Erfahrungen und eine engere Verbindung mit den Erdenmenschen, -als irgendeiner von uns; er hat als erster diese -Verbindungen angeknüpft.“ -</p> - -<p> -„Wer eröffnete die Verbindung zwischen den Planeten?“ -</p> - -<p> -„Dies war nicht das Werk eines Einzelnen, sondern -vieler. Die Minus-Materie wurde schon vor etlichen -zehn Jahren entdeckt. Doch vermochten wir sie anfangs -bloß in geringer Menge herzustellen, bedurften hierzu der -Kraft äußerst vieler Fabrikskollegen, um die Mittel zu -finden, durch die sie in größeren Mengen gewonnen werden -konnte. Dann galt es, die Technik der Gewinnung und -Entwicklung der radiumausstrahlenden Stoffe zu vervollkommnen, -um den Motor des Aetheroneff herstellen zu -können. Dies nahm ebenfalls viele Kräfte in Anspruch. -Auch die klimatischen Verhältnisse zwischen den Planeten -verursachten große Schwierigkeiten: die furchtbare Kälte, -sowie die brennende Sonnenhitze, die Unmöglichkeit, die umhüllende -Luft zu temperieren. Desgleichen war die Berechnung -des Weges sehr schwer; es unterliefen dabei Fehler, -die man nicht hatte voraussehen können. Mit einem Wort: -die früheren Expeditionen nach der Erde endeten mit dem -Tod aller Teilnehmer, bis es endlich Menni gelang, die -erste erfolgreiche Expedition zu organisieren. Jetzt jedoch -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -gelang es uns unlängst, dank seiner Methode, auch die -Venus zu erreichen.“ -</p> - -<p> -„Wenn dem so ist, dann ist Menni wahrlich ein großer -Mensch“, sprach ich. -</p> - -<p> -„Wenn es Ihnen beliebt, einen Menschen, der tatsächlich -viele und gute Arbeit geleistet hat, so zu nennen.“ -</p> - -<p> -„Nicht dies wollte ich sagen: viele und gute Arbeit vermögen -auch vollkommen gewöhnliche Leute zu leisten, genaue, -pflichttreue Menschen. Menni jedoch ist offensichtlich -etwas ganz anderes: er ist ein Genie, ein schöpferischer -Mensch, der Neues gibt und die Menschheit vorwärts -bringt.“ -</p> - -<p> -„Was Sie da sagen, ist unklar und unrichtig. Jeder -Arbeiter ist ein schöpferischer Mensch, aber in jedem Arbeiter -schaffen die ganze Menschheit und die Natur. Besaß -denn Menni nicht alle Versuche vorhergegangener Geschlechter, -und auch die seiner Zeitgenossen, benützte er nicht -bei jedem Schritt seiner Arbeit diese Versuche? Gab ihm -die Natur nicht alle Elemente, alle von ihr hervorgebrachten -Kombinationen? Hat nicht gerade der Kampf des Menschen -gegen die Natur den lebendigen Anstoß zu neuen -Kombinationen gegeben? Der Mensch ist persönlich, – aber -sein Werk ist unpersönlich. Der Mensch stirbt früher -oder später, – das Werk jedoch bleibt im unermeßlich sich -entwickelnden Leben bestehen. Hierin gleichen sich alle Arbeiter, -der Unterschied besteht nur darin, was von ihrem -Schaffen sie überlebt, was im Leben weiterbesteht.“ -</p> - -<p> -„Ja, aber zum Beispiel: der Name eines Menschen wie -Menni stirbt nicht zusammen mit ihm, sondern lebt weiter -in der Erinnerung der Menschheit, während unzählige andere -Namen völlig verschwinden.“ -</p> - -<p> -„Der Name eines jeden wird so lange vor dem Vergessen -bewahrt, wie jene leben, die zusammen mit ihm lebten -und ihn kannten. Die Menschheit bedarf keineswegs der -toten Symbole der Persönlichkeit, wenn diese nicht mehr -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -ist. Unsere Wissenschaft und unsere Kunst bewahrt auf -unpersönliche Art das, was von der allgemeinen Arbeit geschaffen -wurde. Der Ballast vergangener Namen ist nutzlos -für das Gedächtnis der Menschheit.“ -</p> - -<p> -„Sie haben recht, aber das Gefühl unserer Welt lehnt -sich gegen diese Logik auf. Für uns sind die Namen der -Meister des Gedankens und der Werke lebendige Symbole, -ohne die weder unsere Wissenschaft, noch unsere Kunst, -noch unser ganzes gesellschaftliches Leben zu bestehen vermöchten. -Im Kampf der Gewalt gegen die Ideen bedeutet -der auf den Fahnen stehende Name häufig mehr, als die -gegebene Losung. Und der Name des Genies ist wahrlich -kein Ballast für unser Gedächtnis.“ -</p> - -<p> -„Dies kommt daher, weil für Euch das einzige Werk -der Menschheit noch nicht das einzige Werk ist; in den durch -den Kampf der Menschen hervorgebrachten Illusionen wird -das Werk scheinbar zerstückelt, erscheint Euch als Werk einzelner -Menschen und nicht der Menschheit. Auch mir fiel -es schwer, mich an Euere Auffassung zu gewöhnen, als ich -nach Ihnen suchte.“ -</p> - -<p> -„Nun, möge dies gut oder schlecht sein, bei Ihnen gibt -es also keine Unsterblichen. Aber die Sterblichen hier sind -wohl alle auserlesen von jenen, die ‚viele und gute Arbeit -leisten‘, nicht wahr?“ -</p> - -<p> -„Im allgemeinen: ja. Menni wählte die Genossen aus -vielen Tausenden heraus, die den Wunsch hegten, mit ihm -zu gehen.“ -</p> - -<p> -„Der gröbste und kräftigste von allen dürfte wohl Sterni -sein?“ -</p> - -<p> -„Ja, wenn Sie hartnäckig darauf bestehen wollen, die -Leute zu messen und zu vergleichen. Sterni ist ein hervorragender -Gelehrter, wenngleich von ganz anderer Art, als -Menni. Er ist Mathematiker. Er war es auch, der eine -ganze Anzahl jener Berechnungsfehler entdeckte, denen zufolge -alle vorherigen Expeditionen nach der Erde mißglückten, -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -er bewies, daß selbst wenige dieser Fehler genügten, -um den Untergang der Menschen und des Werkes herbeizuführen. -Er fand neue Berechnungsmethoden, und von -dieser Zeit an sind die Berechnungen fehlerlos.“ -</p> - -<p> -„So stellte ich ihn mir nach Mennis Worten und meinem -ersten Eindruck vor. Trotzdem, es ist mir selbst unbegreiflich, -erweckt sein Anblick in mir ein unbehagliches Gefühl, -eine unbegründete Unruhe, eine Art sinnlose Antipathie. -Können Sie mir, Doktor, dafür eine Erklärung geben?“ -</p> - -<p> -„Sehen Sie, Sterni hat einen starken, aber kalten, vor -allem: analysierenden Verstand. Er zergliedert alles auf -unerbittliche, folgerichtige Art, seine Schlüsse jedoch sind oft -einseitig, bisweilen außerordentlich streng, denn die Analyse -der einzelnen Teile ergibt nicht das Ganze, sondern weniger -als das Ganze. Sie wissen, daß überall, wo Leben besteht, -das Ganze größer ist, als seine einzelnen Teile, und so ist -denn auch der lebendige menschliche Körper größer, als -dessen einzelne Glieder. Die Folge dieser Charaktereigenschaften -ist, daß Sterni sich weit weniger als andere in die -Stimmung und die Gedanken anderer Leute zu versetzen -vermag. Er wird Ihnen stets gerne bei jenen Dingen behilflich -sein, die Sie ihm selbst klar machen, niemals aber -wird er erraten, was Sie brauchen. Dies hängt natürlich -auch damit zusammen, daß seine Aufmerksamkeit fast immer -völlig von der Arbeit in Anspruch genommen wird, sein -Kopf stets von irgend einer schweren Aufgabe erfüllt ist. -Darin unterscheidet er sich von Menni in hohem Maße: dieser -sieht immer alles ringsum, und mehr als einmal erklärte -er mir, wonach ich selbst verlangte, was mich beunruhigte, -was mein Verstand oder mein Gefühl suchte.“ -</p> - -<p> -„Wenn die Dinge so stehen, so muß Sterni uns widerspruchsvollen, -fehlerhaften Erdenmenschen gegenüber doch -Feindseligkeit empfinden?“ -</p> - -<p> -„Feindseligkeit! Nein, dieses Gefühl ist ihm fremd. -Aber ich glaube: starken Skeptizismus. Er verbrachte ein -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -halbes Jahr in Frankreich und telegraphierte an Menni: -‚Hier hat es keinen Sinn, zu suchen.‘ Vielleicht hatte er -zum Teil recht, denn auch Letta, der mit ihm war, fand keinen -entsprechenden Menschen. Aber seine Charakteristik der Leute -jenes Landes war bei weitem strenger, als jene Lettas, und -selbstverständlich auch viel einseitiger, wenngleich sie nichts tatsächlich -Unwahres enthielt.“ -</p> - -<p> -„Wer ist dieser Letta, von dem Sie sprechen? Ich entsinne -mich seiner nicht.“ -</p> - -<p> -„Ein Chemiker, Mennis Gehilfe; er gehört nicht zu den -Jüngsten, ist auf unserem Aetheroneff der älteste. Mit ihm -werden Sie sich leicht verständigen können, und dies wird -für Sie sehr nützlich sein. Er besitzt einen weichen Charakter -und viel Verständnis für eine fremde Seele, obgleich er -nicht, wie Menni, Psychologe ist. Suchen Sie ihn im Laboratorium -auf; er wird sich darüber freuen und Ihnen -allerlei Interessantes zeigen.“ -</p> - -<p> -In diesem Augenblick fiel mir ein, daß wir uns von der -Erde schon weit entfernt hatten, und es verlangte mich, sie -zu betrachten. Wir begaben uns zusammen in einen der mit -großen Fenstern versehenen Seitensäle. -</p> - -<p> -„Werden wir uns nicht dem Mond nähern?“, erkundigte -ich mich im Gehen. -</p> - -<p> -„Nein, der Mond bleibt weit abseits liegen, und dies ist -recht schade. Auch ich sähe den Mond gerne aus der Nähe. -Von der Erde aus erschien er mir so seltsam. Groß, kalt, -langsam, rätselhaft ruhig, gleicht er nicht im geringsten unseren -zwei kleinen Monden, die so eilig am Himmel dahinrennen, -und ihre Gesichtchen so rasch verändern wie lebhafte -launische Kinder. Auch Euere Sonne ist bei weitem leuchtender, -darin seid Ihr glücklicher als wir. Euere Welt ist -doppelt so hell als unsere, deshalb bedürft Ihr auch nicht -derartiger Augen, wie wir, braucht nicht die großen Pupillen, -um das schwache Licht unserer Tage und unserer Nächte -aufzufangen.“ -</p> - -<div class="centerpic"> -<img src="images/i044.jpg" alt="" /></div> - -<p> -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -Wir setzten uns ans Fenster. In der Ferne glänzte die -Erde wie eine ungeheuere Sichel, auf der bloß die Umrisse -Westamerikas und des nordöstlichen Asiens als dunkle -Flecke erkennbar waren; auch ein Teil des Stillen Ozeans war -sichtbar, und ein heller Fleck: das Nördliche Eismeer. Der -Atlantische Ozean und die alte Welt versanken in Nacht, -konnten am verschwommenen Rand der Sichel bloß erraten -werden, denn der unsichtbare Teil der Erde verbarg die Sterne -im ungeheuren Raum. Unsere schiefe Bahn, sowie die Drehung -der Erde um ihre Achse, verursachten dieses veränderte Bild. -</p> - -<p> -Ich blickte hinab, und mir wurde schwer ums Herz, weil -ich nicht mehr meine Heimat sah, wo so viel Leben, Kampf -und Leiden herrschen, wo ich noch gestern in den Reihen der -Genossen stand, und wo heute ein anderer meine Stelle einnimmt. -Zweifel schlichen sich in meine Seele. -</p> - -<p> -„Dort unten fließt Blut“, sprach ich. „Hier jedoch ist aus -dem gestrigen Arbeiter ein beschaulicher Betrachter geworden.“ -</p> - -<p> -„Das Blut fließt um einer besseren Zukunft willen“, -entgegnete Netti. „Und dieser Kampf fordert das <em>Kennen</em> -einer besseren Zukunft. Um diese Kenntnisse zu erwerben, -sind Sie hier.“ -</p> - -<p> -Von unwillkürlicher Bewegung erfaßt, griff ich nach seiner -kleinen, fast kindlichen Hand. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_ANNYHERUNG"> -Die Annäherung -</h4> - -<p class="first"> -Die Erde entfernte sich immer mehr und verwandelte sich, -gleichsam als zürnte sie ob dieser Trennung, in eine Mondsichel, -die die winzige Sichel des wirklichen Mondes begleitete. -Parallel damit waren wir, die Bewohner des Aetheroneff, -gleich phantastischen Akrobaten, die ohne Flügel zu fliegen -und nach Belieben im Raum jede Stellung einzunehmen -vermögen, mit dem Kopf bald auf dem Fußboden, bald auf -der Decke, bald auf den Wänden stehen ... darin fast keinen -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -Unterschied sehen ... Allmählich näherte ich mich meinen -neuen Gefährten und begann mich unter ihnen heimisch zu -fühlen. -</p> - -<p> -Schon am Tag nach unserer Abfahrt (wir hielten an dieser -Zeitberechnung fest, obgleich es für uns natürlich weder -wirkliche Tage, noch Nächte gab) legte ich, dem eigenen -Wunsch zufolge, die Kleidung der Marsbewohner an, um -weniger von den übrigen abzustechen. Freilich gefiel mir diese -Kleidung auch an und für sich: sie war einfach, bequem, -ohne nutzlose Einzelheiten wie Kragen und Manschetten, gestattete -die größtmöglichste Freiheit der Bewegung. Die einzelnen -Teile des Gewandes wurden durch Klammern verbunden, -so daß das ganze Gewand zwar einheitlich, aber dennoch -leicht an- und auszuziehen war; so vermochte man zum -Beispiel den einen, oder beide Aermel, oder aber die ganze -Bluse abzulegen. Und die Manieren meiner Mitreisenden -glichen ihrem Gewand: sie waren einfach, ermangelten alles -Ueberflüssigen, jeder Konventionalität. Sie begrüßten einander -nicht, verabschiedeten sich nicht, dankten nicht, verlängerten -nicht aus Höflichkeit ein Gespräch, wenn der Zweck -desselben erreicht war. Zur gleichen Zeit jedoch gaben sie -voller Geduld jedem die erwünschten Erklärungen, paßten -sich genau der geistigen Einstellung des Fragenden an, nahmen -Rücksicht auf dessen Psychologie, wenngleich diese auch -nicht im geringsten der ihren glich. -</p> - -<p> -Selbstverständlich ging ich gleich am ersten Tag an das -Erlernen ihrer Sprache, und sie waren alle gerne bereit, mir -als Lehrer zu dienen, vor allem aber Netti. Die Sprache -war äußerst originell, und trotz der einfachen Grammatik und -Regeln eigneten ihr Einzelheiten, an die ich mich schwer anzupassen -vermochte. Die Regeln hatten keine Ausnahmen, -es gab auch keine Unterschiede, kein männliches, weibliches -oder sächliches Geschlecht. Hingegen besaßen die Namen der -Gegenstände und die Eigennamen eine Biegung, die sich auf -das Zeitliche bezog. Dies wollte mir nicht recht in den Kopf. -</p> - -<p> -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -„Was für einen Sinn haben diese Formen?“ fragte ich -Netti. -</p> - -<p> -„Begreifen Sie es denn nicht? Wenn Sie in Ihrer -Sprache einen Gegenstand benennen, so achten sie sorgsam -darauf, ob er männlich oder weiblich ist, was bei leblosen -Gegenständen äußerst unwichtig, bei lebendigen aber sehr -merkwürdig erscheint. Es ist bei weitem wichtiger, zwischen -jenen Gegenständen zu unterscheiden, die jetzt bestehen, und -jenen, die waren oder erst sein werden. Bei Euch ist das -Haus sächlich, der Kahn männlich, bei den Franzosen ist das -Haus weiblichen Geschlechtes, das Ding an sich aber bleibt -dasselbe. Wenn Ihr aber von einem Haus redet, das bereits -abgebrannt oder das noch nicht erbaut ist, so verwendet -Ihr das gleiche Wort und die gleiche Form, wie wenn Ihr -von dem Hause sprecht, in dem Ihr lebt. Gibt es denn in -der Natur einen größeren Unterschied als den zwischen einem -lebenden und einem toten Menschen, zwischen dem, was ist, -und dem, was nicht ist? Ihr braucht ganze Worte und Sätze, -um diesen Unterschied auszudrücken – ist es nicht weit besser, -dies durch das Hinzufügen eines Buchstabens zu tun?“ -</p> - -<p> -Netti war mit meinem Gedächtnis zufrieden; seine Lehrmethode -schien äußerst gut, und ich kam rasch vorwärts. Dies -half mir bei der Annäherung an meine Reisegefährten, ich begann -der Reise auf dem Aetheroneff mit großem Vertrauen -entgegenzusehen, begab mich in Kajüten und Laboratorien, befragte -die Marsbewohner über alles, was mich beschäftigte. -</p> - -<p> -Der junge Astronom Enno, Sternis Gehilfe, ein lebhafter, -heiterer Mensch, dem Wuchs nach fast noch ein Knabe, zeigte -mir eine Menge interessanter Dinge, nicht bloß Berechnungen -und Formeln – auf diesem Gebiet war er Meister – -sondern auch die Schönheit dieser Beobachtungen. Mir war -in der Gesellschaft des jungen Astronom-Dichters wohl zumute; -der Trieb, mich über unsere Lage in der Natur genau -zu orientieren, lenkte meine Schritte immer von neuem zu -Enno und seinem Teleskop. -</p> - -<p> -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -Einmal zeigte mir Enno durch das stärkste Vergrößerungsglas -den winzigen Planeten Eros; ein Teil seiner Bahn -lag zwischen Erde und Mars, der andere befand sich weiter -als der Mars, im Gebiet der Asteroiden. Damals befand -sich der Eros auf hundertfünfzig Millionen Kilometer -von uns entfernt, aber die Photographie seiner kleinen -Scheibe zeigte im mikroskopischen Maßstab die ganze Landkarte, -die der des Mondes glich. Selbstverständlich war auch -der Eros ein toter Stern, gleich dem Monde. -</p> - -<p> -Ein anderes Mal photographierte Enno einen Schwarm -Meteore, die etliche hundert Millionen Kilometer von uns -entfernt waren. Auf diesem Bild waren natürlich nur verschwommene -Nebel zu sehen. Bei dieser Gelegenheit erzählte -mir Enno, daß eine der früheren Expeditionen zur gleichen -Zeit zugrunde ging, als ein derartiger Schwarm Meteore niederschoß. -Die Astronomen, die mit großen Teleskopen die Fahrt -des Aetheroneff beobachteten, sahen, wie plötzlich das elektrische -Licht erlosch – der Aetheroneff verschwand auf ewig im Raum. -</p> - -<p> -Wahrscheinlich war der Aetheroneff mit einigen dieser -winzigen Körper zusammengestoßen; bei der ungeheuerlichen -Geschwindigkeit mochten diese die Wände durchbohrt haben. -Die Luft drang in den Raum und die Kälte der zwischen den -Planeten befindlichen Sphäre ließ die bereits toten Körper -der Reisenden gefrieren. Nun fliegt der Aetheroneff dahin, -folgt der Bahn der Kometen, entfernt sich auf immer von der -Sonne. Niemand weiß, wo der Weg dieses schauerlichen, -von Leichen bemannten Schiffes enden wird. -</p> - -<p> -Bei diesen Worten schien eine eisige Leere in mein Herz -zu dringen. Ich stellte mir lebhaft vor, wie unser winziges -leuchtendes Schifflein im unendlichen toten Ozean des Raumes -schwebt. Ohne Stützpunkt in der schwindelerregend -schnellen Bewegung, und ringsum die schwarze Leere ... -Enno erriet meine Stimmung. -</p> - -<p> -„Menni ist ein vortrefflicher Steuermann ...“, sagte er. -„Und Sterni irrt sich nicht ... Und der Tod ... Sie -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -haben ihm sicherlich schon oft im Leben ins Auge geblickt ... -Was uns droht ... ist der Tod, weiter nichts.“ -</p> - -<p> -Gar bald kam die Stunde, da wir im Kampf mit einem -schweren Kummer gezwungen wurden, an diese Worte zu -denken. -</p> - -<p> -Der Chemiker Letta zog mich nicht nur durch seine sanfte -Natur an, von der mir Netti bereits gesprochen hatte, sondern -auch durch sein großes Wissen und sein Interesse für eine von -mir viel studierte Frage: die Struktur der Materie. Außer -ihm war in dieser Frage nur noch Menni kompetent, doch -wandte ich mich so wenig wie möglich an Menni, verstehend, -daß dessen Zeit äußerst wertvoll sei, sowohl im Interesse der -Wissenschaft, als auch in dem der Expedition, und daß ich -nicht das Recht habe, sie für mich in Anspruch zu nehmen. -Der gutmütige alte Letta hingegen ließ sich mit derart unerschöpflicher -Geduld zu meiner Unwissenheit herab, erklärte -mir mit solcher Bereitwilligkeit, ja sogar mit offensichtlicher -Freude das Alphabet dieser Wissenschaft, daß ich niemals -das Gefühl hatte, ihn zu belästigen. -</p> - -<p> -Letta hielt mir einen ganzen Kurs über die Struktur der -Materie, illustrierte diesen durch verschiedene Experimente -der Zerlegung der Elemente und durch deren Synthese. Viele -dieser Experimente hatte er anscheinend allein ausführen und -sich darauf beschränken müssen, bloß Schlagworte niederzuschreiben, -insbesondere bei jenen, die einen stürmischen Verlauf -nehmen; diese Elemente zersetzten sich in der Form einer -Explosion, oder die Zersetzung konnte zumindest unter gegebenen -Bedingungen diese Form annehmen. -</p> - -<p> -Einmal betrat während einer mir erteilten Lektion Menni -das Laboratorium. Letta beendete eben die Niederschrift -eines äußerst interessanten Experimentes und schickte sich an, -dasselbe anzustellen. -</p> - -<p> -„Seien Sie vorsichtig“, sprach Menni. „Ich entsinne -mich, daß dieses Experiment eines Tages für mich schlecht -ausfiel; es genügt die kleinste Menge nebensächlicher Ingredienzien -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -in der von Ihnen zu zerlegenden Materie, um bei der -Erhitzung selbst durch den schwächsten elektrischen Strom eine -Explosion herbeizuführen.“ -</p> - -<p> -Schon wollte Letta das geplante Experiment aufgeben, -aber Menni, der mir gegenüber unveränderlich aufmerksam -und liebenswürdig war, schlug vor, bei der genauen Vorbereitung -für das Experiment zu helfen; das Experiment wurde -ohne Unfall beendet. -</p> - -<p> -Am folgenden Tag stellten wir mit dem gleichen Stoff -neue Experimente an. Mir schien es, als entnähme Letta -die Materie nicht demselben Glas wie am vorhergehenden -Tag. Als er bereits die Retorte in das elektrische Bad stellte, -dachte ich daran, ihn darüber zu befragen. Gelassen schritt -er an den die Reagenten enthaltenden Schrank, stellte das -Bad mit der Retorte auf das an der Wand stehende Tischchen; -an die gläserne Außenwand des Aetheroneff. Ich -folgte ihm. -</p> - -<p> -Jählings erfolgte ein ohrenbetäubender Knall, und wir -wurden beide mit ungeheurer Kraft gegen die Schranktür geschleudert. -Ein furchtbar lauter Pfiff, entsetzlicher Lärm -und metallisches Klirren. Ich fühlte, daß eine orkanartige, -unbezwingliche Kraft mich nach rückwärts, an die Außenwand -riß. Schier mechanisch gelang es mir, nach dem starken -Riemen zu greifen, der horizontal befestigt am Schrank hing. -In dieser Lage vermochte ich dem gewaltigen Luftstrom standzuhalten. -Letta war meinem Beispiel gefolgt. -</p> - -<p> -„Halten Sie sich fest“, schrie er mir zu; ich vermochte im -Dröhnen des Orkans kaum seine Stimme zu vernehmen. -Eine scharfe Kälte durchdrang meinen Körper. -</p> - -<p> -Letta blickte sich rasch um. Seine Züge waren erschreckend -in ihrer Blässe, doch verwandelte sich plötzlich der Ausdruck -des Entsetzens in den klarer Vernunft und festen Entschlusses. -Er sprach bloß zwei Worte, – ich vermochte sie nicht zu -hören, erriet aber, daß sie ein Abschied auf ewig waren. Dann -ließ er den Riemen los. -</p> - -<p> -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -Ein dumpfer Schlag, und das Dröhnen des Orkans verebbte. -Ich fühlte, daß ich nun den Riemen loslassen und um -mich blicken könne. Vom Tischchen war nichts mehr zu -sehen, an der Wand jedoch, dicht mit dem Rücken an sie gepreßt, -stand unbeweglich Letta. Seine Augen waren geweitet, -das ganze Gesicht schien gleichsam erstarrt. Ich vernahm -an der Tür ein Geräusch und öffnete sie. Ein starker warmer -Wind stieß mich zurück. Eine Sekunde nachher betrat Menni -das Zimmer. Er eilte zu Letta hin. -</p> - -<p> -Wenige Augenblicke später war der Raum voller Menschen. -Netti stieß alle zur Seite, stürzte zu Letta. Die übrigen -umringten uns in bewegtem Schweigen. -</p> - -<p> -„Letta ist tot“, klang Mennis Stimme auf. „Die bei dem -chemischen Experiment erfolgte Explosion zerschmetterte die -Wand des Aetheroneff, und Letta verstopfte mit seinem -Leib die Bresche. Der Luftdruck zerriß seine Lungen und -lähmte sein Herz. Der Tod war ein augenblicklicher. Letta -rettete unseren Gast, hätte er anders gehandelt, sie hätten -beide unweigerlich den Tod gefunden.“ -</p> - -<p> -Netti brach in heftiges Schluchzen aus. -</p> - -<h4 class="chapter" id="VERGANGENES"> -Vergangenes -</h4> - -<p class="first"> -Die ersten Tage nach der Katastrophe blieb Netti in -seinem Zimmer, und ich las in Sternis Augen einen fast -mißgünstigen Ausdruck. Zweifellos ergab sich aus Lettas -Tod eine Lehre, und Sternis mathematisch eingestelltes Gehirn -konnte nicht umhin, einen Vergleich zwischen dem hohen -Wert jenes Lebens zu ziehen, das geopfert, und jenes das -bewahrt worden war. Menni blieb, wie immer, unverändert -freundlich und gelassen, brachte mir sogar noch mehr Aufmerksamkeit -und Fürsorge entgegen; seinem Beispiel folgten auch -Enno und die übrigen. -</p> - -<p> -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -Ich lernte eifrig die Sprache der Marsbewohner; bei der -ersten günstigen Gelegenheit wandte ich mich an Menni und -bat ihn, mir irgendein Buch zu geben, das die Geschichte ihrer -Menschheit behandle. Menni fand diesen Gedanken vortrefflich -und brachte mir ein Werk, das die Marskinder in die -allgemeine Weltgeschichte einführte. -</p> - -<p> -Ich begann mit Nettis Hilfe dieses Buch zu lesen und zu -übersetzen. Der Geschmack, mit dem der unbekannte Verfasser -die auf den ersten Blick abstrakt, allgemein und schematisch -wirkenden Dinge zu beleben, zu konkretisieren und zu -illustrieren verstanden hatte, versetzte mich in Erstaunen. Dieser -Geschmack gestattete ihm, ein geometrisch aufgebautes -System mit derart folgerichtigen Schlüssen für Kinder zu -erörtern, wie dies bei keinem unserer populär schreibenden -irdischen Verfasser gelungen wäre. -</p> - -<p> -Der erste Teil des Werkes hatte geradezu einen philosophischen -Charakter und war der Idee des Weltalls als einheitliches -Ganzes geweiht, das in sich alles einschließt und sich -alles dienstbar macht. Dieser Teil erinnerte lebhaft an die -Ausführungen jener Arbeiter-Denker, die auf naive und -schlichte Art die erste proletarische Naturphilosophie schufen. -</p> - -<p> -Im folgenden Teil wandte sich die Ausführung jener unermeßlich -fernen Zeit zu, da im Weltall noch keine uns bekannten -Formen bestanden hatten, im gewaltigen Raum das -Chaos und die Unbestimmtheit die Herrschaft geführt. Der -Verfasser berichtete über die Abtrennung der ersten formlosen, -unmerklich feinen Materie, die chemisch nicht festzustellen ist. -Diese Abtrennung bewirkte die Entstehung der gigantischen -Sternenwelt, die als Sternnebel erscheint und zu der auch -die Milchstraße mit zwanzig Millionen Sonnen gehört, unter -denen unsere Sonne eine der kleinsten ist. -</p> - -<p> -Weiterhin war die Rede von der Konzentrierung der Materie -und dem Uebergang zu einer festeren Verbindung, die -die Form chemischer Elemente annahm; zu diesen ersten formlosen -Materien gehören auch die gasförmigen Sonnennebel, -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -von denen wir mit Hilfe des Teleskops viele Tausend zu unterscheiden -vermögen. Die Geschichte der Entwicklung dieser -Nebel, die Herauskristallisierung der Sonnen und Planeten, -ist bei uns nur in der Kant-Laplaceschen Entstehungstheorie -zu finden, aber mit größerer Bestimmtheit und mehr Einzelheiten. -</p> - -<p> -„Sagen Sie mir, Menni“, fragte ich, „halten Sie es -wirklich für richtig, den Kindern gleich zu Anfang diese allgemeinen, -fast abstrakten Ideen zu vermitteln, diese farblosen -Weltbilder zu zeigen, die der ihnen naheliegenden konkreten -Umgebung so fern sind? Bedeutet dies nicht, das kindliche -Gehirn mit leeren, fast nur wörtlichen Bildern füllen?“ -</p> - -<p> -„Die Sache ist die“, erwiderte Menni, „daß bei uns der -Unterricht niemals mit dem Buch beginnt. Das Kind schöpft -seine Kenntnisse aus der lebendigen, von ihm beobachteten -Natur, aus der lebendigen Verbindung mit anderen Menschen. -Ehe es nach einem derartigen Buch greift, hat es bereits allerlei -Reisen unternommen, verschiedene Bilder der Natur betrachtet, -es kennt viele Pflanzen- und Tierarten, kennt das -Teleskop, das Mikroskop, die Photographie, den Phonograph, -hat von älteren Kindern und erwachsenen Freunden allerlei -Erzählungen über Vergangenes und Fernes gehört. Das -Buch erfüllt bloß die Aufgabe, all diese Kenntnisse zu verknüpfen -und zu stärken, zufälliges Wissen zu vervollkommnen -und den künftigen Bildungsweg zu weisen. Vor allem -gilt es natürlich, ein genaues Wissen zu erzielen, das Kind -vom Anfang bis zum Ende zu führen, auf daß es sich nicht in -Einzelheiten verliere. Der vollkommene Mensch muß bereits -im Kind geschaffen werden.“ -</p> - -<p> -All dies erschien mir äußerst ungewohnt, doch wollte ich -Menni nicht weiter befragen; ich werde ja unmittelbar die -Bekanntschaft der Marskinder machen, sowie des dort herrschenden -Erziehungssystems. Ich kehrte zu meinem Buch zurück. -</p> - -<p> -Der Gegenstand des folgenden Teils war die geologische -Geschichte des Mars. Diese Ausführungen brachten trotz -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -ihrer Kürze zahllose Vergleiche mit der Geschichte der Erde -und der Venus. Bei einem bedeutenden Parallelismus aller -drei ergab sich als wichtigster Unterschied, daß der Mars doppelt -so alt wie die Erde und viermal so alt wie die Venus -war. Es wurde in Zahlen die Entwicklung der Planeten -angegeben, ich entsinne mich ihrer noch genau, doch will ich -sie hier nicht anführen, um den irdischen Gelehrten eine Erschütterung -zu ersparen, denn diese Zahlen wären für sie etwas -äußerst Unerwartetes. -</p> - -<p> -Dieser Abhandlung folgte die Geschichte des Lebens von -seinem Anbeginn. Es wurden hier geschildert jene ersten -Verbindungen, die das Cyanradical enthielten und die noch -keine lebendige Materie waren, obzwar sie viele ihrer Eigenheiten -besaßen. Desgleichen wurden hier jene geologischen -Bedingungen geschildert, unter denen sich die chemischen Verbindungen -vollzogen. Die Ursachen wurden erklärt, vermittels -derer sich die eine Materie im Gegensatz zu anderen, -die zwar eine stärkere aber weniger schmiegsame Verbindung -besaßen, bewahrte und anhäufte. Schritt für Schritt wurde -hier die Entwicklung und Differenzierung dieser chemischen -Ahnen jeglichen Lebens verfolgt, bis zur Bildung der ersten -wahrhaft lebendigen Zelle, mit der die „Herrschaft der Einzeller“ -anhebt. -</p> - -<p> -Nun folgte das Bild der stufenweisen Entwicklung der -lebendigen Wesen, ihrer allgemeinen Genealogie, vom Einzeller -bis zu ihrer höchsten Entwicklung – dem Menschen -einerseits, sowie andrerseits zu seinen verschiedenen Abarten. -Im Vergleich mit der „irdischen“ Entwicklungslinie zeigte -sich, daß auf dem Weg von der ersten Zelle bis zum Menschen -die ersten Glieder der Kette fast gleich waren und auch bei -den folgenden nur ein geringer Unterschied bemerkbar wurde; -bei den mittleren Gliedern jedoch begann der Unterschied bedeutsam -zu werden. Das erschien mir äußerst seltsam. -</p> - -<p> -„Diese Frage“, sagte Netti, „ist, so viel ich weiß, noch -nicht zum Spezialstudium geworden. Wußten wir doch vor -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -zwanzig Jahren noch nicht, wie die höchst entwickelten Erdentiere -beschaffen seien. Wir waren äußerst erstaunt, als wir -sahen, wie sehr sie unserem Typus gleichen. Anscheinend ist -die mögliche Zahl der höchsten, das vollkommenste Leben ausdrückenden -Typen eine geringe, und auf den dem unseren -gleichenden Planeten vermag bei den gleichartigen Bedingungen -der Natur dieses Maximum des Lebens bloß eine Form -hervorzubringen.“ -</p> - -<p> -„Außerdem“, bemerkte Menni, „ist der höchste Typus, der -sich der Planeten bemächtigt hat, jener, der am stärksten der -ganzen Summe der Lebensbedingungen Ausdruck verleiht, bei -den Zwischenstufen hingegen, die sich nur einem Teil der Bedingungen -anzupassen vermögen, bleibt mehr Raum für Verschiedenheit.“ -</p> - -<p> -Ich entsann mich, daß mir bereits in meinen Studentenjahren -der Gedanke an die mögliche Zahl der höchsten Typen -durch den Kopf gegangen war, aber freilich aus einer ganz -anderen Ursache: bei den Achtfüßlern, den Kopffüßlern des -Meeres, besitzt die höchstentwickelte Art Augen, die denen -unserer Wirbeltiere seltsam ähnlich sind. Und doch ist -die Entwicklung des Auges bei den Kopffüßlern eine ganz -andere, insofern, als die entsprechenden Gewebe des Sehapparates -bei ihnen in entgegengesetzter Ordnung angebracht -sind. -</p> - -<p> -Wie dem auch immer sei, eines stand fest: auf dem anderen -Planeten lebten Menschen, die uns gleichen und es verlangte -mich, mit ihrem Leben und ihrer Geschichte bekannt zu -werden. -</p> - -<p> -Was die prähistorische Zeit und die ersten Phasen des -menschlichen Lebens auf dem Mars anbelangte, so bestand -zwischen diesen und denen der Erde eine ungeheure Aehnlichkeit. -Die gleichen Stammesverhältnisse hatten geherrscht, -einzelne Stämme hatten bestanden, die untereinander durch -Tauschhandel verbunden gewesen waren. Nachher jedoch -zeigte sich ein Auseinandergehen, nicht in der Richtung der -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -Entwicklung, sondern in der Schnelligkeit und der Art ihres -Charakters. -</p> - -<p> -Der Gang der Geschichte auf dem Mars war irgendwie -glatter und einfacher, als der auf der Erde. Freilich gab es -Kriege zwischen den Stämmen und Völkern, und es gab auch -den Klassenkampf; doch spielten im historischen Leben die -Kriege eine äußerst kleine Rolle und wurden verhältnismäßig -früh aus der Welt geschafft; auch der Klassenkampf war geringer -und weniger scharf, was die rohe Gewalt anbelangte. -Dies ging selbstverständlich nicht alles aus dem Buch hervor, -aber ich vermochte es dennoch zu erkennen. -</p> - -<p> -Die Sklaverei hatten die Marsbewohner überhaupt nie -gekannt; ihre Feudalzeit war im geringen Maßstab militaristisch -gewesen, ihr Kapitalismus befreite sich frühzeitig vom -nationalistisch-imperialistischen Charakter, und es gab nichts, -was unserer zeitgenössischen Armee entsprach. -</p> - -<p> -Die Erklärung für alle diese Tatsachen mußte ich selbst -finden. Die Marsbewohner und selbst Menni begannen erst -jetzt die Geschichte der Erdenmenschheit zu studieren, und es -war ihnen noch nicht gelungen, aus unserer und ihrer Vergangenheit -vergleichende Folgerungen zu ziehen. -</p> - -<p> -Ich entsann mich eines früheren Gespräches mit Menni. -Als ich mich anschickte, die von meinen Reisegefährten benützte -Sprache zu lernen, interessierte es mich zu erfahren, ob diese -von allen Marssprachen die verbreitetste sei. Menni erklärte -mir, sie sei die einzige auf dem Mars geredete Sprache. -</p> - -<p> -„Auch bei uns“, fügte Menni hinzu, „verstanden die Bewohner -der verschiedenen Länder einander nicht, aber schon -vor langer Zeit, etliche hundert Jahre vor dem sozialistischen -Umsturz, wurden alle Dialekte zu einer einzigen Sprache verschmolzen. -Dies vollzog sich auf freie, elementare Art – niemand -bemühte sich darum oder schenkte der Angelegenheit besondere -Aufmerksamkeit. Etliche örtliche Sprachgebräuche erhielten -sich noch längere Zeit, doch waren diese allen verständlich. -Und die Entwicklung der Literatur fegte auch diese hinweg.“ -</p> - -<p> -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -„Diese Tatsache vermag bloß auf eine Art erklärt zu werden“, -meinte ich. „Offensichtlich ist auf Ihrem Planeten die -Verbindung zwischen den Menschen weit besser, leichter und -enger, als bei uns.“ -</p> - -<p> -„Dies stimmt“, erwiderte Menni. „Auf dem Mars gibt -es weder Euere ungeheuren Ozeane, noch Euere unübersteigbaren -Berggipfel. Unsere Meere sind klein, trennen nirgends -die einzelnen Landteile in selbständige Kontinente, unsere -Berge sind nicht hoch, abgesehen von einigen Gipfeln. Die -ganze Oberfläche unseres Planeten ist viermal kleiner, als die -der Erde. Außerdem ist bei uns die Schwerkraft zweieinhalbmal -geringer, als bei Euch; dank der Leichtigkeit unseres -Körpers vermögen wir uns auch ohne besondere Mittel rasch -und leicht zu bewegen, wir laufen ohne zu ermüden ebenso -schnell wie Ihr zu Pferde weiterkommt. Die Natur hat zwischen -unseren Völkern weit weniger Mauern und Scheidewände -aufgerichtet, als bei Euch.“ -</p> - -<p> -Dies war offensichtlich eine der Hauptursachen, die bei der -Marsmenschheit die scharfe Trennung der Rassen und Nationen -verhindert hatte, sowie das Emporkommen der Kriegerkaste, -des Militarismus und des ganzen Systems des Massenmordens. -Wahrscheinlich hatte auch hier der Kapitalismus -mit seinen Widersprüchen zur Erschaffung all dieser, der höheren -Kultur angehörenden Eigenheiten geführt, doch wurde die -Entwicklung des Kapitalismus von der Nebenerscheinung begleitet, -für die politische Vereinigung aller Völker und Nationen -neue Bedingungen zu schaffen. Grund und Boden -der Kleinbauern wurden frühzeitig vom Großgrundbesitz verschlungen, -und bald darauf wurde der ganze Grund und -Boden nationalisiert. -</p> - -<p> -Die Ursache hierfür lag in der stetig stärker werdenden -Trockenheit des Bodens, gegen welche die Kleinbauern nicht -erfolgreich zu kämpfen vermochten. Die Erde des Planeten -verschlang das Wasser und gab es nicht wieder zurück. Dies -war die Fortsetzung jenes elementaren Prozesses, vermittels -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -dessen die einst auf dem Mars bestehenden Ozeane seichter -geworden und sich in kleine Binnenmeere verwandelt hatten. -Ein derartiger Prozeß geht auch auf unserer Erde vor sich, -doch ist er noch nicht so weit gediehen; auf dem Mars hingegen, -der doppelt so alt ist wie die Erde, wurde die Lage -bereits vor tausend Jahren äußerst ernst. Die Verminderung -der Meere führte zu einer Verminderung der Wolken und des -Regens, zum Seichterwerden der Flüsse und zum Austrocknen -der Quellen. An den meisten Orten mußte die künstliche Bewässerung -eingeführt werden. Wie hätten sich unter diesen -Bedingungen die unabhängigen Kleinbauern halten können? -</p> - -<p> -In dem einen Fall gingen sie einfach zugrunde und ihr -Boden fiel in die Hände der benachbarten Großgrundbesitzer, -die über genügend Kapital verfügten, um die künstliche Bewässerung -durchführen zu können. Im anderen Fall schlossen -sich die Bauern zusammen, vereinigten ihre Kräfte für das -gemeinsame Werk. Doch gingen diesen Genossenschaften -früher oder später die Mittel aus; anfangs dünkte sie dies ein -vorübergehendes Uebel, sie machten bei den großen Kapitalisten -die ersten Anleihen. Trotzdem ging es mit ihnen immer rascher -bergab, die Prozente der Anleihe vergrößerten ihre Ausgaben, -führten unweigerlich zu neuen Anleihen usw. Die bäuerlichen -Genossenschaften unterlagen der wirtschaftlichen Macht ihrer -Gläubiger und gingen zugrunde, rissen ihre Mitglieder, bisweilen -hundert oder tausend Bauern, auf einmal mit sich. -</p> - -<p> -Derart gelangte die urbar gemachte Erde in den Besitz -etlicher tausend großer Bodenkapitalisten; aber der innere -Teil des Landes blieb eine Wüste; hierher gelangte kein Wasser, -und die einzelnen Kapitalisten besaßen nicht genügend -Mittel, um diese Landstriche zu bewässern. Als die Staatsgewalt, -die damals schon völlig demokratisch war, sich gezwungen -sah, diese Sache in die Hand zu nehmen, um das allzu -zahlreich werdende Proletariat zu beschäftigen und der sterbenden -Bauernschaft zu Hilfe zu kommen, verfügte selbst sie -nicht über die zum Bau der gigantischen Kanäle nötigen -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -Mittel. Kapitalistische Syndikate wollten die Sache übernehmen, -– doch war das ganze Volk dagegen, wohl wissend, -das dies eine Stärkung der Syndikate und deren Herrschaft -bedeuten würde. Nach langem Kampf und verzweifeltem -Widerstand von seiten der Bodenkapitalisten wurde eine große -progressive Einkommensteuer auf landwirtschaftliche Erzeugnisse -eingeführt. Die durch diese Steuer erzielten Summen -wurden zum Fonds der ungeheuren Arbeit: des Baues der -Kanäle. Die Macht der Gutsbesitzer war gebrochen, und der -Uebergang zur Nationalisierung von Grund und Boden vollzog -sich rasch. Damit verschwanden auch die letzten Reste der -Kleinbauern, da die Regierung im eigenen Interesse ausschließlich -den Großkapitalisten Land überlassen hatte, so daß -die landwirtschaftlichen Unternehmungen noch größer geworden -waren als zuvor. Nun wurden die hauptsächlichsten Kanäle -geschaffen, was zu einer mächtigen wirtschaftlichen Entwicklung -führte und die politische Vereinigung der Menschheit näher -brachte. Dies lesend, konnte ich nicht umhin, Menni meine Verwunderung -darüber auszudrücken, daß Menschenhände vermocht -hatten, solche riesenhaften Wasserwege zu erbauen, die -selbst mit unseren mangelhaften Teleskopen von der Erde aus -gesehen werden konnten. -</p> - -<p> -„Sie befinden sich in einem kleinen Irrtum“, erwiderte -Menni. „Zwar sind diese Kanäle tatsächlich ungeheuer groß, -aber sie müßten noch um etliche zehn Kilometer breiter sein, -um von Eueren Astronomen unterschieden werden zu können. -Was diese sehen, sind die gewaltigen Waldstreifen, die wir -längs der Kanäle pflanzten, damit eine gleichmäßige Verdunstung -der Feuchtigkeit erzielt und das allzurasche Austrocknen -des Wassers verhindert werde. -</p> - -<p> -Die Zeit der Kanalbauten brachte einen ungeheueren wirtschaftlichen -Aufschwung; die Industrie blühte und der Klassenkampf -ebbte ab. Es gab eine große Nachfrage nach Arbeitskräften, -die Arbeitslosigkeit verschwand völlig. Als jedoch -das große Werk beendet war, und zusammen mit ihm auch -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -die kapitalistische Kolonisierung der wüsten Gegenden, kam -es bald zu einer wirtschaftlichen Krise, und die „soziale Welt“ -wurde durchschaut. Die soziale Revolution brach aus. Und -abermals spielte sich alles verhältnismäßig friedlich ab; die -Hauptwaffe der Arbeiter war der Streik, und nur in seltenen -Fällen und an einigen Orten, fast ausschließlich in ländlichen -Bezirken, kam es zu Aufständen. Schritt für Schritt unterlagen -die Grundbesitzer dem Unvermeidlichen; selbst als die Regierungsgewalt -schon in den Händen der Arbeiterpartei lag, versuchten -die Sieger nicht, ihre Sache mit Gewalt zu fördern. -</p> - -<p> -Es gab, nachdem die Produktionsmittel sozialisiert worden -waren, keine Entschädigung im wahren Sinne des Wortes, -doch wurden die Kapitalisten pensioniert. Später spielten -viele von ihnen bei der Organisation kooperativer Unternehmungen -eine große Rolle. Zuerst fiel es schwer, der Schwierigkeit -bei der Verteilung der Arbeit im Sinne der Arbeiter -zu begegnen. Ungefähr hundert Jahre bestand für alle, ausgenommen -die pensionierten Kapitalisten, die allgemeine Arbeitspflicht; -zuerst der Sechsstundentag; später wurde die -Arbeitszeit verkürzt. Der Fortschritt der Technik sowie die -genaue Berechnung der freien Arbeit gestatteten, bei dieser -die letzten Ueberreste des alten Systems auszumerzen.“ -</p> - -<p> -Das ganze Bild war schön und harmonisch, nicht wie bei -uns von Blut und Pulverrauch befleckt; ich empfand unwillkürlich -ein Gefühl des Neides und sprach darüber mit Netti, -da wir zusammen das Buch lasen. -</p> - -<p> -„Ich weiß nicht“, meinte der Jüngling, „mir scheint, daß -Sie unrecht haben. Es ist wahr, daß auf der Erde die -Gegensätze weit stärker sind, und daß die Natur der Erde -weit freigebiger Schläge und Tod verteilt, als unser Mars. -Doch ist dies vielleicht darauf zurückzuführen, daß der Reichtum -der Erde von allem Anfang an unvergleichlich größer -war, als der unsere; die bedeutend größere Sonne gibt ihr -die lebendige Kraft. Bedenken Sie, um wie viele Millionen -Jahre unser Planet älter ist, als der Euere; unsere Menschheit -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -jedoch entstand bloß einige zehntausend Jahre vor der -Eueren, und ist letzterer heute vielleicht nur um zwei, höchstens -drei Jahrhunderte voraus. Ich stelle mir diese beiden -Menschheiten als zwei Brüder vor. Der ältere besitzt einen -ruhigen, gleichmäßigen Charakter, der Jüngere ist stürmisch -und explosiv. Der jüngere Bruder versteht es schlechter, seine -Kräfte zu verwerten, vergeudet sie, begeht mancherlei Fehler; -seine Kindheit war voller Krankheiten und unruhig. Jetzt, -da er ins Jünglingsalter kommt, leidet er unter qualvollen -krampfartigen Anfällen. Wird er aber nicht zu einem schaffenden -Künstler werden, der weit größer und stärker ist, als -der ältere Bruder, wird er nicht dann unsere alte Natur -weit schöner und reicher gestalten? Ich weiß es nicht, doch -scheint mir, daß dem so sein wird.“ -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_ANKUNFT"> -Die Ankunft -</h4> - -<p class="first"> -Geführt von Mennis klarem Kopf, setzte der Aetheroneff -ohne weitere Unfälle den Weg nach dem fernen Ziel fort. -Schon war es mir gelungen, mich den ungewohnten Lebensbedingungen -anzupassen und auch mit den größten Schwierigkeiten -der Marssprache fertig zu werden, als Menni uns -eines Tages mitteilte, die Hälfte des Weges sei zurückgelegt, -die höchste Geschwindigkeit erreicht worden, von nun an werde -sich diese vermindern. -</p> - -<p> -Im gleichen Augenblick, da Menni diese Worte sprach, -drehte sich rasch und gleitend der Aetheroneff. Die Erde, die -sich schon seit langer Zeit aus einer großen, leuchtenden Sichel -in eine kleine, und aus der kleinen Sichel in einen grünschimmernden, -nahe der Sonnenscheibe schwebenden Stern -verwandelt hatte, glitt nun aus dem unteren Teil des schwarzen -Himmelsgewölbes in die obere Halbkugel, und der rote -Stern, der Mars, der hell über uns gefunkelt hatte, sank -zu unseren Füßen nieder. -</p> - -<p> -<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> -Noch einige hundert Stunden, und der Mars verwandelte -sich in eine kleine helle Scheibe, und gar bald unterschieden -wir auch zwei kleine Sternchen, seine Weggenossen, – Deimos -und Phobos, unschuldige, winzige Planeten, die ihre -furchtbaren Namen wirklich nicht verdienten. Diese Namen -bedeuten auf griechisch „Schrecken“ und „Grauen“. Die -ernsten Marsbewohner wurden lebhafter, begaben sich immer -häufiger in Ennos Observatorium, um ihre Heimat zu betrachten. -Auch ich tat dies, doch verstand ich, trotz Ennos -geduldigen Erklärungen, gar schlecht, was ich vor mir sah; -freilich gab es da viel, was mir völlig fremd war. -</p> - -<p> -Die roten Flecken erwiesen sich als Wälder und Wiesen, -und die dunkleren als erntebereite Felder. Die Städte erschienen -als bläuliche Flecken, – und einzig und allein Wasser -und Schnee hatten eine mir verständliche Farbe. Der muntere -Enno ließ mich bisweilen erraten, was es sei, das ich auf -der Linse des Apparates erblickte, und meine naiven Irrtümer -reizten ihn und Netti zum Lachen; ich rächte mich, indem -ich über ihre Ordnung scherzte, ihren Planeten das Königreich -der gelehrten Eulen und der verwirrten Farben nannte. -</p> - -<p> -Der Umfang der roten Scheibe wuchs immer mehr an. -Schon übertraf sie an Größe die merklich kleiner werdende -Sonnenscheibe und glich einer astronomischen Karte ohne -Aufschriften. Auch die Schwerkraft begann sich zu steigern, -was mich sehr angenehm berührte. Deimos und Phobos verwandelten -sich aus leuchtenden Pünktchen in winzige, aber -klar umrissene Scheiben. -</p> - -<p> -Noch fünfzehn bis zwanzig Stunden – und schon umkreiste -uns der Mars als Planiglob und ich vermochte mit freiem -Auge mehr zu sehen, als auf allen astronomischen Karten unserer -Gelehrten vermerkt ist. Die Scheibe des Deimos glitt -über diese runde Landkarte dahin, Phobos jedoch war nicht zu -sehen, – befand sich nun auf der anderen Seite des Planeten. -</p> - -<p> -Freude herrschte ringsum, nur ich allein vermochte nicht eine -zitternde, quälende Erwartung zu überwinden. -</p> - -<div class="centerpic"> -<img src="images/i062.jpg" alt="" /></div> - -<p> -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -Näher und näher ... Keiner von uns brachte es über -sich, etwas zu tun, – alle blickten unentwegt abwärts, dorthin, -wo eine andere Welt kreiste, – eine Welt, die für sie die -Heimat, für mich aber ein Ort des Geheimnisses und der -Rätsel war. Nur Menni befand sich nicht unter uns, er -stand im Maschinenraum: die letzten Wegstunden waren die -allergefährlichsten, es galt, die Entfernung festzustellen und -die Schnelligkeit zu regulieren. -</p> - -<p> -Wie kam es eigentlich, daß ich, ein unfreiwilliger Kolumbus -dieser Welt, weder Freude, noch Stolz, ja nicht einmal -Beruhigung fühlte, jetzt, da wir ans feste Land gelangen sollten? -</p> - -<p> -Künftige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus ... -</p> - -<p> -Noch etwa zwei Stunden! Rasch überschritten wir die -atmosphärische Grenze. Mein Herz begann schmerzhaft zu -pochen, ich vermochte nichts mehr zu sehen, eilte in meine -Stube. Netti folgte mir. -</p> - -<p> -Er begann mit mir zu plaudern, – nicht über die Gegenwart, -sondern über die Vergangenheit, die ferne Erde, die -dort oben lag. -</p> - -<p> -„Sie werden noch dorthin zurückkehren, wenn Sie Ihre -Aufgabe erfüllt haben“, sprach er, und seine Worte klangen -mir wie eine zarte Aufforderung, mich mannhaft zu halten. -</p> - -<p> -Wir redeten über diese Aufgabe, über ihre unbedingte -Notwendigkeit und Schwere. Unmerklich verging die Zeit. -</p> - -<p> -Netti blickte auf den Chronometer. „Wir sind angekommen“, -sagte er. „Gehen wir zu ihnen!“ -</p> - -<p> -Der Aetheroneff stand still, schaukelte die breiten ungeheueren -Metallplatten; von außen drang frische Luft herein. -Ueber unseren Häuptern leuchtete klar der grünlich blaue -Himmel, – eine Menschenschar umdrängte uns. -</p> - -<p> -Menni und Sterni gingen als erste an Land; sie trugen -den durchsichtigen Sarg, in dem der tote Kamerad Letta lag. -</p> - -<p> -Ihnen folgten die anderen. Ich und Netti kamen als -letzte; Hand in Hand verließen wir den Aetheroneff, schritten -hinein in die Menschenmenge, die völlig Netti glich ... -</p> - -<div class="chapter"> - -<h3 class="part" id="ZWEITER_TEIL"> -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -Zweiter Teil -</h3> - -</div> - -<h4 class="chapter" id="BEI_MENNI"> -Bei Menni -</h4> - -<p class="first"> -Die erste Zeit lebte ich bei Menni in der Fabrikstadt, deren -Mittelpunkt und Basis das große chemische, sich tief unter der -Erde erstreckende Laboratorium bildete. Der sich über der -Erde befindende Teil der Stadt, der, zwischen Parken und -Anlagen erbaut, etwa zehn Quadratkilometer einnahm, beherbergte -etwa hundert Arbeiterhäuser, die von den Laboratoriumsarbeitern -bewohnt wurden, sowie das große Versammlungshaus, -das Konsumwarenhaus und die Verbindungsstation, -die diese Stadt mit der ganzen umgrenzenden Welt -verband. Hier war Menni der Leiter der Arbeit; er lebte in -einem der Gemeinschaftsgebäude, nahe dem Abstieg zum Laboratorium. -</p> - -<p> -Das erste, was mich bei der Natur des Mars verblüffte -und woran ich mich nicht recht gewöhnen konnte, war die rote -Farbe der Pflanzen. Dieser Farbstoff, seiner Substanz nach -dem Chlorophyll der irdischen Pflanzen äußerst ähnlich, spielte -auch hier in der Natur eine völlig analoge Rolle: er schuf das -Gewebe der Pflanzen aus dem Sauerstoff der Luft und der -Kraft des Sonnenlichtes. -</p> - -<p> -Der vorsorgliche Netti schlug mir vor, Schutzbrillen zu -tragen, um das Auge vor der ungewohnten Reizung zu bewahren. -Ich weigerte mich, dies zu tun. -</p> - -<p> -„Diese Farbe trägt auch unsere sozialistische Fahne“, sagte -ich. „Ich muß daher mit Ihrer sozialistischen Natur vertraut -werden.“ -</p> - -<p> -„Wenn dem so ist, so müssen Sie wissen“, warf Menni -ein, „daß auch bei der Erdflora der Sozialismus besteht, -freilich auf eine verborgene Art. Die Blätter der Erdpflanzen -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -besitzen eine rote Färbung, maskieren diese bloß durch eine -starke grüne Farbe. Es genügt, Brillen anzulegen, die das -grüne Licht verschlingen und das rote Licht abstoßen, damit -auch Ihre Wälder und Felder, gleich den unseren, rot erscheinen.“ -</p> - -<p> -Ich darf nicht Zeit und Platz vergeuden, indem ich die -eigenartigen Formen der Pflanzen und Tiere auf dem Mars -beschreibe, noch die reine und durchsichtige Atmosphäre, die -zwar äußerst dünn, aber dennoch voller Sauerstoff ist, noch -den tiefen, dunklen, grünlichen Himmel, mit der mageren Sonne -und den winzigen Monden, mit dem doppelt so hellen Abend- -und Morgenstern – der Venus und der Erde. Alldies, -damals seltsam und fremdartig, deucht mich heute, durch die -Erinnerung verklärt, schön und teuer. Aber es stand mit der -Aufgabe meiner Sendung nur in losem Zusammenhang. Die -Menschen, die Verhältnisse, in denen sie lebten, dies war für -mich wichtig, und sie waren selbst in dieser märchenhaften -Umgebung das Allerphantastischste, das Allerrätselhafteste. -</p> - -<p> -Menni wohnte in einem nicht sonderlich großen zweistöckigen -Haus, das sich der Architektur nach nicht von den übrigen -Gebäuden unterschied. Der originellste Zug dieser Architektur -bestand in dem durchsichtigen, aus riesenhaften himmelblauen -Platten gebildeten Dach. Unter diesem Dach befanden sich -die Schlaf- und Wohnzimmer. Die Marsbewohner verbrachten -ihre Mußestunden in dieser blauen Beleuchtung, -schätzten deren beruhigenden Einfluß, und fanden die Farbe, -die jenes Licht auf den Gesichtern hervorruft, keineswegs unangenehm, -wie es bei uns der Fall gewesen wäre. -</p> - -<p> -Die Arbeitszimmer, das Hauslaboratorium, sowie der -Verbindungsraum lagen im unteren Stockwerk; große Fenster -ließen gewaltige Wogen des beunruhigenden roten Lichtes, -das von den Blättern der Parkbäume ausging, in die Räume -fluten. Dieses Licht, das in der ersten Zeit bei mir eine unruhige -und verwirrte Stimmung hervorrief, erregte bei den -Marsbewohnern eine gewohnte, der Arbeit günstige Erregung. -</p> - -<p> -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -In Mennis Arbeitszimmer befanden sich viele Bücher und -die verschiedensten Schreibgeräte, angefangen vom einfachen -Bleistift bis zum Druckphonographen. Dieser Apparat besaß -einen äußerst komplizierten Mechanismus: jedes deutlich ausgesprochene -Wort wurde sofort vermittels eines Hebels auf -der Schreibmaschine wiedergegeben und von dieser, je nach -Bedarf, auf die Setzmaschine gebracht. -</p> - -<p> -Auf Mennis Schreibtisch stand das Porträt eines mittelgroßen -Marsbewohners. Die Gesichtszüge erinnerten lebhaft -an Menni, doch eignete ihnen ein Ausdruck strenger Energie -und kalter Entschlossenheit, ja fast der Grausamkeit, die -Menni fehlte, dessen Gesicht nur einen ruhigen, festen Willen -ausdrückte. Menni erzählte mir die Geschichte dieses Mannes. -</p> - -<p> -Er war ein Ahne Mennis, ein großer Ingenieur. Er lebte -vor der sozialen Revolution, zur Zeit der großen Kanalbauten. -Dieses grandiose Werk wurde nach seinen Plänen und unter -seiner Leitung ausgeführt. Sein erster Gehilfe, der ihm den -Ruhm und die Macht neidete, zettelte gegen ihn Intrigen an. -Einer der Hauptkanäle, an dem einige hunderttausend Menschen -arbeiteten, mußte in einer sumpfigen, ungesunden Gegend -begonnen werden. Viele tausend Arbeiter starben und erkrankten, -allgemeine Unzufriedenheit gärte. Zur gleichen Zeit, als -der Oberingenieur mit der Zentralregierung des Mars Besprechungen -pflog, um für die Familien der bei dem Bau verstorbenen -Arbeiter und für jene, die durch Krankheit an weiterer -Arbeit gehindert wurden, Pensionen durchzusetzen, agitierte -der erste Gehilfe im Geheimen wider ihn, hetzte zum Streik -für die Forderung, die Arbeit an einen anderen Ort zu verlegen, -was bei dem jetzigen Stand der Arbeit unmöglich war, -weil dadurch der ganze Plan des großen Werkes und des Ingenieurs -zerstört worden wäre. Als der Ingenieur dies erfuhr, -berief er den ersten Gehilfen zu sich, verlangte von ihm eine -Aufklärung und tötete ihn auf der Stelle. Vor Gericht verschmähte -der Ingenieur jegliche Verteidigung, beschränkte sich -auf die Erklärung, daß er seine Handlung für völlig gerecht -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -und notwendig halte. Er wurde zu vielen Jahren Gefängnis -verurteilt. -</p> - -<p> -Doch stellte sich gar bald heraus, daß keiner seiner Nachfolger -die Kraft besaß, die gigantische Organisation der Arbeit -durchzuführen. Mißverständnisse entstanden, Raub und Betrug, -gewaltige Verwirrung; der ganze Apparat des Werkes -war nahe daran zugrunde zu gehen, die Ausgaben wuchsen -in die Hunderte von Millionen, unter den Arbeitern gärte -heftige Unzufriedenheit, die bereits fast zu Aufständen führte. -Die Zentralregierung wandte sich in aller Eile an den früheren -Ingenieur, bot ihm Begnadigung und Wiedereinsetzung -ins Amt an. Er wies die Begnadigung zurück, willigte jedoch -ein, vom Gefängnis aus die Arbeit zu leiten. -</p> - -<p> -Durch die Berichte seiner Revisoren wurden die Vorgänge -an der Arbeitsstelle rasch aufgeklärt. Hundert Ingenieure und -Unternehmer wurden fortgejagt und vor Gericht gestellt. Der -Arbeitslohn wurde erhöht, ein neues System für die Lieferung -der Nahrung, Kleidung und Werkzeuge eingeführt, der Arbeitsplan -revidiert und verbessert. Bald war die Ordnung -wieder völlig hergestellt, der gewaltige Apparat arbeitete rasch -und genau, wie ein gehorsames Werkzeug in der Hand des -Meisters. -</p> - -<p> -Aber dieser Meister leitete nicht bloß das ganze Werk, sondern -arbeitete auch die Pläne für dessen Fortsetzung in den -folgenden Jahren aus, bereitete gleichzeitig auch noch einen -Stellvertreter vor, einen jungen, energischen, begabten, dem -Arbeiterstand entstammenden Ingenieur. Da der Tag nahte, -an dem er aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, war -alles so gut vorbereitet, daß der große Meister die Möglichkeit -hatte, das Werk, ohne es zu gefährden, einer anderen Hand -zu übergeben. Im Augenblick, als sich der erste Minister der -Zentralregierung dem Gefängnis näherte, um den Gefangenen -freizulassen, tötete dieser sich selbst. -</p> - -<p> -Während Menni mir dies erzählte, veränderte sich sein -Gesicht auf seltsame Art; es erschien darauf der gleiche unbeugsam -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -strenge Ausdruck, der seinem Ahnen eignete, und in diesem -Augenblick glich er ihm. Ich fühlte, wie sehr er diesem -Ahnen, der hundert Jahre vor seiner, Mennis, Geburt gestorben -war, nahestand und wie gut er ihn begriff. -</p> - -<p> -Das Verbindungsbureau nahm den mittleren Raum des -unteren Stockwerkes ein. Hier befanden sich die Telephone -und die optischen Apparate, die auf jede beliebige Entfernung -hin das Bild all dessen wiedergaben, was sich vor ihrer Linse -befand. Einer dieser optischen Apparate verband Mennis -Wohnung mit der Verbindungsstation, und über diese mit -allen Städten des Planeten. Ein anderer stellte die Verbindung -mit dem unterirdischen Laboratorium her, das von Menni -geleitet wurde. Dieser letztere arbeitete unaufhörlich: etliche -dünne, gitterartige Platten zeigten verkleinert das Bild eines -hellerleuchteten Saals, wo sich mächtige Metallmaschinen und -gläserne Apparate befanden, an denen Tausende von Leuten -arbeiteten. Ich wandte mich an Menni mit der Bitte, mich in -das Laboratorium zu führen. -</p> - -<p> -„Dies geht nicht“, erwiderte er. „Dort wird mit der noch -nicht stabilen Materie gearbeitet, und wie gering auch immer, -dank unserer Vorsichtsmaßregeln, die Gefahr einer Explosion -oder einer Vergiftung durch unsichtbare Strahlen ist, so besteht -trotzdem noch eine gewisse Gefahr. Sie dürfen sich dieser -nicht aussetzen, denn Sie sind hier einzigartig, und Sie zu -ersetzen wäre unmöglich.“ -</p> - -<p> -In seinem Privatlaboratorium verwahrte Menni bloß jene -Apparate und Materialien, die zu seinen früheren Experimenten -und Untersuchungen in Beziehung standen. -</p> - -<p> -Im Korridor des untersten Stockwerkes war an der Decke -ein Luftschiff befestigt, mit dem man in jedem Augenblick dorthin -fliegen konnte, wohin es einem beliebte. -</p> - -<p> -„Wo lebt Netti?“ fragte ich Menni. -</p> - -<p> -„In einer großen Stadt, auf zwei Luftschiffstunden entfernt. -Dort befindet sich eine große Maschinenfabrik mit etlichen -zehntausend Arbeitern, so daß Netti für seine Untersuchungen -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -weit mehr Material besitzt, als hier. Wir haben -einen anderen Arzt.“ -</p> - -<p> -„Ist mir auch nicht gestattet, die Maschinenfabrik zu besuchen?“ -erkundigte ich mich. -</p> - -<p> -„Nein; dort droht ja keine besondere Gefahr. Wenn es -Ihnen recht ist, werden wir uns morgen zusammen hinbegeben.“ -</p> - -<p> -Wir beschlossen, dies zu tun. -</p> - -<h4 class="chapter" id="IN_DER_FABRIK"> -In der Fabrik -</h4> - -<p class="first"> -Ungefähr fünfhundert Kilometer in zwei Stunden, – die -Schnelligkeit eines Falkenflugs, die bisher nicht einmal von -unseren elektrischen Eisenbahnen erreicht worden ist ... -Unter uns kreiste in raschem Wechsel die unbekannte, fremdartige -Landschaft, und noch rascher flogen seltsame, mir fremde -Vögel an uns vorbei. Das Sonnenlicht warf blaue Farben -auf die Dächer der Häuser und färbte mit dem mir gewohnten -gelben Licht die ungeheuere Kuppel eines unbekannten großen -Gebäudes. Flüsse und Kanäle schimmerten als Stahlbänder, -mein Auge ruhte auf ihnen, weil sie denen der Erde glichen. -In der Ferne ward eine gewaltige Stadt sichtbar, umsäumt -von kleinen Seen und durchschnitten von Kanälen. Das Luftschiff -verlangsamte seine Fahrt und senkte sich gleitend zu einem -kleinen schönen Haus nieder, Nettis Wohnung. -</p> - -<p> -Netti war daheim und begrüßte uns freudig. Er stieg in -unser Luftschiff, und wir flogen weiter; die Fabrik befand -sich noch etliche Kilometer entfernt, an dieser Seite des Sees. -</p> - -<p> -Fünf riesenhafte Gebäude, kreuzförmig gelegen, vereinigten -sich zu einem einzigen Bau; Kuppeln aus reinem Glas wurden -von etlichen zehn dunklen Säulen getragen, bildeten einen -Kreis oder eine verlängerte Ellipse. Die Glasplatten waren -abwechselnd durchsichtig oder matt, bildeten zwischen den Säulen -die Wände. Wir machten am Mittelbau Halt, vor dem -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -Tor, das den ganzen Raum zwischen zwei Säulen, zehn Meter -breit und zwölf Meter hoch, einnahm. Die Decke des ersten -Stockwerks durchschnitt horizontal den Mittelraum des Tores; -etliche Schienenpaare mündeten beim Tor, zogen sich durch den -äußeren Korridor. -</p> - -<p> -Wir glitten zur halben Höhe des Tores, und jählings stürzte -sich das alles verschlingende Geräusch der Maschinen aus -dem zweiten Stockwerk auf uns nieder. Uebrigens war dieses -Stockwerk nicht im eigentlichen Sinne des Wortes ein eigenes, -abgetrenntes Stockwerk; es war vielmehr ein Netz aus -Luftbrücken, das über den gewaltigen, mir unbekannten -Maschinen schwebte. Wenige Meter über den Maschinen befand -sich ein ähnliches Netz, noch höher ein drittes, viertes, -fünftes; diese Netze bestanden aus einem Glasparkett, das von -vierkantigen Eisengittern eingefaßt war; alle waren durch -Fallgatter und Stufen miteinander verbunden, und jedes -Netz war kleiner, als das vorhergehende. -</p> - -<p> -Weder Dunst, noch Ruß, noch Gestank, noch Staub. In -der reinen, frischen Luft arbeiteten die Maschinen kraftvoll -und gleichmäßig, das Licht war nicht schmerzlich grell, doch -drang es überall hin. Die Maschinen schnitten, sägten, hobelten -ungeheuere Eisenstücke, Aluminium, Nickel, Kupfer. -Hebel, stählernen Riesenhänden ähnlich, bewegten sich gleichmäßig -und glatt, große Plattformen glitten mit sorgfältig berechneter -Genauigkeit hin und her; die Räder und Transmissionsriemen -schienen hingegen unbeweglich. Hier herrschte -nicht die rohe Gewalt des Feuers und Dampfes; die feine -und dabei weit mächtigere Kraft der Elektrizität war die Seele -dieses unheimlichen Mechanismus. -</p> - -<p> -Sogar der Lärm der Maschinen schien, sobald man sich ein -wenig daran gewöhnt hatte, schier melodisch, ausgenommen -in jenen Augenblicken, da der gewaltige Hammer niederschlug, -und von dem mächtigen Schlag alles ringsum erbebte. -</p> - -<div class="centerpic"> -<img src="images/i070.jpg" alt="" /></div> - -<p> -Hunderte von Arbeitern gingen gelassen durch den Raum; -in dem Meeresrauschen der Maschinen waren ihre Schritte -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -und Stimmen nicht vernehmbar. Auf ihren Zügen lag keine -angespannte Sorge, sondern bloß ruhige Aufmerksamkeit; sie -glichen wißbegierigen, gelehrsamen Betrachtern; es interessierte -sie nur, zu sehen, wie die ungeheueren Metallstücke auf -den unter der durchsichtigen Kuppel gelegenen Schienenplattformen -in die eiserne Umarmung der dunklen Ungeheuer -stürzten, wie die Ungeheuer diese mit ihren starken Kinnbacken -zermalmten, mit den schweren, harten Tatzen festhielten, mit -den scharfen, glänzenden Krallen durchbohrten und schließlich, -im grausamen Spiel innehaltend, sie auf die andere Seite zu -den dort befindlichen elektrischen Eisenbahnwaggons beförderten, -als prächtige Maschinenteile, deren Bestimmung rätselhaft -war. Es erschien völlig natürlich, daß die stählernen Ungeheuer -die kleinen großäugigen Betrachter nicht anrührten, -die so vertrauensvoll zwischen ihnen dahinschritten. Diese Tatsache -entsprang der Geringschätzung ihrer Schwäche, der Erkenntnis, -daß diese kleinen Geschöpfe eine allzu unbedeutende -Beute seien, unwürdig der ungeheueren Kraft der Giganten. -Unmerkbar und unsichtbar waren jene Fäden, die das zarte -Menschenhirn mit dem unzerstörbaren Organ des Mechanismus -verbanden. -</p> - -<p> -Als wir endlich den Bau verließen, fragte der uns führende -Techniker, ob wir sofort die anderen Gebäude besichtigen, oder -ob wir uns zur Erholung eine kleine Unterbrechung gönnen -wollten? Ich war für eine Unterbrechung. -</p> - -<p> -„Ich sah nun die Maschinen und die Arbeiter“, sprach ich. -„Die Organisation der Arbeit jedoch vermag ich mir nicht -vorzustellen. Und gerade darüber möchte ich Sie befragen.“ -</p> - -<p> -Statt einer Antwort führte uns der Techniker in einen -kubisch gebauten, zwischen dem Mittel- und einem Eckgebäude -gelegenen Bau. Aehnlicher Bauten gab es noch drei, die alle -die analoge Lage hatten. Die schwarzen Mauern waren mit -Reihen von glänzend weißen Zeichen bedeckt; dies waren die -statistischen Arbeitstabellen. Auf der einen, mit Nummer -eins bezeichneten, stand: -</p> - -<p> -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -„Der Maschinen-Betrieb verfügt über einen Ueberschuß -von 968757 täglichen Arbeitsstunden, davon 11325 Arbeitsstunden -erfahrener Spezialisten. -</p> - -<p> -Die Fabrik weist einen Ueberschuß von 753 Stunden auf, -davon 29 Stunden erfahrener Spezialisten. -</p> - -<p> -In den folgenden Zweigen herrscht kein Mangel an Arbeitskraft: -in der Landwirtschaft, in den Bergwerken, bei den -Erdarbeiten, in den chemischen Betrieben usw. (Die verschiedenen -Arbeitszweige wurden in alphabetischer Reihenfolge -aufgezählt.)“ -</p> - -<p> -Auf der Tabelle, die die Nummer zwei trug, war zu lesen: -</p> - -<p> -„In den Konfektionsbetrieben ist ein Mangel von 392685 -täglichen Arbeitsstunden, davon 21380 Arbeitsstunden erfahrener -Mechaniker für Spezialmaschinen und 7852 Arbeitsstunden -der Spezialisten für Organisation.“ -</p> - -<p> -„Die Schuhfabriken benötigen 79360 Arbeitsstunden, davon -...“ usw. -</p> - -<p> -„Das Institut für Rechnungswesen benötigt 3078 Arbeitsstunden -...“ -</p> - -<p> -Der Inhalt der Tabellen Nummer drei und vier war ein -ähnlicher. Auf den Listen der Arbeitszweige stand auch die -Erziehung von kleinen, sowie von mittelgroßen Kindern, medizinische -Hilfe für die Stadt, oder für Landbezirke usw. -</p> - -<p> -„Weshalb ist der Ueberschuß an Arbeitskraft nur in der -Maschinenfabrik so genau angegeben, der Mangel an Arbeitskräften -jedoch überall so ausführlich vermerkt?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Das ist leicht zu erklären“, entgegnete Menni. „Vermittels -dieser Tabellen wird die Verteilung der Arbeit vorgenommen. -Dazu ist nötig, daß ein jeder zu sehen vermöge, wo -die Arbeitskräfte nicht ausreichen, in welchem Maße sie fehlen. -Dann vermag der Mensch, der für zwei Beschäftigungen -die gleiche oder verhältnismäßig gleiche Neigung besitzt, jene -der beiden Beschäftigungen zu wählen, bei der es an Arbeitskraft -gebricht. Den genauen Ueberschuß an Arbeitskraft zu -kennen, ist jedoch nur dort vonnöten, wo dieser Ueberschuß -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -besteht. Auf diese Art kann jeder Arbeiter selbst die Berechnung -und das Maß des Ueberschusses feststellen, sowie seine -Neigung, die Beschäftigung zu wechseln.“ -</p> - -<p> -Während wir so sprachen, bemerkte ich plötzlich, daß auf -den Tabellen einige Zahlen verschwanden und durch andere, -neue, ersetzt wurden. Ich fragte, was dies bedeute. -</p> - -<p> -„Die Zahlen ändern sich stündlich“, erklärte Menni. „Im -Verlauf einer Stunde melden einige tausend Arbeiter ihren -Wunsch, zu einer anderen Arbeit überzugehen. Dies wird -vom zentralen statistischen Apparat vermerkt, und die Mitteilung -wird auf elektrischem Wege stündlich weitergeleitet.“ -</p> - -<p> -„Auf welche Art vermag der zentrale statistische Apparat -die Zahlen des Ueberschusses und des Mangels festzustellen?“ -</p> - -<p> -„Unser Institut für Rechnungswesen besitzt überall seine -Agenturen; diese verfolgen genau die Bewegung in der Produktion, -die Warenmengen der einzelnen Betriebe, die Zahl -der dort schaffenden Arbeiter. Auf diesem Weg wird genau -ersichtlich, wieviel Arbeitsstunden erforderlich sind. Das Institut -berechnet, welcher Unterschied zwischen den tatsächlichen -und den erforderlichen Arbeitsstunden in den einzelnen Betrieben -besteht, und gibt dies überall bekannt. Die Flut der Freiwilligen -verteilt sich auf gleichmäßige Art.“ -</p> - -<p> -„Ist das Anrecht auf Produkte in keiner Weise eingeschränkt?“ -</p> - -<p> -„Nein; jeder nimmt das, was er braucht, nimmt soviel, wie -er will.“ -</p> - -<p> -„Und wird niemals etwas unserem Gelde entsprechendes -verlangt? Ein Beweis für die Menge der geleisteten Arbeit, -oder der Verpflichtung, diese zu leisten?“ -</p> - -<p> -„Keineswegs. Bei uns ist die Arbeit frei, es herrscht an -nichts Mangel. Der erwachsene soziale Mensch fordert nur -eines: Arbeit. Wir brauchen ihn weder auf verhüllte noch -auf offene Art zur Arbeit zu zwingen.“ -</p> - -<p> -„Wenn aber die Forderungen durch nichts begrenzt werden, -ergibt sich daraus nicht die Möglichkeit scharfer Schwankungen, -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -die alle Berechnungen des Instituts über den Haufen -werfen?“ -</p> - -<p> -„Selbstverständlich nicht. Der einzelne Mensch kann für -einen oder zwei Menschen essen, ja auch die für drei Leute bestimmte -Menge von Nahrungsmitteln verzehren, oder aber -er kann in zehn Tagen zehn Anzüge tragen; bei einer Gesellschaft -von dreitausend Millionen Menschen hingegen gibt es -keine derartigen Schwankungen. Bei so großen Zahlen bedeuten -die Schwankungen nach der einen oder anderen Seite -hin nichts, verteilen sich gleichmäßig; der Durchschnitt verändert -sich äußerst langsam, in strenger, gesetzmäßiger Kontinuität.“ -</p> - -<p> -„Dann arbeitet also Ihre Statistik völlig automatisch, ist -weiter nichts, als eine Berechnung?“ -</p> - -<p> -„Das will ich nicht sagen. Es gibt dabei auch große -Schwierigkeiten. Das Institut für Rechnungswesen muß -scharfsichtig alle neuen Erfindungen verfolgen, sowie die durch -diese im Betrieb hervorgerufenen Veränderungen, damit es -diese richtig einzuschätzen vermag. Erscheint eine neue Maschine, -so fordert dies nicht nur eine Veränderung der Arbeit -in jenen Betrieben, wo sie benützt wird, sondern auch in den -Maschinenfabriken, und bisweilen in den Betrieben für Rohmaterial -bei ganz anderen Zweigen. Wird eine Erzgrube erschöpft, -oder werden neue mineralische Reichtümer entdeckt, -so bedeutet das abermals eine völlige Veränderung der Arbeit -in einer ganzen Reihe von Betrieben, – in den Bergwerken, -dem Bau der Eisenbahnstrecken usw. All dies muß von allem -Anfang an berechnet werden, wenn auch nicht ganz genau, so -doch annähernd, und das ist keineswegs leicht, solange nicht die -Daten von Augenzeugen erbracht werden können.“ -</p> - -<p> -„Bei derartigen Schwierigkeiten“, bemerkte ich, „ist es -offensichtlich nötig, stets über einen Vorrat an überschüssigen -Arbeitskräften zu verfügen?“ -</p> - -<p> -„Ja, gerade dies ist der Stützpunkt unseres Systems. Vor -zweihundert Jahren, als die kollektive Arbeit nur gerade genügte, -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -um die Forderungen der Gesellschaft zu befriedigen, war -eine völlige Genauigkeit der Berechnung unentbehrlich, und -die Verteilung der Arbeit konnte nicht ganz frei sein. Es -gab Pflicht-Arbeitstage, und die Verteilung derselben fand -nicht immer die Zustimmung unserer Genossen. Doch brachte -jede Erfindung, wenngleich sie zuerst vorübergehende statistische -Schwierigkeiten bedeutete, eine gewaltige Erleichterung der -Aufgabe. Zuerst wurden die Arbeitstage gekürzt, dann, als sich -allerorts ein Ueberschuß an Arbeitskraft zeigte, wurde die -Verpflichtung zur Arbeit endgültig aufgehoben. Beobachten -Sie, wie unbedeutend die Zahlen sind, die sich auf den Mangel -an Arbeitsstunden beziehen: tausend, zehn-, hunderttausend -Arbeitsstunden, nicht mehr, – und dies bei Millionen und -zehn Millionen von Arbeitsstunden, die in den Betrieben -unnötig verbracht werden.“ -</p> - -<p> -„Dennoch besteht ein Mangel an Arbeitsstunden“, warf -ich ein. „Freilich dürfte er durch den darauffolgenden Ueberschuß -gedeckt werden.“ -</p> - -<p> -„Nicht bloß durch diesen Ueberschuß. Bei den lebenswichtigen -Betrieben wird derart gearbeitet, daß die Grundziffern -noch überboten werden. In den für die Gesellschaft wichtigsten -Industriezweigen – den Betrieben für Lebensmittel, -Kleidung, Maschinen, Bauten – erreicht dieses Ueberangebot -die Höhe von 6 Prozent, bei den weniger wichtigen 1 bis -2 Prozent. Auf diese Art drücken die den Mangel bezeichnenden -Zahlen, allgemein gesprochen, nur den relativen, aber -nicht den absoluten Mangel aus. Selbst wenn auf den Tabellen -ein Mangel von zehn- und hunderttausend Arbeitsstunden -vermerkt ist, so bedeutet dies noch nicht, daß die Gesellschaft -unter einem wirklichen Mangel leidet.“ -</p> - -<p> -„Wieviel Stunden werden täglich vom Einzelnen, zum -Beispiel in dieser Fabrik, gearbeitet?“ -</p> - -<p> -„Die meisten arbeiten zwei, anderthalb und zweieinhalb -Stunden“, erwiderte der Techniker. „Doch gibt es auch -welche, die länger oder kürzer arbeiten. Jener Genosse dort, -<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> -der den großen Hammer handhabt, läßt sich derart von seiner -Arbeit fortreißen, daß er niemandem gestattet, ihn abzulösen, -ehe nicht die volle Arbeitszeit, sechs Stunden, vorüber ist.“ -</p> - -<p> -Ich übertrug im Gedanken die Marszahlen auf irdische -Zahlen: ihr Tag bestand, da ihre Stunden etwas länger -waren aus zehn Stunden. Demzufolge war ein Arbeitstag -von vier, fünf, sechs Stunden ungefähr unserem Arbeitstag -von fünfzehn Stunden gleich, – einer Arbeitszeit, die nur -bei den ausbeuterischsten Unternehmen vorkam. -</p> - -<p> -„Ist es denn für den Genossen am großen Hammer nicht -schädlich, so lange zu arbeiten?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Bisher noch nicht“, entgegnete Netti. „Er wird sich diesen -Luxus noch ein halbes Jahr lang gestatten können. Ich -habe ihn selbstverständlich auf die Gefahren aufmerksam gemacht, -die ihm von seiner Leidenschaft drohen. Eine derselben -ist die Möglichkeit eines krampfartigen psychischen Anfalls, der -ihn mit unwiderstehlicher Kraft unter den Hammer reißen -würde. Im Vorfahr ereignete sich in dieser Fabrik ein derartiger -Fall mit einem jungen Mechaniker, der ebenfalls die -starken Empfindungen liebte. Dank eines glücklichen Zufalls -gelang es, den Hammer aufzuhalten, und der unfreiwillige -Selbstmord mißlang. Die Gier nach starken Empfindungen -ist an und für sich noch keine Krankheit, doch kann sie sich -leicht in eine verwandeln, falls das Nervensystem durch Erschöpfung, -seelische Kämpfe oder eine zufällige Krankheit erschüttert -ist. Selbstverständlich verliere ich niemals jene Genossen -aus dem Auge, die sich hemmungslos der gleichen Arbeit -hingeben.“ -</p> - -<p> -„Sollte aber nicht jener Genosse, von dem die Rede ist, -seine Arbeitszeit auch schon deshalb abkürzen, weil in der -Maschinenfabrik ein Ueberschuß an Arbeitsstunden besteht?“ -</p> - -<p> -„Selbstverständlich nicht“, lachte Menni. „Weshalb sollte -gerade er das Gleichgewicht herstellen? Die Statistik verpflichtet -keinen. Jeder nimmt sie zur Kenntnis, doch kann -er sich nicht einzig und allein von ihr leiten lassen. Wenn es -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -Sie danach verlangte, baldigst in dieser Fabrik zu arbeiten, -so würden Sie höchstwahrscheinlich eine Anstellung finden, -und die statistische Zahl des Ueberschusses würde sich auf ein -bis zwei Stunden vergrößern. Der Einfluß der Statistik -macht sich bei der <em>Massen</em>-Umstellung der Arbeit ununterbrochen -bemerkbar, doch ist jeder Einzelne frei.“ -</p> - -<p> -Wir hatten uns nun zur Genüge ausgeruht und gingen -daran, die Besichtigung der Fabrik fortzusetzen. Nur Menni -begab sich heim, denn er war ins Laboratorium gerufen -worden. -</p> - -<p> -Am Abend beschloß ich, bei Netti zu bleiben; er versprach, -mir am folgenden Tag das „Haus der Kinder“ zu zeigen, wo -seine Mutter eine der Erzieherinnen war. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DAS_HAUS_DER_KINDER"> -Das Haus der Kinder -</h4> - -<p class="first"> -Das „Haus der Kinder“ nahm den wichtigsten und schönsten -Teil einer Stadt von fünfzehn- bis zwanzigtausend Einwohnern -ein. Diese Einwohner bestanden freilich hauptsächlich -aus Kindern und deren Erziehern. Es gab in allen größeren -Städten auf dem Planeten derartige Anstalten, in -vielen Fällen bildeten sie sogar selbständige Städte; bloß an -kleineren Orten, wie etwa in Mennis „Chemischer Stadt“, -fehlten sie bisweilen. -</p> - -<p> -Das große zweistöckige Haus mit dem üblichen blauen Dach -lag in von Bächen durchzogenen Gärten; hier gab es auch -Teiche, Spiel- und Turnplätze, Gemüsegärten, Blumen und -nützliche Gräser, Häuschen für zahme Tiere und Vögel ... -Eine Menge kleiner Ungeheuer spielten dort, man vermochte, -dank der für Mädchen und Knaben gleichen Bekleidung, nicht -zu unterscheiden, welchem Geschlecht sie angehörten ... Es -war ja auch bei den erwachsenen Marsbewohnern schwierig, -der Kleidung nach die Männer von den Frauen zu unterscheiden, -– die Grundzüge der Gewänder waren die gleichen, nur -<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> -bei kleinen Einzelheiten bestand ein Unterschied: die engeren -Gewänder der Männer paßten sich genauer an den Körper -an, während bei den Frauen dieser mehr verhüllt wurde. -Jedenfalls aber war die ältliche Person, die uns beim Verlassen -der Gondel an der Tür eines der großen Häuser begrüßte, -eine Frau, denn Netti umarmte sie und nannte sie „Mama“. -Im weiteren Gespräch jedoch redete er sie, gleich den anderen -Genossen, nur mit dem Namen: „Nella“ an. -</p> - -<p> -Nella hatte bereits gewußt, daß wir kommen würden und -führte uns sofort in das „Haus der Kinder“, zeigte uns alle -Abteilungen, bei der von ihr geleiteten für die Allerkleinsten -beginnend, bis zu jener, die für die ans Knaben- und Mädchenalter -grenzenden Kinder bestimmt war. Unterwegs schlossen -sich uns die kleinen Ungeheuer an, betrachteten mit ihren riesigen -Augen den Menschen, der von einem anderen Planeten -stammte; sie wußten genau, wer ich sei, und als wir die letzte -Abteilung erreichten, begleitete uns bereits eine ganze Schar, -wenngleich die meisten Kinder seit dem Morgen im Garten -spielten. -</p> - -<p> -Im Haus der Kinder lebten etwa dreihundert Kinder verschiedenen -Alters. Ich fragte Nella, weshalb die verschiedenaltrigen -Kinder zusammen, und nicht in einzelnen Häusern -untergebracht waren, was doch sicherlich die Arbeit der Erzieher -erleichtern und vereinfachen würde. -</p> - -<p> -„Weil es auf diese Art keine wirkliche Erziehung geben -könnte“, erwiderte Nella. „Um für die Gesellschaft erzogen -zu werden, muß das Kind ein gesellschaftliches Leben führen. -Jede lebendige Erfahrung, jedes lebendige Wissen verbindet -die Kinder miteinander. Wollten wir das eine Alter vom -anderen isolieren, so gäben wir den Kindern dadurch ein einseitiges -und enges Milieu, in dem die Entwicklung der zukünftigen -Menschen nur langsam, träge und einseitig vor sich -ginge. Die verschiedenen Alter hingegen lassen der Aktivität -weit mehr Spielraum. Die älteren Kinder sind unsere besten -Gehilfen beim Erziehen der Kleinen. Doch bringen wir nicht -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -nur deshalb absichtlich die Kinder der verschiedenen Altersstufen -zusammen, sondern die Erzieher in jedem Kinderhaus -bemühen sich auch, die verschiedenen Alter und verschiedenen -praktischen Eigenheiten gleichsam zu sammeln.“ -</p> - -<p> -„Dennoch sind in diesem Haus der Kinder die Kleinen dem -Alter nach in den verschiedenen Abteilungen untergebracht“, -warf ich ein. „Dies widerspricht Ihren Worten.“ -</p> - -<p> -„Die Kinder begeben sich nur in die verschiedenen Abteilungen, -um dort zu schlafen und zu speisen; hierbei muß man -selbstverständlich die einzelnen Altersstufen trennen. Beim -Spiel und der Beschäftigung jedoch gruppieren sich die Kinder, -wie es ihnen beliebt. Auch wenn irgend welche belletristischen -oder wissenschaftlichen Vorträge gehalten werden, finden -sich unter den Zuhörern stets auch Kinder aus anderen Abteilungen -ein. Die Kinder wählen sich selbst ihren Umgang, -und lieben es, mit den andersaltrigen Kameraden, vor allem -aber mit den Erwachsenen zu verkehren.“ -</p> - -<p> -„Nella“, rief aus der Menge hervorspringend ein kleiner -Junge. „Esta hat das Schiff, das ich selbst verfertigt, fortgenommen. -Nimm es ihr wieder und gib es mir.“ -</p> - -<p> -„Wo ist sie?“ fragte Nella. -</p> - -<p> -„Sie lief zum Teich, um das Schiff auf dem Wasser -schwimmen zu lassen“, erklärte das Kind. -</p> - -<p> -„Ich habe jetzt keine Zeit, um dorthin zu gehen; eines von -den älteren Kindern soll mit dir gehen und Esta sagen, sie -möge dich nicht kränken. Am besten aber wäre es, du gingest -allein hin und hülfest ihr, das Schiff schwimmen zu lassen. -Es ist gar nicht erstaunlich, daß ihr das Schiff gefällt, wenn -du es schön gemacht hast.“ -</p> - -<p> -Das Kind lief fort und Nella wandte sich an die Uebrigen. -</p> - -<p> -„Hört Kinder, es wäre gut, wenn Ihr uns allein ließet. -Dem Fremden kann es nicht angenehm sein, von hundert Kinderaugen -angestarrt zu werden. Stelle dir einmal vor, Elwi, -daß dich eine ganze Schar Fremder anstarrte. Was tätest -du?“ -</p> - -<p> -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -„Ich liefe fort“, entgegnete tapfer das uns zunächst stehende -Kind, an das sich Nella gewandt hatte. Und schon im gleichen -Augenblick rannten alle Kinder lachend von dannen. -</p> - -<p> -„Da sehen Sie selbst, wie mächtig die Vergangenheit ist“, -meinte lächelnd die Erzieherin. „Man könnte glauben, bei -uns herrsche vollkommener Kommunismus, von dem die Kinder -fast nie abweichen, – woher stammt das Gefühl des -Privateigentums? Da kommt nun ein Kind und sagt „mein“ -Schiff, das „ich selbst“ verfertigt habe. Und derartiges ereignet -sich häufig, führt manchmal bis zu Prügeleien. Dagegen -läßt sich nichts tun – ein allgemeines Lebensgesetz lautet: -die Entwicklung des Organismus gibt im verkleinerten -Maßstab die Entwicklung des Aeußeren wieder, und die Entwicklung -des Einzelnen wiederholt auf gleiche Art die Entwicklung -der Gesellschaft. Der Selbstbestimmung der Kinder -mittleren und reiferen Alters eignet in vielen Fällen dieser -unklar individualistische Charakter. Und diese Färbung wird -mit der Reife stärker. Nur bei der jüngsten Generation besiegt -das sozialistische Milieu endgültig die Reste der Vergangenheit.“ -</p> - -<p> -„Machen Sie die Kinder mit dieser Vergangenheit bekannt?“ -fragte ich. -</p> - -<p> -„Selbstverständlich. Sie lieben sehr die Gespräche und Erzählungen -über vergangene Zeiten. Zuerst erscheinen diese -ihnen als Märchen, als schöne, ein wenig seltsame Märchen -von einer anderen Welt, die mit ihren aufregenden Bildern -des Krieges und der Gewalt in den atavistischen Tiefen des -Kinderinstinktes einen Widerhall finden. Die unbesieglichen -lebendigen Ueberreste der Vergangenheit, die es in der eigenen -Seele findet, ermöglichen dem Kinde genau den Zusammenhang -der Zeiten zu erkennen, die Märchen und Bilder verwandeln -sich in wahrhafte Weltgeschichte, – in die lebendigen -Glieder einer unzerreißbaren Kette.“ -</p> - -<p> -Wir durchwanderten die Alleen eines weiten Gartens, begegneten -von Zeit zu Zeit Kindergruppen, mit Spielen beschäftigt, -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -Graben auswerfend, mit Werkzeugen arbeitend, in -ernste Gespräche vertieft, oder lebhaft plaudernd. Alle -wandten sich mir mit Aufmerksamkeit zu, doch folgte uns niemand; -anscheinend waren sie bereits von den andern benachrichtigt -worden. Die meisten Gruppen bestanden aus Kindern -verschiedenen Alters; in vielen gab es auch ein bis zwei Erwachsene. -</p> - -<p> -„In diesem Hause sind viele Erzieher“, bemerkte ich. -</p> - -<p> -„Ja, besonders wenn wir, was nur gerecht ist, die größeren -Kinder dazu rechnen. Wirkliche Erziehungsspezialisten gibt -es hier nur drei; die übrigen Erwachsenen, die Sie sehen, sind -zum großen Teil Väter und Mütter, die auf kurze Zeit bei -ihren Kindern leben, oder junge Leute, die sich für den Erzieherberuf -vorbereiten wollen.“ -</p> - -<p> -„Wie, es ist den Eltern gestattet, hier mit ihren Kindern -zu leben?“ „Natürlich. Einige der Mütter leben etliche Jahre -hier. Die meisten jedoch kommen von Zeit zu Zeit her, verbringen -hier eine Woche, zwei Wochen, einen Monat. Die Väter -leben selten hier. In unserem Haus gibt es sechzig Einzelzimmer -für die Eltern, oder für jene Kinder, die den Wunsch -nach Einsamkeit verspüren. Ich entsinne mich nicht, daß diese -Zimmer je unbenützt blieben.“ -</p> - -<p> -„Es kommt demnach auch vor, daß Kinder nicht in den -allgemeinen Räumen leben?“ -</p> - -<p> -„Ja; die älteren Kinder verlangt es häufig danach, abgesondert -zu leben. Dies ist zum Teil ein Ueberrest jenes unbesieglichen -Individualismus, von dem ich bereits sprach, zum -Teil das bei Kindern häufige Verlangen, sich in die Studien -zu vertiefen, der Wunsch, all das zu verbannen, was die Aufmerksamkeit -ablenkt und zerstreut. Gibt es doch bei uns auch -Erwachsene, die einsam zu leben wünschen, insbesondere jene, -die sich mit wissenschaftlichen Forschungen, oder aber mit Kunst -beschäftigen.“ -</p> - -<p> -In diesem Augenblick sahen wir vor uns auf einer kleinen -Wiese ein Kind, – es mochte sechs oder sieben Jahre zählen -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -– das, mit einem Stock in der Hand, ein Tier verfolgte. Wir -beschleunigten unsere Schritte; das Kind beachtete uns nicht. -Als wir an es herantraten, hatte es eben seine Beute erreicht -– diese schien eine Art großer Frosch zu sein. Das Kind -schlug heftig auf die Pfote des Tieres los. Dann schleppte -sich das Tier mit gebrochener Pfote langsam über den Rasen. -</p> - -<p> -„Weshalb tatest du dies, Aldo?“ fragte Nella in aller -Ruhe. -</p> - -<p> -„Ich konnte es nicht fangen, es lief immer fort“, erklärte -der Knabe. -</p> - -<p> -„Weißt du auch, was du tatest? Du hast dem Frosch weh -getan und ihm die Pfote gebrochen. Gib den Stock her, ich -werde es dir erklären.“ -</p> - -<p> -Das Kind gab Nella den Stock, und diese schlug ihm mit -rascher Bewegung kräftig auf die Hand. Der Knabe schrie auf. -</p> - -<p> -„Tut es weh, Aldo?“, fragte die Erzieherin gelassen. -</p> - -<p> -„Sehr weh; böse Nella!“, entgegnete das Kind. -</p> - -<p> -„Ich verletzte dir nur leicht die Hand, du aber hast den -Frosch noch viel stärker geschlagen. Hast ihm die Pfote gebrochen. -Er hat nicht nur viel größere Schmerzen, als du, -sondern kann auch nicht mehr laufen und springen, kann sich -nicht mehr seine Nahrung suchen, wird vor Hunger sterben, -oder von einem bösen Tier, dem er jetzt nicht entfliehen kann, -verschlungen werden. Was denkst du darüber, Aldo?“ -</p> - -<p> -Das Kind schwieg; in seinen Augen standen Tränen des -Schmerzes, es hielt die verletzte Hand mit der anderen fest. -Dann sagte es: „Man muß ihm die Pfote flicken.“ -</p> - -<p> -„Das ist richtig“, erwiderte Netti. „Komm, ich werde dir -zeigen, wie man es macht.“ -</p> - -<p> -Sie begaben sich zu dem verwundeten Tier, das sich nur -auf wenige Schritte hatte entfernen können. Netti nahm sein -Taschentuch hervor, zerriß es in Streifen, gebot Aldo, einige -dünne Zweiglein zu bringen. Mit dem tiefen Ernst echter -Kinder, die einer äußerst wichtigen Beschäftigung obliegen, -legten sie beide dem Frosch einen festen Verband an. -</p> - -<p> -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -Bald darauf schickten Netti und ich uns an, heimzukehren. -</p> - -<p> -„Ach ja“, erinnerte sich Nella. „Heute Abend können Sie -bei uns Ihren alten Freund Enno antreffen. Er wird den -älteren Kindern eine Vorlesung über den Planeten Venus -halten.“ -</p> - -<p> -„Wohnt er denn in dieser Stadt?“ erkundigte ich mich. -</p> - -<p> -„Nein, das Observatorium, in dem er arbeitet, liegt auf -drei Stunden von hier. Aber er liebt die Kinder sehr und -vergißt auch mich, seine alte Erzieherin, nicht. Deshalb kommt -er häufig her und erzählt den Kindern jedesmal etwas interessantes.“ -</p> - -<p> -Am Abend fanden wir uns selbstverständlich zur festgesetzten -Stunde abermals im „Hause der Kinder“ ein. Alle Kinder, -mit Ausnahme der allerkleinsten, hatten sich bereits versammelt; -unter ihnen befanden sich auch einige Erwachsene. Enno -begrüßte mich freudig. -</p> - -<p> -„Ich wählte Ihnen zuliebe dieses Thema“, meinte er -scherzend. „Sie sind betrübt über die Rückständigkeit Ihres -Planeten und die schlechten Sitten der dort lebenden Menschheit. -Ich werde von einem Planeten erzählen, wo die höchsten -Vertreter des Lebens – Dinosaurier und fliegende Eidechsen -sind, bei denen ärgere Sitten und Gebräuche herrschen, als -bei Ihrer Bourgeoisie. Dort brennen Euere Steinkohlen -nicht im Herde des Kapitalismus, sondern befinden sich noch -im Pflanzenzustand, als gewaltige Wälder. Wollen wir uns -dorthin begeben und zusammen auf die Ichthyosaurusjagd gehen? -Diese Tiere stellen die dortigen Rothschilds und Rockefellers -vor; freilich sind sie gemäßigter und gelinder als die Ihren, -dafür aber besitzen sie weniger Kultur. Dort finden wir das -Reich der ersten Kapitalsanhäufung in ihren Uranfängen, die -im „Kapitalismus“ Ihres Marx vergessen wurde ... Aber -Nella runzelt schon die Stirne über mein leichtfertiges Geschwätz. -Ich beginne sofort.“ -</p> - -<p> -Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er den fernen -Planeten mit den tiefen, sturmgepeitschten Ozeanen, den furchtbar -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -hohen Bergen, der brennenden Sonne, den dichten, weißen -Wolken, den schauerlichen Orkanen und Gewittern, den unförmigen -Ungeheuern und der üppigen, riesenhaften Vegetation. -Seine Erzählung illustrierte er durch die Vorführung -lebendig wirkender Photographien, die auf der über die eine -Wand des Saales gespannten Leinwand dahinzogen. Einzig -und allein Ennos Stimme durchtönte die Dunkelheit; tiefes, -aufmerksames Schweigen herrschte im ganzen Raum. Als -er das Schicksal der ersten Reisenden in jener Welt schilderte -und berichtete, wie einer derselben mit einer Handgranate eine -Rieseneidechse tötete, spielte sich eine seltsame, von den meisten -Zuhörern nicht bemerkte, kleine Szene ab. Aldo, der sich in -Nellas Nähe hielt, brach plötzlich in leises Weinen aus. -</p> - -<p> -„Was fehlt dir?“ fragte Nella, sich zu ihm niederbeugend. -</p> - -<p> -„Das Ungeheuer tut mir leid. Man hat ihm weh getan -und dann mußte es sterben“, flüsterte der Knabe. -</p> - -<p> -Nella schlang den Arm um den Kleinen und versuchte -ihn zu beschwichtigen, doch dauerte es lange Zeit, bis er -sich beruhigte. -</p> - -<p> -Enno berichtete von den zahllosen einzigartigen Reichtümern -dieses herrlichen Planeten, von den gewaltigen, viele Millionen -Pferdekräfte besitzenden Wasserfällen, von den Edelmetallen, -die sich auf den Gipfeln der Berge befinden, von den -reichen Radiumlagern, die schon bei einer Tiefe von etlichen -hundert Metern zutage gefördert werden könnten, von dem -Vorrat an Energie für hunderttausend Jahre. Ich beherrschte -die Sprache noch nicht genügend, um die ganze Schönheit des -Vortrags zu empfinden, die Bilder aber fesselten meine Aufmerksamkeit -im gleichen Maße, wie die der Kinder. Als -Enno endete und der Saal erhellt ward, wurde mir schier ein -wenig traurig zumute, wie mochten da wohl erst die Kinder -das Ende des schönen Märchens bedauern. -</p> - -<p> -Als der Vortrag zu Ende war, begannen die Zuhörer Fragen -zu stellen, ihre Bemerkungen zu machen. Die Fragen -waren verschiedenartig, wie es ja auch die Zuhörer waren; sie -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -betrafen die Genauigkeit der Photographien, die Mittel, die -im Kampf gegen die Natur angewendet wurden. Es wurde -auch die Frage aufgeworfen, wann sich auf der Venus von -selbst Menschen entwickeln würden und wie deren Körper beschaffen -sein werde? -</p> - -<p> -Die Bemerkungen waren meist naiv, häufig jedoch scharfsinnig; -sie wandten sich vor allem gegen Ennos Behauptung, -daß zu unserer Zeit die Venus für die Menschen ein äußerst -nutzloser Planet sei und daß es kaum möglich sein würde, ihre -gewaltigen Reichtümer bald auszubeuten. Gegen diese Ansichten -lieferten die jungen Optimisten einen erbitterten -Kampf, dem sich die meisten anschlossen. Enno bewies ihnen, -daß die Sonnenglut und die feuchte Luft eine Unmenge Bazillen -hervorbringe, die für die Menschen äußerst gefährlich -seien, sie mit vielen Krankheiten bedrohten; dies erfuhren alle -Reisenden auf der Venus am eigenen Leibe, sowie auch, daß -die Orkane und gewaltigen Gewitter jegliche Arbeit erschwerten, -das Leben der Menschen gefährdeten, und dergleichen mehr. -Die Kinder jedoch fanden, es sei merkwürdig, sich von derartigen -Hindernissen abschrecken zu lassen, wenn es um die -Eroberung eines so herrlichen Planeten gehe. Zur Bekämpfung -der Bakterien und Krankheiten müßte man so rasch -wie möglich Tausende von Aerzten auf die Venus senden, und -auch den Orkanen und Gewittern könnte Trotz geboten werden, -indem man hunderttausend Bauarbeiter hinschickt, die überall -dort, wo es nötig ist, hohe Mauern errichten und Blitzableiter -anbringen. „Mögen neun, zehn und mehr Menschen umkommen!“ -rief ein entflammter zwölfjähriger Knabe. „Dort -gibt es Dinge, um derentwillen es sich zu sterben lohnt, es -kommt ja nur darauf an, den Sieg zu erringen.“ Und seine -glühenden Augen verrieten, daß er sich nicht weigern würde, -zu jenen zehn Menschen zu gehören. -</p> - -<p> -Sanft und gelassen warf Enno diese Kartenhäuser über -den Haufen; doch war ihm anzumerken, daß er in der Tiefe -seiner Seele das gleiche empfinde wie die Kinder, und daß -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -seine junge lodernde Phantasie entschlossene Pläne verberge, -die zwar bedachter und ausgeklügelter waren, aber ebenso -hartnäckig. Er selbst war noch nicht auf der Venus gewesen, -und seine Begeisterung bewies klar, wie sehr ihn deren Schönheit -und Gefahren anzogen. -</p> - -<p> -Als der Gedankenaustausch beendet war, verließ Enno mit -mir und Netti den Saal. Er beschloß, noch einige Tage in -dieser Stadt zu verweilen und schlug mir vor, am folgenden -Tag das Kunstmuseum zu besichtigen. Netti würde beschäftigt -sein; er war in eine andere Stadt zu einem großen -Aerztekonsilium gerufen worden. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DAS_KUNSTMUSEUM"> -Das Kunstmuseum -</h4> - -<p class="first"> -„Ich hätte nie gedacht, daß auch bei Euch ein eigenes Museum -für Kunstgegenstände existiere“, meinte ich, mit Enno -dem Museum zustrebend. „Glaubte, daß Bildergalerien und -Skulpturausstellungen eine Eigenheit des Kapitalismus mit -seinem prunkhaften Luxus und grob zur Schau getragenen -Reichtum seien. In der sozialistischen Gesellschaft erwartete -ich die Kunst überall im Leben zu finden, als Schmuck dieses -Lebens.“ -</p> - -<p> -„Darin irren Sie auch nicht“, antwortete Enno. „Der -größte Teil der Kunstgegenstände ist bei uns für die Gemeinschaftsgebäude -bestimmt, für jene, wo wir unsere allgemeinen -Angelegenheiten regeln, wo wir studieren und Forschungen -anstellen oder der Ruhe pflegen. Fabriken und Betriebe -werden weit weniger geschmückt, die Aesthetik der gewaltigen -Maschinen und deren Bewegung ist an und für sich ein schöner -Anblick, und es gibt nur wenig Kunstgegenstände, die völlig -mit den Maschinen harmonieren, in deren Gegenwart nicht -einen abgeschwächten, verminderten Eindruck machten. Am -wenigsten aber schmücken wir unsere Häuser, wo wir uns ja -auch äußerst selten aufhalten. Unser Kunstmuseum jedoch ist -<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> -eine ästhetisch-wissenschaftliche Anstalt, eine Schule, in der -man die Entwicklung der Kunst zu verfolgen vermag, oder, -richtiger gesagt, die Entwicklung der Menschheit in ihrer -künstlerischen Tätigkeit.“ -</p> - -<p> -Das Museum befand sich auf einer kleinen Insel inmitten -eines Sees, durch eine schmale Brücke mit dem Ufer verbunden. -Das viereckige Gebäude war von einem Garten umgeben, -in dem hohe Springbrunnen plätscherten und unzählige -blaue, weiße, schwarze und gelbe Blumen prunkten; außen -war es herrlich geschmückt, innen hell von Licht überflutet. -</p> - -<p> -Hier gab es wahrlich nicht jene unsinnige Anhäufung von -Gemälden und Statuen wie in den großen Museen der Erde. -Vor mir erläuterten einige hundert Abbildungen die Entwicklung -der plastischen Kunst, angefangen von den groben, ersten -Gegenständen der prähistorischen Zeit bis zu den technisch-idealen -Erzeugnissen des letzten Jahrhunderts. Und vom Anfang -bis zum Ende war überall der Stempel jener innerlichen -Vollkommenheit fühlbar, die wir „Genie“ nennen. Offensichtlich -gehörte alles hier ausgestellte zu den besten Erzeugnissen -jeder Epoche. -</p> - -<p> -Um die Schönheit einer anderen Welt klar zu erfassen, -gilt es, deren Leben genau zu kennen, aber um anderen das -Verständnis für diese Schönheit zu übermitteln, dazu muß -man selbst deren teilhaftig sein. Deshalb vermag ich auch -nicht zu <em>schildern</em>, was ich dort sah; ich vermag nur Andeutungen -zu geben, kann bloß ausdrücken, was mich am -meisten in Staunen versetzte. -</p> - -<p> -Das Hauptmotiv der Skulptur war bei den Marsbewohnern -ebenso wie bei uns der schöne menschliche Körper. Die -körperliche Beschaffenheit der Marsbewohner unterscheidet -sich nur wenig von jener der Erdenmenschen, abgesehen von -der Verschiedenheit der Augen, die zum Teil durch die -Schädelformation bedingt ist, doch übersteigt auch diese Verschiedenheit -nicht jene, die bei den einzelnen irdischen Rassen -vorkommt. Ich kann diesen Unterschied nicht genau erklären, -<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> -verstehe mich schlecht auf Anatomie; jedenfalls aber gewöhnte -sich mein Auge bald an die Marsbewohner, sah in ihnen -keineswegs Mißgeburten, sondern vielmehr etwas Originelles. -</p> - -<p> -Ich bemerkte, daß der männliche und weibliche Körperbau -weit ähnlicher war, als bei den Erdenrassen; die Breite der -Frauenschultern entsprach häufig der der Männer, und das -gleiche galt von der Muskulatur. Dies zeigte sich besonders -in den Abbildungen aus der letzten Zeit, der Zeit der freien -menschlichen Entwicklung; bei den Werken aus der kapitalistischen -Periode trat der Unterschied zwischen dem männlichen -und weiblichen Körper weit stärker zutage. Anscheinend hatte -die häusliche Sklaverei der Frau und das Schuften des Mannes -die Körper nach verschiedenen Richtungen hin beeinflußt. -</p> - -<p> -Ich verlor auf keinen Augenblick die bald klare, bald -verschwommene Erkenntnis, daß ich vor mir die Bilder einer -fremden Welt sehe; sie trugen für mich den Stempel des -Seltsamen, Gespenstischen. Sogar die herrlichen Frauenkörper -dieser Statuen und Bilder erweckten in mir ein unverständliches -Gefühl, das mit dem mir bekannten aesthetisch -verliebten Entzücken nichts gemein hatte, sondern vielmehr -den unklaren Ahnungen und Empfindungen glich, die mich -vor langer Zeit, an der Grenze zwischen Kindheit und Jünglingsalter, -heimgesucht hatten. -</p> - -<p> -Die Statuen der frühesten Epochen waren, wie dies auch -bei uns der Fall ist, einfarbig. Die späteren jedoch besaßen -die Farben der Natur. Dies wunderte mich keineswegs; ich -fand stets, daß das Verwerfen der Wirklichkeit nicht ein unentbehrliches -Element der Kunst sein könne, ja, daß es sogar -unkünstlerisch wirke, insbesondere, wenn es die Mannigfaltigkeit -der Wahrnehmung vermindert, wie dies bei einfarbigen -Skulpturen der Fall zu sein pflegt. In solchen -Fällen wird die künstlerische Idealisierung des konzentrierten -Lebens gestört. -</p> - -<p> -Bei den Statuen und Bildern der alten Zeiten herrschte -ebenso wie bei unseren antiken Kunstgegenständen große Ruhe -<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> -und Gelassenheit vor; diese waren voller Harmonie, frei von -jeglicher Anspannung. In den folgenden Uebergangsepochen -zeigte sich ein anderer Charakter: Leidenschaft, Aufregung, bisweilen -gemildert zu irren Träumen, Träumen erotischer oder -religiöser Natur, mitunter den schmerzhaften Widerspruch -zwischen seelischer und körperlicher Kraft scharf betonend. -In der sozialistischen Epoche veränderte sich abermals der -Grundcharakter: hier überwogen harmonische Bewegung, gelassen -vertrauensvolle Entfaltung der Kräfte, fremd jeder -schmerzlichen Vergewaltigung, ein freies Streben, eine lebendige -Tätigkeit, das konzentrierte Bewußtsein der Einheitlichkeit -des Körpers und der unbesieglichen Vernunft. -</p> - -<p> -Wenn die ideale Frauenschönheit der antiken Zeiten die -Möglichkeit grenzenloser Liebe, die der Renaissance den Durst -nach mystischer und gefühlicher Liebe ausdrückte, so verkörperte -jene, die sich nun meinen Augen zeigte, die Liebe -selbst in ihrem ganzen ruhigen und stolzen Selbstbewußtsein -– klar, leuchtend, alles besiegend ... -</p> - -<p> -Den späteren sowie den frühesten künstlerischen Schöpfungen -eignete ein äußerst einfacher Charakter; sie behandelten -ein einziges Motiv. Ihre Aufgabe bestand darin, ein -kompliziertes menschliches Wesen wiederzugeben, dessen Leben -reich und ausgefüllt war; deshalb wählten sie jenen Augenblick -des Lebens, in dem sich irgend ein Gefühl oder ein -Streben konzentriert hatte ... Bei den neuesten Künstlern -schienen beliebte Themen: die Extase des schöpferischen -Gedankens, die Extase der Liebe, die Extase des Naturgenusses, -der ruhige freiwillige Tod – lauter Themen, die -charakteristisch waren für eine große Rasse, eine Rasse, die -intensiv und vollkommen zu leben und bewußt und würdig -zu sterben verstand. -</p> - -<p> -Die Abteilung für Gemälde und Skulptur nahm die -eine Hälfte des Museums ein; die andere war der Architektur -gewidmet. Unter Architektur verstanden die Marsbewohner -nicht nur die Aesthetik der Bauten und der großen -<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> -technischen Konstruktionen, sondern auch die der Möbel, der -Werkzeuge, der Maschinen, überhaupt die Aesthetik alles -materiell Nützlichen. Welche gewaltige Rolle in ihrem Leben -gerade diese Kunst spielte, ließ sich aus dem Reichtum und -der Vollständigkeit dieser Sammlung ersehen. Von den -ersten Höhlenwohnungen mit den primitiven Geräten bis -zu den luxuriösen Gemeinschaftshäusern aus Glas und -Aluminium, bis zu den gigantischen Fabriken mit den schauerlich -schönen Maschinen, bis zu den gewaltigen Kanälen mit -den mächtigen Ufern und Schwebebrücken – war hier alles -in der typischen Form dargestellt, in Bildern, Plänen, Modellen, -besonders aber in großen Stereoskopen, die eine Illusion -der Wirklichkeit gaben. Eine besondere Stelle nahm die -Aesthetik der Gärten, der Felder und Parke ein; und wie ungewohnt -auch immer mir die Natur dieses Planeten war, so -vermochte ich dennoch die Schönheit der Blumen- und Formenkombinationen -zu erkennen, die das Kollektivgenie dieses -großäugigen Volkes der Natur verliehen hatte. -</p> - -<p> -In den Uebergangsepochen kam es, wie auch bei uns, häufig -vor, daß die Pracht die Nützlichkeit beeinträchtigte, der äußere -Schmuck hinderlich für die Dauerhaftigkeit wurde; die Kunst -vergewaltigte die Gegenstände. Hier jedoch, in den Erzeugnissen -der neuen Epoche, schauten meine Augen nichts derartiges, -weder bei den Möbeln, noch bei den Geräten oder -Konstruktionen. Ich fragte Enno, ob die zeitgenössische Architektur -jemals die Neigung zeige, um der Schönheit willen -die praktische Vollkommenheit zu vernachlässigen. -</p> - -<p> -„Niemals“, entgegnete er. „Diese wäre eine falsche Schönheit, -wäre etwas Gekünsteltes, aber keine Kunst.“ -</p> - -<p> -Bis zur sozialistischen Zeit ward das Andenken der großen -Männer durch Denkmäler geehrt; jetzt jedoch wurden Denkmäler -nur mehr zur Erinnerung an große Ereignisse errichtet: -wie etwa der erste Versuch, die Erde zu erreichen, der mit dem -Tode aller Mitglieder der Expedition endete, oder aber die -völlige Ausrottung einer tödlichen Infektionskrankheit, oder die -<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> -Entdeckung und Synthese der Spaltung aller chemischen Elemente. -Im Stereogramm sah man zusammen mit den Denkmälern -Grabmäler und Kirchen. (Früher hatte es bei den -Marsbewohnern auch eine Religion gegeben.) Eines der -letzten Denkmäler großer Männer war das jenes Ingenieurs, -von dem mir Menni erzählt hatte. Es war dem Künstler -trefflich gelungen, die ganze Seelenstärke dieses Mannes wiederzugeben, -der die Armee der Arbeit siegreich in den Kampf -wider die Natur geführt und stolz das feige Urteil der Sitten -über seine Tat zurückgewiesen hatte. Als ich in unwillkürlicher -Versonnenheit vor dem Panorama dieses Denkmals -verweilte, sprach Enno leise einige Verse, in denen der seelischen -Verfassung des Helden Ausdruck verliehen wurde. -</p> - -<p> -„Von wem sind diese Verse?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Von mir“, erwiderte Enno. „Ich schrieb sie für Menni.“ -</p> - -<p> -Ich vermochte nicht völlig die innere Schönheit dieser mir -noch immer fremden Sprache zu beurteilen, aber die Gedanken -waren zweifellos klar, der Reim war stark, der Rhythmus -klingend und mächtig. Dies lenkte meine Gedanken in eine -neue Richtung. -</p> - -<p> -„Euere Dichtung hat also noch strenge Reime und Rhythmus?“ -</p> - -<p> -„Selbstverständlich“, entgegnete Enno erstaunt. „Finden -Sie das etwa nicht schön?“ -</p> - -<p> -„Doch“, erklärte ich, „bei uns hingegen war die Ansicht -verbreitet, daß diese Form dem Geschmack der herrschenden -Klassen unserer Gesellschaft entspringe, der Ausdruck ihrer -Laune und ihrer Leidenschaft für Begrenztes sei, eine Fessel -für die freie künstlerische Rede bedeute. Wir glaubten, die -Poesie der Zukunft, die Dichtung der sozialistischen Epoche -werde diese engen Gesetze abschütteln und vergessen.“ -</p> - -<p> -„Das ist völlig falsch“, meinte Enno. „Die reinen Reime -erscheinen uns schön, aber keineswegs aus Leidenschaft für das -Begrenzte, sondern weil sie zutiefst mit dem rhythmischen Prozeß -unseres Lebens und unseres Bewußtseins harmonieren. -<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> -Und der Rhythmus, der das Vielförmige zu einem einzigen -Schlußakkord vereint, hat nicht auch er seinen tiefgründigen -Ursprung in der lebendigen Verbindung der Menschen, die das -Mannigfache des Aeußern mit der Lust der einheitlichen Liebe -krönt? Der Arbeit mit dem einheitlichen Ziel, der Einheitlichkeit -der Stimmung in der Kunst? Ohne Reim und Rhythmus -gibt es überhaupt keine künstlerische Form. Wo der Rhythmus -der Töne fehlt, muß er durch den umso strengeren Rhythmus -der Bilder oder Ideen ersetzt werden ... Und wenn -Reim und Rhythmus tatsächlich feudalen Ursprungs sind, so -läßt sich dies ja auch von vielen anderen guten und schönen -Dingen sagen.“ -</p> - -<p> -„Aber der Reim an und für sich beschränkt und erschwert -den poetischen Ausdruck der Idee.“ -</p> - -<p> -„Was hat das zu bedeuten? Diese Begrenzung entspringt -dem vom Künstler frei gewählten Ziel. Sie erschwert nicht -nur, sondern vervollkommnet auch den Ausdruck der dichterischen -Idee, verfolgt ausschließlich diesen Zweck. Je komplizierter -das Ziel, desto schwerer der dazu führende Weg und -desto größer der Zwang, den sich der Künstler auferlegen muß. -Wenn Sie einen schönen Bau errichten wollen, wie viel richtiger -Technik und Harmonie bedürfen Sie dabei, das heißt: -wie viel „Zwang“ müssen Sie sich auferlegen! Bei der Wahl -des Zieles sind Sie frei. Dies ist die einzige menschliche Freiheit. -Wenn Sie aber nach dem Ziel verlangen, so verlangen Sie -gleichzeitig auch nach den Mitteln, durch die es zu erreichen ist.“ -</p> - -<p> -Wir schlenderten in den Garten hinaus, um uns von den -zahlreichen Eindrücken zu erholen. Der Abend war bereits -niedergesunken, ein klarer milder Frühlingsabend. Die Blumen -zogen Kelche und Blätter ein, um sie für die Nacht zu -schließen; dies war eine Eigenheit der Marspflanzen, verursacht -von den kalten Nächten. Ich wandte mich abermals an -meinen Gefährten: -</p> - -<p> -„Sagen Sie mir, welche Art der Belletristik ist heutzutage -bei Ihnen die vorherrschende?“ -</p> - -<p> -<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> -„Im Drama die Tragödie, in der Dichtung die Naturschilderung“, -antwortete Enno. -</p> - -<p> -„Was ist der Inhalt der Tragödien? Wo finden Sie bei -Ihrem glücklichen friedlichen Dasein den Stoff für Tragödien?“ -</p> - -<p> -„Glücklich? Friedlich? Woher nehmen Sie das? Es ist ja -wahr, daß bei uns zwischen den Menschen Frieden herrscht, -aber keineswegs herrscht Frieden zwischen uns und den Kräften -der Natur, das wäre ja auch unmöglich. Diese ist ein -Feind, bei dem selbst jeder Sieg eine neue drohende Gefahr -bedeutet. In der letzten Epoche der Geschichte haben wir die -Ausbeutung unseres Planeten um das zehnfache erhöht, unsere -Bevölkerung wächst an und noch weit mehr steigern sich unsere -Bedürfnisse. Schon mehr als einmal bedrohte uns auf dem -einen oder anderen Arbeitsfeld die Erschöpfung der Naturkräfte -und Mittel. Bis heute gelang es uns noch immer, -diese Gefahr zu besiegen, ohne zu der hassenswerten Verkürzung -des Lebens greifen zu müssen, der Verkürzung des Lebens -bei uns selbst und unseren Nachkommen. Aber gerade -jetzt nimmt der Kampf abermals einen besonders ernsthaften -Charakter an.“ -</p> - -<p> -„Ich hätte niemals gedacht, daß bei Ihrer technischen und -wissenschaftlichen Vollkommenheit eine derartige Gefahr bestehen -könnte. Sie sagten, dies habe sich auf dem Mars -bereits ereignet?“ -</p> - -<p> -„Ja, vor siebzig Jahren; als unsere Steinkohlenvorräte -versiegten und der Uebergang zur Wasser- und Elektrizitätskraft -noch lange nicht bewerkstelligt war; damals mußten wir, -um die gewaltigen Maschinen herstellen zu können, einen bedeutenden -Teil unserer Wälder abholzen, was auf Jahre hinaus -unseren Planeten verunstaltete und das Klima verschlechtert -hat. Als dann diese Krise überwunden war, zeigte es -sich, vor etwa zwanzig Jahren, daß die Eisenerzlager erschöpft -waren. Nun galt es, in aller Eile die richtige dauerhafte Legierung -des Aluminiums herzustellen, und ein großer Teil -<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> -unserer technischen Kraft wurde auf die elektrische Gewinnung -des Aluminiums aus der Erde verwandt. Heute, da sich, wie -auch aus der Statistik ersichtlich ist, die Bevölkerung äußerst -rasch vermehrt, wissen wir bereits, daß uns in dreißig -Jahren ein furchtbarer Mangel an Lebensmitteln bedrohen -wird, falls es uns bis dorthin nicht gelingen sollte, die Synthese -des Eiweiß aus den Elementen zu entdecken.“ -</p> - -<p> -„Aber die anderen Planeten“, warf ich ein, „könnten Sie -nicht auf denen das Fehlende finden?“ -</p> - -<p> -„Wo? Die Venus ist anscheinend noch unzugänglich. Und -die Erde? Die besitzt ihre eigene Menschheit, und es ist bis -heute noch nicht klar ersichtlich, inwieweit wir deren Kräfte -ausnützen können. Jede Fahrt nach der Erde verschlingt große -Vorräte an radiumausstrahlenden Stoffen; dies weiß ich von -Menni, der mir unlängst über seine letzte Expedition berichtete, -und unser Vorrat an diesen Stoffen ist ziemlich gering. -Nein, die sich uns überall entgegenstellenden Schwierigkeiten -sind keineswegs zu unterschätzen, und je enger sich unsere -Menschheit im Kampfe gegen die Natur zusammenschließt, -desto enger schließen sich auch die Elemente zusammen.“ -</p> - -<p> -„Aber es würde doch genügen, die Vermehrung zu beschränken?“ -</p> - -<p> -„Die Vermehrung beschränken! Das bedeutete den Sieg -der Natur. Bedeutete den Verzicht auf das unbegrenzte Anwachsen -des Lebens, bedeutete das Stehenbleiben auf der gleichen -Stufe. Wir siegen, weil wir in gewaltigen Massen gegen -die Natur vorgehen. Wenn wir aber auf das Anwachsen -unseres Heeres verzichten, dann sind wir von allen Seiten -durch die Elementargewalten belagert. Dann würde auch -der Glaube an unsere Kollektivkraft geschwächt werden, an unser -großes Gemeinschaftsleben. Und zusammen mit diesem -Glauben ginge auch für jeden Einzelnen der Sinn des Lebens -verloren, weil ja doch in jedem von uns die kleine Zelle des -großen Organismus lebt, vollständig lebt, und jeder wieder in -dieser Zelle sein Dasein hat. Nein, eine Beschränkung der -<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> -Vermehrung, – das wäre das allerletzte, wozu wir uns entschließen -könnten, und wenn dies gegen unseren Willen geschähe, -so würde es den Anfang vom Ende bedeuten.“ -</p> - -<p> -„Nun begreife ich, daß auch bei Ihnen stets Tragödienstoffe -vorhanden sind, zumindest als drohende Möglichkeit. Solange -jedoch der Sieg noch auf Seiten der Menschheit ist, -sieht sich der Einzelne zur Genüge vor dieser Tragödie der Gemeinschaft -bewahrt; ja selbst wenn die Gefahr in unmittelbare -Nähe rückt, so verteilen sich die gigantische Anstrengung und -die Leiden des Kampfes so gleichmäßig unter den zahllosen -Einzelwesen, daß deren ruhiges Glück kaum gestört werden -kann. Und zu diesem Glück fehlt anscheinend bei Ihnen -nichts.“ -</p> - -<p> -„Ruhiges Glück! Ist es denn möglich, daß der Einzelne -nicht zutiefst die Erschütterung eines ganzen Lebens, in dem -sein Anfang und sein Ende liegt, empfinde? Und zeigen sich -nicht auch die tiefen Widersprüche des Lebens in der Begrenztheit -des Einzelwesens verglichen mit dessen Ziel, in seiner -Ohnmacht, mit diesem Ziel zu verschmelzen, es völlig mit seinem -Bewußtsein zu umfassen und sein Bewußtsein selbst aus -dem Ziel zu schöpfen? Begreifen Sie diese Widersprüche -nicht? Das kommt daher, weil sie in Euerer Welt von anderen, -näherliegenden und gröberen Dingen verdunkelt werden. -Der Kampf der Klassen, der Gruppen, der Einzelwesen raubt -Euch die Idee des Zieles, und zugleich damit das Glück sowie -das Leid, die darin enthalten sind. Ich sah Ihre Welt; und -ich vermag auch nicht den zehnten Teil des Wahnsinns zu erfassen, -in dem Ihre Brüder leben. Eben deshalb vermag ich -nicht zu beurteilen, wer von uns dem ruhigen Glück näher ist: -je stärker und harmonischer das Leben, desto quälender und -unvermeidlicher wirken die Dissonanzen.“ -</p> - -<p> -„Sagen Sie, Enno, sind Sie zum Beispiel nicht glücklich? -Sie besitzen Jugend, Wissen, Poesie und sicher auch Liebe ... -Was können Sie Schweres erfahren haben, daß Sie so -glühend von der Tragödie des Lebens sprechen?“ -</p> - -<p> -<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> -„Das ist prächtig“, lachte Enno, und sein Lachen klang -seltsam. „Sie wissen nicht, daß der heitere Enno bereits -einmal zu sterben beschlossen hatte. Und wenn Menni nur -einen einzigen Tag später sechs Worte geschrieben hätte, in -denen unsäglich viel lag: „Wollen Sie auf die Erde mitkommen?“ -so würde Ihnen Ihr heiterer Reisegefährte gefehlt -haben. Doch kann ich Ihnen augenblicklich nichts Näheres -verraten. Sie werden ja selbst sehen, daß, wenn es bei uns -ein Glück gibt, dieses keineswegs das friedliche und ruhige -Glück ist, von dem Sie sprechen.“ -</p> - -<p> -Ich konnte mich nicht entschließen, weitere Fragen zu stellen. -Aber ich konnte auch nicht länger systematisch die Kunstsammlung -besichtigen. Meine Aufmerksamkeit war abgelenkt, meine -Gedanken schweiften umher. In der Abteilung für Skulptur -verharrte ich vor einer der neuesten Statuen, die einen schönen -Jüngling darstellte. Seine Gesichtszüge erinnerten an Netti; -mich erschütterte das Talent, mit dem der Künstler in dem -leblosen Stoff, in unvollendeten Zügen, in den glühenden -Augen des Knaben die Geburt des Genies wiedergegeben hatte. -Lange verweilte ich reglos vor dieser Statue, und die ganze -Umgebung entschwand meinem Bewußtsein; Ennos Stimme -durchbrach meine Gedanken: -</p> - -<p> -„Das seid Ihr“, sprach er, auf den Jüngling weisend. -„Dies ist Ihre Welt. Sie wird eine wundervolle Welt sein; -heute befindet sie sich noch in ihrer Kindheit, beachten Sie, -was für dunkle Träume, was für bebende Bilder noch ihr -Bewußtsein erregen ... Noch liegt sie im Halbschlaf, doch -wird sie erwachen; ich fühle es, glaube zutiefst daran!“ -</p> - -<p> -In das freudige Gefühl, das diese Worte in mir erweckten, -mischte sich ein seltsames Bedauern: -</p> - -<p> -„Weshalb war es nicht Netti, der diese Worte sprach?“ -</p> - -<h4 class="chapter" id="IM_KRANKENHAUS"> -<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> -Im Krankenhaus -</h4> - -<p class="first"> -Ich kehrte äußerst ermüdet heim; nach zwei schlaflosen -Nächten und einem qualvollen Tag, da ich zu keiner Arbeit -fähig war, beschloß ich, mich an Netti zu wenden. Ich wollte -den mir unbekannten Arzt der chemischen Stadt nicht zu Rate -ziehen. Netti arbeitete seit dem Morgen im Krankenhaus, -dort fand ich ihn in der Vorhalle, mit der Aufnahme der -eben eingetroffenen Kranken beschäftigt. -</p> - -<p> -Als Netti mich im Vorraum erblickte, eilte er sofort auf -mich zu, betrachtete aufmerksam mein Gesicht, nahm mich bei -der Hand und führte mich in ein kleines Zimmer. Hier -herrschte weiches blaues Licht, ein leichter angenehmer, mir unbekannter -Duft erfüllte den Raum, dessen Stille durch nichts -gestört wurde. Netti drückte mich in einen bequemen Lehnstuhl -und sprach: -</p> - -<p> -„Denken Sie an nichts, machen Sie sich über nichts Sorgen. -Für heute nehme ich alles auf mich. Rasten Sie; später -komme ich wieder.“ -</p> - -<p> -Er verließ das Zimmer, und ich dachte an nichts, machte -mir über nichts Sorgen, als habe er tatsächlich alle meine -Gedanken und Sorgen auf sich genommen. Dies war äußerst -angenehm, und nach wenigen Minuten schlief ich ein. Als -ich erwachte, stand Netti vor mir, blickte mich lächelnd an. -</p> - -<p> -„Fühlen Sie sich besser?“ fragte er. -</p> - -<p> -„Ich bin vollkommen gesund, Sie aber sind ein genialer -Arzt“, erwiderte ich. „Gehen Sie zu Ihren Kranken und -beunruhigen Sie sich meinetwegen nicht.“ -</p> - -<p> -„Meine Arbeit ist schon beendet. Wenn Sie wollen, kann -ich Ihnen unser Krankenhaus zeigen“, schlug Netti vor. -</p> - -<p> -Ich empfand dafür lebhaftes Interesse, und wir schickten -uns an, das ganze schöne Gebäude zu besichtigen. -</p> - -<p> -Chirurgische Fälle und Nervenkrankheiten schienen hier vorzuherrschen. -Die meisten chirurgischen Fälle waren durch Maschinen -verursachte Verletzungen. -</p> - -<p> -<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> -„Es ist doch nicht möglich, daß es in Eueren Betrieben an -Schutzvorrichtungen fehlt?“ fragte ich Netti. -</p> - -<p> -„Vollkommene Schutzvorrichtungen, die jeden Unglücksfall -ausschließen, gibt es überhaupt nicht. Aber Sie sehen hier -die Verletzten aus einem Gebiet mit zwei Millionen Einwohnern -– bei einem derartigen Gebiet sind etliche zehn Verwundete -gar nicht so viel. Meist handelt es sich hier um -Neulinge, die sich noch nicht recht auf die Maschinen verstehen, -an denen sie arbeiten. Bei uns behagt es den Leuten, -von dem einen Arbeitszweig zum anderen überzugehen. Die -Erziehungs- und Kunstspezialisten sind am häufigsten die Opfer -ihrer Zerstreutheit; ihre Aufmerksamkeit schweift oft ab, sie -versinken in Gedanken und Betrachtungen.“ -</p> - -<p> -„Die Nervenkrankheiten werden wohl meistens durch Erschöpfung -verursacht?“ -</p> - -<p> -„Ja, dieser Fälle gibt es viele. Doch werden derartige -Krankheiten auch ebenso oft durch eine Krise im Geschlechtsleben -oder aber eine andere seelische Erschütterung hervorgerufen, -wie etwa der Tod geliebter Menschen.“ -</p> - -<p> -„Werden hier auch Geisteskranke mit verdunkeltem oder -verwirrtem Bewußtsein aufgenommen?“ -</p> - -<p> -„Nein. Für diese gibt es ein eigenes Krankenhaus. Bei -ihnen bedarf es besonderer Vorrichtungen, damit sie in gewissen -Fällen weder sich, noch anderen Schaden zufügen können.“ -</p> - -<p> -„Und wird bei Euch in solchen Fällen gegen die Kranken -Gewalt angewandt?“ -</p> - -<p> -„Bisweilen; selbstverständlich aber nur dann, wenn es sich -als unumgänglich nötig erweist.“ -</p> - -<p> -„Nun begegne ich in Ihrer Welt bereits zum zweiten Mal -der Gewalt! Das erste Mal geschah dies im „Haus der Kinder“. -Sagen Sie mir, es gelingt also auch auf dem Mars -nicht, dieses Element völlig aus dem Leben zu verbannen? Sie -sind gezwungen, es mit Bewußtsein anzunehmen.“ -</p> - -<p> -„Ja; ebenso wie wir gezwungen sind, Krankheit und Tod -hinzunehmen, oder etwa eine bittere Medizin zu schlucken. -<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> -Welches vernünftige Wesen würde zum Beispiel im Fall der -Selbstverteidigung auf die Gewalt verzichten?“ -</p> - -<p> -„Wissen Sie, daß diese Tatsache mir die Kluft zwischen -Ihrer und unserer Welt weit weniger groß erscheinen läßt?“ -</p> - -<p> -„Der Unterschied besteht nicht darin, daß bei Ihnen notgedrungenerweise -viel, bei uns aber wenig Gewalt angewandt -wird, sondern vielmehr darin, daß sich bei Ihnen die Gewalt -als Gesetz verkleidet, sei es nun als äußeres oder inneres, daß -sie als sittliche und rechtliche Norm auftritt, die die Menschen -beherrscht und belastet. Bei uns hingegen tritt die Gewalt -entweder als Krankheitserscheinung auf, oder aber als vernünftige -Handlung eines vernunftbegabten Wesens. In keinem -dieser Fälle bedeutet sie irgendein gesellschaftliches Gesetz, -oder eine gesellschaftliche Norm, ist weder persönliches noch -unpersönliches Gebot.“ -</p> - -<p> -„Gibt es denn keine Regel, nach der Sie die Freiheit der -Geisteskranken oder der Kinder einschränken?“ -</p> - -<p> -„Ja, eine Art wissenschaftliche, der Medizin oder Pädagogik -entstammende Regel. Freilich sind in dieser technischen Regel -nicht alle jene Fälle vorausgesehen, in denen die Gewalt angewandt -werden muß, noch aber die Mittel bei ihrer Anwendung, -die Stufen – alldies hängt selbstverständlich von der -Gesamtheit der Vorbedingungen ab.“ -</p> - -<p> -„Wird dadurch der Willkür der Erzieher oder Krankenpfleger -nicht völlig freier Lauf gelassen?“ -</p> - -<p> -„Was bedeutet das Wort „Willkür“? Wenn es unnötige, -überflüssige Anwendung der Gewalt bedeutet, so kann es nur -in bezug auf einen Kranken angewandt werden, der sich im -Krankenhaus befindet. Ein vernünftiger, bewußt handelnder -Mensch ist der Willkür nicht fähig.“ -</p> - -<p> -Wir durchschritten die Krankensäle, die Operationsräume, -die Zimmer, in denen die Medizinen aufbewahrt wurden, die -Stuben der Pfleger. Im obersten Stockwerk betraten wir -einen geräumigen, schönen Saal, dessen durchsichtige Wände -den Ausblick auf den See, den Wald und die fernen Berge -<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> -gestatteten. Der Raum war mit Statuen und Gemälden von -hohem künstlerischem Wert geschmückt, die Möbel waren prächtig -und luxuriös. -</p> - -<p> -„Dies ist das Zimmer der Sterbenden“, sprach Netti. -</p> - -<p> -„Bringen Sie alle Sterbenden hierher?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Ja, oder sie begeben sich selbst in diesen Saal“, lautete -die Antwort. -</p> - -<p> -„Können denn bei Ihnen die Sterbenden noch selbst gehen?“ -staunte ich. -</p> - -<p> -„Jene, die körperlich gesund sind, vermögen es selbstverständlich.“ -</p> - -<p> -Ich begriff, daß es sich hier um Selbstmörder handle. -</p> - -<p> -„Sie überlassen diesen Saal den Selbstmördern zur Ausführung -ihres Vorhabens?“ -</p> - -<p> -„Ja, sowie alle Mittel, die einen ruhigen schmerzlosen Tod -bringen.“ -</p> - -<p> -„Und Sie legen ihnen kein einziges Hindernis in den Weg?“ -</p> - -<p> -„Wenn der Patient bei klarem Verstand ist und sein Entschluß -feststeht, kann es doch gar kein Hindernis geben. Natürlich -wird dem Kranken Gelegenheit gewährt, sich vorher -mit dem Arzt zu beraten. Einige tun dies, – andere nicht.“ -</p> - -<p> -„Kommen bei Ihnen viele Selbstmorde vor?“ -</p> - -<p> -„Ja, besonders unter den alten Leuten. Wenn sich das -Gefühl des Lebens abstumpft und schwächer wird, ziehen es -viele vor, nicht das natürliche Ende abzuwarten.“ -</p> - -<p> -„Begehen auch junge, völlig gesunde und starke Menschen -Selbstmord?“ -</p> - -<p> -„Auch dies kommt vor, aber äußerst selten. Seitdem ich -im Krankenhaus arbeite, kann ich mich bloß an zwei Fälle -erinnern, der dritte ließ von seinem Vorhaben ab.“ -</p> - -<p> -„Wer waren die beiden Unglücklichen und was trieb sie in -den Tod?“ -</p> - -<p> -„Der erste war mein Lehrer, ein hervorragender Arzt, der -der Wissenschaft viel Neues gegeben hat. Bei ihm war die -Fähigkeit, die Leiden anderer mitzufühlen, in einem unglaublich -<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> -hohen Maße entwickelt. Dies führte seinen Verstand und -seine Energie zum Studium der Medizin, war aber auch sein -Verderben. Er ertrug es nicht. Verbarg aber seine geistige -Einstellung so gut vor allen Menschen, daß seine Tat völlig -überraschend wirkte. Er beging diese nach einer schweren Epidemie, -die als Folge der Trockenlegung einer Meeresbucht auftrat, -als die toten Fische tonnenweise verwesend am Strand -lagen. Die Krankheit war ebenso schmerzhaft wie bei Ihnen -die Cholera, aber noch weit gefährlicher. Von zehn Erkrankungen -nahmen neun einen tödlichen Verlauf. Da aber dennoch -eine geringe Möglichkeit der Genesung bestand, konnten -die Aerzte den Bitten der Kranken um einen raschen und -schmerzlosen Tod nicht nachkommen; es war ja auch nicht möglich, -von einem Menschen, den starkes Fieber und große -Schmerzen peinigten, anzunehmen, daß er sich bei völlig klarem -Bewußtsein befinde. Mein Lehrer arbeitete wie ein -Wahnsinniger, und seine Forschungen trugen viel dazu bei, die -Epidemie abzukürzen. Als diese völlig verschwunden war, -beging er Selbstmord.“ -</p> - -<p> -„Wie alt war er damals?“ -</p> - -<p> -„Ihrer Berechnung nach ungefähr Fünfzig. Bei uns ist -dies noch ein jugendliches Alter.“ -</p> - -<p> -„Und der zweite Fall?“ -</p> - -<p> -„Eine Frau, der am gleichen Tag Mann und Kind gestorben -waren.“ -</p> - -<p> -„Und der dritte Fall?“ -</p> - -<p> -„Den kann Ihnen nur jener Genosse erzählen, der ihn -selbst erlebte.“ -</p> - -<p> -„Das ist wahr“, meinte ich. „Erklären Sie mir aber nun -etwas anderes: wie kommt es, daß sich die Marsbewohner so -lange jung erhalten? Ist dies eine Eigenheit Ihrer Rasse -oder hängt es von den günstigen Lebensbedingungen, oder aber -noch von etwas anderem ab?“ -</p> - -<p> -„Mit der Rasse hat es nichts zu tun; noch vor zweihundert -Jahren waren wir weit weniger langlebig. Die günstigeren -<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a> -Lebensbedingungen? Ja, selbstverständlich spielen auch diese -eine bedeutsame Rolle, die Hauptursache jedoch ist eine ganz -andere: nämlich die <em>Erneuerung</em> des Lebens.“ -</p> - -<p> -„Was ist das?“ -</p> - -<p> -„Eine dem Wesen nach äußerst einfache Sache, Ihnen jedoch -wird sie wahrscheinlich seltsam erscheinen, obgleich Ihre -Wissenschaft bereits alle Daten für diese Methode kennt. Sie -wissen, daß die Natur, um die Lebensfähigkeit der Zelle oder -des Organismus zu steigern, das Einzelwesen durch ein anderes -ergänzt. Um dieses Ziel zu erreichen, verschmilzt sich das -Einzelwesen aus zweien zu einem, und auf diese Art erhält es -die Lebens- und Vermehrungsfähigkeit, die „Unsterblichkeit“ -des Protoplasma. Derselbe Gedanke beherrscht die Kreuzungen -der höheren Pflanzen- und Tierarten; hier vereinigen -sich lebendige Elemente zweier verschiedener Wesen, auf daß -ein drittes geboren werde. Schließlich wissen Sie wohl auch -um die Einimpfung des Blutes, von dem einen zum anderen -Geschöpf, um diesem anderen eine stärkere Lebensfähigkeit zu -verleihen, wie dies beim Serum gegen verschiedene Krankheiten -der Fall ist. Wir gehen hierin noch weiter: verwenden -die <em>Transfusion des Blutes</em> zwischen zwei menschlichen -Wesen, von denen jedes dem anderen eine gesteigerte -Lebensfähigkeit zu geben vermag. Diese einmalige Transfusion -des Blutes zwischen zwei Menschen wird durch einen die -Blutgefäße der beiden verbindenden Apparat bewerkstelligt. -Bei Beobachtung der nötigen Vorsichtsmaßregeln ist der Prozeß -völlig ungefährlich. Das Blut des einen Menschen lebt -weiter im Organismus des anderen, vermischt sich mit dem -eigenen Blut und erneuert die Gewebe.“ -</p> - -<p> -„Auf diese Art vermögen Sie durch die Transfusion jungen -Blutes den Alten die Jugend wiederzugeben?“ -</p> - -<p> -„Zum Teil; freilich nicht ganz. Denn das Blut ist im -Organismus nicht alles, der Organismus verarbeitet es. Deshalb -altert auch der junge Mensch nach der Transfusion alten -Blutes nicht; alles, was in ihm Schwäche, Alter ist, verteilt -<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> -sich rasch im jungen Organismus, und zur gleichen Zeit scheidet -er aus dem Organismus all das aus, dessen er nicht bedarf; -dadurch werden die Energie und Anpassungsfähigkeit seines -ganzen Wesens gesteigert.“ -</p> - -<p> -„Wenn dies so einfach ist, weshalb hat bis heute unsere -irdische Medizin das Mittel noch nicht angewandt? Die Transfusion -des Blutes ist, wenn ich nicht irre, bereits seit etlichen -hundert Jahren bekannt.“ -</p> - -<p> -„Ich weiß es nicht; vielleicht besteht irgendeine organische -Eigenheit, die bei den Erdenmenschen diesem Mittel seine -Wirksamkeit raubt. Vielleicht aber kommt dies auch von dem -bei Ihnen herrschenden Individualismus, der so sehr den einen -Menschen vom anderen trennt, daß der Gedanke an eine lebendige -Verschmelzung Ihren Gelehrten schier als ein Ding -der Unmöglichkeit erscheint. Außerdem gibt es bei Ihnen eine -Unzahl das Blut vergiftender Krankheiten, Krankheiten, von -denen die Befallenen oft gar nicht wissen, oder die sie verheimlichen. -Die bei Ihnen äußerst selten vollzogene Transfusion -des Blutes trägt irgendwie einen philanthropischen Charakter: -jener, der viel Blut besitzt, gibt davon jenem, der dessen äußerst -nötig bedarf, zum Beispiel in Fällen, wo durch Wunden ein -großer Blutverlust entstanden ist. Freilich kommt dies auch -bei uns vor; meist aber verhält es sich anders, entspricht unserer -ganzen Ordnung: unser Leben ist nicht nur dem Geist -nach ein kameradschaftliches, sondern sogar dem Körper nach.“ -</p> - -<h4 class="chapter" id="ARBEIT_UND_GESPENSTER"> -Arbeit und Gespenster -</h4> - -<p class="first"> -Die Eindrücke der ersten Tage, die wie ein stürmischer Wasserfall -mein Bewußtsein überfluteten, ließen mich erkennen, -was für eine ungeheuere Arbeit mir bevorstand. Vor allem -galt es, diese Welt zu <em>begreifen</em>, diese unermeßlich reiche -und in ihrer Ordnung so eigenartige Welt. Dann aber mußte -ich mich ihr <em>nähern</em>, jedoch nicht wie einem interessanten -<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> -Museumsgegenstand, sondern wie ein Mensch den Menschen, -ein Arbeiter den Arbeitern. Nur so vermochte ich meine Mission -zu erfüllen, als wahrhaftes Band zwischen zwei Welten -zu dienen, zwischen denen ich, der an der Grenze stehende Sozialist, -einen unendlich winzigen Augenblick der Gegenwart bedeutete, -der Vergangenheit und Zukunft verband. -</p> - -<p> -Als ich das Krankenhaus verließ, sprach Netti zu mir: -„Beeilen Sie sich nicht allzu sehr.“ Mir schien es, als habe -er unrecht. Im Gegenteil: ich mußte mich beeilen, mußte alle -Kräfte, alle Energie anspannen – denn meine Verantwortung -war eine ungeheuer große. <a id="corr-13"></a>Welcher gewaltige Nutzen konnte -unserer alten zerquälten Menschheit erwachsen, welche gigantische -Beschleunigung ihrer Entwicklung durch den Einfluß -dieser lebendigen, energischen, hohen Kultur, die so mächtig -und harmonisch war! Und jeder Augenblick der Verzögerung -in meiner Arbeit konnte ein Hinausschieben dieses Einflusses -bedeuten ... Nein, ich durfte nicht erwarten, durfte nicht -rasten. Und ich arbeitete viel. Lernte die Wissenschaft und die -Technik der neuen Welt kennen, beobachtete genau ihr gesellschaftliches -Leben, studierte ihre Literatur. Und dabei boten -sich mir viele Schwierigkeiten. -</p> - -<p> -Die wissenschaftlichen Methoden verblüfften mich völlig: -ich prägte sie mir mechanisch ein, vermeinte anfangs, sie seien -leicht, einfach, ohne Fehler; bald aber bemerkte ich, daß ich sie -nicht verstand, daß ich nicht begriff, wieso sie zum Ziele führten, -ihre Verbindung nicht fand und ihr Wesen nicht erfaßte. -Ich glich einem alten Mathematiker des 17. Jahrhunderts, -dessen begrenzter unbeweglicher Geist die lebendige Dynamik -der unendlich kleinen Größen nicht zu erfassen vermag. -</p> - -<p> -Die allgemein zugänglichen Versammlungen der Marsbewohner -versetzten mich durch ihren rein sachlichen Charakter -in großes Erstaunen. Ob sie nun wissenschaftlichen Fragen, -oder aber der Organisation der Arbeit oder Kunstfragen galten, -– stets waren die Ausführungen und Reden seltsam -nüchtern und kurz, die Argumente genau, sachlich, niemand -<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> -wiederholte sich und keiner wiederholte, was ein anderer gesagt -hatte. Der Beschluß der Versammlung, der häufig ein -einstimmiger war, wurde mit märchenhafter Geschwindigkeit -durchgeführt. Beschloß die Versammlung der Lehrer, daß -eine neue Lehranstalt gegründet werden müsse, oder die Versammlung -der Arbeitsstatistiker, daß ein neues Unternehmen -gegründet werden solle, oder die Versammlung der Stadtbewohner, -daß irgendein Gebäude zu schmücken sei, – sofort -erschienen auch schon die neuen Zahlen der erforderlichen Arbeitskraft, -das Zentralbureau schaffte auf dem Luftweg Hunderte -und Tausende von neuen Arbeitern herbei; nach einigen -Tagen oder einer Woche war bereits alles beendet, und die -neuen Arbeiter verschwanden; niemand wußte, wohin. All -dies erweckte in mir schier den Eindruck der Magie, einer -seltsamen, gelassenen, kalten, Beschwörungen und Mystik verachtenden -Magie, die vielleicht eben deshalb durch ihre übermenschliche -Macht besonders rätselhaft wirkte. -</p> - -<p> -Auch die Literatur der neuen Welt, sogar die rein künstlerische, -bedeutete für mich weder Erholung noch Beruhigung. -Ihre Form erschien zwar klar und unkompliziert, aber der -Inhalt mutete mich fremd an. Es verlangte mich, tiefer in -sie einzudringen, sie zu begreifen, ihr näher zu kommen, doch -führten meine Bemühungen zu einem völlig unerwarteten Ergebnis: -die Formen wurden gespenstisch, von Nebel umhüllt. -</p> - -<p> -Besuchte ich das Theater, so überkam mich ebenfalls das -Gefühl der Verständnislosigkeit. Die Reden der Helden waren -so zurückhaltend und gedämpft, ihre Gefühle so schwach -betont, daß es fast schien, als wollten sie bei dem Zuschauer -keinerlei Stimmung erregen, als wären sie nur abgeklärte -Philosophen, freilich äußerst idealisierte. Nur die historischen, -in der fernen Vergangenheit spielenden Dramen weckten in -mir einen vertrauten Eindruck; hier war auch das Spiel der -Darsteller bedeutend lebhafter, der Ausdruck persönlicher Gefühle -um vieles unverhüllter, glich weit mehr dem, woran ich -in unseren Theatern gewöhnt war. -</p> - -<p> -<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> -Ein Umstand zog mich trotz allem immer wieder ins Theater -unserer kleinen Stadt: nämlich der, daß es hier keine -Schauspieler gab. Die hier aufgeführten Stücke wurden uns -durch optische und akustische Apparate vermittelt, die sich in -anderen großen Städten befanden, oder aber, und dies kam -noch häufiger vor, es wurden Stücke aufgeführt, die so -alt waren, daß die meisten der darin auftretenden Schauspieler -nicht mehr unter den Lebenden weilten. Die Marsbewohner -kannten die Momentaufnahmen in natürlichen Farben, benützten -sie, um Leben und Bewegung wiederzugeben, wie dies -in unseren Kinos geschieht. Aber sie vereinigten nicht nur -den Kinematograph mit dem Phonograph, wie das bereits, -wenn auch ohne rechten Erfolg, auf der Erde getan wurde, -sondern sie wandten auch das Stereogramm an und verliehen -dadurch den Kinobildern Relief. Auf der Leinwand erschienen -gleichzeitig zwei Abbildungen, – zwei halbe Stereogramme; -vor jedem Sitz war ein entsprechendes stereoskopisches -Glas befestigt, das die beiden flachen Abbildungen zu einer -vereinigte. Es schien seltsam, klar und genau lebendige Menschen -zu sehen, die sich bewegten, handelten, ihren Gefühlen in Worten -Ausdruck verliehen, und gleichzeitig zu wissen, daß von all dem -nichts existierte, als die Mattscheibe, der Phonograph und das -elektrische Licht mit dem Uhrwerk. Ja, dies war fast mystisch -seltsam, und erweckte unklare Zweifel an aller Wirklichkeit. -</p> - -<p> -Selbstverständlich wurde durch all diese Tatsachen meine -Aufgabe, das Verstehen der fremden Welt, in hohem Maße -erschwert. Ich hätte entschieden fremder Hilfe bedurft. Doch -wandte ich mich nur sehr selten an Menni mit der Bitte um -Erklärungen. Ich wollte ihn nicht in Anspruch nehmen, -denn er war eben mit seinen Forschungen über die Gewinnung -der „Minus-Materie“ beschäftigt. Er arbeitete unermüdlich, -schlief oft nächtelang nicht, und ich wollte ihn nicht stören und -ablenken. Seine Arbeitsfreudigkeit war für mich ein lebendiges -Beispiel, das mich unwillkürlich dazu verleitete, meine -Anstrengungen fortzusetzen. -</p> - -<p> -<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> -Die übrigen Freunde waren von meinem Horizont verschwunden. -Netti verreiste auf etliche hundert Kilometer, um -den Bau und die Organisation eines riesenhaften neuen -Krankenhauses auf der anderen Halbkugel des Planeten zu -leiten. Enno, Sternis Gehilfe, war ebenfalls viel beschäftigt; -in seinem Observatorium wurden Messungen und Berechnungen -für neue Expeditionen nach der Venus und der Erde angestellt, -sowie für Expeditionen nach dem Mond und dem -Merkur; letztere sollten photographiert und von den Mineralien -sollten Proben zurückgebracht werden. Mit den anderen -Marsbewohnern war ich nicht näher bekannt, beschränkte -meine Gespräche mit ihnen auf praktische Fragen; es fiel mir -schwer, mich diesen so fremden und hoch über mir stehenden -Wesen zu nähern. -</p> - -<p> -Allmählich begann ich zu finden, daß, allgemein gesprochen, -meine Arbeit gute Fortschritte machte. Ich bedurfte immer -weniger der Rast, ja sogar des Schlafes. Alles, was ich fast -mechanisch leicht und frei erlernte, brachte ich bequem in meinem -Kopf unter, und dies rief irgendwie das Gefühl hervor, -als sei mein Kopf völlig leer und könne noch viel, sehr viel -beherbergen. Freilich, wenn ich nach alter Gewohnheit versuchte, -für mich selbst genau zu formulieren, was ich wußte, so -mißlang das fast immer; doch deuchte mich, es sei nicht wichtig, -Einzelheiten und Teile klar definieren zu können. Vor allem -gelte es einen Allgemeinbegriff zu haben, und den besaß ich. -</p> - -<p> -Eine besonders lebhafte Befriedigung fand ich in meiner -Arbeit nicht; es gab nichts, das in mir das frühere Gefühl -unmittelbaren Interesses wachgerufen hätte, doch erschien mir -dies selbstverständlich: nach all dem, was ich gesehen und erfahren -hatte, fiel es mir schwer, noch über irgendetwas zu -staunen. Es kam ja auch gar nicht darauf an, ob mir etwas -angenehm sei, sondern vielmehr darauf, daß ich alles begreife -und mir zu eigen mache. -</p> - -<p> -Eines nur war peinlich: es wurde mir täglich schwerer, -meine Aufmerksamkeit völlig auf einen Gegenstand zu konzentrieren. -<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> -Die Gedanken schweiften von einer Sache, von -einer Seite zur anderen; klare, gänzlich unerwartete Erinnerungen -fluteten bisweilen über mein Bewußtsein hinweg, ließen -mich meine Umgebung vergessen, raubten mir die kostbaren -Minuten. Ich bemerkte dies, zwang mich mit neuer -Energie zur Arbeit, aber nach kurzer Zeit suchten abermals -flüchtige Bilder und Phantasien der Vergangenheit mein Gehirn -heim, und es galt von neuem, ihrer Gewalt zu widerstehen. -</p> - -<p> -Immer häufiger überkam mich ein bebendes, seltsam beunruhigendes -Gefühl; bekannte Gesichter tauchten vor mir -auf, alte Geschehnisse. Eine übermächtige Flut riß mich zurück, -in ferne Zeiten, in die Jugend und früheste Kindheit, -dort verlor sich mein Bewußtsein in Unklarheit und Wirrnis. -Nach solchen Stunden vermochte ich die andauernde Zerstreutheit -nicht zu bewältigen. -</p> - -<p> -In meinem Inneren entstand ein heftiger Widerstand, der -mich hinderte, einer Sache lange Zeit zu widmen; ich hastete -von Gegenstand zu Gegenstand, schleppte in meine Stube einen -Haufen Bücher, die früher am rechten Ort aufbewahrt waren, -Tabellen, Karten, Stereogramme, Phonographen usw. Auf -diese Art hoffte ich, den Zeitverlust wieder einzubringen, aber -die furchtbare Zerstreutheit übermannte mich stets von neuem, -und häufig ertappte ich mich dabei, daß ich lange reglos auf -einen Punkt starrte, nichts begriff, nichts tat. -</p> - -<p> -Lag ich auf meinem Bett und blickte durch das Glasdach -zum düsteren Nachthimmel empor, so begannen meine Gedanken -eigenwillig mit erstaunlicher Lebhaftigkeit und Energie zu -arbeiten. Vor meinem Geiste erschienen ganze Zahlenreihen -und Formeln, sie waren von einer derartigen Klarheit, daß ich -sie, Zeile um Zeile, abzulesen vermochte. Doch verblaßten -diese Erscheinungen gar bald, machten anderen Platz, mein -Bewußtsein kehrte zum Panorama eines unglaublich lebendigen -und klar umrissenen Bildes zurück, das nichts mit meiner -Beschäftigung und meinen Sorgen zu tun hatte. Ich schaute -<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> -irdische Landschaften, theatralische Szenen, Bilder aus Kindermärchen, -sah sie wie in einem Spiegel. Sie durchdrangen -meine Seele, verschwammen, vermischten sich, erweckten keinerlei -Aufregung, sondern bloß ein leichtes Interesse, eine -gewisse Neugierde, der eine schwache Befriedigung eignete. -Dieser Vorgang vollzog sich in meinem Bewußtsein, vermengte -sich nicht mit der äußeren Umgebung; später jedoch griff er -auch auf sie über. Ich versank in Schlummer, in Träume, -die voll lebendiger und komplizierter Erscheinungen waren; der -Schlummer war ein leichter und gab mir nicht, wonach mich -so sehr verlangte – das Gefühl der Rast und Erholung. -</p> - -<p> -Schon längere Zeit störte mich Ohrensausen, jetzt wurde -dieses immer unaufhörlicher und stärker, hinderte mich bisweilen -sogar daran, die Töne des Phonographen zu vernehmen. -Des Nachts raubte es mir den Schlaf. Immer wieder -vermeinte ich dazwischen Menschenstimmen zu hören, bekannte -und unbekannte, bisweilen glaubte ich, mein Name -würde gerufen, oder aber ich vernähme Gespräche, deren -Worte ich wegen des Sausens nicht zu verstehen vermochte. -Ich sah ein, daß ich nicht völlig gesund sei, daß mich Verwirrung -und Zerstreutheit überwältigten, vermochte ich doch nicht -einmal einige Zeilen im Zusammenhang zu lesen. -</p> - -<p> -„Das ist selbstverständlich nur Uebermüdung“, sprach ich zu -mir. „Ich muß mehr rasten, habe tatsächlich zu viel gearbeitet. -Doch brauche ich Menni davon nichts zu sagen, denn -was jetzt mit mir vorgeht, erweckt gar sehr den Eindruck, als -machte ich bereits zu Anfang meiner Arbeit Bankrott.“ -</p> - -<p> -Wenn mich Menni in meiner Stube aufsuchte, dies kam -freilich zu jener Zeit selten vor, gab ich mir den Anschein, -äußerst beschäftigt zu sein. Er warnte mich: ich arbeite zu -viel, setze mich der Gefahr der Erschöpfung aus. -</p> - -<p> -„Heute sehen Sie besonders schlecht aus“, sagte er. -„Schauen Sie in den Spiegel, wie Ihre Augen glänzen, -wie blaß Sie sind. Sie müssen sich ausruhen, das wird -später Früchte tragen.“ -</p> - -<p> -<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> -Mich verlangte ja selbst nach Ruhe, doch vermochte ich -keine zu finden. Zwar tat ich fast nichts, aber alles ermüdete -mich, sogar die geringste Anstrengung. Die stürmische Flut -lebendiger Bilder, Erinnerungen und Phantasien ebbte weder -bei Tag noch bei Nacht ab. In ihr verblaßte meine Umgebung, -verlor sich, nahm etwas Gespenstisches an. -</p> - -<p> -Schließlich mußte ich mich ergeben; ich sah, daß Schlaffheit -und Apathie immer stärker meinen Willen schwächten, -daß ich immer weniger gegen sie anzukämpfen vermochte. Eines -Abends, als ich zu Bette lag, wurde es mir plötzlich schwarz -vor den Augen. Doch verging dies rasch, und ich trat ans -Fenster, um auf die Bäume des Parkes zu blicken. Jählings -fühlte ich, daß mich jemand anstarre. Ich wandte mich -um – vor mir stand Anna Nikolajewna Ihr Antlitz war -blaß und traurig, aus ihren Blicken sprach Vorwurf. Ich -wurde erregt, dachte gar nicht an das Seltsame ihrer Erscheinung, -tat einen Schritt vor, um ihr entgegenzugehen -und etwas zu sagen. Sie aber verschwand, als habe sie sich -in Luft aufgelöst. -</p> - -<p> -Und in diesem Augenblick begann der Gespensterreigen. -An vieles erinnere ich mich nicht; mein Bewußtsein war verdunkelt, -ich befand mich in einer Art Traum. Es kamen und -gingen, erschienen vor mir allerlei Menschen, denen ich in -meinem früheren Leben begegnet war, aber auch Unbekannte. -Merkwürdigerweise befanden sich unter ihnen keine Marsbewohner, -es waren lauter Erdenmenschen. Die Bekannten -gehörten meist zu jenen, die ich seit langem nicht gesehen hatte, -alte Schulkameraden, mein junger Bruder, der noch als Kind -gestorben war. Durchs Fenster erblickte ich einen berüchtigten -Spion, der mich mit bösem Lachen aus seinen listigen, unsteten -Augen anblickte. Die Gespenster redeten nicht mit mir; -in der Nacht jedoch, da alles still war, vernahm ich halluzinierende -Töne, hörte unzusammenhängende, sinnlose Gespräche, -geführt von den Unbekannten: ein Fahrgast, der mit einem -Droschkenkutscher stritt, ein Kommis überredete einen Kunden, -<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> -die Ware zu kaufen, der Lärm eines Universitätsauditoriums -tobte, der Pedell versuchte Ruhe zu schaffen, verkündete, daß -der Herr Professor gleich kommen würde. Die Gesichtshalluzinationen -waren weit interessanter und störten mich viel -weniger und seltener. -</p> - -<p> -Nach der Erscheinung Anna Nikolajewnas sprach ich selbstverständlich -mit Menni über meinen Zustand. Er schickte -mich sofort ins Bett, berief den Arzt und telephonierte den -sechstausend Kilometer entfernten Netti an. Der Arzt erklärte, -er könne sich nicht entschließen, etwas zu tun, da er -den Organismus der Erdenmenschen zu wenig kenne; jedenfalls -bedürfe ich vor allem der Ruhe und Erholung. Befolgte -ich diesen Rat, so sei es nicht gefährlich, einige Tage -zu warten, bis Netti zurückkäme. -</p> - -<p> -Netti stellte sich am dritten Tag ein. Als er sah, in was -für einem Zustand ich mich befand, blickte er Menni mit traurigem -Vorwurf an. -</p> - -<h4 class="chapter" id="NETTI"> -Netti -</h4> - -<p class="first"> -Trotz der Behandlung durch einen so ausgezeichneten Arzt -wie Netti währte meine Krankheit einige Wochen. Ich lag -zu Bett, ruhig und apathisch, betrachtete mit der gleichen -Seelenruhe die Wirklichkeit und die Gespenster. Nettis stete -Gegenwart erweckte in mir ein kaum merkliches, leichtes -Gefühl der Zufriedenheit. -</p> - -<p> -Heute erscheint mir in der Erinnerung mein damaliges -Verhältnis zu den Halluzinationen sehr merkwürdig; obgleich -ich mich an die hundert Mal von ihrer Unwirklichkeit überzeugte, -so vergaß ich dies, sobald sie erschienen; selbst wenn sich -mein Bewußtsein nicht verdunkelte und verwirrte, hielt ich die -Erscheinungen für wirkliche Gesichter und Dinge. Bloß wenn -sie bereits verschwunden waren, oder im Augenblick vor ihrem -Verschwinden, erkannte ich ihre Gespensterhaftigkeit. -</p> - -<p> -<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> -Nettis Hauptbestreben ging dahin, mir Schlaf und Ruhe -zu verschaffen. Er konnte sich nicht dazu entschließen, mir -irgendeine Medizin zu verabreichen, fürchtete, diese könnte -auf den irdischen Organismus als Gift wirken. Etliche Tage -vermochte er mich mit den gewöhnlichen Mitteln nicht zum -Schlafen zu bringen; die Halluzinationen verhinderten dies. -Endlich aber gelang es ihm dennoch, und als ich nach zwei- -bis dreistündigem Schlaf erwachte, sprach er: -</p> - -<p> -„Nun zweifle ich nicht mehr an Ihrer Genesung, wenngleich -die Krankheit noch lange währen dürfte.“ -</p> - -<p> -Und die Krankheit nahm ihren Verlauf. Die Halluzinationen -wurden seltener, doch waren sie um nichts weniger -lebhaft und klar, wurden sogar etwas komplizierter; bisweilen -ließen sich die gespenstischen Gäste mit mir in ein Gespräch ein. -</p> - -<p> -Von diesen Gesprächen hatte nur ein einziges für mich -Sinn und Bedeutung; es war schon gegen Ende meiner -Krankheit, als es geführt wurde. -</p> - -<p> -Eines Morgens erwachend, sah ich Netti wie gewöhnlich -in meiner Nähe; vor seinem Lehnstuhl aber stand mein alter -Revolutionskamerad, der lebhafte, boshaft spöttische Agitator -Ibrahim. Er schien etwas zu erwarten. Als sich Netti ins -anstoßende Zimmer begab, um das Bad vorzubereiten, sprach -Ibrahim grob und entschlossen zu mir: -</p> - -<p> -„Du Dummkopf! Was hältst du Maulaffen feil? Siehst -du denn etwa nicht, wer dein Arzt ist?“ -</p> - -<p> -Ich wunderte mich weder über die in seinen Worten enthaltene -Andeutung, noch über den zynischen Ton, ich kannte -ja seine Art. Doch entsann ich mich des eisernen Griffs, mit -dem Nettis kleine Hände zupackten und glaubte Ibrahim nicht. -</p> - -<p> -„Umso ärger für dich!“ meinte er mit verächtlichem Lachen -und verschwand. -</p> - -<p> -Netti betrat das Zimmer. Bei seinem Anblick empfand -ich ein seltsames Unbehagen. Er schaute mich scharf an. -</p> - -<p> -„Nun“, sprach er, „Ihre Genesung macht rasche Fortschritte.“ -</p> - -<p> -<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> -Den ganzen Tag über war Netti schweigsam und versonnen. -Am folgenden Tag, überzeugt davon, daß ich mich -wohl fühle und die Halluzinationen sich nicht wiederholen -würden, ging er seiner Arbeit nach und kehrte erst gegen -Abend heim, ließ sich durch einen anderen Arzt vertreten. Etliche -Tage kam er nur des Abends zu mir, um mich einzuschläfern. -Erst nun wurde es mir klar, wie wichtig und angenehm -mir seine Anwesenheit sei. Zusammen mit der Erregung -der Genesung, die irgendwie aus der ganzen Natur -in meinen Organismus einzudringen schien, verfolgte mich -immer häufiger Ibrahims Andeutung. Ich schwankte, versicherte -mir selbst, das ganze sei Unsinn, der Gedanke entspringe -meiner Krankheit; weshalb hätten Netti und die übrigen -Freunde mich in dieser Beziehung irreführen sollen? Nichtsdestoweniger -blieb ein unklarer Zweifel zurück, der etwas -Angenehmes besaß. -</p> - -<p> -Einmal fragte ich Netti, mit was für einer Arbeit er -eben beschäftigt sei. Er erwiderte, es gebe jetzt viele Beratungen, -auf denen über eine neue Expedition nach den anderen -Planeten verhandelt werde, er sei als Experte zugezogen. -Menni leite die Beratungen, doch dächte weder er -noch Netti daran, die Expedition in nächster Zeit zu unternehmen, -was mich mit großer Freude erfüllte. -</p> - -<p> -„Aber Sie selbst, beabsichtigten Sie nicht heimzukehren?“ -fragte Netti, und aus seinem Ton klang leise Unruhe. -</p> - -<p> -„Es gelang mir doch noch nicht, irgendetwas zu tun“, entgegnete -ich. Nettis Gesicht strahlte. -</p> - -<p> -„Sie irren, Sie haben bereits viel getan, ... schon diese -Antwort allein ...“, erwiderte er. -</p> - -<p> -Ich ahnte in dieser Andeutung etwas, das ich nicht wußte, -das mich aber betraf. -</p> - -<p> -„Kann ich Sie nicht zu einer dieser Beratungen begleiten?“ -erkundigte ich mich. -</p> - -<p> -„Auf keinen Fall. Abgesehen davon, daß Sie noch der -Erholung bedürfen, müssen Sie noch einige Monate alles -<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> -vermeiden, was mit dem Beginn Ihrer Krankheit im Zusammenhang -steht.“ -</p> - -<p> -Ich wollte nicht streiten. Es war so angenehm, sich zu erholen; -die Pflicht der Menschheit gegenüber schien in weite -Ferne gerückt. Jetzt beunruhigten mich nur mehr, und zwar -in immer stärkerem Maße, die Gedanken über Netti. -</p> - -<p> -Eines Abends stand ich am Fenster und blickte durch die -Dämmerung in die geheimnisvolle Schönheit des Parkes; -dieser dünkte mich herrlich, und nichts an ihm war meinem -Herzen fremd. Ein leises Klopfen an der Tür wurde vernehmbar, -und ich fühlte mit einem Mal – dies sei Netti. -Er näherte sich mit seinen leichten raschen Schritten, streckte -mir lächelnd die Hand hin: der alte Erdengruß, der ihm gefiel. -Freudig griff ich nach seiner Hand, drückte sie so heftig, -daß es sogar seine festen Finger schmerzte. -</p> - -<p> -„Ich sehe, daß meine Rolle als Arzt zu Ende ist“, lächelte -er. „Doch muß ich noch einige Fragen an Sie richten, um -meiner Sache ganz gewiß zu sein.“ -</p> - -<p> -Er richtete Fragen an mich, ich gab Antwort, erfaßt von -unverständlicher Verwirrung, und las in der Tiefe seiner -großen, großen Augen heimliches Lachen. Schließlich vermochte -ich mich nicht länger zu beherrschen. -</p> - -<p> -„Erklären Sie mir, weshalb ich mich so stark zu Ihnen -hingezogen fühle? Weshalb freut es mich so ungemein, Sie -zu sehen?“ -</p> - -<p> -„Hauptsächlich wohl aus dem Grunde, weil ich Sie behandelt -habe und Sie unbewußt die Freude der Genesung -auf mich übertragen. Vielleicht aber auch ... deshalb, -weil ich ... eine Frau bin ...“ -</p> - -<p> -Dunkle Punkte kreisten vor meinen Augen, alles ringsum -versank in Nacht, das Herz hörte schier zu schlagen auf ... -Einen Augenblick lang hielt ich wie ein Wahnsinniger Netti -in meiner Umarmung fest, küßte ihre Hände, ihr Gesicht, -ihre großen tiefen Augen, die grünlich blau leuchteten, wie -der Himmel ihres Planeten ... -</p> - -<p> -<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> -Schlicht und großherzig überließ sich Netti meiner Umarmung -... Als ich meine sinnlose Freude beherrschte und -von neuem ihre Hände und ihr Gesicht küßte, die Augen voller -Freudentränen, die selbstverständlich von der durch die Krankheit -verursachten Schwäche herrührten, sprach Netti mit -ihrem lieben Lächeln: -</p> - -<p> -„Es schien mir, als fühlte ich in Ihrer Umarmung Ihre -ganze junge Welt, deren Despotismus, deren verzweifeltes -Glücksverlangen – all dies lag in Ihrer Liebkosung. Ihre -Liebe gleicht dem Mord ... Aber ... ich liebe Sie, -Lenni ...“ -</p> - -<p> -Dies war Glück. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h3 class="part" id="DRITTER_TEIL"> -<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> -Dritter Teil -</h3> - -</div> - -<h4 class="chapter" id="GLYCK"> -Glück! -</h4> - -<p class="first"> -Diese Monate! ... Gedenke ich ihrer, so erfaßt gewaltiges -Zittern meinen Leib, Nebel verdunkeln mein Auge, -alles ringsum erscheint mir nichtig. Und es gibt keine Worte, -um das vergangene Glück zu schildern. -</p> - -<p> -Die neue Welt kam mir nahe, schien mir mit einem Mal -völlig verständlich. Die erlittene Niederlage bekümmerte -mich nicht. Jugend und Glaube kehrten zu mir zurück, um, -wie ich glaubte, mich nie mehr zu verlassen. Ich besaß Hoffnung -und einen starken Verbündeten; für die Schwäche war -kein Raum. Die ganze Zukunft gehörte mir. -</p> - -<p> -In die Vergangenheit schweiften meine Gedanken nur -selten zurück, sie beschäftigten sich mit dem, was Netti und -unsere Liebe anbelangte. -</p> - -<p> -„Weshalb verbargen Sie mir Ihr Geschlecht?“ fragte ich -bald nach jenem Abend. -</p> - -<p> -„Anfangs ergab sich dies von selbst, zufällig. Dann aber -unterstützte ich absichtlich Ihre Täuschung, entfernte sogar von -meiner Kleidung alles, was Ihnen die Wahrheit hätte verraten -können. Mich erschreckte die Schwere und Kompliziertheit -Ihrer Aufgabe, ich fürchtete, diese noch verwickelter zu -gestalten, besonders als ich später Ihre unbewußte Zuneigung -zu mir wahrnahm. Auch verstand ich mich selbst nicht recht ... -bis zu Ihrer Krankheit.“ -</p> - -<p> -„Diese also hat die Lösung herbeigeführt ... Wie segne -ich meine lieben Halluzinationen!“ -</p> - -<p> -„Ja, als ich von Ihrer Erkrankung erfuhr, traf es mich -wie ein Hammerschlag. Hätte ich nicht vermocht, Sie vollständig -zu heilen, ich wäre vielleicht gestorben.“ -</p> - -<p> -<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> -Nach einigen Augenblicken des Schweigens fügte sie hinzu: -</p> - -<p> -„Wissen Sie auch, daß sich unter Ihren Freunden noch -eine Frau befindet, von der Sie dies gleichfalls nicht ahnten? -Sie ist Ihnen sehr zugetan, freilich nicht so wie ich ...“ -</p> - -<p> -„Enno!“ erriet ich sofort. -</p> - -<p> -„Selbstverständlich. Und auch Enno führte Sie absichtlich -irre, befolgte dabei meinen Rat.“ -</p> - -<p> -„Ach, wie viel Trug und Feigheit gibt es doch in Eurer -Welt!“ rief ich mit scherzhaftem Pathos. „Laßt nur, bitte, -Menni einen Mann bleiben, denn verliebte ich mich in ihn, -so wäre dies furchtbar.“ -</p> - -<p> -„Ja, dies ist furchtbar“, entgegnete Netti gedankenvoll, -und ich verstand ihren seltsamen Ernst nicht. -</p> - -<p> -Tage reihten sich an Tage, und beglückt nahm ich von der -schönen neuen Welt Besitz. -</p> - -<h4 class="chapter" id="TRENNUNG"> -Trennung -</h4> - -<p class="first"> -Und dennoch kam ein Tag, kam der Tag, an den ich nicht -ohne Verwünschungen zu denken vermag – der Tag, da -sich zwischen Netti und mir der schwarze Schatten einer verhaßten -und unvermeidlichen Trennung erhob. -</p> - -<p> -Mit dem gleichen gelassenen, abgeklärten Gesichtsausdruck, -der ihr eigen war, erklärte mir Netti unvermittelt, sie müsse -sich im Verlauf eines Tages der Riesenexpedition nach der -Venus anschließen, die von Menni geleitet wurde. Als sie -sah, wie sehr mich diese Nachricht verstörte, sprach sie: -</p> - -<p> -„Es ist ja nicht auf lange Zeit. Hat die Expedition Erfolg, -und ich zweifle nicht daran, so wird ein Teil der Mitglieder -baldigst zurückkehren, und auch ich werde diesem Teil -angehören.“ -</p> - -<p> -Dann berichtete sie mir, worum es sich handle. Auf dem -Mars waren die Vorräte der radiumausstrahlenden Materie, -die für die Motoren der interplanetarischen Luftschiffe und -<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> -für die Zerlegung und Synthese aller Elemente unentbehrlich -waren, erschöpft und konnten nicht erneuert werden. Auf -der Venus hingegen, einem jungen Planeten, der fast viermal -kürzere Zeit bestand als der Mars, gab es auf Grund -untrüglicher Anzeichen ungeheure Lager dieser Materie, die sich -fast an der Erdoberfläche befand und sich nicht selbständig zerlegen -konnte. Auf einer Insel, die in dem gigantischen Ozean -der Venus lag und von den Marsbewohnern die „Insel des -glühenden Sturms“ genannt ward, gab es ein reiches Lager -der radiumausstrahlenden Materie, und es war beschlossen -worden, dieses Lager so rasch wie möglich auszubeuten. Doch -war vorher nötig, äußerst hohe und dicke Mauern zu errichten, -die die Arbeiter gegen den verderblichen glühenden -Wind schützen sollten, der in seiner Wildheit und Grausamkeit -die Sandstürme unserer Wüsten bei weitem übertraf. -Diese Arbeit erforderte eine Expedition von zehn Aetheroneffs -und von zweitausend Menschen, unter denen sich zwanzig Chemiker -befanden; die übrigen sollten den Bau der Mauer -übernehmen. Die besten wissenschaftlichen Kräfte sowie die -erfahrensten Aerzte würden sich anschließen; die Gesundheit -aller Expeditionsmitglieder war vom Klima gefährdet und -auch von der mörderischen Glut, sowie von den Emanationen -der radiumausstrahlenden Stoffe. Netti vermochte sich, den -eigenen Worten zufolge, nicht von der Expedition zu drücken, -doch hatte sie sich ausbedungen, daß, wenn die Arbeit gut -von statten gehe, bereits nach drei Monaten ein Aetheroneff -zurückkehre, um Nachrichten und die zutage geförderte Materie -mitzubringen. Mit diesem Aetheroneff wollte dann auch -Netti heimkommen, also etwa zehn bis elf Monate nach Ausfahrt -der Expedition. -</p> - -<p> -Ich vermochte nicht zu begreifen, weshalb Netti unbedingt -an der Expedition teilnehmen müsse. Sie meinte, das Unternehmen -sei ein derart ernstes, daß sie sich ihm nicht entziehen -könne, außerdem sei es auch für meine Aufgabe von großer -Bedeutung, denn der Erfolg würde die Möglichkeit einer -<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> -engeren Verbindung mit der Erde schaffen. Uebrigens würde -ein jeder Irrtum auf dem Gebiet der medizinischen Hilfe das -Unternehmen von allem Anfang an zum Mißerfolg verurteilen. -All dies klang überzeugend, ich wußte ja auch, -daß Netti als der beste Arzt galt, besonders in Fällen, die -nicht in den Rahmen der alten erfahrungsgemäßen Medizin -paßten; dennoch schien mir irgendwie, daß dies nicht alles sei, -als gäbe es noch etwas Unausgesprochenes. -</p> - -<p> -An einem zweifelte ich nicht; an Netti selbst und ihrer -Liebe. Wenn sie sagte, es sei unbedingt nötig, die Expedition -mitzumachen, so war dies wirklich unvermeidlich, erklärte sie -mir aber nicht, weshalb dies so sein mußte, so bedeutete es, -daß ich sie nicht weiter befragen dürfe. Wenn sie sich von -mir unbeobachtet glaubte, sah ich in ihren schönen Augen -Angst und Schmerz. -</p> - -<p> -„Enno wird dir ein guter und liebevoller Freund sein“, -sprach sie mit wehmütigem Lächeln. „Und auch Nella wird -dich nicht vergessen, sie liebt dich um meinetwillen, besitzt viel -Verstand und Erfahrung; in den schweren Augenblicken des -Lebens ist ihre Hilfe von hohem Wert. Wenn du an mich -denkst, so denke immer nur das eine: daß ich zurückkehre, sobald -dies irgendwie möglich ist.“ -</p> - -<p> -„Ich vertraue dir, Netti“, sprach ich, „und deshalb glaube -ich auch an mich, an den Menschen, den du liebst.“ -</p> - -<p> -„Du hast recht, Lenni, und ich bin überzeugt, daß dich -keinerlei Schicksalsschläge, keinerlei Prüfungen von deiner -Aufgabe ablenken werden, daß du dir selbst ebenso treu und -daß du ebenso stark und rein bleiben wirst wie bisher.“ -</p> - -<p> -Die Zukunft warf ihre Schatten auf unsere Abschiedsliebkosungen -und erschütterte Netti bis zu Tränen. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DIE_KLEIDERFABRIK"> -<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> -Die Kleiderfabrik -</h4> - -<p class="first"> -In diesen kurzen Monaten war es mir dank Nettis Hilfe -in hohem Maße gelungen, mich auf die Verwirklichung -meines Hauptplanes vorzubereiten: ein nützlicher Arbeiter der -Marsgesellschaft zu werden. Ich schlug wohlüberlegt alle -Aufforderungen ab, über die Erde und deren Menschen Vorträge -zu halten; es wäre sinnlos gewesen, dies zu meiner -Spezialität zu machen, da es ja auf künstliche Art mein Bewußtsein -an die Dinge der Vergangenheit gefesselt hätte und -mir dadurch die Zukunft, für die es zu kämpfen galt, verloren -gegangen wäre. Ich beschloß ganz einfach, in einen -Betrieb zu gehen und wählte, nach verschiedenen Vergleichen -und reiflicher Ueberlegung, als erste Arbeitsstelle die Kleiderfabrik. -</p> - -<p> -Selbstverständlich wählte ich eine leichtere Arbeit. Dennoch -forderte diese von mir eine nicht geringe und ernsthafte -Vorbereitung. Vor allem galt es, mich mit der Ausarbeitung -des wissenschaftlichen Prinzips der Fabrikorganisationen im -allgemeinen bekannt zu machen, dann aber mit jener besonderen -Organisation der von mir gewählten Fabrik, mit deren -Architektur, deren Arbeitseinteilung, mit den Maschinen, an -denen ich arbeiten würde, kurzum mit allen Einzelheiten. Zu -diesem Vorbereitungsstudium mußte ich gewisse Gebiete der -Mechanik, der Technik, ja sogar der mathematischen Analyse -studieren. Die Hauptschwierigkeit bestand für mich nicht in -den Gegenständen selbst, sondern in den Formeln. Die Lehrbücher -und Anleitungen rechneten nicht mit der weit niedrigeren -Erdenkultur. Ich erinnerte mich daran, wie ich als -Kind gequält wurde, indem man mir ein französisches Lehrbuch -der Mathematik gab. Ich empfand für diesen Gegenstand -eine ernsthafte Vorliebe, und anscheinend auch eine ungewöhnliche -Begabung. Die Schwierigkeiten, die dem Anfänger -meist so viel Kopfzerbrechen bereiten, die Idee des -„Grenzwertes“ und der „Ableitung“ machten mir so wenig -<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> -Mühe, als wären sie mir immer bekannt gewesen. Doch -fehlten mir jene logische Disziplin und das praktische Wissen, -die von dem französischen Professor vorausgesetzt wurden; das -ganze Lehrbuch war dem Ausdruck nach äußerst klar und genau, -doch geizte es mit Erklärungen. Es gab hier keine jener -logischen Brücken, die sich ein Mensch von höherer wissenschaftlicher -Kultur selbst hinzudenken kann, die aber für den -jungen Asiaten vonnöten sind. Bisweilen dachte ich ganze -Stunden lang über irgendeine magische Reduktion nach, die -auf die Worte folgte: „Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf -den vorangegangenen Vergleich richten, so kommen wir zu dem -Ergebnis ...“ – Derart war es mir damals ergangen, -und das gleiche empfand ich in noch verstärktem Maße beim -Studium der wissenschaftlichen Bücher des Mars. Die Illusion, -die mich zu Beginn meiner Krankheit irregeführt hatte, -daß alles leicht und verständlich sei, verschwand spurlos. Aber -Netti hatte mir mit ihrer geduldigen Hilfe stets zur Seite -gestanden und mir den schweren Weg geebnet. -</p> - -<p> -Bald nach Nettis Abfahrt faßte ich meinen Entschluß und -trat in den Betrieb ein. Die Fabrik war ein riesenhaftes -und äußerst kompliziertes Unternehmen; sie glich nicht im geringsten -unserer üblichen Vorstellung von einer Kleiderfabrik. -Hier waren Spinnerei, Weberei, das Zuschneiden, Nähen -und Färben der Kleider vereinigt, das Material jedoch, das -zur Verarbeitung gelangte, war weder Flachs, noch Baumwolle, -noch Pflanzenfasern überhaupt, noch Wolle, noch -Seide, sondern etwas ganz anderes. -</p> - -<p> -In der ersten Zeit verfertigten die Marsbewohner ihre -Gewänder aus den gleichen Stoffen wie wir; sie bauten jene -Pflanzen an, deren Gewebe diesem Zweck diente, schoren die -wolletragenden Tiere, zogen ihnen die Haut ab, züchteten eine -besondere Art Spinnen, deren Gewebe die Eigenschaften der -Seide besaß usw. Die wirtschaftlichen Veränderungen und -die Vervollkommnung der Technik erforderten jedoch eine immer -größere Getreideproduktion. Die Pflanzenfasern wurden -<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> -durch mineralische Fasern ersetzt. Später wandten die Gelehrten -alle Aufmerksamkeit der Erforschung der Spinnengewebe -zu, suchten nach einer Synthese neuer Stoffe mit -analogen Eigenschaften. Als ihnen dies gelungen war, erfolgte -auf diesem ganzen Gebiet eine gewaltige Umwälzung, -und heute konnte man die Gewebe des alten Typus nur noch -in historischen Museen sehen. -</p> - -<p> -Unsere Fabrik war die wahrhafte Verkörperung dieser Umwälzung. -Etliche Mal im Monat wurde aus der zunächstgelegenen -chemischen Fabrik auf dem Schienenweg für die -Spinnerei „Material“ geliefert, das heißt: eine durchsichtige -Flüssigkeit in gewaltigen Zisternen. Aus diesen Zisternen -wurde vermittels besonderer luftdichter Apparate das Material -in ungeheure, hohe Metallreservoire geleitet, deren -dichter Boden hunderttausend mikroskopisch kleine Oeffnungen -besaß. Durch diese Oeffnungen gelangte die klebrige Flüssigkeit -unter einen starken Luftdruck und verhärtete sich zu zähen -Fasern. Zehntausend mechanische Spindeln erfaßten diese -Fasern, spannen sie zu Fäden verschiedener Dicke, schafften -das Gespinst in die Webeabteilung. Hier wurden die verschiedenen -Stoffe gewebt, von den allerfeinsten, wie Musselin -und Batist, bis zu den dicksten, wie Tuch und Filz. Die endlosen -breiten Streifen gelangten nun weiter in die Zuschneidewerkstätte. -Hier wurden sie von neuen Maschinen gepackt, -sorgfältig gefaltet, geschichtet, zu genau ausgemessenen Stücken -zerschnitten, zu Stücken, die die einzelnen Teile des Gewandes -bildeten. -</p> - -<p> -In der Schneiderwerkstatt wurden aus den zugeschnittenen -Stücken fertige Kleider hergestellt, jedoch ohne daß dabei -Nadel, Faden oder Nähmaschine angewandt worden wären. -Durch einen chemischen Prozeß wurden die Ränder der Kleidungsstücke -erweicht und abermals in ihren ersten flüssigen -Zustand versetzt. Sobald die chemische Substanz verdunstete, -waren die Kleider gleichsam zusammengelötet, fester, als es -bei der besten Schneiderarbeit der Fall gewesen wäre. Diese -<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> -Lötung wurde gleichzeitig überall vollzogen, wo es nottat, so -daß auf diese Art fertige Kleider hergestellt wurden, und -zwar in einigen tausend Mustern, der Form und dem Maß -nach verschieden. -</p> - -<p> -Es gab für jede Größe einige hundert Muster, aus denen -ein jeder fast immer das geeignete zu wählen vermochte, und -dies umso mehr, als sich die Marsbewohner äußerst ungezwungen -kleideten. War dennoch das Geeignete nicht vorhanden, -wie etwa im Fall einer körperlichen Unnormalität, -so kam das Stück abermals unter die Zuschneidemaschine; es -wurde ein besonderer Anzug „genäht“, was etwa eine Stunde -in Anspruch nahm. -</p> - -<p> -Was die Farbe der Gewänder anbelangte, so trugen die -Marsbewohner meist dunkle weiche Farben, die dem Material -entsprachen. Wurde jedoch eine andere Farbe verlangt, so -kam der Anzug in die Färbeabteilung und erhielt vermittels -eines chemisch-elektrischen Prozesses die gewünschte Farbe, die -ideal gleichmäßig und ideal dauerhaft war. -</p> - -<p> -Aus den gleichen, nur viel dickeren Geweben wurden das -Schuhwerk und die warmen Winterkleider hergestellt. Unsere -Fabrik verfertigte diese nicht, doch gab es andere, noch -größere Betriebe, in denen alles verfertigt wurde, was ein -Mensch vom Kopf bis zu den Füßen an Bekleidung braucht. -</p> - -<p> -Ich arbeitete der Reihe nach in allen Abteilungen des Betriebes, -ließ mich anfangs völlig von meiner Arbeit hinreißen. -Besonders interessant erschien mir die Zuschneidewerkstatt; -hier mußte ich bei meiner Arbeit mir bisher unbekannte Hilfsmittel -in Anspruch nehmen: die mathematische Analyse. Die -Aufgabe bestand darin, aus einem gegebenen Stück bei dem -geringstmöglichen Materialverlust alle Teile eines Anzugs zu -gewinnen. Dies war natürlich eine äußerst prosaische, aber -auch ernste Sache, denn selbst der geringste Irrtum, der sich -im Verlauf der Arbeit viele Millionen Mal wiederholte, -bedeutete einen ungeheuren Verlust. Einen erfolgreichen Entschluß -zu fassen, gelang mir meist „nicht schlechter“ als andern. -</p> - -<p> -<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> -Nicht „schlechter“ zu arbeiten als die anderen, das strebte -ich aus allen Kräften an, und fast immer mit einem gewissen -Erfolg. Doch mußte ich bemerken, daß dies für mich eine -weit größere Anstrengung bedeutete als für meine Kameraden. -Nach den gewöhnlichen vier bis sechs Arbeitsstunden -– die Erdenberechnung als Grundlage genommen – fühlte -ich heftige Erschöpfung und mußte sofort rasten, während die -andern noch in Museen, Bibliotheken, Laboratorien gingen -oder aber in andere Fabriken, um dort die Arbeit zu beobachten, -bisweilen auch noch selbst mitzuarbeiten ... -</p> - -<p> -Ich hoffte, mich allmählich an die neue Arbeit zu gewöhnen -und meinen Genossen gleich zu werden. Doch geschah dies -nicht. Ich überzeugte mich immer mehr davon, daß mir die -<em>Kultur der Aufmerksamkeit</em> fehle. Körperliche -Bewegungen wurden äußerst wenig erfordert, und was deren -Schnelligkeit und Gewandtheit anbelangte, so stand ich nicht -hinter den anderen zurück, ja, ich übertraf sie sogar. Aber -die ununterbrochene aufmerksame Beobachtung der Maschine -und des Materials fiel meinem Gehirn ungeheuer schwer: -diese Fähigkeit vermag sich offensichtlich erst im Verlauf einiger -Generationen zu jener Stufe zu entwickeln, die hier als -Durchschnitt und völlig alltäglich erscheint. -</p> - -<p> -Wenn mich, und dies war meist am Ende des Arbeitstages -der Fall, Erschöpfung ankam und meine Aufmerksamkeit nachließ, -ich Fehler beging oder auf eine Sekunde die Ausführung -einer Arbeit unterließ, brachte die unermüdliche, unbeirrte -Hand meines Nachbarn die Sache immer in Ordnung. -</p> - -<p> -Die merkwürdige Fähigkeit dieser Menschen, alles ringsum -zu beobachten, ohne dabei auch nur im geringsten die -eigene Arbeit zu vernachlässigen, versetzte mich in Erstaunen -und reizte mich sogar. Ihre Fürsorge störte mich nicht nur, -nein, sie rief in mir auch Aerger und Ungeduld wach; erregte -in mir das Gefühl, als ob alle ununterbrochen meine Tätigkeit -verfolgten ... Diese Unruhe verstärkte noch meine Zerstreutheit -und ließ mich schlechter arbeiten. -</p> - -<p> -<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> -Heute, nach langer Zeit, da ich genau und leidenschaftslos -an all dies zurückdenke, sehe ich ein, daß ich es damals falsch -aufgefaßt habe. Mit der gleichen Fürsorge und auf dieselbe -Art halfen meine Genossen in der Fabrik einander. Ich war -keineswegs der Gegenstand irgendeiner ausschließlichen Aufsicht -oder Kontrolle, wie es mich damals dünkte. Ich selbst, -der Mensch aus einer individualistischen Welt, sonderte mich -von den übrigen ab und verkannte auf krankhafte Art ihre -Güte und ihre kameradschaftlichen Dienste, für die sie, die -Menschen einer kameradschaftlichen Welt, von mir nicht gewürdigt -werden konnten. -</p> - -<h4 class="chapter" id="ENNO"> -Enno -</h4> - -<p class="first"> -Der lange Herbst war vorüber, nun beherrschte bereits der -schneearme, aber kalte Winter unsere Gegend, die nördliche -Mitte der Halbkugel. Die kleine Sonne wärmte gar nicht -mehr und leuchtete noch weniger als zuvor. Die Natur warf -die hellen Farben ab, erschien fahl und streng. Die Kälte -schlich sich ins Herz, der Zweifel in die Seele ein, und die -Einsamkeit des Sprößlings aus einer anderen Welt wurde -immer qualvoller. -</p> - -<p> -Ich suchte Enno auf, die ich seit langer Zeit nicht gesehen -hatte. Sie empfing mich wie einen ihr nahestehenden lieben -Menschen; mir war, als durchbreche das strahlende Licht -der nahegelegenen Vergangenheit die Winterkälte und die -Nacht der Sorgen. Dann aber bemerkte ich, daß auch sie -blaß und von Kummer erschöpft zu sein schien. In ihrem -Verhalten und ihren Worten lag verborgener Gram. Wir -hatten einander viel zu sagen, und einige Stunden vergingen -für mich angenehm und gut, wie dies seit Nettis Abfahrt -nicht mehr gewesen war. -</p> - -<p> -Als ich mich erhob, um heimzukehren, wurde uns beiden -schwer ums Herz. -</p> - -<p> -<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> -„Wenn Ihre Arbeit Sie nicht hier festhält, so kommen Sie -mit mir“, sagte ich. -</p> - -<p> -Enno ging sofort auf meinen Vorschlag ein. Sie nahm -ihre Arbeit mit. Zu jener Zeit hatte sie nichts im Observatorium -zu tun, trug einen ungeheuren Vorrat von Berechnungen -zusammen, und wir begaben uns in die chemische -Stadt, wo ich Mennis Wohnung allein bewohnte. Allmorgendlich -fuhr ich in meine Fabrik, die sich hundert Kilometer, -also eine halbe Wegstunde, entfernt befand. Die langen -Winterabende verbrachte ich von nun an mit Enno; wir -beschäftigten uns mit wissenschaftlichen Arbeiten, plauderten -oder unternahmen Spaziergänge in die Umgebung. -</p> - -<p> -Enno erzählte mir ihre Geschichte. Sie liebte Menni -und war dessen Frau gewesen. Es verlangte sie sehnlichst -danach, von ihm ein Kind zu haben, aber Jahr um Jahr -verstrich, ohne daß ihr Wunsch in Erfüllung ging. Sie wandte -sich an Netti um Rat. Diese erforschte alle Umstände und -gelangte zu dem kategorischen Ausspruch, daß Enno von Menni -niemals ein Kind haben werde. Menni hatte sich allzu spät -vom Knaben zum Mann entwickelt und allzu früh das anstrengende -Leben eines Gelehrten und Denkers zu führen begonnen. -Die übertriebene Tätigkeit seines Gehirnes und -dessen außerordentliche Entwicklung hatten von allem Anfang -an die lebendigen Elemente der Vermehrung zerstört und erdrückt; -dies war nicht mehr gut zu machen. -</p> - -<p> -Nettis Urteil bedeutete einen furchtbaren Schlag für -Enno, bei der die Liebe zu dem genialen Menschen und der -starke Mutterinstinkt zu einem Streben verschmolzen waren, -das sich nun als hoffnungslos erwies. -</p> - -<p> -Doch war dies noch nicht alles: Nettis Untersuchungen -führten auch zu einem zweiten Ergebnis. Es zeigte sich, daß -für Mennis gigantische geistige Arbeit, für die Entwicklung -seiner genialen Fähigkeiten die größte Enthaltsamkeit vonnöten -sei, daß er sich so wenig wie möglich den Liebkosungen -der Liebe hingeben dürfe. Enno fühlte sich verpflichtet, Nettis -<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> -Rat zu befolgen und konnte sich bald von dessen Richtigkeit -überzeugen. Menni war wie neubelebt, er arbeitete mit größerer -Energie als je zuvor, neue Pläne entstanden mit außergewöhnlicher -Schnelligkeit in seinem Kopfe, er führte sie mit -Erfolg durch und schien offensichtlich nichts zu entbehren. -Enno, der ihre Liebe teuerer war als das Leben, die aber das -Genie des geliebten Menschen noch höher wertete als ihre -Liebe, zog die Folgen dieser Erkenntnis. -</p> - -<p> -Sie trennte sich von Menni. Dieser war im Anfang -äußerst erzürnt, fand sich jedoch bald mit der Tatsache ab. Der -wahre Grund des Bruches war ihm vielleicht unbekannt. -Enno und Netti hielten ihn geheim, doch konnte man freilich -nicht sicher wissen, ob nicht Mennis durchdringender Verstand -die Ursache erraten habe. Für Enno aber war nun das -Leben so unsäglich leer, das Unterdrücken ihrer Gefühle quälte -sie derart, daß die junge Frau schon nach kurzer Zeit beschloß, -Selbstmord zu begehen. -</p> - -<p> -Netti, an die sich Enno gewandt hatte, schob die Tat, die -sie verhindern wollte, unter verschiedenen Vorwänden immer -wieder hinaus und benachrichtigte schließlich Menni. Dieser -organisierte damals gerade die Expedition nach der Erde und -sandte sofort eine Aufforderung an Enno, sie möge sich diesem -bedeutsamen und gefährlichen Unternehmen anschließen. Es -war schwer, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten; Enno -nahm sie an. Eine Unmenge neuer Eindrücke halfen ihr, den -Seelenschmerz zu überwinden, und zur Zeit der Rückkehr auf -den Mars vermochte sie sich bereits so weit zu beherrschen, um -als der heitere, junge Dichter zu erscheinen, den ich auf dem -Aetheroneff kennen gelernt hatte. -</p> - -<p> -An der neuen Expedition hatte Enno nicht teilgenommen, -weil sie fürchtete, sich allzu sehr an Mennis Gegenwart zu -gewöhnen. Aber die Angst um dessen Schicksal folterte sie in -ihrer Einsamkeit, denn sie kannte genau die große Gefahr des -Unternehmens. An den langen Winterabenden kreisten unsere -Gedanken und Worte beständig um den einen Punkt des -<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> -Weltalls: um jenen, wo unter der Glut der gigantischen -Sonne, unter dem sengenden Hauch des Windes, die beiden -uns liebsten Wesen mit fieberhafter Energie ihre titanisch -kühne Arbeit verrichteten. Dieser gemeinsame Gedanke und -die gleichartige Stimmung brachte uns einander sehr nahe. -Enno war mir mehr als eine Schwester. -</p> - -<p> -Schier selbstverständlich, ohne Kampf und ohne Erschütterungen -führte unsere Freundschaft zu einem Liebesverhältnis. -Die unbeirrbar ehrliche und gütige Enno wich dieser Entwicklung -nicht aus, wenngleich sie sie nicht angestrebt hatte. -Sie beschloß nur, von mir kein Kind zu haben ... Der -Schatten einer leisen Trauer verdunkelte ihre Liebkosungen, -– die Liebkosungen einer zärtlichen Freundschaft, die alles -gestattet ... -</p> - -<p> -Der Winter breitete seine kalten weißen Flügel über uns, -– der lange Marswinter, ohne Tau, ohne Winde und -Schneestürme, ruhig, starr wie der Tod. Wir beide fühlten -kein Verlangen, nach dem Süden zu fliegen, wo um diese -Zeit die Sonne glühte und die Natur ihr leuchtendes Gewand -angelegt hatte. Enno sehnte sich nicht nach einer derartigen -Natur, die so schlecht mit ihrer Stimmung harmoniert -hätte, und ich floh fast vor neuen Menschen und neuen -Umgebungen, denn die Gewöhnung an diese würde neue nutzlose -Arbeit gefordert, neue Erschöpfung verursacht haben; ich -näherte mich ohnehin nur gar langsam meinem Ziel. Unserer -Freundschaft eignete etwas seltsam Gespenstisches – Liebe, -die Herrschaft des Winters, Sorgen und angstvolle Erwartung -... -</p> - -<h4 class="chapter" id="BEI_NELLA"> -<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> -Bei Nella -</h4> - -<p class="first"> -Enno war seit ihrer frühesten Jugend mit Netti befreundet -gewesen und wußte mir über sie viel zu erzählen. Während -eines unserer Gespräche wurden Nettis und Sternis Namen -in einer gewissen Verbindung genannt, die mir merkwürdig -erschien. Als ich darauf eine direkte Frage stellte, überlegte -Enno eine Weile, wurde schier verwirrt und erwiderte schließlich: -</p> - -<p> -„Netti war früher Sternis Frau. Wenn sie Ihnen dies -nicht gesagt hat, so steht mir kein Recht zu, darüber zu reden. -Ich beging offensichtlich einen Irrtum und Sie dürfen mich -nicht weiter befragen.“ -</p> - -<p> -Das Vernommene erschütterte mich seltsam ... Eigentlich -war es ja nichts Neues, Unerwartetes ... Ich hatte -niemals angenommen, daß ich Nettis erster Mann sei. Es -wäre Torheit gewesen, zu glauben, daß eine lebensvolle, gesunde -Frau mit schönem Leib und schöner Seele, das Kind -einer freien, hochkultivierten Rasse, bis zu unserer Begegnung -ohne Liebe gelebt habe. Weshalb also meine unbegreifliche -Verblüffung? Ich vermochte keine Erklärung dafür zu finden, -kannte bloß ein Gefühl: ich müsse alles erfahren, alles -genau und klar wissen. Enno zu befragen, ging offensichtlich -nicht an. Ich erinnerte mich an Nella. -</p> - -<p> -Netti hatte vor ihrer Abfahrt zu mir gesprochen: „Vergiß -Nella nicht; suche sie auf in deinen schweren Augenblicken.“ -Ich hatte schon mehr als einmal daran gedacht, zu Nella zu -gehen, war aber zum Teil durch meine Arbeit, zum Teil durch -die unklare Angst vor den Hunderten von neugierigen Kinderaugen -zurückgehalten worden. Jetzt jedoch schwand jegliche -Unentschlossenheit; noch am gleichen Tag begab ich mich nach -dem Haus der Kinder, in die große Maschinenstadt. -</p> - -<p> -Nella ließ sogleich ihre Arbeit liegen, bat eine der Erzieherinnen, -sie zu vertreten und führte mich in ihre Stube, wo uns -die Kinder nicht stören würden. -</p> - -<p> -<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> -Ich beschloß, ihr nicht sofort den Zweck meines Besuches -zu bekennen, umsomehr, als mir dieser Zweck auch selbst nicht -recht vernünftig und ganz richtig erschien. Es war ja vollkommen -natürlich, daß ich das Gespräch auf jenes Wesen -lenkte, das uns beiden das teuerste war, und dann den günstigsten -Augenblick für meine Frage abwartete. Nella erzählte -voller Eifer von Netti, deren Kindheit und Jugend. -</p> - -<p> -Ihre ersten Lebensjahre hatte Netti bei der Mutter verbracht, -wie dies auf dem Mars allgemein üblich war. Als -dann die Zeit kam, da Netti ins Haus der Kinder gebracht -werden mußte, damit sie nicht den erzieherischen Einfluß des -Umgangs mit anderen Kindern entbehre, brachte es Nella -nicht übers Herz, sich schon von ihr zu trennen und lebte mit -ihr zusammen in dieser Anstalt, wo sie dann schließlich als -Erzieherin blieb. Das ergab sich zum Teil aus ihrem Spezialstudium: -sie hatte sich vornehmlich mit Psychologie befaßt. -</p> - -<p> -Netti war ein lebhaftes, energisches, wildes Kind mit großem -Wissens- und Tatendurst. Am meisten interessierte -und zog sie die geheimnisvolle astronomische Welt jenseits des -Planeten an. Die Erde, die zu erreichen damals noch nicht -gelungen war, und deren unbekannte Menschheit waren Nettis -Lieblingstraum, das Hauptthema ihrer Gespräche mit den anderen -Kindern und den Erwachsenen. -</p> - -<p> -Als der Bericht über Mennis erste erfolgreiche Expedition -nach der Erde veröffentlicht wurde, verlor das kleine Mädchen -vor Freude und Entzücken fast den Verstand. Die kleine -Netti kannte Mennis Bericht Wort für Wort auswendig -und quälte die Mutter sowie die Erzieherinnen ewig mit Fragen -über die <a id="corr-14"></a>ihr unverständlichen technischen Ausdrücke, die -in dem Bericht vorkamen. Netti verliebte sich in Menni, -ohne ihn zu kennen, schrieb ihm einen begeisterten Brief, -flehte ihn unter anderem an, er möge sie zu den Erdenkindern -bringen, denen keine Erziehung zu Teil werde, sie übernehme -es, diese auf vortreffliche Art zu erziehen. Sie schmückte ihr -Zimmer mit Erdenbildern und den Porträts der Erdenmenschen -<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> -und stürzte sich auf das Studium der Erdensprachen, -sobald die dazu nötigen Bücher erschienen waren. Sie entrüstete -sich über die Gewalt, mit der Menni und dessen Gefährten -dem ersten Erdenmenschen begegnet waren: sie hatten -ihn gefangen genommen, damit er ihnen beim Erlernen der -Erdensprachen behilflich sei; zur gleichen Zeit jedoch bedauerte -sie heftig, daß Menni und die seinen bei der Rückkehr in die -Heimat den Erdenmenschen freigelassen und nicht nach dem -Mars mitgenommen hatten. Sie faßte den festen Entschluß, -eines Tages nach der Erde zu fliegen, und auf die Scherze -der Mutter, sie würde sich dort sicher mit einem Erdenmenschen -verheiraten, entgegnete sie sinnend: „Das ist sehr möglich.“ -</p> - -<p> -All diese Dinge hatte mir Netti niemals erzählt; in ihren -Gesprächen schien sie vielmehr der Vergangenheit auszuweichen. -Selbstverständlich konnte niemand, nicht einmal sie -selbst, jene Dinge besser berichten, als Nella. Bisweilen vergaß -ich völlig meine Person, sah vor mir das reizende -kleine Mädchen mit den großen funkelnden Augen und der -rätselhaften Sehnsucht nach der fernen, fernen Welt ... -Doch verging diese Stimmung rasch, das Bewußtsein meiner -Umgebung kehrte zurück und damit auch die Erinnerung an -den Zweck unseres Gesprächs; von neuem drang eisige Kälte -in meine Seele. -</p> - -<p> -Als sich das Gespräch den letzten Jahren aus Nettis Leben -zuwandte, beschloß ich, meine Frage zu stellen, mich so ruhig -und ungezwungen wie nur möglich nach Nettis und Sternis -Verhältnis zu erkundigen. Nella dachte einen Augenblick -lang nach. -</p> - -<p> -„Also deshalb suchten Sie mich auf! ... Weshalb sagten -Sie es nicht gerade heraus?“ -</p> - -<p> -Unerbittliche Strenge klang aus ihrer Stimme. Ich -schwieg. -</p> - -<p> -„Selbstverständlich kann ich es Ihnen erzählen“, fuhr sie -fort. „Es ist eine ganz einfache Geschichte. Sterni war -einer von Nettis Lehrern. Er hielt den Jüngeren Vorträge -<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> -über Mathematik und Astronomie. Als er von seiner ersten -Expedition nach der Erde zurückkehrte, – ich glaube, dies -war Mennis zweite Expedition, – hielt er eine Reihe Vorträge -über diesen Planeten und dessen Bewohner. Netti -zählte zu seinen ständigen Hörern. Die Geduld und Aufmerksamkeit, -mit der er ihren ewigen Fragen begegnete, -brachte die beiden einander näher. Schließlich führte all dies -zu ihrer Verbindung. Beide waren grundverschiedene Charaktere. -Das Ergebnis der Verschiedenheit zeigte sich bald -auch in ihrem Privatleben, führte zur Entfremdung und -schließlich zum Bruch. Das ist alles.“ -</p> - -<p> -„Sagen Sie mir, wann kam es zum Bruch?“ -</p> - -<p> -„Zum endgültigen Bruch kam es nach Lettas Tode. Die -innige Freundschaft zwischen Netti und Letta gab dazu den -ersten Anstoß. Netti litt unter Sternis analytisch kaltem -Verstand; er zerstörte allzu systematisch und hartnäckig alle -Luftschlösser, alle Phantasien des Geistes und des Gefühls, die -für sie einen Teil des Lebens bedeuten. Unwillkürlich suchte -sie nach einem Menschen, der sich diesen Dingen gegenüber -anders verhielt. Und dem alten Letta eigneten ein selten teilnahmsvolles -Herz sowie ein schier kindlicher Enthusiasmus. -Netti suchte in ihm jenen Gefährten, dessen sie bedurfte: Letta -hatte mit ihren Phantasien nicht nur Geduld, sondern ließ -sich auch häufig selbst von ihnen fortreißen. Bei ihm konnte -sie von der strengen selbstzerfleischenden Kritik Sternis Erholung -finden. Letta liebte gleich ihr die Erdenträume und -Phantasien, glaubte an die künftige Verbindung der beiden -Welten, die eine herrliche Blüte und eine gewaltige Lebenspoesie -zur Folge haben würde. Als dann Netti erfuhr, daß -ein Mensch, in dessen Seele derartige Gefühle verborgen lagen, -niemals Frauenliebe und Zärtlichkeit kennen gelernt habe, -konnte sie sich damit nicht abfinden. Auf diese Art kam -Nettis zweiter Bund zustande.“ -</p> - -<p> -„Einen Augenblick“, unterbrach ich sie. „Verstehe ich Sie -recht, Sie sagten, Netti sei Lettas Frau gewesen?“ -</p> - -<p> -<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> -„Ja“, erwiderte Nella. -</p> - -<p> -„Sie sagten aber doch, daß der endgültige Bruch mit -Sterni erst nach Lettas Tode erfolgte.“ -</p> - -<p> -„Ja; erscheint Ihnen dies unbegreiflich?“ -</p> - -<p> -„Nein, ich verstehe Sie, wußte bloß nicht darum.“ -</p> - -<p> -In diesem Augenblick wurde unser Gespräch unterbrochen. -Eines der Kinder hatte einen nervösen Anfall erlitten und -einer der Schüler rief Nella. Ich blieb eine Zeitlang allein. -Die Gedanken wirbelten durch meinen Kopf; mir war so -seltsam zumute, daß ich dies in Worten nicht auszudrücken -vermag. Weshalb eigentlich? Es war doch nichts Besonderes -vorgefallen. Netti war ein freier Mensch, hatte als -freier Mensch gehandelt. Letta ist ihr Mann gewesen? Ich -hatte ihn stets verehrt, für ihn warme Zuneigung empfunden, -hätte ihn selbst dann geliebt, wenn er sich nicht für mich geopfert -haben würde. Netti war also gleichzeitig mit zwei Genossen -verheiratet gewesen? Ich hatte immer gefunden, daß -die Monogamie in unserer Welt ausschließlich den wirtschaftlichen -Bedingungen entspringe, die den Menschen bei jedem -Schritt begrenzen und hemmen. Hier existierten diese Bedingungen -nicht, auf dem Mars herrschten andere Verhältnisse, -die dem persönlichen Gefühl und den persönlichen Verbindungen -keine Fesseln anlegten. Woher kam aber meine Erregung -und der unbegreifliche Schmerz, über den ich aufschreien, dann -aber wieder lachen hätte mögen? Konnte ich das, was ich -<em>dachte</em>, nicht auch <em>fühlen</em>? Anscheinend nicht. Und -mein eigenes Verhältnis zu Enno? Wo blieb da meine Logik? -Und was bin ich eigentlich? Welch törichte Stimmung! -</p> - -<p> -Ach ja, und auch dies berührte mich peinlich: weshalb hatte -Netti nicht mit mir darüber gesprochen? Wie viele Geheimnisse, -wie viel Betrug umgeben mich noch? Wie viele harren -meiner in der Zukunft? Aber nein, auch dies stimmt nicht! -Geheimnisse, ja, aber kein Betrug. Ist aber nicht auch schon -das Geheimnis ein Betrug? -</p> - -<p> -<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> -Derartige Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, als sich -die Tür öffnete und Nella zurückkam. Sie las augenscheinlich -von meinen Zügen ab, wie schwer mir ums Herz war, denn -der Ton, mit dem sie sich an mich wandte, war frei von -Strenge und Kälte. -</p> - -<p> -„Es ist natürlich schwer“, meinte sie, „sich an die völlig -fremden Lebensbedingungen und an die Sitten einer anderen -Welt zu gewöhnen, mit der Sie keine Blutsverwandtschaft -verbindet. Sie haben bereits in dieser Beziehung manchen -Sieg errungen, finden Sie sich nun auch in diese Dinge. -Netti glaubt an Sie, und mir scheint, daß sie recht hat. Ist -etwa Ihr Vertrauen zu Netti, Ihr Glaube an sie schwankend -geworden?“ -</p> - -<p> -„Weshalb verbarg sie diese Tatsache vor mir? Wo blieb -da ihr Glaube? Ich begreife sie nicht.“ -</p> - -<p> -„Ich weiß nicht, weshalb sie so handelte. Doch bin ich -davon überzeugt, daß sie hierfür gewichtige und edle Gründe -hatte, es keineswegs aus kleinlichen Motiven tat. Vielleicht -vermag Sie dieser Brief aufzuklären. Sie ließ ihn mir für -den Fall zurück, daß wir ein derartiges Gespräch führen sollten, -wie wir es heute taten.“ -</p> - -<p> -Der Brief war in meiner Muttersprache geschrieben, die -Netti so gut beherrschte. Ich las folgendes: -</p> - -<p> -„Mein Lenni! Ich sprach niemals mit Dir über meine -früheren persönlichen Verhältnisse, doch geschah es keineswegs -deshalb, weil ich Dir irgendetwas aus meinem Leben verheimlichen -wollte. Ich vertraue fest auf Deinen klaren Kopf und -Dein edles Herz; zweifle gar nicht daran, daß Du, wie auch -immer fremd und ungewohnt unsere Sitten für Dich sein -mögen, sie zu verstehen und richtig zu werten vermagst. -</p> - -<p> -Eines jedoch fürchtete ich ... Nach der Krankheit kehrte -Deine Arbeitskraft rasch zurück, jenes seelische Gleichgewicht -hingegen, von dem in jeder Minute die Selbstbeherrschung -in Wort und Tat abhängt, hast Du noch nicht völlig wiedererlangt. -Würdest Du Dich, beeinflußt vom Augenblick und -<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> -von der elementaren Gewalt, die in der Tiefe jeder Menschenseele -verborgen liegt, mir gegenüber wie gegen eine schlechte -Frau verhalten, die sich aus der Vergewaltigung und Sklaverei -der alten Welt befreit hat – Du würdest es Dir selbst -niemals verzeihen. Ja, Teuerster, ich weiß es, Du bist gegen -Dich selbst streng, bisweilen sogar grausam – diesen Zug -brachtest Du aus Eurer harten Schule mit, aus den jahrhundertealten -Kämpfen der Erdenwelt – eine einzige Sekunde -böser, schmerzlicher Entzweiung würde genügen, um in -Deinem Herzen auf unsere Liebe für immer einen dunklen -Schatten zu werfen. -</p> - -<p> -Mein Lenni, ich will und kann Dich beruhigen. Möge in -Deiner Seele ewig schlummern und niemals erwachen jenes -böse Gefühl, das in die Liebe zu einem Menschen die Unruhe -und Sorge um ein lebendiges Eigentum mischt. Ich werde -<em>keine persönlichen</em> Verhältnisse mehr haben. Das -vermag ich Dir leicht und mit Bestimmtheit zu versprechen, -weil im Vergleich zu meiner Liebe für Dich, zu dem leidenschaftlichen -Wunsch, Dir bei Deiner großen lebendigen Aufgabe -zu helfen, alles andere gering und nichtig erscheint. Ich -liebe Dich nicht nur wie eine Gattin, sondern auch wie eine -Mutter, die ihr Kind in ein neues und ihm fremdes Leben -einführt, das voller Gefahren und Mühen ist. Diese Liebe -aber ist stärker und tiefer, als irgendeine andere Liebe zwischen -Mensch und Mensch. Deshalb bedeutet auch mein Versprechen -kein Opfer. -</p> - -<p class="sign"> -Auf Wiedersehen, mein teueres, geliebtes Kind,<br /> -Deine Netti.“ -</p> - -<p class="noindent"> -Als ich den Brief zu Ende gelesen hatte, blickte mich -Nella fragend an. -</p> - -<p> -„Sie hatten Recht“, sprach ich und küßte ihr die Hand. -</p> - -<h4 class="chapter" id="AUF_DER_SUCHE"> -<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> -Auf der Suche -</h4> - -<p class="first"> -Der oben geschilderte Vorfall ließ in meiner Seele das -Gefühl tiefster Demütigung zurück. Noch weit schmerzlicher -als früher empfand ich die Ueberlegenheit meiner Umgebung, -in der Fabrik und überall. Zweifellos übertrieb ich diese -Ueberlegenheit sowie das Gefühl der eigenen Schwäche. Ich -begann in der mich umgebenden Dienstbereitschaft und Fürsorge -eine leichte Färbung halb verächtlicher Herablassung zu -sehen, in der vorsichtigen Zurückhaltung meiner Arbeitsgefährten -eine heimliche Abneigung gegen das niedrigere Wesen. -In einer derartigen Stimmung verlor ich die Fähigkeit genauer -Beobachtung und richtiger Wertung. -</p> - -<p> -In allen anderen Beziehungen blieben meine Gedanken -klar, arbeiteten nun vor allem an dem Problem, das sich auf -Nettis Abreise bezog. Ich fühlte immer stärker die Ueberzeugung, -daß es für Nettis Teilnahme an der Expedition ein -mir noch unbekanntes Motiv gab, eines, das stärker und gewichtiger -war, als jene, die sie mir gegenüber vorgebracht -hatte. Der neue Beweis von Nettis Liebe und von der ungeheueren -Bedeutung, die sie meiner Mission, die zwei Welten -einander nahe zu bringen, beilegte, bestärkte mich in der Annahme, -daß sie sich ohne zwingende Gründe nicht entschlossen -haben würde, mich für lange Zeit auf dem tiefen, durch <a id="corr-17"></a>Sandbänke -und Klippen gefahrvollen Meer des fremden Lebens -allein zu lassen, mußte doch ihr heller und scharfer Verstand -besser als jeder andere begreifen, welche Gefahren mich hier -bedrohten. Es gab <em>etwas</em>, um das ich nicht wußte, doch -war ich fest überzeugt, dieses Etwas stehe in enger Verbindung -mit mir, und es sei nötig, um jeden Preis zu erfahren, -worum es sich handle. -</p> - -<p> -Ich beschloß, systematisch Nachforschungen anzustellen. Es -fielen mir Beobachtungen ein, zu denen mich einige zufällige -und unwillkürliche Andeutungen Nettis veranlaßt hatten: -der beunruhigte Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag und -<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> -mich in Erstaunen versetzte, sobald die Rede auf die Kolonialexpeditionen -kam; ich begann zu ahnen, daß Netti sich zu unserer -Trennung nicht erst damals entschlossen hatte, als sie -mir davon sprach, sondern bereits weit früher, schon in den -ersten Tagen unserer Vereinigung. Demnach mußte der -Grund aus jener Zeit stammen. Wo aber war er zu suchen? -</p> - -<p> -Er konnte eine rein persönliche Angelegenheit Nettis sein, -konnte aber auch mit der besonderen Bedeutung der Expedition -zusammenhängen. Die erste Annahme erschien mir, nachdem -ich Nettis Brief gelesen hatte, unwahrscheinlich. Vor -allem galt es also, die Einzelheiten zu erforschen, mit jenen -zu beginnen, die die Geschichte dieser Expeditionen zu erklären -vermochten. -</p> - -<p> -Es verstand sich von selbst, daß die Expedition auf den Beschluß -der „Kolonialgruppe“ zurückzuführen war. – Diesen -Namen trug die Vereinigung jener Arbeiter, die aktive Teilnehmer -der interplanetarischen Reisen waren, zusammen mit -dem Vorsitzenden des Zentralen statistischen Bureaus und jener -Fabriken, die die Aetheroneffs herstellten, sowie alle für -die Expedition unentbehrlichen Mittel. Ich wußte, daß die -letzte Sitzung der „Kolonialgruppe“ während meiner Krankheit -stattgefunden hatte. Menni und Netti hatten an ihr -teilgenommen. Damals befand ich mich bereits auf dem -Wege der Genesung, langweilte mich ohne Netti und verlangte, -ebenfalls der Sitzung beizuwohnen. Netti jedoch erwiderte, -dies wäre gefährlich für meine Gesundheit. Hing -diese „Gefahr“ vielleicht von etwas ab, das ich nicht wissen -durfte? Ich mußte demnach das Protokoll der Sitzung lesen, -dort alles suchen, was mit dieser Frage in Zusammenhang -stehen konnte. -</p> - -<p> -Doch stieß ich bereits hier auf Schwierigkeiten. In der -Kolonialbibliothek wurde mir nur die auf der Sitzung gefaßte -Resolution vorgelegt. In dieser Resolution wurde bis in alle -Einzelheiten die ganze Organisation des grandiosen Unternehmens -geschildert, doch fand ich nirgends das, was mich im -<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> -Augenblick interessierte. Ich erhielt auf meine Fragen keine -Antwort. Die Resolution wurde ohne jedes Motiv wiedergegeben, -ohne irgendeinen Hinweis auf die Ausführungen, die -ihr vorangegangen waren. Als ich dem Bibliothekar erklärte, -ich wolle das Protokoll, erwiderte er, das Protokoll -werde nicht veröffentlicht, außerdem würden detaillierte Protokolle -überhaupt nicht geführt, wie dies auch bei den technischen -Sitzungen der Fall sei. -</p> - -<p> -Auf den ersten Blick erschien mir dies richtig. Die Marsbewohner -veröffentlichten meist nur die „<em>Beschlüsse</em>“ -dieser Sitzungen, sie nahmen an, daß jede dort geäußerte verständige -und nützliche Ansicht, sowie gegenteilige Meinungen -und Auffassungen besser in Artikeln, Broschüren, Büchern -usw. verfochten werden konnten, als in einer kurzen Rede. -Ueberhaupt behagte es den Marsbewohnern nicht, die „Literatur“ -übermäßig zu vermehren und man suchte bei ihnen -vergeblich etwas, das unserer „Arbeitskommission“ gleichkam; -sie bemühten sich, alles so wenig umfangreich wie möglich zu -gestalten. Im gegebenen Fall jedoch schenkte ich den Worten -des Bibliothekars keinen Glauben. Auf dieser Sitzung hatte -es sich um große und gewichtige Dinge gehandelt, als daß man -sie der öffentlichen Beurteilung hätte entziehen können, wie -das bei den gewöhnlichen technischen Fragen der Fall war. -</p> - -<p> -Ich versuchte selbstverständlich mein Mißtrauen zu verbergen, -um keinerlei Verdacht zu erregen, vertiefte mich ergeben -in das mir gewährte Material und entwickelte unterdessen -den Plan meines weiteren Vorgehens. -</p> - -<p> -Es war offensichtlich, daß ich von den Büchern der Bibliothek -nicht jene erhalten würde, deren ich bedurfte; entweder -gab es über diese Angelegenheit gar kein Protokoll, oder aber -der Bibliothekar war auf meine Fragen vorbereitet gewesen -und versteckte es vor mir. Doch blieb noch die Phonographen-Abteilung -der Bibliothek übrig. -</p> - -<p> -Dort konnten auch jene Protokolle, die nicht zur Veröffentlichung -freigegeben wurden, gefunden werden. Der Phonograph -<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> -ersetzte bei den Marsbewohnern häufig die Stenographie, -und in den Archiven wurden viele phonographische Platten -der verschiedenen wichtigen Versammlungen aufbewahrt. -</p> - -<p> -Ich benützte den Augenblick, da der Bibliothekar in seine -Arbeit vertieft war und verfügte mich unbemerkt in die Phonographen-Abteilung. -Dort erbat ich von dem diensthabenden -Genossen den Katalog der Platten. Er gab ihn mir. -</p> - -<p> -Aus dem Katalog ersah ich gar bald die Nummer der Platte -der mich interessierenden Sitzung und ich begab mich unter -dem Vorwand, daß ich den Genossen nicht belästigen wolle, -selbst auf die Suche. Auch hier errang ich einen Erfolg. -</p> - -<p> -Es gab von dieser Sitzung fünfzehn Phonogramme. An -jeder der Platten war entsprechend dem hier üblichen Brauch -ein Inhaltsverzeichnis befestigt. Ich studierte rasch diese Verzeichnisse. -</p> - -<p> -Die fünf ersten waren den Berichten über die Expedition -gewidmet, stammten noch aus einer früheren Sitzung und beschäftigten -sich mit technischen, den Aetheroneff betreffenden -Fragen. -</p> - -<p> -Die Ueberschrift der vierten Platte lautete: -</p> - -<p> -„Vorschlag des Zentralen statistischen Bureaus für den -Uebergang zur Massenkolonisation. Wahl der Planeten – -Erde oder Venus. Reden und Vorschläge Sternis, Nettis, -Mennis und anderer. Beschluß zu Gunsten der Venus.“ -</p> - -<p> -Ich fühlte, dies sei, was ich suche und steckte die Platte in -den Apparat. Was ich nun vernahm, schnitt mir für ewige -Zeiten in die Seele. Es war Folgendes. -</p> - -<p> -Menni eröffnete die Sitzung als Vorsitzender des Kongresses. -Als erster ergriff der Vorsitzende des Zentralen -statistischen Bureaus das Wort. -</p> - -<p> -Er bewies auf Grund genauer Zahlen, daß bei der gegebenen -Vermehrung der Bevölkerung und der Steigerung ihrer -Bedürfnisse selbst für den Fall, daß die Marsbewohner die -Ausbeutung ihres Planeten einschränkten, in etwa dreißig -Jahren ein Mangel an Lebensmitteln eintreten müsse. Dieser -<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> -Gefahr vermöchte freilich die Entdeckung der Synthese -des Eiweiß aus unorganischen Stoffen zu begegnen, doch -könne niemand dafür bürgen, daß diese Entdeckung in den -nächsten dreißig Jahren gemacht würde. Deshalb sei es unbedingt -nötig, daß die Kolonialgruppe von den rein wissenschaftlichen -Expeditionen nach anderen Planeten zur Organisation -einer Massenauswanderung der Marsbewohner übergehe. -In Frage kämen zwei vom Mars aus erreichbare Planeten, -beide reich an Naturschätzen. Es müsse schleunigst beschlossen -werden, welcher der beiden als Zentrum der Kolonisation -zu wählen sei, damit dann sofort an die Ausarbeitung -des Planes gegangen werden könne. -</p> - -<p> -Menni stellte die Frage, ob jemand gegen den Antrag des -Redners oder gegen dessen Motivierung etwas einzuwenden -habe. Doch verlangte niemand das Wort. -</p> - -<p> -Dann warf Menni die Frage auf, welcher Planet als -erster für die Massenkolonisation gewählt werden solle. -</p> - -<p> -Sterni ergriff das Wort. -</p> - -<h4 class="chapter" id="STERNI"> -Sterni -</h4> - -<p class="first"> -„Die erste, von dem Vorsitzenden des Zentralen statistischen -Bureaus gestellte Frage“, hub Sterni in seinem üblichen, -mathematisch nüchternen Ton an, „bezieht sich auf die Wahl -des zu kolonisierenden Planeten. Meiner Ansicht nach bedarf -es hier gar keiner Entscheidung, denn die Wahl wurde schon -längst von der Wirklichkeit getroffen. Es hat gar keinen -Sinn, zwischen den zwei Planeten wählen zu wollen, denn -von den beiden uns erreichbaren ist für die Massenkolonisation -bloß der eine geeignet: und zwar die Erde. Wir besitzen über -die Venus eine ausführliche Literatur, mit der Sie alle selbstverständlich -gut bekannt sind. Das Ergebnis aller unserer -Versammlungen und Beratungen war stets das gleiche: es ist -uns unmöglich, in diesem Augenblick von der Venus Besitz -<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> -zu ergreifen. Ihre versengende Sonne erschöpft und schwächt -unsere Kolonisten, ihre furchtbaren Stürme und Gewitter -zerstören unsere Bauten, schleudern unsere Aeroplane in den -Raum, zerschmettern sie an den riesenhaften Bergen. Mit -ihren Ungeheuern vermöchten wir, freilich um den Preis nicht -geringer Opfer, fertig zu werden; aber ihre unglaublich reiche -Bakterienwelt, mit der wir noch ungenügend bekannt sind – -wie viele neue Krankheiten vermag diese in sich zu bergen? -Ihre Vulkane befinden sich noch in Tätigkeit; wie viele unerwartete -Erdbeben, Lavaströme, Sturzfluten würden uns dort -bedrohen? Der Versuch, die Venus zu kolonisieren, würde -unzählige und völlig nutzlose Opfer fordern, Opfer, nicht der -Wissenschaft und dem Glück der Allgemeinheit gebracht, sondern -der Unvernunft und Phantasterei. Diese Frage erscheint -mir völlig klar, und der Bericht über die letzte Expedition nach -der Venus zerstört endgültig alle Zweifel. -</p> - -<p> -Wenn es sich also um eine Massenauswanderung handelt, so -kommt dafür nur die Erde in Betracht. Dort sind die durch -die Natur bedingten Hindernisse gering, der Reichtum der -Natur ist grenzenlos, übertrifft den unseres Planeten um das -achtfache. Die Kolonisation selbst ist bereits durch die auf der -Erde lebenden Wesen gut vorbereitet, wenngleich diesen Erdengeschöpfen -eine höhere Kultur mangelt. All dies ist dem Zentralen -statistischen Bureau wohlbekannt. Wenn es uns daher -vorschlägt, die Wahl des Planeten zu treffen und wir es auch -selbst für nötig halten, so besteht dafür ein einziger Grund, -nämlich, daß sich uns auf der Erde ein äußerst ernstes Hindernis -entgegenstellt: ihre Menschheit. -</p> - -<p> -Die Erdenmenschen bewohnen die ganze Erde, werden auf -keinen Fall bereit sein, sie gutwillig, und sei es auch nur einen -Teil, an uns abzutreten. Das hängt mit dem ganzen Charakter -ihrer Kultur zusammen, deren Basis der Besitz und die -organisierte Gewalt sind. Wenngleich selbst die zivilisiertesten -Völker der Erde bloß einen geringen Teil der ihnen erreichbaren -Schätze der Natur ausbeuten, so verlangt es sie dennoch -<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a> -immer nach der Eroberung weiterer Territorien, und diese Gier -schwächt sich niemals ab. Der systematisch betriebene Raub -der Länder und des Besitzes der weniger zivilisierten Völker -trägt bei ihnen die Bezeichnung Kolonialpolitik und wird als -eine der Hauptaufgaben des staatlichen Lebens betrachtet. Man -kann sich demnach vorstellen, wie sich die Erdenmenschen unserem -ganz natürlichen und vernünftigen Vorschlag gegenüber -verhalten würden: uns einen Teil ihres Gebietes abzutreten, -wofür wir sie lehren und ihnen behilflich sein würden, -den ihnen gebliebenen Teil in unvergleichlich höherem Maße -auszunützen ... Für sie ist die Kolonisation eine Frage der -rohen Kraft und der Vergewaltigung und wir wären, ob -wir nun wollen oder nicht, gezwungen, ihnen gegenüber ebenfalls -diesen Standpunkt einzunehmen. -</p> - -<p> -Handelte es sich hier ausschließlich darum, ihnen ein einziges -Mal unsere größere Kraft zu beweisen, so wäre dies sehr einfach -und würde nicht mehr Opfer kosten, als die bei ihnen so -beliebten unsinnigen, nutzlosen Kriege. Es existiert bei ihnen -eine gewaltige Herde für den Mord dressierter Leute, die mit -dem Wort Armee bezeichnet wird. Freilich vermöchten wir -vom Aetheroneff aus vermittels der verderblichen, durch die -beschleunigte Spaltung des Radiums erzeugten Lichtfluten -in wenigen Augenblicken ein oder zwei dieser Herden zu vernichten, -und dies wäre für die Zivilisation der Erde weit -mehr nützlich als schädlich. Leider jedoch ist das, was nachher -käme, lange nicht so einfach, die wahren Schwierigkeiten -würden erst mit diesem Augenblick beginnen. -</p> - -<p> -In dem jahrhundertealten Kampf der Erdenvölker gegen -einander entwickelte sich bei ihnen eine psychologische Eigenheit, -die Patriotismus heißt. Dieses unbestimmbare, aber -starke und tiefe Gefühl enthält ebensowohl boshaftes Mißtrauen -gegen alle Völker und Rassen, als auch eine schier -elementare Anhänglichkeit für die Sitten und Gebräuche der -eigenen Umgebung. Besonders ist dies in jenen Ländern der -Fall, wo die Erdenvölker gleich Schildkröten mit ihrer Umgebung -<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> -verwachsen sind; oft aber ist dieser Patriotismus -nichts anderes, als die Gier nach Zerstörung, Vergewaltigung -und Raub. Die patriotische Einstellung wird besonders -stark nach kriegerischen Niederlagen; nehmen die Sieger den -Besiegten einen Teil ihres Landes fort, dann nimmt der -Patriotismus dieser Besiegten den Charakter eines hartnäckigen -und grausamen Hasses gegen die Sieger an, und die -Rache wird zum Lebensideal des ganzen Volkes, nicht nur -der schlechteren Elemente, der „oberen“, der reaktionären -Klassen, sondern auch der besten, der Arbeitermassen. -</p> - -<p> -Wenn wir uns nun eines Teiles der Erdoberfläche durch -Gewalt bemächtigten, so würde dies zweifellos zu einer Vereinigung -aller Erdenmenschen in einem einzigen Gefühl des -Erdenpatriotismus führen, zu einem unbarmherzigen Rassenhaß, -zu wilder Wut gegen unsere Kolonisten; die Ausrottung -der Eindringlinge, gleichviel mit welchen Mitteln, bis zum -gemeinsten Verrat, würde als heilige und edle Sache gelten, -die unsterblichen Ruhm verleiht. Unseren Kolonisten würde -das Leben unerträglich gemacht werden. Sie wissen, daß die -Vernichtung des Lebens selbst bei einer niederen Kulturstufe -etwas äußerst einfaches ist. Im offenen Kampf sind wir unvergleichlich -stärker als die Erdenmenschen, dennoch vermöchten -sie durch unerwartete Ueberfälle uns ebenso zu töten, -wie sie dies untereinander zu tun pflegen. Außerdem darf nicht -außer acht gelassen werden, daß bei ihnen die Kunst der Zerstörung -weit stärker entwickelt ist, als irgendetwas anderes in -ihrer Kultur. -</p> - -<p> -Unter diesen Umständen wäre das Leben auf der Erde geradezu -unmöglich; es würde auf ihrer Seite Verschwörungen -und Terror, auf der unserer Genossen beständige Gefahr und -unzählige Opfer bedeuten. Diese müßten sich zu zehn oder -vielleicht sogar hundert Millionen ansiedeln. Bei dem auf -der Erde herrschenden gesellschaftlichen System, das keine -gegenseitige Hilfe kennt, bei den dort herrschenden sozialen -Verhältnissen, Dienste und Hilfe mit Geld zu entlohnen, bei -<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> -der unzulänglichen und verschwenderischen Art der Produktion, -die sich nicht rasch genug auf die gewaltige Vermehrung -der Bewohner einzustellen vermöchte, würden Millionen der -von uns Vertriebenen größtenteils zu einem schmerzlichen -Hungertod verdammt sein. Die Minderheit des kolonisierten -Teiles würde gegen uns bei der übrigen Erdenmenschheit eine -grausam fanatische Agitation betreiben. -</p> - -<p> -Wir müßten also den Kampf fortsetzen. Unser ganzer -Erdenteil müßte sich in ein uneinnehmbares, festes Kriegslager -verwandeln. Die Angst vor künftigen Eroberungen -unsererseits, sowie der starke Rassenhaß würden alle Erdenvölker -dazu vereinigen, sich auf einen Krieg gegen uns vorzubereiten. -Sind schon heute ihre Waffen weit vollkommener -als ihre Arbeitswerkzeuge, so würde in diesem Fall die -technische Vervollkommnung der Mordinstrumente mit rasender -Schnelligkeit vor sich gehen. Zu gleicher Zeit würden sie absichtlich -eine Ursache für den Beginn des gewaltigen Krieges -herbeiführen und erzwingen, eines Krieges, der für uns, selbst -im Falle eines Sieges, ungeheure Verluste bedeutete. Es -ist nicht ausgeschlossen, daß ihnen auch die Aneignung und -Verwertung unserer besten Mittel gelingen könnte. Sie -kennen bereits die radiumausstrahlenden Stoffe; die Methode -der beschleunigten Spaltung vermöchten sie vielleicht irgendwie -durch uns erfahren, oder aber ihre Gelehrten könnten -diese selbst entdecken. Es ist Ihnen allen bekannt, daß bei -Anwendung dieser Waffen jener, der auch nur um wenige -Minuten früher angreift als der Feind, diesen unweigerlich -vernichtet; in diesem Fall erfolgt das Zerstören des höchsten -Lebens ebenso leicht, wie durch ein Elementarereignis. -</p> - -<p> -Welch ein Leben müßten unsere Genossen führen, umgeben -von diesen Gefahren, gefoltert von der ewigen Erwartung -ähnlicher Ueberfälle? Nicht nur alle Lebensfreude würde -ihnen vergällt, nein, sogar ihr Typus würde sich verändern, -verschlechtern. Allmählich schlichen sich in sie Argwohn, -Mißtrauen ein, der egoistische Trieb der Selbsterhaltung und -<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> -die von ihm unzertrennliche Grausamkeit. Die Kolonie würde -aufhören, <em>unsere</em> Kolonie zu sein, würde sich in eine kriegerische -Republik inmitten der geschlagenen, von Feindseligkeit -erfüllten Völker verwandeln. Die sich wiederholenden blutige -Opfer fordernden Ueberfälle würden immer mehr das -Gefühl der Rache und der Feindschaft vergrößern, das uns -teure Bild des Menschen entstellen und unsere Leute wären, -objektiv gesprochen, aus Notwehr gezwungen, die grausamsten -Mittel anzuwenden. Schließlich, nach langem Schwanken -und einer qualvollen Kräftevergeudung, müßten wir unvermeidlich -zu jener Lösung der Frage gelangen, die wir bereits -von allem Anfang an hätten anerkennen müssen: <em>die Kolonisierung -der Erde fordert die völlige -Ausrottung der Erdenmenschen</em>.“ -</p> - -<p> -(Unter den hundert Zuhörern entstand ein Gemurmel des -Entsetzens, aus dem sich Nettis mißbilligender Protest laut -abhob. Als die Ruhe wieder hergestellt war, fuhr Sterni -gelassen fort:) -</p> - -<p> -„Das Unvermeidliche muß <em>begriffen</em>, und, wie hart -auch immer es erscheint, es muß ihm ins Auge gesehen werden. -Es gibt für uns zwei Möglichkeiten: entweder eine -Stagnation in der Entwicklung unseres Lebens oder die Vernichtung -des uns fremden Lebens auf der Erde. Ein drittes -gibt es nicht. (Nettis Stimme durchklang den Raum: „Das -ist nicht wahr!“) Ich weiß, woran Netti denkt, wenn sie -gegen meine Worte protestiert und gehe auch schon zu der -dritten Möglichkeit über, die sie im Auge hat. -</p> - -<p> -Diese aber ist – der sofortige Versuch einer sozialistischen -Erziehung der Erdenmenschheit, ein Plan, den wir alle noch -unlängst befürwortet haben, der aber, meiner Ansicht nach, -unbedingt aufgegeben werden muß. Wir kennen die Erdenmenschheit -nun schon zur Genüge, um einzusehen, daß diese -Idee völlig sinnlos sei. -</p> - -<p> -Die Kulturstufe der führenden Erdenvölker ist etwa die -gleiche, wie die unserer Vorfahren zur Zeit der großen Kanalbauten -<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> -gewesen ist. Auf der Erde herrscht das Kapital, und -es gibt ein Proletariat, das für den Sozialismus kämpft. -Deshalb könnte man glauben, daß der Augenblick jener Umwälzung -nicht mehr ferne sei, die die organisierte Gewalt vernichtet -und die Möglichkeit einer freien und raschen Entwicklung -des Lebens gibt. Doch besitzt der Erdenkapitalismus -eine wichtige Eigenheit, die die Sache völlig verändert. -</p> - -<p> -Einerseits ist die ganze Erdenwelt in politische und nationale -Teile gespalten, so daß der Kampf um den Sozialismus -nicht als einheitlicher vollkommener Prozeß einer Riesengesellschaft -vor sich geht, sondern eine ganze Reihe selbständiger, -eigenartiger Prozesse darstellt, geführt in den verschiedenen -Staaten der Gesellschaft, die durch ihre staatliche Organisation, -durch die Sprache und die Rasse getrennt sind. -Andrerseits ist auf der Erde die Form des Klassenkampfes -weit gröber und mechanischer, als dies bei uns der Fall gewesen -ist, und die gleichsam materielle Kraft, verkörpert durch -das stehende Heer und die bewaffneten Aufstände, spielt dabei -eine große Rolle. -</p> - -<p> -Aus allen diesen Umständen ergibt sich, daß die Frage der -sozialen Revolution eine unbestimmbare ist: voraussichtlich -wird es nicht eine, sondern verschiedene soziale Revolutionen -geben, in den verschiedenen Ländern und zu verschiedenen -Zeiten. Ja, diese Revolutionen werden sogar einen verschiedenen -Charakter haben, sowie einen unsicheren, nicht festzustellenden -Ausgang. Die herrschenden Klassen verfügen über -die Armee und eine hochentwickelte Kriegstechnik und vermögen -daher in gewissen Fällen dem aufständischen Proletariat -eine vernichtende Niederlage beizubringen, die in den -großen Reichen den Kampf für den Sozialismus auf zehn -Jahre zurückwirft. Derartige Fälle finden wir bereits in -den Schriften der Erde erwähnt. Außerdem wird die Lage -jener Länder, in denen der Sozialismus triumphiert hat, die -einer Insel sein, umgeben von ihr feindlichen kapitalistischen -Staaten, zum Teil sogar von Staaten, die noch nicht die -<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> -Phase des Kapitalismus erreicht haben. Um ihre Herrschaft -bangend, werden die besitzenden Klassen der nicht sozialistischen -Länder alle Anstrengungen machen, um diese Insel zu -zerstören, sie werden unaufhörlich kriegerische Ueberfälle gegen -sie organisieren und sogar bei den sozialistischen Nationen genügend -Verbündete finden, die, den früheren besitzenden -Klassen angehörend, zu jedem Verrat bereit sind. Das Ergebnis -dieser Kämpfe ist schwer vorauszusagen. Aber selbst -dort, wo sich der Sozialismus kräftigt und wo er siegreich -vordringt, wird sein Charakter auf viele Jahre hinaus getrübt -werden, durch Terror, Kampf, sowie durch einen unvermeidlichen -barbarischen Patriotismus. Dieser Sozialismus -steht dem unseren äußerst fern. -</p> - -<p> -Unsere Pflicht wäre demnach, falls wir an dem ersten Plan -festhalten, ausschließlich für den beschleunigten Sieg des -Sozialismus zu wirken. Welche Mittel stehen uns hierfür -zur Verfügung? Wir vermögen den Erdenmenschen unsere -Technik zu geben, unsere Wissenschaft, unser Wissen um die -Beherrschung der Natur, sowie unsere Kultur, die mit den -wirtschaftlichen und politischen Formen der Erde im schroffsten -Widerspruch steht. Wir können auch das sozialistische -Proletariat bei seinem revolutionären Umsturz unterstützen -und ihm helfen, den Widerstand der übrigen Klassen zu -brechen. Ueber andere Mittel verfügen wir nicht. Werden -aber diese beiden zum Ziel führen? Wir wissen heute bereits -genug von der Erde, um diese Frage mit einem endgültigen -Nein beantworten zu können. -</p> - -<p> -Was würden die Erdenmenschen mit unserem technischen -Wissen und unseren Methoden anfangen? -</p> - -<p> -Vor allem würden sich deren die <em>besitzenden</em> Klassen -aller Länder bemächtigen. Dies wäre unvermeidlich, weil -sich ja in ihren Händen alle Produktionsmittel befinden und -weil ihnen neunzig- bis hunderttausend Gelehrte und Ingenieure -zu Diensten stehen; das aber bedeutete, daß ihnen -alle <em>Möglichkeiten</em> der neuen Industrie gehörten. Sie -<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> -jedoch würden diese nur insofern ausnützen, als es für sie vorteilhaft -wäre und ihre Macht über die Massen stärkt. Noch -eines: jene gewaltigen neuen Zerstörungsmittel, die ihnen -auf diese Art in die Hände fielen, würden sie zur Erdrosselung -des sozialistischen Proletariats verwenden. Sie würden es -verfolgen, würden eine Provokation in grandiosem Maßstab -organisieren, um das Proletariat so rasch wie möglich zum -offenen Kampf zu zwingen und in diesem Ringen dessen beste -und klügste Kräfte zu morden, falls es diesem nicht gelänge, -seinerseits bessere Kampfmethoden zu finden. Derart -würde unsere Einmischung in die Angelegenheiten der Erde -bloß der Reaktion von oben einen Antrieb geben und ihr zu -gleicher Zeit Waffen von ungeheurer Gewalt in die Hände -spielen. Das aber würde zumindest auf zehn Jahre den -Fortschritt des Sozialismus hemmen. -</p> - -<p> -Und was würden wir erreichen, wenn wir das sozialistische -Proletariat gegen seine Feinde unterstützten? -</p> - -<p> -Angenommen, und dies ist keineswegs gewiß, daß es sich -mit uns verbündet. Die ersten Siege würden leicht errungen -werden. Aber dann? Die unvermeidliche Entwicklung des -Patriotismus bei den anderen Klassen würde sich gegen uns -und gegen die Sozialisten der Erde wenden ... Das Proletariat -aber stellt noch in den meisten Ländern der Erde die -Minderheit dar, die Mehrheit hingegen besteht aus den in -ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Kleinbürgern, aus -dunklen, unwissenden Menschen. Diese gegen das Proletariat -zu verhetzen, wird den Großkapitalisten und deren -Söldlingen, den Beamten und Lehrern, nur allzu leicht -fallen. Umsomehr, als diese Massen, die dem Wesen -nach konservativ, häufig sogar reaktionär sind, eine krankhafte -Angst vor dem raschen Fortschritt empfinden. Das Proletariat -sieht sich also auf allen Seiten von erbosten, erbarmungslosen -Feinden umgeben, die größere Entwicklung des -Proletariats verstärkt nur noch diese Feindseligkeit, es befindet -sich in der gleichen furchtbaren Lage, in der sich unsere -<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> -Kolonisten zwischen den Völkern der Erde befinden würden. -Es wird zu zahllosen verräterischen Ueberfällen kommen, die -Stellung des Proletariats in der Gesellschaft wird um so -schwieriger sein, als es die Erneuerung der Gesellschaft durchführen -muß. Und auch in diesem Falle wird unsere Einmischung -die soziale Umwälzung verzögern, statt sie zu beschleunigen. -</p> - -<p> -Die Zeit der Umwälzung ist demnach nicht zu bestimmen, -und es hängt nicht von uns ab, sie früher herbeizuführen. -Jedenfalls können wir nicht so lange warten. Im Verlauf -von dreißig Jahren zeigt sich bei uns eine Vermehrung der -Einwohner um fünfzehn bis zwanzig Millionen, die sich in -jedem folgenden Jahr auf zwanzig bis fünfundzwanzig -Millionen steigern wird. Es gilt daher, <em>schon früher</em> -die Kolonisation zu organisieren, denn sonst werden uns die -Kräfte und Mittel hierzu mangeln und wir werden unser -Unternehmen nicht im richtigen Maßstab durchführen können. -</p> - -<p> -Uebrigens ist es auch äußerst ungewiß, ob wir uns mit den -sozialistischen Staaten der Erde, falls sich solche unerwartet -bilden sollten, zu verständigen vermögen. Wie bereits gesagt: -ihr Sozialismus ist noch lange nicht <em>unser Sozialismus</em>. -</p> - -<p> -Die Jahrhunderte nationaler Unterdrückung, verstärkt durch -die für uns unbegreiflich rohen und blutigen Kriege, können -nicht spurlos vorübergehen, – sie werden ihre psychologischen -Spuren bei den Erdbewohnern auf lange Zeit hinterlassen. -Und wir wissen gar nicht, wie viel Barbarei und Wildheit -die Erdensozialisten mit sich in die neue Gesellschaft hinübernehmen -werden. -</p> - -<p> -Wir haben vor Augen ein Beispiel, das uns klar ersichtlich -beweist, wie fern selbst die Psychologie des besten Vertreters -der Erdenmenschheit der unseren steht. Von unserer letzten -Expedition brachten wir einen Erdensozialisten mit, einen -Mann, der sich in seiner Umgebung durch Geisteskraft und -körperliche Gesundheit auszeichnete. Und was ereignete sich? -<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> -Unser ganzes Leben erschien ihm dermaßen fremd, stand so -sehr im Widerspruch zu seinem Organismus, daß er in -kürzester Zeit von einer schweren psychischen Krankheit befallen -wurde. -</p> - -<p> -Dies ereignete sich bei einem der Besten, den Menni selbst -ausgewählt hatte; was können wir da von den übrigen erwarten? -</p> - -<p> -Derart geraten wir in ein Dilemma: entweder wir müssen -auf unserem Planeten die Vermehrung beschränken, was mit -einer Schwächung unserer ganzen Lebensentwicklung gleichbedeutend -wäre, oder aber wir müssen die Erde kolonisieren, -was die Ausrottung der ganzen Erdenmenschheit bedingt. -</p> - -<p> -Ich rede von der Ausrottung der ganzen Erdenmenschheit, -weil wir auch bei deren sozialistischen Avantgarde keine Ausnahmen -gelten lassen dürfen. Wir verfügen ja auch nicht -über die technische Möglichkeit, diese Avantgarde aus der -übrigen Masse auszuscheiden, deren unbedeutenden Teil sie -darstellt. Aber selbst wenn es uns gelänge, die Sozialisten -zu schonen, so würden diese gegen uns einen unerbittlich grausamen -Krieg beginnen, sich selbst zur völligen Vernichtung aufopfern, -weil sie sich niemals mit dem Töten von hundert -Millionen Menschen abfinden könnten, die ihnen gleichen, und -die mit ihnen durch viele, häufig äußerst enge lebendige -Bande verknüpft waren. Beim Zusammenprall der beiden -Welten gibt es kein Kompromiß. -</p> - -<p> -Wir müssen die Wahl treffen. Und ich sage: wir haben -bloß eine Wahl. -</p> - -<p> -Das höhere Leben darf nicht dem niedern geopfert werden. -Unter den Erdenmenschen gibt es kaum etliche Millionen, die -bewußte Stufen zu dem wahrhaft menschlichen Leben sind. -Um dieser Zellenwesen willen dürfen wir nicht auf die Geburt -von zehn, ja vielleicht von hundert Millionen Wesen unserer -Welt verzichten, Wesen, die in unvergleichlich höherem -Sinn des Wortes Menschen sind. Unser Vorgehen wird -keineswegs grausam sein, denn wir vermögen die Ausrottung -<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> -der Erdenmenschen auf eine weit weniger schmerzliche Art zu -bewerkstelligen, als sie dies untereinander zu tun gewohnt -sind. -</p> - -<p> -Das Weltenleben ist einheitlich. Es bedeutet daher keinen -Verlust, wenn sich auf der Erde anstelle des noch fernen, halb -barbarischen Sozialismus schon heute <em>unser</em> Sozialismus -verwirklicht, das unvergleichlich harmonischere Leben mit seiner -ununterbrochenen, unbesieglichen Entwicklung.“ -</p> - -<p> -(Sternis Rede folgte tiefe Stille. Schließlich wurde sie -von Menni durchbrochen, der Anhänger einer anderen Ansicht -aufforderte, sich zu äußern. Netti ergriff das Wort.) -</p> - -<h4 class="chapter" id="NETTI151"> -Netti -</h4> - -<p class="first"> -„Das Weltenleben ist einheitlich, sprach Sterni. Und was -schlug er uns vor? -</p> - -<p> -Einen einzigartigen Typus dieses Lebens auf ewig zu vernichten, -auszurotten, einen Typus, den wir niemals wiederbeleben, -noch ersetzen können. -</p> - -<p> -Hundert Millionen Jahre lebte der schöne Planet, lebte -sein besonderes eigenes Leben, war anders als die übrigen ... -Aus den mächtigen Elementen ging das Bewußtsein hervor, -erhob sich im grausamen und harten Kampf von den niedersten -Stufen zu den höchsten, bis zu der uns nahen, verwandten -<em>menschlichen Form</em>. Diese Form ist nicht <em>die -gleiche</em> wie die unsere, wurde beeinflußt von der Geschichte -einer anderen Natur, eines anderen Kampfes; sie birgt in -sich andere Gewalten, andere Widersprüche, andere Entwicklungsmöglichkeiten. -Nun brach die Epoche an, da sich die -Möglichkeit einer Vereinigung der beiden großen Lebenslinien -ergibt. Welche Mannigfaltigkeit, welche erhabene Harmonie -könnte sich aus dieser Vereinigung entfalten! Und nun wird -uns gesagt: das Weltenleben ist einheitlich, deshalb sollen wir -es nicht vereinigen – sondern zerstören. -</p> - -<p> -<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> -Als Sterni bewies, wie sehr sich die Erdenmenschen, deren -Geschichte und Sitten, sowie deren Psychologie von der unseren -unterscheiden, widerlegte er selbst seine Ideen weit mehr, -als ich dies zu tun vermag. Glichen die Erdenmenschen uns -in allem, ausgenommen in ihrer Entwicklungsstufe, wären sie -das, was unsere Vorfahren zur Zeit unseres Kapitalismus -gewesen sind, dann könnte ich Sterni zustimmen: die niederen -Stufen müssen den höheren, die Schwachen den Starken geopfert -werden. Aber die Erdenmenschen sind etwas anderes; -sie sind nicht nur von niedrigerer Kultur und schwächer als -wir, sie sind auch anders als wir. Wollten wir sie beseitigen, -so würden wir sie nicht in der Entwicklung der Welt ersetzen, -sondern bloß auf mechanische Art jene Leere ausfüllen, die wir -in der herrschenden Form des Lebens verursacht hätten. -</p> - -<p> -Der grundlegende Unterschied zwischen den Erdenmenschen -und uns liegt nicht in der grausamen und barbarischen Kultur -der Erde. Barbarei und Grausamkeit sind nur vorübergehende -Erscheinungen jener allgemeinen <em>Verschwendung</em> -im Entwicklungsprozeß, durch die sich das ganze Erdenleben -kennzeichnet. Dort erscheint der Kampf ums Dasein -energischer und mühevoller, das Ringen mit der Natur nimmt -vielartigere Formen an und die Entwicklung fordert weit mehr -Opfer. Und dies kann auch gar nicht anders sein; denn die -Erde erhält vom Quell alles Lebens, der Sonne, achtmal -mehr Lichtenergien als unser Planet. Deshalb entwickeln und -verbreiten sich dort so viele Leben, eine so große Verschiedenheit -der Formen, aus denen sich gewaltige Widersprüche ergeben, -so viele schmerzliche Hemmungen, deren Schlichtung -gar oft scheitert. Im Pflanzen- und Tierreich herrschte erbitterter -Kampf, das Leben und der Tod dieser Arten aber ergaben -neue, vollendetere und harmonischere, synthetischere -Typen. Dies ist auch im Reich der Menschen der Fall. -</p> - -<p> -Wenn wir unsere Geschichte mit jener der Erdenmenschen -vergleichen, so erscheint erstere erstaunlich einfach, frei von -Irrtümern, und fast schematisch richtig. Der ruhige, friedliche -<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> -Uebergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, das -Verschwinden der Kleinbürger, das stufenweise sich entwickelnde -Proletariat, all dies geschah ohne Schwanken und -Zusammenstöße auf dem ganzen Planeten, der zu einer politischen -Einheit verbunden war. Freilich wurde gekämpft, -doch verstand ein Mensch den anderen, das Proletariat blickte -nicht allzuweit voraus, die Bourgeoisie war in ihrer Reaktion -nicht utopisch, die verschiedenen Epochen und gesellschaftlichen -Formen vermischten sich nicht derart stark wie auf der Erde, -wo in einem hoch kapitalistischen Land bisweilen das Einsetzen -einer feudalen Reaktion möglich ist, und wo eine zahlreiche -Bauernschaft, die sich kulturell in einer ganz anderen historischen -Periode befindet, häufig den oberen Klassen als Werkzeug -zur Abwürgung des Proletariats dient. Wir gingen -einen ebenen, glatten Weg, erreichten vor einigen Generationen -jenen Aufbau, der alle Kräfte der sozialistischen Entwicklung -entbindet und vereinigt. -</p> - -<p> -Unsere Erdenbrüder hingegen mußten einen anderen Weg -gehen, einen dornenvollen Weg voller Krümmungen und -Klüfte. Wenigen von uns ist bekannt, und keiner von uns -vermag sich klar vorzustellen, bis zu welcher Stufe die Kunst -des Menschenschindens selbst bei den kultiviertesten Völkern -der Erde gediehen war, keiner von uns kennt genau die politisch -organisierte Herrschaft der oberen Klassen, ausgedrückt in -Kirche und Staat. Und was ist das Ergebnis? Eine Verlangsamung -der Entwicklung? Nein, wir haben keinen -Grund, dies zu behaupten, denn von den ersten Stadien des -Kapitalismus entwickelte sich im Wirrsal und in den grausamen -Kämpfen der verschiedensten Arten das proletarische -Bewußtsein nicht langsamer, sondern schneller als bei uns, – -wo die Wandlung stufenweise und ruhiger vor sich ging. Die -Härte und Erbarmungslosigkeit des Kampfes aber erzeugte -in den Kämpfern eine derartige Fülle an Energie und Leidenschaft, -einen solchen Heldenmut und eine so gewaltige Leidenskraft, -wie sie der aussichtsreichere und weit weniger tragische -<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> -Kampf unserer Vorfahren gar nicht kennt. Bei diesem Typus -des Erdenlebens sind die Menschen nicht niedriger, sondern -höher als wir, wenngleich wir, deren Kultur älter ist, auf -einer viel höheren Stufe stehen. -</p> - -<p> -Die Erdenmenschen sind gespalten, die verschiedenen Rassen -und Nationen eng verwachsen mit ihren Ländern und historischen -Traditionen, sie reden verschiedene Sprachen, und ein -gegenseitiges tiefgreifendes Nichtverstehen kennzeichnet alle -ihre Verhältnisse ... All das trifft zu und es ist auch -wahr, daß die allgemeinmenschliche Vereinigung, die sich mit -großer Anstrengung einen Weg über alle Grenzen bahnt, bei -unseren Erdenbrüdern weit später verwirklicht werden wird, -als dies bei uns der Fall war. Betrachten Sie aber die Ursache -und werten Sie deren Folgen. Die Spaltung wurde -verursacht durch die Größe der Erdenwelt, den Reichtum und -die Mannigfaltigkeit ihrer Natur. Das führte zu den verschiedensten -Auffassungen über das Weltall. Ist aber all dies -etwa der Beweis, daß die Erdenmenschheit niederer und nicht -höher steht als unsere Welt in den analogen Epochen der Geschichte? -</p> - -<p> -Schon die rein mechanische Verschiedenheit der Sprachen, -in denen die Menschen reden, unterstützte die Entwicklung des -Denkens, befreite den Begriff von der plumpen Herrschaft -des Wortes. Vergleichen Sie die Philosophie der Erdenmenschen -mit jener unserer kapitalistischen Ahnen. Die Philosophie -der Erde ist nicht nur weit vielseitiger, sondern auch -weit feiner, sie geht nicht nur von einem bei weitem komplizierteren -Material aus, sondern ihre Analyse ist, in den -besten Schulen, eine viel tiefgründigere, die weit richtiger die -Verbindung der Tatsachen und Begriffe darstellt. Selbstverständlich -ist jede Philosophie der Ausdruck der Schwäche -und der fehlerhaften Erkenntnis, hervorgerufen durch mangelhafte -wissenschaftliche Entwicklung; der Versuch, ein einheitliches -Bild des Seins zu geben, ist ein unbeschriebenes Blatt -der wissenschaftlichen Erfahrung, deshalb wird auch von -<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> -der Erde die Philosophie verschwinden, wie dies bei uns mit -dem wissenschaftlichen Monismus geschah. Betrachten Sie -aber, wie viele philosophische Voraussetzungen, gegeben von -den ersten Denkern und Kämpfern bereits in groben Umrissen -die Entdeckungen unserer Wissenschaft voraussehen – so zum -Beispiel fast alle sozialwissenschaftlichen Philosophien. Es -ist klar, daß eine Rasse, die unsere Ahnen in der Schaffung -einer Philosophie übertraf, auch imstande sein wird, diese -in der Schaffung einer Wissenschaft zu übertreffen. -</p> - -<p> -Und Sterni will diese Menschen aus der Liste der Gerechten -streichen mitsamt den bewußten Sozialisten, die sich -unter ihnen befinden; er will sie nach ihren niedersten Widersprüchen -beurteilen, nicht aber nach jenen Kräften, die zur gegebenen -Zeit diese Widersprüche ausgleichen werden. Er will -auf ewig diesen stürmischen, aber schönen Ozean des Lebens -austrocknen. -</p> - -<p> -Fest und entschlossen müssen wir ihm die Antwort geben: -<em>niemals</em>! -</p> - -<p> -Wir müssen unseren künftigen Bund mit der Erdenmenschheit -vorbereiten. Freilich können wir den Uebergang zu einer -freien Welt nur wenig beschleunigen, aber auch das Wenige, -was wir zu leisten vermögen, sind wir zu tun verpflichtet. Und -wenn es uns nicht gelang, den ersten Abgesandten der Erde -vor unnötigen Leiden und Krankheiten zu bewahren, – so -gereicht dies keineswegs zu unserer Ehre. Zum Glück wird -er bald hergestellt sein, und selbst wenn ihn der allzu rasche -Uebergang in ein ihm fremdes Leben tötete, so hat er immerhin -viel für den künftigen Bund der beiden Welten geleistet. -</p> - -<p> -Unsere eigenen Schwierigkeiten und Gefahren müssen wir -auf eine andere Art besiegen. Neue wissenschaftliche Kräfte -müssen sich mit der chemischen Herstellung der Eiweißstoffe -befassen und wir müssen, soweit dies möglich ist, die Kolonisation -der Venus vorbereiten. Gelingt es uns nicht, diese -Aufgabe in kürzester Zeit zu erfüllen, so müssen wir vorübergehend -die Vermehrung einschränken. Welcher vernünftige -<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> -Geburtshelfer opferte nicht das Leben des ungeborenen Kindes, -um die Frau zu retten? Auch wir müssen, wenn dies unvermeidlich -wird, einen Teil jenes Lebens opfern, das noch nicht -ist, um das, wenn auch fremde Leben zu retten, das schon -besteht und sich entwickelt. Die Verbindung der Welten wird -dieses Opfer reichlich lohnen. -</p> - -<p> -Die Einheitlichkeit des Lebens ist das höchste Ziel, und -Liebe ist die höchste Weisheit!“ -</p> - -<p> -(Tiefes Schweigen. Dann ergriff Menni das Wort.) -</p> - -<h4 class="chapter" id="MENNI"> -Menni -</h4> - -<p class="first"> -„Ich beobachtete aufmerksam die Stimmung der Genossen -und sehe nun, daß die Mehrheit auf seiten Nettis ist. Das -freut mich sehr, denn auch meine Ansicht deckt sich ungefähr -mit der ihren. Ich möchte nur noch eine praktische Erläuterung -hinzufügen, die mir äußerst wichtig erscheint. Es besteht -für den Fall, daß wir uns zu einer Massenkolonisation -auf einem anderen Planeten entschließen, die ernste Gefahr, -daß unsere technischen Mittel in kürzester Zeit nicht mehr ausreichen -werden. -</p> - -<p> -Wir vermögen zehntausend große Aetheroneffs herzustellen, -und es kann geschehen, daß es uns an den zur Fortbewegung -nötigen Stoffen mangelt. Jene radiumausstrahlende Materie, -vermittels derer sich die Aetheroneffs für gewöhnlich bewegen, -müßte um das Hundertfache vermehrt werden. Inzwischen -aber versiegen die alten Lager, und neue werden -immer seltener entdeckt. -</p> - -<p> -Sie müssen auch wissen, daß wir der radiumausstrahlenden -Materie nicht nur dazu bedürfen, um dem Aetheroneff seine -ungeheure Geschwindigkeit zu verleihen. Sie wissen ja, daß -unsere ganze technische Chemie auf diesen Stoffen beruht. -Wir bedürfen ihrer auch zur Erzeugung der Minus-Materie, -ohne die sich unsere Aetheroneffs und unsere zahllosen -<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> -Luftschiffe in nutzlose schwerfällige Kisten verwandeln -würden. Diesem unentbehrlichen Gebrauch dürfen wir die -Materie nicht entziehen. -</p> - -<p> -Noch ärger ist, daß die einzige Möglichkeit, die Kolonisation -zu ersetzen, die Synthese des Eiweiß, aus dem gleichen -Mangel an radiumausstrahlenden Stoffen zur Unmöglichkeit -wird. Eine technisch leichte und entsprechende fabrikmäßige -Herstellung der ungeheuer komplizierten Synthese des Eiweiß -ist undenkbar bei der alten Methode der Synthese, einer -äußerst komplizierten Methode. Sie wissen, daß es uns bereits -vor etlichen Jahren gelang, auf diesem Wege ein vorzügliches -Eiweiß herzustellen, aber nur in geringer Quantität -und bei einem großen Verlust an Energie und Zeit, so daß -die ganze Arbeit ausschließlich eine theoretische Bedeutung -besaß. Die Massenproduktion des Eiweiß aus unorganischen -Stoffen ist nur möglich vermittels der raschen und scharfen -Umwandlung des chemischen Bestandes, der bei uns von einem -nicht stabilen Element zu einer stabilen Materie wird. Die -erfolgreiche Durchführung dieses Prozesses erfordert von zehntausend -Arbeitern eine Spezialforschung über die Gewinnung -des Eiweiß, sowie Millionen von neuen Experimenten. Demnach -würde selbst im Fall eines Erfolges eine ungeheure Vergeudung -der Kollektivaktivität unvermeidlich sein, eine Vergeudung, -der wir nicht gewachsen sind. -</p> - -<p> -Von diesem Gesichtspunkt aus gilt es, schleunigst die einzige -für uns wichtige Frage zu beantworten: vermögen wir -neue Quellen der radiumausstrahlenden Stoffe zu entdecken? -Und wo sollen wir diese suchen? Offensichtlich auf einem anderen -Planeten, das heißt: entweder auf der Erde oder auf -der Venus. Meiner Ansicht nach muß der erste Versuch unbedingt -auf der Venus gemacht werden. -</p> - -<p> -Was die Erde anbelangt, so können wir annehmen, daß -sich auf ihr reichliche Vorräte an radioaktiven Elementen befinden. -Bei der Venus hingegen ist diese <em>Tatsache bereits -festgestellt</em>. Wo sich auf der Erde diese Quellen -<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> -befinden, ist uns unbekannt, denn jene, die von den Erdengelehrten -gefunden wurden, taugen nichts. Auf der Venus -aber entdeckte unsere Expedition sofort die bewußten Quellen. -Außerdem befinden sich diese ganz nahe der Erdoberfläche, -sind leicht erreichbar, so daß wir ihr Bestehen vermittels der -Photographie feststellen konnten, während sich jene der Erde, -gleich den unseren, tief unter dem Erdboden befinden. Wollten -wir auf der Erde das Radium suchen, so müßten wir bis -in die Tiefen dringen, wie das auch auf unserem Planeten -der Fall ist. Dies aber bedeutete einen Verlust von vielleicht -zehn Jahren, und es bestünde auch noch die Gefahr, daß wir -uns in der Wahl des Ortes geirrt haben. Auf der Venus -hingegen gilt es bloß, die bereits gefundenen Lager auszubeuten, -und dies kann ohne jegliche Verzögerung geschehen. -</p> - -<p> -Deshalb halte ich es für unbedingt notwendig, unabhängig -davon, wie wir die Frage der Massenkolonisation lösen, sofort -an eine teilweise, vielleicht auch nur vorübergehende -Kolonisation der Venus zu schreiten, zu dem ausschließlichen -Zweck, die dort befindliche radioaktive Materie zu gewinnen. -</p> - -<p> -Die uns von der Natur entgegengestellten Hindernisse sind -freilich ungeheuer groß, doch brauchen wir sie ja augenblicklich -nicht völlig zu überwinden. Es gilt nur, von einem kleinen -Teil des Planeten Besitz zu ergreifen. Wir müssen demnach -eine große Expedition ausrüsten, die nicht, wie die erste, Monate -auf der Venus verbringt, sondern Jahre, und deren -Zweck es ist, das Radium zu gewinnen. Selbstverständlich -muß zur gleichen Zeit ein energischer Kampf wider die Natur -geführt werden, das Klima, wider die uns noch unbekannten -Krankheiten, sowie gegen andere Gefahren. Es wird viele -Opfer geben, vielleicht wird auch nur ein geringer Teil der -Expedition heimkehren. Der Versuch jedoch muß gemacht -werden. -</p> - -<p> -Als erstes Feld unserer Tätigkeit kommt die „Insel des -glühenden Sturmes“ in Betracht. Ich habe deren Natur genau -studiert und einen detaillierten Plan unserer Tätigkeit -<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> -ausgearbeitet. Wenn Sie, Genossen, jetzt bereit sind, diesen -zu beurteilen, so werde ich ihn sofort vorlegen.“ -</p> - -<p> -(Niemand erhob Einwände, und Menni ging an die Erläuterung -seines Planes, der sich mit allen technischen Einzelheiten -befaßte. Nach Beendigung seiner Rede traten noch -andere Redner auf, doch nahmen sie alle Mennis Vorschlag -an, besprachen nur die Details. Etliche zweifelten an dem -Erfolg der Expedition, alle aber waren damit einverstanden, -daß sie unternommen werde. Schließlich wurde die von Menni -vorgeschlagene Resolution angenommen.) -</p> - -<h4 class="chapter" id="DER_MORD"> -Der Mord -</h4> - -<p class="first"> -Die gewaltige Bestürzung, die mich übermannt hatte, verhinderte -selbst den Versuch, meine Gedanken zu sammeln. Ich -fühlte bloß, daß ein kalter Schmerz wie mit eisernen Fingern -mein Herz zusammenpresse. Vor meinem Bewußtsein erhoben -sich mit halluzinierender Lebendigkeit Sternis riesenhafte Gestalt, -sein unerbittlich gelassenes Gesicht. Alles übrige versank -in schwerem, nächtlichem Chaos. -</p> - -<p> -Wie ein Automat verließ ich die Bibliothek und bestieg -mein Luftschiff. Der durch den raschen Flug erzeugte kalte -Wind hüllte mich wie ein Mantel ein und erweckte in mir auf -irgendeine Art einen neuen Gedanken, einen Gedanken, der -gleichsam in meinem Bewußtsein erstarrte und in mir die Gewißheit -hervorrief: eines müsse geschehen. Heimgekehrt, ging -ich daran, den Gedanken zu verwirklichen; all dies geschah -schier mechanisch, als handelte nicht ich, sondern ein anderer. -</p> - -<p> -Ich schrieb dem Leiter des Fabrikrates, daß ich auf einige -Zeit meine Arbeit aufgebe. Enno sagte ich, wir müßten uns -vorläufig trennen. Sie blickte mich beunruhigt, forschend an, -erblaßte, sprach jedoch kein Wort. Bloß im Augenblick des -Abschieds fragte sie, ob ich nicht Nella sehen möchte. Ich verneinte -und küßte Enno zum letzten Mal. -</p> - -<p> -<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> -Dann versank ich in ein dumpfes, tödliches Grübeln. Kalter -Gram ließ mich erschaudern, zerriß meine Gedanken. Von -Nettis und Mennis Reden war mir bloß eine blasse, gleichgültige -Erinnerung geblieben, als wären sie etwas Unwichtiges, -Uninteressantes. Nur ein einziges Mal durchzuckte -mein Gehirn die Erkenntnis: also deshalb verließ mich Netti, -von dieser Expedition hängt <em>alles</em> ab. Hingegen hatte ich -Sternis Worte und sogar ganze Sätze seiner Rede getreu im -Gedächtnis behalten: „Das Unvermeidliche muß <em>begriffen</em> -werden ... einige Millionen Zellenwesen ... die -völlige Ausrottung der Erdenmenschheit ... er wurde von -einer schweren psychischen Krankheit befallen ...“ Doch -vermochte ich weder Zusammenhänge, noch einen Ausweg zu -finden. Bisweilen erschien mir die Ausrottung der Erdenmenschheit -als eine bereits vollzogene Tatsache, aber auf unklare, -abstrakte Art. Mein Schmerz wurde größer, und in -mir erwachte der Gedanke, daß an dieser Ausrottung ich die -Schuld trage. Dann wieder sah ich ein, daß ja noch nichts -geschehen war, vielleicht niemals etwas derartiges geschehen -würde. Aber selbst das vermochte nicht meinen Kummer zu -lindern. Ich konstatierte bei mir: „Alle werden sterben ... -auch Anna Nikolajewna ... und der Arbeiter Vania ... -und Netti, nein, Netti bleibt am Leben, sie ist ein Marsmensch -... sonst aber werden alle sterben ... doch ist dies -nicht grausam, denn sie werden nicht leiden ... so sagte -Sterni ... alle werden sterben, weil ich erkrankte ... das -bedeutet, daß ich daran die Schuld trage ...“ Zerrissene -schwere Gedanken erstarrten in meinem Bewußtsein, kalt, -reglos. Und zugleich mit ihnen schien die Zeit stehen zu -bleiben. -</p> - -<p> -Auf mir wuchtete eine schwere, qualvolle, nicht abzuschüttelnde -Last. Die Gespenster befanden sich nicht außerhalb -meiner selbst; in meiner Seele hockte ein einziges, schwarzes -Gespenst, und dieses Gespenst bedeutete für mich <em>alles</em>. Ich -sah kein Ende der Qual, war doch die Zeit stehen geblieben. -</p> - -<p> -<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> -Der Gedanke an Selbstmord suchte mich heim, drang aber -nicht völlig in mein Bewußtsein. Der Selbstmord erschien -mir nutzlos und öde, – konnte er denn meinen schwarzen -Gram heilen? Ich vermochte nicht an den Selbstmord zu -glauben, weil ich den Glauben an mein Sein verloren hatte. -Qual, Kälte und Haß existierten, aber mein „Ich“ verlor sich -in ihnen, wie etwas Richtiges, unsäglich Kleines. Es gab -kein „Ich“. -</p> - -<p> -Es kamen Augenblicke, da meine Stimmung so unerträglich -war, daß in mir der wilde Wunsch erwachte, mich auf meine -ganze Umgebung zu stürzen, auf Lebendiges und Totes, alles -zu zerschlagen, zu zerreißen, zu vernichten, damit davon auch -nicht die geringste Spur zurückbleibe. Doch besaß ich noch -genügend Verstand, um zu wissen, daß dies sinnlos und kindisch -wäre; ich biß die Zähne zusammen und beherrschte mich. -</p> - -<p> -Ohne Unterlaß umkreisten meine Gedanken Sterni; sein -Bild haftete starr in meinem Bewußtsein, war der Mittelpunkt -aller Qualen und Leiden. Allmählich, äußerst langsam, -kristallisierte sich um diesen Mittelpunkt ein Entschluß heraus, -der immer klarer und fester ward: „Ich muß Sterni sehen“. -Weshalb, aus welchem Grund ich ihn sehen wollte, vermochte -ich nicht zu sagen. Ich wußte bloß, daß ich es tun müsse. -Zugleich aber fiel es mir qualvoll schwer, die auf mir lastende -Starre und Unbeweglichkeit zu durchbrechen, um meinen Entschluß -auszuführen. -</p> - -<p> -Ich begab mich in den großen Observatoriumssaal und -sprach dort zu einem der Arbeiter: „Ich muß Sterni sehen.“ -Der Genosse ging, um Sterni zu rufen, kehrte nach wenigen -Augenblicken zurück und erklärte, Sterni sei eben mit der -Prüfung eines Instrumentes beschäftigt, er werde in einer -Viertelstunde frei sein, und ich möge so lange in seinem Arbeitszimmer -warten. -</p> - -<p> -Der Genosse führte mich ins Arbeitszimmer. Ich setzte -mich in einen Lehnstuhl vor den Schreibtisch und wartete. Der -Raum war voll der verschiedensten Apparate und Maschinen, -<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> -von denen ich einige kannte, während mir die anderen fremd -waren. Meinem Lehnstuhl gegenüber ragte ein Instrument -mit einem schweren Metallstativ auf, an dessen Ende sich drei -Messer befanden. Auf dem Tisch lag ein offenes Buch über -die Erde und deren Bewohner. Ich begann mechanisch darin -zu lesen, hielt aber schon nach den ersten Zeilen inne und versank -in ein dem früheren ähnliches Grübeln. In meinem -Inneren fühlte ich, zusammen mit der alten Qual, eine unbezwingliche, -fast krampfartige Erregung. So verging die Zeit. -</p> - -<p> -Auf dem Korridor wurden schwere Schritte vernehmbar, -die Tür öffnete sich, und Sterni betrat das Zimmer; auf seinen -Zügen lag der gewöhnliche, gelassen beschäftigte Ausdruck. -Er setzte sich in den Lehnstuhl auf der anderen Seite des -Schreibtisches und blickte mich fragend an. Ich schwieg. Er -wartete noch einen Augenblick, wandte sich dann an mich mit -der Frage: „Womit kann ich Ihnen dienen?“ -</p> - -<p> -Ich verharrte noch immer stumm, starrte ihn an, als wäre -er ein lebloser Gegenstand. Er zuckte kaum merklich die -Achseln und lehnte sich abwartend im Lehnstuhl zurück. -</p> - -<p> -„Nettis Mann ...“ sprach ich schließlich halbbewußt, -mit Anstrengung, mehr zu mir selbst, als zu ihm. -</p> - -<p> -„Ich war Nettis Mann“, verbesserte er mich gelassen. -„Wir haben uns bereits vor langer Zeit getrennt.“ -</p> - -<p> -„Die Ausrottung ... wird nicht ... grausam ...“ -stammelte ich, langsam fast unbewußt jenen Gedanken Ausdruck -verleihend, die mein Gehirn durchwirbelten. -</p> - -<p> -„Also darum handelt es sich“, meinte er ruhig. „Jetzt ist -doch davon nicht mehr die Rede. Es wurde, wie Sie ja wissen, -ein völlig anderer Beschluß gefaßt.“ -</p> - -<p> -„Ein anderer Beschluß ...“, wiederholte ich mechanisch. -</p> - -<p> -„Was meinen damaligen Plan anbelangt“, fuhr Sterni -fort, „so muß ich zugeben, daß ich ihn noch nicht gänzlich aufgegeben -habe. Doch bin ich von seiner Richtigkeit nicht mehr -so fest überzeugt.“ -</p> - -<p> -„Nicht mehr so fest ...“ wiederholte ich abermals. -</p> - -<p> -<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> -„Ihre Genesung und Ihre Teilnahme an unserer Gemeinschaftsarbeit -haben zum Teil meine Argumente widerlegt ...“ -</p> - -<p> -„Ausrottung ... zum Teil ...“ murmelte ich, und das -ganze von mir empfundene Leid und Weh mochten wohl aus -meiner unbewußten Ironie klingen. Sterni erblaßte, schaute -mich bekümmert an. Dann trat Schweigen ein. -</p> - -<p> -Jählings preßte die kalte Hand des Schmerzes mit übermächtiger, -ungeahnter Kraft mein Herz zusammen. Ich warf -mich in den Lehnstuhl zurück, um den in mir aufsteigenden -wahnsinnigen Schrei zu unterdrücken. Meine Finger umklammerten -krampfhaft etwas Hartes, Kaltes. Ich fühlte -in der Hand eine schwere Waffe. Mein Kummer verwandelte -sich in sinnlose Verzweiflung. Ich schnellte vom Lehnstuhl empor -und führte gegen Sterni einen gewaltigen Schlag. -</p> - -<p> -Eines der drei Messer fiel auf ihn nieder; ohne einen -Laut stürzte er zur Seite wie ein lebloser Körper. -</p> - -<p> -Ich rannte auf den Korridor hinaus und sprach zum ersten -mir begegnenden Genossen: „Ich habe Sterni getötet.“ Der -Genosse erbleichte und eilte ins Arbeitszimmer, doch mußte er -sich wohl auf den ersten Blick überzeugt haben, daß es hier -keine Rettung mehr gebe, denn er kehrte sofort zu mir zurück. -Er führte mich in seine Stube, beauftragte einen anderen -Genossen, telephonisch einen Arzt zu berufen und sich dann zu -Sterni zu begeben. Wir blieben allein zurück. Anscheinend -konnte er sich nicht entschließen, mit mir zu sprechen. Ich -selbst brach das Schweigen, indem ich ihn fragte: -</p> - -<p> -„Ist Enno hier?“ -</p> - -<p> -„Nein“, entgegnete er, „sie fuhr für einige Tage zu Nella.“ -</p> - -<p> -Wir schwiegen abermals, bis sich der Arzt einfand. Er -versuchte mich über das Vorgefallene zu befragen, doch erwiderte -ich, ich wolle nichts sagen. Dann brachte er mich in die -nahegelegene Heilanstalt für Geisteskranke. -</p> - -<p> -Hier stellte man mir ein großes behagliches Zimmer zur -Verfügung, und ich wurde lange Zeit nicht belästigt. Etwas -Besseres konnte ich mir gar nicht wünschen. -</p> - -<p> -<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> -Für mich erschien jetzt die Lage völlig geklärt. Ich hatte -Sterni getötet und dadurch alles vereitelt. Die Marsbewohner -sahen nun an einem lebendigen Beispiel, was sie von einer -Annäherung an die Erdenmenschen erwarten durften. Sie -sahen, daß sogar jener, den sie für befähigt gehalten hatten, ihr -Leben zu teilen, ihnen nichts anderes zu bringen vermocht -hatte, als Gewalt und Tod. Sterni war tot, aber seine Idee -feierte ihre Auferstehung. Die letzte Hoffnung entschwand, -die Erdenwelt war verdammt. Und an all dem trug ich die -Schuld. -</p> - -<p> -Nach dem Mord kreisten diese Gedanken in meinem Gehirn, -beherrschten es zusammen mit der Erinnerung an meine Tat. -Anfangs eignete der kalten Gewißheit eine Art Beruhigung. -Dann aber steigerten sich Qual und Schmerz ins Grenzenlose. -</p> - -<p> -Ich empfand gegen mich selbst die heftigste Abneigung. -Fühlte mich als Verräter an der ganzen Menschheit. Einen -Augenblick lang empfand ich die unklare leise Hoffnung, die -Marsbewohner würden mich töten, doch erkannte ich dann, ich -müsse sie allzu sehr ekeln, und daß ihre Verachtung für mich -sie daran hindern würde. Freilich verbargen sie ihre Abneigung -gegen mich, dennoch bemerkte ich sie trotz all ihrer Bemühungen -genau. -</p> - -<p> -Ich weiß nicht, wie viel Zeit auf diese Art verstrich. Endlich -betrat der Arzt das Zimmer und teilte mir mit, ich solle -mich auf die Rückkehr nach der Erde vorbereiten. Ich glaubte, -dies bedeute ein verschleiertes Todesurteil, doch empfand ich -keinen Wunsch, mich dagegen zu wehren. Bat nur, mein -Leichnam möge von allen Planeten so weit wie möglich geworfen -werden, damit ich diese nicht verunreinige. -</p> - -<p> -Die Eindrücke der Rückreise sind äußerst unklar und verschwommen. -In meiner Umgebung sah ich keine bekannten -Gesichter, sprach auch mit niemandem. Mein Bewußtsein -war zwar nicht getrübt, doch bemerkte ich nichts von meiner -Umgebung. Mir war alles einerlei. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h3 class="part" id="VIERTER_TEIL"> -<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> -Vierter Teil -</h3> - -</div> - -<h4 class="chapter" id="BEI_WERNER"> -Bei Werner -</h4> - -<p class="first"> -Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich mich plötzlich im Krankenhaus -des Doktor Werner, meines alten Genossen, befand. -Es war das Kreiskrankenhaus eines der nördlichen Gouvernements, -das mir schon lange aus Werners Briefen bekannt -war. Das Gebäude befand sich einige Werst von der Gouvernementsstadt -entfernt, war äußerst schlecht geleitet, stets -überfüllt, hatte zum wirtschaftlichen Verwalter einen großen -Betrüger und verfügte über ein zahlenmäßig geringes, stark -überarbeitetes Personal. Doktor Werner sah sich gezwungen, -zusammen mit der äußerst liberalen Kreisverwaltung einen erbitterten -Kampf gegen den wirtschaftlichen Verwalter zu führen, -gegen die von diesem äußerst schlecht geleiteten Baracken, -gegen den Bau der Kirche, den der Verwalter um jeden Preis -beendigen wollte, sowie um die angemessene Entlohnung der -Angestellten usw. Die Kranken starben aus Schwäche statt -zu gesunden, wurden infolge der schlechten Luft und ungenügenden -Nahrung von der Tuberkulose befallen. Werner selbst -hätte natürlich schon längst das Krankenhaus verlassen, würden -ihn nicht ganz besondere, mit seiner revolutionären Vergangenheit -zusammenhängende Umstände dort festgehalten -haben. -</p> - -<p> -Mich ließen alle diese Reize des Krankenhauses kalt. Werner -war ein ausgezeichneter Genosse und zögerte nicht, mir -seine Bequemlichkeit zu opfern. Er überließ mir in der großen -Wohnung, auf die er als erster Arzt ein Anrecht besaß, -zwei Stuben; in der anstoßenden dritten wohnte ein junger -Feldscher, in der vierten, die dem Schein nach der Krankenpflege -diente, verbarg sich ein verfolgter Genosse. Freilich -<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> -umgab mich keine besondere Behaglichkeit, und die Aufsicht, -der ich unterworfen war, dünkte mich trotz dem großen Taktgefühl -des jungen Genossen weit stärker ausgeprägt und fühlbarer, -als auf dem Mars. Doch war mir all dies völlig gleichgültig. -Doktor Werner verabreichte mir ebenso wie die Aerzte -auf dem Mars fast keine Medizin, gab mir nur bisweilen ein -Schlafmittel ein und sorgte vor allem dafür, daß ich Ruhe -habe und mich wohl fühle. Allmorgendlich und allabendlich -suchte er mich nach dem Bad auf, das mir der fürsorgliche -Genosse zu bereiten pflegte. Doch dauerte sein Besuch stets -nur wenige Minuten, und er beschränkte sich auf die Frage, -ob ich nichts brauche. In den langen Monaten meiner Krankheit -hatte ich mir das Sprechen fast abgewöhnt und begnügte -mich damit, nein zu sagen, oder aber überhaupt keine Antwort -zu geben. Seine Fürsorge jedoch störte mich, denn ich fühlte, -daß ich eine derartige Behandlung gar nicht verdiene und daß -ich ihm dies eigentlich mitteilen müßte. Schließlich gelang -es mir auch mit Anstrengung aller Kräfte, ihm zu bekennen, -daß ich ein Mörder und Verräter sei und daß durch meine -Schuld die ganze Menschheit zugrunde gehen müsse. Er -widersprach nicht, lächelte bloß und kam von da an häufiger. -</p> - -<p> -Allmählich übte die Umgebung auf mich eine heilsame Wirkung -aus. Der Schmerz krampfte mir weit weniger stark -das Herz zusammen, die Qual verblaßte, die Gedanken wurden -beweglicher, ihre Färbung wurde heller. Ich <em>begann -das Zimmer zu verlassen</em>, im Garten und im Hain -zu spazieren. Irgendeiner der Genossen hielt sich immer in -meiner Nähe auf; das war peinlich, doch begriff ich sehr wohl, -daß man einen Mörder nicht frei umhergehen lassen könne. -Bisweilen sprach ich auch mit den Genossen, freilich nur über -gleichgültige Dinge. -</p> - -<p> -Es war zu Beginn des Frühlings, und die Wiedergeburt -des Lebens ringsum schwächte ein wenig das Qualvolle meiner -Erinnerungen ab; das Zwitschern der Vögel rief in mir -eine gewisse traurige Beruhigung wach, erweckte den Gedanken, -<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> -daß wenigstens sie nicht vergehen würden, sondern weiter -leben, und daß nur die Menschen verloren seien. Einmal -begegnete mir im Hain ein Schwachsinniger, der sich unter -Aufsicht aufs Feld zur Arbeit begab. Er empfahl sich von -mir mit außerordentlich stolzer Gebärde – er litt an Größenwahn, -erklärte, er sei ein Gendarm, anscheinend die höchste -Macht, die er während seines Lebens in der Freiheit gekannt -hatte. Zum ersten Mal in meiner ganzen Krankheit mußte -ich unwillkürlich lachen. Ich fühlte, daß mich das Vaterland -umgebe, und gleich dem Riesen Antheus schöpfte ich, wenngleich -äußerst langsam, neue Kraft aus der Heimaterde. -</p> - -<h4 class="chapter" id="WAR_ES__WAR_ES_NICHT"> -War es – war es nicht? -</h4> - -<p class="first"> -Als sich die Gedanken mehr meiner Umgebung zuwandten, -verlangte es mich zu wissen, ob Werner und den beiden anderen -Genossen bekannt sei, was sich mit mir ereignet und was -ich getan hatte. Ich fragte Werner, wer mich ins Krankenhaus -gebracht habe? Er erwiderte, ich sei mit zwei ihm unbekannten -jungen Leuten gekommen, die nichts Genaues über -meine Krankheit zu berichten wußten. Sie erklärten, mir in -der Hauptstadt begegnet zu sein. Sie bemerkten, daß ich -krank sei, hatten mich bereits vor der Revolution gekannt und -damals durch mich von Doktor Werner gehört. Deshalb -wandten sie sich nun an ihn. Sie reisten noch am gleichen -Tag ab. Bei Werner hatten sie den Eindruck anständiger -junger Menschen erweckt, an deren Worten nicht zu zweifeln -war. Er selbst hatte mich bereits seit etlichen Jahren aus -dem Auge verloren und es war ihm nicht gelungen, über mich -Nachricht zu erhalten. -</p> - -<p> -Ich wollte Werner über den von mir begangenen Mord -berichten, doch fiel mir dies furchtbar schwer. War doch die -ganze Geschichte unsäglich kompliziert, mit unzähligen Umständen -verknüpft, die sie einem leidenschaftslos beurteilenden -<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a> -Menschen äußerst seltsam erscheinen lassen mußte. Ich erklärte -Werner die Schwierigkeit und erhielt von ihm die -unerwartete Antwort: -</p> - -<p> -„Das beste wäre es, Sie würden mir jetzt überhaupt nichts -erzählen. Derartiges ist Ihrer Genesung nicht förderlich. -Ich will natürlich nicht mit Ihnen streiten, doch vermag ich -an Ihre ganze Geschichte nicht zu glauben. Sie sind an Melancholie -erkrankt, und diese Krankheit veranlaßt die ehrbarsten -anständigsten Menschen, sich allerlei nie begangener Verbrechen -zu zeihen. Das Gedächtnis unterstützt die Phantasie -und erzeugt trügerische, unwahre Erinnerungen. Sie werden -mir dies erst dann glauben, wenn Sie wieder hergestellt sind, -deshalb ist es auch besser, die Erzählung bis zu jenem Zeitpunkt -hinauszuschieben.“ -</p> - -<p> -Hätte dieses Gespräch einige Monate früher stattgefunden, -so hätte ich zweifellos aus Werners Worten ein großes Mißtrauen -und die Verachtung meiner Person herausgelesen. -Jetzt jedoch, da meine Seele bereits nach Rast und Erholung -suchte, faßte ich die ganze Sache anders auf. Es war mir angenehm, -daß mein Verbrechen den Genossen nicht bekannt sei -und daß die Tatsache angezweifelt werden könne. Ich begann -von nun an immer seltener an meine Tat zu denken. -</p> - -<p> -Meine Genesung machte rasche Fortschritte, nur bisweilen -übermannte mich wieder die frühere Qual, doch dauerten diese -Anfälle niemals lange. Werner war offensichtlich mit mir -zufrieden, ich wurde auch nicht mehr so scharf beobachtet. Seiner -Ansicht über meine „Phantasien“ gedenkend, bat ich ihn, -mir einen typischen Fall meiner Krankheit zum Lesen zu geben, -den er im Krankenhaus beobachtet und niedergeschrieben hatte. -Zögernd und ungern erfüllte er meine Bitte. Er wählte aus -den verschiedensten Krankheitsgeschichten eine und gab sie mir. -</p> - -<p> -In dieser Krankheitsgeschichte wurde der Fall eines Bauern -erzählt, den die Not aus einem entlegenen Dörfchen in -eine der größten Fabriken der Hauptstadt trieb. Das Leben -der großen Stadt erschütterte offensichtlich sein seelisches -<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> -Gleichgewicht; den Worten seiner Frau zufolge war er lange -Zeit „völlig außer sich“. Dann verging dies, er lebte und -arbeitete wie alle übrigen. Als in der Fabrik ein Streik ausbrach, -stand er auf Seiten der Genossen. Der Streik war -lange und hartnäckig, der Bauer mußte mit Frau und Kindern -Hunger leiden. Plötzlich begann er sich zu grämen, machte -sich Vorwürfe, weil er geheiratet und ein Kind gezeugt habe -und überhaupt „gottlos“ lebe. -</p> - -<p> -Dann begann er irre zu reden, wurde zuerst ins städtische -Spital und von dort in das Krankenhaus seines Heimatkreises -gebracht. Er behauptete steif und fest, daß er den Streik -gebrochen und die Genossen verkauft habe, sowie jenen „guten -Ingenieur“, der im Geheimen den Streik unterstützte, und -der von der Regierung aufgehängt wurde. Zufällig kannte -ich genau die ganze Geschichte des Streiks – ich arbeitete -damals in der Hauptstadt – wußte genau, daß bei diesem -Streik kein Verrat vorgekommen, der „gute Ingenieur“ nicht -bloß nicht gehängt, sondern nicht einmal verhaftet worden war. -Die Krankheit des Arbeiters endete mit seiner Genesung. -</p> - -<p> -Diese Geschichte verlieh meinen Gedanken eine neue Färbung. -In mir wurde der Zweifel wach, ob ich tatsächlich den -Mord begangen, oder aber ob, wie Werner sagte, „die Phantasie -der Melancholie“ mein Gedächtnis beeinflußt habe. Zu -jener Zeit waren meine Erinnerungen an das Leben auf dem -Mars seltsam verworren und verblaßt, zusammenhanglos und -unvollständig, und wenngleich das Bild des Verbrechens klar -in meinem Gedächtnis haftete, so verlor es sich doch in den -einfachen und scharfen Eindrücken der Gegenwart. Bisweilen -schüttelte ich den kleinlichen, beruhigenden Zweifel ab, erkannte -klar, daß alles <em>tatsächlich</em> so gewesen und daß es unmöglich -sei, dies abzuleugnen. Dann aber kehrten Zweifel und -Sophismen zurück, halfen mir, meine Gedanken von der Vergangenheit -abzuwenden. Die Menschen glauben so gerne das, -was ihnen angenehm ist ... Und wenngleich in der Tiefe -meiner Seele die Erkenntnis lebte, daß diese Auffassung eine -<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a> -Lüge sei, so überließ ich mich ihr dennoch freudig, wie man sich -einem Glückstraum überläßt. -</p> - -<p> -Heute glaube ich, daß meine Genesung ohne diese betrügerische -Autosuggestion nicht so rasch und so völlig erfolgt wäre. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DAS_LEBEN_DER_HEIMAT"> -Das Leben der Heimat -</h4> - -<p class="first"> -Werner hielt von mir sorgsam jeden Eindruck fern, der für -meine Gesundheit irgendwie „schädlich“ hätte sein können. Er -gestattete mir nicht, mit ihm ins Krankenhaus zu gehen, und -von den dort beherbergten Geisteskranken durfte ich nur die -unheilbar Schwachsinnigen und Degenerierten beobachten, die -frei umhergingen und sich mit verschiedenen Arbeiten auf dem -Feld, in Hain und Garten beschäftigten. Ich muß gestehen, -daß mich diese Fälle nicht sonderlich interessierten, habe ich doch -mein Lebtag alles Hoffnungslose, Nutzlose, für Immer-Verurteilte -gehaßt. Es verlangte mich weit mehr danach, akute -Fälle zu studieren, vor allem jene, bei denen die Hoffnung auf -Genesung bestand, die Melancholiker und die heiteren Maniaken. -Werner versprach mir, mich mit ihnen bekannt zu machen, -sobald meine eigene Genesung genügend Fortschritte gemacht -habe; doch schob er es immer wieder von neuem -hinaus. -</p> - -<p> -Noch mehr aber bemühte sich Werner, mich von dem politischen -Leben der Heimat zu isolieren. Anscheinend nahm er -an, meine ganze Erkrankung rühre von den furchtbaren Eindrücken -der Revolution her. Er wollte nicht glauben, daß ich -mich die ganze Zeit über fern der Heimat befunden habe und -nicht einmal wußte, was sich hier ereignet hat. Er hielt -meine Unkenntnis der Lage für bloße Vergeßlichkeit und fand -diese Tatsache sei für mich und meine Gesundheit äußerst günstig. -Er weigerte sich nicht nur, mir etwas über die Vorfälle -zu berichten, sondern verbot dies auch meinen Wärtern; in der -ganzen Wohnung war keine einzige Zeitung, keine einzige -<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> -Zeitschrift aus den letzten Jahren zu finden, er verbarg alle -derartigen Dinge in seinem Arbeitszimmer oder im Krankenhaus. -Ich war gezwungen, auf einer unbewohnten politischen -Insel zu leben. -</p> - -<p> -Anfangs, da es mich einzig und allein nach Ruhe und -Stille verlangte, erschien mir diese Lage sehr angenehm. -Später jedoch, als meine Kräfte zunahmen, wurde es mir in -der Austernschale zu eng; ich stellte an meine Gefährten allerlei -Fragen, die sie, dem Gebot des Arztes gehorchend, nicht -beantworteten. Ich ärgerte und langweilte mich. Versuchte, -meine politische Quarantäne zu durchbrechen, Werner davon -zu überzeugen, daß ich gesund genug sei, um Zeitungen lesen -zu dürfen. Vergeblich; Werner erklärte, es wäre verfrüht, -und er selbst werde beurteilen, wann es an der Zeit sei, meine -geistige Diät abzuändern. -</p> - -<p> -Nun nahm ich zur List meine Zuflucht. Es galt, in meiner -Umgebung einen Spießgesellen zu finden, der seiner Freiheit -nicht beraubt war. Den Feldscher für mich zu gewinnen, -wäre äußerst schwierig gewesen: er hatte eine übertrieben hohe -Auffassung von seiner Berufspflicht. Deshalb wandte ich -mich an den anderen Krankenpfleger, den Genossen Wladimir. -Bei ihm stieß ich auf keinen großen Widerstand. -</p> - -<p> -Wladimir war früher Arbeiter gewesen. Fast noch ein unwissender -Knabe, hatte er sich den Revolutionären angeschlossen, -war aber jetzt bereits ein erfahrener Soldat. Zur Zeit -eines gewaltigen Pogroms, als eine Unzahl Genossen unter -den Kugeln gefallen und in den Flammen der Feuersbrunst -zugrundegegangen waren, hatte er sich einen Weg durch die -Menge der Pogromisten gebahnt, etliche derselben erschossen -und war durch einen glücklichen Zufall mit heiler Haut davongekommen. -Dann lebte er lange Zeit illegal in verschiedenen -Städten und Dörfern, widmete sich der bescheidenen aber gefährlichen -Aufgabe, Literatur und Waffen zu transportieren. -Schließlich, als ihm schon der Boden unter den Füßen brannte, -sah er sich gezwungen, bei Werner ein Versteck zu suchen. -<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> -Diese Einzelheiten erfuhr ich selbstverständlich erst später. -Doch bemerkte ich gleich zu Anfang, daß der junge Mann -unter seiner geringen Bildung litt und daß es ihn, dem die -frühere wissenschaftliche Disziplin fehlte, viel Mühe kostete, -sich selbst weiterzubilden. Ich begann mich mit ihm zu beschäftigen, -wir kamen gut vorwärts, und ich gewann auf ewig -sein Herz. Später fiel es mir leichter, mich meinem Ziel zu -nähern: Wladimir hielt nur wenig von medizinischen Anordnungen -und wir zettelten eine kleine Verschwörung an, um -Doktor Werners Strenge zu paralysieren. Wladimirs Erzählungen, -die Zeitungen, Zeitschriften und politischen Broschüren, -die er mir zusteckte, gaben mir gar bald ein Bild vom -Leben der Heimat während meiner Abwesenheit. -</p> - -<p> -Die Revolution war nicht glatt vor sich gegangen, hatte sich -qualvoll lange hingezogen. Das aus seiner Stumpfheit erwachende -Proletariat hatte anfangs, dank unerwarteter Angriffe, -große Siege errungen, doch wurde es im entscheidenden -Augenblick von den Bauernmassen im Stich gelassen, und die -vereinigten Kräfte der Reaktion brachten ihm furchtbare Niederlagen -bei. Während es für einen neuen Kampf Kräfte -sammelte und die Nachhut der bäuerlichen Revolutionäre erwartete, -wurden zwischen den Großgrundbesitzern und der -Bourgeoisie Verhandlungen angebahnt, die ein gemeinsames -Vorgehen und die Erdrosselung der Revolution bezweckten. -Diese Absichten nahmen die Form einer parlamentarischen -Komödie an; sie endeten infolge der unversöhnlichen Haltung -der Agrarier-Reaktionäre mit einem Mißerfolg. Das Spielzeug-Parlament -berief seine Mitglieder ein, jagte sie dann, -eines nach dem anderen, auf die gröbste Weise wieder fort. -Die Bourgeoisie, erschöpft von den Stürmen der Revolution, -erschreckt durch die ersten selbstbewußten energischen Angriffe -des Proletariats, ging immer weiter nach rechts. Die Bauernschaft, -in ihren Massen revolutionär gesinnt, machte sich -rasch die politische Erfahrung zu eigen; die Flammen zahlloser -Feuersbrünste erhellten den von ihr eingeschlagenen Weg des -<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> -Kampfes. Die alte Macht versuchte auf blutigste Art die -bäuerliche Erhebung abzuwürgen, wollte zu gleicher Zeit die -Bauernschaft durch Verteilung von Grund und Boden versöhnen, -doch geschah letzteres auf eine so geizige, schmutzige Art, -das es völlig ergebnislos blieb. Tagtäglich ereigneten sich auf -allen Seiten, von allen Parteien und Gruppen unternommene -Ueberfälle. Im Lande wütete ein noch nie dagewesener, in -keinem Reiche der Erde je geahnter Terror, oben und unten. -</p> - -<p> -Das Land ging einem neuen entscheidenden Kampf entgegen. -Doch war dieser Weg so lang und so voller Schwanken -und Zweifeln, daß viele von Erschöpfung und sogar von Verzweiflung -übermannt wurden. Die radikale Intelligenz, die -am Kampf teilnahm, vor allem die Sympathisierenden, gingen -fast vollständig ins Lager der Feinde über. Freilich bedauerte -das niemand. Aber sogar unter meinen einstigen Genossen -entstanden Verzagtheit und Hoffnungslosigkeit. Diese -Tatsache bewies mir klar, wie schwer und kraftraubend das -revolutionäre Leben dieser Zeit gewesen war. Ich selbst, ein -ausgeruhter Mensch, der sich der Vorrevolutionszeit und des -Anfangs des Kampfes erinnerte, ohne jedoch die Härte der -späteren Niederlagen erlitten zu haben, sah klar das sinnlose -Untergraben der Revolution, sah, wie sehr sich alles in diesen -Jahren verändert habe, wie viele neue Elemente des Kampfes -hinzugekommen waren, wie unmöglich es war, das Gleichgewicht -herzustellen. Die neue Woge der Revolution mußte -kommen und war schon nahe. -</p> - -<p> -Es gab bloß eine Möglichkeit: warten. Ich ahnte, wie -qualvoll schwer unter diesen Umständen die Arbeit der Genossen -sein mußte. Mich selbst verlangte es nicht, allzu rasch -wieder an die Arbeit zu gehen. Und dies unabhängig von -Werners Ansichten; ich fand, es sei klüger, Kräfte zu sammeln, -um sie erst dann anzuwenden, wenn sie wieder ihre ganze -Stärke erreicht hatten. -</p> - -<p> -Auf unseren langen Spaziergängen im Hain erwogen wir, -Wladimir und ich, die Aussichten und Bedingungen des bevorstehenden -<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> -Kampfes. Die heroisch naiven Träume und Pläne -meines Gefährten erschütterten mich zutiefst, er schien mir ein -edles, liebes Kind, dem ein schlichter, anspruchslos schöner -Kämpfertod bevorstand, erhaben und einfach, wie sein ganzes -junges Leben gewesen. Der Weg der Revolution wird mit -edlen Opfern bezeichnet, und schönes Blut färbt die proletarische -Fahne. -</p> - -<p> -Aber nicht nur Wladimir kam mir wie ein Kind vor. -Selbst Werner, dieser alte Revolutionär, erschien mir weit -naiver und kindlicher, als ich früher geglaubt hatte – und -das gleiche Gefühl empfand ich auch anderen Genossen, ja -sogar etlichen unserer Führer gegenüber ... Alle jene Menschen, -die ich auf der Erde gekannt hatte, machten auf mich -den Eindruck halbkindlicher, noch nicht völlig erwachsener Wesen, -die das Leben in sich und ringsum nur unklar zu erfassen -vermögen, die äußeren und inneren Gewalten gehorchen. In -dieser Empfindung war kein Tropfen von Selbstüberhebung, -oder Verachtung, sondern tiefe Zuneigung und brüderliches -Interesse für diese embryonalen Geschöpfe, die Kinder einer -jungen Menschheit. -</p> - -<h4 class="chapter" id="DER_BRIEFUMSCHLAG"> -Der Briefumschlag -</h4> - -<p class="first"> -Die glühende Sommersonne schien das Eis, in dem das -Leben des Landes erstarrt war, zu schmelzen. Es erwachte, -und die Morgenröte neuer Stürme zeigte sich am Horizont. -Aus der Tiefe drang von neuem dumpfes Murren. Diese -Sonne, dieses Erwachen erwärmten meine Seele, steigerten -meine Kräfte; ich fühlte, bald würde ich gesünder sein, als -ich es je zuvor gewesen. -</p> - -<p> -In dieser Stimmung unklarer Lebensfreude wollte ich nicht -mehr an die Vergangenheit denken. Das Bewußtsein, ich sei -von der ganzen Welt, von allen vergessen, tat mir wohl ... -Für die Genossen wollte ich erst zu einer Zeit auferstehen, -<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a> -da es keinem mehr einfallen würde, mich über die -Jahre meiner Abwesenheit zu befragen, es für derartiges kein -Interesse geben und meine Vergangenheit in den stürmischen -Wogen einer neuen Flut versunken sein werde. Bemerkte ich -jedoch Tatsachen, die diese meine Hoffnung als zweifelhaft erscheinen -ließen, so erfaßten mich Erregung und Unruhe, sowie -eine sinnlose Feindseligkeit gegen jene, die sich noch an mich -erinnern konnten. -</p> - -<p> -An einem Sommerabend fand sich Werner bei der Rückkehr -aus dem Krankenhaus nicht, wie gewöhnlich, im Garten -ein, um sich zu erholen – er bedurfte dieser Erholung, denn -der Rundgang durchs Krankenhaus ermüdete ihn sehr, – -sondern suchte mich auf und begann mich ausführlich über mein -Befinden zu befragen. Mir schien, als strenge er sich an, meine -Antworten im Gedächtnis zu behalten. Das war etwas ungewöhnliches, -und ich glaubte, er habe vielleicht durch einen Zufall -meine kleine Verschwörung entdeckt. Doch merkte ich bald, -daß er keinerlei Verdacht hege. Dann verließ er die Stube -und begab sich in sein Arbeitszimmer. Erst eine halbe Stunde -später sah ich durchs Fenster, daß er in seiner dunklen Lieblingsallee -spazieren ging. Ich konnte nicht umhin, diese Kleinigkeiten -zu beobachten, gab es ja in meiner Umgebung keinerlei -große Vorfälle und Ereignisse. Nachdem ich verschiedene -Vermutungen verworfen hatte, kam ich zu der allerwahrscheinlichsten -Lösung, Werner wolle vielleicht auf eine besondere -Aufforderung hin jemandem über meine Gesundheit einen -Bericht schreiben. Die Post wurde ihm allmorgendlich in -sein Arbeitszimmer gebracht, – vielleicht hatte er heute einen -Brief erhalten, der sich nach mir erkundigte. -</p> - -<p> -Von wem war dieser Brief, was bezweckte er? Ich mußte -dies unbedingt erfahren, um meine Seelenruhe wiederzufinden. -Werner selbst zu befragen, wäre vergeblich gewesen – er -schien einen besonderen Grund zu haben, mir den Brief zu -verheimlichen, hätte sonst von selbst darüber gesprochen. Ob -vielleicht Wladimir etwas wußte? Aber es erwies sich, daß -<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a> -auch ihm nichts bekannt war. Ich überlegte, auf welche Art -und Weise ich die Wahrheit erfahren könnte. -</p> - -<p> -Wladimir war zu jedem Dienst bereit. Meine Neugierde -erschien ihm völlig berechtigt, Werners geheimnisvolles Wesen -hingegen fand er unbegründet. Er scheute sich nicht, Werners -Zimmer einer wahren Durchsuchung zu unterziehen, desgleichen -das medizinische Kabinett, doch fand er nichts Interessantes. -</p> - -<p> -„Entweder hat er den Brief eingesteckt“, meinte Wladimir, -„oder aber zerrissen und fortgeworfen.“ -</p> - -<p> -„Wohin wirft er gewöhnlich die zerrissenen Briefe und -Papiere?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„In den Korb, der unter dem Tisch seines Arbeitszimmers -steht.“ -</p> - -<p> -„Gut, bringen Sie mir alle Papiere, die Sie im Korb -finden.“ Wladimir ging und kehrte eiligst zurück. -</p> - -<p> -„Es sind gar keine Papiere im Korb“, erklärte er. „Doch -fand ich diesen Briefumschlag, den er, dem Stempel nach, -heute erhalten haben muß.“ -</p> - -<p> -Ich griff nach dem Umschlag und betrachtete die Aufschrift. -Plötzlich schien unter meinen Füßen die Erde zu versinken, -und die Wände drohten über mir einzustürzen ... -</p> - -<p> -Es war Nettis Schrift! -</p> - -<h4 class="chapter" id="DER_ABSCHLUY"> -Der Abschluß -</h4> - -<p class="first"> -Aus dem Chaos der Erinnerungen und Gedanken, in dem -meine Seele versank, als ich sah, daß sich Netti auf der Erde -befinde und nicht mit mir zusammentreffen wolle, erhob sich nur -das Endergebnis klar und deutlich. Dies kristallisierte sich -gleichsam von selbst heraus, ohne irgendeinen logischen Prozeß, -und stand über jedem Zweifel. Doch vermochte ich mich -damit nicht abzufinden. Ich wollte meine Tat mir und anderen -<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a> -gegenüber begründen. Vor allem aber konnte ich mich -nicht in den Gedanken finden, daß Netti meine Tat nicht begreifen, -sie für einen bloßen Ausbruch des Gefühls halten -könnte, obschon sie doch eine logische Notwendigkeit gewesen -war, die sich unvermeidlich aus meiner ganzen Geschichte entwickelt -hatte. -</p> - -<p> -Es galt also, vor allen folgerichtig meine Geschichte zu erzählen, -um der Genossen, um meiner, um Nettis willen ... -Deshalb wurde dieses Manuskript geschrieben. Werner, der -es als erster lesen wird – am Tage nach Wladimirs und -meiner Flucht – möge für dessen Veröffentlichung sorgen, -– selbstverständlich muß er die nötigen, durch unsere konspirative -Tätigkeit bedingten Abänderungen vornehmen. Das ist -meine einzige Bitte. Ich bedaure sehr, daß ich ihm nicht zum -Abschied die Hand drücken kann ... -</p> - -<p> -Während ich an diesen Erinnerungen schrieb, erhob sich die -Vergangenheit immer heller und klarer vor mir, das Chaos -verwandelte sich in Gewißheit, die von mir gespielte Rolle, -sowie meine Lage zeichneten sich scharf in meinem Bewußtsein -ab. Mit gesundem Verstand und klarer Erinnerung vermag -ich alles zum Abschluß zu führen ... -</p> - -<p> -Zweifellos überstieg die mir gestellte Aufgabe meine Kräfte. -Worin aber ist die Ursache meines Mißerfolges zu suchen? -Und wie ist der Irrtum zu erklären, den sich Mennis durchdringender, -hoher Verstand bei meiner Wahl zu schulden kommen -ließ? -</p> - -<p> -Ich entsann mich eines Gespräches, das ich mit Menni -über meine Wahl geführt hatte. Es war zu jener glücklichen -Zeit gewesen, als Nettis Liebe in mir den unbegrenzten Glauben -an meine Kraft erweckt hatte. -</p> - -<p> -„Wie kam es, Menni“, fragte ich, „daß Sie aus der großen -Menge verschiedenartigster Menschen unseres Landes, -deren Bekanntschaft Sie während Ihres Aufenthaltes auf der -Erde gemacht hatten, gerade mich für den geeignetsten Vertreter -der Erde gehalten haben?“ -</p> - -<p> -<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a> -„Die Auswahl war nicht besonders groß“, entgegnete er. -„Sie mußte im Rahmen der Vertreter des wissenschaftlich-revolutionären -Sozialismus getroffen werden, denn alle anderen -Weltanschauungen standen der unseren noch weit ferner.“ -</p> - -<p> -„Mag sein. Wäre es aber nicht viel leichter gewesen, unter -den Proletariern, die die Basis und die Kraft unserer Bewegung -bedeuten, das richtige zu finden?“ -</p> - -<p> -„Ja, es wäre richtiger gewesen, dort zu suchen. Aber ... -ich hätte bei ihnen nicht das gefunden, was mir unentbehrlich -schien: die umfassende, vielseitige Bildung, die höchste Stufe -Ihrer Kultur. Diese Tatsache lenkte mein Suchen nach der -anderen Seite.“ -</p> - -<p> -So sprach Menni. Seine Annahme bewahrheitete sich -nicht. Bedeutet dies, daß er überhaupt keinen Erdenmenschen -hätte mitnehmen dürfen, daß der Unterschied zwischen den beiden -Kulturen ein unüberbrückbarer Abgrund ist, über den der -<em>Einzelne</em> nicht hinüberzugelangen, und den bloß die Gesellschaft -zu besiegen vermag? Das zu glauben, wäre für mich -persönlich ein großer Trost, doch zweifle ich ernstlich daran. -Ich glaube vielmehr, daß sich Menni in jener Ansicht, die -unsere Arbeitergenossen betrifft, geirrt habe. -</p> - -<p> -Wodurch erlitt ich Schiffbruch? -</p> - -<p> -Die erste Ursache war vielleicht der Umstand, daß sich eine -Unmenge Eindrücke des fremden Lebens auf meinen Geist -stürzte, daß deren Reichhaltigkeit mein Bewußtsein überflutete -und die Ufer verwischte. Mit Nettis Hilfe überlebte ich -die Krise und fand mich wieder zurecht. Aber war nicht diese -Krise selbst die Folge jener erhöhten Empfindsamkeit, jener -verfeinerten Wahrnehmung, die rein geistig arbeitenden Menschen -eigen ist? Würde vielleicht einer primitiveren, etwas -weniger komplizierten, widerstandsfähigeren und einfacheren -Natur alles leichter gefallen, und für sie der rasche Uebergang -weniger schmerzlich gewesen sein? Vielleicht wäre es für den -mindergebildeten Proletarier weniger schwer gewesen, sich in -ein neues, höheres Dasein zu finden, freilich hätte er weit -<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a> -mehr Neues lernen müssen, doch wäre in seinem Fall nicht -nötig gewesen, so viel Altes zu verlernen, und gerade dies ist -das schwerste ... Mir scheint, daß ich in dieser Hinsicht recht -habe und daß sich in Mennis Berechnung ein Fehler eingeschlichen -hatte, indem er dem Kulturniveau mehr Bedeutung -beimaß, als der kulturellen Entwicklungskraft. -</p> - -<p> -Ferner wurden meine Seelenkräfte von dem <em>Charakter</em> -jener Kultur zermalmt, an die ich mich mit meinem ganzen -Wesen anzupassen versuchte. Ihre Erhabenheit erdrückte -mich, die Tiefgründigkeit ihrer sozialen Bande, die Reinheit -und Durchsichtigkeit der Verhältnisse zwischen Mensch und -Mensch. Sternis Rede, die auf etwas plumpe Art die Unermeßlichkeit -der zwei Lebenstypen beleuchtete, war bloß die -Veranlassung, der letzte Anstoß, der mich in die Untiefe -stürzte, an deren Rand mich mit elementarer, unbezwinglicher -Kraft der Widerspruch zwischen meinem Innenleben und dem -ganzen sozialen Milieu, in der Fabrik, der Familie, der Gesellschaft, -unter Freunden getrieben hatte. Und abermals -muß ich fragen, ob diese Widersprüche nicht gerade bei mir -doppelt so stark und scharf fühlbar wurden, bei mir, dem revolutionären -Intellektuellen, der neun Zehntel seiner Arbeit -entweder in der Einsamkeit verrichtet hatte, oder zumindest -unter Bedingungen, die ihn von seinen auf einer anderen Bildungsstufe -stehenden Mitarbeitern absonderten? Bei mir, -dessen Persönlichkeit sich von den anderen <em>abgesondert</em> -hatte? Würden sich diese Widersprüche nicht weit schwächer -bei einem Menschen ausgewirkt haben, der neun Zehntel seines -Arbeitslebens auf primitive, undifferenzierte Art -verbracht, sich aber stets in einem Kameradenkreis aufgehalten -hatte, mit diesem durch eine grobe, aber tatsächliche Gleichheit -verbunden? Mir schien, daß dem so sei, und daß Menni seinen -Versuch in anderer Richtung wiederholen müßte ... -</p> - -<p> -Zwischen den beiden von mir erlittenen Schiffbrüchen hatte -es eine Zeit der Entschlossenheit und der männlichen Tatkraft -im Kampfe gegeben. Das, was damals meine Kraft aufrecht -<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a> -erhielt, half mir auch heute ohne ein Gefühl allzu großer -Demütigung den Abschluß zu machen: Nettis Liebe. -</p> - -<p> -Freilich war Nettis Liebe ein edler und liebevoller Irrtum -gewesen, dennoch war eine solche Liebe <em>möglich</em>; diese Tatsache -konnte durch nichts und niemanden weggeleugnet und -verändert werden. Für uns bedeutete sie eine Bürgschaft für -die tatsächliche Annäherung der beiden Welten, und für ihre -künftige Verschmelzung zu einer einzigen, ungeahnt schönen -und starken Welt. -</p> - -<p> -Und ich selbst ... Für mich gibt es keinen Abschluß. -Für das neue Leben war ich nicht geeignet, nach dem alten -verlangt es mich nicht mehr. Ich gehöre ihm nicht mehr an, -weder den Gedanken, noch den Gefühlen nach. Es gibt nur -einen Ausweg. -</p> - -<p> -Die Zeit ist vorüber. Mein Spießgeselle erwartet mich im -Garten; eben hörte ich sein Signal. Morgen werden wir -bereits fern von hier sein, auf dem Wege dorthin, wo das -Leben brodelt und die Ufer überflutet, wo es leicht sein wird, -die mir so verhaßte Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft -zu verwischen. Leb wohl, Werner, guter, alter Genosse. -</p> - -<p> -Gegrüßt seiest du, neues strahlendes Leben, und auch du, -dessen leuchtende Erscheinung: meine Netti! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="letter" id="AUS_EINEM_BRIEF_DES_DOKTOR_WERNER_AN_DEN_SCHRIFTSTELLER_MIRSKI"> -<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a> -Aus einem Brief des Doktor Werner -an den Schriftsteller Mirski -</h2> - -</div> - -<p class="note"> -(Der Brief trägt kein Datum; diese Unterlassung ist<br /> -offenbar durch Werners Zerstreutheit verschuldet.) -</p> - -<p class="tb"> -. . . . . . . . . . . . . . . . . . . -</p> - -<p class="noindent"> -Die Kanonade war bereits seit langem verstummt, und noch -immer wurden neue und neue Verwundete gebracht. Die -meisten davon waren Milizleute und nicht Soldaten, oder -friedliche Einwohner, darunter auch viele Frauen und sogar -Kinder: vor den Schrapnellen sind alle gleich. In mein nahe -dem Schlachtfeld gelegenes Krankenhaus wurden vor allem -Milizleute und Soldaten eingebracht. Die von den Granaten -und Schrapnellen verursachten furchtbaren Verwundungen -machten sogar auf mich, den alten Arzt, der seit Jahren nicht -mehr chirurgisch gearbeitet hat, einen tiefen Eindruck. Doch -erhob sich aus dem Grauen triumphierend der leuchtende Gedanke: -Sieg! -</p> - -<p> -Es war unser erster großer Sieg im gegenwärtigen Ringen, -war ein entscheidender Sieg. Die Wagschale senkte sich -nach der anderen Seite. Ein furchtbares Gericht hub an. -Hier wird es keine Gnade, sondern Gerechtigkeit geben. Schon -längst war die Zeit reif ... -</p> - -<p> -Auf den Straßen Blut und Trümmer. Feuersbrünste -und der Rauch der Kanonade hatten die Sonne blutrot gefärbt. -Doch erschien sie unserem Auge nicht böse und zornig, -sondern freudenvoll. In der Seele klang ein Kampflied, -eine Siegeshymne. -</p> - -<p class="tb"> -. . . . . . . . . . . . . . . . . . . -</p> - -<p class="noindent"> -Leonid wurde gegen Mittag ins Krankenhaus gebracht. Er -hatte eine gefährliche Wunde in der Brust und einige leichte -Verletzungen, fast nur Schrammen. Er hatte sich zur Nachtzeit -<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a> -mit dem fünften Grenadierregiment in jenen Teil der -Stadt begeben, der sich in den Händen der Regierung befand. -Der Kampf endete damit, daß einige verzweifelte -Ueberfälle Schrecken und Demoralisation hervorriefen. Leonid -selbst hatte diesen Plan entworfen und dessen Ausführung geleitet. -Er hatte in früheren Jahren viel in dieser Stadt gearbeitet -und kannte alle Winkel und Verstecke, konnte deshalb -dieses tollkühne Unternehmen besser durchführen als jeder -andere. Der Führer der Miliz, der zuerst gegen den Plan -gewesen war, stimmte schließlich zu. Es gelang Leonid, mit -seinen Granaten bis zu einer der feindlichen Batterien vorzudringen -und etliche Kisten mit Munition zu zerschmettern. -Während der durch die Explosion entstandenen Panik gelang -es den Unseren, die feindlichen Waffen zu zerstören, sowie die -Batterien. Dabei erhielt Leonid einige leichte Verwundungen. -Beim Rückzug gelangten die Unseren in die Reihen der -feindlichen Dragoner. Leonid übergab das Kommando Wladimir, -der sein Adjutant war, schlich sich selbst mit den beiden -letzten Granaten zum nächsten Tor, hielt sich im Hinterhalt, -bis es den anderen gelungen war, sich zurückzuziehen. Er ließ -die feindlichen Reihen zum Teil an sich vorüberschreiten, warf -dann die erste Granate gegen einen Offizier, die zweite in die -nächste Gruppe der Dragoner. Die ganzen Reihen flüchteten -eiligst; die Unseren kehrten zurück und fanden Leonid schwer -verletzt neben seinen Granaten. Sie brachten ihn noch vor -dem Morgengrauen in unsere Linien und übergaben ihn mir. -</p> - -<div class="centerpic"> -<img src="images/i182.jpg" alt="" /></div> - -<p> -Es gelang mir, den Granatsplitter zu entfernen, doch waren -die Lungen verletzt und Leonid befand sich in einem kritischen -Zustand. Ich brachte den Kranken so gut wie möglich unter, -freilich konnte ich ihm nicht das geben, dessen er am meisten -bedurfte: die völlige Ruhe, die ihm so sehr not tat. Am -Morgen begann die Schlacht von neuem, ihr Dröhnen drang -bis zu uns. Die unruhige Erwartung des Ausgangs der -Schlacht verstärkte Leonids Fieber. Als noch weitere Verwundete -eingebracht wurden, steigerte sich seine Erregung, und -<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a> -ich war gezwungen, vor sein Bett einen Wandschirm zu -stellen, damit er die fremden Wunden nicht sehe. -</p> - -<p class="tb"> -. . . . . . . . . . . . . . . . . . . -</p> - -<p class="noindent"> -Nach etwa vier Stunden ging der Kampf bereits seinem -Ende zu, und der Ausgang war klar ersichtlich. Ich war mit -der Unterbringung der Verwundeten beschäftigt. Da wurde -mir die Karte jener Frau gebracht, die sich vor einigen Wochen -schriftlich nach Leonids Befinden erkundigt und mich nach -Leonids Flucht aufgesucht hatte. Ich sandte sie damals mit -einem Empfehlungsschreiben zu Ihnen, damit sie in Leonids -Manuskript Einsicht nehme. Sie war zweifellos eine Genossin -und anscheinend Aerztin. Deshalb führte ich sie in -mein Zimmer. Sie trug auch heute wie damals einen dichten -schwarzen Schleier, der ihre Züge völlig verdeckte. -</p> - -<p> -„Ist Leonid bei Ihnen?“ fragte sie, ohne mich zu begrüßen. -</p> - -<p> -„Ja“, erwiderte ich, „doch darf er sich keiner Aufregung -aussetzen; wenngleich seine Verwundung eine ernste ist, so -hoffe ich dennoch, ihn heilen zu können.“ -</p> - -<p> -Sie stellte hastig eine Reihe von Fragen an mich, die den -Zustand des Verwundeten betrafen. Dann erklärte sie, ihn -sehen zu wollen. -</p> - -<p> -„Wird das Wiedersehen ihn nicht aufregen?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Zweifellos“, lautete die Antwort. „Doch wird ihm diese -Aufregung weit mehr nützlich als schädlich sein. Dafür kann -ich Ihnen bürgen.“ -</p> - -<p> -Ihre Stimme klang entschlossen und sicher. Ich fühlte, -daß sie genau wisse, was sie sage und konnte ihre Bitte nicht -abschlagen. Wir begaben uns in jenen Raum, wo Leonid lag -und ich zeigte mit einer Gebärde, sie möge sich hinter den -Wandschirm begeben. Ich selbst verharrte in der Nähe, am -Bett eines anderen Schwerverwundeten, um den ich mich bemühte. -Es verlangte mich danach, das Gespräch der Frau -mit Leonid zu erlauschen, um eingreifen zu können, sobald dies -notwendig wurde. -</p> - -<p> -<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a> -Während sie sich hinter den Schirm begab, hob sie ein -wenig den Schleier. Ich erblickte ihre Silhouette durch das -undichte Gewebe des Schirms und sah, wie sie sich zu dem -Verwundeten niederbeugte. -</p> - -<p> -„Die Maske ...“ ertönte Leonids schwache Stimme. -</p> - -<p> -„Deine Netti“, entgegnete sie. Und in diesen leise, melodisch -gesprochenen Worten lag so viel Liebe und Zärtlichkeit, -daß mein altes Herz erbebte, erfaßt von schmerzlich freudigen -Gefühlen. -</p> - -<p> -Die Frau machte eine scharfe hastige Gebärde, fast, als -wollte sie ihren Kragen lösen, nahm dann Hut und Schleier -ab und beugte sich noch näher zu Leonid nieder. Einen Augenblick -herrschte tiefes Schweigen. -</p> - -<p> -„Das bedeutet wohl, daß ich sterbe?“ fragte Leonid leise. -</p> - -<p> -„Nein, Lenni, das ganze Leben liegt vor uns. Deine -Wunde ist nicht tödlich, ist nicht einmal gefährlich.“ -</p> - -<p> -„Und der Mord?“ rief er schmerzlich erregt. -</p> - -<p> -„Das war eine Krankheit, mein Lenni. Sei ruhig, diese -tödliche Wunde wird niemals zwischen uns stehen, auch nicht -auf dem Wege zu unserem erhabenen gemeinsamen Ziel. Wir -werden das Ziel erreichen, mein Lenni ...“ -</p> - -<p> -Ein leises Stöhnen löste sich aus seiner Brust, doch war es -kein Schmerzenston. Ich verließ das Zimmer; mein Patient -hatte mir bereits alles verraten, was ich zu wissen verlangte. -Es hätte keinen Sinn gehabt, weiter zu lauschen. Einige -Minuten später erschien die Unbekannte abermals in Hut -und Schleier bei mir. -</p> - -<p> -„Ich nehme Leonid mit“, sprach sie. „Er wünscht dies -selbst, und die Bedingungen für seine Genesung sind bei mir -günstiger als hier; Sie können ganz unbesorgt sein. Zwei -Genossen warten unten, werden Leonid zu mir schaffen. Lassen -Sie uns, bitte, eine Tragbahre zur Verfügung stellen.“ -</p> - -<p> -Ich hatte keine Ursache, mich zu weigern: in unserem -Spital waren die Bedingungen tatsächlich keineswegs glänzend. -Ich fragte die Unbekannte nach ihrer Adresse, – sie -<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a> -wohnte ganz nahe von hier. Ich beschloß, am folgenden Tag -hinzugehen und Leonid zu besuchen. Zwei Arbeiter erschienen -und trugen Leonid vorsichtig auf einer Bahre fort. -</p> - -<p class="tb"> -. . . . . . . . . . . . . . . . . . . -</p> - -<p class="ps"> -PS. geschrieben am folgenden Tag. -</p> - -<p> -Leonid und Netti sind spurlos verschwunden. Ich war -eben in ihrer Wohnung: die Türen waren geöffnet, die Zimmer -leer. Im großen Saal stand ein ungeheures Fenster -sperrangelweit offen, auf dem Tisch lag ein an mich gerichteter -Brief. Mit zitternder Hand waren bloß einige wenige Worte -geschrieben: -</p> - -<p class="sign"> -„Grüße an die Genossen. Auf Wiedersehen.<br /> -Ihr Leonid.“ -</p> - -<p class="noindent"> -Seltsam, ich fühle keinerlei Unruhe und Sorge. Diese -Tage haben mich zu Tode erschöpft; ich sah viel Blut, sah -viele Leiden, die ich nicht zu lindern vermochte, erblickte Bilder -der Zerstörung und des Untergangs; dennoch herrschen in -meiner Seele Freude und Licht. -</p> - -<p> -Das Aergste liegt hinter uns. Noch harrt unser ein langer -und schwerer Kampf, aber vor uns leuchtet der Sieg ... -Und der neue Kampf wird leichter sein. -</p> - -<p class="end"> -Ende. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="toc" id="INHALTSVERZEICHNIS"> -<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a> -Inhaltsverzeichnis -</h2> - -</div> - -<div class="table"> -<table class="toc tocn" summary="TOC"> -<tbody> - <tr> - <td class="col1"> </td> - <td class="col_page">Seite</td> - </tr> - <tr class="m"> - <td class="col1"><a href="#DR._WERNER_AN_DEN_SCHRIFTSTELLER_MIRSKI">Dr. Werner an den Schriftsteller Mirski</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-5">5</a></td> - </tr> - <tr class="m"> - <td class="col1"><a href="#LEONIDS_MANUSKRIPT">Leonids Manuskript</a></td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr class="p"> - <td class="col1"><a href="#ERSTER_TEIL">Erster Teil</a></td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DER_BRUCH">Der Bruch</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_AUFFORDERUNG">Die Aufforderung</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-14">14</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_NACHT">Die Nacht</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-20">20</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_ERKLYRUNG">Die Erklärung</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-24">24</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_ABFAHRT">Die Abfahrt</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-28">28</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DER_AETHERONEFF">Der Aetheroneff</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-33">33</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_MENSCHEN">Die Menschen</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-38">38</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_ANNYHERUNG">Die Annäherung</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-45">45</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#VERGANGENES">Vergangenes</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-51">51</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_ANKUNFT">Die Ankunft</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-61">61</a></td> - </tr> - <tr class="p"> - <td class="col1"><a href="#ZWEITER_TEIL">Zweiter Teil</a></td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#BEI_MENNI">Bei Menni</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-64">64</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#IN_DER_FABRIK">In der Fabrik</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-69">69</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DAS_HAUS_DER_KINDER">Das Haus der Kinder</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-77">77</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DAS_KUNSTMUSEUM">Das Kunstmuseum</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-86">86</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#IM_KRANKENHAUS">Im Krankenhaus</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-97">97</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#ARBEIT_UND_GESPENSTER">Arbeit und Gespenster</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-103">103</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#NETTI">Netti</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-111">111</a></td> - </tr> - <tr class="p"> - <td class="col1"><a href="#DRITTER_TEIL">Dritter Teil</a></td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#GLYCK">Glück</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-116">116</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#TRENNUNG">Trennung</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-117">117</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DIE_KLEIDERFABRIK">Die Kleiderfabrik</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-120">120</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a><a href="#ENNO">Enno</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-125">125</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#BEI_NELLA">Bei Nella</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-129">129</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#AUF_DER_SUCHE">Auf der Suche</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-136">136</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#STERNI">Sterni</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-140">140</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#NETTI151">Netti</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-151">151</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#MENNI">Menni</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-156">156</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DER_MORD">Der Mord</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-159">159</a></td> - </tr> - <tr class="p"> - <td class="col1"><a href="#VIERTER_TEIL">Vierter Teil</a></td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#BEI_WERNER">Bei Werner</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-165">165</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#WAR_ES__WAR_ES_NICHT">War es – war es nicht</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-167">167</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DAS_LEBEN_DER_HEIMAT">Das Leben der Heimat</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-170">170</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DER_BRIEFUMSCHLAG">Der Briefumschlag</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-174">174</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"><a href="#DER_ABSCHLUY">Der Abschluß</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-176">176</a></td> - </tr> - <tr class="m"> - <td class="col1"><a href="#AUS_EINEM_BRIEF_DES_DOKTOR_WERNER_AN_DEN_SCHRIFTSTELLER_MIRSKI">Aus einem Brief des Doktor Werner an den Schriftsteller Mirski</a></td> - <td class="col_page"><a href="#page-181">181</a></td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<div class="trnote chapter"> -<p class="transnote"> -Anmerkungen zur Transkription -</p> - -<p> -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. -Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -</p> - - - -<ul> - -<li> -... daß <span class="underline">sie</span> diesen Voraussetzungen größere Bedeutung beimessen, ...<br /> -... daß <a href="#corr-0"><span class="underline">Sie</span></a> diesen Voraussetzungen größere Bedeutung beimessen, ...<br /> -</li> - -<li> -... ich <span class="underline">sie</span> später bekannt machen werde.“ ...<br /> -... ich <a href="#corr-2"><span class="underline">Sie</span></a> später bekannt machen werde.“ ...<br /> -</li> - -<li> -... Menni befestigte die Gondel an <span class="underline">einen</span> eigens dazu bestimmten ...<br /> -... Menni befestigte die Gondel an <a href="#corr-4"><span class="underline">einem</span></a> eigens dazu bestimmten ...<br /> -</li> - -<li> -... war eine ungeheuer große. <span class="underline">Welchen gewaltigen</span> Nutzen konnte ...<br /> -... war eine ungeheuer große. <a href="#corr-13"><span class="underline">Welcher gewaltige</span></a> Nutzen konnte ...<br /> -</li> - -<li> -... über die <span class="underline">ihm</span> unverständlichen technischen Ausdrücke, die ...<br /> -... über die <a href="#corr-14"><span class="underline">ihr</span></a> unverständlichen technischen Ausdrücke, die ...<br /> -</li> - -<li> -... haben würde, mich für lange Zeit auf dem tiefen, durch <span class="underline">Sandbänken</span> ...<br /> -... haben würde, mich für lange Zeit auf dem tiefen, durch <a href="#corr-17"><span class="underline">Sandbänke</span></a> ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Der rote Stern, by Alexander Bogdanow - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ROTE STERN *** - -***** This file should be named 62985-h.htm or 62985-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/2/9/8/62985/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was -produced from scanned images of public domain material, -provided by the German National Library. - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions -will be renamed. - -Creating the works from public domain print editions means that no -one owns a United States copyright in these works, so the Foundation -(and you!) can copy and distribute it in the United States without -permission and without paying copyright royalties. Special rules, -set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to -copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to -protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project -Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you -charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you -do not charge anything for copies of this eBook, complying with the -rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose -such as creation of derivative works, reports, performances and -research. They may be modified and printed and given away--you may do -practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is -subject to the trademark license, especially commercial -redistribution. - - - -*** START: FULL LICENSE *** - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project -Gutenberg-tm License (available with this file or online at -http://gutenberg.org/license). - - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm -electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy -all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. -If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project -Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the -terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or -entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance -with this agreement, and any volunteers associated with the production, -promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, -harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, -that arise directly or indirectly from any of the following which you do -or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm -work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any -Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. - - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of computers -including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists -because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from -people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. -To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 -and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive -Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at -http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent -permitted by U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. -Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered -throughout numerous locations. Its business office is located at -809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email -business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact -information can be found at the Foundation's web site and official -page at http://pglaf.org - -For additional contact information: - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To -SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any -particular state visit http://pglaf.org - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. 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Thus, we do not necessarily -keep eBooks in compliance with any particular paper edition. - - -Most people start at our Web site which has the main PG search facility: - - http://www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - -</pre> - -</body> -</html> diff --git a/old/62985-h/images/cover.jpg b/old/62985-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index fa0b0d4..0000000 --- a/old/62985-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/62985-h/images/i044.jpg b/old/62985-h/images/i044.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 555cccc..0000000 --- a/old/62985-h/images/i044.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/62985-h/images/i062.jpg b/old/62985-h/images/i062.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 42dd7fc..0000000 --- a/old/62985-h/images/i062.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/62985-h/images/i070.jpg b/old/62985-h/images/i070.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index a15df0e..0000000 --- a/old/62985-h/images/i070.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/62985-h/images/i182.jpg b/old/62985-h/images/i182.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 5ccedb3..0000000 --- a/old/62985-h/images/i182.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/62985-h/images/logo.jpg b/old/62985-h/images/logo.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 9af228a..0000000 --- a/old/62985-h/images/logo.jpg +++ /dev/null |
