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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-01-23 01:24:31 -0800 |
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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Tom Sawyers Neue Abenteuer - -Author: Mark Twain - -Release Date: May 15, 2021 [eBook #65346] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TOM SAWYERS NEUE ABENTEUER *** - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter, - unterstrichener oder kursiver Text ist _so ausgezeichnet_. Im - Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original - fetter Text ist =so dargestellt=. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des - Buches. - -[Illustration: Cover] - -[Illustration: S. L. Clemens - -(Mark Twain) - -Gezeichnet von _Henry Rauchinger_.] - - - - - Tom Sawyers - - Neue Abenteuer - - Von - - Mark Twain - - Autorisiert - - Tom Sawyer im Luftballon - - Tom, der kleine Detektiv - - [Illustration] - - Stuttgart - - Verlag von Robert Lutz - - 1903. - - - - -Alle Rechte vorbehalten. - - -Druck von A. Bonz’ Erben, Stuttgart. - - - - -_Tom Sawyer_ im _Luftballon_. - -[Illustration] - - - - -Erstes Kapitel. - - -War nun Tom Sawyer zufrieden nach all seinen Abenteuern? Ich meine die -Abenteuer auf dem Fluß, als wir den Nigger Jim frei machten und Tom den -Schuß ins Bein kriegte.[1] - - [1] Humor. Schriften, Bd. 2 (Fahrten des Huckleberry Finn). - -Nein, er war _nicht_ zufrieden! Es fraß an ihm, er wollte nur -noch mehr. Ja, als wir drei auf dem Fluß zurückkamen von unserer -langen Reise, in voller Glorie -- so kann man wohl sagen -- und als -das Städtchen uns mit einem Fackelzug und mit Ansprachen und mit -allgemeinem Hurra und Jubelgeschrei empfing, -- ja, da waren wir -Helden, und darnach war ja Tom Sawyers Sehnsucht immer gestanden. - -Eine Zeitlang war er denn auch wirklich zufrieden. Alle Leute feierten -ihn, und er trug seine Nase hoch und ging mit einer Miene im Städtchen -herum, als ob es ihm ganz allein gehörte. Einige nannten ihn ›Tom -Sawyer den Reisenden‹, und dieser Titel machte ihn so aufgeblasen, daß -er beinahe geplatzt wäre. Natürlich stand er ganz anders da, als ich -und Jim, denn wir waren ja auf einem gewöhnlichen Floß stromabwärts -gefahren und nur stromauf mit dem Dampfer, Tom aber hatte den Hin- -sowohl wie den Rückweg auf dem Dampfboot gemacht. Die Jungens -beneideten Jim und mich nicht wenig, aber vor Tom -- ach, du liebe -Zeit, da krochen sie geradezu im Staube. - -Vielleicht wäre nun Tom doch zufrieden gewesen, wäre nur nicht der -alte Nat Parsons dagewesen. Das war der Postmeister, ein riesenlanger -und dünner, gutmütiger und ein bißchen beschränkter Mann, mit ganz -kahlem Kopf -- denn er war schon sehr alt -- und so ziemlich das -schwatzhafteste alte Geschöpf, das ich je gesehen habe. Volle dreißig -Jahre lang war er im Städtchen der einzige berühmte Mann gewesen; -berühmt war er als Reisender, und natürlich war er über alle Maßen -stolz darauf, und man hatte ihm nachgerechnet, daß er im Lauf der -dreißig Jahre mehr als eine Million Male die Geschichte von seiner -Reise erzählt und jedesmal wieder selber eine kindliche Freude daran -gehabt hatte. Und nun kommt da auf einmal ein Bengel von noch nicht -fünfzehn, und jedermann reißt Mund und Augen auf über _dessen_ Reisen! -Natürlich brachte das den alten Herrn außer Rand und Band. Es machte -ihn ganz krank, wenn er mit anhören mußte, wie Tom erzählte und wie die -Zuhörer dabei fortwährend riefen: »Ach Herrjeh,« »Nee, aber so was!« -»Ach du himmlische Barmherzigkeit!« usw. usw. Aber trotzdem mußte er -immer wieder zuhören; er war wie die naschhafte Fliege, die mit einem -Hinterbein in der Sirupschüssel festsitzt Und jedesmal, wenn Tom eine -Pause machte, dann fing der arme alte Herr von seiner abgedroschenen -alten Reise an und quälte sich ab, sie so recht zur Geltung zu bringen --- aber sie war wirklich schon _zu_ abgedroschen und zog nicht mehr, -und es konnte einem wirklich leid tun, wenn man’s mit ansah. Dann kam -Tom wieder an die Reihe und dann wiederum der Alte -- und so fort, und -so fort, eine Stunde lang und noch länger, und jeder wollte immer den -andern übertrumpfen. - -Mit Parsons Reise verhielt es sich so: Als er eben die -Postmeisterstelle gekriegt hatte und noch ein ganz grüner Neuling war, -da kam eines schönes Tages ein Brief für jemand, den er nicht kannte, -denn einen Mann mit solchem Namen gab’s im Städtchen überhaupt nicht. -Er wußte denn nun absolut nicht, was er anfangen sollte, und so lag -denn der Brief da, von einer Woche zur andern, bis der bloße Anblick -dem Postmeister übel machte. Das Porto für den Brief war nicht bezahlt -und das war ebenfalls ein Grund zu Sorgen. Wie sollte er denn nur die -10 Cents einziehen? Und dann, wer konnt’s wissen, vielleicht machte -die Regierung ihn verantwortlich dafür und setzte ihn ab, weil er das -Strafporto nicht eingezogen hatte ... - -Zuletzt konnte er’s einfach nicht länger aushalten; er konnte nachts -nicht mehr schlafen, konnte nicht mehr essen und war zu einem Schatten -abgemagert. Trotzdem wagte er’s nicht, jemand um Rat zu fragen; denn -der Ratgeber konnte ja womöglich hinterlistig sein und der Regierung -die Geschichte von dem Brief mitteilen. Er hatte den Brief unter dem -Fußboden versteckt, aber auch das half nichts. Wenn zufällig mal jemand -auf der betreffenden Stelle stand, so bekam der Postmeister eine -Gänsehaut; schwarzer Verdacht bemächtigte sich seiner und er blieb auf, -bis die Stadt still und dunkel war; dann schlich er sich an die Stelle -und holte den Brief wieder hervor und verbarg ihn an einem andern -Platz. Natürlich wurden die Leute scheu und schüttelten die Köpfe und -flüsterten allerlei, denn aus seinen Blicken und Bewegungen schlossen -sie, er hätte einen Menschen totgeschlagen oder sonst irgend was -Fürchterliches begangen -- und wäre er ein Fremder gewesen, so hätte -man ihn gelyncht. - -Also, wie gesagt, er konnte es nicht länger aushalten, und so beschloß -er denn in seinem Sinn, er wollte nach Washington machen und geraden -Wegs zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gehen und frei von der -Leber weg sprechen und den Brief herausholen und ihn vor der ganzen -Regierung offen hinlegen und sagen: - -»So! da ist er! Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Aber der Himmel ist -mein Zeuge: ich bin unschuldig und verdiene nicht die volle Schwere -der gesetzlichen Strafe, und ich lasse eine Familie zurück, die ohne -mich Hunger leiden muß und doch gar nichts mit der Geschichte zu tun -gehabt hat. Und das ist die reine Wahrheit und darauf kann ich einen -Eid leisten!« - -Gedacht, getan. Er fuhr ein Stückchen mit dem Dampfer und ein Stückchen -mit der Postkutsche, aber den ganzen übrigen Teil der Reise machte er -zu Pferde, und er brauchte drei Wochen bis Washington. Er sah viele -Länder und unzählige Dörfer und vier große Städte. Acht Wochen lang war -er fort und nie zuvor war in unserem Städtchen[2] ein Mann so stolz wie -er, als er nun wieder daheim war. Durch seine Reisen war er der größte -Mann in der ganzen Gegend geworden; von keinem hatte man je so viel -gesprochen; dreißig Meilen weit kamen die Leute angereist, ja sogar -von Illinois her, bloß um ihn zu sehen -- und da standen sie dann und -glotzten ihn an und er plapperte. So was war noch niemals dagewesen. - - [2] Hannibal am Mississippi. - -Nun war denn natürlich die Frage, wer der größte Reisende sei: Nat -oder Tom. Einigkeit war darüber nicht zu erzielen; die einen sagten, -Nat wäre es, die anderen schworen auf Tom. Jedermann gab zu, daß Nat -dem jüngeren Nebenbuhler in der Länge der Reise über war, aber dafür -war Tom denn doch in einem ganz anderen Klima gewesen. Die Wage hielt -so ziemlich das Gleichgewicht. Jeder von den beiden mußte deshalb seine -gefährlichsten Abenteuer in die Wagschale werfen. Die Kugel in Toms -Bein war für Nat sozusagen eine harte Nuß zu knacken, aber Nat knackte, -so gut er konnte. Er war jedoch dabei entschieden im Nachteil, denn Tom -saß nicht still, wie er eigentlich hätte tun sollen, sondern er hinkte -fortwährend im Zimmer herum, während Nat das Abenteuer ausmalte, das er -seiner Zeit in Washington gehabt hatte. Tom hinkte nämlich noch, als -seine Wunde schon längst wieder heil war; er übte sich nachts in seiner -Schlafstube im Hinken und konnte es daher natürlich großartig. - -Mit Nats Abenteuer nun verhielt es sich folgendermaßen: Ob die -Geschichte ganz wahr ist, das weiß ich nicht; vielleicht hatte er sie -in einer Zeitung gelesen oder sonstwo aufgeschnappt; aber das muß ich -sagen: er verstand sie zu erzählen! Es schauerte einem durch alle -Glieder und der Atem stand einem still, wenn er sie vortrug, und Frauen -und Mädchen wurden manchmal so blaß und schwach dabei, daß sie gar -nicht mehr wußten, wo sie hin sollten. So gut ich’s vermag, will ich -ihm die Geschichte nacherzählen: - -Er kommt also nach Washington und stellt sein Pferd ein und holt seinen -Brief heraus und fragt nach dem Weg zu des Präsidenten Haus. Man sagt -ihm, der Präsident sei auf dem Kapitol und wolle nach Philadelphia -reisen -- keine Minute sei zu verlieren, wenn er ihn noch sprechen -wolle. Nat fiel beinahe in Ohnmacht, so schlecht wurde ihm zumute. Sein -Pferd stand abgesattelt im Stall; was sollte er nun bloß anfangen? Aber -gerade in dem Augenblick kommt ein Nigger mit seiner alten rumpligen -Droschke vorbeigefahren. Sofort erfaßt Nat die Situation; er stürzt auf -die Straße und schreit: - -»’nen halben Dollar, wenn du mich in ’ner halben Stunde nach dem -Kapitol fährst, und ’n viertel extra, wenn du’s in zwanzig Minuten -machst!« - -»Schön!« sagt der Nigger. - -Nat also springt in die Droschke und schmeißt den Schlag zu, und -los geht’s holterdipolter über das fürchterlichste Pflaster, das -man sich denken kann, und das Gerumpel und Geratter war geradezu -schauerlich. Nat steckt die Arme durch die Halteriemen und hält sich -aus Leibeskräften fest, aber nicht lange, da stößt die Karre an einen -großen Stein, und fliegt, hops!, hoch in die Luft empor und der Boden -fällt heraus, und als die Droschke wieder unten ist, da sind Nats -Füße auf dem Grund und er sieht sofort, daß er in verzweifelter Lage -ist, wenn er nicht so schnell laufen kann, wie die Droschke fährt. Er -hatte einen fürchterlichen Schreck bekommen, aber er ging mit aller -Macht ins Zeug und hielt sich an den Armriemen und streckte die Beine, -daß es eine Art hatte. Er schrie und rief dem Kutscher zu, er sollte -halten, und alle Menschen auf der Straße schrieen ebenfalls, denn sie -sahen unter dem Wagen seine dünnen Beine entlang wirbeln und durch die -Fenster seinen Kopf und seine Schultern immer auf und nieder fahren, -und merkten, daß er in fürchterlicher Gefahr war. Aber je mehr sie -riefen, desto lauter kreischte und gröhlte der Nigger und hieb auf die -Pferde los und rief: »Habben keine Bange nich der Herr; gemachen muß es -werden und ich machen’s!« - -Denn natürlich dachte er, sie wollten ihn zum Schnellfahren antreiben, -und von Nats Rufen konnte er vor dem Geratter nichts hören. Und so -ging es denn, hast du nicht gesehen, immer weiter, und den Leuten, die -es sahen, standen die Haare zu Berge. Und als sie schließlich beim -Kapitol ankamen, da war’s die schnellste Fuhre, die je ’ne Droschke -gemacht hat, das sagten alle. Die Pferde waren ganz matt und Nat troff -vor Schweiß und war wie gerädert, und er war voll Staub, die Kleider -hingen in Fetzen an seinem Leibe und seine Stiefel hatte er verloren. -Aber er war zur rechten Zeit da, und zwar gerade noch im allerletzten -Augenblick. Er kam vor den Präsidenten und gab ihm den Brief und alles -war in schönster Ordnung. Der Präsident begnadigte ihn auf der Stelle -und Nat gab dem Nigger drei Vierteldollars extra statt nur eines; denn -das sah er ja ein, hätte er nicht die Droschke gehabt, so hätte er auch -nicht annähernd zur rechten Zeit kommen können. - -Es war tatsächlich ein großes Abenteuer, und Tom Sawyer mußte sich alle -Mühe geben, um mit seiner Kugelwunde dagegen aufzukommen. - -Nun, wie’s so geht, nach und nach verblaßte Toms Ruhmesglanz, denn es -kamen andere Gesprächsstoffe auf, worüber die Leute schwatzen konnten: -erst ein Wettrennen, und dann eine Feuersbrunst, und dann der Zirkus, -und darauf die Sonnenfinsternis; und diese brachte dann, wie es -meistens der Fall ist, eine Wiederbelebung der Frömmigkeit zuwege, und -so war denn von Tom nicht mehr viel die Rede, und das machte ihn ganz -krank und vergällte ihm alle Freude am Leben. - -Es dauerte nicht lange, so war er den ganzen Tag verdrießlich und -reizbar und wenn ich ihn fragte, warum er denn nur in solcher Stimmung -sei, dann antwortete er, es bräche ihm beinahe das Herz, wenn er -daran dächte, wie die Zeit verränne und daß er immer älter und älter -würde, ohne daß ein Krieg ausbräche und er auch nur die geringste -Menschenmöglichkeit sähe, sich einen Namen zu machen. So denken ja nun -freilich alle Jungen, aber er war der erste, den ich diese Gedanken -frei und offen aussprechen hörte. Er sann also Tag und Nacht auf einen -Plan, wie er berühmt werden könnte. Bald hatte er denn auch einen -und er bot Jim und mir an, an seinem Ruhme teil zu nehmen. In dieser -Hinsicht war Tom Sawyer immer edelmütig. Viele Jungen sind über die -Maßen gut und freundlich, wenn einer was Gutes hat, aber wenn sie -selber mal was Gutes kriegen, dann sagen sie einem kein Wort davon und -versuchen es für sich allein zu behalten. So war Tom Sawyer niemals, -das kann ich ihm wohl nachsagen. Viele Jungen schlängeln sich an einen -heran, wenn man einen Apfel hat und bitten einen um das Kernhaus. Aber -wenn sie dann selber einen haben, und man bittet sie um’s Kernhaus und -erinnert sie daran, daß man ihnen auch ’mal ein Kernhaus gegeben hat -- -jawohl, da heißt’s ›Prost die Mahlzeit‹, aber vom Kernhaus sieht man -nichts. Da kann man sich den Mund wischen. - -Wir gingen in das Gehölz auf dem Berg, und Tom sagte uns, was es war. -Es war ein Kreuzzug. - -»Was ist ein Kreuzzug?« fragte ich. - -Tom sah mich geringschätzig an, wie er’s immer tut, wenn ihm jemand -leid tut. Dann sagte er: - -»Huck Finn, du willst doch nicht behaupten, daß du nicht weißt, was ein -Kreuzzug ist?« - -»Nee,« sag’ ich, »ich weiß es nicht. Und ich mache mir auch nichts -daraus. Ich habe so lange gelebt und bin gesund gewesen, ohne es zu -wissen. Aber so bald du mir es sagst, was es ist, dann weiß ich’s -ja, und das ist früh genug. Ich sehe nicht ein, wozu ich mir Sachen -austifteln und mir meinen Kopf damit vollpfropfen soll, wenn ich -vielleicht niemals ’ne Gelegenheit habe, davon Gebrauch zu machen. -Na, was ist denn also ein Kreuzzug? Aber eins kann ich dir zum Voraus -sagen: wenn’s was zum Patentieren ist, da ist kein Geld mit zu machen. -Bill Tompson ...« - -»Zum Patentieren?« rief Tom. »Hat man je so einen Schafskopf gesehen? -Ein Kreuzzug ist eine Art von Krieg.« - -Ich dachte, er hätte seinen Verstand verloren. Aber nein, er meinte es -in vollem Ernst und fuhr ganz ruhig fort: - -»Ein Kreuzzug ist ein Krieg, um das heilige Land von den Heiden zu -erlösen.« - -»Was für’n heiliges Land?« - -»Na, das heilige Land -- es gibt doch bloß eins.« - -»Was sollen wir denn damit anfangen?« - -»Nanu, begreifst du denn das nicht? Es ist in den Händen der Heiden, -und ’s ist unsere Pflicht, es ihnen abzunehmen.« - -»Warum haben wir’s ihnen denn überlassen?« - -»Wir haben’s ihnen gar nicht überlassen. Sie haben es immer gehabt.« - -»Ja, Tom, dann muß es aber doch ihnen gehören, nicht wahr?« - -»Natürlich gehört es ihnen. Wer hat denn was anderes gesagt?« - -Ich dachte über seine Worte nach, konnte aber nicht recht -herausbekommen was er meinte. Ich sagte daher: »Das ist für mich zu -hoch, Tom Sawyer. Wenn ich ’ne Farm hätte, und die wäre mein, und ein -anderer wollte sie haben, wäre es dann recht, wenn er ...« - -»Ach, Quatsch, Huck Finn! Es handelt sich um keine Farm, es handelt -sich um ganz was anderes. Höre mal zu, die Sache ist so: ihnen gehört -das Land, aber bloß das Land und nichts weiter; aber _wir_, wir Juden -und Christen, haben’s zum _heiligen_ Land gemacht und darum haben sie -dort gar nichts zu suchen. Es ist ’ne wahre Schande und wir können es -keine Minute länger dulden. Wir sollten gegen sie ausziehen und es -ihnen wegnehmen.« - -»Hm, die Sache kommt mir denn doch über alle Maßen verzwickt vor. Wenn -ich ’ne Farm hätte und ein anderer ...« - -»Sagte ich dir nicht, es hat mit ’ner Farm gar nichts zu tun? Ein -Farmer hat ein Geschäft, ein ganz gewöhnliches alltägliches Geschäft; -weiter kann man darüber nichts sagen. Aber dies hier -- das ist was -Höheres -- das ist Religion, also ganz was anderes.« - -Jim schüttelte den Kopf und sagte: - -»Massa Tom, gewiß sein da eine Irrung -- ganz gewiß. Ich selber haben -Relion und kennen viele andere mit Relion, aber nie haben ich gehört -von so was.« - -Darob wurde Tom hitzig und er rief: - -»Wahrhaftig, so eine vernagelte Dummheit kann einen ja ganz krank -machen! Wenn einer von euch beiden ’was von Weltgeschichte gelesen -hätte, so würde er wissen, daß Richard Kördeloon und der Papst und -Gottfried von Buloon und ’ne Masse andere höchst edelherzige und fromme -Leute mehr als zweihundert Jahre lang auf die Heiden losgedroschen und -losgehackt haben, um ihnen ihr Land wegzunehmen, und daß sie die ganze -Zeit über bis an den Hals in Blut wateten -- und hier erlauben sich ein -paar Dummköpfe von Hinterwäldlern am Missouri die Anmaßung, besser als -alle jene Helden wissen zu wollen, was Recht und was Unrecht an den -Kreuzzügen gewesen sei. Quatscht ihr und der Deubel!« - -Na, das ließ natürlich die Sache in einem ganz andern Licht erscheinen, -und Jim und ich kamen uns recht gering und unbedeutend vor und wir -dachten bei uns, wir hätten lieber nicht so vorlaut sein sollen. Ich -konnte keine Worte finden und Jim brachte ’ne Zeit lang auch nichts -heraus; endlich aber sagte er: - -»Nu, so ich denken, alles sein in die Richte; denn wenn sie nix -wußten, wie sollten wir arme dumme Leut’ versuchen, was zu wissen? -Und so, wenn’s unsere Schuldigkeit is, nu, so müssen wir Werk in -Hand nehmen und tun, was möglich sein. Aber die arme Heidenvolk tun -mir leid. Sein es nix hart, Leut’ zu Tode zu machen, das man nie hat -gesehen? Seh’ Sie, Massa Tom, das sein es! Aber dann ...« - -»Dann? wann dann?« - -»Hem, Massa Tom, ich haben eine Gedank. Es tun nu mal nix helfen, wir -können die arme Fremders nix zu Tode machen, was uns nie nix getan -haben. Erst müssen wir uns in die Todmacherei üben, Massa Tom -- -jawoll, das müssen wir! jawoll, ich wissen, es gehen sonst nix. Wenn -wir nu aber eine Beil nehm’ oder zwei, ich meinen bloß Sie, Massa Tom, -un Jim un Huck, un husch husch über die Fluß, wann heut nacht die Mond -nix mehr scheinen, un schlagen die kranke Leut’ tot da oben auf die -Hügel un brennen ihre Haus nieder un ...« - -»O, ihr macht mir Kopfweh!« rief Tom, »Ich will mich auf gar keine -Worte mehr mit Leuten wie du und Huck einlassen, die nie bei der -Sache bleiben können und nicht mal’n Ding begreifen, das so gut und -gesetzlich ist wie die schönste Theologie!« - -Nun, das war aber nicht schön von Tom Sawyer! Jim meinte es doch nicht -böse und ich auch nicht. Wir wußten vollkommen, daß er im Recht war -und wir Unrecht hatten, und wir wollten ja bloß das ›Warum?‹ wissen -und weiter nichts. Und wenn er’s nicht so auseinandersetzen konnte, -daß wir’s verstanden, nun so lag das einzig und allein an unserer -Unwissenheit; unwissend waren wir und ein bißchen gar zu schwer von -Begriff auch, das leugne ich nicht. Aber, du lieber Gott, das ist doch -kein Verbrechen! - -Aber er wollte nun ’mal nichts mehr davon hören; sagte bloß, wenn wir -die Sache richtig begriffen hätten, so hätte er ’n paar tausend Ritter -aufgebracht und hätte sie von Kopf zu Fuß in Stahl gekleidet, und ich -wäre Leutnant geworden und Jim sein Marketender. Und er selber hätte -’s Kommando übernommen und hätte die ganze Heidenwirtschaft ins Meer -gefegt wie Fliegen und wäre als Sieger in einem Glorienschein wie -Abendgold durch die Welt gegangen. Aber wir wüßten ja nicht mal so ’ne -Gelegenheit zu benutzen, sagte er, und darum wollte er sie uns auch -nicht wieder bieten. Und dabei blieb’s. Wenn er sich mal was in den -Kopf gesetzt hatte, dann war nichts zu machen. - -Aber darum ließ ich mir keine grauen Haare wachsen. Ich bin von -friedfertiger Anlage, und was soll ich mich mit Leuten ’rumschlagen, -die mir nichts zuleide tun? Ich dachte bei mir: wenn die Heiden -zufrieden sind, mir solls Recht sein, und dabei wollen wir’s belassen. - -Diese ganze Geschichte hatte sich Tom aus dem Buch von Walter Scott, -worin er immer las, in den Kopf gesetzt. Und es war ’ne wilde Sache, -denn meiner Meinung nach hätte er die Ritter nicht zusammengebracht, -und wenn schon, so hätte er höchst wahrscheinlich mit samt all seinem -Kriegsvolk Klopfe gekriegt. Ich machte mich nachher auch über das Buch -her und las es von A bis Z, und, soweit ich daraus klug werden konnte, -hatten die meisten Leute, die ihre Bauernhäuser verließen und auf die -Kreuzzüge gingen, nicht gerade ein sanftes Leben davon! - - - - -Zweites Kapitel - - -Tom dachte sich denn nun also ein Ding nach dem andern aus, aber -ein jedes hatte seine schwache Stelle und mußte daher auf die Seite -geschoben werden. Zuletzt war er in heller Verzweiflung. Auf einmal -standen in den Zeitungen von St. Louis lange Geschichten von dem -Luftballon, der nach Europa segeln sollte; Tom dachte wohl daran, auch -hinzufahren und sich das Ding anzusehen, konnte aber nicht recht zu -einem festen Entschluß kommen. Die Zeitungen schrieben jedoch immerfort -darüber; so dachte er denn, wenn er nicht hinginge, würde sich ihm -vielleicht nie wieder ’ne Gelegenheit bieten, ’nen Ballon zu sehen. -Außerdem erfuhr er, Nat Parsons wolle auch hinfahren, und das brachte -ihn natürlich zum Entschluß. Er konnte doch nicht leiden, daß Nat nach -seiner Rückkunft überall von dem Luftballon schwadronierte, den er -gesehen; da hätte er dabeisitzen müssen und ruhig den Mund halten! Er -bat also mich und Jim mitzukommen und wir reisten ab. - -Es war ein prächtiger großer Luftballon mit Flügeln und dergleichen, -ganz anders als die Ballons, die man abgebildet sieht. Die -Auffahrtsstelle befand sich weit draußen am Rande der Stadt, auf -einem leeren Bauplatz an der Ecke der zwölften Straße. Eine dichte -Menschenmenge stand herum und machte schlechte Witze über das -Luftschiff und über den Mann, einen mageren blassen Herrn mit jenem -bekannten Mondscheinblick im Auge. Sie sagten fortwährend, das Ding -würde nicht gehen. Er wurde ganz wild darüber, drehte sich alle -Augenblicke nach den Leuten um und rief mit geballten Fäusten, sie -wären blindes Viehzeug, aber eines Tages würden sie merken, daß sie -einen von den Männern vor sich gehabt hätten, durch welche Nationen -hochgebracht würden und denen allein alle Fortschritte der Zivilisation -zu verdanken wären. Ja, dann würden sie merken, daß sie nur zu dumm -gewesen wären, um das zu sehen, und hier auf dem Fleck würden ihre -Kinder und Enkel ein Denkmal errichten, das ein Jahrtausend überdauern -würde; sein Name aber würde das Denkmal überdauern! - -Darauf brüllte dann wieder die Menge vor Lachen und allerlei Fragen -hagelten auf ihn nieder: wie er vor seiner Heirat geheißen hätte, und -was er haben wollte, wenn er’s bleiben ließe, und wie die Großmutter -von seiner Schwester Katze hieße usw., wie eben der große Haufe sich -benimmt, wenn er ’nen Mann vor sich hat, den er gehörig plagen kann. -Na, einiges von dem, was sie sagten, war wirklich lustig, -- gewiß, -und sogar sehr witzig, das leugne ich nicht, aber trotzdem war’s nicht -schön und war keine Heldentat: alle diese Leute mit behendem und -scharfem Mundwerk gegen den einen Mann, der seine Zunge absolut nicht -zu gebrauchen wußte. Aber freilich, wozu um Gottes willen mußte er -überhaupt seinen Mund auftun? Sie _waren_ ihm nun doch mal über. Aber -ich vermute, ’s lag so in seiner Natur und er konnte nichts dafür. Er -war gewiß ein ganz guter Kerl, eine harmlose Seele, aber er war, wie -die Zeitungen sagten, ein Genie und das war doch nicht seine Schuld. -Wir können nicht alle vernünftig sein und wie wir sind, so müssen wir -eben verbraucht werden. Wenn ich die Sache recht verstehe, so meinen -Genies, sie wissen alles, und hören darum nicht auf das, was andere -Leute sagen, sondern gehen ihre eigenen Wege, und deshalb wenden sich -denn alle von ihnen ab und sprechen verächtlich über sie, wie es ja -ganz natürlich ist. Wenn sie bescheidener wären und auf andere Leute -hörten und was zu lernen sich bemühten, so wären sie besser daran. - -Das Ding, worin der Professor war, sah aus wie ’n Boot, groß und -geräumig, und auf der Innenseite liefen rings herum wasserdichte -Behälter, um alle möglichen Sachen aufzubewahren; man konnte auf ihnen -sitzen und sie auch als Bettstellen benutzen, wenn man schlafen wollte. -Wir gingen an Bord. Es waren ungefähr zwanzig Leute darin, die überall -herumschnüffelten und sich alles ansahen, und der alte Nat Parsons war -auch dabei. Der Professor machte sich eifrig mit den Vorbereitungen -zum Aufstieg zu schaffen und die Besucher stiegen daher wieder aus, -einer nach dem andern, und Nat Parsons war der letzte. Natürlich ging -es nicht an, daß er nach uns das Luftschiff verließ, denn wir mußten -unbedingt die Letzten sein, um Toms und seines Publikums willen. -Deshalb blieben wir ganz ruhig in der Gondel. - -Endlich aber war er draußen; es wurde daher auch für uns Zeit -auszusteigen. Ich hörte ein lautes Geschrei und drehte mich um -- -die Stadt sank unter uns in die Tiefe als wäre sie aus einer Kanone -geschossen! Mir wurde vor Angst ganz übel. Jim wurde grau und konnte -kein Wort herausbringen und Tom sagte ebenfalls nichts, sah aber -ganz aufgeregt aus. Die Stadt sank immer tiefer, tiefer, tiefer; wir -selber aber schienen ganz still immer auf demselben Fleck in der Luft -stehen zu bleiben. Die Häuser wurden kleiner und immer kleiner, und -die Stadt schob sich zusammen, dicht und immer dichter, und Menschen -und Fuhrwerke sahen aus wie herumkrabbelnde kleine Ameisen und Käfer -und die Straßen wurden zu Fäden und feinen Spalten. Dann schmolz -alles ineinander zusammen und es war überhaupt keine Stadt mehr da --- nur ein großer Fleck auf der Erde, und es kam mir vor, als könnte -man tausend Meilen stromaufwärts und tausend Meilen weit stromabwärts -sehen -- obwohl es natürlich nicht so viel war. Allmählich wurde -die Erde zu einer Kugel von düsterer Färbung, die kreuz und quer von -hellen Streifen durchgezogen -- das waren Flüsse. Witwe Douglas hatte -mir immer schon erzählt, die Erde sei rund wie ’ne Kugel, aber ich -mochte auf ihren abergläubischen Kram nicht hören und hatte natürlich -auch diesen Unsinn nicht weiter beachtet, denn ich sah ja selber, daß -die Welt flach ist wie ’n Teller. Ich war sogar auf den Berg gegangen -und hatte mich mit eigenen Augen umgeguckt, um mich zu überzeugen -- -denn ich bin der Meinung, man kriegt am besten ’nen richtigen Begriff -von einer Sache, wenn man sie sich selbst ansieht, und sich nicht auf -das verläßt, was andere Leute sagen. Aber nun mußte ich zugeben, daß -Witwe Douglas recht gehabt hatte. Das heißt: sie hatte recht mit Bezug -auf den übrigen Teil der Welt; aber der Teil, worauf unser Städtchen -liegt, der ist und bleibt flach wie ’n Teller, darauf will ich ’nen Eid -leisten! Der Professor war die ganze Zeit über ruhig gewesen, beinahe -als ob er schliefe; aber auf einmal brach er los und rief in bitterem -Zorn: - -»Die Idioten! Sie sagten mein Schiff würde nicht fliegen, und -wollten’s untersuchen und darauf herumspionieren und das Geheimnis aus -mir herauslocken! Aber ich hab’ sie angeführt! Kein Mensch kennt das -Geheimnis außer mir. Niemand außer mir weiß, was das Schiff treibt; -’s ist ’ne neue Kraft -- ’ne ganz neue, tausendmal so stark als alles -andere auf Erden. Dampf ist Kaff dagegen. Sie sagten, ich könnte nicht -nach Europa fahren. Nach Europa! Bah, ich habe Kraft für fünf Jahre -an Bord und Lebensmittel für drei Monate. Sie sind verrückt! Was -verstehen sie davon? Und dann sagten sie, mein Schiff sei zerbrechlich! -Zerbrechlich! Fünfzig Jahre lang kann’s aushalten. Ich kann mein -ganzes Leben lang in den Lüften herumfahren, wenn ich Lust habe, und -kann es steuern, wohin ich will. Und sie lachten mich aus und sagten, -ich könnt’s nicht. Könnt’ nicht steuern! Komm her, Junge; das wollen -wir gleich mal sehen. Du drückst bloß auf die Knöpfe, die ich dir -bezeichne.« - -Er ließ nun Tom das Schiff nach allen Richtungen hin steuern und -Tom lernte es im Handumdrehen; er sagte uns, es ginge ganz leicht. -Der Professor ließ ihn das Schiff beinahe ganz auf den Erdboden -herunterbringen, und es strich so dicht über die Felder von Illinois -hin, daß man mit den Landleuten hätte sprechen können, denn wir hörten -ganz deutlich jedes Wort, das sie sagten. Und der Professor warf ihnen -bedruckte Zettel zu, darin stand allerlei über den Ballon, und daß wir -nach Europa segelten. Dann brachte der Professor Tom bei, wie er den -Ballon zu landen hätte. Auch das lernte er famos, er setzte uns ganz -sanft und leise auf die Wiese nieder. Aber sowie wir Miene machten -auszusteigen, rief der Professor: »Nä, das nicht!« und ließ den Ballon -wieder in die Lüfte emporschießen. Jim und ich begannen zu flehen, -aber das machte den Mann bloß ärgerlich, er fing an zu toben und vor -Wut die Augen zu verdrehen, und ich kriegte ’ne Höllenangst vor ihm. -Dann fing er wieder von den bösen Menschen an und brummte und knurrte -darüber, wie man ihn behandelt hätte; und besonders darüber, daß die -Leute gesagt hatten, sein Schiff sei zerbrechlich, konnte er, wie’s -scheint, nicht hinwegkommen. Und dann hatte man gesagt, das Luftschiff -sei nicht einfach genug und werde fortwährend in Unordnung geraten. In -Unordnung! Das regte ihn fürchterlich auf; er rief, der Ballon würde so -wenig in Unordnung geraten wie ’ne Sonnenzisterne.[3] - - [3] Eine kleine Verwechselung mit dem Sonnensystem. - -Es wurde immer schlimmer mit ihm und ich habe niemals einen Menschen in -solcher Wut gesehen. Beim bloßen Anblick überlief mich ’ne Gänsehaut -und Jim ging’s nicht besser. Allmählich wurde sein Sprechen zu lautem -Geschrei und Gekreisch; er schwor, die Welt sollte sein Geheimnis -überhaupt nicht kennen lernen; man hätte ihn zu niederträchtig -behandelt. Er wollte mit seinem Ballon um den ganzen Erdball -herumfahren, um ihnen zu zeigen, was er damit leisten könnte, und dann -wollte er den Ballon und sich selber und uns dazu ins Meer versenken. -Es war ’ne verflucht ungemütliche Lage für uns, und dabei brach auch -noch die Nacht herein. - -Er gab uns was zu essen und befahl uns dann, nach dem hinteren Ende -der Gondel zu gehen. Er selbst streckte sich auf einer von den Bänken -aus, von wo aus er den ganzen Mechanismus hantieren konnte, legte seine -alte Revolver-Pfefferbüchse unter seinen Kopf und sagte, wenn einer -von uns so verrückt wäre, das Luftschiff landen zu wollen, den würde er -totschießen. - -Wir saßen aneinander geschmiegt und machten uns recht viele Gedanken, -sprachen aber wenig -- wir hatten zu große Angst. Allmählich senkte -sich die Nacht hernieder. Wir segelten ziemlich niedrig, und im -Mondschein sah alles so hübsch und lieblich aus; wir hörten die -Geräusche, die von den Gehöften kamen, und wünschten, wir wären dort -unten. Aber wie ein Geisterhauch schwebten wir über sie hin, ohne eine -Spur zu hinterlassen. Spät in der Nacht -- man hörte den Geräuschen von -drunten an, daß es spät war, und man merkte es an der Luft, ja man roch -es ihr sozusagen an -- dem Gefühl und Geruch der Luft nach dachte ich, -es müsse etwa zwei Uhr sein -- spät in der Nacht also sagte Tom, der -Professor wäre jetzt so still, er müßte wohl eingeschlafen sein, und -darum sollten wir ... - -»Sollten wir ... was?« fragte ich flüsternd. Und mir war ganz schlimm -dabei zu Mute, denn ich wußte, woran Tom dachte. - -»Wir sollten uns zu ihm heranschleichen und ihn binden und mit dem -Luftschiff landen!« antwortete er. - -Ich sagte: »Um Gottes willen nicht! Rühr’ dich nicht vom Fleck, Tom -Sawyer!« - -Und Jim -- ja, dem blieb vor Angst einfach die Luft weg. Er sagte: - -»O, Massa Tom, tu Sie ja nich! Wenn Sie ihn anrühren, es sein alle mit -uns, warraftig alle mit uns! Ich tät’ ihm nich zu nah kommen, nich für -nix auf die Welt! Er sein verrückt wie ’ne ...« - -»Eben drum!« flüsterte Tom. »Eben drum _müssen_ wir das tun. Wäre er -nicht verrückt, so gäbe ich, ich weiß nicht was, darum, um bloß hier -auf dem Luftschiff zu sein; keine zehn Pferde sollten mich von hier -wegkriegen, jetzt wo ich mit dem Ding umzugehen weiß und die erste -Angst, als wir plötzlich den festen Grund unter den Füßen verloren, -überwunden ist. Wenn er nur seinen rechten Verstand hätte! Aber mit so -’nem Menschen ’rumzugondeln, der ’ne Schraube verloren hat und sagt, -er wolle um die Welt segeln und nachher uns alle ersäufen -- nee, das -geht nicht. Wir _müssen_ was tun, sage ich euch, und zwar bevor er -aufwacht, sonst haben wir vielleicht niemals wieder ’ne Gelegenheit -dazu. Kommt!« - -Aber uns überlief ’ne eiskalte Gänsehaut bei dem bloßen Gedanken -daran, und wir rührten uns nicht von der Stelle. Tom sagte darauf, -er wollte allein an den Professor herankriechen und versuchen, ob er -nicht an den Steuerapparat herankommen und den Ballon landen könnte. -Wir baten und flehten, er möchte es nicht tun, aber es half uns -nichts. Er kroch auf Händen und Füßen Zoll um Zoll vorwärts, und uns -stockte der Atem, als wir das mit ansahen. Als er in der Mitte der -Gondel angekommen war, fing er an noch langsamer zu kriechen, und mir -kam es vor, als vergingen Jahre darüber. Zuletzt aber sahen wir, wie -er bei des Professors Kopf war; da richtete er sich halb auf und sah -ihm ins Gesicht und lauschte. Dann kroch er wieder Zoll um Zoll zu -des Professors Füßen herunter, wo die Steuerknöpfe waren. Er kam auch -richtig an und griff langsam und bedächtig nach den Knöpfen; aber dabei -stieß er an irgend etwas an. Es gab ein Geräusch, und plumps! lag er -flach auf dem Boden der Gondel. - -Der Professor fuhr empor und rief: »Was ist das?« - -Aber wir hielten uns alle mäuschenstill; er brummte und gähnte und -streckte sich wie jemand, der aus dem Schlaf aufwacht, und ich dachte, -ich sollte vor Angst und Zagen umkommen. - -Auf einmal schob sich eine Wolke vor den Mond, und ich hätte vor Freude -beinahe laut aufgeschrieen. Der Mond verschwand immer tiefer in den -Wolken und es wurde so dunkel, daß wir Tom nicht mehr sehen konnten. -Dann begannen Regentropfen zu fallen und wir hörten, wie der Professor -an seinen Stricken und Knöpfen herumbastelte und auf das Wetter -fluchte. Wir fürchteten jede Minute, er könnte Tom entdecken -- und -dann wären wir alle rettungslos verloren gewesen. Aber Tom war schon -auf dem Rückweg und auf einmal fühlten wir seine Hände auf unseren -Knieen. Da ging mir vor Angst plötzlich die Luft aus und das Herz fiel -mir in die Hosen; denn in der finsteren Nacht konnte ich nicht wissen, -ob es nicht der Professor wäre; und ich dachte wirklich, er wär’s. - -O je, die Freude, als wir ihn nun wirklich zurück hatten! So vergnügt -kann bloß einer sein, der mit einem Verrückten in der Luft ’rumfährt! -Im Dunkeln kann man mit einem Luftballon nicht landen; ich hoffte -daher, der Regen möchte andauern, denn ich wünschte durchaus nicht, daß -Tom noch ’mal sein Glück versuchte und uns wieder in die unbehagliche -Angst versetzte. Na, mein Wunsch ging in Erfüllung. Den ganzen übrigen -Teil der Nacht regnete es immer sachte weg; das war nun freilich keine -sehr lange Zeit, uns aber kam sie endlos vor. - -Mit Tagesanbruch heiterte der Himmel sich auf und die Welt sah über -alle Maßen lieblich und hübsch aus in ihrem grauen Dunst, und was für’n -schöner Anblick war’s, Felder und Wälder wieder zu sehen! Und Pferde -und Ochsen standen so klar und deutlich da und sahen so nachdenklich -aus. Dann kam in heiterer Pracht die Sonne herauf, und wir fühlten auf -einmal wie müde und kaput wir waren, und ehe wir’s uns versahen, waren -wir alle drei fest eingeschlafen. - - - - -Drittes Kapitel. - - -Als wir einschliefen, war es ungefähr vier Uhr und gegen acht -wachten wir auf. Der Professor saß auf seinem Platz und machte ein -verdrießliches Gesicht. Er warf uns etwas zum Frühstück zu und sagte -uns, wir dürften nicht weiter gehen als bis zum Mittelschiffs-Kompaß; -dieser befand sich ungefähr in der Mitte der Gondel. - -Wenn man so einen rechten Hunger gehabt hat und dann auf einmal sich -ordentlich satt essen kann, dann sieht man die Welt mit ganz anderen -Augen an; es wird einem beinahe ganz behaglich zu Mute, selbst wenn -man mit einem Genie sich in einem Ballon hoch oben in den Lüften -befindet. Nach dem Essen rückten wir drei näher zusammen und begannen -zu plaudern. Besonders ein Umstand war da, der mir gar nicht aus dem -Kopf wollte, und im Lauf des Gesprächs bemerkte ich: - -»Tom, fahren wir nicht nach Osten?« - -»Ja.« - -»Wie schnell sind wir gesegelt?« - -»Na, du hörtest doch selber, was der Professor sagte, als er gestern -so herumtobte. Manchmal, sagte er, machten wir in der Stunde fünfzig -Meilen[4], manchmal neunzig, manchmal hundert; wenn er mit einem -tüchtigen Sturm segelte, so könnte er jederzeit dreihundert machen, -und wenn er einen Sturm haben wollte, so brauchte er bloß den Ballon -höher steigen oder tiefer sinken zu lassen, bis er den Sturm und die -gewünschte Richtung hätte.« - - [4] englische. - -»Na ja, das hatte ich mir gedacht: der Professor log!« - -»Warum?« - -»Wenn wir so schnell gefahren wären, so hätten wir doch schon über -Illinois hinaus sein müssen, nicht wahr?« - -»Gewiß.« - -»Na, so weit sind wir aber nicht!« - -»Woher weißt du das?« - -»Ich seh’s an der Farbe. Wir sind immer noch mitten über Illinois. Und -du kannst selber sehen, daß Indiana noch nicht in Sicht ist.« - -»Was ist denn bloß dir in die Krone gefahren, Huck? Du sagst, du siehst -es an der Farbe?« - -»Natürlich!« - -»Was hat denn die Farbe damit zu tun?« - -»’ne ganze Masse! Illinois ist grün, Indiana hellrot. Nun zeig mir mal -da unten auch nur den kleinsten hellroten Fleck, wenn du kannst! Gibt’s -gar nicht -- ’s ist alles grün!« - -»Indiana hellrot?! Donnerwetter, was bist du für ein Lügenbeutel!« - -»Nichts von Lügen! Ich hab’s auf der Karte gesehen, und Indiana ist -hellrot!« - -Machte aber der Tom Sawyer ein ärgerliches Gesicht! Endlich sagte er: - -»Weißt du, Huck Finn, wenn ich so dämlich wäre wie du, da spränge ich -lieber gleich über Bord! Hat’s auf der Landkarte gesehen!! Huck Finn, -meintest du wirklich, die Oberfläche jedes einzelnen Staates wäre von -derselben Farbe, wie sie auf der Karte dargestellt ist?« - -»Tom Sawyer, was hat ’ne Landkarte für ’nen Zweck? Man soll doch wohl -Tatsachen draus ersehen können?« - -»Natürlich.« - -»Schön! Wie kann man aber das, wenn die Karte lügt? Das möcht’ ich wohl -wissen!« - -»Du bist ein Quatschkopf! Sie lügt ja gar nicht!« - -»Ach nee! wirklich nicht? lügt sie nicht?« - -»Natürlich nicht!« - -»Sehr gut! Na, wenn die Landkarte nicht lügt, dann gibt’s keine zwei -Staaten von derselben Farbe. Was sagst du _dazu_, Tom Sawyer?!« - -Er sah, ich hatte ihn fest und Jim sah es auch; und ich muß sagen, ich -war mächtig stolz darauf, denn Tom Sawyer war einer, mit dem man in -einem Wortgefecht nicht so leicht fertig wurde. Jim schlug sich auf den -Schenkel und rief: - -»Donnawetta! Das is fermost! Das is einfach fermost! Da is nix zu -sagen, Massa Tom; diesmal hat Huck Finn Sie fest! Jawoll!« Und dabei -schlug er sich noch einmal auf den Schenkel und sagte: »Junge, Junge! -Das war warraftig fermost!« - -Nie in meinem Leben war ich innerlich so stolz gewesen, und dabei hatte -ich gar kein Bewußtsein davon gehabt, daß ich so was Berühmtes sagte, -als bis es heraus war. Ich plapperte eigentlich bloß so in den Tag -hinein, aber auf einmal, paff!, da schoß es aus mir heraus! - -Aber Tom war ärgerlich und sagte, Jim und ich wären zwei unwissende -Windbeutel und es wäre besser, wenn wir unseren Mund hielten. Ich habe -herausgefunden, daß fast jeder ärgerlich wird, wenn er auf einen guten -Einwand nichts zu erwidern weiß. - -Auf einmal bemerkte er ganz tief, tief unter uns einen Kirchturm; -er nahm ein Fernrohr zur Hand und sah nach der Turmuhr, holte seine -silberne Taschenuhr hervor und sah nach der Zeit, und dann wieder auf -den Turm und nochmals auf die silberne Zwiebel und sagte schließlich: - -»Das ist komisch! Die Uhr da geht beinahe ’ne Stunde vor!« - -Er zog seine Taschenuhr auf; dann bemerkte er einen andern Kirchturm -und sah wieder hin, und wieder ging die Uhr ’ne Stunde vor. Das machte -ihn nachdenklich und er sagte: - -»Die Geschichte ist wirklich sonderbar. Wie das zugeht, versteh’ ich -nicht!« - -Wieder nahm er das Fernrohr und suchte sich noch einen Kirchturm, und -richtig -- auch diese Uhr ging ’ne Stunde vor. Auf einmal riß er die -Augen ganz weit auf und machte ein paarmal den Mund auf und zu, als -müßte er nach Luft schnappen, und dann plötzlich rief er: - -»Hei--li--ges -- Don--nerr--wet--terrr! ’s ist der Längengrad!« - -Ich kriegte einen ganz gehörigen Schreck und fragte: - -»O je, o je, was ist denn nun wieder los?« - -»Nichts weiter, als daß diese alte Blase ganz mir nichts dir nichts -über Illinois und Indiana und Ohio weggesaust ist und daß wir da unter -uns die Ostseite von Pennsylvanien oder New York oder so ’ne ähnliche -Gegend haben!« - -»Tom Sawyer, das ist doch nicht dein Ernst!« - -»Jawohl, das ist es, und die Sache steht bombenfest! Seit wir gestern -nachmittag aus St. Louis abfuhren, haben wir ungefähr fünfzehn -Längengrade gekreuzt, und die Uhren da unten gehen richtig! Wir haben -an die achthundert Meilen gemacht.« - -Ich glaubte ihm das nicht, aber trotzdem lief mir eine eiskalte -Gänsehaut über den Buckel. Ich wußte aus eigener Erfahrung, daß man zu -einer solchen Strecke auf einem Floß den Mississippi herunter beinahe -zwei Wochen gebraucht. - -»Seht mal!« belehrte Tom uns. »Der Zeitunterschied beträgt für jeden -Längengrad ungefähr vier Minuten. Fünfzehn Grade machen ’ne Stunde, -dreißig zwei Stunden usw. Wenn sie in England Dienstag morgen um ein -Uhr haben, so ist es in New York Montag abend um acht.« - -Jim rückte auf seiner Bank ein Stück von Tom ab, und man konnte ihm -ansehen, daß er beleidigt war, denn er schüttelte fortwährend den Kopf -und brummte vor sich hin; ich schob mich darum nahe zu ihm heran und -tätschelte ihn auf die Beine und gab ihm gute Worte und brachte ihn -denn auch schließlich so weit, daß er seinen Gefühlen Luft machte. - -»Massa Tom!« sagte er. »Quassel Sie nix sowas! Dingsdag auf’m einen Ort -un Mondag auf’m annern, un beides auf’m selben Dag! Huck, hier is nix -gut zu spaßen, hier ganz oben, oben in die Luft! Zwei Dage auf einen -Dag?! So? Wie kriegt man denn zwei Dage in _einen_? Kann Sie zwei -Stunden in _eine_ kriegen, häh? Kann Sie zwei Nigger in _eines_ Niggers -Haut kriegen, häh? Kann Sie zwei Maß Whisky in ’ne Kruke kriegen, wo -bloß _ein_ Maß ringeht, häh? Nu, guckemal, Huck -- wenn nu dieser -Dingsdag Neujahrsdag wär’ -- was dann? Will da einer behaupten, ’s wär -am einen Ort Neujahr, un am annern Ort Altjahr, akkrat in dieselbigte -Minute? Das is ja ’n vermaledeiter Unsinn! So was kann ich gar nix mit -anhören, ach du lieber großer Gott, nä!« - -Auf einmal fängt er an zu zittern und wird ganz grau und Tom sagt: - -»Na, was ist denn nun los? Was hast du denn?« - -Jim kann gar kein Wort hervorbringen, aber endlich sagt er: - -»Massa Tom, Sie mach’ nix Spaß, un es _is_ so?« - -»Nein, ich denke nicht dran, und es ist wirklich so!« - -Jim kriegt wieder das Zittern und sagt: - -»Denn könnt’ ja der Dingsdag der Jüngste Dag sein, un denn hätten sie -in England keinen Jüngsten Dag, un denn würden die Doten nix geruft. Da -dürfen wir nix hingehn, Massa Tom! Bitte, krieg Sie ihm dazu, daß er -umkehrt; ich will un muß dabei sein, wenn der Jüngste Dag ...« - -Auf einmal sahen wir was und sprangen alle miteinander auf unsere Füße -und vergaßen alles und jedes und konnten bloß staunen und die Augen -aufreißen. Und Tom rief: - -»Ist das nicht ...?« Ihm ging die Luft aus, aber dann fuhr er fort: -»Jawohl, er ist’s! Sowahr ich lebe! ’s ist der Ozean!« - -Da blieb auch Jim und mir die Luft weg! Wie versteinert standen wir -alle drei da, aber glücklich! Denn keiner von uns hatte je ’nen Ozean -gesehen oder auch nur gedacht, daß uns mal so etwas beschieden sein -könnte. Tom brummelte fortwährend vor sich hin: - -»Atlantischer Ozean -- Atlantischer! Herrgott, klingt das großartig! -Und da unten _ist_ er -- und wir, wir sehen ihn mit unseren eigenen -Augen -- wir! Das ist ja so was Wundervolles, daß man sich gar nicht -getraut, es zu glauben!« - -Dann sahen wir ’ne dicke Wolke von schwarzem Rauch, und als wir -näher kamen, da war’s ’ne Stadt, und zwar ein riesiges Ungetüm von -einer Stadt, mit einem dicken Kranz von Schiffen an der einen Seite; -und wir dachten, ob das wohl New York sein möchte, und stritten uns -darüber herum und ehe wir’s uns versahen, da war die Stadt unter uns -weggeglitten und lag weit, weit hinter uns -- und da waren wir mitten -über dem Ozean selber und fuhren dahin mit der Schnelligkeit einer -Windsbraut. Da wurden wir aber mit einem Mal ganz hell wach, das kann -ich versichern! Wir stürzten nach hinten und erhoben ein Jammergeheul -und baten den Professor himmelhoch, er möchte doch umkehren und uns an -Land setzen, aber er riß sein Pistol aus der Tasche und schrie uns an, -wir sollten zurückgehen -- und wir gingen, aber wie jämmerlich uns zu -Mute war, davon wird kein Mensch je sich einen Begriff machen können. - -Das Land war verschwunden, bloß noch ein kleiner Streif, so schmal -wie ’ne Schlange, war am Rande des Wassers, und in der Tiefe unter -uns, da war nichts als Ozean, Ozean, Ozean -- Millionen Meilen von -Ozean und das hob sich und warf sich und wirbelte, und weißer Gischt -sprühte von den Wogenkämmen, und im ganzen Gesichtskreise waren bloß -ein paar Schiffe, die wurden hin- und hergeschleudert und legten sich -erst auf die eine Seite und dann auf die andere und fuhren bald mit -dem Bug, bald mit dem Stern in die Tiefe. Und es dauerte nicht lange, -dann waren überhaupt keine Schiffe mehr zu sehen und wir waren ganz -mutterseelenallein zwischen dem hohen Himmel und dem endlosen Meere --- und es war die weiteste Fläche, die ich je gesehen hatte, und die -grenzenloseste Einsamkeit. - - - - -Viertes Kapitel. - - -Und einsamer wurde es und immer einsamer. Ueber uns war das riesige -Himmelsgewölbe -- leer und furchtbar tief; und unter uns war der Ozean, -auf dem wir bloß die Wellenköpfe sahen. Rund um uns her war ein Ring, -in welchem Himmel und Wasser zusammenliefen; ja ein riesengroßer Ring -war es und wir waren genau in dessen Mitte. Wir sausten dahin mit der -Schnelligkeit eines Prairiebrandes; aber das machte in der Entfernung -keinen Unterschied, allem Anschein nach kamen wir über unseren -Mittelpunkt nicht hinaus; so viel ich sah, konnten wir dem Ring nicht -um Zollbreite näher kommen. Es wurde einem ganz seltsam dabei zu Mute; -es war so eigentümlich und so unerklärlich. - -Und dabei war alles so furchtbar still, daß wir unwillkürlich anfingen -leise zu sprechen, und die Einsamkeit machte uns immer bänger und -benahm uns die Lust zu plaudern und schließlich hörte das Gespräch ganz -auf und wir saßen bloß da und ›denkten‹, wie Jim sich ausdrückt, und -sagten kein Wort mehr. - -Der Professor rührte sich nicht, bis die Sonne über unseren Köpfen -stand; da richtete er sich auf und hielt eine Art Dreieck vor seine -Augen, und Tom sagte, das wäre ein Sextant, und er nähme die Stellung -der Sonne, um zu sehen, wo der Luftballon sich befände. Hierauf -rechnete er ein bißchen und sah in einem Buche nach und dann kriegte -er wieder seinen Anfall. Er sprach eine Menge wildes Zeug und sagte -unter anderem, er wollte dieses Hundertmeilentempo bis zum nächsten -Nachmittag beibehalten und dann würde er in London landen. - -Wir sagten, dafür würden wir ihm in tiefster Seele dankbar sein. - -Er hatte sich umgedreht, aber als wir das sagten, da sprang er auf -einmal ganz wild wieder herum und warf uns einen ganz abscheulichen -langen Blick zu -- selten habe ich einen so boshaften und mißtrauischen -Blick gesehen! Dann sagte er: - -»Ihr wollt von mir gehen! Versucht nicht, das abzuleugnen.« - -Wir wußten nicht, was wir antworten sollten, und hielten deshalb den -Mund und sagten gar nichts. - -Er ging nach hinten und setzte sich wieder hin, aber augenscheinlich -konnte er diesen Gedanken nicht wieder los werden. Von Zeit zu Zeit -rief er uns irgend etwas zu, was darauf Bezug hatte, und versuchte eine -Antwort aus uns heraus zu bringen; aber wir wagten nicht zu sprechen. - -Immer drückender wurde das Gefühl der Einsamkeit, und es kam mir -vor, als könnte ich’s bald nicht länger aushalten. Als die Nacht -hereinbrach, wurde es damit noch schlimmer. Auf einmal kneift mich Tom -und flüstert: »Sieh mal hin!« - -Ich gucke nach hinten und sehe, wie der Professor einen Schluck aus -’ner Flasche nimmt. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ab und zu nahm -er wieder einen Schluck und es dauerte nicht lange, so fing er an zu -singen. Es war jetzt dunkel -- eine schwarze und stürmische Nacht. -Er sang fortwährend, immer wilder und wilder, und der Donner begann -zu grollen, und der Wind zu brausen und im Tauwerk zu heulen -- und -das alles zusammen war fürchterlich. Es wurde so dunkel, daß wir den -Professor überhaupt nicht mehr sehen konnten, und wir wünschten, wir -hätten ihn auch nicht hören können -- aber da hätten wir keine Ohren -haben müssen. - -Dann wurde er still. Aber als er noch keine zehn Minuten still gewesen -war, da wurde uns das noch unheimlicher, und wir wünschten, er möchte -wieder mit seinem Spektakel anfangen, damit wir wenigstens wüßten, wo -er wäre. Auf einmal zuckte ein Blitz und wir sahen, daß er aufzustehen -versuchte, aber er stolperte und fiel wieder hin. Wir hörten ihn in die -Finsternis hineinschreien: - -»Sie mögen nicht nach England gehen? Auch recht; ich will den Kurs -ändern. Sie wollen von mir gehen. Jawohl, ich weiß, sie wollen es! -Schön, sie sollen’s -- und zwar _jetzt gleich_!« - -Ich kam vor Angst beinahe um, als er dies sagte. Dann war es wieder -still -- eine so lange Zeit, daß ich’s gar nicht mehr aushalten konnte, -und es kam mir vor, als wollte der Blitz niemals wieder kommen. Aber -schließlich da kam so ein ersehnter Blitz, und richtig, da war der -Professor; er kroch auf Händen und Knieen und war keine vier Fuß weit -von uns entfernt. O, was machte er für fürchterliche Augen! Er machte -einen Satz auf Tom zu und rief: - -»Ueber Bord mit dir!« - -Aber es war schon wieder pechdunkel und ich konnte nicht sehen, ob er -ihn kriegte oder nicht, und Tom war mäuschenstill. - -Dann kam wieder ein langes gräßliches Warten! Dann wieder ein Blitz -und ich sehe außerhalb des Bootes Tom seinen Kopf niederducken und -verschwinden. Er war auf der Strickleiter, die vom Dollbord herunter -frei in der Luft hing. Der Professor stieß einen Schrei aus und tat -einen Satz, und im Nu war’s wieder pechfinster, und Jim stöhnte: - -»Arme Massa Tom, er is hin!« - -Damit wollte Jim sich auf den Professor stürzen, aber der Professor war -nicht da. - -Dann hörten wir zwei entsetzliche Schreie -- dann noch einen, nicht -ganz so laut -- und noch einen, der kam ganz tief von unten her, und -man konnte ihn gerade eben noch hören. Und Jim sagte: - -»Arme Massa Tom!« - -Dann wurde es grauenhaft still; man hätte, glaube ich, bis viertausend -zählen können, bis der nächste Blitz kam. Als es blitzte, sah ich -Jim auf den Knieen liegen; die Arme hatte er über die Bank gestreckt -und sein Kopf lag auf seinen Armen und er weinte. Ehe ich über Bord -sehen konnte, war alles wieder dunkel, und das war mir lieb, denn ich -_wollte_ nichts sehen. Aber als der nächste Blitz kam, da war ich mit -meinem Kopf schon über’m Bootsrand, und da sehe ich unter mir jemanden -auf der schaukelnden Strickleiter -- und es ist Tom! - -»Komm ’rauf!« schrei’ ich. »Komm ’rauf, Tom!« - -Seine Stimme war so schwach und der Sturm brüllte so fürchterlich, daß -ich nicht verstehen konnte, was er sagte; aber es kam mir vor, als -fragte er, ob der Professor bei uns oben sei. Ich schrie: - -»Nein! Der ist unten im Ozean! Komm ’rauf! Können wir dir helfen?« - -Dies alles ging natürlich in düsterster Finsternis vor sich. - -»Huck! wen rufst du da?« stöhnte auf einmal Jim. - -»Ich rufe Tom.« - -»O, Huck, wie kannst du? Du weißt doch, arme Massa Tom ...« - -Weiter kam er nicht; er stieß einen fürchterlichen Schrei aus und -gleich darauf noch einen und warf seinen Kopf und seine Arme hintenüber --- denn gerade in dem Augenblick kam ein weißer Blitz und über dem -Dollbord hob sich Toms Gesicht, ganz schneeweiß, empor und sah ihm -gerade in die Augen. Er dachte natürlich, es sei Toms Geist. - -Tom kletterte an Bord, und als Jim merkte, daß er’s _wirklich_ war -und nicht sein Geist, da herzte er ihn und gab ihm alle möglichen -Kosenamen und tat, als wäre er vor Freuden ganz verrückt geworden. Als -schließlich ein bißchen Ruhe eintrat, fragte ich: - -»Worauf wartetest du denn, Tom! Warum kamst du nicht gleich wieder -herauf?« - -»Durfte ich nicht, Huck! Ich merkte, daß jemand bei mir vorbei -plumpste, aber in der Dunkelheit wußte ich nicht, wer es war. Es hätte -Jim sein können oder auch du, Huck Finn!« - -Das war der echte Tom Sawyer -- immer vernünftig! Er kam nicht eher -nach oben, als bis er wußte, wo der Professor war. - -Der Sturm hatte sich inzwischen zu seiner höchsten Gewalt entwickelt; -es war fürchterlich, wie der Donner brüllte, wie die Blitze blendend -zuckten, wie der Wind im Tauwerk heulte und pfiff und wie der Regen -herniederströmte. In der einen Sekunde konnte man nicht seine Hand -vor Augen sehen und in der nächsten konnte man die Fäden im Rockärmel -zählen und sah durch einen Regenschleier eine ganze weite Wüste von -rollenden schäumenden Wellen. Ein solcher Sturm ist das Prächtigste, -was es auf der Welt gibt -- aber nicht wenn man oben unter dem Himmel -fährt, wo man in der Einsamkeit den Weg nicht weiß, wenn man bis auf -die Haut durchnäßt ist, und gerade eben einen Todesfall in der Familie -gehabt hat! - -Wir saßen am Bugspriet zusammen gedrängt und sprachen leise vom -Professor; und uns allen tat er leid, der arme Mann, den die Welt -verspottet und hart behandelt hatte, während er ihr doch sein Bestes -gab; und dabei hatte er keinen Freund oder sonst einen Menschen gehabt, -um ihn zu ermutigen und ihn aufzuheitern, wenn die trüben Gedanken über -ihn kamen, die ihn schließlich verrückt machten. - -Am andern Ende der Gondel waren Kleider und Decken und dergleichen in -Hülle und Fülle; aber wir ließen uns lieber durchnaß regnen als daß wir -in jener Nacht etwas davon angerührt hätten. - - - - -Fünftes Kapitel. - - -Wir versuchten irgend einen Plan aufzustellen, konnten aber nicht einig -werden. Jim und ich waren dafür, umzukehren und wieder nach Hause zu -fahren. Tom aber meinte, wir sollten lieber den Tagesanbruch abwarten, -um ordentlich sehen zu können; bis dahin aber würden wir so nahe bei -England sein, daß wir ebensogut dorthin fahren könnten; wir könnten -dann zu Schiff zurückkehren, und was wäre das nicht für ein Ruhm, wenn -wir später so etwas von uns sagen könnten! - -Gegen Mitternacht legte sich der Sturm; der Mond kam hervor und -beschien die Meeresfläche; uns wurde ganz behaglich zu Mute und der -Schlaf kam über uns. Wir streckten uns auf den Bänken aus und schliefen -ein und wachten nicht früher auf, als bis die Sonne am Himmel stand. -Die See funkelte wie von lauter Diamanten und es war schönes Wetter und -sehr bald waren alle unsere Sachen wieder trocken. - -Wir gingen achter, um uns etwas zum Frühstück zu suchen, und das -erste, was uns in die Augen fiel, war ein trübes Lichtchen, das in -einem Kompaß unter ’nem Glasdeckel brannte. Tom machte sich sofort -Gedanken darüber und sagte: - -»Ihr könnt euch wohl denken, was das bedeutet! Nichts anderes, als daß -hier jemand auf Wache stehen und dies Ding steuern muß, genau wie ein -Schiff gesteuert wird. Denn wenn der Ballon nicht gesteuert wird, so -treibt er sich in der Luft herum und segelt, wohin der Wind ihn führt.« - -»Hm,« sagte ich, »was hat denn unsere Gondel gemacht, seit wir ... eh -... seit wir den Unfall hatten?« - -»Sich herumgetrieben,« antwortete er, ein bißchen aus seiner Ruhe -gebracht, »sich herumgetrieben -- ohne allen Zweifel! Jetzt haben wir -einen Wind, der uns südöstlich treibt; wir können nicht wissen, wie -lange wir schon diesen Kurs halten.« - -Er stellte das Steuer wieder auf Osten und sagte, er wolle so lange -aufpassen, bis wir das Frühstück fertig gemacht hätten. Der Professor -hatte sich so gut verproviantiert, wie man’s nur wünschen konnte. -Da war alles in Hülle und Fülle vorhanden. Milch gab es allerdings -nicht zum Kaffee, aber Wasser war vorhanden und alles, was man sonst -nötig hatte, auch ein Kochofen mit Holzkohlenfeuerung und mit dem -erforderlichen Geschirr, und Pfeifen und Zigarren und Zündhölzer. -Ferner Weine und Liköre -- wofür _wir_ allerdings keine Verwendung -hatten; dann Bücher und Land- und Seekarten und ’ne Ziehharmonika --- und Pelze, Decken und eine unendliche Menge von allerlei Tand, -wie Messingperlen und dergleichen Zierat. Das war, wie Tom bemerkte, -ein sicheres Anzeichen, daß er darauf gerechnet hatte, mit Wilden -zusammenzukommen. Auch Geld war da. Ja, der Professor war nicht -schlecht ausgerüstet. - -Nach dem Frühstück zeigte Tom mir und Jim, wie das Steuer gehandhabt -wurde; dann verteilte er die Wachen, für jeden immer vier Stunden. -Als er mit seiner Wache fertig war, löste ich ihn ab, und er holte -des Professors Papier und Schreibzeug heraus, und setzte sich hin und -schrieb einen Brief nach Hause an seine Tante Polly. Darin erzählte er -ihr alles, was uns passiert war, und als er fertig war, datierte er -den Brief: - -›Im Firmament, in der Nähe von England‹, und faltete ihn säuberlich -zusammen und versiegelte ihn mit einer roten Oblate. Dann adressierte -er ihn und über der Adresse schrieb er mit dicken Buchstaben: - - _Von Tom Sawyer, dem Erronauter_ - -und er sagte, wenn der Brief mit der Post ankäme, da würde der alte Nat -Parsons, der Postmeister, einfach auf den Rücken fallen. - -Ich äußerte meine Meinung, wir wären ja doch nicht im Firmament, -sondern in einem Luftballon; aber über so etwas war mit Tom nun einmal -nicht zu diskutieren. Im Grunde wußte ich auch nicht so recht, was -eigentlich ein Firmament ist; Tom wollte es mir erklären, aber Jim und -ich bekamen trotzdem keinen rechten Begriff davon, und schließlich -ließen wir es sein und sprachen davon, was ein Erronauter sei. - -Ein Erronauter, sagte Tom, wäre ein Mensch, der in Luftballons -’rumführe, und es wäre ganz was Anderes und viel was Feineres, wenn -er sich ›Tom Sawyer, den Erronauter‹ nennen könnte, als wenn er bloß -›Tom Sawyer, der Reisende‹ wäre. Man würde überall auf der ganzen Welt -von uns sprechen, wenn wir nur das Ding zum rechten Ende brächten, und -darum hustete er von jetzt an was drauf, ›Tom Sawyer, der Reisende‹ zu -heißen. - -Als die Mitte des Nachmittags herankam, machten wir alles zum -Landen fertig, und uns war recht leicht ums Herz und wir fühlten -einen mächtigen Stolz in uns. Wir guckten fortwährend durch unsere -Ferngläser, wie Kolumbus, als er Amerika entdecken wollte. Aber wir -sahen nichts als lauter Ozean und Ozean. Der Nachmittag verstrich, die -Sonne ging unter und immer noch war nirgendwo Land zu sehen. Die Sache -kam uns sonderbar vor, aber wir dachten, sie würde schon in Ordnung -kommen. Wir blieben also dabei, ostwärts zu steuern, nur stiegen wir -etwas höher hinauf, damit wir nicht im Dunkel gegen einen Berg oder -sonstige Hindernisse anstoßen möchten. - -Von acht Uhr abends bis Mitternacht hatte ich die Wache, dann löste Jim -mich ab; aber Tom blieb auf, weil Schiffskapitäne, wie er sagte, das -immer täten, wenn sie dicht beim Lande wären. - -Als es nun Tag wurde, da stieß auf einmal Jim ein lautes Geschrei aus -und wir sprangen auf und guckten über den Rand der Gondel und richtig! -da war das Land -- rund um uns herum nichts als Land, soweit das Auge -reichte, und vollkommen flach und ganz gelb! Wir wußten nicht, wie -lange wir schon über dem Land gewesen waren, denn da waren weder Bäume, -noch Berge, noch Felsen, noch Städte, und Tom und Jim hatten gedacht, -es sei das Meer, das spiegelglatt unter ihnen daläge; übrigens hätte -es von der Höhe aus, in der wir uns befanden, spiegelglatt ausgesehen, -selbst wenn die Wellen haushoch gegangen wären. - -Wir waren jetzt alle riesig aufgeregt und nahmen schnell die Ferngläser -vor die Augen und suchten überall nach London, aber da war nicht das -geringste weder von London noch überhaupt von einer menschlichen -Niederlassung zu sehen -- nicht ’mal ein See oder ein Fluß war zu -erblicken. Tom war ganz kleinlaut geworden. Er sagte, so einen Begriff -hätte er sich von England nicht gemacht; er hätte immer gemeint, -England sähe genau so aus wie Amerika. Er schlug schließlich vor, wir -wollten lieber unser Frühstück essen und dann den Ballon herunterlassen -und uns erkundigen, wie wir auf dem kürzesten Wege nach London kämen. -Mit dem Frühstück waren wir sehr schnell fertig -- unsere Ungeduld war -zu groß. Als wir nachher uns in niedrigere Regionen herabließen, begann -das Wetter milde zu werden, und sehr bald zogen wir unsere Pelze aus. -Aber es wurde immer noch milder, und im Nu war’s beinahe zu milde. Wir -waren nämlich jetzt dicht über dem Erdboden und da herrschte geradezu -eine Backofenhitze. - -Ungefähr dreißig Fuß über dem Lande machten wir Halt; ich sage ›Land‹, -indem ich annehme, daß man so etwas Land nennen darf; denn da gab es -nichts als reinen Sand! Tom und ich kletterten die Leiter herunter und -fingen an zu laufen, um unsere Beine wieder ein bißchen geschmeidig zu -machen; den Beinen tat denn auch die Bewegung wunderbar gut -- aber -den Füßen weniger, denn der Sand verbrannte uns die Sohlen, als wären -wir auf glühende Kohlen getreten. Nicht lange, so sahen wir jemanden -herankommen, und sofort liefen wir ihm entgegen; aber wir hörten -Jim schreien und drehten uns nach ihm um und sahen, daß er wie ein -Besessener herumsprang und Zeichen machte und schrie. Was er sagte, -konnten wir nicht verstehen, aber wir kriegten es doch mit der Angst -und liefen so schnell wir konnten nach dem Luftschiff zurück. Als wir -nahe genug gekommen waren, unterschieden wir seine Worte, und mir wurde -ganz übel zumute, als ich sie hörte: - -»Rennt!« schrie er. »Rennt, wenn euch euer Leben lieb is. Das is ’n -Löwe! Ich seh ihm durch die Fernglas! Rennt Jungens! Rennt, was das -Zeug halten will! Er is gewiß aus die Menascherie gelaufen un da is -niemand, der ihn wieder kriegen kann!« - -Tom flog wie ein Pfeil dahin, aber mir schlotterten die Beine, als wenn -ich gar keine Knochen mehr drin gehabt hätte. Ich konnte mich bloß so -hinschleppen, wie’s einem im Traum manchmal passiert, wenn ein Gespenst -hinter einem her ist. - -Tom war natürlich der Erste bei der Leiter; er kletterte ein Stück -hinauf und wartete auf mich; sobald ich glücklich auf der untersten -Stufe stand, rief er Jim zu, er sollte losrutschen. Aber Jim hatte -völlig den Kopf verloren und sagte, er wüßte nicht mehr, wie’s gemacht -würde. Tom kletterte daher weiter hinauf und sagte, ich sollte -nachkommen; aber der Löwe war schon ganz in der Nähe und stieß bei -jedem Sprung ein ganz fürchterliches Gebrüll aus; davon zitterten -mir die Beine dermaßen, daß ich nicht wagte, mich von der Sprosse zu -rühren, denn ich dachte, wenn ich den einen Fuß hochhöbe, so würde der -andere allein mich nicht mehr tragen können. - -Inzwischen aber hatte Tom sich in die Gondel hineingeschwungen; er ließ -den Ballon ein Stück in die Höhe gehen, hielt aber sofort wieder an, -als das Ende der Strickleiter zehn oder zwölf Fuß über dem Boden war. - -Und da war auch schon der Löwe. Wie tobte er unter mir herum, wie -brüllte er, wie sprang er in die Höhe und schnappte nach der Leiter! -Es sah aus als verfehlte er sie nur um Viertelszollbreite. Es war ja -köstlich, wirklich köstlich, außer seinem Bereich zu sein, und ich -empfand dies als ein ungeheuer angenehmes Gefühl, wofür ich herzlich -dankbar war; andererseits aber hing ich hilflos da und konnte nicht -hochklettern, und dabei wurde mir denn wieder sterbensübel zu Mute. -Es kommt wohl sehr selten vor, daß jemand derartig gemischte Gefühle -empfindet, und im großen und ganzen kann ich eine derartige Situation -nicht für empfehlenswert erklären. - -Tom fragte mich, was er anfangen sollte, aber ich konnte ihm daraufhin -keinen Bescheid geben. Er meinte, ich könnte mich vielleicht so lange -festhalten, bis er nach einem sicheren Platz gesegelt wäre, wohin der -Löwe nicht so schnell mitlaufen könnte. Ich antwortete, es würde mir -wahrscheinlich möglich sein, wenn er den Ballon nicht höher steigen -ließe; aber wenn er höher ginge, so würde ich ganz gewiß schwindlig -werden und herunterfallen. - -»Halt dich nur ordentlich fest!« rief Tom, und damit segelte er los. - -»Nicht so schnell!« schrie ich. »Mir wird schon gelb und grün vor den -Augen!« - -Er war nämlich mit Blitzzugsgeschwindigkeit abgefahren. Tom mäßigte die -Schnelligkeit und wir glitten langsamer über den Sand hin; aber es ist -und bleibt doch im höchsten Grade ungemütlich, wenn man in lautloser -Stille den Boden so unter sich weggleiten sieht. - -Mit der Lautlosigkeit nahm es indessen sehr bald ein Ende, denn der -Löwe kam uns nachgesprungen. Und sein Gebrüll wurde beantwortet. Wir -sahen die Bestien aus allen Himmelsrichtungen herangehopst kommen und -im Nu waren ein paar Dutzend unter mir. Sie sprangen nach der Leiter -und fauchten sich gegenseitig an und schnappten nacheinander. So -rutschten wir übers Land hin und die braven Löwen taten, was in ihren -Kräften stand, um uns das Erlebnis unvergeßlich zu machen; und es -kamen immer mehr Bestien -- sie schienen es nicht für nötig zu halten, -eine Einladung von uns abzuwarten -- und das Getümmel unter uns wurde -unbeschreiblich. - -Wir sahen ein, so konnte es nicht weiter gehen. Wenn wir nicht -schneller segelten, wurden wir die Löwen nicht los, und ich konnte mich -nicht ewig an der Strickleiter festhalten, denn dazu reichten meine -Kräfte nicht. - -Tom dachte über den Fall nach und kam auf eine andere Idee: einer von -den Löwen mußte mit des Professors Revolver totgeschossen werden, und -während die anderen Halt machten, um ihren Kameraden zu verspeisen, -konnten wir verschwinden. - -Gedacht, getan! Tom hielt den Ballon an, schoß eine von den Bestien -über den Haufen und der Spektakel ging los, ganz wie wir’s erwartet -hatten. Wir segelten eine Viertelmeile weiter und Tom und Jim halfen -mir in die Gondel hinein. - -Kaum waren wir damit fertig, so war auch die Löwenbande wieder da. -Aber es war zu spät für sie. Und als sie sahen, daß sie uns nicht mehr -kriegen konnten, da setzten sie sich auf ihre Hinterbacken und sahen -uns mit so schmerzlich enttäuschten Gesichtern nach, daß die armen -hungrigen Löwen uns wirklich leid taten. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Ich war so angegriffen, daß ich an gar nichts weiter dachte, als mich -schnell hinzulegen. Ich streckte mich daher auf meiner Bank aus, aber -in solcher Backofenhitze war nicht daran zu denken, wieder zu Kräften -zu kommen; Tom befahl daher, das Luftschiff höher steigen zu lassen, -und Jim führte seine Weisungen sofort aus. - -Wir mußten eine volle Meile aufsteigen, bis wir in eine angenehme -Luftschicht kamen, wo eine erfrischende Brise wehte und es weder zu -kalt noch zu warm war. Bald war ich wieder völlig bei Kräften. Tom -hatte die ganze Zeit über still und nachdenklich dagesessen, aber auf -einmal sprang er auf und sagte: - -»Ich will tausend gegen eins wetten: ich weiß, wo wir sind! Wir sind in -der Großen Sahara -- das ist bombensicher!« - -Er war so aufgeregt, daß er weder Arme noch Beine still halten konnte; -mich regte seine Mitteilung weniger auf; ich fragte bloß: - -»So? Na, wo ist denn die Große Sahara? In England oder in Schottland?« - -»Weder da noch dort -- sie ist in Afrika.« - -Da riß aber Jim die Augen auf! Mit riesiger Neugierde sah er sich das -Land an; und das war auch kein Wunder, denn da waren ja seine Vorfahren -hergekommen. Aber ich selber konnte es nur so halb und halb glauben; -mir schien denn doch, eine so kolossale Reise könnten wir unmöglich -gemacht haben. - -Tom indessen war voll von seiner ›Entdeckung‹, wie er es nannte. Die -Löwen und der Sand, sagte er, das bedeutete ganz bestimmt die große -Wüste. - -Jim sah immer noch durch das Fernrohr auf den Sand herunter. Auf einmal -schüttelte er den Kopf und sagte: - -»Massa Tom, da muß woll was nix richtig sein! Ich hab noch gar keine -Nigger nix gesehen!« - -»Das will nichts sagen! Sie leben nicht in der Wüste. Aber was ist denn -das? Da hinten ganz in der Ferne? Gebt mir ’mal ’n Fernrohr!« - -Er sah lange durch das Glas und sagte, es sähe aus wie ein langer -schwarzer Strich, der sich über den Sand hinzöge, aber er könnte nicht -begreifen, was es wohl sein möchte. - -»Na,« sagte ich, »vielleicht hast du jetzt ’ne Möglichkeit, genau -festzustellen, wo der Luftballon ist. Denn höchstwahrscheinlich ist das -doch eine von den Linien, die auf der Karte verzeichnet sind, und die -du Meridianlängen nanntest; wir brauchen bloß ’runterzugehen und uns -die Nummer anzusehen und ...« - -»O, Huck Finn! Was für ein Blödsinn! So einen Quatschkopf wie du bist -habe ich noch nie gesehen! Meinst du im Ernst, die Längenmeridiane sind -_auf der Erde_?« - -»Tom Sawyer, sie sind auf der Karte abgebildet, das weißt du recht -gut, und hier ist ja eine, das kannst du doch mit deinen eigenen Augen -sehen!« - -»Natürlich stehen sie auf der Karte; aber das beweist noch nichts! Auf -dem _Erdboden_ gibt es selbstverständlich keinen.« - -»Tom, weißt du das gewiß?« - -»Natürlich!« - -»Nun, dann hat die Landkarte wieder mal gelogen. So eine Lügerei wie -auf der Karte ist mir noch gar nicht vorgekommen!« - -Das brachte nun wieder Tom in hellen Eifer; aber ich wußte ihm mit -Worten zu dienen und Jim, der ganz meiner Meinung war, kam auch in -Hitze, und es ist gar nicht unmöglich, daß unsere Beweisführungen ein -bißchen handgreiflich geworden wären -- aber auf einmal warf Tom das -Fernrohr hin und klatschte in die Hände, wie wenn er den Verstand -verloren hätte, und schrie aus vollem Halse: - -»Kamele! Kamele!« - -Ich nahm schnell ein Fernrohr und Jim guckte auch darnach; aber ich war -enttäuscht und sagte: »Deine Großmutter hat wohl Kamele! Das sind ja -Spinnen!« - -»Spinnen in ’ner Wüste, du Schafskopf? Spinnen, die in einer langen -Reihe marschieren? Streng’ mal ’n bißchen deinen verehrlichen Schädel -an, Huck Finn, -- aber es kommt mir allerdings fast so vor, als hättest -du nichts drin! Du denkst wohl gar nicht dran, daß wir ’ne volle Meile -hoch oben in der Luft sind und daß der Streifen von Krabbeltieren zwei -oder drei Meilen entfernt ist. Spinnen -- heiliger Bimbam! Spinnen so -groß wie ’ne Kuh? Willst du nicht vielleicht runtergehen und eine von -ihnen melken? Aber verlaß dich nur darauf, was ich sage: es sind und -bleiben Kamele. ’s ist ’ne Karawane, ganz einfach ’ne Karawane, und sie -ist ’ne Meile lang!« - -»Na, denn wollen wir doch runtergehen und sie uns ansehen! Ich glaube -es nun ’mal nicht und werde nicht eher dran glauben, als bis ich’s -genau und deutlich selber sehe!« - -»Meinetwegen!« rief Tom und kommandierte: »Tiefer mit dem Ballon!« - -Als wir in die heiße Luftschicht kamen, da konnten wir denn sehen, -daß es wirklich Kamele waren -- eine endlose Reihe von bedächtig -schreitenden Tieren, die große Ballen auf ihren Rücken trugen. Auch -mehrere hundert Männer waren dabei, die hatten lange weiße Gewänder an -und um ihre Köpfe trugen sie lange Binden gewickelt, von denen Troddeln -und Fransen herniederhingen. Einige von ihnen hatten lange Flinten und -andere hatten keine; einige ritten und andere gingen zu Fuß. Und die -Hitze -- na, wir kamen uns vor, wie wenn wir auf ’nem Bratrost lägen. -Und wie langsam krochen sie durch die Wüste hin! Wir ließen uns nun -plötzlich hernieder und stoppten, als wir ungefähr hundert Meter über -ihnen waren. - -Die Männer schrieen alle miteinander plötzlich laut auf, und einige -warfen sich platt auf den Bauch, andere fingen an, mit ihren Flinten -nach uns zu schießen, und der Rest stob nach allen Windrichtungen -auseinander -- Menschen, Pferde und Kamele. - -Wir sahen, daß wir Wirrwarr anrichteten, und stiegen deshalb wieder -auf, bis wir ungefähr in der alten Höhe von einer Meile uns befanden, -wo die kühle Luftschicht war; von dort aus sahen wir uns alles an. -Sie brauchten beinahe eine Stunde, bis sie wieder alle zusammen und -in der richtigen Marschordnung waren; dann brachen sie wieder auf, -aber wir konnten durch unsere Fernrohre beobachten, daß sie bloß für -unseren Luftballon Augen hatten. Wir fuhren in ihrer Richtung weiter, -indem wir sie durch unsere Gläser genau betrachteten; das war ein sehr -interessanter Anblick. Auf einmal sahen wir einen großen Sandhügel und -jenseits desselben eine Menge Gestalten, die wir für Menschen hielten; -und oben auf dem Hügel lag etwas -- dem Anschein nach ein Mann; der -hob alle Augenblicke mal den Kopf in die Höhe und sah sich um -- ob -nach uns oder nach der Karawane, das konnten wir nicht unterscheiden. -Als die Karawane näher gekommen war, rutschte er auf der anderen Seite -des Hügels herunter und lief schnell zu den anderen Menschen -- wir -sahen jetzt, daß es solche waren -- die neben ihren Pferden hinter -dem Sandberg auf der Lauer gelegen hatten. Im Nu waren sie im Sattel -und wie ein Donnerwetter kamen sie hervorgesprengt, einige mit Lanzen -bewaffnet und andere mit langen Flinten, und alle miteinander schrieen -und heulten sie aus vollem Halse. - -Eins, zwei, drei waren sie bei der Karawane und in der nächsten Minute -prallten die beiden Parteien aufeinander. Dann folgte ein wildes -Durcheinander und ein Flintengeknatter, wie wir’s nie gehört hatten, -und die Luft war so voll von Pulverdampf, daß wir nur ab und zu einen -schnellen Blick auf das Handgemenge werfen konnten. - -Es müssen wohl mindestens sechshundert Mann an der Schlacht beteiligt -gewesen sein, und der Anblick war fürchterlich. Allmählich lösten -sie sich in einzelne kleine Abteilungen und Gruppen auf, die in -verzweifelter Wut miteinander kämpften und nicht abließen, wie wenn sie -sich ineinander verbissen hätten. Wenn der Pulverqualm sich auf kurze -Augenblicke ein wenig verzog, konnten wir tote und verwundete Menschen -und Kamele überall auf dem Boden verstreut liegen sehen, und die Tiere -liefen wie toll nach allen Richtungen davon. - -Schließlich sahen die Räuber ein, daß sie nichts ausrichten konnten; -ihr Hauptmann blies ein Signal und was von ihnen noch am Leben war, -sprengte über die Wüste davon. Der Letzte von den Räubern riß noch ein -Kind an sich und warf es vor seinem Sattel über das Pferd, und ein -Weib rannte schreiend und flehend hinter ihm her, bis sie eine weite -Strecke von ihren Leuten entfernt war. Sie konnte ihn nicht einholen -und schließlich gingen ihr die Kräfte aus und wir sahen, wie sie auf -dem Sande zusammenbrach und das Gesicht mit den Händen bedeckte. - -Da sprang Tom ans Steuer; wie der Sturmwind sausten wir auf den -Schurken los und unsere Gondel traf ihn, daß das Pferd niederfiel und -Räuber und Kind aus dem Sattel flogen. Er hatte eine ganz gehörige -Schramme gekriegt, aber das Kind war heil und ganz und lag mit Armen -und Beinen strampelnd da, wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen -ist und nicht wieder hoch kommen kann. Der Mann humpelte davon, um -wieder sein Pferd zu besteigen; er machte ein ganz verblüfftes Gesicht, -weil er nicht wußte, was ihn umgeschmissen hatte, denn wir waren -inzwischen schon wieder drei- bis vierhundert Meter hoch oben in der -Luft. - -Wir dachten, das Weib wäre nun hingegangen und hätte sich ihr Kind -geholt; aber das tat sie nicht. Wir sahen durch unsere Ferngläser, -wie sie noch immer auf derselben Stelle saß, den Kopf auf die Kniee -gesenkt. Sie hatte deshalb natürlich von dem ganzen Vorgange nichts -bemerkt und glaubte, ihr Kind wäre ihr von dem Mann für ewig geraubt. -Sie mochte eine halbe Meile von der Karawane entfernt sein und das -Kind lag etwa eine Viertelmeile von ihr auf dem Sand. Wir beschlossen -daher, es aufzuheben, denn vor den Leuten der Karawane brauchten wir -keine Angst zu haben; sie konnten nicht so schnell zu uns herankommen; -außerdem hatten sie noch für eine gute Weile alle Hände voll zu tun, um -für ihre Verwundeten zu sorgen. Deshalb beschlossen wir, das Wagnis zu -unternehmen. - -Wir gingen bis auf den Grund herab; Jim kletterte die Leiter herunter -und hob das kleine Kindchen auf; es war ein hübscher dicker Bengel und -er jauchzte und kreischte vor Vergnügen, was in Anbetracht der Umstände -eine anerkennenswerte Leistung war -- denn er hatte doch gerade eben -eine große Schlacht mitgemacht und war von einem Pferde abgeworfen -worden. - -Darauf segelten wir an die Mutter heran; wir hielten dicht hinter -ihrem Rücken und Jim kletterte wieder heraus und ging leise mit dem -Kind auf dem Arm zu ihr heran, und das Kleinchen lallte und quiekte -und sie hörte es und fuhr mit einem Freudenschrei herum. Dann nahm sie -ihr Kind und herzte und küßte es und setzte es wieder hin und herzte -und küßte Jim und hing ihm eine goldene Kette um, und fiel ihm wieder -um den Hals. Und dann riß sie wieder ihr Kind an sich und drückte es -gegen ihren Busen und schluchzte und jauchzte immer durcheinander. Jim -sprang schnell nach der Strickleiter und war im Nu oben bei uns in der -Gondel. Eine Minute darauf waren wir wieder hoch oben unterm Himmel, -und da stand das Weib und sah uns nach, den Kopf ganz tief in den -Nacken zurückgeworfen, und das Kind hatte die Aermchen um ihren Hals -geschlungen. - -Und so stand sie und sah uns nach, bis wir vor ihren Blicken tief im -Himmel verschwunden waren. - - - - -Siebentes Kapitel. - - -»Mittag!« sagte Tom. Und so mußte es wohl sein, denn sein Schatten -bildete nur einen kleinen Fleck um seinen Fuß herum. - -Wir hatten in unserer Gondel zwei Uhren, die nebeneinander befestigt -waren und ganz verschiedene Zeiten anzeigten. Tom sagte, es wären -Chronometer, und der eine zeigte die Zeit von St. Louis, der andere -die von Grinnitsch. Wir sahen nun auf diesen nach und es war beinahe -aufs Haar zwölf Uhr. So sagte denn Tom, Grinnitsch -- oder London, -denn das wäre ein und dasselbe -- wäre entweder direkt nördlich oder -direkt südlich von uns; aus der Hitze aber und dem Sand und den Kamelen -schlösse er, daß London wohl eher nördlich läge und zwar ’ne ganz -gehörige Anzahl Meilen -- etwa soweit wie von New York nach der Stadt -Mexiko. - -Jim meinte, ein Luftballon wäre doch wohl das schnellste Ding auf -der Welt; wenn nicht etwa irgend ein Vogel noch schneller wäre -- -vielleicht ’ne wilde Taube oder ’ne Eisenbahn. - -Aber Tom sagte, er hätte gelesen, daß in England mit der Eisenbahn auf -kurze Strecken bereits eine Geschwindigkeit von hundert Meilen in der -Stunde erzielt worden wäre, und es gäbe auf Erden keinen Vogel, der -eine solche Leistung fertig brächte -- mit Ausnahme eines einzigen, und -das wäre ein Floh. - -»Ein Floh? Hm, Massa Tom, erst mal is ein Floh sozusagen kein Vogel -nix ...« - -»Ist kein Vogel, häh! Na, was ist er denn?« - -»Ich weiß nix so genau, Massa Tom, aber ich denk beinah, es is woll -bloß so ’n Art Tier. Oder nein -- das is woll auch nix richtig -- denn -for’n Tier is er nix groß genug. Er muß ’n Käfer sein -- jawoll, das -muß er -- ’n Käfer muß er sein.« - -»Ich will wetten, er ist keiner -- aber einerlei! Was hast du für’n -›Zweitens‹ vorzubringen?« - -»Nu, zweitens: Vögel machen ’ne weite Entfernung, aber ’n Floh nix.« - -»Nicht? Wirklich nicht? Na, denn sag mir mal, was ist denn wohl ’ne -weite Entfernung?« - -»Nu, Meilen! ... ne Masse Meilen! Das weiß doch eine jede Kind!« - -»Kann ein Mensch meilenweit laufen?« - -»Jawoll, kann er!« - -»So viel Meilen wie ’ne Eisenbahn?« - -»Jawoll, wenn er Zeit haben tut.« - -»Kann ein Floh das auch?« - -»Nu, hm, o jawoll ... warum nix? Wenn er _viel_ Zeit haben tut.« - -»Aha! Nun fängst du wohl an zu begreifen, daß es nicht auf die -Entfernung an sich ankommt, sondern auf die Zeit, die man braucht, um -eine Entfernung zurückzulegen, nicht wahr?« - -»Hm, nu ja, es sieht so aus -- aber ich hätt’s nix geglaubt, Massa Tom!« - -»Es kommt aufs _Verhältnis_ an, mein Lieber; und wenn ihr über die -Schnelligkeit eines Geschöpfes urteilen wollt, so müßt ihr dessen -verhältnismäßige Größe in Betracht ziehen. Und wo bleibt da euer -Vogel und euer Mensch und eure Eisenbahn, wenn ihr damit einen Floh -vergleicht? Der schnellste Mensch kann laufend nicht mehr als ungefähr -zehn Meilen in der Stunde zurücklegen -- nicht viel mehr als das -Zehntausendfache seiner eigenen Länge. Aber in jedem Buch könnt ihr -lesen, daß ein ganz gewöhnlicher Floh dritter Güte hundertfünfzigmal -so weit springt wie er selber groß ist; und in einer Sekunde kann er -fünf Sprünge machen -- das ist das Siebenhundertfünfzigfache seiner -eigenen Länge, in einer einzigen kleinen Sekunde, denn er verliert -keine Zeit damit, daß er anhält und einen neuen Anlauf nimmt; das -macht er sofort in _einem_ ab. Ihr könnt das selber sehen, wenn ihr -versucht, einen Floh unter euren Finger zu kriegen. Nun, das leistet -ein ganz gewöhnlicher Floh dritter Güte; nehmt aber mal erst einen -erstklassigen italienischen, der sein Leben lang der Liebling der hohen -Aristokratie gewesen ist und gar nicht weiß, was Not und Hunger ist: -der macht Sprünge, die das Dreihundertfache seiner Länge betragen, und -der hält eine Leistung von fünfzehnhundert Flohlängen in der Sekunde -einen ganzen Tag aus! Nun nehmen wir mal an, ein Mann könnte in einer -Sekunde fünfzehnhundert Mannslängen zurücklegen -- das macht ungefähr -anderthalb Meilen. In einer Minute neunzig Meilen und in einer einzigen -Stunde beträchtlich mehr als fünftausend Meilen. Na, wo bleibt jetzt -euer Mensch? und euer Vogel und eure Eisenbahn und euer Luftballon? -Auf ihre Geschwindigkeiten hustet ja unser Floh! Ein Floh ist an -Geschwindigkeit geradezu ein Komet im kleinen!« - -Jim war ganz verblüfft -- und ich nicht weniger. Schließlich sagte Jim: - -»Sein auch diese Zahlen ganz genau, un is es kein Spaß nix un keine -Lüge nix, Massa Tom?« - -»Ja, die Zahlen stimmen ganz genau!« - -»Nu, denn alle Achtung vor eine Floh! Ich hab’ nix grad viel Achtung -gehabt vor die Floh ... aber die Floh verdient sie ... das is gewiß!« - -»Na, das will ich meinen! Er ist nicht bloß schneller, sondern auch -klüger und verständiger als irgend ein Geschöpf auf der Welt -- immer -im Verhältnis zu ihrer Größe. Man kann Flöhe fast zu allem abrichten: -und sie lernen es schneller als jedes andere Wesen. Sie können in -vollem Geschirr kleine Wagen ziehen, und gehen damit hierhin oder -dorthin -- je nachdem der Befehl lautet. Und marschieren und exerzieren -tun sie wie richtige Soldaten und so stramm aufs Kommando, wie nur der -beste Soldat. Sie haben alle möglichen schwierigen und anstrengenden -Uebungen gelernt. Angenommen, man könnte einen Floh züchten, der die -Größe eines Mannes erreichte und seine angeborene Klugheit und geistige -Regsamkeit nähme dabei im selben Verhältnis zu, wie das Wachstum seiner -Glieder -- was meint ihr wohl, wo bliebe da das Menschengeschlecht? -_Der_ Floh würde Präsident der Vereinigten Staaten werden -- dagegen -wäre ebensowenig was zu machen, wie wir verhindern können, daß es -blitzt!« - -»O du liebe große Gott, Massa Tom! Davon hatt’ ich ja nie nix ’ne -Ahnung, daß die Floh so eine gewaltige Tier sei! Warraftig, das kam mir -nie nix in Sinn, un das sag _ich_!« - -»Im Verhältnis zu seiner Größe übertrifft er, und zwar bei weitem, -jedes andere Geschöpf, Mensch wie Tier. Er ist das interessanteste von -allen. Man redet so viel von der Stärke einer Ameise, eines Elefanten, -einer Lokomotive. Quatsch! An ’nen Floh können die nicht tippen! Der -kann das Zwei- oder Dreihundertfache seines eigenen Gewichts heben. Das -kann sonst niemand auch nur annähernd. Außerdem macht so’n Floh sich -seine eigenen Gedanken; er ist ein origineller Kopf und läßt sich kein -X für ein U machen; sein Instinkt oder seine Ueberlegung -- oder was es -sonst ist -- ist vollkommen gesund und klar und irrt sich niemals. Die -Leute meinen, ’nem Floh sei ein Mensch so lieb wie der andere. Aber das -stimmt nicht. Gewissen Menschen kommt er niemals zu nahe, mag er noch -so hungrig sein, und zu diesen Menschen gehöre ich. Ich habe in meinem -ganzen Leben niemals ’nen einzigen Floh auf mir gehabt.« - -»Massa Tom!!« - -»Ja, so ist’s. Ich spaße nicht.« - -»Nanu! Da mussen ich sagen: sowas hab’ ich in mein Leben nix gehören!« - -Jim konnte es nicht glauben, und ich auch nicht. So mußten wir denn den -Ballon ’runterlassen, uns auf den Sand setzen und ’ne Anzahl Flöhe auf -uns ’rauf hüpfen lassen; denn so eine wunderbare Geschichte wollten wir -mit eigenen Augen sehen. Tom hatte recht. An mich und Jim gingen sie -zu Tausenden ’ran, aber kein einziger ließ sich auf Tom nieder. Eine -Erklärung gab’s dafür nicht, aber die Tatsache war da -- darum ließ -sich nicht ’rumkommen. Er sagte, es sei schon immer so gewesen und er -wolle sich ganz ruhig unter ’ner Million von Flöhen niederlassen; sie -würden ihn weder anrühren noch sonstwie belästigen. - -Wir stiegen in die kalte Luftschicht empor, um die Flöhe durch den -Frost zu vertreiben; da blieben wir ’ne kleine Weile und begaben uns -dann wieder in die behagliche Temperatur. Wir bummelten ganz gemütlich -mit ’ner Geschwindigkeit von zwanzig oder fünfundzwanzig Meilen in der -Stunde durch die Luft. So hatten wir’s die letzten paar Stunden schon -gemacht; denn je länger wir in dieser feierlichen friedvollen Wüste -waren, desto mehr schwand alle Hast und Unruhe aus unseren Herzen, und -desto glücklicher und zufriedener ward uns zu Mute; die Wüste gefiel -uns immer besser und schließlich liebten wir sie geradezu. So hatten -wir denn, wie gesagt, die Geschwindigkeit beträchtlich gemindert und -faulenzten so recht mit Behagen, indem wir bald mal durch die Fernrohre -guckten, bald uns auf den Bänken ausstreckten und lasen, bald ein -bißchen druselten. - -Das klingt eigentlich komisch -- denn wie eilig hatten wir’s noch ganz -kurz vorher gehabt, an Land zu kommen und auszusteigen! Aber daran -dachten wir gar nicht mehr. Wir waren mit dem Luftschiff jetzt völlig -vertraut und hatten keine Angst mehr und wünschten uns gar nichts -Besseres, als nur so weiter zu fahren. Wir fühlten uns wahrhaftig ganz -wie zu Hause; mir kam’s beinahe vor, als sei ich in dem Luftballon -geboren und aufgewachsen; und Jim und Tom sagten, ihnen sei’s auch so. -Und ich hatte ja immer eklige Menschen um mich ’rum gehabt, die mich -ausschalten und pufften, und fortwährend dies und das zu tadeln hatten -und bald dies bald jenes anders gemacht haben wollten und überhaupt -fortwährend was für mich zu tun hatten und gerade immer etwas, wozu -ich keine Lust hatte. Und wenn ich mich dann natürlich drückte und -irgendwas anderes machte, gab’s Keile, daß mir gar manchmal das ganze -Leben zur Last war. Aber hier oben in den himmlischen Lüften, da war’s -so still und sonnenwarm und lieblich; dabei zu essen, so viel man -mochte, und schlafen können, so oft man Lust hatte, und merkwürdige -Dinge zu sehen, und kein Nörgeln und Schimpfen, keine braven Leute -und immerzu Sonntag! Herrgott -- ich hatt’s wahrhaftig nicht eilig, -unser Luftschiff zu verlassen und mich wieder mit der Zivilisation -’rumzuschlagen. Zu den ekligsten Eigenschaften der Zivilisation gehört -es, daß jeder, der ’nen unangenehmen Brief gekriegt hat, damit zu einem -kommt und einem die ganze Geschichte haarklein erzählt, daß einem -hundeelend zu Mute wird; und die Zeitung teilt alles Widerwärtige mit, -was auf der ganzen Welt passiert, so daß man fast immer trübsinnige -und katzenjämmerliche Gefühle hat -- und das ist für ’nen einzelnen -Menschen wirklich ’ne schwere Last. Ich hasse diese Zeitungen! ich -hasse Briefe! und wenn’s nach mir ginge, dürfte niemand einen, den er -gar nicht kennt, am andern Ende der Welt mit seinen Schauergeschichten -anöden. Na, hoch oben in ’nem Luftballon gibt’s so was nicht und -deshalb ist so’n Luftballon das reizendste Ding auf der ganzen Welt. - -Wir aßen zu Abend und dann kam die Nacht; und diese Nacht war eine von -den schönsten, die ich je erlebt habe. Der Mond schien so hell, daß -wir denken konnten es sei Tag; nur war das Licht viel viel sanfter. -Einmal sahen wir ’nen Löwen, der ganz einsam dastand, wie wenn er auf -der weiten Welt mutterseelenallein wäre, und auf dem Sand lag sein -Schatten wie ein schwarzer Tintenklex. Das ist gerade die richtige -Sorte Mondschein! - -Die meiste Zeit über lagen wir auf dem Rücken und plauderten; zum -Schlafen hatten wir gar keine Lust. Tom sagte, wir seien jetzt mitten -drin in Tausendundeiner Nacht. Gerade hier müsse die Gegend sein, wo -mal eine von den verschmitztesten Geschichten sich zugetragen habe. Wir -guckten über den Rand unseres Luftballons und sahen uns die Gegend an, -während er erzählte; denn nichts ist so interessant anzusehen, als ’ne -Gegend, die in ’nem Buch vorkommt. Die Geschichte handelte von ’nem -Kameltreiber, der sein Kamel verloren hatte; er läuft in der Wüste ’rum -und trifft ’nen Mann und sagt: - -»›Bist du nicht heute einem verlaufenen Kamel begegnet?‹ - -»Und der Mann sagt: - -»›War es auf dem linken Auge blind?‹ - -»›Ja.‹ - -»›Hatte es einen von den oberen Vorderzähnen verloren?‹ - -»›Ja.‹ - -»›War es auf dem rechten Hinterfuß lahm?‹ - -»›Ja.‹ - -»›War es auf der einen Seite mit Hirse, und auf der anderen mit Honig -beladen?‹ - -»›Ja! Aber du brauchst keine Einzelheiten mehr anzuführen. Es ist mein -Kamel, und ich hab’s eilig. Wo hast du es gesehen?‹ - -»›Gesehen hab ich’s überhaupt nicht‹, sagt der Mann. - -»›Was? Ueberhaupt nicht gesehen? Wie kannst du’s denn so genau -beschreiben?‹ - -»›Das ist ganz einfach! Wenn einer seine Augen zu benutzen weiß, so hat -alles was er sieht, Sinn und Bedeutung; aber die meisten Leute wissen -mit ihren Augen gar nichts anzufangen. Daß ein Kamel vorbeigelaufen -war, wußte ich, weil ich seine Spur sah. Ich wußte, daß es auf dem -rechten Hinterfuß lahmte, weil es diesen Fuß geschont hatte und leicht -damit aufgetreten war. Das sah ich an der Spur. Auf dem linken Auge -mußte es blind sein, weil es nur rechts vom Wege das Gras abgerupft -hatte. Einen von den oberen Vorderzähnen mußte es verloren haben, weil -in der Zahnspur im Grase eine Lücke war. Die Hirse war an der einen -Seite herausgerieselt -- das erzählten mir die Ameisen; an der anderen -Seite war Honig herniedergeträufelt -- das erzählten mir die Fliegen. -Also wußte ich von deinem Kamel ganz genau Bescheid; aber gesehen hab’ -ich’s nicht.‹« - -»Weiter, Massa Tom!« ruft Jim. »Das is ein riesig guter Geschicht, un -mächtig intressant!« - -»Das ist alles,« sagt Tom. - -»Alles?« schreit Jim verblüfft. »Was werd denn aus die Kamel?« - -»Weiß ich nicht.« - -»Massa Tom, stehen nix von in das Geschicht?« - -»Nein.« - -Jim denkt kopfschüttelnd ’ne Minute nach; dann sagt er: - -»Warraftig! Das is der verflixteste Geschicht, wo ich kennen! Grad an -die Platz, wo die Neugier werden gluhig heiß -- schwapp ab! Warraftig, -Massa Tom, in ein Geschicht, der sich so benehmen tun, is kein Sinn nix -un keine Verstand. Habbe Sie keine Idee nix, ob die Mann seinen Kamel -wieder kriegen tun oder nix?« - -»Habe keine Ahnung.« - -Ich sah selber ein, in der Geschichte war kein Sinn und Verstand, denn -was soll das heißen, daß es plötzlich alle ist, ehe es zum Schluß -kommt? Aber ich wollte lieber nichts sagen, denn Tom machte schon ein -ganz saures Gesicht, weil Jim richtig wieder den wunden Punkt von der -Geschichte angetippt hatte, und ich find’s nicht schön, wenn sich alle -auf einen stürzen, der schon unterliegt. Aber Tom dreht sich nach mir -um und fragt: - -»Was meinst du denn zu der Geschichte?« - -Na, da mußte ich denn natürlich aus dem Loch heraus und Farbe bekennen; -und so sagte ich, mir käm’ es auch so vor wie Jim: daß die Geschichte -gerade in der Mitte abbräche und gar nicht zu Rande käme; und darum -wär’s überhaupt nicht der Mühe wert, sie zu erzählen. - -Tom ließ sein Kinn auf die Brust sinken; aber er wurde nicht wild, wie -ich gedacht hatte, als er mich seine Geschichte tadeln hörte, sondern -er wurde bloß traurig und sagte: - -»Es gibt Leute, die sehen können, und es gibt welche, die’s nicht -können -- gerade wie der Mann in der Geschichte sagte. Da könnte ’ne -Windhose vorbeikommen geschweige denn ein Kamel -- _ihr_ Dämelsäcke -würdet keine Spur davon sehen!« - -Was er damit sagen wollte, weiß ich nicht und erklären tat er seine -Worte nicht; es war wohl eine von seinen ›Irrulevanzen‹, wie er die -Dinger selber nannte -- manchmal war er ganz voll von denen, nämlich -besonders, wenn er in die Enge getrieben war und nicht wußte, wie er -wieder ’rauskommen sollte. Aber ich machte mir weiter nichts draus. Wir -hatten ihm einen aufgemutzt und der hatte gesessen -- davon konnte er -nichts abstreiten. Und ich glaube, das wurmte ihn, obwohl er sich Mühe -gab, sich nichts merken zu lassen. - - - - -Achtes Kapitel. - - -Zeitig am Morgen frühstückten wir etwas; dann guckten wir wieder auf -die Wüste ’runter und das Wetter blieb fortwährend so mollig und warm, -aber nicht heiß, obwohl wir nicht sehr hoch über der Erde schwebten. -Nach Sonnenuntergang muß man nämlich immer tiefer herabsteigen, weil -die Luft sich so schnell abkühlt; und so streicht man denn um die Zeit -der Morgendämmerung ganz dicht über den Sand weg. - -Wir sahen zu, wie der Schatten unseres Ballons über den Boden hinglitt, -und ließen dann und wann mal die Blicke über die Wüste streifen, ob -sich nicht irgendwo was regte -- da sahen wir plötzlich unmittelbar -unter uns eine Menge Menschen und Kamele auf dem Sande verstreut -herumliegen. Und sie lagen so ruhig, wie wenn sie schliefen. - -Wir stellten die Bewegungskraft unseres Luftschiffs ab und hielten -still, und da sahen wir, daß sie alle tot waren. Ein kalter Schauer -überlief uns, wir wurden ganz kleinlaut und sprachen leise wie Leute -bei ’nem Leichenbegängnis. Langsam ließen wir unser Schiff zur Erde -nieder und hielten still; Tom und ich stiegen aus und gingen zu den -Toten. Es waren Männer, Weiber und Kinder. Sie waren von der Sonne -gedörrt und die Haut war zusammengeschrumpft und sah aus wie Leder -- -genau wie die Abbildungen von Mumien, die man in den Büchern sieht. Und -trotzdem sahen sie ganz menschlich aus, wie wenn sie nur schliefen -- -wenn ich’s nicht selber gesehen hätte, ich würde es nicht glauben. - -Einige von den Menschen und Tieren waren zum Teil mit Sand bedeckt, die -meisten aber nicht, denn der Sand bildete an jener Stelle nur eine -dünne Schicht über felsigem Erdreich. Die Kleider waren ihnen fast -gänzlich vom Leibe gefault; wenn man ein Stück Zeug anfaßte, blieb es -einem zwischen den Fingern wie Spinnewebe. Tom meinte, sie müßten schon -jahrelang dagelegen sein. - -Den Männern lagen zum Teil rostige Flinten zur Seite; andere waren mit -Schwertern umgürtet und hatten lange Binden um den Leib gewickelt, -in denen große silberbeschlagene Pistolen staken. Alle Kamele trugen -noch ihre Lasten auf dem Rücken, aber die Bündel waren geborsten -oder zerfallen und ihr Inhalt hatte sich über den Boden ergossen. -Uns dünkte, die Toten könnten mit ihren Säbeln ja doch nichts mehr -anfangen; deshalb nahm jeder von uns einen zu sich, dazu auch mehrere -Pistolen. Auch nahmen wir ein kleines Kästchen, weil es so hübsch -und mit so feiner Arbeit eingelegt war. Gern hätten wir dann die -Leute begraben; aber obwohl wir lange darüber nachdachten, wollte -uns nicht einfallen, wie wir das bewerkstelligen könnten, denn wir -hatten bloß Sand zur Verfügung, und der wäre natürlich sofort wieder -auseinandergefegt worden. - -Hierauf stiegen wir wieder in die Lüfte empor und segelten weiter, -und gar bald war der schwarze Fleck auf dem Land außer Sicht und wir -dachten, die armen Menschen da unten würden wir auf dieser Welt wohl -niemals wiedersehen. Wir stellten allerlei Mutmaßungen auf, wie sie -wohl an jene Stelle in der Wüste gekommen wären und was ihnen alles -passiert sein könnte, aber wir wußten nicht, was wir daraus machen -sollten. Zuerst dachten wir, vielleicht hätten sie sich verirrt und -wären in der Wüste herumgezogen, bis ihr Essen und Trinken ihnen -ausgegangen und sie verhungert und verdurstet wären; aber Tom sagte, -weder wilde Tiere noch Geier hätten ihre Leichen angerührt, und deshalb -könnte diese Vermutung nicht richtig sein. Schließlich gaben wir’s auf, -uns den Kopf darüber zu zerbrechen, und nahmen uns vor, gar nicht mehr -daran zu denken, denn es versetzte uns in eine traurige Stimmung. - -Dann öffneten wir das Kästchen: Edelsteine und Schmucksachen waren -darin -- ein ganzer Haufen! Dazu auch mehrere kleine Schleier von -derselben Art, wie wir sie an den toten Frauen bemerkt hatten; die -Säume dieser Schleier waren mit sonderbaren Goldmünzen besetzt, wie -wir sie nie in unserem Leben gesehen hatten. Wir überlegten voller -Erstaunen, ob wir nicht lieber wieder umkehren und die Kostbarkeiten -zurückgeben sollten; Tom bedachte sich aber die Sache noch einmal und -sagte: nein! Die ganze Gegend wäre voll von Räubern und die würden -die Sachen stehlen; und dann würde die Sünde auf uns fallen, weil wir -sie in Versuchung gebracht hätten. So segelten wir denn weiter; ich -dachte aber bei mir selber, am besten wär’s gewesen, wir hätten den -Toten _alles_ abgenommen, was sie bei sich hatten; denn dann wäre es -überhaupt nicht mehr möglich gewesen, daß andere Leute in Versuchung -kamen. - -Wir waren da unten zwei Stunden lang in der sengenden Hitze gewesen und -hatten einen fürchterlichen Durst, als wir wieder an Bord gingen. Wir -stürzten uns auf unser Wasserfaß, aber das Wasser war schlecht geworden -und bitter und außerdem recht hübsch heiß, so daß es uns beinahe den -Mund verbrannte. Wir konnten es nicht trinken. Es war Mississippiwasser --- ›das beste der Welt‹ -- und wir rührten den Bodensatz auf, um mal -zu sehen, ob das nicht vielleicht hülfe -- aber nein, der Schlamm -machte das Wasser auch nicht besser! - -Na, so _übermäßig_ durstig waren wir vorher, solange uns das Schicksal -jener verirrten Menschen interessierte, eigentlich nicht gewesen -- -aber nun waren wir’s, und sobald wir sahen, daß wir nichts zu trinken -haben konnten, da waren wir fünfunddreißigmal so durstig als ’ne -Viertelminute zuvor. Wahrhaftig, es dauerte nicht lange, so sperrten -wir vor Durst den Mund auf und keuchten wie Hunde. - -Tom sagte, wir müßten nur nach allen Himmelsrichtungen recht scharfen -Ausguck halten, denn jedenfalls würden wir ’ne Oase finden oder es -würde uns sonst irgendwas Merkwürdiges passieren. Das taten wir denn -auch. Die ganze Zeit bestrichen wir mit den Ferngläsern den Horizont, -bis unsere Arme so lahm waren, daß wir die Dinger nicht mehr halten -konnten. So vergingen zwei Stunden -- drei Stunden -- wir guckten und -guckten: aber da war nichts als Sand, Sand, _Sand_, und der flimmernde -heiße Dunst zitterte über dem Erdboden. O je, o je! was es heißt, sich -so recht hundeelend zu fühlen, das weiß man erst, wenn man fortwährend -einen fürchterlichen Durst hat und dabei denkt, man wird überhaupt -niemals mehr Wasser zu sehen kriegen. Zuletzt konnte ich’s nicht mehr -aushalten, immerzu auf diese backofenheiße Ebene zu gucken; ich gab es -auf und streckte mich auf der Bank aus. - -Auf einmal aber stößt Tom ’nen Jauchzer aus -- und richtig, da war -das Wasser! Ein großer glänzender See, von schläfrig wiegenden Palmen -umsäumt, die sich ganz wunderbar zart und fein im Wasser spiegelten. -Es war eine tüchtige Entfernung bis zu dem See; aber was machte das -uns aus? Wir zogen einfach den Knopf der Hundertmeilengeschwindigkeit, -sodaß wir nach unserer Berechnung in sieben Minuten dort sein mußten. -Der See blieb aber immerzu in derselben Entfernung; wir vermochten ihm -nicht um Haaresbreite näherzukommen; auf mein Wort: er blieb immer -glänzend und fern vor uns liegen wie ein Traumbild. Aber näher kamen -wir nicht; und auf einmal -- war der See verschwunden! - -Tom riß die Augen ganz weit auf und rief: - -»Jungens, es war ’ne Fata Morgana!« - -Er sagte das, als ob’s ihn riesig freute; ich sah aber durchaus nichts, -worüber er sich hätte freuen können und sagte: - -»Kann sein. Wie der See heißt, ist mir ganz schnuppe. Aber eins möchte -ich wohl wissen: wo ist er hingekommen?« - -Jim schlotterte an allen Gliedern und hatte solchen Schreck gekriegt, -daß er kein Wort sprechen konnte; aber ich sah ihm an, daß er genau -dasselbe fragen wollte wie ich. - -»Wo er hingekommen ist?« rief Tom. »Na, ihr seht doch selber, daß er -verschwunden ist!« - -»Na, das weiß ich. Aber _wohin_ ist er verschwunden?« - -Tom sieht mich von oben bis unten an und sagt: - -»Na, Huck Finn, wo sollte er denn wohl hingekommen sein? Weißt du denn -nicht, was ’ne Fata Morgana ist?« - -»Nee. Was ist es denn für’n Ding?« - -»Nichts als Einbildung. ’s ist überhaupt nichts Reelles dran.« - -Es fuchste mich ein bißchen, daß er so ’nen Unsinn redete, und ich -sagte: - -»Wie kannst du bloß so quatschen, Tom Sawyer? Hab’ ich denn nicht den -See gesehen?« - -»Ja -- du glaubtest, du sähest ihn.« - -»Geglaubt hab’ ich ganz und gar nichts. Ich _hab’_ ihn gesehen!« - -»Ich sage dir, du hast ganz und gar nichts gesehen -- denn es war -überhaupt nichts da.« - -Jim war ganz verblüfft, Tom so reden zu hören; er konnte nicht länger -den Mund halten und sagte traurig und in flehendem Ton: - -»Massa Tom, bitte, bitte -- sagen nix so ’ne Sach’ in so ’ne -schröcklicher Zeit wie nu! Sie riskier nix bloß ihr eigenes Haut, -sonnern auch unsern sein -- grad wie Anna Nias un Siffira. Die See -_waren_ da -- ich sahen ihm ganz genau so wie ich in diese Minuten -Ihnen un Huck sehn tu!« - -»Was willst du denn, Jim?« ruf ich. »Tom sah ihn ja selber! Er war ja -der Allererste, der ihn zu allererst sah! Na, also!« - -»Ja, Massa Tom, das is so -- Sie könn’ es nix leugnen. Wir sahen ihm -alle, un das _beweisen_, ihm war da!« - -»Beweist? Wieso _beweist_ es das?« - -»So wie vor die Gerichte un überall, Massa Tom! Eine Mensch könnten -betrunken sein oder was träumen oder in Dussel, un könnten sich irren --- un auch zwei könnten. Aber ich will Sie was sagen, Massa Tom: wenn -drei ein Ding sehen, un sie sind nüchtern oder betrunken, denn is es -so. Da kann Sie nix gegen sagen, Massa Tom, un das weiß Sie wohl!« - -»Ich weiß von nichts. Früher haben vierzigtausend Millionen Menschen -existiert, die alle sahen, daß Tag für Tag die Sonne von der einen -Seite des Himmels nach der anderen ’rüberwanderte. Bewies das, daß die -Sonne sich wirklich bewegte?« - -»Natürlich bewiesen es! Un was brauchte das erst bewiesen zu sein? Wenn -eine Mensch eine kleine bißchen Grips hat, wie kann sie zweifeln? Gucke -Sie, Massa Tom -- da segeln sie über das Himmel, wie sie jeden lieben -Tag tun!« - -Da dreht Tom sich nach mir um und sagt: - -»Und was sagst _du_ dazu -- steht die Sonne still?« - -»Tom Sawyer, was hat’s für’n Zweck, so ’ne quatschige Frage zu tun? -Jeder, der nicht blind ist, kann sehen, daß die Sonne nicht still -steht!« - -»Na ja!« ruft Tom. »Da segle ich nun hoch im Himmel herum mit zwei -dummen Biestern, die von diesen Geschichten nicht mehr wissen als vor -drei- oder vierhundert Jahren ein Universitätsrektor.« - -Das war nicht schön von Tom, daß er so was sagte, und ich gab ihm das -auch zu verstehen. Ich sagte: - -»Mit Schimpfereien beweist du nichts, Tom Sawyer.« - -»O meine himmlische Güte! O meine gütige Barmherzigkeit! Das is das See -wieder!« kreischt Jim gerade in diesem Augenblick. »Nu, Massa Tom, was -will Sie nu sagen?« - -Jawohl, das war der See wieder! ganz fern hinten am Rand der Wüste, -vollkommen deutlich mit Palmen und allem anderen, genau wie vorher. Ich -sage: - -»Ich denke, nun bist du überzeugt, Tom Sawyer!« - -Aber er antwortete vollständig ruhig: - -»Ja, überzeugt, daß kein See da ist.« - -Da ruft Jim: - -»O, sprech Sie nix so, Massa Tom -- ich kriegen die Zitter, wenn Sie so -reden. Es is so heiß un Sie haben so große Durst, daß Sie nix ganz wohl -sein, Massa Tom. O, wie sieht doch das See schön aus! Ich können es gar -nix mehr abwarten, daß wir da sein. Ich haben so fürchterliche Durst!« - -»Nu, du wirst eben warten müssen; und du wirst an dem See nicht viel -Freude haben, denn ich sage dir: es ist gar kein See da!« - -»Jim!« sage ich; »laß den See nur nicht aus dem Auge; ich werde -ebenfalls scharf hingucken, damit wir ihn nicht wieder verlieren.« - -»O, wie werden ich weggucken! Un wenn ich auch wollen, ich konnten es -ja gar nix!« - -Wir flogen mit aller Geschwindigkeit auf den See zu, Meile auf Meile, -wie wenn’s gar nichts gewesen wäre. Aber nicht um einen Zoll kamen wir -ihm näher, und auf einmal -- da war er wieder weg! Jim schwankte auf -den Füßen und wäre beinahe umgefallen. Als er endlich wieder zu Atem -kam, schnappte er wie ein Fisch nach Luft und sagte: - -»Massa Tom -- es is ein _Gespenst_! Das is diese See, un ich hoffen zu -die liebe Gott, wir sehen ihm nu nix mehr! Eine See _waren_ da un mit -die See is was passieren un sie is tot geblieben un wir sahen seine -Geist von diese See; wir sahen ihm zweimal un das is eine _Beweis_. -Der Wüste is behext, ganz gewiß sein ihm behext! O, Massa Tom, laß uns -fort. Lieber wollen ich sterben, als daß die Nacht uns überfallen in -diese Wüste, un der Gespenst und das See kommen un packen uns wenn wir -in Schlaf liegen un gar nix wissen, daß wir in eine Gefahr sein!« - -»Ein Gespenst, du Gänserich! Es ist weiter nichts als Luft und Hitze -und die Einbildungskraft von ’nem Menschen, der großen Durst leidet. -Wenn ich -- gib mir mal das Fernrohr!« - -Er nahm das Glas und fing aufmerksam an, nach rechts vor uns den -Horizont zu beobachten. Schließlich sagte er: - -»Es ist ein Vogelschwarm; er fliegt nach Sonnenuntergang zu und wird -unsern Kurs in gerader Linie kreuzen. Sie haben es eilig und fliegen -nicht zu ihrem Vergnügen -- vielleicht suchen sie Nahrung oder Wasser -oder beides zugleich. Steuerbord, Huck! Einen Schlag herum! So! Halt’ -ein bißchen ’ran! Nun ist’s recht, -- vorwärts, geradeaus!« - -Wir mäßigten die Fahrgeschwindigkeit ein bißchen, um nicht bei den -Vögeln vorbeizusegeln, und fuhren immer ein paar hundert Meter hinter -ihnen her. Als wir anderthalb Stunden so gesegelt waren, wurden wir -immer mutloser und unser Durst war rein unerträglich geworden. Da sagt -Tom auf einmal: - -»Nehme mal einer von euch das Fernrohr und sehe, was da gerade vor den -Vögeln ist!« - -Jim sah zuerst durch und plumpste halb ohnmächtig auf die Bank nieder. -Ganz weinerlich schrie er: - -»Das is sie wieder, Massa Tom! Da is diese See, un nu wissen ich, ich -müssen sterben, denn wenn eine Mensch einen Gespenst das dritte Mal -sehen tun, dann sein es alles aus! O! Wenn ich doch nie un nie in -diese Ballone gekommen wäre! O, nie un nie!« - -Er wollte gar nicht mehr durchs Fernrohr gucken, und seine Worte -machten mir ebenfalls Angst, denn ich wußte, er hatte ganz recht; genau -so geht es mit Gespenstern immer zu. Und darum wollte ich auch nicht -durchgucken. Wir baten beide Tom, er möchte doch abstoppen und in ’ner -anderen Richtung segeln, aber das wollte er nicht; er sagte sogar, wir -seien alle beide unwissende, abergläubische Windbeutel. Jawohl! dachte -ich bei mir selber, das wird ihm recht bald schlecht bekommen; daß er -Geister auf solche Weise beleidigt. ’ne Zeitlang sehen sie’s vielleicht -geduldig mit an, aber immer lassen sie sich es nicht gefallen; denn -wer auch bloß ein bißchen mit Geistern Bescheid weiß, der weiß, wie -empfindlich und leicht beleidigt und wie rachsüchtig sie sind. - -So waren wir denn alle drei ruhig und still: Jim und ich, hatten Angst, -und Tom machte sich mit dem Steuerapparat zu schaffen. Nach ’ner -kleinen Weile ließ er das Luftschiff ganz stillstehen und sagte: - -»Na, nun mal den Kopf hoch und euch umgeschaut, ihr Wasserköpfe!« - -Wir taten’s, und richtig -- da war Wasser gerade unter uns! Klar und -blau und kalt und tief, und von einer leichten Brise gekräuselt -- -der reizendste Anblick, den man sich nur denken kann. Die Ufer waren -ringsherum mit Gras und Blumen bewachsen, mit schattigen Wäldchen von -großen Bäumen bestanden, zwischen denen sich Weinreben rankten. Und -alles sah so friedlich und so gemütlich aus -- so wunderschön, daß man -hätte geradezu laut herausweinen mögen. - -Jim weinte wirklich und tanzte dazu und heulte dann wieder, so dankbar -war er und vor Freuden ganz außer sich. Ich hatte die Wache und mußte -daher an Bord bleiben; aber Tom und Jim kletterten runter und tranken -jeder ein Faßvoll und ließen mir auch was zukommen, und ich habe in -meinem Leben Manches genossen, was gut schmeckte, aber nichts, was sich -mit diesem Wasser auch nur annähernd vergleichen ließe! - -Dann gingen Tom und Jim ins Wasser und schwammen ein Stückchen; hierauf -kam Tom an Bord und löste mich ab, und ich schwamm mit Jim in den See -hinaus. Dann löste Jim wieder Tom ab, und ich und Tom veranstalteten -einen Wettlauf und ein kleines Boxen. Und ich glaube, so wohlig hab’ -ich mich in meinem ganzen Leben nicht gefühlt. Die Hitze war gar nicht -so übermäßig, weil es schon auf den Abend zuging; außerdem hatten wir -nicht ein einziges Stück Zeug an. Kleider sind ja ganz schön und gut -in der Schule und in Städten und meinetwegen auch auf Bällen, aber es -wäre ja gar kein Sinn und Verstand drin, Kleider zu tragen, wenn keine -Zivilisation mit all ihrem Getue und Genörgele in der Nähe ist. - -Auf einmal schreit Jim: - -»Löwen! Löwen kommen! Schnell, Massa Tom! Lauf was du kannst, Huck!« - -O, wie rannten wir! Wir hielten uns nicht mal damit auf, unsere -Kleider aufzunehmen, sondern walzten, hast du nicht gesehen!, auf die -Strickleiter los. Jim verlor völlig den Kopf -- das geht ihm nämlich -immer so, wenn er in Aufregung und Angst gerät. Anstatt den Ballon ein -kleines bißchen höher steigen zu lassen, so daß die Bestien die Leiter -nicht mehr erreichen konnten, ließ er die ganze Kraft los, und hoch -in den Himmel sausten wir hinauf, an unserer Strickleiter baumelnd! -Zum Glück merkte er sofort, was für einen Unsinn er gemacht hatte. Er -stoppte also ab; nun hatte er aber völlig vergessen, was er zunächst zu -tun hatte -- und da hingen wir denn oben in der Luft, so hoch, daß die -Löwen wie Schoßhündchen aussahen, und trieben vor dem Winde. - -Aber Tom kletterte an Bord, stellte den Steuerapparat wieder richtig -und ließ den Ballon langsam zur Erde hinunter und zwar wieder nach dem -See zurück, wo ’ne Menge Bestien versammelt waren, wie wenn sie da -Biwak halten wollten. Ich dachte, er hätte gerade wie Jim seinen Kopf -verloren, denn er wußte doch, daß ich vor Angst nicht die Strickleiter -’raufklettern konnte. Er wollte mich doch nicht etwa mitten zwischen -den Löwen und Tigern auf den Erdboden setzen? - -Aber nein -- in seinem Kopf war alles richtig, er wußte ganz genau, -was er wollte. Er ließ den Ballon nieder, bis er ungefähr dreißig oder -vierzig Fuß über dem Wasserspiegel schwebte und genau über der Mitte -hielt er still und rief: - -»Laß los und hops’ hinein!« - -Das tat ich; mit den Füßen voran schoß ich ins Wasser, und es kam mir -vor, als tauchte ich ’ne Meile, bis ich auf den Grund kam; und als ich -wieder nach oben kam, sagte Tom: - -»Nun leg’ dich auf den Rücken und laß dich treiben, bis du dich -ausgeruht und wieder deine ganze Schneid beisammen hast; dann will -ich die Leiter bis ins Wasser ’runterlassen, und du kannst an Bord -klettern.« - -So machte ich es denn. Na, und diese Strategik war riesig schlau -von Tom; denn wenn er nach irgend ’ner anderen Stelle gesegelt wäre -und mich da auf den Sand gesetzt hätte, so wäre die ganze Menagerie -ebenfalls dahin gelaufen, und so hätten sie uns vielleicht nach einer -sicheren Stelle herumsuchen lassen, bis ich schließlich schwindlig -geworden und von der Leiter gefallen wäre. - -Und während dieser ganzen Zeit stritten die Löwen und Tiger sich um -unsere Kleider, und versuchten sich so darin zu teilen, daß jeder von -ihnen etwas kriegte; aber es gab fortwährend Meinungsverschiedenheiten -unter ihnen, indem alle Augenblicke irgend eine Bestie sich mehr -anzueignen versuchte, als auf ihren Anteil kam. Es dauerte nicht lange, -so gab es wieder Aufruhr, und so etwas wie diesen Anblick hat die Welt -noch nicht erlebt! Es müssen ihrer ein Stücker fünfzig gewesen sein, -alle in einem wilden Kuddelmuddel, fauchend, brüllend, schnappend, -beißend, kratzend -- Beine und Schwänze hoch in die Luft, und man -konnte die einzelnen Biester nicht mehr unterscheiden, und rings um -sie herum stoben Haare und Sand. Und als sie fertig waren, da lagen -mehrere tot da, andere humpelten verwundet davon und die übrigen saßen -auf dem Schlachtfeld ’rum. Die einen beleckten ihre Wunden, die anderen -guckten zu uns empor, als ob sie uns einladen wollten, wir möchten doch -’runterkommen und den Spaß ein bißchen mitmachen. Aber wir dankten für -den Spaß -- wir brauchten keinen. - -Von Kleidern war nichts, aber auch rein gar nichts mehr vorhanden. Die -Bestien hatten sie bis auf den letzten Fetzen verschlungen; und ich -glaube, sie dürften ihnen nicht sonderlich gut bekommen sein, denn es -waren eine beträchtliche Menge Messingknöpfe dran, und in den Taschen -befanden sich Messer, Rauchtabak, Nägel, Kreide, Marmeln, Angelhaken -und andere solche Sachen. Aber mir war’s einerlei. Nur das machte mich -ein bißchen nachdenklich, daß wir jetzt bloß des Professors Kleider -hatten. Die Auswahl war ja allerdings reich genug, aber die einzelnen -Stücke waren nicht gerade danach gemacht, um mit ihnen in Gesellschaft -zu gehen -- für den Fall, daß wir einer begegnet wären. Denn die Hosen -waren so lang wie Eisenbahntunnel und die Röcke usw. dementsprechend. -Schließlich brauchten wir aber doch bloß ’nen Schneider, um das alles -in Ordnung zu bringen, und Jim hatte so ’nen kleinen Begriff von der -Schneiderkunst, und er sagte, er könnte uns wohl ein paar Anzüge -zurecht machen, die uns einstweilen genügen würden. - - - - -Neuntes Kapitel. - - -Ehe wir weiter segelten, hatten wir aber noch ein kleines Geschäftchen -zu besorgen, und zu diesem Zweck mußten wir doch mal den Löwen und -Tigern ’nen Besuch abstatten. Der größere Teil von des Professors -Mundvorrat bestand in Büchsenkonserven von einer gerade damals -erfundenen neuen Art; der Rest war frisches Fleisch. Nun, wenn man -Missouribeefsteak nach der Großen Sahara mitnimmt, so muß man ein -bißchen vorsichtig damit umgehen und sich in den kühleren Luftschichten -halten. Wir dachten daher bei uns selber, es wäre am besten, wenn wir -die Löwenversammlung besuchten und mal sähen, was da zu machen wäre. - -Wir zogen die Strickleiter ein und ließen das Luftschiff sinken, bis -wir gerade über den Bestien waren; dann ließen wir ein Tau mit ’ner -Schlinge nieder und haspelten einen toten Löwen an Bord, einen kleinen -zarten, und außer diesem noch einen jungen Tiger. Wir mußten die -Versammlung mit dem Revolver in respektvoller Entfernung halten, sonst -hätten die verehrlichen Tiere sich an dem Spaß beteiligt und uns ein -bißchen geholfen. - -Wir schnitten uns von den beiden Tieren einen guten Vorrat herunter, -zogen ihnen die Felle ab und warfen den Rest über Bord. Dann versahen -wir einige von des Professors Angelhaken mit Ködern von dem frischen -Fleisch und fingen an zu fischen. Wir schwebten gerade in der -richtigen Entfernung über dem Seespiegel und fingen eine Menge von den -reizendsten Fischen, die man sich nur denken kann. Nachher hatten wir -ein ganz großartiges Abendessen: Löwensteak, Tigerschnitzel, gebackene -Fische und warme Maiskuchen. Was Besseres verlange ich meiner Lebtage -nicht. - -Zum Nachtisch hatten wir Obst. Dieses kriegten wir aus der Krone -eines riesengroßen Baumes. Es war ein sehr schlanker Baum, der vom -Fuß bis zum Wipfel nicht ’nen einzigen Ast hatte; oben aber brach er -auseinander wie ein Flederwisch. Natürlich war’s ein Palmbaum; ’nen -Palmbaum kennt jedermann in der ersten Minute, wo er ihn sieht, nach -den Abbildungen. Wir suchten in diesem Palmenwipfel nach Kokosnüssen --- aber ’s gab keine, sondern da waren bloß große Bündel von ’ner Art -von überlebensgroßen Weintrauben, aber es waren auch keine Trauben, -sondern Datteln, wie Tom uns erklärte; denn die Beschreibungen in -Tausend und einer Nacht und in den anderen Büchern, sagte er, paßten -ganz genau auf sie. Natürlich konnten wir nicht wissen, ob’s wirklich -welche waren; sie konnten ja auch giftig sein. Darum mußten wir denn -ein Weilchen warten und aufpassen, ob die Vögel von diesen Früchten -äßen. Sie taten’s, und darum taten wir’s auch und sie schmeckten über -alle Maßen gut. - -Inzwischen waren riesengroße Vögel herangekommen und hatten sich auf -den toten Bestien niedergelassen. Es waren freche Geschöpfe; sie -zerrten ganz munter am einen Ende von ’nem toten Löwen, an dessen -anderem ein andrer Löwe nagte. Wenn der Löwe den Vogel wegjagte, nützte -ihm das auch nicht viel; sobald der Löwe wieder am Knabbern war, war -auch der Vogel an seinem Ende schon wieder da. - -Es war seltsam und unnatürlich anzusehen, wie Löwen Löwenfleisch -fraßen; wir dachten, vielleicht wären sie nicht miteinander verwandt, -aber Jim sagte, das machte keinen Unterschied. Eine Sau, sagte er, -fräße auch mit Vorliebe ihre eigenen Kinder, und ’ne Spinne machte -es gerade so; und er meinte, vielleicht wäre auch ein Löwe annähernd -ebenso grundsatzlos, wenn auch nicht ganz so schlimm. Ein Löwe würde -wahrscheinlich nicht seinen eigenen Vater fressen -- vorausgesetzt, -daß er ihn erkannt hätte, -- aber seinen Schwager z. B. würde er -doch wohl verspeisen, wenn er ganz besonders hungrig wäre, und seine -Schwiegermutter würde unter allen Umständen dran glauben müssen. Aber -das alles waren Mutmaßungen, mit denen nichts bewiesen wurde. Man kann -die Zeit berechnen, wann die Kuh nach Hause kommen muß -- aber ob sie -wirklich kommt, das ist ’ne andere Frage. Darum gaben wir’s denn auch -auf und zerbrachen uns nicht länger den Kopf darüber. - -Für gewöhnlich war’s sehr still in diesen Wüstennächten, aber diesmal -hatten wir Musik. Eine ganze Schar von anderen Tieren kam zum Mahl; -schleichende Kläffer, die, wie Tom uns erklärte, Schakale waren, und -andere, bucklige: Hyänen. Und diese ganze Gesellschaft unterhielt -ein unaufhörliches Gebell. In dem Mondschein boten sie einen ganz -eigenartigen Anblick. Wir hatten unser Luftschiff mit einem Seil an -einem Baumwipfel festgemacht und brauchten deshalb keine Wache zu -halten, sondern legten uns alle zum Schlafen hin. Aber zwei- oder -dreimal war ich auf, um mir die Biester anzusehen und ihre Musik -anzuhören. Ich saß sozusagen mit ’nem Freibillet auf dem ersten Rang in -’ner Menagerie. Sowas war mir in meinem Leben noch nie passiert, und -deshalb wäre es ja ’ne Dummheit gewesen zu schlafen und die Gelegenheit -nicht nach Möglichkeit auszunutzen; denn wer konnte wissen, ob sie sich -mir jemals wieder bieten würde? - -Mit dem Morgengrauen fingen wir wieder Fische; nachher faulenzten wir -den ganzen Tag im tiefen Schatten einer Insel; indessen hielten wir -abwechselnd Wache, damit nicht irgend ’ne Bestie uns auf den Hals käme -und sich ’nen Erronauter zum Mittagessen holte. Wir hatten die Absicht, -den nächsten Tag weiter zu fahren, konnten’s dann aber doch nicht -übers Herz bringen -- es war zu reizend! - -Als wir endlich am dritten Tag himmelwärts flogen und nach Osten -davonsegelten, konnten wir die Augen nicht von dem lieblichen Ort -wenden, bis er nur noch als ein kleines Fleckchen in der Wüste -erschien, und ich kann versichern, uns war gerade so zu Mute, wie wenn -wir auf Nimmerwiedersehen von einem lieben Freunde Abschied nähmen. - -Jim hatte schon ’ne Zeitlang nachdenklich vor sich hingeguckt; zuletzt -sagte er: - -»Massa Tom, wir sein nu bald an die Ende von die Wüste, denken ich.« - -»Warum?« - -»Nu, das sagen uns doch bissel Vernunft! Sie weiß, wie lange wir schon -über sie gondeln tun. Muß aus lauter Sand gemachen sein. Sand müssen -ein Ende nehmen, denn wo sollen die viele Sand herkommen?« - -»Unsinn! ’s gibt Sand genug auf der Welt -- darum brauchst du keine -Sorgen zu haben!« - -»O, habben ich keine Sorgen nix, Massa Tom. Aber ich wundere mir. Die -liebe Gott haben viele Sand, daran zweifle ich nix; aber ihm werden -doch gewiß seine Sand nix _verschwenden_! Un ich sagen: dies Wüste is -nu viel groß genug, so wie sie sein, un größer können sie nix werden, -wenn nix liebe Gott seine Sand verschwenden.« - -»O, laß dich begraben! Wir sind auf unserer Reise über die Wüste kaum -erst ein hübsches Stück über den Anfang weg. Die Vereinigten Staaten -sind ein recht tüchtig großes Land, nicht wahr? Nicht wahr, Huck?« - -»Ja,« sag’ ich, »größere Länder gibt’s überhaupt nicht, so viel ich -weiß.« - -»Na, diese Wüste ist ungefähr so groß wie die Vereinigten Staaten, -und wenn du sie oben auf unser Land legtest, so wäre von diesem -nichts mehr zu sehen -- gerad’ wie wenn du ’n Tuch drübergedeckt -hättest. Ein kleines Eckchen würde da oben bei Maine ’rausgucken -und auch im Nordwesten eins, und Florida würde herausragen wie’n -Schildkrötenschwanz -- aber das wäre alles. Vor’n paar Jahren haben -wir ja Kalifornien den Mexikanern abgenommen; dieser Teil von der -Pazifikküste ist also jetzt auch unser, und wenn ihr die Große Sahara -so hinlegtet, daß ihr Rand genau am Stillen Ozean entlang liefe, so -würde sie die ganzen Vereinigten Staaten bis New York bedecken und -noch ein sechshundert Meilen breites Stück vom Altlantischen Ozean -obendrein!« - -»O du himmlische Güte!« ruf’ ich. »Hast du das schwarz auf weiß -gesehen, Tom Sawyer?« - -»Jawohl, ich kann’s dir sogar schwarz auf weiß zeigen. Sieh’ selber -in diesem Buch nach. Mit der Wüste könntest du jeden Quadratzoll von -den Vereinigten Staaten zudecken und unter den überschießenden Teil -könntest du England, Schottland, Irland, Frankreich, Dänemark und -Deutschland ’reinstopfen. Jawoll! Die Heimat der Braven und all die -anderen Länder könntest du mit der Großen Sahara zudecken und hättest -noch ’ne hübsche Menge Quadratmeilen reinen Sand über!« - -Wir unterhielten uns noch lange über die Ausdehnung der Wüste, und je -mehr wir sie mit diesem und jenem und sonst ’nem Ding verglichen, desto -nobler und gewaltiger und großartiger kam sie uns vor. Schließlich fand -Tom aus seinen Zahlentabellen ’raus, daß sie genau so groß ist wie das -chinesische Reich. Dann zeigte er uns, was für ’nen großen Raum das -Kaiserreich China auf der Landkarte einnimmt und was für ein großes -Stück von der ganzen Welt chinesisch ist. Man konnte sich’s wirklich -kaum vorstellen, und ich rief unwillkürlich: - -»Ich hab’ ja von dieser Saharawüste schon oft sprechen hören, aber nie -hab’ ich ’ne Ahnung gehabt, wie bedeutend sie ist!« - -»Bedeutend?« sagte Tom. »Die Sahara bedeutend! Ja, so reden die Leute! -Wenn etwas groß ist, ist es bedeutend! Danach beurteilen sie alles; -sie sehen immer bloß den Umfang. Nun, sieh dir mal England an. Das ist -das allerbedeutendste Land auf der Welt; und dies Land könntest du -in Chinas Westentasche stecken und nicht nur das -- du würdest es in -dieser Westentasche ’ne verflixt lange Zeit zu suchen haben, wenn du’s -das nächste Mal brauchtest. Nun sieh dir auch mal Rußland an. Das dehnt -sich nach allen Seiten aus und hat trotzdem auf dieser Welt nicht mehr -zu bedeuten als Rhode Island, und du findest in ganz Rußland nicht -halb so viel wie in Rhode Island, was des Suchens wert ist.« - -In der Ferne erblickten wir jetzt einen kleinen Hügel, der gerade am -Ende der Welt stand. Tom unterbrach sich, griff ganz aufgeregt nach dem -Fernrohr, sah hindurch und rief: - -»Das ist er -- das ist ganz bestimmt gerade der, nach dem ich schon -lange ausgeschaut habe! Ganz gewiß ist das der Berg, in den der -Derwisch den Mann hineinführte, um ihm all die Schätze zu zeigen.« - -Wir guckten natürlich uns den Berg ganz genau an, und Tom begann uns -die Geschichte davon zu erzählen, wie sie in Tausend und einer Nacht -steht. - - - - -Zehntes Kapitel. - - -Tom sagte, die Sache hätte sich folgendermaßen zugetragen: - -»Ein Derwisch wanderte durch die Wüste; es war ein sengend heißer Tag -und er ging zu Fuß und hatte schon seine tausend Meilen hinter sich -und war sehr arm und hungrig und abgerissen und müde, und hier in der -Gegend, wo wir jetzt sind, begegnete er einem Kameltreiber mit hundert -Kamelen und bat ihn um ein Almosen. Der Kameltreiber sagte aber, er -möchte ihn entschuldigen, leider könnte er ihm nichts geben. - -»›Gehören dir denn nicht diese Kamele?‹ fragte der Derwisch. - -»›Ja, sie gehören mir.‹ - -»›Hast du Schulden?‹ - -»›Wer -- ich? Nein!‹ - -»›Nun, ein Mann, der hundert Kamele besitzt und keine Schulden hat, der -ist reich -- und nicht nur reich, sondern sogar sehr reich. Nicht wahr?‹ - -»Der Kameltreiber räumte ein, dies sei richtig. Da sagte der Derwisch: - -»›Gott hat dich reich gemacht und Er hat mich arm gemacht. Er hat -Seine Gründe und sie sind weise -- gesegnet sei Sein Name! Aber Er hat -befohlen, daß Seine Reichen Seinen Armen helfen und du hast dich von -mir, deinem Bruder, in seiner Not abgewandt; Er wird dir das gedenken -und es wird zu deinem Schaden sein.‹ - -»Dem Kameltreiber wurde unbehaglich zumute, als er diese Worte hörte; -er war aber von Natur gewaltig aufs Geld erpicht und mochte nicht einen -Cent missen. So begann er denn zu winseln und allerlei Entschuldigungen -vorzubringen: es seien harte Zeiten, er habe zwar eine volle Ladung -nach Balsora zu befördern, und bekomme dafür ein schönes Stück Geld, -aber er könne in Balsora keine Rückfracht erhalten und darum werde -seine Reise ihm nichts Rechtes einbringen. So machte denn der Derwisch -sich wieder auf seinen Weg und sagte zum Abschied bloß: - -»›Na, meinetwegen -- wenn du’s riskieren willst. Aber ich glaube, -diesmal hast du ’nen Irrtum gemacht und ’ne gute Gelegenheit verpaßt.‹ - -»Natürlich wollte nun der Kameltreiber wissen, was für ’ne Gelegenheit -er verpaßt hätte, denn es hätte ja Geld dabei zu verdienen sein können. -Er lief daher dem Derwisch nach und bat ihn so lange und so inständig, -er möchte doch Mitleid mit ihm haben, daß der Derwisch zuletzt nachgab -und sagte: - -»›Siehst du den Berg dort hinten? In jenem Berge sind alle Schätze der -Erde, und ich suchte gerade einen Mann mit einem recht guten milden -Herzen und einem edlen hochsinnigen Charakter; denn wenn ich so einen -Mann finden könnte, so hab’ ich hier ’ne Salbe bei mir, die ich auf -seine Augen streichen würde; er könnte dann alle Schätze sehen und sie -aus dem Berge hervorholen.‹ - -»Da kam der Kameltreiber in riesige Aufregung; er weinte und bat und -ließ nicht nach, warf sich auf seine Kniee nieder und rief, er sei -gerade so ein Mann, wie ihn der Derwisch suche, und er könne tausend -Zeugen beibringen, die alle bestätigen würden, daß die Beschreibung -ganz über alle Maßen genau auf ihn zutreffe. - -»›Nun, dann meinetwegen!‹ sagte der Derwisch. ›Wenn wir deine hundert -Kamele beladen, kann ich dann die Hälfte von ihnen abbekommen?‹ - -»Der Kameltreiber war so vergnügt, daß er kaum an sich halten konnte; -und er rief: - -»›Das soll ein Wort sein!‹ - -»Sie schüttelten sich also zur Bekräftigung des Handels die Hände, -und der Derwisch holte seine Büchse heraus und rieb dem Kameltreiber -mit der Salbe das rechte Auge ein: Da tat sich der Berg auf und er -ging hinein, und richtig -- da lagen Haufen neben Haufen, Goldstücke -und Juwelen, die funkelten, wie wenn alle Sterne vom Himmel -heruntergefallen wären. - -»Der Derwisch und der Kameltreiber machten sich nun fix an die Arbeit -und beluden jedes Kamel mit einer Last, so schwer es sie nur zu tragen -vermochte; dann nahmen sie Abschied von einander und jeder von ihnen -zog mit seinen fünfzig von dannen. Aber es dauerte nur einen ganz -kleinen Augenblick, da kam der Kameltreiber dem Derwisch nachgelaufen, -holte ihn ein und sagte: - -»›Du lebst ja doch eigentlich nicht unter den Menschen und darum -brauchst du wirklich nicht all die Schätze, die du gekriegt hast. -Willst du nicht so gut sein, mir zehn von deinen Kamelen abzulassen?‹ - -»›Na,‹ sagt der Derwisch, ›was du da sagst, ist ja ganz vernünftig; -dagegen kann ich nichts einwenden.‹ - -»Er tat es also; sie nahmen wiederum Abschied, und der Derwisch zog mit -seinen vierzig weiter. Aber gleich darauf läuft der Kameltreiber wieder -mit Halloh hinter ihm her und fängt an zu winseln und zu betteln, er -möchte ihm doch noch zehn Kamele geben, denn mit dreißig Kamelladungen -Gold und Juwelen könnte ein Derwisch sich ganz gut durchs Leben -schlagen. Bekanntlich leben ja die Derwische sehr einfach und haben -keine eigene Wohnung, sondern ziehen in der Welt ’rum und quartieren -sich bald hier bald dort ein. - -»Aber damit war’s noch nicht zu Ende. Der gemeine Hund kam immer und -immer wieder, bis er sich alle Kamele zusammengebettelt hatte und -die sämtlichen hundert besaß. Dann war er zufrieden und sogar riesig -dankbar und sagte, er wollte es dem Derwisch sein Lebenlang nicht -vergessen, und niemand sei je zuvor so gut gegen ihn gewesen und so -freigebig; so schüttelten sie sich denn die Hände, sagten sich Lebewohl -und gingen auseinander, der eine hierhin und der andere dorthin. - -»Aber wißt ihr -- es waren noch keine zehn Minuten verstrichen, da war -der Kameltreiber schon wieder unzufrieden -- er war das allergemeinste -Reptil in sieben Grafschaften -- und kam wieder hinter dem Derwisch -hergerannt. Und diesmal wünschte er, der Derwisch solle ihm auch auf -sein anderes Auge ein bißchen von der Salbe streichen. - -»›Warum?‹ fragte der Derwisch. - -»›O! Du weißt schon!‹ antwortete der Kameltreiber. - -»›Was denn?‹ - -»›Na, mir kannst du nichts weismachen!‹ sagt der andere. ›Du möchtest -mir irgendwas verheimlichen, das weißt du selber recht gut. Ich denke -mir aber, wenn ich die Salbe auch auf dem anderen Auge hätte, so könnte -ich ’ne ganze Menge noch viel wertvollere Sachen sehn. Also bitte -- -streich’ sie mir auf!‹ - -»Sagt der Derwisch: - -»›Ich habe dir nicht das allergeringste verhehlt. Aber ich will dir -sagen, was dir geschehen würde, wenn ich dir die Salbe auf das linke -Auge striche: du würdest niemals wieder sehen können -- du wärest -stockblind bis ans Ende deiner Tage.‹ - -»Aber, versteht ihr, das Biest wollte ihm nicht glauben. Nein, er -bettelte und bettelte und winselte und flennte, bis zuguterletzt der -Derwisch seine Büchse aufmachte und ihm sagte, er möchte sich die Salbe -selbst aufstreichen, wenn er’s durchaus wollte. Der Mann tat es und -richtig -- in Zeit von ’ner Minute war er so blind wie ’n Maulwurf. - -»Da lachte der Derwisch ihn aus und verhöhnte ihn und sagte: - -»›Leb wohl! Ein Blinder braucht kein Gold und keine Juwelen.‹ - -»Dann machte er sich mit seinen hundert Kamelen davon und der Blinde -mußte arm und elend und hilflos bis an sein Lebensende in der Wüste -umherirren.« - -Jim sagte, er wollte wetten, das wäre ’ne gute Lehre für ihn gewesen. - -»Ja,« sagte Tom, »und ’ne Lehre, wie’s die allermeisten sind, die man -kriegt. Sie nützen einem nichts, weil derselbe Vorfall einem niemals -wieder passieren wird, ja gar nicht passieren kann. Als damals Hen -Scovil den Schornstein ’runterfiel und sich das Rückgrat brach, daß er -für immer krumm blieb, da sagte ein jeder, es würde ’ne Lehre für ihn -sein. Was für ’ne Lehre denn? Was konnte er mit der Lehre anfangen? Er -konnte nicht mehr in Schornsteine ’raufkriechen und hatte kein Rückgrat -mehr zu brechen.« - -»Aber einerlei, Massa Tom, es sein doch was Wahres dran, daß eine von -die Erfahrung klug werden. In die Gute Buch stehen: die gebrannte Kind -tun den Feuer scheuen.« - -»Nu ja, ich leugne ja nicht, daß etwas ’ne gute Lehre sein kann, wenn’s -was ist, was zweimal passieren kann. Es gibt ’ne Masse solche Sachen, -und dadurch gerade wird ’n Mensch erzogen, wie Onkel Abner immer zu -sagen pflegte; aber es gibt vierzig Millionen Sachen von der andern -Sorte -- Sachen, die nie sich zweimal auf dieselbe Weise zutragen -- -und die haben absolut keinen reellen Wert, die lehren einen Menschen -genau so wenig, wie wenn er die Pocken kriegt. Wenn man sie mal erst -hat, so nützt es einem nichts, daß es einem klar wird, man hätte sich -sollen impfen lassen; und sich nachträglich impfen zu lassen, hat auch -keinen Zweck, weil man die Pocken bloß einmal kriegt. Andererseits, -sagte Onkel Abner, lernt einer, der mal ’nen Bullen an den Schwanz -gefaßt hat, sechzig- oder siebzigmal so viel wie einer, der das nicht -getan hat, und einer, der mal ’ne Katze am Schwanz nach Hause gezerrt -hätte, sagte Onkel Abner, der lernte dadurch allerlei, was ihm mal von -Nutzen sein würde und was sich nie in seiner Erinnerung verwischen -würde. Aber ich kann dir sagen, Jim: auf _die_ Leute, die aus allem -immer ’ne Lehre ziehen wollen, auf die war Onkel Abner nicht gut zu -sprechen; denn es wäre doch nicht einerlei, ob ...« - -Aber Jim war eingeschlafen. Tom guckte ein bißchen verlegen drein, denn -es ist ja immer ein unangenehmes Gefühl, wenn man etwas ganz besonders -Schönes sagt und wenn man denkt, der andere hört ganz andächtig und -bewundernd zu, und wenn dann der andere ganz mir nichts dir nichts -einschläft. Natürlich hätte er nicht einschlafen sollen -- denn das ist -schäbig; aber je schöner jemand redet, desto sicherer schläfert er den -anderen damit ein, und wenn man sich die Sache richtig überlegt, so hat -eigentlich keiner von ihnen schuld -- oder sie haben alle beide schuld. - -Auf einmal fing Jim an zu schnarchen -- zuerst sanft und süß, dann ein -langes Sägen, hierauf ein noch stärkeres und dann ein halbes Dutzend -ganz fürchterliche Schnarcher, wie wenn in ’ner Badewanne der letzte -Rest Wasser in das Abflußloch hineingesaugt wird -- hierauf dieses -letzte halbe Dutzend noch einmal, aber noch stärker und mit etlichen -Schnörkeln verziert, wie wenn ’ne Kuh in den letzten Zügen liegt -- und -wenn ein Mensch _so_ schnarcht, so hat er den Höhepunkt der Leistung -erreicht und kann einen aufwecken, der in der nächsten Straße mit ’nem -Eimer voll Opium im Leibe schläft, aber er selber wacht nicht auf, -obwohl der ganze gräßliche Spektakel keine drei Zoll von seinen Ohren -entfernt ist. Und das ist, wie mich dünkt, das Allersonderbarste dabei. -Aber reibe ein Streichholz an, um das Licht anzuzünden, und dieses -leise Geräusch wird ihm in die Glieder fahren! Ich möchte wohl wissen, -was der Grund hiervon ist, aber der läßt sich, wie’s scheint, nicht -feststellen. - -Unser Jim schnarchte also, daß er die ganze Wüste in Aufruhr brachte; -auf Meilen in der Runde stürzten die wilden Tiere aus ihren -Schlupfwinkeln hervor, um zu sehen, was denn da oben in der Luft los -sei; kein Mensch und kein Tier und kein Ding war dem Lärm so nahe wie -Jim selber, und doch war er in der ganzen Gegend das einzige Geschöpf, -das sich nicht dadurch stören ließ. Wir schrieen und brüllten ihn an -- -nützte alles nichts; aber sowie ein leises ungewohntes Geräusch gemacht -wurde, da wachte er auf. Wahrhaftig, ich habe mir den Kopf darüber -zerbrochen und Tom auch, aber wir haben’s nicht herausbringen können, -warum ein Schnarcher sich nicht schnarchen hört. - -Jim sagte, er habe nicht geschlafen; er habe bloß die Augen zugemacht, -um besser zuhören zu können. - -Tom sagte, ihm hätte ja niemand einen Vorwurf gemacht. - -Da machte Jim ein Gesicht, wie wenn er wünschte, er hätte lieber gar -nichts gesagt. Und ich glaube, er wollte die Unterhaltung auf was -anderes bringen, denn auf einmal fing er an, über den Kameltreiber -herzuziehen. Er ließ kein gutes Haar an ihm, und ich mußte ihm recht -geben; und den Derwisch erhob er bis in den siebenten Himmel, und auch -darin mußte ich ihm beistimmen. Tom aber sagte: - -»Das weiß ich denn doch nicht so gewiß. Ihr nennt den Derwisch so -fürchterlich freigebig und gut und selbstlos -- aber ich bin davon -nicht so ganz überzeugt. Er suchte in der Wüste nicht nach ’nem andern -armen Derwisch, nicht wahr? Oder? Nee, fiel ihm gar nicht ein. Wenn er -so selbstlos war -- warum ging er nicht einfach selber in den Berg, -nahm ’ne Tasche voll Juwelen ’raus und ging damit zufrieden weiter? -Aber nein -- was er suchte, das war ein Mann mit hundert Kamelen. Er -wollte so viele Schätze fortschleppen, wie er nur irgend konnte.« - -»Abers, Massa Tom, ihm wollten doch teilen -- ehrliche halb und halb! -ihm wollten bloß fufzig Kamele haben!« - -»Weil er wußte, daß er sie schließlich doch alle hundert kriegen würde.« - -»Massa Tom, er sagten abers zu die Mann, das Salbe täte ihm blind -machen tun!« - -»Ja, weil er den Charakter des Mannes kannte. Es war gerade die Sorte -von ’nem Mann, wonach er gesucht hatte -- ein Mann, der nie an eines -andern Wort oder Ehrlichkeit glaubt, weil er selber gar nicht weiß, was -ein wahres ehrliches Wort ist. Ich glaube, es gibt viele Leute, die’s -genau so machen, wie dieser Derwisch. Sie gaunern nach rechts und nach -links, aber richten es immer so ein, daß es so aussieht, als ob gerade -der andere der Gauner sei. Sie bleiben stets innerhalb des Buchstabens -der Gesetze, und darum kann man sie nie erwischen. _Sie_ legen nicht -die Salbe auf -- o nein! Das wäre ja Sünde! Aber sie wissen den -anderen so an der Nase zu führen, daß er sich selber damit beschmiert --- und dann hat er sich eben selber blind gemacht. Ich glaube, der -Derwisch und der Kameltreiber waren ein edles Brüderpaar: ein schlauer, -gerissener, verschmitzter Schurke und ein plumper, roher, unwissender --- aber Schurken alle beide, der eine wie der andere!« - -»Massa Tom, glauben Sie, daß es auf diese Welt noch so ein Salben geben -tun?« - -»Ja, Onkel Abner sagt, es gibt welche. In New York, sagt er, haben sie -sie und sie schmieren sie dem Landvolk auf die Augen und zeigen ihnen -alle Eisenbahnen von der Welt und sie fallen drauf ’rein und schaffen -sie ’ran; und dann reiben sie sich auch das andere Auge mit der Salbe -ein und der kluge Mann sagt ihnen Adieu und geht mit ihren Eisenbahnen -ab. Na, hier sind wir beim Schatzberg! Tiefer mit dem Ballon!« - -Wir landeten, aber es war nicht so interessant, wie ich erwartet hatte, -weil wir nämlich die Stelle nicht finden konnten, wo sie ’reingegangen -waren, um die Schätze zu holen. Immerhin war es noch sehr interessant, -auch nur den Berg zu sehen, wo eine so wunderbare Geschichte sich -zugetragen hatte. Jim sagte, er hätte nicht für drei Dollars bei dem -Berg vorbeifahren mögen, ohne sich ihn näher anzusehen, und ich war -ganz derselben Meinung. - -Aber das Allerwundervollste war für mich und Jim, wie Tom in so’n -großes fremdes Land kam wie dies und einfach geradeswegs auf so ’nen -kleinen Steinhaufen lossegeln und ihn in ’ner Minute aus ’ner Million -von anderen geradeso aussehenden Bergen ’rauskennen konnte, und ohne -irgend welche fremde Hilfe, bloß durch sein eigenes Wissen und seine -eigene Schläue. Wir besprachen das lange Zeit, konnten aber nicht -’rausbringen, wie er’s anfing. Er hatte den besten Kopf, den ich je -gesehen, und ihm fehlte weiter nichts als das richtige Alter, um sich -’nen Namen zu machen wie Kapitän Kidd, der große Seeräuber, oder George -Washington. Ich will wetten, die wären alle beide in ’ner häßlichen -Verlegenheit gewesen -- trotz all ihrer Klugheit -- wenn sie den Berg -hätten ausfindig machen sollen. Aber für Tom Sawyer war das ganz und -gar nichts; der ging quer über die Sahara drauf los und tippte ihn -mit dem Finger an -- so leicht, wie man ’nen Nigger aus ’nem Haufen -Engelein ’rauskennen würde. - -Ganz in der Nähe fanden wir einen Salzwasserteich, von dessen Rändern -wir einen Vorrat Salz einsammelten; damit rieben wir die Löwen- und die -Tigerhaut ein, so daß sie sich halten konnten, bis Jim Zeit kriegte, -sie richtig zu gerben. - - - - -Elftes Kapitel. - - -Einen Tag oder zwei strolchten wir nach unserem Behagen in den -Lüften herum, und dann, gerade als der Vollmond den Erdboden auf der -anderen Seite der Wüste berührte, sahen wir eine Reihe von kleinen -schwarzen Gestalten quer an der großen silberglänzenden Scheibe -vorüberziehen. Man sah sie so deutlich, wie wenn sie mit Tinte auf -den Mond aufgezeichnet gewesen wären. Es war wieder ’ne Karawane. -Wir stellten unseren Apparat auf mäßige Geschwindigkeit und fuhren -hinter ihr her, bloß um ein bißchen Gesellschaft zu haben, obwohl wir -dadurch eigentlich von unserem Wege abkamen. Diese Karawane war ein -ganz mächtig großes Ding und ein großartiger Anblick war’s am andern -Morgen, als die Sonne flammend über die Wüste schien und die langen -Schatten der Kamele langbeinig-knickebeinig in Prozession über den -goldenen Sand hinmarschierten. Wir kamen der Karawane niemals ganz -nahe, weil wir mit solchen Sachen jetzt besser Bescheid wußten und -nicht mehr friedfertigen Leuten die Kamele bange machen und ihre -Karawane in Unordnung bringen wollten. Es war der bunteste lustigste -Zug, den man sich nur denken kann, alles in reichen Gewändern und fein -herausgeputzt. Einige von den Häuptlingen ritten auf Dromedaren; es -waren die ersten, die wir je in unserem Leben sahen, und mächtig große -Viecher, die wie auf Stelzen gehen und den Mann, der auf ihnen sitzt, -beträchtlich schütteln und ihm das Essen, das er im Leibe hat, ganz -gehörig durcheinander rütteln; aber sie reiten ein ganz famoses Tempo -und ein Kamel kann es an Schnelligkeit auch nicht annähernd mit ihnen -aufnehmen. - -Den mittleren Teil des Tages über hielt die Karawane Lagerruhe; in den -Nachmittagsstunden zog sie weiter. Es dauerte nicht lange, so fing die -Sonne an, ganz merkwürdig auszusehen -- erst wie Messing, dann wie -Kupfer und schließlich wie eine blutrote Kugel; die Luft wurde heiß -und beklemmend und im Nu war der ganze westliche Himmel verdunkelt und -dunstig, daß es ganz fürchterlich anzusehen war -- so wie wenn man ihn -durch ’nen roten Glasscherben ansieht. Wir sahen ’runter und bemerkten, -daß in der Karawane ein großer Wirrwarr herrschte, ein Hin- und -Herlaufen, wie wenn die Leute eine entsetzliche Angst hätten. Und auf -einmal warfen Menschen und Tiere sich platt auf den Boden nieder und -lagen da vollständig still. - -Gleich darauf sahen wir etwas herankommen. das sah aus wie eine riesig -hohe Wand, und reichte von der Wüste in den Himmel empor, daß die Sonne -dahinter verschwand, und es kam heran wie ein heiliges Donnerwetter. -Dann wehte eine ganz schwache Brise uns an, dann wurde der Wind stärker -und auf einmal flogen Sandkörner uns in’s Gesicht, die brannten uns wie -Feuerfunken, und Tom schrie auf: - -»’s ist ein Sandsturm -- dreht ihm den Rücken zu!« - -Das taten wir; und ’ne Minute später blies es uns an wie ein Orkan und -der Sand flog wie mit Schaufeln geworfen gegen uns an, und die Luft -war so dick, daß wir überhaupt nichts mehr sehen konnten. Binnen fünf -Minuten war unser Luftschiff bis an den Rand voll, und wir saßen auf -unseren Bänken, bis ans Knie in Sand begraben, und bloß unsere Köpfe -guckten oben ’raus und wir konnten kaum noch Luft kriegen. - -Dann wurde der Sturm schwächer und der Sand dünner und wir sahen, daß -die ungeheure Wand quer über die Wüste weitersegelte -- und es war -fürchterlich anzusehen, das kann man mir wohl glauben! Wir wühlten -uns aus dem Sand ’raus und sahen nach der Erde hinunter -- und an der -Stelle, wo vorher die Karawane gewesen war, da war jetzt gar nichts -mehr als bloß der Sandozean, und alles war still und ruhig. All die -Menschen und Kamele waren erstickt und tot und begraben -- begraben -unter einer Sandschicht, die nach unserer Schätzung zehn Fuß tief sein -mußte, und Tom meinte, es könnte Jahre dauern, ehe der Wind sie wieder -bloßlegte, und all die Zeit über würden ihre Freunde nicht wissen, was -aus der Karawane geworden wäre. Und Tom sagte: - -»Jetzt wissen wir auch, was den Leuten passiert war, denen wir die -Säbel und Pistolen abnahmen.« - -Ja, so verhielt sich’s ganz genau -- das war uns jetzt so klar wie -der helle Tag. Sie wurden in einem Sandsturm begraben, und die wilden -Tiere konnten nicht an sie ’rankommen, und der Wind deckte sie nicht -eher wieder auf, als bis sie zu lederartigen Mumien vertrocknet und -nicht mehr zu essen waren. Mir war’s damals so vorgekommen, als sei -uns das Schicksal jener armen Menschen so tief zu Herzen gegangen und -habe uns so traurig gemacht, wie sich’s nur denken läßt -- aber das -war ein Irrtum von uns: der Untergang dieser zweiten Karawane ging uns -tiefer zu Herzen, _viel_ tiefer! Nun, das kam davon, daß die andern -eben völlige Fremde für uns gewesen waren; so hatten wir denn gar -nicht das Gefühl gehabt, als seien wir überhaupt mit ihnen bekannt -gewesen -- ausgenommen vielleicht ein bißchen mit dem Mann, der das -Mädchen in seinen Armen zu schützen gesucht hatte. Aber mit dieser -letzten Karawane war es ganz was anderes! Wir hatten eine ganze Nacht -und beinahe einen vollen Tag um sie herumgeschwebt, und da hatten wir -ein wirklich freundschaftliches Gefühl für sie gefaßt; sie waren für -uns Bekannte geworden. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß es kein -besseres Mittel gibt, herauszufinden, ob Leute einem lieb oder zuwider -sind, als daß man mit ihnen zusammen eine Reise macht. Genau so ging -es uns mit diesen. Sie gefielen uns eigentlich gleich von Anfang an, -und im Verlauf der Reise gewannen wir sie wirklich lieb. Je länger die -Reise dauerte, und je mehr wir mit ihren Manieren vertraut wurden, -desto besser gefielen sie uns und desto größer wurde unsere Freude, daß -wir sie getroffen hatten. Einige von ihnen kannten wir bald so genau, -daß wir sie bei ihren Namen nannten, wenn wir von ihnen sprachen, und -wir gingen schließlich so vertraulich mit ihnen um, daß wir sogar das -›Herr‹ oder ›Fräulein‹ fortließen und einfach ihre Namen nannten, wenn -wir von ihnen sprachen; und das klang ganz und gar nicht unhöflich, -sondern im Gegenteil ganz natürlich. Selbstverständlich waren es nicht -ihre richtigen Namen, sondern die Namen, die wir ihnen beigelegt -hatten. Da war Herr Alexander Robinson und Fräulein Adaline Robinson, -Oberst Jacob Mc Dougal und Fräulein Harriet Mc Dougal und Richter -Jeremiah Butler und der junge Buschrod Butler, und diese Herrschaften -waren meistens große Häuptlinge mit prachtvollen großen Turbanen -und Handscharen, und angezogen wie der Groß-Mogul, nebst ihren -Familienmitgliedern. Aber sobald wir sie recht kannten, und sie so gern -hatten, da gab’s für uns kein ›Herr‹, ›Richter‹ oder dergleichen mehr, -sondern bloß Alex und Addy und Jake und Nattie, Jerry, Buck usw. - -Als sie ihr Lager aufschlugen, da hielten auch wir unmittelbar über -ihnen still, tausend oder zwölfhundert Fuß hoch in der Luft. Als sie -ihre Mahlzeit verzehrten, da speisten wir auch, und es war wirklich -ein behagliches Gefühl, uns dabei in ihrer Gesellschaft zu wissen. -Während der Nacht feierten sie eine Hochzeit, und Buck und Addy wurden -miteinander verheiratet; da putzten wir uns zur Feier dieses festlichen -Anlasses mit des Professors schönsten Kleidern heraus, und als bei -ihnen das Tanzen losging, da schwangen wir oben in unserer Höhe auch -ein bißchen das Tanzbein. - -Aber am allernächsten werden die Menschen doch durch Kummer und Leid -zusammengebracht, und so ging es auch uns, als sie am nächsten Morgen -in der ersten Dämmerung einen begruben. Wir wußten nicht, wer der -Abgeschiedene war, und er war ja nicht mit uns verwandt, aber das -machte gar keinen Unterschied; er gehörte zur Karawane -- das genügte, -und es wurden keine aufrichtigeren Tränen über seinem Grabe vergossen, -als die unsrigen, die aus einer Höhe von elfhundert Fuß herabfielen. - -Ja, der Abschied auf ewig, den wir von dieser Karawane nahmen, war viel -bitterer, als der Abschied von jenen anderen Toten, die im Vergleich -mit diesen nur Fremde für uns waren, und die zudem schon so lange tot -waren. Aber diese hatten wir bei Lebzeiten gekannt und hatten sie gern -gehabt -- und nun kam der grimmige Tod und riß sie vor unsern Augen -weg und wir blieben mitten in der großen Wüste so einsam und verwaist --- das tat uns so weh und wir wünschten, wir möchten auf unserer Reise -lieber gar keine Freunde mehr gewinnen, wenn wir sie auf solche Art -wieder verlieren sollten. - -Als wir am nächsten Morgen erwachten, war’s uns ein bißchen fröhlicher -ums Herz; denn wir hatten großartig gut geschlafen, weil Sand das -allerbequemste Bett auf der ganzen Welt ist, und ich begreife nicht, -warum Leute, die’s haben können, sich nicht eine solche Ruhestatt -leisten. Außerdem ist Sand auch ein schrecklich guter Ballast; unser -Ballon war nie zuvor so ruhig gesegelt wie jetzt. - -Tom meinte, wir hätten wohl zwanzig Tonnen Sand an Bord, und dachte -darüber nach, was wir wohl am besten damit anfangen könnten; es war -guter Sand und es schien uns unvernünftig zu sein, ihn fortzuschmeißen. -Da sagte Jim: - -»Massa Tom, können wir nix mit ihm zu Hause nehmen un die Sand -verkaufen? Wie große Zeit brauchen wir zu die Reise?« - -»Das kommt auf den Weg an, den wir fahren.« - -»Nu, Massa Tom, die Sand is zu Haus mehr als eine Viertel Dollar for -die Wagenladung wert, un ich glauben, wir haben zu ’s allermindeste -zwanzig Wagenladungen. Wieviel würden die machen?« - -»Fünf Dollars.« - -»Bei Jingo, Massa Tom, laß Sie uns auf die Stelle zu Haus reisen! Das -machen ja mehr als annerthalb Dollars auf jede von unsere drei Köpf -- -nich?« - -»Ja.« - -»Na! Das is doch so leicht Geld verdient, wie ich in meine Leben nie -nix erleben tun! Die Sand is ja bloß so ’reingeregnet -- kost uns nix -’n bissel Arbeit. Laß Sie uns gleich hinfahren, Massa Tom!« - -Aber Tom dachte nach und rechnete so eifrig und so aufgeregt, wie ich -ihn nie gesehen habe. Und nach ’nem kleinen Augenblick sagte er: - -»Fünf Dollars -- pah! Hört mal zu: dieser Sand ist wert ... wert ... -na, er ist ’n ganz kolossalen Haufen Geld wert!« - -»Wie denn, Massa Tom? Erzähl Sie, süßes Herrchen, erzähl Sie!« - -»Na -- sobald die Leute wissen, ’s ist _echter_ Sand aus der _echten_ -Wüste Sahara, da werden sie sich sofort in den Kopf setzen, sich ein -bißchen davon zu verschaffen und es als Kuriosität in ’ner Phiole -mit ’nem Zettel dran auf den Nippstisch zu stellen. Wir brauchen -nichts weiter zu tun, als ihn in Phiolen zu füllen, über den ganzen -Vereinigten Staaten ’rumzugondeln und ihn zu zehn Cents das Stück zu -verhökern. Wir haben in unserem Schiff für mindestens zehntausend -Dollars Sand!« - -Ich und Jim sprangen vor Freuden beinahe in Stücke und sangen: -»Hupjamborihu!« und Tom sagte: - -»Und wir brauchen ja bloß wieder zurückzusegeln und neuen Sand zu -holen und das immer fortzusetzen, bis wir zuletzt die ganze Wüste -’rübergeschafft und phiolenweise verkauft haben; und Konkurrenz -brauchen wir nicht zu befürchten, denn wir lassen uns einfach ein -Patent darauf geben.« - -»Himmlische Güte!« rief ich. »Wir werden ja so reich sein wie Kreosot --- was, Tom?« - -»Ja -- wie Kresus, meinst du. Hört mal -- der Derwisch suchte in jenem -kleinen Berg nach den Schätzen der ganzen Welt und wußte nicht, daß er -tausend Meilen weit auf lauter wirklichen Schätzen gegangen war. Er war -blinder als der Kameltreiber durch ihn wurde!« - -»Massa Tom -- wie sehr reich, mein’ Sie, daß wir werden tun?« - -»Ja, das weiß ich noch nicht. Das muß erst ausgerechnet werden -- und -das ist gar nicht so leicht, denn es sind mehr als vier Millionen -Quadratmeilen Sand zu zehn Cents die Phiole.« - -Jim war fürchterlich aufgeregt, aber diese letzte Bemerkung gab ihm -einen beträchtlichen Dämpfer. Er schüttelte den Kopf und sagte: - -»Massa Tom -- all die Violen können wir nix beschaffen -- kein König -nix hat so viele Violen. Wir mussen lieber nix die ganze Wüste wollen -haben -- Massa Tom, die Violen wer’n uns zu Grunden richten, warraftig!« - -Toms Erregung ließ jetzt ebenfalls bedeutend nach und ich dachte, es -sei von wegen der Phiolen -- aber nein. Er saß da und dachte, und sein -Gesicht wurde immer saurer und finsterer, und zuletzt sagte er: - -»Jungens -- die Sache wird nicht gehen. Wir müssen sie aufgeben!« - -»Warum denn, Tom?« - -»Wegen der Zollgebühren. So oft man über eine Grenze kommt -- ’ne -Grenze ist der Rand von einem Lande, wie ihr wohl wißt -- so findet -man dort ein Zollamt; und dann kommen die Zollbeamten heran und wühlen -einem in den Sachen herum und erheben eine hohe Gebühr davon -- und -wenn wir nicht die Gebühr bezahlen, so beschummeln sie uns um unsern -Sand. Sie nennen das ›konfiszieren‹ -- aber damit können sie keinem -Menschen was weismachen -- es ist ganz einfach beschummeln. Wenn wir -nun versuchen, den Sand auf dem Wege heimzubringen, auf dem wir jetzt -sind, so müssen wir über so viele Grenzen wegsteigen, daß wir bald müde -sein werden -- denn da kommt Grenze hinter Grenze: Aegypten, Arabien, -Hindustan usw., und an jeder stehen sie mit ihrer Zollgebühr bereit. -Ihr seht also klar und deutlich: diesen Weg können wir nicht segeln!« - -»Nu, Tom,« sagte ich, »wir können doch einfach über ihre ollen Grenzen -wegsegeln. Wie sollten _die_ uns daran hindern?« - -Er sah mich betrübt an und sagte ganz ernst: - -»Huck Finn -- meinst du, daß das ehrlich sein würde?« - -Derartige Unterbrechungen hasse ich, darum erwiderte ich gar nichts -darauf, und Tom fuhr fort: - -»Na, der andere Weg ist uns ja ebenfalls versperrt. Wenn wir den Weg -zurücksegeln, den wir gekommen sind, so ist da das New Yorker Zollamt, -und das ist schlimmer als alle anderen zusammen, von wegen der Fracht, -die wir führen.« - -»Warum?« - -»Ja, Saharasand können sie in Amerika natürlich nicht produzieren; -und auf alles, was dort nicht produziert werden kann, beträgt die -Zollgebühr vierzehntausend Prozent, wenn man versucht, es aus dem -Ursprungsland einzuführen.« - -»Da liegt ja gar kein Sinn und Verstand drin, Tom Sawyer!« - -»Wer hat denn das behauptet? Wie kannst du so zu mir sprechen, Huck -Finn? Warte doch ab, bis ich sage, es sei Sinn und Verstand drin, ehe -du solche Beschuldigungen gegen mich erhebst!« - -»Schon gut, Tom! Nimm an, ich bereue und beweine meinen Fehler. Weiter!« - -Da sagt Jim: - -»Massa Tom -- packen Sie diese Gebühre auf alle Dinge, wo nix in -Amerrika waxen un mach Sie gar nix keine Unterschied nix?« - -»Nee, das tun sie nicht.« - -»Massa Tom -- is nix die Segen von liebe Herrgott die wertvölligste -Ding auf diese Welt?« - -»Ja, das ist er.« - -»Stehen nix das Preddiger auf die Kanzel un ruf die Segen nieder auf -die Volk?« - -»Ja.« - -»Wo kommen die Segen her?« - -»Vom Himmel.« - -»Jawoll -- da hab Sie ganz recht -- ganz recht, mein süßes Herrchen -- -die Segen komm’ von die Himmel un die Himmel is eine fremde Land. Nu -- -nehm’ sie auch Zollgebühr von die Segen?« - -»Nein, das tun sie nicht.« - -»Natürlich tu’ sie nix! Un so is es klar, daß Sie sich tun irren, Massa -Tom! Sie nehm’ doch ganz gewiß nix Gebühr von armselige Sand, die keine -Mensch zu haben brauchen un lassen die beste Ding, wo niemand ohne sein -können, frei von die Gebühr!« - -Da saß Tom Sawyer fest! Er sah auch wohl selber ein, daß Jim ihn -gefaßt hatte und daß er sich nicht rühren konnte. Allerdings versuchte -er sich herauszuwinden, indem er sagte, sie hätten bloß _vergessen_, -auch darauf eine Abgabe zu legen, aber ganz gewiß würden sie bei der -nächsten Kongreßtagung daran denken und sie nachträglich einführen -- -aber das war nur eine armselige lahme Ausrede, und Tom wußte es ganz -gut. Er sagte, es gäbe außer diesem einzigen nichts Ausländisches, -was nicht mit ’ner Zollgebühr belegt wäre, und darum müßten sie diese -Abgabe ebenfalls festsetzen, denn sonst wären sie nicht konsistent oder -konsequent, und Konsistenz wäre die erste Regel in der Politik. Er -blieb dabei, sie hätten’s bloß aus Versehen ausgelassen und würden sich -ganz gewiß beeilen, dies Versehen wieder gut zu machen, ehe man sie -darob ertappte und auslachte. - -Aber ich hatte für seine Auseinandersetzungen kein Interesse mehr, da -wir nun doch mal mit unserem Sand nichts mehr anfangen konnten; denn -das machte mich ganz niedergeschlagen und Jim auch. Tom versuchte uns -wieder aufzuheitern, indem er sagte, er wollte eine andere Spekulation -ausdenken, die für uns gerade so gut und noch besser wäre -- aber das -half nichts, denn wir konnten nicht glauben, daß irgend eine andere so -großartig sein könnte. Es war wirklich sehr hart für uns: vor einer -ganz kleinen Weile noch waren wir so reich, hätten uns ein ganzes Land -kaufen und ’n Königreich drin einrichten können -- und jetzt waren wir -wieder so arm und so ordinär und saßen da mit all unserm Sand. Vorher -hatte der Sand so reizend ausgesehen, wie lauter Gold und Diamanten, -und er war so weich und so seidig und so angenehm anzufühlen gewesen --- aber jetzt konnte ich nicht mal seinen Anblick mehr ertragen; es -machte mich ganz krank, ihn bloß zu sehen, und ich wußte, mir würde -nicht eher wieder wohl sein, als bis wir den Krempel los wären, der -uns fortwährend daran erinnerte, was wir hätten sein können und nun -nicht mehr waren. Den andern beiden war ganz genau so zumute wie mir. -Das merkte ich ihnen an und sie wurden auf einmal ganz lustig, als ich -ihnen sagte: »Laßt uns das ganze Zeug über Bord werfen!« - -Na, das war ja nun ’ne ganz tüchtige Arbeit, und darum teilte Tom sie -im Verhältnis zu unserer verschiedenen Stärke ein. Er sagte, er und ich -sollten jeder ein Fünftel von dem Sand über Bord schaffen und Jim die -andern drei Fünftel. Dem Jim gefiel diese Einteilung aber nicht recht -und er sagte: - -»Natürlich sein ich die Stärkste un will auch meine Teil größer mach’ --- abber bei Jingo: Sie lad’ ein bissel zu viel auf alte Jims Buckel -- -tu’ Sie nix, Massa Tom?« - -»Na, das glaub’ ich eigentlich nicht, Jim; aber du kannst ja selber -sagen, wie die Arbeit verteilt werden soll und nachher können wir dann -sehen.« - -Jim meinte nun, es sei nicht mehr als recht und billig, wenn Tom und -ich jeder _ein Zehntel_ von der Arbeit täten. Tom drehte sich um und -verzog seinen Mund zu einem Grinsen, das sich nach Westen zu über die -ganze Sahara bis an den Atlantischen Ozean erstreckte. Dann wandte er -sich wieder zu Jim und sagte, die Einteilung sei ganz schön und gut und -er sei ganz damit einverstanden, wenn sie Jim ebenfalls recht sei. Jim -war sie recht. - -So maß denn Tom unsere zwei Zehntel im Bug des Schiffes ab und den -Rest bekam Jim. Und es überraschte den guten Jim sehr als er sah, wie -groß der Unterschied war und was für eine fürchterliche Menge Sand -auf seinen Anteil kam. Er sagte, er sei doch mächtig froh, daß er -zur rechten Zeit den Mund aufgetan habe, und daß der erste Vorschlag -abgeändert worden sei; denn selbst so wie’s jetzt sei, meinte er, -möchte auf seinen Teil wohl mehr Sand als Vergnügen kommen. - -Dann fingen wir an. Es war ’ne mächtig heiße Arbeit und dazu sehr -langwierig; sie war tatsächlich so heiß, daß wir zu ’ner kühleren -Luftschicht aufsteigen mußten, sonst hätten wir’s einfach nicht -aushalten können. Tom und ich lösten uns ab, und der eine ruhte sich -immer aus, während der andere arbeitete, aber niemand war da, um den -armen Jim abzulösen, und er machte diesen ganzen Teil von Afrika -naß, so schwitzte er. Wir konnten nicht recht arbeiten, weil wir -fortwährend lachen mußten, und Jim wollte immerzu wissen, warum wir -alle Augenblicke laut herausprusteten. Da mußten wir denn irgend einen -Vorwand ersinnen, und unsere Vorwände waren wirklich recht kümmerlich, -aber schließlich genügten sie, denn Jim glaubte uns. Als wir endlich -mit unserem Teil fertig waren, da waren wir halb tot, aber nicht von -der Arbeit, sondern vom Lachen. Jim war beinahe ganz tot, aber von der -Arbeit; da lösten wir ihn denn abwechselnd ab, und er war uns dafür so -dankbar, wie wir nur wünschen konnten; er setzte sich aufs Dollbord und -trocknete sich den Schweiß ab und keuchte und schnaufte und sagte, wie -gut wir doch zu ’nem armen alten Nigger wären und er wollt’s uns nie -vergessen. Er war immer der dankbarste Nigger, den ich je gesehen habe, -mochte man ihm auch nur die geringste Gefälligkeit erwiesen haben. -Nigger war er überhaupt nur äußerlich -- innerlich war er so weiß wie -du und ich. - - - - -Zwölftes Kapitel. - - -Unsere nächsten Mahlzeiten waren recht sandig, aber das macht nichts -aus, wenn man hungrig ist; und wenn man nicht hungrig ist, so hat man -ja vom Essen doch keinen Genuß und nach meiner Meinung kommt’s auf so’n -kleines Sandkörnchen im Essen überhaupt nicht an. - -Endlich kamen wir an den Ostrand der großen Wüste, indem wir einen -nordöstlichen Kurs einhielten. Fern am Rande des Sandes, in einem -zarten rosenroten Licht, sahen wir drei kleine scharfe Dächer wie Zelte -sich abheben und Tom sagte: »Das sind die ägyptischen Pyramiden!« - -Da fing aber mein Herz an zu puppern! Ich hatte ja so manches, manches -Bild von ihnen gesehen und hatte hundertmal von ihnen erzählen hören --- aber als ich sie so ganz plötzlich vor mir sah und fand, daß sie -_wirklich_ existierten und nicht bloß in der Phantasie, da stand mir -vor Ueberraschung beinahe der Atem still. Es ist sonderbar -- je mehr -man von ’nem großartigen Ding oder Menschen hört, desto mehr nimmt es -sozusagen was Traumhaftes an und wird schließlich zu ’ner übergroßen -verschwommenen Figur aus lauter Mondschein, aber ohne ’nen soliden -Inhalt. Gerade so ist’s mit George Washington -- und so ist’s auch mit -den Pyramiden. - -Außerdem war es mir immer so vorgekommen, als ob die Geschichten, -die man von den Pyramiden erzählte, zum größten Teil ganz gewaltige -Uebertreibungen seien. Da war mal einer, der kam zu uns in die -Sonntagsschule und hatte ein Bild von ihnen und hielt ’ne Rede drüber -und sagte, die größte Pyramide bedeckte eine Fläche von dreizehn -Morgen und wäre beinahe fünfhundert Fuß hoch; sie wäre ein richtiger -steiler Berg, aufgebaut aus lauter Steinblöcken, die so groß wären wie -’ne Kommode und in regelmäßigen Reihen lägen wie Treppenstufen. Na, -dreizehn Morgen für ein einziges Gebäude -- das ist ja ’ne Farm! Wär’ -ich nicht in der Sonntagsschule gewesen, so hätte ich die Geschichte -für ’ne Lüge gehalten; und sobald ich draußen war, hielt ich sie auch -wirklich dafür. Und er sagte, in der Pyramide wäre ein Loch und man -könnte mit Fackeln da hineingehen und dann immer einen langen schrägen -Tunnel hinauf, bis man schließlich zu einem großen Raum mitten im -Bauch dieses Berges käme und da fände man einen großen Steinkasten mit -’nem König drin -- und der wär’ viertausend Jahre alt! Als ich das -hörte, sagte ich bei mir selber: wenn das keine Lüge ist, will ich den -König sehen, d. h. wenn er da ist; denn _so_ alt war ja nicht mal -Methusalem, und kein Mensch denkt daran, viertausend Jahre alt werden -zu wollen. - -Als wir ein bißchen näher herankamen, sahen wir auf einmal den gelben -Sand mit einem langen graden Rand aufhören -- ganz scharf abgeschnitten -wie ein großes Tuch -- und mit dem Rand an diesen Sand anstoßend ein -weites Land von hellem Grün, durch das ein langer heller Streifen sich -in Schlangenwindungen hindurchzog, und Tom sagte, das sei der Nil. -Da fing mein Herz wieder an zu puppern, denn der Nil war auch so ein -Ding, das ich eigentlich nie für Wirklichkeit gehalten hatte. Nun, so -viel ist todsicher: wenn man über dreitausend Meilen gelben Sandes -weggegondelt ist, wenn dieser Sand so von Hitze flimmert, daß einem vom -bloßen Hinsehen das Wasser aus den Augen läuft, und wenn man beinahe -’ne ganze Woche über diesem Sand war -- dann wird einem das grüne Land -wie Heimat und Himmel erscheinen und es wird einem _wieder_ das Wasser -aus den Augen laufen. - -So ging es mir und so ging’s auch Jim. - -Und als Jim merkte, daß er wirklich auf Aegyptenland ’runterguckte, da -wollte er nicht stehend in dieses Land hineinsegeln, sondern er warf -sich auf seine Kniee und nahm den Hut ab, denn für einen armen alten -Nigger, sagte er, schicke es sich nicht, anders in ein Land zu kommen, -wo Moses und Joseph und Pharao und die andern Propheten gelebt hätten. -Jim war Presbyterianer und hatte einen sehr tiefen Respekt vor Moses, -der, wie er sagte, ebenfalls ein Presbyterianer gewesen war. Er war -ganz aus dem Häuschen und rief: - -»Das is die Aegyptenland, die Aegyptenland! -- un ich dürfen sie mit -meine eigene Augen ansehn! Un da is die Fluß, das zu Blut wurden, un -ich sehen auf dieselbige Stellen ’runter, wo die Pest un die Läusen un -die Froschen un die Hauschrecken un die Hagel gewesen sein tun -- un wo -die Türpfosten gezeichnet war un die Engel des Herrn kam un schlugen -allen Erstgeburt in ganze Aegyptenland. Alte Jim is nix würdig, diesen -Tag zu sehn!« - -Und dann warf er sich hin und weinte vor lauter Dankbarkeit. Da gab -es denn zwischen ihm und Tom ein langes Gespräch: Jim war aufgeregt, -weil das Land so voll von Weltgeschichte war: von Joseph und seinen -Brüdern, von Moses in den Binsen, von Jakob, der nach Aegypten kam, um -Korn zu kaufen, vom silbernen Becher im Sack und von all den anderen -interessanten Sachen. Und Tom war gerade so aufgeregt, weil das Land so -voll von Weltgeschichte war, die in _sein_ Fach schlug: von Nurreddin -und Bedreddin und ähnlichen ungeheuren Riesen, bei deren Beschreibung -Jims Wollhaar zu Berge stand, und von ’ner ganzen Menge anderer Leute -aus Tausend und einer Nacht, die nach meiner Meinung nicht die Hälfte -von all dem getan haben, was sie getan haben wollen! - -Dann erlebten wir eine Enttäuschung, denn es erhob sich ein Frühnebel -und wir durften nicht über ihn hinwegsegeln, weil wir sonst gewiß auch -über ganz Aegypten weggesegelt wären. Wir hielten’s daher für das -beste, nach dem Kompaß in geradem Kurs auf die inzwischen immer mehr -im Dunst verschwindenden Pyramiden zuzuhalten, so dicht wie möglich -über dem Boden hinzufahren und scharf Ausguck zu halten. Tom nahm -das Steuer, ich stand neben ihm, um, wenn’s nötig wäre, den Anker -auszuwerfen, und Jim hockte auf dem Bug, um mit den Augen durch den -Nebel zu bohren und etwaige Gefahren rechtzeitig zu bemerken. Wir -fuhren ein stetiges Tempo, aber nicht sehr schnell, und der Nebel wurde -dicker und dicker -- so dick zuletzt, daß von Jim nur noch schwache -Umrisse zu erkennen waren. Es war beängstigend still und wir sprachen -leise und waren aufgeregt. Ab und zu rief Jim: - -»Eine Strich höcher ’rauf, Massa Tom, eine Strich höcher!« und dann -ließ Tom das Schiff ein paar Fuß höher steigen, und wir fuhren scharf -über das flache Dach einer Lehmhütte weg und über die Leute, die -gerade eben aufgestanden waren und noch gähnten und sich streckten. -Einmal hatte ein Bursche sich auf seinen Hinterbeinen so recht hoch -aufgerichtet, um besser gähnen und sich strecken zu können; der bekam -von unserer Gondel einen Puff in den Rücken, daß er auf den Bauch fiel. -So verging ungefähr eine Stunde; alles war totenstill und wir spitzten -unsere Ohren und hielten den Atem an, damit uns kein Laut entginge; da, -ganz auf einmal wurde der Nebel ein bißchen dünner, und Jim schrie in -fürchterlicher Angst: - -»O, um die liebe Heiland willen, steuer Sie rückwärts, Massa Tom! Hier -is die größte Riese aus die Tausendste Nacht un kommen auf uns los!« - -Und damit fiel er rücklings in die Gondel hinein. - -Tom stürzte sich auf einen Hebel und gab dem Schiff Gegenkraft, -und als wir infolgedessen plötzlich stillstanden -- da guckte ein -Menschengesicht so groß wie unser Haus daheim in unsere Gondel und ich -fiel um und war tot. Denn ich muß wirklich ’ne Minute lang oder so tot -gewesen sein. Schließlich kam ich wieder zu mir und da hatte Tom ’nen -Bootshaken in die Unterlippe des Riesen eingehakt und hielt damit den -Ballon fest, und dabei hatte er den Kopf hintenübergelegt und sah mit -einem langen festen Blick das fürchterliche Riesenantlitz an. - -Jim lag auf den Knieen und sah mit gefalteten Händen das Ding an und -bewegte betend die Lippen, konnte aber keinen Ton hervorbringen. Ich -warf bloß einen Blick auf den Riesenkopf und wollte gerade wieder in -Ohnmacht fallen, da sagte Tom: - -»Es ist ja gar nicht lebendig, ihr Narren! Es ist die Sphinx.« - -Nie hab’ ich Tom so klein gesehen -- er sah wahrhaftig nicht größer aus -als ’ne Fliege, aber das kam davon, daß der Riesenkopf so schrecklich -groß war. Groß und schrecklich, ja, das war er -- aber er machte einem -doch keine Angst mehr, denn man konnte wohl sehen, daß es ein edles, -beinahe trauriges Antlitz war und daß es gar nicht an uns Menschlein -dachte, sondern an was Anderes, Größeres. Es war aus Stein, rötlichem -Stein, und Nase und Ohren waren verstümmelt, so sah es aus, als ob es -mißhandelt sei, und das tat einem unwillkürlich in der Seele weh. - -Wir hielten ein Stück von dem Bildwerk ab und segelten rund darum -herum und dann darüber weg, und es war einfach großartig. Es war -der Kopf eines Mannes oder vielleicht auch einer Frau, auf einem -hundertfünfundzwanzig Fuß langen Tigerleib, und zwischen seinen -Vorderpranken stand ein süßer kleiner Tempel. Viele hundert Jahre lang --- vielleicht Tausende -- war das ganze Bildwerk mit Ausnahme des -Hauptes unter dem Sand begraben gewesen; aber gerade vor ganz kurzer -Zeit hatten sie den Sand weggeräumt und den kleinen Tempel gefunden. -Es war jedenfalls ’ne mächtige Masse Sand nötig, um so ’ne Kreatur zu -begraben -- wohl mindestens so viel wie um ein Dampfschiff zu begraben. - -Wir setzten Jim oben auf dem Kopf der Sphinx ab, nachdem wir ihm, da -wir im Ausland waren, zum Schutz ’ne amerikanische Flagge gegeben -hatten. Dann segelten wir ab und besahen uns das Werk bald aus dieser, -bald aus jener Entfernung; das war, wie Tom sagte, nötig, um die -richtigen Effekte und Perspektiven und Proportionen herauszukriegen. -Und Jim tat wirklich sein Bestes, indem er die allerverschiedensten -Stellungen einnahm, die er sich nur ausdenken konnte; am besten -gefiel er uns aber, als er auf dem Kopf stand und wie ein Frosch mit -den Beinen spaddelte. Je weiter wir wegsegelten, desto kleiner wurde -Jim und desto großartiger die Sphinx, bis er zuletzt sozusagen wie -’ne Stecknadel auf einem Dome aussah. Auf diese Weise bringt die -Perspektive die richtigen Proportionen zuwege, sagte Tom; er sagte, -Cäsars Nigger hätten nicht gewußt, wie groß er war, weil sie zu nahebei -gewesen wären. - -Dann segelten wir immer weiter und weiter weg, bis wir Jim überhaupt -nicht mehr sehen konnten, und da machte die große Figur den -edelsten Eindruck -- so still und feierlich und einsam blickte sie -über das Niltal herüber, und all die schäbigen kleinen Hütten und -Menschenwerklein, die rings um sie herum zerstreut waren, sie waren -völlig verschwunden und rund um sie herum nur noch eine weiche große -Decke von gelbem Sammet, nämlich der Wüstensand. - -Das war die richtige Stelle, um Halt zu machen, und das taten wir auch. -Eine halbe Stunde lang hielten wir da und guckten und dachten und -keiner von uns sagte ein Wort, denn uns wurde so ruhig und feierlich zu -Mute, wenn wir daran dachten, daß die Sphinx schon seit Jahrtausenden -gerade so über das Tal hinübergeschaut und ihre majestätischen Gedanken -so ganz für sich gedacht hatte -- ihre Gedanken, von denen kein Mensch -sagen kann, was sie sind. - -Zuletzt nahm ich das Fernrohr zur Hand und da sah ich mehrere kleine -schwarze Dinger auf dem Sammetteppich herumspringen und andere, die auf -den Rücken der Sphinx hinaufkletterten, und dann sah ich zwei oder drei -weiße Rauchwölkchen aufpuffen, und ich sagte Tom, er möchte auch mal -hinsehen. Er tat das und sagte: - -»Das sind Käfer. Nein -- wart’ mal; sie -- wahrhaftig, ich glaube, es -sind Menschen. Ja, es sind Menschen -- Menschen und auch Pferde. Sie -legen gerade ’ne lange Leiter an den Rücken der Sphinx an -- ist das -aber komisch! Und nun versuchen sie, die Leiter hinaufzuziehen -- da -sind auch wieder Rauchwölkchen -- das sind Flinten! Huck, sie machen -Jagd auf Jim!« - -Wir ließen die ganze Kraft los und segelten wie das heilige -Donnerwetter auf die Sphinx zu. Im Nu waren wir da und sausten mitten -unter die Menschen hinein, daß sie nach allen Seiten auseinanderstoben, -und ein paar von denen, die die Leiter hinaufkletterten, um Jim zu -fangen, verloren den Halt und fielen herunter. Wir sausten hinauf und -fanden Jim keuchend und beinahe besinnungslos auf dem Kopf der Sphinx -liegen. Er hatte eine lange Belagerung ausgehalten -- eine Woche, -sagte er, aber das war nicht wahr; sie war ihm nur so lang vorgekommen, -weil ihm die Leute so nahe auf den Leib gerückt waren. Sie hatten -auf ihn geschossen und der Kugelregen war um ihn herumgerasselt, -aber getroffen war er nicht; und als sie merkten, daß er nicht mehr -aufstand, und daß ihre Kugeln ihn nicht mehr treffen konnten, wenn er -auf dem Bauch lag, da holten sie die Leiter, und da wußte er, daß es -mit ihm aus wäre, wenn wir nicht _sehr_ bald kämen. Tom war höchst -entrüstet und fragte ihn, warum er denn nicht die Flagge gezeigt und im -Namen der Vereinigten Staaten ihnen befohlen hätte, Frieden zu halten? -Jim sagte, das hätte er ja getan, sie hätten sich aber gar nicht darum -gekümmert. Tom sagte, er wollte dafür sorgen, daß diese Sache in -Washington in die Hand genommen würde. - -»Und ihr sollt sehen,« rief Tom, »sie werden sich wegen Insultierung -der Flagge zu entschuldigen haben und werden obendrein noch ’ne -Indemnität bezahlen müssen!« - -Sagt Jim: - -»Was is ein Indemmität, Massa Tom?« - -»Bares Geld ist’s!« - -»Un wer kriegen es, Massa Tom?« - -»Na, natürlich wir!« - -»Un wer kriegen die Entschuldigung?« - -»Die Vereinigten Staaten. Oder wir können sie auch nehmen, wenn wir -wollen. Wenn uns die Entschuldigung besser gefällt, können wir die -nehmen, und die Regierung kriegt dann das Geld.« - -»Wie viele Geld werden es sein, Massa Tom?« - -»Na, in einem Fall wie dieser, wo erschwerende Umstände dabei sind, -mindestens drei Dollars pro Kopf und möglicherweise sogar noch mehr.« - -»Nu, denn wolle wir die Geld nehm’, Massa Tom; zum Kuckuck mit die -Entschuldigung! Meinen Sie nix auch, Massa Tom? Un du auch, Huck?« - -Wir besprachen die Sache ein bißchen und kamen zum Schluß, es wäre gar -nicht so übel, wenn wir’s so machten; also wurden wir uns einig, wir -wollten das Geld nehmen. Für mich war das ’ne ganz neue Geschichte und -ich fragte Tom, ob Staaten immer sich entschuldigen, wenn sie was -Unrechtes getan hätten, und er antwortete: - -»Ja, die kleinen tun’s.« - -Wir segelten nun herum und sahen uns die Pyramiden an und ließen -uns schließlich auf der abgeplatteten Spitze der größten von ihnen -nieder; und wir fanden, daß alles genau so war, wie der Mann in der -Sonntagsschule gesagt hatte. Das Ding sah aus wie vier Treppenfluchten, -die, am Boden breit, immer enger werdend schräg aufsteigen und sich -oben in einer Spitze treffen. Nur konnte man diese Treppenstufen nicht -hinaufsteigen wie irgend ’ne andere Treppe -- denn jede Stufe war so -hoch, daß sie ’nem gewöhnlichen Menschen bis ans Kinn reichte, und man -mußte sich von hinten hinaufheben lassen. Die beiden andern Pyramiden -waren nicht weit von der unsrigen entfernt, und die Leute, die zwischen -den Pyramiden sich auf dem Sand bewegten, sahen aus wie krabbelnde -Käfer, so hoch waren wir über ihnen. - -Tom war gar nicht mehr zu halten vor lauter Freude und Erstaunen, -daß er an so ’nem berühmten Ort wäre, und er schwitzte sozusagen -Weltgeschichte aus jeder Pore -- wenigstens kam es mir so vor. Er -sagte, er könnte es kaum glauben, daß er genau auf demselben Platz -stände, von dem der Prinz auf dem Bronzepferde aufgeflogen wäre. Die -Geschichte stände in Tausend und einer Nacht, sagte er. Irgend einer -gab dem Prinzen ein bronzenes Pferd mit ’nem Zapfen in der Schulter; -und er konnte sich auf dies Pferd setzen und durch die Luft fliegen wie -ein Vogel und die ganze Welt bereisen, und er konnte es steuern, indem -er den Zapfen drehte, und konnte hoch und niedrig fliegen und landen, -wo er nur wollte. - -Als Tom die Geschichte zu Ende erzählt hatte, da entstand ein Schweigen --- jenes bekannte Schweigen, das sich einstellt, wenn jemand einen -Unsinn erzählt hat und wenn den Zuhörern das leid tut und sie gerne -das Gespräch auf ein anderes Thema bringen möchten, aber nicht wissen, -wie sie das anfangen sollen, und ehe sie sich richtig besonnen haben, -da ist das Schweigen schon da und macht die Stimmung unbehaglich. Ich -war verlegen, Jim war verlegen und keiner von uns konnte ein Wort -herausbringen. Tom sah mich ’ne Minute lang an und sagte dann: - -»Na, heraus damit! Was denkst du?« - -Ich sage: - -»Tom Sawyer, _du_ glaubst die Geschichte doch selber nicht?« - -»Warum sollte ich nicht? Was könnte mich daran hindern?« - -»Hindern kann dich nur eins: sie kann nicht passiert sein -- weiter -nichts.« - -»Und warum kann sie _nicht_ passiert sein?« - -»Sag’ du mir doch, warum sie passiert sein _kann_?« - -»Unser Ballon ist ein ganz guter Beweis dafür, sollt’ ich meinen.« - -»Wieso?« - -»Wieso? So ’nen Idioten hab’ ich nie gesehen! Sind denn nicht dieses -Luftschiff und das bronzene Pferd genau das gleiche, nur unter -verschiedenen Namen?« - -»Nein, das sind sie nicht. Das eine ist ’n Luftballon und das andere -ist ’n Pferd. Das ist ein großer Unterschied. Nächstens wirst du wohl -gar sagen, ein Pferd und ’ne Kuh seien ein und dasselbe.« - -»Bei Jackson! Da hat Huck ihm wieder fest! Da könn’ Sie nix um -’rumkommen, Massa Tom!« - -»Halt den Mund, Jim! Du weißt nicht, was du redest! Und Huck auch -nicht. Hör’ mal zu, Huck, ich will euch beiden die Sache klar machen, -und dann werdet ihr mich verstehen. Seht mal: wenn man von zwei Dingen -sagt, sie seien sich ähnlich oder unähnlich, so kommt es dabei nicht -bloß auf ihre Form an, sondern vor allem auf ihr _Wesen_; und das Wesen -ist in beiden das gleiche. Versteht ihr mich jetzt?« - -Ich bedachte mir seine Worte bei mir selber und sagte dann: - -»Tom, das zieht nicht! So ’n Wesen ist ja recht schön und gut, aber -damit kommen wir nicht um die eine große Tatsache herum: wenn ein -Luftballon etwas machen kann, so ist das absolut noch kein Beweis, daß -ein Pferd dasselbe machen kann.« - -»Quatsch, Huck! Du hast die ganze Geschichte noch gar nicht begriffen! -Nun hör’ mal ’ne Minute zu -- es ist alles vollkommen einfach! Fliegen -wir nicht durch die Luft?« - -»Ja.« - -»Schön! Fliegen wir nicht hoch oder niedrig, grad’ wie wir Lust haben?« - -»Ja.« - -»Steuern wir nicht, wohin wir wollen?« - -»Ja.« - -»Und landen wir nicht, wann und wo es uns Spaß macht?« - -»Ja.« - -»Wie bewegen und steuern wir unser Luftschiff?« - -»Indem wir auf die Knöpfe drücken.« - -»Na, _jetzt_ denke ich, wird die Geschichte dir endlich klar sein. Bei -dem Pferde geschah die Bewegung und Steuerung, indem ein Zapfen gedreht -wurde. Wir drücken auf einen Knopf, der Prinz drehte ’nen Zapfen. Du -siehst, es ist kein Atom von ’nem Unterschied vorhanden. Ich wußte -wohl, ich würde dir’s in den Schädel trichtern, wenn ich mir nur Mühe -gäbe!« - -Und Tom fühlte sich so glücklich, daß er zu pfeifen begann. Aber ich -und Jim blieben still; und so brach Tom überrascht sein Pfeifen ab und -sagte: - -»Höre mal, Huck Finn, siehst du’s immer noch nicht ein?« - -»Tom Sawyer,« antwortete ich, »ich möchte ’ne Frage an dich richten.« - -»Nur zu!« sagt er; und ich sehe, wie Jim ein ganz helles Gesicht macht -und mächtig aufhorcht. - -»Wenn ich die Sache recht verstehe,« sag’ ich, »so kommt es bei dem -ganzen Ding nur auf die Knöpfe und den Zapfen an -- der Rest ist -Nebensache. Ein Knopf sieht anders aus als ein Zapfen -- aber darauf -kommt es wohl nicht an?« - -»Nein, darauf kommt es ganz und gar nicht an, wenn nur beiden dieselbe -Kraft innewohnt.« - -»Schön! Was ist die Kraft, die ’ner Kerze und ’nem Streichholz -innewohnt?« - -»Das Feuer.« - -»Diese Kraft ist also in beiden die gleiche?« - -»Ja, ganz genau die gleiche in beiden.« - -»Schön! Angenommen, ich zünde mit einem Streichholz ’ne -Tischlerwerkstatt an -- was wird damit passieren?« - -»Sie wird aufbrennen.« - -»Und angenommen, ich zünde mit ’ner Kerze diese Pyramide an -- wird -sie auch aufbrennen?« - -»Natürlich nicht!« - -»Schön! Nun ist aber doch beidemale das Feuer das gleiche. _Warum_ -brennt denn also die Tischlerwerkstatt, und die Pyramide nicht?« - -»Weil die Pyramide nicht brennen _kann_.« - -»Aha! _Und ein Pferd kann nicht fliegen!!!_« - -»O du meine liebe Heiland! Da haben Huck ihm _wieder_! Diesmal haben -Huck ihm richtig auf die Sand gesetzt -- Junge, Junge! Un ...« - -Aber Jim mußte so furchtbar lachen, daß er beinahe erstickte und -nicht weiter sprechen konnte, und Tom fuhr beinahe aus der Haut, -als er sah, wie elegant ich ihn abgeführt hatte, indem ich seine -eigene Beweisführung gegen ihn wandte und sie in Stückchen und Fetzen -zerpflückte. Und er wußte nichts weiter zu sagen, als daß er jedesmal, -wenn er Jim oder mich disputieren hörte, sich des Menschengeschlechts -schämte. Ich sagte gar nichts mehr, aber ich war innerlich sehr mit mir -zufrieden. Wenn ich jemandem auf solche Weise heimgeleuchtet habe, so -ist es nicht meine Art ’rumzugehen und zu krähen, wie’s manche Leute -machen, denn ich glaube, wenn er an meiner Stelle wäre, so wär’s mir -auch nicht angenehm, wenn er über mich krähte. Es ist besser, man ist -edel und hochherzig -- das ist _meine_ Meinung. - - - - -Dreizehntes Kapitel. - - -Nach einem Weilchen ließen wir Jim im Luftschiff allein in der Nähe -der Pyramiden herumgondeln und wir selber kletterten bis zu dem Loch -hinunter, durch das man in den engen Gang kommt. Wir nahmen einige -Araber und Kerzen mit, und mitten in der Pyramide da fanden wir -ein Gemach und einen großen Steinkasten drin, worin sie den König -aufbewahrt hatten -- genau wie der Mann in der Sonntagsschule es uns -erzählte. Aber er war jetzt nicht mehr da; irgend einer hatte ihn -mitgenommen. Ich hatte aber kein rechtes Vergnügen in dieser Kammer, -denn es konnten ja natürlich Geister drin hausen -- wenn auch gerade -keine neuen, aber ich mag mit Geistern überhaupt nichts zu tun haben. - -Wir gingen also wieder hinaus und mieteten uns ein paar kleine Esel und -ritten ein Stück; dann fuhren wir ein Stück in ’nem Boot auf dem Nil, -dann ritten wir wieder auf Eseln und so kamen wir nach Kairo. Und der -ganze Weg war so wunderschön glatt und eben, wie ich nur je in meinem -Leben einen Weg gesehen habe; auf beiden Seiten der Straße wuchsen -große Dattelpalmen, und überall krochen nackte Kinder herum und die -Menschen waren so rot wie Kupfer und feingebaut, kräftig und schön. Und -die Stadt war ’ne Sehenswürdigkeit. Diese engen Straßen -- es waren -wahrhaftig nur Gäßchen -- dicht gefüllt mit beturbanten Männern und -verschleierten Weibern und alles in hellen, bunten Gewändern! Und man -wunderte sich, wie die Kamele und Menschen in solchen engen Gäßchen -beieinander vorbeikommen konnten -- aber es ging. Aber zusammenpressen -mußten sie sich wie Pökelheringe und dabei machten sie alle einen -Heidenlärm. Die Läden waren nicht so groß, daß man in sie hineingehen -konnte, aber das war auch gar nicht nötig: der Verkäufer saß mit -übergeschlagenen Beinen nach Schneiderart auf seinem Ladentisch, -rauchte seine lange Pfeife mit dem Schlangenschlauch und hatte all -seine Sachen in Reichweite um sich herum. - -Ab und zu sauste ein Würdenträger in einer Kutsche vorbei; -buntaufgeputzte Männer liefen laut rufend vor dem Wagen her und -schlugen jeden, der nicht schnell auswich, mit einem langen Stecken. -Nach einer Weile kam sogar der Sultan zu Pferde an der Spitze einer -Prozession geritten und uns blieb beinahe der Atem stocken, als wir -seine glänzenden Kleider sahen. Jeder warf sich platt auf die Erde -nieder und blieb auf dem Bauch liegen, bis er vorüber war. Ich vergaß -es, mich hinzuwerfen, aber da war einer, der mir daran zu denken half. -Es war einer von denen, die mit ’nem langen Stecken vorausliefen. - -Kirchen waren auch da, aber die Leute da sind noch zu dumm, um den -Sonntag zu heiligen; sie heiligen den Freitag und schänden den Sabbath. -Wenn man hineingeht, muß man die Schuhe abziehen. Ganze Haufen von -Männern und Knaben waren in der Kirche, hockten in Gruppen auf dem -Fußboden und machten einen endlosen Spektakel -- Tom sagte, sie -lernten was aus dem Koran auswendig, den sie für ’ne Bibel halten. -Ich hatte in meinem Leben nicht so ’ne große Kirche gesehen; sie -war ganz fürchterlich hoch, so daß einem schwindlig wurde, wenn man -hinaufschaute; unsere Stadtkirche zu Hause ist gar nichts dagegen; man -könnte sie in diese hineinstellen und die Leute würden denken, sie sei -’ne Putzwarenschachtel. - -Was ich am meisten zu sehen wünschte, das war ein Derwisch, denn -für Derwische interessierte ich mich wegen ihres Kollegen, der dem -Kameltreiber den bösen Streich gespielt hatte. Wir fanden denn auch -einen ganzen Haufen von ihnen in ’ner Kirche, und sie nannten sich -Tanz-Derwische. Und tanzen taten sie, das muß ich sagen. So was hatte -ich in meinem Leben nicht gesehen! Sie hatten zuckerhutförmige Mützen -auf und leinene Unterröcke an, und sie wirbelten und wirbelten und -wirbelten herum wie Kreisel und die Röcke standen ganz schräg von ihnen -ab; es war riesig nett anzusehen, und ich wurde vom Hingucken wie -betrunken. Sie waren alle Moslim, wie Tom mir erzählte, und als ich -ihn fragte, was ein Moslim sei, da sagte er, das wäre einer, der nicht -Presbyterianer wäre. Dann gibt’s also in Missouri sehr viele Moslim, -obwohl ich davon bisher nichts wußte. - -Wir sahen uns nicht die Hälfte von den Sehenswürdigkeiten von Kairo -an, weil Tom so wild darauf versessen war, Oertlichkeiten aufzusuchen, -die in der Weltgeschichte berühmt geworden sind. Wir hatten eine -abscheuliche Mühe, den Speicher aufzufinden, worin Joseph vor der -Hungersnot das Korn aufgespeichert hatte, und als wir ihn endlich -fanden, war eigentlich gar nichts daran zu sehen, denn es war bloß ein -altes, verfallenes Gerümpel. Aber Tom war sehr befriedigt und machte -mehr Redensarten darüber, als ich Worte sagen würde, wenn ich mir -’nen Nagel in den Fuß getreten hätte. Wie er die Scheuer überhaupt -herausfand, das ging über meinen Horizont; denn wir waren bei mehr als -vierzig ganz gleichen schon vorbeigekommen und ich wäre mit jeder von -diesen Scheunen zufrieden gewesen, aber er mußte natürlich durchaus -die echte haben -- anders tat er’s nicht. Ich habe nie einen Menschen -gesehen, der in dieser Beziehung so heikel war wie Tom Sawyer. Sowie -er die richtige sah, erkannte er sie sofort, so leicht wie ich mein -anderes Hemd erkennen würde (wenn ich eins hätte), aber wie er das -machte, das vermochte er mir so wenig zu erklären, wie er fliegen -konnte. So sagte er selber. - -Als wir zurück kamen, landete Jim, und wir stiegen ein. Bei dieser -Gelegenheit lernten wir einen jungen Mann kennen mit ’nem roten -betroddelten Fez und einer schönen seidenen Jacke und Sackhosen, mit -’nem Tuch um den Bauch und mit Pistolen in diesem Tuch. Er konnte -englisch sprechen und bat uns, wir möchten ihn als Führer annehmen; -er wollte uns nach Mekka und Medina und Zentralafrika und überallhin -bringen und verlangte nur einen halben Dollar täglich nebst freier -Verköstigung. Wir nahmen ihn an und fuhren mit voller Schnelligkeit -los, und als wir mit unserem Mittagessen fertig waren, da schwebten wir -gerade über der Stelle, wo die Israeliten durch das Rote Meer gezogen -waren und wo Pharao sie eingeholt hatte und von den Gewässern ereilt -wurde. Da machten wir denn natürlich Halt und guckten uns die Stelle -ganz in aller Ruhe an, und Jim hatte seine Freude dran, sie zu sehen. - -Hierauf fuhren wir weiter, so schnell wir konnten, und segelten um den -Berg Sinai herum und sahen die Stellen, wo Moses die steinernen Tafeln -zerbrach, und wo die Kinder Israels in der Ebene lagerten und das -goldene Kalb anbeteten, und es war alles ungeheuer interessant und der -Führer kannte jedes Plätzchen so genau, wie ich bei uns zu Hause im Ort -Bescheid weiß. - -Aber jetzt hatten wir einen Unfall, und der hemmte alle unsere Pläne. -Toms alte ordinäre Maiskolbenpfeife war so alt und aufgeschwollen und -krumm geworden, daß sie trotz allen Schnüren und Bindfäden, die er -herumwickelte, nicht mehr zusammenhalten wollte, sondern in Stücke -zerfiel. Tom wußte nun gar nicht, was er jetzt anfangen sollte. Des -Professors Pfeife konnte ihm nichts nützen, denn die war bloß von -Meerschaum; und jeder, der sich mal an Maiskolbenpfeifen gewöhnt hat, -der weiß, daß sie himmelhoch über allen anderen Pfeifen der Welt -stehen, und so einer läßt sich nicht dazu kriegen, ’ne andere Pfeife -zu rauchen. Meine wollte Tom nicht nehmen, so sehr ich ihn auch zu -überreden versuchte. So saß er denn da in der Patsche. - -Er überlegte den Fall und sagte, wir müßten ’ne Rundfahrt machen und -versuchen, ob wir nicht in Aegypten oder Arabien oder daherum eine -auftreiben könnten, aber der Führer sagte, das hätte keinen Zweck, -denn solche Pfeifen hätte man da nicht. Tom saß eine Weile recht -verdrießlich da, plötzlich aber hellte sich sein Gesicht auf und er -sagte, er hätte ’ne Idee und wüßte jetzt, wie die Sache gemacht werden -müßte. Nämlich: - -»Ich habe noch ’ne andere Maiskolbenpfeife, sogar ’ne ganz -ausgezeichnete und beinahe neue. Sie liegt auf dem Wandbrettchen gerade -über dem Küchenherd bei uns zu Hause. Jim -- du und der Führer, ihr -fahrt hin und holt sie, und ich und Huck kampieren hier auf dem Berge -Sinai, bis ihr wieder hier seid.« - -»Aber, Massa Tom, wir könnte nix finden die Städtchen. Ich könnten -wohl die Pfeife finden, weil ich die Küche kennen tun, aber o du liebe -Heiland: wir können niemals nix unser Stadt oder Sent Luis oder die -andere Orte finden! Wir tun ja nix die Wegen kennen, Massa Tom!« - -Das war ’ne unbestreitbare Tatsache, und Tom wußte ’ne Minute lang -nichts zu erwidern. Dann sagte er aber: - -»Hör’ mal zu: die Sache läßt sich trotz alledem machen, und ich will -dir sagen, wie. Du nimmst die Richtung mit dem Kompaß und segelst -gerade wie ein Pfeil immer westlich, bis du die Vereinigten Staaten -findest. Ein Versehen ist dabei nicht möglich, denn es ist das erste -Land, das du auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans antriffst. -Wenn du bei Tage ankommst, so fährst du gleich weiter, direkt -westlich vom oberen Teil der Küste von Florida und in eindreiviertel -Stunden stößt du auf die Mündung des Mississippi -- wenn du mit der -Geschwindigkeit fährst, die ich dir vorschreiben werde. Du wirst so -hoch oben in der Luft sein, daß dir die Erde sehr gekrümmt vorkommen -wird -- ungefähr wie ’ne umgestülpte Waschschüssel -- und du siehst -da unten ’ne Menge Flüsse durcheinander krabbeln, lange schon, ehe -du in die tieferen Luftschichten herunter kommst; den Mississippi -wirst du ohne jede Schwierigkeit dazwischen herausfinden, denn er ist -bei weitem der größte von ihnen. Dann folgst du in beinahe nördlicher -Richtung dem Lauf des Flusses, eindreiviertel Stunden lang, bis du den -Ohio einmünden siehst; nun mußt du anfangen scharf aufzupassen, weil -du jetzt schon in die Nähe kommst. Zu deiner Linken aufwärts siehst -du einen anderen Strom einmünden, das ist der Missouri, ein bißchen -oberhalb der Stadt St. Louis. Du steigst dann noch tiefer herab, -damit du während der Fahrt die kleinen Städte dir ansehen kannst. -In den nächsten Viertelstunden wirst du ungefähr bei fünfundzwanzig -vorbeikommen, und du wirst unser Städtchen erkennen, sobald du’s siehst --- und wenn du’s nicht erkennst, so brauchst du bloß ’runterzurufen und -zu fragen.« - -»Is das so leicht, Massa Tom, so denken ich, wir können es machen -- -jawoll, ich wissen, wir können.« - -Der Führer war ebenfalls davon überzeugt und meinte, er würde es in -einer ganz kleinen Weile lernen, seine Wache zu halten. - -»Jim kann Euch die Geschichte in ’ner halben Stunde beibringen,« sagte -Tom. »Der Luftballon ist so leicht zu handhaben wie ein Kanoe.« - -Dann holte Tom die Karte hervor, zeichnete den Kurs hin und maß den Weg -aus und sagte: - -»Der westliche Weg ist der kürzeste, wie ihr seht. Es sind bloß -etwa siebentausend Meilen. Wenn ihr östlich fahrt, so ist’s mehr -als doppelt so weit.« Dann wandte er sich an den Führer und fuhr -fort: »Ich wünschte, daß ihr alle beide während eurer Wache auf den -Geschwindigkeitsanzeiger acht gebt, und wenn er nicht dreihundert -Meilen in der Stunde angibt, so steigt ihr höher oder tiefer, bis ihr -eine Orkanströmung findet, die in eurer Richtung weht. Der alte Kasten -hier macht seine hundert Meilen in der Stunde, ohne daß man überhaupt -den Wind zu Hilfe zu nehmen braucht. Zweihundert-Meilen-Stürme findet -ihr, so oft ihr einen haben wollt. Manchmal werdet ihr ein paar Meilen -hoch steigen müssen, und da oben wird es verflixt kalt sein; meistens -aber werdet ihr euren Sturm ein gutes Stück tiefer finden. Wenn ihr -nur ’nem Zyklon begegnen könntet -- das wär’ für euch ein gefundenes -Fressen. Ihr werdet aus des Professors Büchern sehen, daß sie in diesen -Breiten westlich ziehen, und noch dazu in geringer Höhe.« - -Hierauf rechnete Tom ein Weilchen und fuhr dann fort: - -»Siebentausend Meilen -- dreihundert Meilen in der Stunde -- ihr könnt -die Spazierfahrt in einem Tag, also vierundzwanzig Stunden, machen. -Heute haben wir Donnerstag; ihr werdet also Samstag nachmittag wieder -hier sein. So, nun packt mir ein paar Decken, Lebensmittel, Bücher und -dergleichen für mich und Huck aus, und dann könnt ihr gleich abfahren. -Von Rumtrödeln mag ich nichts wissen -- ich muß meine Pfeife haben, und -je schneller ihr sie mir bringt, desto besser.« - -Alle Mann halfen beim Auspacken; binnen acht Minuten lagen unsere -Sachen draußen und der Ballon war segelfertig für Amerika. Wir -schüttelten uns also zum Abschied die Hände und Tom gab seine letzten -Befehle: - -»Jetzt ist es zehn Minuten vor zwei, Sinaizeit. In vierundzwanzig -Stunden seid ihr zu Hause, das ist sechs Uhr früh nach dortiger -Zeit. Ihr landet ein bißchen seitwärts vom Ort auf dem Gipfel des -Hügels, im Walde, so daß man euch nicht sieht. Dann springst du in -die Stadt, Jim, und steckst beim Posthaus diese Briefe in den Kasten, -und wenn schon jemand auf den Beinen sein sollte, ziehst du dir -den Schlapphut ins Gesicht; so wird man dich nicht erkennen. Dann -schlüpfst du von hinten in unsere Küche hinein und nimmst die Pfeife -und legst diesen Zettel auf den Küchentisch; leg’ irgend ’was drauf, -damit er nicht ’runterfliegt. Dann schleiche dich hinaus und mach’ -dich dünne und lass’ ja nicht Tante Polly oder sonst jemand dich zu -Gesicht kriegen. Lauf so schnell du kannst nach dem Ballon und sause -mit Dreihundertmeilen-Geschwindigkeit nach dem Berg Sinai zurück. Du -wirst dich nicht länger als ’ne Stunde aufzuhalten haben. Um sieben -oder acht, heimatliche Ortszeit, wirst du wieder abfahren und bist -in vierundzwanzig Stunden zurück, kommst also um zwei oder drei Uhr -nachmittags, Sinaizeit, hier an.« - -Den Zettel las Tom uns vor. Er hatte darauf geschrieben: - - »_Donnerstag nachmittag._ Tom Sawyer, der Erronauter, sendet - seiner Tante Polly herzliche Grüße vom Berge Sinai, wo die - Arche war;[5] desgleichen Huck Finn; und sie wird den Zettel - morgen früh um halb sieben kriegen. - - Tom Sawyer, Erronauter.« - - [5] Dieser Irrtum in Betreff der Arche ist wahrscheinlich nicht - Tom, sondern Huck auf Rechnung zu setzen. - - M. T. - -»Da wird sie die Augen aufreißen und die Tränen werden ihr -’rausschießen,« sagte Tom. Und dann: - -»Achtung! Eins -- zwei -- drei -- los!!« - -Und los segelte der Ballon! Wahrhaftig, in einer Sekunde war er aus -unserem Gesichtskreis ’rausgewirbelt. - -Dann fanden wir eine sehr bequeme Höhle mit ’ner prachtvollen Aussicht -über die ganze weite Ebene; und da biwakierten wir und warteten auf die -Pfeife. - -Der Ballon kam pünktlich und heil zurück und brachte die Pfeife. Aber -Tante Polly hatte Jim abgefaßt, als er sie aus der Küche holte, und nun -kann sich wohl jeder denken, wie es weiter kam: Tom sollte nach Hause -zurück. So sagte denn Jim: - -»Massa Tom, Tante Polly stehen vor die Haustür un haben ihr Aug oben an -die Himmel, un sie sag’, sie rühren sich nix von den Fleck, bis Massa -Tom wieder da sein. Das geben eine nasse Jahr, Massa Tom, warraftig!« - -So schoben wir denn ab nach Hause, und nicht gerade mit sehr lustigen -Gefühlen. - - - - -Tom, der kleine Detektiv. - -Von Huck Finn erzählt. - -[Illustration] - - - - -Erstes Kapitel. - - -Ein Jahr war herum, seitdem Tom Sawyer und ich unsern alten Neger Jim -befreit hatten, der auf der Farm von Toms Onkel Silas in Arkansas -als fortgelaufener Sklave in Ketten gelegt worden war. Nun wurde es -Frühling; der gefrorene Boden taute auf und mildere Lüfte wehten. -Immer näher winkte die Zeit, wo man wieder barfuß gehen konnte; dann -kam das Murmelspiel an die Reihe, später Kreisel und Reifen oder man -ließ den Drachen steigen, und wenn es endlich Sommer geworden war -ging’s zum schwimmen. Doch das lag unabsehbar fern, und der Gedanke, -wie lange es noch dauern muß, bis der Sommer kommt, macht unsereinen -ganz schwermütig. Dann schleicht so ein armer Junge trübselig umher; -er seufzt und stöhnt und weiß nicht was ihm fehlt. Er sucht sich ein -einsames Fleckchen hoch oben am Berghang, wo er weit hinausschauen -kann, wie der große Mississippi sich um eine Landzunge nach der andern -windet, bis er mit der dämmerigen Ferne verschwimmt. Alles ist so still -und feierlich wie beim Begräbnis, und man wünscht, man wäre selber tot -und begraben, damit das Erdenleid ein Ende hätte. - -Wißt ihr, wie die Krankheit heißt? Man nennt sie Frühlingsfieber. Und -wenn sie einen befällt, hat man immerzu Herzweh, man weiß nicht wonach. -Man möchte weit weg von dem ewigen Einerlei der alltäglichen Dinge, -die einem zum Ueberdruß sind. Etwas Neues sehen und als Wanderer in -fremde Länder ziehen, wo alles wunderschön, geheimnisvoll und noch nie -dagewesen ist -- ja, danach sehnt man sich. Doch nimmt man allenfalls -auch mit einer kleineren Wanderschaft fürlieb und ist froh, wenn man -überhaupt fort kann. - -Also, wir beide litten stark am Frühlingsfieber, Tom Sawyer und ich. -Aber es war gar keine Aussicht vorhanden, daß Tom etwa die Schule -versäumen und über Land gehen durfte; seine Tante Polly hielt das -für Zeitverschwendung und hätte es nie zugegeben. Recht mutlos und -niedergeschlagen saßen wir eines Tages gegen Sonnenuntergang draußen -auf den Steinstufen und bliesen Trübsal; da kam Tante Polly mit einem -Brief in der Hand gegangen. - -»Tom,« sagte sie, »du wirst wohl dein Bündel schnüren müssen, um dich -nach Arkansas auf den Weg zu machen -- Tante Sally verlangt nach dir.« - -Ich hätte vor Freude aus der Haut springen mögen und glaubte nicht -anders, als daß Tom seiner Tante um den Hals fallen und sie halbtot -herzen würde; aber er saß stockstill da und that keinen Mucks. Warum er -nur solch ein Narr war, die herrliche Gelegenheit, die sich ihm bot, -nicht beim Schopf zu fassen? Sie konnte ihm leicht entgehen, wenn er -jetzt nicht bald den Mund aufthat und sagte, wie froh und dankbar er -wäre. Ich war ganz außer mir und dem Weinen nahe, als er immer weiter -lernte und lernte und zuletzt ganz gelassen sagte: - -»Es thut mir sehr leid, Tante, aber davon kann wirklich jetzt keine -Rede sein!« -- Da hätt’ ich ihn totschießen können. - -Tante Polly war wie vor den Kopf geschlagen und so voll Zorn über die -freche Antwort, daß sie eine ganze Minute lang sprachlos dastand und -mir Zeit ließ, Tom einen Puff zu geben und ihm zuzuflüstern: - -»Bist du denn übergeschnappt? Wie kannst du ein solches Glück wegwerfen -und mit Füßen treten?« - -Aber das machte ihm keinen Eindruck. »Schweig still, Huck Finn,« -brummte er, »soll sie’s etwa merken, daß ich für mein Leben gern hin -möchte? Gleich würden ihr tausend Zweifel kommen -- lauter eingebildete -Krankheiten, Gefahren und Hindernisse. Im Handumkehren hätte sie die -Erlaubnis zurückgenommen. Laß mich nur machen, ich weiß schon, wie man -sie behandeln muß.« - -Na, so was wäre mir nie eingefallen; aber Tom hatte recht, wie immer. -Ein Schlaukopf erster Sorte und nie unbesonnen -- der läßt sich nicht -verblüffen. Jetzt hatte Tante Polly sich vom Schreck erholt, und nun -ging’s los: - -»So -- davon kann nicht die Rede sein? Hat man je so was gehört! Und -das sagst du mir ins Gesicht? -- Auf der Stelle gehst du hinauf und -packst deine Siebensachen. Kein Wort mehr, das bitt’ ich mir aus -- -sonst setzt’s Hiebe.« - -Sie gab ihm noch eine Kopfnuß mit dem Fingerhut als wir uns duckten -und rasch an ihr vorbeiliefen. Tom fing an zu flennen und wir sprangen -die Treppe hinauf. Oben in seinem Zimmer fiel er mir um den Hals und -war wie wahnsinnig vor Freude, weil’s nun auf die Reise ging. - -»Sie wird’s bald bereuen, daß sie mich fortgelassen hat,« sagte er. -»Aber nun weiß sie keinen Ausweg und kann’s nicht wieder rückgängig -machen, dazu ist sie viel zu stolz.« - -In zehn Minuten war Tom mit packen fertig, bis auf das, was seine Tante -und Mary an Sachen dazu thun würden; dann wartete er noch zehn Minuten, -damit sich ihr Zorn abkühlen und sie wieder sanft und freundlich werden -sollte. »Wenn sie nur halb aus dem Häuschen ist,« sagte er, »braucht -sie zehn Minuten sich zu erholen; habe ich sie aber ganz wild gemacht, -dann dauert es zwanzig Minuten, und das ist jetzt so ein Fall.« Nun -gingen wir rasch hinunter, weil wir vor Neugierde brannten zu hören, -was Tante Sally eigentlich geschrieben hatte. - -Der Brief lag auf Tante Pollys Schoß und sie saß ganz in Gedanken -versunken da. Als wir Platz genommen hatten, sagte sie: - -»Unsere Leute dort unten sind in großer Trübsal; sie hoffen, ihr werdet -sie zerstreuen, du und Huck Finn, und ein rechter Trost für sie sein. -Na, ihr beide seid mir ein paar nette Tröster! -- Die Sache ist nämlich -so: Ein Nachbar von ihnen, Brace Dunlap, hat vor drei Monaten um die -Hand ihrer Benny angehalten. Sie haben lange mit der Antwort gezögert -und ihm endlich geradeheraus erklärt, daß aus der Heirat nichts werden -könnte. Das hat er ihnen sehr übel genommen, und nun machen sie sich -Kummer darüber. Mir scheint, sie wollen’s nicht ganz mit dem Nachbar -verderben, denn um ihn zu versöhnen haben sie seinen nichtsnutzigen -Bruder als Gehilfen auf der Farm in Dienst genommen, obgleich ihre -Mittel das kaum erlauben und der Mensch ihnen so wie so nur im Wege -ist. Wer sind denn diese Dunlaps?« - -»Sie wohnen etwa eine Meile von Onkel Silas’ Besitzung, Tante -- alle -Farmen dort in der Gegend sind gleich weit von einander entfernt. Brace -Dunlap ist viel reicher als die andern Nachbarn und hat einen ganzen -Haufen Neger. Er ist ein kinderloser Witwer, sechsunddreißig Jahre alt, -dabei sehr stolz und hochfahrend, so daß alle Welt vor ihm zu Kreuze -kriecht. Vermutlich hat er gedacht, er brauchte nur bei irgend einem -Mädchen anzuklopfen, das er zur Frau wollte; es wird ihn nicht wenig -gewundert haben, daß er Benny nicht bekommen kann. Sie ist nur halb -so alt wie er und das süßeste, reizendste -- -- na, du kennst Benny -ja selbst. Mir thut nur der arme alte Onkel Silas leid, der sich aufs -äußerste einschränken muß und einen Thunichtgut wie den Jupiter Dunlap -in Dienst nimmt, bloß um seinem hochnasigen Bruder einen Gefallen zu -thun.« - -»Ist das ein Name -- Jupiter! Wo hat er den her?« - -»Es ist nur ein Spitzname; wie er eigentlich heißt, weiß wohl kein -Mensch mehr. Man nennt ihn schon siebenundzwanzig Jahre lang so, -seit er zum erstenmal baden ging. Da sieht der Schulmeister, daß er -am linken Bein über dem Knie ein rundes braunes Mal hat, so groß wie -ein Zehnpfennigstück und vier kleinere Mäler drum herum und sagt, es -erinnere ihn an Jupiter und seine Monde. Den Kindern kam das komisch -vor, sie fingen an ihn Jupiter zu nennen, und der Name ist ihm -geblieben bis auf den heutigen Tag. Er ist groß und faul, verschmitzt, -hinterhältig und feige, dabei aber doch wieder gutmütig. Keinen roten -Heller nennt er sein eigen; Brace giebt ihm das Gnadenbrot und seine -abgelegten Kleider, auch seine Verachtung obendrein. Jupiter trägt -langes Haar, aber keinen Bart; er ist ein Zwilling.« - -»So? Wie sieht denn der andere Zwillingsbruder aus?« - -»Man sagt, er gleicht Jupiter auf ein Haar; wenigstens früher -- jetzt -hat man ihn seit sieben Jahren nicht gesehen. Als er neunzehn oder -zwanzig Jahre alt war, wurde er bei einem Einbruchsdiebstahl ertappt -und ins Gefängnis gesteckt. Aber er entkam nach dem Norden und beging -bald hier bald dort Raub oder Diebstahl; doch das ist lange her. Jetzt -ist er tot; das heißt, die Leute behaupten es -- man hört eben nichts -mehr von ihm.« - -»Wie hieß denn der?« - -»Jack.« - -Es entstand eine Pause; die alte Dame war offenbar mit ihren Gedanken -beschäftigt. Endlich sagte sie: - -»Am meisten macht sich Tante Sally Sorge darüber, daß der Onkel immer -in so furchtbaren Zorn gerät über diesen Jupiter.« - -»Was,« rief Tom verwundert, »Onkel Silas? Das ist wohl nur ein Scherz --- der kann ja gar nicht zornig werden!« - -»Die Tante schreibt, er wird oft so wütend, daß sie immer fürchtet, er -könnte sich thätlich an dem Mann vergreifen.« - -»Da hört aber alles auf! -- Onkel ist ja so sanft wie ein Lamm.« - -»Er soll wie ausgewechselt sein durch das ewige Zanken und Streiten. -Die Nachbarn reden schon darüber und schieben alle Schuld auf den -Onkel, weil er ein Prediger ist und Frieden halten müßte. Tante Sally -sagt, er schämt sich ordentlich, auf die Kanzel zu steigen; auch hat -die Gemeinde das Vertrauen zu ihm verloren und er ist gar nicht mehr so -beliebt wie früher.« - -»Wie sonderbar! Onkel war doch immer so sanft und freundlich, so -zerstreut, so träumerisch, so voller Einfalt und Herzensgüte, kurz ein -wahrer Engel. Wie kann das nur zugegangen sein?« - - - - -Zweites Kapitel. - - -Wir hatten riesiges Glück. Auf einem Raddampfer, der vom Norden gerade -nach der Sumpfgegend von Louisiana steuerte, kamen wir den ganzen -Mississippi bis zur Farm in Arkansas hinunter und brauchten nicht -einmal in St. Louis das Boot zu wechseln. Eine Fahrt von fast tausend -Meilen in einem Zug. - -Man fühlte sich recht einsam auf dem Dampfer, denn die wenigen -Passagiere waren alte Männer, die weit von einander auf Deck saßen -und schliefen oder sich still verhielten. Vier Tage dauerte die Fahrt -auf dem Oberen Mississippi, weil wir so oft auf den Grund gerieten, -aber langweilig fanden wir Jungen es gar nicht -- wie kann man sich -langweilen, wenn man auf Reisen ist! -- - -Gleich nach der Abfahrt hatten Tom und ich herausgebracht, daß in der -Kajüte neben unserer jemand krank liegen müsse, weil das Essen immer -hineingetragen wurde. Wir erkundigten uns danach, und der Kellner -sagte, der Mann da drinnen sähe gar nicht krank aus. - -»Aber, er muß doch krank sein.« - -»Wohl möglich -- ich weiß nicht -- mir scheint, er stellt sich nur an.« - -»Woher glaubt Ihr das?« - -»Na, wenn er krank wäre, würde er sich doch mal ausziehen, aber das -thut er nicht. Wenigstens seine Stiefel behält er immer an.« - -»Ist das möglich? Auch wenn er zu Bett geht?« - -»Auch dann.« - -Ein Geheimnis! Das war Wasser auf Toms Mühle. - -»Wie heißt denn der Mann?« - -»Phillips; in Alexandria ist er an Bord gekommen.« - -»Und hat er noch andere Eigenheiten?« - -»Nein -- nur schrecklich ängstlich ist er. Tag und Nacht hält er seine -Thür verschlossen, und wenn man klopft macht er nur ein Ritzchen auf -und guckt erst wer da ist.« - -»Wahrhaftig, den möchte ich gern zu sehen bekommen. Sagt mal -- könntet -Ihr nicht die Thür weit aufmachen, wenn Ihr wieder hineingeht, so -daß -- --« - -»Bewahre. Das würde auch wenig nützen. Er stellt sich immer hinter die -Thür.« - -Tom dachte eine Weile nach. - -»Wißt Ihr was? Gebt mir Eure Schürze und laßt mich morgen das Frühstück -hineintragen. Ihr bekommt auch einen Vierteldollar.« - -Der Kellner war es zufrieden, wenn der Oberkellner nichts dagegen hätte. - -»Mit dem will ich’s schon abmachen,« sagte Tom. Und richtig, am -nächsten Morgen hatten wir jeder eine Schürze um und trugen die Speisen -hinein. - -Tom hatte die ganze Nacht wach gelegen und sich den Kopf zerbrochen -über Phillips und sein Geheimnis. Das war verlorene Mühe nach meiner -Ansicht; viel besser, wir kamen selbst dahinter wie die Sachen wirklich -standen, statt uns erst allerlei Falsches auszudenken. »Ich kann’s ja -abwarten,« dachte ich und ließ mich im Schlaf nicht stören. - -Als Tom morgens an die Thür klopfte, guckte der Mann durch die Spalte, -ließ uns herein und schloß rasch hinter uns zu. Aber, Donnerwetter -- -als wir ihn ansahen, hätten wir vor Schreck fast die Kaffeebretter -fallen lassen. - -»Du meine Güte -- Jupiter Dunlap -- wo kommt Ihr denn her?« rief Tom. - -Natürlich war der Mann überrascht und zuerst sah er aus als ob er -nicht wüßte, sollte er sich fürchten oder freuen. Er war ganz bleich -geworden, doch bald bekam er wieder Farbe im Gesicht und fing an mit -uns zu plaudern, während er sein Frühstück aß. - -Nach einer Weile sagte er: »Ich bin gar nicht Jupiter Dunlap; doch -heiß’ ich auch nicht Phillips. Wenn ihr schwören wollt reinen Mund zu -halten, will ich euch offenbaren wer ich bin.« - -»Wir verraten nichts,« rief Tom; »aber wenn Ihr nicht Jupiter Dunlap -seid, braucht Ihr mir Euern Namen nicht erst zu sagen.« - -»Wieso?« - -»Weil Ihr ihm gleicht wie ein Ei dem andern. Ihr seid sein -Zwillingsbruder Jack.« - -»Da kannst du recht haben. Aber, sag’ mal, Junge, woher kennst du uns -denn alle beide?« - -Nun erzählte ihm Tom, was wir im vergangenen Sommer für Abenteuer auf -Onkel Silas’ Farm erlebt hatten. Als er hörte, daß wir alle seine -Familienverhältnisse und seine eigene Lebensgeschichte kannten, wurde -er ganz offenherzig und mitteilsam. Er sagte, er wäre von jeher ein -Thunichtgut gewesen, auch jetzt sei er ein schlechter Kerl und -würde wohl sein Lebtag ein Taugenichts bleiben. Freilich sei es ein -gefährliches Ding und -- -- - -Er brach plötzlich ab und hielt die Hand ans Ohr um zu lauschen. Wir -sprachen kein Wort; ein paar Sekunden blieb alles mäuschenstill. Man -hörte nichts als das Knarren des Holzwerks und das Bumbum der Maschine -im Schiffsraum. - -Um ihn zu beruhigen fingen wir an, ihm allerlei von seiner Familie zu -berichten: daß Brace seine Frau vor drei Jahren verloren hätte und als -er Benny heiraten wollte von ihr einen Korb bekommen habe, daß Jupiter -bei Onkel Silas in Arbeit stehe, der immer in Streit mit ihm sei, und -dergleichen mehr. Auf einmal lachte er laut auf. - -»Jungens,« rief er, »euer Geplapper versetzt mich ganz in alte Zeiten -zurück; mir wird ordentlich wohl dabei. Seit länger als sieben Jahren -hab’ ich so was nicht mit angehört. Was spricht man denn aber von mir -in der Nachbarschaft?« - -»Von Euch spricht man schon lange nicht mehr; höchstens alle Jubeljahr -wird Euer Name einmal erwähnt.« - -»Ist’s möglich! Und wie kommt denn das?« - -»Weil man Euch für längst gestorben hält.« - -»Wirklich? Sprichst du auch die Wahrheit?« Er war in großer Erregung -aufgesprungen. - -»Mein Wort zum Pfande. Kein Mensch glaubt, daß Ihr noch am Leben seid.« - -»Hurra, dann bin ich gerettet! Ich kann mich nach Hause wagen. Gewiß -werden mir meine Verwandten beistehen und mich verbergen. Nicht wahr, -ihr haltet reinen Mund! Schwört mir’s noch einmal. Schwört, daß ihr -mich nun und nimmermehr verraten werdet. Jungens, habt Erbarmen mit mir -armem Teufel, der Tag und Nacht keine Ruhe findet und sich nirgends -sehen lassen darf. Ich hab’ euch nie etwas zuleide gethan und meine -es nur gut mit euch, so wahr Gott im Himmel ist. Schwört, daß ihr -schweigen wollt, und rettet mir das Leben.« - -Natürlich thaten wir ihm den Willen und leisteten den Schwur. Er dankte -uns von ganzem Herzen, der arme Kerl, ich glaube, er hätte uns am -liebsten umarmt und geküßt. - -Wir plauderten noch lange zusammen; dann holte er einen kleinen -Reisesack herbei, öffnete ihn und bat, wir möchten nicht hinsehen. Wir -drehten ihm den Rücken, und als wir uns wieder umwenden durften, war -er ganz und gar verändert. Er hatte eine blaue Brille auf und einen -langen braunen Knebel- und Schnauzbart, der ihm sehr natürlich zu -Gesicht stand. Seine eigene Mutter hätte ihn nicht wiedererkannt. »Sehe -ich jetzt noch meinem Bruder Jupiter ähnlich?« fragte er. - -»Nein,« sagte Tom, »nichts erinnert mehr an ihn, außer Euer langes -Haar.« - -»Das lasse ich mir kurz scheren, ehe ich nach Hause komme. Er und Brace -werden mein Geheimnis bewahren und ich kann als Fremder bei ihnen -wohnen, ohne daß die Nachbarn Argwohn schöpfen. Wie gefällt euch mein -Plan?« - -Tom dachte eine Weile nach, dann sagte er: - -»Huck und ich, wir werden natürlich kein Wort verraten, aber wenn Ihr -nicht selber schweigt, so lauft Ihr doch Gefahr, erkannt zu werden. -Es würde den Leuten auffallen, daß Eure Stimme genau so klingt, -wie die von Jupiter, und dann erinnern sie sich vielleicht an den -Zwillingsbruder, den sie für tot gehalten haben und der sich die ganze -Zeit unter einem falschen Namen verborgen haben kann.« - -»Alle Wetter, bist du klug!« rief er; »aber recht hast du. Ich muß mich -taubstumm stellen, sobald ein Nachbar in meine Nähe kommt. Es hätte -eine schöne Geschichte gegeben, wäre mir das nicht eingefallen. Aber -ich wollte ja eigentlich gar nicht nach Hause, sondern nur an irgend -einen Ort, wo ich vor den Burschen sicher bin, die mich verfolgen. -Dann dachte ich den Bart und die Brille anzulegen, auch andere Kleider -und -- --« - -Mit einmal lief er nach der Thür, hielt das Ohr daran und horchte. Er -war bleich geworden und sein Atem flog. - -»Es klang ganz als würde der Hahn einer Flinte gespannt,« flüsterte er. -»Herr des Himmels, ist das ein erbärmliches Leben!« Matt und kraftlos -sank er auf einen Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn. - - - - -Drittes Kapitel. - - -Von da ab waren wir fast immer bei ihm; meist schlief einer von uns in -seiner obern Koje. Er hatte sich so schrecklich einsam gefühlt und es -war ihm ein Trost in seiner Not, jemand um sich zu haben, mit dem er -reden konnte. Wir brannten natürlich vor Neugier, hinter das Geheimnis -zu kommen; aber Tom sagte, wir sollten uns ja nichts merken lassen, -dann würde er einmal ganz von selbst anfangen davon zu sprechen. -Wollten wir ihn ausfragen, so würde er gleich Argwohn schöpfen und -verschwiegen sein wie eine Auster. Es traf auch genau so ein. Daß er -uns alles gern erzählt hätte, merkte man ihm leicht an, aber jedesmal -wenn wir dachten: jetzt kommt’s! überfiel ihn die Angst und er lenkte -das Gespräch auf etwas anderes. Wir erfuhren’s aber doch noch, und -das ging so zu: Er hatte angefangen, uns in scheinbar gleichgültigem -Ton nach den Passagieren im Zwischendeck zu fragen, die heraufkamen, -um sich am Schenktisch Branntwein zu kaufen; wir versuchten sie zu -beschreiben, aber das genügte ihm nicht, er wollte alle Einzelheiten -wissen. Tom gab sich die größte Mühe und als er bei der Schilderung -eines der rohesten und zerlumptesten Kerle angekommen war, fuhr Jack -Dunlap schaudernd zusammen. - -»O Jemine, das ist einer von ihnen! Sie sind wahrhaftig an Bord -- -dachte ich mir’s doch! Ich hoffte, ich wäre ihnen entwischt, aber -zweifelhaft war mir’s immer. Nur weiter!« - -Als Tom nun noch einen andern groben und schäbigen -Zwischendecks-Passagier beschrieb, ward Dunlap schreckensbleich. »O -weh, das ist der zweite, was fang’ ich nur an? Hätten wir doch eine -stürmische pechfinstere Nacht und ich könnte das Ufer erreichen. -Aber sie haben gewiß jemand bestochen, den Stiefelputzer oder den -Kofferträger, um mich zu bewachen. Gelänge es mir auch unbemerkt -fortzukommen, so würde keine Stunde vergehen, bis sie es wüßten.« - -Unruhig ging er auf und ab. Es dauerte gar nicht lange, da fing er an -zu erzählen, wie es ihm bald gut bald schlecht ergangen sei, und ehe -wir’s uns versahen, kam er ins rechte Fahrwasser. - -»Wir hatten alles genau verabredet,« sagte er. »Es handelte sich -um zwei wunderschöne Diamanten, so groß wie Haselnüsse, in einem -Juwelierladen zu St. Louis, die von jedermann bewundert wurden. Wir -zogen feine Kleider an und spielten den Streich bei hellem Tage. Die -Diamanten ließen wir uns ins Hotel kommen, als ob wir sie kaufen -wollten, wenn sie uns gefielen, und schickten dem Juwelier statt dessen -zwei Glaspasten, die wir in Bereitschaft gehalten hatten, mit dem -Bescheid zurück, die Diamanten seien nicht vom reinsten Wasser und wir -fänden den Preis von zwölftausend Dollars zu hoch.« - -»Zwölf -- tausend -- Dollars!« rief Tom. »Waren sie denn wirklich so -viel Geld wert?« - -»Keinen Cent weniger.« - -»Und ihr habt euch damit aus dem Staube gemacht?« - -»Ohne alles weitere. Der Juwelier weiß vielleicht heutigen Tages -noch nicht, daß er bestohlen worden ist. Aber wir hielten es doch -für unklug, in St. Louis zu bleiben. Wir überlegten hin und her und -beschlossen nach dem Obern Mississippi zu reisen. Vorher aber wickelten -wir die Diamanten in ein Papier, schrieben unsere Namen darauf und -übergaben das Päckchen dem Hoteldiener mit der Anweisung, es keinem -von uns wieder einzuhändigen, wenn nicht die beiden andern als Zeugen -zugegen wären. Dann machten wir einen Gang in die Stadt, aber jeder für -sich allein; ich glaube, wir hatten alle den gleichen Plan, obgleich -ich es nicht gewiß behaupten will.« - -»Welchen Plan?« fragte Tom. - -»Die andern zu berauben.« - -»Was -- einer sollte alles nehmen, nachdem er es erst mit Hilfe der -andern bekommen hatte?« - -»So meine ich’s.« - -Tom war ganz empört darüber; er sagte, es wäre der schändlichste, -niederträchtigste Streich, von dem er je gehört hätte. Aber Jack Dunlap -versicherte ihm, daß es in seiner Zunft nichts Ungewöhnliches sei. -Wer sich einmal diesem Beruf gewidmet hätte, müßte selber auf seinen -Vorteil bedacht sein, weil kein anderer Mensch das für ihn besorgen -würde. Dann fuhr er in seinem Bericht fort: - -»Es war natürlich schwierig, zwei Diamanten unter drei Leute zu teilen, -das werdet ihr wohl einsehen. Hätten wir drei Diamanten gehabt, ja dann --- -- Aber, wozu noch weiter darüber reden; mehr als zwei waren es nun -einmal nicht. So trieb ich mich denn in den Hintergassen umher und -dachte nach, wie ich es wohl anstellen könnte, der Diamanten habhaft zu -werden. War mir dies geglückt, dann wollte ich mich so verkleiden, daß -mich niemand erkennen sollte, und auf und davon gehen. Ich kaufte mir -zu diesem Zweck den falschen Bart, die blaue Brille und den bäuerischen -Anzug, in dem ihr mich hier seht, und that alles in einen Reisesack, -den ich mitgenommen hatte. Als ich vor einem Laden vorbeikam, in dem -allerlei Waren feilgeboten wurden, sah ich durchs Fenster. Drinnen -stand Bud Dixon, einer von meinen Spießgesellen. ›Ich will doch mal -sehen, was der kauft,‹ dachte ich bei mir und verbarg mich, beobachtete -aber alles genau. Na, was glaubt ihr wohl, daß er gekauft hat? -- Doch -das ratet ihr euer Lebtag nicht, Jungens. Nichts als einen winzig -kleinen Schraubenzieher.« - -»Wie sonderbar. Was wollte er denn damit?« - -»Das fragte ich mich auch. Ich zerbrach mir den Kopf, konnte aber nicht -ins reine kommen. Bei einem Trödler erstand er nun noch ein rotes -Flanellhemd und zerlumpte Kleider; dieselben, die er jetzt anhat nach -eurer Beschreibung. Nachdem ich das gesehen hatte, ging ich nach der -Werft und versteckte meine Sachen auf dem Flußboot, mit dem wir fahren -wollten. Als ich dann abermals durch die Straßen schlenderte, sah ich -auch meinen andern Kameraden seine Einkäufe machen. Gegen Abend holten -wir uns die Diamanten aus dem Hotel und gingen an Bord. - -»Jetzt waren wir alle übel daran, denn wir durften uns nicht zu Bette -legen; wie hätten wir sonst ein wachsames Auge aufeinander haben -können. Es war nämlich schon seit ein paar Wochen böses Blut zwischen -uns, und wir hielten nur zusammen, solange es das Geschäft erforderte. -Zwei Diamanten für drei Personen, das war eben die Verlegenheit. Erst -aßen wir zu Abend, dann rauchten wir und schlenderten dabei auf dem -Deck umher bis gegen Mitternacht. Endlich gingen wir in meine Kajüte, -schlossen die Thür zu, überzeugten uns, ob die Diamanten wirklich noch -im Papier waren und legten sie auf die untere Koje, wo wir sie alle -drei im Auge behalten konnten. Nun saßen wir stockstill und wurden -immer schläfriger. Bud Dixon ließ sich endlich von der Müdigkeit -übermannen; der Kopf sank ihm auf die Brust und er schnarchte, daß -es eine Art hatte. Da deutete Hal Clayton zuerst auf die Diamanten -und dann nach der Thür. Ich verstand ihn, streckte die Hand nach dem -Papier aus und nahm es an mich. Wir warteten nun eine Weile, aber Bud -schlief fort und regte sich nicht. Leise drehte ich den Schlüssel um -und drückte auf die Klinke, dann schlichen wir auf den Zehen hinaus und -machten die Thür geräuschlos hinter uns zu. - -»Das Boot glitt ruhig durch die Flut; Wolken verbargen den Mond und -wir wurden von niemand bemerkt. Ohne ein Wort zu reden schritten wir -geradeswegs hinauf nach dem Sturmdeck und setzten uns am äußersten Ende -neben das Deckfenster. Was das zu bedeuten hatte, wußten wir beide; es -bedurfte keiner Erklärung. Wenn Bud Dixon aufwachte und sah, daß die -Diamanten fort waren, würde er gleich hinter uns dreinkommen, denn er -kannte keine Furcht. Dann wollten wir ihn über Bord werfen, oder bei -dem Versuch unser Leben lassen. Mir schauderte, wenn ich nur daran -dachte, denn ich bin nicht so mutig wie mancher andere; doch durfte -ich meine Angst nicht zeigen, das wäre mir schlecht bekommen. Ich -hoffte immer noch, das Boot würde irgendwo anlegen, so daß wir ans Land -springen und allen Skandal vermeiden könnten, denn mit Bud Dixon war -nicht zu spaßen. - -»Aber eine Stunde nach der andern verging, wir schifften immer weiter -und der Mensch kam nicht auf Deck. Als der Morgen zu dämmern anfing -und Bud sich noch nicht sehen ließ, erwachte unser Argwohn. ›Er hält -uns vielleicht zum Narren, meinte Hal, mach’ das Papier auf!‹ Das that -ich und meiner Seel’, es war nichts darin, als ein paar Zuckerkrümel. -Deshalb also hatte er die ganze Nacht so ruhig schnarchen können. Ein -schlauer Kerl, so wahr ich lebe. Er muß zwei ganz gleiche Papiere -bereit gehalten und sie vor unserer Nase vertauscht haben. - -»Wir waren nicht wenig verblüfft, doch hatten wir bald einen -neuen Plan fertig. Es schien uns am klügsten, leise in die Kajüte -zurückzuschleichen, das Papier wieder an Ort und Stelle zu legen und zu -thun, als hätten wir nicht gemerkt, daß er uns mit seinem verstellten -Schnarchen nur zum Besten hielt. Wir wollten ihm nicht von der Seite -gehen und ihn am ersten Abend nach der Landung betrunken machen, seine -Kleider durchsuchen, die Diamanten nehmen und ihm womöglich den Garaus -machen; denn er würde uns immer auf den Fersen sein, um uns die Beute -wieder abzujagen, und wir wären keinen Augenblick unseres Lebens -sicher. Das Gelingen des Plans war mir jedoch sehr zweifelhaft. Bud -betrunken zu machen, hatte keine Schwierigkeit, aber was nützte es, -wenn wir hernach suchten und suchten und doch nichts fanden. - -»Plötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, der mir fast den -Atem benahm; doch dann wurde mir auf einmal ganz froh und leicht zu -Mute. Ich hatte nämlich gerade meinen Stiefel in der Hand, um ihn -anzuziehen, und als ich einen Blick auf die Sohle warf, mußte ich an -den rätselhaften kleinen Schraubenzieher denken. Erinnert ihr euch noch -daran?« - -»Das will ich meinen,« rief Tom ganz aufgeregt. - -»Na, wie ich den Absatz ansah, wußte ich auf einmal, wo Bud die -Diamanten versteckt hatte. Schaut her -- das Stahlplättchen hier ist -mit kleinen Schrauben festgemacht; die einzigen Schrauben, die der -Mensch an sich trug, waren an seinem Stiefelabsatz, und wenn er einen -Schraubenzieher brauchte, so wußte ich wohl wozu.« - -»Ist das nicht famos, Huck?« rief Tom dazwischen. - -»Als wir in die Kajüte kamen, schnarchte Bud Dixon noch immer, und auch -Hal Clayton schlief bald ein, aber ich nicht -- in meinem Leben war ich -noch nicht so wach gewesen; ich spähte auf dem Boden umher nach einem -Stückchen Leder. Lange konnte ich nichts entdecken, aber endlich fand -ich’s. Es war ein rundes, kleines Pflöckchen, fast von der Farbe des -Teppichs und etwa so dick wie die Spitze meines kleinen Fingers. ›Aha,‹ -dachte ich, ›in dem Nest, wo das herausgekommen ist, liegt jetzt ein -Diamant.‹ Auch das zweite Pflöckchen fand ich nach einigem Suchen. - -»Nun stellt euch einmal diese Unverschämtheit vor! Der Kerl hatte -sich ganz genau überlegt, was wir thun würden und wir Dummköpfe waren -blindlings in die Falle gerannt. Während wir ihn oben auf dem Sturmdeck -erwarteten, um ihn ins Wasser zu werfen, saß er unten, schraubte sich -in aller Gemütsruhe die Stahlplättchen ab, schnitt Löcher in seine -Absätze, steckte die Diamanten hinein und schraubte die Plättchen -wieder fest. Ein Schlaufuchs erster Sorte, nicht wahr?« - -»Nein, so was ist mir noch nicht vorgekommen!« rief Tom voller -Bewunderung. - - - - -Viertes Kapitel. - - -»Es war ein saueres Stück Arbeit, den ganzen Tag über noch zu thun, -als ob wir einander beobachteten, das versichere ich euch. Gegen Abend -landeten wir bei einem Städtchen in Missouri, kehrten in einer Schenke -ein und ließen uns nach dem Nachtessen ein Schlafzimmer zu dreien -im obern Stock geben. Der Wirt ging mit dem Licht voran und wir im -Gänsemarsch hinterdrein, die Treppe hinauf. Ich kam zuletzt und schob -meinen Reisesack unter den tannenen Tisch auf dem dunkeln Vorplatz. Wir -ließen uns eine tüchtige Portion Whisky bringen und spielten Karten -um Fünfcentstücke. Als wir die Wirkung des Whisky spürten, hörten wir -beide auf zu trinken, schenkten aber Bud immer wieder ein, bis er toll -und voll war. Er fiel vom Stuhl, lag am Boden und schnarchte. - -»Nun ging es ans Geschäft. Ich schlug vor, wir wollten ihm die Stiefel -ausziehen und unsere auch, damit es keinen Lärm machte, wenn wir ihn -um und um kehrten und ihn durchsuchten. Das geschah, und ich stellte -meine Stiefel neben Buds, damit ich sie bei der Hand hätte. Wir zogen -ihn aus, befühlten alle Nähte seiner Kleider, suchten in seinen -Taschen und Socken, auch inwendig in seinen Stiefeln, kurz überall; -auch sein Bündel machten wir auf, fanden aber keine Diamanten. Als der -Schraubenzieher zum Vorschein kam, fragte Hal: ›Was kann er wohl damit -wollen?‹ Ich sagte, das wüßte ich nicht, aber sobald er sich abwandte -steckte ich ihn ein. Endlich sah Hal ganz niedergeschlagen aus und -meinte, wir müßten es aufgeben. Darauf hatte ich nur gewartet. - -»›Etwas haben wir noch nicht durchsucht.‹ - -»›Was denn?‹ fragte er. - -»›Seinen Magen.‹ - -»›Wahrhaftig, daran habe ich nicht gedacht. Das ist die Lösung des -Rätsels, so wahr ich lebe. Wie wollen wir’s anfangen?‹ - -»›Na,‹ sagte ich, ›bleib’ du hier bei ihm, und ich will in die Apotheke -gehen und ein Mittel holen, das die Diamanten rasch ans Tageslicht -fördern soll.‹ - -»Er war’s zufrieden, und ich zog vor seiner Nase Buds Stiefel an statt -meiner eigenen, ohne daß er’s merkte. Ein wenig zu groß waren sie -mir freilich, aber das schadete nicht so viel, als wenn sie zu klein -gewesen wären. Ich tappte im Dunkeln durch den Vorplatz, nahm den -Reisesack mit und war in der nächsten Minute zur Hinterthür hinaus. - -»Mit Siebenmeilenschritten ging’s nun am Fluß entlang; mir war dabei -gar nicht schlecht zu Mut, ich marschierte ja auf Diamanten. Nach der -ersten Viertelstunde hatte ich schon eine große Strecke zurückgelegt. -Alle fünf Minuten dachte ich daran, wie Hal Clayton auf meine Rückkehr -wartete und immer unruhiger wurde. ›Jetzt fängt er an zu fluchen,‹ -sagte ich zu mir, ›und allmählich geht ihm ein Licht auf. Er bildet -sich ein, ich hätte die Diamanten gefunden, als wir Bud durchsuchten, -sie heimlich in die Tasche geschoben und mir nichts merken lassen. -Natürlich wird er gleich meiner Spur folgen, aber ich habe doch -wenigstens einen guten Vorsprung.‹ - -»Indem kam ein Mann auf einem Maultier dahergeritten, und ohne zu -überlegen sprang ich ins nächste Gebüsch. Das war dumm! Eine Weile -hielt der Mann still, um zu sehen, ob ich wieder herauskäme, dann ritt -er weiter. Das konnte mir sehr zum Nachteil gereichen, wenn er etwa auf -Hal Clayton stieß und der ihn ausfragte. - -»Um drei Uhr morgens kam ich nach Alexandria und als ich den Raddampfer -vor Anker liegen sah, war ich heilfroh und glaubte, jetzt sei ich -gerettet. Es dämmerte bereits und ich ging an Bord, ließ mir die Kajüte -hier geben, zog diese Kleider an und setzte mich neben das Ruderhaus, -damit mir nichts entgehen könne. Ich wartete mit großer Ungeduld auf -die Abfahrt des Bootes, aber es rührte sich nicht. Die Maschine wurde -erst ausgebessert, doch davon hatte ich keine Ahnung. - -»Es wurde Mittag bis wir absegelten und ich hatte mich längst in der -Kajüte eingeschlossen. Schon vor dem Frühstück sah ich nämlich von -fern einen Mann herankommen, dessen Gang mich an Hal Clayton erinnerte -und mir wurde übel und weh. Wenn er mich hier auf dem Boot ausfindig -machte, so saß ich wie eine Ratte in der Falle. Er brauchte nur zu -warten bis ich ans Land ging und mir zu folgen. An einem abgelegenen -Ort würde er mich zwingen die Diamanten herauszugeben und dann -- ja -dann war’s um mich geschehen. O, es ist gräßlich -- entsetzlich! Und -wenn ich mir nun vorstelle, daß der _andere_ auch an Bord ist! Sagt -selbst, Jungens, ist das nicht ein schreckliches Mißgeschick? -- Aber, -nicht wahr, ihr verlaßt mich nicht! Ihr helft einem armen Teufel durch, -den man zu Tode hetzen will. Auf den Knieen will ich euch verehren, -wenn ihr mir beisteht und mich rettet.« - -Wir thaten was wir konnten, um ihn zu beruhigen: wir versprachen ihm -unsere Hilfe, machten allerlei Pläne und redeten ihm seine übergroße -Furcht aus. Da wurde er bald wieder zuversichtlicher und zuletzt -schraubte er gar die Plättchen von seinen Absätzen und hielt die -Diamanten bald so bald so gegen das Licht. Nein, wie sie funkelten -und glitzerten und ihr Feuer nach allen Seiten ausstrahlten! Es war -schön, das muß ich sagen. Aber er kam mir doch vor wie ein rechter -Narr. Ich an seiner Stelle hätte den beiden Spießgesellen die Diamanten -ausgeliefert und ihnen gesagt, nun sollten sie ans Land gehen und mich -in Ruhe lassen. Doch das fiel ihm gar nicht ein. Er meinte, es wäre ein -ganzes Vermögen; der Gedanke es zu verlieren schien ihm unerträglich. - -Zweimal mußten wir anlegen, um die Maschine in Ordnung zu bringen, was -eine ganze Weile dauerte. Die Nacht war aber nicht dunkel genug; er -hätte sich schwerlich unbemerkt aus dem Staube machen können. Gegen -ein Uhr nachts kamen schwarze Wolken am Himmel herauf, ein Gewitter -war im Anzug. Wir hatten an einem Holzhof angelegt, noch etwa vierzig -Meilen von Onkel Silas’ Farm, und Jack hielt die Gelegenheit für -günstig. Es regnete stark, der Sturm brach los, und die Leute, die das -Holz einluden, zogen sich zum Schutz grobe Säcke über den Kopf. Auch -Jack verschafften wir einen. Er nahm seine Reisetasche, lief aufs -Hinterdeck, kam dann wie die andern Matrosen nach vorn marschiert und -ging mit ihnen ans Land. Als er aus dem Bereich der Fackeln war und in -der Finsternis verschwand, holten wir tief Atem und waren voller Dank -und Freude. Allein das Vergnügen dauerte nicht lange. Kaum zehn Minuten -vergingen, da stürmten die beiden schlimmen Gesellen auf Deck; sie -sprangen ans Ufer und wir sahen sie nicht wieder. Bis zum Morgengrauen -warteten wir und hofften sie würden zurückkommen, allein vergebens. -Vielleicht hatten sie aber doch Jack nicht mehr einholen können und -seine Spur verloren; darauf setzten wir unser ganzes Vertrauen. - -Er wollte am Fluß entlang gehen und sich in dem Ahornwäldchen hinter -Onkel Silas’ Tabakfeld verbergen. Dort hatten wir versprochen ihn zu -treffen, sobald es dämmerig würde und ihm Nachricht zu bringen, ob -seine Brüder Brace und Jupiter zu Hause wären und keinen fremden Besuch -hätten. - -Tom und ich sprachen lange darüber, wie es ihm wohl ergehen würde. -Rannten seine Verfolger flußaufwärts statt abwärts, dann war er -gerettet. Aber das ließ sich kaum erwarten. Wahrscheinlich, meinte -Tom, würden sie ihm tagsüber auf den Fersen bleiben, ohne daß er -Argwohn schöpfte, und sobald es dunkelte ihn umbringen und ihm die -Stiefel fortnehmen. -- Das betrübte uns sehr. - - - - -Fünftes Kapitel. - - -Erst spät am Nachmittag war die Maschine fertig ausgebessert. Als wir -nicht weit von Onkel Silas’ Farm anlegten, ging die Sonne bereits -unter. So liefen wir denn zuerst spornstreichs nach dem Ahornwäldchen, -um Jack den Grund der Verzögerung mitzuteilen, damit er auf uns -wartete, bis wir bei Brace gewesen wären und wüßten, wie die Sachen -standen. Gerade als wir keuchend um die Ecke bogen und die Ahornbäume -schon von fern sahen, kamen zwei Männer quer über den Weg in das -Wäldchen gesprungen und wir hörten einen gräßlichen Hilfeschrei, -der sich mehrmals wiederholte. »Jetzt haben sie den armen Jack -umgebracht,« sagten wir und flohen voll Todesangst nach dem Tabakfeld. -Kaum hatten wir uns dort versteckt und zitterten noch wie Espenlaub, -als wir abermals zwei Männer an uns vorbeilaufen und in dem Wäldchen -verschwinden sahen. Schon im nächsten Augenblick kamen ihrer vier -wieder heraus: zwei hatten die Flucht ergriffen und zwei verfolgten sie. - -Kalter Angstschweiß perlte uns auf der Stirn, während wir auf dem -Boden lagen und horchten; doch vernahmen wir keinen andern Laut als -das Pochen unserer Herzen. Immer mußten wir an den Ermordeten drüben -im Wäldchen denken und uns gruselte als wäre uns ein Gespenst in -nächster Nähe. Plötzlich kam der Mond hinter den Baumwipfeln hervor, -groß, rund und glänzend, wie ein Gesicht, das durch die Eisenstäbe der -Gefängniszelle guckt. Schwarze Schatten und weiße Flecken huschten -hierhin und dorthin; es war unheimlich still ringsum, nur der Nachtwind -stöhnte in den Zweigen. Da flüsterte Tom auf einmal: »Sieh! -- was ist -das?« - -»Du brauchst mich nicht noch unnötig zu erschrecken; ich bin sowieso -schon halb tot,« rief ich. - -»Aber, so sieh doch, was da aus dem Ahornwäldchen herauskommt!« - -»Hör’ auf, Tom!« - -»Eine riesige Gestalt; sie kommt auf uns zu!« - -Er hatte vor Erregung kaum Atem genug zum flüstern. Ich wollte nicht -hinsehen und doch that ich’s. Wir knieten jetzt beide auf der Erde, -stützten das Kinn auf den Lattenzaun und starrten in Schweiß gebadet -die Straße ’runter. Die Gestalt ging im Schatten der Bäume, man konnte -sie erst ordentlich sehen, als sie dicht in unserer Nähe war und ins -helle Mondlicht hinaustrat. Da fielen wir um wie vom Donner gerührt -- -kein Zweifel, es war Jack Dunlaps Geist! -- - -Ein paar Minuten lagen wir regungslos da; als wir wieder aufsahen war -das Gespenst verschwunden. - -»Du,« flüsterte Tom, »Gespenster sehen doch immer grau und neblig aus, -als ob sie lauter Dunst wären; aber dieses gar nicht.« - -»Nein; ich hab’ seine Brille und den Schnurrbart ganz deutlich erkannt.« - -»Ja, und den Anzug -- die grün und schwarz gewürfelten Hosen --« - -»Die feuerrote Weste von Baumwollsammet mit den gelben Punkten --« - -»Die ledernen Stege unten am Hosenbein -- einer war nicht -angeknüpft --« - -»Ja, und der Hut -- eine richtige hohe Angströhre mit breiter Krempe.« - -»Glaubst du, Huck, daß es ebensolches Haar hatte wie er?« - -»Ja -- doch bin ich nicht ganz sicher.« - -»Ich auch nicht; aber den Reisesack hab’ ich in seiner Hand gesehen.« - -»Haben denn Gespenster einen Reisesack, Tom?« - -»Warum nicht, Huck? Aber natürlich aus Gespensterstoff, wie die Kleider -und alles. Stell’ dich doch nicht so dumm an!« - -Jetzt kamen Bill Withers und sein Bruder Hans an uns vorüber. Sie waren -in ihr Gespräch vertieft, wir verstanden aber alles, was sie sagten: - -»Es sah aus als könnte er es kaum mehr schleppen,« meinte Bill. - -»Jawohl, schwer schien es zu sein. Es war gewiß ein Neger, der dem -alten Pfarrer Silas Korn gestohlen hat,« sagte Hans. - -»Das dachte ich gleich und that, als bemerkte ich ihn nicht.« - -»So hab’ ich’s auch gemacht. Hahaha!« - -Also, Onkel Silas war so unbeliebt geworden, daß die Leute lachten, -wenn ihm ein Dieb sein Korn stahl! Wie war das nur möglich? - -Bald hörten wir wieder Stimmen; je näher sie kamen, um so lauter wurde -das Gespräch. Es waren zwei Nachbarn, Lem Beebe und Jim Lane. - -»Wer?« fragte Jim, -- »Jupiter Dunlap?« - -»Ja, ganz gewiß,« entgegnete Lem. - -»Hm. Vor etwa einer Stunde, eben als die Sonne unterging, hab’ ich -ihn mit dem Spaten gesehen; sie gruben ein Stück Land um, er und der -Pfarrer. Seinen Hund wollte er uns leihen, sagte er, aber er selber -käme heute abend wahrscheinlich nicht.« - -»Er wird wohl zu müde sein von der schweren Arbeit.« - -»Verlaß dich drauf. Haha!« - -Sie gingen lachend weiter; Tom sprang auf und wir folgten ihnen -von fern. Dem Gespenst ganz allein zu begegnen, wäre doch gar zu -unbehaglich gewesen. - -Dies alles geschah am 2. September, einem Sonnabend. Den Tag werde ich -nie vergessen; man wird bald erfahren weshalb. - - - - -Sechstes Kapitel. - - -Schon sahen wir die Lichter vom Hause zu uns herüberscheinen, und die -Hunde kamen alle herbeigelaufen, uns zu begrüßen, da sagte Tom: - -»Warte noch ’nen Augenblick. Wenn wir jetzt ’reinkommen, meinst du -wohl, ich müßte gleich unser ganzes Abenteuer erzählen, daß alle Mund -und Nase aufsperren vor Verwunderung?« - -»Versteht sich; solche Gelegenheit wirst du dir doch nicht entgehen -lassen, Tom.« - -»Na, da irrst du dich gewaltig. Kein Sterbenswörtchen verraten wir -davon und zwar aus sehr nahe liegenden Gründen. Sag ’mal, Huck -- ging -das Gespenst barfuß?« - -»Bewahre, es hatte ja Stiefel an.« - -»Hast du das wirklich gesehen? Kannst du ’nen Eid darauf leisten?« - -»Jawohl, das kann ich.« - -»Ich auch. Und das ist der beste Beweis dafür, daß die Diebe die -Diamanten nicht gefunden haben. Natürlich nicht -- die zwei andern -Männer haben sie ja vertrieben, ehe sie der Leiche die Stiefel -ausziehen konnten; deshalb trug sie das Gespenst auch noch.« - -»Stiefel aus dem Geisterstoff wie die andern Kleider, nicht wahr, Tom?« - -»Freilich. Und weißt du, Huck, was nun geschieht? Die zwei Männer -erzählen, sie hätten das Geschrei gehört, die Mörder verjagt, aber den -Fremden nicht retten können. Nun kommt die Totenschau, besichtigt alles -an Ort und Stelle, und ehe man die Leiche begräbt, werden ihre Sachen -versteigert, um die Kosten herauszuschlagen. Dann ist unser Glück -gemacht.« - -»Wieso?« - -»Na, das ist doch klar: Wir kaufen die Stiefel für zwei Dollars.« - -»Und kriegen die Diamanten?« - -»Versteht sich. Eines schönen Tages wird man eine hohe Belohnung dafür -bieten -- wenigstens tausend Dollars. Und das ist unser Geld. -- Jetzt -komm ins Haus; aber von den Räubern, den Diamanten und dem Mord weißt -du keine Silbe -- das merke dir.« - -»Wie sollen wir es aber Tante Sally erklären, wenn sie fragt, warum -wir erst so spät kommen und wo wir so lange geblieben sind?« - -»Das überlasse ich dir; du wirst schon eine Ausrede finden.« - -Das sah Tom ganz gleich. Er war viel zu wahrheitsliebend um selbst eine -Lüge zu sagen. - -Wir gingen nun quer über den Hof, wo wir zu unserer Freude alles -unverändert fanden, und kamen in den bedeckten Gang zwischen dem -Holzschuppen und der Küche. Da hingen noch mancherlei Gegenstände, -die wir kannten, unter anderm auch Onkel Silas’ grüner Arbeitskittel -mit der Kaputze und dem weißen Flicken zwischen den Schultern, der -immer aussah, als hätte ihn jemand mit ’nem Schneeball geworfen. Rasch -drückten wir auf die Klinke der Stubenthür und traten ein. - -Tante Sally wirtschaftete im Zimmer herum; in einer Ecke saßen die -Kinder auf einem Häufchen, in der andern las der Onkel im Gebetbuch. -Tante fiel uns gleich vor Freuden um den Hals, dann zauste sie uns bald -an den Haaren, bald drückte sie uns ans Herz, während ihr helle Thränen -über die Backen liefen, so froh war sie, uns wiederzusehen. - -»Wo habt ihr Taugenichtse euch denn so lange herumgetrieben?« rief -sie. »Ich hab’ mir um euch schier die Seele aus dem Leib geängstet. -Eure Siebensachen sind schon vor ’ner Ewigkeit angekommen, und viermal -hab’ ich das Essen wieder aufgewärmt, damit ihr nicht zu warten -braucht. Die Haut sollte man euch über die Ohren ziehen. Aber nun setzt -euch nur, ihr müßt ja halb verhungert sein; setzt euch, ihr armen -Jungen, und laßt’s euch schmecken.« - -O, wie behaglich saß sich’s dort an der reich besetzten Tafel! Onkel -Silas sprach sein längstes Tischgebet und bald stand ein aufgehäufter -Teller an meinem Platz. Als ich gerade im besten Schmausen war, fragte -die Tante plötzlich, wo wir denn gewesen wären. - -Ich hatte mir’s schon zum voraus überlegt: - -»Wir sind zu Fuß durch den Wald gegangen,« sagte ich, »da sind uns -Lem Beebe und Jim Lane begegnet und haben uns aufgefordert mit ihnen -Heidelbeeren zu suchen; Jupiter Dunlap wollte ihnen seinen Hund dazu -leihen, das hatte er ihnen gerade versprochen -- --« - -»Wo haben sie ihn gesehen?« fiel mir der alte Silas auf einmal so -hastig in die Rede, daß ich verwundert dreinschaute und ganz verwirrt -wurde, weil er mich mit durchbohrenden Blicken ansah. Aber ich nahm -mich zusammen und antwortete: »Als Ihr mit ihm das Stück Land umgrubet, -bei Sonnenuntergang.« - -»Hm,« sagte er mit enttäuschter Miene und nahm weiter keine Notiz von -mir, während ich fortfuhr: »Wir gingen mit, und -- --« - -»Schweig still mit deinem Unsinn, Huck Finn,« rief jetzt Tante Sally -entrüstet; »wer hat je davon gehört, daß man bei uns im September -Heidelbeeren pflückt und obendrein zur Nachtzeit? Was soll der Hund -dabei -- vielleicht die Heidelbeeren aufspüren?« -- - -»Sie sagten -- sie hätten eine Laterne -- --« stammelte ich. - -»An dem allen ist kein wahres Wort. Ich weiß, ihr habt irgend einen -dummen Streich gemacht, da müßte ich euch beide nicht kennen. Na, Tom, -heraus mit der Sprache, nicht erst lange gefackelt!« - -Tom nahm eine gekränkte Miene an. »Wie kannst du nur den armen Huck -schelten, Tante, bloß weil er sich versprochen hat. Er meint natürlich -Erdbeeren, wenn er Heidelbeeren sagt. Das weiß doch ein jedes Kind, -daß man in der ganzen Welt -- nur nicht hier in Arkansas -- einen Hund -und eine Laterne mitnimmt, wenn man Erdbeeren suchen geht.« - -Nun riß aber Tante Sally der Geduldsfaden; sie wurde ernstlich böse -und schüttete einen ganzen Schwall von Worten, die sie gar nicht -schnell genug heraussprudeln konnte, über unsere schuldigen Häupter -aus. Darauf hatte Tom aber wie gewöhnlich gerechnet. Er ließ sie sich -immer in Zorn reden und schwieg mäuschenstill, bis ihre Hitze verflogen -war; dann wollte sie meist vor Aerger keine Silbe mehr über die ganze -Angelegenheit hören. So kam es auch diesmal. Als sie sich heiser -gesprochen hatte und einen Augenblick Atem schöpfen mußte, sagte Tom in -aller Seelenruhe: - -»Und trotzdem weiß ich doch, Tante --« - -»Schweig’ still,« rief sie; »du thust den Mund nicht mehr auf, das sage -ich dir!« - -So kamen wir aus aller Verlegenheit und von der Verzögerung unserer -Ankunft war nicht mehr die Rede. Das hatte Tom wirklich schlau -eingerichtet. - - - - -Siebentes Kapitel. - - -Benny machte ein sehr ernstes Gesicht und seufzte auch hin und wieder; -aber bald fing sie an sich nach Toms Geschwistern Mary und Sid zu -erkundigen und besonders nach Tante Polly. Allmählich erheiterte sich -auch Tante Sallys Miene, ihre gute Laune kehrte zurück, sie fragte -uns dieses und jenes und war wieder so gut und lieb wie immer, so daß -unser Abendessen noch einen ganz lustigen Verlauf nahm. Nur der alte -Silas beteiligte sich nicht an der Unterhaltung; er war unruhig und -zerstreut, auch stieß er oft so tiefe Seufzer aus, daß es einem in der -Seele wehthat, ihn so verstört und bekümmert zu sehen. - -Eine Weile nach dem Abendessen klopfte es an die Thür; ein Neger -steckte den Kopf herein, er trug seinen alten Strohhut in der Hand und -sagte unter vielen Bücklingen und Kratzfüßen, sein Herr, Massa Brace, -warte draußen am Zaun und lasse den Massa Silas fragen, wo sein Bruder -wäre, der zum Essen nicht nach Hause gekommen sei. - -Da fuhr Onkel Silas so heftig auf, wie ich es noch nie von ihm gehört -hatte: »Bin ich etwa seines Bruders Hüter?« Gleich nachher war es ihm -aber wieder leid, er sank in sich zusammen und sprach im sanftesten Ton: - -»Du brauchst ihm das nicht zu wiederholen, Billy, ich bin seit einigen -Tagen gar nicht wohl und so reizbar, daß ich meine Worte nicht wägen -kann. Er ist nicht hier, sage ihm das.« - -Als der Neger fort war, ging der alte Mann ruhelos in der Stube auf und -ab, wobei er fortwährend unverständliche Worte murmelte und sich mit -den Händen ins Haar fuhr. Es war recht jämmerlich anzusehen; doch Tante -Sally flüsterte uns zu, nicht acht auf ihn zu geben. Sie sagte, seit so -viel Mißgeschick über ihn gekommen sei, gerate er oft tief in Gedanken -und wisse kaum mehr, was er thue und treibe. Auch bei Nacht wandle er -viel häufiger als früher im Schlaf, entweder nur im Hause oder auch -draußen im Freien. Wenn wir ihn einmal dabei beträfen, sollten wir ihn -ruhig gehen lassen und ihn ja nicht aufwecken. Es könne ihm niemand -helfen, außer Benny, die ihn am besten zu behandeln verstehe. - -Auch diesmal schlich sie sich an seine Seite, als er anfing müde -zu werden von dem ewigen Hin- und Herwandern. Sie schlang ihren Arm -um ihn und ging mit, bis er lächelnd auf sie herabschaute und sich -niederbeugte um sie zu küssen. Allmählich wich der gequälte Ausdruck -aus seinem Gesicht und er ließ sich von ihr auf sein Zimmer geleiten. -Es war eine Freude, den liebevollen Verkehr von Vater und Tochter zu -sehen. - -Tante Sally mußte nun die Kinder zu Bett bringen und da Tom und ich -anfingen uns zu langweilen, machten wir noch einen Gang bei Mondschein -in das Feld, wo die reifen Wassermelonen standen. Wir aßen nach -Herzenslust und besprachen dabei mancherlei. Tom meinte, er hege nicht -den geringsten Zweifel, daß Jupiter ganz allein an dem Streit schuld -sei. Bei erster Gelegenheit werde er sich Gewißheit darüber verschaffen -und dann Onkel Silas nach Kräften bereden ihn fortzuschicken. - -Wohl zwei Stunden lang schwatzten, rauchten und schmausten wir dort. -Als wir ins Haus zurückkehrten war es ganz still und dunkel; alle -hatten sich zur Ruhe begeben. - -Tom, dem nichts entging, bemerkte jetzt, daß der alte grüne -Arbeitskittel seltsamerweise von dem Nagel verschwunden war, wo er ihn -noch vorhin hatte hängen sehen. Dann suchten wir unsere Schlafkammer -auf. - -Im Nebenzimmer hörten wir Benny noch lange herumhantieren; sie sorgte -sich gewiß um ihren Vater und fand keinen Schlaf. Auch wir waren -viel zu aufgeregt, um zu Bette zu gehen; so blieben wir denn wach, -unterhielten uns im Flüsterton und waren in recht trübseliger Stimmung. -Wir sprachen immer wieder von dem Ermordeten und dem Gespenst, bis uns -so unheimlich und gruselig zu Mute wurde, daß von Einschlafen keine -Rede sein konnte. - -Es war schon spät in der Nacht, als mich Tom plötzlich mit dem -Ellenbogen stieß und nach dem Fenster deutete. Ich sah hin; drunten im -Hof trieb sich ein Mann herum, doch konnte ich ihn bei der Dunkelheit -nicht erkennen. Jetzt kletterte er über den Zaun und da kam gerade der -Mond heraus und schien auf den weißen Flicken des alten Arbeitskittels. - -»Siehst du den Nachtwandler,« sagte Tom. »Ich wollte, wir dürften ihm -folgen und sehen, wo er hingeht mit der langen Schaufel, die er über -der Schulter trägt. Er biegt nach dem Tabakfeld ein -- nun ist er -verschwunden. Der arme Onkel, -- es thut mir so leid, daß er gar keine -Ruhe findet.« - -Wir warteten lange, aber er kam nicht zurück; vermutlich hatte er einen -andern Heimweg eingeschlagen. So legten wir uns denn endlich nieder -und verfielen in einen unruhigen Schlaf, der uns mit tausenderlei -Beängstigungen quälte. Im Morgengrauen waren wir schon wieder wach; ein -Gewitter war heraufgezogen, Blitze zuckten, der Donner krachte, der -Wind schüttelte die Bäume, der Regen fuhr in Strömen nieder und die -Rinnsteine wurden zu rauschenden Bächen. - -»Höre mal, Huck,« sagte Tom, »mir kommt’s sehr seltsam vor, daß man -noch gar nichts von Jack Dunlaps Ermordung gehört hat. Die Männer, von -denen Hal Clayton und Bud Dixon verjagt wurden, haben die Sache doch -in der nächsten halben Stunde sicherlich überall erzählt und sie muß -sich wie ein Lauffeuer von Farm zu Farm verbreitet haben. Solche große -Neuigkeit kommt doch alle dreißig Jahr höchstens zweimal vor. Es ist -wirklich merkwürdig, Huck, ich kann es nicht begreifen. Wäre nur erst -das Gewitter vorüber, damit wir hinauskönnten um zu sehen, ob nicht -irgend jemand auf der Straße davon anfängt. Wir müssen dann natürlich -sehr überrascht und entsetzt sein.« - -Es war schon heller lichter Tag, als der Regen aufhörte. Wir -schlenderten die Straße hinunter, begrüßten jeden, der uns begegnete, -sagten wann wir angekommen wären, wie wir die Unserigen verlassen -hätten, wie lange wir zu bleiben gedächten, und dergleichen mehr; -aber kein Mensch äußerte eine Silbe über den Mord, was uns höchlich -wundernahm. Tom meinte, wenn wir in das Ahornwäldchen gingen, würde die -Leiche ganz einsam und verlassen daliegen und keine Menschenseele weit -und breit zu sehen sein. Wahrscheinlich hätten die Verfolger die Mörder -tief in den Wald hinein gejagt, diese hätten sich endlich umgewendet -und sich auf sie geworfen. Nachdem sie einander alle umgebracht, wäre -natürlich niemand mehr am Leben gewesen, um die Nachricht zu verbreiten. - -Während dieser Reden waren wir unversehens nach dem Ahornwäldchen -gekommen. Mir lief der kalte Schweiß den Rücken hinunter und ich -wäre um nichts in der Welt auch nur einen Schritt weiter gegangen. -Doch Tom ließ es keine Ruhe -- er mußte wissen, ob der Ermordete die -Stiefel noch anhatte. So kroch er denn ins Dickicht, kam aber schon im -nächsten Augenblick in größter Erregung wieder heraus. - -»Huck, er ist fort,« rief er. - -»Im Ernst, Tom?« fragte ich starr vor Staunen. - -»Jawohl, er ist wirklich fort; es ist nichts mehr von ihm zu sehen. Der -Boden ist nur etwas zertrampelt und wenn blutige Spuren da waren hat -sie der Regen verwaschen; es ist lauter Schmutz und Morast da drinnen.« - -Nun faßte ich mir ein Herz und überzeugte mich mit eigenen Augen, daß -kein Leichnam mehr da war. - -»Verwünscht,« rief ich, »die Diamanten sind weg!« - -»Glaubst du nicht, daß die Mörder zurückgekommen sind und ihn -fortgeschleppt haben?« - -»Höchst wahrscheinlich. Wo meinst du wohl, daß sie ihn versteckt haben -können?« - -»Wie soll ich das wissen?« sagte er ärgerlich. »Es ist mir auch -einerlei. Mir war nur an den Stiefeln etwas gelegen. Nach der Leiche -werde ich den Wald nicht durchsuchen; meinetwegen mag sie sein wo sie -will. Die Hunde werden sie sowieso bald aufspüren.« - -Wir schlichen betrübt und enttäuscht nach Hause zurück. Mein Lebtag -hatte mich noch keine Leiche so geärgert und betrogen wie diese. - - - - -Achtes Kapitel. - - -Beim Frühstück ging es nicht sehr munter zu. Tante Sally sah alt und -müde aus; sie ließ die Kinder unter einander zanken und streiten ohne -ihnen zu wehren, wie sie es sonst immer that. Tom und ich waren so -voller Gedanken, daß wir gar nicht sprachen und Benny mochte wohl die -ganze Nacht kein Auge zugethan haben. So oft sie den Kopf ein wenig hob -und nach ihrem Vater hinschaute, mußte sie mit den Thränen kämpfen. Der -Alte ließ das Essen auf seinem Teller kalt werden, er rührte keinen -Bissen an, redete kein Wort, sondern sann und sann nur immer vor sich -hin. - -Als die Stille am allerdrückendsten war, steckte der Neger wieder den -Kopf durch die Thür und sagte, Massa Brace hätte schrecklich Angst um -seinen Bruder Jupiter, der noch immer nicht heimgekommen wäre. Massa -Silas sollte doch so gut sein und -- -- - -Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, denn Onkel Silas hatte sich -plötzlich aufgerichtet. Er sah den Neger an und zitterte dabei so, daß -er sich am Tisch festhalten mußte. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt; -erst nach einer Weile stammelte er mühsam: - -»Er glaubt wohl -- er glaubt wohl -- was denkt er sich eigentlich? --- Sag’ ihm -- sag’ ihm --« kraftlos sank er wieder in seinen Stuhl -zurück. »Geh fort -- geh fort!« murmelte er so leise, daß man es kaum -verstehen konnte. - -Der Neger machte sich erschrocken aus dem Staube, während Onkel Silas -die Hände rang und seine Augen verdrehte, als läge er im Sterben; es -war ein schrecklicher Anblick. Wir saßen alle da, wie festgebannt, nur -Benny erhob sich leise, Thränen liefen ihr die Wangen herunter, sie -trat neben den Stuhl ihres Vaters, bettete sein graues Haupt an ihrer -Brust und streichelte ihn sanft und liebevoll. Dann winkte sie uns, wir -sollten fortgehen, und wir verließen das Zimmer so still, als läge ein -Toter darin. - -In furchtbar ernster Stimmung schlugen Tom und ich den Weg nach dem -Walde ein. Wie ganz anders war es doch hier bei unserm Besuch letzten -Sommer gewesen: alles so glücklich und friedevoll, Onkel Silas so -heiter, so wunderlich und voll kindlicher Einfalt und dabei so -hochgeachtet von jedermann. Jetzt hatte er entweder den Verstand schon -verloren, oder man mußte doch jeden Augenblick fürchten, daß er von -Sinnen käme. - -Es war ein sonniger, herrlicher Tag; weiter und weiter gingen wir über -die Hügel nach der Ebene zu und konnten uns nicht satt sehen an den -Bäumen und Blumen ringsum. Daß es in dieser schönen Welt auch Unglück -gab, schien uns ganz unbegreiflich. Traurig zu sein, kam uns wie ein -Unrecht vor. - -Auf einmal fühlte ich, daß mir der Atem stockte; ich hielt Tom am Arm -fest und mein Herz pochte wie ein Schmiedehammer. - -»Da ist es!« rief ich; wir sprangen hinter einen Busch und Tom -flüsterte: - -»St! -- Mach’ keinen Lärm.« - -Es saß gerade am Ende der kleinen Waldwiese auf einem Holzblock und -stützte den Kopf in die Hand. Vergebens bemühte ich mich, Tom zur -Flucht zu überreden; er rührte sich nicht vom Fleck, denn er meinte, -vielleicht würde er sein Lebtag keine so günstige Gelegenheit mehr -haben, ein Gespenst zu sehen, deshalb wollte er dieses nach Herzenslust -betrachten und wenn es sein Tod wäre. So blieb ich denn auch da und riß -die Augen auf, obgleich mir’s gar nicht wohl dabei zu Mute war. - -»Der arme Jack,« raunte mir Tom zu, denn schweigen konnte er nicht; -»alle seine Sachen hat er an, wie er’s uns vorausgesagt hat. Auch das -Haar hat er sich kurz geschoren. Daß ein Gespenst so natürlich aussehen -könnte, hätte ich nie gedacht.« - -»Ich auch nicht; man würde es überall wiedererkennen.« - -»Ganz wie bei Lebzeiten. Und am meisten wundert mich noch, daß es -bei Tage umgeht. Die andern kommen immer erst nach Mitternacht zum -Vorschein. Du, Huck, mit dem ist’s nicht ganz richtig; es hat kein -Recht, sich jetzt hier herumzutreiben, das kannst du mir glauben. Jack -wollte sich taubstumm stellen, weil ihn die Nachbarn sonst an der -Stimme erkannt hätten. Meinst du, das Gespenst würde das auch thun, -wenn ich’s jetzt anriefe?« - -»Tom, ums Himmels willen, du wirst doch so was nicht wagen!« - -»Sei nur ganz ruhig, ich denke nicht dran. Aber, was ist das -- jetzt -kratzt es sich am Kopf -- ein Gespenst kann’s doch nicht jucken, das -ist ja aus lauter Dunst! Wahrhaftig, Huck, ich glaube, es ist gar kein -wirkliches Gespenst, es müßte doch sonst --« - -»Was denn, Tom?« - -»_Durchsichtig_ sein, so daß man die Büsche dahinter sehen könnte.« - -»Du hast recht, sein Körper ist so fest wie der einer Kuh. Weißt du, -ich fange an zu glauben --« - -»Jetzt nimmt es den Mund voll Tabak und fängt an zu kauen -- das ist ja -unmöglich, es hat doch keine Zähne. Höre, Huck!« - -»So sprich doch!« - -»Es ist gar kein Gespenst, sondern Jack Dunlap wie er leibt und lebt! --- Haben wir etwa eine Leiche im Ahornwäldchen gefunden?« - -»Nein, keine Spur.« - -»Weißt du auch warum? -- Weil nie eine da war.« - -»Aber Tom, wir haben doch das Geschrei gehört!« - -»Ist das etwa ein Beweis, daß jemand umgebracht worden ist? -- Erst -sahen wir vier Männer laufen und dann kam dieser aus dem Wald gegangen. -Wir hielten ihn für einen Geist, aber es war so wenig ein Geist wie -du einer bist. Es war Jack Dunlap selbst und der sitzt jetzt dort -drüben und spielt den Fremden und Taubstummen, ganz wie er’s mit uns -verabredet hatte. Der -- ein Gespenst! Nein, Fleisch und Bein ist er, -da wett’ ich alles drauf.« - -Ich sah nun auch unsern Irrtum ein, und wir waren beide herzlich froh, -daß Jack nicht umgebracht worden war. Was sollten wir aber jetzt thun? -Ihn anreden oder vorgeben, ihn nicht zu kennen? Tom hielt es für das -beste, ihn selber zu fragen, wie er es haben wolle. Also ging er -geradeswegs auf ihn zu, während ich mich etwas im Hintergrund hielt, -für den Fall, daß es doch ein Gespenst wäre. - -Als Tom ganz nahe bei ihm war sagte er: »Guten Tag! Wir freuen uns -sehr, Euch wiederzusehen, Huck und ich. Fürchtet nur nicht, daß wir -Euch verraten. Wenn Ihr es für besser haltet wollen wir thun, als -hätten wir Euch nie gekannt. Sagt nur, ob Euch das recht ist. Ihr -könnt Euch dann fest auf uns verlassen; wir würden uns eher die Hand -abhacken als Euch Schaden thun.« - -Zuerst zeigte er sich sehr überrascht uns zu sehen und keineswegs -erfreut; aber bei Toms Rede erhellte sich sein Gesicht und zuletzt -lächelte er, nickte mehrmals mit dem Kopf, machte allerlei Zeichen -mit den Händen und sagte: »Goo -- goo -- goo -- goo,« ganz wie ein -Taubstummer. - -Indessen sahen wir ein paar von Steffen Nickersons Angehörigen, die -jenseits der Wiese wohnten, daherkommen. »Ihr macht Eure Sache ganz -ausgezeichnet,« sagte Tom, »natürlich müßt Ihr Euch üben so viel Ihr -könnt, an uns so gut wie an den andern, damit Ihr auf Eurer Hut seid -und niemals aus der Rolle fallt. Wir wollen Euch auch so wenig wie -möglich in den Weg kommen und keiner Seele verraten, daß wir Euch -kennen. Laßt es uns aber ja wissen, wenn Ihr einmal Hilfe braucht.« - -Als wir den Nickersons begegneten, hielten sie uns natürlich an und -wollten wissen, wer der Fremde dort drüben sei, wie er heiße, woher -er komme, ob er Baptist oder Methodist, liberal oder konservativ wäre -und was dergleichen Fragen mehr sind, die wir Amerikaner bei jeder -neuen Erscheinung gleich auf der Zunge haben. Tom erwiderte jedoch, -er hätte aus den Zeichen des Taubstummen und seinen Naturlauten nicht -klug werden können. Mit großer Spannung beobachteten wir nun von ferne, -wie sie Jack auszuforschen begannen. Erst als wir ihn seine Zeichen -machen sahen und wußten, daß alles gut ablaufen würde, beruhigten wir -uns wieder und machten, daß wir weiter kamen, weil wir gern während der -Zwischenstunde beim Schulhaus sein wollten. - -Es war recht ärgerlich, daß uns Jack nicht erzählen konnte, was sich -in dem Ahornwäldchen zugetragen hatte und ob er fast umgebracht -worden wäre; aber Tom bemerkte ganz richtig, daß ein Mensch in Jacks -Lage nicht vorsichtig genug sein könne und am besten thäte still zu -schweigen, um sich keiner Gefahr auszusetzen. - -In der Zwischenstunde ging es sehr lustig zu, alle Knaben und Mädchen -freuten sich, uns wiederzusehen. Die beiden Hendersons waren auf ihrem -Schulweg dem Taubstummen begegnet und wurden deshalb von den übrigen -sehr beneidet, da alle vor Neugier brannten, ihn zu sehen, und von gar -nichts anderm reden mochten. - -Es kostete Tom keine kleine Ueberwindung, nichts zu verraten. Hätten -wir alles erzählen dürfen, wie würde man uns bewundert haben! Aber -viel heldenhafter war es doch noch, Stillschweigen zu bewahren. Unter -Millionen Jungen hätte man nicht zwei finden können, die das fertig -brachten. Davon war Tom wenigstens überzeugt und schließlich mußte er -es doch am besten wissen. - - - - -Neuntes Kapitel. - - -In den nächsten zwei oder drei Tagen ging der Taubstumme bei den -Nachbarn aus und ein und war bald allgemein beliebt. Jeder war stolz, -mit einer so merkwürdigen Persönlichkeit zu verkehren; man lud ihn zum -Frühstück, zu Mittag und zum Abendessen ein, bewirtete ihn aufs beste -und wurde nicht müde, ihn anzustarren. Gern hätten die Leute mehr über -ihn erfahren, aber seine Zeichen verstanden sie nicht -- er wußte wohl -selbst nicht, was sie bedeuteten. Seine Naturlaute bewunderten sie -dagegen sehr und freuten sich, so oft er sie hören ließ. Auch reichte -er eine Tafel herum nebst Schieferstift, damit man Fragen an ihn -stellen könne; die Antworten, die er aufschrieb, konnte aber niemand -lesen, außer Brace Dunlap, dem es freilich auch Mühe machte; doch fand -er häufig wenigstens den Sinn heraus. Er sagte, der Taubstumme käme von -weit her und habe früher im Wohlstand gelebt, dann sei er Schwindlern -in die Hände gefallen, die sein Vertrauen mißbraucht hätten. Jetzt sei -er arm und wüßte nicht, wie er sein Brot erwerben solle. - -Man lobte Brace allgemein, daß er sich des Fremden so hilfreich annahm. -Er hatte ihm ein kleines Blockhaus zur Wohnung angewiesen, seine Neger -mußten es in Ordnung halten und ihm zu essen bringen so viel er wollte. - -Auch in unser Haus kam der Taubstumme öfters, weil es Onkel Silas Trost -gewährte, einen Menschen zu sehen, der auch von Trübsal heimgesucht war -wie er. Tom und ich thaten, als hätten wir ihn noch nie erblickt, und -auch er stellte sich uns gegenüber ganz fremd. Der Familienkummer wurde -in seiner Gegenwart ohne Scheu besprochen, was ja im Grunde nichts -schadete. Gewöhnlich schien er gar nicht acht darauf zu geben, aber -manchmal that er es doch. - -Als drei Tage vergangen waren, fingen die Nachbarn an, sich über -Jupiter Dunlaps Ausbleiben zu beunruhigen. Einer fragte den andern, -wo er wohl hingeraten sein könne; man schüttelte den Kopf und fand es -höchst seltsam und unerklärlich. Abermals verstrichen ein paar Tage; -da entstand ein Gerücht, daß er vielleicht ermordet wäre. Das machte -natürlich großes Aufsehen und ein endloses Gerede. Am Samstag zogen die -Leute truppweise in den Wald, um die Leiche aufzustöbern. Tom und ich -gingen auch mit und halfen suchen. Tom konnte vor Aufregung tagelang -weder essen noch schlafen und glühte vor Eifer, weil er meinte, wenn -wir den Leichnam fänden, würden wir berühmt werden und unser Name in -aller Munde sein. - -Die andern bekamen es zuletzt satt und gaben das Suchen auf. Aber Tom -Sawyer dachte nicht daran, er war unermüdlich. Die ganze Nacht schloß -er kein Auge, er sann über einen Plan nach und als der Morgen dämmerte, -war ihm ein Licht aufgegangen. In größter Hast kam er und holte mich -aus dem Bette. - -»Rasch Huck, wirf deine Kleider über,« rief er, »ich hab’s! Wir -brauchen einen Schweißhund.« - -Zwei Minuten später liefen wir im Dunkeln am Fluß entlang nach dem -Dorfe zu. Der alte Schmied Jeff Hooker hatte einen Hund, den wollte -sich Tom von ihm borgen. - -»Die Spur ist zu alt,« sagte ich, »und geregnet hat es auch.« - -»Das schadet nichts, Huck. Wenn der Leichnam irgendwo im Walde steckt, -findet ihn der Hund gewiß. Er wird es schon wittern, an welcher Stelle -man den Ermordeten verscharrt hat. Auch auf die Spur des Mörders wird -er uns helfen, und wenn wir die erst haben, verfolgen wir sie ohne -Unterlaß, bis wir den Kerl fangen. Dann werden wir berühmt, so wahr ich -lebe.« - -»Na, laß uns nur erst die Leiche finden,« sagte ich, um sein Feuer -etwas zu dämpfen, »daran werden wir wohl für heute genug haben. Wer -weiß, ob überhaupt eine da ist; vielleicht ist der faule Jupiter -einfach durchgebrannt und gar nicht ermordet worden.« - -Doch davon wollte Tom nichts hören. »Wie kannst du nur so reden, -Huck, das ist ganz abscheulich. Schämst du dich nicht, ein solcher -Spielverderber zu sein, wenn wir gerade die beste Gelegenheit haben -uns auszuzeichnen und unsern Ruhm zu begründen.« - -»Ach was, ich nehme alles zurück; mache es nur ganz wie du willst, Tom. -Ob Jupiter tot ist oder lebendig, kümmert mich im Grunde wenig.« - -Bald war Tom wieder Feuer und Flamme für das Unternehmen, bis wir -vor die Schmiede des alten Jeff Hooker kamen, der seine Begeisterung -gewaltig abkühlte. - -»Den Hund könnt ihr haben,« sagte er, »aber ihr werdet keinen Leichnam -finden, weil keiner da ist. Die Leute haben ganz recht, daß sie nicht -weiter suchen. Sobald sie anfingen nachzudenken, mußte sich eben jeder -sagen, daß von einem Mord gar keine Rede kein kann. Ich will euch -auch sagen weshalb: Wenn jemand einen Menschen umbringt, thut er es -doch nicht ganz ohne Grund, das werdet ihr mir zugeben. Na, und warum -sollte man wohl dem Jupiter Dunlap, diesem Schafskopf, nach dem Leben -trachten? Etwa aus Rache? Meint ihr, daß irgend jemand einen Groll -gegen solchen Menschen hat?« - -Tom fand kein Wort der Erwiderung; von diesem Gesichtspunkt aus hatte -er sich die Sache noch nicht überlegt. - -»Oder glaubt ihr, man hätte ihn berauben wollen? Haha! Das wird’s wohl -sein. Die Hosenschnallen hat man ihm gestohlen und deshalb -- --« - -Der Alte wollte sich vor Lachen ausschütten; er mußte sich die Seiten -halten, um nicht zu bersten. Tom machte ein ganz verblüfftes Gesicht; -ich sah’s ihm an, daß er sich meilenweit weg wünschte, während Jeff -Hooker von neuem anhub: »Wer irgend Grütze im Kopf hat, mußte sich’s -ja gleich sagen, daß der Faulpelz nur ausgekniffen ist, weil er nach -seiner schweren Arbeit eine Weile herumbummeln wollte. Paßt auf, nach -ein paar Wochen kommt er wieder und lacht sich ins Fäustchen. -- Wenn -du aber nach seinem Leichnam suchen willst, Tom, so nimm den Hund und -thu’s, ich werd’ dich nicht hindern.« - -Tom war zu weit gegangen, er konnte nicht mehr zurück. »Na, also, macht -ihn nur von der Kette los,« sagte er. Der Alte that es und sah uns -lachend nach, während wir beschämt abzogen. - -Der Hund kannte uns, wedelte mit dem Schwanz und sprang mit lustigen -Sätzen vor uns her, im Genuß seiner Freiheit. Aber Tom verzog keine -Miene, er war tief gekränkt, daß der alte Hooker ihn lächerlich -gemacht hatte, und verwünschte das ganze Abenteuer. - -In düsterm Schweigen schlichen wir durch die Hintergassen heim. Als -wir eben um die Ecke unseres Tabakfeldes bogen, stieß der Hund ein -klägliches Geheul aus. Wir eilten herzu und sahen, wie er mit aller -Macht die Erde aufwühlte und dann und wann den Kopf laut heulend zur -Seite wandte. - -In dem vom Regen durchweichten Boden ließ sich deutlich ein -eingesunkenes längliches Viereck erkennen, das aussah wie ein Grab. -Stumm standen wir da und sahen einander an. Der Hund hatte kaum ein -paar Zoll tief gegraben, als er einen Gegenstand zu packen bekam und -ihn herauszerrte; es war ein Männerarm, der im Aermel steckte. - -»Komm fort, Huck,« stieß Tom keuchend heraus, »die Leiche ist gefunden.« - -Mich durchrieselte es kalt. Rasch liefen wir nach der Landstraße und -holten die ersten besten Leute, die uns begegneten. Sie nahmen einen -Spaten mit und gruben den Leichnam aus. Nein, war das eine Aufregung! -Sein Gesicht konnte man nicht mehr erkennen, aber das war auch nicht -nötig. Alle riefen: - -»Der arme Jupiter; das sind die Kleider, die er zuletzt getragen hat.« - -Ein paar Männer eilten ins Dorf, um die Nachricht zu verbreiten und dem -Friedensrichter Anzeige zu machen, damit die Totenschau gehalten werden -könnte. Auch Tom und ich liefen spornstreichs nach Hause; ganz atemlos -kamen wir zu Onkel Silas, Tante Sally und Benny hereingestürzt und Tom -rief: - -»Wir zwei, ich und Huck, haben ganz allein mit einem Schweißhund -Jupiter Dunlaps Leiche gefunden. Alle hatten es aufgegeben; ohne uns -hätte man sie niemals entdeckt. Er ist doch ermordet worden, mit einem -Knüttel hat man ihn totgeschlagen; aber ich will den Mörder schon -finden, er soll mir nicht entgehen, so wahr ich Tom heiße.« - -Tante Sally und Benny sprangen bleich und erschrocken auf, aber Onkel -Silas fiel vorn über vom Stuhl auf den Boden und rief ächzend: »Gott -erbarme sich meiner -- _du hast ihn schon gefunden_!« -- - - - - -Zehntes Kapitel. - - -Bei diesen gräßlichen Worten standen wir wie zu Stein erstarrt und -konnten wohl eine Minute lang kein Glied rühren. Sobald wir uns etwas -von dem Schreck erholt hatten, hoben wir den alten Mann auf und setzten -ihn wieder in seinen Stuhl; er ließ sich von Benny streicheln und -küssen, auch die arme Tante versuchte ihn zu beruhigen. Doch waren sie -beide so verwirrt und außer sich, daß sie kaum wußten, was sie thaten. -Am allerunglücklichsten war aber Tom selbst. Daß er seinen Onkel -vielleicht ins Verderben gestürzt hatte, war ihm fürchterlich. Hätte er -nicht solchen Ehrgeiz gehabt, berühmt zu werden und hätte das Suchen -nach der Leiche aufgegeben, wie die andern Leute, so wäre es ja am Ende -nie herausgekommen. Doch nicht lange, da besann er sich und änderte -seine Gedanken: - -»Sag’ das nicht noch einmal, Onkel Silas; solche Reden sind gefährlich -und es ist auch kein Körnchen Wahrheit daran,« versicherte er mit -Bestimmtheit. - -Tante Sally und Benny atmeten erleichtert auf bei diesen Worten; aber -der Onkel schüttelte traurig den Kopf. - -»Nein, nein -- ich hab’s gethan -- der arme Jupiter -- ich hab’s -gethan!« -- sagte er im Ton der Verzweiflung, während ihm die Thränen -über die Backen liefen. Es war schrecklich mit anzuhören. - -Dann erzählte er weiter, es sei an dem Tage geschehen, als Tom und ich -ankamen, bei Sonnenuntergang. Jupiter hatte ihn gequält und geärgert, -bis ihn der Zorn übermannte und er ihm mit seinem Stock über den Kopf -schlug, daß er zu Boden stürzte. Sofort bereute er seine Hitze; er -kniete neben Jupiter hin, hob ihm den Kopf auf und bat, er solle doch -sprechen und sagen, daß er nicht tot sei. Der kam auch bald wieder -zu sich; doch als er sah, wer ihm den Kopf hielt, sprang er, wie zu -Tode erschrocken, auf, war mit einem Satz über den Zaun, lief nach dem -Walde zu und verschwand. Da hoffte Onkel natürlich, er hätte ihm keinen -Schaden gethan. - -»Aber ach,« fuhr er fort, »nur die Furcht hatte ihm dies letzte -Fünkchen Lebenskraft eingeflößt, das rasch erlosch; im Gebüsch ist -er dann zusammengebrochen, wo ihm niemand beistehen konnte, und ist -gestorben.« - -Der alte Mann jammerte und weinte, er sagte, er sei ein Mörder, er -trüge das Kainszeichen und brächte seine Familie in Schande und -Schmach. Seine Missethat würde entdeckt werden und ihn an den Galgen -bringen. - -»Davon ist gar keine Rede,« sagte Tom. »Du hast ihn gar nicht -umgebracht. Ein einziger Schlag ist nicht gleich tödlich. Den Mord hat -ein anderer begangen.« - -»Nein, ich habe es gethan, sonst niemand. Wer hätte auch außer mir -etwas gegen ihn haben sollen?« - -Er sah uns an als hoffte er, wir würden jemand nennen können, der dem -harmlosen Menschen grollte; allein das war vergebens, wir mußten alle -verstummen. Als er das sah, überfiel ihn die Trauer von neuem; seine -jammervolle Miene war zum erbarmen. - -»Aber halt,« rief Tom plötzlich, »jemand muß ihn doch begraben haben. -Wer kann das denn --« - -Weiter kam er nicht. Ich wußte wohl warum, und es überlief mich kalt. -Hatten wir doch beide Onkel Silas in jener Nacht mit der langen -Schaufel über der Schulter gesehen. Auch Benny mußte ihn bemerkt haben; -sie hatte einmal etwas davon erwähnt. Tom war nun eifrig bemüht, Onkel -zu überreden, daß er sich nicht verraten solle; wir andern stimmten ihm -bei und sagten, wenn Onkel schwiege, würde man es nie erfahren und er -dürfe sich nicht selbst anklagen, weil es uns allen das Herz brechen -würde, wenn ihm ein Leid geschähe. Es würde niemand Nutzen bringen und -die Seinigen nur unglücklich machen. Zuletzt versprach er es denn auch -und wir suchten ihn nun nach Kräften zu trösten und aufzuheitern. Ueber -der ganzen Sache würde bald Gras wachsen, sagten wir, und kein Mensch -würde mehr daran denken. Gegen Onkel Silas Verdacht zu schöpfen könne -niemand auch nur im Traum einfallen; er stehe in viel zu gutem Ruf und -sei so lieb und freundlich gegen jedermann. - -»Ueberlegt es doch nur,« sagte Tom mit großem Nachdruck, »es liegt -ja auf der Hand: Seit so und so vielen Jahren ist Onkel Silas hier -Prediger gewesen ohne einen Pfennig Gehalt; alles mögliche Gute hat -er gethan, von Alt und Jung wird er geliebt und geachtet. Wie sollte -er, der friedliebendste Mensch von der Welt, der sich nie in fremde -Angelegenheiten gemischt hat, dazu kommen, sich thätlich an jemand zu -vergreifen? Es kann gar kein Argwohn gegen ihn entstehen; das ist -ebenso gut ein Ding der Unmöglichkeit wie -- --« - -»Im Namen und Auftrag des Staates Arkansas verhafte ich Euch als den -Mörder des Jupiter Dunlap,« rief in diesem Augenblick der Sheriff an -der Thür. - -Es war furchtbar. Tante Sally und Benny klammerten sich weinend und -schreiend an Onkel Silas und wollten ihn nicht fortlassen; auch die -Neger liefen heulend herbei, es war ein herzzerreißender Auftritt und -ich machte, daß ich zum Haus hinauskam. - -Als er nach dem kleinen Dorfgefängnis geführt wurde, begleiteten wir -ihn alle, um ihm Lebewohl zu sagen. Tom hatte schon einen Plan fix und -fertig im Kopf, wie wir ihn in einer dunkeln Nacht heldenmütig befreien -wollten. Aber als er gegen Onkel etwas davon verlauten ließ, kam er -übel an. Der arme Alte meinte, es sei seine Pflicht, zu dulden, was -das Gesetz über ihn verhänge; selbst wenn die Thür des Gefängnisses -offen stünde, würde er von dort nicht wanken und weichen. Natürlich war -Tom sehr enttäuscht, doch mußte er sich drein ergeben. Den Gedanken, -seinen Onkel zu befreien, gab er aber deshalb noch lange nicht -auf; er betrachtete das als seine Schuldigkeit, denn er fühlte sich -gewissermaßen verantwortlich für ihn. - -Er versprach auch Tante Sally, daß er Tag und Nacht nicht ruhen würde, -bis er Onkels Unschuld ans Licht gebracht hätte, sie solle sich nur -keinen Kummer machen. Tante umarmte ihn zärtlich, dankte ihm und sagte, -sie sei überzeugt, er werde alles thun, was in seinen Kräften stehe. -Dann bat sie uns noch, wir möchten Benny helfen das Haus und die Kinder -zu versorgen, und nachdem wir mit Thränen von ihr Abschied genommen -hatten, kehrten wir nach der Farm zurück. Tante wollte bei der Frau des -Gefängniswärters wohnen bleiben, bis im Oktober die Gerichtsverhandlung -stattfand. - - - - -Elftes Kapitel. - - -Der nächste Monat war für uns alle sehr traurig. Die arme Benny nahm -sich zusammen, so gut sie konnte; auch Tom und ich trugen unser -möglichstes zur allgemeinen Aufheiterung bei, aber das half wenig. -Wir besuchten die alten Leute jeden Tag, was furchtbar trübselig war. -Onkel Silas hatte meist schlaflose Nächte oder er wandelte im Schlaf; -sein Aussehen war erbärmlich, auch nahm er körperlich und geistig so -sehr ab, daß wir alle fürchteten, er würde vor Kummer krank werden und -sterben. - -Wenn wir ihm Mut zusprachen, schüttelte er nur den Kopf und meinte, wir -wüßten nicht, welche Last es wäre, einen Mord auf der Seele zu tragen, -sonst würden wir anders reden. Wie oft wir ihm auch wiederholten, daß -es kein Mord, sondern fahrlässiger Todschlag wäre, er ließ sich nicht -davon abbringen. Ja, als der Tag der Verhandlung näher rückte, war er -ganz bereit einzugestehen, er habe den Mann mit Vorbedacht getötet. Das -verschlimmerte die Sache natürlich hundertfach; Tante Sally und Benny -verzehrten sich fast vor Angst. Doch nahmen wir Onkel das Versprechen -ab, daß er im Beisein anderer keine Silbe von dem Mord sagen wolle und -das war wenigstens ein Trost. - -Den ganzen Monat über zerbrach sich Tom den Kopf, um einen Ausweg zu -finden. Viele Nächte mußte ich mit ihm aufbleiben und Pläne schmieden, -aber wir arbeiteten uns nur unnütz ab, es führte alles zu nichts. -Ich war zuletzt so mutlos und niedergeschlagen, daß ich Tom riet es -aufzugeben; doch er war anderer Meinung und ließ nicht nach, sich mit -immer neuen Entwürfen das Hirn zu zermartern. - -So kam Mitte Oktober der Tag der Gerichtsverhandlung. Wir waren alle -da und der Saal natürlich gedrängt voll. Der arme alte Onkel Silas sah -selbst fast aus wie ein Toter, so hohläugig, abgezehrt und jämmerlich. -Benny und Tante Sally saßen ihm rechts und links zur Seite, tief -verschleiert und gramerfüllt. Aber Tom saß bei unserm Verteidiger -und redete in alles mit herein; der Anwalt ließ ihn gewähren und der -Richter auch. Manchmal hielt er’s für besser, dem Verteidiger die Sache -ganz aus der Hand zu nehmen, denn der war nur ein Winkeladvokat und -verstand so gut wie gar nichts. - -Die Vereidigung der Geschworenen war vorüber und der öffentliche -Ankläger hielt seine Rede. Er sagte so schreckliche Dinge von Onkel -Silas, daß Tante Sally und Benny zu weinen anfingen. Was er über den -Mord berichtete, nahm uns fast den Atem, es war so ganz anders als -Onkels Erzählung. Er sagte, er werde beweisen, daß zwei zuverlässige -Zeugen gesehen hätten, wie Onkel Silas den Jupiter Dunlap umgebracht -habe. Es sei mit Vorbedacht geschehen, denn er habe gerufen, er wolle -ihn kalt machen, während er mit dem Knüttel zuschlug, dann habe er -Jupiter ins Gebüsch geschleppt, der sei aber schon ganz tot gewesen. -Später sei Onkel Silas wiedergekommen und habe die Leiche ins Tabakfeld -geschafft, was zwei Männer bezeugen könnten. In der Nacht habe er sie -dann begraben und sei auch dabei von jemand beobachtet worden. - -Ich sagte mir, der arme alte Onkel müsse uns belogen haben, weil er -sich darauf verließ, daß ihn niemand gesehen hätte und er Tante Sally -und Benny nicht das Herz brechen wollte. Daran hatte er ganz recht -gethan; jeder, der nur das geringste Gefühl im Leibe hatte, würde auch -gelogen haben, um den beiden, die doch gar nichts dafür konnten, Kummer -und Herzeleid zu ersparen. Unser Verteidiger machte ein bedenkliches -Gesicht und auch Tom war einen Augenblick wie auf den Mund geschlagen, -doch nahm er sich rasch wieder zusammen und that ganz zuversichtlich --- aber es war ihm schlecht dabei zu Mute, das weiß ich. Unter den -Zuhörern entstand eine furchtbare Aufregung während der Rede. - -Als der Ankläger fertig war, setzte er sich und die Zeugen wurden -aufgerufen. Zuerst kamen mehrere um zu beweisen, daß Onkel Silas dem -Ermordeten feindlich gesinnt gewesen war. Sie sagten, sie hätten ihn -öfters Drohungen gegen Jupiter ausstoßen hören; es sei zuletzt so -schlimm geworden, daß alle Welt darüber gesprochen habe. Der Ermordete, -dem um sein Leben bangte, habe gegen mehrere von ihnen geäußert, Onkel -Silas würde ihn gewiß noch einmal umbringen. - -Das Kreuzverhör, das Tom und unser Verteidiger mit diesen Zeugen -anstellten, nützte nichts; sie beharrten bei ihrer Aussage. - -Zunächst betrat Lem Beebe den Zeugenstand. Das rief mir den Tag unserer -Ankunft ins Gedächtnis, wie Lem mit Jim Lane an uns vorbeigegangen war -und gesagt hatte, er wollte sich einen Hund von Jupiter Dunlap borgen. -Alles zog wieder an meiner Erinnerung vorüber: Bill und Hans Withers, -die von einem Neger redeten, der Onkel Silas Korn gestohlen hatte, und -unser Geist, der aus dem Ahornwäldchen kam und uns so erschreckte. -Der saß jetzt leibhaftig vor mir und nahm als Taubstummer und Fremder -obendrein einen besondern Stuhl innerhalb der Schranken ein; da konnte -er gemütlich die Beine übereinander schlagen, während die übrigen -Zuhörer so zusammengepfercht waren, daß sie kaum Platz zum Atemholen -hatten. - -Lem Beebe leistete den Eid und begann: »Am zweiten September gegen -Sonnenuntergang ging ich mit Jim Lane am Zaun des Angeklagten vorbei. -Da hörten wir lautes Reden und Streiten, ganz in unserer Nähe, nur das -Haselgebüsch war dazwischen. Wir erkannten die Stimme des Angeklagten, -welche rief: ›Ich hab’ dir’s oft gesagt, ich bringe dich noch um!‹ dann -sahen wir einen Knüttel, der hoch emporgehoben wurde und wieder hinter -dem Gebüsch verschwand; wir hörten einen dumpfen Schlag und gleich -darauf ein Aechzen. Nun krochen wir leise näher und als wir durch den -Zaun guckten, sahen wir Jupiter Dunlap tot am Boden liegen und neben -ihm stand der Angeklagte mit dem Knüttel in der Hand. Er schleppte die -Leiche fort, um sie zu verbergen; wir aber duckten uns, damit wir nicht -gesehen würden und machten, daß wir wegkamen.« - -Es war schrecklich. Den Zuhörern erstarrte fast das Blut in den Adern -und im ganzen Saal herrschte lautlose Stille. Erst als der Zeuge -fertig war, hörte man die Leute seufzen und stöhnen und sie sahen -einander mit entsetzten Mienen an. - -Am meisten mußte ich mich aber über Tom verwundern. Bei den ersten -Zeugen hatte er aufgepaßt wie ein Schweißhund und sobald einer mit -seiner Aussage zu Ende war, fuhr er drauf los und that alles, was -er konnte, um ihn auf Unwahrheiten zu ertappen und sein Zeugnis zu -entkräften. Auch jetzt, als Lem anfing und nichts davon sagte, daß -er mit Jupiter gesprochen hatte und sich seinen Hund borgen wollte, -glühte Tom vor Eifer und ich merkte, wie er nur darauf lauerte, Lem ins -Kreuzverhör zu nehmen. Dann dachte ich, würden wir beide als Zeugen -auftreten und erzählen, was wir aus Lems eigenem Munde gehört hatten. -Ich sah wieder zu Tom hin, aber der war auf einmal wie ausgewechselt. -Er hörte gar nicht mehr auf das, was Lem sagte, sondern saß ganz in -sich versunken da, als schweiften seine Gedanken in weiter, weiter -Ferne. Als Lem fertig war, stieß unser Verteidiger Tom mit dem -Ellenbogen an; einen Augenblick sah er verwirrt auf und meinte: »Nehmen -Sie den Zeugen ins Verhör, wenn Sie wollen; aber mich lassen Sie in -Ruhe -- ich muß nachdenken.« - -Na, da hörte doch alles auf; es ging über meine Begriffe. Ich sah -auch wie Benny und ihre Mutter den Schleier zurückschoben und mit -angstvoller Miene nach Tom hinschauten, um seinem Blick zu begegnen, -aber sie bemühten sich vergebens, er starrte immer nur auf einen Fleck. -Der Winkeladvokat nahm zwar den Zeugen vor, brachte aber nichts heraus -und verdarb die Geschichte noch vollends. - -Dann wurde Jim Lane aufgerufen; er erzählte den Vorgang genau ebenso. -Tom aber gab gar nicht acht; er saß noch immer in tiefen Gedanken da -und merkte nicht, was um ihn her vorging. Der Verteidiger mußte wieder -ganz allein fragen, und auch das Ergebnis war das gleiche. Nun schaute -der öffentliche Ankläger sehr befriedigt drein, aber der Richter machte -ein verdrießliches Gesicht, denn Tom versah fast die Stelle eines -richtigen Advokaten. In Arkansas durfte der Angeklagte nämlich nach -dem Gesetz wen er wollte, zum Beistand seines Verteidigers wählen. Tom -hatte Onkel Silas überredet, ihm den Fall anzuvertrauen, und nun that -er nichts zur Sache, was dem Richter natürlich unangenehm war. - -Schließlich fragte der Verteidiger Lem und Jim: »Warum habt ihr nicht -gleich angezeigt, was ihr gesehen hattet?« - -»Wir fürchteten, selbst in die Sache verwickelt zu werden,« lautete die -Antwort. »Als wir aber hörten, daß nach dem Leichnam gesucht wurde, -sind wir gleich zu Brace Dunlap gegangen und haben ihm alles erzählt.« - -»Wann war das?« - -»Samstag abend, den 9. September.« - -Hier ließ sich der Richter vernehmen: - -»Sheriff,« sagte er, »verhaften Sie diese beiden Zeugen als Hehler des -Mordes.« - -»Herr Richter,« rief der Ankläger in großer Erregung, »ich erhebe -Einspruch gegen dieses außergewöhnliche -- --« - -»Setzen Sie sich,« erwiderte der Richter und legte sein Dolchmesser vor -sich auf den Tisch. »Ich bitte, daß Sie dem Gerichtshof die schuldige -Achtung erweisen.« - -Der nächste Zeuge war Bill Withers. - -Nach seiner Vereidigung sagte er aus: »Ich kam am Samstag den 2. -September gegen Sonnenuntergang mit meinem Bruder Hans am Feld des -Gefangenen vorbei, da sahen wir einen Mann, der eine schwere Last auf -dem Rücken trug. Wir konnten ihn nur undeutlich sehen, aber es schien, -als schleppe er einen Menschen, dessen Glieder so schlaff herabhingen, -daß wir meinten, er müsse wohl betrunken sein. Nach dem Gang des Mannes -zu urteilen, war es Pastor Silas und wir dachten, er hätte vielleicht -den Trunkenbold Sam Cooper, den er schon lange zu bessern versucht, im -Straßengraben gefunden und schaffte ihn nun nach Hause.« - -Den Leuten grauste, als sie sich vorstellten, wie der alte Onkel Silas -den Ermordeten in seine Tabakpflanzung geschleppt hatte, wo der Hund -hernach die Leiche aufwühlte. Viel Mitgefühl war aber nicht in den -Gesichtern zu lesen, und einer sagte zu seinem Nachbar: »Schauderhaft, -den Toten so herumzutragen und dann im Boden zu verscharren, wie das -erste beste Tier -- und so was kann ein Pastor thun!« - -Auch diesen Zeugen mußte der Verteidiger allein vornehmen; Tom war wie -blind und taub, er rührte sich nicht. - -Nach Bill kam Hans Withers und wiederholte alles, was sein Bruder -gesagt hatte. - -Dann wurde Brace Dunlap aufgerufen. Der sah so kummervoll aus, als ob -ihm das Weinen nahe wäre. Im Saal entstand eine große Bewegung; alle -horchten auf, um ja kein Wort zu verlieren; die Weiber flüsterten: »Der -arme Mensch!« und viele sah man sich die Augen trocknen. - -Brace Dunlap leistete den Eid, dann sagte er: - -»Ich war schon lange in Sorge um meinen armen Bruder, doch hoffte ich -immer noch, die Sachen stünden nicht so schlimm wie er sie schilderte. -Wie hätte ich auch denken sollen, daß es irgend jemand übers Herz -bringen würde, einem so harmlosen Geschöpf ein Leid anzuthun. Und daß -gar der Pastor ihm nach dem Leben trachtete, konnte mir gar nicht in -den Sinn kommen. Aber nie, nie werde ich mir vergeben, daß ich der -Sache nicht gleich ein Ende gemacht habe; hätte ich das gethan, so -wäre mein armer unschuldiger Bruder heute noch am Leben, und nun liegt -er dort drüben -- grausam ermordet.« Die Rührung übermannte ihn; er -mußte eine Weile warten, weil ihm die Stimme versagte. Von allen Seiten -wurden teilnahmvolle Worte laut und die Weiber weinten. Dann entstand -eine feierliche Stille; nur der arme alte Onkel Silas stöhnte aus -tiefster Brust, so daß es jedermann hörte. - -Brace fuhr fort: »Samstag den 2. September kam er nicht zum Nachtessen -heim. Als es spät wurde, schickte ich einen meiner Neger nach der -Wohnung des Angeklagten; aber dort war mein Bruder nicht. Meine Unruhe -wuchs; zwar legte ich mich zu Bette, aber an Schlaf war nicht zu -denken. In der Nacht stand ich noch einmal auf, ging nach dem Hause -des Angeklagten und irrte da lange umher in der Hoffnung, meinen armen -Bruder zu treffen. Ach, ich wußte ja nicht, daß er schon aus aller -Not in ein besseres Jenseits entrückt war.« Wieder versagte ihm die -Stimme und man hörte die Weiber schluchzen. Bald nahm Brace einen neuen -Anlauf: »Das Warten war vergebens. Ich ging heim und legte mich nieder. -Ein paar Tage später gerieten die Nachbarn auch in Sorge und fingen -an, von den Drohungen zu reden, die der Angeklagte ausgestoßen hatte. -Ihre Ansicht, daß mein Bruder ermordet sei, teilte ich nicht; aber -das Gerücht verbreitete sich, man fing an, nach der Leiche zu suchen. -Ich war der Meinung, mein Bruder habe sich irgendwohin geflüchtet, um -etwas Ruhe zu haben und er werde über kurz oder lang zurückkehren. Da -kamen am Samstag den 9. Lem Beebe und Jim Lane noch spät abends zu -mir und erzählten mir alles -- so erfuhr ich den gräßlichen Mord, der -mir fast das Herz brach. Zugleich erinnerte ich mich an einen Umstand, -auf den ich vorher kein großes Gewicht legte, weil ich gehört hatte, -der Angeklagte sei ein Nachtwandler und thue im Schlaf allerlei, wovon -er kein Bewußtsein habe. In jener schrecklichen Nacht, am Samstag -nämlich, als ich voll Sorge und Kummer umherirrte, kam ich auch an -die Tabakpflanzung des Angeklagten und hörte ein Geräusch, als ob der -Boden aufgegraben würde. Ich schlich näher und sah durch die Hecke -einen Mann, der Erde in ein Loch schaufelte, das schon fast zugefüllt -war. Er stand mit dem Rücken nach mir, aber im Mondlicht erkannte ich -den Angeklagten an seinem alten grünen Arbeitskittel mit dem weißen -Flicken zwischen den Schultern, der aussieht, als hätte ihn jemand mit -einem Schneeball geworfen. Er war gerade beschäftigt, den Mann, _den er -erschlagen hatte, im Boden zu verscharren_.« - -Weinend und schluchzend sank Brace auf seinen Stuhl nieder und -durch den ganzen Saal ging ein Klagegestöhn. »Wie schauderhaft, wie -gräßlich!« klang es von allen Seiten; die Unruhe nahm mit jeder Minute -zu. Da auf einmal erhob sich der alte Onkel Silas; er sah so weiß aus, -wie ein Tuch und rief: - -»_Es ist alles buchstäblich wahr -- ich habe ihn mit kaltem Blute -umgebracht!_« - -Die Leute waren erst starr vor Schrecken, dann entstand ein wilder -Lärm. Jeder sprang von seinem Sitze auf und reckte den Hals, um besser -sehen zu können. Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch und -der Sheriff kreischte: »Ruhe und Ordnung im Gerichtssaal -- Ruhe!« - -Von alledem schien Tom Sawyer nicht das mindeste zu merken. Wahrhaftig, -da saß er, starrte ins Leere und schaute auch nicht ein einzigesmal -nach Onkel Silas hin. - -Unterdessen stand der alte Mann noch immer hoch aufgerichtet, mit -glühenden Blicken und an allen Gliedern bebend da. Er wehrte seine -Frau und Tochter ab, die sich an ihn klammerten und flehten, er solle -schweigen. Nein, er _wollte_ das Verbrechen nicht mehr auf der Seele -haben, er _wollte_ die Last abwälzen, unter der er erliegen mußte, -keine Stunde länger wollte er sie tragen. Und während alle Zuschauer -ihn entsetzt anstarrten, während der Richter, die Geschworenen, die -Anwälte nach Atem rangen, während Benny und Tante Sally schluchzten, -daß es einen Stein erbarmen konnte, floß dem alten Mann sein grausiges -Bekenntnis über die Lippen, wie ein Strom, der aus seinen Ufern bricht: - -»Ich habe ihn umgebracht. Ich bin der Schuldige! Doch hatte ich noch -nie im Leben daran gedacht, ihm Schaden oder Leid zuzufügen, bis zu dem -Augenblick, als ich den Stock erhob. Daß ich ihm schon früher gedroht -haben soll, ist nicht wahr. Ganz plötzlich ward es mir eiskalt ums -Herz, alles Mitleid war verflogen, ich wollte ihn töten und schlug zu. -In dem Moment kam mir alles zum Bewußtsein, was ich erlitten hatte, -aller Schimpf, den mir der Mann und sein schurkischer Bruder dort -angethan, die zusammen darauf ausgegangen waren, mich bei den Leuten in -Verruf zu bringen, mir den guten Namen abzuschneiden und mich solange -zu quälen, bis ich eine That beging, die mich und die Meinigen ins -Verderben stürzte, während wir ihnen doch, weiß Gott, nie etwas zuleide -gethan hatten. Es war nichts, als gemeine Rache von ihnen. Und wofür? --- Bloß weil meine arme unschuldige Tochter hier den reichen, frechen -und feigen Nichtsnutz, den Brace Dunlap, nicht heiraten wollte, der -jetzt solchen Schmerz um seinen Bruder heuchelt, dem er sein Lebtag -nichts Gutes gegönnt hat. -- In jenem Augenblick vergaß ich mein -Seelenheil und dachte nur an meinen bittern Groll -- ich schlug zu, um -meinen Feind zu töten -- verzeih mir’s Gott! -- Sofort that mir’s von -Herzen leid, mich überfiel die Reue; doch dachte ich an die Meinigen -und um ihretwillen wollte ich meine Missethat verbergen. Erst schleppte -ich die Leiche ins Gebüsch und später in das Tabakfeld. Im nächtlichen -Dunkel schlich ich mich dorthin und begrub den Erschlagenen -- --« - -Auf einmal schnellte Tom von seinem Sitz in die Höhe: »Jetzt hab’ -ich’s,« rief er triumphierend und streckte die Hand mit förmlich -hoheitsvoller Gebärde nach dem alten Mann aus. - -»Setz’ dich, Onkel! Es ist zwar ein Mord verübt worden, aber du bist’s -nicht gewesen, der ihn begangen hat.« - -Im Nu wurde es totenstill im Saal. Der Alte sank verwirrt auf seinen -Stuhl; Tante Sally und Benny starrten Tom mit offenem Munde an und -auch die übrigen Anwesenden wußten kaum, wo ihnen der Kopf stand, vor -maßlosem Staunen und unbeschreiblicher Ueberraschung. - -»Darf ich reden, Herr Präsident?« - -»Um Gottes willen ja -- so sprich doch!« rief der Richter, der seinen -Ohren nicht traute. - -Tom stand und wartete noch ein paar Sekunden -- um die Wirkung zu -erhöhen, wie er es nennt -- dann begann er mit größter Gelassenheit: - -»Seit etwa zwei Wochen ist hier vorn am Gerichtshause eine -Bekanntmachung angeschlagen, in der eine Belohnung von 2000 Dollars -für Wiedererlangung von zwei großen Diamanten geboten wird, die in St. -Louis gestohlen worden sind. Die Diamanten sind zwölftausend Dollars -wert. Doch darauf komme ich später zurück. Jetzt will ich von dem Mord -reden und sagen, wie es dazu kam, wer ihn begangen hat -- und alle -Einzelheiten.« - -Nein, wie sie alle die Köpfe vorstreckten und horchten, damit ihnen -kein Wort entginge! -- - -»Der Mann hier, der jetzt so um seinen toten Bruder jammert, für -den er, solange er lebte, keinen Pfifferling gegeben hätte, wie ihr -recht wohl wißt -- dieser Brace Dunlap wollte das junge Mädchen dort -heiraten, aber sie nahm ihn nicht. Da drohte er Onkel Silas, das -sollte ihnen noch allen teuer zu stehen kommen. Onkel wußte, daß er -gegen solchen Mann nichts auszurichten vermochte; das ängstigte ihn -sehr und er that alles Erdenkliche, um ihn zu besänftigen und wieder -zu versöhnen. Er nahm sogar seinen nichtsnutzigen Bruder Jupiter als -Arbeiter auf die Farm und sparte sich und den Seinigen den Lohn, den -er ihm zahlte, am eigenen Leibe ab. Jupiter aber that alles, was sein -Bruder nur ersinnen konnte, um Onkel Silas zu beleidigen, zu ärgern und -zu quälen, damit Onkel sich vom Zorn fortreißen ließe und so um seinen -guten Ruf kam. Der Plan gelang. Alle wandten sich von Onkel ab und -glaubten den ausgestreuten Verleumdungen. Das nahm sich der alte Mann -so zu Herzen, daß er vor lauter Kummer und Trübsal oft gar nicht recht -bei Sinnen war. - -»An jenem schrecklichen Samstag nun, kamen die zwei Zeugen Lem Beebe -und Jim Lane an dem Acker vorüber, wo Onkel Silas und Jupiter bei der -Arbeit waren -- so viel von ihrer Aussage ist wahr, das übrige sind -lauter Lügen. Sie haben weder Onkel Silas sagen hören, daß er Jupiter -umbringen wollte, noch haben sie ihn den Schlag führen sehen. Den -Leichnam haben sie auch nicht erblickt und ebenso wenig, daß Onkel -etwas im Gebüsch verborgen hat. -- Seht sie nur an, wie sie jetzt -dasitzen und wünschen, sie hätten ihre Zungen besser im Zaum gehalten. -Sie werden noch ganz andere Gesichter machen, wenn ich alles erst ins -reine gebracht habe. - -»An dem nämlichen Samstag abend haben Bill und Hans Withers gesehen, -wie ein Mann den andern auf der Schulter fortschleppte. Soweit haben -sie die Wahrheit gesprochen, das andere ist erlogen. Zuerst glaubten -sie, ein Neger hätte dem Onkel Silas Korn gestohlen. -- Seht nur, wie -verdutzt sie jetzt dreinschauen, weil sie erfahren, daß jemand sie das -hat sagen hören. Später ist’s ihnen sonnenklar geworden, wer die Leiche -fortgeschafft hat, und sie wissen recht gut, warum sie hier vor Gericht -geschworen haben, sie hätten Onkel Silas am Gang erkannt. Er war’s aber -doch nicht, und das wußten die meineidigen Zeugen ebenfalls. - -»Es ist möglich, daß ein Mann beim Mondenschein gesehen hat, wie der -Leichnam in der Tabakpflanzung vergraben wurde -- aber Onkel Silas hat -nichts damit zu thun gehabt. Der lag zu selbiger Zeit daheim in seinem -Bett. - -»Ehe ich weiter erzähle, möchte ich die Anwesenden noch daran erinnern, -daß viele Menschen, wenn sie tief in Gedanken geraten oder innerlich -erregt sind, die Gewohnheit haben, irgend etwas mit ihren Händen zu -thun, ohne es zu wissen. Sie fassen sich ans Kinn oder an die Nase, -drehen an einem Knopf oder ihrer Uhrkette, streichen sich übers Haar -oder den Bart. Manche zeichnen sich auch mit dem Finger ein Bild -oder einen Buchstaben ins Gesicht. Das ist meine Manier. Wenn mich -etwas quält oder ärgert, oder wenn ich recht nachdenke, male ich mir -immerfort ein großes ~V~ auf die Backe oder das Kinn und meistens merke -ich selbst gar nichts davon.« - -Komisch! Mir geht das ebenso. Nur mache ich ein ~O~. Ich sah auch, wie -die Leute im Saal einander anstießen und zunickten, was so viel heißen -sollte, wie: Ja, so ist’s! - -»Am selben Samstag -- nein, es war am Abend vorher --« fuhr Tom fort, -»lag ein Dampfboot an der Landungsbrücke vierzig Meilen flußaufwärts -von hier; es stürmte und regnete, was nur vom Himmel wollte. An Bord -war der Dieb, der die zwei großen Diamanten gestohlen hatte, von -denen die Bekanntmachung hier am Gerichtshaus redet. Er schlich sich -mit seinem Reisesack ans Land, ging in die dunkle Sturmnacht hinaus -und hoffte, diese Stadt mit heiler Haut zu erreichen. Allein auf dem -Dampfboot hielten sich auch zwei seiner Genossen verborgen, welche, wie -er wußte, nur auf die Gelegenheit lauerten, ihn umzubringen, um die -Diamanten zu bekommen. Die drei Spießgesellen hatten die Edelsteine -nämlich miteinander gestohlen, jener erste Dieb aber hatte sie -eingesteckt und sich damit aus dem Staube gemacht. - -»Na, er war kaum zehn Minuten fort, als seine Genossen Lunte rochen. -Sie sprangen ans Land und jagten hinter ihm drein. Wie sie seine Spur -gefunden haben, weiß ich nicht, aber den ganzen Samstag über blieben -sie ihm auf den Fersen und gaben dabei acht, daß er sie nicht zu -Gesicht bekam. Gegen Sonnenuntergang erreichte er das Ahornwäldchen -bei Onkel Silas’ Tabakpflanzung und schlich hinein, um die Verkleidung -anzulegen, die er im Reisesack trug und in der er sich den Leuten -zeigen wollte. -- Das geschah ungefähr zur selben Zeit, als Onkel -Silas den Jupiter Dunlap mit dem Knüttel schlug -- denn, daß er ihn -geschlagen hat, ist richtig. - -»Kaum hatten aber die Verfolger ihren Diebsgenossen in das Wäldchen -treten sehen, als sie aus dem Gebüsch sprangen und ihm nachliefen. Ohne -Gnade und Barmherzigkeit fielen sie über ihn her und schlugen ihn tot, -wie laut er auch heulte und schrie. - -»Zwei Männer, die auf der Straße gelaufen kamen, hatten das -Angstgeschrei gehört; sie drangen in das Wäldchen ein, -- das ohnehin -ihr Ziel gewesen war -- verjagten die Mörder und verfolgten sie in -atemloser Hast. Aber nur eine Strecke weit; dann kehrten die zwei -Männer verstohlen nach dem Ahornwäldchen zurück. - -»Was thaten sie aber dort? -- Das will ich euch sagen: Sie fanden -den Ermordeten samt dem Reisesack, der alles enthielt, was zu der -Verkleidung gehörte. Die legte nun einer der Männer an, nachdem er -seine eigenen Kleider ausgezogen hatte.« - -Hier machte Tom eine kleine Pause -- natürlich wegen der Wirkung -- -dann sagte er mit Nachdruck: »Der Mann, welcher die Verkleidung des -Erschlagenen anlegte, war -- _Jupiter Dunlap_!« - -»Gerechter Himmel!« Ein Schrei der Ueberraschung ging durch den Saal -und in Onkel Silas’ Gesicht spiegelte sich maßloses Erstaunen. - -»Ja, es war Jupiter Dunlap, der folglich nicht tot sein konnte. Er zog -dem Ermordeten die Stiefel aus und vertauschte sie gegen seine eigenen -abgetragenen Schuhe; diese, sowie seine übrigen Sachen wurden der -Leiche angelegt. Jupiter Dunlap blieb nun wo er war, der andere Mann -aber schleppte den Leichnam im Dämmerlicht nach der Tabakpflanzung; um -Mitternacht schlich er sich dann in Onkel Silas’ Haus, nahm den grünen -Arbeitskittel von dem Nagel im Gang zwischen dem Haus und der Küche, -wo er immer hängt, zog ihn an, holte die große Schaufel und ging damit -nach dem Feld, wo er den Toten begrub.« - -Jetzt stand Tom wohl eine Minute schweigend da. Dann fuhr er fort: -»Wer aber glaubt ihr, daß der Ermordete war? -- Kein anderer, als Jack -Dunlap, der längst verschollene Einbrecher!« - -»Gerechter Himmel!« - -»Und der Mann, der ihn begraben hat, war sein Bruder -- Brace Dunlap.« - -»Gerechter Himmel!« - -»Der Fremde dort aber, der jetzt ein so blödsinniges Gesicht macht und -sich seit Wochen gestellt hat, als ob er taub und stumm wäre, das ist --- Jupiter Dunlap!« - -Solches Gebrüll, solcher Wirrwarr wie jetzt entstand, ist mir all -mein Lebtag nicht vorgekommen. Tom sprang auf Jupiter zu, er riß ihm -die Brille samt dem falschen Bart herunter und siehe, da stand der -Ermordete leibhaftig da und war ganz und gar nicht tot. Tante Sally -und Benny fielen Onkel Silas um den Hals und erstickten ihn fast mit -ihren Küssen und Liebkosungen, so daß der alte Mann noch erstaunter und -verwirrter dreinschaute, als je zuvor. - -Nun aber fing die ganze Versammlung an zu schreien: »Tom Sawyer, Tom -Sawyer! Er soll weiter reden! Stille! Stille! Tom Sawyer soll uns alles -berichten!« - -Na, das schmeichelte Tom nicht wenig. Ich weiß, ihm ist nichts lieber, -als wenn er in der Oeffentlichkeit auftreten und eine Heldenrolle -spielen kann, wie er’s nennt. Als sich der Lärm wieder gelegt hatte, -sagte er: - -»Der Rest ist bald erzählt. Es war dem Brace Dunlap gelungen, Onkel -Silas durch seine Quälereien so zur Verzweiflung zu bringen, daß -er fast von Sinnen kam und seinem nichtsnutzigen Bruder den Schlag -versetzte. Nun lief Jupiter nach dem Wald, um sich da zu verstecken, -und der Plan war vermutlich, daß er bei Nacht außer Landes gehen -sollte. Dann konnte Brace das Gerücht verbreiten, Onkel Silas habe -seinen Bruder umgebracht und die Leiche irgendwo versteckt. Dadurch -war Onkel zu Grunde gerichtet; er mußte den Ort verlassen, ja er kam -vielleicht an den Galgen. Als die beiden aber den Toten im Wäldchen -fanden -- ohne zu wissen, daß es ihr Bruder war, denn die Mörder hatten -ihn arg zugerichtet -- da änderten sie den Plan. Sie verkleideten -alle beide, begruben Jack und als die Leiche aufgefunden wurde, hatte -sie Jupiters Kleider an. Jim Lane und die andern Zeugen ließen sich -bestechen, ein paar Lügen zu beschwören, die in Brace Dunlaps Kram -paßten. Seht nur, wie übel ihnen jetzt zu Mute ist -- ich hab’s ja -vorausgesagt. - -»Wir sind nämlich auf dem Dampfboot mit den Dieben flußabwärts -gefahren, Huck Finn und ich. Da erzählte uns der Tote von den Diamanten -und sagte, seine Genossen würden ihn umbringen, sobald sie könnten und -wir versprachen ihm nach Kräften beizustehen. Eben wollten wir nach dem -Ahornwäldchen, da hörten wir sein Todesgeschrei; als wir aber am frühen -Morgen nach dem Gewitter wieder hinkamen, fanden wir keine Leiche -und meinten, es wäre am Ende gar kein Mord begangen worden. Wir sahen -Jupiter in derselben Verkleidung herumstolzieren, die Jack uns gezeigt -hatte und die er anziehen wollte. Natürlich glaubten wir, es wäre Jack -selbst, der sich taubstumm stellte, wie verabredet war. - -»Nun suchten wir, Huck und ich, nach der Leiche, als die andern es -aufgaben; wir fanden sie auch und waren zuerst stolz darauf. Aber Onkel -Silas jagte uns einen furchtbaren Schreck ein mit der Behauptung, er -hätte Jupiter totgeschlagen. - -»Da der Leichnam durch uns ans Tageslicht gekommen war, fühlten wir uns -verpflichtet, für Onkels Rettung zu sorgen; aber das war ein schweres -Stück Arbeit, denn Onkel wollte sich nicht aus dem Gefängnis befreien -lassen, wie damals unser alter Neger Jim. - -»Den ganzen Monat lang dachte ich über ein Mittel nach, Onkel -Silas loszukriegen, doch mir fiel nichts ein. Als ich heute zur -Gerichtsverhandlung ging, wußte ich weder Rat noch Hilfe, mir kam kein -rettender Gedanke. Nicht lange aber, da beobachtete ich etwas, nur eine -winzige Kleinigkeit, aber sie brachte mich zum Nachdenken. Während -ich nun scheinbar im Sinnen verloren dasaß, war ich fortwährend auf -der Lauer und richtig, gerade als Onkel Silas uns all den Unsinn -auftischte, wie er Jupiter Dunlap umgebracht hatte, sah ich das Ding -wieder. Da sprang ich auf und unterbrach die Verhandlung, weil ich -wußte, daß Jupiter Dunlap dort leibhaftig vor mir saß. Ich erkannte ihn -an etwas, das er zu thun pflegte, als ich letztes Jahr hier war und das -er jetzt wieder that.« - -Tom wartete die Wirkung ein Weilchen ab, machte dann eine Bewegung, -als ob er sich setzen wollte und sagte in gleichgültigem Ton: »Na, ich -glaube, das ist alles!« - -Ein Geschrei aus hundert Kehlen ging durch den Saal: »Was hat er -gethan? Was war es, das du gesehen hast? Bleib’ stehen, du Teufelsjunge -und sag’ es uns. Denkst du, wir lassen uns so abspeisen, nachdem du uns -den Mund wässerig gemacht hast!« - -»O, es war gar nicht viel. Ich sah, wie er immer ängstlicher und -aufgeregter wurde, während sich Onkel Silas um den Hals redete, wegen -eines Mordes, der gar nicht begangen worden war -- auf einmal fuhr er -mit den Händen hin und her, hob seine Linke in die Höhe und zeichnete -sich mit dem Finger ein Kreuz auf die Backe -- da war ich meiner Sache -sicher.« - -Nun begann ein Beifallklatschen, ein Stampfen und Hochrufen, bis Tom -Sawyer sich kaum zu lassen wußte, vor lauter Stolz und Glück. Der -Richter blickte über den Tisch nach ihm hin und sagte: - -»Mein Sohn, hast du denn die verschiedenen Einzelheiten dieser -seltsamen Verschwörung und Tragödie, die du uns schilderst, alle selbst -gesehen?« - -»Nein, Herr Präsident, gesehen habe ich nichts davon!« - -»Nichts gesehen? -- Aber du hast uns ja die ganze Geschichte von Anfang -bis zu Ende erzählt, als ob du Augenzeuge gewesen wärest. Wie ist das -möglich?« - -»Ich habe nur die Thatsachen zusammengestellt, und dies und jenes -daraus gefolgert,« erwiderte Tom leichthin. »Es war ein kleines Stück -gewöhnliche Detektiv-Arbeit, die jedermann ausführen könnte.« - -»Ganz und gar nicht! Unter Millionen hätten das nicht zwei fertig -gebracht. Du bist wirklich ein merkwürdiger Junge!« - -»Tom Sawyer hoch! Hurra Tom Sawyer!« klang es wieder durch den Saal, -und Tom hätte den Triumph nicht für eine ganze Silbermine hergegeben. -Dann sagte der Richter: - -»Bist du denn aber auch sicher, daß sich die Geschichte ganz so -verhält, wie du sagst?« - -»Jawohl, Herr Richter. Da sitzen ja die Zeugen und niemand weiß ein -Wort dagegen zu sagen, weder Brace Dunlap noch sein Bruder. Auch -die andern, die sich ihre Lügen haben bezahlen lassen, sind jetzt -muckstill. Falls aber Onkel Silas Widerspruch erheben sollte, so würde -ich ihm nicht glauben und wenn er es eidlich versicherte.« - -Das kam den Zuhörern sehr komisch vor; sogar der Richter gab seine -würdevolle Haltung auf und lachte. Tom strahlte ordentlich vor Freude, -und als alle sich wieder gefaßt hatten, sagte er: - -»Herr Präsident, hier im Saal ist ein Dieb.« - -»Was, ein Dieb?« - -»Ja. Er hat die Diamanten für zwölftausend Dollars bei sich.« - -»Wo -- wo ist er? -- Wer ist es? -- Zeige ihn uns!« schrien alle -durcheinander. - -»Nenne ihn mir, mein Sohn, der Sheriff soll ihn festnehmen. Wer ist -es?« sagte der Richter. - -»Jupiter Dunlap, der Totgeglaubte.« - -Wieder entstand die grenzenloseste Aufregung; aber Jupiter, der vorher -schon ganz verdutzt gewesen war, schien jetzt förmlich versteinert vor -Ueberraschung. Endlich rief er in weinerlichem Ton: - -»Herr Präsident, das ist wirklich erlogen. Ich bin ja schon schlecht -genug ohne das. Alles andere habe ich gethan und bereue es jetzt sehr. -Brace hat mich dazu überredet und mir versprochen, er wollte mich über -kurz oder lang zum reichen Manne machen. Aber die Diamanten habe ich -nicht gestohlen. Gewiß und wahrhaftig, ich habe keine Diamanten, der -Sheriff kann mich durchsuchen soviel er will.« - -»Herr Präsident,« warf Tom ein, »es war vielleicht nicht richtig, daß -ich ihn einen Dieb genannt habe. Er hat die Diamanten gestohlen, ohne -es zu wissen. Sein Bruder Jack stahl sie den andern Dieben und Jupiter -stahl sie seinem Bruder Jack, als er tot am Boden lag. Seit einem Monat -läuft er mit den Zwölftausend-Dollar-Diamanten hier herum, als wenn er -ein armer Mann wäre. Auch jetzt trägt er diesen ganzen Reichtum bei -sich.« - -»Durchsucht ihn, Sheriff,« sagte der Richter. - -Der Sheriff durchsuchte ihn von Kopf bis zu Fuß: seinen Hut, die -Socken, die Nähte seiner Kleider, die Stiefel, kurz, alles. Tom stand -ruhig dabei und paßte auf den geeigneten Moment. Endlich gab es der -Sheriff auf. Enttäuschung malte sich in allen Mienen und Jupiter sagte: - -»Da seht ihr doch, daß ich recht hatte!« - -»Diesmal hast du dich wohl geirrt, mein Sohn,« äußerte der Richter. - -Tom nahm eine nachdenkliche Stellung an; er schien sich aus allen -Kräften zu besinnen und kratzte sich verlegen den Kopf. Plötzlich -machte er ein vergnügtes Gesicht. - -»Jetzt hab’ ich’s,« sagte er aufschauend. »Ich hatte es bloß vergessen.« - -Tom sprach nicht die Wahrheit, das wußte ich; doch er fuhr ruhig fort: - -»Will jemand so gut sein mir einen kleinen Schraubenzieher zu leihen? -In dem Reisesack Eures Bruders, den Ihr Euch angeeignet habt, Jupiter, -ist einer gewesen, aber den habt Ihr wohl nicht mitgenommen?« - -»Nein, ich konnte ihn nicht brauchen und hab’ ihn weggegeben.« - -»Weil Ihr nicht wußtet, wozu er dienen sollte.« - -Sobald Tom den Schraubenzieher bekam, forderte er Jupiter auf, der nach -der Durchsuchung die Stiefel wieder angezogen hatte, einen Fuß auf den -Stuhl zu stellen; dann kniete er nieder und schraubte das Plättchen -vom Absatz ab. Als er den großen Diamanten zum Vorschein brachte und -ihn im Sonnenschein funkeln ließ, waren die Leute ganz außer sich vor -Verwunderung. Nun holte Tom auch den Diamanten aus dem andern Absatz -und Jupiters Miene wurde immer trübseliger. Er mochte wohl denken, daß -er hätte auf und davongehen und als ein reicher, gemachter Mann im -Ausland leben können, wäre er klug genug gewesen, zu erraten, wozu der -Schraubenzieher im Reisesack steckte. Jetzt erntete Tom Lob und Ruhm -nach Herzenslust. Der Richter nahm die Diamanten an sich, stand auf, -schob seine Brille in die Höhe, räusperte sich und sagte: - -»Ich werde sie verwahren und dem Eigentümer Anzeige machen. Wenn er -sie dann abholen läßt, wird es mir ein großes Vergnügen bereiten, dir, -mein Sohn, die zweitausend Dollars Belohnung einzuhändigen. Du hast -aber nicht nur dies Geld verdient, sondern auch den aufrichtigen Dank -der ganzen Bürgerschaft. Durch dich ist eine unschuldige Familie vor -Schmach und Verderben gerettet worden und ein ehrenwerter Mann vor dem -Verbrechertode. Obendrein ist es dir gelungen, die Schändlichkeit eines -grausamen, verruchten Schurken und seiner elenden Helfershelfer ans -Licht zu ziehen und der Gerechtigkeit einen großen Dienst zu erweisen.« - -Wäre nur noch ein Musikchor zur Stelle gewesen, um einen Tusch zu -blasen, so hätte nach meiner Meinung die Sache gar keinen schöneren -Abschluß finden können; darin stimmte Tom Sawyer ganz mit mir überein. - -Der Sheriff nahm nun Brace Dunlap und seine Spießgesellen in Haft; -einige Wochen später ward ihnen der Prozeß gemacht und sie erhielten -ihre gerechte Strafe. Onkel Silas und die Seinigen aber standen von -jetzt ab wieder in hohem Ansehen bei der Gemeinde; seine kleine alte -Kirche war immer gedrängt voll und man erwies ihnen so viel Liebes -und Gutes, als man nur konnte. Mit der Zeit kam der alte Mann auch -wieder zu Verstande und seine Predigten waren nicht besser und nicht -schlechter, als sie früher gewesen. So war denn die ganze Familie -seelenvergnügt und Tom Sawyer wurde aus lauter Dankbarkeit gepflegt -und verhätschelt, wie noch nie; ich aber auch, obgleich ich nichts -gethan hatte. Als dann die zweitausend Dollars kamen, gab mir Tom die -Hälfte ab und sagte keinem ein Wort davon, worüber ich mich gar nicht -verwunderte, denn ich kannte ihn ja. - -[Illustration] - - - - -Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=. - -Memoirenbibliothek - -Bisher erschienen 24 Bände. - -Jedes Werk ist einzeln käuflich. - -[Illustration] - -Die hier angekündigten Memoirenwerke bergen - -_eine Fülle der besten Unterhaltungslektüre für den Gebildeten._ - -Die »Kreuzzeitung« schrieb: »Solche Werke sind für gebildete Laien -eine =weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die Mehrzahl aller -Romane=.« - -Siehe die Urteile über die einzelnen Memoiren. -- Die Werke von -=Boyen=, =Bourgogne=, =Macdonald=, =Marbot=, =Ryan=, =Genast= und -=Helen Keller=, eignen sich auch für _=die reifere Jugend=_. - -[Illustration] - -_Ausführliche Prospekte über jedes einzelne Werk stehen zur Verfügung._ - - - - -_General Marbot_ - -Memoiren 1789--1815 - -Deutsche Ausgabe nach der 40. Auflage des Originals. - -=3 Bände=, 70 Bg. m. Porträt, brosch. Mk. 13.50, geb. Mk. 16.50, in -Halbfrz. Mk. 19.50. - -=I. Band=: Genua -- Austerlitz -- Jena -- Eylau. =II. Band=: Madrid -- -Aspern -- Torres-Vedras. =III. Band=: Polozk -- Beresina -- Leipzig -- -Waterloo. - -[Illustration] - -Es dürfte dem hochinteressanten Werke zur besonderen Empfehlung -gereichen, dass es eine =Lieblingslektüre des Fürsten Bismarck= in -seinen letzten Jahren gewesen ist. - - Bohemia, Prag. - -Marbots Aufzeichnungen in ihrer vorliegenden Verdeutschung halten -sich von jeder Anstössigkeit frei, sei es der Tendenz nach, oder in -sittlicher Beziehung, und sind dabei =mit einem Elan geschrieben=, der -auf =junge Leser= unfehlbar seine Wirkung tun muss. Es ist so recht ein -Buch, das auf den Weihnachtsgabentisch eines Soldaten in spe gehört. - - Nordd. Allg. Ztg. - -Ruhig muss man diese Memoiren geniessen, mit der frischen -Empfänglichkeit der Jugend. Dann sind sie einfach bezaubernd. -Französische Eleganz, gallischer Esprit, loyale Gesinnung auch gegen -den Feind, Stimmungen vom lautersten Humor bis zur tiefernsten Rührung -durchziehen das Ganze. - - St. Galler Blätter. - -... Wenn wir Marbots erfolgreiches Buch überschauen, müssen wir -zugeben, dass keine anderen Memoiren aus jenen Tagen =eine solche Fülle -von Ereignissen umspannen= ... Niemand, der sich vom inneren Wesen -jener Zeit ein Bild machen will, kann das Buch entbehren. - - Carl Bleibtreu, Pester Lloyd. - -Die Memoiren Marbots leuchten mit besonderer Klarheit in die Zeit des -ersten Napoleon hinein, weil sie von einem ehrlichen und unbefangenen -Manne geschrieben sind, der, von einem seltenen Glück begünstigt, -Teilnehmer fast aller damaligen Feldzüge gewesen ist und fast alle -entscheidenden Katastrophen miterlebte. - - Ueber Land und Meer. - - - - -_Feldmarschall Boyen_ - -Denkwürdigkeiten und Erinnerungen 1771--1813 - -=2 Bände=, 49 Bog. m. Porträt. =Preis= brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. -Mk. 11.--, in Halbfrz. Mk. 13.--. - -[Illustration] - -=Zu den schönsten Memoirenwerken= und überhaupt zu den =Perlen der -deutschen Literatur= gehören die Denkwürdigkeiten des Feldmarschalls -v. Boyen; sie geben ein mächtiges Bild von der Individualität des -Verfassers und von dem Geiste seiner Zeit. - - Preuss. Jahrbücher. - -Beim Lesen der Memoiren wird jeder erkennen, dass ein =grosser Geist= -mit offenem Auge und völliger Beherrschung der Verhältnisse dieselben -geschrieben hat. - - Histor. Monatsbl. f. Posen. - -Diese Darstellung einer der wichtigsten Epochen der deutschen -Geschichte ist wie wenige Bücher geeignet in der =reiferen deutschen -Jugend= vaterländische Gesinnung und Opferfreudigkeit zu entfachen. - - Südwestd. Schulblätter. - -Wie ein ernstes, erhabenes Drama, dem es aber bei aller Härte doch -auch an behaglichen und idyllischen Zügen nicht fehlt, lässt sich der -Verfasser die Blumen- und Dornenkette seiner Tage durch die Erinnerung -gleiten. - - Westerm. Monatshefte. - -Man wird in Zukunft Boyens Denkwürdigkeiten nicht ausser Acht lassen -dürfen, wenn man sich über Persönlichkeiten, Stimmungen und Ereignisse -der Befreiungskriege unterrichten will. - - Allg. Schweizer Zeitg. - -Man wird von Seite zu Seite aufs Neue gefesselt, und ehe man -sich dessen versieht, hat man die 2 Bände von Anfang bis zu Ende -durchgelesen. - - Posener Zeitung. - -Boyens Denkwürdigkeiten vereinigen jedenfalls =eine Fülle von -hochinteressanten Erlebnissen=, die umso prägnanter wirken, als -sie uns in der eleganten Darstellung eines hochgebildeten und -scharfbeobachtenden Mannes entgegentreten. - - Düna-Zeitung. Riga. - - - - -_C. F. von Holten_ - -Vom dänischen Hofe - -Erinnerungen aus der Zeit Friedrichs VI., Christians VIII. und -Friedrichs VII. - -16 Bg. m. 4 Porträts. Preis brosch Mk. 4.50, in Lwd. geb. Mk. 5.50, -Halbfranz Mk. 6.50. - -[Illustration] - -Wir durchschreiten gewissermassen eines jener alten dänischen -Königsschlösser, die träumerisch auf den grauen Sund hinausschauen, -und betrachten die Porträts: die Herrscher und ihre Gemahlinnen, die -fürstlichen Verwandten, den Hofstaat, die Grössen der Wissenschaft, der -Kunst, der Politik, die sie umgeben -- -- -- Holten hat eine charmante -Art, das =Charakteristische= an den Personen herauszuheben und ergötzt -oft durch humoristische Darstellung. - - Kleines Journal, Berlin. - -Sein Werk macht nicht den Anspruch, ein wissenschaftliches zu sein; -es bringt uns in schlichtem Plauderton die Grossen der Welt näher und -lässt uns mancherlei Blicke in ihr privates Leben tun. Viele werden -gerne zu dem Buche greifen, und die Stunden nicht bereuen, welche sie -bei der harmlosen Lektüre verbracht haben. - - Nord-Ostsee-Zeitung. - -Das Buch, =das sich spannend wie ein Roman= liest, ist voll von -Anekdoten vielfach heiterer Natur: Eine Menge von Originalen zieht -an uns vorüber; der Hofstaat dreier Könige, sie selbst nebst ihren -Familien, darunter die vielgenannte Gräfin Danner. =Bezaubernd ist -der Freimut=, mit dem der liebenswürdige Verfasser ungeniert über all -diese internen Dinge zu plaudern weiss. Für jeden, der den dänischen -Verhältnissen in den 30er Jahren und dem ganzen Zeitraum bis 1864 -Interesse entgegenbringt, werden diese Memoiren lehrreich und amüsant -sein. - - Düna-Zeitung, Riga. - - - - -_François Bourgogne_ - -Sergeant der franz. Kaisergarde - -Kriegserlebnisse 1812--13 - -Mit 16 Vollbildern von Faber du Faur und Yvon. =2. Aufl.= (4.--5. -Tausend.) 363 Seiten. Preis brosch. M. 6.--, in Lwd. geb. M. 7.50, in -Halbfranz. M. 8.50. - -[Illustration] - -Bourgognes Memoiren gehören zu den Büchern, bei denen der Leser die -Schläge der Mitternachtsstunde überhört; und viele Scenen, wie die -des brennenden Posthauses zwischen Moskau und Smolensk, die an den -Lederstrumpf erinnernden Jagden der Kosaken vor der Beresina, die -Uebergangsszenen, und die letzten Abenteuer bei Wilna und Kowno prägen -sich dem Leser unverlöschlich ins Gedächtnis. - - Literar. Echo. - -Der =spannendste Roman=, die interessanteste Reiseschilderung =kann -kaum fesselnder sein=, als hier das Buch des schlichten Sergeanten. Oft -wenn er von den Schrecknissen des Winters, der fürchterlichen Kälte, -die bis zu 28 Grad stieg, erzählt, bei der die todesmüden Krieger -marschieren, kampieren und die grössten Entbehrungen erdulden mussten, -wird man lebhaft an Nansens Wanderungen in Nacht und Eis erinnert. - - Leipziger Tageblatt. - -... Es sind =erschütternde Bilder= des Elends und tiefsten Jammers, die -sich vor unsern Augen entrollen, aber auch echter Kameradschaft und -Menschenliebe, die sich =unvergänglich ins Herz graben=. - - Generalanzeiger, Hamburg. - -Diese Schlichtheit und Ehrlichkeit gerade sichert seiner ganzen -Darstellung die Glaubwürdigkeit und hebt Bourgognes so ungemein -inhaltsreiches Buch über allen Verdacht romanhafter Erfindung hoch -empor auf die =Wertstufe weltgeschichtlicher Dokumente=, wie es ihrer -gleich ergreifende und erschütternde nur wenige gibt. - - Westerm. Monatsh. - -Die ausserordentliche Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung -dieser durch ihre Ursprünglichkeit sich auszeichnenden Denkwürdigkeiten -wird noch unterstützt durch Reproduktionen der 15 charakteristischsten -Blätter aus dem seltenen Illustrationswerk des württembergischen -Offiziers Faber du Faur, der den russischen Feldzug von 1812 mitgemacht -hat. - - Ill. Zeitung, Leipzig. - - - - -_Fürst Krapotkin_ - -Memoiren eines Revolutionärs - -Mit Vorwort von =Georg Brandes=. 3. Auflage. - -=2 Bände=; 44 Bg. mit 3 Porträts. - -Preis brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. Mk. 11.--, in Halbfranz Mk. 13.--. - -[Illustration] - -Die Schilderungen sind von einer Intimität und einem Stimmungsgehalt, -die an Turgeniew erinnern. Ein Künstler ersten Ranges gibt hier seine -Erlebnisse und Eindrücke wieder ... - -... Aus der Schlichtheit und Wahrhaftigkeit seiner Darstellung, aus -dem Begreifen der russischen Volksseele, aus dem unerschöpflichen -Reichtum einer gross und edel angelegten Natur entstand ein =Buch mit -Ewigkeitswerten= ... - - Die Nation. - -... Der Adel der Gesinnung, der aus den Memoiren spricht, ein Adel -ohne jedes Pathos und ohne heroischen Aufputz, macht ihre Lektüre -zum ungewöhnlichen Genuss, und wo die nüchterne Kritik nicht fehlt, -auch zum ausserordentlichen Gewinn. Niemand soll es versäumen, diese -geradezu =klassisch geschriebenen Memoiren mit Andacht zu lesen=. - - Neue freie Presse. - -Nicht der Nihilist und nicht der Anarchist stehen in erster Reihe, wenn -diese Memoiren gewürdigt werden sollen, sondern der =Mensch= Krapotkin -selbst. Die beiden Bände Memoiren verdienen dem modernen Plutarch -angereiht zu werden. - - Neues Wiener Tagblatt. - -Dass er ein unermüdlicher Kämpfer für die Revolution, dass er ein -bedeutender Gelehrter war und ist, wussten wir schon lange. Jetzt aber -hat er uns bewiesen, dass er auch ein feinsinniger Künstler und ein -edler guter Mensch ist, ein Mensch voll Milde und Herzlichkeit. -- -- -Vor uns ersteht die Sittengeschichte jener Zeit, wie sie packender, -treffender und plastischer kein Geschichtsforscher und kein Romancier -gezeichnet hat. - - Prager Tagblatt. - -In der Memoirenliteratur kann das vorliegende Buch einen ganz -hervorragenden Platz beanspruchen; denn der Verfasser hat wie kaum -einer die Höhen und Tiefen des modernen Lebens, besonders in Russland, -kennen gelernt. - -... Das ganze russische Volk hat hier einen =Darsteller ersten Ranges= -gefunden. - - Kölnische Zeitung. - - - - -_Henri Rochefort_ - -Abenteuer meines Lebens - -Autorisierte deutsche Bearbeitung von =Heinr. Conrad=. - -=2 Bände=; 50 Bg. mit Porträt. Preis brosch. Mk. 10.--, in Lwd. geb. -Mk. 12.--, in Halbfranz Mk. 14.--. - -[Illustration] - -Es sind fesselnde, mit zahlreichen unterhaltenden und pikanten -Einzelheiten durchwirkte Bilder aus dem öffentlichen und privaten Leben -Frankreichs während der letzten 2 Drittel des vergangenen Jahrhunderts --- Bilder von scharfer Einseitigkeit, gesehen und gezeichnet von der -prononcierten Persönlichkeit eines hitzigen Draufgängers, und deshalb -hinsichtlich ihrer vollen Wahrheit wohl mancher Korrektur bedürftig, -aber in ihrer individuellen Beleuchtung =in hohem Grade interessant=. - - St. Petersburger Zeitung. - -Der Stil des Werkes ist äusserst lebendig, geistreich und -epigrammatisch; ein richtiger Journalistenstil, der sich nur an -Tatsachen hält, alles Ueberflüssige und allen Wortprunk verschmähend. -=Wer sich über die letzten 40 Jahre Zeitgeschichte in amüsanter Weise -unterrichten will, der greife zu diesem Werke.= - - Elberfelder Zeitung. - -Die Uebersetzung ist so mustergültig, dass es für jeden gebildeten -Leser schon an und für sich ein hoher Genuss ist, hier der liebevollen -und geistreichen Arbeit des Herausgebers zu folgen, der es verstanden -hat, den eigenartigen, geist- und witzfunkelnden Stil Rocheforts stets -sinngemäss und treffend wiederzugeben. - - Dresdener Anzeiger. - -Die Darstellung Rocheforts unterhält durch ihre ausserordentliche -Farbigkeit und Beweglichkeit, sie ist unvergleichlich amüsant, und auch -historisch nicht wertlos als ein grosses Stück erlebter Zeitgeschichte. - - Vossische Zeitung. - -Das Werk ist mit einer =solchen Frische und Anschaulichkeit -geschrieben=, dass man bei der Lektüre glaubt, =einen Roman vor sich -zu haben=. Die Szenen aus dem Gefängnisleben, die verschiedenen -Fluchtversuche, und die endlich glücklich erreichte Befreiung aus -Neu-Kaledonien stellen sich ähnlichen Kapiteln aus Dumas’schen oder -Sue’schen Romanen würdig an die Seite. - - Pester Lloyd. - - - - -_D. Thiébault_ - -Friedrich der Grosse - -und sein Hof - -Persönliche Erinnerungen an einen 20jährigen Aufenthalt in Berlin. -Deutsche Bearbeitung von =H. Conrad=. - -2 Bände, 49 Bogen mit 6 Porträts. Preis brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. -Mk. 11.--, in Halbfranz Mk. 13.--. - -[Illustration] - -Diese Erinnerungen, in einer kritisch revidierten, abgekürzten -Ausgabe, füllen zwei stattliche Bände, die aber durch ihre anziehende -Darstellung nichts Ermüdendes haben und gewiss alsbald jene Popularität -sich erwerben werden, die sie um ihres Gegenstandes und ihrer Form -willen verdienen. - -Es hat wohl nie einen moderneren Herrscher gegeben als diesen -»aufgeklärten Despoten« aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. -Zuweilen glaubt man nicht von einem, =der da war=, sondern von -einem, =der da kommen wird=, zu lesen. So reif, so vorschauend, so -grossdenkend, so frei von Vorurteilen war dieser Monarch! - - Neue freie Presse. - -=Ein Muster französischer Memoiren sind die Thiébaults= über seinen -Aufenthalt am Hofe Friedrichs des Grossen. Es mag einer noch so viele -historische Werke über jene Zeit gelesen haben, Friedrich II. wird -ihm ein genialer Feldherr, ein grosser König, ein merkwürdiger Mensch -sein; er lese diese Memoiren, und der Feldherr, der König, der Mensch -steht leibhaftig vor ihm mit all seinen Tugenden und Fehlern, in seiner -Herrscherglorie und seiner menschlichen Schwäche. - - Wiener Allg. Zeitung. - -In der reichen französischen Memoirenliteratur gibt es nur -wenige Werke, die für uns Deutsche ihrem ganzen Inhalte nach ein -so =hervorragendes historisches Interesse= darbieten, wie die -Denkwürdigkeiten D. Thiébaults. - - Karl Witte, Berlin. - -Das Buch ist von Anfang bis zu Ende in allen Einzelheiten fast gleich -interessant. Ausserdem ist es durchweg in dem Ton des feinsinnigen, -gebildeten Mannes gehalten, der auch delikate Dinge mit Geschmack und -Anstand behandelt. - - Hamb. Korrespondent. - - - - -_General Gourgaud_ - -Napoleons - -Gedanken und Erinnerungen - -St. Helena 1815--18 - -Deutsche Bearbeitung von =H. Conrad=. =3. Auflage.= 25 Bg. m. 6 -Porträts. Preis brosch. Mk. 5.50, geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. - -[Illustration] - -Man gewinnt ein höchst anschauliches Bild davon, wie das grösste -militärische und administrative Genie, der hervorragendste Gesetzgeber -und Finanzmann, den die neuere Geschichte kennt, sich nach Abschluss -seiner meteorhaften Laufbahn den wenigen Getreuen gegenüber, die sein -Exil teilten, gab und aussprach, wie er über seine Feldherren, ihre -Vorzüge und Fehler, wie er über seine eigenen Taten und Untaten dachte, -wie er seine Zeitgenossen und Gegner, wie er die Politik der Gegenwart -und Zukunft beurteilte, wie er grollte und wie er scherzte. - - Petersburger Zeitung. - -Das Buch bringt eine =Fülle der interessantesten=, man kann sagen -lehrreichsten =Aussprüche des Kaisers= über wichtige Ereignisse -seines tatenreichen Lebens; es verbreitet Klarheit über viele Seiten -seines Charakters, besonders über die dunkeln, beleuchtet mit grellem -Licht seinen grenzenlosen Ehrgeiz, seine Verachtung des menschlichen -Geschlechts und seine widerwärtige, man kann sagen niederträchtige -Beurteilung der Frauen. - - Monatsschr. f. Stadt u. Land. - -Sind wir mit der Lektüre des Werkes fertig, so steigen Zweifel in uns -auf in Bezug auf all die andern von uns gelesenen Werke über jene -Epoche, und wir haben die Ueberzeugung gewonnen, dass dieses =der -Wahrheit, der ungeschminkten Wahrheit= am nächsten kommt. - - Lord Rosebery. - -Abgesehen von den Erwägungen, zu denen Napoleons Gedanken und -Erinnerungen Anlass geben, enthält das Buch eine solche Fülle =der -interessantesten Einzelheiten=, dass wir uns kaum eine Lektüre denken -können, die den Leser mehr fesseln und anregen würde, als Gourgauds -Tagebuch in deutscher Bearbeitung. - - Neue Zürcher Zeitung. - - - - -_Dr. med. Ryan_ - -Unter dem roten Halbmond - -=Erlebnisse eines Arztes= b. d. türk. Armee i. Kriege 1877/78. - -Autor. Übersetzung von =H. von Natzmer=. -- 24 Bg. m. Portr. Osman -Paschas. Preis brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz -Mk. 7.50. - -[Illustration] - -... =Beispiele heldenmütigster Aufopferung im Dienst edelster -Menschlichkeit, sympathische Züge der Kameradschaft und des Edelmuts= -gegen den überwundenen Gegner treten uns hier mit dramatischer -Lebendigkeit entgegen. ... Aber mit diesen =spannenden Schilderungen -der Kriegsereignisse=, mit den =glänzenden Malereien des Schlachten- -und Lagerlebens=, die dem Buch unter den militärischen Schriften einen -=hervorragenden Rang sichern=, sind die Vorzüge desselben keineswegs -erschöpft ... - - Hamburger Neueste Nachrichten. - -=Ryan ist ein Erzähler ersten Ranges, dem man mit wahrem Vergnügen -lauscht=, mag er uns von seinen =tollen Fahrten und lustigen Streichen= -berichten oder =ergreifende Schilderungen= von grenzenlosem Elend geben. - - Reichs-Medizinal-Anzeiger. - -Seinen eigentümlichen Reiz gewinnt das Buch dadurch, dass neben den -erzählten ernsten Dingen =eine fast erstaunliche Fülle von Humor= -platzgreift. - - Hamburg. Correspondent. - -=Hier lernen wir wahres Heldentum kennen=, Heldentum im mutigen -Angriff, Heldentum im stummen Ertragen fürchterlicher Qualen, =höchste -Entsagungsfähigkeit= und =wahrhaft ideale Glaubenszuversicht=. -Aufregende Kampfesbilder aus der Zeit der glänzenden türkischen -Ruhmestaten während der Belagerung von Plewna ziehen an dem Leser -vorüber, so =greifbar plastisch=, als ob man =all das Aufregende, -Fürchterliche vor seinen Augen sich abspielen sähe= ... Das Ryan’sche -Werk ist in ganz vorzüglicher Weise von H. v. Natzmer übersetzt. - - Internat. Literaturberichte. - - - - -_General Thiébault_ - -Memoiren a. d. Zeit d. frz. Revolution u. des I. Kaiserreichs - -Deutsche Bearbeitung von =F. Mangold=, Major a. D. - -=3 Bände= m. 15 Porträts berühmter Männer d. Revolution u. d. -Kaiserreichs. Brosch. Mk. 15.--, in Lwd. geb. Mk. 18.--, in Halbfranz -Mk. 21.--. - -[Illustration] - -Das Werk ist im =höchsten Grade kulturgeschichtlich interessant=, ist -flott und elegant geschrieben und eignet sich daher =in hohem Masse als -Unterhaltungslektüre= für Gebildete. Jedenfalls sind solche Werke für -gebildete Laien =eine weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die -Mehrzahl aller Romane=. - - Kreuzzeitung. - -Das ebenso glänzend wie spannend geschriebene Werk bringt ein =so -reiches Material an Erlebnissen des Augenzeugen=, dass man nicht müde -wird, immer wieder darin zu lesen. - -Das Werk umfasst alle Geschehnisse, alle Personen, und lässt sie wie in -einem grossen Wandelpanorama an uns vorüberziehen. Oft liest sich das -Werk =wie ein gewaltiges Schlachtenbuch, oft wie ein spannender Roman -über Hof- und Feldlager-Intrigue=. - - Neueste Nachrichten, Berlin. - -... Die Zeit von 1789 bis 1815 hat selten eine so intensive Beleuchtung -erfahren wie bei Thiébault, der nicht bloss hinter die Kulissen der -Weltgeschichte, der mit psychologischem Scharfblick auch den Menschen, -die die Fäden der Weltgeschichte zogen, in die Seele geblickt hat. - - Westermanns Monatshefte. - -Schicksale und Herzen haben in Thiébault einen =Beobachter und Kenner -gefunden, der seinesgleichen sucht=. - - Vossische Zeitung, Berlin. - - - - -_Marschall Macdonald_ - -Memoiren 1785--1825 - -Deutsche Bearb. nach der =7. Auflage= des =Originals= von =H. v. -Natzmer=, Generalmajor z. D. - -22 Bg. m. Porträt. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in -Halbfranz Mk. 7.50. - -[Illustration] - -Die Memoiren geben in festen, markigen Zügen das Bild einer -geschichtlich stark bewegten Zeit wieder, und zeigen den Verfasser als -eine voll ausgeprägte Persönlichkeit. Alle Soldatentugenden und unter -dem Kanonendonner der Schlacht dennoch ein warm empfindendes Herz, -bringen uns den Marschall nicht nur als Soldaten, sondern vor allem als -Menschen nahe. =Die Schilderung der Ereignisse ist von dramatischer -Spannung und Beweglichkeit=, jeder äussere Vorgang wird bei diesem Mann -zum inneren Erlebnis. Und dies gerade macht das Buch so packend, so -interessant. - - Deutsche Zeitung. - -Mit Genuss wird ein jeder, der dies Memoirenwerk einmal gelesen hat, es -wieder und wieder zur Hand nehmen. - - Leipz. Zeitung. - -=Ein ausgezeichnetes Werk=, dem wir recht viele Leser wünschen. Eine -von Anfang bis zu Ende fesselnde Lektüre. - - Berner Bund. - -Wir möchten das schön ausgestattete Buch noch besonders =für die -reifere Jugend=, und =zur Anschaffung für Schülerbibliotheken= -empfehlen. - - Südwestd. Schulblätter. - -Keine einzige Zeile ermüdet -- keine ist da, die man nicht gern gelesen -haben möchte. - - Allg. Zeitung. - -Die Memoiren lesen sich von Anfang bis zu Ende wie ein spannender Roman. - - Hamb. Korresp. - - - - -_Eduard Genast_ - -Aus Weimars klassischer und nachklass. Zeit - -Erinnerungen eines weimarischen Hofschauspielers Neu herausgegeben von -=Rob. Kohlrausch=. - -=3. Auflage.= 24 Bg. m. 2 Porträts. Brosch. Mk. 4.50, in Lwd. geb. -Mk. 5.50, in Halbfranz Mk. 6.50. - -[Illustration] - -=Wie Eckermanns »Gespräche mit Goethe« dürfte auch Genasts Buch in -keiner Bibliothek der deutschen Leser fehlen.= - - Hamburger Nachrichten. - -In seiner =jetzigen= Gestalt ist das Werk =wie ein Zauberspiegel=, in -dem die längst schlafen gegangenen Gestalten unserer grossen Dichter -wieder lebendig werden. - -Das Erinnerungsbuch sollte seinen =Platz in jeder Klassikerbibliothek= -finden. - - Hamburger Fremdenblatt. - -Eine =Fundgrube= von =fesselnden Darstellungen= aus dem literarischen -und künstlerischen Leben Deutschlands der ersten Hälfte des 19. -Jahrhunderts ... =Eines der wertvollsten Bücher=, dem kein Gebildeter -sein Interesse wird versagen können. - - Kölnische Zeitung. - -... So wird das Buch zu einem =wertvollen Beitrage= zur deutschen -=Literatur-= und =Musikgeschichte=, aus dem wir, die Kinder einer -späteren Zeit, zum Verständnis der geistigen Strömungen des -verflossenen Jahrhunderts =manchen bleibenden Gewinn= schöpfen können. - - Pustets Deutscher Hausschatz. - -Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass Genasts Aufzeichnungen allen -Literatur- und Theaterfreunden eine Quelle edelsten Genusses sind. - - New-Yorker Staatszeitung. - -Zu den interessantesten und belehrendsten Bänden der Memoirenbibliothek -gehören zweifellos die Erinnerungen Eduard Genasts. - - Tageblatt Altona. - -=Eines der interessantesten Bücher der Memoirenliteratur= und ein -treues Bild des weimarischen Theaterwesens zu Goethes Zeiten. - - Wiesbadener Tageblatt. - - - - -_Helen Keller_ - -Die Geschichte meines Lebens - -Autorisierte Deutsche Ausgabe. - -=23. Auflage.= 23 Bg. mit 8 Bildern. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. -Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. - -[Illustration] - -Erzieher und Eltern werden in dem Buche viele =Anregungen= finden. -Aber nicht nur Erzieher und Eltern; =jeder Mensch=, der an Frischem -und Klugem Gefallen hat, =muss mit Freude das Buch der Helen Keller -lesen=. =Dem Schriftsteller, dem Künstler, dem Gelehrten= eröffnet es -neue Aussichtspunkte. =Leute, die in Krankheit und Trübsal am Leben -verzweifeln wollen, richtet es auf=: denn es zeigt ihnen, wie nichts so -hoffnungslos ist, dass es nicht Trost und Linderung fände. =Uebermütige -lehrt es Demut, Leichtfertige Besinnung.= Es ist ein Werk, das keiner -vergessen kann, der es einmal gelesen hat. - - Berliner Tageblatt. - -... O, ich könnte das ganze Buch zitieren! Es ist voller =Sonnenschein -und Liebe und Glückseligkeit=. Und Sonnenschein strahlt es in unsere -müden Herzen. - - Dr. M. Wilhelm Meyer. - -... =Das Buch enthält Schönheiten über Schönheiten, Wahrheiten tief wie -ein Bergsee, Lichtquellen der Seele, die leuchten wie die Sonnen der -Ewigkeit.= - - Ill. Sonntagszeitung. - -Dieses Buch repräsentiert entschieden =die originellste und -interessanteste Autobiographie, die je geschrieben worden ist=. ... Wir -haben es mit einem Interesse gelesen, wie selten ein anderes; diese -Lektüre möchten wir einem jeden unserer Leser gönnen. - - Alte u. Neue Welt (Einsiedeln). - -Und mit dem =erhebenden Bewusstsein=, ein neues Stück menschlichen -Heldenmuts in diesen beiden Frauen kennen gelernt zu haben, legt -man diese, wohl =in der ganzen Weltliteratur einzig dastehende -Selbstbiographie= aus der Hand. - - Kölnische Zeitung. - - - - -_Herbert Spencer_ - -Eine Autobiographie - -Autorisierte Deutsche Ausgabe von Prof. Dr. =Ludwig= und =Helene Stein=. - -=2 Bände.= 47 Bg. Brosch. Mk. 14.--, in Lwd. geb. Mk. 16.--, in -Halbfranz Mk. 18.--. - -[Illustration] - -Ein autobiographisches Werk von der Wahrheit und Exaktheit des -vorliegenden =hat in der ganzen Weltliteratur nicht seines Gleichen, -und es sollte auf dem Büchertisch keines Gebildeten fehlen=. - - Posen. Neueste Nachricht. - -Ein deutscher Leser der Autobiographie schreibt: ... Dann aber hat das -Buch den =immensen Vorzug=, dass es den Philosophen in ihm kennen zu -lernen gestattet, ohne dass man seine Werke zu lesen braucht. - -Es ist zweifelhaft, ob je ein Denker von schöneren Anlagen unter -unserem Volke aufgetreten ist. Wir sind überzeugt, dass die hübsch -ausgestattete deutsche Ausgabe auch über den Kreis der eigentlichen -Fachinteressenten hinaus eifrige Leser finden wird. - - Hamb. Korrespondent. - -... Doch genug des Nörgelns! Spencers nachgelassenes Werk bleibt trotz -alledem eine der interessantesten und originellsten Selbstbiographien, -die es in der Weltliteratur gibt. - - Münchener Neueste Nachr. - -Dies Buch ist ein Dutzend Bücher in einem. =Dem Psychologen, dem -Künstler, dem Romanschriftsteller, dem Moralisten, dem Lehrer, dem -Prediger, dem Kritiker, dem Dichter, dem Philosophen= -- allen diesen -bietet das Buch =eine besondere Quelle des Genusses=. - - Chicago Herald. - - - - -_W. Debogory-Mokriewitsch_ - -Erinnerungen eines Nihilisten - -(Ein Seitenstück zu Fürst Krapotkins Memoiren.) - -Autorisierte Deutsche Ausgabe von =Dr. H. Röhl=. Mit Vorwort von =Alex. -Ular=. - -=2. Auflage.= 22 Bg. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in -Halbfranz Mk. 7.50. - -[Illustration] - -Die vorliegenden »Erinnerungen eines Nihilisten« bieten in mehr -als einer Hinsicht grosses Interesse. Schon als rein persönliche -Erinnerungen genommen, bilden die Aufzeichnungen =eine äusserst -spannende Lektüre=. Aber der Schwerpunkt der Erinnerungen liegt in -der =glänzenden Charakteristik der politischen Zustände und der -revolutionären Bewegung unter Alexander II. und Alexander III.= - - Neue freie Presse. - -Es ist zweifellos, dass das Werk in mannigfacher Weise Interesse, ja -Aufsehen erregen wird ... Als rein persönliche Erinnerungen genommen, -geben diese Aufzeichnungen eine Lektüre, =die den Leser zuweilen in -fieberhafte Spannung versetzt=, wie sie der kunstvollst aufgebaute -Roman nicht zu erregen vermöchte. - - Berliner Börsen-Courier. - -... Dann kam die Flucht aus Sibirien. Hier häufen sich =die aufregenden -Momente des Buches zu einer wahren Seelenfolter für den Leser=. =Man -zittert mit dem Flüchtigen= bei den mannigfachsten Gefahren, und -man glaubt, die Hetzjagd, welche von den Behörden auf Mokriewitsch -gerichtet ist, gegen sich selbst ausgeführt zu empfinden. - - Neues Wiener Journal. - -Aus der Zeit der ernstlich beginnenden revolutionären Bewegung, die -jetzt in Russland alle Dämme überflutet, weiss dieses Buch interessante -Ereignisse und Erlebnisse zu erzählen. - - Münchener Neueste Nachrichten. - - - - -Mark Twains - -Ausgew. humoristische Schriften. - - -Inhalt: - - Bd. I. =Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.= - - Bd. II. =Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.= - - Bd. III. =Skizzenbuch.= - - Bd. IV. { =Leben auf dem Mississippi.= - { =Nach dem fernen Westen.= - - Bd. V. =Im Gold- und Silberland.= - - Bd. VI. =Reisebilder u. verschiedene Skizzen.= - -Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden. Preis aller 6 Bände, -zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden. - - -_Neue Folge_: - - Bd. I. =Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer.= - - Bd. II. =Querkopf Wilson.= - - Bd. III./IV. =Meine Reise um die Welt.= 2 Abt. - - Bd. V. =Adams Tagebuch= u. a. Erzähl. - - Bd. VI. =Wie Hadleyburg verderbt wurde= - u. a. Erzähl. - -Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden. Preis _aller 6 Bände_, -zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden. - - - - - Weitere Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die - Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. - - Der Werbeteil ist im Original in Antiqua gesetzt, auf eine - entsprechende Auszeichnung wurde verzichtet. - - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TOM SAWYERS NEUE ABENTEUER *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. 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L. Clemens</span><br /> -(Mark Twain)<br /> -<span class="smaller">Gezeichnet von <em class="gesperrt">Henry Rauchinger</em>.</span></div> -</div> - -<div class="chapter"> -<h1><span class="smaller">Tom Sawyers</span><br /> -Neue Abenteuer</h1> - -<p class="center">Von</p> - -<p class="h2">Mark Twain</p> - -<p class="center smaller">Autorisiert</p> - -<p class="center p2">Tom Sawyer im Luftballon</p> - -<p class="center">Tom, der kleine Detektiv</p> - -<div class="figcenter illowp20" id="signet"> - <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="Signet" /> -</div> - -<p class="center p2">Stuttgart</p> - -<p class="center">Verlag von Robert Lutz</p> - -<p class="center">1903. -</p> -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Alle Rechte vorbehalten.</p> - -<p class="center smaller p2">Druck von A. Bonz’ Erben, Stuttgart.</p> - -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_5"></a>[5]</span></p> -<h2 class="nobreak" id="Tom_Sawyer_im_Luftballon"><em class="gesperrt">Tom Sawyer</em> im <em class="gesperrt">Luftballon</em>.</h2> - -<div class="figcenter" id="illu-004"> - <img src="images/illu-004.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_7"></a>[7]</span></p> -<h3 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>War nun Tom Sawyer zufrieden nach all -seinen Abenteuern? Ich meine die Abenteuer -auf dem Fluß, als wir den Nigger Jim frei -machten und Tom den Schuß ins Bein kriegte.<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a></p> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Humor. Schriften, Bd. 2 (Fahrten des Huckleberry -Finn).</p> -</div> -</div> - -<p>Nein, er war <em class="gesperrt">nicht</em> zufrieden! Es fraß an -ihm, er wollte nur noch mehr. Ja, als wir drei auf -dem Fluß zurückkamen von unserer langen Reise, -in voller Glorie – so kann man wohl sagen – -und als das Städtchen uns mit einem Fackelzug -und mit Ansprachen und mit allgemeinem Hurra -und Jubelgeschrei empfing, – ja, da waren wir -Helden, und darnach war ja Tom Sawyers -Sehnsucht immer gestanden.</p> - -<p>Eine Zeitlang war er denn auch wirklich -zufrieden. Alle Leute feierten ihn, und er trug<span class="pagenum"><a id="Seite_8"></a>[8]</span> -seine Nase hoch und ging mit einer Miene im -Städtchen herum, als ob es ihm ganz allein -gehörte. Einige nannten ihn ›Tom Sawyer den -Reisenden‹, und dieser Titel machte ihn so aufgeblasen, -daß er beinahe geplatzt wäre. Natürlich -stand er ganz anders da, als ich und Jim, -denn wir waren ja auf einem gewöhnlichen Floß -stromabwärts gefahren und nur stromauf mit -dem Dampfer, Tom aber hatte den Hin- sowohl -wie den Rückweg auf dem Dampfboot gemacht. -Die Jungens beneideten Jim und mich nicht -wenig, aber vor Tom – ach, du liebe Zeit, da -krochen sie geradezu im Staube.</p> - -<p>Vielleicht wäre nun Tom doch zufrieden gewesen, -wäre nur nicht der alte Nat Parsons -dagewesen. Das war der Postmeister, ein riesenlanger -und dünner, gutmütiger und ein bißchen -beschränkter Mann, mit ganz kahlem Kopf – -denn er war schon sehr alt – und so ziemlich -das schwatzhafteste alte Geschöpf, das ich je -gesehen habe. Volle dreißig Jahre lang war er -im Städtchen der einzige berühmte Mann gewesen; -berühmt war er als Reisender, und -natürlich war er über alle Maßen stolz darauf,<span class="pagenum"><a id="Seite_9"></a>[9]</span> -und man hatte ihm nachgerechnet, daß er im -Lauf der dreißig Jahre mehr als eine Million -Male die Geschichte von seiner Reise erzählt und -jedesmal wieder selber eine kindliche Freude -daran gehabt hatte. Und nun kommt da auf -einmal ein Bengel von noch nicht fünfzehn, und -jedermann reißt Mund und Augen auf über <em class="gesperrt">dessen</em> -Reisen! Natürlich brachte das den alten Herrn -außer Rand und Band. Es machte ihn ganz krank, -wenn er mit anhören mußte, wie Tom erzählte -und wie die Zuhörer dabei fortwährend riefen: -»Ach Herrjeh,« »Nee, aber so was!« »Ach -du himmlische Barmherzigkeit!« usw. usw. Aber -trotzdem mußte er immer wieder zuhören; er war -wie die naschhafte Fliege, die mit einem Hinterbein -in der Sirupschüssel festsitzt Und jedesmal, -wenn Tom eine Pause machte, dann fing -der arme alte Herr von seiner abgedroschenen -alten Reise an und quälte sich ab, sie so recht -zur Geltung zu bringen – aber sie war wirklich -schon <em class="gesperrt">zu</em> abgedroschen und zog nicht mehr, und -es konnte einem wirklich leid tun, wenn man’s -mit ansah. Dann kam Tom wieder an die Reihe -und dann wiederum der Alte – und so fort, und<span class="pagenum"><a id="Seite_10"></a>[10]</span> -so fort, eine Stunde lang und noch länger, und -jeder wollte immer den andern übertrumpfen.</p> - -<p>Mit Parsons Reise verhielt es sich so: Als er -eben die Postmeisterstelle gekriegt hatte und noch -ein ganz grüner Neuling war, da kam eines -schönes Tages ein Brief für jemand, den er nicht -kannte, denn einen Mann mit solchem Namen -gab’s im Städtchen überhaupt nicht. Er wußte -denn nun absolut nicht, was er anfangen sollte, -und so lag denn der Brief da, von einer Woche -zur andern, bis der bloße Anblick dem Postmeister -übel machte. Das Porto für den Brief -war nicht bezahlt und das war ebenfalls ein -Grund zu Sorgen. Wie sollte er denn nur die -10 Cents einziehen? Und dann, wer konnt’s -wissen, vielleicht machte die Regierung ihn verantwortlich -dafür und setzte ihn ab, weil er das -Strafporto nicht eingezogen hatte …</p> - -<p>Zuletzt konnte er’s einfach nicht länger aushalten; -er konnte nachts nicht mehr schlafen, -konnte nicht mehr essen und war zu einem -Schatten abgemagert. Trotzdem wagte er’s -nicht, jemand um Rat zu fragen; denn der Ratgeber -konnte ja womöglich hinterlistig sein und<span class="pagenum"><a id="Seite_11"></a>[11]</span> -der Regierung die Geschichte von dem Brief mitteilen. -Er hatte den Brief unter dem Fußboden -versteckt, aber auch das half nichts. Wenn -zufällig mal jemand auf der betreffenden Stelle -stand, so bekam der Postmeister eine Gänsehaut; -schwarzer Verdacht bemächtigte sich seiner und -er blieb auf, bis die Stadt still und dunkel war; -dann schlich er sich an die Stelle und holte den -Brief wieder hervor und verbarg ihn an einem -andern Platz. Natürlich wurden die Leute scheu -und schüttelten die Köpfe und flüsterten allerlei, -denn aus seinen Blicken und Bewegungen schlossen -sie, er hätte einen Menschen totgeschlagen oder -sonst irgend was Fürchterliches begangen – und -wäre er ein Fremder gewesen, so hätte man ihn gelyncht.</p> - -<p>Also, wie gesagt, er konnte es nicht länger -aushalten, und so beschloß er denn in seinem -Sinn, er wollte nach Washington machen und -geraden Wegs zum Präsidenten der Vereinigten -Staaten gehen und frei von der Leber weg sprechen -und den Brief herausholen und ihn vor der -ganzen Regierung offen hinlegen und sagen:</p> - -<p>»So! da ist er! Machen Sie mit mir, -was Sie wollen. Aber der Himmel ist mein<span class="pagenum"><a id="Seite_12"></a>[12]</span> -Zeuge: ich bin unschuldig und verdiene nicht -die volle Schwere der gesetzlichen Strafe, und -ich lasse eine Familie zurück, die ohne mich -Hunger leiden muß und doch gar nichts mit der -Geschichte zu tun gehabt hat. Und das ist die reine -Wahrheit und darauf kann ich einen Eid leisten!«</p> - -<p>Gedacht, getan. Er fuhr ein Stückchen mit -dem Dampfer und ein Stückchen mit der Postkutsche, -aber den ganzen übrigen Teil der Reise -machte er zu Pferde, und er brauchte drei Wochen -bis Washington. Er sah viele Länder und unzählige -Dörfer und vier große Städte. Acht -Wochen lang war er fort und nie zuvor war in -unserem Städtchen<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a> ein Mann so stolz wie er, -als er nun wieder daheim war. Durch seine Reisen -war er der größte Mann in der ganzen Gegend -geworden; von keinem hatte man je so viel gesprochen; -dreißig Meilen weit kamen die Leute -angereist, ja sogar von Illinois her, bloß um -ihn zu sehen – und da standen sie dann und -glotzten ihn an und er plapperte. So was war -noch niemals dagewesen.</p> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Hannibal am Mississippi.</p> -</div> -</div> - -<p>Nun war denn natürlich die Frage, wer der<span class="pagenum"><a id="Seite_13"></a>[13]</span> -größte Reisende sei: Nat oder Tom. Einigkeit -war darüber nicht zu erzielen; die einen sagten, -Nat wäre es, die anderen schworen auf Tom. -Jedermann gab zu, daß Nat dem jüngeren Nebenbuhler -in der Länge der Reise über war, aber -dafür war Tom denn doch in einem ganz anderen -Klima gewesen. Die Wage hielt so ziemlich das -Gleichgewicht. Jeder von den beiden mußte deshalb -seine gefährlichsten Abenteuer in die Wagschale -werfen. Die Kugel in Toms Bein war -für Nat sozusagen eine harte Nuß zu knacken, -aber Nat knackte, so gut er konnte. Er war -jedoch dabei entschieden im Nachteil, denn Tom -saß nicht still, wie er eigentlich hätte tun sollen, -sondern er hinkte fortwährend im Zimmer herum, -während Nat das Abenteuer ausmalte, das -er seiner Zeit in Washington gehabt hatte. Tom -hinkte nämlich noch, als seine Wunde schon längst -wieder heil war; er übte sich nachts in seiner -Schlafstube im Hinken und konnte es daher natürlich -großartig.</p> - -<p>Mit Nats Abenteuer nun verhielt es sich -folgendermaßen: Ob die Geschichte ganz wahr -ist, das weiß ich nicht; vielleicht hatte er sie<span class="pagenum"><a id="Seite_14"></a>[14]</span> -in einer Zeitung gelesen oder sonstwo aufgeschnappt; -aber das muß ich sagen: er verstand -sie zu erzählen! Es schauerte einem durch alle -Glieder und der Atem stand einem still, wenn -er sie vortrug, und Frauen und Mädchen wurden -manchmal so blaß und schwach dabei, daß sie -gar nicht mehr wußten, wo sie hin sollten. So -gut ich’s vermag, will ich ihm die Geschichte nacherzählen:</p> - -<p>Er kommt also nach Washington und stellt -sein Pferd ein und holt seinen Brief heraus und -fragt nach dem Weg zu des Präsidenten Haus. -Man sagt ihm, der Präsident sei auf dem Kapitol -und wolle nach Philadelphia reisen – keine -Minute sei zu verlieren, wenn er ihn noch sprechen -wolle. Nat fiel beinahe in Ohnmacht, so schlecht -wurde ihm zumute. Sein Pferd stand abgesattelt -im Stall; was sollte er nun bloß anfangen? -Aber gerade in dem Augenblick kommt ein Nigger -mit seiner alten rumpligen Droschke vorbeigefahren. -Sofort erfaßt Nat die Situation; er -stürzt auf die Straße und schreit:</p> - -<p>»’nen halben Dollar, wenn du mich in ’ner -halben Stunde nach dem Kapitol fährst, und ’n<span class="pagenum"><a id="Seite_15"></a>[15]</span> -viertel extra, wenn du’s in zwanzig Minuten -machst!«</p> - -<p>»Schön!« sagt der Nigger.</p> - -<p>Nat also springt in die Droschke und schmeißt -den Schlag zu, und los geht’s holterdipolter über -das fürchterlichste Pflaster, das man sich denken -kann, und das Gerumpel und Geratter war geradezu -schauerlich. Nat steckt die Arme durch -die Halteriemen und hält sich aus Leibeskräften -fest, aber nicht lange, da stößt die Karre an -einen großen Stein, und fliegt, hops!, hoch in -die Luft empor und der Boden fällt heraus, und -als die Droschke wieder unten ist, da sind Nats -Füße auf dem Grund und er sieht sofort, daß er -in verzweifelter Lage ist, wenn er nicht so schnell -laufen kann, wie die Droschke fährt. Er hatte -einen fürchterlichen Schreck bekommen, aber er -ging mit aller Macht ins Zeug und hielt sich -an den Armriemen und streckte die Beine, daß -es eine Art hatte. Er schrie und rief dem -Kutscher zu, er sollte halten, und alle Menschen auf -der Straße schrieen ebenfalls, denn sie sahen -unter dem Wagen seine dünnen Beine entlang -wirbeln und durch die Fenster seinen Kopf und<span class="pagenum"><a id="Seite_16"></a>[16]</span> -seine Schultern immer auf und nieder fahren, -und merkten, daß er in fürchterlicher Gefahr war. -Aber je mehr sie riefen, desto lauter kreischte und -gröhlte der Nigger und hieb auf die Pferde los -und rief: »Habben keine Bange nich der Herr; -gemachen muß es werden und ich machen’s!«</p> - -<p>Denn natürlich dachte er, sie wollten ihn -zum Schnellfahren antreiben, und von Nats -Rufen konnte er vor dem Geratter nichts hören. -Und so ging es denn, hast du nicht gesehen, immer -weiter, und den Leuten, die es sahen, standen die -Haare zu Berge. Und als sie schließlich beim -Kapitol ankamen, da war’s die schnellste Fuhre, -die je ’ne Droschke gemacht hat, das sagten alle. -Die Pferde waren ganz matt und Nat troff vor -Schweiß und war wie gerädert, und er war voll -Staub, die Kleider hingen in Fetzen an seinem -Leibe und seine Stiefel hatte er verloren. Aber -er war zur rechten Zeit da, und zwar gerade -noch im allerletzten Augenblick. Er kam vor den -Präsidenten und gab ihm den Brief und alles -war in schönster Ordnung. Der Präsident begnadigte -ihn auf der Stelle und Nat gab dem -Nigger drei Vierteldollars extra statt nur eines;<span class="pagenum"><a id="Seite_17"></a>[17]</span> -denn das sah er ja ein, hätte er nicht die -Droschke gehabt, so hätte er auch nicht annähernd -zur rechten Zeit kommen können.</p> - -<p>Es war tatsächlich ein großes Abenteuer, und -Tom Sawyer mußte sich alle Mühe geben, um -mit seiner Kugelwunde dagegen aufzukommen.</p> - -<p>Nun, wie’s so geht, nach und nach verblaßte -Toms Ruhmesglanz, denn es kamen andere Gesprächsstoffe -auf, worüber die Leute schwatzen -konnten: erst ein Wettrennen, und dann eine -Feuersbrunst, und dann der Zirkus, und darauf -die Sonnenfinsternis; und diese brachte dann, wie -es meistens der Fall ist, eine Wiederbelebung der -Frömmigkeit zuwege, und so war denn von Tom -nicht mehr viel die Rede, und das machte ihn ganz -krank und vergällte ihm alle Freude am Leben.</p> - -<p>Es dauerte nicht lange, so war er den ganzen -Tag verdrießlich und reizbar und wenn ich ihn -fragte, warum er denn nur in solcher Stimmung -sei, dann antwortete er, es bräche ihm beinahe -das Herz, wenn er daran dächte, wie die Zeit -verränne und daß er immer älter und älter -würde, ohne daß ein Krieg ausbräche und er -auch nur die geringste Menschenmöglichkeit sähe,<span class="pagenum"><a id="Seite_18"></a>[18]</span> -sich einen Namen zu machen. So denken ja nun -freilich alle Jungen, aber er war der erste, den -ich diese Gedanken frei und offen aussprechen -hörte. Er sann also Tag und Nacht auf einen -Plan, wie er berühmt werden könnte. Bald -hatte er denn auch einen und er bot Jim und -mir an, an seinem Ruhme teil zu nehmen. In -dieser Hinsicht war Tom Sawyer immer edelmütig. -Viele Jungen sind über die Maßen gut -und freundlich, wenn einer was Gutes hat, aber -wenn sie selber mal was Gutes kriegen, dann -sagen sie einem kein Wort davon und versuchen -es für sich allein zu behalten. So war Tom -Sawyer niemals, das kann ich ihm wohl nachsagen. -Viele Jungen schlängeln sich an einen -heran, wenn man einen Apfel hat und bitten -einen um das Kernhaus. Aber wenn sie dann -selber einen haben, und man bittet sie um’s -Kernhaus und erinnert sie daran, daß man ihnen -auch ’mal ein Kernhaus gegeben hat – jawohl, -da heißt’s ›Prost die Mahlzeit‹, aber vom Kernhaus -sieht man nichts. Da kann man sich den -Mund wischen.</p> - -<p>Wir gingen in das Gehölz auf dem Berg, und<span class="pagenum"><a id="Seite_19"></a>[19]</span> -Tom sagte uns, was es war. Es war ein Kreuzzug.</p> - -<p>»Was ist ein Kreuzzug?« fragte ich.</p> - -<p>Tom sah mich geringschätzig an, wie er’s -immer tut, wenn ihm jemand leid tut. Dann -sagte er:</p> - -<p>»Huck Finn, du willst doch nicht behaupten, -daß du nicht weißt, was ein Kreuzzug ist?«</p> - -<p>»Nee,« sag’ ich, »ich weiß es nicht. Und -ich mache mir auch nichts daraus. Ich habe -so lange gelebt und bin gesund gewesen, ohne -es zu wissen. Aber so bald du mir es sagst, -was es ist, dann weiß ich’s ja, und das ist früh -genug. Ich sehe nicht ein, wozu ich mir Sachen -austifteln und mir meinen Kopf damit vollpfropfen -soll, wenn ich vielleicht niemals ’ne Gelegenheit -habe, davon Gebrauch zu machen. Na, -was ist denn also ein Kreuzzug? Aber eins -kann ich dir zum Voraus sagen: wenn’s was -zum Patentieren ist, da ist kein Geld mit zu -machen. Bill Tompson …«</p> - -<p>»Zum Patentieren?« rief Tom. »Hat man -je so einen Schafskopf gesehen? Ein Kreuzzug -ist eine Art von Krieg.«</p> - -<p>Ich dachte, er hätte seinen Verstand verloren.<span class="pagenum"><a id="Seite_20"></a>[20]</span> -Aber nein, er meinte es in vollem Ernst und -fuhr ganz ruhig fort:</p> - -<p>»Ein Kreuzzug ist ein Krieg, um das heilige -Land von den Heiden zu erlösen.«</p> - -<p>»Was für’n heiliges Land?«</p> - -<p>»Na, das heilige Land – es gibt doch bloß -eins.«</p> - -<p>»Was sollen wir denn damit anfangen?«</p> - -<p>»Nanu, begreifst du denn das nicht? Es -ist in den Händen der Heiden, und ’s ist unsere -Pflicht, es ihnen abzunehmen.«</p> - -<p>»Warum haben wir’s ihnen denn überlassen?«</p> - -<p>»Wir haben’s ihnen gar nicht überlassen. -Sie haben es immer gehabt.«</p> - -<p>»Ja, Tom, dann muß es aber doch ihnen -gehören, nicht wahr?«</p> - -<p>»Natürlich gehört es ihnen. Wer hat denn -was anderes gesagt?«</p> - -<p>Ich dachte über seine Worte nach, konnte -aber nicht recht herausbekommen was er meinte. -Ich sagte daher: »Das ist für mich zu hoch, Tom -Sawyer. Wenn ich ’ne Farm hätte, und die -wäre mein, und ein anderer wollte sie haben, -wäre es dann recht, wenn er …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_21"></a>[21]</span></p> - -<p>»Ach, Quatsch, Huck Finn! Es handelt sich -um keine Farm, es handelt sich um ganz was -anderes. Höre mal zu, die Sache ist so: ihnen -gehört das Land, aber bloß das Land und nichts -weiter; aber <em class="gesperrt">wir</em>, wir Juden und Christen, -haben’s zum <em class="gesperrt">heiligen</em> Land gemacht und -darum haben sie dort gar nichts zu suchen. Es -ist ’ne wahre Schande und wir können es keine -Minute länger dulden. Wir sollten gegen sie -ausziehen und es ihnen wegnehmen.«</p> - -<p>»Hm, die Sache kommt mir denn doch über -alle Maßen verzwickt vor. Wenn ich ’ne Farm -hätte und ein anderer …«</p> - -<p>»Sagte ich dir nicht, es hat mit ’ner Farm -gar nichts zu tun? Ein Farmer hat ein Geschäft, -ein ganz gewöhnliches alltägliches Geschäft; -weiter kann man darüber nichts sagen. Aber dies -hier – das ist was Höheres – das ist Religion, -also ganz was anderes.«</p> - -<p>Jim schüttelte den Kopf und sagte:</p> - -<p>»Massa Tom, gewiß sein da eine Irrung – -ganz gewiß. Ich selber haben Relion und -kennen viele andere mit Relion, aber nie haben -ich gehört von so was.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_22"></a>[22]</span></p> - -<p>Darob wurde Tom hitzig und er rief:</p> - -<p>»Wahrhaftig, so eine vernagelte Dummheit -kann einen ja ganz krank machen! Wenn einer -von euch beiden ’was von Weltgeschichte gelesen -hätte, so würde er wissen, daß Richard Kördeloon -und der Papst und Gottfried von Buloon und ’ne -Masse andere höchst edelherzige und fromme Leute -mehr als zweihundert Jahre lang auf die Heiden -losgedroschen und losgehackt haben, um ihnen ihr -Land wegzunehmen, und daß sie die ganze Zeit -über bis an den Hals in Blut wateten – und hier -erlauben sich ein paar Dummköpfe von Hinterwäldlern -am Missouri die Anmaßung, besser als -alle jene Helden wissen zu wollen, was Recht -und was Unrecht an den Kreuzzügen gewesen -sei. Quatscht ihr und der Deubel!«</p> - -<p>Na, das ließ natürlich die Sache in einem -ganz andern Licht erscheinen, und Jim und ich -kamen uns recht gering und unbedeutend vor und -wir dachten bei uns, wir hätten lieber nicht so -vorlaut sein sollen. Ich konnte keine Worte finden -und Jim brachte ’ne Zeit lang auch nichts heraus; -endlich aber sagte er:</p> - -<p>»Nu, so ich denken, alles sein in die Richte;<span class="pagenum"><a id="Seite_23"></a>[23]</span> -denn wenn sie nix wußten, wie sollten wir arme -dumme Leut’ versuchen, was zu wissen? Und so, -wenn’s unsere Schuldigkeit is, nu, so müssen wir -Werk in Hand nehmen und tun, was möglich sein. -Aber die arme Heidenvolk tun mir leid. Sein -es nix hart, Leut’ zu Tode zu machen, das man -nie hat gesehen? Seh’ Sie, Massa Tom, das -sein es! Aber dann …«</p> - -<p>»Dann? wann dann?«</p> - -<p>»Hem, Massa Tom, ich haben eine Gedank. -Es tun nu mal nix helfen, wir können die -arme Fremders nix zu Tode machen, was uns nie -nix getan haben. Erst müssen wir uns in die -Todmacherei üben, Massa Tom – jawoll, das -müssen wir! jawoll, ich wissen, es gehen sonst -nix. Wenn wir nu aber eine Beil nehm’ -oder zwei, ich meinen bloß Sie, Massa Tom, -un Jim un Huck, un husch husch über die -Fluß, wann heut nacht die Mond nix mehr -scheinen, un schlagen die kranke Leut’ tot da -oben auf die Hügel un brennen ihre Haus -nieder un …«</p> - -<p>»O, ihr macht mir Kopfweh!« rief Tom, -»Ich will mich auf gar keine Worte mehr mit<span class="pagenum"><a id="Seite_24"></a>[24]</span> -Leuten wie du und Huck einlassen, die nie bei der -Sache bleiben können und nicht mal’n Ding begreifen, -das so gut und gesetzlich ist wie die -schönste Theologie!«</p> - -<p>Nun, das war aber nicht schön von Tom -Sawyer! Jim meinte es doch nicht böse und -ich auch nicht. Wir wußten vollkommen, daß er -im Recht war und wir Unrecht hatten, und -wir wollten ja bloß das ›Warum?‹ wissen und -weiter nichts. Und wenn er’s nicht so auseinandersetzen -konnte, daß wir’s verstanden, nun -so lag das einzig und allein an unserer Unwissenheit; -unwissend waren wir und ein bißchen gar -zu schwer von Begriff auch, das leugne ich nicht. -Aber, du lieber Gott, das ist doch kein Verbrechen!</p> - -<p>Aber er wollte nun ’mal nichts mehr davon -hören; sagte bloß, wenn wir die Sache richtig -begriffen hätten, so hätte er ’n paar tausend -Ritter aufgebracht und hätte sie von Kopf zu -Fuß in Stahl gekleidet, und ich wäre Leutnant -geworden und Jim sein Marketender. Und er -selber hätte ’s Kommando übernommen und hätte -die ganze Heidenwirtschaft ins Meer gefegt wie -Fliegen und wäre als Sieger in einem Glorienschein<span class="pagenum"><a id="Seite_25"></a>[25]</span> -wie Abendgold durch die Welt gegangen. -Aber wir wüßten ja nicht mal so ’ne Gelegenheit -zu benutzen, sagte er, und darum wollte er sie uns -auch nicht wieder bieten. Und dabei blieb’s. Wenn -er sich mal was in den Kopf gesetzt hatte, dann -war nichts zu machen.</p> - -<p>Aber darum ließ ich mir keine grauen Haare -wachsen. Ich bin von friedfertiger Anlage, und -was soll ich mich mit Leuten ’rumschlagen, die -mir nichts zuleide tun? Ich dachte bei mir: -wenn die Heiden zufrieden sind, mir solls Recht -sein, und dabei wollen wir’s belassen.</p> - -<p>Diese ganze Geschichte hatte sich Tom aus -dem Buch von Walter Scott, worin er immer -las, in den Kopf gesetzt. Und es war ’ne wilde -Sache, denn meiner Meinung nach hätte er die -Ritter nicht zusammengebracht, und wenn schon, -so hätte er höchst wahrscheinlich mit samt all -seinem Kriegsvolk Klopfe gekriegt. Ich machte -mich nachher auch über das Buch her und las -es von A bis Z, und, soweit ich daraus klug -werden konnte, hatten die meisten Leute, die ihre -Bauernhäuser verließen und auf die Kreuzzüge -gingen, nicht gerade ein sanftes Leben davon!</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26"></a>[26]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel</h3> -</div> - -<p>Tom dachte sich denn nun also ein Ding -nach dem andern aus, aber ein jedes hatte seine -schwache Stelle und mußte daher auf die Seite -geschoben werden. Zuletzt war er in heller Verzweiflung. -Auf einmal standen in den Zeitungen -von St. Louis lange Geschichten von dem Luftballon, -der nach Europa segeln sollte; Tom -dachte wohl daran, auch hinzufahren und sich -das Ding anzusehen, konnte aber nicht recht zu -einem festen Entschluß kommen. Die Zeitungen -schrieben jedoch immerfort darüber; so dachte er -denn, wenn er nicht hinginge, würde sich ihm -vielleicht nie wieder ’ne Gelegenheit bieten, ’nen -Ballon zu sehen. Außerdem erfuhr er, Nat Parsons -wolle auch hinfahren, und das brachte ihn -natürlich zum Entschluß. Er konnte doch nicht -leiden, daß Nat nach seiner Rückkunft überall -von dem Luftballon schwadronierte, den er gesehen; -da hätte er dabeisitzen müssen und ruhig -den Mund halten! Er bat also mich und Jim -mitzukommen und wir reisten ab.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_27"></a>[27]</span></p> - -<p>Es war ein prächtiger großer Luftballon mit -Flügeln und dergleichen, ganz anders als die -Ballons, die man abgebildet sieht. Die Auffahrtsstelle -befand sich weit draußen am Rande -der Stadt, auf einem leeren Bauplatz an der -Ecke der zwölften Straße. Eine dichte Menschenmenge -stand herum und machte schlechte Witze -über das Luftschiff und über den Mann, einen -mageren blassen Herrn mit jenem bekannten -Mondscheinblick im Auge. Sie sagten fortwährend, -das Ding würde nicht gehen. Er wurde -ganz wild darüber, drehte sich alle Augenblicke -nach den Leuten um und rief mit geballten Fäusten, -sie wären blindes Viehzeug, aber eines -Tages würden sie merken, daß sie einen von den -Männern vor sich gehabt hätten, durch welche -Nationen hochgebracht würden und denen allein -alle Fortschritte der Zivilisation zu verdanken -wären. Ja, dann würden sie merken, daß sie -nur zu dumm gewesen wären, um das zu sehen, -und hier auf dem Fleck würden ihre Kinder und -Enkel ein Denkmal errichten, das ein Jahrtausend -überdauern würde; sein Name aber würde das -Denkmal überdauern!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_28"></a>[28]</span></p> - -<p>Darauf brüllte dann wieder die Menge vor -Lachen und allerlei Fragen hagelten auf ihn -nieder: wie er vor seiner Heirat geheißen hätte, -und was er haben wollte, wenn er’s bleiben ließe, -und wie die Großmutter von seiner Schwester -Katze hieße usw., wie eben der große Haufe sich -benimmt, wenn er ’nen Mann vor sich hat, den -er gehörig plagen kann. Na, einiges von dem, -was sie sagten, war wirklich lustig, – gewiß, -und sogar sehr witzig, das leugne ich nicht, aber -trotzdem war’s nicht schön und war keine Heldentat: -alle diese Leute mit behendem und scharfem -Mundwerk gegen den einen Mann, der seine -Zunge absolut nicht zu gebrauchen wußte. Aber -freilich, wozu um Gottes willen mußte er überhaupt -seinen Mund auftun? Sie <em class="gesperrt">waren</em> ihm -nun doch mal über. Aber ich vermute, ’s lag so -in seiner Natur und er konnte nichts dafür. Er -war gewiß ein ganz guter Kerl, eine harmlose -Seele, aber er war, wie die Zeitungen sagten, -ein Genie und das war doch nicht seine Schuld. -Wir können nicht alle vernünftig sein und wie -wir sind, so müssen wir eben verbraucht werden. -Wenn ich die Sache recht verstehe, so meinen<span class="pagenum"><a id="Seite_29"></a>[29]</span> -Genies, sie wissen alles, und hören darum nicht -auf das, was andere Leute sagen, sondern gehen -ihre eigenen Wege, und deshalb wenden sich denn -alle von ihnen ab und sprechen verächtlich über -sie, wie es ja ganz natürlich ist. Wenn sie bescheidener -wären und auf andere Leute hörten -und was zu lernen sich bemühten, so wären sie -besser daran.</p> - -<p>Das Ding, worin der Professor war, sah -aus wie ’n Boot, groß und geräumig, und auf -der Innenseite liefen rings herum wasserdichte -Behälter, um alle möglichen Sachen aufzubewahren; -man konnte auf ihnen sitzen und sie auch -als Bettstellen benutzen, wenn man schlafen -wollte. Wir gingen an Bord. Es waren ungefähr -zwanzig Leute darin, die überall herumschnüffelten -und sich alles ansahen, und der alte -Nat Parsons war auch dabei. Der Professor -machte sich eifrig mit den Vorbereitungen zum -Aufstieg zu schaffen und die Besucher stiegen daher -wieder aus, einer nach dem andern, und Nat -Parsons war der letzte. Natürlich ging es nicht -an, daß er nach uns das Luftschiff verließ, denn -wir mußten unbedingt die Letzten sein, um Toms<span class="pagenum"><a id="Seite_30"></a>[30]</span> -und seines Publikums willen. Deshalb blieben -wir ganz ruhig in der Gondel.</p> - -<p>Endlich aber war er draußen; es wurde daher -auch für uns Zeit auszusteigen. Ich hörte -ein lautes Geschrei und drehte mich um – die -Stadt sank unter uns in die Tiefe als wäre sie -aus einer Kanone geschossen! Mir wurde vor -Angst ganz übel. Jim wurde grau und konnte -kein Wort herausbringen und Tom sagte ebenfalls -nichts, sah aber ganz aufgeregt aus. Die -Stadt sank immer tiefer, tiefer, tiefer; wir selber -aber schienen ganz still immer auf demselben Fleck -in der Luft stehen zu bleiben. Die Häuser wurden -kleiner und immer kleiner, und die Stadt schob -sich zusammen, dicht und immer dichter, und -Menschen und Fuhrwerke sahen aus wie herumkrabbelnde -kleine Ameisen und Käfer und die -Straßen wurden zu Fäden und feinen Spalten. -Dann schmolz alles ineinander zusammen und -es war überhaupt keine Stadt mehr da – nur -ein großer Fleck auf der Erde, und es kam mir -vor, als könnte man tausend Meilen stromaufwärts -und tausend Meilen weit stromabwärts -sehen – obwohl es natürlich nicht so viel war.<span class="pagenum"><a id="Seite_31"></a>[31]</span> -Allmählich wurde die Erde zu einer Kugel von -düsterer Färbung, die kreuz und quer von hellen -Streifen durchgezogen – das waren Flüsse. -Witwe Douglas hatte mir immer schon erzählt, -die Erde sei rund wie ’ne Kugel, aber ich mochte -auf ihren abergläubischen Kram nicht hören und -hatte natürlich auch diesen Unsinn nicht weiter -beachtet, denn ich sah ja selber, daß die Welt -flach ist wie ’n Teller. Ich war sogar auf den -Berg gegangen und hatte mich mit eigenen Augen -umgeguckt, um mich zu überzeugen – denn ich -bin der Meinung, man kriegt am besten ’nen -richtigen Begriff von einer Sache, wenn man -sie sich selbst ansieht, und sich nicht auf das verläßt, -was andere Leute sagen. Aber nun mußte -ich zugeben, daß Witwe Douglas recht gehabt -hatte. Das heißt: sie hatte recht mit Bezug auf -den übrigen Teil der Welt; aber der Teil, worauf -unser Städtchen liegt, der ist und bleibt flach -wie ’n Teller, darauf will ich ’nen Eid leisten! -Der Professor war die ganze Zeit über ruhig -gewesen, beinahe als ob er schliefe; aber auf einmal -brach er los und rief in bitterem Zorn:</p> - -<p>»Die Idioten! Sie sagten mein Schiff würde<span class="pagenum"><a id="Seite_32"></a>[32]</span> -nicht fliegen, und wollten’s untersuchen und -darauf herumspionieren und das Geheimnis aus -mir herauslocken! Aber ich hab’ sie angeführt! -Kein Mensch kennt das Geheimnis außer mir. -Niemand außer mir weiß, was das Schiff treibt; -’s ist ’ne neue Kraft – ’ne ganz neue, tausendmal -so stark als alles andere auf Erden. Dampf -ist Kaff dagegen. Sie sagten, ich könnte nicht -nach Europa fahren. Nach Europa! Bah, ich -habe Kraft für fünf Jahre an Bord und Lebensmittel -für drei Monate. Sie sind verrückt! -Was verstehen sie davon? Und dann sagten sie, -mein Schiff sei zerbrechlich! Zerbrechlich! Fünfzig -Jahre lang kann’s aushalten. Ich kann mein -ganzes Leben lang in den Lüften herumfahren, -wenn ich Lust habe, und kann es steuern, wohin -ich will. Und sie lachten mich aus und sagten, -ich könnt’s nicht. Könnt’ nicht steuern! Komm -her, Junge; das wollen wir gleich mal sehen. -Du drückst bloß auf die Knöpfe, die ich dir bezeichne.«</p> - -<p>Er ließ nun Tom das Schiff nach allen -Richtungen hin steuern und Tom lernte es im -Handumdrehen; er sagte uns, es ginge ganz leicht.<span class="pagenum"><a id="Seite_33"></a>[33]</span> -Der Professor ließ ihn das Schiff beinahe ganz -auf den Erdboden herunterbringen, und es strich -so dicht über die Felder von Illinois hin, daß man -mit den Landleuten hätte sprechen können, denn -wir hörten ganz deutlich jedes Wort, das sie -sagten. Und der Professor warf ihnen bedruckte -Zettel zu, darin stand allerlei über den Ballon, -und daß wir nach Europa segelten. Dann brachte -der Professor Tom bei, wie er den Ballon zu -landen hätte. Auch das lernte er famos, er setzte -uns ganz sanft und leise auf die Wiese nieder. -Aber sowie wir Miene machten auszusteigen, rief -der Professor: »Nä, das nicht!« und ließ den -Ballon wieder in die Lüfte emporschießen. Jim -und ich begannen zu flehen, aber das machte den -Mann bloß ärgerlich, er fing an zu toben und vor -Wut die Augen zu verdrehen, und ich kriegte ’ne -Höllenangst vor ihm. Dann fing er wieder von -den bösen Menschen an und brummte und knurrte -darüber, wie man ihn behandelt hätte; und besonders -darüber, daß die Leute gesagt hatten, -sein Schiff sei zerbrechlich, konnte er, wie’s scheint, -nicht hinwegkommen. Und dann hatte man gesagt, -das Luftschiff sei nicht einfach genug und<span class="pagenum"><a id="Seite_34"></a>[34]</span> -werde fortwährend in Unordnung geraten. In -Unordnung! Das regte ihn fürchterlich auf; er -rief, der Ballon würde so wenig in Unordnung -geraten wie ’ne Sonnenzisterne.<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a></p> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Eine kleine Verwechselung mit dem Sonnensystem.</p> -</div> -</div> - -<p>Es wurde immer schlimmer mit ihm und -ich habe niemals einen Menschen in solcher Wut -gesehen. Beim bloßen Anblick überlief mich ’ne -Gänsehaut und Jim ging’s nicht besser. Allmählich -wurde sein Sprechen zu lautem Geschrei -und Gekreisch; er schwor, die Welt sollte sein -Geheimnis überhaupt nicht kennen lernen; man -hätte ihn zu niederträchtig behandelt. Er wollte -mit seinem Ballon um den ganzen Erdball herumfahren, -um ihnen zu zeigen, was er damit leisten -könnte, und dann wollte er den Ballon und sich -selber und uns dazu ins Meer versenken. Es -war ’ne verflucht ungemütliche Lage für uns, -und dabei brach auch noch die Nacht herein.</p> - -<p>Er gab uns was zu essen und befahl uns -dann, nach dem hinteren Ende der Gondel zu -gehen. Er selbst streckte sich auf einer von den -Bänken aus, von wo aus er den ganzen Mechanismus -hantieren konnte, legte seine alte Revolver-Pfefferbüchse<span class="pagenum"><a id="Seite_35"></a>[35]</span> -unter seinen Kopf und sagte, wenn -einer von uns so verrückt wäre, das Luftschiff -landen zu wollen, den würde er totschießen.</p> - -<p>Wir saßen aneinander geschmiegt und machten -uns recht viele Gedanken, sprachen aber wenig -– wir hatten zu große Angst. Allmählich senkte -sich die Nacht hernieder. Wir segelten ziemlich -niedrig, und im Mondschein sah alles so hübsch -und lieblich aus; wir hörten die Geräusche, die -von den Gehöften kamen, und wünschten, wir -wären dort unten. Aber wie ein Geisterhauch -schwebten wir über sie hin, ohne eine Spur zu -hinterlassen. Spät in der Nacht – man hörte -den Geräuschen von drunten an, daß es spät war, -und man merkte es an der Luft, ja man roch -es ihr sozusagen an – dem Gefühl und Geruch -der Luft nach dachte ich, es müsse etwa zwei -Uhr sein – spät in der Nacht also sagte -Tom, der Professor wäre jetzt so still, er -müßte wohl eingeschlafen sein, und darum -sollten wir …</p> - -<p>»Sollten wir … was?« fragte ich flüsternd. -Und mir war ganz schlimm dabei zu Mute, denn -ich wußte, woran Tom dachte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36"></a>[36]</span></p> - -<p>»Wir sollten uns zu ihm heranschleichen und -ihn binden und mit dem Luftschiff landen!« antwortete -er.</p> - -<p>Ich sagte: »Um Gottes willen nicht! Rühr’ -dich nicht vom Fleck, Tom Sawyer!«</p> - -<p>Und Jim – ja, dem blieb vor Angst einfach -die Luft weg. Er sagte:</p> - -<p>»O, Massa Tom, tu Sie ja nich! Wenn -Sie ihn anrühren, es sein alle mit uns, warraftig -alle mit uns! Ich tät’ ihm nich zu nah -kommen, nich für nix auf die Welt! Er sein -verrückt wie ’ne …«</p> - -<p>»Eben drum!« flüsterte Tom. »Eben drum -<em class="gesperrt">müssen</em> wir das tun. Wäre er nicht verrückt, -so gäbe ich, ich weiß nicht was, darum, um bloß -hier auf dem Luftschiff zu sein; keine zehn Pferde -sollten mich von hier wegkriegen, jetzt wo ich -mit dem Ding umzugehen weiß und die erste -Angst, als wir plötzlich den festen Grund unter -den Füßen verloren, überwunden ist. Wenn er -nur seinen rechten Verstand hätte! Aber mit so -’nem Menschen ’rumzugondeln, der ’ne Schraube -verloren hat und sagt, er wolle um die Welt -segeln und nachher uns alle ersäufen – nee, das<span class="pagenum"><a id="Seite_37"></a>[37]</span> -geht nicht. Wir <em class="gesperrt">müssen</em> was tun, sage ich -euch, und zwar bevor er aufwacht, sonst haben -wir vielleicht niemals wieder ’ne Gelegenheit dazu. -Kommt!«</p> - -<p>Aber uns überlief ’ne eiskalte Gänsehaut -bei dem bloßen Gedanken daran, und wir rührten -uns nicht von der Stelle. Tom sagte darauf, -er wollte allein an den Professor herankriechen -und versuchen, ob er nicht an den Steuerapparat -herankommen und den Ballon landen könnte. Wir -baten und flehten, er möchte es nicht tun, aber -es half uns nichts. Er kroch auf Händen und -Füßen Zoll um Zoll vorwärts, und uns stockte -der Atem, als wir das mit ansahen. Als er -in der Mitte der Gondel angekommen war, fing -er an noch langsamer zu kriechen, und mir kam -es vor, als vergingen Jahre darüber. Zuletzt -aber sahen wir, wie er bei des Professors Kopf -war; da richtete er sich halb auf und sah ihm -ins Gesicht und lauschte. Dann kroch er wieder -Zoll um Zoll zu des Professors Füßen herunter, -wo die Steuerknöpfe waren. Er kam auch richtig -an und griff langsam und bedächtig nach den -Knöpfen; aber dabei stieß er an irgend etwas<span class="pagenum"><a id="Seite_38"></a>[38]</span> -an. Es gab ein Geräusch, und plumps! lag er -flach auf dem Boden der Gondel.</p> - -<p>Der Professor fuhr empor und rief: »Was -ist das?«</p> - -<p>Aber wir hielten uns alle mäuschenstill; -er brummte und gähnte und streckte sich -wie jemand, der aus dem Schlaf aufwacht, -und ich dachte, ich sollte vor Angst und Zagen -umkommen.</p> - -<p>Auf einmal schob sich eine Wolke vor den -Mond, und ich hätte vor Freude beinahe laut -aufgeschrieen. Der Mond verschwand immer -tiefer in den Wolken und es wurde so dunkel, -daß wir Tom nicht mehr sehen konnten. Dann -begannen Regentropfen zu fallen und wir hörten, -wie der Professor an seinen Stricken und Knöpfen -herumbastelte und auf das Wetter fluchte. Wir -fürchteten jede Minute, er könnte Tom entdecken -– und dann wären wir alle rettungslos verloren -gewesen. Aber Tom war schon auf dem Rückweg -und auf einmal fühlten wir seine Hände -auf unseren Knieen. Da ging mir vor Angst -plötzlich die Luft aus und das Herz fiel mir in -die Hosen; denn in der finsteren Nacht konnte<span class="pagenum"><a id="Seite_39"></a>[39]</span> -ich nicht wissen, ob es nicht der Professor wäre; -und ich dachte wirklich, er wär’s.</p> - -<p>O je, die Freude, als wir ihn nun wirklich -zurück hatten! So vergnügt kann bloß einer sein, -der mit einem Verrückten in der Luft ’rumfährt! -Im Dunkeln kann man mit einem Luftballon -nicht landen; ich hoffte daher, der Regen möchte -andauern, denn ich wünschte durchaus nicht, daß -Tom noch ’mal sein Glück versuchte und uns -wieder in die unbehagliche Angst versetzte. Na, -mein Wunsch ging in Erfüllung. Den ganzen -übrigen Teil der Nacht regnete es immer sachte -weg; das war nun freilich keine sehr lange Zeit, -uns aber kam sie endlos vor.</p> - -<p>Mit Tagesanbruch heiterte der Himmel sich -auf und die Welt sah über alle Maßen lieblich -und hübsch aus in ihrem grauen Dunst, und -was für’n schöner Anblick war’s, Felder und -Wälder wieder zu sehen! Und Pferde und Ochsen -standen so klar und deutlich da und sahen so -nachdenklich aus. Dann kam in heiterer Pracht -die Sonne herauf, und wir fühlten auf einmal -wie müde und kaput wir waren, und ehe wir’s uns -versahen, waren wir alle drei fest eingeschlafen.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_40"></a>[40]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Als wir einschliefen, war es ungefähr vier -Uhr und gegen acht wachten wir auf. Der Professor -saß auf seinem Platz und machte ein verdrießliches -Gesicht. Er warf uns etwas zum -Frühstück zu und sagte uns, wir dürften nicht -weiter gehen als bis zum Mittelschiffs-Kompaß; -dieser befand sich ungefähr in der Mitte der -Gondel.</p> - -<p>Wenn man so einen rechten Hunger gehabt -hat und dann auf einmal sich ordentlich satt -essen kann, dann sieht man die Welt mit ganz -anderen Augen an; es wird einem beinahe ganz -behaglich zu Mute, selbst wenn man mit einem -Genie sich in einem Ballon hoch oben in den -Lüften befindet. Nach dem Essen rückten wir -drei näher zusammen und begannen zu plaudern. -Besonders ein Umstand war da, der mir -gar nicht aus dem Kopf wollte, und im Lauf -des Gesprächs bemerkte ich:</p> - -<p>»Tom, fahren wir nicht nach Osten?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_41"></a>[41]</span></p> - -<p>»Wie schnell sind wir gesegelt?«</p> - -<p>»Na, du hörtest doch selber, was der Professor -sagte, als er gestern so herumtobte. -Manchmal, sagte er, machten wir in der Stunde -fünfzig Meilen<a id="FNAnker_4" href="#Fussnote_4" class="fnanchor">[4]</a>, manchmal neunzig, manchmal -hundert; wenn er mit einem tüchtigen Sturm -segelte, so könnte er jederzeit dreihundert machen, -und wenn er einen Sturm haben wollte, so -brauchte er bloß den Ballon höher steigen oder -tiefer sinken zu lassen, bis er den Sturm und -die gewünschte Richtung hätte.«</p> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_4" href="#FNAnker_4" class="label">[4]</a> englische.</p> -</div> -</div> - -<p>»Na ja, das hatte ich mir gedacht: der -Professor log!«</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Wenn wir so schnell gefahren wären, so -hätten wir doch schon über Illinois hinaus sein -müssen, nicht wahr?«</p> - -<p>»Gewiß.«</p> - -<p>»Na, so weit sind wir aber nicht!«</p> - -<p>»Woher weißt du das?«</p> - -<p>»Ich seh’s an der Farbe. Wir sind immer -noch mitten über Illinois. Und du kannst selber -sehen, daß Indiana noch nicht in Sicht ist.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_42"></a>[42]</span></p> - -<p>»Was ist denn bloß dir in die Krone gefahren, -Huck? Du sagst, du siehst es an der -Farbe?«</p> - -<p>»Natürlich!«</p> - -<p>»Was hat denn die Farbe damit zu tun?«</p> - -<p>»’ne ganze Masse! Illinois ist grün, Indiana -hellrot. Nun zeig mir mal da unten auch -nur den kleinsten hellroten Fleck, wenn du kannst! -Gibt’s gar nicht – ’s ist alles grün!«</p> - -<p>»Indiana hellrot?! Donnerwetter, was -bist du für ein Lügenbeutel!«</p> - -<p>»Nichts von Lügen! Ich hab’s auf der -Karte gesehen, und Indiana ist hellrot!«</p> - -<p>Machte aber der Tom Sawyer ein ärgerliches -Gesicht! Endlich sagte er:</p> - -<p>»Weißt du, Huck Finn, wenn ich so dämlich -wäre wie du, da spränge ich lieber gleich -über Bord! Hat’s auf der Landkarte gesehen!! -Huck Finn, meintest du wirklich, die Oberfläche -jedes einzelnen Staates wäre von derselben Farbe, -wie sie auf der Karte dargestellt ist?«</p> - -<p>»Tom Sawyer, was hat ’ne Landkarte für -’nen Zweck? Man soll doch wohl Tatsachen draus -ersehen können?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_43"></a>[43]</span></p> - -<p>»Natürlich.«</p> - -<p>»Schön! Wie kann man aber das, wenn die -Karte lügt? Das möcht’ ich wohl wissen!«</p> - -<p>»Du bist ein Quatschkopf! Sie lügt ja gar -nicht!«</p> - -<p>»Ach nee! wirklich nicht? lügt sie nicht?«</p> - -<p>»Natürlich nicht!«</p> - -<p>»Sehr gut! Na, wenn die Landkarte nicht -lügt, dann gibt’s keine zwei Staaten von derselben -Farbe. Was sagst du <em class="gesperrt">dazu</em>, Tom -Sawyer?!«</p> - -<p>Er sah, ich hatte ihn fest und Jim sah es -auch; und ich muß sagen, ich war mächtig stolz -darauf, denn Tom Sawyer war einer, mit dem -man in einem Wortgefecht nicht so leicht fertig -wurde. Jim schlug sich auf den Schenkel und rief:</p> - -<p>»Donnawetta! Das is fermost! Das is -einfach fermost! Da is nix zu sagen, Massa Tom; -diesmal hat Huck Finn Sie fest! Jawoll!« Und -dabei schlug er sich noch einmal auf den Schenkel -und sagte: »Junge, Junge! Das war warraftig -fermost!«</p> - -<p>Nie in meinem Leben war ich innerlich so -stolz gewesen, und dabei hatte ich gar kein Bewußtsein<span class="pagenum"><a id="Seite_44"></a>[44]</span> -davon gehabt, daß ich so was Berühmtes -sagte, als bis es heraus war. Ich plapperte -eigentlich bloß so in den Tag hinein, aber auf -einmal, paff!, da schoß es aus mir heraus!</p> - -<p>Aber Tom war ärgerlich und sagte, Jim -und ich wären zwei unwissende Windbeutel und -es wäre besser, wenn wir unseren Mund hielten. -Ich habe herausgefunden, daß fast jeder ärgerlich -wird, wenn er auf einen guten Einwand nichts -zu erwidern weiß.</p> - -<p>Auf einmal bemerkte er ganz tief, tief unter -uns einen Kirchturm; er nahm ein Fernrohr -zur Hand und sah nach der Turmuhr, holte seine -silberne Taschenuhr hervor und sah nach der Zeit, -und dann wieder auf den Turm und nochmals auf -die silberne Zwiebel und sagte schließlich:</p> - -<p>»Das ist komisch! Die Uhr da geht beinahe -’ne Stunde vor!«</p> - -<p>Er zog seine Taschenuhr auf; dann bemerkte -er einen andern Kirchturm und sah wieder hin, -und wieder ging die Uhr ’ne Stunde vor. Das -machte ihn nachdenklich und er sagte:</p> - -<p>»Die Geschichte ist wirklich sonderbar. Wie -das zugeht, versteh’ ich nicht!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_45"></a>[45]</span></p> - -<p>Wieder nahm er das Fernrohr und suchte -sich noch einen Kirchturm, und richtig – auch -diese Uhr ging ’ne Stunde vor. Auf einmal -riß er die Augen ganz weit auf und machte ein -paarmal den Mund auf und zu, als müßte -er nach Luft schnappen, und dann plötzlich rief er:</p> - -<p>»Hei–li–ges – Don–nerr–wet–terrr! -’s ist der Längengrad!«</p> - -<p>Ich kriegte einen ganz gehörigen Schreck und -fragte:</p> - -<p>»O je, o je, was ist denn nun wieder los?«</p> - -<p>»Nichts weiter, als daß diese alte Blase ganz -mir nichts dir nichts über Illinois und Indiana -und Ohio weggesaust ist und daß wir da unter -uns die Ostseite von Pennsylvanien oder New -York oder so ’ne ähnliche Gegend haben!«</p> - -<p>»Tom Sawyer, das ist doch nicht dein -Ernst!«</p> - -<p>»Jawohl, das ist es, und die Sache steht -bombenfest! Seit wir gestern nachmittag aus -St. Louis abfuhren, haben wir ungefähr fünfzehn -Längengrade gekreuzt, und die Uhren da unten -gehen richtig! Wir haben an die achthundert -Meilen gemacht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_46"></a>[46]</span></p> - -<p>Ich glaubte ihm das nicht, aber trotzdem -lief mir eine eiskalte Gänsehaut über den Buckel. -Ich wußte aus eigener Erfahrung, daß man zu -einer solchen Strecke auf einem Floß den Mississippi -herunter beinahe zwei Wochen gebraucht.</p> - -<p>»Seht mal!« belehrte Tom uns. »Der Zeitunterschied -beträgt für jeden Längengrad ungefähr -vier Minuten. Fünfzehn Grade machen ’ne -Stunde, dreißig zwei Stunden usw. Wenn sie in -England Dienstag morgen um ein Uhr haben, -so ist es in New York Montag abend um acht.«</p> - -<p>Jim rückte auf seiner Bank ein Stück von -Tom ab, und man konnte ihm ansehen, daß er -beleidigt war, denn er schüttelte fortwährend den -Kopf und brummte vor sich hin; ich schob mich -darum nahe zu ihm heran und tätschelte ihn -auf die Beine und gab ihm gute Worte und -brachte ihn denn auch schließlich so weit, daß -er seinen Gefühlen Luft machte.</p> - -<p>»Massa Tom!« sagte er. »Quassel Sie nix -sowas! Dingsdag auf’m einen Ort un Mondag -auf’m annern, un beides auf’m selben Dag! -Huck, hier is nix gut zu spaßen, hier ganz oben, -oben in die Luft! Zwei Dage auf einen Dag?!<span class="pagenum"><a id="Seite_47"></a>[47]</span> -So? Wie kriegt man denn zwei Dage in <em class="gesperrt">einen</em>? -Kann Sie zwei Stunden in <em class="gesperrt">eine</em> kriegen, häh? -Kann Sie zwei Nigger in <em class="gesperrt">eines</em> Niggers Haut -kriegen, häh? Kann Sie zwei Maß Whisky in -’ne Kruke kriegen, wo bloß <em class="gesperrt">ein</em> Maß ringeht, -häh? Nu, guckemal, Huck – wenn nu dieser -Dingsdag Neujahrsdag wär’ – was dann? Will -da einer behaupten, ’s wär am einen Ort Neujahr, -un am annern Ort Altjahr, akkrat in dieselbigte -Minute? Das is ja ’n vermaledeiter -Unsinn! So was kann ich gar nix mit anhören, -ach du lieber großer Gott, nä!«</p> - -<p>Auf einmal fängt er an zu zittern und wird -ganz grau und Tom sagt:</p> - -<p>»Na, was ist denn nun los? Was hast -du denn?«</p> - -<p>Jim kann gar kein Wort hervorbringen, aber -endlich sagt er:</p> - -<p>»Massa Tom, Sie mach’ nix Spaß, un es -<em class="gesperrt">is</em> so?«</p> - -<p>»Nein, ich denke nicht dran, und es ist wirklich -so!«</p> - -<p>Jim kriegt wieder das Zittern und sagt:</p> - -<p>»Denn könnt’ ja der Dingsdag der Jüngste<span class="pagenum"><a id="Seite_48"></a>[48]</span> -Dag sein, un denn hätten sie in England keinen -Jüngsten Dag, un denn würden die Doten nix -geruft. Da dürfen wir nix hingehn, Massa Tom! -Bitte, krieg Sie ihm dazu, daß er umkehrt; ich -will un muß dabei sein, wenn der Jüngste -Dag …«</p> - -<p>Auf einmal sahen wir was und sprangen -alle miteinander auf unsere Füße und vergaßen -alles und jedes und konnten bloß staunen und -die Augen aufreißen. Und Tom rief:</p> - -<p>»Ist das nicht …?« Ihm ging die Luft -aus, aber dann fuhr er fort: »Jawohl, er ist’s! -Sowahr ich lebe! ’s ist der Ozean!«</p> - -<p>Da blieb auch Jim und mir die Luft weg! -Wie versteinert standen wir alle drei da, aber -glücklich! Denn keiner von uns hatte je ’nen -Ozean gesehen oder auch nur gedacht, daß uns -mal so etwas beschieden sein könnte. Tom brummelte -fortwährend vor sich hin:</p> - -<p>»Atlantischer Ozean – Atlantischer! Herrgott, -klingt das großartig! Und da unten <em class="gesperrt">ist</em> -er – und wir, wir sehen ihn mit unseren eigenen -Augen – wir! Das ist ja so was Wundervolles, -daß man sich gar nicht getraut, es zu glauben!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_49"></a>[49]</span></p> - -<p>Dann sahen wir ’ne dicke Wolke von schwarzem -Rauch, und als wir näher kamen, da war’s -’ne Stadt, und zwar ein riesiges Ungetüm von -einer Stadt, mit einem dicken Kranz von Schiffen -an der einen Seite; und wir dachten, ob das wohl -New York sein möchte, und stritten uns darüber -herum und ehe wir’s uns versahen, da war die -Stadt unter uns weggeglitten und lag weit, weit -hinter uns – und da waren wir mitten über -dem Ozean selber und fuhren dahin mit der -Schnelligkeit einer Windsbraut. Da wurden wir -aber mit einem Mal ganz hell wach, das kann -ich versichern! Wir stürzten nach hinten und -erhoben ein Jammergeheul und baten den Professor -himmelhoch, er möchte doch umkehren und -uns an Land setzen, aber er riß sein Pistol aus -der Tasche und schrie uns an, wir sollten zurückgehen -– und wir gingen, aber wie jämmerlich -uns zu Mute war, davon wird kein Mensch je -sich einen Begriff machen können.</p> - -<p>Das Land war verschwunden, bloß noch ein -kleiner Streif, so schmal wie ’ne Schlange, war -am Rande des Wassers, und in der Tiefe unter -uns, da war nichts als Ozean, Ozean, Ozean –<span class="pagenum"><a id="Seite_50"></a>[50]</span> -Millionen Meilen von Ozean und das hob sich -und warf sich und wirbelte, und weißer Gischt -sprühte von den Wogenkämmen, und im ganzen -Gesichtskreise waren bloß ein paar Schiffe, die -wurden hin- und hergeschleudert und legten sich -erst auf die eine Seite und dann auf die andere -und fuhren bald mit dem Bug, bald mit dem -Stern in die Tiefe. Und es dauerte nicht lange, -dann waren überhaupt keine Schiffe mehr zu -sehen und wir waren ganz mutterseelenallein zwischen -dem hohen Himmel und dem endlosen Meere -– und es war die weiteste Fläche, die ich je -gesehen hatte, und die grenzenloseste Einsamkeit.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Und einsamer wurde es und immer einsamer. -Ueber uns war das riesige Himmelsgewölbe – -leer und furchtbar tief; und unter uns war der -Ozean, auf dem wir bloß die Wellenköpfe sahen. -Rund um uns her war ein Ring, in welchem -Himmel und Wasser zusammenliefen; ja ein -riesengroßer Ring war es und wir waren genau<span class="pagenum"><a id="Seite_51"></a>[51]</span> -in dessen Mitte. Wir sausten dahin mit der -Schnelligkeit eines Prairiebrandes; aber das -machte in der Entfernung keinen Unterschied, -allem Anschein nach kamen wir über unseren -Mittelpunkt nicht hinaus; so viel ich sah, konnten -wir dem Ring nicht um Zollbreite näher kommen. -Es wurde einem ganz seltsam dabei zu Mute; -es war so eigentümlich und so unerklärlich.</p> - -<p>Und dabei war alles so furchtbar still, daß -wir unwillkürlich anfingen leise zu sprechen, und -die Einsamkeit machte uns immer bänger und -benahm uns die Lust zu plaudern und schließlich -hörte das Gespräch ganz auf und wir saßen bloß -da und ›denkten‹, wie Jim sich ausdrückt, und -sagten kein Wort mehr.</p> - -<p>Der Professor rührte sich nicht, bis die Sonne -über unseren Köpfen stand; da richtete er sich -auf und hielt eine Art Dreieck vor seine Augen, -und Tom sagte, das wäre ein Sextant, und er -nähme die Stellung der Sonne, um zu sehen, -wo der Luftballon sich befände. Hierauf rechnete -er ein bißchen und sah in einem Buche nach -und dann kriegte er wieder seinen Anfall. Er -sprach eine Menge wildes Zeug und sagte unter<span class="pagenum"><a id="Seite_52"></a>[52]</span> -anderem, er wollte dieses Hundertmeilentempo -bis zum nächsten Nachmittag beibehalten und dann -würde er in London landen.</p> - -<p>Wir sagten, dafür würden wir ihm in tiefster -Seele dankbar sein.</p> - -<p>Er hatte sich umgedreht, aber als wir das -sagten, da sprang er auf einmal ganz wild wieder -herum und warf uns einen ganz abscheulichen -langen Blick zu – selten habe ich einen so boshaften -und mißtrauischen Blick gesehen! Dann -sagte er:</p> - -<p>»Ihr wollt von mir gehen! Versucht nicht, -das abzuleugnen.«</p> - -<p>Wir wußten nicht, was wir antworten -sollten, und hielten deshalb den Mund und sagten -gar nichts.</p> - -<p>Er ging nach hinten und setzte sich wieder -hin, aber augenscheinlich konnte er diesen Gedanken -nicht wieder los werden. Von Zeit zu -Zeit rief er uns irgend etwas zu, was darauf -Bezug hatte, und versuchte eine Antwort aus -uns heraus zu bringen; aber wir wagten nicht -zu sprechen.</p> - -<p>Immer drückender wurde das Gefühl der<span class="pagenum"><a id="Seite_53"></a>[53]</span> -Einsamkeit, und es kam mir vor, als könnte -ich’s bald nicht länger aushalten. Als die Nacht -hereinbrach, wurde es damit noch schlimmer. Auf -einmal kneift mich Tom und flüstert: »Sieh -mal hin!«</p> - -<p>Ich gucke nach hinten und sehe, wie der -Professor einen Schluck aus ’ner Flasche nimmt. -Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ab und -zu nahm er wieder einen Schluck und es dauerte -nicht lange, so fing er an zu singen. Es war -jetzt dunkel – eine schwarze und stürmische Nacht. -Er sang fortwährend, immer wilder und wilder, -und der Donner begann zu grollen, und der -Wind zu brausen und im Tauwerk zu heulen -– und das alles zusammen war fürchterlich. Es -wurde so dunkel, daß wir den Professor überhaupt -nicht mehr sehen konnten, und wir wünschten, -wir hätten ihn auch nicht hören können – aber -da hätten wir keine Ohren haben müssen.</p> - -<p>Dann wurde er still. Aber als er noch keine -zehn Minuten still gewesen war, da wurde uns das -noch unheimlicher, und wir wünschten, er möchte -wieder mit seinem Spektakel anfangen, damit wir -wenigstens wüßten, wo er wäre. Auf einmal<span class="pagenum"><a id="Seite_54"></a>[54]</span> -zuckte ein Blitz und wir sahen, daß er aufzustehen -versuchte, aber er stolperte und fiel wieder -hin. Wir hörten ihn in die Finsternis hineinschreien:</p> - -<p>»Sie mögen nicht nach England gehen? -Auch recht; ich will den Kurs ändern. Sie wollen -von mir gehen. Jawohl, ich weiß, sie wollen -es! Schön, sie sollen’s – und zwar <em class="gesperrt">jetzt -gleich</em>!«</p> - -<p>Ich kam vor Angst beinahe um, als er dies -sagte. Dann war es wieder still – eine so lange -Zeit, daß ich’s gar nicht mehr aushalten konnte, -und es kam mir vor, als wollte der Blitz niemals -wieder kommen. Aber schließlich da kam -so ein ersehnter Blitz, und richtig, da war der -Professor; er kroch auf Händen und Knieen und -war keine vier Fuß weit von uns entfernt. O, -was machte er für fürchterliche Augen! Er -machte einen Satz auf Tom zu und rief:</p> - -<p>»Ueber Bord mit dir!«</p> - -<p>Aber es war schon wieder pechdunkel und -ich konnte nicht sehen, ob er ihn kriegte oder -nicht, und Tom war mäuschenstill.</p> - -<p>Dann kam wieder ein langes gräßliches Warten!<span class="pagenum"><a id="Seite_55"></a>[55]</span> -Dann wieder ein Blitz und ich sehe außerhalb -des Bootes Tom seinen Kopf niederducken -und verschwinden. Er war auf der Strickleiter, -die vom Dollbord herunter frei in der Luft hing. -Der Professor stieß einen Schrei aus und tat -einen Satz, und im Nu war’s wieder pechfinster, -und Jim stöhnte:</p> - -<p>»Arme Massa Tom, er is hin!«</p> - -<p>Damit wollte Jim sich auf den Professor -stürzen, aber der Professor war nicht da.</p> - -<p>Dann hörten wir zwei entsetzliche Schreie -– dann noch einen, nicht ganz so laut – und -noch einen, der kam ganz tief von unten her, -und man konnte ihn gerade eben noch hören. -Und Jim sagte:</p> - -<p>»Arme Massa Tom!«</p> - -<p>Dann wurde es grauenhaft still; man hätte, -glaube ich, bis viertausend zählen können, bis der -nächste Blitz kam. Als es blitzte, sah ich Jim -auf den Knieen liegen; die Arme hatte er über -die Bank gestreckt und sein Kopf lag auf seinen -Armen und er weinte. Ehe ich über Bord sehen -konnte, war alles wieder dunkel, und das war -mir lieb, denn ich <em class="gesperrt">wollte</em> nichts sehen. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_56"></a>[56]</span> -als der nächste Blitz kam, da war ich mit meinem -Kopf schon über’m Bootsrand, und da sehe ich -unter mir jemanden auf der schaukelnden Strickleiter -– und es ist Tom!</p> - -<p>»Komm ’rauf!« schrei’ ich. »Komm ’rauf, -Tom!«</p> - -<p>Seine Stimme war so schwach und der -Sturm brüllte so fürchterlich, daß ich nicht verstehen -konnte, was er sagte; aber es kam mir -vor, als fragte er, ob der Professor bei uns -oben sei. Ich schrie:</p> - -<p>»Nein! Der ist unten im Ozean! Komm -’rauf! Können wir dir helfen?«</p> - -<p>Dies alles ging natürlich in düsterster Finsternis -vor sich.</p> - -<p>»Huck! wen rufst du da?« stöhnte auf einmal -Jim.</p> - -<p>»Ich rufe Tom.«</p> - -<p>»O, Huck, wie kannst du? Du weißt doch, -arme Massa Tom …«</p> - -<p>Weiter kam er nicht; er stieß einen fürchterlichen -Schrei aus und gleich darauf noch einen -und warf seinen Kopf und seine Arme hintenüber -– denn gerade in dem Augenblick kam ein weißer<span class="pagenum"><a id="Seite_57"></a>[57]</span> -Blitz und über dem Dollbord hob sich Toms -Gesicht, ganz schneeweiß, empor und sah ihm -gerade in die Augen. Er dachte natürlich, es -sei Toms Geist.</p> - -<p>Tom kletterte an Bord, und als Jim merkte, -daß er’s <em class="gesperrt">wirklich</em> war und nicht sein Geist, -da herzte er ihn und gab ihm alle möglichen -Kosenamen und tat, als wäre er vor Freuden -ganz verrückt geworden. Als schließlich ein bißchen -Ruhe eintrat, fragte ich:</p> - -<p>»Worauf wartetest du denn, Tom! Warum -kamst du nicht gleich wieder herauf?«</p> - -<p>»Durfte ich nicht, Huck! Ich merkte, daß -jemand bei mir vorbei plumpste, aber in der -Dunkelheit wußte ich nicht, wer es war. Es -hätte Jim sein können oder auch du, Huck Finn!«</p> - -<p>Das war der echte Tom Sawyer – immer -vernünftig! Er kam nicht eher nach oben, als -bis er wußte, wo der Professor war.</p> - -<p>Der Sturm hatte sich inzwischen zu seiner -höchsten Gewalt entwickelt; es war fürchterlich, -wie der Donner brüllte, wie die Blitze blendend -zuckten, wie der Wind im Tauwerk heulte und -pfiff und wie der Regen herniederströmte. In der<span class="pagenum"><a id="Seite_58"></a>[58]</span> -einen Sekunde konnte man nicht seine Hand vor -Augen sehen und in der nächsten konnte man -die Fäden im Rockärmel zählen und sah durch -einen Regenschleier eine ganze weite Wüste von -rollenden schäumenden Wellen. Ein solcher -Sturm ist das Prächtigste, was es auf der Welt -gibt – aber nicht wenn man oben unter dem -Himmel fährt, wo man in der Einsamkeit den -Weg nicht weiß, wenn man bis auf die Haut -durchnäßt ist, und gerade eben einen Todesfall -in der Familie gehabt hat!</p> - -<p>Wir saßen am Bugspriet zusammen gedrängt -und sprachen leise vom Professor; und uns allen -tat er leid, der arme Mann, den die Welt verspottet -und hart behandelt hatte, während er ihr -doch sein Bestes gab; und dabei hatte er keinen -Freund oder sonst einen Menschen gehabt, um -ihn zu ermutigen und ihn aufzuheitern, wenn -die trüben Gedanken über ihn kamen, die ihn -schließlich verrückt machten.</p> - -<p>Am andern Ende der Gondel waren Kleider -und Decken und dergleichen in Hülle und Fülle; -aber wir ließen uns lieber durchnaß regnen als daß -wir in jener Nacht etwas davon angerührt hätten.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_59"></a>[59]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="Fuenftes_Kapitel">Fünftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Wir versuchten irgend einen Plan aufzustellen, -konnten aber nicht einig werden. Jim -und ich waren dafür, umzukehren und wieder -nach Hause zu fahren. Tom aber meinte, wir sollten -lieber den Tagesanbruch abwarten, um ordentlich -sehen zu können; bis dahin aber würden wir so -nahe bei England sein, daß wir ebensogut dorthin -fahren könnten; wir könnten dann zu Schiff zurückkehren, -und was wäre das nicht für ein -Ruhm, wenn wir später so etwas von uns sagen -könnten!</p> - -<p>Gegen Mitternacht legte sich der Sturm; der -Mond kam hervor und beschien die Meeresfläche; -uns wurde ganz behaglich zu Mute und der -Schlaf kam über uns. Wir streckten uns auf -den Bänken aus und schliefen ein und wachten -nicht früher auf, als bis die Sonne am Himmel -stand. Die See funkelte wie von lauter Diamanten -und es war schönes Wetter und sehr -bald waren alle unsere Sachen wieder trocken.</p> - -<p>Wir gingen achter, um uns etwas zum<span class="pagenum"><a id="Seite_60"></a>[60]</span> -Frühstück zu suchen, und das erste, was uns in die -Augen fiel, war ein trübes Lichtchen, das in einem -Kompaß unter ’nem Glasdeckel brannte. Tom -machte sich sofort Gedanken darüber und sagte:</p> - -<p>»Ihr könnt euch wohl denken, was das bedeutet! -Nichts anderes, als daß hier jemand -auf Wache stehen und dies Ding steuern muß, -genau wie ein Schiff gesteuert wird. Denn -wenn der Ballon nicht gesteuert wird, so treibt -er sich in der Luft herum und segelt, wohin -der Wind ihn führt.«</p> - -<p>»Hm,« sagte ich, »was hat denn unsere -Gondel gemacht, seit wir … eh … seit wir -den Unfall hatten?«</p> - -<p>»Sich herumgetrieben,« antwortete er, ein -bißchen aus seiner Ruhe gebracht, »sich herumgetrieben -– ohne allen Zweifel! Jetzt haben -wir einen Wind, der uns südöstlich treibt; wir -können nicht wissen, wie lange wir schon diesen -Kurs halten.«</p> - -<p>Er stellte das Steuer wieder auf Osten und -sagte, er wolle so lange aufpassen, bis wir das -Frühstück fertig gemacht hätten. Der Professor -hatte sich so gut verproviantiert, wie man’s nur<span class="pagenum"><a id="Seite_61"></a>[61]</span> -wünschen konnte. Da war alles in Hülle und -Fülle vorhanden. Milch gab es allerdings nicht -zum Kaffee, aber Wasser war vorhanden und -alles, was man sonst nötig hatte, auch ein -Kochofen mit Holzkohlenfeuerung und mit dem erforderlichen -Geschirr, und Pfeifen und Zigarren -und Zündhölzer. Ferner Weine und -Liköre – wofür <em class="gesperrt">wir</em> allerdings keine Verwendung -hatten; dann Bücher und Land- und Seekarten -und ’ne Ziehharmonika – und Pelze, -Decken und eine unendliche Menge von allerlei -Tand, wie Messingperlen und dergleichen Zierat. -Das war, wie Tom bemerkte, ein sicheres Anzeichen, -daß er darauf gerechnet hatte, mit Wilden -zusammenzukommen. Auch Geld war da. Ja, -der Professor war nicht schlecht ausgerüstet.</p> - -<p>Nach dem Frühstück zeigte Tom mir und -Jim, wie das Steuer gehandhabt wurde; dann -verteilte er die Wachen, für jeden immer vier -Stunden. Als er mit seiner Wache fertig war, -löste ich ihn ab, und er holte des Professors Papier -und Schreibzeug heraus, und setzte sich hin und -schrieb einen Brief nach Hause an seine Tante -Polly. Darin erzählte er ihr alles, was uns<span class="pagenum"><a id="Seite_62"></a>[62]</span> -passiert war, und als er fertig war, datierte er -den Brief:</p> - -<p>›Im Firmament, in der Nähe von England‹, -und faltete ihn säuberlich zusammen und -versiegelte ihn mit einer roten Oblate. Dann -adressierte er ihn und über der Adresse schrieb -er mit dicken Buchstaben:</p> - -<p class="center"> -<em class="gesperrt">Von Tom Sawyer, dem Erronauter</em> -</p> - -<p>und er sagte, wenn der Brief mit der Post ankäme, -da würde der alte Nat Parsons, der Postmeister, -einfach auf den Rücken fallen.</p> - -<p>Ich äußerte meine Meinung, wir wären ja -doch nicht im Firmament, sondern in einem -Luftballon; aber über so etwas war mit Tom -nun einmal nicht zu diskutieren. Im Grunde -wußte ich auch nicht so recht, was eigentlich ein -Firmament ist; Tom wollte es mir erklären, -aber Jim und ich bekamen trotzdem keinen rechten -Begriff davon, und schließlich ließen wir es sein -und sprachen davon, was ein Erronauter sei.</p> - -<p>Ein Erronauter, sagte Tom, wäre ein -Mensch, der in Luftballons ’rumführe, und es -wäre ganz was Anderes und viel was Feineres,<span class="pagenum"><a id="Seite_63"></a>[63]</span> -wenn er sich ›Tom Sawyer, den Erronauter‹ -nennen könnte, als wenn er bloß ›Tom Sawyer, -der Reisende‹ wäre. Man würde überall auf der -ganzen Welt von uns sprechen, wenn wir nur -das Ding zum rechten Ende brächten, und darum -hustete er von jetzt an was drauf, ›Tom Sawyer, -der Reisende‹ zu heißen.</p> - -<p>Als die Mitte des Nachmittags herankam, -machten wir alles zum Landen fertig, und uns -war recht leicht ums Herz und wir fühlten einen -mächtigen Stolz in uns. Wir guckten fortwährend -durch unsere Ferngläser, wie Kolumbus, -als er Amerika entdecken wollte. Aber wir sahen -nichts als lauter Ozean und Ozean. Der Nachmittag -verstrich, die Sonne ging unter und -immer noch war nirgendwo Land zu sehen. Die -Sache kam uns sonderbar vor, aber wir dachten, -sie würde schon in Ordnung kommen. Wir -blieben also dabei, ostwärts zu steuern, nur stiegen -wir etwas höher hinauf, damit wir nicht im -Dunkel gegen einen Berg oder sonstige Hindernisse -anstoßen möchten.</p> - -<p>Von acht Uhr abends bis Mitternacht hatte -ich die Wache, dann löste Jim mich ab; aber Tom<span class="pagenum"><a id="Seite_64"></a>[64]</span> -blieb auf, weil Schiffskapitäne, wie er sagte, das -immer täten, wenn sie dicht beim Lande wären.</p> - -<p>Als es nun Tag wurde, da stieß auf einmal -Jim ein lautes Geschrei aus und wir sprangen -auf und guckten über den Rand der Gondel und -richtig! da war das Land – rund um uns -herum nichts als Land, soweit das Auge reichte, -und vollkommen flach und ganz gelb! Wir -wußten nicht, wie lange wir schon über dem Land -gewesen waren, denn da waren weder Bäume, -noch Berge, noch Felsen, noch Städte, und Tom -und Jim hatten gedacht, es sei das Meer, das -spiegelglatt unter ihnen daläge; übrigens hätte -es von der Höhe aus, in der wir uns befanden, -spiegelglatt ausgesehen, selbst wenn die Wellen -haushoch gegangen wären.</p> - -<p>Wir waren jetzt alle riesig aufgeregt und -nahmen schnell die Ferngläser vor die Augen -und suchten überall nach London, aber da war -nicht das geringste weder von London noch überhaupt -von einer menschlichen Niederlassung zu -sehen – nicht ’mal ein See oder ein Fluß war -zu erblicken. Tom war ganz kleinlaut geworden. -Er sagte, so einen Begriff hätte er sich von England<span class="pagenum"><a id="Seite_65"></a>[65]</span> -nicht gemacht; er hätte immer gemeint, England -sähe genau so aus wie Amerika. Er schlug -schließlich vor, wir wollten lieber unser Frühstück -essen und dann den Ballon herunterlassen -und uns erkundigen, wie wir auf dem kürzesten -Wege nach London kämen. Mit dem Frühstück -waren wir sehr schnell fertig – unsere Ungeduld -war zu groß. Als wir nachher uns in niedrigere -Regionen herabließen, begann das Wetter milde -zu werden, und sehr bald zogen wir unsere Pelze -aus. Aber es wurde immer noch milder, und -im Nu war’s beinahe zu milde. Wir waren -nämlich jetzt dicht über dem Erdboden und da -herrschte geradezu eine Backofenhitze.</p> - -<p>Ungefähr dreißig Fuß über dem Lande -machten wir Halt; ich sage ›Land‹, indem ich -annehme, daß man so etwas Land nennen darf; -denn da gab es nichts als reinen Sand! Tom und -ich kletterten die Leiter herunter und fingen an zu -laufen, um unsere Beine wieder ein bißchen geschmeidig -zu machen; den Beinen tat denn auch -die Bewegung wunderbar gut – aber den Füßen -weniger, denn der Sand verbrannte uns die -Sohlen, als wären wir auf glühende Kohlen getreten.<span class="pagenum"><a id="Seite_66"></a>[66]</span> -Nicht lange, so sahen wir jemanden herankommen, -und sofort liefen wir ihm entgegen; aber -wir hörten Jim schreien und drehten uns nach -ihm um und sahen, daß er wie ein Besessener -herumsprang und Zeichen machte und schrie. Was -er sagte, konnten wir nicht verstehen, aber wir -kriegten es doch mit der Angst und liefen so -schnell wir konnten nach dem Luftschiff zurück. -Als wir nahe genug gekommen waren, unterschieden -wir seine Worte, und mir wurde ganz -übel zumute, als ich sie hörte:</p> - -<p>»Rennt!« schrie er. »Rennt, wenn euch -euer Leben lieb is. Das is ’n Löwe! Ich seh -ihm durch die Fernglas! Rennt Jungens! -Rennt, was das Zeug halten will! Er is gewiß -aus die Menascherie gelaufen un da is niemand, -der ihn wieder kriegen kann!«</p> - -<p>Tom flog wie ein Pfeil dahin, aber mir -schlotterten die Beine, als wenn ich gar keine -Knochen mehr drin gehabt hätte. Ich konnte -mich bloß so hinschleppen, wie’s einem im Traum -manchmal passiert, wenn ein Gespenst hinter -einem her ist.</p> - -<p>Tom war natürlich der Erste bei der Leiter;<span class="pagenum"><a id="Seite_67"></a>[67]</span> -er kletterte ein Stück hinauf und wartete auf -mich; sobald ich glücklich auf der untersten Stufe -stand, rief er Jim zu, er sollte losrutschen. Aber -Jim hatte völlig den Kopf verloren und sagte, -er wüßte nicht mehr, wie’s gemacht würde. Tom -kletterte daher weiter hinauf und sagte, ich sollte -nachkommen; aber der Löwe war schon ganz in -der Nähe und stieß bei jedem Sprung ein ganz -fürchterliches Gebrüll aus; davon zitterten mir -die Beine dermaßen, daß ich nicht wagte, mich -von der Sprosse zu rühren, denn ich dachte, wenn -ich den einen Fuß hochhöbe, so würde der andere -allein mich nicht mehr tragen können.</p> - -<p>Inzwischen aber hatte Tom sich in die Gondel -hineingeschwungen; er ließ den Ballon ein Stück -in die Höhe gehen, hielt aber sofort wieder an, -als das Ende der Strickleiter zehn oder zwölf -Fuß über dem Boden war.</p> - -<p>Und da war auch schon der Löwe. Wie tobte -er unter mir herum, wie brüllte er, wie sprang -er in die Höhe und schnappte nach der Leiter! -Es sah aus als verfehlte er sie nur um Viertelszollbreite. -Es war ja köstlich, wirklich köstlich, -außer seinem Bereich zu sein, und ich empfand<span class="pagenum"><a id="Seite_68"></a>[68]</span> -dies als ein ungeheuer angenehmes Gefühl, wofür -ich herzlich dankbar war; andererseits aber hing -ich hilflos da und konnte nicht hochklettern, und -dabei wurde mir denn wieder sterbensübel zu -Mute. Es kommt wohl sehr selten vor, daß -jemand derartig gemischte Gefühle empfindet, und -im großen und ganzen kann ich eine derartige -Situation nicht für empfehlenswert erklären.</p> - -<p>Tom fragte mich, was er anfangen sollte, -aber ich konnte ihm daraufhin keinen Bescheid -geben. Er meinte, ich könnte mich vielleicht so -lange festhalten, bis er nach einem sicheren Platz -gesegelt wäre, wohin der Löwe nicht so schnell -mitlaufen könnte. Ich antwortete, es würde mir -wahrscheinlich möglich sein, wenn er den Ballon -nicht höher steigen ließe; aber wenn er höher -ginge, so würde ich ganz gewiß schwindlig werden -und herunterfallen.</p> - -<p>»Halt dich nur ordentlich fest!« rief Tom, -und damit segelte er los.</p> - -<p>»Nicht so schnell!« schrie ich. »Mir wird -schon gelb und grün vor den Augen!«</p> - -<p>Er war nämlich mit Blitzzugsgeschwindigkeit -abgefahren. Tom mäßigte die Schnelligkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_69"></a>[69]</span> -und wir glitten langsamer über den Sand hin; -aber es ist und bleibt doch im höchsten Grade -ungemütlich, wenn man in lautloser Stille den -Boden so unter sich weggleiten sieht.</p> - -<p>Mit der Lautlosigkeit nahm es indessen sehr -bald ein Ende, denn der Löwe kam uns nachgesprungen. -Und sein Gebrüll wurde beantwortet. -Wir sahen die Bestien aus allen Himmelsrichtungen -herangehopst kommen und im Nu -waren ein paar Dutzend unter mir. Sie sprangen -nach der Leiter und fauchten sich gegenseitig an -und schnappten nacheinander. So rutschten wir -übers Land hin und die braven Löwen taten, -was in ihren Kräften stand, um uns das Erlebnis -unvergeßlich zu machen; und es kamen -immer mehr Bestien – sie schienen es nicht für -nötig zu halten, eine Einladung von uns abzuwarten -– und das Getümmel unter uns wurde -unbeschreiblich.</p> - -<p>Wir sahen ein, so konnte es nicht weiter -gehen. Wenn wir nicht schneller segelten, wurden -wir die Löwen nicht los, und ich konnte mich nicht -ewig an der Strickleiter festhalten, denn dazu -reichten meine Kräfte nicht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_70"></a>[70]</span></p> - -<p>Tom dachte über den Fall nach und kam -auf eine andere Idee: einer von den Löwen mußte -mit des Professors Revolver totgeschossen werden, -und während die anderen Halt machten, um ihren -Kameraden zu verspeisen, konnten wir verschwinden.</p> - -<p>Gedacht, getan! Tom hielt den Ballon an, -schoß eine von den Bestien über den Haufen und -der Spektakel ging los, ganz wie wir’s erwartet -hatten. Wir segelten eine Viertelmeile weiter -und Tom und Jim halfen mir in die Gondel -hinein.</p> - -<p>Kaum waren wir damit fertig, so war auch -die Löwenbande wieder da. Aber es war zu spät -für sie. Und als sie sahen, daß sie uns nicht -mehr kriegen konnten, da setzten sie sich auf ihre -Hinterbacken und sahen uns mit so schmerzlich -enttäuschten Gesichtern nach, daß die armen -hungrigen Löwen uns wirklich leid taten.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71"></a>[71]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Ich war so angegriffen, daß ich an gar nichts -weiter dachte, als mich schnell hinzulegen. Ich -streckte mich daher auf meiner Bank aus, aber in -solcher Backofenhitze war nicht daran zu denken, -wieder zu Kräften zu kommen; Tom befahl -daher, das Luftschiff höher steigen zu lassen, und -Jim führte seine Weisungen sofort aus.</p> - -<p>Wir mußten eine volle Meile aufsteigen, bis -wir in eine angenehme Luftschicht kamen, wo eine -erfrischende Brise wehte und es weder zu kalt -noch zu warm war. Bald war ich wieder völlig -bei Kräften. Tom hatte die ganze Zeit über -still und nachdenklich dagesessen, aber auf einmal -sprang er auf und sagte:</p> - -<p>»Ich will tausend gegen eins wetten: ich weiß, -wo wir sind! Wir sind in der Großen Sahara -– das ist bombensicher!«</p> - -<p>Er war so aufgeregt, daß er weder Arme -noch Beine still halten konnte; mich regte seine -Mitteilung weniger auf; ich fragte bloß:</p> - -<p>»So? Na, wo ist denn die Große Sahara? -In England oder in Schottland?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_72"></a>[72]</span></p> - -<p>»Weder da noch dort – sie ist in Afrika.«</p> - -<p>Da riß aber Jim die Augen auf! Mit -riesiger Neugierde sah er sich das Land an; und -das war auch kein Wunder, denn da waren ja -seine Vorfahren hergekommen. Aber ich selber -konnte es nur so halb und halb glauben; mir -schien denn doch, eine so kolossale Reise könnten -wir unmöglich gemacht haben.</p> - -<p>Tom indessen war voll von seiner ›Entdeckung‹, -wie er es nannte. Die Löwen und der -Sand, sagte er, das bedeutete ganz bestimmt die -große Wüste.</p> - -<p>Jim sah immer noch durch das Fernrohr -auf den Sand herunter. Auf einmal schüttelte -er den Kopf und sagte:</p> - -<p>»Massa Tom, da muß woll was nix richtig -sein! Ich hab noch gar keine Nigger nix gesehen!«</p> - -<p>»Das will nichts sagen! Sie leben nicht -in der Wüste. Aber was ist denn das? Da -hinten ganz in der Ferne? Gebt mir ’mal ’n -Fernrohr!«</p> - -<p>Er sah lange durch das Glas und sagte, es -sähe aus wie ein langer schwarzer Strich, der sich<span class="pagenum"><a id="Seite_73"></a>[73]</span> -über den Sand hinzöge, aber er könnte nicht -begreifen, was es wohl sein möchte.</p> - -<p>»Na,« sagte ich, »vielleicht hast du jetzt ’ne -Möglichkeit, genau festzustellen, wo der Luftballon -ist. Denn höchstwahrscheinlich ist das -doch eine von den Linien, die auf der Karte -verzeichnet sind, und die du Meridianlängen -nanntest; wir brauchen bloß ’runterzugehen und -uns die Nummer anzusehen und …«</p> - -<p>»O, Huck Finn! Was für ein Blödsinn! -So einen Quatschkopf wie du bist habe ich noch -nie gesehen! Meinst du im Ernst, die Längenmeridiane -sind <em class="gesperrt">auf der Erde</em>?«</p> - -<p>»Tom Sawyer, sie sind auf der Karte abgebildet, -das weißt du recht gut, und hier ist ja eine, das -kannst du doch mit deinen eigenen Augen sehen!«</p> - -<p>»Natürlich stehen sie auf der Karte; aber -das beweist noch nichts! Auf dem <em class="gesperrt">Erdboden</em> -gibt es selbstverständlich keinen.«</p> - -<p>»Tom, weißt du das gewiß?«</p> - -<p>»Natürlich!«</p> - -<p>»Nun, dann hat die Landkarte wieder mal -gelogen. So eine Lügerei wie auf der Karte -ist mir noch gar nicht vorgekommen!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_74"></a>[74]</span></p> - -<p>Das brachte nun wieder Tom in hellen Eifer; -aber ich wußte ihm mit Worten zu dienen und -Jim, der ganz meiner Meinung war, kam auch -in Hitze, und es ist gar nicht unmöglich, daß -unsere Beweisführungen ein bißchen handgreiflich -geworden wären – aber auf einmal warf -Tom das Fernrohr hin und klatschte in die Hände, -wie wenn er den Verstand verloren hätte, und -schrie aus vollem Halse:</p> - -<p>»Kamele! Kamele!«</p> - -<p>Ich nahm schnell ein Fernrohr und Jim -guckte auch darnach; aber ich war enttäuscht und -sagte: »Deine Großmutter hat wohl Kamele! Das -sind ja Spinnen!«</p> - -<p>»Spinnen in ’ner Wüste, du Schafskopf? -Spinnen, die in einer langen Reihe marschieren? -Streng’ mal ’n bißchen deinen verehrlichen Schädel -an, Huck Finn, – aber es kommt mir allerdings -fast so vor, als hättest du nichts drin! Du -denkst wohl gar nicht dran, daß wir ’ne volle -Meile hoch oben in der Luft sind und daß der -Streifen von Krabbeltieren zwei oder drei Meilen -entfernt ist. Spinnen – heiliger Bimbam! -Spinnen so groß wie ’ne Kuh? Willst du nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_75"></a>[75]</span> -vielleicht runtergehen und eine von ihnen melken? -Aber verlaß dich nur darauf, was ich sage: -es sind und bleiben Kamele. ’s ist ’ne Karawane, -ganz einfach ’ne Karawane, und sie ist ’ne Meile -lang!«</p> - -<p>»Na, denn wollen wir doch runtergehen und -sie uns ansehen! Ich glaube es nun ’mal nicht -und werde nicht eher dran glauben, als bis ich’s -genau und deutlich selber sehe!«</p> - -<p>»Meinetwegen!« rief Tom und kommandierte: -»Tiefer mit dem Ballon!«</p> - -<p>Als wir in die heiße Luftschicht kamen, da -konnten wir denn sehen, daß es wirklich Kamele -waren – eine endlose Reihe von bedächtig -schreitenden Tieren, die große Ballen auf ihren -Rücken trugen. Auch mehrere hundert Männer -waren dabei, die hatten lange weiße Gewänder an -und um ihre Köpfe trugen sie lange Binden gewickelt, -von denen Troddeln und Fransen herniederhingen. -Einige von ihnen hatten lange -Flinten und andere hatten keine; einige ritten -und andere gingen zu Fuß. Und die Hitze – -na, wir kamen uns vor, wie wenn wir auf ’nem -Bratrost lägen. Und wie langsam krochen sie<span class="pagenum"><a id="Seite_76"></a>[76]</span> -durch die Wüste hin! Wir ließen uns nun -plötzlich hernieder und stoppten, als wir ungefähr -hundert Meter über ihnen waren.</p> - -<p>Die Männer schrieen alle miteinander plötzlich -laut auf, und einige warfen sich platt auf -den Bauch, andere fingen an, mit ihren Flinten -nach uns zu schießen, und der Rest stob nach allen -Windrichtungen auseinander – Menschen, Pferde -und Kamele.</p> - -<p>Wir sahen, daß wir Wirrwarr anrichteten, -und stiegen deshalb wieder auf, bis wir ungefähr -in der alten Höhe von einer Meile uns -befanden, wo die kühle Luftschicht war; von dort -aus sahen wir uns alles an. Sie brauchten beinahe -eine Stunde, bis sie wieder alle zusammen -und in der richtigen Marschordnung waren; dann -brachen sie wieder auf, aber wir konnten durch -unsere Fernrohre beobachten, daß sie bloß für -unseren Luftballon Augen hatten. Wir fuhren -in ihrer Richtung weiter, indem wir sie durch -unsere Gläser genau betrachteten; das war ein -sehr interessanter Anblick. Auf einmal sahen wir -einen großen Sandhügel und jenseits desselben -eine Menge Gestalten, die wir für Menschen<span class="pagenum"><a id="Seite_77"></a>[77]</span> -hielten; und oben auf dem Hügel lag etwas – dem -Anschein nach ein Mann; der hob alle Augenblicke -mal den Kopf in die Höhe und sah sich -um – ob nach uns oder nach der Karawane, -das konnten wir nicht unterscheiden. Als die -Karawane näher gekommen war, rutschte er auf -der anderen Seite des Hügels herunter und lief -schnell zu den anderen Menschen – wir sahen -jetzt, daß es solche waren – die neben ihren -Pferden hinter dem Sandberg auf der Lauer gelegen -hatten. Im Nu waren sie im Sattel und -wie ein Donnerwetter kamen sie hervorgesprengt, -einige mit Lanzen bewaffnet und andere mit -langen Flinten, und alle miteinander schrieen und -heulten sie aus vollem Halse.</p> - -<p>Eins, zwei, drei waren sie bei der Karawane -und in der nächsten Minute prallten die beiden -Parteien aufeinander. Dann folgte ein wildes -Durcheinander und ein Flintengeknatter, wie -wir’s nie gehört hatten, und die Luft war so voll -von Pulverdampf, daß wir nur ab und zu einen -schnellen Blick auf das Handgemenge werfen -konnten.</p> - -<p>Es müssen wohl mindestens sechshundert<span class="pagenum"><a id="Seite_78"></a>[78]</span> -Mann an der Schlacht beteiligt gewesen sein, und -der Anblick war fürchterlich. Allmählich lösten -sie sich in einzelne kleine Abteilungen und -Gruppen auf, die in verzweifelter Wut miteinander -kämpften und nicht abließen, wie wenn -sie sich ineinander verbissen hätten. Wenn der -Pulverqualm sich auf kurze Augenblicke ein wenig -verzog, konnten wir tote und verwundete Menschen -und Kamele überall auf dem Boden verstreut -liegen sehen, und die Tiere liefen wie toll nach -allen Richtungen davon.</p> - -<p>Schließlich sahen die Räuber ein, daß sie -nichts ausrichten konnten; ihr Hauptmann blies -ein Signal und was von ihnen noch am Leben -war, sprengte über die Wüste davon. Der Letzte -von den Räubern riß noch ein Kind an sich und -warf es vor seinem Sattel über das Pferd, und -ein Weib rannte schreiend und flehend hinter -ihm her, bis sie eine weite Strecke von ihren -Leuten entfernt war. Sie konnte ihn nicht einholen -und schließlich gingen ihr die Kräfte aus -und wir sahen, wie sie auf dem Sande zusammenbrach -und das Gesicht mit den Händen bedeckte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_79"></a>[79]</span></p> - -<p>Da sprang Tom ans Steuer; wie der Sturmwind -sausten wir auf den Schurken los und unsere -Gondel traf ihn, daß das Pferd niederfiel und -Räuber und Kind aus dem Sattel flogen. Er -hatte eine ganz gehörige Schramme gekriegt, aber -das Kind war heil und ganz und lag mit Armen -und Beinen strampelnd da, wie ein Käfer, der -auf den Rücken gefallen ist und nicht wieder hoch -kommen kann. Der Mann humpelte davon, um -wieder sein Pferd zu besteigen; er machte ein -ganz verblüfftes Gesicht, weil er nicht wußte, -was ihn umgeschmissen hatte, denn wir waren -inzwischen schon wieder drei- bis vierhundert -Meter hoch oben in der Luft.</p> - -<p>Wir dachten, das Weib wäre nun hingegangen -und hätte sich ihr Kind geholt; aber das -tat sie nicht. Wir sahen durch unsere Ferngläser, -wie sie noch immer auf derselben Stelle -saß, den Kopf auf die Kniee gesenkt. Sie hatte -deshalb natürlich von dem ganzen Vorgange -nichts bemerkt und glaubte, ihr Kind wäre ihr -von dem Mann für ewig geraubt. Sie mochte eine -halbe Meile von der Karawane entfernt sein und -das Kind lag etwa eine Viertelmeile von ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_80"></a>[80]</span> -auf dem Sand. Wir beschlossen daher, es aufzuheben, -denn vor den Leuten der Karawane -brauchten wir keine Angst zu haben; sie konnten -nicht so schnell zu uns herankommen; außerdem -hatten sie noch für eine gute Weile alle Hände -voll zu tun, um für ihre Verwundeten zu sorgen. -Deshalb beschlossen wir, das Wagnis zu unternehmen.</p> - -<p>Wir gingen bis auf den Grund herab; Jim -kletterte die Leiter herunter und hob das kleine -Kindchen auf; es war ein hübscher dicker Bengel -und er jauchzte und kreischte vor Vergnügen, was -in Anbetracht der Umstände eine anerkennenswerte -Leistung war – denn er hatte doch gerade -eben eine große Schlacht mitgemacht und war -von einem Pferde abgeworfen worden.</p> - -<p>Darauf segelten wir an die Mutter heran; -wir hielten dicht hinter ihrem Rücken und Jim -kletterte wieder heraus und ging leise mit dem -Kind auf dem Arm zu ihr heran, und das -Kleinchen lallte und quiekte und sie hörte es und -fuhr mit einem Freudenschrei herum. Dann -nahm sie ihr Kind und herzte und küßte es und -setzte es wieder hin und herzte und küßte Jim<span class="pagenum"><a id="Seite_81"></a>[81]</span> -und hing ihm eine goldene Kette um, und fiel -ihm wieder um den Hals. Und dann riß sie -wieder ihr Kind an sich und drückte es gegen -ihren Busen und schluchzte und jauchzte immer -durcheinander. Jim sprang schnell nach der -Strickleiter und war im Nu oben bei uns in der -Gondel. Eine Minute darauf waren wir wieder -hoch oben unterm Himmel, und da stand das -Weib und sah uns nach, den Kopf ganz tief -in den Nacken zurückgeworfen, und das Kind hatte -die Aermchen um ihren Hals geschlungen.</p> - -<p>Und so stand sie und sah uns nach, bis wir -vor ihren Blicken tief im Himmel verschwunden -waren.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="Siebentes_Kapitel">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Mittag!« sagte Tom. Und so mußte es -wohl sein, denn sein Schatten bildete nur einen -kleinen Fleck um seinen Fuß herum.</p> - -<p>Wir hatten in unserer Gondel zwei Uhren, -die nebeneinander befestigt waren und ganz verschiedene -Zeiten anzeigten. Tom sagte, es wären<span class="pagenum"><a id="Seite_82"></a>[82]</span> -Chronometer, und der eine zeigte die Zeit von -St. Louis, der andere die von Grinnitsch. Wir -sahen nun auf diesen nach und es war beinahe -aufs Haar zwölf Uhr. So sagte denn Tom, -Grinnitsch – oder London, denn das wäre ein -und dasselbe – wäre entweder direkt nördlich -oder direkt südlich von uns; aus der Hitze aber -und dem Sand und den Kamelen schlösse er, -daß London wohl eher nördlich läge und zwar -’ne ganz gehörige Anzahl Meilen – etwa soweit -wie von New York nach der Stadt Mexiko.</p> - -<p>Jim meinte, ein Luftballon wäre doch wohl -das schnellste Ding auf der Welt; wenn nicht -etwa irgend ein Vogel noch schneller wäre – -vielleicht ’ne wilde Taube oder ’ne Eisenbahn.</p> - -<p>Aber Tom sagte, er hätte gelesen, daß in -England mit der Eisenbahn auf kurze Strecken -bereits eine Geschwindigkeit von hundert Meilen -in der Stunde erzielt worden wäre, und es gäbe -auf Erden keinen Vogel, der eine solche Leistung -fertig brächte – mit Ausnahme eines einzigen, -und das wäre ein Floh.</p> - -<p>»Ein Floh? Hm, Massa Tom, erst mal -is ein Floh sozusagen kein Vogel nix …«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_83"></a>[83]</span></p> - -<p>»Ist kein Vogel, häh! Na, was ist er -denn?«</p> - -<p>»Ich weiß nix so genau, Massa Tom, aber -ich denk beinah, es is woll bloß so ’n Art -Tier. Oder nein – das is woll auch nix richtig -– denn for’n Tier is er nix groß genug. Er -muß ’n Käfer sein – jawoll, das muß er – -’n Käfer muß er sein.«</p> - -<p>»Ich will wetten, er ist keiner – aber -einerlei! Was hast du für’n ›Zweitens‹ vorzubringen?«</p> - -<p>»Nu, zweitens: Vögel machen ’ne weite Entfernung, -aber ’n Floh nix.«</p> - -<p>»Nicht? Wirklich nicht? Na, denn sag mir -mal, was ist denn wohl ’ne weite Entfernung?«</p> - -<p>»Nu, Meilen! … ne Masse Meilen! Das -weiß doch eine jede Kind!«</p> - -<p>»Kann ein Mensch meilenweit laufen?«</p> - -<p>»Jawoll, kann er!«</p> - -<p>»So viel Meilen wie ’ne Eisenbahn?«</p> - -<p>»Jawoll, wenn er Zeit haben tut.«</p> - -<p>»Kann ein Floh das auch?«</p> - -<p>»Nu, hm, o jawoll … warum nix? Wenn -er <em class="gesperrt">viel</em> Zeit haben tut.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_84"></a>[84]</span></p> - -<p>»Aha! Nun fängst du wohl an zu begreifen, -daß es nicht auf die Entfernung an sich ankommt, -sondern auf die Zeit, die man braucht, um eine -Entfernung zurückzulegen, nicht wahr?«</p> - -<p>»Hm, nu ja, es sieht so aus – aber ich -hätt’s nix geglaubt, Massa Tom!«</p> - -<p>»Es kommt aufs <em class="gesperrt">Verhältnis</em> an, mein -Lieber; und wenn ihr über die Schnelligkeit eines -Geschöpfes urteilen wollt, so müßt ihr dessen verhältnismäßige -Größe in Betracht ziehen. Und -wo bleibt da euer Vogel und euer Mensch und -eure Eisenbahn, wenn ihr damit einen Floh -vergleicht? Der schnellste Mensch kann laufend -nicht mehr als ungefähr zehn Meilen in der -Stunde zurücklegen – nicht viel mehr als das -Zehntausendfache seiner eigenen Länge. Aber in -jedem Buch könnt ihr lesen, daß ein ganz gewöhnlicher -Floh dritter Güte hundertfünfzigmal -so weit springt wie er selber groß ist; und in -einer Sekunde kann er fünf Sprünge machen – -das ist das Siebenhundertfünfzigfache seiner eigenen -Länge, in einer einzigen kleinen Sekunde, denn -er verliert keine Zeit damit, daß er anhält und -einen neuen Anlauf nimmt; das macht er sofort<span class="pagenum"><a id="Seite_85"></a>[85]</span> -in <em class="gesperrt">einem</em> ab. Ihr könnt das selber sehen, -wenn ihr versucht, einen Floh unter euren Finger -zu kriegen. Nun, das leistet ein ganz gewöhnlicher -Floh dritter Güte; nehmt aber mal erst -einen erstklassigen italienischen, der sein Leben -lang der Liebling der hohen Aristokratie gewesen -ist und gar nicht weiß, was Not und Hunger -ist: der macht Sprünge, die das Dreihundertfache -seiner Länge betragen, und der hält eine Leistung -von fünfzehnhundert Flohlängen in der Sekunde -einen ganzen Tag aus! Nun nehmen wir mal -an, ein Mann könnte in einer Sekunde fünfzehnhundert -Mannslängen zurücklegen – das macht -ungefähr anderthalb Meilen. In einer Minute -neunzig Meilen und in einer einzigen Stunde -beträchtlich mehr als fünftausend Meilen. Na, -wo bleibt jetzt euer Mensch? und euer Vogel und -eure Eisenbahn und euer Luftballon? Auf ihre -Geschwindigkeiten hustet ja unser Floh! Ein Floh -ist an Geschwindigkeit geradezu ein Komet im -kleinen!«</p> - -<p>Jim war ganz verblüfft – und ich nicht -weniger. Schließlich sagte Jim:</p> - -<p>»Sein auch diese Zahlen ganz genau, un is es -kein Spaß nix un keine Lüge nix, Massa Tom?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_86"></a>[86]</span></p> - -<p>»Ja, die Zahlen stimmen ganz genau!«</p> - -<p>»Nu, denn alle Achtung vor eine Floh! Ich -hab’ nix grad viel Achtung gehabt vor die Floh -… aber die Floh verdient sie … das is -gewiß!«</p> - -<p>»Na, das will ich meinen! Er ist nicht -bloß schneller, sondern auch klüger und verständiger -als irgend ein Geschöpf auf der Welt – -immer im Verhältnis zu ihrer Größe. Man -kann Flöhe fast zu allem abrichten: und sie lernen -es schneller als jedes andere Wesen. Sie können -in vollem Geschirr kleine Wagen ziehen, und -gehen damit hierhin oder dorthin – je nachdem -der Befehl lautet. Und marschieren und exerzieren -tun sie wie richtige Soldaten und so stramm -aufs Kommando, wie nur der beste Soldat. Sie -haben alle möglichen schwierigen und anstrengenden -Uebungen gelernt. Angenommen, man könnte -einen Floh züchten, der die Größe eines Mannes -erreichte und seine angeborene Klugheit und -geistige Regsamkeit nähme dabei im selben Verhältnis -zu, wie das Wachstum seiner Glieder -– was meint ihr wohl, wo bliebe da das Menschengeschlecht? -<em class="gesperrt">Der</em> Floh würde Präsident der<span class="pagenum"><a id="Seite_87"></a>[87]</span> -Vereinigten Staaten werden – dagegen wäre -ebensowenig was zu machen, wie wir verhindern -können, daß es blitzt!«</p> - -<p>»O du liebe große Gott, Massa Tom! Davon -hatt’ ich ja nie nix ’ne Ahnung, daß die -Floh so eine gewaltige Tier sei! Warraftig, das -kam mir nie nix in Sinn, un das sag <em class="gesperrt">ich</em>!«</p> - -<p>»Im Verhältnis zu seiner Größe übertrifft -er, und zwar bei weitem, jedes andere Geschöpf, -Mensch wie Tier. Er ist das interessanteste von -allen. Man redet so viel von der Stärke einer -Ameise, eines Elefanten, einer Lokomotive. -Quatsch! An ’nen Floh können die nicht tippen! -Der kann das Zwei- oder Dreihundertfache seines -eigenen Gewichts heben. Das kann sonst niemand -auch nur annähernd. Außerdem macht so’n -Floh sich seine eigenen Gedanken; er ist ein origineller -Kopf und läßt sich kein X für ein U machen; -sein Instinkt oder seine Ueberlegung – oder was -es sonst ist – ist vollkommen gesund und klar -und irrt sich niemals. Die Leute meinen, ’nem -Floh sei ein Mensch so lieb wie der andere. Aber -das stimmt nicht. Gewissen Menschen kommt -er niemals zu nahe, mag er noch so hungrig<span class="pagenum"><a id="Seite_88"></a>[88]</span> -sein, und zu diesen Menschen gehöre ich. Ich -habe in meinem ganzen Leben niemals ’nen einzigen -Floh auf mir gehabt.«</p> - -<p>»Massa Tom!!«</p> - -<p>»Ja, so ist’s. Ich spaße nicht.«</p> - -<p>»Nanu! Da mussen ich sagen: sowas hab’ -ich in mein Leben nix gehören!«</p> - -<p>Jim konnte es nicht glauben, und ich auch -nicht. So mußten wir denn den Ballon ’runterlassen, -uns auf den Sand setzen und ’ne Anzahl -Flöhe auf uns ’rauf hüpfen lassen; denn so eine -wunderbare Geschichte wollten wir mit eigenen -Augen sehen. Tom hatte recht. An mich und -Jim gingen sie zu Tausenden ’ran, aber kein -einziger ließ sich auf Tom nieder. Eine Erklärung -gab’s dafür nicht, aber die Tatsache war -da – darum ließ sich nicht ’rumkommen. Er -sagte, es sei schon immer so gewesen und er wolle -sich ganz ruhig unter ’ner Million von Flöhen -niederlassen; sie würden ihn weder anrühren noch -sonstwie belästigen.</p> - -<p>Wir stiegen in die kalte Luftschicht empor, -um die Flöhe durch den Frost zu vertreiben; -da blieben wir ’ne kleine Weile und begaben uns<span class="pagenum"><a id="Seite_89"></a>[89]</span> -dann wieder in die behagliche Temperatur. Wir -bummelten ganz gemütlich mit ’ner Geschwindigkeit -von zwanzig oder fünfundzwanzig Meilen -in der Stunde durch die Luft. So hatten wir’s -die letzten paar Stunden schon gemacht; denn -je länger wir in dieser feierlichen friedvollen Wüste -waren, desto mehr schwand alle Hast und Unruhe -aus unseren Herzen, und desto glücklicher und -zufriedener ward uns zu Mute; die Wüste gefiel -uns immer besser und schließlich liebten wir sie -geradezu. So hatten wir denn, wie gesagt, die -Geschwindigkeit beträchtlich gemindert und faulenzten -so recht mit Behagen, indem wir bald -mal durch die Fernrohre guckten, bald uns auf den -Bänken ausstreckten und lasen, bald ein bißchen -druselten.</p> - -<p>Das klingt eigentlich komisch – denn wie -eilig hatten wir’s noch ganz kurz vorher gehabt, -an Land zu kommen und auszusteigen! Aber daran -dachten wir gar nicht mehr. Wir waren -mit dem Luftschiff jetzt völlig vertraut und hatten -keine Angst mehr und wünschten uns gar nichts -Besseres, als nur so weiter zu fahren. Wir fühlten -uns wahrhaftig ganz wie zu Hause; mir kam’s<span class="pagenum"><a id="Seite_90"></a>[90]</span> -beinahe vor, als sei ich in dem Luftballon geboren -und aufgewachsen; und Jim und Tom sagten, -ihnen sei’s auch so. Und ich hatte ja immer -eklige Menschen um mich ’rum gehabt, die mich -ausschalten und pufften, und fortwährend dies -und das zu tadeln hatten und bald dies bald jenes -anders gemacht haben wollten und überhaupt fortwährend -was für mich zu tun hatten und gerade -immer etwas, wozu ich keine Lust hatte. Und -wenn ich mich dann natürlich drückte und irgendwas -anderes machte, gab’s Keile, daß mir gar -manchmal das ganze Leben zur Last war. Aber -hier oben in den himmlischen Lüften, da war’s so -still und sonnenwarm und lieblich; dabei zu essen, -so viel man mochte, und schlafen können, so oft -man Lust hatte, und merkwürdige Dinge zu sehen, -und kein Nörgeln und Schimpfen, keine braven -Leute und immerzu Sonntag! Herrgott – ich -hatt’s wahrhaftig nicht eilig, unser Luftschiff zu -verlassen und mich wieder mit der Zivilisation -’rumzuschlagen. Zu den ekligsten Eigenschaften -der Zivilisation gehört es, daß jeder, der ’nen -unangenehmen Brief gekriegt hat, damit zu einem -kommt und einem die ganze Geschichte haarklein<span class="pagenum"><a id="Seite_91"></a>[91]</span> -erzählt, daß einem hundeelend zu Mute wird; -und die Zeitung teilt alles Widerwärtige mit, was -auf der ganzen Welt passiert, so daß man fast -immer trübsinnige und katzenjämmerliche Gefühle -hat – und das ist für ’nen einzelnen Menschen -wirklich ’ne schwere Last. Ich hasse diese -Zeitungen! ich hasse Briefe! und wenn’s nach -mir ginge, dürfte niemand einen, den er gar -nicht kennt, am andern Ende der Welt mit seinen -Schauergeschichten anöden. Na, hoch oben in ’nem -Luftballon gibt’s so was nicht und deshalb ist -so’n Luftballon das reizendste Ding auf der -ganzen Welt.</p> - -<p>Wir aßen zu Abend und dann kam die Nacht; -und diese Nacht war eine von den schönsten, die -ich je erlebt habe. Der Mond schien so hell, -daß wir denken konnten es sei Tag; nur war -das Licht viel viel sanfter. Einmal sahen wir ’nen -Löwen, der ganz einsam dastand, wie wenn er auf -der weiten Welt mutterseelenallein wäre, und auf -dem Sand lag sein Schatten wie ein schwarzer -Tintenklex. Das ist gerade die richtige Sorte -Mondschein!</p> - -<p>Die meiste Zeit über lagen wir auf dem<span class="pagenum"><a id="Seite_92"></a>[92]</span> -Rücken und plauderten; zum Schlafen hatten wir -gar keine Lust. Tom sagte, wir seien jetzt mitten -drin in Tausendundeiner Nacht. Gerade hier -müsse die Gegend sein, wo mal eine von den -verschmitztesten Geschichten sich zugetragen habe. -Wir guckten über den Rand unseres Luftballons -und sahen uns die Gegend an, während er -erzählte; denn nichts ist so interessant anzusehen, -als ’ne Gegend, die in ’nem Buch vorkommt. -Die Geschichte handelte von ’nem Kameltreiber, -der sein Kamel verloren hatte; er läuft in -der Wüste ’rum und trifft ’nen Mann und sagt:</p> - -<p>»›Bist du nicht heute einem verlaufenen Kamel -begegnet?‹</p> - -<p>»Und der Mann sagt:</p> - -<p>»›War es auf dem linken Auge blind?‹</p> - -<p>»›Ja.‹</p> - -<p>»›Hatte es einen von den oberen Vorderzähnen -verloren?‹</p> - -<p>»›Ja.‹</p> - -<p>»›War es auf dem rechten Hinterfuß lahm?‹</p> - -<p>»›Ja.‹</p> - -<p>»›War es auf der einen Seite mit Hirse, und -auf der anderen mit Honig beladen?<span class="pagenum"><a id="Seite_93"></a>[93]</span>‹</p> - -<p>»›Ja! Aber du brauchst keine Einzelheiten -mehr anzuführen. Es ist mein Kamel, und ich -hab’s eilig. Wo hast du es gesehen?‹</p> - -<p>»›Gesehen hab ich’s überhaupt nicht‹, sagt der -Mann.</p> - -<p>»›Was? Ueberhaupt nicht gesehen? Wie -kannst du’s denn so genau beschreiben?‹</p> - -<p>»›Das ist ganz einfach! Wenn einer seine -Augen zu benutzen weiß, so hat alles was er sieht, -Sinn und Bedeutung; aber die meisten Leute -wissen mit ihren Augen gar nichts anzufangen. -Daß ein Kamel vorbeigelaufen war, wußte ich, -weil ich seine Spur sah. Ich wußte, daß es auf -dem rechten Hinterfuß lahmte, weil es diesen Fuß -geschont hatte und leicht damit aufgetreten war. -Das sah ich an der Spur. Auf dem linken Auge -mußte es blind sein, weil es nur rechts vom -Wege das Gras abgerupft hatte. Einen von den -oberen Vorderzähnen mußte es verloren haben, -weil in der Zahnspur im Grase eine Lücke war. -Die Hirse war an der einen Seite herausgerieselt -– das erzählten mir die Ameisen; an der anderen -Seite war Honig herniedergeträufelt – das erzählten -mir die Fliegen. Also wußte ich von<span class="pagenum"><a id="Seite_94"></a>[94]</span> -deinem Kamel ganz genau Bescheid; aber gesehen -hab’ ich’s nicht.‹«</p> - -<p>»Weiter, Massa Tom!« ruft Jim. »Das is -ein riesig guter Geschicht, un mächtig intressant!«</p> - -<p>»Das ist alles,« sagt Tom.</p> - -<p>»Alles?« schreit Jim verblüfft. »Was werd -denn aus die Kamel?«</p> - -<p>»Weiß ich nicht.«</p> - -<p>»Massa Tom, stehen nix von in das -Geschicht?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>Jim denkt kopfschüttelnd ’ne Minute nach; -dann sagt er:</p> - -<p>»Warraftig! Das is der verflixteste Geschicht, -wo ich kennen! Grad an die Platz, wo die -Neugier werden gluhig heiß – schwapp ab! Warraftig, -Massa Tom, in ein Geschicht, der sich so -benehmen tun, is kein Sinn nix un keine Verstand. -Habbe Sie keine Idee nix, ob die Mann -seinen Kamel wieder kriegen tun oder nix?«</p> - -<p>»Habe keine Ahnung.«</p> - -<p>Ich sah selber ein, in der Geschichte war kein -Sinn und Verstand, denn was soll das heißen, daß -es plötzlich alle ist, ehe es zum Schluß kommt?<span class="pagenum"><a id="Seite_95"></a>[95]</span> -Aber ich wollte lieber nichts sagen, denn Tom -machte schon ein ganz saures Gesicht, weil Jim -richtig wieder den wunden Punkt von der Geschichte -angetippt hatte, und ich find’s nicht schön, -wenn sich alle auf einen stürzen, der schon unterliegt. -Aber Tom dreht sich nach mir um und fragt:</p> - -<p>»Was meinst du denn zu der Geschichte?«</p> - -<p>Na, da mußte ich denn natürlich aus dem -Loch heraus und Farbe bekennen; und so sagte -ich, mir käm’ es auch so vor wie Jim: daß die -Geschichte gerade in der Mitte abbräche und gar -nicht zu Rande käme; und darum wär’s überhaupt -nicht der Mühe wert, sie zu erzählen.</p> - -<p>Tom ließ sein Kinn auf die Brust sinken; -aber er wurde nicht wild, wie ich gedacht hatte, -als er mich seine Geschichte tadeln hörte, sondern -er wurde bloß traurig und sagte:</p> - -<p>»Es gibt Leute, die sehen können, und es -gibt welche, die’s nicht können – gerade wie der -Mann in der Geschichte sagte. Da könnte ’ne Windhose -vorbeikommen geschweige denn ein Kamel – -<em class="gesperrt">ihr</em> Dämelsäcke würdet keine Spur davon sehen!«</p> - -<p>Was er damit sagen wollte, weiß ich nicht -und erklären tat er seine Worte nicht; es war<span class="pagenum"><a id="Seite_96"></a>[96]</span> -wohl eine von seinen ›Irrulevanzen‹, wie er die -Dinger selber nannte – manchmal war er ganz -voll von denen, nämlich besonders, wenn er in -die Enge getrieben war und nicht wußte, wie er -wieder ’rauskommen sollte. Aber ich machte mir -weiter nichts draus. Wir hatten ihm einen aufgemutzt -und der hatte gesessen – davon konnte -er nichts abstreiten. Und ich glaube, das wurmte -ihn, obwohl er sich Mühe gab, sich nichts merken -zu lassen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Zeitig am Morgen frühstückten wir etwas; -dann guckten wir wieder auf die Wüste ’runter -und das Wetter blieb fortwährend so mollig und -warm, aber nicht heiß, obwohl wir nicht sehr hoch -über der Erde schwebten. Nach Sonnenuntergang -muß man nämlich immer tiefer herabsteigen, weil -die Luft sich so schnell abkühlt; und so streicht -man denn um die Zeit der Morgendämmerung -ganz dicht über den Sand weg.</p> - -<p>Wir sahen zu, wie der Schatten unseres Ballons -über den Boden hinglitt, und ließen dann<span class="pagenum"><a id="Seite_97"></a>[97]</span> -und wann mal die Blicke über die Wüste streifen, -ob sich nicht irgendwo was regte – da sahen -wir plötzlich unmittelbar unter uns eine Menge -Menschen und Kamele auf dem Sande verstreut -herumliegen. Und sie lagen so ruhig, wie wenn -sie schliefen.</p> - -<p>Wir stellten die Bewegungskraft unseres -Luftschiffs ab und hielten still, und da sahen wir, -daß sie alle tot waren. Ein kalter Schauer überlief -uns, wir wurden ganz kleinlaut und sprachen -leise wie Leute bei ’nem Leichenbegängnis. Langsam -ließen wir unser Schiff zur Erde nieder -und hielten still; Tom und ich stiegen aus und -gingen zu den Toten. Es waren Männer, Weiber -und Kinder. Sie waren von der Sonne gedörrt -und die Haut war zusammengeschrumpft und sah -aus wie Leder – genau wie die Abbildungen -von Mumien, die man in den Büchern sieht. -Und trotzdem sahen sie ganz menschlich aus, wie -wenn sie nur schliefen – wenn ich’s nicht selber -gesehen hätte, ich würde es nicht glauben.</p> - -<p>Einige von den Menschen und Tieren waren -zum Teil mit Sand bedeckt, die meisten aber -nicht, denn der Sand bildete an jener Stelle<span class="pagenum"><a id="Seite_98"></a>[98]</span> -nur eine dünne Schicht über felsigem Erdreich. -Die Kleider waren ihnen fast gänzlich vom Leibe -gefault; wenn man ein Stück Zeug anfaßte, blieb -es einem zwischen den Fingern wie Spinnewebe. -Tom meinte, sie müßten schon jahrelang dagelegen -sein.</p> - -<p>Den Männern lagen zum Teil rostige Flinten -zur Seite; andere waren mit Schwertern umgürtet -und hatten lange Binden um den Leib -gewickelt, in denen große silberbeschlagene Pistolen -staken. Alle Kamele trugen noch ihre Lasten auf -dem Rücken, aber die Bündel waren geborsten -oder zerfallen und ihr Inhalt hatte sich über den -Boden ergossen. Uns dünkte, die Toten könnten mit -ihren Säbeln ja doch nichts mehr anfangen; deshalb -nahm jeder von uns einen zu sich, dazu -auch mehrere Pistolen. Auch nahmen wir ein -kleines Kästchen, weil es so hübsch und mit -so feiner Arbeit eingelegt war. Gern hätten wir -dann die Leute begraben; aber obwohl wir lange -darüber nachdachten, wollte uns nicht einfallen, -wie wir das bewerkstelligen könnten, denn wir -hatten bloß Sand zur Verfügung, und der wäre -natürlich sofort wieder auseinandergefegt worden.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_99"></a>[99]</span></p> - -<p>Hierauf stiegen wir wieder in die Lüfte empor -und segelten weiter, und gar bald war der schwarze -Fleck auf dem Land außer Sicht und wir dachten, -die armen Menschen da unten würden wir auf -dieser Welt wohl niemals wiedersehen. Wir stellten -allerlei Mutmaßungen auf, wie sie wohl an -jene Stelle in der Wüste gekommen wären und -was ihnen alles passiert sein könnte, aber wir -wußten nicht, was wir daraus machen sollten. -Zuerst dachten wir, vielleicht hätten sie sich verirrt -und wären in der Wüste herumgezogen, bis -ihr Essen und Trinken ihnen ausgegangen und -sie verhungert und verdurstet wären; aber Tom -sagte, weder wilde Tiere noch Geier hätten ihre -Leichen angerührt, und deshalb könnte diese Vermutung -nicht richtig sein. Schließlich gaben wir’s -auf, uns den Kopf darüber zu zerbrechen, und -nahmen uns vor, gar nicht mehr daran zu denken, -denn es versetzte uns in eine traurige Stimmung.</p> - -<p>Dann öffneten wir das Kästchen: Edelsteine -und Schmucksachen waren darin – ein ganzer -Haufen! Dazu auch mehrere kleine Schleier -von derselben Art, wie wir sie an den toten -Frauen bemerkt hatten; die Säume dieser Schleier<span class="pagenum"><a id="Seite_100"></a>[100]</span> -waren mit sonderbaren Goldmünzen besetzt, wie -wir sie nie in unserem Leben gesehen hatten. -Wir überlegten voller Erstaunen, ob wir nicht -lieber wieder umkehren und die Kostbarkeiten zurückgeben -sollten; Tom bedachte sich aber die Sache -noch einmal und sagte: nein! Die ganze Gegend -wäre voll von Räubern und die würden die Sachen -stehlen; und dann würde die Sünde auf uns -fallen, weil wir sie in Versuchung gebracht hätten. -So segelten wir denn weiter; ich dachte aber bei -mir selber, am besten wär’s gewesen, wir hätten -den Toten <em class="gesperrt">alles</em> abgenommen, was sie bei sich -hatten; denn dann wäre es überhaupt nicht mehr -möglich gewesen, daß andere Leute in Versuchung -kamen.</p> - -<p>Wir waren da unten zwei Stunden lang -in der sengenden Hitze gewesen und hatten einen -fürchterlichen Durst, als wir wieder an Bord -gingen. Wir stürzten uns auf unser Wasserfaß, -aber das Wasser war schlecht geworden und bitter -und außerdem recht hübsch heiß, so daß es uns -beinahe den Mund verbrannte. Wir konnten es -nicht trinken. Es war Mississippiwasser – ›das -beste der Welt‹ – und wir rührten den Bodensatz<span class="pagenum"><a id="Seite_101"></a>[101]</span> -auf, um mal zu sehen, ob das nicht vielleicht -hülfe – aber nein, der Schlamm machte das -Wasser auch nicht besser!</p> - -<p>Na, so <em class="gesperrt">übermäßig</em> durstig waren wir -vorher, solange uns das Schicksal jener verirrten -Menschen interessierte, eigentlich nicht gewesen – -aber nun waren wir’s, und sobald wir sahen, -daß wir nichts zu trinken haben konnten, da waren -wir fünfunddreißigmal so durstig als ’ne Viertelminute -zuvor. Wahrhaftig, es dauerte nicht -lange, so sperrten wir vor Durst den Mund auf -und keuchten wie Hunde.</p> - -<p>Tom sagte, wir müßten nur nach allen Himmelsrichtungen -recht scharfen Ausguck halten, denn -jedenfalls würden wir ’ne Oase finden oder es -würde uns sonst irgendwas Merkwürdiges passieren. -Das taten wir denn auch. Die ganze -Zeit bestrichen wir mit den Ferngläsern den -Horizont, bis unsere Arme so lahm waren, daß -wir die Dinger nicht mehr halten konnten. So -vergingen zwei Stunden – drei Stunden – -wir guckten und guckten: aber da war nichts als -Sand, Sand, <em class="gesperrt">Sand</em>, und der flimmernde heiße -Dunst zitterte über dem Erdboden. O je, o je!<span class="pagenum"><a id="Seite_102"></a>[102]</span> -was es heißt, sich so recht hundeelend zu fühlen, -das weiß man erst, wenn man fortwährend einen -fürchterlichen Durst hat und dabei denkt, man -wird überhaupt niemals mehr Wasser zu sehen -kriegen. Zuletzt konnte ich’s nicht mehr aushalten, -immerzu auf diese backofenheiße Ebene -zu gucken; ich gab es auf und streckte mich auf -der Bank aus.</p> - -<p>Auf einmal aber stößt Tom ’nen Jauchzer -aus – und richtig, da war das Wasser! Ein -großer glänzender See, von schläfrig wiegenden -Palmen umsäumt, die sich ganz wunderbar zart -und fein im Wasser spiegelten. Es war eine -tüchtige Entfernung bis zu dem See; aber was -machte das uns aus? Wir zogen einfach den -Knopf der Hundertmeilengeschwindigkeit, sodaß -wir nach unserer Berechnung in sieben Minuten -dort sein mußten. Der See blieb aber immerzu -in derselben Entfernung; wir vermochten ihm -nicht um Haaresbreite näherzukommen; auf mein -Wort: er blieb immer glänzend und fern vor -uns liegen wie ein Traumbild. Aber näher kamen -wir nicht; und auf einmal – war der See verschwunden!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103"></a>[103]</span></p> - -<p>Tom riß die Augen ganz weit auf und rief:</p> - -<p>»Jungens, es war ’ne Fata Morgana!«</p> - -<p>Er sagte das, als ob’s ihn riesig freute; ich -sah aber durchaus nichts, worüber er sich hätte -freuen können und sagte:</p> - -<p>»Kann sein. Wie der See heißt, ist mir -ganz schnuppe. Aber eins möchte ich wohl wissen: -wo ist er hingekommen?«</p> - -<p>Jim schlotterte an allen Gliedern und hatte -solchen Schreck gekriegt, daß er kein Wort sprechen -konnte; aber ich sah ihm an, daß er genau dasselbe -fragen wollte wie ich.</p> - -<p>»Wo er hingekommen ist?« rief Tom. »Na, -ihr seht doch selber, daß er verschwunden ist!«</p> - -<p>»Na, das weiß ich. Aber <em class="gesperrt">wohin</em> ist er verschwunden?«</p> - -<p>Tom sieht mich von oben bis unten an und -sagt:</p> - -<p>»Na, Huck Finn, wo sollte er denn wohl -hingekommen sein? Weißt du denn nicht, was -’ne Fata Morgana ist?«</p> - -<p>»Nee. Was ist es denn für’n Ding?«</p> - -<p>»Nichts als Einbildung. ’s ist überhaupt -nichts Reelles dran.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_104"></a>[104]</span></p> - -<p>Es fuchste mich ein bißchen, daß er so ’nen -Unsinn redete, und ich sagte:</p> - -<p>»Wie kannst du bloß so quatschen, Tom -Sawyer? Hab’ ich denn nicht den See gesehen?«</p> - -<p>»Ja – du glaubtest, du sähest ihn.«</p> - -<p>»Geglaubt hab’ ich ganz und gar nichts. -Ich <em class="gesperrt">hab’</em> ihn gesehen!«</p> - -<p>»Ich sage dir, du hast ganz und gar nichts -gesehen – denn es war überhaupt nichts da.«</p> - -<p>Jim war ganz verblüfft, Tom so reden zu -hören; er konnte nicht länger den Mund halten -und sagte traurig und in flehendem Ton:</p> - -<p>»Massa Tom, bitte, bitte – sagen nix so ’ne -Sach’ in so ’ne schröcklicher Zeit wie nu! Sie -riskier nix bloß ihr eigenes Haut, sonnern auch -unsern sein – grad wie Anna Nias un Siffira. -Die See <em class="gesperrt">waren</em> da – ich sahen ihm ganz -genau so wie ich in diese Minuten Ihnen un -Huck sehn tu!«</p> - -<p>»Was willst du denn, Jim?« ruf ich. »Tom -sah ihn ja selber! Er war ja der Allererste, -der ihn zu allererst sah! Na, also!«</p> - -<p>»Ja, Massa Tom, das is so – Sie könn<span class="pagenum"><a id="Seite_105"></a>[105]</span>’ -es nix leugnen. Wir sahen ihm alle, un das -<em class="gesperrt">beweisen</em>, ihm war da!«</p> - -<p>»Beweist? Wieso <em class="gesperrt">beweist</em> es das?«</p> - -<p>»So wie vor die Gerichte un überall, Massa -Tom! Eine Mensch könnten betrunken sein oder -was träumen oder in Dussel, un könnten sich irren -– un auch zwei könnten. Aber ich will Sie was -sagen, Massa Tom: wenn drei ein Ding sehen, -un sie sind nüchtern oder betrunken, denn is -es so. Da kann Sie nix gegen sagen, Massa -Tom, un das weiß Sie wohl!«</p> - -<p>»Ich weiß von nichts. Früher haben vierzigtausend -Millionen Menschen existiert, die alle -sahen, daß Tag für Tag die Sonne von der -einen Seite des Himmels nach der anderen ’rüberwanderte. -Bewies das, daß die Sonne sich wirklich -bewegte?«</p> - -<p>»Natürlich bewiesen es! Un was brauchte -das erst bewiesen zu sein? Wenn eine Mensch -eine kleine bißchen Grips hat, wie kann sie zweifeln? -Gucke Sie, Massa Tom – da segeln sie -über das Himmel, wie sie jeden lieben Tag -tun!«</p> - -<p>Da dreht Tom sich nach mir um und sagt:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_106"></a>[106]</span></p> - -<p>»Und was sagst <em class="gesperrt">du</em> dazu – steht die Sonne -still?«</p> - -<p>»Tom Sawyer, was hat’s für’n Zweck, so -’ne quatschige Frage zu tun? Jeder, der nicht -blind ist, kann sehen, daß die Sonne nicht still -steht!«</p> - -<p>»Na ja!« ruft Tom. »Da segle ich nun -hoch im Himmel herum mit zwei dummen Biestern, -die von diesen Geschichten nicht mehr wissen -als vor drei- oder vierhundert Jahren ein Universitätsrektor.«</p> - -<p>Das war nicht schön von Tom, daß er so -was sagte, und ich gab ihm das auch zu verstehen. -Ich sagte:</p> - -<p>»Mit Schimpfereien beweist du nichts, Tom -Sawyer.«</p> - -<p>»O meine himmlische Güte! O meine gütige -Barmherzigkeit! Das is das See wieder!« kreischt -Jim gerade in diesem Augenblick. »Nu, Massa -Tom, was will Sie nu sagen?«</p> - -<p>Jawohl, das war der See wieder! ganz -fern hinten am Rand der Wüste, vollkommen deutlich -mit Palmen und allem anderen, genau wie -vorher. Ich sage:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_107"></a>[107]</span></p> - -<p>»Ich denke, nun bist du überzeugt, Tom -Sawyer!«</p> - -<p>Aber er antwortete vollständig ruhig:</p> - -<p>»Ja, überzeugt, daß kein See da ist.«</p> - -<p>Da ruft Jim:</p> - -<p>»O, sprech Sie nix so, Massa Tom – ich -kriegen die Zitter, wenn Sie so reden. Es is -so heiß un Sie haben so große Durst, daß Sie -nix ganz wohl sein, Massa Tom. O, wie sieht -doch das See schön aus! Ich können es gar -nix mehr abwarten, daß wir da sein. Ich haben -so fürchterliche Durst!«</p> - -<p>»Nu, du wirst eben warten müssen; und -du wirst an dem See nicht viel Freude haben, -denn ich sage dir: es ist gar kein See da!«</p> - -<p>»Jim!« sage ich; »laß den See nur nicht aus -dem Auge; ich werde ebenfalls scharf hingucken, -damit wir ihn nicht wieder verlieren.«</p> - -<p>»O, wie werden ich weggucken! Un wenn -ich auch wollen, ich konnten es ja gar nix!«</p> - -<p>Wir flogen mit aller Geschwindigkeit auf den -See zu, Meile auf Meile, wie wenn’s gar nichts -gewesen wäre. Aber nicht um einen Zoll kamen -wir ihm näher, und auf einmal – da war er<span class="pagenum"><a id="Seite_108"></a>[108]</span> -wieder weg! Jim schwankte auf den Füßen und -wäre beinahe umgefallen. Als er endlich wieder -zu Atem kam, schnappte er wie ein Fisch nach -Luft und sagte:</p> - -<p>»Massa Tom – es is ein <em class="gesperrt">Gespenst</em>! Das -is diese See, un ich hoffen zu die liebe Gott, wir -sehen ihm nu nix mehr! Eine See <em class="gesperrt">waren</em> -da un mit die See is was passieren un sie -is tot geblieben un wir sahen seine Geist von -diese See; wir sahen ihm zweimal un das is -eine <em class="gesperrt">Beweis</em>. Der Wüste is behext, ganz -gewiß sein ihm behext! O, Massa Tom, laß -uns fort. Lieber wollen ich sterben, als daß die -Nacht uns überfallen in diese Wüste, un der Gespenst -und das See kommen un packen uns wenn -wir in Schlaf liegen un gar nix wissen, daß -wir in eine Gefahr sein!«</p> - -<p>»Ein Gespenst, du Gänserich! Es ist weiter -nichts als Luft und Hitze und die Einbildungskraft -von ’nem Menschen, der großen Durst leidet. -Wenn ich – gib mir mal das Fernrohr!«</p> - -<p>Er nahm das Glas und fing aufmerksam an, -nach rechts vor uns den Horizont zu beobachten. -Schließlich sagte er:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_109"></a>[109]</span></p> - -<p>»Es ist ein Vogelschwarm; er fliegt nach -Sonnenuntergang zu und wird unsern Kurs in -gerader Linie kreuzen. Sie haben es eilig und -fliegen nicht zu ihrem Vergnügen – vielleicht -suchen sie Nahrung oder Wasser oder beides zugleich. -Steuerbord, Huck! Einen Schlag herum! -So! Halt’ ein bißchen ’ran! Nun ist’s recht, -– vorwärts, geradeaus!«</p> - -<p>Wir mäßigten die Fahrgeschwindigkeit ein -bißchen, um nicht bei den Vögeln vorbeizusegeln, -und fuhren immer ein paar hundert Meter hinter -ihnen her. Als wir anderthalb Stunden so gesegelt -waren, wurden wir immer mutloser und -unser Durst war rein unerträglich geworden. Da -sagt Tom auf einmal:</p> - -<p>»Nehme mal einer von euch das Fernrohr -und sehe, was da gerade vor den Vögeln ist!«</p> - -<p>Jim sah zuerst durch und plumpste halb ohnmächtig -auf die Bank nieder. Ganz weinerlich -schrie er:</p> - -<p>»Das is sie wieder, Massa Tom! Da is -diese See, un nu wissen ich, ich müssen sterben, -denn wenn eine Mensch einen Gespenst das dritte -Mal sehen tun, dann sein es alles aus! O!<span class="pagenum"><a id="Seite_110"></a>[110]</span> -Wenn ich doch nie un nie in diese Ballone gekommen -wäre! O, nie un nie!«</p> - -<p>Er wollte gar nicht mehr durchs Fernrohr -gucken, und seine Worte machten mir ebenfalls -Angst, denn ich wußte, er hatte ganz recht; genau -so geht es mit Gespenstern immer zu. Und -darum wollte ich auch nicht durchgucken. Wir -baten beide Tom, er möchte doch abstoppen und -in ’ner anderen Richtung segeln, aber das wollte -er nicht; er sagte sogar, wir seien alle beide -unwissende, abergläubische Windbeutel. Jawohl! -dachte ich bei mir selber, das wird ihm recht -bald schlecht bekommen; daß er Geister auf solche -Weise beleidigt. ’ne Zeitlang sehen sie’s vielleicht -geduldig mit an, aber immer lassen sie sich es -nicht gefallen; denn wer auch bloß ein bißchen -mit Geistern Bescheid weiß, der weiß, wie -empfindlich und leicht beleidigt und wie rachsüchtig -sie sind.</p> - -<p>So waren wir denn alle drei ruhig und -still: Jim und ich, hatten Angst, und Tom machte -sich mit dem Steuerapparat zu schaffen. Nach ’ner -kleinen Weile ließ er das Luftschiff ganz stillstehen -und sagte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_111"></a>[111]</span></p> - -<p>»Na, nun mal den Kopf hoch und euch umgeschaut, -ihr Wasserköpfe!«</p> - -<p>Wir taten’s, und richtig – da war Wasser -gerade unter uns! Klar und blau und kalt und -tief, und von einer leichten Brise gekräuselt – -der reizendste Anblick, den man sich nur denken -kann. Die Ufer waren ringsherum mit Gras -und Blumen bewachsen, mit schattigen Wäldchen -von großen Bäumen bestanden, zwischen denen -sich Weinreben rankten. Und alles sah so friedlich -und so gemütlich aus – so wunderschön, daß man -hätte geradezu laut herausweinen mögen.</p> - -<p>Jim weinte wirklich und tanzte dazu und -heulte dann wieder, so dankbar war er und vor -Freuden ganz außer sich. Ich hatte die Wache -und mußte daher an Bord bleiben; aber Tom -und Jim kletterten runter und tranken jeder ein -Faßvoll und ließen mir auch was zukommen, -und ich habe in meinem Leben Manches genossen, -was gut schmeckte, aber nichts, was sich mit diesem -Wasser auch nur annähernd vergleichen ließe!</p> - -<p>Dann gingen Tom und Jim ins Wasser -und schwammen ein Stückchen; hierauf kam Tom -an Bord und löste mich ab, und ich schwamm mit<span class="pagenum"><a id="Seite_112"></a>[112]</span> -Jim in den See hinaus. Dann löste Jim wieder -Tom ab, und ich und Tom veranstalteten einen -Wettlauf und ein kleines Boxen. Und ich glaube, -so wohlig hab’ ich mich in meinem ganzen Leben -nicht gefühlt. Die Hitze war gar nicht so übermäßig, -weil es schon auf den Abend zuging; -außerdem hatten wir nicht ein einziges Stück -Zeug an. Kleider sind ja ganz schön und gut -in der Schule und in Städten und meinetwegen -auch auf Bällen, aber es wäre ja gar kein Sinn -und Verstand drin, Kleider zu tragen, wenn keine -Zivilisation mit all ihrem Getue und Genörgele -in der Nähe ist.</p> - -<p>Auf einmal schreit Jim:</p> - -<p>»Löwen! Löwen kommen! Schnell, Massa -Tom! Lauf was du kannst, Huck!«</p> - -<p>O, wie rannten wir! Wir hielten uns nicht -mal damit auf, unsere Kleider aufzunehmen, sondern -walzten, hast du nicht gesehen!, auf die Strickleiter -los. Jim verlor völlig den Kopf – das -geht ihm nämlich immer so, wenn er in Aufregung -und Angst gerät. Anstatt den Ballon ein kleines -bißchen höher steigen zu lassen, so daß die Bestien -die Leiter nicht mehr erreichen konnten, ließ er<span class="pagenum"><a id="Seite_113"></a>[113]</span> -die ganze Kraft los, und hoch in den Himmel -sausten wir hinauf, an unserer Strickleiter baumelnd! -Zum Glück merkte er sofort, was für -einen Unsinn er gemacht hatte. Er stoppte also -ab; nun hatte er aber völlig vergessen, was er -zunächst zu tun hatte – und da hingen wir denn -oben in der Luft, so hoch, daß die Löwen wie -Schoßhündchen aussahen, und trieben vor dem -Winde.</p> - -<p>Aber Tom kletterte an Bord, stellte den -Steuerapparat wieder richtig und ließ den Ballon -langsam zur Erde hinunter und zwar wieder nach -dem See zurück, wo ’ne Menge Bestien versammelt -waren, wie wenn sie da Biwak halten -wollten. Ich dachte, er hätte gerade wie Jim -seinen Kopf verloren, denn er wußte doch, daß -ich vor Angst nicht die Strickleiter ’raufklettern -konnte. Er wollte mich doch nicht etwa mitten -zwischen den Löwen und Tigern auf den Erdboden -setzen?</p> - -<p>Aber nein – in seinem Kopf war alles -richtig, er wußte ganz genau, was er wollte. -Er ließ den Ballon nieder, bis er ungefähr -dreißig oder vierzig Fuß über dem Wasserspiegel<span class="pagenum"><a id="Seite_114"></a>[114]</span> -schwebte und genau über der Mitte hielt er still -und rief:</p> - -<p>»Laß los und hops’ hinein!«</p> - -<p>Das tat ich; mit den Füßen voran schoß -ich ins Wasser, und es kam mir vor, als tauchte -ich ’ne Meile, bis ich auf den Grund kam; und -als ich wieder nach oben kam, sagte Tom:</p> - -<p>»Nun leg’ dich auf den Rücken und laß dich -treiben, bis du dich ausgeruht und wieder deine -ganze Schneid beisammen hast; dann will ich -die Leiter bis ins Wasser ’runterlassen, und du -kannst an Bord klettern.«</p> - -<p>So machte ich es denn. Na, und diese Strategik -war riesig schlau von Tom; denn wenn -er nach irgend ’ner anderen Stelle gesegelt wäre -und mich da auf den Sand gesetzt hätte, so wäre -die ganze Menagerie ebenfalls dahin gelaufen, -und so hätten sie uns vielleicht nach einer sicheren -Stelle herumsuchen lassen, bis ich schließlich -schwindlig geworden und von der Leiter gefallen -wäre.</p> - -<p>Und während dieser ganzen Zeit stritten die -Löwen und Tiger sich um unsere Kleider, und -versuchten sich so darin zu teilen, daß jeder von<span class="pagenum"><a id="Seite_115"></a>[115]</span> -ihnen etwas kriegte; aber es gab fortwährend -Meinungsverschiedenheiten unter ihnen, indem -alle Augenblicke irgend eine Bestie sich mehr anzueignen -versuchte, als auf ihren Anteil kam. Es -dauerte nicht lange, so gab es wieder Aufruhr, und -so etwas wie diesen Anblick hat die Welt noch -nicht erlebt! Es müssen ihrer ein Stücker fünfzig -gewesen sein, alle in einem wilden Kuddelmuddel, -fauchend, brüllend, schnappend, beißend, kratzend -– Beine und Schwänze hoch in die Luft, und -man konnte die einzelnen Biester nicht mehr unterscheiden, -und rings um sie herum stoben Haare -und Sand. Und als sie fertig waren, da lagen -mehrere tot da, andere humpelten verwundet -davon und die übrigen saßen auf dem Schlachtfeld -’rum. Die einen beleckten ihre Wunden, die -anderen guckten zu uns empor, als ob sie uns -einladen wollten, wir möchten doch ’runterkommen -und den Spaß ein bißchen mitmachen. Aber wir -dankten für den Spaß – wir brauchten keinen.</p> - -<p>Von Kleidern war nichts, aber auch rein -gar nichts mehr vorhanden. Die Bestien hatten -sie bis auf den letzten Fetzen verschlungen; und -ich glaube, sie dürften ihnen nicht sonderlich gut<span class="pagenum"><a id="Seite_116"></a>[116]</span> -bekommen sein, denn es waren eine beträchtliche -Menge Messingknöpfe dran, und in den Taschen -befanden sich Messer, Rauchtabak, Nägel, Kreide, -Marmeln, Angelhaken und andere solche Sachen. -Aber mir war’s einerlei. Nur das machte mich -ein bißchen nachdenklich, daß wir jetzt bloß des -Professors Kleider hatten. Die Auswahl war -ja allerdings reich genug, aber die einzelnen -Stücke waren nicht gerade danach gemacht, um mit -ihnen in Gesellschaft zu gehen – für den Fall, -daß wir einer begegnet wären. Denn die Hosen -waren so lang wie Eisenbahntunnel und die Röcke -usw. dementsprechend. Schließlich brauchten wir -aber doch bloß ’nen Schneider, um das alles -in Ordnung zu bringen, und Jim hatte so ’nen -kleinen Begriff von der Schneiderkunst, und er -sagte, er könnte uns wohl ein paar Anzüge zurecht -machen, die uns einstweilen genügen würden.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_117"></a>[117]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="Neuntes_Kapitel">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Ehe wir weiter segelten, hatten wir aber -noch ein kleines Geschäftchen zu besorgen, und -zu diesem Zweck mußten wir doch mal den -Löwen und Tigern ’nen Besuch abstatten. Der -größere Teil von des Professors Mundvorrat bestand -in Büchsenkonserven von einer gerade -damals erfundenen neuen Art; der Rest war -frisches Fleisch. Nun, wenn man Missouribeefsteak -nach der Großen Sahara mitnimmt, so muß -man ein bißchen vorsichtig damit umgehen und -sich in den kühleren Luftschichten halten. Wir -dachten daher bei uns selber, es wäre am besten, -wenn wir die Löwenversammlung besuchten und -mal sähen, was da zu machen wäre.</p> - -<p>Wir zogen die Strickleiter ein und ließen -das Luftschiff sinken, bis wir gerade über den -Bestien waren; dann ließen wir ein Tau mit ’ner -Schlinge nieder und haspelten einen toten Löwen -an Bord, einen kleinen zarten, und außer diesem -noch einen jungen Tiger. Wir mußten die Versammlung -mit dem Revolver in respektvoller Entfernung<span class="pagenum"><a id="Seite_118"></a>[118]</span> -halten, sonst hätten die verehrlichen Tiere -sich an dem Spaß beteiligt und uns ein bißchen -geholfen.</p> - -<p>Wir schnitten uns von den beiden Tieren -einen guten Vorrat herunter, zogen ihnen die -Felle ab und warfen den Rest über Bord. Dann -versahen wir einige von des Professors Angelhaken -mit Ködern von dem frischen Fleisch und -fingen an zu fischen. Wir schwebten gerade in -der richtigen Entfernung über dem Seespiegel -und fingen eine Menge von den reizendsten -Fischen, die man sich nur denken kann. Nachher -hatten wir ein ganz großartiges Abendessen: -Löwensteak, Tigerschnitzel, gebackene Fische und -warme Maiskuchen. Was Besseres verlange ich -meiner Lebtage nicht.</p> - -<p>Zum Nachtisch hatten wir Obst. Dieses -kriegten wir aus der Krone eines riesengroßen -Baumes. Es war ein sehr schlanker Baum, der -vom Fuß bis zum Wipfel nicht ’nen einzigen -Ast hatte; oben aber brach er auseinander wie ein -Flederwisch. Natürlich war’s ein Palmbaum; -’nen Palmbaum kennt jedermann in der ersten -Minute, wo er ihn sieht, nach den Abbildungen.<span class="pagenum"><a id="Seite_119"></a>[119]</span> -Wir suchten in diesem Palmenwipfel nach Kokosnüssen -– aber ’s gab keine, sondern da waren -bloß große Bündel von ’ner Art von überlebensgroßen -Weintrauben, aber es waren auch keine -Trauben, sondern Datteln, wie Tom uns erklärte; -denn die Beschreibungen in Tausend und einer -Nacht und in den anderen Büchern, sagte er, -paßten ganz genau auf sie. Natürlich konnten wir -nicht wissen, ob’s wirklich welche waren; sie -konnten ja auch giftig sein. Darum mußten wir -denn ein Weilchen warten und aufpassen, ob die -Vögel von diesen Früchten äßen. Sie taten’s, -und darum taten wir’s auch und sie schmeckten -über alle Maßen gut.</p> - -<p>Inzwischen waren riesengroße Vögel herangekommen -und hatten sich auf den toten Bestien -niedergelassen. Es waren freche Geschöpfe; sie -zerrten ganz munter am einen Ende von ’nem -toten Löwen, an dessen anderem ein andrer -Löwe nagte. Wenn der Löwe den Vogel wegjagte, -nützte ihm das auch nicht viel; sobald der Löwe -wieder am Knabbern war, war auch der Vogel an -seinem Ende schon wieder da.</p> - -<p>Es war seltsam und unnatürlich anzusehen,<span class="pagenum"><a id="Seite_120"></a>[120]</span> -wie Löwen Löwenfleisch fraßen; wir dachten, vielleicht -wären sie nicht miteinander verwandt, aber -Jim sagte, das machte keinen Unterschied. Eine -Sau, sagte er, fräße auch mit Vorliebe ihre eigenen -Kinder, und ’ne Spinne machte es gerade so; -und er meinte, vielleicht wäre auch ein Löwe -annähernd ebenso grundsatzlos, wenn auch nicht -ganz so schlimm. Ein Löwe würde wahrscheinlich -nicht seinen eigenen Vater fressen – vorausgesetzt, -daß er ihn erkannt hätte, – aber seinen -Schwager z. B. würde er doch wohl verspeisen, -wenn er ganz besonders hungrig wäre, und seine -Schwiegermutter würde unter allen Umständen -dran glauben müssen. Aber das alles waren -Mutmaßungen, mit denen nichts bewiesen wurde. -Man kann die Zeit berechnen, wann die Kuh -nach Hause kommen muß – aber ob sie wirklich -kommt, das ist ’ne andere Frage. Darum gaben -wir’s denn auch auf und zerbrachen uns nicht -länger den Kopf darüber.</p> - -<p>Für gewöhnlich war’s sehr still in diesen -Wüstennächten, aber diesmal hatten wir Musik. -Eine ganze Schar von anderen Tieren kam zum -Mahl; schleichende Kläffer, die, wie Tom uns<span class="pagenum"><a id="Seite_121"></a>[121]</span> -erklärte, Schakale waren, und andere, bucklige: -Hyänen. Und diese ganze Gesellschaft unterhielt -ein unaufhörliches Gebell. In dem Mondschein -boten sie einen ganz eigenartigen Anblick. Wir -hatten unser Luftschiff mit einem Seil an einem -Baumwipfel festgemacht und brauchten deshalb -keine Wache zu halten, sondern legten uns alle -zum Schlafen hin. Aber zwei- oder dreimal -war ich auf, um mir die Biester anzusehen und -ihre Musik anzuhören. Ich saß sozusagen mit -’nem Freibillet auf dem ersten Rang in ’ner -Menagerie. Sowas war mir in meinem Leben -noch nie passiert, und deshalb wäre es ja ’ne -Dummheit gewesen zu schlafen und die Gelegenheit -nicht nach Möglichkeit auszunutzen; denn wer -konnte wissen, ob sie sich mir jemals wieder -bieten würde?</p> - -<p>Mit dem Morgengrauen fingen wir wieder -Fische; nachher faulenzten wir den ganzen Tag -im tiefen Schatten einer Insel; indessen hielten -wir abwechselnd Wache, damit nicht irgend ’ne -Bestie uns auf den Hals käme und sich ’nen -Erronauter zum Mittagessen holte. Wir hatten -die Absicht, den nächsten Tag weiter zu fahren,<span class="pagenum"><a id="Seite_122"></a>[122]</span> -konnten’s dann aber doch nicht übers Herz -bringen – es war zu reizend!</p> - -<p>Als wir endlich am dritten Tag himmelwärts -flogen und nach Osten davonsegelten, konnten wir -die Augen nicht von dem lieblichen Ort wenden, -bis er nur noch als ein kleines Fleckchen in der -Wüste erschien, und ich kann versichern, uns war -gerade so zu Mute, wie wenn wir auf Nimmerwiedersehen -von einem lieben Freunde Abschied -nähmen.</p> - -<p>Jim hatte schon ’ne Zeitlang nachdenklich -vor sich hingeguckt; zuletzt sagte er:</p> - -<p>»Massa Tom, wir sein nu bald an die Ende -von die Wüste, denken ich.«</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Nu, das sagen uns doch bissel Vernunft! -Sie weiß, wie lange wir schon über sie gondeln -tun. Muß aus lauter Sand gemachen sein. -Sand müssen ein Ende nehmen, denn wo sollen -die viele Sand herkommen?«</p> - -<p>»Unsinn! ’s gibt Sand genug auf der Welt -– darum brauchst du keine Sorgen zu haben!«</p> - -<p>»O, habben ich keine Sorgen nix, Massa -Tom. Aber ich wundere mir. Die liebe Gott<span class="pagenum"><a id="Seite_123"></a>[123]</span> -haben viele Sand, daran zweifle ich nix; aber -ihm werden doch gewiß seine Sand nix <em class="gesperrt">verschwenden</em>! -Un ich sagen: dies Wüste is -nu viel groß genug, so wie sie sein, un größer -können sie nix werden, wenn nix liebe Gott seine -Sand verschwenden.«</p> - -<p>»O, laß dich begraben! Wir sind auf unserer -Reise über die Wüste kaum erst ein hübsches Stück -über den Anfang weg. Die Vereinigten Staaten -sind ein recht tüchtig großes Land, nicht wahr? -Nicht wahr, Huck?«</p> - -<p>»Ja,« sag’ ich, »größere Länder gibt’s überhaupt -nicht, so viel ich weiß.«</p> - -<p>»Na, diese Wüste ist ungefähr so groß wie -die Vereinigten Staaten, und wenn du sie oben -auf unser Land legtest, so wäre von diesem nichts -mehr zu sehen – gerad’ wie wenn du ’n Tuch -drübergedeckt hättest. Ein kleines Eckchen würde -da oben bei Maine ’rausgucken und auch im -Nordwesten eins, und Florida würde herausragen -wie’n Schildkrötenschwanz – aber das wäre -alles. Vor’n paar Jahren haben wir ja Kalifornien -den Mexikanern abgenommen; dieser Teil -von der Pazifikküste ist also jetzt auch unser, und<span class="pagenum"><a id="Seite_124"></a>[124]</span> -wenn ihr die Große Sahara so hinlegtet, daß ihr -Rand genau am Stillen Ozean entlang liefe, so -würde sie die ganzen Vereinigten Staaten bis -New York bedecken und noch ein sechshundert -Meilen breites Stück vom Altlantischen Ozean -obendrein!«</p> - -<p>»O du himmlische Güte!« ruf’ ich. »Hast -du das schwarz auf weiß gesehen, Tom Sawyer?«</p> - -<p>»Jawohl, ich kann’s dir sogar schwarz auf -weiß zeigen. Sieh’ selber in diesem Buch nach. -Mit der Wüste könntest du jeden Quadratzoll -von den Vereinigten Staaten zudecken und unter -den überschießenden Teil könntest du England, -Schottland, Irland, Frankreich, Dänemark und -Deutschland ’reinstopfen. Jawoll! Die Heimat -der Braven und all die anderen Länder könntest -du mit der Großen Sahara zudecken und hättest -noch ’ne hübsche Menge Quadratmeilen reinen -Sand über!«</p> - -<p>Wir unterhielten uns noch lange über die -Ausdehnung der Wüste, und je mehr wir sie -mit diesem und jenem und sonst ’nem Ding verglichen, -desto nobler und gewaltiger und großartiger -kam sie uns vor. Schließlich fand Tom<span class="pagenum"><a id="Seite_125"></a>[125]</span> -aus seinen Zahlentabellen ’raus, daß sie genau -so groß ist wie das chinesische Reich. Dann zeigte -er uns, was für ’nen großen Raum das Kaiserreich -China auf der Landkarte einnimmt und was -für ein großes Stück von der ganzen Welt chinesisch -ist. Man konnte sich’s wirklich kaum vorstellen, -und ich rief unwillkürlich:</p> - -<p>»Ich hab’ ja von dieser Saharawüste schon -oft sprechen hören, aber nie hab’ ich ’ne Ahnung -gehabt, wie bedeutend sie ist!«</p> - -<p>»Bedeutend?« sagte Tom. »Die Sahara bedeutend! -Ja, so reden die Leute! Wenn etwas -groß ist, ist es bedeutend! Danach beurteilen -sie alles; sie sehen immer bloß den Umfang. -Nun, sieh dir mal England an. Das ist das -allerbedeutendste Land auf der Welt; und dies -Land könntest du in Chinas Westentasche stecken -und nicht nur das – du würdest es in dieser -Westentasche ’ne verflixt lange Zeit zu suchen -haben, wenn du’s das nächste Mal brauchtest. -Nun sieh dir auch mal Rußland an. Das dehnt -sich nach allen Seiten aus und hat trotzdem auf -dieser Welt nicht mehr zu bedeuten als Rhode -Island, und du findest in ganz Rußland nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_126"></a>[126]</span> -halb so viel wie in Rhode Island, was des -Suchens wert ist.«</p> - -<p>In der Ferne erblickten wir jetzt einen kleinen -Hügel, der gerade am Ende der Welt stand. Tom -unterbrach sich, griff ganz aufgeregt nach dem -Fernrohr, sah hindurch und rief:</p> - -<p>»Das ist er – das ist ganz bestimmt gerade -der, nach dem ich schon lange ausgeschaut habe! -Ganz gewiß ist das der Berg, in den der Derwisch -den Mann hineinführte, um ihm all die Schätze -zu zeigen.«</p> - -<p>Wir guckten natürlich uns den Berg ganz -genau an, und Tom begann uns die Geschichte -davon zu erzählen, wie sie in Tausend und einer -Nacht steht.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="Zehntes_Kapitel">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Tom sagte, die Sache hätte sich folgendermaßen -zugetragen:</p> - -<p>»Ein Derwisch wanderte durch die Wüste; -es war ein sengend heißer Tag und er ging -zu Fuß und hatte schon seine tausend Meilen<span class="pagenum"><a id="Seite_127"></a>[127]</span> -hinter sich und war sehr arm und hungrig und -abgerissen und müde, und hier in der Gegend, -wo wir jetzt sind, begegnete er einem Kameltreiber -mit hundert Kamelen und bat ihn um -ein Almosen. Der Kameltreiber sagte aber, er -möchte ihn entschuldigen, leider könnte er ihm -nichts geben.</p> - -<p>»›Gehören dir denn nicht diese Kamele?‹ -fragte der Derwisch.</p> - -<p>»›Ja, sie gehören mir.‹</p> - -<p>»›Hast du Schulden?‹</p> - -<p>»›Wer – ich? Nein!‹</p> - -<p>»›Nun, ein Mann, der hundert Kamele besitzt -und keine Schulden hat, der ist reich – und -nicht nur reich, sondern sogar sehr reich. Nicht -wahr?‹</p> - -<p>»Der Kameltreiber räumte ein, dies sei -richtig. Da sagte der Derwisch:</p> - -<p>»›Gott hat dich reich gemacht und Er hat -mich arm gemacht. Er hat Seine Gründe und sie -sind weise – gesegnet sei Sein Name! Aber Er -hat befohlen, daß Seine Reichen Seinen Armen -helfen und du hast dich von mir, deinem Bruder, -in seiner Not abgewandt; Er wird dir das gedenken<span class="pagenum"><a id="Seite_128"></a>[128]</span> -und es wird zu deinem Schaden sein.‹</p> - -<p>»Dem Kameltreiber wurde unbehaglich zumute, -als er diese Worte hörte; er war aber -von Natur gewaltig aufs Geld erpicht und mochte -nicht einen Cent missen. So begann er denn zu -winseln und allerlei Entschuldigungen vorzubringen: -es seien harte Zeiten, er habe zwar -eine volle Ladung nach Balsora zu befördern, -und bekomme dafür ein schönes Stück Geld, aber -er könne in Balsora keine Rückfracht erhalten und -darum werde seine Reise ihm nichts Rechtes einbringen. -So machte denn der Derwisch sich wieder -auf seinen Weg und sagte zum Abschied bloß:</p> - -<p>»›Na, meinetwegen – wenn du’s riskieren -willst. Aber ich glaube, diesmal hast du ’nen -Irrtum gemacht und ’ne gute Gelegenheit verpaßt.‹</p> - -<p>»Natürlich wollte nun der Kameltreiber -wissen, was für ’ne Gelegenheit er verpaßt -hätte, denn es hätte ja Geld dabei zu verdienen -sein können. Er lief daher dem Derwisch nach -und bat ihn so lange und so inständig, er möchte -doch Mitleid mit ihm haben, daß der Derwisch -zuletzt nachgab und sagte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_129"></a>[129]</span></p> - -<p>»›Siehst du den Berg dort hinten? In -jenem Berge sind alle Schätze der Erde, und -ich suchte gerade einen Mann mit einem recht -guten milden Herzen und einem edlen hochsinnigen -Charakter; denn wenn ich so einen Mann -finden könnte, so hab’ ich hier ’ne Salbe bei -mir, die ich auf seine Augen streichen würde; -er könnte dann alle Schätze sehen und sie aus -dem Berge hervorholen.‹</p> - -<p>»Da kam der Kameltreiber in riesige Aufregung; -er weinte und bat und ließ nicht nach, -warf sich auf seine Kniee nieder und rief, er sei -gerade so ein Mann, wie ihn der Derwisch suche, -und er könne tausend Zeugen beibringen, die alle -bestätigen würden, daß die Beschreibung ganz -über alle Maßen genau auf ihn zutreffe.</p> - -<p>»›Nun, dann meinetwegen!‹ sagte der Derwisch. -›Wenn wir deine hundert Kamele beladen, -kann ich dann die Hälfte von ihnen abbekommen?‹</p> - -<p>»Der Kameltreiber war so vergnügt, daß -er kaum an sich halten konnte; und er rief:</p> - -<p>»›Das soll ein Wort sein!‹</p> - -<p>»Sie schüttelten sich also zur Bekräftigung<span class="pagenum"><a id="Seite_130"></a>[130]</span> -des Handels die Hände, und der Derwisch holte -seine Büchse heraus und rieb dem Kameltreiber -mit der Salbe das rechte Auge ein: Da tat sich -der Berg auf und er ging hinein, und richtig – -da lagen Haufen neben Haufen, Goldstücke und -Juwelen, die funkelten, wie wenn alle Sterne -vom Himmel heruntergefallen wären.</p> - -<p>»Der Derwisch und der Kameltreiber machten -sich nun fix an die Arbeit und beluden jedes -Kamel mit einer Last, so schwer es sie nur zu -tragen vermochte; dann nahmen sie Abschied von -einander und jeder von ihnen zog mit seinen -fünfzig von dannen. Aber es dauerte nur einen -ganz kleinen Augenblick, da kam der Kameltreiber -dem Derwisch nachgelaufen, holte ihn ein und -sagte:</p> - -<p>»›Du lebst ja doch eigentlich nicht unter den -Menschen und darum brauchst du wirklich nicht -all die Schätze, die du gekriegt hast. Willst du -nicht so gut sein, mir zehn von deinen Kamelen -abzulassen?‹</p> - -<p>»›Na,‹ sagt der Derwisch, ›was du da sagst, -ist ja ganz vernünftig; dagegen kann ich nichts -einwenden.<span class="pagenum"><a id="Seite_131"></a>[131]</span>‹</p> - -<p>»Er tat es also; sie nahmen wiederum Abschied, -und der Derwisch zog mit seinen vierzig -weiter. Aber gleich darauf läuft der Kameltreiber -wieder mit Halloh hinter ihm her und fängt an zu -winseln und zu betteln, er möchte ihm doch noch -zehn Kamele geben, denn mit dreißig Kamelladungen -Gold und Juwelen könnte ein Derwisch -sich ganz gut durchs Leben schlagen. Bekanntlich -leben ja die Derwische sehr einfach und haben -keine eigene Wohnung, sondern ziehen in der Welt -’rum und quartieren sich bald hier bald dort ein.</p> - -<p>»Aber damit war’s noch nicht zu Ende. Der -gemeine Hund kam immer und immer wieder, bis -er sich alle Kamele zusammengebettelt hatte und -die sämtlichen hundert besaß. Dann war er zufrieden -und sogar riesig dankbar und sagte, er -wollte es dem Derwisch sein Lebenlang nicht vergessen, -und niemand sei je zuvor so gut gegen -ihn gewesen und so freigebig; so schüttelten sie -sich denn die Hände, sagten sich Lebewohl und -gingen auseinander, der eine hierhin und der -andere dorthin.</p> - -<p>»Aber wißt ihr – es waren noch keine zehn -Minuten verstrichen, da war der Kameltreiber<span class="pagenum"><a id="Seite_132"></a>[132]</span> -schon wieder unzufrieden – er war das allergemeinste -Reptil in sieben Grafschaften – und -kam wieder hinter dem Derwisch hergerannt. Und -diesmal wünschte er, der Derwisch solle ihm auch -auf sein anderes Auge ein bißchen von der Salbe -streichen.</p> - -<p>»›Warum?‹ fragte der Derwisch.</p> - -<p>»›O! Du weißt schon!‹ antwortete der Kameltreiber.</p> - -<p>»›Was denn?‹</p> - -<p>»›Na, mir kannst du nichts weismachen!‹ sagt -der andere. ›Du möchtest mir irgendwas verheimlichen, -das weißt du selber recht gut. Ich -denke mir aber, wenn ich die Salbe auch auf dem -anderen Auge hätte, so könnte ich ’ne ganze Menge -noch viel wertvollere Sachen sehn. Also bitte – -streich’ sie mir auf!‹</p> - -<p>»Sagt der Derwisch:</p> - -<p>»›Ich habe dir nicht das allergeringste verhehlt. -Aber ich will dir sagen, was dir geschehen -würde, wenn ich dir die Salbe auf das linke -Auge striche: du würdest niemals wieder sehen -können – du wärest stockblind bis ans Ende -deiner Tage.<span class="pagenum"><a id="Seite_133"></a>[133]</span>‹</p> - -<p>»Aber, versteht ihr, das Biest wollte ihm -nicht glauben. Nein, er bettelte und bettelte und -winselte und flennte, bis zuguterletzt der Derwisch -seine Büchse aufmachte und ihm sagte, er möchte -sich die Salbe selbst aufstreichen, wenn er’s durchaus -wollte. Der Mann tat es und richtig – -in Zeit von ’ner Minute war er so blind wie ’n -Maulwurf.</p> - -<p>»Da lachte der Derwisch ihn aus und verhöhnte -ihn und sagte:</p> - -<p>»›Leb wohl! Ein Blinder braucht kein Gold -und keine Juwelen.‹</p> - -<p>»Dann machte er sich mit seinen hundert -Kamelen davon und der Blinde mußte arm und -elend und hilflos bis an sein Lebensende in der -Wüste umherirren.«</p> - -<p>Jim sagte, er wollte wetten, das wäre ’ne -gute Lehre für ihn gewesen.</p> - -<p>»Ja,« sagte Tom, »und ’ne Lehre, wie’s -die allermeisten sind, die man kriegt. Sie nützen -einem nichts, weil derselbe Vorfall einem niemals -wieder passieren wird, ja gar nicht passieren kann. -Als damals Hen Scovil den Schornstein ’runterfiel -und sich das Rückgrat brach, daß er für<span class="pagenum"><a id="Seite_134"></a>[134]</span> -immer krumm blieb, da sagte ein jeder, es würde -’ne Lehre für ihn sein. Was für ’ne Lehre denn? -Was konnte er mit der Lehre anfangen? Er -konnte nicht mehr in Schornsteine ’raufkriechen -und hatte kein Rückgrat mehr zu brechen.«</p> - -<p>»Aber einerlei, Massa Tom, es sein doch -was Wahres dran, daß eine von die Erfahrung -klug werden. In die Gute Buch stehen: die gebrannte -Kind tun den Feuer scheuen.«</p> - -<p>»Nu ja, ich leugne ja nicht, daß etwas ’ne -gute Lehre sein kann, wenn’s was ist, was zweimal -passieren kann. Es gibt ’ne Masse solche Sachen, -und dadurch gerade wird ’n Mensch erzogen, wie -Onkel Abner immer zu sagen pflegte; aber es -gibt vierzig Millionen Sachen von der andern -Sorte – Sachen, die nie sich zweimal auf dieselbe -Weise zutragen – und die haben absolut keinen -reellen Wert, die lehren einen Menschen genau -so wenig, wie wenn er die Pocken kriegt. Wenn -man sie mal erst hat, so nützt es einem nichts, daß -es einem klar wird, man hätte sich sollen impfen -lassen; und sich nachträglich impfen zu lassen, -hat auch keinen Zweck, weil man die Pocken bloß -einmal kriegt. Andererseits, sagte Onkel Abner,<span class="pagenum"><a id="Seite_135"></a>[135]</span> -lernt einer, der mal ’nen Bullen an den Schwanz -gefaßt hat, sechzig- oder siebzigmal so viel wie -einer, der das nicht getan hat, und einer, der -mal ’ne Katze am Schwanz nach Hause gezerrt -hätte, sagte Onkel Abner, der lernte dadurch -allerlei, was ihm mal von Nutzen sein würde und -was sich nie in seiner Erinnerung verwischen -würde. Aber ich kann dir sagen, Jim: auf <em class="gesperrt">die</em> -Leute, die aus allem immer ’ne Lehre ziehen -wollen, auf die war Onkel Abner nicht gut zu -sprechen; denn es wäre doch nicht einerlei, -ob …«</p> - -<p>Aber Jim war eingeschlafen. Tom guckte -ein bißchen verlegen drein, denn es ist ja immer -ein unangenehmes Gefühl, wenn man etwas ganz -besonders Schönes sagt und wenn man denkt, der -andere hört ganz andächtig und bewundernd zu, -und wenn dann der andere ganz mir nichts dir -nichts einschläft. Natürlich hätte er nicht einschlafen -sollen – denn das ist schäbig; aber je schöner -jemand redet, desto sicherer schläfert er den anderen -damit ein, und wenn man sich die Sache -richtig überlegt, so hat eigentlich keiner von -ihnen schuld – oder sie haben alle beide schuld.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136"></a>[136]</span></p> - -<p>Auf einmal fing Jim an zu schnarchen – -zuerst sanft und süß, dann ein langes Sägen, -hierauf ein noch stärkeres und dann ein halbes -Dutzend ganz fürchterliche Schnarcher, wie wenn -in ’ner Badewanne der letzte Rest Wasser in das -Abflußloch hineingesaugt wird – hierauf dieses -letzte halbe Dutzend noch einmal, aber noch stärker -und mit etlichen Schnörkeln verziert, wie wenn -’ne Kuh in den letzten Zügen liegt – und wenn -ein Mensch <em class="gesperrt">so</em> schnarcht, so hat er den Höhepunkt -der Leistung erreicht und kann einen aufwecken, -der in der nächsten Straße mit ’nem -Eimer voll Opium im Leibe schläft, aber er -selber wacht nicht auf, obwohl der ganze gräßliche -Spektakel keine drei Zoll von seinen Ohren -entfernt ist. Und das ist, wie mich dünkt, das -Allersonderbarste dabei. Aber reibe ein Streichholz -an, um das Licht anzuzünden, und dieses -leise Geräusch wird ihm in die Glieder fahren! -Ich möchte wohl wissen, was der Grund hiervon -ist, aber der läßt sich, wie’s scheint, nicht feststellen.</p> - -<p>Unser Jim schnarchte also, daß er die ganze -Wüste in Aufruhr brachte; auf Meilen in der -Runde stürzten die wilden Tiere aus ihren<span class="pagenum"><a id="Seite_137"></a>[137]</span> -Schlupfwinkeln hervor, um zu sehen, was denn -da oben in der Luft los sei; kein Mensch und kein -Tier und kein Ding war dem Lärm so nahe -wie Jim selber, und doch war er in der ganzen -Gegend das einzige Geschöpf, das sich nicht dadurch -stören ließ. Wir schrieen und brüllten ihn -an – nützte alles nichts; aber sowie ein leises -ungewohntes Geräusch gemacht wurde, da wachte -er auf. Wahrhaftig, ich habe mir den Kopf -darüber zerbrochen und Tom auch, aber wir -haben’s nicht herausbringen können, warum ein -Schnarcher sich nicht schnarchen hört.</p> - -<p>Jim sagte, er habe nicht geschlafen; er habe -bloß die Augen zugemacht, um besser zuhören -zu können.</p> - -<p>Tom sagte, ihm hätte ja niemand einen Vorwurf -gemacht.</p> - -<p>Da machte Jim ein Gesicht, wie wenn er -wünschte, er hätte lieber gar nichts gesagt. Und -ich glaube, er wollte die Unterhaltung auf was -anderes bringen, denn auf einmal fing er an, -über den Kameltreiber herzuziehen. Er ließ kein -gutes Haar an ihm, und ich mußte ihm recht -geben; und den Derwisch erhob er bis in den<span class="pagenum"><a id="Seite_138"></a>[138]</span> -siebenten Himmel, und auch darin mußte ich ihm -beistimmen. Tom aber sagte:</p> - -<p>»Das weiß ich denn doch nicht so gewiß. -Ihr nennt den Derwisch so fürchterlich freigebig -und gut und selbstlos – aber ich bin davon -nicht so ganz überzeugt. Er suchte in der Wüste -nicht nach ’nem andern armen Derwisch, nicht -wahr? Oder? Nee, fiel ihm gar nicht ein. -Wenn er so selbstlos war – warum ging er nicht -einfach selber in den Berg, nahm ’ne Tasche -voll Juwelen ’raus und ging damit zufrieden -weiter? Aber nein – was er suchte, das war -ein Mann mit hundert Kamelen. Er wollte so -viele Schätze fortschleppen, wie er nur irgend -konnte.«</p> - -<p>»Abers, Massa Tom, ihm wollten doch teilen -– ehrliche halb und halb! ihm wollten -bloß fufzig Kamele haben!«</p> - -<p>»Weil er wußte, daß er sie schließlich doch -alle hundert kriegen würde.«</p> - -<p>»Massa Tom, er sagten abers zu die Mann, -das Salbe täte ihm blind machen tun!«</p> - -<p>»Ja, weil er den Charakter des Mannes -kannte. Es war gerade die Sorte von ’nem<span class="pagenum"><a id="Seite_139"></a>[139]</span> -Mann, wonach er gesucht hatte – ein Mann, -der nie an eines andern Wort oder Ehrlichkeit -glaubt, weil er selber gar nicht weiß, was ein -wahres ehrliches Wort ist. Ich glaube, es gibt -viele Leute, die’s genau so machen, wie dieser Derwisch. -Sie gaunern nach rechts und nach links, -aber richten es immer so ein, daß es so aussieht, -als ob gerade der andere der Gauner sei. Sie -bleiben stets innerhalb des Buchstabens der Gesetze, -und darum kann man sie nie erwischen. -<em class="gesperrt">Sie</em> legen nicht die Salbe auf – o nein! Das -wäre ja Sünde! Aber sie wissen den anderen -so an der Nase zu führen, daß er sich selber -damit beschmiert – und dann hat er sich eben -selber blind gemacht. Ich glaube, der Derwisch -und der Kameltreiber waren ein edles Brüderpaar: -ein schlauer, gerissener, verschmitzter Schurke -und ein plumper, roher, unwissender – aber -Schurken alle beide, der eine wie der andere!«</p> - -<p>»Massa Tom, glauben Sie, daß es auf diese -Welt noch so ein Salben geben tun?«</p> - -<p>»Ja, Onkel Abner sagt, es gibt welche. In -New York, sagt er, haben sie sie und sie schmieren -sie dem Landvolk auf die Augen und zeigen ihnen<span class="pagenum"><a id="Seite_140"></a>[140]</span> -alle Eisenbahnen von der Welt und sie fallen -drauf ’rein und schaffen sie ’ran; und dann reiben -sie sich auch das andere Auge mit der Salbe ein -und der kluge Mann sagt ihnen Adieu und geht -mit ihren Eisenbahnen ab. Na, hier sind wir -beim Schatzberg! Tiefer mit dem Ballon!«</p> - -<p>Wir landeten, aber es war nicht so interessant, -wie ich erwartet hatte, weil wir nämlich -die Stelle nicht finden konnten, wo sie ’reingegangen -waren, um die Schätze zu holen. Immerhin -war es noch sehr interessant, auch nur den -Berg zu sehen, wo eine so wunderbare Geschichte -sich zugetragen hatte. Jim sagte, er hätte nicht -für drei Dollars bei dem Berg vorbeifahren mögen, -ohne sich ihn näher anzusehen, und ich war ganz -derselben Meinung.</p> - -<p>Aber das Allerwundervollste war für mich -und Jim, wie Tom in so’n großes fremdes Land -kam wie dies und einfach geradeswegs auf so ’nen -kleinen Steinhaufen lossegeln und ihn in ’ner -Minute aus ’ner Million von anderen geradeso -aussehenden Bergen ’rauskennen konnte, -und ohne irgend welche fremde Hilfe, bloß durch -sein eigenes Wissen und seine eigene Schläue.<span class="pagenum"><a id="Seite_141"></a>[141]</span> -Wir besprachen das lange Zeit, konnten aber -nicht ’rausbringen, wie er’s anfing. Er hatte -den besten Kopf, den ich je gesehen, und ihm -fehlte weiter nichts als das richtige Alter, um -sich ’nen Namen zu machen wie Kapitän Kidd, -der große Seeräuber, oder George Washington. -Ich will wetten, die wären alle beide in ’ner -häßlichen Verlegenheit gewesen – trotz all ihrer -Klugheit – wenn sie den Berg hätten ausfindig -machen sollen. Aber für Tom Sawyer war das -ganz und gar nichts; der ging quer über die -Sahara drauf los und tippte ihn mit dem Finger -an – so leicht, wie man ’nen Nigger aus ’nem -Haufen Engelein ’rauskennen würde.</p> - -<p>Ganz in der Nähe fanden wir einen Salzwasserteich, -von dessen Rändern wir einen Vorrat -Salz einsammelten; damit rieben wir die Löwen- -und die Tigerhaut ein, so daß sie sich halten -konnten, bis Jim Zeit kriegte, sie richtig zu gerben.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_142"></a>[142]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="Elftes_Kapitel">Elftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Einen Tag oder zwei strolchten wir nach unserem -Behagen in den Lüften herum, und dann, -gerade als der Vollmond den Erdboden auf der -anderen Seite der Wüste berührte, sahen wir eine -Reihe von kleinen schwarzen Gestalten quer an der -großen silberglänzenden Scheibe vorüberziehen. -Man sah sie so deutlich, wie wenn sie mit Tinte -auf den Mond aufgezeichnet gewesen wären. Es -war wieder ’ne Karawane. Wir stellten unseren -Apparat auf mäßige Geschwindigkeit und fuhren -hinter ihr her, bloß um ein bißchen Gesellschaft -zu haben, obwohl wir dadurch eigentlich von unserem -Wege abkamen. Diese Karawane war ein -ganz mächtig großes Ding und ein großartiger -Anblick war’s am andern Morgen, als die Sonne -flammend über die Wüste schien und die langen -Schatten der Kamele langbeinig-knickebeinig in -Prozession über den goldenen Sand hinmarschierten. -Wir kamen der Karawane niemals ganz -nahe, weil wir mit solchen Sachen jetzt besser -Bescheid wußten und nicht mehr friedfertigen Leuten -die Kamele bange machen und ihre Karawane<span class="pagenum"><a id="Seite_143"></a>[143]</span> -in Unordnung bringen wollten. Es war der -bunteste lustigste Zug, den man sich nur denken -kann, alles in reichen Gewändern und fein herausgeputzt. -Einige von den Häuptlingen ritten auf -Dromedaren; es waren die ersten, die wir je in -unserem Leben sahen, und mächtig große Viecher, -die wie auf Stelzen gehen und den Mann, der -auf ihnen sitzt, beträchtlich schütteln und ihm das -Essen, das er im Leibe hat, ganz gehörig durcheinander -rütteln; aber sie reiten ein ganz famoses -Tempo und ein Kamel kann es an Schnelligkeit -auch nicht annähernd mit ihnen aufnehmen.</p> - -<p>Den mittleren Teil des Tages über hielt die -Karawane Lagerruhe; in den Nachmittagsstunden -zog sie weiter. Es dauerte nicht lange, so fing -die Sonne an, ganz merkwürdig auszusehen – -erst wie Messing, dann wie Kupfer und schließlich -wie eine blutrote Kugel; die Luft wurde heiß -und beklemmend und im Nu war der ganze westliche -Himmel verdunkelt und dunstig, daß es ganz -fürchterlich anzusehen war – so wie wenn man -ihn durch ’nen roten Glasscherben ansieht. Wir -sahen ’runter und bemerkten, daß in der Karawane -ein großer Wirrwarr herrschte, ein Hin-<span class="pagenum"><a id="Seite_144"></a>[144]</span> -und Herlaufen, wie wenn die Leute eine entsetzliche -Angst hätten. Und auf einmal warfen -Menschen und Tiere sich platt auf den Boden -nieder und lagen da vollständig still.</p> - -<p>Gleich darauf sahen wir etwas herankommen. -das sah aus wie eine riesig hohe Wand, und -reichte von der Wüste in den Himmel empor, -daß die Sonne dahinter verschwand, und es kam -heran wie ein heiliges Donnerwetter. Dann wehte -eine ganz schwache Brise uns an, dann wurde der -Wind stärker und auf einmal flogen Sandkörner -uns in’s Gesicht, die brannten uns wie Feuerfunken, -und Tom schrie auf:</p> - -<p>»’s ist ein Sandsturm – dreht ihm den -Rücken zu!«</p> - -<p>Das taten wir; und ’ne Minute später blies -es uns an wie ein Orkan und der Sand flog -wie mit Schaufeln geworfen gegen uns an, und -die Luft war so dick, daß wir überhaupt nichts -mehr sehen konnten. Binnen fünf Minuten war -unser Luftschiff bis an den Rand voll, und wir -saßen auf unseren Bänken, bis ans Knie in Sand -begraben, und bloß unsere Köpfe guckten oben -’raus und wir konnten kaum noch Luft kriegen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_145"></a>[145]</span></p> - -<p>Dann wurde der Sturm schwächer und der -Sand dünner und wir sahen, daß die ungeheure -Wand quer über die Wüste weitersegelte – und -es war fürchterlich anzusehen, das kann man mir -wohl glauben! Wir wühlten uns aus dem -Sand ’raus und sahen nach der Erde hinunter -– und an der Stelle, wo vorher die Karawane -gewesen war, da war jetzt gar nichts mehr als -bloß der Sandozean, und alles war still und ruhig. -All die Menschen und Kamele waren erstickt und -tot und begraben – begraben unter einer Sandschicht, -die nach unserer Schätzung zehn Fuß tief -sein mußte, und Tom meinte, es könnte Jahre -dauern, ehe der Wind sie wieder bloßlegte, und all -die Zeit über würden ihre Freunde nicht wissen, -was aus der Karawane geworden wäre. Und -Tom sagte:</p> - -<p>»Jetzt wissen wir auch, was den Leuten -passiert war, denen wir die Säbel und Pistolen -abnahmen.«</p> - -<p>Ja, so verhielt sich’s ganz genau – das war -uns jetzt so klar wie der helle Tag. Sie wurden -in einem Sandsturm begraben, und die wilden -Tiere konnten nicht an sie ’rankommen, und der<span class="pagenum"><a id="Seite_146"></a>[146]</span> -Wind deckte sie nicht eher wieder auf, als bis -sie zu lederartigen Mumien vertrocknet und nicht -mehr zu essen waren. Mir war’s damals so vorgekommen, -als sei uns das Schicksal jener armen -Menschen so tief zu Herzen gegangen und habe uns -so traurig gemacht, wie sich’s nur denken läßt – -aber das war ein Irrtum von uns: der Untergang -dieser zweiten Karawane ging uns tiefer -zu Herzen, <em class="gesperrt">viel</em> tiefer! Nun, das kam davon, -daß die andern eben völlige Fremde für uns gewesen -waren; so hatten wir denn gar nicht das -Gefühl gehabt, als seien wir überhaupt mit ihnen -bekannt gewesen – ausgenommen vielleicht ein -bißchen mit dem Mann, der das Mädchen in seinen -Armen zu schützen gesucht hatte. Aber mit dieser -letzten Karawane war es ganz was anderes! -Wir hatten eine ganze Nacht und beinahe einen -vollen Tag um sie herumgeschwebt, und da hatten -wir ein wirklich freundschaftliches Gefühl für sie -gefaßt; sie waren für uns Bekannte geworden. -Ich habe die Beobachtung gemacht, daß es kein -besseres Mittel gibt, herauszufinden, ob Leute -einem lieb oder zuwider sind, als daß man mit -ihnen zusammen eine Reise macht. Genau so<span class="pagenum"><a id="Seite_147"></a>[147]</span> -ging es uns mit diesen. Sie gefielen uns -eigentlich gleich von Anfang an, und im Verlauf -der Reise gewannen wir sie wirklich lieb. Je -länger die Reise dauerte, und je mehr wir mit -ihren Manieren vertraut wurden, desto besser -gefielen sie uns und desto größer wurde unsere -Freude, daß wir sie getroffen hatten. Einige -von ihnen kannten wir bald so genau, daß wir -sie bei ihren Namen nannten, wenn wir von -ihnen sprachen, und wir gingen schließlich so vertraulich -mit ihnen um, daß wir sogar das ›Herr‹ -oder ›Fräulein‹ fortließen und einfach ihre Namen -nannten, wenn wir von ihnen sprachen; und -das klang ganz und gar nicht unhöflich, sondern -im Gegenteil ganz natürlich. Selbstverständlich -waren es nicht ihre richtigen Namen, -sondern die Namen, die wir ihnen beigelegt -hatten. Da war Herr Alexander Robinson und -Fräulein Adaline Robinson, Oberst Jacob Mc -Dougal und Fräulein Harriet Mc Dougal und -Richter Jeremiah Butler und der junge Buschrod -Butler, und diese Herrschaften waren meistens -große Häuptlinge mit prachtvollen großen Turbanen -und Handscharen, und angezogen wie der<span class="pagenum"><a id="Seite_148"></a>[148]</span> -Groß-Mogul, nebst ihren Familienmitgliedern. -Aber sobald wir sie recht kannten, und sie so gern -hatten, da gab’s für uns kein ›Herr‹, ›Richter‹ -oder dergleichen mehr, sondern bloß Alex und -Addy und Jake und Nattie, Jerry, Buck usw.</p> - -<p>Als sie ihr Lager aufschlugen, da hielten -auch wir unmittelbar über ihnen still, tausend -oder zwölfhundert Fuß hoch in der Luft. Als -sie ihre Mahlzeit verzehrten, da speisten wir -auch, und es war wirklich ein behagliches Gefühl, -uns dabei in ihrer Gesellschaft zu wissen. -Während der Nacht feierten sie eine Hochzeit, -und Buck und Addy wurden miteinander verheiratet; -da putzten wir uns zur Feier dieses festlichen -Anlasses mit des Professors schönsten Kleidern -heraus, und als bei ihnen das Tanzen -losging, da schwangen wir oben in unserer -Höhe auch ein bißchen das Tanzbein.</p> - -<p>Aber am allernächsten werden die Menschen -doch durch Kummer und Leid zusammengebracht, -und so ging es auch uns, als sie am nächsten -Morgen in der ersten Dämmerung einen begruben. -Wir wußten nicht, wer der Abgeschiedene -war, und er war ja nicht mit uns verwandt,<span class="pagenum"><a id="Seite_149"></a>[149]</span> -aber das machte gar keinen Unterschied; -er gehörte zur Karawane – das genügte, und -es wurden keine aufrichtigeren Tränen über -seinem Grabe vergossen, als die unsrigen, die aus -einer Höhe von elfhundert Fuß herabfielen.</p> - -<p>Ja, der Abschied auf ewig, den wir von -dieser Karawane nahmen, war viel bitterer, als -der Abschied von jenen anderen Toten, die im -Vergleich mit diesen nur Fremde für uns waren, -und die zudem schon so lange tot waren. -Aber diese hatten wir bei Lebzeiten gekannt und -hatten sie gern gehabt – und nun kam der -grimmige Tod und riß sie vor unsern Augen -weg und wir blieben mitten in der großen Wüste -so einsam und verwaist – das tat uns so weh -und wir wünschten, wir möchten auf unserer Reise -lieber gar keine Freunde mehr gewinnen, wenn -wir sie auf solche Art wieder verlieren sollten.</p> - -<p>Als wir am nächsten Morgen erwachten, -war’s uns ein bißchen fröhlicher ums Herz; -denn wir hatten großartig gut geschlafen, weil -Sand das allerbequemste Bett auf der ganzen Welt -ist, und ich begreife nicht, warum Leute, die’s -haben können, sich nicht eine solche Ruhestatt<span class="pagenum"><a id="Seite_150"></a>[150]</span> -leisten. Außerdem ist Sand auch ein schrecklich -guter Ballast; unser Ballon war nie zuvor so -ruhig gesegelt wie jetzt.</p> - -<p>Tom meinte, wir hätten wohl zwanzig -Tonnen Sand an Bord, und dachte darüber nach, -was wir wohl am besten damit anfangen könnten; -es war guter Sand und es schien uns unvernünftig -zu sein, ihn fortzuschmeißen. Da sagte Jim:</p> - -<p>»Massa Tom, können wir nix mit ihm zu -Hause nehmen un die Sand verkaufen? Wie -große Zeit brauchen wir zu die Reise?«</p> - -<p>»Das kommt auf den Weg an, den wir -fahren.«</p> - -<p>»Nu, Massa Tom, die Sand is zu Haus -mehr als eine Viertel Dollar for die Wagenladung -wert, un ich glauben, wir haben zu ’s -allermindeste zwanzig Wagenladungen. Wieviel -würden die machen?«</p> - -<p>»Fünf Dollars.«</p> - -<p>»Bei Jingo, Massa Tom, laß Sie uns auf -die Stelle zu Haus reisen! Das machen ja mehr -als annerthalb Dollars auf jede von unsere drei -Köpf – nich?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_151"></a>[151]</span></p> - -<p>»Na! Das is doch so leicht Geld verdient, -wie ich in meine Leben nie nix erleben tun! -Die Sand is ja bloß so ’reingeregnet – kost -uns nix ’n bissel Arbeit. Laß Sie uns gleich -hinfahren, Massa Tom!«</p> - -<p>Aber Tom dachte nach und rechnete so eifrig -und so aufgeregt, wie ich ihn nie gesehen habe. -Und nach ’nem kleinen Augenblick sagte er:</p> - -<p>»Fünf Dollars – pah! Hört mal zu: dieser -Sand ist wert … wert … na, er ist ’n ganz -kolossalen Haufen Geld wert!«</p> - -<p>»Wie denn, Massa Tom? Erzähl Sie, -süßes Herrchen, erzähl Sie!«</p> - -<p>»Na – sobald die Leute wissen, ’s ist <em class="gesperrt">echter</em> -Sand aus der <em class="gesperrt">echten</em> Wüste Sahara, da werden -sie sich sofort in den Kopf setzen, sich ein bißchen -davon zu verschaffen und es als Kuriosität in ’ner -Phiole mit ’nem Zettel dran auf den Nippstisch -zu stellen. Wir brauchen nichts weiter zu -tun, als ihn in Phiolen zu füllen, über den -ganzen Vereinigten Staaten ’rumzugondeln und -ihn zu zehn Cents das Stück zu verhökern. Wir -haben in unserem Schiff für mindestens zehntausend -Dollars Sand!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_152"></a>[152]</span></p> - -<p>Ich und Jim sprangen vor Freuden beinahe -in Stücke und sangen: »Hupjamborihu!« -und Tom sagte:</p> - -<p>»Und wir brauchen ja bloß wieder zurückzusegeln -und neuen Sand zu holen und das immer -fortzusetzen, bis wir zuletzt die ganze Wüste -’rübergeschafft und phiolenweise verkauft haben; -und Konkurrenz brauchen wir nicht zu befürchten, -denn wir lassen uns einfach ein Patent darauf -geben.«</p> - -<p>»Himmlische Güte!« rief ich. »Wir werden -ja so reich sein wie Kreosot – was, Tom?«</p> - -<p>»Ja – wie Kresus, meinst du. Hört mal – -der Derwisch suchte in jenem kleinen Berg nach -den Schätzen der ganzen Welt und wußte nicht, -daß er tausend Meilen weit auf lauter wirklichen -Schätzen gegangen war. Er war blinder -als der Kameltreiber durch ihn wurde!«</p> - -<p>»Massa Tom – wie sehr reich, mein’ Sie, -daß wir werden tun?«</p> - -<p>»Ja, das weiß ich noch nicht. Das muß -erst ausgerechnet werden – und das ist gar nicht -so leicht, denn es sind mehr als vier Millionen -Quadratmeilen Sand zu zehn Cents die Phiole.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_153"></a>[153]</span></p> - -<p>Jim war fürchterlich aufgeregt, aber diese -letzte Bemerkung gab ihm einen beträchtlichen -Dämpfer. Er schüttelte den Kopf und sagte:</p> - -<p>»Massa Tom – all die Violen können wir nix -beschaffen – kein König nix hat so viele Violen. -Wir mussen lieber nix die ganze Wüste wollen -haben – Massa Tom, die Violen wer’n uns -zu Grunden richten, warraftig!«</p> - -<p>Toms Erregung ließ jetzt ebenfalls bedeutend -nach und ich dachte, es sei von wegen der -Phiolen – aber nein. Er saß da und dachte, -und sein Gesicht wurde immer saurer und finsterer, -und zuletzt sagte er:</p> - -<p>»Jungens – die Sache wird nicht gehen. -Wir müssen sie aufgeben!«</p> - -<p>»Warum denn, Tom?«</p> - -<p>»Wegen der Zollgebühren. So oft man -über eine Grenze kommt – ’ne Grenze ist der -Rand von einem Lande, wie ihr wohl wißt – -so findet man dort ein Zollamt; und dann -kommen die Zollbeamten heran und wühlen -einem in den Sachen herum und erheben eine -hohe Gebühr davon – und wenn wir nicht die -Gebühr bezahlen, so beschummeln sie uns um<span class="pagenum"><a id="Seite_154"></a>[154]</span> -unsern Sand. Sie nennen das ›konfiszieren‹ – -aber damit können sie keinem Menschen was -weismachen – es ist ganz einfach beschummeln. -Wenn wir nun versuchen, den Sand auf dem -Wege heimzubringen, auf dem wir jetzt sind, so -müssen wir über so viele Grenzen wegsteigen, daß -wir bald müde sein werden – denn da kommt -Grenze hinter Grenze: Aegypten, Arabien, Hindustan -usw., und an jeder stehen sie mit ihrer -Zollgebühr bereit. Ihr seht also klar und deutlich: -diesen Weg können wir nicht segeln!«</p> - -<p>»Nu, Tom,« sagte ich, »wir können doch -einfach über ihre ollen Grenzen wegsegeln. Wie -sollten <em class="gesperrt">die</em> uns daran hindern?«</p> - -<p>Er sah mich betrübt an und sagte ganz ernst:</p> - -<p>»Huck Finn – meinst du, daß das ehrlich -sein würde?«</p> - -<p>Derartige Unterbrechungen hasse ich, darum -erwiderte ich gar nichts darauf, und Tom fuhr -fort:</p> - -<p>»Na, der andere Weg ist uns ja ebenfalls -versperrt. Wenn wir den Weg zurücksegeln, den -wir gekommen sind, so ist da das New Yorker -Zollamt, und das ist schlimmer als alle anderen<span class="pagenum"><a id="Seite_155"></a>[155]</span> -zusammen, von wegen der Fracht, die wir führen.«</p> - -<p>»Warum?«</p> - -<p>»Ja, Saharasand können sie in Amerika natürlich -nicht produzieren; und auf alles, was -dort nicht produziert werden kann, beträgt die -Zollgebühr vierzehntausend Prozent, wenn man -versucht, es aus dem Ursprungsland einzuführen.«</p> - -<p>»Da liegt ja gar kein Sinn und Verstand -drin, Tom Sawyer!«</p> - -<p>»Wer hat denn das behauptet? Wie kannst -du so zu mir sprechen, Huck Finn? Warte doch -ab, bis ich sage, es sei Sinn und Verstand drin, -ehe du solche Beschuldigungen gegen mich erhebst!«</p> - -<p>»Schon gut, Tom! Nimm an, ich bereue -und beweine meinen Fehler. Weiter!«</p> - -<p>Da sagt Jim:</p> - -<p>»Massa Tom – packen Sie diese Gebühre -auf alle Dinge, wo nix in Amerrika waxen un -mach Sie gar nix keine Unterschied nix?«</p> - -<p>»Nee, das tun sie nicht.«</p> - -<p>»Massa Tom – is nix die Segen von liebe -Herrgott die wertvölligste Ding auf diese Welt?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_156"></a>[156]</span></p> - -<p>»Ja, das ist er.«</p> - -<p>»Stehen nix das Preddiger auf die Kanzel -un ruf die Segen nieder auf die Volk?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Wo kommen die Segen her?«</p> - -<p>»Vom Himmel.«</p> - -<p>»Jawoll – da hab Sie ganz recht – ganz -recht, mein süßes Herrchen – die Segen komm’ -von die Himmel un die Himmel is eine fremde -Land. Nu – nehm’ sie auch Zollgebühr von -die Segen?«</p> - -<p>»Nein, das tun sie nicht.«</p> - -<p>»Natürlich tu’ sie nix! Un so is es klar, -daß Sie sich tun irren, Massa Tom! Sie nehm’ -doch ganz gewiß nix Gebühr von armselige -Sand, die keine Mensch zu haben brauchen un -lassen die beste Ding, wo niemand ohne sein -können, frei von die Gebühr!«</p> - -<p>Da saß Tom Sawyer fest! Er sah auch -wohl selber ein, daß Jim ihn gefaßt hatte und -daß er sich nicht rühren konnte. Allerdings versuchte -er sich herauszuwinden, indem er sagte, -sie hätten bloß <em class="gesperrt">vergessen</em>, auch darauf eine -Abgabe zu legen, aber ganz gewiß würden sie<span class="pagenum"><a id="Seite_157"></a>[157]</span> -bei der nächsten Kongreßtagung daran denken -und sie nachträglich einführen – aber das war -nur eine armselige lahme Ausrede, und Tom -wußte es ganz gut. Er sagte, es gäbe außer -diesem einzigen nichts Ausländisches, was nicht -mit ’ner Zollgebühr belegt wäre, und darum -müßten sie diese Abgabe ebenfalls festsetzen, denn -sonst wären sie nicht konsistent oder konsequent, -und Konsistenz wäre die erste Regel in der Politik. -Er blieb dabei, sie hätten’s bloß aus Versehen -ausgelassen und würden sich ganz gewiß -beeilen, dies Versehen wieder gut zu machen, ehe -man sie darob ertappte und auslachte.</p> - -<p>Aber ich hatte für seine Auseinandersetzungen -kein Interesse mehr, da wir nun doch mal -mit unserem Sand nichts mehr anfangen konnten; -denn das machte mich ganz niedergeschlagen -und Jim auch. Tom versuchte uns wieder aufzuheitern, -indem er sagte, er wollte eine andere -Spekulation ausdenken, die für uns gerade so -gut und noch besser wäre – aber das half nichts, -denn wir konnten nicht glauben, daß irgend eine -andere so großartig sein könnte. Es war wirklich -sehr hart für uns: vor einer ganz kleinen<span class="pagenum"><a id="Seite_158"></a>[158]</span> -Weile noch waren wir so reich, hätten uns ein -ganzes Land kaufen und ’n Königreich drin einrichten -können – und jetzt waren wir wieder -so arm und so ordinär und saßen da mit all -unserm Sand. Vorher hatte der Sand so reizend -ausgesehen, wie lauter Gold und Diamanten, -und er war so weich und so seidig und so angenehm -anzufühlen gewesen – aber jetzt konnte -ich nicht mal seinen Anblick mehr ertragen; es -machte mich ganz krank, ihn bloß zu sehen, und -ich wußte, mir würde nicht eher wieder wohl -sein, als bis wir den Krempel los wären, der -uns fortwährend daran erinnerte, was wir hätten -sein können und nun nicht mehr waren. Den -andern beiden war ganz genau so zumute wie -mir. Das merkte ich ihnen an und sie wurden -auf einmal ganz lustig, als ich ihnen -sagte: »Laßt uns das ganze Zeug über Bord -werfen!«</p> - -<p>Na, das war ja nun ’ne ganz tüchtige Arbeit, -und darum teilte Tom sie im Verhältnis -zu unserer verschiedenen Stärke ein. Er sagte, -er und ich sollten jeder ein Fünftel von dem -Sand über Bord schaffen und Jim die andern<span class="pagenum"><a id="Seite_159"></a>[159]</span> -drei Fünftel. Dem Jim gefiel diese Einteilung -aber nicht recht und er sagte:</p> - -<p>»Natürlich sein ich die Stärkste un will auch -meine Teil größer mach’ – abber bei Jingo: -Sie lad’ ein bissel zu viel auf alte Jims -Buckel – tu’ Sie nix, Massa Tom?«</p> - -<p>»Na, das glaub’ ich eigentlich nicht, Jim; -aber du kannst ja selber sagen, wie die Arbeit -verteilt werden soll und nachher können wir -dann sehen.«</p> - -<p>Jim meinte nun, es sei nicht mehr als recht -und billig, wenn Tom und ich jeder <em class="gesperrt">ein -Zehntel</em> von der Arbeit täten. Tom drehte -sich um und verzog seinen Mund zu einem Grinsen, -das sich nach Westen zu über die ganze Sahara -bis an den Atlantischen Ozean erstreckte. Dann -wandte er sich wieder zu Jim und sagte, die -Einteilung sei ganz schön und gut und er sei -ganz damit einverstanden, wenn sie Jim ebenfalls -recht sei. Jim war sie recht.</p> - -<p>So maß denn Tom unsere zwei Zehntel im -Bug des Schiffes ab und den Rest bekam Jim. -Und es überraschte den guten Jim sehr als er -sah, wie groß der Unterschied war und was für<span class="pagenum"><a id="Seite_160"></a>[160]</span> -eine fürchterliche Menge Sand auf seinen Anteil -kam. Er sagte, er sei doch mächtig froh, -daß er zur rechten Zeit den Mund aufgetan -habe, und daß der erste Vorschlag abgeändert -worden sei; denn selbst so wie’s jetzt sei, meinte -er, möchte auf seinen Teil wohl mehr Sand als -Vergnügen kommen.</p> - -<p>Dann fingen wir an. Es war ’ne mächtig -heiße Arbeit und dazu sehr langwierig; sie war -tatsächlich so heiß, daß wir zu ’ner kühleren Luftschicht -aufsteigen mußten, sonst hätten wir’s einfach -nicht aushalten können. Tom und ich lösten uns -ab, und der eine ruhte sich immer aus, während -der andere arbeitete, aber niemand war da, um -den armen Jim abzulösen, und er machte diesen -ganzen Teil von Afrika naß, so schwitzte er. Wir -konnten nicht recht arbeiten, weil wir fortwährend -lachen mußten, und Jim wollte immerzu -wissen, warum wir alle Augenblicke laut herausprusteten. -Da mußten wir denn irgend einen -Vorwand ersinnen, und unsere Vorwände waren -wirklich recht kümmerlich, aber schließlich genügten -sie, denn Jim glaubte uns. Als wir endlich -mit unserem Teil fertig waren, da waren wir<span class="pagenum"><a id="Seite_161"></a>[161]</span> -halb tot, aber nicht von der Arbeit, sondern vom -Lachen. Jim war beinahe ganz tot, aber von -der Arbeit; da lösten wir ihn denn abwechselnd -ab, und er war uns dafür so dankbar, wie wir -nur wünschen konnten; er setzte sich aufs Dollbord -und trocknete sich den Schweiß ab und keuchte -und schnaufte und sagte, wie gut wir doch zu -’nem armen alten Nigger wären und er wollt’s -uns nie vergessen. Er war immer der dankbarste -Nigger, den ich je gesehen habe, mochte man ihm -auch nur die geringste Gefälligkeit erwiesen haben. -Nigger war er überhaupt nur äußerlich – innerlich -war er so weiß wie du und ich.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="Zwoelftes_Kapitel">Zwölftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Unsere nächsten Mahlzeiten waren recht -sandig, aber das macht nichts aus, wenn man -hungrig ist; und wenn man nicht hungrig ist, -so hat man ja vom Essen doch keinen Genuß und -nach meiner Meinung kommt’s auf so’n kleines -Sandkörnchen im Essen überhaupt nicht an.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_162"></a>[162]</span></p> - -<p>Endlich kamen wir an den Ostrand der großen -Wüste, indem wir einen nordöstlichen Kurs -einhielten. Fern am Rande des Sandes, in einem -zarten rosenroten Licht, sahen wir drei kleine -scharfe Dächer wie Zelte sich abheben und Tom -sagte: »Das sind die ägyptischen Pyramiden!«</p> - -<p>Da fing aber mein Herz an zu puppern! -Ich hatte ja so manches, manches Bild von ihnen -gesehen und hatte hundertmal von ihnen erzählen -hören – aber als ich sie so ganz plötzlich -vor mir sah und fand, daß sie <em class="gesperrt">wirklich</em> -existierten und nicht bloß in der Phantasie, da -stand mir vor Ueberraschung beinahe der Atem -still. Es ist sonderbar – je mehr man von -’nem großartigen Ding oder Menschen hört, desto -mehr nimmt es sozusagen was Traumhaftes an -und wird schließlich zu ’ner übergroßen verschwommenen -Figur aus lauter Mondschein, aber -ohne ’nen soliden Inhalt. Gerade so ist’s mit -George Washington – und so ist’s auch mit -den Pyramiden.</p> - -<p>Außerdem war es mir immer so vorgekommen, -als ob die Geschichten, die man von den -Pyramiden erzählte, zum größten Teil ganz gewaltige<span class="pagenum"><a id="Seite_163"></a>[163]</span> -Uebertreibungen seien. Da war mal -einer, der kam zu uns in die Sonntagsschule -und hatte ein Bild von ihnen und hielt ’ne Rede -drüber und sagte, die größte Pyramide bedeckte -eine Fläche von dreizehn Morgen und wäre beinahe -fünfhundert Fuß hoch; sie wäre ein richtiger -steiler Berg, aufgebaut aus lauter Steinblöcken, -die so groß wären wie ’ne Kommode und in -regelmäßigen Reihen lägen wie Treppenstufen. -Na, dreizehn Morgen für ein einziges Gebäude -– das ist ja ’ne Farm! Wär’ ich nicht in der -Sonntagsschule gewesen, so hätte ich die Geschichte -für ’ne Lüge gehalten; und sobald ich draußen -war, hielt ich sie auch wirklich dafür. Und er -sagte, in der Pyramide wäre ein Loch und man -könnte mit Fackeln da hineingehen und dann -immer einen langen schrägen Tunnel hinauf, bis -man schließlich zu einem großen Raum mitten -im Bauch dieses Berges käme und da fände man -einen großen Steinkasten mit ’nem König drin -– und der wär’ viertausend Jahre alt! Als -ich das hörte, sagte ich bei mir selber: wenn das -keine Lüge ist, will ich den König sehen, d. h. -wenn er da ist; denn <em class="gesperrt">so</em> alt war ja nicht mal<span class="pagenum"><a id="Seite_164"></a>[164]</span> -Methusalem, und kein Mensch denkt daran, viertausend -Jahre alt werden zu wollen.</p> - -<p>Als wir ein bißchen näher herankamen, sahen -wir auf einmal den gelben Sand mit einem langen -graden Rand aufhören – ganz scharf abgeschnitten -wie ein großes Tuch – und mit dem -Rand an diesen Sand anstoßend ein weites Land -von hellem Grün, durch das ein langer heller -Streifen sich in Schlangenwindungen hindurchzog, -und Tom sagte, das sei der Nil. Da fing mein -Herz wieder an zu puppern, denn der Nil war -auch so ein Ding, das ich eigentlich nie für Wirklichkeit -gehalten hatte. Nun, so viel ist todsicher: -wenn man über dreitausend Meilen gelben Sandes -weggegondelt ist, wenn dieser Sand so von -Hitze flimmert, daß einem vom bloßen Hinsehen -das Wasser aus den Augen läuft, und wenn man -beinahe ’ne ganze Woche über diesem Sand war -– dann wird einem das grüne Land wie Heimat -und Himmel erscheinen und es wird einem -<em class="gesperrt">wieder</em> das Wasser aus den Augen laufen.</p> - -<p>So ging es mir und so ging’s auch Jim.</p> - -<p>Und als Jim merkte, daß er wirklich auf -Aegyptenland ’runterguckte, da wollte er nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_165"></a>[165]</span> -stehend in dieses Land hineinsegeln, sondern er -warf sich auf seine Kniee und nahm den Hut -ab, denn für einen armen alten Nigger, sagte -er, schicke es sich nicht, anders in ein Land zu -kommen, wo Moses und Joseph und Pharao -und die andern Propheten gelebt hätten. Jim -war Presbyterianer und hatte einen sehr tiefen -Respekt vor Moses, der, wie er sagte, ebenfalls -ein Presbyterianer gewesen war. Er war ganz -aus dem Häuschen und rief:</p> - -<p>»Das is die Aegyptenland, die Aegyptenland! -– un ich dürfen sie mit meine eigene Augen -ansehn! Un da is die Fluß, das zu Blut wurden, -un ich sehen auf dieselbige Stellen ’runter, -wo die Pest un die Läusen un die Froschen un -die Hauschrecken un die Hagel gewesen sein tun -– un wo die Türpfosten gezeichnet war un die -Engel des Herrn kam un schlugen allen Erstgeburt -in ganze Aegyptenland. Alte Jim is -nix würdig, diesen Tag zu sehn!«</p> - -<p>Und dann warf er sich hin und weinte vor -lauter Dankbarkeit. Da gab es denn zwischen ihm -und Tom ein langes Gespräch: Jim war aufgeregt, -weil das Land so voll von Weltgeschichte<span class="pagenum"><a id="Seite_166"></a>[166]</span> -war: von Joseph und seinen Brüdern, von Moses -in den Binsen, von Jakob, der nach Aegypten -kam, um Korn zu kaufen, vom silbernen Becher -im Sack und von all den anderen interessanten -Sachen. Und Tom war gerade so aufgeregt, weil -das Land so voll von Weltgeschichte war, die in -<em class="gesperrt">sein</em> Fach schlug: von Nurreddin und Bedreddin -und ähnlichen ungeheuren Riesen, bei deren Beschreibung -Jims Wollhaar zu Berge stand, und -von ’ner ganzen Menge anderer Leute aus Tausend -und einer Nacht, die nach meiner Meinung -nicht die Hälfte von all dem getan haben, was -sie getan haben wollen!</p> - -<p>Dann erlebten wir eine Enttäuschung, denn -es erhob sich ein Frühnebel und wir durften -nicht über ihn hinwegsegeln, weil wir sonst gewiß -auch über ganz Aegypten weggesegelt wären. Wir -hielten’s daher für das beste, nach dem Kompaß -in geradem Kurs auf die inzwischen immer -mehr im Dunst verschwindenden Pyramiden zuzuhalten, -so dicht wie möglich über dem Boden -hinzufahren und scharf Ausguck zu halten. Tom -nahm das Steuer, ich stand neben ihm, um, -wenn’s nötig wäre, den Anker auszuwerfen, und<span class="pagenum"><a id="Seite_167"></a>[167]</span> -Jim hockte auf dem Bug, um mit den Augen -durch den Nebel zu bohren und etwaige Gefahren -rechtzeitig zu bemerken. Wir fuhren ein -stetiges Tempo, aber nicht sehr schnell, und der -Nebel wurde dicker und dicker – so dick zuletzt, daß -von Jim nur noch schwache Umrisse zu erkennen -waren. Es war beängstigend still und wir sprachen -leise und waren aufgeregt. Ab und zu rief Jim:</p> - -<p>»Eine Strich höcher ’rauf, Massa Tom, eine -Strich höcher!« und dann ließ Tom das Schiff ein -paar Fuß höher steigen, und wir fuhren scharf -über das flache Dach einer Lehmhütte weg und -über die Leute, die gerade eben aufgestanden -waren und noch gähnten und sich streckten. Einmal -hatte ein Bursche sich auf seinen Hinterbeinen -so recht hoch aufgerichtet, um besser gähnen -und sich strecken zu können; der bekam von unserer -Gondel einen Puff in den Rücken, daß er -auf den Bauch fiel. So verging ungefähr eine -Stunde; alles war totenstill und wir spitzten -unsere Ohren und hielten den Atem an, damit -uns kein Laut entginge; da, ganz auf einmal -wurde der Nebel ein bißchen dünner, und Jim -schrie in fürchterlicher Angst:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_168"></a>[168]</span></p> - -<p>»O, um die liebe Heiland willen, steuer Sie -rückwärts, Massa Tom! Hier is die größte -Riese aus die Tausendste Nacht un kommen auf -uns los!«</p> - -<p>Und damit fiel er rücklings in die Gondel -hinein.</p> - -<p>Tom stürzte sich auf einen Hebel und gab -dem Schiff Gegenkraft, und als wir infolgedessen -plötzlich stillstanden – da guckte ein Menschengesicht -so groß wie unser Haus daheim in unsere -Gondel und ich fiel um und war tot. Denn -ich muß wirklich ’ne Minute lang oder so tot -gewesen sein. Schließlich kam ich wieder zu mir -und da hatte Tom ’nen Bootshaken in die Unterlippe -des Riesen eingehakt und hielt damit den -Ballon fest, und dabei hatte er den Kopf hintenübergelegt -und sah mit einem langen festen Blick -das fürchterliche Riesenantlitz an.</p> - -<p>Jim lag auf den Knieen und sah mit gefalteten -Händen das Ding an und bewegte betend -die Lippen, konnte aber keinen Ton hervorbringen. -Ich warf bloß einen Blick auf den Riesenkopf -und wollte gerade wieder in Ohnmacht -fallen, da sagte Tom:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_169"></a>[169]</span></p> - -<p>»Es ist ja gar nicht lebendig, ihr Narren! -Es ist die Sphinx.«</p> - -<p>Nie hab’ ich Tom so klein gesehen – er -sah wahrhaftig nicht größer aus als ’ne Fliege, -aber das kam davon, daß der Riesenkopf so schrecklich -groß war. Groß und schrecklich, ja, das -war er – aber er machte einem doch keine Angst -mehr, denn man konnte wohl sehen, daß es ein -edles, beinahe trauriges Antlitz war und daß -es gar nicht an uns Menschlein dachte, sondern -an was Anderes, Größeres. Es war aus Stein, -rötlichem Stein, und Nase und Ohren waren -verstümmelt, so sah es aus, als ob es mißhandelt -sei, und das tat einem unwillkürlich in der -Seele weh.</p> - -<p>Wir hielten ein Stück von dem Bildwerk ab -und segelten rund darum herum und dann -darüber weg, und es war einfach großartig. Es -war der Kopf eines Mannes oder vielleicht auch -einer Frau, auf einem hundertfünfundzwanzig -Fuß langen Tigerleib, und zwischen seinen Vorderpranken -stand ein süßer kleiner Tempel. Viele -hundert Jahre lang – vielleicht Tausende – war -das ganze Bildwerk mit Ausnahme des Hauptes<span class="pagenum"><a id="Seite_170"></a>[170]</span> -unter dem Sand begraben gewesen; aber gerade -vor ganz kurzer Zeit hatten sie den Sand weggeräumt -und den kleinen Tempel gefunden. Es -war jedenfalls ’ne mächtige Masse Sand nötig, -um so ’ne Kreatur zu begraben – wohl mindestens -so viel wie um ein Dampfschiff zu -begraben.</p> - -<p>Wir setzten Jim oben auf dem Kopf der -Sphinx ab, nachdem wir ihm, da wir im Ausland -waren, zum Schutz ’ne amerikanische Flagge -gegeben hatten. Dann segelten wir ab und besahen -uns das Werk bald aus dieser, bald aus -jener Entfernung; das war, wie Tom sagte, nötig, -um die richtigen Effekte und Perspektiven und -Proportionen herauszukriegen. Und Jim tat -wirklich sein Bestes, indem er die allerverschiedensten -Stellungen einnahm, die er sich nur ausdenken -konnte; am besten gefiel er uns aber, -als er auf dem Kopf stand und wie ein Frosch -mit den Beinen spaddelte. Je weiter wir wegsegelten, -desto kleiner wurde Jim und desto großartiger -die Sphinx, bis er zuletzt sozusagen wie -’ne Stecknadel auf einem Dome aussah. Auf diese -Weise bringt die Perspektive die richtigen Proportionen<span class="pagenum"><a id="Seite_171"></a>[171]</span> -zuwege, sagte Tom; er sagte, Cäsars -Nigger hätten nicht gewußt, wie groß er war, -weil sie zu nahebei gewesen wären.</p> - -<p>Dann segelten wir immer weiter und weiter -weg, bis wir Jim überhaupt nicht mehr sehen -konnten, und da machte die große Figur den edelsten -Eindruck – so still und feierlich und einsam -blickte sie über das Niltal herüber, und all die -schäbigen kleinen Hütten und Menschenwerklein, -die rings um sie herum zerstreut waren, sie waren -völlig verschwunden und rund um sie herum nur -noch eine weiche große Decke von gelbem Sammet, -nämlich der Wüstensand.</p> - -<p>Das war die richtige Stelle, um Halt zu -machen, und das taten wir auch. Eine halbe -Stunde lang hielten wir da und guckten und -dachten und keiner von uns sagte ein Wort, -denn uns wurde so ruhig und feierlich zu Mute, -wenn wir daran dachten, daß die Sphinx schon -seit Jahrtausenden gerade so über das Tal hinübergeschaut -und ihre majestätischen Gedanken so -ganz für sich gedacht hatte – ihre Gedanken, -von denen kein Mensch sagen kann, was sie -sind.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_172"></a>[172]</span></p> - -<p>Zuletzt nahm ich das Fernrohr zur Hand -und da sah ich mehrere kleine schwarze Dinger auf -dem Sammetteppich herumspringen und andere, -die auf den Rücken der Sphinx hinaufkletterten, -und dann sah ich zwei oder drei weiße Rauchwölkchen -aufpuffen, und ich sagte Tom, er möchte -auch mal hinsehen. Er tat das und sagte:</p> - -<p>»Das sind Käfer. Nein – wart’ mal; sie -– wahrhaftig, ich glaube, es sind Menschen. Ja, -es sind Menschen – Menschen und auch Pferde. -Sie legen gerade ’ne lange Leiter an den Rücken -der Sphinx an – ist das aber komisch! Und -nun versuchen sie, die Leiter hinaufzuziehen – -da sind auch wieder Rauchwölkchen – das sind -Flinten! Huck, sie machen Jagd auf Jim!«</p> - -<p>Wir ließen die ganze Kraft los und segelten -wie das heilige Donnerwetter auf die Sphinx -zu. Im Nu waren wir da und sausten mitten -unter die Menschen hinein, daß sie nach allen -Seiten auseinanderstoben, und ein paar von -denen, die die Leiter hinaufkletterten, um Jim -zu fangen, verloren den Halt und fielen herunter. -Wir sausten hinauf und fanden Jim keuchend -und beinahe besinnungslos auf dem Kopf der -Sphinx liegen. Er hatte eine lange Belagerung<span class="pagenum"><a id="Seite_173"></a>[173]</span> -ausgehalten – eine Woche, sagte er, aber das -war nicht wahr; sie war ihm nur so lang vorgekommen, -weil ihm die Leute so nahe auf den -Leib gerückt waren. Sie hatten auf ihn geschossen -und der Kugelregen war um ihn herumgerasselt, -aber getroffen war er nicht; und als -sie merkten, daß er nicht mehr aufstand, und daß -ihre Kugeln ihn nicht mehr treffen konnten, wenn -er auf dem Bauch lag, da holten sie die Leiter, und -da wußte er, daß es mit ihm aus wäre, wenn -wir nicht <em class="gesperrt">sehr</em> bald kämen. Tom war höchst -entrüstet und fragte ihn, warum er denn nicht -die Flagge gezeigt und im Namen der Vereinigten -Staaten ihnen befohlen hätte, Frieden zu -halten? Jim sagte, das hätte er ja getan, sie -hätten sich aber gar nicht darum gekümmert. Tom -sagte, er wollte dafür sorgen, daß diese Sache -in Washington in die Hand genommen würde.</p> - -<p>»Und ihr sollt sehen,« rief Tom, »sie werden -sich wegen Insultierung der Flagge zu entschuldigen -haben und werden obendrein noch ’ne Indemnität -bezahlen müssen!«</p> - -<p>Sagt Jim:</p> - -<p>»Was is ein Indemmität, Massa Tom?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_174"></a>[174]</span></p> - -<p>»Bares Geld ist’s!«</p> - -<p>»Un wer kriegen es, Massa Tom?«</p> - -<p>»Na, natürlich wir!«</p> - -<p>»Un wer kriegen die Entschuldigung?«</p> - -<p>»Die Vereinigten Staaten. Oder wir können -sie auch nehmen, wenn wir wollen. Wenn -uns die Entschuldigung besser gefällt, können wir -die nehmen, und die Regierung kriegt dann -das Geld.«</p> - -<p>»Wie viele Geld werden es sein, Massa -Tom?«</p> - -<p>»Na, in einem Fall wie dieser, wo erschwerende -Umstände dabei sind, mindestens drei -Dollars pro Kopf und möglicherweise sogar -noch mehr.«</p> - -<p>»Nu, denn wolle wir die Geld nehm’, -Massa Tom; zum Kuckuck mit die Entschuldigung! -Meinen Sie nix auch, Massa Tom? Un -du auch, Huck?«</p> - -<p>Wir besprachen die Sache ein bißchen und -kamen zum Schluß, es wäre gar nicht so übel, -wenn wir’s so machten; also wurden wir uns -einig, wir wollten das Geld nehmen. Für mich -war das ’ne ganz neue Geschichte und ich fragte<span class="pagenum"><a id="Seite_175"></a>[175]</span> -Tom, ob Staaten immer sich entschuldigen, wenn -sie was Unrechtes getan hätten, und er antwortete:</p> - -<p>»Ja, die kleinen tun’s.«</p> - -<p>Wir segelten nun herum und sahen uns die -Pyramiden an und ließen uns schließlich auf der -abgeplatteten Spitze der größten von ihnen nieder; -und wir fanden, daß alles genau so war, wie -der Mann in der Sonntagsschule gesagt hatte. -Das Ding sah aus wie vier Treppenfluchten, -die, am Boden breit, immer enger werdend schräg -aufsteigen und sich oben in einer Spitze treffen. -Nur konnte man diese Treppenstufen nicht hinaufsteigen -wie irgend ’ne andere Treppe – denn -jede Stufe war so hoch, daß sie ’nem gewöhnlichen -Menschen bis ans Kinn reichte, und man mußte -sich von hinten hinaufheben lassen. Die beiden -andern Pyramiden waren nicht weit von der unsrigen -entfernt, und die Leute, die zwischen den Pyramiden -sich auf dem Sand bewegten, sahen aus wie -krabbelnde Käfer, so hoch waren wir über ihnen.</p> - -<p>Tom war gar nicht mehr zu halten vor -lauter Freude und Erstaunen, daß er an so ’nem -berühmten Ort wäre, und er schwitzte sozusagen -Weltgeschichte aus jeder Pore – wenigstens kam<span class="pagenum"><a id="Seite_176"></a>[176]</span> -es mir so vor. Er sagte, er könnte es kaum -glauben, daß er genau auf demselben Platz stände, -von dem der Prinz auf dem Bronzepferde aufgeflogen -wäre. Die Geschichte stände in Tausend -und einer Nacht, sagte er. Irgend einer gab dem -Prinzen ein bronzenes Pferd mit ’nem Zapfen -in der Schulter; und er konnte sich auf dies Pferd -setzen und durch die Luft fliegen wie ein Vogel -und die ganze Welt bereisen, und er konnte es -steuern, indem er den Zapfen drehte, und konnte -hoch und niedrig fliegen und landen, wo er nur -wollte.</p> - -<p>Als Tom die Geschichte zu Ende erzählt -hatte, da entstand ein Schweigen – jenes bekannte -Schweigen, das sich einstellt, wenn jemand -einen Unsinn erzählt hat und wenn den Zuhörern -das leid tut und sie gerne das Gespräch auf ein -anderes Thema bringen möchten, aber nicht -wissen, wie sie das anfangen sollen, und ehe sie -sich richtig besonnen haben, da ist das Schweigen -schon da und macht die Stimmung unbehaglich. -Ich war verlegen, Jim war verlegen und keiner -von uns konnte ein Wort herausbringen. Tom -sah mich ’ne Minute lang an und sagte dann:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_177"></a>[177]</span></p> - -<p>»Na, heraus damit! Was denkst du?«</p> - -<p>Ich sage:</p> - -<p>»Tom Sawyer, <em class="gesperrt">du</em> glaubst die Geschichte -doch selber nicht?«</p> - -<p>»Warum sollte ich nicht? Was könnte mich -daran hindern?«</p> - -<p>»Hindern kann dich nur eins: sie kann nicht -passiert sein – weiter nichts.«</p> - -<p>»Und warum kann sie <em class="gesperrt">nicht</em> passiert -sein?«</p> - -<p>»Sag’ du mir doch, warum sie passiert sein -<em class="gesperrt">kann</em>?«</p> - -<p>»Unser Ballon ist ein ganz guter Beweis -dafür, sollt’ ich meinen.«</p> - -<p>»Wieso?«</p> - -<p>»Wieso? So ’nen Idioten hab’ ich nie gesehen! -Sind denn nicht dieses Luftschiff und das -bronzene Pferd genau das gleiche, nur unter verschiedenen -Namen?«</p> - -<p>»Nein, das sind sie nicht. Das eine ist ’n -Luftballon und das andere ist ’n Pferd. Das -ist ein großer Unterschied. Nächstens wirst du -wohl gar sagen, ein Pferd und ’ne Kuh seien -ein und dasselbe.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_178"></a>[178]</span></p> - -<p>»Bei Jackson! Da hat Huck ihm wieder -fest! Da könn’ Sie nix um ’rumkommen, Massa -Tom!«</p> - -<p>»Halt den Mund, Jim! Du weißt nicht, -was du redest! Und Huck auch nicht. Hör’ mal zu, -Huck, ich will euch beiden die Sache klar machen, -und dann werdet ihr mich verstehen. Seht mal: -wenn man von zwei Dingen sagt, sie seien sich -ähnlich oder unähnlich, so kommt es dabei nicht -bloß auf ihre Form an, sondern vor allem auf -ihr <em class="gesperrt">Wesen</em>; und das Wesen ist in beiden das -gleiche. Versteht ihr mich jetzt?«</p> - -<p>Ich bedachte mir seine Worte bei mir selber -und sagte dann:</p> - -<p>»Tom, das zieht nicht! So ’n Wesen ist ja -recht schön und gut, aber damit kommen wir nicht -um die eine große Tatsache herum: wenn ein -Luftballon etwas machen kann, so ist das absolut -noch kein Beweis, daß ein Pferd dasselbe -machen kann.«</p> - -<p>»Quatsch, Huck! Du hast die ganze Geschichte -noch gar nicht begriffen! Nun hör’ mal ’ne -Minute zu – es ist alles vollkommen einfach! -Fliegen wir nicht durch die Luft?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_179"></a>[179]</span></p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Schön! Fliegen wir nicht hoch oder niedrig, -grad’ wie wir Lust haben?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Steuern wir nicht, wohin wir wollen?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Und landen wir nicht, wann und wo es -uns Spaß macht?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Wie bewegen und steuern wir unser Luftschiff?«</p> - -<p>»Indem wir auf die Knöpfe drücken.«</p> - -<p>»Na, <em class="gesperrt">jetzt</em> denke ich, wird die Geschichte -dir endlich klar sein. Bei dem Pferde geschah -die Bewegung und Steuerung, indem ein Zapfen -gedreht wurde. Wir drücken auf einen Knopf, der -Prinz drehte ’nen Zapfen. Du siehst, es ist kein -Atom von ’nem Unterschied vorhanden. Ich -wußte wohl, ich würde dir’s in den Schädel trichtern, -wenn ich mir nur Mühe gäbe!«</p> - -<p>Und Tom fühlte sich so glücklich, daß er -zu pfeifen begann. Aber ich und Jim blieben -still; und so brach Tom überrascht sein Pfeifen -ab und sagte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_180"></a>[180]</span></p> - -<p>»Höre mal, Huck Finn, siehst du’s immer -noch nicht ein?«</p> - -<p>»Tom Sawyer,« antwortete ich, »ich möchte -’ne Frage an dich richten.«</p> - -<p>»Nur zu!« sagt er; und ich sehe, wie Jim -ein ganz helles Gesicht macht und mächtig -aufhorcht.</p> - -<p>»Wenn ich die Sache recht verstehe,« sag’ ich, -»so kommt es bei dem ganzen Ding nur auf die -Knöpfe und den Zapfen an – der Rest ist Nebensache. -Ein Knopf sieht anders aus als ein Zapfen -– aber darauf kommt es wohl nicht an?«</p> - -<p>»Nein, darauf kommt es ganz und gar nicht -an, wenn nur beiden dieselbe Kraft innewohnt.«</p> - -<p>»Schön! Was ist die Kraft, die ’ner Kerze -und ’nem Streichholz innewohnt?«</p> - -<p>»Das Feuer.«</p> - -<p>»Diese Kraft ist also in beiden die gleiche?«</p> - -<p>»Ja, ganz genau die gleiche in beiden.«</p> - -<p>»Schön! Angenommen, ich zünde mit einem -Streichholz ’ne Tischlerwerkstatt an – was wird -damit passieren?«</p> - -<p>»Sie wird aufbrennen.«</p> - -<p>»Und angenommen, ich zünde mit ’ner Kerze<span class="pagenum"><a id="Seite_181"></a>[181]</span> -diese Pyramide an – wird sie auch aufbrennen?«</p> - -<p>»Natürlich nicht!«</p> - -<p>»Schön! Nun ist aber doch beidemale das -Feuer das gleiche. <em class="gesperrt">Warum</em> brennt denn also -die Tischlerwerkstatt, und die Pyramide nicht?«</p> - -<p>»Weil die Pyramide nicht brennen <em class="gesperrt">kann</em>.«</p> - -<p>»Aha! <em class="gesperrt">Und ein Pferd kann nicht -fliegen!!!</em>«</p> - -<p>»O du meine liebe Heiland! Da haben Huck -ihm <em class="gesperrt">wieder</em>! Diesmal haben Huck ihm richtig -auf die Sand gesetzt – Junge, Junge! Un …«</p> - -<p>Aber Jim mußte so furchtbar lachen, daß -er beinahe erstickte und nicht weiter sprechen -konnte, und Tom fuhr beinahe aus der Haut, -als er sah, wie elegant ich ihn abgeführt hatte, -indem ich seine eigene Beweisführung gegen ihn -wandte und sie in Stückchen und Fetzen zerpflückte. -Und er wußte nichts weiter zu sagen, -als daß er jedesmal, wenn er Jim oder mich -disputieren hörte, sich des Menschengeschlechts -schämte. Ich sagte gar nichts mehr, aber ich -war innerlich sehr mit mir zufrieden. Wenn -ich jemandem auf solche Weise heimgeleuchtet -habe, so ist es nicht meine Art ’rumzugehen und<span class="pagenum"><a id="Seite_182"></a>[182]</span> -zu krähen, wie’s manche Leute machen, denn ich -glaube, wenn er an meiner Stelle wäre, so wär’s -mir auch nicht angenehm, wenn er über mich -krähte. Es ist besser, man ist edel und hochherzig -– das ist <em class="gesperrt">meine</em> Meinung.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="Dreizehntes_Kapitel">Dreizehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Nach einem Weilchen ließen wir Jim im -Luftschiff allein in der Nähe der Pyramiden -herumgondeln und wir selber kletterten bis zu -dem Loch hinunter, durch das man in den engen -Gang kommt. Wir nahmen einige Araber und -Kerzen mit, und mitten in der Pyramide da fanden -wir ein Gemach und einen großen Steinkasten -drin, worin sie den König aufbewahrt -hatten – genau wie der Mann in der Sonntagsschule -es uns erzählte. Aber er war jetzt nicht -mehr da; irgend einer hatte ihn mitgenommen. -Ich hatte aber kein rechtes Vergnügen in dieser -Kammer, denn es konnten ja natürlich Geister -drin hausen – wenn auch gerade keine neuen,<span class="pagenum"><a id="Seite_183"></a>[183]</span> -aber ich mag mit Geistern überhaupt nichts zu -tun haben.</p> - -<p>Wir gingen also wieder hinaus und mieteten -uns ein paar kleine Esel und ritten ein Stück; -dann fuhren wir ein Stück in ’nem Boot auf -dem Nil, dann ritten wir wieder auf Eseln und -so kamen wir nach Kairo. Und der ganze Weg -war so wunderschön glatt und eben, wie ich nur -je in meinem Leben einen Weg gesehen habe; auf -beiden Seiten der Straße wuchsen große Dattelpalmen, -und überall krochen nackte Kinder herum -und die Menschen waren so rot wie Kupfer und -feingebaut, kräftig und schön. Und die Stadt -war ’ne Sehenswürdigkeit. Diese engen Straßen -– es waren wahrhaftig nur Gäßchen – dicht -gefüllt mit beturbanten Männern und verschleierten -Weibern und alles in hellen, bunten -Gewändern! Und man wunderte sich, wie die -Kamele und Menschen in solchen engen Gäßchen -beieinander vorbeikommen konnten – aber es -ging. Aber zusammenpressen mußten sie sich wie -Pökelheringe und dabei machten sie alle einen -Heidenlärm. Die Läden waren nicht so groß, -daß man in sie hineingehen konnte, aber das<span class="pagenum"><a id="Seite_184"></a>[184]</span> -war auch gar nicht nötig: der Verkäufer saß -mit übergeschlagenen Beinen nach Schneiderart -auf seinem Ladentisch, rauchte seine lange Pfeife -mit dem Schlangenschlauch und hatte all seine -Sachen in Reichweite um sich herum.</p> - -<p>Ab und zu sauste ein Würdenträger in einer -Kutsche vorbei; buntaufgeputzte Männer liefen -laut rufend vor dem Wagen her und schlugen -jeden, der nicht schnell auswich, mit einem langen -Stecken. Nach einer Weile kam sogar der Sultan -zu Pferde an der Spitze einer Prozession geritten -und uns blieb beinahe der Atem stocken, als wir -seine glänzenden Kleider sahen. Jeder warf sich -platt auf die Erde nieder und blieb auf dem -Bauch liegen, bis er vorüber war. Ich vergaß -es, mich hinzuwerfen, aber da war einer, der -mir daran zu denken half. Es war einer von -denen, die mit ’nem langen Stecken vorausliefen.</p> - -<p>Kirchen waren auch da, aber die Leute da sind -noch zu dumm, um den Sonntag zu heiligen; sie -heiligen den Freitag und schänden den Sabbath. -Wenn man hineingeht, muß man die Schuhe -abziehen. Ganze Haufen von Männern und -Knaben waren in der Kirche, hockten in Gruppen<span class="pagenum"><a id="Seite_185"></a>[185]</span> -auf dem Fußboden und machten einen endlosen -Spektakel – Tom sagte, sie lernten was aus -dem Koran auswendig, den sie für ’ne Bibel -halten. Ich hatte in meinem Leben nicht so ’ne -große Kirche gesehen; sie war ganz fürchterlich -hoch, so daß einem schwindlig wurde, wenn man -hinaufschaute; unsere Stadtkirche zu Hause ist -gar nichts dagegen; man könnte sie in diese hineinstellen -und die Leute würden denken, sie sei ’ne -Putzwarenschachtel.</p> - -<p>Was ich am meisten zu sehen wünschte, das -war ein Derwisch, denn für Derwische interessierte -ich mich wegen ihres Kollegen, der dem Kameltreiber -den bösen Streich gespielt hatte. Wir -fanden denn auch einen ganzen Haufen von ihnen -in ’ner Kirche, und sie nannten sich Tanz-Derwische. -Und tanzen taten sie, das muß ich -sagen. So was hatte ich in meinem Leben nicht -gesehen! Sie hatten zuckerhutförmige Mützen -auf und leinene Unterröcke an, und sie wirbelten -und wirbelten und wirbelten herum wie Kreisel -und die Röcke standen ganz schräg von ihnen ab; -es war riesig nett anzusehen, und ich wurde vom -Hingucken wie betrunken. Sie waren alle Moslim,<span class="pagenum"><a id="Seite_186"></a>[186]</span> -wie Tom mir erzählte, und als ich ihn -fragte, was ein Moslim sei, da sagte er, das -wäre einer, der nicht Presbyterianer wäre. Dann -gibt’s also in Missouri sehr viele Moslim, obwohl -ich davon bisher nichts wußte.</p> - -<p>Wir sahen uns nicht die Hälfte von den -Sehenswürdigkeiten von Kairo an, weil Tom so -wild darauf versessen war, Oertlichkeiten aufzusuchen, -die in der Weltgeschichte berühmt geworden -sind. Wir hatten eine abscheuliche Mühe, den -Speicher aufzufinden, worin Joseph vor der -Hungersnot das Korn aufgespeichert hatte, und -als wir ihn endlich fanden, war eigentlich gar -nichts daran zu sehen, denn es war bloß ein -altes, verfallenes Gerümpel. Aber Tom war sehr -befriedigt und machte mehr Redensarten darüber, -als ich Worte sagen würde, wenn ich mir ’nen -Nagel in den Fuß getreten hätte. Wie er die -Scheuer überhaupt herausfand, das ging über -meinen Horizont; denn wir waren bei mehr als -vierzig ganz gleichen schon vorbeigekommen und -ich wäre mit jeder von diesen Scheunen zufrieden -gewesen, aber er mußte natürlich durchaus die -echte haben – anders tat er’s nicht. Ich habe<span class="pagenum"><a id="Seite_187"></a>[187]</span> -nie einen Menschen gesehen, der in dieser Beziehung -so heikel war wie Tom Sawyer. Sowie -er die richtige sah, erkannte er sie sofort, so leicht -wie ich mein anderes Hemd erkennen würde (wenn -ich eins hätte), aber wie er das machte, das -vermochte er mir so wenig zu erklären, wie er -fliegen konnte. So sagte er selber.</p> - -<p>Als wir zurück kamen, landete Jim, und wir -stiegen ein. Bei dieser Gelegenheit lernten wir -einen jungen Mann kennen mit ’nem roten -betroddelten Fez und einer schönen seidenen Jacke -und Sackhosen, mit ’nem Tuch um den Bauch -und mit Pistolen in diesem Tuch. Er konnte -englisch sprechen und bat uns, wir möchten ihn -als Führer annehmen; er wollte uns nach Mekka -und Medina und Zentralafrika und überallhin -bringen und verlangte nur einen halben Dollar -täglich nebst freier Verköstigung. Wir nahmen -ihn an und fuhren mit voller Schnelligkeit los, -und als wir mit unserem Mittagessen fertig -waren, da schwebten wir gerade über der Stelle, -wo die Israeliten durch das Rote Meer gezogen -waren und wo Pharao sie eingeholt hatte und -von den Gewässern ereilt wurde. Da machten<span class="pagenum"><a id="Seite_188"></a>[188]</span> -wir denn natürlich Halt und guckten uns die -Stelle ganz in aller Ruhe an, und Jim hatte seine -Freude dran, sie zu sehen.</p> - -<p>Hierauf fuhren wir weiter, so schnell wir -konnten, und segelten um den Berg Sinai -herum und sahen die Stellen, wo Moses die -steinernen Tafeln zerbrach, und wo die Kinder -Israels in der Ebene lagerten und das goldene -Kalb anbeteten, und es war alles ungeheuer interessant -und der Führer kannte jedes Plätzchen so -genau, wie ich bei uns zu Hause im Ort Bescheid -weiß.</p> - -<p>Aber jetzt hatten wir einen Unfall, und der -hemmte alle unsere Pläne. Toms alte ordinäre -Maiskolbenpfeife war so alt und aufgeschwollen -und krumm geworden, daß sie trotz allen Schnüren -und Bindfäden, die er herumwickelte, nicht mehr -zusammenhalten wollte, sondern in Stücke zerfiel. -Tom wußte nun gar nicht, was er jetzt -anfangen sollte. Des Professors Pfeife konnte -ihm nichts nützen, denn die war bloß von Meerschaum; -und jeder, der sich mal an Maiskolbenpfeifen -gewöhnt hat, der weiß, daß sie himmelhoch -über allen anderen Pfeifen der Welt stehen,<span class="pagenum"><a id="Seite_189"></a>[189]</span> -und so einer läßt sich nicht dazu kriegen, ’ne andere -Pfeife zu rauchen. Meine wollte Tom nicht -nehmen, so sehr ich ihn auch zu überreden versuchte. -So saß er denn da in der Patsche.</p> - -<p>Er überlegte den Fall und sagte, wir müßten -’ne Rundfahrt machen und versuchen, ob wir -nicht in Aegypten oder Arabien oder daherum -eine auftreiben könnten, aber der Führer sagte, -das hätte keinen Zweck, denn solche Pfeifen hätte -man da nicht. Tom saß eine Weile recht verdrießlich -da, plötzlich aber hellte sich sein Gesicht auf -und er sagte, er hätte ’ne Idee und wüßte jetzt, -wie die Sache gemacht werden müßte. Nämlich:</p> - -<p>»Ich habe noch ’ne andere Maiskolbenpfeife, -sogar ’ne ganz ausgezeichnete und beinahe neue. -Sie liegt auf dem Wandbrettchen gerade über dem -Küchenherd bei uns zu Hause. Jim – du und -der Führer, ihr fahrt hin und holt sie, und -ich und Huck kampieren hier auf dem Berge Sinai, -bis ihr wieder hier seid.«</p> - -<p>»Aber, Massa Tom, wir könnte nix finden -die Städtchen. Ich könnten wohl die Pfeife finden, -weil ich die Küche kennen tun, aber o du liebe -Heiland: wir können niemals nix unser Stadt<span class="pagenum"><a id="Seite_190"></a>[190]</span> -oder Sent Luis oder die andere Orte finden! -Wir tun ja nix die Wegen kennen, Massa Tom!«</p> - -<p>Das war ’ne unbestreitbare Tatsache, und -Tom wußte ’ne Minute lang nichts zu erwidern. -Dann sagte er aber:</p> - -<p>»Hör’ mal zu: die Sache läßt sich trotz alledem -machen, und ich will dir sagen, wie. Du -nimmst die Richtung mit dem Kompaß und segelst -gerade wie ein Pfeil immer westlich, bis du die -Vereinigten Staaten findest. Ein Versehen ist -dabei nicht möglich, denn es ist das erste Land, -das du auf der anderen Seite des Atlantischen -Ozeans antriffst. Wenn du bei Tage ankommst, -so fährst du gleich weiter, direkt westlich vom -oberen Teil der Küste von Florida und in eindreiviertel -Stunden stößt du auf die Mündung -des Mississippi – wenn du mit der Geschwindigkeit -fährst, die ich dir vorschreiben werde. -Du wirst so hoch oben in der Luft sein, daß dir -die Erde sehr gekrümmt vorkommen wird – ungefähr -wie ’ne umgestülpte Waschschüssel – und -du siehst da unten ’ne Menge Flüsse durcheinander -krabbeln, lange schon, ehe du in die tieferen -Luftschichten herunter kommst; den Mississippi<span class="pagenum"><a id="Seite_191"></a>[191]</span> -wirst du ohne jede Schwierigkeit dazwischen -herausfinden, denn er ist bei weitem der -größte von ihnen. Dann folgst du in beinahe -nördlicher Richtung dem Lauf des Flusses, eindreiviertel -Stunden lang, bis du den Ohio -einmünden siehst; nun mußt du anfangen scharf -aufzupassen, weil du jetzt schon in die Nähe -kommst. Zu deiner Linken aufwärts siehst du -einen anderen Strom einmünden, das ist der -Missouri, ein bißchen oberhalb der Stadt St. -Louis. Du steigst dann noch tiefer herab, damit -du während der Fahrt die kleinen Städte -dir ansehen kannst. In den nächsten Viertelstunden -wirst du ungefähr bei fünfundzwanzig -vorbeikommen, und du wirst unser Städtchen erkennen, -sobald du’s siehst – und wenn du’s -nicht erkennst, so brauchst du bloß ’runterzurufen -und zu fragen.«</p> - -<p>»Is das so leicht, Massa Tom, so denken -ich, wir können es machen – jawoll, ich wissen, -wir können.«</p> - -<p>Der Führer war ebenfalls davon überzeugt -und meinte, er würde es in einer ganz kleinen -Weile lernen, seine Wache zu halten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_192"></a>[192]</span></p> - -<p>»Jim kann Euch die Geschichte in ’ner halben -Stunde beibringen,« sagte Tom. »Der Luftballon -ist so leicht zu handhaben wie ein Kanoe.«</p> - -<p>Dann holte Tom die Karte hervor, zeichnete -den Kurs hin und maß den Weg aus und sagte:</p> - -<p>»Der westliche Weg ist der kürzeste, wie ihr -seht. Es sind bloß etwa siebentausend Meilen. -Wenn ihr östlich fahrt, so ist’s mehr als doppelt -so weit.« Dann wandte er sich an den Führer -und fuhr fort: »Ich wünschte, daß ihr alle beide -während eurer Wache auf den Geschwindigkeitsanzeiger -acht gebt, und wenn er nicht dreihundert -Meilen in der Stunde angibt, so steigt ihr höher -oder tiefer, bis ihr eine Orkanströmung findet, -die in eurer Richtung weht. Der alte Kasten -hier macht seine hundert Meilen in der Stunde, -ohne daß man überhaupt den Wind zu Hilfe -zu nehmen braucht. Zweihundert-Meilen-Stürme -findet ihr, so oft ihr einen haben wollt. Manchmal -werdet ihr ein paar Meilen hoch steigen -müssen, und da oben wird es verflixt kalt sein; -meistens aber werdet ihr euren Sturm ein gutes -Stück tiefer finden. Wenn ihr nur ’nem Zyklon -begegnen könntet – das wär’ für euch ein gefundenes<span class="pagenum"><a id="Seite_193"></a>[193]</span> -Fressen. Ihr werdet aus des Professors -Büchern sehen, daß sie in diesen Breiten -westlich ziehen, und noch dazu in geringer Höhe.«</p> - -<p>Hierauf rechnete Tom ein Weilchen und fuhr -dann fort:</p> - -<p>»Siebentausend Meilen – dreihundert Meilen -in der Stunde – ihr könnt die Spazierfahrt -in einem Tag, also vierundzwanzig Stunden, -machen. Heute haben wir Donnerstag; ihr werdet -also Samstag nachmittag wieder hier sein. So, -nun packt mir ein paar Decken, Lebensmittel, -Bücher und dergleichen für mich und Huck aus, -und dann könnt ihr gleich abfahren. Von Rumtrödeln -mag ich nichts wissen – ich muß meine -Pfeife haben, und je schneller ihr sie mir bringt, -desto besser.«</p> - -<p>Alle Mann halfen beim Auspacken; binnen -acht Minuten lagen unsere Sachen draußen und -der Ballon war segelfertig für Amerika. Wir -schüttelten uns also zum Abschied die Hände -und Tom gab seine letzten Befehle:</p> - -<p>»Jetzt ist es zehn Minuten vor zwei, Sinaizeit. -In vierundzwanzig Stunden seid ihr zu -Hause, das ist sechs Uhr früh nach dortiger Zeit.<span class="pagenum"><a id="Seite_194"></a>[194]</span> -Ihr landet ein bißchen seitwärts vom Ort auf -dem Gipfel des Hügels, im Walde, so daß man -euch nicht sieht. Dann springst du in die Stadt, -Jim, und steckst beim Posthaus diese Briefe in -den Kasten, und wenn schon jemand auf den -Beinen sein sollte, ziehst du dir den Schlapphut -ins Gesicht; so wird man dich nicht erkennen. -Dann schlüpfst du von hinten in unsere Küche -hinein und nimmst die Pfeife und legst diesen -Zettel auf den Küchentisch; leg’ irgend ’was drauf, -damit er nicht ’runterfliegt. Dann schleiche dich -hinaus und mach’ dich dünne und lass’ ja nicht -Tante Polly oder sonst jemand dich zu Gesicht -kriegen. Lauf so schnell du kannst nach dem -Ballon und sause mit Dreihundertmeilen-Geschwindigkeit -nach dem Berg Sinai zurück. Du -wirst dich nicht länger als ’ne Stunde aufzuhalten -haben. Um sieben oder acht, heimatliche Ortszeit, -wirst du wieder abfahren und bist in vierundzwanzig -Stunden zurück, kommst also um -zwei oder drei Uhr nachmittags, Sinaizeit, -hier an.«</p> - -<p>Den Zettel las Tom uns vor. Er hatte -darauf geschrieben:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_195"></a>[195]</span></p> - -<div class="letter"> - -<p>»<em class="gesperrt">Donnerstag nachmittag.</em> Tom -Sawyer, der Erronauter, sendet seiner Tante -Polly herzliche Grüße vom Berge Sinai, wo die -Arche war;<a id="FNAnker_5" href="#Fussnote_5" class="fnanchor">[5]</a> desgleichen Huck Finn; und sie -wird den Zettel morgen früh um halb sieben -kriegen.</p> - -<p class="mright"> -Tom Sawyer, Erronauter.« -</p> -</div> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_5" href="#FNAnker_5" class="label">[5]</a> Dieser Irrtum in Betreff der Arche ist wahrscheinlich -nicht Tom, sondern Huck auf Rechnung zu setzen.</p> - -<p class="mright"> -M. T. -</p> - -</div> -</div> - -<p>»Da wird sie die Augen aufreißen und die -Tränen werden ihr ’rausschießen,« sagte Tom. -Und dann:</p> - -<p>»Achtung! Eins – zwei – drei – los!!«</p> - -<p>Und los segelte der Ballon! Wahrhaftig, -in einer Sekunde war er aus unserem Gesichtskreis -’rausgewirbelt.</p> - -<p>Dann fanden wir eine sehr bequeme Höhle -mit ’ner prachtvollen Aussicht über die ganze -weite Ebene; und da biwakierten wir und warteten -auf die Pfeife.</p> - -<p>Der Ballon kam pünktlich und heil zurück -und brachte die Pfeife. Aber Tante Polly hatte -Jim abgefaßt, als er sie aus der Küche holte, -und nun kann sich wohl jeder denken, wie<span class="pagenum"><a id="Seite_196"></a>[196]</span> -es weiter kam: Tom sollte nach Hause zurück. -So sagte denn Jim:</p> - -<p>»Massa Tom, Tante Polly stehen vor die -Haustür un haben ihr Aug oben an die Himmel, -un sie sag’, sie rühren sich nix von den Fleck, -bis Massa Tom wieder da sein. Das geben eine -nasse Jahr, Massa Tom, warraftig!«</p> - -<p>So schoben wir denn ab nach Hause, und nicht -gerade mit sehr lustigen Gefühlen.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_197"></a>[197]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Tom_der_kleine_Detektiv">Tom, der kleine Detektiv.</h2> - -<p class="center">Von Huck Finn erzählt.</p> -<div class="figcenter" id="illu-196"> - <img src="images/illu-196.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_199"></a>[199]</span></p> -<h3 class="nobreak" id="detektiv01">Erstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Ein Jahr war herum, seitdem Tom Sawyer -und ich unsern alten Neger Jim befreit hatten, der -auf der Farm von Toms Onkel Silas in Arkansas -als fortgelaufener Sklave in Ketten gelegt worden -war. Nun wurde es Frühling; der gefrorene Boden -taute auf und mildere Lüfte wehten. Immer näher -winkte die Zeit, wo man wieder barfuß gehen konnte; -dann kam das Murmelspiel an die Reihe, später -Kreisel und Reifen oder man ließ den Drachen -steigen, und wenn es endlich Sommer geworden war -ging’s zum schwimmen. Doch das lag unabsehbar -fern, und der Gedanke, wie lange es noch dauern -muß, bis der Sommer kommt, macht unsereinen ganz -schwermütig. Dann schleicht so ein armer Junge<span class="pagenum"><a id="Seite_200"></a>[200]</span> -trübselig umher; er seufzt und stöhnt und weiß nicht -was ihm fehlt. Er sucht sich ein einsames Fleckchen -hoch oben am Berghang, wo er weit hinausschauen -kann, wie der große Mississippi sich um eine Landzunge -nach der andern windet, bis er mit der -dämmerigen Ferne verschwimmt. Alles ist so still -und feierlich wie beim Begräbnis, und man wünscht, -man wäre selber tot und begraben, damit das Erdenleid -ein Ende hätte.</p> - -<p>Wißt ihr, wie die Krankheit heißt? Man -nennt sie Frühlingsfieber. Und wenn sie einen befällt, -hat man immerzu Herzweh, man weiß nicht -wonach. Man möchte weit weg von dem ewigen -Einerlei der alltäglichen Dinge, die einem zum Ueberdruß -sind. Etwas Neues sehen und als Wanderer -in fremde Länder ziehen, wo alles wunderschön, geheimnisvoll -und noch nie dagewesen ist – ja, danach -sehnt man sich. Doch nimmt man allenfalls auch -mit einer kleineren Wanderschaft fürlieb und ist -froh, wenn man überhaupt fort kann.</p> - -<p>Also, wir beide litten stark am Frühlingsfieber, -Tom Sawyer und ich. Aber es war gar keine -Aussicht vorhanden, daß Tom etwa die Schule versäumen -und über Land gehen durfte; seine Tante<span class="pagenum"><a id="Seite_201"></a>[201]</span> -Polly hielt das für Zeitverschwendung und hätte -es nie zugegeben. Recht mutlos und niedergeschlagen -saßen wir eines Tages gegen Sonnenuntergang -draußen auf den Steinstufen und bliesen Trübsal; -da kam Tante Polly mit einem Brief in der Hand -gegangen.</p> - -<p>»Tom,« sagte sie, »du wirst wohl dein Bündel -schnüren müssen, um dich nach Arkansas auf den -Weg zu machen – Tante Sally verlangt nach dir.«</p> - -<p>Ich hätte vor Freude aus der Haut springen -mögen und glaubte nicht anders, als daß Tom seiner -Tante um den Hals fallen und sie halbtot herzen -würde; aber er saß stockstill da und that keinen -Mucks. Warum er nur solch ein Narr war, die -herrliche Gelegenheit, die sich ihm bot, nicht beim -Schopf zu fassen? Sie konnte ihm leicht entgehen, -wenn er jetzt nicht bald den Mund aufthat und sagte, -wie froh und dankbar er wäre. Ich war ganz -außer mir und dem Weinen nahe, als er immer weiter -lernte und lernte und zuletzt ganz gelassen sagte:</p> - -<p>»Es thut mir sehr leid, Tante, aber davon kann -wirklich jetzt keine Rede sein!« – Da hätt’ ich ihn -totschießen können.</p> - -<p>Tante Polly war wie vor den Kopf geschlagen<span class="pagenum"><a id="Seite_202"></a>[202]</span> -und so voll Zorn über die freche Antwort, daß sie eine -ganze Minute lang sprachlos dastand und mir Zeit ließ, -Tom einen Puff zu geben und ihm zuzuflüstern:</p> - -<p>»Bist du denn übergeschnappt? Wie kannst du -ein solches Glück wegwerfen und mit Füßen treten?«</p> - -<p>Aber das machte ihm keinen Eindruck. »Schweig -still, Huck Finn,« brummte er, »soll sie’s etwa -merken, daß ich für mein Leben gern hin möchte? -Gleich würden ihr tausend Zweifel kommen – lauter -eingebildete Krankheiten, Gefahren und Hindernisse. -Im Handumkehren hätte sie die Erlaubnis zurückgenommen. -Laß mich nur machen, ich weiß schon, -wie man sie behandeln muß.«</p> - -<p>Na, so was wäre mir nie eingefallen; aber -Tom hatte recht, wie immer. Ein Schlaukopf erster -Sorte und nie unbesonnen – der läßt sich nicht -verblüffen. Jetzt hatte Tante Polly sich vom Schreck -erholt, und nun ging’s los:</p> - -<p>»So – davon kann nicht die Rede sein? Hat -man je so was gehört! Und das sagst du mir ins -Gesicht? – Auf der Stelle gehst du hinauf und -packst deine Siebensachen. Kein Wort mehr, das -bitt’ ich mir aus – sonst setzt’s Hiebe.«</p> - -<p>Sie gab ihm noch eine Kopfnuß mit dem<span class="pagenum"><a id="Seite_203"></a>[203]</span> -Fingerhut als wir uns duckten und rasch an ihr -vorbeiliefen. Tom fing an zu flennen und wir -sprangen die Treppe hinauf. Oben in seinem Zimmer -fiel er mir um den Hals und war wie wahnsinnig -vor Freude, weil’s nun auf die Reise ging.</p> - -<p>»Sie wird’s bald bereuen, daß sie mich fortgelassen -hat,« sagte er. »Aber nun weiß sie keinen -Ausweg und kann’s nicht wieder rückgängig machen, -dazu ist sie viel zu stolz.«</p> - -<p>In zehn Minuten war Tom mit packen fertig, -bis auf das, was seine Tante und Mary an Sachen -dazu thun würden; dann wartete er noch zehn -Minuten, damit sich ihr Zorn abkühlen und sie -wieder sanft und freundlich werden sollte. »Wenn -sie nur halb aus dem Häuschen ist,« sagte er, -»braucht sie zehn Minuten sich zu erholen; habe -ich sie aber ganz wild gemacht, dann dauert es -zwanzig Minuten, und das ist jetzt so ein Fall.« -Nun gingen wir rasch hinunter, weil wir vor Neugierde -brannten zu hören, was Tante Sally eigentlich -geschrieben hatte.</p> - -<p>Der Brief lag auf Tante Pollys Schoß und -sie saß ganz in Gedanken versunken da. Als wir -Platz genommen hatten, sagte sie:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_204"></a>[204]</span></p> - -<p>»Unsere Leute dort unten sind in großer Trübsal; -sie hoffen, ihr werdet sie zerstreuen, du und -Huck Finn, und ein rechter Trost für sie sein. Na, -ihr beide seid mir ein paar nette Tröster! – Die -Sache ist nämlich so: Ein Nachbar von ihnen, -Brace Dunlap, hat vor drei Monaten um die Hand -ihrer Benny angehalten. Sie haben lange mit der -Antwort gezögert und ihm endlich geradeheraus erklärt, -daß aus der Heirat nichts werden könnte. -Das hat er ihnen sehr übel genommen, und nun -machen sie sich Kummer darüber. Mir scheint, sie -wollen’s nicht ganz mit dem Nachbar verderben, -denn um ihn zu versöhnen haben sie seinen nichtsnutzigen -Bruder als Gehilfen auf der Farm in -Dienst genommen, obgleich ihre Mittel das kaum -erlauben und der Mensch ihnen so wie so nur im -Wege ist. Wer sind denn diese Dunlaps?«</p> - -<p>»Sie wohnen etwa eine Meile von Onkel Silas’ -Besitzung, Tante – alle Farmen dort in der Gegend -sind gleich weit von einander entfernt. Brace -Dunlap ist viel reicher als die andern Nachbarn -und hat einen ganzen Haufen Neger. Er ist ein -kinderloser Witwer, sechsunddreißig Jahre alt, dabei -sehr stolz und hochfahrend, so daß alle Welt vor ihm<span class="pagenum"><a id="Seite_205"></a>[205]</span> -zu Kreuze kriecht. Vermutlich hat er gedacht, er -brauchte nur bei irgend einem Mädchen anzuklopfen, -das er zur Frau wollte; es wird ihn nicht wenig -gewundert haben, daß er Benny nicht bekommen -kann. Sie ist nur halb so alt wie er und das -süßeste, reizendste – – na, du kennst Benny ja -selbst. Mir thut nur der arme alte Onkel Silas -leid, der sich aufs äußerste einschränken muß und -einen Thunichtgut wie den Jupiter Dunlap in Dienst -nimmt, bloß um seinem hochnasigen Bruder einen -Gefallen zu thun.«</p> - -<p>»Ist das ein Name – Jupiter! Wo hat er -den her?«</p> - -<p>»Es ist nur ein Spitzname; wie er eigentlich -heißt, weiß wohl kein Mensch mehr. Man nennt -ihn schon siebenundzwanzig Jahre lang so, seit er -zum erstenmal baden ging. Da sieht der Schulmeister, -daß er am linken Bein über dem Knie ein -rundes braunes Mal hat, so groß wie ein Zehnpfennigstück -und vier kleinere Mäler drum herum -und sagt, es erinnere ihn an Jupiter und seine -Monde. Den Kindern kam das komisch vor, sie -fingen an ihn Jupiter zu nennen, und der Name -ist ihm geblieben bis auf den heutigen Tag. Er<span class="pagenum"><a id="Seite_206"></a>[206]</span> -ist groß und faul, verschmitzt, hinterhältig und feige, -dabei aber doch wieder gutmütig. Keinen roten -Heller nennt er sein eigen; Brace giebt ihm das -Gnadenbrot und seine abgelegten Kleider, auch seine -Verachtung obendrein. Jupiter trägt langes Haar, -aber keinen Bart; er ist ein Zwilling.«</p> - -<p>»So? Wie sieht denn der andere Zwillingsbruder -aus?«</p> - -<p>»Man sagt, er gleicht Jupiter auf ein Haar; -wenigstens früher – jetzt hat man ihn seit sieben -Jahren nicht gesehen. Als er neunzehn oder zwanzig -Jahre alt war, wurde er bei einem Einbruchsdiebstahl -ertappt und ins Gefängnis gesteckt. Aber er -entkam nach dem Norden und beging bald hier bald -dort Raub oder Diebstahl; doch das ist lange her. -Jetzt ist er tot; das heißt, die Leute behaupten es – -man hört eben nichts mehr von ihm.«</p> - -<p>»Wie hieß denn der?«</p> - -<p>»Jack.«</p> - -<p>Es entstand eine Pause; die alte Dame war offenbar -mit ihren Gedanken beschäftigt. Endlich sagte sie:</p> - -<p>»Am meisten macht sich Tante Sally Sorge -darüber, daß der Onkel immer in so furchtbaren -Zorn gerät über diesen Jupiter.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_207"></a>[207]</span></p> - -<p>»Was,« rief Tom verwundert, »Onkel Silas? -Das ist wohl nur ein Scherz – der kann ja gar -nicht zornig werden!«</p> - -<p>»Die Tante schreibt, er wird oft so wütend, -daß sie immer fürchtet, er könnte sich thätlich an dem -Mann vergreifen.«</p> - -<p>»Da hört aber alles auf! – Onkel ist ja so -sanft wie ein Lamm.«</p> - -<p>»Er soll wie ausgewechselt sein durch das ewige -Zanken und Streiten. Die Nachbarn reden schon -darüber und schieben alle Schuld auf den Onkel, weil -er ein Prediger ist und Frieden halten müßte. Tante -Sally sagt, er schämt sich ordentlich, auf die Kanzel -zu steigen; auch hat die Gemeinde das Vertrauen -zu ihm verloren und er ist gar nicht mehr so beliebt -wie früher.«</p> - -<p>»Wie sonderbar! Onkel war doch immer so -sanft und freundlich, so zerstreut, so träumerisch, so -voller Einfalt und Herzensgüte, kurz ein wahrer -Engel. Wie kann das nur zugegangen sein?«</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_208"></a>[208]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="detektiv02">Zweites Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Wir hatten riesiges Glück. Auf einem Raddampfer, -der vom Norden gerade nach der Sumpfgegend -von Louisiana steuerte, kamen wir den ganzen -Mississippi bis zur Farm in Arkansas hinunter und -brauchten nicht einmal in St. Louis das Boot zu -wechseln. Eine Fahrt von fast tausend Meilen in -einem Zug.</p> - -<p>Man fühlte sich recht einsam auf dem Dampfer, -denn die wenigen Passagiere waren alte Männer, -die weit von einander auf Deck saßen und schliefen -oder sich still verhielten. Vier Tage dauerte die -Fahrt auf dem Oberen Mississippi, weil wir so oft -auf den Grund gerieten, aber langweilig fanden wir -Jungen es gar nicht – wie kann man sich langweilen, -wenn man auf Reisen ist! –</p> - -<p>Gleich nach der Abfahrt hatten Tom und ich -herausgebracht, daß in der Kajüte neben unserer -jemand krank liegen müsse, weil das Essen immer -hineingetragen wurde. Wir erkundigten uns danach, -und der Kellner sagte, der Mann da drinnen sähe -gar nicht krank aus.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_209"></a>[209]</span></p> - -<p>»Aber, er muß doch krank sein.«</p> - -<p>»Wohl möglich – ich weiß nicht – mir scheint, -er stellt sich nur an.«</p> - -<p>»Woher glaubt Ihr das?«</p> - -<p>»Na, wenn er krank wäre, würde er sich doch -mal ausziehen, aber das thut er nicht. Wenigstens -seine Stiefel behält er immer an.«</p> - -<p>»Ist das möglich? Auch wenn er zu Bett geht?«</p> - -<p>»Auch dann.«</p> - -<p>Ein Geheimnis! Das war Wasser auf Toms -Mühle.</p> - -<p>»Wie heißt denn der Mann?«</p> - -<p>»Phillips; in Alexandria ist er an Bord gekommen.«</p> - -<p>»Und hat er noch andere Eigenheiten?«</p> - -<p>»Nein – nur schrecklich ängstlich ist er. Tag -und Nacht hält er seine Thür verschlossen, und wenn -man klopft macht er nur ein Ritzchen auf und guckt -erst wer da ist.«</p> - -<p>»Wahrhaftig, den möchte ich gern zu sehen bekommen. -Sagt mal – könntet Ihr nicht die Thür weit -aufmachen, wenn Ihr wieder hineingeht, so daß – –«</p> - -<p>»Bewahre. Das würde auch wenig nützen. -Er stellt sich immer hinter die Thür.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_210"></a>[210]</span></p> - -<p>Tom dachte eine Weile nach.</p> - -<p>»Wißt Ihr was? Gebt mir Eure Schürze und -laßt mich morgen das Frühstück hineintragen. Ihr -bekommt auch einen Vierteldollar.«</p> - -<p>Der Kellner war es zufrieden, wenn der Oberkellner -nichts dagegen hätte.</p> - -<p>»Mit dem will ich’s schon abmachen,« sagte -Tom. Und richtig, am nächsten Morgen hatten wir -jeder eine Schürze um und trugen die Speisen hinein.</p> - -<p>Tom hatte die ganze Nacht wach gelegen und -sich den Kopf zerbrochen über Phillips und sein -Geheimnis. Das war verlorene Mühe nach meiner -Ansicht; viel besser, wir kamen selbst dahinter wie -die Sachen wirklich standen, statt uns erst allerlei -Falsches auszudenken. »Ich kann’s ja abwarten,« -dachte ich und ließ mich im Schlaf nicht stören.</p> - -<p>Als Tom morgens an die Thür klopfte, guckte -der Mann durch die Spalte, ließ uns herein und -schloß rasch hinter uns zu. Aber, Donnerwetter – -als wir ihn ansahen, hätten wir vor Schreck fast -die Kaffeebretter fallen lassen.</p> - -<p>»Du meine Güte – Jupiter Dunlap – wo -kommt Ihr denn her?« rief Tom.</p> - -<p>Natürlich war der Mann überrascht und zuerst<span class="pagenum"><a id="Seite_211"></a>[211]</span> -sah er aus als ob er nicht wüßte, sollte er sich -fürchten oder freuen. Er war ganz bleich geworden, -doch bald bekam er wieder Farbe im Gesicht und -fing an mit uns zu plaudern, während er sein -Frühstück aß.</p> - -<p>Nach einer Weile sagte er: »Ich bin gar nicht -Jupiter Dunlap; doch heiß’ ich auch nicht Phillips. -Wenn ihr schwören wollt reinen Mund zu halten, -will ich euch offenbaren wer ich bin.«</p> - -<p>»Wir verraten nichts,« rief Tom; »aber wenn -Ihr nicht Jupiter Dunlap seid, braucht Ihr mir -Euern Namen nicht erst zu sagen.«</p> - -<p>»Wieso?«</p> - -<p>»Weil Ihr ihm gleicht wie ein Ei dem andern. -Ihr seid sein Zwillingsbruder Jack.«</p> - -<p>»Da kannst du recht haben. Aber, sag’ mal, -Junge, woher kennst du uns denn alle beide?«</p> - -<p>Nun erzählte ihm Tom, was wir im vergangenen -Sommer für Abenteuer auf Onkel Silas’ -Farm erlebt hatten. Als er hörte, daß wir alle -seine Familienverhältnisse und seine eigene Lebensgeschichte -kannten, wurde er ganz offenherzig und -mitteilsam. Er sagte, er wäre von jeher ein Thunichtgut -gewesen, auch jetzt sei er ein schlechter Kerl und<span class="pagenum"><a id="Seite_212"></a>[212]</span> -würde wohl sein Lebtag ein Taugenichts bleiben. -Freilich sei es ein gefährliches Ding und – –</p> - -<p>Er brach plötzlich ab und hielt die Hand ans -Ohr um zu lauschen. Wir sprachen kein Wort; -ein paar Sekunden blieb alles mäuschenstill. Man -hörte nichts als das Knarren des Holzwerks und -das Bumbum der Maschine im Schiffsraum.</p> - -<p>Um ihn zu beruhigen fingen wir an, ihm allerlei -von seiner Familie zu berichten: daß Brace seine -Frau vor drei Jahren verloren hätte und als er -Benny heiraten wollte von ihr einen Korb bekommen -habe, daß Jupiter bei Onkel Silas in Arbeit stehe, -der immer in Streit mit ihm sei, und dergleichen -mehr. Auf einmal lachte er laut auf.</p> - -<p>»Jungens,« rief er, »euer Geplapper versetzt -mich ganz in alte Zeiten zurück; mir wird ordentlich -wohl dabei. Seit länger als sieben Jahren hab’ -ich so was nicht mit angehört. Was spricht man -denn aber von mir in der Nachbarschaft?«</p> - -<p>»Von Euch spricht man schon lange nicht mehr; -höchstens alle Jubeljahr wird Euer Name einmal -erwähnt.«</p> - -<p>»Ist’s möglich! Und wie kommt denn das?«</p> - -<p>»Weil man Euch für längst gestorben hält.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213"></a>[213]</span></p> - -<p>»Wirklich? Sprichst du auch die Wahrheit?« -Er war in großer Erregung aufgesprungen.</p> - -<p>»Mein Wort zum Pfande. Kein Mensch glaubt, -daß Ihr noch am Leben seid.«</p> - -<p>»Hurra, dann bin ich gerettet! Ich kann mich -nach Hause wagen. Gewiß werden mir meine Verwandten -beistehen und mich verbergen. Nicht wahr, -ihr haltet reinen Mund! Schwört mir’s noch einmal. -Schwört, daß ihr mich nun und nimmermehr -verraten werdet. Jungens, habt Erbarmen mit mir -armem Teufel, der Tag und Nacht keine Ruhe findet -und sich nirgends sehen lassen darf. Ich hab’ euch -nie etwas zuleide gethan und meine es nur gut -mit euch, so wahr Gott im Himmel ist. Schwört, -daß ihr schweigen wollt, und rettet mir das Leben.«</p> - -<p>Natürlich thaten wir ihm den Willen und -leisteten den Schwur. Er dankte uns von ganzem -Herzen, der arme Kerl, ich glaube, er hätte uns am -liebsten umarmt und geküßt.</p> - -<p>Wir plauderten noch lange zusammen; dann -holte er einen kleinen Reisesack herbei, öffnete ihn -und bat, wir möchten nicht hinsehen. Wir drehten -ihm den Rücken, und als wir uns wieder umwenden -durften, war er ganz und gar verändert. Er hatte<span class="pagenum"><a id="Seite_214"></a>[214]</span> -eine blaue Brille auf und einen langen braunen -Knebel- und Schnauzbart, der ihm sehr natürlich zu -Gesicht stand. Seine eigene Mutter hätte ihn nicht -wiedererkannt. »Sehe ich jetzt noch meinem Bruder -Jupiter ähnlich?« fragte er.</p> - -<p>»Nein,« sagte Tom, »nichts erinnert mehr an -ihn, außer Euer langes Haar.«</p> - -<p>»Das lasse ich mir kurz scheren, ehe ich nach -Hause komme. Er und Brace werden mein Geheimnis -bewahren und ich kann als Fremder bei -ihnen wohnen, ohne daß die Nachbarn Argwohn -schöpfen. Wie gefällt euch mein Plan?«</p> - -<p>Tom dachte eine Weile nach, dann sagte er:</p> - -<p>»Huck und ich, wir werden natürlich kein Wort -verraten, aber wenn Ihr nicht selber schweigt, so -lauft Ihr doch Gefahr, erkannt zu werden. Es -würde den Leuten auffallen, daß Eure Stimme genau -so klingt, wie die von Jupiter, und dann erinnern -sie sich vielleicht an den Zwillingsbruder, den sie -für tot gehalten haben und der sich die ganze Zeit -unter einem falschen Namen verborgen haben kann.«</p> - -<p>»Alle Wetter, bist du klug!« rief er; »aber recht -hast du. Ich muß mich taubstumm stellen, sobald -ein Nachbar in meine Nähe kommt. Es hätte eine<span class="pagenum"><a id="Seite_215"></a>[215]</span> -schöne Geschichte gegeben, wäre mir das nicht eingefallen. -Aber ich wollte ja eigentlich gar nicht nach -Hause, sondern nur an irgend einen Ort, wo ich vor -den Burschen sicher bin, die mich verfolgen. Dann -dachte ich den Bart und die Brille anzulegen, auch -andere Kleider und – –«</p> - -<p>Mit einmal lief er nach der Thür, hielt das -Ohr daran und horchte. Er war bleich geworden -und sein Atem flog.</p> - -<p>»Es klang ganz als würde der Hahn einer -Flinte gespannt,« flüsterte er. »Herr des Himmels, -ist das ein erbärmliches Leben!« Matt und kraftlos -sank er auf einen Stuhl und wischte sich den -Schweiß von der Stirn.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="detektiv03">Drittes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Von da ab waren wir fast immer bei ihm; -meist schlief einer von uns in seiner obern Koje. -Er hatte sich so schrecklich einsam gefühlt und es war -ihm ein Trost in seiner Not, jemand um sich zu -haben, mit dem er reden konnte. Wir brannten<span class="pagenum"><a id="Seite_216"></a>[216]</span> -natürlich vor Neugier, hinter das Geheimnis zu kommen; -aber Tom sagte, wir sollten uns ja nichts -merken lassen, dann würde er einmal ganz von selbst -anfangen davon zu sprechen. Wollten wir ihn ausfragen, -so würde er gleich Argwohn schöpfen und -verschwiegen sein wie eine Auster. Es traf auch -genau so ein. Daß er uns alles gern erzählt hätte, -merkte man ihm leicht an, aber jedesmal wenn wir -dachten: jetzt kommt’s! überfiel ihn die Angst und -er lenkte das Gespräch auf etwas anderes. Wir erfuhren’s -aber doch noch, und das ging so zu: Er -hatte angefangen, uns in scheinbar gleichgültigem Ton -nach den Passagieren im Zwischendeck zu fragen, die -heraufkamen, um sich am Schenktisch Branntwein zu -kaufen; wir versuchten sie zu beschreiben, aber das -genügte ihm nicht, er wollte alle Einzelheiten wissen. -Tom gab sich die größte Mühe und als er bei der -Schilderung eines der rohesten und zerlumptesten -Kerle angekommen war, fuhr Jack Dunlap schaudernd -zusammen.</p> - -<p>»O Jemine, das ist einer von ihnen! Sie sind -wahrhaftig an Bord – dachte ich mir’s doch! Ich -hoffte, ich wäre ihnen entwischt, aber zweifelhaft -war mir’s immer. Nur weiter!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_217"></a>[217]</span></p> - -<p>Als Tom nun noch einen andern groben und -schäbigen Zwischendecks-Passagier beschrieb, ward -Dunlap schreckensbleich. »O weh, das ist der zweite, -was fang’ ich nur an? Hätten wir doch eine -stürmische pechfinstere Nacht und ich könnte das Ufer -erreichen. Aber sie haben gewiß jemand bestochen, -den Stiefelputzer oder den Kofferträger, um mich zu -bewachen. Gelänge es mir auch unbemerkt fortzukommen, -so würde keine Stunde vergehen, bis sie -es wüßten.«</p> - -<p>Unruhig ging er auf und ab. Es dauerte gar -nicht lange, da fing er an zu erzählen, wie es ihm -bald gut bald schlecht ergangen sei, und ehe wir’s -uns versahen, kam er ins rechte Fahrwasser.</p> - -<p>»Wir hatten alles genau verabredet,« sagte er. -»Es handelte sich um zwei wunderschöne Diamanten, -so groß wie Haselnüsse, in einem Juwelierladen zu -St. Louis, die von jedermann bewundert wurden. -Wir zogen feine Kleider an und spielten den Streich -bei hellem Tage. Die Diamanten ließen wir uns -ins Hotel kommen, als ob wir sie kaufen wollten, -wenn sie uns gefielen, und schickten dem Juwelier -statt dessen zwei Glaspasten, die wir in Bereitschaft -gehalten hatten, mit dem Bescheid zurück, die<span class="pagenum"><a id="Seite_218"></a>[218]</span> -Diamanten seien nicht vom reinsten Wasser und -wir fänden den Preis von zwölftausend Dollars -zu hoch.«</p> - -<p>»Zwölf – tausend – Dollars!« rief Tom. -»Waren sie denn wirklich so viel Geld wert?«</p> - -<p>»Keinen Cent weniger.«</p> - -<p>»Und ihr habt euch damit aus dem Staube -gemacht?«</p> - -<p>»Ohne alles weitere. Der Juwelier weiß vielleicht -heutigen Tages noch nicht, daß er bestohlen -worden ist. Aber wir hielten es doch für unklug, -in St. Louis zu bleiben. Wir überlegten hin und -her und beschlossen nach dem Obern Mississippi zu -reisen. Vorher aber wickelten wir die Diamanten -in ein Papier, schrieben unsere Namen darauf und -übergaben das Päckchen dem Hoteldiener mit der -Anweisung, es keinem von uns wieder einzuhändigen, -wenn nicht die beiden andern als Zeugen zugegen -wären. Dann machten wir einen Gang in die Stadt, -aber jeder für sich allein; ich glaube, wir hatten -alle den gleichen Plan, obgleich ich es nicht gewiß -behaupten will.«</p> - -<p>»Welchen Plan?« fragte Tom.</p> - -<p>»Die andern zu berauben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219"></a>[219]</span></p> - -<p>»Was – einer sollte alles nehmen, nachdem -er es erst mit Hilfe der andern bekommen hatte?«</p> - -<p>»So meine ich’s.«</p> - -<p>Tom war ganz empört darüber; er sagte, es -wäre der schändlichste, niederträchtigste Streich, von -dem er je gehört hätte. Aber Jack Dunlap versicherte -ihm, daß es in seiner Zunft nichts Ungewöhnliches -sei. Wer sich einmal diesem Beruf gewidmet hätte, -müßte selber auf seinen Vorteil bedacht sein, weil -kein anderer Mensch das für ihn besorgen würde. -Dann fuhr er in seinem Bericht fort:</p> - -<p>»Es war natürlich schwierig, zwei Diamanten -unter drei Leute zu teilen, das werdet ihr wohl einsehen. -Hätten wir drei Diamanten gehabt, ja -dann – – Aber, wozu noch weiter darüber reden; -mehr als zwei waren es nun einmal nicht. So -trieb ich mich denn in den Hintergassen umher und -dachte nach, wie ich es wohl anstellen könnte, der -Diamanten habhaft zu werden. War mir dies geglückt, -dann wollte ich mich so verkleiden, daß mich -niemand erkennen sollte, und auf und davon gehen. -Ich kaufte mir zu diesem Zweck den falschen Bart, -die blaue Brille und den bäuerischen Anzug, in dem -ihr mich hier seht, und that alles in einen Reisesack,<span class="pagenum"><a id="Seite_220"></a>[220]</span> -den ich mitgenommen hatte. Als ich vor einem -Laden vorbeikam, in dem allerlei Waren feilgeboten -wurden, sah ich durchs Fenster. Drinnen stand -Bud Dixon, einer von meinen Spießgesellen. ›Ich -will doch mal sehen, was der kauft,‹ dachte ich bei -mir und verbarg mich, beobachtete aber alles genau. -Na, was glaubt ihr wohl, daß er gekauft hat? – -Doch das ratet ihr euer Lebtag nicht, Jungens. -Nichts als einen winzig kleinen Schraubenzieher.«</p> - -<p>»Wie sonderbar. Was wollte er denn damit?«</p> - -<p>»Das fragte ich mich auch. Ich zerbrach mir -den Kopf, konnte aber nicht ins reine kommen. -Bei einem Trödler erstand er nun noch ein rotes -Flanellhemd und zerlumpte Kleider; dieselben, die -er jetzt anhat nach eurer Beschreibung. Nachdem -ich das gesehen hatte, ging ich nach der Werft und -versteckte meine Sachen auf dem Flußboot, mit dem -wir fahren wollten. Als ich dann abermals durch -die Straßen schlenderte, sah ich auch meinen andern -Kameraden seine Einkäufe machen. Gegen Abend -holten wir uns die Diamanten aus dem Hotel und -gingen an Bord.</p> - -<p>»Jetzt waren wir alle übel daran, denn wir -durften uns nicht zu Bette legen; wie hätten wir<span class="pagenum"><a id="Seite_221"></a>[221]</span> -sonst ein wachsames Auge aufeinander haben können. -Es war nämlich schon seit ein paar Wochen böses -Blut zwischen uns, und wir hielten nur zusammen, -solange es das Geschäft erforderte. Zwei Diamanten -für drei Personen, das war eben die Verlegenheit. -Erst aßen wir zu Abend, dann rauchten wir und -schlenderten dabei auf dem Deck umher bis gegen -Mitternacht. Endlich gingen wir in meine Kajüte, -schlossen die Thür zu, überzeugten uns, ob die -Diamanten wirklich noch im Papier waren und legten -sie auf die untere Koje, wo wir sie alle drei im -Auge behalten konnten. Nun saßen wir stockstill -und wurden immer schläfriger. Bud Dixon ließ -sich endlich von der Müdigkeit übermannen; der -Kopf sank ihm auf die Brust und er schnarchte, daß -es eine Art hatte. Da deutete Hal Clayton zuerst -auf die Diamanten und dann nach der Thür. Ich -verstand ihn, streckte die Hand nach dem Papier -aus und nahm es an mich. Wir warteten nun eine -Weile, aber Bud schlief fort und regte sich nicht. -Leise drehte ich den Schlüssel um und drückte auf -die Klinke, dann schlichen wir auf den Zehen hinaus -und machten die Thür geräuschlos hinter uns zu.</p> - -<p>»Das Boot glitt ruhig durch die Flut; Wolken<span class="pagenum"><a id="Seite_222"></a>[222]</span> -verbargen den Mond und wir wurden von niemand -bemerkt. Ohne ein Wort zu reden schritten wir -geradeswegs hinauf nach dem Sturmdeck und setzten -uns am äußersten Ende neben das Deckfenster. Was -das zu bedeuten hatte, wußten wir beide; es bedurfte -keiner Erklärung. Wenn Bud Dixon aufwachte -und sah, daß die Diamanten fort waren, -würde er gleich hinter uns dreinkommen, denn er -kannte keine Furcht. Dann wollten wir ihn über -Bord werfen, oder bei dem Versuch unser Leben -lassen. Mir schauderte, wenn ich nur daran dachte, -denn ich bin nicht so mutig wie mancher andere; -doch durfte ich meine Angst nicht zeigen, das wäre -mir schlecht bekommen. Ich hoffte immer noch, das -Boot würde irgendwo anlegen, so daß wir ans Land -springen und allen Skandal vermeiden könnten, denn -mit Bud Dixon war nicht zu spaßen.</p> - -<p>»Aber eine Stunde nach der andern verging, -wir schifften immer weiter und der Mensch kam -nicht auf Deck. Als der Morgen zu dämmern anfing -und Bud sich noch nicht sehen ließ, erwachte -unser Argwohn. ›Er hält uns vielleicht zum Narren, -meinte Hal, mach’ das Papier auf!‹ Das that ich -und meiner Seel’, es war nichts darin, als ein paar<span class="pagenum"><a id="Seite_223"></a>[223]</span> -Zuckerkrümel. Deshalb also hatte er die ganze -Nacht so ruhig schnarchen können. Ein schlauer -Kerl, so wahr ich lebe. Er muß zwei ganz gleiche -Papiere bereit gehalten und sie vor unserer Nase -vertauscht haben.</p> - -<p>»Wir waren nicht wenig verblüfft, doch hatten -wir bald einen neuen Plan fertig. Es schien uns -am klügsten, leise in die Kajüte zurückzuschleichen, -das Papier wieder an Ort und Stelle zu legen -und zu thun, als hätten wir nicht gemerkt, daß er -uns mit seinem verstellten Schnarchen nur zum -Besten hielt. Wir wollten ihm nicht von der Seite -gehen und ihn am ersten Abend nach der Landung -betrunken machen, seine Kleider durchsuchen, die -Diamanten nehmen und ihm womöglich den Garaus -machen; denn er würde uns immer auf den Fersen -sein, um uns die Beute wieder abzujagen, und wir -wären keinen Augenblick unseres Lebens sicher. Das -Gelingen des Plans war mir jedoch sehr zweifelhaft. -Bud betrunken zu machen, hatte keine Schwierigkeit, -aber was nützte es, wenn wir hernach suchten und -suchten und doch nichts fanden.</p> - -<p>»Plötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, -der mir fast den Atem benahm; doch dann wurde<span class="pagenum"><a id="Seite_224"></a>[224]</span> -mir auf einmal ganz froh und leicht zu Mute. Ich -hatte nämlich gerade meinen Stiefel in der Hand, um -ihn anzuziehen, und als ich einen Blick auf die Sohle -warf, mußte ich an den rätselhaften kleinen Schraubenzieher -denken. Erinnert ihr euch noch daran?«</p> - -<p>»Das will ich meinen,« rief Tom ganz aufgeregt.</p> - -<p>»Na, wie ich den Absatz ansah, wußte ich auf -einmal, wo Bud die Diamanten versteckt hatte. -Schaut her – das Stahlplättchen hier ist mit kleinen -Schrauben festgemacht; die einzigen Schrauben, die -der Mensch an sich trug, waren an seinem Stiefelabsatz, -und wenn er einen Schraubenzieher brauchte, -so wußte ich wohl wozu.«</p> - -<p>»Ist das nicht famos, Huck?« rief Tom dazwischen.</p> - -<p>»Als wir in die Kajüte kamen, schnarchte Bud -Dixon noch immer, und auch Hal Clayton schlief -bald ein, aber ich nicht – in meinem Leben war -ich noch nicht so wach gewesen; ich spähte auf dem -Boden umher nach einem Stückchen Leder. Lange -konnte ich nichts entdecken, aber endlich fand ich’s. -Es war ein rundes, kleines Pflöckchen, fast von -der Farbe des Teppichs und etwa so dick wie die -Spitze meines kleinen Fingers. ›Aha,‹ dachte ich,<span class="pagenum"><a id="Seite_225"></a>[225]</span> -›in dem Nest, wo das herausgekommen ist, liegt -jetzt ein Diamant.‹ Auch das zweite Pflöckchen fand -ich nach einigem Suchen.</p> - -<p>»Nun stellt euch einmal diese Unverschämtheit -vor! Der Kerl hatte sich ganz genau überlegt, was -wir thun würden und wir Dummköpfe waren blindlings -in die Falle gerannt. Während wir ihn oben -auf dem Sturmdeck erwarteten, um ihn ins Wasser -zu werfen, saß er unten, schraubte sich in aller Gemütsruhe -die Stahlplättchen ab, schnitt Löcher in -seine Absätze, steckte die Diamanten hinein und -schraubte die Plättchen wieder fest. Ein Schlaufuchs -erster Sorte, nicht wahr?«</p> - -<p>»Nein, so was ist mir noch nicht vorgekommen!« -rief Tom voller Bewunderung.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="detektiv04">Viertes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>»Es war ein saueres Stück Arbeit, den ganzen -Tag über noch zu thun, als ob wir einander beobachteten, -das versichere ich euch. Gegen Abend -landeten wir bei einem Städtchen in Missouri, kehrten<span class="pagenum"><a id="Seite_226"></a>[226]</span> -in einer Schenke ein und ließen uns nach dem Nachtessen -ein Schlafzimmer zu dreien im obern Stock -geben. Der Wirt ging mit dem Licht voran und -wir im Gänsemarsch hinterdrein, die Treppe hinauf. -Ich kam zuletzt und schob meinen Reisesack -unter den tannenen Tisch auf dem dunkeln Vorplatz. -Wir ließen uns eine tüchtige Portion Whisky bringen -und spielten Karten um Fünfcentstücke. Als wir die -Wirkung des Whisky spürten, hörten wir beide auf -zu trinken, schenkten aber Bud immer wieder ein, -bis er toll und voll war. Er fiel vom Stuhl, lag -am Boden und schnarchte.</p> - -<p>»Nun ging es ans Geschäft. Ich schlug vor, -wir wollten ihm die Stiefel ausziehen und unsere -auch, damit es keinen Lärm machte, wenn wir ihn -um und um kehrten und ihn durchsuchten. Das geschah, -und ich stellte meine Stiefel neben Buds, damit -ich sie bei der Hand hätte. Wir zogen ihn aus, -befühlten alle Nähte seiner Kleider, suchten in seinen -Taschen und Socken, auch inwendig in seinen Stiefeln, -kurz überall; auch sein Bündel machten wir auf, -fanden aber keine Diamanten. Als der Schraubenzieher -zum Vorschein kam, fragte Hal: ›Was kann -er wohl damit wollen?‹ Ich sagte, das wüßte ich<span class="pagenum"><a id="Seite_227"></a>[227]</span> -nicht, aber sobald er sich abwandte steckte ich ihn -ein. Endlich sah Hal ganz niedergeschlagen aus -und meinte, wir müßten es aufgeben. Darauf hatte -ich nur gewartet.</p> - -<p>»›Etwas haben wir noch nicht durchsucht.‹</p> - -<p>»›Was denn?‹ fragte er.</p> - -<p>»›Seinen Magen.‹</p> - -<p>»›Wahrhaftig, daran habe ich nicht gedacht. -Das ist die Lösung des Rätsels, so wahr ich lebe. -Wie wollen wir’s anfangen?‹</p> - -<p>»›Na,‹ sagte ich, ›bleib’ du hier bei ihm, und -ich will in die Apotheke gehen und ein Mittel holen, -das die Diamanten rasch ans Tageslicht fördern soll.‹</p> - -<p>»Er war’s zufrieden, und ich zog vor seiner -Nase Buds Stiefel an statt meiner eigenen, ohne daß -er’s merkte. Ein wenig zu groß waren sie mir -freilich, aber das schadete nicht so viel, als wenn -sie zu klein gewesen wären. Ich tappte im Dunkeln -durch den Vorplatz, nahm den Reisesack mit und war -in der nächsten Minute zur Hinterthür hinaus.</p> - -<p>»Mit Siebenmeilenschritten ging’s nun am Fluß -entlang; mir war dabei gar nicht schlecht zu Mut, -ich marschierte ja auf Diamanten. Nach der ersten -Viertelstunde hatte ich schon eine große Strecke zurückgelegt.<span class="pagenum"><a id="Seite_228"></a>[228]</span> -Alle fünf Minuten dachte ich daran, wie -Hal Clayton auf meine Rückkehr wartete und immer -unruhiger wurde. ›Jetzt fängt er an zu fluchen,‹ -sagte ich zu mir, ›und allmählich geht ihm ein Licht -auf. Er bildet sich ein, ich hätte die Diamanten -gefunden, als wir Bud durchsuchten, sie heimlich in -die Tasche geschoben und mir nichts merken lassen. -Natürlich wird er gleich meiner Spur folgen, aber -ich habe doch wenigstens einen guten Vorsprung.‹</p> - -<p>»Indem kam ein Mann auf einem Maultier -dahergeritten, und ohne zu überlegen sprang ich ins -nächste Gebüsch. Das war dumm! Eine Weile hielt -der Mann still, um zu sehen, ob ich wieder herauskäme, -dann ritt er weiter. Das konnte mir sehr -zum Nachteil gereichen, wenn er etwa auf Hal Clayton -stieß und der ihn ausfragte.</p> - -<p>»Um drei Uhr morgens kam ich nach Alexandria -und als ich den Raddampfer vor Anker liegen sah, -war ich heilfroh und glaubte, jetzt sei ich gerettet. -Es dämmerte bereits und ich ging an Bord, ließ -mir die Kajüte hier geben, zog diese Kleider an und -setzte mich neben das Ruderhaus, damit mir nichts -entgehen könne. Ich wartete mit großer Ungeduld -auf die Abfahrt des Bootes, aber es rührte sich nicht.<span class="pagenum"><a id="Seite_229"></a>[229]</span> -Die Maschine wurde erst ausgebessert, doch davon -hatte ich keine Ahnung.</p> - -<p>»Es wurde Mittag bis wir absegelten und ich -hatte mich längst in der Kajüte eingeschlossen. Schon -vor dem Frühstück sah ich nämlich von fern einen -Mann herankommen, dessen Gang mich an Hal -Clayton erinnerte und mir wurde übel und weh. -Wenn er mich hier auf dem Boot ausfindig machte, -so saß ich wie eine Ratte in der Falle. Er brauchte -nur zu warten bis ich ans Land ging und mir zu -folgen. An einem abgelegenen Ort würde er mich -zwingen die Diamanten herauszugeben und dann – -ja dann war’s um mich geschehen. O, es ist gräßlich -– entsetzlich! Und wenn ich mir nun vorstelle, daß -der <em class="gesperrt">andere</em> auch an Bord ist! Sagt selbst, Jungens, -ist das nicht ein schreckliches Mißgeschick? – Aber, -nicht wahr, ihr verlaßt mich nicht! Ihr helft einem -armen Teufel durch, den man zu Tode hetzen will. -Auf den Knieen will ich euch verehren, wenn ihr -mir beisteht und mich rettet.«</p> - -<p>Wir thaten was wir konnten, um ihn zu beruhigen: -wir versprachen ihm unsere Hilfe, machten -allerlei Pläne und redeten ihm seine übergroße Furcht -aus. Da wurde er bald wieder zuversichtlicher und<span class="pagenum"><a id="Seite_230"></a>[230]</span> -zuletzt schraubte er gar die Plättchen von seinen -Absätzen und hielt die Diamanten bald so bald so -gegen das Licht. Nein, wie sie funkelten und glitzerten -und ihr Feuer nach allen Seiten ausstrahlten! Es -war schön, das muß ich sagen. Aber er kam mir -doch vor wie ein rechter Narr. Ich an seiner Stelle -hätte den beiden Spießgesellen die Diamanten ausgeliefert -und ihnen gesagt, nun sollten sie ans Land -gehen und mich in Ruhe lassen. Doch das fiel ihm -gar nicht ein. Er meinte, es wäre ein ganzes Vermögen; -der Gedanke es zu verlieren schien ihm unerträglich.</p> - -<p>Zweimal mußten wir anlegen, um die Maschine -in Ordnung zu bringen, was eine ganze Weile -dauerte. Die Nacht war aber nicht dunkel genug; -er hätte sich schwerlich unbemerkt aus dem Staube -machen können. Gegen ein Uhr nachts kamen -schwarze Wolken am Himmel herauf, ein Gewitter -war im Anzug. Wir hatten an einem Holzhof angelegt, -noch etwa vierzig Meilen von Onkel Silas’ -Farm, und Jack hielt die Gelegenheit für günstig. -Es regnete stark, der Sturm brach los, und die -Leute, die das Holz einluden, zogen sich zum Schutz -grobe Säcke über den Kopf. Auch Jack verschafften<span class="pagenum"><a id="Seite_231"></a>[231]</span> -wir einen. Er nahm seine Reisetasche, lief aufs -Hinterdeck, kam dann wie die andern Matrosen nach -vorn marschiert und ging mit ihnen ans Land. Als -er aus dem Bereich der Fackeln war und in der -Finsternis verschwand, holten wir tief Atem und -waren voller Dank und Freude. Allein das Vergnügen -dauerte nicht lange. Kaum zehn Minuten -vergingen, da stürmten die beiden schlimmen Gesellen -auf Deck; sie sprangen ans Ufer und wir sahen sie -nicht wieder. Bis zum Morgengrauen warteten wir -und hofften sie würden zurückkommen, allein vergebens. -Vielleicht hatten sie aber doch Jack nicht -mehr einholen können und seine Spur verloren; -darauf setzten wir unser ganzes Vertrauen.</p> - -<p>Er wollte am Fluß entlang gehen und sich in -dem Ahornwäldchen hinter Onkel Silas’ Tabakfeld -verbergen. Dort hatten wir versprochen ihn zu -treffen, sobald es dämmerig würde und ihm Nachricht -zu bringen, ob seine Brüder Brace und Jupiter -zu Hause wären und keinen fremden Besuch hätten.</p> - -<p>Tom und ich sprachen lange darüber, wie es -ihm wohl ergehen würde. Rannten seine Verfolger -flußaufwärts statt abwärts, dann war er gerettet. -Aber das ließ sich kaum erwarten. Wahrscheinlich,<span class="pagenum"><a id="Seite_232"></a>[232]</span> -meinte Tom, würden sie ihm tagsüber auf den Fersen -bleiben, ohne daß er Argwohn schöpfte, und sobald -es dunkelte ihn umbringen und ihm die Stiefel fortnehmen. -– Das betrübte uns sehr.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="detektiv05">Fünftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Erst spät am Nachmittag war die Maschine -fertig ausgebessert. Als wir nicht weit von Onkel -Silas’ Farm anlegten, ging die Sonne bereits unter. -So liefen wir denn zuerst spornstreichs nach dem -Ahornwäldchen, um Jack den Grund der Verzögerung -mitzuteilen, damit er auf uns wartete, bis wir bei -Brace gewesen wären und wüßten, wie die Sachen -standen. Gerade als wir keuchend um die Ecke -bogen und die Ahornbäume schon von fern sahen, -kamen zwei Männer quer über den Weg in das -Wäldchen gesprungen und wir hörten einen gräßlichen -Hilfeschrei, der sich mehrmals wiederholte. -»Jetzt haben sie den armen Jack umgebracht,« sagten -wir und flohen voll Todesangst nach dem Tabakfeld. -Kaum hatten wir uns dort versteckt und zitterten<span class="pagenum"><a id="Seite_233"></a>[233]</span> -noch wie Espenlaub, als wir abermals zwei Männer -an uns vorbeilaufen und in dem Wäldchen verschwinden -sahen. Schon im nächsten Augenblick -kamen ihrer vier wieder heraus: zwei hatten die -Flucht ergriffen und zwei verfolgten sie.</p> - -<p>Kalter Angstschweiß perlte uns auf der Stirn, -während wir auf dem Boden lagen und horchten; -doch vernahmen wir keinen andern Laut als das -Pochen unserer Herzen. Immer mußten wir an -den Ermordeten drüben im Wäldchen denken und -uns gruselte als wäre uns ein Gespenst in nächster -Nähe. Plötzlich kam der Mond hinter den Baumwipfeln -hervor, groß, rund und glänzend, wie ein -Gesicht, das durch die Eisenstäbe der Gefängniszelle -guckt. Schwarze Schatten und weiße Flecken huschten -hierhin und dorthin; es war unheimlich still ringsum, -nur der Nachtwind stöhnte in den Zweigen. Da -flüsterte Tom auf einmal: »Sieh! – was ist das?«</p> - -<p>»Du brauchst mich nicht noch unnötig zu erschrecken; -ich bin sowieso schon halb tot,« rief ich.</p> - -<p>»Aber, so sieh doch, was da aus dem Ahornwäldchen -herauskommt!«</p> - -<p>»Hör’ auf, Tom!«</p> - -<p>»Eine riesige Gestalt; sie kommt auf uns zu!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_234"></a>[234]</span></p> - -<p>Er hatte vor Erregung kaum Atem genug zum -flüstern. Ich wollte nicht hinsehen und doch that -ich’s. Wir knieten jetzt beide auf der Erde, stützten -das Kinn auf den Lattenzaun und starrten in Schweiß -gebadet die Straße ’runter. Die Gestalt ging im -Schatten der Bäume, man konnte sie erst ordentlich -sehen, als sie dicht in unserer Nähe war und ins -helle Mondlicht hinaustrat. Da fielen wir um wie -vom Donner gerührt – kein Zweifel, es war Jack -Dunlaps Geist! –</p> - -<p>Ein paar Minuten lagen wir regungslos da; -als wir wieder aufsahen war das Gespenst verschwunden.</p> - -<p>»Du,« flüsterte Tom, »Gespenster sehen doch -immer grau und neblig aus, als ob sie lauter Dunst -wären; aber dieses gar nicht.«</p> - -<p>»Nein; ich hab’ seine Brille und den Schnurrbart -ganz deutlich erkannt.«</p> - -<p>»Ja, und den Anzug – die grün und schwarz -gewürfelten Hosen –«</p> - -<p>»Die feuerrote Weste von Baumwollsammet -mit den gelben Punkten –«</p> - -<p>»Die ledernen Stege unten am Hosenbein – -einer war nicht angeknüpft –«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_235"></a>[235]</span></p> - -<p>»Ja, und der Hut – eine richtige hohe Angströhre -mit breiter Krempe.«</p> - -<p>»Glaubst du, Huck, daß es ebensolches Haar -hatte wie er?«</p> - -<p>»Ja – doch bin ich nicht ganz sicher.«</p> - -<p>»Ich auch nicht; aber den Reisesack hab’ ich -in seiner Hand gesehen.«</p> - -<p>»Haben denn Gespenster einen Reisesack, Tom?«</p> - -<p>»Warum nicht, Huck? Aber natürlich aus Gespensterstoff, -wie die Kleider und alles. Stell’ dich -doch nicht so dumm an!«</p> - -<p>Jetzt kamen Bill Withers und sein Bruder -Hans an uns vorüber. Sie waren in ihr Gespräch -vertieft, wir verstanden aber alles, was sie -sagten:</p> - -<p>»Es sah aus als könnte er es kaum mehr -schleppen,« meinte Bill.</p> - -<p>»Jawohl, schwer schien es zu sein. Es war -gewiß ein Neger, der dem alten Pfarrer Silas Korn -gestohlen hat,« sagte Hans.</p> - -<p>»Das dachte ich gleich und that, als bemerkte -ich ihn nicht.«</p> - -<p>»So hab’ ich’s auch gemacht. Hahaha!«</p> - -<p>Also, Onkel Silas war so unbeliebt geworden,<span class="pagenum"><a id="Seite_236"></a>[236]</span> -daß die Leute lachten, wenn ihm ein Dieb sein Korn -stahl! Wie war das nur möglich?</p> - -<p>Bald hörten wir wieder Stimmen; je näher -sie kamen, um so lauter wurde das Gespräch. Es -waren zwei Nachbarn, Lem Beebe und Jim Lane.</p> - -<p>»Wer?« fragte Jim, – »Jupiter Dunlap?«</p> - -<p>»Ja, ganz gewiß,« entgegnete Lem.</p> - -<p>»Hm. Vor etwa einer Stunde, eben als die -Sonne unterging, hab’ ich ihn mit dem Spaten -gesehen; sie gruben ein Stück Land um, er und der -Pfarrer. Seinen Hund wollte er uns leihen, sagte er, -aber er selber käme heute abend wahrscheinlich nicht.«</p> - -<p>»Er wird wohl zu müde sein von der schweren -Arbeit.«</p> - -<p>»Verlaß dich drauf. Haha!«</p> - -<p>Sie gingen lachend weiter; Tom sprang auf -und wir folgten ihnen von fern. Dem Gespenst -ganz allein zu begegnen, wäre doch gar zu unbehaglich -gewesen.</p> - -<p>Dies alles geschah am 2. September, einem -Sonnabend. Den Tag werde ich nie vergessen; man -wird bald erfahren weshalb.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_237"></a>[237]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="detektiv06">Sechstes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Schon sahen wir die Lichter vom Hause zu -uns herüberscheinen, und die Hunde kamen alle herbeigelaufen, -uns zu begrüßen, da sagte Tom:</p> - -<p>»Warte noch ’nen Augenblick. Wenn wir jetzt -’reinkommen, meinst du wohl, ich müßte gleich unser -ganzes Abenteuer erzählen, daß alle Mund und -Nase aufsperren vor Verwunderung?«</p> - -<p>»Versteht sich; solche Gelegenheit wirst du dir -doch nicht entgehen lassen, Tom.«</p> - -<p>»Na, da irrst du dich gewaltig. Kein Sterbenswörtchen -verraten wir davon und zwar aus sehr -nahe liegenden Gründen. Sag ’mal, Huck – ging -das Gespenst barfuß?«</p> - -<p>»Bewahre, es hatte ja Stiefel an.«</p> - -<p>»Hast du das wirklich gesehen? Kannst du -’nen Eid darauf leisten?«</p> - -<p>»Jawohl, das kann ich.«</p> - -<p>»Ich auch. Und das ist der beste Beweis -dafür, daß die Diebe die Diamanten nicht gefunden -haben. Natürlich nicht – die zwei andern Männer<span class="pagenum"><a id="Seite_238"></a>[238]</span> -haben sie ja vertrieben, ehe sie der Leiche die Stiefel -ausziehen konnten; deshalb trug sie das Gespenst -auch noch.«</p> - -<p>»Stiefel aus dem Geisterstoff wie die andern -Kleider, nicht wahr, Tom?«</p> - -<p>»Freilich. Und weißt du, Huck, was nun geschieht? -Die zwei Männer erzählen, sie hätten -das Geschrei gehört, die Mörder verjagt, aber den -Fremden nicht retten können. Nun kommt die Totenschau, -besichtigt alles an Ort und Stelle, und ehe -man die Leiche begräbt, werden ihre Sachen versteigert, -um die Kosten herauszuschlagen. Dann ist -unser Glück gemacht.«</p> - -<p>»Wieso?«</p> - -<p>»Na, das ist doch klar: Wir kaufen die Stiefel -für zwei Dollars.«</p> - -<p>»Und kriegen die Diamanten?«</p> - -<p>»Versteht sich. Eines schönen Tages wird man -eine hohe Belohnung dafür bieten – wenigstens -tausend Dollars. Und das ist unser Geld. – -Jetzt komm ins Haus; aber von den Räubern, den -Diamanten und dem Mord weißt du keine Silbe – -das merke dir.«</p> - -<p>»Wie sollen wir es aber Tante Sally erklären,<span class="pagenum"><a id="Seite_239"></a>[239]</span> -wenn sie fragt, warum wir erst so spät kommen -und wo wir so lange geblieben sind?«</p> - -<p>»Das überlasse ich dir; du wirst schon eine -Ausrede finden.«</p> - -<p>Das sah Tom ganz gleich. Er war viel zu -wahrheitsliebend um selbst eine Lüge zu sagen.</p> - -<p>Wir gingen nun quer über den Hof, wo wir -zu unserer Freude alles unverändert fanden, und -kamen in den bedeckten Gang zwischen dem Holzschuppen -und der Küche. Da hingen noch mancherlei -Gegenstände, die wir kannten, unter anderm auch -Onkel Silas’ grüner Arbeitskittel mit der Kaputze -und dem weißen Flicken zwischen den Schultern, der -immer aussah, als hätte ihn jemand mit ’nem Schneeball -geworfen. Rasch drückten wir auf die Klinke -der Stubenthür und traten ein.</p> - -<p>Tante Sally wirtschaftete im Zimmer herum; -in einer Ecke saßen die Kinder auf einem Häufchen, -in der andern las der Onkel im Gebetbuch. Tante -fiel uns gleich vor Freuden um den Hals, dann -zauste sie uns bald an den Haaren, bald drückte sie -uns ans Herz, während ihr helle Thränen über die -Backen liefen, so froh war sie, uns wiederzusehen.</p> - -<p>»Wo habt ihr Taugenichtse euch denn so lange<span class="pagenum"><a id="Seite_240"></a>[240]</span> -herumgetrieben?« rief sie. »Ich hab’ mir um euch -schier die Seele aus dem Leib geängstet. Eure -Siebensachen sind schon vor ’ner Ewigkeit angekommen, -und viermal hab’ ich das Essen wieder aufgewärmt, -damit ihr nicht zu warten braucht. Die -Haut sollte man euch über die Ohren ziehen. Aber -nun setzt euch nur, ihr müßt ja halb verhungert -sein; setzt euch, ihr armen Jungen, und laßt’s euch -schmecken.«</p> - -<p>O, wie behaglich saß sich’s dort an der reich -besetzten Tafel! Onkel Silas sprach sein längstes -Tischgebet und bald stand ein aufgehäufter Teller -an meinem Platz. Als ich gerade im besten Schmausen -war, fragte die Tante plötzlich, wo wir denn gewesen -wären.</p> - -<p>Ich hatte mir’s schon zum voraus überlegt:</p> - -<p>»Wir sind zu Fuß durch den Wald gegangen,« -sagte ich, »da sind uns Lem Beebe und Jim Lane -begegnet und haben uns aufgefordert mit ihnen -Heidelbeeren zu suchen; Jupiter Dunlap wollte ihnen -seinen Hund dazu leihen, das hatte er ihnen gerade -versprochen – –«</p> - -<p>»Wo haben sie ihn gesehen?« fiel mir der alte -Silas auf einmal so hastig in die Rede, daß ich<span class="pagenum"><a id="Seite_241"></a>[241]</span> -verwundert dreinschaute und ganz verwirrt wurde, -weil er mich mit durchbohrenden Blicken ansah. -Aber ich nahm mich zusammen und antwortete: -»Als Ihr mit ihm das Stück Land umgrubet, bei -Sonnenuntergang.«</p> - -<p>»Hm,« sagte er mit enttäuschter Miene und -nahm weiter keine Notiz von mir, während ich fortfuhr: -»Wir gingen mit, und – –«</p> - -<p>»Schweig still mit deinem Unsinn, Huck Finn,« -rief jetzt Tante Sally entrüstet; »wer hat je davon -gehört, daß man bei uns im September Heidelbeeren -pflückt und obendrein zur Nachtzeit? Was -soll der Hund dabei – vielleicht die Heidelbeeren -aufspüren?« –</p> - -<p>»Sie sagten – sie hätten eine Laterne – –« -stammelte ich.</p> - -<p>»An dem allen ist kein wahres Wort. Ich -weiß, ihr habt irgend einen dummen Streich gemacht, -da müßte ich euch beide nicht kennen. Na, Tom, -heraus mit der Sprache, nicht erst lange gefackelt!«</p> - -<p>Tom nahm eine gekränkte Miene an. »Wie -kannst du nur den armen Huck schelten, Tante, bloß -weil er sich versprochen hat. Er meint natürlich -Erdbeeren, wenn er Heidelbeeren sagt. Das weiß<span class="pagenum"><a id="Seite_242"></a>[242]</span> -doch ein jedes Kind, daß man in der ganzen Welt – -nur nicht hier in Arkansas – einen Hund und eine -Laterne mitnimmt, wenn man Erdbeeren suchen geht.«</p> - -<p>Nun riß aber Tante Sally der Geduldsfaden; -sie wurde ernstlich böse und schüttete einen ganzen -Schwall von Worten, die sie gar nicht schnell genug -heraussprudeln konnte, über unsere schuldigen Häupter -aus. Darauf hatte Tom aber wie gewöhnlich gerechnet. -Er ließ sie sich immer in Zorn reden und -schwieg mäuschenstill, bis ihre Hitze verflogen war; -dann wollte sie meist vor Aerger keine Silbe mehr -über die ganze Angelegenheit hören. So kam es -auch diesmal. Als sie sich heiser gesprochen hatte -und einen Augenblick Atem schöpfen mußte, sagte -Tom in aller Seelenruhe:</p> - -<p>»Und trotzdem weiß ich doch, Tante –«</p> - -<p>»Schweig’ still,« rief sie; »du thust den Mund -nicht mehr auf, das sage ich dir!«</p> - -<p>So kamen wir aus aller Verlegenheit und von -der Verzögerung unserer Ankunft war nicht mehr -die Rede. Das hatte Tom wirklich schlau eingerichtet.</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_243"></a>[243]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="detektiv07">Siebentes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Benny machte ein sehr ernstes Gesicht und -seufzte auch hin und wieder; aber bald fing sie an -sich nach Toms Geschwistern Mary und Sid zu -erkundigen und besonders nach Tante Polly. Allmählich -erheiterte sich auch Tante Sallys Miene, -ihre gute Laune kehrte zurück, sie fragte uns dieses -und jenes und war wieder so gut und lieb wie -immer, so daß unser Abendessen noch einen ganz -lustigen Verlauf nahm. Nur der alte Silas beteiligte -sich nicht an der Unterhaltung; er war unruhig -und zerstreut, auch stieß er oft so tiefe Seufzer -aus, daß es einem in der Seele wehthat, ihn so verstört -und bekümmert zu sehen.</p> - -<p>Eine Weile nach dem Abendessen klopfte es an -die Thür; ein Neger steckte den Kopf herein, er -trug seinen alten Strohhut in der Hand und sagte -unter vielen Bücklingen und Kratzfüßen, sein Herr, -Massa Brace, warte draußen am Zaun und lasse -den Massa Silas fragen, wo sein Bruder wäre, der -zum Essen nicht nach Hause gekommen sei.</p> - -<p>Da fuhr Onkel Silas so heftig auf, wie ich<span class="pagenum"><a id="Seite_244"></a>[244]</span> -es noch nie von ihm gehört hatte: »Bin ich etwa -seines Bruders Hüter?« Gleich nachher war es -ihm aber wieder leid, er sank in sich zusammen und -sprach im sanftesten Ton:</p> - -<p>»Du brauchst ihm das nicht zu wiederholen, -Billy, ich bin seit einigen Tagen gar nicht wohl -und so reizbar, daß ich meine Worte nicht wägen kann. -Er ist nicht hier, sage ihm das.«</p> - -<p>Als der Neger fort war, ging der alte Mann -ruhelos in der Stube auf und ab, wobei er fortwährend -unverständliche Worte murmelte und sich mit den -Händen ins Haar fuhr. Es war recht jämmerlich -anzusehen; doch Tante Sally flüsterte uns zu, nicht -acht auf ihn zu geben. Sie sagte, seit so viel -Mißgeschick über ihn gekommen sei, gerate er oft -tief in Gedanken und wisse kaum mehr, was er -thue und treibe. Auch bei Nacht wandle er viel -häufiger als früher im Schlaf, entweder nur im -Hause oder auch draußen im Freien. Wenn wir ihn -einmal dabei beträfen, sollten wir ihn ruhig gehen -lassen und ihn ja nicht aufwecken. Es könne ihm -niemand helfen, außer Benny, die ihn am besten zu -behandeln verstehe.</p> - -<p>Auch diesmal schlich sie sich an seine Seite, als<span class="pagenum"><a id="Seite_245"></a>[245]</span> -er anfing müde zu werden von dem ewigen Hin- -und Herwandern. Sie schlang ihren Arm um ihn -und ging mit, bis er lächelnd auf sie herabschaute -und sich niederbeugte um sie zu küssen. Allmählich -wich der gequälte Ausdruck aus seinem Gesicht und -er ließ sich von ihr auf sein Zimmer geleiten. Es -war eine Freude, den liebevollen Verkehr von Vater -und Tochter zu sehen.</p> - -<p>Tante Sally mußte nun die Kinder zu Bett -bringen und da Tom und ich anfingen uns zu langweilen, -machten wir noch einen Gang bei Mondschein -in das Feld, wo die reifen Wassermelonen -standen. Wir aßen nach Herzenslust und besprachen -dabei mancherlei. Tom meinte, er hege nicht den -geringsten Zweifel, daß Jupiter ganz allein an dem -Streit schuld sei. Bei erster Gelegenheit werde er -sich Gewißheit darüber verschaffen und dann Onkel -Silas nach Kräften bereden ihn fortzuschicken.</p> - -<p>Wohl zwei Stunden lang schwatzten, rauchten -und schmausten wir dort. Als wir ins Haus zurückkehrten -war es ganz still und dunkel; alle hatten -sich zur Ruhe begeben.</p> - -<p>Tom, dem nichts entging, bemerkte jetzt, daß -der alte grüne Arbeitskittel seltsamerweise von dem<span class="pagenum"><a id="Seite_246"></a>[246]</span> -Nagel verschwunden war, wo er ihn noch vorhin -hatte hängen sehen. Dann suchten wir unsere Schlafkammer -auf.</p> - -<p>Im Nebenzimmer hörten wir Benny noch lange -herumhantieren; sie sorgte sich gewiß um ihren Vater -und fand keinen Schlaf. Auch wir waren viel zu -aufgeregt, um zu Bette zu gehen; so blieben wir -denn wach, unterhielten uns im Flüsterton und waren -in recht trübseliger Stimmung. Wir sprachen immer -wieder von dem Ermordeten und dem Gespenst, bis -uns so unheimlich und gruselig zu Mute wurde, -daß von Einschlafen keine Rede sein konnte.</p> - -<p>Es war schon spät in der Nacht, als mich -Tom plötzlich mit dem Ellenbogen stieß und nach -dem Fenster deutete. Ich sah hin; drunten im Hof -trieb sich ein Mann herum, doch konnte ich ihn bei -der Dunkelheit nicht erkennen. Jetzt kletterte er über -den Zaun und da kam gerade der Mond heraus -und schien auf den weißen Flicken des alten Arbeitskittels.</p> - -<p>»Siehst du den Nachtwandler,« sagte Tom. -»Ich wollte, wir dürften ihm folgen und sehen, wo -er hingeht mit der langen Schaufel, die er über der -Schulter trägt. Er biegt nach dem Tabakfeld ein –<span class="pagenum"><a id="Seite_247"></a>[247]</span> -nun ist er verschwunden. Der arme Onkel, – es -thut mir so leid, daß er gar keine Ruhe findet.«</p> - -<p>Wir warteten lange, aber er kam nicht zurück; -vermutlich hatte er einen andern Heimweg eingeschlagen. -So legten wir uns denn endlich nieder -und verfielen in einen unruhigen Schlaf, der uns -mit tausenderlei Beängstigungen quälte. Im Morgengrauen -waren wir schon wieder wach; ein Gewitter -war heraufgezogen, Blitze zuckten, der Donner krachte, -der Wind schüttelte die Bäume, der Regen fuhr in -Strömen nieder und die Rinnsteine wurden zu -rauschenden Bächen.</p> - -<p>»Höre mal, Huck,« sagte Tom, »mir kommt’s -sehr seltsam vor, daß man noch gar nichts von Jack -Dunlaps Ermordung gehört hat. Die Männer, von -denen Hal Clayton und Bud Dixon verjagt wurden, -haben die Sache doch in der nächsten halben Stunde -sicherlich überall erzählt und sie muß sich wie ein -Lauffeuer von Farm zu Farm verbreitet haben. -Solche große Neuigkeit kommt doch alle dreißig Jahr -höchstens zweimal vor. Es ist wirklich merkwürdig, -Huck, ich kann es nicht begreifen. Wäre nur erst -das Gewitter vorüber, damit wir hinauskönnten um -zu sehen, ob nicht irgend jemand auf der Straße<span class="pagenum"><a id="Seite_248"></a>[248]</span> -davon anfängt. Wir müssen dann natürlich sehr -überrascht und entsetzt sein.«</p> - -<p>Es war schon heller lichter Tag, als der Regen -aufhörte. Wir schlenderten die Straße hinunter, -begrüßten jeden, der uns begegnete, sagten wann -wir angekommen wären, wie wir die Unserigen verlassen -hätten, wie lange wir zu bleiben gedächten, -und dergleichen mehr; aber kein Mensch äußerte -eine Silbe über den Mord, was uns höchlich wundernahm. -Tom meinte, wenn wir in das Ahornwäldchen -gingen, würde die Leiche ganz einsam und verlassen -daliegen und keine Menschenseele weit und breit zu -sehen sein. Wahrscheinlich hätten die Verfolger die -Mörder tief in den Wald hinein gejagt, diese hätten -sich endlich umgewendet und sich auf sie geworfen. -Nachdem sie einander alle umgebracht, wäre natürlich -niemand mehr am Leben gewesen, um die Nachricht -zu verbreiten.</p> - -<p>Während dieser Reden waren wir unversehens -nach dem Ahornwäldchen gekommen. Mir lief der -kalte Schweiß den Rücken hinunter und ich wäre -um nichts in der Welt auch nur einen Schritt weiter -gegangen. Doch Tom ließ es keine Ruhe – er -mußte wissen, ob der Ermordete die Stiefel noch<span class="pagenum"><a id="Seite_249"></a>[249]</span> -anhatte. So kroch er denn ins Dickicht, kam aber -schon im nächsten Augenblick in größter Erregung -wieder heraus.</p> - -<p>»Huck, er ist fort,« rief er.</p> - -<p>»Im Ernst, Tom?« fragte ich starr vor Staunen.</p> - -<p>»Jawohl, er ist wirklich fort; es ist nichts mehr -von ihm zu sehen. Der Boden ist nur etwas zertrampelt -und wenn blutige Spuren da waren hat -sie der Regen verwaschen; es ist lauter Schmutz und -Morast da drinnen.«</p> - -<p>Nun faßte ich mir ein Herz und überzeugte -mich mit eigenen Augen, daß kein Leichnam mehr -da war.</p> - -<p>»Verwünscht,« rief ich, »die Diamanten sind weg!«</p> - -<p>»Glaubst du nicht, daß die Mörder zurückgekommen -sind und ihn fortgeschleppt haben?«</p> - -<p>»Höchst wahrscheinlich. Wo meinst du wohl, -daß sie ihn versteckt haben können?«</p> - -<p>»Wie soll ich das wissen?« sagte er ärgerlich. -»Es ist mir auch einerlei. Mir war nur an den -Stiefeln etwas gelegen. Nach der Leiche werde ich -den Wald nicht durchsuchen; meinetwegen mag sie -sein wo sie will. Die Hunde werden sie sowieso -bald aufspüren.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_250"></a>[250]</span></p> - -<p>Wir schlichen betrübt und enttäuscht nach Hause -zurück. Mein Lebtag hatte mich noch keine Leiche -so geärgert und betrogen wie diese.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="detektiv08">Achtes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Beim Frühstück ging es nicht sehr munter zu. -Tante Sally sah alt und müde aus; sie ließ die -Kinder unter einander zanken und streiten ohne -ihnen zu wehren, wie sie es sonst immer that. Tom -und ich waren so voller Gedanken, daß wir gar -nicht sprachen und Benny mochte wohl die ganze -Nacht kein Auge zugethan haben. So oft sie den -Kopf ein wenig hob und nach ihrem Vater hinschaute, -mußte sie mit den Thränen kämpfen. Der -Alte ließ das Essen auf seinem Teller kalt werden, -er rührte keinen Bissen an, redete kein Wort, sondern -sann und sann nur immer vor sich hin.</p> - -<p>Als die Stille am allerdrückendsten war, steckte -der Neger wieder den Kopf durch die Thür und -sagte, Massa Brace hätte schrecklich Angst um seinen -Bruder Jupiter, der noch immer nicht heimgekommen<span class="pagenum"><a id="Seite_251"></a>[251]</span> -wäre. Massa Silas sollte doch so gut -sein und – –</p> - -<p>Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, denn -Onkel Silas hatte sich plötzlich aufgerichtet. Er -sah den Neger an und zitterte dabei so, daß er sich -am Tisch festhalten mußte. Die Kehle war ihm -wie zugeschnürt; erst nach einer Weile stammelte -er mühsam:</p> - -<p>»Er glaubt wohl – er glaubt wohl – was -denkt er sich eigentlich? – Sag’ ihm – sag’ ihm –« -kraftlos sank er wieder in seinen Stuhl zurück. »Geh -fort – geh fort!« murmelte er so leise, daß man -es kaum verstehen konnte.</p> - -<p>Der Neger machte sich erschrocken aus dem -Staube, während Onkel Silas die Hände rang und -seine Augen verdrehte, als läge er im Sterben; es -war ein schrecklicher Anblick. Wir saßen alle da, -wie festgebannt, nur Benny erhob sich leise, Thränen -liefen ihr die Wangen herunter, sie trat neben den -Stuhl ihres Vaters, bettete sein graues Haupt an -ihrer Brust und streichelte ihn sanft und liebevoll. -Dann winkte sie uns, wir sollten fortgehen, und -wir verließen das Zimmer so still, als läge ein -Toter darin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_252"></a>[252]</span></p> - -<p>In furchtbar ernster Stimmung schlugen Tom -und ich den Weg nach dem Walde ein. Wie ganz -anders war es doch hier bei unserm Besuch letzten -Sommer gewesen: alles so glücklich und friedevoll, -Onkel Silas so heiter, so wunderlich und voll kindlicher -Einfalt und dabei so hochgeachtet von jedermann. -Jetzt hatte er entweder den Verstand schon -verloren, oder man mußte doch jeden Augenblick -fürchten, daß er von Sinnen käme.</p> - -<p>Es war ein sonniger, herrlicher Tag; weiter -und weiter gingen wir über die Hügel nach der -Ebene zu und konnten uns nicht satt sehen an den -Bäumen und Blumen ringsum. Daß es in dieser -schönen Welt auch Unglück gab, schien uns ganz -unbegreiflich. Traurig zu sein, kam uns wie ein -Unrecht vor.</p> - -<p>Auf einmal fühlte ich, daß mir der Atem stockte; -ich hielt Tom am Arm fest und mein Herz pochte -wie ein Schmiedehammer.</p> - -<p>»Da ist es!« rief ich; wir sprangen hinter -einen Busch und Tom flüsterte:</p> - -<p>»St! – Mach’ keinen Lärm.«</p> - -<p>Es saß gerade am Ende der kleinen Waldwiese -auf einem Holzblock und stützte den Kopf in die<span class="pagenum"><a id="Seite_253"></a>[253]</span> -Hand. Vergebens bemühte ich mich, Tom zur Flucht -zu überreden; er rührte sich nicht vom Fleck, denn -er meinte, vielleicht würde er sein Lebtag keine so -günstige Gelegenheit mehr haben, ein Gespenst zu -sehen, deshalb wollte er dieses nach Herzenslust betrachten -und wenn es sein Tod wäre. So blieb -ich denn auch da und riß die Augen auf, obgleich -mir’s gar nicht wohl dabei zu Mute war.</p> - -<p>»Der arme Jack,« raunte mir Tom zu, denn -schweigen konnte er nicht; »alle seine Sachen hat -er an, wie er’s uns vorausgesagt hat. Auch das -Haar hat er sich kurz geschoren. Daß ein Gespenst -so natürlich aussehen könnte, hätte ich nie gedacht.«</p> - -<p>»Ich auch nicht; man würde es überall wiedererkennen.«</p> - -<p>»Ganz wie bei Lebzeiten. Und am meisten -wundert mich noch, daß es bei Tage umgeht. Die -andern kommen immer erst nach Mitternacht zum -Vorschein. Du, Huck, mit dem ist’s nicht ganz -richtig; es hat kein Recht, sich jetzt hier herumzutreiben, -das kannst du mir glauben. Jack wollte -sich taubstumm stellen, weil ihn die Nachbarn sonst -an der Stimme erkannt hätten. Meinst du, das Gespenst -würde das auch thun, wenn ich’s jetzt anriefe?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_254"></a>[254]</span></p> - -<p>»Tom, ums Himmels willen, du wirst doch so -was nicht wagen!«</p> - -<p>»Sei nur ganz ruhig, ich denke nicht dran. -Aber, was ist das – jetzt kratzt es sich am Kopf – -ein Gespenst kann’s doch nicht jucken, das ist ja -aus lauter Dunst! Wahrhaftig, Huck, ich glaube, es -ist gar kein wirkliches Gespenst, es müßte doch sonst –«</p> - -<p>»Was denn, Tom?«</p> - -<p>»<em class="gesperrt">Durchsichtig</em> sein, so daß man die Büsche -dahinter sehen könnte.«</p> - -<p>»Du hast recht, sein Körper ist so fest wie der -einer Kuh. Weißt du, ich fange an zu glauben –«</p> - -<p>»Jetzt nimmt es den Mund voll Tabak und -fängt an zu kauen – das ist ja unmöglich, es hat -doch keine Zähne. Höre, Huck!«</p> - -<p>»So sprich doch!«</p> - -<p>»Es ist gar kein Gespenst, sondern Jack Dunlap -wie er leibt und lebt! – Haben wir etwa eine -Leiche im Ahornwäldchen gefunden?«</p> - -<p>»Nein, keine Spur.«</p> - -<p>»Weißt du auch warum? – Weil nie eine -da war.«</p> - -<p>»Aber Tom, wir haben doch das Geschrei gehört!«</p> - -<p>»Ist das etwa ein Beweis, daß jemand umgebracht<span class="pagenum"><a id="Seite_255"></a>[255]</span> -worden ist? – Erst sahen wir vier Männer -laufen und dann kam dieser aus dem Wald gegangen. -Wir hielten ihn für einen Geist, aber es -war so wenig ein Geist wie du einer bist. Es war -Jack Dunlap selbst und der sitzt jetzt dort drüben -und spielt den Fremden und Taubstummen, ganz -wie er’s mit uns verabredet hatte. Der – ein -Gespenst! Nein, Fleisch und Bein ist er, da wett’ -ich alles drauf.«</p> - -<p>Ich sah nun auch unsern Irrtum ein, und -wir waren beide herzlich froh, daß Jack nicht umgebracht -worden war. Was sollten wir aber jetzt -thun? Ihn anreden oder vorgeben, ihn nicht zu -kennen? Tom hielt es für das beste, ihn selber -zu fragen, wie er es haben wolle. Also ging er -geradeswegs auf ihn zu, während ich mich etwas -im Hintergrund hielt, für den Fall, daß es doch -ein Gespenst wäre.</p> - -<p>Als Tom ganz nahe bei ihm war sagte er: -»Guten Tag! Wir freuen uns sehr, Euch wiederzusehen, -Huck und ich. Fürchtet nur nicht, daß wir -Euch verraten. Wenn Ihr es für besser haltet -wollen wir thun, als hätten wir Euch nie gekannt. -Sagt nur, ob Euch das recht ist. Ihr könnt Euch<span class="pagenum"><a id="Seite_256"></a>[256]</span> -dann fest auf uns verlassen; wir würden uns eher -die Hand abhacken als Euch Schaden thun.«</p> - -<p>Zuerst zeigte er sich sehr überrascht uns zu -sehen und keineswegs erfreut; aber bei Toms Rede -erhellte sich sein Gesicht und zuletzt lächelte er, nickte -mehrmals mit dem Kopf, machte allerlei Zeichen mit -den Händen und sagte: »Goo – goo – goo – -goo,« ganz wie ein Taubstummer.</p> - -<p>Indessen sahen wir ein paar von Steffen Nickersons -Angehörigen, die jenseits der Wiese wohnten, -daherkommen. »Ihr macht Eure Sache ganz ausgezeichnet,« -sagte Tom, »natürlich müßt Ihr Euch -üben so viel Ihr könnt, an uns so gut wie an den -andern, damit Ihr auf Eurer Hut seid und niemals -aus der Rolle fallt. Wir wollen Euch auch so -wenig wie möglich in den Weg kommen und keiner -Seele verraten, daß wir Euch kennen. Laßt es -uns aber ja wissen, wenn Ihr einmal Hilfe braucht.«</p> - -<p>Als wir den Nickersons begegneten, hielten sie -uns natürlich an und wollten wissen, wer der Fremde -dort drüben sei, wie er heiße, woher er komme, ob -er Baptist oder Methodist, liberal oder konservativ -wäre und was dergleichen Fragen mehr sind, die -wir Amerikaner bei jeder neuen Erscheinung gleich<span class="pagenum"><a id="Seite_257"></a>[257]</span> -auf der Zunge haben. Tom erwiderte jedoch, er -hätte aus den Zeichen des Taubstummen und seinen -Naturlauten nicht klug werden können. Mit großer -Spannung beobachteten wir nun von ferne, wie sie -Jack auszuforschen begannen. Erst als wir ihn -seine Zeichen machen sahen und wußten, daß alles -gut ablaufen würde, beruhigten wir uns wieder und -machten, daß wir weiter kamen, weil wir gern während -der Zwischenstunde beim Schulhaus sein wollten.</p> - -<p>Es war recht ärgerlich, daß uns Jack nicht -erzählen konnte, was sich in dem Ahornwäldchen -zugetragen hatte und ob er fast umgebracht worden -wäre; aber Tom bemerkte ganz richtig, daß ein -Mensch in Jacks Lage nicht vorsichtig genug sein -könne und am besten thäte still zu schweigen, um sich -keiner Gefahr auszusetzen.</p> - -<p>In der Zwischenstunde ging es sehr lustig zu, -alle Knaben und Mädchen freuten sich, uns wiederzusehen. -Die beiden Hendersons waren auf ihrem -Schulweg dem Taubstummen begegnet und wurden -deshalb von den übrigen sehr beneidet, da alle vor -Neugier brannten, ihn zu sehen, und von gar nichts -anderm reden mochten.</p> - -<p>Es kostete Tom keine kleine Ueberwindung, nichts<span class="pagenum"><a id="Seite_258"></a>[258]</span> -zu verraten. Hätten wir alles erzählen dürfen, -wie würde man uns bewundert haben! Aber viel -heldenhafter war es doch noch, Stillschweigen zu -bewahren. Unter Millionen Jungen hätte man nicht -zwei finden können, die das fertig brachten. Davon -war Tom wenigstens überzeugt und schließlich mußte -er es doch am besten wissen.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="detektiv09">Neuntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>In den nächsten zwei oder drei Tagen ging -der Taubstumme bei den Nachbarn aus und ein -und war bald allgemein beliebt. Jeder war stolz, -mit einer so merkwürdigen Persönlichkeit zu verkehren; -man lud ihn zum Frühstück, zu Mittag und zum -Abendessen ein, bewirtete ihn aufs beste und wurde -nicht müde, ihn anzustarren. Gern hätten die Leute -mehr über ihn erfahren, aber seine Zeichen verstanden -sie nicht – er wußte wohl selbst nicht, was sie bedeuteten. -Seine Naturlaute bewunderten sie dagegen -sehr und freuten sich, so oft er sie hören ließ. Auch -reichte er eine Tafel herum nebst Schieferstift, damit<span class="pagenum"><a id="Seite_259"></a>[259]</span> -man Fragen an ihn stellen könne; die Antworten, -die er aufschrieb, konnte aber niemand lesen, außer -Brace Dunlap, dem es freilich auch Mühe machte; -doch fand er häufig wenigstens den Sinn heraus. -Er sagte, der Taubstumme käme von weit her und -habe früher im Wohlstand gelebt, dann sei er Schwindlern -in die Hände gefallen, die sein Vertrauen -mißbraucht hätten. Jetzt sei er arm und wüßte -nicht, wie er sein Brot erwerben solle.</p> - -<p>Man lobte Brace allgemein, daß er sich des -Fremden so hilfreich annahm. Er hatte ihm ein -kleines Blockhaus zur Wohnung angewiesen, seine -Neger mußten es in Ordnung halten und ihm zu -essen bringen so viel er wollte.</p> - -<p>Auch in unser Haus kam der Taubstumme -öfters, weil es Onkel Silas Trost gewährte, einen -Menschen zu sehen, der auch von Trübsal heimgesucht -war wie er. Tom und ich thaten, als hätten wir -ihn noch nie erblickt, und auch er stellte sich uns -gegenüber ganz fremd. Der Familienkummer wurde -in seiner Gegenwart ohne Scheu besprochen, was ja -im Grunde nichts schadete. Gewöhnlich schien er -gar nicht acht darauf zu geben, aber manchmal that -er es doch.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_260"></a>[260]</span></p> - -<p>Als drei Tage vergangen waren, fingen die -Nachbarn an, sich über Jupiter Dunlaps Ausbleiben -zu beunruhigen. Einer fragte den andern, wo er -wohl hingeraten sein könne; man schüttelte den Kopf -und fand es höchst seltsam und unerklärlich. Abermals -verstrichen ein paar Tage; da entstand ein -Gerücht, daß er vielleicht ermordet wäre. Das -machte natürlich großes Aufsehen und ein endloses -Gerede. Am Samstag zogen die Leute truppweise -in den Wald, um die Leiche aufzustöbern. Tom -und ich gingen auch mit und halfen suchen. Tom -konnte vor Aufregung tagelang weder essen noch -schlafen und glühte vor Eifer, weil er meinte, wenn -wir den Leichnam fänden, würden wir berühmt -werden und unser Name in aller Munde sein.</p> - -<p>Die andern bekamen es zuletzt satt und gaben -das Suchen auf. Aber Tom Sawyer dachte nicht -daran, er war unermüdlich. Die ganze Nacht schloß -er kein Auge, er sann über einen Plan nach und -als der Morgen dämmerte, war ihm ein Licht aufgegangen. -In größter Hast kam er und holte mich -aus dem Bette.</p> - -<p>»Rasch Huck, wirf deine Kleider über,« rief -er, »ich hab’s! Wir brauchen einen Schweißhund.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_261"></a>[261]</span></p> - -<p>Zwei Minuten später liefen wir im Dunkeln -am Fluß entlang nach dem Dorfe zu. Der alte -Schmied Jeff Hooker hatte einen Hund, den wollte -sich Tom von ihm borgen.</p> - -<p>»Die Spur ist zu alt,« sagte ich, »und geregnet -hat es auch.«</p> - -<p>»Das schadet nichts, Huck. Wenn der Leichnam -irgendwo im Walde steckt, findet ihn der Hund -gewiß. Er wird es schon wittern, an welcher Stelle -man den Ermordeten verscharrt hat. Auch auf die -Spur des Mörders wird er uns helfen, und wenn -wir die erst haben, verfolgen wir sie ohne Unterlaß, -bis wir den Kerl fangen. Dann werden wir berühmt, -so wahr ich lebe.«</p> - -<p>»Na, laß uns nur erst die Leiche finden,« -sagte ich, um sein Feuer etwas zu dämpfen, »daran -werden wir wohl für heute genug haben. Wer -weiß, ob überhaupt eine da ist; vielleicht ist der -faule Jupiter einfach durchgebrannt und gar nicht -ermordet worden.«</p> - -<p>Doch davon wollte Tom nichts hören. »Wie -kannst du nur so reden, Huck, das ist ganz abscheulich. -Schämst du dich nicht, ein solcher Spielverderber -zu sein, wenn wir gerade die beste Gelegenheit<span class="pagenum"><a id="Seite_262"></a>[262]</span> -haben uns auszuzeichnen und unsern Ruhm zu begründen.«</p> - -<p>»Ach was, ich nehme alles zurück; mache es -nur ganz wie du willst, Tom. Ob Jupiter tot ist -oder lebendig, kümmert mich im Grunde wenig.«</p> - -<p>Bald war Tom wieder Feuer und Flamme -für das Unternehmen, bis wir vor die Schmiede -des alten Jeff Hooker kamen, der seine Begeisterung -gewaltig abkühlte.</p> - -<p>»Den Hund könnt ihr haben,« sagte er, »aber -ihr werdet keinen Leichnam finden, weil keiner da -ist. Die Leute haben ganz recht, daß sie nicht weiter -suchen. Sobald sie anfingen nachzudenken, mußte -sich eben jeder sagen, daß von einem Mord gar -keine Rede kein kann. Ich will euch auch sagen weshalb: -Wenn jemand einen Menschen umbringt, thut -er es doch nicht ganz ohne Grund, das werdet ihr -mir zugeben. Na, und warum sollte man wohl dem -Jupiter Dunlap, diesem Schafskopf, nach dem Leben -trachten? Etwa aus Rache? Meint ihr, daß irgend -jemand einen Groll gegen solchen Menschen hat?«</p> - -<p>Tom fand kein Wort der Erwiderung; von -diesem Gesichtspunkt aus hatte er sich die Sache -noch nicht überlegt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_263"></a>[263]</span></p> - -<p>»Oder glaubt ihr, man hätte ihn berauben -wollen? Haha! Das wird’s wohl sein. Die Hosenschnallen -hat man ihm gestohlen und deshalb – –«</p> - -<p>Der Alte wollte sich vor Lachen ausschütten; -er mußte sich die Seiten halten, um nicht zu bersten. -Tom machte ein ganz verblüfftes Gesicht; ich sah’s -ihm an, daß er sich meilenweit weg wünschte, während -Jeff Hooker von neuem anhub: »Wer irgend -Grütze im Kopf hat, mußte sich’s ja gleich sagen, -daß der Faulpelz nur ausgekniffen ist, weil er nach -seiner schweren Arbeit eine Weile herumbummeln -wollte. Paßt auf, nach ein paar Wochen kommt -er wieder und lacht sich ins Fäustchen. – Wenn -du aber nach seinem Leichnam suchen willst, Tom, -so nimm den Hund und thu’s, ich werd’ dich nicht -hindern.«</p> - -<p>Tom war zu weit gegangen, er konnte nicht -mehr zurück. »Na, also, macht ihn nur von der -Kette los,« sagte er. Der Alte that es und sah -uns lachend nach, während wir beschämt abzogen.</p> - -<p>Der Hund kannte uns, wedelte mit dem Schwanz -und sprang mit lustigen Sätzen vor uns her, im -Genuß seiner Freiheit. Aber Tom verzog keine -Miene, er war tief gekränkt, daß der alte Hooker<span class="pagenum"><a id="Seite_264"></a>[264]</span> -ihn lächerlich gemacht hatte, und verwünschte das -ganze Abenteuer.</p> - -<p>In düsterm Schweigen schlichen wir durch die -Hintergassen heim. Als wir eben um die Ecke -unseres Tabakfeldes bogen, stieß der Hund ein klägliches -Geheul aus. Wir eilten herzu und sahen, -wie er mit aller Macht die Erde aufwühlte und -dann und wann den Kopf laut heulend zur Seite -wandte.</p> - -<p>In dem vom Regen durchweichten Boden ließ -sich deutlich ein eingesunkenes längliches Viereck erkennen, -das aussah wie ein Grab. Stumm standen -wir da und sahen einander an. Der Hund hatte -kaum ein paar Zoll tief gegraben, als er einen -Gegenstand zu packen bekam und ihn herauszerrte; -es war ein Männerarm, der im Aermel steckte.</p> - -<p>»Komm fort, Huck,« stieß Tom keuchend heraus, -»die Leiche ist gefunden.«</p> - -<p>Mich durchrieselte es kalt. Rasch liefen wir nach -der Landstraße und holten die ersten besten Leute, -die uns begegneten. Sie nahmen einen Spaten mit -und gruben den Leichnam aus. Nein, war das eine -Aufregung! Sein Gesicht konnte man nicht mehr erkennen, -aber das war auch nicht nötig. Alle riefen:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_265"></a>[265]</span></p> - -<p>»Der arme Jupiter; das sind die Kleider, die -er zuletzt getragen hat.«</p> - -<p>Ein paar Männer eilten ins Dorf, um die -Nachricht zu verbreiten und dem Friedensrichter Anzeige -zu machen, damit die Totenschau gehalten -werden könnte. Auch Tom und ich liefen spornstreichs -nach Hause; ganz atemlos kamen wir zu -Onkel Silas, Tante Sally und Benny hereingestürzt -und Tom rief:</p> - -<p>»Wir zwei, ich und Huck, haben ganz allein -mit einem Schweißhund Jupiter Dunlaps Leiche -gefunden. Alle hatten es aufgegeben; ohne uns hätte -man sie niemals entdeckt. Er ist doch ermordet -worden, mit einem Knüttel hat man ihn totgeschlagen; -aber ich will den Mörder schon finden, er soll mir -nicht entgehen, so wahr ich Tom heiße.«</p> - -<p>Tante Sally und Benny sprangen bleich und -erschrocken auf, aber Onkel Silas fiel vorn über -vom Stuhl auf den Boden und rief ächzend: »Gott -erbarme sich meiner – <em class="gesperrt">du hast ihn schon gefunden</em>!« –</p> -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_266"></a>[266]</span></p> - -<h3 class="nobreak" id="detektiv10">Zehntes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Bei diesen gräßlichen Worten standen wir wie -zu Stein erstarrt und konnten wohl eine Minute -lang kein Glied rühren. Sobald wir uns etwas -von dem Schreck erholt hatten, hoben wir den alten -Mann auf und setzten ihn wieder in seinen Stuhl; -er ließ sich von Benny streicheln und küssen, auch -die arme Tante versuchte ihn zu beruhigen. Doch -waren sie beide so verwirrt und außer sich, daß sie -kaum wußten, was sie thaten. Am allerunglücklichsten -war aber Tom selbst. Daß er seinen Onkel vielleicht -ins Verderben gestürzt hatte, war ihm fürchterlich. -Hätte er nicht solchen Ehrgeiz gehabt, berühmt zu -werden und hätte das Suchen nach der Leiche aufgegeben, -wie die andern Leute, so wäre es ja am -Ende nie herausgekommen. Doch nicht lange, da -besann er sich und änderte seine Gedanken:</p> - -<p>»Sag’ das nicht noch einmal, Onkel Silas; -solche Reden sind gefährlich und es ist auch kein -Körnchen Wahrheit daran,« versicherte er mit Bestimmtheit.</p> - -<p>Tante Sally und Benny atmeten erleichtert auf<span class="pagenum"><a id="Seite_267"></a>[267]</span> -bei diesen Worten; aber der Onkel schüttelte traurig -den Kopf.</p> - -<p>»Nein, nein – ich hab’s gethan – der arme -Jupiter – ich hab’s gethan!« – sagte er im Ton -der Verzweiflung, während ihm die Thränen über -die Backen liefen. Es war schrecklich mit anzuhören.</p> - -<p>Dann erzählte er weiter, es sei an dem Tage -geschehen, als Tom und ich ankamen, bei Sonnenuntergang. -Jupiter hatte ihn gequält und geärgert, -bis ihn der Zorn übermannte und er ihm mit seinem -Stock über den Kopf schlug, daß er zu Boden stürzte. -Sofort bereute er seine Hitze; er kniete neben Jupiter -hin, hob ihm den Kopf auf und bat, er solle doch -sprechen und sagen, daß er nicht tot sei. Der kam -auch bald wieder zu sich; doch als er sah, wer ihm -den Kopf hielt, sprang er, wie zu Tode erschrocken, -auf, war mit einem Satz über den Zaun, lief nach -dem Walde zu und verschwand. Da hoffte Onkel -natürlich, er hätte ihm keinen Schaden gethan.</p> - -<p>»Aber ach,« fuhr er fort, »nur die Furcht -hatte ihm dies letzte Fünkchen Lebenskraft eingeflößt, -das rasch erlosch; im Gebüsch ist er dann zusammengebrochen, -wo ihm niemand beistehen konnte, und -ist gestorben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_268"></a>[268]</span></p> - -<p>Der alte Mann jammerte und weinte, er sagte, -er sei ein Mörder, er trüge das Kainszeichen und -brächte seine Familie in Schande und Schmach. -Seine Missethat würde entdeckt werden und ihn an -den Galgen bringen.</p> - -<p>»Davon ist gar keine Rede,« sagte Tom. »Du -hast ihn gar nicht umgebracht. Ein einziger Schlag -ist nicht gleich tödlich. Den Mord hat ein anderer -begangen.«</p> - -<p>»Nein, ich habe es gethan, sonst niemand. Wer -hätte auch außer mir etwas gegen ihn haben sollen?«</p> - -<p>Er sah uns an als hoffte er, wir würden jemand -nennen können, der dem harmlosen Menschen -grollte; allein das war vergebens, wir mußten alle -verstummen. Als er das sah, überfiel ihn die Trauer -von neuem; seine jammervolle Miene war zum -erbarmen.</p> - -<p>»Aber halt,« rief Tom plötzlich, »jemand muß -ihn doch begraben haben. Wer kann das denn –«</p> - -<p>Weiter kam er nicht. Ich wußte wohl warum, -und es überlief mich kalt. Hatten wir doch beide -Onkel Silas in jener Nacht mit der langen Schaufel -über der Schulter gesehen. Auch Benny mußte ihn -bemerkt haben; sie hatte einmal etwas davon erwähnt.<span class="pagenum"><a id="Seite_269"></a>[269]</span> -Tom war nun eifrig bemüht, Onkel zu überreden, -daß er sich nicht verraten solle; wir andern stimmten -ihm bei und sagten, wenn Onkel schwiege, würde -man es nie erfahren und er dürfe sich nicht selbst -anklagen, weil es uns allen das Herz brechen würde, -wenn ihm ein Leid geschähe. Es würde niemand -Nutzen bringen und die Seinigen nur unglücklich -machen. Zuletzt versprach er es denn auch und -wir suchten ihn nun nach Kräften zu trösten und -aufzuheitern. Ueber der ganzen Sache würde bald -Gras wachsen, sagten wir, und kein Mensch würde -mehr daran denken. Gegen Onkel Silas Verdacht -zu schöpfen könne niemand auch nur im Traum einfallen; -er stehe in viel zu gutem Ruf und sei so -lieb und freundlich gegen jedermann.</p> - -<p>»Ueberlegt es doch nur,« sagte Tom mit großem -Nachdruck, »es liegt ja auf der Hand: Seit so und -so vielen Jahren ist Onkel Silas hier Prediger gewesen -ohne einen Pfennig Gehalt; alles mögliche -Gute hat er gethan, von Alt und Jung wird er -geliebt und geachtet. Wie sollte er, der friedliebendste -Mensch von der Welt, der sich nie in fremde Angelegenheiten -gemischt hat, dazu kommen, sich thätlich -an jemand zu vergreifen? Es kann gar kein Argwohn<span class="pagenum"><a id="Seite_270"></a>[270]</span> -gegen ihn entstehen; das ist ebenso gut ein Ding -der Unmöglichkeit wie – –«</p> - -<p>»Im Namen und Auftrag des Staates Arkansas -verhafte ich Euch als den Mörder des Jupiter -Dunlap,« rief in diesem Augenblick der Sheriff an -der Thür.</p> - -<p>Es war furchtbar. Tante Sally und Benny -klammerten sich weinend und schreiend an Onkel -Silas und wollten ihn nicht fortlassen; auch die -Neger liefen heulend herbei, es war ein herzzerreißender -Auftritt und ich machte, daß ich zum Haus -hinauskam.</p> - -<p>Als er nach dem kleinen Dorfgefängnis geführt -wurde, begleiteten wir ihn alle, um ihm Lebewohl -zu sagen. Tom hatte schon einen Plan fix und fertig -im Kopf, wie wir ihn in einer dunkeln Nacht -heldenmütig befreien wollten. Aber als er gegen -Onkel etwas davon verlauten ließ, kam er übel an. -Der arme Alte meinte, es sei seine Pflicht, zu dulden, -was das Gesetz über ihn verhänge; selbst wenn die -Thür des Gefängnisses offen stünde, würde er von -dort nicht wanken und weichen. Natürlich war Tom -sehr enttäuscht, doch mußte er sich drein ergeben. -Den Gedanken, seinen Onkel zu befreien, gab er aber<span class="pagenum"><a id="Seite_271"></a>[271]</span> -deshalb noch lange nicht auf; er betrachtete das als -seine Schuldigkeit, denn er fühlte sich gewissermaßen -verantwortlich für ihn.</p> - -<p>Er versprach auch Tante Sally, daß er Tag -und Nacht nicht ruhen würde, bis er Onkels Unschuld -ans Licht gebracht hätte, sie solle sich nur keinen -Kummer machen. Tante umarmte ihn zärtlich, dankte -ihm und sagte, sie sei überzeugt, er werde alles thun, -was in seinen Kräften stehe. Dann bat sie uns -noch, wir möchten Benny helfen das Haus und die -Kinder zu versorgen, und nachdem wir mit Thränen -von ihr Abschied genommen hatten, kehrten wir nach -der Farm zurück. Tante wollte bei der Frau des -Gefängniswärters wohnen bleiben, bis im Oktober -die Gerichtsverhandlung stattfand.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<h3 class="nobreak" id="detektiv11">Elftes Kapitel.</h3> -</div> - -<p>Der nächste Monat war für uns alle sehr -traurig. Die arme Benny nahm sich zusammen, so -gut sie konnte; auch Tom und ich trugen unser -möglichstes zur allgemeinen Aufheiterung bei, aber<span class="pagenum"><a id="Seite_272"></a>[272]</span> -das half wenig. Wir besuchten die alten Leute jeden -Tag, was furchtbar trübselig war. Onkel Silas -hatte meist schlaflose Nächte oder er wandelte im -Schlaf; sein Aussehen war erbärmlich, auch nahm -er körperlich und geistig so sehr ab, daß wir alle -fürchteten, er würde vor Kummer krank werden und -sterben.</p> - -<p>Wenn wir ihm Mut zusprachen, schüttelte er -nur den Kopf und meinte, wir wüßten nicht, welche -Last es wäre, einen Mord auf der Seele zu tragen, -sonst würden wir anders reden. Wie oft wir ihm -auch wiederholten, daß es kein Mord, sondern fahrlässiger -Todschlag wäre, er ließ sich nicht davon -abbringen. Ja, als der Tag der Verhandlung näher -rückte, war er ganz bereit einzugestehen, er habe den -Mann mit Vorbedacht getötet. Das verschlimmerte -die Sache natürlich hundertfach; Tante Sally und -Benny verzehrten sich fast vor Angst. Doch nahmen -wir Onkel das Versprechen ab, daß er im Beisein -anderer keine Silbe von dem Mord sagen wolle und -das war wenigstens ein Trost.</p> - -<p>Den ganzen Monat über zerbrach sich Tom -den Kopf, um einen Ausweg zu finden. Viele Nächte -mußte ich mit ihm aufbleiben und Pläne schmieden,<span class="pagenum"><a id="Seite_273"></a>[273]</span> -aber wir arbeiteten uns nur unnütz ab, es führte -alles zu nichts. Ich war zuletzt so mutlos und -niedergeschlagen, daß ich Tom riet es aufzugeben; doch -er war anderer Meinung und ließ nicht nach, sich -mit immer neuen Entwürfen das Hirn zu zermartern.</p> - -<p>So kam Mitte Oktober der Tag der Gerichtsverhandlung. -Wir waren alle da und der Saal -natürlich gedrängt voll. Der arme alte Onkel Silas -sah selbst fast aus wie ein Toter, so hohläugig, abgezehrt -und jämmerlich. Benny und Tante Sally saßen -ihm rechts und links zur Seite, tief verschleiert und -gramerfüllt. Aber Tom saß bei unserm Verteidiger -und redete in alles mit herein; der Anwalt ließ ihn -gewähren und der Richter auch. Manchmal hielt -er’s für besser, dem Verteidiger die Sache ganz aus -der Hand zu nehmen, denn der war nur ein Winkeladvokat -und verstand so gut wie gar nichts.</p> - -<p>Die Vereidigung der Geschworenen war vorüber -und der öffentliche Ankläger hielt seine Rede. -Er sagte so schreckliche Dinge von Onkel Silas, daß -Tante Sally und Benny zu weinen anfingen. Was -er über den Mord berichtete, nahm uns fast den -Atem, es war so ganz anders als Onkels Erzählung. -Er sagte, er werde beweisen, daß zwei zuverlässige<span class="pagenum"><a id="Seite_274"></a>[274]</span> -Zeugen gesehen hätten, wie Onkel Silas den Jupiter -Dunlap umgebracht habe. Es sei mit Vorbedacht -geschehen, denn er habe gerufen, er wolle ihn kalt -machen, während er mit dem Knüttel zuschlug, dann -habe er Jupiter ins Gebüsch geschleppt, der sei aber -schon ganz tot gewesen. Später sei Onkel Silas -wiedergekommen und habe die Leiche ins Tabakfeld -geschafft, was zwei Männer bezeugen könnten. In -der Nacht habe er sie dann begraben und sei auch -dabei von jemand beobachtet worden.</p> - -<p>Ich sagte mir, der arme alte Onkel müsse uns -belogen haben, weil er sich darauf verließ, daß ihn -niemand gesehen hätte und er Tante Sally und -Benny nicht das Herz brechen wollte. Daran hatte -er ganz recht gethan; jeder, der nur das geringste -Gefühl im Leibe hatte, würde auch gelogen haben, -um den beiden, die doch gar nichts dafür konnten, -Kummer und Herzeleid zu ersparen. Unser Verteidiger -machte ein bedenkliches Gesicht und auch Tom war -einen Augenblick wie auf den Mund geschlagen, doch -nahm er sich rasch wieder zusammen und that ganz -zuversichtlich – aber es war ihm schlecht dabei zu -Mute, das weiß ich. Unter den Zuhörern entstand -eine furchtbare Aufregung während der Rede.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_275"></a>[275]</span></p> - -<p>Als der Ankläger fertig war, setzte er sich -und die Zeugen wurden aufgerufen. Zuerst kamen -mehrere um zu beweisen, daß Onkel Silas dem -Ermordeten feindlich gesinnt gewesen war. Sie sagten, -sie hätten ihn öfters Drohungen gegen Jupiter ausstoßen -hören; es sei zuletzt so schlimm geworden, -daß alle Welt darüber gesprochen habe. Der Ermordete, -dem um sein Leben bangte, habe gegen -mehrere von ihnen geäußert, Onkel Silas würde -ihn gewiß noch einmal umbringen.</p> - -<p>Das Kreuzverhör, das Tom und unser Verteidiger -mit diesen Zeugen anstellten, nützte nichts; -sie beharrten bei ihrer Aussage.</p> - -<p>Zunächst betrat Lem Beebe den Zeugenstand. -Das rief mir den Tag unserer Ankunft ins Gedächtnis, -wie Lem mit Jim Lane an uns vorbeigegangen -war und gesagt hatte, er wollte sich einen Hund -von Jupiter Dunlap borgen. Alles zog wieder an -meiner Erinnerung vorüber: Bill und Hans Withers, -die von einem Neger redeten, der Onkel Silas Korn -gestohlen hatte, und unser Geist, der aus dem Ahornwäldchen -kam und uns so erschreckte. Der saß jetzt -leibhaftig vor mir und nahm als Taubstummer und -Fremder obendrein einen besondern Stuhl innerhalb<span class="pagenum"><a id="Seite_276"></a>[276]</span> -der Schranken ein; da konnte er gemütlich die Beine -übereinander schlagen, während die übrigen Zuhörer -so zusammengepfercht waren, daß sie kaum Platz -zum Atemholen hatten.</p> - -<p>Lem Beebe leistete den Eid und begann: »Am -zweiten September gegen Sonnenuntergang ging ich -mit Jim Lane am Zaun des Angeklagten vorbei. -Da hörten wir lautes Reden und Streiten, ganz in -unserer Nähe, nur das Haselgebüsch war dazwischen. -Wir erkannten die Stimme des Angeklagten, welche -rief: ›Ich hab’ dir’s oft gesagt, ich bringe dich noch -um!‹ dann sahen wir einen Knüttel, der hoch emporgehoben -wurde und wieder hinter dem Gebüsch verschwand; -wir hörten einen dumpfen Schlag und -gleich darauf ein Aechzen. Nun krochen wir leise -näher und als wir durch den Zaun guckten, sahen -wir Jupiter Dunlap tot am Boden liegen und neben -ihm stand der Angeklagte mit dem Knüttel in der -Hand. Er schleppte die Leiche fort, um sie zu verbergen; -wir aber duckten uns, damit wir nicht gesehen -würden und machten, daß wir wegkamen.«</p> - -<p>Es war schrecklich. Den Zuhörern erstarrte -fast das Blut in den Adern und im ganzen Saal -herrschte lautlose Stille. Erst als der Zeuge fertig<span class="pagenum"><a id="Seite_277"></a>[277]</span> -war, hörte man die Leute seufzen und stöhnen und -sie sahen einander mit entsetzten Mienen an.</p> - -<p>Am meisten mußte ich mich aber über Tom -verwundern. Bei den ersten Zeugen hatte er aufgepaßt -wie ein Schweißhund und sobald einer mit -seiner Aussage zu Ende war, fuhr er drauf los und -that alles, was er konnte, um ihn auf Unwahrheiten -zu ertappen und sein Zeugnis zu entkräften. Auch -jetzt, als Lem anfing und nichts davon sagte, daß -er mit Jupiter gesprochen hatte und sich seinen Hund -borgen wollte, glühte Tom vor Eifer und ich merkte, -wie er nur darauf lauerte, Lem ins Kreuzverhör -zu nehmen. Dann dachte ich, würden wir beide -als Zeugen auftreten und erzählen, was wir aus -Lems eigenem Munde gehört hatten. Ich sah wieder -zu Tom hin, aber der war auf einmal wie ausgewechselt. -Er hörte gar nicht mehr auf das, was -Lem sagte, sondern saß ganz in sich versunken da, -als schweiften seine Gedanken in weiter, weiter Ferne. -Als Lem fertig war, stieß unser Verteidiger Tom -mit dem Ellenbogen an; einen Augenblick sah er -verwirrt auf und meinte: »Nehmen Sie den Zeugen -ins Verhör, wenn Sie wollen; aber mich lassen Sie -in Ruhe – ich muß nachdenken.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_278"></a>[278]</span></p> - -<p>Na, da hörte doch alles auf; es ging über -meine Begriffe. Ich sah auch wie Benny und ihre -Mutter den Schleier zurückschoben und mit angstvoller -Miene nach Tom hinschauten, um seinem Blick -zu begegnen, aber sie bemühten sich vergebens, er -starrte immer nur auf einen Fleck. Der Winkeladvokat -nahm zwar den Zeugen vor, brachte aber -nichts heraus und verdarb die Geschichte noch vollends.</p> - -<p>Dann wurde Jim Lane aufgerufen; er erzählte -den Vorgang genau ebenso. Tom aber gab gar -nicht acht; er saß noch immer in tiefen Gedanken -da und merkte nicht, was um ihn her vorging. -Der Verteidiger mußte wieder ganz allein fragen, -und auch das Ergebnis war das gleiche. Nun -schaute der öffentliche Ankläger sehr befriedigt drein, -aber der Richter machte ein verdrießliches Gesicht, -denn Tom versah fast die Stelle eines richtigen Advokaten. -In Arkansas durfte der Angeklagte nämlich -nach dem Gesetz wen er wollte, zum Beistand seines -Verteidigers wählen. Tom hatte Onkel Silas überredet, -ihm den Fall anzuvertrauen, und nun that -er nichts zur Sache, was dem Richter natürlich -unangenehm war.</p> - -<p>Schließlich fragte der Verteidiger Lem und Jim:<span class="pagenum"><a id="Seite_279"></a>[279]</span> -»Warum habt ihr nicht gleich angezeigt, was ihr -gesehen hattet?«</p> - -<p>»Wir fürchteten, selbst in die Sache verwickelt -zu werden,« lautete die Antwort. »Als wir aber -hörten, daß nach dem Leichnam gesucht wurde, sind -wir gleich zu Brace Dunlap gegangen und haben -ihm alles erzählt.«</p> - -<p>»Wann war das?«</p> - -<p>»Samstag abend, den 9. September.«</p> - -<p>Hier ließ sich der Richter vernehmen:</p> - -<p>»Sheriff,« sagte er, »verhaften Sie diese beiden -Zeugen als Hehler des Mordes.«</p> - -<p>»Herr Richter,« rief der Ankläger in großer -Erregung, »ich erhebe Einspruch gegen dieses außergewöhnliche – –«</p> - -<p>»Setzen Sie sich,« erwiderte der Richter und -legte sein Dolchmesser vor sich auf den Tisch. »Ich -bitte, daß Sie dem Gerichtshof die schuldige Achtung -erweisen.«</p> - -<p>Der nächste Zeuge war Bill Withers.</p> - -<p>Nach seiner Vereidigung sagte er aus: »Ich -kam am Samstag den 2. September gegen Sonnenuntergang -mit meinem Bruder Hans am Feld des -Gefangenen vorbei, da sahen wir einen Mann, der<span class="pagenum"><a id="Seite_280"></a>[280]</span> -eine schwere Last auf dem Rücken trug. Wir konnten -ihn nur undeutlich sehen, aber es schien, als schleppe -er einen Menschen, dessen Glieder so schlaff herabhingen, -daß wir meinten, er müsse wohl betrunken -sein. Nach dem Gang des Mannes zu urteilen, -war es Pastor Silas und wir dachten, er hätte -vielleicht den Trunkenbold Sam Cooper, den er schon -lange zu bessern versucht, im Straßengraben gefunden -und schaffte ihn nun nach Hause.«</p> - -<p>Den Leuten grauste, als sie sich vorstellten, wie -der alte Onkel Silas den Ermordeten in seine Tabakpflanzung -geschleppt hatte, wo der Hund hernach -die Leiche aufwühlte. Viel Mitgefühl war aber -nicht in den Gesichtern zu lesen, und einer sagte zu -seinem Nachbar: »Schauderhaft, den Toten so -herumzutragen und dann im Boden zu verscharren, -wie das erste beste Tier – und so was kann ein -Pastor thun!«</p> - -<p>Auch diesen Zeugen mußte der Verteidiger allein -vornehmen; Tom war wie blind und taub, er rührte -sich nicht.</p> - -<p>Nach Bill kam Hans Withers und wiederholte -alles, was sein Bruder gesagt hatte.</p> - -<p>Dann wurde Brace Dunlap aufgerufen. Der<span class="pagenum"><a id="Seite_281"></a>[281]</span> -sah so kummervoll aus, als ob ihm das Weinen -nahe wäre. Im Saal entstand eine große Bewegung; -alle horchten auf, um ja kein Wort zu verlieren; -die Weiber flüsterten: »Der arme Mensch!« und -viele sah man sich die Augen trocknen.</p> - -<p>Brace Dunlap leistete den Eid, dann sagte er:</p> - -<p>»Ich war schon lange in Sorge um meinen -armen Bruder, doch hoffte ich immer noch, die -Sachen stünden nicht so schlimm wie er sie schilderte. -Wie hätte ich auch denken sollen, daß es irgend -jemand übers Herz bringen würde, einem so harmlosen -Geschöpf ein Leid anzuthun. Und daß gar -der Pastor ihm nach dem Leben trachtete, konnte -mir gar nicht in den Sinn kommen. Aber nie, -nie werde ich mir vergeben, daß ich der Sache nicht -gleich ein Ende gemacht habe; hätte ich das gethan, -so wäre mein armer unschuldiger Bruder heute noch -am Leben, und nun liegt er dort drüben – grausam -ermordet.« Die Rührung übermannte ihn; er mußte -eine Weile warten, weil ihm die Stimme versagte. -Von allen Seiten wurden teilnahmvolle Worte laut -und die Weiber weinten. Dann entstand eine feierliche -Stille; nur der arme alte Onkel Silas stöhnte aus -tiefster Brust, so daß es jedermann hörte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_282"></a>[282]</span></p> - -<p>Brace fuhr fort: »Samstag den 2. September -kam er nicht zum Nachtessen heim. Als es spät -wurde, schickte ich einen meiner Neger nach der -Wohnung des Angeklagten; aber dort war mein -Bruder nicht. Meine Unruhe wuchs; zwar legte -ich mich zu Bette, aber an Schlaf war nicht zu -denken. In der Nacht stand ich noch einmal auf, -ging nach dem Hause des Angeklagten und irrte da -lange umher in der Hoffnung, meinen armen Bruder -zu treffen. Ach, ich wußte ja nicht, daß er schon -aus aller Not in ein besseres Jenseits entrückt war.« -Wieder versagte ihm die Stimme und man hörte -die Weiber schluchzen. Bald nahm Brace einen -neuen Anlauf: »Das Warten war vergebens. Ich -ging heim und legte mich nieder. Ein paar Tage -später gerieten die Nachbarn auch in Sorge und -fingen an, von den Drohungen zu reden, die der -Angeklagte ausgestoßen hatte. Ihre Ansicht, daß -mein Bruder ermordet sei, teilte ich nicht; aber das -Gerücht verbreitete sich, man fing an, nach der Leiche -zu suchen. Ich war der Meinung, mein Bruder -habe sich irgendwohin geflüchtet, um etwas Ruhe zu -haben und er werde über kurz oder lang zurückkehren. -Da kamen am Samstag den 9. Lem Beebe und<span class="pagenum"><a id="Seite_283"></a>[283]</span> -Jim Lane noch spät abends zu mir und erzählten mir -alles – so erfuhr ich den gräßlichen Mord, der -mir fast das Herz brach. Zugleich erinnerte ich -mich an einen Umstand, auf den ich vorher kein -großes Gewicht legte, weil ich gehört hatte, der Angeklagte -sei ein Nachtwandler und thue im Schlaf -allerlei, wovon er kein Bewußtsein habe. In jener -schrecklichen Nacht, am Samstag nämlich, als ich -voll Sorge und Kummer umherirrte, kam ich auch -an die Tabakpflanzung des Angeklagten und hörte -ein Geräusch, als ob der Boden aufgegraben würde. -Ich schlich näher und sah durch die Hecke einen -Mann, der Erde in ein Loch schaufelte, das schon -fast zugefüllt war. Er stand mit dem Rücken nach -mir, aber im Mondlicht erkannte ich den Angeklagten -an seinem alten grünen Arbeitskittel mit dem weißen -Flicken zwischen den Schultern, der aussieht, als -hätte ihn jemand mit einem Schneeball geworfen. -Er war gerade beschäftigt, den Mann, <em class="gesperrt">den er erschlagen -hatte, im Boden zu verscharren</em>.«</p> - -<p>Weinend und schluchzend sank Brace auf seinen -Stuhl nieder und durch den ganzen Saal ging ein -Klagegestöhn. »Wie schauderhaft, wie gräßlich!« -klang es von allen Seiten; die Unruhe nahm mit<span class="pagenum"><a id="Seite_284"></a>[284]</span> -jeder Minute zu. Da auf einmal erhob sich der -alte Onkel Silas; er sah so weiß aus, wie ein Tuch -und rief:</p> - -<p>»<em class="gesperrt">Es ist alles buchstäblich wahr – ich -habe ihn mit kaltem Blute umgebracht!</em>«</p> - -<p>Die Leute waren erst starr vor Schrecken, dann -entstand ein wilder Lärm. Jeder sprang von seinem -Sitze auf und reckte den Hals, um besser sehen zu -können. Der Richter schlug mit dem Hammer auf -den Tisch und der Sheriff kreischte: »Ruhe und -Ordnung im Gerichtssaal – Ruhe!«</p> - -<p>Von alledem schien Tom Sawyer nicht das -mindeste zu merken. Wahrhaftig, da saß er, starrte -ins Leere und schaute auch nicht ein einzigesmal -nach Onkel Silas hin.</p> - -<p>Unterdessen stand der alte Mann noch immer -hoch aufgerichtet, mit glühenden Blicken und an allen -Gliedern bebend da. Er wehrte seine Frau und -Tochter ab, die sich an ihn klammerten und flehten, -er solle schweigen. Nein, er <em class="gesperrt">wollte</em> das Verbrechen -nicht mehr auf der Seele haben, er <em class="gesperrt">wollte</em> die -Last abwälzen, unter der er erliegen mußte, keine -Stunde länger wollte er sie tragen. Und während -alle Zuschauer ihn entsetzt anstarrten, während der<span class="pagenum"><a id="Seite_285"></a>[285]</span> -Richter, die Geschworenen, die Anwälte nach Atem -rangen, während Benny und Tante Sally schluchzten, -daß es einen Stein erbarmen konnte, floß dem alten -Mann sein grausiges Bekenntnis über die Lippen, -wie ein Strom, der aus seinen Ufern bricht:</p> - -<p>»Ich habe ihn umgebracht. Ich bin der -Schuldige! Doch hatte ich noch nie im Leben daran -gedacht, ihm Schaden oder Leid zuzufügen, bis zu -dem Augenblick, als ich den Stock erhob. Daß ich -ihm schon früher gedroht haben soll, ist nicht wahr. -Ganz plötzlich ward es mir eiskalt ums Herz, alles -Mitleid war verflogen, ich wollte ihn töten und -schlug zu. In dem Moment kam mir alles zum -Bewußtsein, was ich erlitten hatte, aller Schimpf, -den mir der Mann und sein schurkischer Bruder -dort angethan, die zusammen darauf ausgegangen -waren, mich bei den Leuten in Verruf zu bringen, -mir den guten Namen abzuschneiden und mich solange -zu quälen, bis ich eine That beging, die mich -und die Meinigen ins Verderben stürzte, während -wir ihnen doch, weiß Gott, nie etwas zuleide gethan -hatten. Es war nichts, als gemeine Rache -von ihnen. Und wofür? – Bloß weil meine arme -unschuldige Tochter hier den reichen, frechen und<span class="pagenum"><a id="Seite_286"></a>[286]</span> -feigen Nichtsnutz, den Brace Dunlap, nicht heiraten -wollte, der jetzt solchen Schmerz um seinen Bruder -heuchelt, dem er sein Lebtag nichts Gutes gegönnt -hat. – In jenem Augenblick vergaß ich mein Seelenheil -und dachte nur an meinen bittern Groll – -ich schlug zu, um meinen Feind zu töten – verzeih -mir’s Gott! – Sofort that mir’s von Herzen leid, -mich überfiel die Reue; doch dachte ich an die -Meinigen und um ihretwillen wollte ich meine Missethat -verbergen. Erst schleppte ich die Leiche ins -Gebüsch und später in das Tabakfeld. Im nächtlichen -Dunkel schlich ich mich dorthin und begrub -den Erschlagenen – –«</p> - -<p>Auf einmal schnellte Tom von seinem Sitz in -die Höhe: »Jetzt hab’ ich’s,« rief er triumphierend -und streckte die Hand mit förmlich hoheitsvoller -Gebärde nach dem alten Mann aus.</p> - -<p>»Setz’ dich, Onkel! Es ist zwar ein Mord -verübt worden, aber du bist’s nicht gewesen, der -ihn begangen hat.«</p> - -<p>Im Nu wurde es totenstill im Saal. Der -Alte sank verwirrt auf seinen Stuhl; Tante Sally -und Benny starrten Tom mit offenem Munde an -und auch die übrigen Anwesenden wußten kaum,<span class="pagenum"><a id="Seite_287"></a>[287]</span> -wo ihnen der Kopf stand, vor maßlosem Staunen -und unbeschreiblicher Ueberraschung.</p> - -<p>»Darf ich reden, Herr Präsident?«</p> - -<p>»Um Gottes willen ja – so sprich doch!« rief -der Richter, der seinen Ohren nicht traute.</p> - -<p>Tom stand und wartete noch ein paar Sekunden -– um die Wirkung zu erhöhen, wie er es -nennt – dann begann er mit größter Gelassenheit:</p> - -<p>»Seit etwa zwei Wochen ist hier vorn am Gerichtshause -eine Bekanntmachung angeschlagen, in -der eine Belohnung von 2000 Dollars für Wiedererlangung -von zwei großen Diamanten geboten wird, -die in St. Louis gestohlen worden sind. Die -Diamanten sind zwölftausend Dollars wert. Doch -darauf komme ich später zurück. Jetzt will ich von -dem Mord reden und sagen, wie es dazu kam, wer -ihn begangen hat – und alle Einzelheiten.«</p> - -<p>Nein, wie sie alle die Köpfe vorstreckten und -horchten, damit ihnen kein Wort entginge! –</p> - -<p>»Der Mann hier, der jetzt so um seinen toten -Bruder jammert, für den er, solange er lebte, keinen -Pfifferling gegeben hätte, wie ihr recht wohl wißt – -dieser Brace Dunlap wollte das junge Mädchen -dort heiraten, aber sie nahm ihn nicht. Da drohte<span class="pagenum"><a id="Seite_288"></a>[288]</span> -er Onkel Silas, das sollte ihnen noch allen teuer -zu stehen kommen. Onkel wußte, daß er gegen solchen -Mann nichts auszurichten vermochte; das ängstigte -ihn sehr und er that alles Erdenkliche, um ihn zu -besänftigen und wieder zu versöhnen. Er nahm -sogar seinen nichtsnutzigen Bruder Jupiter als Arbeiter -auf die Farm und sparte sich und den Seinigen -den Lohn, den er ihm zahlte, am eigenen Leibe ab. -Jupiter aber that alles, was sein Bruder nur ersinnen -konnte, um Onkel Silas zu beleidigen, zu -ärgern und zu quälen, damit Onkel sich vom Zorn -fortreißen ließe und so um seinen guten Ruf kam. -Der Plan gelang. Alle wandten sich von Onkel -ab und glaubten den ausgestreuten Verleumdungen. -Das nahm sich der alte Mann so zu Herzen, daß -er vor lauter Kummer und Trübsal oft gar nicht -recht bei Sinnen war.</p> - -<p>»An jenem schrecklichen Samstag nun, kamen -die zwei Zeugen Lem Beebe und Jim Lane an dem -Acker vorüber, wo Onkel Silas und Jupiter bei der -Arbeit waren – so viel von ihrer Aussage ist wahr, -das übrige sind lauter Lügen. Sie haben weder -Onkel Silas sagen hören, daß er Jupiter umbringen -wollte, noch haben sie ihn den Schlag führen sehen.<span class="pagenum"><a id="Seite_289"></a>[289]</span> -Den Leichnam haben sie auch nicht erblickt und ebenso -wenig, daß Onkel etwas im Gebüsch verborgen hat. – -Seht sie nur an, wie sie jetzt dasitzen und wünschen, -sie hätten ihre Zungen besser im Zaum gehalten. -Sie werden noch ganz andere Gesichter machen, wenn -ich alles erst ins reine gebracht habe.</p> - -<p>»An dem nämlichen Samstag abend haben -Bill und Hans Withers gesehen, wie ein Mann -den andern auf der Schulter fortschleppte. Soweit -haben sie die Wahrheit gesprochen, das andere ist -erlogen. Zuerst glaubten sie, ein Neger hätte dem -Onkel Silas Korn gestohlen. – Seht nur, wie verdutzt -sie jetzt dreinschauen, weil sie erfahren, daß -jemand sie das hat sagen hören. Später ist’s ihnen -sonnenklar geworden, wer die Leiche fortgeschafft hat, -und sie wissen recht gut, warum sie hier vor Gericht -geschworen haben, sie hätten Onkel Silas am -Gang erkannt. Er war’s aber doch nicht, und das -wußten die meineidigen Zeugen ebenfalls.</p> - -<p>»Es ist möglich, daß ein Mann beim Mondenschein -gesehen hat, wie der Leichnam in der Tabakpflanzung -vergraben wurde – aber Onkel Silas -hat nichts damit zu thun gehabt. Der lag zu selbiger -Zeit daheim in seinem Bett.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_290"></a>[290]</span></p> - -<p>»Ehe ich weiter erzähle, möchte ich die Anwesenden -noch daran erinnern, daß viele Menschen, -wenn sie tief in Gedanken geraten oder innerlich -erregt sind, die Gewohnheit haben, irgend etwas mit -ihren Händen zu thun, ohne es zu wissen. Sie fassen -sich ans Kinn oder an die Nase, drehen an einem -Knopf oder ihrer Uhrkette, streichen sich übers Haar -oder den Bart. Manche zeichnen sich auch mit dem -Finger ein Bild oder einen Buchstaben ins Gesicht. -Das ist meine Manier. Wenn mich etwas quält oder -ärgert, oder wenn ich recht nachdenke, male ich mir -immerfort ein großes <em class="antiqua">V</em> auf die Backe oder das Kinn -und meistens merke ich selbst gar nichts davon.«</p> - -<p>Komisch! Mir geht das ebenso. Nur mache -ich ein <em class="antiqua">O</em>. Ich sah auch, wie die Leute im Saal -einander anstießen und zunickten, was so viel heißen -sollte, wie: Ja, so ist’s!</p> - -<p>»Am selben Samstag – nein, es war am -Abend vorher –« fuhr Tom fort, »lag ein Dampfboot -an der Landungsbrücke vierzig Meilen flußaufwärts -von hier; es stürmte und regnete, was -nur vom Himmel wollte. An Bord war der Dieb, -der die zwei großen Diamanten gestohlen hatte, von -denen die Bekanntmachung hier am Gerichtshaus<span class="pagenum"><a id="Seite_291"></a>[291]</span> -redet. Er schlich sich mit seinem Reisesack ans Land, -ging in die dunkle Sturmnacht hinaus und hoffte, -diese Stadt mit heiler Haut zu erreichen. Allein -auf dem Dampfboot hielten sich auch zwei seiner -Genossen verborgen, welche, wie er wußte, nur auf -die Gelegenheit lauerten, ihn umzubringen, um die -Diamanten zu bekommen. Die drei Spießgesellen -hatten die Edelsteine nämlich miteinander gestohlen, -jener erste Dieb aber hatte sie eingesteckt und sich -damit aus dem Staube gemacht.</p> - -<p>»Na, er war kaum zehn Minuten fort, als -seine Genossen Lunte rochen. Sie sprangen ans -Land und jagten hinter ihm drein. Wie sie seine -Spur gefunden haben, weiß ich nicht, aber den -ganzen Samstag über blieben sie ihm auf den Fersen -und gaben dabei acht, daß er sie nicht zu Gesicht -bekam. Gegen Sonnenuntergang erreichte er das -Ahornwäldchen bei Onkel Silas’ Tabakpflanzung und -schlich hinein, um die Verkleidung anzulegen, die er -im Reisesack trug und in der er sich den Leuten zeigen -wollte. – Das geschah ungefähr zur selben Zeit, als -Onkel Silas den Jupiter Dunlap mit dem Knüttel -schlug – denn, daß er ihn geschlagen hat, ist richtig.</p> - -<p>»Kaum hatten aber die Verfolger ihren Diebsgenossen<span class="pagenum"><a id="Seite_292"></a>[292]</span> -in das Wäldchen treten sehen, als sie aus -dem Gebüsch sprangen und ihm nachliefen. Ohne -Gnade und Barmherzigkeit fielen sie über ihn her und -schlugen ihn tot, wie laut er auch heulte und schrie.</p> - -<p>»Zwei Männer, die auf der Straße gelaufen -kamen, hatten das Angstgeschrei gehört; sie drangen -in das Wäldchen ein, – das ohnehin ihr Ziel gewesen -war – verjagten die Mörder und verfolgten -sie in atemloser Hast. Aber nur eine Strecke weit; -dann kehrten die zwei Männer verstohlen nach dem -Ahornwäldchen zurück.</p> - -<p>»Was thaten sie aber dort? – Das will ich -euch sagen: Sie fanden den Ermordeten samt dem -Reisesack, der alles enthielt, was zu der Verkleidung -gehörte. Die legte nun einer der Männer an, nachdem -er seine eigenen Kleider ausgezogen hatte.«</p> - -<p>Hier machte Tom eine kleine Pause – natürlich -wegen der Wirkung – dann sagte er mit Nachdruck: -»Der Mann, welcher die Verkleidung des Erschlagenen -anlegte, war – <em class="gesperrt">Jupiter Dunlap</em>!«</p> - -<p>»Gerechter Himmel!« Ein Schrei der Ueberraschung -ging durch den Saal und in Onkel Silas’ -Gesicht spiegelte sich maßloses Erstaunen.</p> - -<p>»Ja, es war Jupiter Dunlap, der folglich nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_293"></a>[293]</span> -tot sein konnte. Er zog dem Ermordeten die Stiefel -aus und vertauschte sie gegen seine eigenen abgetragenen -Schuhe; diese, sowie seine übrigen Sachen -wurden der Leiche angelegt. Jupiter Dunlap blieb -nun wo er war, der andere Mann aber schleppte -den Leichnam im Dämmerlicht nach der Tabakpflanzung; -um Mitternacht schlich er sich dann in -Onkel Silas’ Haus, nahm den grünen Arbeitskittel -von dem Nagel im Gang zwischen dem Haus und -der Küche, wo er immer hängt, zog ihn an, holte -die große Schaufel und ging damit nach dem Feld, -wo er den Toten begrub.«</p> - -<p>Jetzt stand Tom wohl eine Minute schweigend -da. Dann fuhr er fort: »Wer aber glaubt ihr, -daß der Ermordete war? – Kein anderer, als -Jack Dunlap, der längst verschollene Einbrecher!«</p> - -<p>»Gerechter Himmel!«</p> - -<p>»Und der Mann, der ihn begraben hat, war -sein Bruder – Brace Dunlap.«</p> - -<p>»Gerechter Himmel!«</p> - -<p>»Der Fremde dort aber, der jetzt ein so blödsinniges -Gesicht macht und sich seit Wochen gestellt -hat, als ob er taub und stumm wäre, das ist – -Jupiter Dunlap!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_294"></a>[294]</span></p> - -<p>Solches Gebrüll, solcher Wirrwarr wie jetzt -entstand, ist mir all mein Lebtag nicht vorgekommen. -Tom sprang auf Jupiter zu, er riß ihm die Brille -samt dem falschen Bart herunter und siehe, da stand -der Ermordete leibhaftig da und war ganz und gar -nicht tot. Tante Sally und Benny fielen Onkel Silas -um den Hals und erstickten ihn fast mit ihren Küssen -und Liebkosungen, so daß der alte Mann noch erstaunter -und verwirrter dreinschaute, als je zuvor.</p> - -<p>Nun aber fing die ganze Versammlung an zu -schreien: »Tom Sawyer, Tom Sawyer! Er soll -weiter reden! Stille! Stille! Tom Sawyer soll uns -alles berichten!«</p> - -<p>Na, das schmeichelte Tom nicht wenig. Ich -weiß, ihm ist nichts lieber, als wenn er in der -Oeffentlichkeit auftreten und eine Heldenrolle spielen -kann, wie er’s nennt. Als sich der Lärm wieder -gelegt hatte, sagte er:</p> - -<p>»Der Rest ist bald erzählt. Es war dem -Brace Dunlap gelungen, Onkel Silas durch seine -Quälereien so zur Verzweiflung zu bringen, daß -er fast von Sinnen kam und seinem nichtsnutzigen -Bruder den Schlag versetzte. Nun lief Jupiter nach -dem Wald, um sich da zu verstecken, und der Plan<span class="pagenum"><a id="Seite_295"></a>[295]</span> -war vermutlich, daß er bei Nacht außer Landes -gehen sollte. Dann konnte Brace das Gerücht verbreiten, -Onkel Silas habe seinen Bruder umgebracht -und die Leiche irgendwo versteckt. Dadurch war -Onkel zu Grunde gerichtet; er mußte den Ort verlassen, -ja er kam vielleicht an den Galgen. Als die -beiden aber den Toten im Wäldchen fanden – ohne -zu wissen, daß es ihr Bruder war, denn die Mörder -hatten ihn arg zugerichtet – da änderten sie den -Plan. Sie verkleideten alle beide, begruben Jack und -als die Leiche aufgefunden wurde, hatte sie Jupiters -Kleider an. Jim Lane und die andern Zeugen -ließen sich bestechen, ein paar Lügen zu beschwören, -die in Brace Dunlaps Kram paßten. Seht nur, -wie übel ihnen jetzt zu Mute ist – ich hab’s ja -vorausgesagt.</p> - -<p>»Wir sind nämlich auf dem Dampfboot mit -den Dieben flußabwärts gefahren, Huck Finn und ich. -Da erzählte uns der Tote von den Diamanten und -sagte, seine Genossen würden ihn umbringen, sobald -sie könnten und wir versprachen ihm nach Kräften -beizustehen. Eben wollten wir nach dem Ahornwäldchen, -da hörten wir sein Todesgeschrei; als wir -aber am frühen Morgen nach dem Gewitter wieder<span class="pagenum"><a id="Seite_296"></a>[296]</span> -hinkamen, fanden wir keine Leiche und meinten, es -wäre am Ende gar kein Mord begangen worden. -Wir sahen Jupiter in derselben Verkleidung herumstolzieren, -die Jack uns gezeigt hatte und die er anziehen -wollte. Natürlich glaubten wir, es wäre Jack -selbst, der sich taubstumm stellte, wie verabredet war.</p> - -<p>»Nun suchten wir, Huck und ich, nach der Leiche, -als die andern es aufgaben; wir fanden sie auch -und waren zuerst stolz darauf. Aber Onkel Silas -jagte uns einen furchtbaren Schreck ein mit der -Behauptung, er hätte Jupiter totgeschlagen.</p> - -<p>»Da der Leichnam durch uns ans Tageslicht -gekommen war, fühlten wir uns verpflichtet, für -Onkels Rettung zu sorgen; aber das war ein schweres -Stück Arbeit, denn Onkel wollte sich nicht aus dem -Gefängnis befreien lassen, wie damals unser alter -Neger Jim.</p> - -<p>»Den ganzen Monat lang dachte ich über ein -Mittel nach, Onkel Silas loszukriegen, doch mir fiel -nichts ein. Als ich heute zur Gerichtsverhandlung -ging, wußte ich weder Rat noch Hilfe, mir kam kein -rettender Gedanke. Nicht lange aber, da beobachtete -ich etwas, nur eine winzige Kleinigkeit, aber sie -brachte mich zum Nachdenken. Während ich nun<span class="pagenum"><a id="Seite_297"></a>[297]</span> -scheinbar im Sinnen verloren dasaß, war ich fortwährend -auf der Lauer und richtig, gerade als -Onkel Silas uns all den Unsinn auftischte, wie er -Jupiter Dunlap umgebracht hatte, sah ich das Ding -wieder. Da sprang ich auf und unterbrach die Verhandlung, -weil ich wußte, daß Jupiter Dunlap dort -leibhaftig vor mir saß. Ich erkannte ihn an etwas, -das er zu thun pflegte, als ich letztes Jahr hier -war und das er jetzt wieder that.«</p> - -<p>Tom wartete die Wirkung ein Weilchen ab, -machte dann eine Bewegung, als ob er sich setzen -wollte und sagte in gleichgültigem Ton: »Na, ich -glaube, das ist alles!«</p> - -<p>Ein Geschrei aus hundert Kehlen ging durch -den Saal: »Was hat er gethan? Was war es, -das du gesehen hast? Bleib’ stehen, du Teufelsjunge -und sag’ es uns. Denkst du, wir lassen uns so -abspeisen, nachdem du uns den Mund wässerig gemacht -hast!«</p> - -<p>»O, es war gar nicht viel. Ich sah, wie er -immer ängstlicher und aufgeregter wurde, während -sich Onkel Silas um den Hals redete, wegen eines -Mordes, der gar nicht begangen worden war – -auf einmal fuhr er mit den Händen hin und her,<span class="pagenum"><a id="Seite_298"></a>[298]</span> -hob seine Linke in die Höhe und zeichnete sich mit -dem Finger ein Kreuz auf die Backe – da war ich -meiner Sache sicher.«</p> - -<p>Nun begann ein Beifallklatschen, ein Stampfen -und Hochrufen, bis Tom Sawyer sich kaum zu lassen -wußte, vor lauter Stolz und Glück. Der Richter -blickte über den Tisch nach ihm hin und sagte:</p> - -<p>»Mein Sohn, hast du denn die verschiedenen -Einzelheiten dieser seltsamen Verschwörung und -Tragödie, die du uns schilderst, alle selbst gesehen?«</p> - -<p>»Nein, Herr Präsident, gesehen habe ich nichts -davon!«</p> - -<p>»Nichts gesehen? – Aber du hast uns ja die -ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählt, -als ob du Augenzeuge gewesen wärest. Wie ist -das möglich?«</p> - -<p>»Ich habe nur die Thatsachen zusammengestellt, -und dies und jenes daraus gefolgert,« erwiderte Tom -leichthin. »Es war ein kleines Stück gewöhnliche -Detektiv-Arbeit, die jedermann ausführen könnte.«</p> - -<p>»Ganz und gar nicht! Unter Millionen hätten -das nicht zwei fertig gebracht. Du bist wirklich -ein merkwürdiger Junge!«</p> - -<p>»Tom Sawyer hoch! Hurra Tom Sawyer!«<span class="pagenum"><a id="Seite_299"></a>[299]</span> -klang es wieder durch den Saal, und Tom hätte -den Triumph nicht für eine ganze Silbermine hergegeben. -Dann sagte der Richter:</p> - -<p>»Bist du denn aber auch sicher, daß sich die -Geschichte ganz so verhält, wie du sagst?«</p> - -<p>»Jawohl, Herr Richter. Da sitzen ja die -Zeugen und niemand weiß ein Wort dagegen zu -sagen, weder Brace Dunlap noch sein Bruder. Auch -die andern, die sich ihre Lügen haben bezahlen lassen, -sind jetzt muckstill. Falls aber Onkel Silas Widerspruch -erheben sollte, so würde ich ihm nicht glauben -und wenn er es eidlich versicherte.«</p> - -<p>Das kam den Zuhörern sehr komisch vor; sogar -der Richter gab seine würdevolle Haltung auf und -lachte. Tom strahlte ordentlich vor Freude, und -als alle sich wieder gefaßt hatten, sagte er:</p> - -<p>»Herr Präsident, hier im Saal ist ein Dieb.«</p> - -<p>»Was, ein Dieb?«</p> - -<p>»Ja. Er hat die Diamanten für zwölftausend -Dollars bei sich.«</p> - -<p>»Wo – wo ist er? – Wer ist es? – Zeige -ihn uns!« schrien alle durcheinander.</p> - -<p>»Nenne ihn mir, mein Sohn, der Sheriff soll -ihn festnehmen. Wer ist es?« sagte der Richter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_300"></a>[300]</span></p> - -<p>»Jupiter Dunlap, der Totgeglaubte.«</p> - -<p>Wieder entstand die grenzenloseste Aufregung; -aber Jupiter, der vorher schon ganz verdutzt gewesen -war, schien jetzt förmlich versteinert vor Ueberraschung. -Endlich rief er in weinerlichem Ton:</p> - -<p>»Herr Präsident, das ist wirklich erlogen. Ich -bin ja schon schlecht genug ohne das. Alles andere -habe ich gethan und bereue es jetzt sehr. Brace -hat mich dazu überredet und mir versprochen, er -wollte mich über kurz oder lang zum reichen Manne -machen. Aber die Diamanten habe ich nicht gestohlen. -Gewiß und wahrhaftig, ich habe keine -Diamanten, der Sheriff kann mich durchsuchen soviel -er will.«</p> - -<p>»Herr Präsident,« warf Tom ein, »es war -vielleicht nicht richtig, daß ich ihn einen Dieb genannt -habe. Er hat die Diamanten gestohlen, ohne -es zu wissen. Sein Bruder Jack stahl sie den andern -Dieben und Jupiter stahl sie seinem Bruder Jack, -als er tot am Boden lag. Seit einem Monat läuft -er mit den Zwölftausend-Dollar-Diamanten hier -herum, als wenn er ein armer Mann wäre. Auch -jetzt trägt er diesen ganzen Reichtum bei sich.«</p> - -<p>»Durchsucht ihn, Sheriff,« sagte der Richter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_301"></a>[301]</span></p> - -<p>Der Sheriff durchsuchte ihn von Kopf bis zu -Fuß: seinen Hut, die Socken, die Nähte seiner -Kleider, die Stiefel, kurz, alles. Tom stand ruhig -dabei und paßte auf den geeigneten Moment. Endlich -gab es der Sheriff auf. Enttäuschung malte sich -in allen Mienen und Jupiter sagte:</p> - -<p>»Da seht ihr doch, daß ich recht hatte!«</p> - -<p>»Diesmal hast du dich wohl geirrt, mein Sohn,« -äußerte der Richter.</p> - -<p>Tom nahm eine nachdenkliche Stellung an; er -schien sich aus allen Kräften zu besinnen und kratzte -sich verlegen den Kopf. Plötzlich machte er ein vergnügtes -Gesicht.</p> - -<p>»Jetzt hab’ ich’s,« sagte er aufschauend. »Ich -hatte es bloß vergessen.«</p> - -<p>Tom sprach nicht die Wahrheit, das wußte ich; -doch er fuhr ruhig fort:</p> - -<p>»Will jemand so gut sein mir einen kleinen -Schraubenzieher zu leihen? In dem Reisesack Eures -Bruders, den Ihr Euch angeeignet habt, Jupiter, -ist einer gewesen, aber den habt Ihr wohl nicht -mitgenommen?«</p> - -<p>»Nein, ich konnte ihn nicht brauchen und hab’ -ihn weggegeben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_302"></a>[302]</span></p> - -<p>»Weil Ihr nicht wußtet, wozu er dienen sollte.«</p> - -<p>Sobald Tom den Schraubenzieher bekam, forderte -er Jupiter auf, der nach der Durchsuchung -die Stiefel wieder angezogen hatte, einen Fuß auf -den Stuhl zu stellen; dann kniete er nieder und -schraubte das Plättchen vom Absatz ab. Als er -den großen Diamanten zum Vorschein brachte und -ihn im Sonnenschein funkeln ließ, waren die Leute -ganz außer sich vor Verwunderung. Nun holte Tom -auch den Diamanten aus dem andern Absatz und -Jupiters Miene wurde immer trübseliger. Er mochte -wohl denken, daß er hätte auf und davongehen und -als ein reicher, gemachter Mann im Ausland leben -können, wäre er klug genug gewesen, zu erraten, -wozu der Schraubenzieher im Reisesack steckte. Jetzt -erntete Tom Lob und Ruhm nach Herzenslust. Der -Richter nahm die Diamanten an sich, stand auf, schob -seine Brille in die Höhe, räusperte sich und sagte:</p> - -<p>»Ich werde sie verwahren und dem Eigentümer -Anzeige machen. Wenn er sie dann abholen läßt, -wird es mir ein großes Vergnügen bereiten, dir, -mein Sohn, die zweitausend Dollars Belohnung einzuhändigen. -Du hast aber nicht nur dies Geld verdient, -sondern auch den aufrichtigen Dank der ganzen<span class="pagenum"><a id="Seite_303"></a>[303]</span> -Bürgerschaft. Durch dich ist eine unschuldige Familie -vor Schmach und Verderben gerettet worden und ein -ehrenwerter Mann vor dem Verbrechertode. Obendrein -ist es dir gelungen, die Schändlichkeit eines -grausamen, verruchten Schurken und seiner elenden -Helfershelfer ans Licht zu ziehen und der Gerechtigkeit -einen großen Dienst zu erweisen.«</p> - -<p>Wäre nur noch ein Musikchor zur Stelle gewesen, -um einen Tusch zu blasen, so hätte nach -meiner Meinung die Sache gar keinen schöneren -Abschluß finden können; darin stimmte Tom Sawyer -ganz mit mir überein.</p> - -<p>Der Sheriff nahm nun Brace Dunlap und seine -Spießgesellen in Haft; einige Wochen später ward -ihnen der Prozeß gemacht und sie erhielten ihre gerechte -Strafe. Onkel Silas und die Seinigen aber -standen von jetzt ab wieder in hohem Ansehen bei -der Gemeinde; seine kleine alte Kirche war immer -gedrängt voll und man erwies ihnen so viel Liebes -und Gutes, als man nur konnte. Mit der Zeit -kam der alte Mann auch wieder zu Verstande und -seine Predigten waren nicht besser und nicht schlechter, -als sie früher gewesen. So war denn die ganze -Familie seelenvergnügt und Tom Sawyer wurde aus<span class="pagenum"><a id="Seite_304"></a>[304]</span> -lauter Dankbarkeit gepflegt und verhätschelt, wie noch -nie; ich aber auch, obgleich ich nichts gethan hatte. -Als dann die zweitausend Dollars kamen, gab mir -Tom die Hälfte ab und sagte keinem ein Wort davon, -worüber ich mich gar nicht verwunderte, denn ich -kannte ihn ja.</p> - -<div class="figcenter illowp10" id="illu-303"> - <img class="w100" src="images/illu-303.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<hr class="chap" /> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Verlag von <b>Robert Lutz</b> in <b>Stuttgart</b>.</p> -</div> - -<p class="h2">Memoirenbibliothek</p> - -<p class="center">Bisher erschienen 24 Bände.</p> - -<p class="center smaller">Jedes Werk ist einzeln käuflich.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-304a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Die hier angekündigten Memoirenwerke bergen</p> - -<p class="center"><em class="u">eine Fülle der besten Unterhaltungslektüre<br /> -für den Gebildeten.</em></p> - -<p>Die »Kreuzzeitung« schrieb: »Solche Werke sind -für gebildete Laien eine <b>weit empfehlenswertere -geistige Nahrung als die Mehrzahl aller Romane</b>.«</p> - -<p>Siehe die Urteile über die einzelnen Memoiren. – -Die Werke von <b>Boyen</b>, <b>Bourgogne</b>, <b>Macdonald</b>, -<b>Marbot</b>, <b>Ryan</b>, <b>Genast</b> und <b>Helen Keller</b>, eignen -sich auch für <em class="u"><b>die reifere Jugend</b></em>.</p> - -<div class="figcenter illowp20" id="illu-304b"> - <img class="w100" src="images/illu-304b.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p class="center"><i>Ausführliche Prospekte -über jedes einzelne Werk stehen zur Verfügung.</i></p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-305"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">General Marbot</em></p> -</div> - -<p class="h2">Memoiren 1789–1815</p> - -<p class="center">Deutsche Ausgabe nach der 40. Auflage des Originals.</p> - -<p class="center"><b>3 Bände</b>, 70 Bg. m. Porträt, brosch. Mk. 13.50, geb. Mk. 16.50, -in Halbfrz. Mk. 19.50.</p> - -<p class="center"><b>I. Band</b>: Genua – Austerlitz – Jena – Eylau.<br /> -<b>II. Band</b>: -Madrid – Aspern – Torres-Vedras.<br /> -<b>III. Band</b>: Polozk – -Beresina – Leipzig – Waterloo.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-305a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Es dürfte dem hochinteressanten Werke zur besonderen -Empfehlung gereichen, dass es eine <b>Lieblingslektüre des -Fürsten Bismarck</b> in seinen letzten Jahren gewesen ist.</p> - -<p class="mright"> -Bohemia, Prag. -</p> - -<p class="s90">Marbots Aufzeichnungen in -ihrer vorliegenden Verdeutschung -halten sich von jeder Anstössigkeit -frei, sei es der Tendenz nach, -oder in sittlicher Beziehung, und -sind dabei <b>mit einem Elan geschrieben</b>, -der auf <b>junge Leser</b> unfehlbar -seine Wirkung tun muss. -Es ist so recht ein Buch, das auf -den Weihnachtsgabentisch eines -Soldaten in spe gehört.</p> - -<p class="mright s90"> -Nordd. Allg. Ztg. -</p> - -<p class="s90">Ruhig muss man diese Memoiren -geniessen, mit der frischen -Empfänglichkeit der Jugend. Dann -sind sie einfach bezaubernd. Französische -Eleganz, gallischer Esprit, -loyale Gesinnung auch gegen den -Feind, Stimmungen vom lautersten -Humor bis zur tiefernsten Rührung -durchziehen das Ganze.</p> - -<p class="mright s90"> -St. Galler Blätter. -</p> - -<p class="s90">… Wenn wir Marbots erfolgreiches -Buch überschauen, müssen -wir zugeben, dass keine anderen -Memoiren aus jenen Tagen -<b>eine solche Fülle von Ereignissen -umspannen</b> … Niemand, der sich -vom inneren Wesen jener Zeit ein -Bild machen will, kann das Buch -entbehren.</p> - -<p class="mright s90"> -Carl Bleibtreu, Pester Lloyd. -</p> - -<p class="s90">Die Memoiren Marbots leuchten -mit besonderer Klarheit in die Zeit -des ersten Napoleon hinein, weil -sie von einem ehrlichen und unbefangenen -Manne geschrieben -sind, der, von einem seltenen Glück -begünstigt, Teilnehmer fast aller -damaligen Feldzüge gewesen ist -und fast alle entscheidenden Katastrophen -miterlebte.</p> - -<p class="mright s90"> -Ueber Land und Meer. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-305b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Feldmarschall Boyen</em></p> -</div> - -<p class="h2">Denkwürdigkeiten und -Erinnerungen 1771–1813</p> - -<p class="center"><b>2 Bände</b>, 49 Bog. m. Porträt. <b>Preis</b> brosch. Mk. 9.–, -in Lwd. geb. Mk. 11.–, in Halbfrz. Mk. 13.–.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-306a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p><b>Zu den schönsten Memoirenwerken</b> und überhaupt zu -den <b>Perlen der deutschen Literatur</b> gehören die Denkwürdigkeiten -des Feldmarschalls v. Boyen; sie geben ein -mächtiges Bild von der Individualität des Verfassers und von -dem Geiste seiner Zeit.</p> - -<p class="mright"> -Preuss. Jahrbücher. -</p> - -<p class="s90">Beim Lesen der Memoiren wird -jeder erkennen, dass ein <b>grosser -Geist</b> mit offenem Auge und völliger -Beherrschung der Verhältnisse -dieselben geschrieben hat.</p> - -<p class="mright s90"> -Histor. Monatsbl. f. Posen. -</p> - -<p class="s90">Diese Darstellung einer der -wichtigsten Epochen der deutschen -Geschichte ist wie wenige Bücher -geeignet in der <b>reiferen deutschen -Jugend</b> vaterländische Gesinnung -und Opferfreudigkeit zu entfachen.</p> - -<p class="mright s90"> -Südwestd. Schulblätter. -</p> - -<p class="s90">Wie ein ernstes, erhabenes -Drama, dem es aber bei aller Härte -doch auch an behaglichen und -idyllischen Zügen nicht fehlt, lässt -sich der Verfasser die Blumen- und -Dornenkette seiner Tage durch -die Erinnerung gleiten.</p> - -<p class="mright s90"> -Westerm. Monatshefte. -</p> - -<p class="s90">Man wird in Zukunft Boyens -Denkwürdigkeiten nicht ausser -Acht lassen dürfen, wenn man sich -über Persönlichkeiten, Stimmungen -und Ereignisse der Befreiungskriege -unterrichten will.</p> - -<p class="mright s90"> -Allg. Schweizer Zeitg. -</p> - -<p class="s90">Man wird von Seite zu Seite -aufs Neue gefesselt, und ehe man -sich dessen versieht, hat man die -2 Bände von Anfang bis zu Ende -durchgelesen.</p> - -<p class="mright s90"> -Posener Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Boyens Denkwürdigkeiten vereinigen -jedenfalls <b>eine Fülle von -hochinteressanten Erlebnissen</b>, die -umso prägnanter wirken, als sie -uns in der eleganten Darstellung -eines hochgebildeten und scharfbeobachtenden -Mannes entgegentreten.</p> - -<p class="mright s90"> -Düna-Zeitung. Riga. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-306b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">C. F. von Holten</em></p> -</div> - -<p class="h2">Vom dänischen Hofe</p> - -<p class="center">Erinnerungen aus der Zeit Friedrichs VI.,<br /> -Christians VIII. und Friedrichs VII.</p> - -<p class="center">16 Bg. m. 4 Porträts. Preis brosch Mk. 4.50, in Lwd. geb. Mk. 5.50, -Halbfranz Mk. 6.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-307a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Wir durchschreiten gewissermassen eines jener alten -dänischen Königsschlösser, die träumerisch auf den grauen -Sund hinausschauen, und betrachten die Porträts: die Herrscher -und ihre Gemahlinnen, die fürstlichen Verwandten, den Hofstaat, -die Grössen der Wissenschaft, der Kunst, der Politik, die -sie umgeben – – – Holten hat eine charmante Art, das -<b>Charakteristische</b> an den Personen herauszuheben und ergötzt -oft durch humoristische Darstellung.</p> - -<p class="mright"> -Kleines Journal, Berlin. -</p> - -<p class="s90">Sein Werk macht nicht den Anspruch, -ein wissenschaftliches zu -sein; es bringt uns in schlichtem -Plauderton die Grossen der Welt -näher und lässt uns mancherlei -Blicke in ihr privates Leben tun. -Viele werden gerne zu dem Buche -greifen, und die Stunden nicht bereuen, -welche sie bei der harmlosen -Lektüre verbracht haben.</p> - -<p class="mright s90"> -Nord-Ostsee-Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Das Buch, <b>das sich spannend -wie ein Roman</b> liest, ist voll von -Anekdoten vielfach heiterer Natur: -Eine Menge von Originalen zieht -an uns vorüber; der Hofstaat dreier -Könige, sie selbst nebst ihren Familien, -darunter die vielgenannte -Gräfin Danner. <b>Bezaubernd ist der -Freimut</b>, mit dem der liebenswürdige -Verfasser ungeniert über all -diese internen Dinge zu plaudern -weiss. Für jeden, der den dänischen -Verhältnissen in den 30er -Jahren und dem ganzen Zeitraum -bis 1864 Interesse entgegenbringt, -werden diese Memoiren lehrreich -und amüsant sein.</p> - -<p class="mright s90"> -Düna-Zeitung, Riga. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-307b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">François Bourgogne</em></p> -</div> - -<p class="center">Sergeant der franz. Kaisergarde</p> - -<p class="h2">Kriegserlebnisse 1812–13</p> - -<p class="center">Mit 16 Vollbildern von Faber du Faur und Yvon.</p> - -<p class="center"><b>2. Aufl.</b> (4.–5. Tausend.) 363 Seiten. Preis brosch. M. 6.–, -in Lwd. geb. M. 7.50, in Halbfranz. M. 8.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-308a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Bourgognes Memoiren gehören zu den Büchern, bei denen -der Leser die Schläge der Mitternachtsstunde überhört; und -viele Scenen, wie die des brennenden Posthauses zwischen -Moskau und Smolensk, die an den Lederstrumpf erinnernden -Jagden der Kosaken vor der Beresina, die Uebergangsszenen, -und die letzten Abenteuer bei Wilna und Kowno prägen sich -dem Leser unverlöschlich ins Gedächtnis.</p> - -<p class="mright"> -Literar. Echo. -</p> - -<p class="s90">Der <b>spannendste Roman</b>, die -interessanteste Reiseschilderung -<b>kann kaum fesselnder sein</b>, als -hier das Buch des schlichten -Sergeanten. Oft wenn er von den -Schrecknissen des Winters, der -fürchterlichen Kälte, die bis zu -28 Grad stieg, erzählt, bei der die -todesmüden Krieger marschieren, -kampieren und die grössten Entbehrungen -erdulden mussten, -wird man lebhaft an Nansens -Wanderungen in Nacht und Eis -erinnert.</p> - -<p class="mright s90"> -Leipziger Tageblatt. -</p> - -<p class="s90">… Es sind <b>erschütternde -Bilder</b> des Elends und tiefsten -Jammers, die sich vor unsern -Augen entrollen, aber auch echter -Kameradschaft und Menschenliebe, -die sich <b>unvergänglich ins -Herz graben</b>.</p> - -<p class="mright s90"> -Generalanzeiger, Hamburg. -</p> - -<p class="s90">Diese Schlichtheit und Ehrlichkeit -gerade sichert seiner -ganzen Darstellung die Glaubwürdigkeit -und hebt Bourgognes -so ungemein inhaltsreiches Buch -über allen Verdacht romanhafter -Erfindung hoch empor auf die <b>Wertstufe -weltgeschichtlicher Dokumente</b>, -wie es ihrer gleich ergreifende -und erschütternde nur wenige -gibt.</p> - -<p class="mright s90"> -Westerm. Monatsh. -</p> - -<p class="s90">Die ausserordentliche Lebendigkeit -und Anschaulichkeit der -Darstellung dieser durch ihre Ursprünglichkeit -sich auszeichnenden -Denkwürdigkeiten wird -noch unterstützt durch Reproduktionen -der 15 charakteristischsten -Blätter aus dem seltenen Illustrationswerk -des württembergischen -Offiziers Faber du Faur, -der den russischen Feldzug von -1812 mitgemacht hat.</p> - -<p class="mright s90"> -Ill. Zeitung, Leipzig. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-308b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Fürst Krapotkin</em></p> -</div> - -<p class="h2">Memoiren eines Revolutionärs</p> - -<p class="center">Mit Vorwort von <b>Georg Brandes</b>. 3. Auflage.</p> - -<p class="center"><b>2 Bände</b>; 44 Bg. mit 3 Porträts.</p> - -<p class="center">Preis brosch. Mk. 9.–, in Lwd. geb. Mk. 11.–, in Halbfranz Mk. 13.–.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-309a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Die Schilderungen sind von einer Intimität und einem -Stimmungsgehalt, die an Turgeniew erinnern. Ein Künstler -ersten Ranges gibt hier seine Erlebnisse und Eindrücke -wieder …</p> - -<p>… Aus der Schlichtheit und Wahrhaftigkeit seiner Darstellung, -aus dem Begreifen der russischen Volksseele, aus -dem unerschöpflichen Reichtum einer gross und edel angelegten -Natur entstand ein <b>Buch mit Ewigkeitswerten</b> …</p> - -<p class="mright"> -Die Nation. -</p> - -<p class="s90">… Der Adel der Gesinnung, -der aus den Memoiren spricht, ein -Adel ohne jedes Pathos und ohne -heroischen Aufputz, macht ihre -Lektüre zum ungewöhnlichen Genuss, -und wo die nüchterne Kritik -nicht fehlt, auch zum ausserordentlichen -Gewinn. Niemand soll es -versäumen, diese geradezu <b>klassisch -geschriebenen Memoiren mit -Andacht zu lesen</b>.</p> - -<p class="mright s90"> -Neue freie Presse. -</p> - -<p class="s90">Nicht der Nihilist und nicht der -Anarchist stehen in erster Reihe, -wenn diese Memoiren gewürdigt -werden sollen, sondern der <b>Mensch</b> -Krapotkin selbst. Die beiden Bände -Memoiren verdienen dem modernen -Plutarch angereiht zu werden.</p> - -<p class="mright s90"> -Neues Wiener Tagblatt. -</p> - -<p class="s90">Dass er ein unermüdlicher -Kämpfer für die Revolution, dass -er ein bedeutender Gelehrter war -und ist, wussten wir schon lange. -Jetzt aber hat er uns bewiesen, -dass er auch ein feinsinniger Künstler -und ein edler guter Mensch -ist, ein Mensch voll Milde und -Herzlichkeit. – – Vor uns ersteht -die Sittengeschichte jener Zeit, -wie sie packender, treffender und -plastischer kein Geschichtsforscher -und kein Romancier gezeichnet -hat.</p> - -<p class="mright s90"> -Prager Tagblatt. -</p> - -<p class="s90">In der Memoirenliteratur kann -das vorliegende Buch einen ganz -hervorragenden Platz beanspruchen; -denn der Verfasser hat -wie kaum einer die Höhen und -Tiefen des modernen Lebens, besonders -in Russland, kennen gelernt.</p> - -<p class="s90">… Das ganze russische Volk -hat hier einen <b>Darsteller ersten -Ranges</b> gefunden.</p> - -<p class="mright s90"> -Kölnische Zeitung. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-309b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Henri Rochefort</em></p> -</div> - -<p class="h2">Abenteuer meines Lebens</p> - -<p class="center">Autorisierte deutsche Bearbeitung von <b>Heinr. Conrad</b>.</p> - -<p class="center"><b>2 Bände</b>; 50 Bg. mit Porträt. Preis brosch. Mk. 10.–, -in Lwd. geb. Mk. 12.–, in Halbfranz Mk. 14.–.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-310a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Es sind fesselnde, mit zahlreichen unterhaltenden und pikanten -Einzelheiten durchwirkte Bilder aus dem öffentlichen -und privaten Leben Frankreichs während der letzten 2 Drittel -des vergangenen Jahrhunderts – Bilder von scharfer Einseitigkeit, -gesehen und gezeichnet von der prononcierten Persönlichkeit -eines hitzigen Draufgängers, und deshalb hinsichtlich ihrer -vollen Wahrheit wohl mancher Korrektur bedürftig, aber in -ihrer individuellen Beleuchtung <b>in hohem Grade interessant</b>.</p> - -<p class="mright"> -St. Petersburger Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Der Stil des Werkes ist äusserst -lebendig, geistreich und epigrammatisch; -ein richtiger Journalistenstil, -der sich nur an Tatsachen -hält, alles Ueberflüssige und -allen Wortprunk verschmähend. -<b>Wer sich über die letzten 40 Jahre -Zeitgeschichte in amüsanter Weise -unterrichten will, der greife zu -diesem Werke.</b></p> - -<p class="mright s90"> -Elberfelder Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Die Uebersetzung ist so mustergültig, -dass es für jeden gebildeten -Leser schon an und für sich ein -hoher Genuss ist, hier der liebevollen -und geistreichen Arbeit des -Herausgebers zu folgen, der es -verstanden hat, den eigenartigen, -geist- und witzfunkelnden Stil -Rocheforts stets sinngemäss und -treffend wiederzugeben.</p> - -<p class="mright s90"> -Dresdener Anzeiger. -</p> - -<p class="s90">Die Darstellung Rocheforts -unterhält durch ihre ausserordentliche -Farbigkeit und Beweglichkeit, -sie ist unvergleichlich amüsant, -und auch historisch nicht -wertlos als ein grosses Stück erlebter -Zeitgeschichte.</p> - -<p class="mright s90"> -Vossische Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Das Werk ist mit einer <b>solchen -Frische und Anschaulichkeit geschrieben</b>, -dass man bei der Lektüre -glaubt, <b>einen Roman vor sich -zu haben</b>. Die Szenen aus dem -Gefängnisleben, die verschiedenen -Fluchtversuche, und die endlich -glücklich erreichte Befreiung aus -Neu-Kaledonien stellen sich ähnlichen -Kapiteln aus Dumas’schen -oder Sue’schen Romanen würdig -an die Seite.</p> - -<p class="mright s90"> -Pester Lloyd. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-310b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">D. Thiébault</em></p> -</div> - -<p class="h2">Friedrich der Grosse<br /> -<span class="smaller">und sein Hof</span></p> - -<p class="center">Persönliche Erinnerungen an einen 20jährigen Aufenthalt in Berlin. -Deutsche Bearbeitung von <b>H. Conrad</b>.</p> - -<p class="center">2 Bände, 49 Bogen mit 6 Porträts. Preis brosch. Mk. 9.–, -in Lwd. geb. Mk. 11.–, in Halbfranz Mk. 13.–.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-311a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Diese Erinnerungen, in einer kritisch revidierten, abgekürzten -Ausgabe, füllen zwei stattliche Bände, die aber durch -ihre anziehende Darstellung nichts Ermüdendes haben und gewiss -alsbald jene Popularität sich erwerben werden, die sie -um ihres Gegenstandes und ihrer Form willen verdienen.</p> - -<p>Es hat wohl nie einen moderneren Herrscher gegeben als -diesen »aufgeklärten Despoten« aus der Mitte des achtzehnten -Jahrhunderts. Zuweilen glaubt man nicht von einem, <b>der da -war</b>, sondern von einem, <b>der da kommen wird</b>, zu lesen. So -reif, so vorschauend, so grossdenkend, so frei von Vorurteilen -war dieser Monarch!</p> - -<p class="mright"> -Neue freie Presse. -</p> - -<p class="s90"><b>Ein Muster französischer Memoiren -sind die Thiébaults</b> über -seinen Aufenthalt am Hofe Friedrichs -des Grossen. Es mag einer -noch so viele historische Werke -über jene Zeit gelesen haben, -Friedrich II. wird ihm ein genialer -Feldherr, ein grosser König, ein -merkwürdiger Mensch sein; er lese -diese Memoiren, und der Feldherr, -der König, der Mensch steht leibhaftig -vor ihm mit all seinen Tugenden -und Fehlern, in seiner -Herrscherglorie und seiner menschlichen -Schwäche.</p> - -<p class="mright s90"> -Wiener Allg. Zeitung. -</p> - -<p class="s90">In der reichen französischen -Memoirenliteratur gibt es nur wenige -Werke, die für uns Deutsche -ihrem ganzen Inhalte nach ein so -<b>hervorragendes historisches Interesse</b> -darbieten, wie die Denkwürdigkeiten -D. Thiébaults.</p> - -<p class="mright s90"> -Karl Witte, Berlin. -</p> - -<p class="s90">Das Buch ist von Anfang bis -zu Ende in allen Einzelheiten fast -gleich interessant. Ausserdem ist -es durchweg in dem Ton des feinsinnigen, -gebildeten Mannes gehalten, -der auch delikate Dinge -mit Geschmack und Anstand behandelt.</p> - -<p class="mright s90"> -Hamb. Korrespondent. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-311b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">General Gourgaud</em></p> -</div> - -<p class="h2"><span class="larger">Napoleons</span><br /> -Gedanken und Erinnerungen<br /> -<span class="smaller">St. Helena 1815–18</span></p> - -<p class="center">Deutsche Bearbeitung von <b>H. Conrad</b>. <b>3. Auflage.</b> -25 Bg. m. 6 Porträts. Preis brosch. Mk. 5.50, geb. Mk. 6.50, -in Halbfranz Mk. 7.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-312a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Man gewinnt ein höchst anschauliches Bild davon, wie -das grösste militärische und administrative Genie, der hervorragendste -Gesetzgeber und Finanzmann, den die neuere Geschichte -kennt, sich nach Abschluss seiner meteorhaften Laufbahn -den wenigen Getreuen gegenüber, die sein Exil teilten, -gab und aussprach, wie er über seine Feldherren, ihre Vorzüge -und Fehler, wie er über seine eigenen Taten und Untaten -dachte, wie er seine Zeitgenossen und Gegner, wie er die -Politik der Gegenwart und Zukunft beurteilte, wie er grollte -und wie er scherzte.</p> - -<p class="mright"> -Petersburger Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Das Buch bringt eine <b>Fülle der -interessantesten</b>, man kann sagen -lehrreichsten <b>Aussprüche des Kaisers</b> -über wichtige Ereignisse -seines tatenreichen Lebens; es -verbreitet Klarheit über viele Seiten -seines Charakters, besonders über -die dunkeln, beleuchtet mit grellem -Licht seinen grenzenlosen Ehrgeiz, -seine Verachtung des menschlichen -Geschlechts und seine -widerwärtige, man kann sagen -niederträchtige Beurteilung der -Frauen.</p> - -<p class="mright s90"> -Monatsschr. f. Stadt u. Land. -</p> - -<p class="s90">Sind wir mit der Lektüre des -Werkes fertig, so steigen Zweifel -in uns auf in Bezug auf all die -andern von uns gelesenen Werke -über jene Epoche, und wir haben -die Ueberzeugung gewonnen, dass -dieses <b>der Wahrheit, der ungeschminkten -Wahrheit</b> am nächsten -kommt.</p> - -<p class="mright s90"> -Lord Rosebery. -</p> - -<p class="s90">Abgesehen von den Erwägungen, -zu denen Napoleons Gedanken -und Erinnerungen Anlass -geben, enthält das Buch eine solche -Fülle <b>der interessantesten Einzelheiten</b>, -dass wir uns kaum eine -Lektüre denken können, die den -Leser mehr fesseln und anregen -würde, als Gourgauds Tagebuch -in deutscher Bearbeitung.</p> - -<p class="mright s90"> -Neue Zürcher Zeitung. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-312b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Dr. med. Ryan</em></p> -</div> - -<p class="h2">Unter dem roten Halbmond</p> - -<p class="center"><b>Erlebnisse eines Arztes</b> b. d. türk. Armee i. Kriege 1877/78.</p> - -<p class="center">Autor. Übersetzung von <b>H. von Natzmer</b>. – 24 Bg. m. Portr. -Osman Paschas. Preis brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, -in Halbfranz Mk. 7.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-313a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>… <b>Beispiele heldenmütigster Aufopferung im Dienst -edelster Menschlichkeit, sympathische Züge der Kameradschaft -und des Edelmuts</b> gegen den überwundenen -Gegner treten uns hier mit dramatischer Lebendigkeit entgegen. -… Aber mit diesen <b>spannenden Schilderungen -der Kriegsereignisse</b>, mit den <b>glänzenden Malereien des -Schlachten- und Lagerlebens</b>, die dem Buch unter den -militärischen Schriften einen <b>hervorragenden Rang sichern</b>, -sind die Vorzüge desselben keineswegs erschöpft …</p> - -<p class="mright"> -Hamburger Neueste Nachrichten. -</p> - -<p class="s90"><b>Ryan ist ein Erzähler ersten -Ranges, dem man mit wahrem -Vergnügen lauscht</b>, mag er uns -von seinen <b>tollen Fahrten und -lustigen Streichen</b> berichten oder -<b>ergreifende Schilderungen</b> von -grenzenlosem Elend geben.</p> - -<p class="mright s90"> -Reichs-Medizinal-Anzeiger. -</p> - -<p class="s90">Seinen eigentümlichen Reiz gewinnt -das Buch dadurch, dass neben -den erzählten ernsten Dingen <b>eine -fast erstaunliche Fülle von Humor</b> -platzgreift.</p> - -<p class="mright s90"> -Hamburg. Correspondent. -</p> - -<p class="s90"><b>Hier lernen wir wahres Heldentum -kennen</b>, Heldentum im mutigen -Angriff, Heldentum im stummen -Ertragen fürchterlicher Qualen, -<b>höchste Entsagungsfähigkeit</b> -und <b>wahrhaft ideale Glaubenszuversicht</b>. -Aufregende Kampfesbilder -aus der Zeit der glänzenden -türkischen Ruhmestaten während -der Belagerung von Plewna ziehen -an dem Leser vorüber, so <b>greifbar -plastisch</b>, als ob man <b>all das -Aufregende, Fürchterliche vor seinen -Augen sich abspielen sähe</b> … -Das Ryan’sche Werk ist in ganz -vorzüglicher Weise von H. v. Natzmer -übersetzt.</p> - -<p class="mright s90"> -Internat. Literaturberichte. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-313b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">General Thiébault</em></p> -</div> - -<p class="h2">Memoiren a. d. Zeit d. frz. Revolution -u. des I. Kaiserreichs</p> - -<p class="center">Deutsche Bearbeitung von <b>F. Mangold</b>, Major a. D.</p> - -<p class="center"><b>3 Bände</b> m. 15 Porträts berühmter Männer d. Revolution u. d. -Kaiserreichs. Brosch. Mk. 15.–, in Lwd. geb. Mk. 18.–, -in Halbfranz Mk. 21.–.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-314a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Das Werk ist im <b>höchsten Grade kulturgeschichtlich -interessant</b>, ist flott und elegant geschrieben und eignet -sich daher <b>in hohem Masse als Unterhaltungslektüre</b> für -Gebildete. Jedenfalls sind solche Werke für gebildete Laien -<b>eine weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die -Mehrzahl aller Romane</b>.</p> - -<p class="mright"> -Kreuzzeitung. -</p> - -<p class="s90">Das ebenso glänzend wie spannend -geschriebene Werk bringt -ein <b>so reiches Material an Erlebnissen -des Augenzeugen</b>, dass man -nicht müde wird, immer wieder -darin zu lesen.</p> - -<p class="s90">Das Werk umfasst alle Geschehnisse, -alle Personen, und -lässt sie wie in einem grossen -Wandelpanorama an uns vorüberziehen. -Oft liest sich das Werk -<b>wie ein gewaltiges Schlachtenbuch, -oft wie ein spannender Roman -über Hof- und Feldlager-Intrigue</b>.</p> - -<p class="mright s90"> -Neueste Nachrichten, Berlin. -</p> - -<p class="s90">… Die Zeit von 1789 bis 1815 -hat selten eine so intensive Beleuchtung -erfahren wie bei Thiébault, -der nicht bloss hinter die -Kulissen der Weltgeschichte, der -mit psychologischem Scharfblick -auch den Menschen, die die Fäden -der Weltgeschichte zogen, in die -Seele geblickt hat.</p> - -<p class="mright s90"> -Westermanns Monatshefte. -</p> - -<p class="s90">Schicksale und Herzen haben -in Thiébault einen <b>Beobachter -und Kenner gefunden, der seinesgleichen -sucht</b>.</p> - -<p class="mright s90"> -Vossische Zeitung, Berlin. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-314b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Marschall Macdonald</em></p> -</div> - -<p class="h2">Memoiren 1785–1825</p> - -<p class="center">Deutsche Bearb. nach der <b>7. Auflage</b> des <b>Originals</b> von -<b>H. v. Natzmer</b>, Generalmajor z. D.</p> - -<p class="center">22 Bg. m. Porträt. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, -in Halbfranz Mk. 7.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-315a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Die Memoiren geben in festen, markigen Zügen das Bild -einer geschichtlich stark bewegten Zeit wieder, und zeigen -den Verfasser als eine voll ausgeprägte Persönlichkeit. Alle -Soldatentugenden und unter dem Kanonendonner der Schlacht -dennoch ein warm empfindendes Herz, bringen uns den -Marschall nicht nur als Soldaten, sondern vor allem als -Menschen nahe. <b>Die Schilderung der Ereignisse ist von -dramatischer Spannung und Beweglichkeit</b>, jeder äussere -Vorgang wird bei diesem Mann zum inneren Erlebnis. Und -dies gerade macht das Buch so packend, so interessant.</p> - -<p class="mright"> -Deutsche Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Mit Genuss wird ein jeder, der -dies Memoirenwerk einmal gelesen -hat, es wieder und wieder zur -Hand nehmen.</p> - -<p class="mright s90"> -Leipz. Zeitung. -</p> - -<p class="s90"><b>Ein ausgezeichnetes Werk</b>, -dem wir recht viele Leser wünschen. -Eine von Anfang bis zu -Ende fesselnde Lektüre.</p> - -<p class="mright s90"> -Berner Bund. -</p> - -<p class="s90">Wir möchten das schön ausgestattete -Buch noch besonders -<b>für die reifere Jugend</b>, und <b>zur -Anschaffung für Schülerbibliotheken</b> -empfehlen.</p> - -<p class="mright s90"> -Südwestd. Schulblätter. -</p> - -<p class="s90">Keine einzige Zeile ermüdet – -keine ist da, die man nicht gern -gelesen haben möchte.</p> - -<p class="mright s90"> -Allg. Zeitung. -</p> - -<p class="s90">Die Memoiren lesen sich von -Anfang bis zu Ende wie ein spannender -Roman.</p> - -<p class="mright s90"> -Hamb. Korresp. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-315b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Eduard Genast</em></p> -</div> - -<p class="h2">Aus Weimars klassischer -und nachklass. Zeit</p> - -<p class="center">Erinnerungen eines weimarischen Hofschauspielers</p> - -<p class="center">Neu herausgegeben von <b>Rob. Kohlrausch</b>.</p> - -<p class="center"><b>3. Auflage.</b> 24 Bg. m. 2 Porträts. Brosch. Mk. 4.50, -in Lwd. geb. Mk. 5.50, in Halbfranz Mk. 6.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-316a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p><b>Wie Eckermanns »Gespräche mit Goethe« dürfte -auch Genasts Buch in keiner Bibliothek der deutschen -Leser fehlen.</b></p> - -<p class="mright"> -Hamburger Nachrichten. -</p> - -<p>In seiner <b>jetzigen</b> Gestalt ist das Werk <b>wie ein Zauberspiegel</b>, -in dem die längst schlafen gegangenen Gestalten -unserer grossen Dichter wieder lebendig werden.</p> - -<p>Das Erinnerungsbuch sollte seinen <b>Platz in jeder Klassikerbibliothek</b> -finden.</p> - -<p class="mright"> -Hamburger Fremdenblatt. -</p> - -<p class="s90">Eine <b>Fundgrube</b> von <b>fesselnden -Darstellungen</b> aus dem literarischen -und künstlerischen Leben -Deutschlands der ersten Hälfte -des 19. Jahrhunderts … <b>Eines -der wertvollsten Bücher</b>, dem kein -Gebildeter sein Interesse wird versagen -können.</p> - -<p class="mright s90"> -Kölnische Zeitung. -</p> - -<p class="s90">… So wird das Buch zu einem -<b>wertvollen Beitrage</b> zur deutschen -<b>Literatur-</b> und <b>Musikgeschichte</b>, -aus dem wir, die Kinder einer -späteren Zeit, zum Verständnis der -geistigen Strömungen des verflossenen -Jahrhunderts <b>manchen bleibenden -Gewinn</b> schöpfen können.</p> - -<p class="mright s90"> -Pustets Deutscher Hausschatz. -</p> - -<p class="s90">Es ist gar nicht daran zu zweifeln, -dass Genasts Aufzeichnungen -allen Literatur- und Theaterfreunden -eine Quelle edelsten Genusses -sind.</p> - -<p class="mright s90"> -New-Yorker Staatszeitung. -</p> - -<p class="s90">Zu den interessantesten und -belehrendsten Bänden der Memoirenbibliothek -gehören zweifellos -die Erinnerungen Eduard Genasts.</p> - -<p class="mright s90"> -Tageblatt Altona. -</p> - -<p class="s90"><b>Eines der interessantesten -Bücher der Memoirenliteratur</b> und -ein treues Bild des weimarischen -Theaterwesens zu Goethes Zeiten.</p> - -<p class="mright s90"> -Wiesbadener Tageblatt. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-316b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Helen Keller</em></p> -</div> - -<p class="h2">Die Geschichte meines Lebens</p> - -<p class="center">Autorisierte Deutsche Ausgabe.</p> - -<p class="center"><b>23. Auflage.</b> 23 Bg. mit 8 Bildern. Brosch. Mk. 5.50, -in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-317a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Erzieher und Eltern werden in dem Buche viele <b>Anregungen</b> -finden. Aber nicht nur Erzieher und Eltern; <b>jeder Mensch</b>, -der an Frischem und Klugem Gefallen hat, <b>muss mit Freude -das Buch der Helen Keller lesen</b>. <b>Dem Schriftsteller, -dem Künstler, dem Gelehrten</b> eröffnet es neue Aussichtspunkte. -<b>Leute, die in Krankheit und Trübsal am Leben -verzweifeln wollen, richtet es auf</b>: denn es zeigt ihnen, -wie nichts so hoffnungslos ist, dass es nicht Trost und Linderung -fände. <b>Uebermütige lehrt es Demut, Leichtfertige -Besinnung.</b> Es ist ein Werk, das keiner vergessen kann, -der es einmal gelesen hat.</p> - -<p class="mright"> -Berliner Tageblatt. -</p> - -<p class="s90">… O, ich könnte das ganze -Buch zitieren! Es ist voller <b>Sonnenschein -und Liebe und Glückseligkeit</b>. -Und Sonnenschein -strahlt es in unsere müden Herzen.</p> - -<p class="mright s90"> -Dr. M. Wilhelm Meyer. -</p> - -<p class="s90">… <b>Das Buch enthält Schönheiten -über Schönheiten, Wahrheiten -tief wie ein Bergsee, Lichtquellen -der Seele, die leuchten -wie die Sonnen der Ewigkeit.</b></p> - -<p class="mright s90"> -Ill. Sonntagszeitung. -</p> - -<p class="s90">Dieses Buch repräsentiert entschieden -<b>die originellste und -interessanteste Autobiographie, -die je geschrieben worden ist</b>. -… Wir haben es mit einem Interesse -gelesen, wie selten ein -anderes; diese Lektüre möchten -wir einem jeden unserer Leser -gönnen.</p> - -<p class="mright s90"> -Alte u. Neue Welt (Einsiedeln). -</p> - -<p class="s90">Und mit dem <b>erhebenden Bewusstsein</b>, -ein neues Stück menschlichen -Heldenmuts in diesen beiden -Frauen kennen gelernt zu haben, -legt man diese, wohl <b>in der ganzen -Weltliteratur einzig dastehende -Selbstbiographie</b> aus der Hand.</p> - -<p class="mright s90"> -Kölnische Zeitung. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-317b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">Herbert Spencer</em></p> -</div> - -<p class="h2">Eine Autobiographie</p> - -<p class="center">Autorisierte Deutsche Ausgabe von Prof. Dr. <b>Ludwig</b> und -<b>Helene Stein</b>.</p> - -<p class="center"><b>2 Bände.</b> 47 Bg. Brosch. Mk. 14.–, in Lwd. geb. Mk. 16.–, -in Halbfranz Mk. 18.–.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-318a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Ein autobiographisches Werk von der Wahrheit und Exaktheit -des vorliegenden <b>hat in der ganzen Weltliteratur -nicht seines Gleichen, und es sollte auf dem Büchertisch -keines Gebildeten fehlen</b>.</p> - -<p class="mright"> -Posen. Neueste Nachricht. -</p> - -<p>Ein deutscher Leser der Autobiographie schreibt: … Dann -aber hat das Buch den <b>immensen Vorzug</b>, dass es den -Philosophen in ihm kennen zu lernen gestattet, ohne dass -man seine Werke zu lesen braucht.</p> - -<p class="s90">Es ist zweifelhaft, ob je ein -Denker von schöneren Anlagen -unter unserem Volke aufgetreten -ist. Wir sind überzeugt, dass die -hübsch ausgestattete deutsche Ausgabe -auch über den Kreis der -eigentlichen Fachinteressenten -hinaus eifrige Leser finden wird.</p> - -<p class="mright s90"> -Hamb. Korrespondent. -</p> - -<p class="s90">… Doch genug des Nörgelns! -Spencers nachgelassenes Werk -bleibt trotz alledem eine der interessantesten -und originellsten -Selbstbiographien, die es in der -Weltliteratur gibt.</p> - -<p class="mright s90"> -Münchener Neueste Nachr. -</p> - -<p class="s90">Dies Buch ist ein Dutzend -Bücher in einem. <b>Dem Psychologen, -dem Künstler, dem Romanschriftsteller, -dem Moralisten, dem -Lehrer, dem Prediger, dem Kritiker, -dem Dichter, dem Philosophen</b> – -allen diesen bietet das Buch <b>eine -besondere Quelle des Genusses</b>.</p> - -<p class="mright s90"> -Chicago Herald. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-318b"> - <img class="w100" src="images/illu-305.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h3"><em class="u">W. Debogory-Mokriewitsch</em></p> -</div> - -<p class="h2">Erinnerungen eines Nihilisten</p> - -<p class="center">(Ein Seitenstück zu Fürst Krapotkins Memoiren.)</p> - -<p class="center">Autorisierte Deutsche Ausgabe von <b>Dr. H. Röhl</b>. -Mit Vorwort von <b>Alex. Ular</b>.</p> - -<p class="center"><b>2. Auflage.</b> 22 Bg. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, -in Halbfranz Mk. 7.50.</p> - -<div class="figcenter illowp5" id="illu-319a"> - <img class="w100" src="images/illu-304a.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<p>Die vorliegenden »Erinnerungen eines Nihilisten« bieten -in mehr als einer Hinsicht grosses Interesse. Schon als rein -persönliche Erinnerungen genommen, bilden die Aufzeichnungen -<b>eine äusserst spannende Lektüre</b>. Aber der Schwerpunkt -der Erinnerungen liegt in der <b>glänzenden Charakteristik -der politischen Zustände und der revolutionären -Bewegung unter Alexander II. und Alexander III.</b></p> - -<p class="mright"> -Neue freie Presse. -</p> - -<p class="s90">Es ist zweifellos, dass das -Werk in mannigfacher Weise Interesse, -ja Aufsehen erregen wird -… Als rein persönliche Erinnerungen -genommen, geben diese -Aufzeichnungen eine Lektüre, <b>die -den Leser zuweilen in fieberhafte -Spannung versetzt</b>, wie sie der -kunstvollst aufgebaute Roman -nicht zu erregen vermöchte.</p> - -<p class="mright s90"> -Berliner Börsen-Courier. -</p> - -<p class="s90">… Dann kam die Flucht aus -Sibirien. Hier häufen sich <b>die aufregenden -Momente des Buches zu -einer wahren Seelenfolter für den -Leser</b>. <b>Man zittert mit dem Flüchtigen</b> -bei den mannigfachsten Gefahren, -und man glaubt, die Hetzjagd, -welche von den Behörden -auf Mokriewitsch gerichtet ist, -gegen sich selbst ausgeführt zu -empfinden.</p> - -<p class="mright s90"> -Neues Wiener Journal. -</p> - -<p class="s90">Aus der Zeit der ernstlich beginnenden -revolutionären Bewegung, -die jetzt in Russland alle -Dämme überflutet, weiss dieses -Buch interessante Ereignisse -und Erlebnisse zu erzählen.</p> - -<p class="mright s90"> -Münchener Neueste Nachrichten. -</p> - -<div class="figcenter illowp80" id="illu-319b"> - <img class="w100" src="images/illu-319.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="h2" id="Mark_Twains">Mark Twains<br /> -<span class="smaller">Ausgew. humoristische Schriften.</span></p> -</div> - -<p class="center">Inhalt:</p> - -<table summary="Buchtitel"> -<tr> -<td>Bd. I.</td> - <td><b>Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. II.</td> - <td><b>Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. III.</td> - <td><b>Skizzenbuch.</b></td> -</tr> -<tr> -<td rowspan="2">Bd. IV. <span class="s200">{</span></td> - <td><b>Leben auf dem Mississippi.</b></td> -</tr> -<tr> -<td><b>Nach dem fernen Westen.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. V.</td> - <td><b>Im Gold- und Silberland.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. VI.</td> - <td><b>Reisebilder u. verschiedene Skizzen.</b></td> -</tr> -</table> - -<p class="center">Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden.<br /> -Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, -M. 13.50 gebunden.</p> - -<p class="center p2"><em class="u">Neue Folge</em>:</p> - -<table summary="Buchtitel"> -<tr> -<td>Bd. I.</td> - <td><b>Tom Sawyers <em class="gesperrt">Neue</em> Abenteuer.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. II.</td> - <td><b>Querkopf Wilson.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. III./IV.</td> - <td><b>Meine Reise um die Welt.</b> 2 Abt.</td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. V.</td> - <td><b>Adams Tagebuch</b> u. a. Erzähl.</td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. VI.</td> - <td><b>Wie Hadleyburg verderbt wurde</b> u. a. Erzähl.</td> -</tr> -</table> - -<p class="center">Preis des <em class="gesperrt">einzelnen</em> Bandes M. 3.– gebunden.<br /> -Preis <em class="gesperrt">aller 6 Bände</em>, zusammen bezogen, -M. 17.– gebunden.</p> - -<hr class="chap" /> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. -Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p> - -<p>Der Werbeteil ist im Original in Antiqua gesetzt, auf eine -entsprechende Auszeichnung wurde verzichtet.</p> -</div> - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TOM SAWYERS NEUE ABENTEUER ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin:0.83em 0; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE<br /> -<span style='font-size:smaller'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br /> -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</span> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. 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We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state -visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Please check the Project Gutenberg web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of -volunteer support. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Most people start at our website which has the main PG search -facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This website includes information about Project Gutenberg™, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. -</div> - -</div> - -</body> -</html> diff --git a/old/65346-h/images/cover.jpg b/old/65346-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 6d01c78..0000000 --- a/old/65346-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-001.jpg b/old/65346-h/images/illu-001.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index d3f0e1a..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-001.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-004.jpg b/old/65346-h/images/illu-004.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 9be490f..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-004.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-196.jpg b/old/65346-h/images/illu-196.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 98129e0..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-196.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-303.jpg b/old/65346-h/images/illu-303.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 57c0957..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-303.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-304a.jpg b/old/65346-h/images/illu-304a.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 32ecacf..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-304a.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-304b.jpg b/old/65346-h/images/illu-304b.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index e5b3b83..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-304b.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-305.jpg b/old/65346-h/images/illu-305.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 7f9f7cb..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-305.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/illu-319.jpg b/old/65346-h/images/illu-319.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 81fc2fe..0000000 --- a/old/65346-h/images/illu-319.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/65346-h/images/signet.jpg b/old/65346-h/images/signet.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index f203d8f..0000000 --- a/old/65346-h/images/signet.jpg +++ /dev/null |
