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-The Project Gutenberg eBook of Harzheimat, by Karl Reinecke-Altenau
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Harzheimat
- Das Heimatbuch eines Malers
-
-Author: Karl Reinecke-Altenau
-
-Release Date: June 12, 2021 [eBook #65600]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HARZHEIMAT ***
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
- ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist
- ~so markiert~.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
-
-
-
- Reinecke-Altenau
-
- Harzheimat
-
- Das Heimatbuch
- eines Malers
-
- [Illustration]
-
- 1924
-
- Verlag von F. A. Lattmann, Goslar am Harz
-
-
-
-
-Erstes und zweites Tausend
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Harzheimat
-
-
-Alles Gute, Schöne, Heilige umschließt mir dein Name, du liebe
-Harzheimat im Wiesengrund! Wenn ich dich nenne, tue ich es mit der
-Ehrfurcht, mit der man eine Mutter nennt: Denn ich bin dein Kind.
-Was das Leben aus mir schuf, ist deinem Schoße entsprossen. Aller
-guten Kräfte Urquell ist die Heimat. Wenn mein Schaffen sich mit dir
-verknüpft, nenne es Liebe, nenne es Dank.
-
-Ich bin dein Kind geblieben, du Bergstädtlein im Grünen, und will
-nichts anderes sein. Dein Kind wie einst, das mit großen Augen die
-Wunder deiner Wälder in die Seele trank und dem du dich ins Herz grubst
-so tief und fest, daß ein ewiges Heimweh in ihm brennen blieb. --
-Als ich Jüngling war, war dies Heimweh ein schmerzvolles Zerren. Dem
-Manne ist es stilles Feiertagsgeläut, das aus einem fernen verlorenen
-Paradiese herüberschwingt. Bergblumen blühen dort, und Waldvögel
-singen. Auf grüne Wiesen schauen blaue Berge herab. Und über allem ist
-ein weiches Zusammenklingen von Fichtenrauschen und Bachgeplätscher.
-Das bist du, Paradiesgarten meiner Jugend, Harzheimat!
-
-Als ich noch Bubenhosen trug, lagst du ein wenig hinterm Berge. Als
-wenn die Zeit in dir ihren Schritt verhalten hätte. Im Zwiebelturm
-der Kirche tackte noch das gleiche Uhrwerk, das schon in den Tagen
-von Richter und Rat die Stunden schlug. Und an dem verwitterten
-Zifferblatt drehte sich immer noch der eine Zeiger, mit dem sich nur
-die Alten zurechtfanden. Die Zeit weiß ich freilich nicht mehr, in der
-nur Saumpfade und grundtiefe Waldwege von draußen her zu dir führten,
-auf denen Eseltreiber das Brotkorn vom Lande heraufbrachten. Diese
-alte Zeit war dahin. Als der letzte jener Zunft gehörige Esel das
-Mißgeschick hatte, an einem Dämmerabend für einen Hirsch gehalten und
-von einem Wilddieb jämmerlich zuschanden geschossen zu werden, war
-längst eine neue angebrochen. Aber hinterm Berge lagst du immer noch.
-Ach, wärest du dort geblieben, Harzheimat!
-
-Das Hinterwäldlertum stand gut zu deinem Gesicht. Ein rechtes Bergmädel
-bist du gewesen, das zwischen Wiese und Wald aufgewachsen war und
-in stillen Augen stille Träume spann. Das laute Leben jenseits der
-Berge paßte nicht in deinen Frieden hinein. Du trugst kein Verlangen
-nach ihm. Die Leute in dir fanden ihr Genüge darin, zweimal in der
-Woche durch den Briefträger Nachricht von draußen zu erhalten oder im
-Wochenblättchen vom großen und kleinen Geschehen in der Welt zu lesen.
-Und wenn Handwerksburschen oder Wandersleute Neuigkeiten mitbrachten
-und Säcke voll Lügen, war das alles Evangelium für dich.
-
-Dann wurdest du größer und aufgeklärter und tastetest hinaus in die
-Fremde. Ein Postillon blies lustige Weisen. Ich kenne ihre Melodie noch:
-
- Hab’ dir was mitgebracht,
- Hab’ dir was mitgebracht,
- Sollst du mal sehn ...
-
-Und zweimal am Tage fuhr die gelbe Postkutsche in gemächlicher
-Juckelfahrt zwei Meilen Landstraße hinunter und herauf. Im Sommer
-brachte sie viele fremde Menschen mit, die teilhaben wollten an
-dem Frieden deiner Berge. Und da, Harzheimat, tatest du geschämig.
-Du ließest dich frisieren für die Fremden und ahntest nicht,
-wieviel Schönes und Frisches und Eigenes diese Frisur an deinem
-Bergmädelgesicht verdarb und wieviel Urwüchsiges und Echtes deinem
-Gewand genommen ward. Aber das eine konnte dir alle Ungeschicklichkeit
-nicht verderben: dein Herz.
-
-Jenes goldfündige Herz, schwerblütig und treu, das immer dasselbe
-geblieben war seit jener Zeit, wo der erste Rauch aus deinen Holzhauer-
-und Bergmannshütten im Urwalddunkel verwehte. Es wohnte harte Arbeit
-in dir und viel Armseligkeit. Feste waren selten. Es gab nicht wie
-heute jede Woche Tanzmusik. Dennoch glomm unter jedem Dach ein Fünklein
-Glücklichsein und Frohsinn. Das eben spann sich ab in einem geruhsamen
-Auf und Nieder, in dem stillen Gleichmaß, wie sich im Schacht die
-Fahrkunst aufwärts und abwärts bewegt.
-
-Als man aber den Schienenweg in den Basalt deiner Berge sprengte,
-kam Unrast in das Tal. Und als dann noch mit Prahlen und Keifen die
-Hexe Politik den Weg über die Harzhöhen auch zu dir fand und Haß und
-Feindschaft spie, da ward dein Herz ein anderes. Die Eintracht brach
-auseinander, und Glück und Frieden flohen erschrocken in die Wälder.
-
-Dein Glück, Harzheimat, dein Friede!
-
-Aber des Nachts, wenn in der Bergluft Sterne blänkern, verschlafene
-Brunnen an den Straßen plätschern und über dem Holz die Eule ruft,
-kehren sie heimlich zurück.
-
-Das ist die Stunde, in der du mir am liebsten bist.
-
-Des Nachtwächters Tritt verhallt in stillen Gassen. Er ruft nicht mehr
-wie früher die Stunden: Hört ihr Herren und laßt euch sagen ... Sein
-Horn ist verstummt. Und in der Neujahrsnacht wars so schön, wenn er
-sein Lied sang: Ach, wie laufen doch die Jahre. Die Welt ist nüchterner
-geworden. Stumm macht er seine Runde. Seine Gestalt taucht unter im
-Grau der Nacht. Und mir ist, als ob mit ihm ein Stück alter Zeit irrend
-durch die Straßen tappt, das verlorene Herz zu suchen.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Der Gottesacker am Berg
-
-
-Verfallene Gräberreihen ziehen sich den Hang hinan. Der Totengräber,
-der sie schuf, hat längst seine letzte Schicht verfahren. Und die
-Hände, die sich einstmals liebend um diese Hügel mühten, haben sich
-lange schon zum Ewigkeitsschlummer gefaltet, wer weiß wo. Der alte
-Gottesacker am Berg ist eine Stätte des Verlassenseins geworden, der
-Pflege des Herrgotts anvertraut.
-
-Hier ruhen unsere Urgroßväter und Großväter aus von der Wallfahrt
-im Harzheimatland. Eine stillgewordene Berggemeinde. Ihre Zeit ist
-abgetan. Das ist das stille Leid, das über diesen Hügeln liegt und das
-alles Bergblumenblühen nicht zu bannen vermag. Auf schiefen Kreuzen
-und zerbröckelnden Schiefertafeln verwittern die Namen versunkener
-Geschlechter, verblassen fromme Sprüche. Über die Gräber wächst der
-Rasen. Langsam ebnet er Hügel um Hügel und breitet über Not und Tod
-Vergessensein. Erde zu Erde.
-
-Es ist kein Friedhof voll Prunk und Pracht. Schlicht und herbe, wie das
-Leben der Bergstadtleute dahinfloß, ist auch ihre letzte Ruhestatt.
-Und Prunk und Pracht hätten nicht hergepaßt an diesen Blumenhang,
-auf dem jedes Grab und jedes Totenmal wie zufällig aus einer
-Bergwiese hervorgewachsen zu sein scheint. Als habe sich jeder ein
-Plätzchen gesucht, das ihm gefiel: der eine unter Bergwohlverleih und
-Hirschzunge, der andere unter Margeritten und Glockenblumen, der dritte
-unter Tausendgüldenkraut und Thymian und Bärwurz.
-
-Da schlafen müdegewordene Holzhauer, denen in knöcherigen Händen
-die Axt zu schwer ward. Hier hat der Reitende Förster sein letztes
-Ruhebett im Grünen gefunden. Die Fichte über seinem Grab rauscht ihm
-Grüße hernieder von Wald und Wild, und am Hubertusmorgen wehts durch
-ihre Äste wie verlorenes Halali aus Hannoverschem Jägerhorn. Dort ging
-der Fuhrherr zur Ruhe. Wenn über die Bergstraße ein Langholzwagen
-bollert, Peitschenknall an der Waldwand drüben das Echo weckt und an
-den Kummeten und Zäumen der Pferde die Messingbeschläge klingeln,
-mag des Schläfers totes Herz unterm Leinenkittel zucken. Former und
-Schmelzer rasten von hartheißer Arbeit am Schmelzofen und träumen
-dem Silberblick der Ewigkeit entgegen. Zerstampft vom Pochwerk Leben
-sagten hier Pochjunge und Pochsteiger der Erde Valet. Mit stummem
-Glückauf begrüßen sich Bergmann und Königlicher Bergrat beim großen
-Feierabend, der unter der Erde sie alle gleichmacht, die vom Leder
-und die von der Feder. Wenn die Morgensonne früh über die Waldhöhen
-guckt, gilt ihr erster Strahlengruß den Toten im Gottesacker am Berg.
-Dann sprüht Tauperlengefunkel zwischen den Gräbern. In Trauereschen
-und Lebensbäumen blänkern lang verweinte Tränen. Spinnennetze, die
-zwischen Wiesenschwingel und Knäuelgras ihr Seidengewebe ausspannen,
-werden zu kostbarem Filigran. Rostige Kreuze flackern wie braunrotes
-Gold in den Himmel hinein. Goldbronzerestchen, die sich kümmerlich an
-verwitterten Inschriften festhielten, schimmern im Sonnenschein, als
-wollten sie verlöschendes Erinnern an einen Toten lebendig machen. Um
-die Totenmale fließt stille Verklärung. Vergessene Seelchen huschen
-hervor. Sie hocken rings auf Hügeln und verfallenen Einfassungen. Mit
-weiten Träumeraugen schauen sie auf die Bergstadt hernieder, die Heimat
-im Tal, die eine andere ward.
-
-Da pfeift von fernher der Morgenzug. Eine Sirene zerreißt die
-Morgenstille und ruft heulend zur Frühschicht. Die Seelchen huschen
-erschrocken hinab und schütteln die Köpfe ob der neuen Zeit.
-
-Glockenblumen läuten über den Hang, und in armseligem Rosengerank singt
-eine Grasmücke ihre Litanei: Ruhn in Frieden alle Seelen.
-
-
-
-
-Das Glockenhaus
-
-
-[Illustration]
-
-Im Glockenhaus hatte alles seinen heimlichen Zauber: Der Stufengang
-am Wiesenhang hinauf, die knarrende Bretterstiege, das uralte
-Glockengebälk, die Glocken, der Geruch alten Holzes, der fröhliche
-Ausguck durch die Schalluken. Man konnte mit dem Fingerknöchel an die
-Glocken klopfen und lange lauschen auf das schwingende, singende Summen
-im Metall. Man konnte den Läutejungen in seiner Würde bewundern. Man
-konnte auf den Lukenbrüstungen reiten und lustig herunterspringen in
-Blumenwiesen hinein.
-
-Zu schön war es im Glockenhaus!
-
-Irgendwo in einer Spinnwebecke da oben blieb mir ein Krümchen
-Jugendglück hangen. So oft ich die Glocken höre oder das Glockenhaus
-sehe, huscht ein Gedanke hinauf, dies Glücklein aufzuwecken aus
-staubigem Winkel. Dann will es wieder froh wie einst zum Fenster
-hinausturnen oder hinaufklettern ins Glockengebälk bis unter die
-Schindeln. Und ist ganz voll Seligkeit, wenn ihm der Läutejunge die
-Gunst erweist, nach dem Läuten dreimal die Betglocke anschlagen zu
-dürfen.
-
-Das Glockenhaus ist kein wolkenstürmender Bau. Nur ein Spitzlein auf
-einem Berg. Und es ist nichts an ihm, das anspruchsvoll wäre oder
-über das Maß des Zweckmäßigen hinausginge. Man könnte es arg nüchtern
-nennen. Aber es hat seinen eigenen Stolz. Wie ein Wartturm guckt es
-auf die Bergstadt hernieder. Zu seinen Füßen muß sich die Kirche
-ducken: Die Herrin zu Füßen des Dieners. Aber das Glockenhaus ist darum
-nicht hochmütig. Es hält mit dem Kirchturm gute Nachbarschaft. Seit
-Jahrhunderten haben sie sich guten Morgen und gute Nacht geboten. Sie
-sind einander so nahe, daß eins dem andern in die Fenster gucken kann.
-Keins hat vor dem andern eine Heimlichkeit zu verbergen. Der Kirchturm
-kennt jede Bretterplanke am Glockenhaus und sieht die Roststreifen
-unter jedem Nagel. Das Glockenhaus weiß genau, wieviel Schieferplatten
-den Zwiebelbauch des Kirchturms beschuppen. Wenn der Wind nicht ein
-unterhaltsames Liedlein von einem zum andern hinüberpfeift, haben
-sie sich nicht viel zu erzählen. Sie sind aneinander gewöhnt und alt
-geworden und reden nicht unnütz.
-
-Dann guckt das Glockenhaus verschlafen zu, wie sich am Kirchturm
-langsam die goldenen Zeiger über das Zifferblatt drehen. Oder es
-horcht auf, wenn’s im Gehwerk drüben knarrt und die Hämmer quietschend
-zum Stundenschlag ausholen. In blinden Gucklochscheiben blinzelt die
-Sonne. Auf Messingknauf und Wetterfahne machen die Stare Kapriolen. Das
-Glockenhaus lächelt.
-
-Und dann schaut es ein wenig in die Kirche hinein. Die Sonne malt
-Goldstreifen über Bänke und Gestühl. Das rote Altartuch leuchtet. Man
-sieht die Stille in der Kirche.
-
-Nebenan im Pfarrhaus hat die Frau Pastorin die Betten zum Sonnen
-ausgelegt. Der Herr Pastor hat sein Hauskäppel aufgesetzt. Er sitzt im
-Studierstübchen und schreibt. Die Wolken aus seiner langen Pfeife weben
-duftigen Tüll vor das Fenster. Manchmal steckt er die kurze an. Dann
-steigt er in den Hof hinab und hackt Holz. Oder schlendert behaglich
-durch den Garten, ein Feierstündlein zu halten und nach Himbeeren und
-Salat zu sehen. Gehen Bergstadtmenschen vorüber, ist ein freundliches
-Grüßen und Wiedergrüßen.
-
-Im Nachbargarten flattert Wäsche. Irgendwo hängt ein Mütterchen die
-Käsehorte neben der Hintertür auf und legt säuberlich die weichen
-weißen Käse zum Trocknen auseinander.
-
-Das Glockenhaus hat viel Kurzweil an solcherlei kleinen und
-beschaulichen Dingen. Es ist nichts Aufgeregtes im Bergstädtchen.
-Frauen gehen mit der Mehlbutte zum Backhaus. Oder haben die Kiepe
-aufgehuckt, um darin die Einkäufe für die Woche zu bergen. Oder holen
-in klappernden Eimern Wasser vom Bottich. Sie schwatzen und stehen und
-gehen ihrer Wege. Männer begegnen sich und tippen mit dem Finger oder
-dem Pfeifenmundstück ein Glückauf an die Mütze.
-
-Manchmal bringen Wanderer Unrast mit. Vor Zeiten waren Wandersleute
-seltene Gäste im Bergstädtchen. Jetzt aber kommen sie in Trupps und
-in Horden. Sie singen Wanderfrohsinn durch die Straßen oder johlen.
-Das Glockenhaus hat sich an alles gewöhnt. Aber ein bedenklicher
-Knacks ging doch durch sein Gebälk, als zum ersten Male eine fremde
-Knabenschar zum Takt eines politischen Haßliedes durch die Bergstadt
-zog. Der Einpeitscher ging nebenher. In den Augen der Knaben war
-nichts von Wanderlust. Als ob ihre Seelen mit Gift geätzt wären. Der
-Einpeitscher wußte das. Aber dies Gift war sein Lebensinteresse.
-Wandern und Politik, Politik und Knaben: Das hatte das Glockenhaus noch
-nicht erlebt, solange es denken konnte. Und es schüttelte den Kopf ob
-der Wirrnis solcher Zeit.
-
-Stiller noch als der Sommer ging vor Zeiten der Winter durch die
-Harzheimatberge. Das Bergstädtchen tat einen langen Winterschlaf.
-Und das Glockenhaus schlief mit. Sie wachten erst auf, wenn zu
-Fastnacht die Bergleute und Hüttenleute mit Musik zur Kirche zogen
-und aus allen Häusern der Duft von heißem Schmalz und Öl und von
-frischgebackenen Fastnachtskrappeln durch die Straßen strich und
-bis hinauf auf den Glockenberg wehte. Die Wiesenhänge ringsum waren
-unberührte Reine, durch die der Fuchs seine Schnürfährte zog. Aber
-dann kamen die langen Bretter in die Berge. Mit dem Winterschlaf
-wollte es nichts mehr werden. Die Bergstadtfrauen schlugen die Hände
-über dem Kopf zusammen, als sie ihre Geschlechtsgenossinnen aus der
-Großstadt in Männerhosen einherstolzieren sahen. Und das Glockenhaus
-hat verwundert dreingeschaut ob der vielen bunten Wolljacken in den
-Straßen unten. Nun sind ihm auch das vertraute Bilder geworden. Auf
-allen Hängen zerfurchen Männlein und Weiblein den Schnee und treiben
-Sport mit den Brettern oder mit dem Kostüm. Das Glockenhaus hat helle
-Augen für Zünftiges und Unzünftiges. Drüben am Sprunghügel hupfen die
-Bergstadtbuben. Das Klappen der Schneeschuhe beim Aufsprung tönt bis
-zum Glockenberg herüber.
-
-Das bunte Winterleben geht fort, bis Wind und Regen den Schnee
-auch aus den höchsten Schneisen des Bergwaldes fortleckten. Die
-Schneeschuhläufer stellen die Bretter in die Ecke. Für eine Weile sind
-die Bergstadtleute unter sich. Dann hat das Glockenhaus nicht viel zu
-gucken. Das Leben im Bergstädtchen geht wieder seinen gemessenen Gang.
-Frauen schwatzen. Männer begegnen sich. Fuhrwerke bollern. Manchmal
-kommt ein Leierkastenmann. Und die Kinder rufen hinter ihm her:
-
- Orgel -- orgel -- nort -- nort -- nort,
- Meine Orgel ist kaputt.
-
-Oder es kommen wandernde Musikanten, die Braker, trätern ihren Vers und
-fangen in ihren Trompeten und Bombardons die Geldstücke auf, die ihnen
-aus den Fenstern zugeworfen werden. Oder fahrende Leute mit bunten
-Wagen kommen, mit denen ein Stück Romantik in die Ereignislosigkeit des
-Bergstädtchens hineinrollt.
-
-Manchmal geht der Ausrufer durch die Straßen, ein obrigkeitliches
-Dekretlein auszurufen oder eine Tanzmusik anzukündigen. Der Wind
-zerpflückt die Worte. Das Häusel auf dem Glockenberg ist auch nicht
-begierig auf derlei Sachen. Es wundert sich nur, daß der Ausrufer
-nicht mehr den langen und blankknöpfigen Büttelrock trägt wie in alten
-Zeiten. Damals sah er viel würdevoller aus. Die Bergstadtjungens, die
-auf verbotenen Wegen ruschelten, hatten Angst vor ihm. Nun steckt er
-in schlichtem, bürgerlichem Röcklein. Aller Respekt ist dahin. Von der
-Würde seines Amtes zeugt nichts mehr als eine abgeschabte Aktentasche
-und die Klingel. Er versteht sie meisterlich zu schwingen. Aber trotz
-aller Meisterschaft will aus der Amtsschelle nur ein dürres Bimbim
-heraus. Wie könnte es auch anders sein. Dem Glockenhaus ist es schon
-lieber, wenn ihm an jedem Sommertag die Kuhherde mit melodischerem
-Geläut aufwartet. Wenn der Kuhhirt getutet hat, ist auf allen Straßen
-im Bergstädtchen ein unruhiges Gequirle. Es ordnet sich gemach zum Zuge
-und strebt ins Freie. Auf blanken Fellen glänzt die Sonne. Glockenbügel
-malen grüne Striche in den rotbraunen Zug.
-
-Nach den Kühen läutet die Kälberherde hinaus. Ziegen und Schafe tappeln
-hinterdrein.
-
-Das Glockenhaus gibt den Tieren das Geleite nach draußen und macht
-einen Morgenspaziergang in die Umwelt. Es sieht die Landstraßen im
-Tal sich schlingen und drehen und sich auf Bergeshöh verlieren,
-Wiesenpfade sich verlaufen im Irgendwo des Gehölzes. An Waldsäumen
-und Fichtenkämmen tastet sich sein Blick hinauf zu blauen Höhen und
-Wolken. Aus Wälderdunkel, darin hier und dort sich das Rauchfähnlein
-eines Holzhauerfeuers in die Luft kräuselt, gleitet sein Auge gemach
-wieder hinab in lichtes Wiesengrün. Von weit draußen grüßen Forsthäuser
-her. Bäche blänkern daran vorüber. Und da ist auch der Mühlengraben,
-der mitblänkern will. Fischen nicht die Jungens schon wieder Elritzen
-in ihm? Und dort schmiegt sich die Mühle ans Bergstädtchen. Wenn das
-Tor zum Mühlenrade offensteht und die Sonne in den Radschacht scheint,
-blitzt silbernes Geglitzer bis zum Glockenhaus hinauf.
-
-Das ist von seinem Morgenausflug aus den Bergen heimgekehrt ins
-Bergnest. Unten in der Schule ist Pause. Die Jugend quirlt auf dem
-Schulhof durcheinander. Das Glockenhaus freut sich an dem Gebalge der
-Jungen und an dem Ringelreihen der Mädchen. Es kennt sie alle von der
-Stunde an, in der zum ersten Male der Wald über ihre Wiege hinrauschte.
-Sie wachsen unter seinen Augen heran und durchjauchzen eine frohe
-Bergjugend zwischen Wiesen und Wäldern und Bächen. Aus Mädeln und
-Buben werden große Menschen. Das Leben greift nach ihnen. Es packt sie
-nicht alle mit sanften Händen an. Die Mädel schlüpfen unter im warmen
-Nest einer Häuslichkeit. Die andern gehen harter Hantierung nach. Das
-Glockenhaus begleitet sie auf allen Wegen, auf denen sie ihr Brot
-suchen. Es gibt ihnen ein herzhaftes Glückauf mit, wenn sie sich rüsten
-zu saurer Schicht im Schacht. Es ist mit ihnen, wenn sie Axt und Säge
-auf die Schulter nehmen oder mit Holzkarren und Kiepen steile Hohlwege
-hinaufanken, im Bergwald untertauchen und heimkehren mit schwankender
-Last. Es schaut ihnen zu, wenn sie auf den Wiesen rings sich mühen, das
-Heu zu bergen und in schweren Bündeln hangab zu schleppen.
-
-Seit Jahrhunderten sind ihm alle Bilder mühseliger Bergmenschenarbeit
-vertraut. Geschlechter sind gekommen und gegangen. Die Arbeit voll
-Sorge und Plage ist immer die gleiche geblieben. Und sie wird für alle
-immer die gleiche bleiben, solange die Tanne grünt und Erz wächst
-und bis auf die Stunde, in der die Mühseligen ihren Lauf im Tal
-beschließen. Dann ist der große Feierabend gekommen. Sie falten die
-müden Hände. Man trägt sie hinaus zu denen, die vor ihnen den gleichen
-Pilgerpfad der Mühe und Arbeit wandelten. Dann schaut ihnen das
-Glockenhaus mit großen Augen nach. Unter seinem Spitzdach haben sich
-die Schalluken geöffnet. Lebewohl! rufen die Glocken. Und bis in fernes
-Bergesblau schwingt ihre Klage:
-
- Droben bringt man sie zu Grabe,
- Die sich freuten in dem Tal ...
-
-Der Klang verhallt. Im Glockenhaus bleibt ein Sinnen zurück. Im Wald
-drüben, der hinter dem Kirchturm einen samtgrünen Hintergrund malt,
-jagen Kreuzschnäbel durch die Wipfel. Die Graudrossel singt. Bergwiesen
-blühen. Die Bäche spinnen ihr Plätscherlied in Ewigkeiten fort. Die
-Heimat lebt. Menschen sterben. --
-
-Der Wandel der Zeiten hat auch den Weg ins Glockenhaus gefunden. Es
-gehen keine Läutejungen mehr hinauf ins Glockenhaus. Das Läuten ward
-ein Amt. Das Geschlecht der Läutejungen ist ausgestorben. Es schnitzt
-keiner mehr seinen Namen ins Gebälk. Und reitet auch keiner mehr auf
-der Brüstung der Luken und läßt seine Beine baumeln zwischen Himmel und
-Erde. Sie läuten auch nicht mehr dreimal am Tage. Es ist mancherlei
-anders geworden im Glockenhaus. Die große Glocke holte der Krieg. Sie
-ward zu Metall zerschlagen. Ihr Klang zerklirrte und starb. Verwaist
-blieb die kleine zurück. Wie ein Armesünderglöcklein verrichtete sie
-in den Jahren des Krieges ihren Dienst. Verzagt klangs vom Glockenberg
-herab. Die kleine Glocke ward zum Symbol der Armut und Not.
-
- ~IM ERSTEN JAHR ANNO 1693 CHURFUERSTLICHE REGIRUNG ERNESTI AUG
- HERTZOGEN ZU BRAUNSCH U LUENEB BISCHOF ZU OSNEBRUG & IST DISE
- KLOCK GEGOSSEN V NICOLAUS GREVEN IN HANNOVER.~
-
-Sie sah während ihres Erdendaseins Kampf, Elend und Hungersnot. Unter
-ihren Augen haben die Horden Belsunces und Vaubecourts im Bergstädtchen
-geplündert. Aber alles das und die Kriege nachher waren kleine
-Begebenheiten gegenüber dem Jammer des großen Krieges. Und als das
-Glöcklein den Frieden in die Berge rief, klangs wie ein Erlösungsschrei
-aus tiefster Not.
-
-Wußte nicht, daß sein Friedensgeläut der Grabgesang des Vaterlandes
-sein sollte. Wußte auch nicht, daß bald hernach sein eigenes Stündlein
-schlug: Es kamen neue Glocken, -- stählerner Ersatz. Man hängte sie in
-das alte Gestühl. Die kleine Bronzeglocke ward herabgenommen. Sie fand
-einen neuen Platz abseits. Es brauchte keiner darüber zu schreiben:
-Abgetan! Man sah es dem Platz an.
-
-Gräme Dich nicht, du Glöcklein. Das ist neue Zeit. Viel Altes, Gutes,
-Echtes ist in die Ecke gedrückt und hat dem Neuen weichen müssen gleich
-dir. Glücklich, wer in sich das Bewußtsein seines Wertes bewahrt und
-den Glauben an sich nicht verliert!
-
-Wenn die Stahlglocken läuten, kann das Bronzeglöcklein im
-Verbannungswinkel nicht an gegen das stählerne Bellen. Es wird
-überschrien. Ein feines Stimmchen abseits singt sein Lied für sich:
-
-Bellt nur, ihr Aufdringlichen, die ihr mich verdrängtet! Ersatz seid
-ihr und unecht. Euer Maul ist groß. Ihr wollt mich überschreien. Wer
-seinen Unwert verdecken will, schreit. Eure Stimme ist unedel. Ihr
-wollt etwas scheinen, wozu ihr nicht geboren seid. Stahl ist Krieg. Ihr
-taugt nicht zum Gottesdienst. Kinder einer zweifelhaften Zeit seid ihr,
-die manches über den Haufen warf, was sie bereuen wird. Doch, es sind
-noch Menschen im Bergstädtchen, die Sinn behielten für echte Werte
-und das Alte ehren. Sie lieben mich. Sie horchen auf meine Stimme. Ich
-läutete ihren Ahnen und Urahnen, die im Gottesacker am Berg schlafen.
-Ich bin die alte Zeit, in der nur das Wahre, Echte, Erzene galt!
-Schreit nur: Diese Wahrheit tötet ihr nicht!
-
-So singt die kleine Bronzeglocke im Winkel, und es ist ein richtiges
-Zänklein ins Glockenhaus gekommen.
-
-Aber es soll euch nicht gelten, ihr Bergstadtleute. Aus dem Glockenhaus
-weht kein Hader zu euch hinab. Die alte Glocke ist verständig. Sie
-weiß, daß sie das Opfer der Not und der Elendszeit ward. Sie weiß
-auch, daß nirgends in der Welt diese Zeit drückender war als in euren
-Bergen, auf denen wohl die Tanne grünt, aber kein Brotkorn wächst. Sie
-will nicht rechten. Nur manchmal muß sie ihr Herz ausschütten. Und ich
-sage euch: es ist heilsam, dann und wann ihrer Stimme zu lauschen und
-darüber nachzudenken, was sie zu erzählen hat. Wenn es ein Großes zu
-beläuten gilt, wird der Zwist im Glockenhaus schweigen. Und immer einig
-werden die drei ungleichen Schwestern sein in dem Gebet:
-
- Holder Friede, süße Eintracht
- Weilet, weilet
- Freundlich über dieser Stadt!
-
-Und ein Bergstadtkind in der Ferne betet mit.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Kinderland
-
-
-Die breitkronigen Ahorne und Eschen, die mein Kinderland beschatteten,
-sind fort. Das Geld für ihr Holz war fremden Menschen wertvoller
-als die grüne Laubpracht und der Vogelsang darinnen. Von ihren
-Wipfeln flöteten die Stare Jahr um Jahr den ersten Frühlingsgruß
-ins Bergstädtchen hinein. Nirgends sangen Fliegenschnäpper und
-Schwarzplättel lustiger als hier. Wenn die Finken schlugen, wars
-wie ein Konzert in grün verhangener Halle. Am Ahornhang blühten die
-allerschönsten Veilchen, -- o, wie sie Frühling dufteten! -- und
-schönere Schneckenhäuser gab es nirgendwo.
-
-Nun ist von der rauschenden Baumherrlichkeit nichts geblieben als ein
-paar Wurzelstümpfe. Wie letztes Lebenwollen kümmern Jungtriebe daraus
-hervor, an denen die Ziegen rupfen.
-
-Wenn ich den Kirchenbrink hinansteige, ist mir der Weg ohne die
-Bäume fremd. Meine Augen suchen etwas. Und wenn sie dann ins Kahle,
-Leere schauen, tropft es schwer von meinem Herzen. Ein Stück meiner
-Jugend hat hier gegrünt. Bäume können zu Freunden werden, denen man
-nachtrauert.
-
-Schattenlos senkt sich der Hang zum Bach hinab. Es ist, als ob er
-blinzeln muß, sich nicht an die Helle über ihm gewöhnen kann und auch
-er die Alten vermißt. Als sie noch ihr Laubdach über ihm wölbten, war
-sein Wasser ein Wechselspiel von grünen Widerscheinen. Um Kiesel und
-Geröll rieselte ein smaragdenes Mosaik. Bachstelzen wippten darüber
-hin. Alle Vögel aus der Nachbarschaft kamen zum Trinken hierher. In
-trockenen Sommern holten sich die Schwalben von dort den Schlamm zum
-Nesterbauen. Es war ein heimliches Paradies. Brennesseln wucherten
-den Hang hinauf. Schöllkraut blühte rings, und zur Herbstzeit war es
-lustig, im Springkraut zu waten. Just an dieser Stelle entfloh der Bach
-für eine kurze Weile den steinernen Mauern, die ihn bei seinem Lauf
-durch das Bergstädtchen im Zaume hielten. Denn zu Zeiten konnte er
-ein ungestümer Geselle sein, der mit Rauschen und Reißen daherstürzte
-und steinepolterndes Unheil ins Tal wälzte. Zumeist freilich war er
-ein friedfertiges Bergbächlein, das sein Blänkerwasser pladdernd
-hinabführte, Wiesen grüßte von Bäumen, Brücken und Häusern schnörkelige
-Bildlein malte und allen, die es hören wollten, von Berg und Bruch und
-Urwald erzählte, die ihn geboren. Er hatte auch einen richtigen Namen,
-der in jedem Erdkundebuch und auf jeder Landkarte steht. Aber die
-Bergstadtleute nannten ihn nie mit seinem Taufnamen und sagten einfach:
-die Flut. Auf der Flutmauer, die sich dem Ahornhang anschloß und zum
-Grundstück des Vaterhauses gehörte, grünte in fröhlicher Ungebundenheit
-ein Himbeerwäldlein. Dort hatte der Zaunkönig seine Heimlichkeit. Und
-jedes Jahr knixten von der Gartenplanke hinter den Himbeeren zehn
-putzige braune Bällchen mit keck emporgerichteten Schwänzen in die
-Welt hinaus. Ich hätte das Geburtsschloß der jungen Zaunkönige gern
-gesehen. Aber eine Scheu hielt mich zurück. Es wäre mir als Sünde
-vorgekommen, ihr heimliches Glück mit meinen Blicken zu stören. Ich
-bin nie mitgegangen, wenn mir Kameraden ein Vogelnest zeigen wollten.
-Als ich zum allerersten Male ein Nest aus der Nähe sah, war mir das ein
-heiliges Erlebnis, bei dem mir das Herz pochte.
-
-Wenn in der Flut eine Wasserratte schnupperte oder gar ein Iltis
-über die Steine hopste, wurde im Zaunkönigreich Feuer und Mordio
-gezetert: zerrr, zerrr zerrrzerrrzerrr! Dann wußten alle Vögel, daß ein
-feindliches Etwas den Frieden im Flutwinkel stören wollte. Sogleich
-war Frau Wippstert, die graue Bachstelze, zur Stelle. Sie hielt einen
-Augenblick inne im Wippen und gab den Warnruf weiter: Zuip-tütütüt,
-zuip-tütütüt! Mit hastigem und ängstlichem pink-pink-pink-pink flog
-der Fink herzu, und hß-taktak, hß-taktaktak, lumpenpack! warnte das
-Rotschwänzel. Dieb? dieb? fragte lakonisch der Fliegenschnäpper, der in
-aller Aufregung die Ruhe bewahrte.
-
-Dann richtete sich auch die gelbe Bachstelze in ihrem Nest auf, legte
-den Kopf schief und äugte verwundert zur Flut hinab. Ihr Nest hatte
-sie an unserm Stall. Wenn sie an Regentagen an den Stallfenstern nach
-Fliegen und Spinnen jagte, hätte sie den Kühen und Pferden im Stall
-zuschauen können, wenn nicht die Fensterscheiben grün und blau und
-blind gewesen wären.
-
-Unser Stall!
-
-Mir zieht der Duft von Heu und Häcksel durch die Nase. Ich spüre den
-Geruch von warmem Pferdeschinn, der an Kummeten und Zäumen klebt. Ich
-denke an heimliche Balkenwinkelei, an Stollen, Schächte, Räuberhöhlen
-und Burgverließe im Heu. Vom Hühnerwiemen flattern bunte Federn herab.
-Mäuse kraspeln im Futterkasten. Ich fühle ihr sammetenes Fell in der
-Hand und lasse sie laufen, weil ihre Knopfäugelchen bitten. In den
-Fensterwinkeln blaken Spinneweben. Fliegen, Heumotten und Heusamen
-fingen sich darin. Schwarze Spinnen liegen auf der Lauer. Sie gucken
-kaum mit dem Kopf aus ihren Höhlen wie die mißtrauischen Ratten, die
-ihr Loch unter der Krippe haben. Über Krippen und Heuraufen klettern
-meine Gedanken durch die Futterluken in den Heuboden hinauf. Als ich
-noch Wachstuchschürzen trug, war er mir ein Ort heimlicher Schauer.
-
-Wißt ihr noch, Anna und Johanne, wie sich der Hosenmatz an euren
-Rock geklammert und sich vor dem Schatten gefürchtet hat, den die
-Stallaterne über das Heu warf?
-
-Nach dem Füttern mußte er den Kuhschwanz halten, wenn ihr beim Melken
-saßet. Aber ihr machtet ihm die Arbeit leicht und wußtet ihm die
-schönsten Märchen zu erzählen. War es nicht der Däumling, der im Bauch
-der Kühe immerfort seinen Reim rief:
-
- Schtripp, schtrapp, schtrull,
- Is der Emmer noch net vull?
-
-Die Erinnerung an viele liebe Tiere kommt mir. Pferde, Kühe, Kälber,
-Schafe, Kaninchen und Meerschweinchen hopsen mir durch die Gedanken.
-Hat keines seinen Platz in meinem Herzen verloren. Ich rufe sie bei
-Namen. Sie spitzen die Ohren und horchen. Dann erkennen sie mich. Eins
-nach dem andern kommt in froher Eilfertigkeit, mir die Hand zu lecken.
-Aus ihren Augen strahlt Freuen und Dankbarsein. Sie schmiegen sich
-an mich. Ich fühle den warmen Hauch ihrer Nüstern, das Kitzeln der
-Spürhaare. Ich streichle sie wie einst ... Wie einst ...
-
-Unter meinen Händen zerrinnt ihr Bild und sinkt in die dunklen Tiefen
-zurück, daraus es Träume auferweckten. In die gleiche dunkle Tiefe,
-darin Jugend und Kinderzeit untergingen. Ist nichts von allem geblieben
-als das bittersüße Tröpflein Eswareinmal, das heiß am Herzen brennt.
-
-Ich schließe die Stalltür. Sie trägt tausend Spuren von Flitzbogen- und
-Armbrustpfeilen und Pusterohrbolzen. Geradeso wie die Bretterplanken
-der Laube am Gartenhang. An ihren vier Ecken grünten Ahornbäume.
-Es ließ sich wunderschön auf das Laubendach klettern und im
-Ahorngezweig herumturnen. Dort hingen im Winter die Speckschwarten und
-Schweinepötzel für die Meisen. Und in der Laube war der Futterplatz für
-Finken und Goldammern. Im Frühjahr schnitzten wir dort unsere Pfeifen
-aus Quitschenruten. Wenn sich die Rinde nicht lösen wollte, half beim
-Klopfen ein Zauberspruch:
-
- Ra-ra bi-ba,
- Wutte nich gera’n,
- Schmiet eck deck in Graben,
- Halet deck die Raben,
- Kimmt de ule Hesse,
- Mit den schtumpen Messe,
- Bein af,
- Kopp af,
- Alles, wat dran sitt,
- Mot af -- af gahn.
-
-Die Laube konnte durch die Hoftür in unsern Hof gucken. Zwischen Garten
-und Hof floß die Flut.
-
-An dem Geländer der alten Knüppelbrücke, die sich über die Flut legt,
-hat der Knabe oft gelehnt und dem Rätsel nachgesonnen, woher das Wasser
-kommt, das Tag und Nacht, Wochen, Monate, Jahre unter der Brücke talab
-fließt und sich nie erschöpft. Bis sich ihm das Geheimnis auftat:
-Irgendwo auf Bergeshöhn mußte ein furchtbar großer Turm stehen. Der
-war bis obenhin gefüllt mit Wasser. Unten war eine Öffnung, die der
-liebe Gott groß und klein stellen konnte wie der Müller das Mühlenwehr.
-Meistens ließ er nur wenig Wasser durch, damit es nicht zu schnell alle
-werden sollte. Wenn der Turm leer zu werden drohte, bestellte er einen
-Regen, der den Turm wieder auffüllte. Manchmal verrechnete er sich.
-Dann ging der Turm über, und das Wasser schoß heulend und brausend
-die Flut hinab. Die Abflußgosse unseres Bottiches kleckerte wie ein
-winziges Wasserstrählchen dazu.
-
-Der Eisenbottich auf dem Hof ist fort. Er wurde altes Eisen. Das Eisen
-stand hoch im Preis. Der Lumpensammler holte ihn. Fremden Menschen
-konnte er nicht sein, was er mir war.
-
-Wenn aus den beiden Wasserpfosten das Wasser in seinen Rostbauch
-plörrte, war es wie Quellenmusik in einem Waldtal. Und wenn Eimer auf
-seinen Rand gestülpt wurden, kam aus dem Eisen läutendes Klingen.
-Unten auf dem Grunde schwammen meine Forellen. Die Pferde schlürften
-Wohlbehagen aus ihm.
-
-Vorbei.
-
-Das Vaterhaus ist fremde Stätte geworden. Es springen im Hof keine
-Hunde mehr an mir hinauf. Und die Pferde, deren Hufe über das
-Steinpflaster klappern, sind -- Pferde. Es singt mir keine Schwalbe
-mehr das Morgenlied. Ich hänge keine Starkasten mehr auf. Und wieviel
-Rotschwänzel in meinem Kinderland nisten, weiß ich nicht.
-
-Mein Fuß geht an den lieben Stätten vorbei. Und das Herz blutet.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Das Bergkind
-
-
-Jürgen Traumelin wußte nicht, wie fest die Harzheimat in sein Herz
-gewachsen war. Er wußte nicht, wie seine Seele am Fichtenwald hing,
-an Bächen und Wiesen und an allen Bergdingen, an denen sich seine
-Kinderzeit abspann. Es war stille, unbewußte Liebe. Ein Feuerlein,
-das sich aus sich selbst erhielt und in der Brust glühte wie eine
-Selbstverständlichkeit.
-
-Jedem Bergkind gibt der Herrgott ein solches Feuerlein mit. Bei wenigen
-verflackert’s. Die meisten tragen es mit sich herum und denken nicht
-darüber nach, woher die Wärme kommt, die so wohlig das Herz umschlägt.
-Und bei vielen wird’s zur verzehrenden Flamme, wenn man ihre Wurzel
-herauszieht aus dem Boden, der ihre Heimat ist.
-
-Das alles wußte Jürgen Traumelin nicht. Aber es sollte sein Schicksal
-sein, daß er es zur Genüge erfuhr.
-
-Eines Tages war der Traum der Jugend zu Ende. Man brachte
-den Bergjungen in die Fremde. Jürgen Traumelin zog seinen
-Konfirmationsanzug an, aus dem er längst herausgewachsen war, und sagte
-der Heimat Ade. Es war kein herzhafter Gruß. Etwas Neues lockte. Und
-doch wollte das Alte nicht loslassen. So begann die Reise mit Hangen
-und Bangen. Ein wenig Neugier prickelte in der Brust. Aber in der Kehle
-saß ein würgender Knoten.
-
-Wenn die Postkutsche doch nicht so unbarmherzig schnell talwärts führe!
-Als wenn sie es eilig hätte, nur fortzukommen von der Harzheimat. Geht
-doch langsam, ihr Traber! Eines Bergjungen Seele ist nicht so flink
-wie eure Beine. Sie weilt noch in den Bergen, woher das Wasser kommt,
-das euren Weg begleitet, streift in Tann und Dickicht, derweilen ihr
-bereits ins Flachland trappelt ...
-
-Sie stiegen in den Zug. Die Maschine pfiff.
-
-Warum guckst du nicht fröhlich drein, Jürgen Traumelin? Heute machst du
-deine erste große Fahrt in die Fremde und deine Fahrt ins Leben dazu!
-
-Er konnte nicht fröhlich sein. Hätte aber auch nicht sagen können,
-welche zwiespältigen Geister in ihm stritten. Eine stumpfe Ergebung
-kam über ihn. Nur still sein, nicht antworten brauchen und träumen, --
-träumen.
-
-Wenn doch nicht dieser Knoten im Halse säße und das trockene Schlucken
-nicht wäre!
-
-Der Zug rollte an den Harzheimatbergen vorüber. Sie wurden kleiner
-und verloren sich im Blau der Ferne. In Traumelins Seele verloren
-sie sich nicht. Buchenwälder huschten vorüber, Kornfeldbreiten,
-Dörfer und Menschen. Dem Bergkind sagte die neue Welt nichts. Seine
-Gedanken tasteten sich in Wiesentäler und Fichtengründe zurück. Kaum,
-daß ihn ein fremder Vogel draußen, den er daheim nie sah, aus seinen
-Bergträumen riß.
-
-Dann waren sie in der fremden Stadt, in der Jürgen Traumelin
-hochgelahrter Schüler werden sollte.
-
-Puh, -- diese Stadt!
-
-Haus an Haus, eng, steinern, frostig. Nirgends ein Gäßlein zum
-Durchlugen, kein Garten an den Straßen und keine Lauben mit
-Rotschwänzelnestern. Und in den Höfen keine Holzbansen. Keine
-Stalltüren, aus denen braune Kühe traten. Und die Menschen gingen
-aneinander vorbei. Es bot keiner dem andern guten Tag oder ein
-freundliches Glückauf. Und grüßte kein Berg in die Straßen hinab. Ein
-paar Hügel lagen rings. Aber sie waren fern und fremd und nicht mit
-Stadt und Menschen verwachsen. Ihre Hänge waren zerrissen, geflickt,
-parzelliert. Und nirgends bot sich ein Wiesenplan, an dem das Auge
-hätte ausruhen können. Die Wiesen in dem breiten Flußtal, in das sich
-die Stadt hingelagert hatte, waren lustlose Eintönigkeit. Wieviel
-lichter und lustiger war das alles daheim! Und der große Fluß! Ach
-ja, er war größer als alle Harzbächlein zusammen. Aber sein Wasser
-kroch grau und träge dahin. Es konnte nicht rauschen und brausen und
-platschen und plantschen, kein Berglied jauchzen und fröhliche Hopser
-machen. Und man sah keine Forellen darin und keine Sonnenkräusel über
-blanke Steine rieseln. Wie langweilig der graue Fluß war!
-
-Und wie Traumelin über die Eisenbrücke schritt und hinabsah in die
-trübe Flut, schien ihm das Wasser wie ein Spiegel der Zukunft. Die
-fremde Stadt war ihm Enttäuschung geworden. Ein Schauder kroch ihm aus
-ihr entgegen. Und das Gefühl des Naturkindes sagte ihm, daß sie ihm
-immer fremd bleiben würde. Wo keine klaren Wasser fließen, findet ein
-Bergjunge keine Heimstatt.
-
-Würgt nicht schon wieder der Knoten im Halse, Jürgen Traumelin?
-Ein langer Seufzer ging ihm aus der Brust. Und seine Gedanken
-flogen heimwärts, ein Heilkräutlein zu pflücken gegen die grausame
-Ernüchterung. Die Erinnerung begann goldene Bogen zu bauen.
-
-Dann war der Bergjunge allein unter fremden Menschen. Zum ersten Male
-in seinem Leben. Er teilte seine Behausung mit ein paar Altersgenossen,
-die das gleiche Ziel in die Stadt führte.
-
-Wo seid ihr her? Und sie nannten ihre Dörfer.
-
-Ach, ihr Flachlandkinder! Ihr habt alle keine Harzheimat mit Bergen und
-Fichtenwäldern und Bächen und Blumenwiesen!
-
-Habt ihr schon Hirsche gesehen? Oder schon Forellen gefangen? Wißt ihr,
-wie Zeisige singen, oder könnt ihr pfeifen wie der Dompfaff?
-
-Sie lachten über ihn. Und als er zu Bett ging, wußte er, daß ihm diese
-Menschen, die das Schicksal ihm zu Weggenossen bestimmte, fremd bleiben
-würden wie die fremde Stadt.
-
-Wie frisch die Bettwäsche roch, die ihm die Mutter sorglich mitgab!
-Genau wie daheim, wenn die Betten neu überzogen waren. Wie daheim ...
-
-Hupp, machten seine Gedanken. Und fort waren sie ins Harzheimatland.
-Was mögen sie um diese Stunde zu Hause tun? In der Stube ist ein
-wohliges Ausruhen vom Tagwerk. Gewiß sitzen sie um den Tisch und denken
-an den, der heute in die Fremde zog. Am warmen Ofen räkelt sich der
-Wolf und knurrt im Traum ... Das Katzengretel schnurrt im Stiefelkasten
-... Im Kuhstall draußen ruft das braune Herschel. Im Pferdestall wird
-der Futterkasten zugeklappt. Tränkeimer klirren. Vater füttert die
-Pferde ab ... Gestern hast du es noch getan, Jürgen Traumelin! ...
-Ob der Bläß nicht wartet, daß du ihm einen Leckerbissen reichst? Und
-der Rappe es nicht vermißt, daß du ihm den Hals streichelst und in
-Schopf und Mähne kraust? -- Nun löscht Vater die Laterne aus. Der
-Stalltürriegel knarrt ... Müde Schritte im Hof ...
-
-Ein Heimattraum gab Jürgen das Geleit durch die erste Nacht in der
-Fremde. Er wachte früh auf.
-
-Singt denn keine Schwalbe auf dem Fensterflügel?
-
-Und plätschert im Hof kein Brunnen?
-
-Ach nein. Es ist alles still. Und es grüßt kein Wiesenhang ins
-Kammerfenster hinein. Kein Ahorn sagt guten Morgen und kein Eschenbaum
-und keine Bergstraße.
-
-Der neue Tag ging mit neuen Enttäuschungen auf.
-
-In grauer Trübseligkeit machte sich Jürgen auf den Schulweg. Er
-pilgerte ihn wie einer, der den Galgen ragen sieht.
-
-Wirf ab alles, was dich an die Heimat kettet, Wildling vom Berg!
-Und deine Jugend wirf hinter dich! Auf den Kathedern sitzen sie und
-warten und wetzen das Messer. Sie werden dich hacken und hobeln und
-werden dich schaben, dich stutzen und säuberlich solange an dir
-herumschneiden, bis dein rotes Blut saftlos sein wird.
-
-Dann hockte er in der Schule. Diese Schule, -- puh! Den Bergjungen
-schüttelte es. Als er heimkehrte, war sein Leben um ein paar
-Moralpredigten reicher geworden und das Säcklein seiner Enttäuschungen
-zum Überquellen voll. In der Schule lachten sie über seine Sprache.
-Harzer Roller! hänselten sie und feixten, wenn auf seiner Zunge harte
-Laute weich und weiche hart wurden und das ü zum i oder das ö zum e.
-Seine Lehrer mäkelten an ihm herum. Es ging ihnen nicht schnell genug,
-daß er die Sprache der Harzheimat abtat und ihr aalglattes Hochdeutsch
-redete. Als wenn sich alle gegen ihn verschworen hätten. Es war nichts,
-das ihm die Fremde hätte lieb machen können.
-
-Wie der weite Flachlandhimmel drückt!
-
-Kommt doch heran, ihr Berge, und stützt ihn, daß er nicht einfalle! Und
-recken sich nirgends ein paar Fichten in die Wolken?
-
-Ach nein, Jürgen Traumelin. Der Wald hier ist nicht dein Heimatwald.
-Es ist kein dunkelgrünes Hangauf und Hangab und kein fröhliches
-Weiterwellen Berg an Berg. Jedes Berglein hier ist abgemessen, steigt
-an, fällt ab und hört auf. Und an jedem Wald kannst du die Grenzpfähle
-stecken sehen. Es gibt kein Träumen in meilenlangem Fichtenduster.
-Der Buchenwald ist kahl und nicht für Traumelins geschaffen. Kein
-traulicher Waldwinkel lädt dich zu Gast. Und findest kein verschlafenes
-Flecklein Weltferne, kein Erlenbruch, in dem die Spechte hacken, keinen
-Rauschebach und keinen Bergquell.
-
-Er wollte ein Stück Heimat suchen und suchte vergebens. Eine Scholle
-Erde nur, auf der er sich heimisch fühlen, die er liebkosen könnte und
-mit den Händen streicheln und der er hätte sagen können: Du bist wie
-meine Heimat! Du bist geheiligtes Land.
-
-Es ward ihm keines beschert.
-
-Heimatlos und doch unendlich heimathungrig irrte seine Seele durch
-Wolken und Weiten, ihre Ruhestatt zu finden daheim. Träume wurden
-Zauberinnen. Im Sonnengold der Erinnerung wandelte sich die ferne
-Harzheimat zum Zaubergarten, über dem strahlend der Maientag der Berge
-leuchtete. Und Wiese und Wald darin waren voll Sirenengesang. Jedes
-Fichtenrauschen ward ein Locken: Kehr wieder, Bergbube!
-
-Komm doch! zwitscherten die Vögel. Und die Bergblumen nickten: Kehr um!
-
-Wir warten auf dich! plätscherten die Bäche. O, fühlst du nicht, wie
-wir auf dich warten!
-
-Tausend Bilder stürmten in des Heimwehkranken Seele, süß, betörend,
-verführerisch. Und blieb doch keine Frohheit in ihr zurück. Furchtbare
-Dämonen krallten sich in sie hinein, zogen, zerrten, rissen.
-Blutsauger waren sie und verführerische Gaukler. Sie spielten mit dem
-Bergjungenherzen ein grausames Spiel, wirbelten das verzagte Ding in
-goldene Himmel und ließen es abstürzen in Höllenschlünde.
-
-In einsamen Stunden flüchtete der Knabe auf seine Kammer. Ach, einmal
-nur hinschauen in die Richtung, wo die Heimat liegt. Drüben muß
-es sein. Wenn doch nur ein einziges blaues Berglein hersähe! Aber
-eine schwarze Wolke lag vor dem Paradies. Und so war es Traumelins
-Schicksal, den bitteren Kelch Heimweh auszutrinken bis auf die Neige.
-Sein Leben war Qual. Jeder Heimatgedanke riß eine Wunde durch sein Herz.
-
-An einem grauen Tag saß Jürgen Traumelin auf seinem Bettrand wie so
-oft. Seine Augen verloren sich in der Ferne. Heimliche Glocken läuteten
-irgendwo. Die Stimmen der Heimat lockten und sangen. Sie hatten ihre
-bestrickendsten Saiten aufgespannt. Da geschah das Wunder, daß dies
-Singen ihm nicht zum Schmerz wurde, sondern daß es heimlich in ihm
-mitzusingen begann. Die schwarze Wolke auf seinem Gemüt war ein wenig
-zur Seite gerutscht. Irgendwo lachte ein Sonnenstrählchen. Es war, als
-ob nach langer Zeit ein Glück leise ans Herz zu tippen wagte. Und als
-Traumelin die Treppe hinabstieg, flüsterte es über seine Lippen: Ich
-komme! Und es begab sich, daß zu dieser Stunde das Knäuel im Halse
-hinabzugleiten begann.
-
-Unten zählte er seine Heller. Es war das Geld, für das er sich eine
-bunte Mütze hatte kaufen sollen. Es reichte just. Dann schrieb er ein
-Zettelchen. Ein paar heimwehkranke Worte standen drauf. Die andern
-sollten wissen, was ihn forttrieb.
-
-Auf heimlichen Wegen erreichte er den Bahnhof. Gott sei Dank, es hatte
-ihn keiner gesehen. Und kam keiner, ihn zurückzuhalten.
-
-Als er im Zuge saß, der ihn der Heimat nähertragen sollte, war zum
-ersten Male ein richtiges Aufatmen in ihm. Die Kette um seine Seele
-sprang. Der Kampf schwieg. Es kam eine Müdigkeit über ihn, die ihm
-Erlösung ward.
-
-Jürgen Traumelin auf Heimatpilgerfahrt!
-
-Zwei Tage und eine Nacht hat er gehungert und gefroren. Herbstnebel
-umwehten ihn. Zwischen Fichten und Felsen pfiff der Wind. Er grüßte
-sie als freundliche Boten der Heimat. Mit leichtbeschwingter Seele
-schritt er aus. An einem Bergbach kniete er nieder und trank. Einmal
-wieder Bergwasser schlürfen zu können, war einer seiner heimlichsten
-und heißesten Wünsche gewesen. Nun war er in Erfüllung gegangen. Seid
-umarmt, Berge und Wälder, Harzheimat!
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-Als Jürgen Traumelin am zweiten Abend unter sich im Tal die Lichter der
-Bergstadt sah, stieg er beglückt hinab.
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-Im Glockenhaus läutete es sieben. Es war der Willkommengruß, den die
-Harzheimat dem heimkehrenden Fremdepilger bot.
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-[Illustration]
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-Der Kirchenbrink
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-Der Sonntagmorgen hatte für mich seine eigene Feierlichkeit.
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-Ich durfte meine Stulpenstiefel anziehen. Es gab in der ganzen Welt
-nichts so Schönes wie meine Stulpenstiefel! Und zum Kaffee kaufte
-die Mutter Salzkuchen. Für Salzkuchen hätte ich meine Seligkeit
-eingetauscht. In der Küche bruzzelte ein Braten. Der Duft zog
-verlockend durch das ganze Haus, in dem es nie so stille zuging wie
-an diesem Morgen. Aber das Schönste war doch, auf der Lehne des alten
-Ledersofas zu hocken und zuzuschauen, wenn den Kirchenbrink hinauf die
-Bergstadtleute zur Kirche pilgerten.
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-Der Kirchenbrink war mein Freund. Es machte Spaß, vier, fünf Stufen
-auf einmal herunterzuspringen und am Geländer herabzurutschen. Blumen
-nickten von rechts und links über die alten Steintritte. Durch die
-Zaunlatten guckten Kälberkropf und Bärenklau. Man konnte prächtige
-Spritzen daraus machen. Und die roten und weißen Taubnesseln, die am
-Kirchenbrink blühten, hatten den süßesten Honig.
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-Des Alltags lag er still und verlassen da. Er konnte die Leute zählen,
-die auf ihm von der Bergstraße herabkamen oder zu der Bergstraße
-hinaufgingen. Am Sonntag aber ist er voll Leben gewesen.
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-Alte Mütterchen mit Hauben und Bändern trippeln behutsam die Stufen
-hinan. Die eine Hand hält das Geländer fest. Die andere umschließt
-sorglich das Gesangbuch, damit der Pfennig für den Klingebeutel nicht
-herausfällt und Taschentuch und Brillenfutteral nicht davon abrutschen.
-Invaliden im Abendmahlsrock steigen hinterdrein, die lahmen Füße
-bedachtsam von Tritt zu Tritt setzend. Jungens und Mädels hüpfen
-an ihnen vorbei. Bürgersleute tragen Zylinder, Feiertagsmiene und
-Goldschnittgesangbuch mit gemessener Würde treppan, vereinigen sich
-oben mit der Schar derjenigen, die die Straße am Berg herunterkommen
-und verschwinden in der Kirchentür.
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-Stieg viel alte Gläubigkeit und Frommheit den Kirchenbrink hinauf, den
-Tag des Herrn würdig zu weihen. Es stieg auch viel Gram und Kummer und
-grüblerisches Gottsuchertum hinauf, in der Kirchenstille Trost und
-Vergessen zu finden oder den Unbekannten zu ergründen, der die Tanne
-grünen und Erz wachsen läßt. War viel altes Gold unter abgeschabten
-Wämsern.
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-Wenn das Sonntagsgeläut des Glockenhauses in den Bergen verhallt war,
-tat der Kirchenjunge die Tür zu. Feierlich scholl das Orgelvorspiel
-durch die Morgenstille. Der Sonntagsfrieden des Bergstädtchens war
-nie fühlbarer als in diesem Augenblick. Das Orgelspiel klang aus
-der geschlossenen Kirche wie eine ferne Engelsmusik. Sie machte mir
-Gotteshaus und Gottesdienst zu einem Mysterium, zu dem der Kirchenbrink
-der geheimnisvolle Zugang war.
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-Als der Knirps es unternahm, das Geheimnis zu ergründen, schwirrten
-seine Gedanken bedenklich abseits.
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-Von meinem allerersten Kirchgang ist mir nur die Erinnerung an drei
-merkwürdige Dinge geblieben. Das eine war ein schwarzer Mann. Er
-hatte ein weißes Bäffchen um und stand auf einem grünen und goldenen
-Balkon. Von dort aus sprach er irgendetwas vom lieben Gott. Die andere
-Merkwürdigkeit war ein Mensch mit einem Hauskäppel. Der ging zwischen
-den Bänken umher und hielt den Leuten einen klingelnden Sammetbeutel
-unter die Nase. Das größte Wunder jedoch war der Taufengel. Er schwebte
-von der Decke hernieder und hielt in den Händen ein Taufbecken. Ich
-aber verstand seine Sendung nicht. Verstohlen fragte ich meine Mutter,
-was denn eine »Biermamsell« in der Kirche solle.
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-So hatte mir das Gotteshaus sein Rätsel nicht erklärt. Und als ich
-hernach den Kirchenbrink hinabstieg, blieb hinter mir das gleiche
-Geheimnis, das es vordem gewesen.
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-Osterfeuer
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-Am Osterheiligabend hat kein Bergstadtjunge Zeit, Abendbrot zu essen.
-Der Geruch verbrannter Fichtenhecke und brennenden Fichtenharzes
-prickelt ihm in der Nase. Das Osterfeuer wird angesteckt. Da bleibt für
-unwichtige Dinge nicht Muße. Jeder hegt zudem in sich die Überzeugung,
-daß ohne ihn das Osterfeuer nicht brennen und die ganze Herrlichkeit
-nur halb so schön sein würde, wenn seine Fackel nicht dabei wäre. Neben
-Ruscheln und Schneeschuhlaufen hat er nicht vergessen, frühzeitig genug
-seine Osterfackel herzurichten. Der Vater hat das Fichtenstämmlein
-aufgespalten und zersplissen, damit die Fackel ein gutes Feuer gibt.
-Sie steht schon lange zum Trocknen am Herd. Sie ist auch schon beim
-Bäcker gewesen. Der hat sie, nachdem Brot und Kuchen fertig waren, in
-den Backofen geschoben. Nun ist sie ausgedörrt bis aufs Mark und ist
-braun und schwarz geworden. Die Rinde will schon abblättern, -- hei,
-wird das ein Geflacker werden!
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-Wenn sich auf den Wiesen die ersten dunklen Stellen zeigen, der Schnee
-weggeht und die Berge scheckig werden, schleppen die Bergstadtjungens
-die Fichtenhecke für ihr Osterfeuer zusammen. Unermüdlich ziehen sie
-in den Bergwald und bis in die entferntesten Hauungen, ihr Bündlein
-Hecke zu holen. Das »Heckeschleppen« ist für jeden Harzheimatjungen
-Ehrenpflicht. Jeder hat den Ehrgeiz, seinem Ortsteil den Ruhm des
-schönsten und größten Osterfeuers erringen zu helfen. So entsteht
-zwischen den oberländischen und unterländischen Buben ein Wettstreit,
-der friedlicher abgeht, als wenn sie mit wehenden Fahnen und Holzsäbeln
-gegeneinander zu Felde ziehen und grimme Schlachten schlagen.
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-[Illustration]
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-Am Ostersonnabend wird die Fichtenhecke kunstvoll um den Osterbaum
-getürmt. Es ist ein erwartungsfrohes Treiben auf dem Osterfeuerplatz.
-Keiner denkt früher an zu Hause, bis es Zeit wird, die Fackel zu holen.
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-Osterfeuer im Harzheimatland!
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-In den Straßen des Bergstädtchens liegt die kühle Dämmerung des
-Vorfrühlingsabends. Aus Eisschollen und Schneeresten und winterkalter
-Erde dampft Nebel. Der Ostervollmond guckt über die Berge. Durch die
-Gassen zieht ein Duft wie von tausend Weihnachtsbäumen. -- Ihr Armen
-im Flachland! Und wenn ihr noch soviel Strohbündel und Teertonnen und
-Pech zuhauf türmt, euer Osterfeuer wird immer ein stinkendes Räuchlein
-bleiben. In den Bergen aber ist’s reine Opferflamme, in der nichts
-brennt, denn das der Fichtenwald hergegeben hätte.
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-Braune und gelbe Rauchschwaden quellen aus dem Heckenaltar. Sie
-ballen sich zu wogenden Wolken und wachsen wie eine unendliche Säule
-in den Nachthimmel. Prasselnd fressen sich Flammen durch Harz und
-Fichtennadeln und lecken hinauf in den Osterbaum. Feurige Lohe knattert
-durch seine Äste, wirft einen Feuerschein auf Rauch und Menschen und
-zerstiebt in sprühenden Funken. Mit Feuer und Rauch wird der Winter von
-dannen gejagt. Das Rasen der Flammen ist Erlösungsjauchzen.
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-Um das Feuer her schwenken die Harzheimatkinder ihre Fackel, rufen
-Fitfaat! und ziehen rauschende Flackerfeuerkreise um ihre Köpfe. Über
-der Bergwiese tanzen tausend Irrlichter. Der Frühlingsnachthimmel malt
-sein Schwarzblau hinter dies Bild der Frühlingsfreude, die in Großen
-und Kleinen lebt und bei jedem neuen Osterfeuer neu lebendig wird.
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-Osterfeuer sind Freudenfeuer, mit denen die Menschen den Sieg des
-Lenzes über den Winter feiern. Dem Bergmenschen aber, der die Faust des
-Winters am härtesten spürt, sind sie Dankesopfer.
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-[Illustration]
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-[Illustration]
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-Das Fest zwischen Ostern und Pfingsten
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-Wenn zwischen Ostern und Pfingsten die Lerchen das erste Grün aus dem
-fahlen Lederhosengelb der Bergwiesen hervorgetrillert haben, putzt
-der Kuhhirt sein Koppels. Und die Bergstadtleute feiern einen hohen
-Festtag. Der steht nicht im Kalender. Er wird auch nicht von der
-Kanzel herab verkündet. Und in der Mitternacht vorher rührt sich im
-Glockenhaus kein Glockenstrang, ihn gebührend einzuläuten.
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-Und doch hätte er beides verdient.
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-Denn dieser Sonntag, an dem nach langer Wintersnot die Kühe zum ersten
-Male wieder auf die Bergweide gehen, ist wie eine Bannlöse. Unten
-im Land ist mit Vogelsang und Apfelbaumblühen längst der Frühling
-eingezogen. Er will auch hinauf ins Harzheimatland. Aber der Winter
-hat alle Täler verklüftet und treibt ihn mit Schneeschauern zurück.
-Graue Wochen lang geht ein Kämpfen hin und her. Die Schneewehen an den
-Hängen wollen nicht kleiner werden. Auf den Straßen kleben schmutzige
-Eisschollen. Regen und Schnee platschen durcheinander. Durch die Wälder
-rauscht der Sturm. Das Flöten der Drossel, die den Frühling rufen will,
-wird von seinem Rasen übertönt. Die Bäche tosen. Die Luft ist erfüllt
-mit aufgeregtem Gebrause. Es ist nicht Winter, es ist nicht Frühjahr.
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-Das ist der Bergstadtleute böseste Zeit. Niemand sehnt sich mehr nach
-dem Frühling als sie. Keiner begrüßt ihn dankbarer.
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-Wenn aber die Kühe wieder auf die Weide treiben, ist ihnen das wie die
-frohe Botschaft: Der Lenz ist da, nun muß sich alles wenden. Oft genug
-freilich prasselts mit Hagelschauern hinein in diese Frühlingshoffnung.
-Aber der Bann ist gebrochen.
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-Ein Aufatmen geht durch die Menschen. Es ist ein Freuen in ihnen, das
-niemand kennt und keiner mit Namen nennen kann. Doch jeder fühlt es.
-Und diese Freude leuchtet in jungen und alten Augen, guckt aus allen
-Fenstern und wartet in allen Gassen, daß das Horn des Kuhhirten zum
-ersten Male tutet.
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-Keine Frühlingsschalmei kann schöner klingen!
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-Dann tun sich die Stalltüren auf. Ketten fallen klirrend nieder. Die
-Kühe werden losgebunden. Ihr Fell ist blank gestriegelt. Bunte Bänder
-flattern an den Hörnern als festfroher Schmuck.
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-Manchem Mütterlein, das nur ein paar kümmerliche Morgen Pachtwiese
-ernten kann, rutscht mit dem Ruf des Hirtenhorns eine Sorge vom Herzen.
-Der Heuboden hat ein arges Loch bekommen. Dem Bergmenschen ist sein
-Vieh nicht Inventar. Er lebt mit seinen Tieren und sieht ihre Not nicht
-nur mit den Augen. Er fühlt sie im Herzen mit. Und so begrüßt er das
-erste Frühlingsgrün an den Hängen wie eine Gottesgabe, die die Berge
-ihm darreichen für seine Tiere. Froh und kümmernisbefreit läßt er sie
-nun hinaus: Kumm, Resel, Orschel, Herschel, Liesel, -- kumm!
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-Die Braunen treten zaudernd über die Schwelle. Sie können noch nicht
-daran glauben, daß sie die Kette nicht mehr an der Krippe festhält. Und
-das Taglicht blendet nach dem langen Stalldämmer. Wieder ein zaghafter
-Schritt. Nun stehen sie draußen und gucken und wundern sich.
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-Dann geht ihnen ein Erinnern auf an die goldene Freiheit in den Bergen.
-In übermütigen Sprüngen und Kapriolen hopsen sie davon. Sie schlagen
-aus in wilder Freude, als wollten sie die Winterfesseln weit von sich
-schleudern. Die Temperamentvollsten geben ihr Freiheitsbehagen mit
-den Hörnern kund. Es ist ein Raufen und Stoßen bald hier, bald dort.
-Bis der Hirtenhund Ordnung schafft oder die Peitsche eines Jungen
-über die Kämpfenden hinknallt. Klitsch--klatsch--paatsch! -- Das
-Peitschenknallen gehört zu diesem Festtag wie die Herde selbst. Das
-wäre kein Bergjunge, der sich nicht wochenlang im Peitschenschlagen
-geübt und der nicht den Ehrgeiz hätte, die beste, schlankste »Schwippe«
-zu haben für diesen Tag, auf den sich alle freuen.
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-Manche Bicktanne wandelt sich zum Peitschenstiel. Die Kaufleute können
-nicht genug Klappschnüre schaffen, und der Sattler muß die Riemen
-bündelweis schneiden. Wenn dann der große Tag da ist, wird die Schwippe
-geschmückt mit der Schwester schönstem Haarband, -- und ein Knallen
-geht los auf allen Gassen. Klitsch--klatsch--paatsch! hallen die Berge
-wider. Klitsch--klatsch--paatsch! kommt’s im Echo von den Hauswänden.
-Der kleinste Knirps ist mit heiligstem Eifer dabei. Selbst die Alten
-können es nicht verwinden, noch einmal die alte Kunst zu üben. Und es
-wird erst ruhig im Städtchen, wenn die Herde heimwärts zieht und die
-Stalltüren sich wieder schlossen.
-
-Unfug, sagst du? -- Nein, auch das Peitschenknallen ist eine Äußerung
-der Frühlingsfreude. Wie soll ich’s nennen?
-
-Wenn du’s als Bergjunge nicht gefühlt hast, du wirst’s als Nörgler
-nicht erjagen.
-
-[Illustration]
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-Johannistag
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- Tripp -- trapp -- Käsenapp,
- Heute ist Johannistag!
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-Die Erinnerung an unsere Johannistage kräuselt mir durch den Sinn
-wie ein Gerank aus bunten und schönen Dingen. Fichtengirlanden
-schlingen sich lustig durcheinander. In ihrem Grün glühen Pappelrosen.
-Fliedertrauben quellen daraus hervor, und Nachtviolen tupfen blaurote
-Punkte hinein. Eierschalenkränze baumeln im Wind. Verlockend streicht
-um Johannisbaum und Ringelreihen der Duft warmer Blätterkuchen.
-Lieder klingen. Die Luft ist voll Sonne und Freude und das Herz voll
-Kinderseligkeit. Ich fühle weiche Mädchenhände in den meinen, spüre
-in der Nase den Geruch von frischgestärkten weißen Sonntagskleidern
-und Haarpomade. Haarschleifen flattern. Zöpfe wippen. Alle diese
-verführerischen Dinge erregen in der Jungenbrust das harmlose
-Räuschlein ersten Verliebtseins. Der schüchterne Bergbube mausert sich
-zum Ritter. Irgendwo im Johannistagsreigen glüht ihm ein heimliches
-Flämmchen, dem alle Lieder gelten. Glück wird Singelseligkeit:
-
- Wo treff’ ich meinen Schäfer an,
- Wo werd’ ich ihn wohl finden,
- Der mir mein Herz erleichtern kann?
- Wohl unter einer Linden?
- Unter einem grünen Busche,
- Da ich meinen Schäfer suche,
- Unter einer Linden,
- Da werd’ ich ihn schon finden.
-
-Ein Mädel steht unterm Baum. Es winkt schüchtern einen Knaben aus dem
-Reigen zu sich herein:
-
- Herr Schäfer, Sie bleiben stillestehn,
- Mir däucht, ich sollt Sie kennen,
- Warum woll’n Sie so von mir gehn
- Und sich so von mir trennen?
- Ei, so will ich mich zu Sie (!) wenden,
- Fassen Sie an beiden Händen,
- Und Sie werden desgleichen
- Und mir ein Küßlein reichen!
-
-Leider geschah das nun nicht. Unsere Alten waren glücklicher daran. Bei
-ihnen gehörte das Küssen zum Johannistag wie der Johannisbaum und die
-Johannislieder.
-
-Aber trotzdem klang es fröhlich weiter:
-
- O wie glücklich ist die Stund’,
- Da ich meinen Schäfer fund!
-
-Nun stand der Schäfer im Kreis. Seine Schäferin war indes in den Reigen
-zurückgetreten. Und das Schäferlied wiederholte sich in der Umkehrung:
-
- Wo treff’ ich meine Schäferin an,
- Wo werd’ ich sie wohl finden,
- Die mir mein Herz erleichtern kann? ...
-
-Bis eine neue Weise im Kreis erscholl:
-
- Ich bin ein lustiger Weidemann,
- Ich suche mir ein Revier.
- Ein Hirschlein, das ich schießen kann,
- Ein hübsches munteres Tier.
- Es gibt der munteren Tier’ so viel,
- Der Jäger nimmt sich eines zum Ziel:
- Puhf!
- Der Schuß, der ist geschehen,
- Man muß das Wild besehen!
-
-Das Lied vom Hirschlein setzte sich fort:
-
- Jagt mir doch das Hirschlein aus der Weide!
- Du und du bist meines Herzens Freude.
- Wechselt mir die spanischen Pistolen,
- Daß ich kann mein’ Schatz bald wieder holen!
- Ei, so komm doch her, mein Kind,
- Weil ich dich jetzt wiederfind’.
- Treu um Treu und liebe mich,
- Und vergiß das Küßlein nicht!
-
-Das war freilich wieder eine Mahnung mit schwachem Ergebnis. Für uns
-Arme und Nüchterne blieb’s bei der Entsagung:
-
- In dem schönen Rosengarten
- Eine Dame zu erwarten,
- Die mir schenket einen Kuß,
- Die mir schenket einen Kuß.
-
-Und was nützte das Klagelied:
-
- O Jammer, Jammer! höret zu,
- Was ich euch sagen werde.
- Ich hab’ verloren meinen Schatz,
- Der mich so treu geliebet hat.
- Macht auf, macht auf die Gartentür,
- Ob ich ihn hier nicht finde!
-
-Und daß das Mädel winkte:
-
- Schau her, schau her, hier ist mein Mann,
- Hier fall ich ihm zu Füßen.
- Und der mich einst geliebet hat,
- Den werd ich einstmals küssen.
- Nun steh ich wieder auf zu dir
- Und mache einen Diener für!
-
-Aber fort doch mit den ewigen Herzensdingen!
-
- Es fuhr ein Bauer ins Holz,
- Es fuhr ein Bauer ins Holz,
- Es fuhr ein Bauer ins Kermesholz,
- Ki--ka--Kermesholz,
- Es fuhr ein Bauer ins Holz.
-
- Der Bauer nahm sich ein Weib,
- Der Bauer nahm sich ein Weib,
- Der Bauer nahm sich ein Kermesweib,
- Ki--ka--Kermesweib,
- Der Bauer nahm sich ein Weib.
-
- Das Weib nahm sich ein Kind, --
- Das Kind nahm sich ’ne Magd, --
- Die Magd nahm sich ’en Knecht, --
- Ki--ka--Kermesknecht!
-
- Der Bauer schied von dem Weib,
- Das Weib schied von dem Kind, --
- Das Kind schied von der Magd, --
- Die Magd schied von dem Knecht.
-
-Das Ki--ka--Kermeslied war lustig. Wir haben es mit Begeisterung
-und Inbrunst gesungen. Es bildete eine fröhliche Abwechslung in den
-Johannistagsliedern und den vielen Volksliedern, die in den Singereigen
-eingeflochten wurden. Wir schöpften aus unerschöpflichem Born und
-sangen unverdrossen, bis der Abend kam und wir müde in unsere Kissen
-krochen.
-
-Dann zog die ganze Johannistagsherrlichkeit noch einmal wie ein bunter
-Traum durch die Kammer. Das ausgestopfte Männlein, das steif und stumm
-unter dem Johannisbaum gesessen hatte und dem aus Knopflöchern und
-Handschuhen die Sägespäne quollen, ward zum Kobold. Es hockte auf der
-Bettstelle. Es hockte auf dem Deckbett. Es spukte in allen Winkeln und
-trieb seinen Mummenschanz in des Schläfers heißem Köpfchen, darin ein
-sonderbarer Leierkasten zu dudeln begann:
-
- Orgel, orgel nort--nort--nort,
- Wo treff’ ich meinen Schäfer an,
- Ki--ka Schäfer an.
- In dem schönen Rosengarten,
- Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,
- Ki--ka--Kermesholz,
- Wenn ich den Wanderer frage,
- O Jammer, Jammer höre zu,
- Im schönsten Wiesengrunde,
- Ki--ka--Kermesweib,
- Die mir schenket einen Kuß,
- Ki--ka--Kuß.
- Glück auf, ihr Bergleut’ jung und alt,
- Ich bin ein lustiger Weidemann,
- Wenn schwarze Kittel scharenweis,
- Guten Abend, Gute Nacht ...
-
-So schwirrt es in wirrem Kunterbunt durcheinander. Über dem Bette
-wächst der Johannisbaum empor und wächst hinauf bis in den Himmel.
-Ein Paradies öffnet sich darüber. Das ist voll Glück und Seligkeit.
-Pappelrosenkränze und Heckengirlanden schlingen sich um goldene
-Pfeiler. Hexenhäusel aus lauter Blätterkuchen und warmen Waffeln bauen
-sich auf. Sterne leuchten, tausend Sterne. Aber einer ist der hellste.
-Und wie der Träumer näher zuschaut, wird der Stern zu einem nickelnen
-Zwanzigpfennigstück, das er glückselig in den Händen hält. Er lächelt
-im Traum. Wie reich er war, als ihm der Schullehrer heute morgen
-das blanke Zweigroschenstück gab! Zwei Groschen eigenes Geld, o zwei
-Groschen!
-
-Ihr gütigen Stifter, die ihr lange im Grabe ruht!
-
-Das Strahlen in den Augen der Harzheimatkinder hat euch Dank in die
-Ewigkeit hinübergelächelt. Die Zwanzigpfennigstücke sind die Zinsen
-eures Kapitals gewesen. Eure Güte aber konnte sich nicht schöner
-verzinsen als mit diesem Glückslächeln auf Buben- und Mädelgesichtern
-und mit jener Johannistagsfreude, die ihre Backen rot malt und die noch
-über ihre Augen huscht, wenn sie abends müde in ihre Betten schlüpfen.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Die Waldschenke
-
-
-Möchtest Du nicht mit mir schnell hinüber über das Gatter und hinunter
-ins Häusel?
-
-Oder möchtest Du Dich nicht auch hier niederlegen am Rande des Holzes
-und zwischen Fingerhüten und Ehrenpreis träumen, Stunden verträumen,
-Tage, Wochen?
-
-Alles in diesem Waldwiesenwinkel ist freundliches Winken: Hier ists gut
-sein!
-
-Welche Zauberdinge sinds, die so eindringlich locken?
-
-Ein Flecklein Lichtgrün im Tannenduster, Vogelstimmen im Wald, zwischen
-Blumen ein Plauderbach, -- und weltferne Stille. Mitten in allem ein
-rotes Dach, unter Bäumen ein paar Holzbänke, eine Laube im Gärtchen ...
-
-Wer könnte vorüberwandern!
-
-Ist kaum ein halbes hundert Jahre her, da war dies Tal erfüllt vom Lärm
-der Arbeit. Der Bach plantschte über Wasserräder. Pochstempel stampften
-einen harten Daktylus in die Waldstille: _Paff_ -- paffpaff, _paff_ --
-paffpaff. Unter ihrem Schlag barst Erzgestein zu Kies und Staub. Aus
-allen Hütten kam Poltern und Rumoren. Das Echo polterte mit. Pochjungen
-hantierten an Waschherden und eilten geschäftig auf und ab. Blutjunge
-Knaben, die das Leben hier allzufrüh in ein eisernes Joch spannte.
-Blaukittelige Fuhrleute schrien. Angetan mit weißem Kittel und hohen
-lehmfarbenen Gamaschen stolzierten Königlich Privilegierte Fuhrherren
-einher, ihre zahlreichen Fuhrwerke musternd. Knarrend fuhren Erzhielen
-talaus, talein.
-
-[Illustration]
-
-Nun ist das geschäftige Bild verschwunden. Die Pochwerke sind fort.
-Es blieb kein Stein auf dem andern. Fichten grünen über ihrer Stätte.
-In den Schlammlöchern wachsen Schilf und Schachtelhalm. Natur nimmt
-langsam das Ihrige zurück. Der Stampftakt der Stempel ist verstummt.
-Das Zechenhäusel, -- die Waldschenke, -- ist der letzte Zeuge jener
-Zeit. In dem Stüblein, wo sich heuer der Gast erquickt, hielten vor
-Zeiten die Pochjungen ihre Betstunde vor der Schicht. Sie sangen ein
-frommes Lied. Der alte Vorbeter las ein Gebet. Die Arbeit begann mit
-Gottes Segen.
-
-Kinder im Joch --, Gottes Segen?
-
-Wenn ich am Gatter liege und träume, ziehen in langer Wallfahrt bleiche
-Knaben durch das Tal. Eine stumme Anklage gegen eine grausame Zeit.
-
-Die Stille im Wald ist wie das Ausruhen vieler
-Bergmenschengeschlechter, denen harte Arbeit an diesem Ort Blut und
-Jugend nahm.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
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-
-Der Gnadenlöhner
-
-
-Sein Hauskäppel ist fadenscheinig geworden. Die bunten Blumen darin
-sind ausgefädelt und haben die Farbe verloren. Silberne Strähnen
-quellen unter dem Käppel hervor.
-
-Jede Bewegung des Alten ist gemessene Ruhe. Wenn er das Fenster öffnet
-und den Pfeifenkopf ausklopft, aus dem Tabakskasten dann eine armselige
-Mischung von Tabak und Kirsch- und Huflattichblättern in den Kopf
-stopft, das alles geschieht mit der gleichen Bedachtsamkeit, mit der
-er hinterher zu Zunder und Feuerstein und Stahl greift, Funken schlägt
-und langsam zu paffen beginnt. Ist nichts, das ihn zur Eile triebe oder
-ein Wellengekräusel verursachte auf dem abgeklärten Spiegel seiner
-Seele. Er steht über den Dingen. Und das Leben -- ach das Leben! Er hat
-abgerechnet mit ihm.
-
-Das Leben zieht draußen vorbei. Es geht mit Axt und Säge ins Holz.
-Fährt an zur Schicht in der Grube. Rollt auf Bauholzwagen straßab.
-Wetzt auf den Bergwiesen die Sensen ... Wann begann doch seins?
-
-Der Alte sinnt.
-
-Seine Gedanken spinnen einen langen Weg zurück. Es ist kein sanfter
-und weich gepolsterter Wiesenpfad, den sie wandeln. Sie müssen einen
-steilen Bergstieg hinab, über Steingebröckel und spitze Klippen und
-Schlackenhalden, durch Hohlwege und schwarzen Wald. Tief unten, wo der
-Weg beginnt, liegt im Talesgrund ein grünes Paradies voll Lust und
-Vogelsang: seine Kinderzeit. Ein Nebel breitet sich darüber. Zu früh
-hat er draus fortgemußt. Über kaum erblühte Blumen fiel Reif mitten im
-Frühling. Sie sind ungepflückt gestorben. Kein Traum macht sie wieder
-lebendig.
-
-Zehn Jahre war er alt. Des Vaters Taglohn reichte nicht für die
-Familie. Zwei Taler zehn Mariengroschen in der Woche, -- du lieber
-Gott! Und der Himten Herrenkorn war bald verzehrt. Blieb keine Wahl:
-die Kinder mußten mit ins Joch.
-
-Bergmannsjungen mußten Bergleute, Hüttenmannsjungen wieder Hüttenleute
-werden. Das war ungeschriebenes Gesetz im Harzheimatland. Zu beiden
-Berufen bildete das Pochwerk die Vorbereitungsstätte. Wurde aber keiner
-im »Pucherig« aufgenommen, der nicht zehn Jahre alt war ...
-
-Es kam auch keiner hinein, der sein Vaterunser nicht konnte und die
-zehn Gebote und das Einmaleins. Wer sich in solcherlei Dingen des
-Kopfes und des Herzens zur Zufriedenheit des Obersteigers auswies, der
-erst war würdig, staatlicher Pochjunge zu werden. Es waren bescheidene
-Rühmlein mit dieser Würde verbunden. Die Pochjungen brauchten nur
-Sonnabends zur Schule. Zu Fastlahm, dem Dankfest der Bergleute,
-durften sie mit Grubenkittel und Schachthut und Hinterleder beim
-Kirchgang den Großen vorangehen. Zum Johannistag steckte ihnen die
-Mutter Sirupsbranntwein in den Brotbeutel. Sie setzten mit dem ersten
-Anfahrtstage ihren Fuß auf die oberste Sprosse der Leiter, die zu
-Silber und Blei in den Berg hinabführt. Der Weg bis dahin freilich war
-weit. Ruhm und Ehre heischten harten Tribut. Und zuvörderst stand die
-Leiter noch im Pochwerk.
-
-Mit dem Morgengrauen begann die Fron. Der Vorbeter im Zechenhaus konnte
-die Müdigkeit aus Kinderaugen nicht herausbeten. Wurden während der
-Arbeit die Kräfte schlaff oder wollte der Pochjunge Kind sein, wies ihn
-der Vogelpols des Steigers, die Klopfpeitsche, ins Joch zurück. Zwölf
-Stunden Scharwerken, Schmalzbrot im Brotbeutel, elf Pfennige Taglohn ...
-
-Sie schleppten ihre müden Glieder nach Haus. An Blumenblühen und
-Vogelsang und Sonne und allem vorbei, was Kinderherzen erfreut.
-
-Wem harte Faust im Nacken sitzt, dem stirbt die Jugend rasch. Das
-Pochwerk zerstampft Stein und Erz und Kinderherzen. Und hinter
-Schlackenkarren und Erzhunden wird der Mensch nicht jünger. Was
-übrigbleibt an Lebenskraft, nimmt bei dem einen der Schacht, dörrt bei
-dem andern der Schmelzofen aus.
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-Des Alten Weg führte nicht über Sonnenhalden. Nun ist er über den Berg.
-Die Sonne freilich ging derweilen jenseits hinab. Just ein Fünklein
-warmen Abendscheins kann er noch erhaschen. Im Antlitz des sinkenden
-Lichts stößt er den Stecken in die Erde. Ein müder Pilgersmann. Sein
-Ränzel ward auf der langen Bergfahrt leer. Er muß den Leibriemen enger
-schnallen. Blieb nichts im Sack als ein Stück Gnadenbrot und armselige
-Habe: ein Päcklein Tabak, eine Scheibenbüchse, die sein Arm nicht mehr
-halten kann, eine Harzzither, darauf die Saiten zersprangen ...
-
-[Illustration]
-
-Aber der Alte hat sich weise in sein Los gefügt. Grübeln und Grämen
-bringen verlorene Jugend nicht wieder. Er will beschaulich genießen,
-was ihm von Licht und Tag noch übrigbleibt. Er weiß: Wenn die Sonne
-fort ist, wird sich hinter ihr das schwarze Schachtloch Ewigkeit
-auftun. Dann wird er am Ziel sein. Bis dahin bewahre Gott uns allen ein
-fröhliches Herz!
-
-Wenn der Gnadenlöhner solcherlei Gedanken spinnt, ist in seinen Augen
-fernes Feierabendleuchten voll Güte und Milde. Und in seinem Blick
-ist jener Friede, der mit der Welt und allen Alltagsdingen darin
-abgerechnet hat und bereit ist, das Ergebnis dieser Rechnung dem
-Herrgott vorzulegen: Das Leben hat mir nichts geschenkt. Ich habe meine
-Pflicht getan.
-
-
-
-
-Glückauf, Alter Mann!
-
-
-[Illustration]
-
-Um die Bergstadt verstreut liegen seltsame Gesteinshalden. Auf den
-Wiesen einzelne, die meisten im Walde versteckt. Es sind die letzten
-Reste uralter Gruben.
-
-Der Fremdling übersieht sie zumeist. Selten, daß sich einer wundert,
-woher so unvermittelt an einer Waldlehne oder einem Wiesenhang ein
-ebener Plan entsteht, der aus dem Berg herauszukommen scheint, sich
-vorschiebt und wieder jäh in den Hang hinabstürzt. Der Bergmensch aber
-weiß, daß er hier auf einem Stücklein Boden steht, das durch die Arbeit
-der Väter geheiligt ist. Vor langen Jahren haben sie hier nach Silber
-und Blei geschürft. Hoffnungsvolle Namen gaben sie ihren Gruben. Aber
-diese erwiesen sich nicht allezeit als Goldene Rose oder Schatzkammer,
-waren nicht immer Silberlilie und Treuer Friederich; blinkten auch
-nicht auf die Dauer wie eine Engelskrone oder der Morgenstern. Und die
-Gnade Gottes und Gottes Segen waren ihnen nicht allen beschieden. Nicht
-überall lohnte die Ausbeute. Die Zubuße war größer denn der Gewinn.
-Dann versuchten die Alten ihr Glück an anderer Stelle. Das Gebirge
-reichte weit. Erz wuchs in jedem Berg. Sie gruben in den Oberschichten
-des Gesteins. Sie stiegen viele Lachter tief in die Erde hinab. -- Alle
-diese Gruben sind vergessen. In den Chroniken des Harzheimatlandes
-heißen sie in ihrer Gesamtheit: Der Alte Mann.
-
-Der Alte Mann waren aber auch die ersten Bergknappen, die die Hoffnung
-auf blinkenden Segen in die Harzberge lockte. Sie brachten ein regsames
-Getriebe in den stillen Wald Hercynia. Der Schwarze Tod entriß ihnen
-Schlägel und Eisen. Krieg und Not verschüttete die Gruben.
-
-Die nachfolgenden Geschlechter gingen mit frischem Hoffen ans Werk.
-Sie gruben, wurden fündig, teuften ab und begruben wieder. Manche
-leuchtende Silberader schlug man an. Viele blanke Taler wurden geprägt,
-von denen Seine Hochfürstliche Gnaden, der Herzog von Braunschweig
-und Lüneburg, den Zehnten in sein Säckel taten. Dann traf man beim
-Weiterbauen auf taubes Gestein. Oder Wasser und Widerwärtigkeiten
-geboten Feierabend. Die Gewerkschaft nahm ihr Gezäh und wanderte
-weiter. Die alten Gruben blieben vergessen liegen. So liegen sie heute
-noch. Stollen und Schächte stürzten ein. Das wertlose Gestein aber,
-das aus ihnen zu Tage gefördert wurde, lagert an der alten Stätte wie
-ehedem.
-
-Jahrhunderte sind seither über die Halden hinweggegangen. Moos und
-Gras haben sie zugedeckt. Wälder wuchsen darauf. Wälder wurden gefällt
-und wuchsen wieder. Und von den Menschen, die einst diese »Hallen«
-aufstürzten, blieb im Harzheimatland nichts als ihre Sprache, die
-hart ist wie Fäustelschlag. Und eins noch hinterließen sie: den Mut
-eines zähen Tiefenbezwingertums. Ihre Nachfahren sind ein furchtloses
-Bergmannsgeschlecht geblieben, das stolz ist auf einen Beruf, der
-geliebt und verstanden sein will und von dem sie singen:
-
- Gott hat uns einst die Gnad’ gegeben,
- Daß wir vom edlen Bergwerk leben ...
-
-Wenn ich auf verfallener Halle stehe, beginnt alte Zeit zu erzählen.
-Dort muß der Stollen gewesen sein. Eine verwaschene Runse am Hang, die
-unvermittelt abbricht. Die Schachtstangen, die ihn einst stützten,
-sind morsch zusammengeknickt und vergangen. Das Erdreich stürzte
-nach. Das Loch im Berg tat sich zu. Das Stollenwässerchen suchte
-sich einen Weg und blieb als Bergquell zurück. Über die Runse wuchs
-Moos. Fichtennadeln stäubten hernieder. Rippenfarn und Weidenröschen
-siedelten sich an. Wind wehte Tannzapfensamen herbei. Lustig sproß
-ein Fichtenhorst empor und überdeckte das bloßliegende Gestein.
-Die schartige Wunde am Berg verheilte zur Narbe. Und auch über die
-Steinhalden wuchs der Wald. Moos und Tannennadeln wieder polsterten
-das Gerümpel aus. Fichten krallten ihre Wurzeln tief hinein. Wo am
-Steilhang der Halle ein Regensturz das neue Erdreich wegwusch oder ein
-Hirsch seine Fährte durch die Oberschicht drückte, schimmern graue
-und weiße Steine her. Das Berg, heißt es der Bergmann. Kalkspat,
-Schieferspat, sagt der Gelehrte. Die Bergkinder aber suchen an solchen
-Stellen nach einem Glänzlein Kupferkies oder Zinkblende und sind
-glücklich, »Goldsteine« gefunden zu haben.
-
-Um die Halden schleicht der Fuchs. Über Pfifferlingen und Reizkern
-wölben sich Fichten. Junge, in denen das Rotkehlchen singt, alte, in
-deren Zweiggewirr Eichhörnel hupfen. Die Arbeit des Alten Mannes hat
-ein Waldidyll übersponnen.
-
-Manchmal streicht in dunklen Nächten der Bergmönch hier vorbei. Sein
-silbernes Geleucht blitzt durch das Holz. Am St. Barbaratage aber
-läutet heimlich dort ein Schachtglöcklein. Wer Märchenohren hat, der
-hört es ...
-
-So oft ich an solcher Stätte weile, muß ich still sein. Mir ist, als
-täte sich der Berg auf. Weit hinten im schwarzen Loch des Stollens
-sehe ich Grubenlichter flackern. Hämmer sausen auf Handbohrer hinab.
-Eisen klingt auf Eisen den harten Takt der Arbeit vor Ort. Spitzhacken
-knirschen sich in das Gestein. Polternd gehen felsige Wände nieder.
-An den Seiten des Stollens sickert Wasser herab, perlt in klingenden
-Silbertropfen von der Decke und kommt als Bächlein zu Tage. Auf der
-Stollensohle bilden Bretter einen ebenen Weg. Schiebkarren rollen
-darauf aus der Tiefe hervor. Urväter begrüßen mich mit geisterhaftem
-Glückauf. Auf Schachthut und Hinterleder und Grubenkittel klebt
-feuchter Schmutz. Sie schieben den schweren Karren auf die Halde
-hinaus. Bollernd stürzt das Gestein den Hang hinab ...
-
-Glückauf, Alter Mann!
-
-Deine Hände sind voll Schwielen. Der Berg hat dich bleich gemacht.
-Deine Augen blicken ernst. Harte Arbeit grub harte Falten in dein
-Gesicht. Bergmannsarbeit ist immer Last gewesen. Dem Knappen von heute
-hat die Neuzeit hilfreiche Handhaben gegeben. Ihr jedoch waret auf euch
-selbst gestellt. Ihr wußtet nichts von Bohrmaschinen und Preßluft.
-Jedes Loch in Felsenwand mußte die Eisenkraft eurer Hände und Arme
-ertrotzen. Euch trug keine Fahrkunst hinab in Schachtes Tiefen. Für
-euch gabs nur den Sprossenweg der Leiter, die Fahrt, auf denen eure
-müden Beine aufwärts und abwärts stiegen viele Lachter. Euer Beutelchen
-Schwarzpulver war schwach. Es sorgte dafür, daß der Arbeit genug
-übrigblieb. Dynamit und Donarit schaffen euren Nachfahren reinere
-Tafel. Und was ihr fördertet, nahm euch keine leicht dahingleitende
-Feldbahn ab. Euch blieb nichts, als das Sielen über die Schulter zu
-schlagen und den Karren in die Hand zu nehmen oder die Faust um den
-Griff des Göpels zu spannen, der ächzend den Erzeimer emporwand.
-Kein Förderseil, bewegt durch die Kraft einer Maschine und gebändigt
-durch einen Hebeldruck, glitt hinab in die Tiefe. Unten glühte kein
-elektrischer Faden. Kein Karbidlicht warf grellen Schein auf marmorne
-Erzadern. Zu eurer Arbeit leuchtete nichts als das schwelende Flämmchen
-eurer Unschlittlampe. Das armselige Geleucht ist ein Bild eures Lebens
-gewesen.
-
-Nun seid ihr lange eingefahren zur letzten Schicht. Ob ihr den
-Bergmannstod starbt tief unter der Erd’ und man euch im weißen
-Sarg nach Hause trug, ob eure bergsüchtige Lunge auf dem Strohsack
-verröchelte, -- wer weiß, wo ihr euren Feierabend fandet. Über eure
-Schächte ging die Zeit. Erde deckt Mühsal und Last. Erde deckt alles
-Hoffen auf Goldene Rose und Silberlilie.
-
-Aber die Gnade Gottes mag mit euch sein. Und der Morgenstern möge euch
-leuchten wie ein gleißender Anbruch im Schacht.
-
-Reicht mir die Schwielenfaust:
-
-Glückauf, Alter Mann!
-
-Mein Gruß ist Hochachtung und Ehrfurcht.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Schpinne
-
-
-Weiß der Himmel, wie sich der gute Alte diesen Spitznamen erworben hat!
-
-Die Spitznamen im Bergstädtchen sind nicht immer Liebkosungen. Sie
-verlieren zwar mit der Zeit Sinn und Ätze. Kein Mensch denkt sich etwas
-dabei. Aber sie bleiben an ihrem Träger haften wie Vogelleim und erben
-sich fort auf Kindeskind.
-
-Wenn einer damals in der Bergstadt nach Herrn Karl Riese gefragt
-hätte, wäre er lange irre gegangen. Und die Bergstadtleute hätten die
-Gegenfrage gestellt: Welchen Riesen meinen sie, den, den, den oder
-den? Fünfe, sechse, hätten sie hergezählt und an jeden ehrsamen Namen
-Riese ein Anhängsel mit Eigenprägung gehängt, das sie alle säuberlich
-auseinanderhielt.
-
-Hätte darum der Fremdling gefragt: Wo wohnt der Riesen-Schpinne? dann
-würde das eine eindeutige Frage gewesen sein, die über den Gesuchten
-keinen Zweifel übrigließ. Und jedes Kind auf der Gasse wäre mit dem
-Bescheid zur Hand gewesen: Beim Bruch-Guste!
-
-Das war nun freilich auch noch keine klare Ortsbezeichnung. Aber der
-Bruch-Guste ihr Haus war leicht zu finden.
-
-Von der Straße im Tal zweigt sich ein Gäßchen ab. Es hupft mit einer
-klapprigen Holzbrücke über einen Bach und will hinauf zur Straße am
-Berg. Das Gäßchen muß aber einen Winkel machen. Denn just hinter der
-Brücke steht ihm das Haus von der Bruch-Guste im Wege. Das steht dort
-ganz allein und betrachtet aus seiner Zurückgezogenheit mit stillem
-Schmunzeln die Hinterseiten der Häuser auf der anderen Seite des
-Baches. Mit einem Auge kann es gerade noch durch die Gasse zur Straße
-gucken. Neben dem Steintritt mit der hölzernen Bank läßt ein Brünnlein
-sein Kristallwasser in einen uralten Eichentubben pladdern.
-
-Dies Haus gehörte der Bruch-Guste.
-
-Dem Zufall, daß es an einer bruchigen Wiese stand, verdankte seine
-Eigentümerin ihren Beinamen.
-
-In dem Haus am Bruch trieb die gute Frau Guste eine fleißige
-Milchwirtschaft. Es roch dort immer nach Buttermilch und Molken.
-Wenn die auf die Diele führende Stalltür offen stand, wehte warmer
-Stalldunst dazwischen. Dieser Mischduft gehört in meiner Erinnerung
-untrennbar mit jenem Haus zusammen, in dem eine Treppe hoch mein Freund
-Riesen-Karel, genannt Schpinne, zur Miete wohnte.
-
-Seine Stube war, wie die meisten Bergmannsstuben im Bergstädtchen, halb
-Gebrauchszimmer, halb unantastbare kalte Pracht.
-
-Die Alltagshälfte lag im warmen Bereich des Ofens. Im Ofenwinkel
-stand das schwarze Waschbecken aus Gußeisen. In dieser Ecke geschah
-nach vollendeter Schicht die gründliche Reinigung vom Schmutz der
-Grubenarbeit. Dann wurde das gestreifte flanellene Arbeitshemd an
-den Ofen gehängt und mit Feierabendshemd und Kamisol vertauscht.
-Auf der anderen Seite des Ofens, wo der Eßtisch seinen Platz hatte,
-wartete währenddem schon der Kaffee mit der eingebrockten Semmel. Zum
-Eßtisch gehörten zwei Bretterstühle. Die paar Rohrstühle in der guten
-Stubenhälfte wären für den Eßtisch zu schade gewesen.
-
-Überhaupt diese Sonntagshälfte!
-
-Die Mutter Riesen hielt auf peinlichste Ordnung in ihrem
-Schmuckkästlein. Es war kein Fältchen in der Kommodendecke. Die
-Kalkspat- und Zinkblendedrusen darauf und die Glaskugeln hatten immer
-den gleichen Platz. Die Lichtbildständer auf dem runden Sofatisch
-mußten ihre Füße immer genau in dieselbe Stelle der Damastdecke
-drücken. Und die Mutter Riesen hätte nicht schlafen können, wäre nicht
-der Kattunüberzug über dem Sofa nach jedem Feierabendschläfchen des
-Alten erst wieder säuberlich glattgezupft worden.
-
-Zwischen ein paar Sechser- und Achtergeweihen an der Wand tackte eine
-Schwarzwälderuhr. Der Schatten ihres Messingpendels tupfte an den
-Kerbschnittrahmen eines vergilbten Soldatenbildes, an dem eigentlich
-nur noch ein roter Uniformkragen und zwei schwarze Augenpunkte deutlich
-geblieben waren. Das war das Rekrutenbild meines alten Freundes.
-
-70 ist er mit nach Frankreich gewesen. Auch Anno 66 hat er mitgemußt.
-Aber die Preußenkugeln hörte er nicht pfeifen. Sein Marsch nach
-Langensalza fand frühzeitig ein Ende. Wenn er damals für sein
-Hannoverland keine Lorbeeren pflücken konnte, blieb er ihm doch im
-Herzen treu. Zuweilen versuchte er mit invaliden Knochen noch einmal
-einen preußischen Parademarsch. Aber seine Gedanken verloren sich
-dabei zurück in seine Soldatenzeit unter dem blinden König. Da ging es
-lustig zu, wenn in den Heidemanövern die »Attolerie« mit »grasgriene
-Äppel« schoß, -- wahrhaftigen Gott! Des Alten Augen leuchteten. Und
-wie lautgewordenes Erinnern summte die alte hannoversche Soldatenweise
-durch seinen Bart: »O Hannes, wat ’en Haut!« Wenn die Rede auf 66 kam,
-grollte er. Es blieb kein gutes Haar an den Preußen. Als der Urheber
-des Unglücks aber galt für ihn unumstößlich der General Manteuffel.
-»Wenn dar verfluchte Manteiffel net gekumme wär!«
-
-Um Langensalza wob er eine strahlende Gloriole. Der Ort hatte etwas
-Heiliges für ihn, von dem er nur in Verehrung sprach. Aber immer und
-immer wieder flackerte in seine Welfenandacht der Name Manteuffel
-hinein wie ein rotes Tuch, das seinen Haß herausforderte.
-
-Da mochte er ein anderes und wirkliches rotes Tuch lieber. Das war sein
-Scheibenweiserrock. Der Alte bekleidete bei der Schützenbruderschaft
-den löblichen Posten eines Scheibenweisers. Wenn er Sonntag
-nachmittags den roten Rock angezogen hatte und die weiße Hose
-dazu, sah er prächtig aus. Zur Uniform gehörte eine schwarzsamtene
-Parforcejagdmütze. Und wenn der Alte noch lange Lackstiefel getragen
-hätte, hätte man ihn für einen richtigen Parforcereiter halten können.
-Die krummen Beine freilich und der Struppelbart wollten nicht recht zu
-der stolzen Tracht taugen. Aber diese Umstände taten meiner Bewunderung
-für meinen Freund keinen Abbruch. Es war immer ein kleiner Festzug,
-wenn im Sommer die beiden Scheibenweiser Sonntag für Sonntag die
-funkelnagelneuen Scheiben vom Tischler holten und im Trommeltakt des
-Schützentambours zu den Scheibenständen zogen. Abseits von jedem Stand
-lag ein Steinhäusel für die Scheibenweiser. Wenn die Scheiben befestigt
-und Pflockkasten und Nummerntafeln an Ort und Stelle gebracht waren,
-verkrochen sich die Scheibenweiser in ihrem steinernen Unterschlupf wie
-Mauerspinnen.
-
-Manchmal durfte ich mit ins Scheibenweiserhäusel. Diese Gunst machte
-mich stolz und glücklich.
-
-Kinder schöpfen ihr Glücklichsein aus bescheidenen Dingen. Wenn
-ich mich in der Erinnerung zu meinem rotrockigen Freund ins
-Scheibenweiserhäusel zurückversetze, wirds mir warm ums Herz. Ein
-Spürlein Glück blieb hangen. So muß es echt gewesen sein.
-
-Und ich kam mir sehr wichtig vor, wenn ich dem Alten einen Holzpflock,
-eine Nummerntafel zureichen durfte. Wenn ein Schuß fehlgegangen war,
-winkte er pfiffig ab. Konnte er aber eine 20 anhängen, schwenkte er
-mit einer Großartigkeit ohnegleichen seine Mütze. Tupp-tupp-tupp wurde
-schnell das Loch zugeklopft. Dann gings im Laufschritt zurück ins
-Häusel. Hinter den krummen Beinen wehte der Rockschoß wie eine rote
-Fahne.
-
-Als diese Beine zum Laufen zu alt und der Atem zu kurz geworden waren,
-zog mein Freund die Scheibenweisermontur aus und verschlief seine
-Sonntagnachmittage daheim auf dem Kanapee.
-
-Des Alltags aber war er der unermüdliche Schaffer in meinem Vaterhause.
-Es war nichts in Hof und Haus, an dem seine Hand nicht half. Und was er
-schuf, schuf er mit der Treue und Verläßlichkeit der Alten.
-
-Sein eigenstes Reich war unser Holzhof.
-
-Ich sehe ihn noch mitten zwischen Bergen geschnittener Scheite. Ich
-höre bei jedem Niedersausen der Axt oder des eisernen Fäustels ein
-hechelndes »hach, hach!« Und höre das knatternde Auseinanderbersten
-knorriger Stuken. Ein gottverdammter Fluch folgt, wenn die Keile nicht
-anziehen wollen und sich festbeißen in widerspenstigen Wurzelknorren.
-
-Von Zeit zu Zeit wendete er den Kopf zur Seite.
-
-Prtsch! gings dann.
-
-Das Priemen war des Alten einzige Leidenschaft. Das »Priemelbichsel«
-in seiner Westentasche, das so harzig war wie die Weste selbst,
-bildete sein Heiligtum. Er hätte es nicht missen können. Wenn er in
-die Westentasche griff, das einstige Pomadenbüchslein hervorzog und
-mühsam ein Endchen von der schwarzen Rolle abbiß, ging ein Behagen über
-sein Gesicht. »Wos muß der Mensch han!« Prtsch! Eher konnte er schon
-auf den Branntweinbuddel verzichten, den er heimlich in der Holzbanse
-versteckte. Von Zeit zu Zeit, wenn die Kehle zu trocken war vom
-Holzstaub, -- und Holzhacker haben gemeinhin trockene Kehlen, -- tat er
-einen geschämigen Schluck. Er vermißte den Nordhäuser nicht. Aber alle
-Vierteljahr einmal wurde der Alte schwach. Dann blitzten die kleinen
-schwarzen Augen noch feuriger unter dem Schirm seiner Baschlikmütze
-her. Das waren die Stunden, wo der Alte gern einmal wieder Parademarsch
-machte und sein Herz wieder jung wurde ...
-
-Dies gute, treue Herz, das so lebensfrisch klopfte in der invaliden
-Bergmannsbrust: »Junge, ich, -- ich schterb noch lange net!«
-
-Und ist doch bald gestorben.
-
-Als ich von seinem Tod erfuhr, war ich in der Fremde. Die Nachricht
-zerriß etwas in mir. Das blutete und schmerzte. Ich floh die Enge
-gleichgültiger Menschen. Auf einer Waldhöhe fand ich mich wieder.
-Einsamkeit war um mich her. In duftblauer Ferne weit hinten lagen die
-Harzheimatberge.
-
-In der Stunde, wo sie meinen alten Freund zu Grabe trugen, habe ich
-seinen Namen in die Rinde einer Wetterbuche geschnitzt ... Fremder ist
-mir die Fremde nur noch einmal gewesen: als man im Maienmond darauf
-auch meinen Vater begraben hatte.
-
-[Illustration]
-
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-[Illustration]
-
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-
-Der Jagder
-
-
-Lasterhafte Zungen reden ihm nach, er habe die Namen seiner dreizehn
-Kinder nicht gewußt. Aber er wußte, daß sie alle einen gottgesegneten
-Hunger hatten. Und noch besser wußte er, daß es ein Kunststück war, mit
-einem Bergmannstaglohn dreizehn hungrige Mäulchen sattzukriegen. Bei
-Kartoffeln und Salz und trockenem Brot werden die Wangen schmal.
-
-Es müßte dem Jagder kein Herz unter dem Kamisol geschlagen haben, wenn
-er nicht in sechsundzwanzig Kinderaugen den Hunger hätte flackern
-sehen. Aber er sah es gut genug. Und wenn er deshalb zu Zeiten
-seinen alten Vorderlader unter dem Heu hervorsuchte, Pulverhorn und
-Zündhütchen in den Brotbeutel steckte und auf verschwiegenen Pfaden in
-den Bergwald stieg, wars nicht die Jagdleidenschaft allein, die ihn
-hinaustrieb. Hunger tut weh.
-
-Es gehen im Bergstädtchen viele Geschichten um vom Jagder. Es hat
-sich um ihn ein krauser Kranz von Wahrheit und Dichtung und voll
-abenteuerlicher Romantik gewunden. Aber eins wissen alle Histörchen
-zu berichten: Daß er seinen Schild, wenn es auch ein unrechtmäßig
-geführter war, rein hielt. Er war keiner von jenen Aasjägern, die mit
-gehacktem Blei das Alttier vom Kalbe wegschossen und mit Wilpertfleisch
-Wucher und Schacher trieben. Er hätte auch den Finger nicht krumm
-gekriegt, wenn ihm ein hochbeschlagenes Muttertier vor die Flinte
-gekommen wäre. Denn er nahm neben Pulver und Blei sein Herz mit in den
-Bergwald.
-
-Er wußte jeden Wechsel im Revier. Kein Rudel war ihm fremd. Und knurrte
-der Magen zu sehr oder puckerte das Blut zu arg: er ging selten auf
-vergebliche Pürschen. Sein Vorderlader war von grausam großem Kaliber.
-Wenn er Dampf machte, ging ein Donnern über die Berge. Und wenn seine
-Bleikugel saß, saß sie gut und erlöste ihr Opfer rasch. Oder sie
-verprallte an irgendeiner Klippe, klatschte in irgendeine Fichte und
-tat keiner Kreatur ein Leid.
-
-Der Wald war des Jagders Kirche und Fleischkammer.
-
-Wenn Sonntags die Glocken läuteten, erreichte ihn ihr Klingen sicher
-irgendwo auf Bergeshöhen, wo er seine Waldandacht hielt auf seine Art.
-Nicht immer mit der gespannten Büchse, aber stets mit dem hellen,
-freien Auge des Naturmenschen, dessen Gott in Waldesmitten wohnt.
-
-Zeisige singen die Liturgie, Wald und Weite halten die Predigt.
-
-Und der Jagder ließ sie zu sich sprechen. Es war nicht jederzeit
-Hingabe und Genießen in dem wohlgepolsterten Kirchenstuhl des guten
-Gewissens. Denn nicht alle Sonntagmorgen gingen die Förster unten im
-Bergstädtlein zum Frühschoppen.
-
-Ja ja, die Grünen!
-
-Der Jagder gehörte nicht zu den Rabiaten. Er suchte im Guten mit ihnen
-auszukommen. Die Leute sagen, es sei sogar ein recht gemütliches
-Verhältnis zwischen ihm und den Förstern gewesen. Dennoch soll man
-sein Schicksal nicht herausfordern. So hielt es der Jagder als für das
-Klügste, im Revier weder Berufenen noch Unberufenen unter die Augen
-zu kommen. Wenn auf irgendeinem Waldwege, in irgendeiner Schneise das
-allerletzte Restlein eines Tabakwölkchens hängen geblieben war, stieg
-ihm ein unbehaglicher Verdacht in die Nase. Er wurde mißtrauisch wie
-der Fuchs, dem auf verbotenen Raubzügen die Witterung eines Menschen in
-den Windfang weht und der nun seine Vorsicht verdoppelt.
-
-Es wäre schade um den schönen Vorderlader! Sie haben ihn so manches Mal
-vergeblich gesucht ...
-
-War es nicht genug, daß sie ihm daheim so und so oft in die Kochtöpfe
-geguckt, Boden und Keller durchsucht und manche Spießerkeule
-mit fortgenommen haben? Wenn sie an seinem Häusel vorbeigingen,
-schnupperten sie, obs im niederwehenden Schornsteinrauch nicht nach
-Wilpertbraten duftete. Es war ein ewiges Mißtrauen zwischen ihnen. Und
-so konnten sie sich trotz aller Freundschaft eigentlich gegenseitig
-nicht gut riechen, der Jagder und die Grünen.
-
-Als sie es ihm zu bunt machten, vergrub er das Pökelfaß mit dem
-gesalzenen Wildfleisch säuberlich unter dem Moos eines Dickichts
-draußen im Walde. So fanden sie nichts mehr bei ihm. Aber das Pulver
-blieb trocken. Der Stutzen rostete nicht.
-
-Er prahlte nicht mit seiner Passion. Er machte auch keinen Hehl
-daraus. Sein Sonntagsstaat und Stolz war eine grüne Jägerjoppe
-mit Hirschhornknöpfen und der Schützenhut mit dem Birkhahnspiel
-hintendrauf. Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht ...
-
-Die Fensterläden seines Hauses, das sie im Bergstädtchen heute noch
-das Jagderhaus heißen, waren mit bunten Jagdbildern bemalt. Wenn ich
-als Junge am Jagderhaus vorüber mußte, waren diese Bilder mein ganzes
-Entzücken. Ich kenne sie alle noch: Den Schützen mit Bergmannskittel
-und Schachthut, der einen schwarzen Bart hatte wie der Jagder selbst,
-den Schweißhund, den flüchtenden Zwölfer (ha, der Stolz!), den
-Auerhahn. Jeder Fensterladen hatte sein Bild, und eins war immer
-schöner als das andere. Die Leute sagen, der Jagder habe die Grünen
-damit ärgern wollen. Ich glaubs aber nicht. Der eine freut sich an
-einem roten Schlips, der andere an einem armseligen Öldruck. Warum soll
-der Jagder nicht seine Freude an seinen Fensterläden gehabt haben?
-Sie waren sogar ein Stückchen Kunst, und ihr Ursprung war eine Liebe.
-(Wenns auch eine verbotene war.)
-
-Nun haben sie ihn lange begraben. Sie betten die Toten so, daß ihr
-Antlitz gegen Morgen gewendet ist. Von dorther grüßt den toten Jagder
-der Bergforst aus blauer Höhe. Es war sein liebstes Revier. Nichts
-Schöneres hätte er sich wünschen können, als den ewigen Schlaf zu
-schlafen im Angesicht dieser trotzigen Urwelt, der sein Herz gehörte.
-
-Auf dem Hai, das just über die Wälder der Vorberge herschaut, starb
-sein Enkel den Wilderertod.
-
-[Illustration]
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-
-[Illustration]
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-
-Leimhus
-
-
-Der Leimhus führte seinen Namen mit Fug und Recht: Auf seiner Hose
-klebte ein zäher Überzug von Vogelleim. Er hielt auf Reinlichkeit. Es
-wäre nun aber lächerlich gewesen, zum Vogelstellen Seife und Handtuch
-mitzunehmen oder das Taschentuch, wenn er eins besessen hätte, zu
-solchen Zwecken zu mißbrauchen. Weil es jedoch unbehaglich war,
-mit zusammengeklebten Fingern hantieren zu müssen, wischte er die
-leimbeschmutzten Hände an der Hose ab. Vogelleim trocknet schlecht.
-Dieser Umstand bedingte einen häufigen Wechsel der Wischstellen.
-Die Hände fühlten schon den Platz heraus, der jeweils am Hosenboden
-oder Hosenbein am trockensten war. So bildete sich mit der Zeit eine
-Pechhaut von bewundernswerter Gleichmäßigkeit auf der Hose. Und durch
-solcherart Imprägnierung bekam sie unschätzbare Eigenschaften. Sie
-zerriß nie, war undurchlässig für Luft und Zug, konnte stehen und
-glänzte wie Leder.
-
-Dies berühmte Beinkleid gab seinem Träger seinen ebenso berühmten Namen.
-
-Leimhus war der zünftige Vogelsteller. Er übte diesen dunklen und nicht
-unter dem Schutz des Gesetzes stehenden Beruf hauptamtlich aus. Wenn er
-ein Aushängeschild nötig gehabt hätte, hätte es folgendermaßen aussehen
-müssen:
-
- ~C. LEIMHUS~
-
- ~Vogelstellerei und Vogelhandlung.
- Erstklassige Waldvögel, nur prima Sänger.
- Besichtigung frei!~
-
-Ein solches Schild hätte aber zuviel ausgeplaudert. So blieb es
-klüglicherweise ungemalt.
-
-Leimhus hatte seine Mietsstube im Jagderhaus. Der Wildschütz und der
-Vogelsteller paßten gut zueinander in diesem Krähennest, in dem man
-noch weniger als anderswo Veranlassung hatte, sich gegenseitig die
-Augen auszuhacken. Das Jagderhaus ist das allerletzte und allerhöchste
-Häusel im Bergstädtchen. Daß Leimhus gerade dort seine Behausung
-auftat, hat er nicht des Himmels Fügung allein überlassen. Hier oben
-war er mit des Herrgotts Vogelgarten in engster Fühlung. Wiesen guckten
-zum Fenster herein. Dazwischen eingestreut lagen Kartoffeläcker, auf
-denen es sich im Herbst wunderschön Stieglitzen und Hänflinge stellen
-ließ. Ganz nahe rauschte der Wald. Man konnte das Zeisigsingen dort,
-den Schlag der Finken und das Jiffen ziehender Kreuzschnäbel im
-Jagderhaus hören. So saß der Leimhus mitten im Revier. Und das Schönste
-an seiner Behausung war, daß sie sich herrlich schnell und ohne
-allzu heiße Sohlen erreichen ließ, wenn irgendwo auf grüner Flur die
-Helmspitze des Landjägers blänkerte und die Luft nicht sauber war.
-
-Er hatte die schwärzesten Erfahrungen mit den Hütern der Ordnung
-gemacht. Gendarm und Förster waren seine geschworenen Feinde. Er ging
-ihnen aus dem Wege wie eine Katze, der böse Buben den Schwanz geklemmt
-haben. Beim Vogelstellen hatte er seine liebe Not, auf Stellbusch
-und Leimruten zu achten und gleichzeitig Umschau zu halten nach
-Störenfrieden in hellgrüner oder dunkelgrüner Uniform. Sie hetzten ihn.
-Sie nahmen ihm die Lockvögel fort. Sie waren Schuld daran, daß er mit
-grausamer Regelmäßigkeit Jahr um Jahr vor das Schöffengericht mußte
-»wegen unerlaubten Vogelstellens im Rückfalle«. Dann sahen ihn die
-Bergstadtleute für ein paar Wochen nicht. Es blieb aber nicht immer bei
-Wochen. Als er damals einen harmlosen Quäker als Nachtigall verkaufte,
-kams schlimmer. Der Amtsrichter zeigte keinerlei Verständnis für
-Leimhusens Großzügigkeit und diktierte ihm im Namen des Gesetzes einen
-langen Urlaub von Leimbüchsel und Jagderhaus.
-
-Des alten Sünders schwarzes Gewissen ward durch die aufgezwungene Muße
-nicht weißer. Als er heimkehrte, legte er sich auf die Kunstfertigkeit,
-aus wertlosen Zeisigweibchen gutbezahlte Zeisigmännchen zu machen.
-Dieser Gedanke war so großartig wie einträglich. Seine Ausführung
-erreichte er auf einfachste Weise: er träufelte ein wenig Leinöl
-auf die Unterseite einer Bratpfanne, verrieb das Öl mit dem an der
-Pfanne haftenden Ruß und strich mit der Fingerspitze der Zeisigsie ein
-kunstgerechtes schwarzes Plättchen über den Kopf. Durch diesen Schmuck
-ihrer männlichen Artgenossen lernten freilich die Zeisigweibchen das
-Singen noch lange nicht. Aber sie gaben ihren Besitzer einer angenehmen
-Täuschung hin.
-
-Nun ist jedoch ein Zeisig ein ehrliches Waldkind. Er läßt sich auf
-die Dauer nicht mit fremden Federn schmücken. So hielt das künstliche
-Plättchen längstens bis zur nächsten Mauserung. Es wuchs wieder ein
-bescheidenes graues Grün über die Stirn des Zeisigweibchens. Manchem
-Käufer ging alsdann ein ahnungsvolles Lichtlein auf. Die Gutgläubigen
-freilich haben das Leimhusensche Kunststück nicht begriffen. Es war auf
-längere Sicht bemessen und immerhin dauerhafter als ein anderes, das
-er mit einer Gimpelsie anstellte. Die Gimpelsie sollte ein Gimpelhahn
-werden. Leimhus malte ihr eine wunderschöne kardinalrote Brust an.
-Der Herrgott im Paradies hätte es nicht besser machen können. Der
-Käufer der Dompfäffin aber war unbarmherzig genug, den Vogel eines
-Tages im Regen stehen zu lassen. Der Regen wusch den roten Kardinal
-wieder grau. Die Kunstfertigkeit ging zuschanden, -- und des Leimhus
-Sündenbündel war voll.
-
-Hinterher hat er nur wieder zu Pinsel und Farbtopf gegriffen, wenn er
-daheim in seiner Stube hockte und Vogelhäusel anstrich.
-
-Seine Stube war eine lebendige Vogelhecke voll Flispern und Flattern.
-In ihr gediehen außer acht Menschlein ein halbes hundert Waldvögel.
-Tat man die Tür auf, blaffte dem Eintretenden ein greifbar dicker
-Dunst entgegen. Einen Augenblick blieb man im Zweifel, ob man zuerst
-über die Luft staunen oder aber den Lärm bewundern sollte, der mit
-gleicher Ungeheuerlichkeit aus Leimhusens Bude drang. Das war ein
-Gedüdel und Trätschen, Zwitschern, Pfeifen, Flöten, als wenn alle
-Vögel des Bergwaldes zum Wettbewerb angetreten seien. Und war doch
-weiter nichts als Verzweiflung, Sehnsucht und Leid. Eine menschliche
-Unterhaltung konnte in dem wirren Durcheinander nur auf geräuschvolle
-Weise geschehen. Wer draußen vorüberging und das Prahlen und Belfern in
-der Vogelbude hörte, mochte meinen, es entlüde sich dort ein häusliches
-Gewitter. Das war durchaus nicht immer der Fall. Es ist nicht leicht,
-sich harmlos zu unterhalten, wenn fünfzig Vogelkehlen dareinreden.
-
-Alle die Stimmen, die dort aus Drahtkäfigen und Holzbauern sich ein
-Wörtlein mitzusprechen erlaubten, konnten sich hören lassen. Es waren
-nicht die Schlechtesten, die Leimhus in Kost und Unterkunft behielt.
-Jeder Waldsänger, der unter seine Botmäßigkeit geriet, wurde auf Herz
-und Nieren geprüft. Leimhus führte über seine Gäste ungeschrieben Buch.
-Eine Art Wertliste, in der jeder nach Kunst und Gaben seinen Platz
-angewiesen bekam. Wer auf dieser Wertliste zu unterst stand, stand
-auf der Verkaufsliste sicherlich zu oberst. Dies Verfahren wich zwar
-erheblich von ehrsamen Geschäftsgrundsätzen ab. Aber Vogelsteller haben
-ihre eigene Moral, und Leimhus hatte die allereigenste. Er machte es
-umgekehrt wie die Schuster, die die schlechtesten Stiefel für sich
-behalten.
-
-Zu seiner Ehrenrettung soll jedoch gesagt sein, daß es leichter ist,
-mit Bedacht ein paar gute Stiefel herzurichten, als es dem Zufall
-überlassen zu müssen, ob einem gute oder schlechte Vögel auf die
-Leimrute flattern.
-
-Mit dem Wörtlein gut oder schlecht waren Leimhusens Urteile indes nicht
-abgeschlossen. Seine Ohren hörten unendlich fein und waren strenge
-Kritiker. Der Außenstehende hatte Mühe, in die Mysterien des Vogelsangs
-einzudringen und all die kniffligen Unterschiede zu begreifen, die der
-Vogelsteller beachtete. Wenn dem Laien aus Baumesgrün herab ein Fink
-zujubelt, freut er sich darüber und sagt: Hört doch den Finken an!
--- weil er gemeinhin nur eine Art von Finken kennt. Leimhus dagegen
-hätte sogleich die Ohren gespitzt. Und sogleich wäre auch das Finklein
-säuberlich in die ihm gebührende Rangordnung eingefügt worden. Denn bei
-Leimhus hatte die Gattung Buchfink im Gegensatz zu allen Naturforschern
-der Welt mindestens sechs Unterarten. Er schied sie reinlich danach
-auseinander, ob ihnen der Herrgott einen Schlag mehr oder weniger,
-grober, feiner, heller, dunkler, dünner oder voller in das Kehlköpflein
-gelegt hatte.
-
-Da war zunächst der König unter den Finken, der Reiterjakzieher oder
-Reiterfexier. Er führte auch den stolzen Namen Rollreiter. Sein Schlag
-war Schmettern und Rollen: zizizirrrrrreiterjakjakjakzirkel! Er konnte
-die Finkennarren im Harzheimatland um die Ruhe bringen. Um seinetwillen
-vergaßen sie Essen, Trinken und Schlafen.
-
-Dem Rollreiter folgte in der Rangordnung der kleine Weide. Er trug sein
-Verslein zierlich und manierlich vor: widdewiddewiddedadadaweitakel!
-
-Dann kam der grobe Weide: üüüschorschorweitakel!
-
-Und der Buschgefärr: zizizibuschgefärr!
-
-Diese vier waren in den Augen des Vogelstellers der Beachtung wert. Was
-dann aber aus der Gattung Fink etwa noch sang: ziziziquatschmarakel!
-oder: latschlatschlatschzwetschenkern! oder: üsüsüsjebzwiakel! oder:
-ziziziweinzieher! -- das alles war minderwertig und kam unter die
-anrüchige Rubrik: Latscher.
-
-Auch die Kreuzschnäbel waren nicht alle in die gleiche Gesangsschule
-gegangen: Ripp-ripp-ripp! machte der Ripper, ein helles
-Kliff-kliff-kliff! der Kliffer. Der beste Lockvogel unter ihnen war der
-Klitscher: Klitsch-klitsch-klitsch!
-
-In solcher Art war alles, was an Finken und Grünitzern, Zeisigen,
-Rotkehlchen, Hänflingen, Stieglitzen, Gimpeln, Zwunschen, Quäkern,
-Zetschern und Lessigen in Leimhusens Vogelbude hing, nach Klasse und
-Rasse und Rassigkeit wohlgeordnet und unterschieden.
-
-Ihrer Wertordnung entsprechend war auch das Verhältnis, das Leimhus
-zu jedem einzelnen seiner Pflegebefohlenen einnahm. Wenn er die
-Futtertüten aus der Ecke holte und mit zerbeultem Zinnlöffel dem einen
-Mohn, dem anderen Rübsamen ins Näpfchen schüttete, hatte er für alle
-ein Wörtlein bei der Hand. Diese einseitig geführte Zwiesprache war
-nicht immer freundlich. Manchmal lag eine Art rauher Herzlichkeit
-darin, sprang auch wohl ein Fünklein Seele hinein. Sie wurde um so
-wärmer, je mehr der kleine Sänger das Wohlwollen seines Brotherrn besaß.
-
-Kumm, Hansel! Host schien gesunga. -- Un du, Kläner, host gestern fein
-gelockt, -- heite kriegste än Happen meh’! -- Na, du nacketer Zessig?
-Singe witte net, oder frassen immerzu. -- Wos saht denn nu äner zu
-dissen Haneflig! Hot wieder dos ganse teire Futter verorzt. Wart,
-Jerrich, dich will ich Moses larna! Heite gitts nischt!
-
-So ließ er Sonne scheinen über die Gerechten und Donner poltern über
-die Ungerechten.
-
-Nach dem Füttern ward die bunte Schar nach draußen gehängt. Dann
-bekam jedes Fenster eine Umrahmung voll Farbe und Musik und hüpfenden
-Lebens. Sie verrieten die »Firma«. Leimhus brauchte ein Aushängeschild
-wirklich nicht. Ein werbenderes hätte sich auch schlecht denken
-lassen. Man sah nicht nur, daß es im Jagderhaus zweifellos Vögel zu
-kaufen gab. Gelegentlich konnte der Vorübergehende, wenn auch nicht
-sehr augenfällig, bemerken, daß der Vogelsteller auf Ergänzung seines
-Bestandes bedacht war. Hier und dort staken wie harmlose Zierate
-Leimruten an den Käfigen.
-
-Das war freilich nur geringfügiger Nebenbetrieb. Leimhusens hohe Zeit
-kam, wenn im Herbst die Vögel zu ziehen begannen.
-
-Das Herannahen des Vogelzuges war sozusagen zu riechen, -- das heißt,
-wenn einer in der Nähe des Jagderhauses wohnte. Zu pünktlicher Zeit
-traf Leimhus seine Vorbereitungen. Auf seinem Herd bruzzelte ein
-Eisentopf voll Leinöl. Das stinkende Räuchlein, das sich darüber
-bildete und zu Schornstein und Hintertür hinausstrebte, war
-schlechterdings von keiner Nase unbemerkt zu lassen. Dann schnupperten
-die Nachbarsleute, und über ihr Gesicht ging ein verständnisinniges
-Lächeln. Leimhus indes stand vor dem Herd und rührte und probierte
-und kochte so lange, bis das dünne Öl zum zähen Vogelleim
-zusammengeschmurgelt war. Er entnahm ihm mit einem Span eine Probe,
-prüfte sie sachgemäß zwischen zwei Fingern und verwahrte den klebrigen
-Klumpen im Leimbüchsel.
-
-Mit dem Leimkochen aber waren die Vorbereitungen zum Vogelfangen
-nicht erschöpft. Der Leimrutenvorrat mußte ergänzt werden. Dünne
-Salweidenruten wurden geholt, geschält und angespitzt, damit sie
-sich in die Dietle stecken ließen. Die Dietle waren Endchen von
-Himbeerzweigen, die wegen ihres weichen Marks als Hülse dienten und
-das Verbindungsstück zwischen Leimrute und Dorre herstellten. Dorre,
-so hieß der Stellbusch und war weiter nichts als ein dürres Buchen-
-oder Weidenbüschlein. Aber die Dorre war sperrig und verräterisch.
-Viel einfacher und unauffälliger war die Klatte. Eine Klatte sah ganz
-harmlos aus:
-
-[Illustration]
-
-Aber wenn sie aufgestellt und verbrämt war, ward sie zum
-Teufelswerkzeug:
-
-[Illustration]
-
-Wenn die Zugzeit begann, war Leimhus wohl vorbereitet. Früh, wenn im
-Bergstädtchen noch alles schlief, stand er auf und nahm Witterung.
-Schwamm Nebel über Wald und Wiesen und wehte der Wind aus Westen,
-schmunzelte er. Die Aussichten waren günstig. Er tappte in die
-Vogelbude zurück. Auch dort schlief noch alles. Nur der Kernbeißer
-war wach und warnte mit mißtrauischem hsp! hsp! Unsanft wurden die
-Lockvögel vom Nagel genommen und in Rucksack, Handkoffer oder sonst ein
-wenig verräterisches Behältnis getan. Ehe der Morgen graute, standen
-Lockvögel und Stellbüsche an ihrem Ort. Leimhus verzog sich in den
-Hintergrund.
-
-Im Aufstellen der Fanggeräte war er kein Pfuscher. Er verfügte über das
-nötige Pfündlein Erfahrung und wußte, daß Zeisige, Kreuzschnäbel und
-Dompfaffen nicht auf die niedrigstehende Dorre flogen. Deshalb wurden
-Klatte oder Dorre an eine Stange gebunden und hoch aufgerichtet. (Doch
-nicht zu hoch, die Feldpolizei hatte gute Augen!)
-
-Stieglitze und Hänflinge dagegen flogen gern zur Erde. Für sie blieb
-das Stellbüschlein, wohl gespickt mit Leimruten, am Boden stehen.
-Der Lockvogel stand daneben. Er sang sich das Leid und die Sehnsucht
-nach Freiheit aus der Brust. Sein Ruf ward vielen seiner Genossen zum
-Verderben. Was an Leimhusens Leimruten hing, war ihm verfallen. Die
-Gefangenen wurden herabgenommen und in den Brotbeutel gesteckt. Damit
-war ihr Los entschieden: ade Wald, Sonne, Freiheit! Fortan spann sich
-ihr Leben ab auf zwei armseligen Sprunghölzchen. Ein enger Käfig voll
-Schmutz und Ungeziefer war ihre Welt. Die Schwingen, fröhlichen Flug
-gewohnt durch Luft und Wälderweite, flatterten sich am Käfiggitter
-blutig. Das Gefangensein wurde langsame und grausame Hinmarterung.
-
-Viele freilich zogen das bessere Los und starben, ehe sie noch der
-Vogelsteller daheim aus dem Brotbeutel nahm. Ungezählt viele, die der
-Herrgott schuf dem Wald zur Lust und _allen_ Menschen zur Freude. Sie
-wurden Opfer der Tücken eines Herzlosen.
-
-Ob die kleinen Toten ihn nicht wie eine furchtbare Anklage umschwirrt
-haben, als auch dem Leimhus sein Stündchen schlug? Ob das Gewissen
-lebendig wurde, als das Leben sterben wollte?
-
-Irgendwo in der Fremde ist er verkommen. Unstät, heimatlos. Im
-Bergstädtchen wußte keiner, wo er geblieben war. Saß er im Gefängnis?
-Zog er mit der Vogelkiepe durchs Land?
-
-Derweilen sie sich noch die Köpfe zerbrachen, pilgerte seine Seele
-dunkle Pfade, die nicht heimkehren ins Jagderhaus. Er drehte keine
-Leimruten mehr auf. Nahm auch keine mehr zwischen seine Zähne und
-zog mit dem Schuhriemen den Leim wieder von den Ruten. Seine Lippen
-spitzten sich nicht mehr zum Lockpfiff.
-
-Als er vor die Himmelpforte kam, hat ihn der Herrgott jämmerlich an
-beiden Ohren gezaust.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Der Sünderwinkel
-
-
-Der liebe Gott kann nicht gegen sein gütiges Herz. Er müßte ja
-sonst nicht der liebe Gott sein. Und so kam Leimhus trotz seines
-umfangreichen Sündenregisters schließlich doch in den Himmel.
-
-Aber der Himmelsvater mochte ihn nicht gerade im Allerheiligsten
-behalten. Er ließ ihm abseits ein Plätzlein anweisen, das für den alten
-Sünder würdig genug erschien. Leimhus kam in die Ecke, wo Frevler
-ähnlichen Schlages der Läuterung unterzogen wurden und warten mußten,
-bis sie zu richtigen Engeln wurden. Damit hatte es bei vielen sehr
-lange Weile.
-
-Gewissermaßen als Sündenspiegel war über der Pforte zu jenem schwarzen
-Winkel ein Schildlein angebracht. Und darauf stand zu lesen:
-
- Fischefangen und Vogelstelln
- Verdarb schon manchen Junggeselln.
-
-Es waren aber nicht nur Vogelsteller und Forellenstecher dort.
-Holzdiebe, Finkenblender, Dohnensteller und Wildschützen machten die
-Runde voll. Und es traf sich, daß der Leimhus viele bekannte Gesichter
-aus dem Harzheimatland dort wiedersah. Als ob der Herrgott eigens für
-die oberharzischen Sünder einen besonderen Raum geschaffen hätte.
-Das war auch so. Und damit hatte es folgende Bewandtnis: Der liebe
-Gott hatte sie zuerst alle recht schief und böse angeguckt, als sie
-oben um Einlaß baten. Aber da er einsah, daß er eigentlich selbst
-Schuld war an ihren Vergehen, indem er sie unten auf der Erde in ein
-so verführerisches Stücklein Natur setzte, in welchem allenthalben
-die Hirsche springen und Vögel singen und der Wald wächst und in den
-Bächen die Forellen schnappen, -- indem der Himmelsvater solcherlei
-Betrachtungen anstellte, drückte er ein Auge zu und hieß sie eintreten.
-
-Er argwöhnte jedoch, sich mit den genannten Menschenkindern sozusagen
-Läuse in den Pelz zu setzen. Und da er ihren verderblichen Einfluß
-auf die übrigen Himmelsbewohner fürchtete, schuf er jene Ecke für die
-Waldsünder aus dem Harzheimatland.
-
-Daß gemeinhin nur solche Landsleute in diesem Winkel aufgenommen
-wurden, hätte einer nicht nur aus dem bedenklichen Eingangsschild
-schließen können. Wenn er genau zusah, konnte er unter dem Spruch
-noch ein handschriftlich hinzugefügtes Sprüchlein entdecken. Das hieß
-folgendermaßen:
-
- Es krine die Danne,
- Es waxe das Aehrz,
- Gott schenke Uns alle
- Ein frehliges Hertz.
-
-Der liebe Gott hatte zuerst wieder über diese Schmiererei schelten
-wollen. Doch dann lächelte er. Und er dachte: Ein feines Sprüchlein
-haben sie sich ausgesucht. Es liegt Heimatstolz und Heimatliebe darin.
-Sie ehren die Gaben, die du ihrer Heimat zudachtest. Und sie bitten um
-das Beste, das du Menschen schenken kannst: ein fröhliches Herz. Welche
-Lebensweisheit! Nicht Gut und Geld wünschen sie. Sie sind zufrieden
-mit dem Segen ihrer Berge und finden ihr Glück in der Fröhlichkeit des
-Herzens.
-
-So dachte der liebe Gott und ließ das Sprüchlein bestehen. Und da er
-kein Kleinigkeitskrämer ist und nur das Herz ansieht, stieß er sich
-auch nicht an der mangelhaften Rechtschreibung. Der den Wahlspruch
-einstmals in einer Heimwehstunde hinkritzelte, hatte zu seinen
-Lebzeiten nur alle Sonnabende die Pochjungenschule besuchen können und
-wußte mit der Spitzhacke besser Bescheid denn mit der Feder. Er wollte
-kein Kunstwerk malen: nur seine Liebe ausschütten, wie sie in der
-Sprache der Heimat über seine Lippen kam.
-
-Der Sünderwinkel war vom Herrgott nicht als Verdammungsort gedacht. Er
-sollte eine Läuterungsklause sein. Nicht alle, die hier ihren Platz
-angewiesen bekamen, blieben darin. Nur die Hartgesottensten waren
-seßhaft. Da die Ecke aber nie leer wurde, tuschelte man im ganzen
-Himmel, jeder geborene Oberharzer müsse zu seinen Lebzeiten entweder
-Wildschütz, Holzfrevler, Fischdieb oder Vogelsteller gewesen sein.
-Manche alles das zusammen.
-
-Leimhus hoffte, im Sünderwinkel auch seinen alten Hausgenossen Jagder
-anzutreffen. Aber der Jagder befand sich bereits in einer geweihteren
-Ecke, die dem Allerheiligsten schon näher lag. Er hatte dort mit vielen
-anderen Invaliden, die einstmals als Zeichen Schlägel und Eisen oder
-die Wolfsangel führten, ein geruhsames Feierabendstüblein inne.
-
-[Illustration]
-
-So mußte sich Leimhus in dem übriggebliebenen Kreis umtun. Er hielt
-sich zu denen, die auf der Erde selten das Vaterunser gebetet haben
-und denen trotz ihres jetzigen himmlischen Aufenthalts immer noch
-kein Heiligenschein wachsen wollte. Man sollte es nicht für möglich
-halten, welch’ stattliche Zahl alter Knaben dort sitzen geblieben
-waren. Ein Schuster hockte dort, der vor Zeiten das traurige Geschäft
-des Finkenblendens im Bergstädtchen zu besorgen hatte. Sogar ein paar
-Schnapphähne aus dem Dreißigjährigen Kriege räkelten sich da noch
-herum. Sie wollten Angehörige des ehrsamen Fähnleins der Harzschützen
-gewesen sein, hatten aber in ihrem Heimatland genotzüchtigt und
-gebrandschatzt wie die Tillyschen selbst. Das hat ihnen der Herrgott
-arg ins Kerbholz geschnitten. Denn wer seine Heimat nicht lieb hat oder
-ihr gar Schaden zufügt, verdient keine Gnade.
-
-Dieser anrüchigen Runde also ward Leimhus zugewiesen.
-
-Glickauf, sagte er und trat ein.
-
-Als er das anzügliche Schild über dem Sünderwinkelspförtlein gelesen
-hatte, vermutete er, an den richtigen Ort geraten zu sein. Dennoch
-fragte er verlegen: Kumm ich hier racht? Dr liewe Gott hot mich hierhar
-beordert. Ich hääß Leimhus. Net von Rachts wahng. Aber mich hahnse
-unten su getääft.
-
-Herrejeses! Do is ju dr Leimhus! -- riefs ihm aus der Runde entgegen.
-Kumm mant rein. Dis is die Bucht for die Ewerharzer. Du host grod
-noch drinne gefahlt! Ober dos Vugelbauer loß mant draußen. Zessing un
-Haneflige warn in Himmel net geschtellt!
-
-Un ahch käne Gimpels rut ahngeschtrichen! stichelte einer. Jetzt erst
-bemerkte Leimhus, daß er richtig noch einen Käfig in der Hand hielt. Er
-stellte ihn an der Pforte nieder und ward, ehe er die vielen Bekannten
-mit Handschlag begrüßen konnte, am Eingang von einem eisgrauen Männlein
-zurückgehalten. Das war ein Stadtschreiber gewesen. Der veruntreute
-vor langer Zeit im Bergstädtchen Witwengelder. Dieser schändlichen
-Sünde wegen hatte er schon mehrere Menschenalter lang ruhelos auf Erden
-umgehen müssen. Die Bergstadtleute erzählten sich gruselige Geschichten
-von ihm. Nun aber bekleidete er seit ein paar hundert Jahren den
-Posten eines Pförtners im Sünderwinkel. Er zählte auch zu denen,
-denen es nicht gelang, eine Stufe im Himmel höherzurücken. Zu seinen
-Obliegenheiten gehörte es, das Wer und Woher aller derer zu buchen,
-die in den Sünderwinkel verdammt wurden. Leimhus gab auf alle Fragen
-rechtschaffen Antwort. Als der Stadtschreiber aber fragte: Vorstrafen?
-da hatte Leimhus leider nicht so viel Finger an den Händen, um die
-richtige Zahl nennen zu können. Das Stadtschreiberlein mit dem weiten
-Gewissen merkte die Verlegenheit des Sünders, steckte den Federkiel
-hinter die Ohren und ließ den Neuankömmling eintreten, ohne alle
-Spalten in seinem Lebensbuch vorschriftsmäßig auszufüllen.
-
-So zog Leimhus beglückt ein in das Gefilde der Halbseligen, froh,
-endlich zur Ruhe gekommen zu sein. Es war peinlich gewesen, mit
-schwarzer Seele zwischen allen Heiligen und Seligen hindurch den Weg
-in diese Ecke suchen zu müssen. Und ausgerechnet mußte er auch den
-Vogelkäfig in der Hand behalten haben! Nun verstand er erst, weshalb
-die Engelsbuben so hinter ihm hergekichert hatten.
-
-Er argwöhnte nichts hinter diesem Lachen, weil er ganz in
-Gedanken und Träumen versunken war. Während er auf verschlungenen
-Himmelspfaden dahinschlenderte, hatte er nämlich Betrachtungen
-darüber angestellt, von welcher Art von Vögeln die Engel alle
-ihre Flügel hergeliehen hätten. Mit wehmütiger Freude erkannte er
-Finken- und Stieglitzenflügel, solche von Drosseln, Krammetsvögeln,
-Kreuzschnäbeln, Zeisigen und Bachstelzen. Er sah Hägerflügel,
-Ringeltaubenflügel, Bussardflügel und Flügel vom Taubenkrümmer.
-Die Engelsbuben trugen meist Zaunkönigsflügel oder grüne und
-blaue vom Blaumüllerle. Just als Leimhus ein paar wunderschöne
-Seidenschwanzfittiche bewundern wollte, war er am Ziel seiner
-Pilgerfahrt.
-
-Er wurde in der neuen Umgebung schnell warm. Die Geistesverwandten
-sonderten sich ab und hockten zusammen. Es waren alle diejenigen,
-denen es in den Augen flackert und die man im Harzheimatland »Fatzen«
-oder »schlachter Dingerich« zu benennen pflegte. Es begann eine
-kurzweilige Unterhaltung unter ihnen. Sie tauschten ihre Erinnerungen
-aus. Jeder hatte davon ein mehr oder minder volles und mehr oder minder
-schwarzes Sündenköfferlein bei der Hand. Man kann nicht sagen, daß es
-himmlische Reden gewesen wären, die da geführt wurden. Um jedoch nicht
-ungebührlich zu erscheinen, geschah jede Unterhaltung im Flüsterton.
-Und wenn sie lachten oder feixten, steckten sie aus dem gleichen Grunde
-die Köpfe unter den Tisch. Das taten sie nun recht häufig, wie es von
-verstockten Sündern nicht anders zu erwarten ist. Sie hatten ihre
-erdenhafte Art noch nicht abgestreift. Der alte Adam in ihnen kehrte
-sich immer wieder heraus. Dann flogen ihre Gedanken ins Harzheimatland
-hinab. Ach, wenn sie hätten hinterherspringen können! Die himmlischen
-Ambrosiawölklein wandelten sich ihnen zu Harz- und Fichtennadeldüften.
-Sie zogen sie in durstigen Zügen ein. Das Bergmenschenblut wurde
-warm. Ihre Augen blitzten, und jeder erzählte von seinen erlaubten
-oder unerlaubten irdischen Abenteuern, prahlte mit Streichen und
-Schabernäcken, Boshaftigkeiten, Schlechtigkeiten, Tücken und just mit
-allem, was auf der Erde nicht hätte laut werden dürfen, geschweige denn
-im Himmel. Sie logen, daß sich im Harzheimatwald die Fichten bogen.
-Einem Trumpf folgte immer ein noch besserer. Der Herrgott hatte schon
-die Richtigen in den Sünderwinkel geschickt!
-
-Schließlich war die Reihe an Leimhus, aus dem Kistlein seiner
-Erinnerungen auszupacken. Vom Vogelstellen im allgemeinen zu hören, war
-seinen Himmelskumpanen zu langweilig. Sie hatten diese Kunst mehr oder
-weniger alle geübt. Sie wollten es auch nicht glauben, daß Leimhus an
-einem Morgen zweihundert Zetscher gefangen und acht Tage weiter nichts
-als Zetscher gegessen habe. Er schlug seine Zuhörer erst wieder in
-Bann, als er vom Finkenfang erzählte.
-
-Härt zu, begann er.
-
-Nun hatten aber viele der Sünderwinkelsleute schandbarerweise ihre
-oberharzische Sprache verlernt. Zudem wird im Himmel gemeinhin nur
-Hochdeutsch gesprochen, weil das nicht so grob klingt. Und so fuhr
-Leimhus fort: Hört zu! (Das ö fiel ihm sehr schwer!)
-
-Was Ihr alles vorgebracht habt, ist schön. Ich glaube Euch aber nur
-die Hälfte. Ihr meint, Finkenfangen wäre eine leichte Sache. Ihr irrt
-Euch. Jedenfalls ist es leichter, einer Wittfrau sechs Meter Holz zu
-stehlen oder den Schießer in der Grube um ein Paket Dynamitpatronen zu
-betrügen. Und mit Dynamit zu fischen, ist eine Gemeinheit und keine
-Kunst. Schwerer ist es schon, dem Oberförster die Forellen vor der
-Haustür wegzufangen. Ist aber auch kein Kunststück. Und ein Stück
-Wilpert schießen und hinterher drei Meineide schwören, auch nicht. Wenn
-aber einer im Wald einen guten Finken ausgemacht hat und ganz genau
-diesen bestimmten Finken und keinen beliebigen andern auf die Leimrute
-bringt, -- ich sage Euch, wer das fertigbringt, der kann was.
-
-Und nun begann Leimhus vom »Finkenstandern« und von den Finessen des
-Finkenfangs zu erzählen. Er mußte dabei notwendigerweise von einigen
-teuflischen Tierquälereien berichten. Aber er kam mit seiner Erzählung
-nicht zu Ende. Man war im Sünderwinkel belauscht worden. Dem Leimhus
-blieb das Wort im Munde stecken: der himmlische Ordnungshüter trat
-herein. Der Finkensteller verbarg das Gesicht. Ausgerechnet er mußte
-wieder als Sündenbock entlarvt werden. Als wenn ihn das Mißgeschick
-auch im Himmel verfolgte! Er war froh, nicht die allerschlechtesten
-Schlechtigkeiten ausgekramt zu haben. Eine Strafverfügung kam
-allerdings doch:
-
-Der weiland Vogelsteller Leimhus wird verurteilt, zur Sühnung sündiger
-Taten und behufs endlicher Besserung bis auf Widerruf wie ein Lockfink
-an einen Pfahl gebunden zu werden.
-
-Seitdem ists im Sünderwinkel sehr still und sittsam geworden. Und
-mit dem Finkenfang im Harzheimatland ists auch nichts mehr. Die
-Vogelsteller fürchten, im Himmel Leimhusens Verdammnis teilen zu
-müssen. -- Die Finken aber singen seither viel lustiger.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Die Bergbachkönigin
-
-
-Es muß einer schon Märchenaugen haben, wenn er ihr heimliches Krönlein
-sehen will. Aber soviel sieht jeder doch, daß sie ein königliches
-Kleid anhat: welcher Fisch im Bergbach auf und ab hat so schöne rote
-und orangegelbe Punkte auf dem Schuppenleib! Und so himmelblaue Ringe!
--- Das Rotfederle schmückt sich zum Hochzeitszug wohl mit roten
-Brustflossen und das Elritzel hat einen silbernen Bauch. Der Rotzkopf
-mit dem dicken Kopf und dem breiten Maul hat außer den goldenen Augen
-eigentlich nichts an Schönem, womit er prunken könnte, und der stille
-Schlammbeißer im Mühlengraben auch nicht viel: an die Schönheit der
-Bergbachkönigin reicht keines heran.
-
-Als noch der Dottersack an ihr baumelte, war sie ein unbeholfenes
-Forellenkind, das mucksstill in der Uferhöhle eines Murmelwässerleins
-lag. Es war dunkel in dieser Kinderstube. Das bißchen Tageslicht, das
-sich dort hinein verlor, mußte sich durch Fichtendämmerung und einen
-Vorhang von herabhängenden welken Wurmfarnwedeln und Rispensträhnen
-hindurchstehlen. Das Wurzelgewirr einer Fichte griff tief in die Höhle
-hinab und krallte mit hundert Fingern Kiesel und Geröll fest. Das gab
-schützenden Halt, wenn die Schneewasser kamen und das Dotterkindchen
-mitnehmen wollten. Seine Mutter hatte die Kinderstube mit Klugheit und
-Fürsorge ausgesucht.
-
-Als das Nesthäkchen einen langen dunklen Winter lang so in der Höhle
-gelegen hatte und Wurmfarn und Rispen wieder grün wurden, fiel sein
-unbehilflicher Dottersack ab. Mit diesem Ereignis begann ihr Leben. Sie
-war ein flinkes Forellenprinzeßlein geworden, das flugs auszog, sich
-die Welt zu besehen. Es war lustig, sich zwischen Steinen und Geröll
-zu tummeln. Oder im ruhigen Wasser zu stehen, sich von Sonnengeflimmer
-überfluten zu lassen und nach winzigen Mücken zu schnappen! Und das
-hatte sie schnell gelernt.
-
-Aber sie brachte nicht nur den richtigen Forellenhunger aus der
-Kinderstube mit. Sie kam bald hinter alle die kleinen Schliche und
-Kniffe, die eine Forelle kennen muß. Sie merkte, daß unruhige Wasser
-schlechte Sicht nach oben gewähren und den Flossen viel Arbeit machen.
-Sie war schon eingeweiht darin, daß ein sich bewegendes Etwas am Bach
-selten etwas Gutes bedeutete und man gut tat, sich zu verstecken.
-Sie wußte, daß Steine wohl Schutz boten, die Uferhöhle aber besseren
-gewährte. Sie konnte sich im Falle der Not auch schon richtig drücken,
-an einen Stein klemmen oder in eine Felsspalte und mit gekrümmtem
-Schwanz unbeweglich verharren, als ob sie ein zufälliges Stück vom
-Bachboden oder ein Bröcklein Tannenast war. Aber auch das wußte sie
-bald, daß der allerletzte Ausweg aus aller Bedrängnis immer der
-lebendige Strudel war, in den kein Harzjunge, kein Eisvogel und keine
-Wasseramsel hinabschauen konnte.
-
-Sie hat sie alle kennengelernt und ihretwegen Reißaus genommen
-hundertmal bachauf und bachab.
-
-Ein paar Sommer lang ist das Prinzeßlein dem Quellwässerchen treu
-geblieben. Dann wurde es größer. Der Hunger wuchs auch, und es zog
-hinab zum rauschenden Wildbach. In einem schwarzen Wasserloch fand es
-ein herrliches Jagdrevier. Das Wurzeldach einer Wetterfichte schattete
-darüber. Und so tief war die Höhle darunter, daß auch der längste Arm
-eines Wildfischers nicht hineinreichen konnte.
-
-In dem Loch kam das Bergwasser zur Ruhe, hielt einen Augenblick inne,
-um Atem zu schöpfen vor der rastlosen Weiterfahrt. Dort wuchs das
-Prinzeßlein zur Königin heran. Sie verbarg sich unter dem Wurzeldach,
-lauernd, ob nicht das Wasser eine zappelnde Fliege hertrüge, eine
-Spinne, einen ringelnden Wurm, ein verunglücktes Waldkäferlein oder
-gar einen vorwitzigen Frosch. Ratsch -- ratsch gings dann, das Wasser
-schlug einen schnellen, gurgelnden Wirbel, und die Buntgefleckte stand
-wieder am alten Platze, als sei nichts geschehen.
-
-Im November, als im Bergwald der Brunftschrei des Rothirsches verhallt
-war, kam ihr die Wanderlust ins Blut, und eine geheimnisvolle Macht
-trieb sie talauf in junge Gewässer. Ein Wandergespan gesellte sich zu
-ihr, der der gleichen Naturstimme folgte und bachauf zog. Es war ein
-glatter Forellenkavalier. Er umschwärmte und umwarb sie. Da merkte die
-Bergbachkönigin, daß sie verliebt war. Und sie verlebten heimliche
-Liebesnächte unter Steinen und in Uferhöhlen. --
-
-In einer schwarzen Nacht stand sie allein im ruhigen Wasser, verlassen
-von ihrem Galan. Über dem Bergwald wälzten sich Schneewolken. Da irrte
-ein Lichtschimmer am Bach herauf. Die Bergbachkönigin hielt neugierig
-still. Sie sah nicht die finsteren Schleichgestalten hinter dem Licht,
-ahnte nicht ihr Verhängnis.
-
-Ein Stich fuhr ihr schneidend in den Rücken. Ihr Leib krümmte sich, mit
-letzter Kraft schlug der Schwanz. Sie wollte fliehen. Aber zu fest saß
-die Gabel des Wildfischers ...
-
-Der hob die Zappelnde heraus. Ihr Krönlein fiel klingend ins Wasser.
-Die Bergbachkönigin war Fischfleisch in roher Hand.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Herrgottsplätzlein
-
-
-Es gibt stille Gründe im Bergwald, die sich der Herrgott als
-Lieblingsplätzchen zum Rasthalten ausgesucht hat. Die Vögel dort singen
-viel heimlicher. Die Quellen schwätzen leiser als anderswo. Der Wind
-überm Wald verhält dort den Atem.
-
-Ein Menschenkind mit einem Gottsucherherzen fühlt solche
-Herrgottsplätze. Wenn aber einer, der kein Gottsucherherz hat, an
-solchen Ort kommt, den zupfen Englein leis am Rockzipfel, daß er nicht
-vorübergehen möchte. Manch einer hört auf die stillen Mahner und hat in
-der Andacht des Waldes den Herrgott gefunden. Mehr aber gehen vorüber.
-Für sie ist der Wald Holz. Ihr Herz ist nichts anderes.
-
-Es gibt viele Herrgottsplätzlein im Harzheimatland. Aber eins weiß ich,
-das ist das schönste von allen.
-
-Kennt ihr den Waldteich im Tale Irgendwo?
-
-Eigentlich ist’s nur ein Tümpelchen, der Rest von einem Teich, dem man
-vor hundert Jahren oder mehr den Damm durchstach. Wenn der Eisvogel,
-der an seinen Ufern nach Elritzen und Forellen fischt, fünfzehn,
-zwanzig Flügelschläge tut, ist er drüber hinweg. Größer ist das
-Waldteichlein nicht. Braucht’s auch nicht zu sein, denn seine Kleinheit
-gehört zu seinem heimlichen Zauber. Fichten haben es mit Grün umsponnen
-und haben sich so dicht herzugedrängt, daß kaum ein Streifen Rasen
-übrigblieb für ein paar Fingerhüte und Erdbeeren. So wurde aus dem
-Teich ein weltvergessenes Waldmärchen. Ein grünlockiges Dornröschen,
-das mit offenem Träumerauge einen tiefen, süßen Schlaf schläft in den
-Armen des Waldes. Es wird kein Märchenprinz kommen, es aufzuwecken. Es
-wird erst aufwachen, wenn der Förster die Fichten ringsum mit seinem
-Messer anritzt und hinterher Holzhauersägen und -äxte die Waldstille
-verjagen. Dann ist’s aus mit der Märchenherrlichkeit. Wald-Dornröschen
-verliert sein Krönlein und flieht und kommt nicht eher zurück, bis
-neuer Wald wachsen will. -- Aber noch steht ja der alte. Wenn über
-Mittag ein Weilchen die Sonne über seine Wipfel lugt, küßt sie heimlich
-den Waldteich. Sie guckt nur mit einem Auge ins Waldtal hinab, als ob
-sie die grüne Dämmerung im Dornröschenstübchen nicht fortschrecken
-wolle. Das Waldteichlein merkt das, fühlt auch den heimlichen Kuß
-und lächelt. Wenn aber Schatten über dem Tal lagern und nur an den
-Gipfelquirlen der Fichten noch Sonnengold flackert, wird das Lächeln
-des Teiches zu Sehnsucht. Und nachts, wenn Sterne in ihm ihre Zeit
-verträumen, wird sein Auge ein tiefgründiges Rätsel.
-
-Es ist ein großes Schweigen um den Waldteich herum. Sein Leben
-ist still wie Wasserspinnenspiel und wie das Leuchten der
-Wasserhahnenfußblüten auf seinem Spiegel.
-
-Er weiß nichts vom Lärm jenseits der Wälder. Hast und Unrast von da
-draußen drangen nie hinab in den Einsiedlerfrieden seiner verlassenen
-Schlucht. Er hört nur das Fichtenrauschen über ihm, das leise Sirren
-im Schilf, das Wehen in Lattichblättern. Und in stillen Nächten, wenn
-von den Bäumen rings klingende Tauperlen in den Teich tropfen und das
-Reh heimlich zur Tränke wechselt, hält er verschwiegene Zwiesprache mit
-dem Quellchen, das ihm unter Kresse und Baldrian seine Wasser zuführt.
-Zeisig und Goldhähnchen singen ihm stille Morgenlieder, und abends,
-wenn warmer Waldwind durch den Talgrund weht und die Drossel schlafen
-ging, läuten die Unken mit silbernen Glocken.
-
-Hast du einmal in stiller Waldnacht gelauscht, wenn geheimnisvoll aus
-dem Dunkel die feinen, ein wenig stumpf gestimmten Silberglocken zu
-läuten beginnen? Es vergeht dir der Atem vor Freude!
-
-Klünk -- klunk -- klunk -- klünk -- unk -- klunk -- klünk --.
-
-Ein Glöcklein beginnt, zaghaft, lockend. Eins antwortet, viele folgen,
-und bald läutet es in zauberischem Chor.
-
-Das ist das Ave des Waldteichleins, wo der Herrgott am liebsten Rast
-hält. --
-
-Warum denke ich oft an dich, du Teich im Waldesgrunde?
-
-Wenn doch des Menschen Seele ein so friedlich Ding wäre wie du!
-Voll Ruhe und voll Träumen, klar, rein, wunschlos. Und wenn jede in
-Feierstunden ihr heimliches Silbergeläut hätte!
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Alte Steinbrücken
-
-
-Geht mir doch fort mit ~T~-Trägern und Betonkleisterei!
-
-Baut eure Betonbrücken über Kanäle, wo sie als Kunsterzeugnis
-zum Kunsterzeugnis taugen. Sooft ihr aber eine Betonbrücke über
-einen Harzbach legt, möge euch das schlechte Gewissen zwacken,
-ihr Gotteslästerer und Naturverschandeler! Könnt ihr euch zu einem
-Bergwasser voll Leben einen betrüblicheren Gegensatz denken als solchen
-langweiligen Betonbatzen?
-
-Seht euch die Steinbrücken der Alten an.
-
-Es schmiegt sich alles in die Umgebung hinein. Die Brücke wächst
-aus dem Bach heraus. Das Steingebröckel des Flußbettes ist zu einem
-Bogen gebändigt. Ist kein Stein darin frisiert und mathematisch
-zurechtgestutzt. Die Vielfältigkeit des Baches lebt lustig in der
-Brücke weiter. Sie ist ein Teil von ihm geworden. Es ist nichts
-Fremdes, Störendes, Langweiliges in die Landschaft gekommen. Alles ist
-so einfach und kunstlos, und doch sind diese Steinbrücken Kunstwerke
-und Meisterstücke der Alten ...
-
-Heute bauen sie Betonbrücken. Beton ist billiger, geht schneller und
-erfüllt denselben Zweck. Zivilisation hat viel Kultur erdrosselt.
-Was wissen Pfennigfuchser und Bürokraten von dem goldenen Gesetz des
-Handwerks, das neben dem Zweckmäßigen das Bodenständige, Echte und
-Schöne fordert!
-
-Das Schöne ...
-
-Du lieber Gott, schicke doch endlich deinen Geist hernieder. Gib
-den Berufenen Einsicht und ein wenig Sinn für die Schönheit des
-Harzheimatlandes. Laß sie die Bergbäche, -- deine lustigen Kinder!
--- nicht mit Betonklötzen verschandeln. Tue ein Wunder, und laß alle
-Zementsäcke, die sie an ein Harzbächlein schleppen, steinhart und
-unbrauchbar werden. Schlag alle Betonbrücken zusammen!
-
-Die steinernen aber behüte noch tausend Jahr.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Die braune Einsamkeit
-
-
-Sieben Monde beißt sich der Hochharzwinter da oben fest. In dreien
-führen Regen, Nebel und Wind die Herrschaft. Was überbleibt vom Lauf
-des Jahres, ist nicht immer Sonnenschein und Wärme.
-
-So ist das Gesicht des Moores ernst geworden. In Not und Bedrängnis hat
-es das Freuen verlernt. Wenn es lächeln will, wird nicht mehr daraus
-wie ein müdes, verschüchtertes Augenblinzeln. Die lichte Unendlichkeit
-des Himmels über ihm ist Schwermut. Seine Bläue stirbt in schwarzen
-Wasserlöchern. Zwischen Fichten und Sümpfen hockt die Einsamkeit.
-Hier oben ist ihr Antlitz ein anderes als in den Quellengründen des
-Bergwaldes. Stille wird zur Melancholie, Schweigen zum Schauern.
-
-Dieses Grauen der Öde scheucht die Menschen zurück. Das Moor hat
-wenig Freunde. Der Weidmann pirscht dem Rotwild nach. Auf heimlichen
-Wechseln schleicht der Wilderer durch Bruch und Dickicht. Wenn die
-Heidelbeeren blau werden, ist die Gimpelbrut flügge. Dann kommt mit
-den Beerengängern der Vogelsteller herauf. Manchmal verliert sich ein
-Waldläufer nach hier, dem es auf geraden Wanderpfaden zu langweilig
-ist. Aussichtspunktmenschen und Modewanderer holen sich nasse Füße
-und bleiben fort. Gott sei Dank. Ihnen geht der Zauber dieser Urwelt
-nicht auf. Die melancholische Großartigkeit der Öde ist nichts für
-Salonseelchen.
-
-Es ist kein ausgelassener Farbenjauchzer im Moor. Jeder Ton der braunen
-Einsamkeit wirkt herb wie der Geruch, der rings aus Torfmoospolstern
-dampft. Selbst wenn die Heide blüht, ist’s nur wie verzagtes
-Leuchtenwollen, Fröhlichseinwollen, das sich nicht durchringt zu
-befreiender Herzhaftigkeit. Die Seidenköpfe des Wollgrases nicken im
-Winde: spar die Müh, spar die Müh! Und auch wenn der Herbst Birkengold
-und Quitschenkarmin über das Moor flackern läßt und im Heidelbeerkraut
-ein Gesprühe von Gelb und Rot und Lichtgrün entzündet, zur erlösenden
-Freude wirds nicht: Das Moor kann nicht lächeln.
-
-Still wie die Farben ist das Leben im Moor. Es ist, als ob auf allen
-Vogelstimmen die Schwermut der Öde lastet. Da ist kein Jubeln und
-lustiges Geschwatze. Sie würden die Harmonie der Einsamkeit stören.
-Der Herrgott läßt nichts aus dem Rahmen fallen. Zur Blütenpracht
-des Apfelbaums paßt Stieglitzengeflister. Hier oben ist kein Platz
-für Flitter und Firlefanz. Der Zippe Lied ist auf Moll gestimmt.
-Melancholisch flötet der Dompfaff. Und wenn der Baumpieper singt, ist’s
-immer die gleiche verhaltene Weise. Unvermittelt bricht sie ab. Der
-Sänger wagt es nicht, sein Herz auszujubeln. Etwas Unerlöstes ist über
-allem im Moor, Leidvolles, Entsagendes. Aber alles gehört ins Bild
-hinein.
-
-[Illustration]
-
-Das Krüglein Freude, das ihm beschieden ward, ist nur bescheiden. Und
-was der Herrgott ihm an Schönheit mitgab, ist still und unaufdringlich.
-Es muß sie einer suchen. Wenn aber ein rechter Waldläufer kommt, der
-Auge und Ohr auftut und sein Herz mit hinausnimmt und ein Feinschmecker
-ist im Naturgenießen, der wird in der Armseligkeit des Moores viel von
-diesem heimlichen Reichtum finden. Ihm wird das Rosenglockengeläut
-der Moosbeere zum Erlebnis. Zwergbirke und Brockenmyrte sind ihm
-Entdeckungen, zu denen er sich entzückt niederbeugt. Im Moorwasser
-wandelt sich Himmelsblau zu einem Braunviolett voll feiner Farbigkeit.
-Alles ist von eigener Art und eigenem Klang. Das große Schweigen wird
-der Offenbarungen voll. Des Herrgotts verschwiegenste Wunder sind die
-köstlichsten.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Bruchbergwinter
-
-
-Du bist ewig schön, mein Bruchberg!
-
-Stürme umtoben dich. Zyklone wollen deine Forsten zerknittern.
-Du trotzt ihnen mit der Ruhe des Titanen. Und mit immer gleicher
-Gelassenheit schaust du hernieder ins Harzheimatland.
-
-Schön bist du, wenn der Lenzwind durch deine Wildnis harft, im fahlen
-Morgengrauen der Auerhahn seinen Liebesruf über das Hochmoor schickt
-und zwischen Wipfelrauschen und Schneewassergeriesel irgendwo die Zippe
-ihr Frühlingslied flötet.
-
-Schön bist du, wenn über deinem Wäldermeer flimmernde Sommerluft
-zittert und blau, endlos blau die Fernen zu deinen Füßen liegen.
-Würzdüfte atmen durch das Gehölz. Deine Fichtenhallen sind voll
-Finkenschlag. Und draußen am Moor, wo rosenfarbene Knabenkräuter im
-Torfmoos blühen, singt sich der Baumpieper sein Sommerglück vom Herzen.
-In heimlichen Gründen hütet das Alttier sein Kalb. Fingerhut läßt
-Purpurglocken über die Waldblößen leuchten, und zwischen Wald und Weite
-schwebt gelassenen Fluges der Habicht. Wie liebe ich deine Sommertage
-voll Blau und Grün!
-
-Und schön bist du, wenn Herbstnebel dich mit Dampf umhüllen und deine
-Fichten und Felsen sich wie Riesen in graue Wolken recken; wenn
-Borstengras und Quitsche sich herbstlich färben und in reiffrostigen
-Oktobernächten Hirschschrei durch Hai und Hochwald hallt.
-
-Aber am schönsten bist du doch, wenn dich Schnee und Rauhreif
-eingesponnen haben. Dann bist du ein Gottestempel geworden. Ein
-Märchenland voll Schönheit ohnegleichen hat in dir sich aufgetan.
-Schneefahrt durch deine Hänge ist Andacht.
-
-Wie groß und herrlich ist die Stille, die in der Wintereinsamkeit
-deiner verschneiten Höhe träumt! Alles Laute ist dir fremd. Du bist
-schweigsam, wie alles Ewige stille ist. Dein Antlitz ist voll Ernst und
-voll herber Melancholie. Das Dunkel deiner Wälder kann sich lastend auf
-die Seele legen. Aber der Winter breitet über das Düster eine lichte
-Verklärung. Das bang Bedrückende weicht. Deine Ruhe wird Wohltat,
-Gottesfriede.
-
-Wie köstlich fern liegt das Leben!
-
-Tief unten verdämmert die Welt in silbernem Duft. Was in der Tiefe den
-Alltag bewegt, nichts von allem dringt hinauf in den Frieden dieser
-weißen Einsamkeit, in der der Herrgott wohnt.
-
-Des Bergwalds Leben ist zur Ruhe gegangen. Das Hochwild wechselte
-zu Tal. Wenn nicht eine Marderfährte durch den Schnee tupfte und da
-und dort das Geläuf der Auerhenne, es könnte scheinen, als sei alles
-Geschöpf hier oben gestorben.
-
-Die Fichten schlafen. Das Goldhähnchen im Geäst wagt nur ein leises,
-leises Silbersingen, daß es ihre Ruhe nicht störe. Ihr Schlaf ist
-tief und fest. Sie beugen sich unter schwerer Bürde und stehen da wie
-betende Büßer, die schicksalsergeben auf Erlösung harren. Wie nickende
-Träumer, die von Lenz und Drosselflöten träumen.
-
-Es ist eine große Stille im Wald.
-
-Manchmal rüttelt ein Windstoß an den Wipfeln. Dann rauscht es über
-die Bäume hin wie klagendes Sehnen: Wann kommst Du wieder, schöner
-Frühling? ... Es verklingt mit einem leidvollen Mollakkord, leise,
-schmerzlich, und wieder schläft der Wald.
-
-Sein Schlafgewand ist weiß und rein. Jedes Fichtennädelchen, jedes
-Rindengeschuppe und Flechtengekräusel ist mit Glitzersternchen
-umsponnen. Es geht ein heimliches Flimmern durch den Wald, das seinen
-Ernst lichter macht. Aber nirgends ist eine aufdringliche Helle. Wie
-in einem Dom ist’s. Er baut sich auf aus Silber und Marmor. Durch
-grünviolette Scheiben fließt zartfarbenes Dämmerlicht in seine
-Säulenhallen. Wenn die Sonne hineinschaut, sprüht in Smaragden und
-Rubinen ein Festgeleucht. Dann ist Feiertag im Dom. Alle Kerzen sind
-angezündet. Der Wald betet.
-
-[Illustration]
-
-Bleibe stehen, o Wanderer, und bete mit. Verhalte den Atem, daß du die
-Andacht nicht störst. Laß deine Schneeschuhe langsam gleiten, daß ihr
-Knirschen nicht die Stille zerreißt.
-
-Fühlst du das Pochen des Blutes in der Brust?
-
-Bleibe stehen. Und so du ein Gottsucher bist, wird dir der Wald von
-silbernen Altären herab eine Bergpredigt halten, die du nicht vergißt.
-Harre aus bis zum feierlichen Amen. Dann wirst du beglückt von
-dannen ziehen. Und wirst die Fäuste ballen, wenn Johler und Schreier
-vorüberfahren, die mit ihrem Lärm den Gottesfrieden schänden.
-
-Aber laß die Horden.
-
-Wem _dieser_ Wald nicht die Lippen stumm und die Augen weit macht, der
-sei dir zu erbärmlich.
-
-Laß sie, und fahre aus dem Kirchendämmer des Gehölzes hinaus und
-hinauf aufs freie Moor. Über dir wölbt sich Berghimmelunendlichkeit.
-Bäume und Bäumchen sind zu Boden gedrückt. Rauhreif hat sie verhext.
-Buckelige Kobolde hocken da. Es schnarchen ungeschlachte Riesen, kauern
-schlafende Moorhexen, schlummern vermummelte Prinzen und Prinzessinnen.
-Feuersprühende Drachen schnauben, greuliche Saurier recken sich, --
-Gott sei Dank, daß sie starr wurden, just als sie zum Sprung ausholten.
-
-Wenn du Märchenaugen hast und zu glücklicher Stunde hier oben
-weilst, wird dir auch die Bruchbergkönigin erscheinen. Sie kommt auf
-einem weißen Hirsch aus dem Walde hergeritten. Über ihren Schultern
-hängt kostbarer Hermelin. Ein silbernes Krönlein strahlt auf ihrem
-Blondgelock. Sie reitet schweigend über das Moor. Die Bäume neigen
-sich vor ihr. Sie nickt ihnen einen milden Gruß zu. In ihren Blauaugen
-spiegelt sich die weiße Welt.
-
-Nun ist sie vorbei. Du stehst noch und starrst und hältst den Atem an,
-möchtest vor ihrer Schönheit in die Knie sinken, ihr die Hände küssen
-oder gar den Mund, und denkst an den Edelknaben und Schön-Rohtraut oder
-an Tom, den Reimer ... Aber sie ist längst vorbei. Du suchst ihre Spur
-vergebens. Doch du merkst, daß sie dich verzaubert hat. Heimliche
-Sehnsucht bleibt in dir brennen. Ewig wirds dich zurückziehen in das
-Reich der schönen Königinne.
-
-Die Sonne will versinken. Ihr letztes Leuchten streift über die Kämme
-der Berge. Es malt strahlende Säume um die Fichten, taucht die Wanderer
-ein in tiefes Orange und überzieht den Brocken drüben mit rotem Gold.
-Jedes Vorwärtsgleiten der Schneeschuhe ist funkelndes Gesprühe.
-
-Nun ist der Sonne Gutenachtkuß verhaucht. In den Fenstern des
-Brockenhauses verlischt ein müdes Blinzeln. Dann ist auch für die Höhen
-die blaue Stunde gekommen, die Wälder und Täler längst erfüllte. Himmel
-und Schnee werden eins. Es ist Zeit, zur Hütte heimzukehren. Um die
-Dämmerstunde wachen die Berggespenster auf. Lebe wohl, du schöner Wald!
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Die Skihütte
-
-
-Sie liegt verschlafen im Bergwald.
-
-Es ist nur eine kleine Gemeinde, die den verlorenen Pirschsteig zu
-ihr zu finden weiß. Im Sommer kommen ein paar Holzhauer hinauf. Sie
-bleiben nicht lange. Ein paar Tage weht das blaue, fichtennadelduftende
-Rauchfähnlein ihres Lagerfeuers um die Hütte. Dann ziehen sie wieder
-hinab. Und manchmal kehrt zu kurzer Rast der Förster bei ihr ein.
-Stille Gäste, die vom Bergwald das Schweigen lernten wie die Hütte
-selbst.
-
-Sie hat keinen großen Namen. Und das ist gut. Ihr Zauber ist ihre
-Verborgenheit, ihre Schönheit die Einsamkeit. Der Bergwald umschmiegt
-sie mit Dunkel und hütet sie wie ein Berggeheimnis. Sie ist mit ihm
-verwachsen. Sie lebt sein verschwiegenes Leben mit ihm und kennt alle
-seine heimlichen Regungen.
-
-Mit leisem Tritt umschleicht der Marder ihr Gemäuer. Im Holze bellt der
-Fuchs. Waldmäuslein rascheln im Grase: die Hütte vernimmts. Sie hört
-der Zippe schwermütige Melodien, den Lockruf des Schwarzspechtes, des
-Auerhahns klatschenden Flügelschlag. Fink und Meise und Goldhähnchen
-halten gute Nachbarschaft mit ihr. Und wenn die Quitschen vor ihrer
-Tür zu leuchtenden Korallen werden, kommen Krammetsvogel, Weindrossel
-und Dompfaff zu festlichem Schmaus. Dann wird’s Herbst. Der Wind im
-Wald singt in rauheren Tönen. Schneegänse ziehen über die Höhe. Im
-Forste schreit der Hirsch. Wenn er Winter wittert, führt er sein Rudel
-talab. Dann wird’s still um die Hütte. Die Fichten triefen von Regen
-und Nebel. Die Flechtenbärte an den Zweigen und Stämmen hängen in
-trübseligen Strähnen herab. Und trübselig guckt die Hütte drein. Über
-den Wald hin braust das Sturmlied des Windes. Wenn er es zu arg meint,
-rackelt es unwirsch an den Fensterläden der Hütte. Sie gähnt und träumt
-von warmen Sommernächten und Eulenruf und Unkenläuten im Wald.
-
-Wenn die weißen Flocken vom Himmel wirbeln, geht ein heimlicher
-Zauberer durch den Bergwald. Der hat seinen Zauberstab auch über
-das Hüttlein geschwungen. Alle Traurigkeit ist aus seinem Gesicht
-geflohen. Wie freundlich es dreinschaut! Flugs hat es das schwarze
-Teerdach mit einer Glitzerdecke zugedeckt. Der Schornstein bekommt eine
-frischgeweißte Halskrause und das Blechdeckelchen auf dem Rauchrohr
-ein blitzsauberes Hütchen. Auf jede Türangel, jeden Balkenvorsprung
-wird ein Häuflein Schnee gestreut. Die Hütte versteht es, sich festlich
-zu schmücken. Sie will dem Bergwald nicht nachstehen. Sie hat frohen
-Besuch zu erwarten. Die Skiläufer kommen. Ihnen zu Ehren muß alles
-wohl gerüstet sein. Schnell wird noch der Hexenmeister Wind bestellt.
-Er pustet mit säuberlichem Gewehe einen strahlenden Marmorhof um die
-Hütte. Nun ist alles wohlbereit und zum Empfang hergerichtet.
-
-Die Gäste mit den langen Brettern lassen nicht lange auf sich warten.
-Kommt nicht dort vom Fichtenhang schon der erste her?
-
-Ein Einsamer ist’s. Mit schönem Schwung hält er vor der Hütte.
-Er schnallt die Bretter ab und steckt den Hüttenschlüssel in das
-rostige Schloß. Das Knarren des Riegels scheint ihm Musik zu sein. Er
-lächelt. -- Durch die offene Tür fällt blendende Helle in die dunkle
-Heimlichkeit des Hüttenraums. Das Hüttenmäuslein fährt erschreckt
-zusammen und weiß vor Entsetzen nicht, wohin es soll. Der einsame
-Skiläufer tritt den Schnee von seinen Füßen. Die Hütte gibt das Echo
-seiner Tritte zurück. Das ist ihr Willkommengruß. Er wirft den Rucksack
-ab und stößt die Fensterläden auf.
-
-Wie stille ist der weiße Wald, wie stille die Hütte! Und diese große
-Stille rings wirkt wie eine erlösende Entspannung auf den Hüttengast.
-Er setzt sich, muß ein Weilchen die Augen schließen. Und wieder
-lächelt in seinem Gesicht ein Glück. Wie bei einem, der nach Hast und
-Unrast den Frieden gefunden hat, den ihm der Alltag nicht gab. In der
-Hütte fand schon mancher seinen Frieden.
-
-Nun prasselt es lustig im Hüttenofen. Im Topfe brodelt Schneewasser.
-Das Hüttenbrünnlein schläft unter Eis und Schnee. Teeduft weht über das
-flackernde Talglicht hin und mischt sich mit blauen Tabakwölkchen. Die
-Hütte beherbergt einen frohen Menschen. Er reckt sich in behaglicher
-Ungebundenheit, qualmt sein Pfeifchen und träumt. Wo träumt sich’s
-schöner als hier? Und wo läßt sich’s besser schlafen als nachher auf
-harter Hüttenpritsche!
-
-Gemach verlöscht das Feuer im Ofen. Verglühende Scheite bersten. Das
-Hüttenmäuslein wagt sich wieder hervor. Warmgewordene Balken knacken.
-Von draußen klingt wie fernes, leises Rauschen das Lied des Windes
-überm Wald ...
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-Druck F. A. Lattmann in Goslar am Harz
-
-
-
-
-Weitere von Reinecke-Altenau geschmückte Bücher unseres Verlages:
-
-
-Vom grünen Rauschen
-
-Ein Buch vom Oberharz
-
-von Bernh. Flemes
-
-mit Zeichnungen von Reinecke-Altenau
-
-Preis karton. 1.50 M., gebd. 2 M.
-
-Ein wahrhaft deutsches Buch, das in seiner Art nicht seinesgleichen
-hat. Ein echter Poet hat in diesem feinsinnigen Wandernotizbuch das
-Wesen des Oberharzes dargestellt. Dem Dichter, der Verborgenes und
-Wesentliches zart und fest umspannt, gesellt sich der gleichgesinnte
-hannoversche Künstler Reinecke-Altenau prächtig ergänzend bei mit
-seinen der Natur abgelauschten Stimmungsbildern, die in ihrer Echtheit
-den Harzcharakter wiedergeben, wie er sich in den Dichtungen offenbart.
-So entstand ein bisher nicht dagewesenes Buch vom Oberharz, reich an
-Empfinden und Schönheit.
-
-
-Strom und Hügel
-
-Ein Buch vom Weserbergland
-
-von Bernh. Flemes
-
-mit Zeichnungen von Reinecke-Altenau
-
-Preis karton. 2 M., gebd. 2.75 M.
-
-Das Weserbergland mit seinem Formenreichtum der Höhen und Täler, seinen
-köstlichen Baudenkmälern in Städten und Flecken ist wenigen Kennern nur
-vertraut. Unter ihnen steht der Verfasser unsres neuen Buches, der auch
-der Autor des erfolgreichen Oberharzbuches »Vom grünen Rauschen« ist,
-an erster Stelle. Er hat sein Heimatland in vielen Jahren bis in die
-letzten Winkel durchwandert; er hat die Gabe des besonderen, nur ihm
-eigenen Ausdrucks für diese seine Heimatliebe, für die besondere Seele
-dieser Landschaft. Der hannoversche Künstler Reinecke-Altenau erweist
-sich hier wiederum als ein guter Geselle des Dichters, indem er in
-feinsinniger Weise dessen Werk ergänzt.
-
-
-Verlag F. A. Lattmann, Goslar am Harz
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
- Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HARZHEIMAT ***
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
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-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation
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-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
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-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation's website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
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-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without
-widespread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
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-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
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-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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-
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-<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Harzheimat, by Karl Reinecke-Altenau</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
-are not located in the United States, you will have to check the laws of the
-country where you are located before using this eBook.
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-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Harzheimat</p>
-<p style='display:block; margin-top:0; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:0;'>Das Heimatbuch eines Malers</p>
-
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Karl Reinecke-Altenau</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: June 12, 2021 [eBook #65600]</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
-
-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</div>
-
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HARZHEIMAT ***</div>
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.
-Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="cover">
- <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Reinecke-Altenau</p>
-
-<h1>Harzheimat</h1>
-
-<p class="center">Das Heimatbuch<br />
-eines Malers</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-001">
- <img src="images/illu-001.jpg" alt="Signet" />
-</div>
-
-<p class="center smaller">1924</p>
-
-<p class="center smaller">Verlag von F. A. Lattmann, Goslar am Harz
-</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="center smaller">Erstes und zweites Tausend</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-</div>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-004">
- <img class="w100" src="images/illu-004.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[5]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Harzheimat">Harzheimat</h2>
-</div>
-
-<p>Alles Gute, Schöne, Heilige umschließt mir dein Name, du liebe
-Harzheimat im Wiesengrund! Wenn ich dich nenne, tue ich es mit
-der Ehrfurcht, mit der man eine Mutter nennt: Denn ich bin dein Kind.
-Was das Leben aus mir schuf, ist deinem Schoße entsprossen. Aller
-guten Kräfte Urquell ist die Heimat. Wenn mein Schaffen sich mit
-dir verknüpft, nenne es Liebe, nenne es Dank.</p>
-
-<p>Ich bin dein Kind geblieben, du Bergstädtlein im Grünen, und will
-nichts anderes sein. Dein Kind wie einst, das mit großen Augen die
-Wunder deiner Wälder in die Seele trank und dem du dich ins Herz
-grubst so tief und fest, daß ein ewiges Heimweh in ihm brennen blieb.
-&ndash; Als ich Jüngling war, war dies Heimweh ein schmerzvolles Zerren.
-Dem Manne ist es stilles Feiertagsgeläut, das aus einem fernen verlorenen
-Paradiese herüberschwingt. Bergblumen blühen dort, und
-Waldvögel singen. Auf grüne Wiesen schauen blaue Berge herab.
-Und über allem ist ein weiches Zusammenklingen von Fichtenrauschen
-und Bachgeplätscher. Das bist du, Paradiesgarten meiner Jugend,
-Harzheimat!</p>
-
-<p>Als ich noch Bubenhosen trug, lagst du ein wenig hinterm Berge. Als
-wenn die Zeit in dir ihren Schritt verhalten hätte. Im Zwiebelturm
-der Kirche tackte noch das gleiche Uhrwerk, das schon in den Tagen
-von Richter und Rat die Stunden schlug. Und an dem verwitterten<span class="pagenum" id="Seite_6">[6]</span>
-Zifferblatt drehte sich immer noch der eine Zeiger, mit dem sich nur die
-Alten zurechtfanden. Die Zeit weiß ich freilich nicht mehr, in der nur
-Saumpfade und grundtiefe Waldwege von draußen her zu dir führten,
-auf denen Eseltreiber das Brotkorn vom Lande heraufbrachten. Diese
-alte Zeit war dahin. Als der letzte jener Zunft gehörige Esel das
-Mißgeschick hatte, an einem Dämmerabend für einen Hirsch gehalten
-und von einem Wilddieb jämmerlich zuschanden geschossen zu werden,
-war längst eine neue angebrochen. Aber hinterm Berge lagst du immer
-noch. Ach, wärest du dort geblieben, Harzheimat!</p>
-
-<p>Das Hinterwäldlertum stand gut zu deinem Gesicht. Ein rechtes Bergmädel
-bist du gewesen, das zwischen Wiese und Wald aufgewachsen
-war und in stillen Augen stille Träume spann. Das laute Leben jenseits
-der Berge paßte nicht in deinen Frieden hinein. Du trugst kein
-Verlangen nach ihm. Die Leute in dir fanden ihr Genüge darin,
-zweimal in der Woche durch den Briefträger Nachricht von draußen zu
-erhalten oder im Wochenblättchen vom großen und kleinen Geschehen
-in der Welt zu lesen. Und wenn Handwerksburschen oder Wandersleute
-Neuigkeiten mitbrachten und Säcke voll Lügen, war das alles
-Evangelium für dich.</p>
-
-<p>Dann wurdest du größer und aufgeklärter und tastetest hinaus in die
-Fremde. Ein Postillon blies lustige Weisen. Ich kenne ihre Melodie noch:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Hab’ dir was mitgebracht,</div>
- <div class="verse indent0">Hab’ dir was mitgebracht,</div>
- <div class="verse indent0">Sollst du mal sehn&nbsp;…</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Und zweimal am Tage fuhr die gelbe Postkutsche in gemächlicher Juckelfahrt
-zwei Meilen Landstraße hinunter und herauf. Im Sommer<span class="pagenum" id="Seite_7">[7]</span>
-brachte sie viele fremde Menschen mit, die teilhaben wollten an dem
-Frieden deiner Berge. Und da, Harzheimat, tatest du geschämig. Du
-ließest dich frisieren für die Fremden und ahntest nicht, wieviel Schönes
-und Frisches und Eigenes diese Frisur an deinem Bergmädelgesicht
-verdarb und wieviel Urwüchsiges und Echtes deinem Gewand genommen
-ward. Aber das eine konnte dir alle Ungeschicklichkeit nicht verderben:
-dein Herz.</p>
-
-<p>Jenes goldfündige Herz, schwerblütig und treu, das immer dasselbe
-geblieben war seit jener Zeit, wo der erste Rauch aus deinen Holzhauer-
-und Bergmannshütten im Urwalddunkel verwehte. Es wohnte
-harte Arbeit in dir und viel Armseligkeit. Feste waren selten. Es gab
-nicht wie heute jede Woche Tanzmusik. Dennoch glomm unter jedem
-Dach ein Fünklein Glücklichsein und Frohsinn. Das eben spann
-sich ab in einem geruhsamen Auf und Nieder, in dem stillen Gleichmaß,
-wie sich im Schacht die Fahrkunst aufwärts und abwärts bewegt.</p>
-
-<p>Als man aber den Schienenweg in den Basalt deiner Berge sprengte,
-kam Unrast in das Tal. Und als dann noch mit Prahlen und Keifen
-die Hexe Politik den Weg über die Harzhöhen auch zu dir fand und
-Haß und Feindschaft spie, da ward dein Herz ein anderes. Die Eintracht
-brach auseinander, und Glück und Frieden flohen erschrocken
-in die Wälder.</p>
-
-<p>Dein Glück, Harzheimat, dein Friede!</p>
-
-<p>Aber des Nachts, wenn in der Bergluft Sterne blänkern, verschlafene
-Brunnen an den Straßen plätschern und über dem Holz die Eule ruft,
-kehren sie heimlich zurück.</p>
-
-<p>Das ist die Stunde, in der du mir am liebsten bist.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[8]</span></p>
-
-<p>Des Nachtwächters Tritt verhallt in stillen Gassen. Er ruft nicht
-mehr wie früher die Stunden: Hört ihr Herren und laßt euch
-sagen … Sein Horn ist verstummt. Und in der Neujahrsnacht
-wars so schön, wenn er sein Lied sang: Ach, wie laufen doch die
-Jahre. Die Welt ist nüchterner geworden. Stumm macht er seine
-Runde. Seine Gestalt taucht unter im Grau der Nacht. Und mir
-ist, als ob mit ihm ein Stück alter Zeit irrend durch die Straßen tappt,
-das verlorene Herz zu suchen.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[9]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-009">
- <img class="w100" src="images/illu-009.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Der_Gottesacker_am_Berg">Der Gottesacker am Berg</h2>
-</div>
-
-<p>Verfallene Gräberreihen ziehen sich den Hang hinan. Der Totengräber,
-der sie schuf, hat längst seine letzte Schicht verfahren. Und
-die Hände, die sich einstmals liebend um diese Hügel mühten, haben
-sich lange schon zum Ewigkeitsschlummer gefaltet, wer weiß wo. Der<span class="pagenum" id="Seite_10">[10]</span>
-alte Gottesacker am Berg ist eine Stätte des Verlassenseins geworden,
-der Pflege des Herrgotts anvertraut.</p>
-
-<p>Hier ruhen unsere Urgroßväter und Großväter aus von der Wallfahrt
-im Harzheimatland. Eine stillgewordene Berggemeinde. Ihre Zeit
-ist abgetan. Das ist das stille Leid, das über diesen Hügeln liegt
-und das alles Bergblumenblühen nicht zu bannen vermag. Auf schiefen
-Kreuzen und zerbröckelnden Schiefertafeln verwittern die Namen versunkener
-Geschlechter, verblassen fromme Sprüche. Über die Gräber
-wächst der Rasen. Langsam ebnet er Hügel um Hügel und breitet
-über Not und Tod Vergessensein. Erde zu Erde.</p>
-
-<p>Es ist kein Friedhof voll Prunk und Pracht. Schlicht und herbe, wie
-das Leben der Bergstadtleute dahinfloß, ist auch ihre letzte Ruhestatt.
-Und Prunk und Pracht hätten nicht hergepaßt an diesen Blumenhang,
-auf dem jedes Grab und jedes Totenmal wie zufällig aus einer
-Bergwiese hervorgewachsen zu sein scheint. Als habe sich jeder ein
-Plätzchen gesucht, das ihm gefiel: der eine unter Bergwohlverleih und
-Hirschzunge, der andere unter Margeritten und Glockenblumen, der
-dritte unter Tausendgüldenkraut und Thymian und Bärwurz.</p>
-
-<p>Da schlafen müdegewordene Holzhauer, denen in knöcherigen Händen
-die Axt zu schwer ward. Hier hat der Reitende Förster sein letztes
-Ruhebett im Grünen gefunden. Die Fichte über seinem Grab rauscht
-ihm Grüße hernieder von Wald und Wild, und am Hubertusmorgen
-wehts durch ihre Äste wie verlorenes Halali aus Hannoverschem
-Jägerhorn. Dort ging der Fuhrherr zur Ruhe. Wenn über die Bergstraße
-ein Langholzwagen bollert, Peitschenknall an der Waldwand
-drüben das Echo weckt und an den Kummeten und Zäumen der Pferde<span class="pagenum" id="Seite_11">[11]</span>
-die Messingbeschläge klingeln, mag des Schläfers totes Herz unterm
-Leinenkittel zucken. Former und Schmelzer rasten von hartheißer
-Arbeit am Schmelzofen und träumen dem Silberblick der Ewigkeit
-entgegen. Zerstampft vom Pochwerk Leben sagten hier Pochjunge
-und Pochsteiger der Erde Valet. Mit stummem Glückauf begrüßen
-sich Bergmann und Königlicher Bergrat beim großen Feierabend, der
-unter der Erde sie alle gleichmacht, die vom Leder und die von der Feder.
-Wenn die Morgensonne früh über die Waldhöhen guckt, gilt ihr
-erster Strahlengruß den Toten im Gottesacker am Berg. Dann sprüht
-Tauperlengefunkel zwischen den Gräbern. In Trauereschen und
-Lebensbäumen blänkern lang verweinte Tränen. Spinnennetze, die
-zwischen Wiesenschwingel und Knäuelgras ihr Seidengewebe ausspannen,
-werden zu kostbarem Filigran. Rostige Kreuze flackern wie
-braunrotes Gold in den Himmel hinein. Goldbronzerestchen, die sich
-kümmerlich an verwitterten Inschriften festhielten, schimmern im Sonnenschein,
-als wollten sie verlöschendes Erinnern an einen Toten
-lebendig machen. Um die Totenmale fließt stille Verklärung. Vergessene
-Seelchen huschen hervor. Sie hocken rings auf Hügeln und
-verfallenen Einfassungen. Mit weiten Träumeraugen schauen sie auf
-die Bergstadt hernieder, die Heimat im Tal, die eine andere ward.</p>
-
-<p>Da pfeift von fernher der Morgenzug. Eine Sirene zerreißt die
-Morgenstille und ruft heulend zur Frühschicht. Die Seelchen huschen
-erschrocken hinab und schütteln die Köpfe ob der neuen Zeit.</p>
-
-<p>Glockenblumen läuten über den Hang, und in armseligem Rosengerank
-singt eine Grasmücke ihre Litanei: Ruhn in Frieden alle Seelen.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[12]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Das_Glockenhaus">Das Glockenhaus</h2>
-</div>
-
-<div class="figleft illowp30" id="illu-012">
- <img class="w100" src="images/illu-012.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Im Glockenhaus hatte alles seinen
-heimlichen Zauber: Der Stufengang
-am Wiesenhang hinauf, die knarrende
-Bretterstiege, das uralte Glockengebälk,
-die Glocken, der Geruch alten
-Holzes, der fröhliche Ausguck durch
-die Schalluken. Man konnte mit dem
-Fingerknöchel an die Glocken klopfen
-und lange lauschen auf das schwingende,
-singende Summen im Metall.
-Man konnte den Läutejungen in seiner
-Würde bewundern. Man konnte auf
-den Lukenbrüstungen reiten und lustig
-herunterspringen in Blumenwiesen
-hinein.</p>
-
-<p>Zu schön war es im Glockenhaus!</p>
-
-<p>Irgendwo in einer Spinnwebecke da
-oben blieb mir ein Krümchen Jugendglück
-hangen. So oft ich die Glocken höre oder das Glockenhaus
-sehe, huscht ein Gedanke hinauf, dies Glücklein aufzuwecken aus
-staubigem Winkel. Dann will es wieder froh wie einst zum Fenster<span class="pagenum" id="Seite_13">[13]</span>
-hinausturnen oder hinaufklettern ins Glockengebälk bis unter die Schindeln.
-Und ist ganz voll Seligkeit, wenn ihm der Läutejunge die Gunst erweist,
-nach dem Läuten dreimal die Betglocke anschlagen zu dürfen.</p>
-
-<p>Das Glockenhaus ist kein wolkenstürmender Bau. Nur ein Spitzlein
-auf einem Berg. Und es ist nichts an ihm, das anspruchsvoll wäre
-oder über das Maß des Zweckmäßigen hinausginge. Man könnte
-es arg nüchtern nennen. Aber es hat seinen eigenen Stolz. Wie ein
-Wartturm guckt es auf die Bergstadt hernieder. Zu seinen Füßen muß
-sich die Kirche ducken: Die Herrin zu Füßen des Dieners. Aber das
-Glockenhaus ist darum nicht hochmütig. Es hält mit dem Kirchturm
-gute Nachbarschaft. Seit Jahrhunderten haben sie sich guten Morgen
-und gute Nacht geboten. Sie sind einander so nahe, daß eins dem
-andern in die Fenster gucken kann. Keins hat vor dem andern eine
-Heimlichkeit zu verbergen. Der Kirchturm kennt jede Bretterplanke
-am Glockenhaus und sieht die Roststreifen unter jedem Nagel. Das
-Glockenhaus weiß genau, wieviel Schieferplatten den Zwiebelbauch
-des Kirchturms beschuppen. Wenn der Wind nicht ein unterhaltsames
-Liedlein von einem zum andern hinüberpfeift, haben sie sich nicht viel
-zu erzählen. Sie sind aneinander gewöhnt und alt geworden und
-reden nicht unnütz.</p>
-
-<p>Dann guckt das Glockenhaus verschlafen zu, wie sich am Kirchturm
-langsam die goldenen Zeiger über das Zifferblatt drehen. Oder
-es horcht auf, wenn’s im Gehwerk drüben knarrt und die Hämmer
-quietschend zum Stundenschlag ausholen. In blinden Gucklochscheiben
-blinzelt die Sonne. Auf Messingknauf und Wetterfahne machen die
-Stare Kapriolen. Das Glockenhaus lächelt.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_14">[14]</span></p>
-
-<p>Und dann schaut es ein wenig in die Kirche hinein. Die Sonne malt
-Goldstreifen über Bänke und Gestühl. Das rote Altartuch leuchtet.
-Man sieht die Stille in der Kirche.</p>
-
-<p>Nebenan im Pfarrhaus hat die Frau Pastorin die Betten zum Sonnen
-ausgelegt. Der Herr Pastor hat sein Hauskäppel aufgesetzt. Er sitzt
-im Studierstübchen und schreibt. Die Wolken aus seiner langen Pfeife
-weben duftigen Tüll vor das Fenster. Manchmal steckt er die kurze
-an. Dann steigt er in den Hof hinab und hackt Holz. Oder schlendert
-behaglich durch den Garten, ein Feierstündlein zu halten und nach
-Himbeeren und Salat zu sehen. Gehen Bergstadtmenschen vorüber,
-ist ein freundliches Grüßen und Wiedergrüßen.</p>
-
-<p>Im Nachbargarten flattert Wäsche. Irgendwo hängt ein Mütterchen
-die Käsehorte neben der Hintertür auf und legt säuberlich die weichen
-weißen Käse zum Trocknen auseinander.</p>
-
-<p>Das Glockenhaus hat viel Kurzweil an solcherlei kleinen und beschaulichen
-Dingen. Es ist nichts Aufgeregtes im Bergstädtchen. Frauen
-gehen mit der Mehlbutte zum Backhaus. Oder haben die Kiepe aufgehuckt,
-um darin die Einkäufe für die Woche zu bergen. Oder holen
-in klappernden Eimern Wasser vom Bottich. Sie schwatzen und stehen
-und gehen ihrer Wege. Männer begegnen sich und tippen mit dem
-Finger oder dem Pfeifenmundstück ein Glückauf an die Mütze.</p>
-
-<p>Manchmal bringen Wanderer Unrast mit. Vor Zeiten waren Wandersleute
-seltene Gäste im Bergstädtchen. Jetzt aber kommen sie in Trupps
-und in Horden. Sie singen Wanderfrohsinn durch die Straßen oder
-johlen. Das Glockenhaus hat sich an alles gewöhnt. Aber ein bedenklicher
-Knacks ging doch durch sein Gebälk, als zum ersten Male<span class="pagenum" id="Seite_15">[15]</span>
-eine fremde Knabenschar zum Takt eines politischen Haßliedes durch
-die Bergstadt zog. Der Einpeitscher ging nebenher. In den Augen
-der Knaben war nichts von Wanderlust. Als ob ihre Seelen mit Gift
-geätzt wären. Der Einpeitscher wußte das. Aber dies Gift war sein
-Lebensinteresse. Wandern und Politik, Politik und Knaben: Das hatte
-das Glockenhaus noch nicht erlebt, solange es denken konnte. Und es
-schüttelte den Kopf ob der Wirrnis solcher Zeit.</p>
-
-<p>Stiller noch als der Sommer ging vor Zeiten der Winter durch die
-Harzheimatberge. Das Bergstädtchen tat einen langen Winterschlaf.
-Und das Glockenhaus schlief mit. Sie wachten erst auf, wenn zu Fastnacht
-die Bergleute und Hüttenleute mit Musik zur Kirche zogen und
-aus allen Häusern der Duft von heißem Schmalz und Öl und von
-frischgebackenen Fastnachtskrappeln durch die Straßen strich und bis
-hinauf auf den Glockenberg wehte. Die Wiesenhänge ringsum waren
-unberührte Reine, durch die der Fuchs seine Schnürfährte zog. Aber
-dann kamen die langen Bretter in die Berge. Mit dem Winterschlaf
-wollte es nichts mehr werden. Die Bergstadtfrauen schlugen die Hände
-über dem Kopf zusammen, als sie ihre Geschlechtsgenossinnen aus der
-Großstadt in Männerhosen einherstolzieren sahen. Und das Glockenhaus
-hat verwundert dreingeschaut ob der vielen bunten Wolljacken
-in den Straßen unten. Nun sind ihm auch das vertraute Bilder geworden.
-Auf allen Hängen zerfurchen Männlein und Weiblein den
-Schnee und treiben Sport mit den Brettern oder mit dem Kostüm. Das
-Glockenhaus hat helle Augen für Zünftiges und Unzünftiges. Drüben
-am Sprunghügel hupfen die Bergstadtbuben. Das Klappen der
-Schneeschuhe beim Aufsprung tönt bis zum Glockenberg herüber.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[16]</span></p>
-
-<p>Das bunte Winterleben geht fort, bis Wind und Regen den Schnee
-auch aus den höchsten Schneisen des Bergwaldes fortleckten. Die
-Schneeschuhläufer stellen die Bretter in die Ecke. Für eine Weile sind
-die Bergstadtleute unter sich. Dann hat das Glockenhaus nicht viel
-zu gucken. Das Leben im Bergstädtchen geht wieder seinen gemessenen
-Gang. Frauen schwatzen. Männer begegnen sich. Fuhrwerke bollern.
-Manchmal kommt ein Leierkastenmann. Und die Kinder rufen hinter
-ihm her:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Orgel &ndash; orgel &ndash; nort &ndash; nort &ndash; nort,</div>
- <div class="verse indent0">Meine Orgel ist kaputt.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Oder es kommen wandernde Musikanten, die Braker, trätern ihren
-Vers und fangen in ihren Trompeten und Bombardons die Geldstücke
-auf, die ihnen aus den Fenstern zugeworfen werden. Oder fahrende
-Leute mit bunten Wagen kommen, mit denen ein Stück Romantik in
-die Ereignislosigkeit des Bergstädtchens hineinrollt.</p>
-
-<p>Manchmal geht der Ausrufer durch die Straßen, ein obrigkeitliches
-Dekretlein auszurufen oder eine Tanzmusik anzukündigen. Der Wind
-zerpflückt die Worte. Das Häusel auf dem Glockenberg ist auch nicht
-begierig auf derlei Sachen. Es wundert sich nur, daß der Ausrufer
-nicht mehr den langen und blankknöpfigen Büttelrock trägt wie in alten
-Zeiten. Damals sah er viel würdevoller aus. Die Bergstadtjungens,
-die auf verbotenen Wegen ruschelten, hatten Angst vor ihm. Nun steckt
-er in schlichtem, bürgerlichem Röcklein. Aller Respekt ist dahin. Von
-der Würde seines Amtes zeugt nichts mehr als eine abgeschabte Aktentasche
-und die Klingel. Er versteht sie meisterlich zu schwingen. Aber<span class="pagenum" id="Seite_17">[17]</span>
-trotz aller Meisterschaft will aus der Amtsschelle nur ein dürres Bimbim
-heraus. Wie könnte es auch anders sein. Dem Glockenhaus ist es
-schon lieber, wenn ihm an jedem Sommertag die Kuhherde mit
-melodischerem Geläut aufwartet. Wenn der Kuhhirt getutet hat,
-ist auf allen Straßen im Bergstädtchen ein unruhiges Gequirle.
-Es ordnet sich gemach zum Zuge und strebt ins Freie. Auf blanken
-Fellen glänzt die Sonne. Glockenbügel malen grüne Striche in den
-rotbraunen Zug.</p>
-
-<p>Nach den Kühen läutet die Kälberherde hinaus. Ziegen und Schafe
-tappeln hinterdrein.</p>
-
-<p>Das Glockenhaus gibt den Tieren das Geleite nach draußen und macht
-einen Morgenspaziergang in die Umwelt. Es sieht die Landstraßen
-im Tal sich schlingen und drehen und sich auf Bergeshöh verlieren,
-Wiesenpfade sich verlaufen im Irgendwo des Gehölzes. An Waldsäumen
-und Fichtenkämmen tastet sich sein Blick hinauf zu blauen
-Höhen und Wolken. Aus Wälderdunkel, darin hier und dort sich das
-Rauchfähnlein eines Holzhauerfeuers in die Luft kräuselt, gleitet sein
-Auge gemach wieder hinab in lichtes Wiesengrün. Von weit draußen
-grüßen Forsthäuser her. Bäche blänkern daran vorüber. Und da ist
-auch der Mühlengraben, der mitblänkern will. Fischen nicht die Jungens
-schon wieder Elritzen in ihm? Und dort schmiegt sich die Mühle
-ans Bergstädtchen. Wenn das Tor zum Mühlenrade offensteht und
-die Sonne in den Radschacht scheint, blitzt silbernes Geglitzer bis zum
-Glockenhaus hinauf.</p>
-
-<p>Das ist von seinem Morgenausflug aus den Bergen heimgekehrt ins
-Bergnest. Unten in der Schule ist Pause. Die Jugend quirlt auf<span class="pagenum" id="Seite_18">[18]</span>
-dem Schulhof durcheinander. Das Glockenhaus freut sich an dem
-Gebalge der Jungen und an dem Ringelreihen der Mädchen. Es
-kennt sie alle von der Stunde an, in der zum ersten Male der Wald
-über ihre Wiege hinrauschte. Sie wachsen unter seinen Augen heran
-und durchjauchzen eine frohe Bergjugend zwischen Wiesen und Wäldern
-und Bächen. Aus Mädeln und Buben werden große Menschen.
-Das Leben greift nach ihnen. Es packt sie nicht alle mit sanften
-Händen an. Die Mädel schlüpfen unter im warmen Nest einer Häuslichkeit.
-Die andern gehen harter Hantierung nach. Das Glockenhaus
-begleitet sie auf allen Wegen, auf denen sie ihr Brot suchen. Es
-gibt ihnen ein herzhaftes Glückauf mit, wenn sie sich rüsten zu saurer
-Schicht im Schacht. Es ist mit ihnen, wenn sie Axt und Säge auf
-die Schulter nehmen oder mit Holzkarren und Kiepen steile Hohlwege
-hinaufanken, im Bergwald untertauchen und heimkehren mit schwankender
-Last. Es schaut ihnen zu, wenn sie auf den Wiesen rings sich
-mühen, das Heu zu bergen und in schweren Bündeln hangab zu
-schleppen.</p>
-
-<p>Seit Jahrhunderten sind ihm alle Bilder mühseliger Bergmenschenarbeit
-vertraut. Geschlechter sind gekommen und gegangen. Die
-Arbeit voll Sorge und Plage ist immer die gleiche geblieben. Und
-sie wird für alle immer die gleiche bleiben, solange die Tanne grünt
-und Erz wächst und bis auf die Stunde, in der die Mühseligen ihren
-Lauf im Tal beschließen. Dann ist der große Feierabend gekommen.
-Sie falten die müden Hände. Man trägt sie hinaus zu denen, die
-vor ihnen den gleichen Pilgerpfad der Mühe und Arbeit wandelten.
-Dann schaut ihnen das Glockenhaus mit großen Augen nach. Unter<span class="pagenum" id="Seite_19">[19]</span>
-seinem Spitzdach haben sich die Schalluken geöffnet. Lebewohl! rufen
-die Glocken. Und bis in fernes Bergesblau schwingt ihre Klage:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Droben bringt man sie zu Grabe,</div>
- <div class="verse indent0">Die sich freuten in dem Tal&nbsp;…</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Der Klang verhallt. Im Glockenhaus bleibt ein Sinnen zurück. Im
-Wald drüben, der hinter dem Kirchturm einen samtgrünen Hintergrund
-malt, jagen Kreuzschnäbel durch die Wipfel. Die Graudrossel singt.
-Bergwiesen blühen. Die Bäche spinnen ihr Plätscherlied in Ewigkeiten
-fort. Die Heimat lebt. Menschen sterben.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Wandel der Zeiten hat auch den Weg ins Glockenhaus gefunden.
-Es gehen keine Läutejungen mehr hinauf ins Glockenhaus. Das
-Läuten ward ein Amt. Das Geschlecht der Läutejungen ist ausgestorben.
-Es schnitzt keiner mehr seinen Namen ins Gebälk. Und reitet
-auch keiner mehr auf der Brüstung der Luken und läßt seine Beine
-baumeln zwischen Himmel und Erde. Sie läuten auch nicht mehr
-dreimal am Tage. Es ist mancherlei anders geworden im Glockenhaus.
-Die große Glocke holte der Krieg. Sie ward zu Metall zerschlagen.
-Ihr Klang zerklirrte und starb. Verwaist blieb die kleine zurück. Wie
-ein Armesünderglöcklein verrichtete sie in den Jahren des Krieges
-ihren Dienst. Verzagt klangs vom Glockenberg herab. Die kleine
-Glocke ward zum Symbol der Armut und Not.</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="noind"><em class="antiqua">IM ERSTEN JAHR ANNO 1693 CHURFUERSTLICHE REGIRUNG
-ERNESTI AUG HERTZOGEN ZU BRAUNSCH U LUENEB BISCHOF
-ZU OSNEBRUG &amp; IST DISE KLOCK GEGOSSEN V NICOLAUS
-GREVEN IN HANNOVER.</em></p>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[20]</span></p>
-
-<p>Sie sah während ihres Erdendaseins Kampf, Elend und Hungersnot.
-Unter ihren Augen haben die Horden Belsunces und Vaubecourts
-im Bergstädtchen geplündert. Aber alles das und die Kriege nachher
-waren kleine Begebenheiten gegenüber dem Jammer des großen
-Krieges. Und als das Glöcklein den Frieden in die Berge rief, klangs
-wie ein Erlösungsschrei aus tiefster Not.</p>
-
-<p>Wußte nicht, daß sein Friedensgeläut der Grabgesang des Vaterlandes
-sein sollte. Wußte auch nicht, daß bald hernach sein eigenes
-Stündlein schlug: Es kamen neue Glocken, &ndash; stählerner Ersatz. Man
-hängte sie in das alte Gestühl. Die kleine Bronzeglocke ward herabgenommen.
-Sie fand einen neuen Platz abseits. Es brauchte keiner
-darüber zu schreiben: Abgetan! Man sah es dem Platz an.</p>
-
-<p>Gräme Dich nicht, du Glöcklein. Das ist neue Zeit. Viel Altes,
-Gutes, Echtes ist in die Ecke gedrückt und hat dem Neuen weichen
-müssen gleich dir. Glücklich, wer in sich das Bewußtsein seines Wertes
-bewahrt und den Glauben an sich nicht verliert!</p>
-
-<p>Wenn die Stahlglocken läuten, kann das Bronzeglöcklein im Verbannungswinkel
-nicht an gegen das stählerne Bellen. Es wird überschrien.
-Ein feines Stimmchen abseits singt sein Lied für sich:</p>
-
-<p>Bellt nur, ihr Aufdringlichen, die ihr mich verdrängtet! Ersatz seid
-ihr und unecht. Euer Maul ist groß. Ihr wollt mich überschreien.
-Wer seinen Unwert verdecken will, schreit. Eure Stimme ist unedel.
-Ihr wollt etwas scheinen, wozu ihr nicht geboren seid. Stahl ist Krieg.
-Ihr taugt nicht zum Gottesdienst. Kinder einer zweifelhaften Zeit
-seid ihr, die manches über den Haufen warf, was sie bereuen wird.
-Doch, es sind noch Menschen im Bergstädtchen, die Sinn behielten für<span class="pagenum" id="Seite_21">[21]</span>
-echte Werte und das Alte ehren. Sie lieben mich. Sie horchen auf
-meine Stimme. Ich läutete ihren Ahnen und Urahnen, die im Gottesacker
-am Berg schlafen. Ich bin die alte Zeit, in der nur das Wahre,
-Echte, Erzene galt! Schreit nur: Diese Wahrheit tötet ihr nicht!</p>
-
-<p>So singt die kleine Bronzeglocke im Winkel, und es ist ein richtiges
-Zänklein ins Glockenhaus gekommen.</p>
-
-<p>Aber es soll euch nicht gelten, ihr Bergstadtleute. Aus dem Glockenhaus
-weht kein Hader zu euch hinab. Die alte Glocke ist verständig.
-Sie weiß, daß sie das Opfer der Not und der Elendszeit ward. Sie
-weiß auch, daß nirgends in der Welt diese Zeit drückender war als in
-euren Bergen, auf denen wohl die Tanne grünt, aber kein Brotkorn
-wächst. Sie will nicht rechten. Nur manchmal muß sie ihr Herz ausschütten.
-Und ich sage euch: es ist heilsam, dann und wann ihrer
-Stimme zu lauschen und darüber nachzudenken, was sie zu erzählen hat.
-Wenn es ein Großes zu beläuten gilt, wird der Zwist im Glockenhaus
-schweigen. Und immer einig werden die drei ungleichen Schwestern
-sein in dem Gebet:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Holder Friede, süße Eintracht</div>
- <div class="verse indent0">Weilet, weilet</div>
- <div class="verse indent0">Freundlich über dieser Stadt!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Und ein Bergstadtkind in der Ferne betet mit.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[22]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-022">
- <img class="w100" src="images/illu-022.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_23">[23]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kinderland">Kinderland</h2>
-</div>
-
-<p>Die breitkronigen Ahorne und Eschen, die mein Kinderland beschatteten,
-sind fort. Das Geld für ihr Holz war fremden Menschen wertvoller
-als die grüne Laubpracht und der Vogelsang darinnen. Von ihren
-Wipfeln flöteten die Stare Jahr um Jahr den ersten Frühlingsgruß ins
-Bergstädtchen hinein. Nirgends sangen Fliegenschnäpper und Schwarzplättel
-lustiger als hier. Wenn die Finken schlugen, wars wie ein Konzert
-in grün verhangener Halle. Am Ahornhang blühten die allerschönsten
-Veilchen, &ndash; o, wie sie Frühling dufteten! &ndash; und schönere Schneckenhäuser
-gab es nirgendwo.</p>
-
-<p>Nun ist von der rauschenden Baumherrlichkeit nichts geblieben als
-ein paar Wurzelstümpfe. Wie letztes Lebenwollen kümmern Jungtriebe
-daraus hervor, an denen die Ziegen rupfen.</p>
-
-<p>Wenn ich den Kirchenbrink hinansteige, ist mir der Weg ohne die
-Bäume fremd. Meine Augen suchen etwas. Und wenn sie dann
-ins Kahle, Leere schauen, tropft es schwer von meinem Herzen. Ein
-Stück meiner Jugend hat hier gegrünt. Bäume können zu Freunden
-werden, denen man nachtrauert.</p>
-
-<p>Schattenlos senkt sich der Hang zum Bach hinab. Es ist, als ob er
-blinzeln muß, sich nicht an die Helle über ihm gewöhnen kann und
-auch er die Alten vermißt. Als sie noch ihr Laubdach über ihm<span class="pagenum" id="Seite_24">[24]</span>
-wölbten, war sein Wasser ein Wechselspiel von grünen Widerscheinen.
-Um Kiesel und Geröll rieselte ein smaragdenes Mosaik. Bachstelzen
-wippten darüber hin. Alle Vögel aus der Nachbarschaft kamen zum
-Trinken hierher. In trockenen Sommern holten sich die Schwalben
-von dort den Schlamm zum Nesterbauen. Es war ein heimliches
-Paradies. Brennesseln wucherten den Hang hinauf. Schöllkraut
-blühte rings, und zur Herbstzeit war es lustig, im Springkraut zu waten.
-Just an dieser Stelle entfloh der Bach für eine kurze Weile den
-steinernen Mauern, die ihn bei seinem Lauf durch das Bergstädtchen
-im Zaume hielten. Denn zu Zeiten konnte er ein ungestümer Geselle
-sein, der mit Rauschen und Reißen daherstürzte und steinepolterndes
-Unheil ins Tal wälzte. Zumeist freilich war er ein friedfertiges Bergbächlein,
-das sein Blänkerwasser pladdernd hinabführte, Wiesen grüßte
-von Bäumen, Brücken und Häusern schnörkelige Bildlein malte und
-allen, die es hören wollten, von Berg und Bruch und Urwald erzählte,
-die ihn geboren. Er hatte auch einen richtigen Namen, der in jedem
-Erdkundebuch und auf jeder Landkarte steht. Aber die Bergstadtleute
-nannten ihn nie mit seinem Taufnamen und sagten einfach: die Flut.
-Auf der Flutmauer, die sich dem Ahornhang anschloß und zum Grundstück
-des Vaterhauses gehörte, grünte in fröhlicher Ungebundenheit
-ein Himbeerwäldlein. Dort hatte der Zaunkönig seine Heimlichkeit.
-Und jedes Jahr knixten von der Gartenplanke hinter den Himbeeren
-zehn putzige braune Bällchen mit keck emporgerichteten Schwänzen
-in die Welt hinaus. Ich hätte das Geburtsschloß der jungen Zaunkönige
-gern gesehen. Aber eine Scheu hielt mich zurück. Es wäre
-mir als Sünde vorgekommen, ihr heimliches Glück mit meinen Blicken<span class="pagenum" id="Seite_25">[25]</span>
-zu stören. Ich bin nie mitgegangen, wenn mir Kameraden ein Vogelnest
-zeigen wollten. Als ich zum allerersten Male ein Nest aus der
-Nähe sah, war mir das ein heiliges Erlebnis, bei dem mir das Herz
-pochte.</p>
-
-<p>Wenn in der Flut eine Wasserratte schnupperte oder gar ein Iltis
-über die Steine hopste, wurde im Zaunkönigreich Feuer und Mordio
-gezetert: zerrr, zerrr zerrrzerrrzerrr! Dann wußten alle Vögel, daß
-ein feindliches Etwas den Frieden im Flutwinkel stören wollte. Sogleich
-war Frau Wippstert, die graue Bachstelze, zur Stelle. Sie
-hielt einen Augenblick inne im Wippen und gab den Warnruf weiter:
-Zuip-tütütüt, zuip-tütütüt! Mit hastigem und ängstlichem pink-pink-pink-pink
-flog der Fink herzu, und hß-taktak, hß-taktaktak, lumpenpack!
-warnte das Rotschwänzel. Dieb? dieb? fragte lakonisch der Fliegenschnäpper,
-der in aller Aufregung die Ruhe bewahrte.</p>
-
-<p>Dann richtete sich auch die gelbe Bachstelze in ihrem Nest auf, legte
-den Kopf schief und äugte verwundert zur Flut hinab. Ihr Nest hatte
-sie an unserm Stall. Wenn sie an Regentagen an den Stallfenstern
-nach Fliegen und Spinnen jagte, hätte sie den Kühen und Pferden im
-Stall zuschauen können, wenn nicht die Fensterscheiben grün und blau
-und blind gewesen wären.</p>
-
-<p>Unser Stall!</p>
-
-<p>Mir zieht der Duft von Heu und Häcksel durch die Nase. Ich spüre
-den Geruch von warmem Pferdeschinn, der an Kummeten und Zäumen
-klebt. Ich denke an heimliche Balkenwinkelei, an Stollen, Schächte,
-Räuberhöhlen und Burgverließe im Heu. Vom Hühnerwiemen flattern
-bunte Federn herab. Mäuse kraspeln im Futterkasten. Ich fühle ihr<span class="pagenum" id="Seite_26">[26]</span>
-sammetenes Fell in der Hand und lasse sie laufen, weil ihre Knopfäugelchen
-bitten. In den Fensterwinkeln blaken Spinneweben. Fliegen,
-Heumotten und Heusamen fingen sich darin. Schwarze Spinnen liegen
-auf der Lauer. Sie gucken kaum mit dem Kopf aus ihren Höhlen wie
-die mißtrauischen Ratten, die ihr Loch unter der Krippe haben. Über
-Krippen und Heuraufen klettern meine Gedanken durch die Futterluken
-in den Heuboden hinauf. Als ich noch Wachstuchschürzen trug, war
-er mir ein Ort heimlicher Schauer.</p>
-
-<p>Wißt ihr noch, Anna und Johanne, wie sich der Hosenmatz an euren
-Rock geklammert und sich vor dem Schatten gefürchtet hat, den die
-Stallaterne über das Heu warf?</p>
-
-<p>Nach dem Füttern mußte er den Kuhschwanz halten, wenn ihr beim
-Melken saßet. Aber ihr machtet ihm die Arbeit leicht und wußtet ihm
-die schönsten Märchen zu erzählen. War es nicht der Däumling, der
-im Bauch der Kühe immerfort seinen Reim rief:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Schtripp, schtrapp, schtrull,</div>
- <div class="verse indent0">Is der Emmer noch net vull?</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Die Erinnerung an viele liebe Tiere kommt mir. Pferde, Kühe,
-Kälber, Schafe, Kaninchen und Meerschweinchen hopsen mir durch die
-Gedanken. Hat keines seinen Platz in meinem Herzen verloren. Ich
-rufe sie bei Namen. Sie spitzen die Ohren und horchen. Dann erkennen
-sie mich. Eins nach dem andern kommt in froher Eilfertigkeit, mir die
-Hand zu lecken. Aus ihren Augen strahlt Freuen und Dankbarsein.
-Sie schmiegen sich an mich. Ich fühle den warmen Hauch ihrer Nüstern,
-das Kitzeln der Spürhaare. Ich streichle sie wie einst …
-Wie einst&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[27]</span></p>
-
-<p>Unter meinen Händen zerrinnt ihr Bild und sinkt in die dunklen Tiefen
-zurück, daraus es Träume auferweckten. In die gleiche dunkle Tiefe,
-darin Jugend und Kinderzeit untergingen. Ist nichts von allem
-geblieben als das bittersüße Tröpflein Eswareinmal, das heiß am
-Herzen brennt.</p>
-
-<p>Ich schließe die Stalltür. Sie trägt tausend Spuren von Flitzbogen-
-und Armbrustpfeilen und Pusterohrbolzen. Geradeso wie die Bretterplanken
-der Laube am Gartenhang. An ihren vier Ecken grünten
-Ahornbäume. Es ließ sich wunderschön auf das Laubendach klettern
-und im Ahorngezweig herumturnen. Dort hingen im Winter die
-Speckschwarten und Schweinepötzel für die Meisen. Und in der Laube
-war der Futterplatz für Finken und Goldammern. Im Frühjahr schnitzten
-wir dort unsere Pfeifen aus Quitschenruten. Wenn sich die Rinde nicht
-lösen wollte, half beim Klopfen ein Zauberspruch:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Ra-ra bi-ba,</div>
- <div class="verse indent0">Wutte nich gera’n,</div>
- <div class="verse indent0">Schmiet eck deck in Graben,</div>
- <div class="verse indent0">Halet deck die Raben,</div>
- <div class="verse indent0">Kimmt de ule Hesse,</div>
- <div class="verse indent0">Mit den schtumpen Messe,</div>
- <div class="verse indent0">Bein af,</div>
- <div class="verse indent0">Kopp af,</div>
- <div class="verse indent0">Alles, wat dran sitt,</div>
- <div class="verse indent0">Mot af &ndash; af gahn.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Die Laube konnte durch die Hoftür in unsern Hof gucken. Zwischen
-Garten und Hof floß die Flut.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_28">[28]</span></p>
-
-<p>An dem Geländer der alten Knüppelbrücke, die sich über die Flut
-legt, hat der Knabe oft gelehnt und dem Rätsel nachgesonnen, woher
-das Wasser kommt, das Tag und Nacht, Wochen, Monate, Jahre
-unter der Brücke talab fließt und sich nie erschöpft. Bis sich ihm das
-Geheimnis auftat: Irgendwo auf Bergeshöhn mußte ein furchtbar
-großer Turm stehen. Der war bis obenhin gefüllt mit Wasser. Unten
-war eine Öffnung, die der liebe Gott groß und klein stellen konnte wie
-der Müller das Mühlenwehr. Meistens ließ er nur wenig Wasser
-durch, damit es nicht zu schnell alle werden sollte. Wenn der Turm
-leer zu werden drohte, bestellte er einen Regen, der den Turm wieder
-auffüllte. Manchmal verrechnete er sich. Dann ging der Turm über,
-und das Wasser schoß heulend und brausend die Flut hinab. Die Abflußgosse
-unseres Bottiches kleckerte wie ein winziges Wasserstrählchen
-dazu.</p>
-
-<p>Der Eisenbottich auf dem Hof ist fort. Er wurde altes Eisen. Das
-Eisen stand hoch im Preis. Der Lumpensammler holte ihn. Fremden
-Menschen konnte er nicht sein, was er mir war.</p>
-
-<p>Wenn aus den beiden Wasserpfosten das Wasser in seinen Rostbauch
-plörrte, war es wie Quellenmusik in einem Waldtal. Und wenn Eimer
-auf seinen Rand gestülpt wurden, kam aus dem Eisen läutendes
-Klingen. Unten auf dem Grunde schwammen meine Forellen. Die
-Pferde schlürften Wohlbehagen aus ihm.</p>
-
-<p>Vorbei.</p>
-
-<p>Das Vaterhaus ist fremde Stätte geworden. Es springen im Hof
-keine Hunde mehr an mir hinauf. Und die Pferde, deren Hufe über
-das Steinpflaster klappern, sind &ndash; Pferde. Es singt mir keine Schwalbe<span class="pagenum" id="Seite_29">[29]</span>
-mehr das Morgenlied. Ich hänge keine Starkasten mehr auf. Und wieviel
-Rotschwänzel in meinem Kinderland nisten, weiß ich nicht.</p>
-
-<p>Mein Fuß geht an den lieben Stätten vorbei. Und das Herz blutet.</p>
-
-<div class="figcenter illowp50" id="illu-029">
- <img class="w100" src="images/illu-029.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_30">[30]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Das_Bergkind">Das Bergkind</h2>
-</div>
-
-<p>Jürgen Traumelin wußte nicht, wie fest die Harzheimat in sein Herz
-gewachsen war. Er wußte nicht, wie seine Seele am Fichtenwald
-hing, an Bächen und Wiesen und an allen Bergdingen, an denen sich
-seine Kinderzeit abspann. Es war stille, unbewußte Liebe. Ein Feuerlein,
-das sich aus sich selbst erhielt und in der Brust glühte wie eine
-Selbstverständlichkeit.</p>
-
-<p>Jedem Bergkind gibt der Herrgott ein solches Feuerlein mit. Bei
-wenigen verflackert’s. Die meisten tragen es mit sich herum und denken
-nicht darüber nach, woher die Wärme kommt, die so wohlig das Herz
-umschlägt. Und bei vielen wird’s zur verzehrenden Flamme, wenn man
-ihre Wurzel herauszieht aus dem Boden, der ihre Heimat ist.</p>
-
-<p>Das alles wußte Jürgen Traumelin nicht. Aber es sollte sein Schicksal
-sein, daß er es zur Genüge erfuhr.</p>
-
-<p>Eines Tages war der Traum der Jugend zu Ende. Man brachte
-den Bergjungen in die Fremde. Jürgen Traumelin zog seinen Konfirmationsanzug
-an, aus dem er längst herausgewachsen war, und
-sagte der Heimat Ade. Es war kein herzhafter Gruß. Etwas Neues
-lockte. Und doch wollte das Alte nicht loslassen. So begann die
-Reise mit Hangen und Bangen. Ein wenig Neugier prickelte in der
-Brust. Aber in der Kehle saß ein würgender Knoten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_31">[31]</span></p>
-
-<p>Wenn die Postkutsche doch nicht so unbarmherzig schnell talwärts
-führe! Als wenn sie es eilig hätte, nur fortzukommen von der Harzheimat.
-Geht doch langsam, ihr Traber! Eines Bergjungen Seele
-ist nicht so flink wie eure Beine. Sie weilt noch in den Bergen, woher
-das Wasser kommt, das euren Weg begleitet, streift in Tann und
-Dickicht, derweilen ihr bereits ins Flachland trappelt&nbsp;…</p>
-
-<p>Sie stiegen in den Zug. Die Maschine pfiff.</p>
-
-<p>Warum guckst du nicht fröhlich drein, Jürgen Traumelin? Heute
-machst du deine erste große Fahrt in die Fremde und deine Fahrt ins
-Leben dazu!</p>
-
-<p>Er konnte nicht fröhlich sein. Hätte aber auch nicht sagen können,
-welche zwiespältigen Geister in ihm stritten. Eine stumpfe Ergebung
-kam über ihn. Nur still sein, nicht antworten brauchen und träumen, &ndash;
-träumen.</p>
-
-<p>Wenn doch nicht dieser Knoten im Halse säße und das trockene Schlucken
-nicht wäre!</p>
-
-<p>Der Zug rollte an den Harzheimatbergen vorüber. Sie wurden kleiner
-und verloren sich im Blau der Ferne. In Traumelins Seele verloren
-sie sich nicht. Buchenwälder huschten vorüber, Kornfeldbreiten,
-Dörfer und Menschen. Dem Bergkind sagte die neue Welt nichts.
-Seine Gedanken tasteten sich in Wiesentäler und Fichtengründe zurück.
-Kaum, daß ihn ein fremder Vogel draußen, den er daheim nie
-sah, aus seinen Bergträumen riß.</p>
-
-<p>Dann waren sie in der fremden Stadt, in der Jürgen Traumelin
-hochgelahrter Schüler werden sollte.</p>
-
-<p>Puh, &ndash; diese Stadt!</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_32">[32]</span></p>
-
-<p>Haus an Haus, eng, steinern, frostig. Nirgends ein Gäßlein zum
-Durchlugen, kein Garten an den Straßen und keine Lauben mit
-Rotschwänzelnestern. Und in den Höfen keine Holzbansen. Keine
-Stalltüren, aus denen braune Kühe traten. Und die Menschen gingen
-aneinander vorbei. Es bot keiner dem andern guten Tag oder ein
-freundliches Glückauf. Und grüßte kein Berg in die Straßen hinab.
-Ein paar Hügel lagen rings. Aber sie waren fern und fremd und
-nicht mit Stadt und Menschen verwachsen. Ihre Hänge waren zerrissen,
-geflickt, parzelliert. Und nirgends bot sich ein Wiesenplan, an
-dem das Auge hätte ausruhen können. Die Wiesen in dem breiten
-Flußtal, in das sich die Stadt hingelagert hatte, waren lustlose Eintönigkeit.
-Wieviel lichter und lustiger war das alles daheim! Und
-der große Fluß! Ach ja, er war größer als alle Harzbächlein zusammen.
-Aber sein Wasser kroch grau und träge dahin. Es konnte
-nicht rauschen und brausen und platschen und plantschen, kein Berglied
-jauchzen und fröhliche Hopser machen. Und man sah keine Forellen
-darin und keine Sonnenkräusel über blanke Steine rieseln. Wie langweilig
-der graue Fluß war!</p>
-
-<p>Und wie Traumelin über die Eisenbrücke schritt und hinabsah in die
-trübe Flut, schien ihm das Wasser wie ein Spiegel der Zukunft. Die
-fremde Stadt war ihm Enttäuschung geworden. Ein Schauder kroch
-ihm aus ihr entgegen. Und das Gefühl des Naturkindes sagte ihm,
-daß sie ihm immer fremd bleiben würde. Wo keine klaren Wasser
-fließen, findet ein Bergjunge keine Heimstatt.</p>
-
-<p>Würgt nicht schon wieder der Knoten im Halse, Jürgen Traumelin?
-Ein langer Seufzer ging ihm aus der Brust. Und seine Gedanken<span class="pagenum" id="Seite_33">[33]</span>
-flogen heimwärts, ein Heilkräutlein zu pflücken gegen die grausame
-Ernüchterung. Die Erinnerung begann goldene Bogen zu bauen.</p>
-
-<p>Dann war der Bergjunge allein unter fremden Menschen. Zum ersten
-Male in seinem Leben. Er teilte seine Behausung mit ein paar Altersgenossen,
-die das gleiche Ziel in die Stadt führte.</p>
-
-<p>Wo seid ihr her? Und sie nannten ihre Dörfer.</p>
-
-<p>Ach, ihr Flachlandkinder! Ihr habt alle keine Harzheimat mit Bergen
-und Fichtenwäldern und Bächen und Blumenwiesen!</p>
-
-<p>Habt ihr schon Hirsche gesehen? Oder schon Forellen gefangen? Wißt
-ihr, wie Zeisige singen, oder könnt ihr pfeifen wie der Dompfaff?</p>
-
-<p>Sie lachten über ihn. Und als er zu Bett ging, wußte er, daß ihm
-diese Menschen, die das Schicksal ihm zu Weggenossen bestimmte,
-fremd bleiben würden wie die fremde Stadt.</p>
-
-<p>Wie frisch die Bettwäsche roch, die ihm die Mutter sorglich mitgab!
-Genau wie daheim, wenn die Betten neu überzogen waren. Wie
-daheim&nbsp;…</p>
-
-<p>Hupp, machten seine Gedanken. Und fort waren sie ins Harzheimatland.
-Was mögen sie um diese Stunde zu Hause tun? In der
-Stube ist ein wohliges Ausruhen vom Tagwerk. Gewiß sitzen sie
-um den Tisch und denken an den, der heute in die Fremde zog. Am
-warmen Ofen räkelt sich der Wolf und knurrt im Traum … Das
-Katzengretel schnurrt im Stiefelkasten … Im Kuhstall draußen ruft
-das braune Herschel. Im Pferdestall wird der Futterkasten zugeklappt.
-Tränkeimer klirren. Vater füttert die Pferde ab … Gestern hast du
-es noch getan, Jürgen Traumelin! … Ob der Bläß nicht wartet,
-daß du ihm einen Leckerbissen reichst? Und der Rappe es nicht vermißt,<span class="pagenum" id="Seite_34">[34]</span>
-daß du ihm den Hals streichelst und in Schopf und Mähne
-kraust? &ndash; Nun löscht Vater die Laterne aus. Der Stalltürriegel
-knarrt … Müde Schritte im Hof&nbsp;…</p>
-
-<p>Ein Heimattraum gab Jürgen das Geleit durch die erste Nacht in
-der Fremde. Er wachte früh auf.</p>
-
-<p>Singt denn keine Schwalbe auf dem Fensterflügel?</p>
-
-<p>Und plätschert im Hof kein Brunnen?</p>
-
-<p>Ach nein. Es ist alles still. Und es grüßt kein Wiesenhang ins
-Kammerfenster hinein. Kein Ahorn sagt guten Morgen und kein
-Eschenbaum und keine Bergstraße.</p>
-
-<p>Der neue Tag ging mit neuen Enttäuschungen auf.</p>
-
-<p>In grauer Trübseligkeit machte sich Jürgen auf den Schulweg. Er
-pilgerte ihn wie einer, der den Galgen ragen sieht.</p>
-
-<p>Wirf ab alles, was dich an die Heimat kettet, Wildling vom Berg!
-Und deine Jugend wirf hinter dich! Auf den Kathedern sitzen sie und
-warten und wetzen das Messer. Sie werden dich hacken und hobeln
-und werden dich schaben, dich stutzen und säuberlich solange an dir
-herumschneiden, bis dein rotes Blut saftlos sein wird.</p>
-
-<p>Dann hockte er in der Schule. Diese Schule, &ndash; puh! Den Bergjungen
-schüttelte es. Als er heimkehrte, war sein Leben um ein paar
-Moralpredigten reicher geworden und das Säcklein seiner Enttäuschungen
-zum Überquellen voll. In der Schule lachten sie über seine Sprache.
-Harzer Roller! hänselten sie und feixten, wenn auf seiner Zunge harte
-Laute weich und weiche hart wurden und das ü zum i oder das ö zum e.
-Seine Lehrer mäkelten an ihm herum. Es ging ihnen nicht schnell
-genug, daß er die Sprache der Harzheimat abtat und ihr aalglattes<span class="pagenum" id="Seite_35">[35]</span>
-Hochdeutsch redete. Als wenn sich alle gegen ihn verschworen hätten.
-Es war nichts, das ihm die Fremde hätte lieb machen können.</p>
-
-<p>Wie der weite Flachlandhimmel drückt!</p>
-
-<p>Kommt doch heran, ihr Berge, und stützt ihn, daß er nicht einfalle!
-Und recken sich nirgends ein paar Fichten in die Wolken?</p>
-
-<p>Ach nein, Jürgen Traumelin. Der Wald hier ist nicht dein Heimatwald.
-Es ist kein dunkelgrünes Hangauf und Hangab und kein fröhliches
-Weiterwellen Berg an Berg. Jedes Berglein hier ist abgemessen,
-steigt an, fällt ab und hört auf. Und an jedem Wald kannst
-du die Grenzpfähle stecken sehen. Es gibt kein Träumen in meilenlangem
-Fichtenduster. Der Buchenwald ist kahl und nicht für Traumelins
-geschaffen. Kein traulicher Waldwinkel lädt dich zu Gast. Und
-findest kein verschlafenes Flecklein Weltferne, kein Erlenbruch, in dem
-die Spechte hacken, keinen Rauschebach und keinen Bergquell.</p>
-
-<p>Er wollte ein Stück Heimat suchen und suchte vergebens. Eine Scholle
-Erde nur, auf der er sich heimisch fühlen, die er liebkosen könnte und
-mit den Händen streicheln und der er hätte sagen können: Du bist
-wie meine Heimat! Du bist geheiligtes Land.</p>
-
-<p>Es ward ihm keines beschert.</p>
-
-<p>Heimatlos und doch unendlich heimathungrig irrte seine Seele durch
-Wolken und Weiten, ihre Ruhestatt zu finden daheim. Träume
-wurden Zauberinnen. Im Sonnengold der Erinnerung wandelte sich
-die ferne Harzheimat zum Zaubergarten, über dem strahlend der Maientag
-der Berge leuchtete. Und Wiese und Wald darin waren voll
-Sirenengesang. Jedes Fichtenrauschen ward ein Locken: Kehr wieder,
-Bergbube!</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[36]</span></p>
-
-<p>Komm doch! zwitscherten die Vögel. Und die Bergblumen nickten:
-Kehr um!</p>
-
-<p>Wir warten auf dich! plätscherten die Bäche. O, fühlst du nicht, wie
-wir auf dich warten!</p>
-
-<p>Tausend Bilder stürmten in des Heimwehkranken Seele, süß, betörend,
-verführerisch. Und blieb doch keine Frohheit in ihr zurück. Furchtbare
-Dämonen krallten sich in sie hinein, zogen, zerrten, rissen. Blutsauger
-waren sie und verführerische Gaukler. Sie spielten mit dem Bergjungenherzen
-ein grausames Spiel, wirbelten das verzagte Ding in
-goldene Himmel und ließen es abstürzen in Höllenschlünde.</p>
-
-<p>In einsamen Stunden flüchtete der Knabe auf seine Kammer. Ach, einmal
-nur hinschauen in die Richtung, wo die Heimat liegt. Drüben muß
-es sein. Wenn doch nur ein einziges blaues Berglein hersähe! Aber
-eine schwarze Wolke lag vor dem Paradies. Und so war es Traumelins
-Schicksal, den bitteren Kelch Heimweh auszutrinken bis auf die Neige.
-Sein Leben war Qual. Jeder Heimatgedanke riß eine Wunde
-durch sein Herz.</p>
-
-<p>An einem grauen Tag saß Jürgen Traumelin auf seinem Bettrand
-wie so oft. Seine Augen verloren sich in der Ferne. Heimliche Glocken
-läuteten irgendwo. Die Stimmen der Heimat lockten und sangen.
-Sie hatten ihre bestrickendsten Saiten aufgespannt. Da geschah das
-Wunder, daß dies Singen ihm nicht zum Schmerz wurde, sondern
-daß es heimlich in ihm mitzusingen begann. Die schwarze Wolke auf
-seinem Gemüt war ein wenig zur Seite gerutscht. Irgendwo lachte
-ein Sonnenstrählchen. Es war, als ob nach langer Zeit ein Glück
-leise ans Herz zu tippen wagte. Und als Traumelin die Treppe hinabstieg,<span class="pagenum" id="Seite_37">[37]</span>
-flüsterte es über seine Lippen: Ich komme! Und es begab sich, daß
-zu dieser Stunde das Knäuel im Halse hinabzugleiten begann.</p>
-
-<p>Unten zählte er seine Heller. Es war das Geld, für das er sich eine
-bunte Mütze hatte kaufen sollen. Es reichte just. Dann schrieb er ein
-Zettelchen. Ein paar heimwehkranke Worte standen drauf. Die andern
-sollten wissen, was ihn forttrieb.</p>
-
-<p>Auf heimlichen Wegen erreichte er den Bahnhof. Gott sei Dank, es
-hatte ihn keiner gesehen. Und kam keiner, ihn zurückzuhalten.</p>
-
-<p>Als er im Zuge saß, der ihn der Heimat nähertragen sollte, war zum
-ersten Male ein richtiges Aufatmen in ihm. Die Kette um seine Seele
-sprang. Der Kampf schwieg. Es kam eine Müdigkeit über ihn, die
-ihm Erlösung ward.</p>
-
-<p>Jürgen Traumelin auf Heimatpilgerfahrt!</p>
-
-<p>Zwei Tage und eine Nacht hat er gehungert und gefroren. Herbstnebel
-umwehten ihn. Zwischen Fichten und Felsen pfiff der Wind.
-Er grüßte sie als freundliche Boten der Heimat. Mit leichtbeschwingter
-Seele schritt er aus. An einem Bergbach kniete er nieder und trank.
-Einmal wieder Bergwasser schlürfen zu können, war einer seiner heimlichsten
-und heißesten Wünsche gewesen. Nun war er in Erfüllung
-gegangen. Seid umarmt, Berge und Wälder, Harzheimat!</p>
-
-<p>Als Jürgen Traumelin am zweiten Abend unter sich im Tal die
-Lichter der Bergstadt sah, stieg er beglückt hinab.</p>
-
-<p>Im Glockenhaus läutete es sieben. Es war der Willkommengruß,
-den die Harzheimat dem heimkehrenden Fremdepilger bot.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[38]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-038">
- <img class="w100" src="images/illu-038.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Der_Kirchenbrink">Der Kirchenbrink</h2>
-</div>
-
-<p>Der Sonntagmorgen hatte für mich seine eigene Feierlichkeit.</p>
-
-<p>Ich durfte meine Stulpenstiefel anziehen. Es gab in der ganzen Welt
-nichts so Schönes wie meine Stulpenstiefel! Und zum Kaffee kaufte
-die Mutter Salzkuchen. Für Salzkuchen hätte ich meine Seligkeit
-eingetauscht. In der Küche bruzzelte ein Braten. Der Duft zog verlockend
-durch das ganze Haus, in dem es nie so stille zuging wie an<span class="pagenum" id="Seite_39">[39]</span>
-diesem Morgen. Aber das Schönste war doch, auf der Lehne des
-alten Ledersofas zu hocken und zuzuschauen, wenn den Kirchenbrink
-hinauf die Bergstadtleute zur Kirche pilgerten.</p>
-
-<p>Der Kirchenbrink war mein Freund. Es machte Spaß, vier, fünf
-Stufen auf einmal herunterzuspringen und am Geländer herabzurutschen.
-Blumen nickten von rechts und links über die alten Steintritte.
-Durch die Zaunlatten guckten Kälberkropf und Bärenklau.
-Man konnte prächtige Spritzen daraus machen. Und die roten und
-weißen Taubnesseln, die am Kirchenbrink blühten, hatten den süßesten
-Honig.</p>
-
-<p>Des Alltags lag er still und verlassen da. Er konnte die Leute zählen,
-die auf ihm von der Bergstraße herabkamen oder zu der Bergstraße
-hinaufgingen. Am Sonntag aber ist er voll Leben gewesen.</p>
-
-<p>Alte Mütterchen mit Hauben und Bändern trippeln behutsam die
-Stufen hinan. Die eine Hand hält das Geländer fest. Die andere
-umschließt sorglich das Gesangbuch, damit der Pfennig für den Klingebeutel
-nicht herausfällt und Taschentuch und Brillenfutteral nicht
-davon abrutschen. Invaliden im Abendmahlsrock steigen hinterdrein,
-die lahmen Füße bedachtsam von Tritt zu Tritt setzend. Jungens
-und Mädels hüpfen an ihnen vorbei. Bürgersleute tragen Zylinder,
-Feiertagsmiene und Goldschnittgesangbuch mit gemessener Würde
-treppan, vereinigen sich oben mit der Schar derjenigen, die die Straße
-am Berg herunterkommen und verschwinden in der Kirchentür.</p>
-
-<p>Stieg viel alte Gläubigkeit und Frommheit den Kirchenbrink hinauf,
-den Tag des Herrn würdig zu weihen. Es stieg auch viel Gram und
-Kummer und grüblerisches Gottsuchertum hinauf, in der Kirchenstille<span class="pagenum" id="Seite_40">[40]</span>
-Trost und Vergessen zu finden oder den Unbekannten zu ergründen,
-der die Tanne grünen und Erz wachsen läßt. War viel altes Gold
-unter abgeschabten Wämsern.</p>
-
-<p>Wenn das Sonntagsgeläut des Glockenhauses in den Bergen verhallt
-war, tat der Kirchenjunge die Tür zu. Feierlich scholl das Orgelvorspiel
-durch die Morgenstille. Der Sonntagsfrieden des Bergstädtchens
-war nie fühlbarer als in diesem Augenblick. Das Orgelspiel
-klang aus der geschlossenen Kirche wie eine ferne Engelsmusik. Sie
-machte mir Gotteshaus und Gottesdienst zu einem Mysterium, zu
-dem der Kirchenbrink der geheimnisvolle Zugang war.</p>
-
-<p>Als der Knirps es unternahm, das Geheimnis zu ergründen, schwirrten
-seine Gedanken bedenklich abseits.</p>
-
-<p>Von meinem allerersten Kirchgang ist mir nur die Erinnerung an
-drei merkwürdige Dinge geblieben. Das eine war ein schwarzer Mann.
-Er hatte ein weißes Bäffchen um und stand auf einem grünen und
-goldenen Balkon. Von dort aus sprach er irgendetwas vom lieben
-Gott. Die andere Merkwürdigkeit war ein Mensch mit einem Hauskäppel.
-Der ging zwischen den Bänken umher und hielt den Leuten
-einen klingelnden Sammetbeutel unter die Nase. Das größte Wunder
-jedoch war der Taufengel. Er schwebte von der Decke hernieder und
-hielt in den Händen ein Taufbecken. Ich aber verstand seine Sendung
-nicht. Verstohlen fragte ich meine Mutter, was denn eine »Biermamsell«
-in der Kirche solle.</p>
-
-<p>So hatte mir das Gotteshaus sein Rätsel nicht erklärt. Und als ich
-hernach den Kirchenbrink hinabstieg, blieb hinter mir das gleiche
-Geheimnis, das es vordem gewesen.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[41]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Osterfeuer">Osterfeuer</h2>
-</div>
-
-<p>Am Osterheiligabend hat kein Bergstadtjunge Zeit, Abendbrot zu
-essen. Der Geruch verbrannter Fichtenhecke und brennenden Fichtenharzes
-prickelt ihm in der Nase. Das Osterfeuer wird angesteckt.
-Da bleibt für unwichtige Dinge nicht Muße. Jeder hegt zudem in
-sich die Überzeugung, daß ohne ihn das Osterfeuer nicht brennen
-und die ganze Herrlichkeit nur halb so schön sein würde, wenn seine
-Fackel nicht dabei wäre. Neben Ruscheln und Schneeschuhlaufen
-hat er nicht vergessen, frühzeitig genug seine Osterfackel herzurichten.
-Der Vater hat das Fichtenstämmlein aufgespalten und zersplissen,
-damit die Fackel ein gutes Feuer gibt. Sie steht schon lange zum
-Trocknen am Herd. Sie ist auch schon beim Bäcker gewesen. Der
-hat sie, nachdem Brot und Kuchen fertig waren, in den Backofen
-geschoben. Nun ist sie ausgedörrt bis aufs Mark und ist braun und
-schwarz geworden. Die Rinde will schon abblättern, &ndash; hei, wird das
-ein Geflacker werden!</p>
-
-<p>Wenn sich auf den Wiesen die ersten dunklen Stellen zeigen, der
-Schnee weggeht und die Berge scheckig werden, schleppen die Bergstadtjungens<span class="pagenum" id="Seite_42">[42]</span>
-die Fichtenhecke für ihr Osterfeuer zusammen. Unermüdlich
-ziehen sie in den Bergwald und bis in die entferntesten Hauungen,
-ihr Bündlein Hecke zu holen. Das »Heckeschleppen« ist für
-jeden Harzheimatjungen Ehrenpflicht. Jeder hat den Ehrgeiz, seinem
-Ortsteil den Ruhm des schönsten und größten Osterfeuers erringen
-zu helfen. So entsteht zwischen den oberländischen und unterländischen
-Buben ein Wettstreit, der friedlicher abgeht, als wenn sie mit wehenden
-Fahnen und Holzsäbeln gegeneinander zu Felde ziehen und grimme
-Schlachten schlagen.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-042">
- <img class="w100" src="images/illu-042.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_43">[43]</span></p>
-
-<p>Am Ostersonnabend wird die Fichtenhecke kunstvoll um den Osterbaum
-getürmt. Es ist ein erwartungsfrohes Treiben auf dem Osterfeuerplatz.
-Keiner denkt früher an zu Hause, bis es Zeit wird, die
-Fackel zu holen.</p>
-
-<p>Osterfeuer im Harzheimatland!</p>
-
-<p>In den Straßen des Bergstädtchens liegt die kühle Dämmerung des
-Vorfrühlingsabends. Aus Eisschollen und Schneeresten und winterkalter
-Erde dampft Nebel. Der Ostervollmond guckt über die Berge.
-Durch die Gassen zieht ein Duft wie von tausend Weihnachtsbäumen.
-&ndash; Ihr Armen im Flachland! Und wenn ihr noch soviel Strohbündel
-und Teertonnen und Pech zuhauf türmt, euer Osterfeuer wird immer
-ein stinkendes Räuchlein bleiben. In den Bergen aber ist’s reine
-Opferflamme, in der nichts brennt, denn das der Fichtenwald hergegeben
-hätte.</p>
-
-<p>Braune und gelbe Rauchschwaden quellen aus dem Heckenaltar. Sie
-ballen sich zu wogenden Wolken und wachsen wie eine unendliche
-Säule in den Nachthimmel. Prasselnd fressen sich Flammen durch
-Harz und Fichtennadeln und lecken hinauf in den Osterbaum. Feurige
-Lohe knattert durch seine Äste, wirft einen Feuerschein auf Rauch
-und Menschen und zerstiebt in sprühenden Funken. Mit Feuer und
-Rauch wird der Winter von dannen gejagt. Das Rasen der Flammen
-ist Erlösungsjauchzen.</p>
-
-<p>Um das Feuer her schwenken die Harzheimatkinder ihre Fackel, rufen
-Fitfaat! und ziehen rauschende Flackerfeuerkreise um ihre Köpfe. Über
-der Bergwiese tanzen tausend Irrlichter. Der Frühlingsnachthimmel
-malt sein Schwarzblau hinter dies Bild der Frühlingsfreude, die in<span class="pagenum" id="Seite_44">[44]</span>
-Großen und Kleinen lebt und bei jedem neuen Osterfeuer neu lebendig
-wird.</p>
-
-<p>Osterfeuer sind Freudenfeuer, mit denen die Menschen den Sieg des
-Lenzes über den Winter feiern. Dem Bergmenschen aber, der die
-Faust des Winters am härtesten spürt, sind sie Dankesopfer.</p>
-
-<div class="figcenter illowp50" id="illu-044">
- <img class="w100" src="images/illu-044.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_45">[45]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-045">
- <img class="w100" src="images/illu-045.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Das_Fest_zwischen">Das Fest zwischen
-Ostern und Pfingsten</h2>
-</div>
-
-<p>Wenn zwischen Ostern und Pfingsten die Lerchen das erste Grün aus
-dem fahlen Lederhosengelb der Bergwiesen hervorgetrillert haben, putzt
-der Kuhhirt sein Koppels. Und die Bergstadtleute feiern einen hohen
-Festtag. Der steht nicht im Kalender. Er wird auch nicht von der<span class="pagenum" id="Seite_46">[46]</span>
-Kanzel herab verkündet. Und in der Mitternacht vorher rührt sich im
-Glockenhaus kein Glockenstrang, ihn gebührend einzuläuten.</p>
-
-<p>Und doch hätte er beides verdient.</p>
-
-<p>Denn dieser Sonntag, an dem nach langer Wintersnot die Kühe zum
-ersten Male wieder auf die Bergweide gehen, ist wie eine Bannlöse.
-Unten im Land ist mit Vogelsang und Apfelbaumblühen längst der
-Frühling eingezogen. Er will auch hinauf ins Harzheimatland. Aber
-der Winter hat alle Täler verklüftet und treibt ihn mit Schneeschauern
-zurück. Graue Wochen lang geht ein Kämpfen hin und her. Die Schneewehen
-an den Hängen wollen nicht kleiner werden. Auf den Straßen
-kleben schmutzige Eisschollen. Regen und Schnee platschen durcheinander.
-Durch die Wälder rauscht der Sturm. Das Flöten der Drossel,
-die den Frühling rufen will, wird von seinem Rasen übertönt. Die
-Bäche tosen. Die Luft ist erfüllt mit aufgeregtem Gebrause. Es ist
-nicht Winter, es ist nicht Frühjahr.</p>
-
-<p>Das ist der Bergstadtleute böseste Zeit. Niemand sehnt sich mehr nach
-dem Frühling als sie. Keiner begrüßt ihn dankbarer.</p>
-
-<p>Wenn aber die Kühe wieder auf die Weide treiben, ist ihnen das wie
-die frohe Botschaft: Der Lenz ist da, nun muß sich alles wenden. Oft
-genug freilich prasselts mit Hagelschauern hinein in diese Frühlingshoffnung.
-Aber der Bann ist gebrochen.</p>
-
-<p>Ein Aufatmen geht durch die Menschen. Es ist ein Freuen in ihnen, das
-niemand kennt und keiner mit Namen nennen kann. Doch jeder fühlt es.
-Und diese Freude leuchtet in jungen und alten Augen, guckt aus allen
-Fenstern und wartet in allen Gassen, daß das Horn des Kuhhirten
-zum ersten Male tutet.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_47">[47]</span></p>
-
-<p>Keine Frühlingsschalmei kann schöner klingen!</p>
-
-<p>Dann tun sich die Stalltüren auf. Ketten fallen klirrend nieder. Die
-Kühe werden losgebunden. Ihr Fell ist blank gestriegelt. Bunte
-Bänder flattern an den Hörnern als festfroher Schmuck.</p>
-
-<p>Manchem Mütterlein, das nur ein paar kümmerliche Morgen Pachtwiese
-ernten kann, rutscht mit dem Ruf des Hirtenhorns eine Sorge
-vom Herzen. Der Heuboden hat ein arges Loch bekommen. Dem
-Bergmenschen ist sein Vieh nicht Inventar. Er lebt mit seinen Tieren
-und sieht ihre Not nicht nur mit den Augen. Er fühlt sie im Herzen
-mit. Und so begrüßt er das erste Frühlingsgrün an den Hängen wie
-eine Gottesgabe, die die Berge ihm darreichen für seine Tiere. Froh
-und kümmernisbefreit läßt er sie nun hinaus: Kumm, Resel, Orschel,
-Herschel, Liesel, &ndash; kumm!</p>
-
-<p>Die Braunen treten zaudernd über die Schwelle. Sie können noch
-nicht daran glauben, daß sie die Kette nicht mehr an der Krippe
-festhält. Und das Taglicht blendet nach dem langen Stalldämmer.
-Wieder ein zaghafter Schritt. Nun stehen sie draußen und gucken und
-wundern sich.</p>
-
-<p>Dann geht ihnen ein Erinnern auf an die goldene Freiheit in den
-Bergen. In übermütigen Sprüngen und Kapriolen hopsen sie davon.
-Sie schlagen aus in wilder Freude, als wollten sie die Winterfesseln
-weit von sich schleudern. Die Temperamentvollsten geben ihr Freiheitsbehagen
-mit den Hörnern kund. Es ist ein Raufen und Stoßen bald
-hier, bald dort. Bis der Hirtenhund Ordnung schafft oder die Peitsche
-eines Jungen über die Kämpfenden hinknallt. Klitsch&ndash;klatsch&ndash;paatsch!
-&ndash; Das Peitschenknallen gehört zu diesem Festtag wie die Herde selbst.<span class="pagenum" id="Seite_48">[48]</span>
-Das wäre kein Bergjunge, der sich nicht wochenlang im Peitschenschlagen
-geübt und der nicht den Ehrgeiz hätte, die beste, schlankste
-»Schwippe« zu haben für diesen Tag, auf den sich alle freuen.</p>
-
-<p>Manche Bicktanne wandelt sich zum Peitschenstiel. Die Kaufleute
-können nicht genug Klappschnüre schaffen, und der Sattler muß die
-Riemen bündelweis schneiden. Wenn dann der große Tag da ist,
-wird die Schwippe geschmückt mit der Schwester schönstem Haarband, &ndash;
-und ein Knallen geht los auf allen Gassen. Klitsch&ndash;klatsch&ndash;paatsch!
-hallen die Berge wider. Klitsch&ndash;klatsch&ndash;paatsch! kommt’s im Echo
-von den Hauswänden. Der kleinste Knirps ist mit heiligstem Eifer
-dabei. Selbst die Alten können es nicht verwinden, noch einmal die
-alte Kunst zu üben. Und es wird erst ruhig im Städtchen, wenn die
-Herde heimwärts zieht und die Stalltüren sich wieder schlossen.</p>
-
-<p>Unfug, sagst du? &ndash; Nein, auch das Peitschenknallen ist eine Äußerung
-der Frühlingsfreude. Wie soll ich’s nennen?</p>
-
-<p>Wenn du’s als Bergjunge nicht gefühlt hast, du wirst’s als Nörgler
-nicht erjagen.</p>
-
-<div class="figcenter illowp30" id="illu-048">
- <img class="w100" src="images/illu-048.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[49]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Johannistag">Johannistag</h2>
-</div>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Tripp &ndash; trapp &ndash; Käsenapp,</div>
- <div class="verse indent0">Heute ist Johannistag!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Die Erinnerung an unsere Johannistage kräuselt mir durch den Sinn
-wie ein Gerank aus bunten und schönen Dingen. Fichtengirlanden
-schlingen sich lustig durcheinander. In ihrem Grün glühen Pappelrosen.
-Fliedertrauben quellen daraus hervor, und Nachtviolen tupfen
-blaurote Punkte hinein. Eierschalenkränze baumeln im Wind. Verlockend
-streicht um Johannisbaum und Ringelreihen der Duft warmer
-Blätterkuchen. Lieder klingen. Die Luft ist voll Sonne und Freude
-und das Herz voll Kinderseligkeit. Ich fühle weiche Mädchenhände
-in den meinen, spüre in der Nase den Geruch von frischgestärkten
-weißen Sonntagskleidern und Haarpomade. Haarschleifen flattern.
-Zöpfe wippen. Alle diese verführerischen Dinge erregen in der Jungenbrust
-das harmlose Räuschlein ersten Verliebtseins. Der schüchterne
-Bergbube mausert sich zum Ritter. Irgendwo im Johannistagsreigen
-glüht ihm ein heimliches Flämmchen, dem alle Lieder gelten. Glück
-wird Singelseligkeit:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Wo treff’ ich meinen Schäfer an,</div>
- <div class="verse indent0">Wo werd’ ich ihn wohl finden,</div>
- <div class="verse indent0">Der mir mein Herz erleichtern kann?</div>
- <div class="verse indent0">Wohl unter einer Linden?</div><span class="pagenum" id="Seite_50">[50]</span>
- <div class="verse indent0">Unter einem grünen Busche,</div>
- <div class="verse indent0">Da ich meinen Schäfer suche,</div>
- <div class="verse indent0">Unter einer Linden,</div>
- <div class="verse indent0">Da werd’ ich ihn schon finden.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Ein Mädel steht unterm Baum. Es winkt schüchtern einen Knaben
-aus dem Reigen zu sich herein:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Herr Schäfer, Sie bleiben stillestehn,</div>
- <div class="verse indent0">Mir däucht, ich sollt Sie kennen,</div>
- <div class="verse indent0">Warum woll’n Sie so von mir gehn</div>
- <div class="verse indent0">Und sich so von mir trennen?</div>
- <div class="verse indent0">Ei, so will ich mich zu Sie (!) wenden,</div>
- <div class="verse indent0">Fassen Sie an beiden Händen,</div>
- <div class="verse indent0">Und Sie werden desgleichen</div>
- <div class="verse indent0">Und mir ein Küßlein reichen!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Leider geschah das nun nicht. Unsere Alten waren glücklicher daran.
-Bei ihnen gehörte das Küssen zum Johannistag wie der Johannisbaum
-und die Johannislieder.</p>
-
-<p>Aber trotzdem klang es fröhlich weiter:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">O wie glücklich ist die Stund’,</div>
- <div class="verse indent0">Da ich meinen Schäfer fund!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Nun stand der Schäfer im Kreis. Seine Schäferin war indes in
-den Reigen zurückgetreten. Und das Schäferlied wiederholte sich in
-der Umkehrung:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Wo treff’ ich meine Schäferin an,</div>
- <div class="verse indent0">Wo werd’ ich sie wohl finden,</div>
- <div class="verse indent0">Die mir mein Herz erleichtern kann?&nbsp;…</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[51]</span></p>
-<p>Bis eine neue Weise im Kreis erscholl:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Ich bin ein lustiger Weidemann,</div>
- <div class="verse indent0">Ich suche mir ein Revier.</div>
- <div class="verse indent0">Ein Hirschlein, das ich schießen kann,</div>
- <div class="verse indent0">Ein hübsches munteres Tier.</div>
- <div class="verse indent0">Es gibt der munteren Tier’ so viel,</div>
- <div class="verse indent0">Der Jäger nimmt sich eines zum Ziel:</div>
- <div class="verse indent0">Puhf!</div>
- <div class="verse indent0">Der Schuß, der ist geschehen,</div>
- <div class="verse indent0">Man muß das Wild besehen!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Das Lied vom Hirschlein setzte sich fort:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Jagt mir doch das Hirschlein aus der Weide!</div>
- <div class="verse indent0">Du und du bist meines Herzens Freude.</div>
- <div class="verse indent0">Wechselt mir die spanischen Pistolen,</div>
- <div class="verse indent0">Daß ich kann mein’ Schatz bald wieder holen!</div>
- <div class="verse indent0">Ei, so komm doch her, mein Kind,</div>
- <div class="verse indent0">Weil ich dich jetzt wiederfind’.</div>
- <div class="verse indent0">Treu um Treu und liebe mich,</div>
- <div class="verse indent0">Und vergiß das Küßlein nicht!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Das war freilich wieder eine Mahnung mit schwachem Ergebnis.
-Für uns Arme und Nüchterne blieb’s bei der Entsagung:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">In dem schönen Rosengarten</div>
- <div class="verse indent0">Eine Dame zu erwarten,</div>
- <div class="verse indent0">Die mir schenket einen Kuß,</div>
- <div class="verse indent0">Die mir schenket einen Kuß.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-<p><span class="pagenum" id="Seite_52">[52]</span></p>
-<p>Und was nützte das Klagelied:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">O Jammer, Jammer! höret zu,</div>
- <div class="verse indent0">Was ich euch sagen werde.</div>
- <div class="verse indent0">Ich hab’ verloren meinen Schatz,</div>
- <div class="verse indent0">Der mich so treu geliebet hat.</div>
- <div class="verse indent0">Macht auf, macht auf die Gartentür,</div>
- <div class="verse indent0">Ob ich ihn hier nicht finde!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Und daß das Mädel winkte:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Schau her, schau her, hier ist mein Mann,</div>
- <div class="verse indent0">Hier fall ich ihm zu Füßen.</div>
- <div class="verse indent0">Und der mich einst geliebet hat,</div>
- <div class="verse indent0">Den werd ich einstmals küssen.</div>
- <div class="verse indent0">Nun steh ich wieder auf zu dir</div>
- <div class="verse indent0">Und mache einen Diener für!</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Aber fort doch mit den ewigen Herzensdingen!</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Es fuhr ein Bauer ins Holz,</div>
- <div class="verse indent0">Es fuhr ein Bauer ins Holz,</div>
- <div class="verse indent0">Es fuhr ein Bauer ins Kermesholz,</div>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka&ndash;Kermesholz,</div>
- <div class="verse indent0">Es fuhr ein Bauer ins Holz.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Der Bauer nahm sich ein Weib,</div>
- <div class="verse indent0">Der Bauer nahm sich ein Weib,</div>
- <div class="verse indent0">Der Bauer nahm sich ein Kermesweib,</div><span class="pagenum" id="Seite_53">[53]</span>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka&ndash;Kermesweib,</div>
- <div class="verse indent0">Der Bauer nahm sich ein Weib.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Das Weib nahm sich ein Kind,&nbsp;&ndash;</div>
- <div class="verse indent0">Das Kind nahm sich ’ne Magd,&nbsp;&ndash;</div>
- <div class="verse indent0">Die Magd nahm sich ’en Knecht,&nbsp;&ndash;</div>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka&ndash;Kermesknecht!</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Der Bauer schied von dem Weib,</div>
- <div class="verse indent0">Das Weib schied von dem Kind,&nbsp;&ndash;</div>
- <div class="verse indent0">Das Kind schied von der Magd,&nbsp;&ndash;</div>
- <div class="verse indent0">Die Magd schied von dem Knecht.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Das Ki&ndash;ka&ndash;Kermeslied war lustig. Wir haben es mit Begeisterung
-und Inbrunst gesungen. Es bildete eine fröhliche Abwechslung in
-den Johannistagsliedern und den vielen Volksliedern, die in den
-Singereigen eingeflochten wurden. Wir schöpften aus unerschöpflichem
-Born und sangen unverdrossen, bis der Abend kam und wir müde in
-unsere Kissen krochen.</p>
-
-<p>Dann zog die ganze Johannistagsherrlichkeit noch einmal wie ein
-bunter Traum durch die Kammer. Das ausgestopfte Männlein, das steif
-und stumm unter dem Johannisbaum gesessen hatte und dem aus Knopflöchern
-und Handschuhen die Sägespäne quollen, ward zum Kobold.
-Es hockte auf der Bettstelle. Es hockte auf dem Deckbett. Es spukte
-in allen Winkeln und trieb seinen Mummenschanz in des Schläfers
-heißem Köpfchen, darin ein sonderbarer Leierkasten zu dudeln begann:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[54]</span></p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Orgel, orgel nort&ndash;nort&ndash;nort,</div>
- <div class="verse indent0">Wo treff’ ich meinen Schäfer an,</div>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka Schäfer an.</div>
- <div class="verse indent0">In dem schönen Rosengarten,</div>
- <div class="verse indent0">Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,</div>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka&ndash;Kermesholz,</div>
- <div class="verse indent0">Wenn ich den Wanderer frage,</div>
- <div class="verse indent0">O Jammer, Jammer höre zu,</div>
- <div class="verse indent0">Im schönsten Wiesengrunde,</div>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka&ndash;Kermesweib,</div>
- <div class="verse indent0">Die mir schenket einen Kuß,</div>
- <div class="verse indent0">Ki&ndash;ka&ndash;Kuß.</div>
- <div class="verse indent0">Glück auf, ihr Bergleut’ jung und alt,</div>
- <div class="verse indent0">Ich bin ein lustiger Weidemann,</div>
- <div class="verse indent0">Wenn schwarze Kittel scharenweis,</div>
- <div class="verse indent0">Guten Abend, Gute Nacht&nbsp;…</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>So schwirrt es in wirrem Kunterbunt durcheinander. Über dem Bette
-wächst der Johannisbaum empor und wächst hinauf bis in den Himmel.
-Ein Paradies öffnet sich darüber. Das ist voll Glück und Seligkeit.
-Pappelrosenkränze und Heckengirlanden schlingen sich um goldene
-Pfeiler. Hexenhäusel aus lauter Blätterkuchen und warmen Waffeln
-bauen sich auf. Sterne leuchten, tausend Sterne. Aber einer ist der
-hellste. Und wie der Träumer näher zuschaut, wird der Stern zu
-einem nickelnen Zwanzigpfennigstück, das er glückselig in den Händen
-hält. Er lächelt im Traum. Wie reich er war, als ihm der Schullehrer<span class="pagenum" id="Seite_55">[55]</span>
-heute morgen das blanke Zweigroschenstück gab! Zwei Groschen
-eigenes Geld, o zwei Groschen!</p>
-
-<p>Ihr gütigen Stifter, die ihr lange im Grabe ruht!</p>
-
-<p>Das Strahlen in den Augen der Harzheimatkinder hat euch Dank
-in die Ewigkeit hinübergelächelt. Die Zwanzigpfennigstücke sind die
-Zinsen eures Kapitals gewesen. Eure Güte aber konnte sich nicht
-schöner verzinsen als mit diesem Glückslächeln auf Buben- und Mädelgesichtern
-und mit jener Johannistagsfreude, die ihre Backen rot malt
-und die noch über ihre Augen huscht, wenn sie abends müde in ihre
-Betten schlüpfen.</p>
-
-<div class="figcenter illowp30" id="illu-055">
- <img class="w100" src="images/illu-055.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_56">[56]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Die_Waldschenke">Die Waldschenke</h2>
-</div>
-
-<p>Möchtest Du nicht mit mir schnell hinüber über das Gatter und hinunter
-ins Häusel?</p>
-
-<p>Oder möchtest Du Dich nicht auch hier niederlegen am Rande des
-Holzes und zwischen Fingerhüten und Ehrenpreis träumen, Stunden
-verträumen, Tage, Wochen?</p>
-
-<p>Alles in diesem Waldwiesenwinkel ist freundliches Winken: Hier ists
-gut sein!</p>
-
-<p>Welche Zauberdinge sinds, die so eindringlich locken?</p>
-
-<p>Ein Flecklein Lichtgrün im Tannenduster, Vogelstimmen im Wald,
-zwischen Blumen ein Plauderbach, &ndash; und weltferne Stille. Mitten in
-allem ein rotes Dach, unter Bäumen ein paar Holzbänke, eine Laube
-im Gärtchen&nbsp;…</p>
-
-<p>Wer könnte vorüberwandern!</p>
-
-<p>Ist kaum ein halbes hundert Jahre her, da war dies Tal erfüllt vom
-Lärm der Arbeit. Der Bach plantschte über Wasserräder. Pochstempel
-stampften einen harten Daktylus in die Waldstille: <em class="gesperrt">Paff</em> &ndash; paffpaff,
-<em class="gesperrt">paff</em> &ndash; paffpaff. Unter ihrem Schlag barst Erzgestein zu Kies und
-Staub. Aus allen Hütten kam Poltern und Rumoren. Das Echo
-polterte mit. Pochjungen hantierten an Waschherden und eilten geschäftig<span class="pagenum" id="Seite_57">[57]</span>
-auf und ab. Blutjunge Knaben, die das Leben hier allzufrüh
-in ein eisernes Joch spannte. Blaukittelige Fuhrleute schrien. Angetan
-mit weißem Kittel und hohen lehmfarbenen Gamaschen stolzierten
-Königlich Privilegierte Fuhrherren einher, ihre zahlreichen Fuhrwerke
-musternd. Knarrend fuhren Erzhielen talaus, talein.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-057">
- <img class="w100" src="images/illu-057.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_58">[58]</span></p>
-
-<p>Nun ist das geschäftige Bild verschwunden. Die Pochwerke sind fort.
-Es blieb kein Stein auf dem andern. Fichten grünen über ihrer Stätte.
-In den Schlammlöchern wachsen Schilf und Schachtelhalm. Natur
-nimmt langsam das Ihrige zurück. Der Stampftakt der Stempel
-ist verstummt. Das Zechenhäusel, &ndash; die Waldschenke, &ndash; ist der letzte
-Zeuge jener Zeit. In dem Stüblein, wo sich heuer der Gast erquickt,
-hielten vor Zeiten die Pochjungen ihre Betstunde vor der Schicht. Sie
-sangen ein frommes Lied. Der alte Vorbeter las ein Gebet. Die
-Arbeit begann mit Gottes Segen.</p>
-
-<p>Kinder im Joch&nbsp;&ndash;, Gottes Segen?</p>
-
-<p>Wenn ich am Gatter liege und träume, ziehen in langer Wallfahrt
-bleiche Knaben durch das Tal. Eine stumme Anklage gegen eine
-grausame Zeit.</p>
-
-<p>Die Stille im Wald ist wie das Ausruhen vieler Bergmenschengeschlechter,
-denen harte Arbeit an diesem Ort Blut und Jugend nahm.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_59">[59]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-059">
- <img class="w100" src="images/illu-059.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Der_Gnadenloehner">Der Gnadenlöhner</h2>
-</div>
-
-<p>Sein Hauskäppel ist fadenscheinig geworden. Die bunten Blumen
-darin sind ausgefädelt und haben die Farbe verloren. Silberne
-Strähnen quellen unter dem Käppel hervor.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[60]</span></p>
-
-<p>Jede Bewegung des Alten ist gemessene Ruhe. Wenn er das Fenster
-öffnet und den Pfeifenkopf ausklopft, aus dem Tabakskasten dann
-eine armselige Mischung von Tabak und Kirsch- und Huflattichblättern
-in den Kopf stopft, das alles geschieht mit der gleichen Bedachtsamkeit,
-mit der er hinterher zu Zunder und Feuerstein und Stahl greift,
-Funken schlägt und langsam zu paffen beginnt. Ist nichts, das ihn
-zur Eile triebe oder ein Wellengekräusel verursachte auf dem abgeklärten
-Spiegel seiner Seele. Er steht über den Dingen. Und das
-Leben &ndash; ach das Leben! Er hat abgerechnet mit ihm.</p>
-
-<p>Das Leben zieht draußen vorbei. Es geht mit Axt und Säge ins Holz.
-Fährt an zur Schicht in der Grube. Rollt auf Bauholzwagen straßab.
-Wetzt auf den Bergwiesen die Sensen … Wann begann doch seins?</p>
-
-<p>Der Alte sinnt.</p>
-
-<p>Seine Gedanken spinnen einen langen Weg zurück. Es ist kein sanfter
-und weich gepolsterter Wiesenpfad, den sie wandeln. Sie müssen einen
-steilen Bergstieg hinab, über Steingebröckel und spitze Klippen und
-Schlackenhalden, durch Hohlwege und schwarzen Wald. Tief unten,
-wo der Weg beginnt, liegt im Talesgrund ein grünes Paradies voll
-Lust und Vogelsang: seine Kinderzeit. Ein Nebel breitet sich darüber.
-Zu früh hat er draus fortgemußt. Über kaum erblühte Blumen fiel
-Reif mitten im Frühling. Sie sind ungepflückt gestorben. Kein Traum
-macht sie wieder lebendig.</p>
-
-<p>Zehn Jahre war er alt. Des Vaters Taglohn reichte nicht für die
-Familie. Zwei Taler zehn Mariengroschen in der Woche, &ndash; du lieber
-Gott! Und der Himten Herrenkorn war bald verzehrt. Blieb keine
-Wahl: die Kinder mußten mit ins Joch.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[61]</span></p>
-
-<p>Bergmannsjungen mußten Bergleute, Hüttenmannsjungen wieder
-Hüttenleute werden. Das war ungeschriebenes Gesetz im Harzheimatland.
-Zu beiden Berufen bildete das Pochwerk die Vorbereitungsstätte.
-Wurde aber keiner im »Pucherig« aufgenommen, der nicht zehn
-Jahre alt war&nbsp;…</p>
-
-<p>Es kam auch keiner hinein, der sein Vaterunser nicht konnte und die
-zehn Gebote und das Einmaleins. Wer sich in solcherlei Dingen des
-Kopfes und des Herzens zur Zufriedenheit des Obersteigers auswies,
-der erst war würdig, staatlicher Pochjunge zu werden. Es waren bescheidene
-Rühmlein mit dieser Würde verbunden. Die Pochjungen
-brauchten nur Sonnabends zur Schule. Zu Fastlahm, dem Dankfest
-der Bergleute, durften sie mit Grubenkittel und Schachthut und Hinterleder
-beim Kirchgang den Großen vorangehen. Zum Johannistag
-steckte ihnen die Mutter Sirupsbranntwein in den Brotbeutel. Sie
-setzten mit dem ersten Anfahrtstage ihren Fuß auf die oberste Sprosse
-der Leiter, die zu Silber und Blei in den Berg hinabführt. Der Weg
-bis dahin freilich war weit. Ruhm und Ehre heischten harten Tribut.
-Und zuvörderst stand die Leiter noch im Pochwerk.</p>
-
-<p>Mit dem Morgengrauen begann die Fron. Der Vorbeter im Zechenhaus
-konnte die Müdigkeit aus Kinderaugen nicht herausbeten.
-Wurden während der Arbeit die Kräfte schlaff oder wollte der Pochjunge
-Kind sein, wies ihn der Vogelpols des Steigers, die Klopfpeitsche,
-ins Joch zurück. Zwölf Stunden Scharwerken, Schmalzbrot
-im Brotbeutel, elf Pfennige Taglohn&nbsp;…</p>
-
-<p>Sie schleppten ihre müden Glieder nach Haus. An Blumenblühen und
-Vogelsang und Sonne und allem vorbei, was Kinderherzen erfreut.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_62">[62]</span></p>
-
-<p>Wem harte Faust im Nacken sitzt, dem stirbt die Jugend rasch. Das
-Pochwerk zerstampft Stein und Erz und Kinderherzen. Und hinter
-Schlackenkarren und Erzhunden wird der Mensch nicht jünger. Was
-übrigbleibt an Lebenskraft, nimmt bei dem einen der Schacht, dörrt
-bei dem andern der Schmelzofen aus.</p>
-
-<p>Des Alten Weg führte nicht über Sonnenhalden. Nun ist er über den
-Berg. Die Sonne freilich ging derweilen jenseits hinab. Just ein
-Fünklein warmen Abendscheins kann er noch erhaschen. Im Antlitz
-des sinkenden Lichts stößt er den Stecken in die Erde. Ein müder
-Pilgersmann. Sein Ränzel ward auf der langen Bergfahrt leer. Er
-muß den Leibriemen enger schnallen. Blieb nichts im Sack als ein
-Stück Gnadenbrot und armselige Habe: ein Päcklein Tabak, eine
-Scheibenbüchse, die sein Arm nicht mehr halten kann, eine Harzzither,
-darauf die Saiten zersprangen&nbsp;…</p>
-
-<div class="figleft illowp30" id="illu-062">
- <img class="w100" src="images/illu-062.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Aber der Alte hat sich weise in sein
-Los gefügt. Grübeln und Grämen
-bringen verlorene Jugend nicht wieder.
-Er will beschaulich genießen, was ihm
-von Licht und Tag noch übrigbleibt.
-Er weiß: Wenn die Sonne fort ist, wird
-sich hinter ihr das schwarze Schachtloch
-Ewigkeit auftun. Dann wird er am
-Ziel sein. Bis dahin bewahre Gott
-uns allen ein fröhliches Herz!</p>
-
-<p>Wenn der Gnadenlöhner solcherlei
-Gedanken spinnt, ist in seinen Augen<span class="pagenum" id="Seite_63">[63]</span>
-fernes Feierabendleuchten voll Güte und Milde. Und in seinem
-Blick ist jener Friede, der mit der Welt und allen Alltagsdingen darin
-abgerechnet hat und bereit ist, das Ergebnis dieser Rechnung dem Herrgott
-vorzulegen: Das Leben hat mir nichts geschenkt. Ich habe meine
-Pflicht getan.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[64]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Glueckauf_Alter_Mann">Glückauf, Alter Mann!</h2>
-</div>
-
-<div class="figleft illowp30" id="illu-064">
- <img class="w100" src="images/illu-064.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Um die Bergstadt verstreut liegen seltsame
-Gesteinshalden. Auf den Wiesen
-einzelne, die meisten im Walde versteckt.
-Es sind die letzten Reste uralter
-Gruben.</p>
-
-<p>Der Fremdling übersieht sie zumeist.
-Selten, daß sich einer wundert, woher
-so unvermittelt an einer Waldlehne oder
-einem Wiesenhang ein ebener Plan entsteht,
-der aus dem Berg herauszukommen
-scheint, sich vorschiebt und wieder jäh in den Hang hinabstürzt. Der Bergmensch
-aber weiß, daß er hier auf einem Stücklein Boden steht, das
-durch die Arbeit der Väter geheiligt ist. Vor langen Jahren haben
-sie hier nach Silber und Blei geschürft. Hoffnungsvolle Namen gaben
-sie ihren Gruben. Aber diese erwiesen sich nicht allezeit als Goldene
-Rose oder Schatzkammer, waren nicht immer Silberlilie und Treuer
-Friederich; blinkten auch nicht auf die Dauer wie eine Engelskrone
-oder der Morgenstern. Und die Gnade Gottes und Gottes Segen
-waren ihnen nicht allen beschieden. Nicht überall lohnte die Ausbeute.<span class="pagenum" id="Seite_65">[65]</span>
-Die Zubuße war größer denn der Gewinn. Dann versuchten die Alten
-ihr Glück an anderer Stelle. Das Gebirge reichte weit. Erz wuchs
-in jedem Berg. Sie gruben in den Oberschichten des Gesteins. Sie
-stiegen viele Lachter tief in die Erde hinab. &ndash; Alle diese Gruben sind
-vergessen. In den Chroniken des Harzheimatlandes heißen sie in
-ihrer Gesamtheit: Der Alte Mann.</p>
-
-<p>Der Alte Mann waren aber auch die ersten Bergknappen, die die
-Hoffnung auf blinkenden Segen in die Harzberge lockte. Sie brachten
-ein regsames Getriebe in den stillen Wald Hercynia. Der Schwarze
-Tod entriß ihnen Schlägel und Eisen. Krieg und Not verschüttete
-die Gruben.</p>
-
-<p>Die nachfolgenden Geschlechter gingen mit frischem Hoffen ans Werk.
-Sie gruben, wurden fündig, teuften ab und begruben wieder. Manche
-leuchtende Silberader schlug man an. Viele blanke Taler wurden
-geprägt, von denen Seine Hochfürstliche Gnaden, der Herzog von
-Braunschweig und Lüneburg, den Zehnten in sein Säckel taten. Dann
-traf man beim Weiterbauen auf taubes Gestein. Oder Wasser und
-Widerwärtigkeiten geboten Feierabend. Die Gewerkschaft nahm ihr
-Gezäh und wanderte weiter. Die alten Gruben blieben vergessen
-liegen. So liegen sie heute noch. Stollen und Schächte stürzten ein.
-Das wertlose Gestein aber, das aus ihnen zu Tage gefördert wurde,
-lagert an der alten Stätte wie ehedem.</p>
-
-<p>Jahrhunderte sind seither über die Halden hinweggegangen. Moos
-und Gras haben sie zugedeckt. Wälder wuchsen darauf. Wälder
-wurden gefällt und wuchsen wieder. Und von den Menschen, die einst
-diese »Hallen« aufstürzten, blieb im Harzheimatland nichts als ihre<span class="pagenum" id="Seite_66">[66]</span>
-Sprache, die hart ist wie Fäustelschlag. Und eins noch hinterließen
-sie: den Mut eines zähen Tiefenbezwingertums. Ihre Nachfahren
-sind ein furchtloses Bergmannsgeschlecht geblieben, das stolz ist auf
-einen Beruf, der geliebt und verstanden sein will und von dem sie singen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Gott hat uns einst die Gnad’ gegeben,</div>
- <div class="verse indent0">Daß wir vom edlen Bergwerk leben&nbsp;…</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Wenn ich auf verfallener Halle stehe, beginnt alte Zeit zu erzählen.
-Dort muß der Stollen gewesen sein. Eine verwaschene Runse am
-Hang, die unvermittelt abbricht. Die Schachtstangen, die ihn einst
-stützten, sind morsch zusammengeknickt und vergangen. Das Erdreich
-stürzte nach. Das Loch im Berg tat sich zu. Das Stollenwässerchen
-suchte sich einen Weg und blieb als Bergquell zurück. Über die Runse
-wuchs Moos. Fichtennadeln stäubten hernieder. Rippenfarn und
-Weidenröschen siedelten sich an. Wind wehte Tannzapfensamen herbei.
-Lustig sproß ein Fichtenhorst empor und überdeckte das bloßliegende
-Gestein. Die schartige Wunde am Berg verheilte zur Narbe. Und auch
-über die Steinhalden wuchs der Wald. Moos und Tannennadeln
-wieder polsterten das Gerümpel aus. Fichten krallten ihre Wurzeln
-tief hinein. Wo am Steilhang der Halle ein Regensturz das neue
-Erdreich wegwusch oder ein Hirsch seine Fährte durch die Oberschicht
-drückte, schimmern graue und weiße Steine her. Das Berg, heißt es der
-Bergmann. Kalkspat, Schieferspat, sagt der Gelehrte. Die Bergkinder
-aber suchen an solchen Stellen nach einem Glänzlein Kupferkies oder
-Zinkblende und sind glücklich, »Goldsteine« gefunden zu haben.</p>
-
-<p>Um die Halden schleicht der Fuchs. Über Pfifferlingen und Reizkern
-wölben sich Fichten. Junge, in denen das Rotkehlchen singt, alte,<span class="pagenum" id="Seite_67">[67]</span>
-in deren Zweiggewirr Eichhörnel hupfen. Die Arbeit des Alten
-Mannes hat ein Waldidyll übersponnen.</p>
-
-<p>Manchmal streicht in dunklen Nächten der Bergmönch hier vorbei.
-Sein silbernes Geleucht blitzt durch das Holz. Am St. Barbaratage
-aber läutet heimlich dort ein Schachtglöcklein. Wer Märchenohren
-hat, der hört es&nbsp;…</p>
-
-<p>So oft ich an solcher Stätte weile, muß ich still sein. Mir ist, als täte
-sich der Berg auf. Weit hinten im schwarzen Loch des Stollens sehe
-ich Grubenlichter flackern. Hämmer sausen auf Handbohrer hinab.
-Eisen klingt auf Eisen den harten Takt der Arbeit vor Ort. Spitzhacken
-knirschen sich in das Gestein. Polternd gehen felsige Wände
-nieder. An den Seiten des Stollens sickert Wasser herab, perlt in
-klingenden Silbertropfen von der Decke und kommt als Bächlein
-zu Tage. Auf der Stollensohle bilden Bretter einen ebenen Weg.
-Schiebkarren rollen darauf aus der Tiefe hervor. Urväter begrüßen
-mich mit geisterhaftem Glückauf. Auf Schachthut und Hinterleder
-und Grubenkittel klebt feuchter Schmutz. Sie schieben den schweren
-Karren auf die Halde hinaus. Bollernd stürzt das Gestein den Hang
-hinab&nbsp;…</p>
-
-<p>Glückauf, Alter Mann!</p>
-
-<p>Deine Hände sind voll Schwielen. Der Berg hat dich bleich gemacht.
-Deine Augen blicken ernst. Harte Arbeit grub harte Falten in dein
-Gesicht. Bergmannsarbeit ist immer Last gewesen. Dem Knappen
-von heute hat die Neuzeit hilfreiche Handhaben gegeben. Ihr jedoch
-waret auf euch selbst gestellt. Ihr wußtet nichts von Bohrmaschinen
-und Preßluft. Jedes Loch in Felsenwand mußte die Eisenkraft eurer<span class="pagenum" id="Seite_68">[68]</span>
-Hände und Arme ertrotzen. Euch trug keine Fahrkunst hinab in
-Schachtes Tiefen. Für euch gabs nur den Sprossenweg der Leiter,
-die Fahrt, auf denen eure müden Beine aufwärts und abwärts stiegen
-viele Lachter. Euer Beutelchen Schwarzpulver war schwach. Es sorgte
-dafür, daß der Arbeit genug übrigblieb. Dynamit und Donarit schaffen
-euren Nachfahren reinere Tafel. Und was ihr fördertet, nahm euch
-keine leicht dahingleitende Feldbahn ab. Euch blieb nichts, als das
-Sielen über die Schulter zu schlagen und den Karren in die Hand zu
-nehmen oder die Faust um den Griff des Göpels zu spannen, der
-ächzend den Erzeimer emporwand. Kein Förderseil, bewegt durch die
-Kraft einer Maschine und gebändigt durch einen Hebeldruck, glitt hinab
-in die Tiefe. Unten glühte kein elektrischer Faden. Kein Karbidlicht
-warf grellen Schein auf marmorne Erzadern. Zu eurer Arbeit leuchtete
-nichts als das schwelende Flämmchen eurer Unschlittlampe. Das
-armselige Geleucht ist ein Bild eures Lebens gewesen.</p>
-
-<p>Nun seid ihr lange eingefahren zur letzten Schicht. Ob ihr den Bergmannstod
-starbt tief unter der Erd’ und man euch im weißen Sarg
-nach Hause trug, ob eure bergsüchtige Lunge auf dem Strohsack verröchelte,
-&ndash; wer weiß, wo ihr euren Feierabend fandet. Über eure
-Schächte ging die Zeit. Erde deckt Mühsal und Last. Erde deckt alles
-Hoffen auf Goldene Rose und Silberlilie.</p>
-
-<p>Aber die Gnade Gottes mag mit euch sein. Und der Morgenstern
-möge euch leuchten wie ein gleißender Anbruch im Schacht.</p>
-
-<p>Reicht mir die Schwielenfaust:</p>
-
-<p>Glückauf, Alter Mann!</p>
-
-<p>Mein Gruß ist Hochachtung und Ehrfurcht.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[69]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-069">
- <img class="w100" src="images/illu-069.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Schpinne">Schpinne</h2>
-</div>
-
-<p>Weiß der Himmel, wie sich der gute Alte diesen Spitznamen erworben
-hat!</p>
-
-<p>Die Spitznamen im Bergstädtchen sind nicht immer Liebkosungen.
-Sie verlieren zwar mit der Zeit Sinn und Ätze. Kein Mensch denkt
-sich etwas dabei. Aber sie bleiben an ihrem Träger haften wie Vogelleim
-und erben sich fort auf Kindeskind.</p>
-
-<p>Wenn einer damals in der Bergstadt nach Herrn Karl Riese gefragt
-hätte, wäre er lange irre gegangen. Und die Bergstadtleute hätten<span class="pagenum" id="Seite_70">[70]</span>
-die Gegenfrage gestellt: Welchen Riesen meinen sie, den, den, den
-oder den? Fünfe, sechse, hätten sie hergezählt und an jeden ehrsamen
-Namen Riese ein Anhängsel mit Eigenprägung gehängt, das sie alle
-säuberlich auseinanderhielt.</p>
-
-<p>Hätte darum der Fremdling gefragt: Wo wohnt der Riesen-Schpinne?
-dann würde das eine eindeutige Frage gewesen sein, die über den
-Gesuchten keinen Zweifel übrigließ. Und jedes Kind auf der Gasse
-wäre mit dem Bescheid zur Hand gewesen: Beim Bruch-Guste!</p>
-
-<p>Das war nun freilich auch noch keine klare Ortsbezeichnung. Aber der
-Bruch-Guste ihr Haus war leicht zu finden.</p>
-
-<p>Von der Straße im Tal zweigt sich ein Gäßchen ab. Es hupft mit
-einer klapprigen Holzbrücke über einen Bach und will hinauf zur
-Straße am Berg. Das Gäßchen muß aber einen Winkel machen.
-Denn just hinter der Brücke steht ihm das Haus von der Bruch-Guste
-im Wege. Das steht dort ganz allein und betrachtet aus seiner Zurückgezogenheit
-mit stillem Schmunzeln die Hinterseiten der Häuser auf
-der anderen Seite des Baches. Mit einem Auge kann es gerade noch
-durch die Gasse zur Straße gucken. Neben dem Steintritt mit der
-hölzernen Bank läßt ein Brünnlein sein Kristallwasser in einen uralten
-Eichentubben pladdern.</p>
-
-<p>Dies Haus gehörte der Bruch-Guste.</p>
-
-<p>Dem Zufall, daß es an einer bruchigen Wiese stand, verdankte seine
-Eigentümerin ihren Beinamen.</p>
-
-<p>In dem Haus am Bruch trieb die gute Frau Guste eine fleißige Milchwirtschaft.
-Es roch dort immer nach Buttermilch und Molken. Wenn
-die auf die Diele führende Stalltür offen stand, wehte warmer Stalldunst<span class="pagenum" id="Seite_71">[71]</span>
-dazwischen. Dieser Mischduft gehört in meiner Erinnerung untrennbar
-mit jenem Haus zusammen, in dem eine Treppe hoch mein
-Freund Riesen-Karel, genannt Schpinne, zur Miete wohnte.</p>
-
-<p>Seine Stube war, wie die meisten Bergmannsstuben im Bergstädtchen,
-halb Gebrauchszimmer, halb unantastbare kalte Pracht.</p>
-
-<p>Die Alltagshälfte lag im warmen Bereich des Ofens. Im Ofenwinkel
-stand das schwarze Waschbecken aus Gußeisen. In dieser Ecke
-geschah nach vollendeter Schicht die gründliche Reinigung vom Schmutz
-der Grubenarbeit. Dann wurde das gestreifte flanellene Arbeitshemd
-an den Ofen gehängt und mit Feierabendshemd und Kamisol vertauscht.
-Auf der anderen Seite des Ofens, wo der Eßtisch seinen
-Platz hatte, wartete währenddem schon der Kaffee mit der eingebrockten
-Semmel. Zum Eßtisch gehörten zwei Bretterstühle. Die paar Rohrstühle
-in der guten Stubenhälfte wären für den Eßtisch zu schade
-gewesen.</p>
-
-<p>Überhaupt diese Sonntagshälfte!</p>
-
-<p>Die Mutter Riesen hielt auf peinlichste Ordnung in ihrem Schmuckkästlein.
-Es war kein Fältchen in der Kommodendecke. Die Kalkspat-
-und Zinkblendedrusen darauf und die Glaskugeln hatten immer
-den gleichen Platz. Die Lichtbildständer auf dem runden Sofatisch
-mußten ihre Füße immer genau in dieselbe Stelle der Damastdecke
-drücken. Und die Mutter Riesen hätte nicht schlafen können, wäre
-nicht der Kattunüberzug über dem Sofa nach jedem Feierabendschläfchen
-des Alten erst wieder säuberlich glattgezupft worden.</p>
-
-<p>Zwischen ein paar Sechser- und Achtergeweihen an der Wand tackte
-eine Schwarzwälderuhr. Der Schatten ihres Messingpendels tupfte<span class="pagenum" id="Seite_72">[72]</span>
-an den Kerbschnittrahmen eines vergilbten Soldatenbildes, an dem
-eigentlich nur noch ein roter Uniformkragen und zwei schwarze Augenpunkte
-deutlich geblieben waren. Das war das Rekrutenbild meines
-alten Freundes.</p>
-
-<p>70 ist er mit nach Frankreich gewesen. Auch Anno 66 hat er mitgemußt.
-Aber die Preußenkugeln hörte er nicht pfeifen. Sein Marsch nach
-Langensalza fand frühzeitig ein Ende. Wenn er damals für sein
-Hannoverland keine Lorbeeren pflücken konnte, blieb er ihm doch im
-Herzen treu. Zuweilen versuchte er mit invaliden Knochen noch einmal
-einen preußischen Parademarsch. Aber seine Gedanken verloren
-sich dabei zurück in seine Soldatenzeit unter dem blinden König.
-Da ging es lustig zu, wenn in den Heidemanövern die »Attolerie«
-mit »grasgriene Äppel« schoß, &ndash; wahrhaftigen Gott! Des Alten
-Augen leuchteten. Und wie lautgewordenes Erinnern summte die
-alte hannoversche Soldatenweise durch seinen Bart: »O Hannes,
-wat ’en Haut!« Wenn die Rede auf 66 kam, grollte er. Es blieb
-kein gutes Haar an den Preußen. Als der Urheber des Unglücks
-aber galt für ihn unumstößlich der General Manteuffel. »Wenn dar
-verfluchte Manteiffel net gekumme wär!«</p>
-
-<p>Um Langensalza wob er eine strahlende Gloriole. Der Ort hatte etwas
-Heiliges für ihn, von dem er nur in Verehrung sprach. Aber immer und
-immer wieder flackerte in seine Welfenandacht der Name Manteuffel
-hinein wie ein rotes Tuch, das seinen Haß herausforderte.</p>
-
-<p>Da mochte er ein anderes und wirkliches rotes Tuch lieber. Das war
-sein Scheibenweiserrock. Der Alte bekleidete bei der Schützenbruderschaft
-den löblichen Posten eines Scheibenweisers. Wenn er Sonntag<span class="pagenum" id="Seite_73">[73]</span>
-nachmittags den roten Rock angezogen hatte und die weiße Hose
-dazu, sah er prächtig aus. Zur Uniform gehörte eine schwarzsamtene
-Parforcejagdmütze. Und wenn der Alte noch lange Lackstiefel getragen
-hätte, hätte man ihn für einen richtigen Parforcereiter halten
-können. Die krummen Beine freilich und der Struppelbart wollten
-nicht recht zu der stolzen Tracht taugen. Aber diese Umstände taten
-meiner Bewunderung für meinen Freund keinen Abbruch. Es war
-immer ein kleiner Festzug, wenn im Sommer die beiden Scheibenweiser
-Sonntag für Sonntag die funkelnagelneuen Scheiben vom
-Tischler holten und im Trommeltakt des Schützentambours zu den
-Scheibenständen zogen. Abseits von jedem Stand lag ein Steinhäusel
-für die Scheibenweiser. Wenn die Scheiben befestigt und Pflockkasten
-und Nummerntafeln an Ort und Stelle gebracht waren, verkrochen
-sich die Scheibenweiser in ihrem steinernen Unterschlupf wie Mauerspinnen.</p>
-
-<p>Manchmal durfte ich mit ins Scheibenweiserhäusel. Diese Gunst
-machte mich stolz und glücklich.</p>
-
-<p>Kinder schöpfen ihr Glücklichsein aus bescheidenen Dingen. Wenn
-ich mich in der Erinnerung zu meinem rotrockigen Freund ins Scheibenweiserhäusel
-zurückversetze, wirds mir warm ums Herz. Ein Spürlein
-Glück blieb hangen. So muß es echt gewesen sein.</p>
-
-<p>Und ich kam mir sehr wichtig vor, wenn ich dem Alten einen Holzpflock,
-eine Nummerntafel zureichen durfte. Wenn ein Schuß fehlgegangen
-war, winkte er pfiffig ab. Konnte er aber eine 20 anhängen,
-schwenkte er mit einer Großartigkeit ohnegleichen seine Mütze. Tupp-tupp-tupp
-wurde schnell das Loch zugeklopft. Dann gings im Laufschritt<span class="pagenum" id="Seite_74">[74]</span>
-zurück ins Häusel. Hinter den krummen Beinen wehte der
-Rockschoß wie eine rote Fahne.</p>
-
-<p>Als diese Beine zum Laufen zu alt und der Atem zu kurz geworden
-waren, zog mein Freund die Scheibenweisermontur aus und verschlief
-seine Sonntagnachmittage daheim auf dem Kanapee.</p>
-
-<p>Des Alltags aber war er der unermüdliche Schaffer in meinem Vaterhause.
-Es war nichts in Hof und Haus, an dem seine Hand nicht
-half. Und was er schuf, schuf er mit der Treue und Verläßlichkeit
-der Alten.</p>
-
-<p>Sein eigenstes Reich war unser Holzhof.</p>
-
-<p>Ich sehe ihn noch mitten zwischen Bergen geschnittener Scheite. Ich
-höre bei jedem Niedersausen der Axt oder des eisernen Fäustels ein
-hechelndes »hach, hach!« Und höre das knatternde Auseinanderbersten
-knorriger Stuken. Ein gottverdammter Fluch folgt, wenn die
-Keile nicht anziehen wollen und sich festbeißen in widerspenstigen
-Wurzelknorren.</p>
-
-<p>Von Zeit zu Zeit wendete er den Kopf zur Seite.</p>
-
-<p>Prtsch! gings dann.</p>
-
-<p>Das Priemen war des Alten einzige Leidenschaft. Das »Priemelbichsel«
-in seiner Westentasche, das so harzig war wie die Weste selbst,
-bildete sein Heiligtum. Er hätte es nicht missen können. Wenn er
-in die Westentasche griff, das einstige Pomadenbüchslein hervorzog
-und mühsam ein Endchen von der schwarzen Rolle abbiß, ging ein
-Behagen über sein Gesicht. »Wos muß der Mensch han!« Prtsch!
-Eher konnte er schon auf den Branntweinbuddel verzichten, den er heimlich
-in der Holzbanse versteckte. Von Zeit zu Zeit, wenn die Kehle zu<span class="pagenum" id="Seite_75">[75]</span>
-trocken war vom Holzstaub, &ndash; und Holzhacker haben gemeinhin trockene
-Kehlen, &ndash; tat er einen geschämigen Schluck. Er vermißte den Nordhäuser
-nicht. Aber alle Vierteljahr einmal wurde der Alte schwach. Dann
-blitzten die kleinen schwarzen Augen noch feuriger unter dem Schirm
-seiner Baschlikmütze her. Das waren die Stunden, wo der Alte gern
-einmal wieder Parademarsch machte und sein Herz wieder jung
-wurde&nbsp;…</p>
-
-<p>Dies gute, treue Herz, das so lebensfrisch klopfte in der invaliden
-Bergmannsbrust: »Junge, ich, &ndash; ich schterb noch lange net!«</p>
-
-<p>Und ist doch bald gestorben.</p>
-
-<p>Als ich von seinem Tod erfuhr, war ich in der Fremde. Die Nachricht
-zerriß etwas in mir. Das blutete und schmerzte. Ich floh die Enge
-gleichgültiger Menschen. Auf einer Waldhöhe fand ich mich wieder.
-Einsamkeit war um mich her. In duftblauer Ferne weit hinten lagen
-die Harzheimatberge.</p>
-
-<p>In der Stunde, wo sie meinen alten Freund zu Grabe trugen, habe
-ich seinen Namen in die Rinde einer Wetterbuche geschnitzt&nbsp;…
-Fremder ist mir die Fremde nur noch einmal gewesen: als man im
-Maienmond darauf auch meinen Vater begraben hatte.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-075">
- <img class="w100" src="images/illu-075.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_76">[76]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-076">
- <img class="w100" src="images/illu-076.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Der_Jagder">Der Jagder</h2>
-</div>
-
-<p>Lasterhafte Zungen reden ihm nach, er habe die Namen seiner dreizehn
-Kinder nicht gewußt. Aber er wußte, daß sie alle einen gottgesegneten
-Hunger hatten. Und noch besser wußte er, daß es ein Kunststück war,
-mit einem Bergmannstaglohn dreizehn hungrige Mäulchen sattzukriegen.<span class="pagenum" id="Seite_77">[77]</span>
-Bei Kartoffeln und Salz und trockenem Brot werden die
-Wangen schmal.</p>
-
-<p>Es müßte dem Jagder kein Herz unter dem Kamisol geschlagen haben,
-wenn er nicht in sechsundzwanzig Kinderaugen den Hunger hätte
-flackern sehen. Aber er sah es gut genug. Und wenn er deshalb zu
-Zeiten seinen alten Vorderlader unter dem Heu hervorsuchte, Pulverhorn
-und Zündhütchen in den Brotbeutel steckte und auf verschwiegenen
-Pfaden in den Bergwald stieg, wars nicht die Jagdleidenschaft allein,
-die ihn hinaustrieb. Hunger tut weh.</p>
-
-<p>Es gehen im Bergstädtchen viele Geschichten um vom Jagder. Es
-hat sich um ihn ein krauser Kranz von Wahrheit und Dichtung und
-voll abenteuerlicher Romantik gewunden. Aber eins wissen alle
-Histörchen zu berichten: Daß er seinen Schild, wenn es auch ein unrechtmäßig
-geführter war, rein hielt. Er war keiner von jenen Aasjägern,
-die mit gehacktem Blei das Alttier vom Kalbe wegschossen
-und mit Wilpertfleisch Wucher und Schacher trieben. Er hätte auch
-den Finger nicht krumm gekriegt, wenn ihm ein hochbeschlagenes
-Muttertier vor die Flinte gekommen wäre. Denn er nahm neben
-Pulver und Blei sein Herz mit in den Bergwald.</p>
-
-<p>Er wußte jeden Wechsel im Revier. Kein Rudel war ihm fremd.
-Und knurrte der Magen zu sehr oder puckerte das Blut zu arg: er
-ging selten auf vergebliche Pürschen. Sein Vorderlader war von
-grausam großem Kaliber. Wenn er Dampf machte, ging ein Donnern
-über die Berge. Und wenn seine Bleikugel saß, saß sie gut und erlöste
-ihr Opfer rasch. Oder sie verprallte an irgendeiner Klippe, klatschte
-in irgendeine Fichte und tat keiner Kreatur ein Leid.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_78">[78]</span></p>
-
-<p>Der Wald war des Jagders Kirche und Fleischkammer.</p>
-
-<p>Wenn Sonntags die Glocken läuteten, erreichte ihn ihr Klingen sicher
-irgendwo auf Bergeshöhen, wo er seine Waldandacht hielt auf seine Art.
-Nicht immer mit der gespannten Büchse, aber stets mit dem hellen, freien
-Auge des Naturmenschen, dessen Gott in Waldesmitten wohnt.</p>
-
-<p>Zeisige singen die Liturgie, Wald und Weite halten die Predigt.</p>
-
-<p>Und der Jagder ließ sie zu sich sprechen. Es war nicht jederzeit
-Hingabe und Genießen in dem wohlgepolsterten Kirchenstuhl des
-guten Gewissens. Denn nicht alle Sonntagmorgen gingen die Förster
-unten im Bergstädtlein zum Frühschoppen.</p>
-
-<p>Ja ja, die Grünen!</p>
-
-<p>Der Jagder gehörte nicht zu den Rabiaten. Er suchte im Guten mit
-ihnen auszukommen. Die Leute sagen, es sei sogar ein recht gemütliches
-Verhältnis zwischen ihm und den Förstern gewesen. Dennoch
-soll man sein Schicksal nicht herausfordern. So hielt es der Jagder als
-für das Klügste, im Revier weder Berufenen noch Unberufenen unter
-die Augen zu kommen. Wenn auf irgendeinem Waldwege, in irgendeiner
-Schneise das allerletzte Restlein eines Tabakwölkchens hängen
-geblieben war, stieg ihm ein unbehaglicher Verdacht in die Nase.
-Er wurde mißtrauisch wie der Fuchs, dem auf verbotenen Raubzügen
-die Witterung eines Menschen in den Windfang weht und der nun
-seine Vorsicht verdoppelt.</p>
-
-<p>Es wäre schade um den schönen Vorderlader! Sie haben ihn so
-manches Mal vergeblich gesucht&nbsp;…</p>
-
-<p>War es nicht genug, daß sie ihm daheim so und so oft in die Kochtöpfe
-geguckt, Boden und Keller durchsucht und manche Spießerkeule<span class="pagenum" id="Seite_79">[79]</span>
-mit fortgenommen haben? Wenn sie an seinem Häusel vorbeigingen,
-schnupperten sie, obs im niederwehenden Schornsteinrauch nicht nach
-Wilpertbraten duftete. Es war ein ewiges Mißtrauen zwischen ihnen.
-Und so konnten sie sich trotz aller Freundschaft eigentlich gegenseitig
-nicht gut riechen, der Jagder und die Grünen.</p>
-
-<p>Als sie es ihm zu bunt machten, vergrub er das Pökelfaß mit dem
-gesalzenen Wildfleisch säuberlich unter dem Moos eines Dickichts
-draußen im Walde. So fanden sie nichts mehr bei ihm. Aber das
-Pulver blieb trocken. Der Stutzen rostete nicht.</p>
-
-<p>Er prahlte nicht mit seiner Passion. Er machte auch keinen Hehl daraus.
-Sein Sonntagsstaat und Stolz war eine grüne Jägerjoppe mit
-Hirschhornknöpfen und der Schützenhut mit dem Birkhahnspiel hintendrauf.
-Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht&nbsp;…</p>
-
-<p>Die Fensterläden seines Hauses, das sie im Bergstädtchen heute noch
-das Jagderhaus heißen, waren mit bunten Jagdbildern bemalt.
-Wenn ich als Junge am Jagderhaus vorüber mußte, waren diese
-Bilder mein ganzes Entzücken. Ich kenne sie alle noch: Den Schützen
-mit Bergmannskittel und Schachthut, der einen schwarzen Bart hatte
-wie der Jagder selbst, den Schweißhund, den flüchtenden Zwölfer (ha,
-der Stolz!), den Auerhahn. Jeder Fensterladen hatte sein Bild, und
-eins war immer schöner als das andere. Die Leute sagen, der Jagder
-habe die Grünen damit ärgern wollen. Ich glaubs aber nicht. Der
-eine freut sich an einem roten Schlips, der andere an einem armseligen
-Öldruck. Warum soll der Jagder nicht seine Freude an seinen Fensterläden
-gehabt haben? Sie waren sogar ein Stückchen Kunst, und ihr
-Ursprung war eine Liebe. (Wenns auch eine verbotene war.)</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[80]</span></p>
-
-<p>Nun haben sie ihn lange begraben. Sie betten die Toten so, daß
-ihr Antlitz gegen Morgen gewendet ist. Von dorther grüßt den
-toten Jagder der Bergforst aus blauer Höhe. Es war sein liebstes
-Revier. Nichts Schöneres hätte er sich wünschen können, als den
-ewigen Schlaf zu schlafen im Angesicht dieser trotzigen Urwelt, der
-sein Herz gehörte.</p>
-
-<p>Auf dem Hai, das just über die Wälder der Vorberge herschaut,
-starb sein Enkel den Wilderertod.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-080">
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-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[81]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-081">
- <img class="w100" src="images/illu-081.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Leimhus">Leimhus</h2>
-</div>
-
-<p>Der Leimhus führte seinen Namen mit Fug und Recht: Auf seiner
-Hose klebte ein zäher Überzug von Vogelleim. Er hielt auf Reinlichkeit.
-Es wäre nun aber lächerlich gewesen, zum Vogelstellen Seife
-und Handtuch mitzunehmen oder das Taschentuch, wenn er eins<span class="pagenum" id="Seite_82">[82]</span>
-besessen hätte, zu solchen Zwecken zu mißbrauchen. Weil es jedoch unbehaglich
-war, mit zusammengeklebten Fingern hantieren zu müssen,
-wischte er die leimbeschmutzten Hände an der Hose ab. Vogelleim
-trocknet schlecht. Dieser Umstand bedingte einen häufigen Wechsel der
-Wischstellen. Die Hände fühlten schon den Platz heraus, der jeweils
-am Hosenboden oder Hosenbein am trockensten war. So bildete sich
-mit der Zeit eine Pechhaut von bewundernswerter Gleichmäßigkeit
-auf der Hose. Und durch solcherart Imprägnierung bekam sie unschätzbare
-Eigenschaften. Sie zerriß nie, war undurchlässig für Luft
-und Zug, konnte stehen und glänzte wie Leder.</p>
-
-<p>Dies berühmte Beinkleid gab seinem Träger seinen ebenso berühmten
-Namen.</p>
-
-<p>Leimhus war der zünftige Vogelsteller. Er übte diesen dunklen und
-nicht unter dem Schutz des Gesetzes stehenden Beruf hauptamtlich aus.
-Wenn er ein Aushängeschild nötig gehabt hätte, hätte es folgendermaßen
-aussehen müssen:</p>
-
-<div class="blockquot bbox">
-<p class="center"><em class="antiqua">C. LEIMHUS</em></p>
-
-<p class="center"><em class="antiqua">Vogelstellerei und Vogelhandlung.<br />
-Erstklassige Waldvögel, nur prima Sänger.<br />
-Besichtigung frei!</em>
-</p>
-</div>
-
-<p>Ein solches Schild hätte aber zuviel ausgeplaudert. So blieb es klüglicherweise
-ungemalt.</p>
-
-<p>Leimhus hatte seine Mietsstube im Jagderhaus. Der Wildschütz und
-der Vogelsteller paßten gut zueinander in diesem Krähennest, in dem<span class="pagenum" id="Seite_83">[83]</span>
-man noch weniger als anderswo Veranlassung hatte, sich gegenseitig
-die Augen auszuhacken. Das Jagderhaus ist das allerletzte und allerhöchste
-Häusel im Bergstädtchen. Daß Leimhus gerade dort seine
-Behausung auftat, hat er nicht des Himmels Fügung allein überlassen.
-Hier oben war er mit des Herrgotts Vogelgarten in engster
-Fühlung. Wiesen guckten zum Fenster herein. Dazwischen eingestreut
-lagen Kartoffeläcker, auf denen es sich im Herbst wunderschön Stieglitzen
-und Hänflinge stellen ließ. Ganz nahe rauschte der Wald. Man
-konnte das Zeisigsingen dort, den Schlag der Finken und das Jiffen
-ziehender Kreuzschnäbel im Jagderhaus hören. So saß der Leimhus
-mitten im Revier. Und das Schönste an seiner Behausung war, daß
-sie sich herrlich schnell und ohne allzu heiße Sohlen erreichen ließ, wenn
-irgendwo auf grüner Flur die Helmspitze des Landjägers blänkerte
-und die Luft nicht sauber war.</p>
-
-<p>Er hatte die schwärzesten Erfahrungen mit den Hütern der Ordnung
-gemacht. Gendarm und Förster waren seine geschworenen Feinde. Er
-ging ihnen aus dem Wege wie eine Katze, der böse Buben den Schwanz
-geklemmt haben. Beim Vogelstellen hatte er seine liebe Not, auf
-Stellbusch und Leimruten zu achten und gleichzeitig Umschau zu halten
-nach Störenfrieden in hellgrüner oder dunkelgrüner Uniform. Sie
-hetzten ihn. Sie nahmen ihm die Lockvögel fort. Sie waren Schuld
-daran, daß er mit grausamer Regelmäßigkeit Jahr um Jahr vor das
-Schöffengericht mußte »wegen unerlaubten Vogelstellens im Rückfalle«.
-Dann sahen ihn die Bergstadtleute für ein paar Wochen nicht.
-Es blieb aber nicht immer bei Wochen. Als er damals einen harmlosen
-Quäker als Nachtigall verkaufte, kams schlimmer. Der Amtsrichter<span class="pagenum" id="Seite_84">[84]</span>
-zeigte keinerlei Verständnis für Leimhusens Großzügigkeit und
-diktierte ihm im Namen des Gesetzes einen langen Urlaub von Leimbüchsel
-und Jagderhaus.</p>
-
-<p>Des alten Sünders schwarzes Gewissen ward durch die aufgezwungene
-Muße nicht weißer. Als er heimkehrte, legte er sich auf die Kunstfertigkeit,
-aus wertlosen Zeisigweibchen gutbezahlte Zeisigmännchen
-zu machen. Dieser Gedanke war so großartig wie einträglich. Seine
-Ausführung erreichte er auf einfachste Weise: er träufelte ein wenig
-Leinöl auf die Unterseite einer Bratpfanne, verrieb das Öl mit dem
-an der Pfanne haftenden Ruß und strich mit der Fingerspitze der
-Zeisigsie ein kunstgerechtes schwarzes Plättchen über den Kopf. Durch
-diesen Schmuck ihrer männlichen Artgenossen lernten freilich die Zeisigweibchen
-das Singen noch lange nicht. Aber sie gaben ihren Besitzer
-einer angenehmen Täuschung hin.</p>
-
-<p>Nun ist jedoch ein Zeisig ein ehrliches Waldkind. Er läßt sich auf die
-Dauer nicht mit fremden Federn schmücken. So hielt das künstliche
-Plättchen längstens bis zur nächsten Mauserung. Es wuchs wieder
-ein bescheidenes graues Grün über die Stirn des Zeisigweibchens.
-Manchem Käufer ging alsdann ein ahnungsvolles Lichtlein auf.
-Die Gutgläubigen freilich haben das Leimhusensche Kunststück nicht
-begriffen. Es war auf längere Sicht bemessen und immerhin dauerhafter
-als ein anderes, das er mit einer Gimpelsie anstellte. Die
-Gimpelsie sollte ein Gimpelhahn werden. Leimhus malte ihr eine
-wunderschöne kardinalrote Brust an. Der Herrgott im Paradies hätte es
-nicht besser machen können. Der Käufer der Dompfäffin aber war unbarmherzig
-genug, den Vogel eines Tages im Regen stehen zu lassen.<span class="pagenum" id="Seite_85">[85]</span>
-Der Regen wusch den roten Kardinal wieder grau. Die Kunstfertigkeit
-ging zuschanden, &ndash; und des Leimhus Sündenbündel war voll.</p>
-
-<p>Hinterher hat er nur wieder zu Pinsel und Farbtopf gegriffen, wenn
-er daheim in seiner Stube hockte und Vogelhäusel anstrich.</p>
-
-<p>Seine Stube war eine lebendige Vogelhecke voll Flispern und Flattern.
-In ihr gediehen außer acht Menschlein ein halbes hundert Waldvögel.
-Tat man die Tür auf, blaffte dem Eintretenden ein greifbar
-dicker Dunst entgegen. Einen Augenblick blieb man im Zweifel, ob
-man zuerst über die Luft staunen oder aber den Lärm bewundern
-sollte, der mit gleicher Ungeheuerlichkeit aus Leimhusens Bude drang.
-Das war ein Gedüdel und Trätschen, Zwitschern, Pfeifen, Flöten,
-als wenn alle Vögel des Bergwaldes zum Wettbewerb angetreten
-seien. Und war doch weiter nichts als Verzweiflung, Sehnsucht und
-Leid. Eine menschliche Unterhaltung konnte in dem wirren Durcheinander
-nur auf geräuschvolle Weise geschehen. Wer draußen vorüberging
-und das Prahlen und Belfern in der Vogelbude hörte, mochte
-meinen, es entlüde sich dort ein häusliches Gewitter. Das war durchaus
-nicht immer der Fall. Es ist nicht leicht, sich harmlos zu unterhalten,
-wenn fünfzig Vogelkehlen dareinreden.</p>
-
-<p>Alle die Stimmen, die dort aus Drahtkäfigen und Holzbauern sich
-ein Wörtlein mitzusprechen erlaubten, konnten sich hören lassen. Es
-waren nicht die Schlechtesten, die Leimhus in Kost und Unterkunft
-behielt. Jeder Waldsänger, der unter seine Botmäßigkeit geriet, wurde
-auf Herz und Nieren geprüft. Leimhus führte über seine Gäste ungeschrieben
-Buch. Eine Art Wertliste, in der jeder nach Kunst und
-Gaben seinen Platz angewiesen bekam. Wer auf dieser Wertliste zu<span class="pagenum" id="Seite_86">[86]</span>
-unterst stand, stand auf der Verkaufsliste sicherlich zu oberst. Dies
-Verfahren wich zwar erheblich von ehrsamen Geschäftsgrundsätzen
-ab. Aber Vogelsteller haben ihre eigene Moral, und Leimhus hatte
-die allereigenste. Er machte es umgekehrt wie die Schuster, die die
-schlechtesten Stiefel für sich behalten.</p>
-
-<p>Zu seiner Ehrenrettung soll jedoch gesagt sein, daß es leichter ist, mit
-Bedacht ein paar gute Stiefel herzurichten, als es dem Zufall überlassen
-zu müssen, ob einem gute oder schlechte Vögel auf die Leimrute
-flattern.</p>
-
-<p>Mit dem Wörtlein gut oder schlecht waren Leimhusens Urteile indes
-nicht abgeschlossen. Seine Ohren hörten unendlich fein und waren
-strenge Kritiker. Der Außenstehende hatte Mühe, in die Mysterien
-des Vogelsangs einzudringen und all die kniffligen Unterschiede zu
-begreifen, die der Vogelsteller beachtete. Wenn dem Laien aus
-Baumesgrün herab ein Fink zujubelt, freut er sich darüber und sagt:
-Hört doch den Finken an! &ndash; weil er gemeinhin nur eine Art von Finken
-kennt. Leimhus dagegen hätte sogleich die Ohren gespitzt. Und sogleich
-wäre auch das Finklein säuberlich in die ihm gebührende Rangordnung
-eingefügt worden. Denn bei Leimhus hatte die Gattung
-Buchfink im Gegensatz zu allen Naturforschern der Welt mindestens
-sechs Unterarten. Er schied sie reinlich danach auseinander, ob ihnen
-der Herrgott einen Schlag mehr oder weniger, grober, feiner, heller,
-dunkler, dünner oder voller in das Kehlköpflein gelegt hatte.</p>
-
-<p>Da war zunächst der König unter den Finken, der Reiterjakzieher
-oder Reiterfexier. Er führte auch den stolzen Namen Rollreiter. Sein
-Schlag war Schmettern und Rollen: zizizirrrrrreiterjakjakjakzirkel!<span class="pagenum" id="Seite_87">[87]</span>
-Er konnte die Finkennarren im Harzheimatland um die Ruhe bringen.
-Um seinetwillen vergaßen sie Essen, Trinken und Schlafen.</p>
-
-<p>Dem Rollreiter folgte in der Rangordnung der kleine Weide. Er
-trug sein Verslein zierlich und manierlich vor: widdewiddewiddedadadaweitakel!</p>
-
-<p>Dann kam der grobe Weide: üüüschorschorweitakel!</p>
-
-<p>Und der Buschgefärr: zizizibuschgefärr!</p>
-
-<p>Diese vier waren in den Augen des Vogelstellers der Beachtung wert.
-Was dann aber aus der Gattung Fink etwa noch sang: ziziziquatschmarakel!
-oder: latschlatschlatschzwetschenkern! oder: üsüsüsjebzwiakel!
-oder: ziziziweinzieher! &ndash; das alles war minderwertig und kam unter
-die anrüchige Rubrik: Latscher.</p>
-
-<p>Auch die Kreuzschnäbel waren nicht alle in die gleiche Gesangsschule
-gegangen: Ripp-ripp-ripp! machte der Ripper, ein helles Kliff-kliff-kliff!
-der Kliffer. Der beste Lockvogel unter ihnen war der Klitscher:
-Klitsch-klitsch-klitsch!</p>
-
-<p>In solcher Art war alles, was an Finken und Grünitzern, Zeisigen,
-Rotkehlchen, Hänflingen, Stieglitzen, Gimpeln, Zwunschen, Quäkern,
-Zetschern und Lessigen in Leimhusens Vogelbude hing, nach Klasse
-und Rasse und Rassigkeit wohlgeordnet und unterschieden.</p>
-
-<p>Ihrer Wertordnung entsprechend war auch das Verhältnis, das Leimhus
-zu jedem einzelnen seiner Pflegebefohlenen einnahm. Wenn er
-die Futtertüten aus der Ecke holte und mit zerbeultem Zinnlöffel dem
-einen Mohn, dem anderen Rübsamen ins Näpfchen schüttete, hatte
-er für alle ein Wörtlein bei der Hand. Diese einseitig geführte Zwiesprache
-war nicht immer freundlich. Manchmal lag eine Art rauher<span class="pagenum" id="Seite_88">[88]</span>
-Herzlichkeit darin, sprang auch wohl ein Fünklein Seele hinein. Sie
-wurde um so wärmer, je mehr der kleine Sänger das Wohlwollen
-seines Brotherrn besaß.</p>
-
-<p>Kumm, Hansel! Host schien gesunga. &ndash; Un du, Kläner, host gestern fein
-gelockt, &ndash; heite kriegste än Happen meh’! &ndash; Na, du nacketer Zessig?
-Singe witte net, oder frassen immerzu. &ndash; Wos saht denn nu äner zu
-dissen Haneflig! Hot wieder dos ganse teire Futter verorzt. Wart,
-Jerrich, dich will ich Moses larna! Heite gitts nischt!</p>
-
-<p>So ließ er Sonne scheinen über die Gerechten und Donner poltern
-über die Ungerechten.</p>
-
-<p>Nach dem Füttern ward die bunte Schar nach draußen gehängt. Dann
-bekam jedes Fenster eine Umrahmung voll Farbe und Musik und
-hüpfenden Lebens. Sie verrieten die »Firma«. Leimhus brauchte
-ein Aushängeschild wirklich nicht. Ein werbenderes hätte sich auch
-schlecht denken lassen. Man sah nicht nur, daß es im Jagderhaus
-zweifellos Vögel zu kaufen gab. Gelegentlich konnte der Vorübergehende,
-wenn auch nicht sehr augenfällig, bemerken, daß der Vogelsteller
-auf Ergänzung seines Bestandes bedacht war. Hier und dort
-staken wie harmlose Zierate Leimruten an den Käfigen.</p>
-
-<p>Das war freilich nur geringfügiger Nebenbetrieb. Leimhusens hohe
-Zeit kam, wenn im Herbst die Vögel zu ziehen begannen.</p>
-
-<p>Das Herannahen des Vogelzuges war sozusagen zu riechen, &ndash; das
-heißt, wenn einer in der Nähe des Jagderhauses wohnte. Zu pünktlicher
-Zeit traf Leimhus seine Vorbereitungen. Auf seinem Herd
-bruzzelte ein Eisentopf voll Leinöl. Das stinkende Räuchlein, das
-sich darüber bildete und zu Schornstein und Hintertür hinausstrebte,<span class="pagenum" id="Seite_89">[89]</span>
-war schlechterdings von keiner Nase unbemerkt zu lassen. Dann
-schnupperten die Nachbarsleute, und über ihr Gesicht ging ein verständnisinniges
-Lächeln. Leimhus indes stand vor dem Herd und
-rührte und probierte und kochte so lange, bis das dünne Öl zum zähen
-Vogelleim zusammengeschmurgelt war. Er entnahm ihm mit einem
-Span eine Probe, prüfte sie sachgemäß zwischen zwei Fingern und
-verwahrte den klebrigen Klumpen im Leimbüchsel.</p>
-
-<p>Mit dem Leimkochen aber waren die Vorbereitungen zum Vogelfangen
-nicht erschöpft. Der Leimrutenvorrat mußte ergänzt werden.
-Dünne Salweidenruten wurden geholt, geschält und angespitzt, damit
-sie sich in die Dietle stecken ließen. Die Dietle waren Endchen von
-Himbeerzweigen, die wegen ihres weichen Marks als Hülse dienten
-und das Verbindungsstück zwischen Leimrute und Dorre herstellten.
-Dorre, so hieß der Stellbusch und war weiter nichts als ein dürres
-Buchen- oder Weidenbüschlein. Aber die Dorre war sperrig und verräterisch.
-Viel einfacher und unauffälliger war die Klatte. Eine
-Klatte sah ganz harmlos aus:</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-089a">
- <img src="images/illu-089a.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Aber wenn sie aufgestellt
-und verbrämt war,
-ward sie zum Teufelswerkzeug:</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-089b">
- <img src="images/illu-089b.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Wenn die Zugzeit begann, war Leimhus wohl vorbereitet. Früh, wenn
-im Bergstädtchen noch alles schlief, stand er auf und nahm Witterung.<span class="pagenum" id="Seite_90">[90]</span>
-Schwamm Nebel über Wald und Wiesen und wehte der Wind aus
-Westen, schmunzelte er. Die Aussichten waren günstig. Er tappte in die
-Vogelbude zurück. Auch dort schlief noch alles. Nur der Kernbeißer
-war wach und warnte mit mißtrauischem hsp! hsp! Unsanft wurden
-die Lockvögel vom Nagel genommen und in Rucksack, Handkoffer oder
-sonst ein wenig verräterisches Behältnis getan. Ehe der Morgen
-graute, standen Lockvögel und Stellbüsche an ihrem Ort. Leimhus
-verzog sich in den Hintergrund.</p>
-
-<p>Im Aufstellen der Fanggeräte war er kein Pfuscher. Er verfügte
-über das nötige Pfündlein Erfahrung und wußte, daß Zeisige,
-Kreuzschnäbel und Dompfaffen nicht auf die niedrigstehende Dorre
-flogen. Deshalb wurden Klatte oder Dorre an eine Stange gebunden
-und hoch aufgerichtet. (Doch nicht zu hoch, die Feldpolizei hatte
-gute Augen!)</p>
-
-<p>Stieglitze und Hänflinge dagegen flogen gern zur Erde. Für sie blieb
-das Stellbüschlein, wohl gespickt mit Leimruten, am Boden stehen.
-Der Lockvogel stand daneben. Er sang sich das Leid und die Sehnsucht
-nach Freiheit aus der Brust. Sein Ruf ward vielen seiner Genossen
-zum Verderben. Was an Leimhusens Leimruten hing, war
-ihm verfallen. Die Gefangenen wurden herabgenommen und in den
-Brotbeutel gesteckt. Damit war ihr Los entschieden: ade Wald,
-Sonne, Freiheit! Fortan spann sich ihr Leben ab auf zwei armseligen
-Sprunghölzchen. Ein enger Käfig voll Schmutz und Ungeziefer war
-ihre Welt. Die Schwingen, fröhlichen Flug gewohnt durch Luft und
-Wälderweite, flatterten sich am Käfiggitter blutig. Das Gefangensein
-wurde langsame und grausame Hinmarterung.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_91">[91]</span></p>
-
-<p>Viele freilich zogen das bessere Los und starben, ehe sie noch der
-Vogelsteller daheim aus dem Brotbeutel nahm. Ungezählt viele, die
-der Herrgott schuf dem Wald zur Lust und <em class="gesperrt">allen</em> Menschen zur Freude.
-Sie wurden Opfer der Tücken eines Herzlosen.</p>
-
-<p>Ob die kleinen Toten ihn nicht wie eine furchtbare Anklage umschwirrt
-haben, als auch dem Leimhus sein Stündchen schlug? Ob
-das Gewissen lebendig wurde, als das Leben sterben wollte?</p>
-
-<p>Irgendwo in der Fremde ist er verkommen. Unstät, heimatlos. Im
-Bergstädtchen wußte keiner, wo er geblieben war. Saß er im Gefängnis?
-Zog er mit der Vogelkiepe durchs Land?</p>
-
-<p>Derweilen sie sich noch die Köpfe zerbrachen, pilgerte seine Seele
-dunkle Pfade, die nicht heimkehren ins Jagderhaus. Er drehte keine
-Leimruten mehr auf. Nahm auch keine mehr zwischen seine Zähne
-und zog mit dem Schuhriemen den Leim wieder von den Ruten.
-Seine Lippen spitzten sich nicht mehr zum Lockpfiff.</p>
-
-<p>Als er vor die Himmelpforte kam, hat ihn der Herrgott jämmerlich
-an beiden Ohren gezaust.</p>
-
-<div class="figcenter illowp30" id="illu-091">
- <img class="w100" src="images/illu-091.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_92">[92]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Der_Suenderwinkel">Der Sünderwinkel</h2>
-</div>
-
-<p>Der liebe Gott kann nicht gegen sein gütiges Herz. Er müßte ja sonst
-nicht der liebe Gott sein. Und so kam Leimhus trotz seines umfangreichen
-Sündenregisters schließlich doch in den Himmel.</p>
-
-<p>Aber der Himmelsvater mochte ihn nicht gerade im Allerheiligsten
-behalten. Er ließ ihm abseits ein Plätzlein anweisen, das für den
-alten Sünder würdig genug erschien. Leimhus kam in die Ecke, wo
-Frevler ähnlichen Schlages der Läuterung unterzogen wurden und
-warten mußten, bis sie zu richtigen Engeln wurden. Damit hatte es
-bei vielen sehr lange Weile.</p>
-
-<p>Gewissermaßen als Sündenspiegel war über der Pforte zu jenem
-schwarzen Winkel ein Schildlein angebracht. Und darauf stand zu lesen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Fischefangen und Vogelstelln</div>
- <div class="verse indent0">Verdarb schon manchen Junggeselln.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Es waren aber nicht nur Vogelsteller und Forellenstecher dort. Holzdiebe,
-Finkenblender, Dohnensteller und Wildschützen machten die
-Runde voll. Und es traf sich, daß der Leimhus viele bekannte Gesichter
-aus dem Harzheimatland dort wiedersah. Als ob der Herrgott eigens für
-die oberharzischen Sünder einen besonderen Raum geschaffen hätte.
-Das war auch so. Und damit hatte es folgende Bewandtnis: Der liebe<span class="pagenum" id="Seite_93">[93]</span>
-Gott hatte sie zuerst alle recht schief und böse angeguckt, als sie oben
-um Einlaß baten. Aber da er einsah, daß er eigentlich selbst Schuld
-war an ihren Vergehen, indem er sie unten auf der Erde in ein so verführerisches
-Stücklein Natur setzte, in welchem allenthalben die Hirsche
-springen und Vögel singen und der Wald wächst und in den Bächen
-die Forellen schnappen, &ndash; indem der Himmelsvater solcherlei Betrachtungen
-anstellte, drückte er ein Auge zu und hieß sie eintreten.</p>
-
-<p>Er argwöhnte jedoch, sich mit den genannten Menschenkindern sozusagen
-Läuse in den Pelz zu setzen. Und da er ihren verderblichen Einfluß
-auf die übrigen Himmelsbewohner fürchtete, schuf er jene Ecke
-für die Waldsünder aus dem Harzheimatland.</p>
-
-<p>Daß gemeinhin nur solche Landsleute in diesem Winkel aufgenommen
-wurden, hätte einer nicht nur aus dem bedenklichen Eingangsschild
-schließen können. Wenn er genau zusah, konnte er unter dem Spruch
-noch ein handschriftlich hinzugefügtes Sprüchlein entdecken. Das hieß
-folgendermaßen:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Es krine die Danne,</div>
- <div class="verse indent0">Es waxe das Aehrz,</div>
- <div class="verse indent0">Gott schenke Uns alle</div>
- <div class="verse indent0">Ein frehliges Hertz.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Der liebe Gott hatte zuerst wieder über diese Schmiererei schelten
-wollen. Doch dann lächelte er. Und er dachte: Ein feines Sprüchlein
-haben sie sich ausgesucht. Es liegt Heimatstolz und Heimatliebe darin.
-Sie ehren die Gaben, die du ihrer Heimat zudachtest. Und sie bitten
-um das Beste, das du Menschen schenken kannst: ein fröhliches Herz.
-Welche Lebensweisheit! Nicht Gut und Geld wünschen sie. Sie sind<span class="pagenum" id="Seite_94">[94]</span>
-zufrieden mit dem Segen ihrer Berge und finden ihr Glück in der
-Fröhlichkeit des Herzens.</p>
-
-<p>So dachte der liebe Gott und ließ das Sprüchlein bestehen. Und da
-er kein Kleinigkeitskrämer ist und nur das Herz ansieht, stieß er sich
-auch nicht an der mangelhaften Rechtschreibung. Der den Wahlspruch
-einstmals in einer Heimwehstunde hinkritzelte, hatte zu seinen Lebzeiten
-nur alle Sonnabende die Pochjungenschule besuchen können und wußte
-mit der Spitzhacke besser Bescheid denn mit der Feder. Er wollte kein
-Kunstwerk malen: nur seine Liebe ausschütten, wie sie in der Sprache
-der Heimat über seine Lippen kam.</p>
-
-<p>Der Sünderwinkel war vom Herrgott nicht als Verdammungsort gedacht.
-Er sollte eine Läuterungsklause sein. Nicht alle, die hier ihren
-Platz angewiesen bekamen, blieben darin. Nur die Hartgesottensten
-waren seßhaft. Da die Ecke aber nie leer wurde, tuschelte man im
-ganzen Himmel, jeder geborene Oberharzer müsse zu seinen Lebzeiten
-entweder Wildschütz, Holzfrevler, Fischdieb oder Vogelsteller gewesen
-sein. Manche alles das zusammen.</p>
-
-<p>Leimhus hoffte, im Sünderwinkel auch seinen alten Hausgenossen
-Jagder anzutreffen. Aber der Jagder befand sich bereits in einer geweihteren
-Ecke, die dem Allerheiligsten schon näher lag. Er hatte dort
-mit vielen anderen Invaliden, die einstmals als Zeichen Schlägel und
-Eisen oder die Wolfsangel führten, ein geruhsames Feierabendstüblein
-inne.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-095">
- <img class="w100" src="images/illu-095.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>So mußte sich Leimhus in dem übriggebliebenen Kreis umtun. Er
-hielt sich zu denen, die auf der Erde selten das Vaterunser gebetet haben
-und denen trotz ihres jetzigen himmlischen Aufenthalts immer noch kein<span class="pagenum" id="Seite_96">[96]</span>
-Heiligenschein wachsen wollte. Man sollte es nicht für möglich halten,
-welch’ stattliche Zahl alter Knaben dort sitzen geblieben waren. Ein
-Schuster hockte dort, der vor Zeiten das traurige Geschäft des Finkenblendens
-im Bergstädtchen zu besorgen hatte. Sogar ein paar Schnapphähne
-aus dem Dreißigjährigen Kriege räkelten sich da noch herum.
-Sie wollten Angehörige des ehrsamen Fähnleins der Harzschützen
-gewesen sein, hatten aber in ihrem Heimatland genotzüchtigt und gebrandschatzt
-wie die Tillyschen selbst. Das hat ihnen der Herrgott
-arg ins Kerbholz geschnitten. Denn wer seine Heimat nicht lieb hat
-oder ihr gar Schaden zufügt, verdient keine Gnade.</p>
-
-<p>Dieser anrüchigen Runde also ward Leimhus zugewiesen.</p>
-
-<p>Glickauf, sagte er und trat ein.</p>
-
-<p>Als er das anzügliche Schild über dem Sünderwinkelspförtlein gelesen
-hatte, vermutete er, an den richtigen Ort geraten zu sein. Dennoch
-fragte er verlegen: Kumm ich hier racht? Dr liewe Gott hot mich
-hierhar beordert. Ich hääß Leimhus. Net von Rachts wahng. Aber
-mich hahnse unten su getääft.</p>
-
-<p>Herrejeses! Do is ju dr Leimhus! &ndash; riefs ihm aus der Runde entgegen.
-Kumm mant rein. Dis is die Bucht for die Ewerharzer. Du
-host grod noch drinne gefahlt! Ober dos Vugelbauer loß mant draußen.
-Zessing un Haneflige warn in Himmel net geschtellt!</p>
-
-<p>Un ahch käne Gimpels rut ahngeschtrichen! stichelte einer. Jetzt erst
-bemerkte Leimhus, daß er richtig noch einen Käfig in der Hand hielt.
-Er stellte ihn an der Pforte nieder und ward, ehe er die vielen Bekannten
-mit Handschlag begrüßen konnte, am Eingang von einem eisgrauen
-Männlein zurückgehalten. Das war ein Stadtschreiber gewesen.<span class="pagenum" id="Seite_97">[97]</span>
-Der veruntreute vor langer Zeit im Bergstädtchen Witwengelder.
-Dieser schändlichen Sünde wegen hatte er schon mehrere Menschenalter
-lang ruhelos auf Erden umgehen müssen. Die Bergstadtleute
-erzählten sich gruselige Geschichten von ihm. Nun aber bekleidete er
-seit ein paar hundert Jahren den Posten eines Pförtners im Sünderwinkel.
-Er zählte auch zu denen, denen es nicht gelang, eine Stufe
-im Himmel höherzurücken. Zu seinen Obliegenheiten gehörte es, das
-Wer und Woher aller derer zu buchen, die in den Sünderwinkel verdammt
-wurden. Leimhus gab auf alle Fragen rechtschaffen Antwort.
-Als der Stadtschreiber aber fragte: Vorstrafen? da hatte Leimhus
-leider nicht so viel Finger an den Händen, um die richtige Zahl nennen
-zu können. Das Stadtschreiberlein mit dem weiten Gewissen merkte
-die Verlegenheit des Sünders, steckte den Federkiel hinter die Ohren
-und ließ den Neuankömmling eintreten, ohne alle Spalten in seinem
-Lebensbuch vorschriftsmäßig auszufüllen.</p>
-
-<p>So zog Leimhus beglückt ein in das Gefilde der Halbseligen, froh,
-endlich zur Ruhe gekommen zu sein. Es war peinlich gewesen, mit
-schwarzer Seele zwischen allen Heiligen und Seligen hindurch den
-Weg in diese Ecke suchen zu müssen. Und ausgerechnet mußte er auch
-den Vogelkäfig in der Hand behalten haben! Nun verstand er erst,
-weshalb die Engelsbuben so hinter ihm hergekichert hatten.</p>
-
-<p>Er argwöhnte nichts hinter diesem Lachen, weil er ganz in Gedanken
-und Träumen versunken war. Während er auf verschlungenen Himmelspfaden
-dahinschlenderte, hatte er nämlich Betrachtungen darüber angestellt,
-von welcher Art von Vögeln die Engel alle ihre Flügel hergeliehen
-hätten. Mit wehmütiger Freude erkannte er Finken- und Stieglitzenflügel,<span class="pagenum" id="Seite_98">[98]</span>
-solche von Drosseln, Krammetsvögeln, Kreuzschnäbeln, Zeisigen
-und Bachstelzen. Er sah Hägerflügel, Ringeltaubenflügel, Bussardflügel
-und Flügel vom Taubenkrümmer. Die Engelsbuben trugen
-meist Zaunkönigsflügel oder grüne und blaue vom Blaumüllerle. Just
-als Leimhus ein paar wunderschöne Seidenschwanzfittiche bewundern
-wollte, war er am Ziel seiner Pilgerfahrt.</p>
-
-<p>Er wurde in der neuen Umgebung schnell warm. Die Geistesverwandten
-sonderten sich ab und hockten zusammen. Es waren alle diejenigen,
-denen es in den Augen flackert und die man im Harzheimatland
-»Fatzen« oder »schlachter Dingerich« zu benennen pflegte. Es
-begann eine kurzweilige Unterhaltung unter ihnen. Sie tauschten ihre
-Erinnerungen aus. Jeder hatte davon ein mehr oder minder volles
-und mehr oder minder schwarzes Sündenköfferlein bei der Hand. Man
-kann nicht sagen, daß es himmlische Reden gewesen wären, die da
-geführt wurden. Um jedoch nicht ungebührlich zu erscheinen, geschah
-jede Unterhaltung im Flüsterton. Und wenn sie lachten oder feixten,
-steckten sie aus dem gleichen Grunde die Köpfe unter den Tisch. Das
-taten sie nun recht häufig, wie es von verstockten Sündern nicht anders
-zu erwarten ist. Sie hatten ihre erdenhafte Art noch nicht abgestreift.
-Der alte Adam in ihnen kehrte sich immer wieder heraus. Dann
-flogen ihre Gedanken ins Harzheimatland hinab. Ach, wenn sie hätten
-hinterherspringen können! Die himmlischen Ambrosiawölklein wandelten
-sich ihnen zu Harz- und Fichtennadeldüften. Sie zogen sie in
-durstigen Zügen ein. Das Bergmenschenblut wurde warm. Ihre Augen
-blitzten, und jeder erzählte von seinen erlaubten oder unerlaubten
-irdischen Abenteuern, prahlte mit Streichen und Schabernäcken, Boshaftigkeiten,<span class="pagenum" id="Seite_99">[99]</span>
-Schlechtigkeiten, Tücken und just mit allem, was auf der
-Erde nicht hätte laut werden dürfen, geschweige denn im Himmel.
-Sie logen, daß sich im Harzheimatwald die Fichten bogen. Einem
-Trumpf folgte immer ein noch besserer. Der Herrgott hatte schon die
-Richtigen in den Sünderwinkel geschickt!</p>
-
-<p>Schließlich war die Reihe an Leimhus, aus dem Kistlein seiner Erinnerungen
-auszupacken. Vom Vogelstellen im allgemeinen zu hören,
-war seinen Himmelskumpanen zu langweilig. Sie hatten diese Kunst
-mehr oder weniger alle geübt. Sie wollten es auch nicht glauben,
-daß Leimhus an einem Morgen zweihundert Zetscher gefangen und
-acht Tage weiter nichts als Zetscher gegessen habe. Er schlug seine
-Zuhörer erst wieder in Bann, als er vom Finkenfang erzählte.</p>
-
-<p>Härt zu, begann er.</p>
-
-<p>Nun hatten aber viele der Sünderwinkelsleute schandbarerweise ihre
-oberharzische Sprache verlernt. Zudem wird im Himmel gemeinhin
-nur Hochdeutsch gesprochen, weil das nicht so grob klingt. Und so fuhr
-Leimhus fort: Hört zu! (Das ö fiel ihm sehr schwer!)</p>
-
-<p>Was Ihr alles vorgebracht habt, ist schön. Ich glaube Euch aber nur
-die Hälfte. Ihr meint, Finkenfangen wäre eine leichte Sache. Ihr
-irrt Euch. Jedenfalls ist es leichter, einer Wittfrau sechs Meter Holz
-zu stehlen oder den Schießer in der Grube um ein Paket Dynamitpatronen
-zu betrügen. Und mit Dynamit zu fischen, ist eine Gemeinheit
-und keine Kunst. Schwerer ist es schon, dem Oberförster die
-Forellen vor der Haustür wegzufangen. Ist aber auch kein Kunststück.
-Und ein Stück Wilpert schießen und hinterher drei Meineide schwören,
-auch nicht. Wenn aber einer im Wald einen guten Finken ausgemacht<span class="pagenum" id="Seite_100">[100]</span>
-hat und ganz genau diesen bestimmten Finken und keinen beliebigen
-andern auf die Leimrute bringt, &ndash; ich sage Euch, wer das fertigbringt,
-der kann was.</p>
-
-<p>Und nun begann Leimhus vom »Finkenstandern« und von den Finessen
-des Finkenfangs zu erzählen. Er mußte dabei notwendigerweise von
-einigen teuflischen Tierquälereien berichten. Aber er kam mit seiner
-Erzählung nicht zu Ende. Man war im Sünderwinkel belauscht
-worden. Dem Leimhus blieb das Wort im Munde stecken: der himmlische
-Ordnungshüter trat herein. Der Finkensteller verbarg das Gesicht.
-Ausgerechnet er mußte wieder als Sündenbock entlarvt werden. Als
-wenn ihn das Mißgeschick auch im Himmel verfolgte! Er war froh,
-nicht die allerschlechtesten Schlechtigkeiten ausgekramt zu haben. Eine
-Strafverfügung kam allerdings doch:</p>
-
-<p>Der weiland Vogelsteller Leimhus wird verurteilt, zur Sühnung sündiger
-Taten und behufs endlicher Besserung bis auf Widerruf wie ein
-Lockfink an einen Pfahl gebunden zu werden.</p>
-
-<p>Seitdem ists im Sünderwinkel sehr still und sittsam geworden. Und
-mit dem Finkenfang im Harzheimatland ists auch nichts mehr. Die
-Vogelsteller fürchten, im Himmel Leimhusens Verdammnis teilen
-zu müssen. &ndash; Die Finken aber singen seither viel lustiger.</p>
-
-<div class="figcenter illowp30" id="illu-100">
- <img class="w100" src="images/illu-100.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[101]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-101">
- <img class="w100" src="images/illu-101.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Die_Bergbachkoenigin">Die Bergbachkönigin</h2>
-</div>
-
-<p>Es muß einer schon Märchenaugen haben, wenn er ihr heimliches
-Krönlein sehen will. Aber soviel sieht jeder doch, daß sie ein königliches
-Kleid anhat: welcher Fisch im Bergbach auf und ab hat so schöne
-rote und orangegelbe Punkte auf dem Schuppenleib! Und so himmelblaue
-Ringe! &ndash; Das Rotfederle schmückt sich zum Hochzeitszug wohl
-mit roten Brustflossen und das Elritzel hat einen silbernen Bauch. Der
-Rotzkopf mit dem dicken Kopf und dem breiten Maul hat außer den
-goldenen Augen eigentlich nichts an Schönem, womit er prunken könnte,
-und der stille Schlammbeißer im Mühlengraben auch nicht viel: an
-die Schönheit der Bergbachkönigin reicht keines heran.</p>
-
-<p>Als noch der Dottersack an ihr baumelte, war sie ein unbeholfenes
-Forellenkind, das mucksstill in der Uferhöhle eines Murmelwässerleins
-lag. Es war dunkel in dieser Kinderstube. Das bißchen Tageslicht,
-das sich dort hinein verlor, mußte sich durch Fichtendämmerung und<span class="pagenum" id="Seite_102">[102]</span>
-einen Vorhang von herabhängenden welken Wurmfarnwedeln und
-Rispensträhnen hindurchstehlen. Das Wurzelgewirr einer Fichte griff
-tief in die Höhle hinab und krallte mit hundert Fingern Kiesel und
-Geröll fest. Das gab schützenden Halt, wenn die Schneewasser kamen
-und das Dotterkindchen mitnehmen wollten. Seine Mutter hatte die
-Kinderstube mit Klugheit und Fürsorge ausgesucht.</p>
-
-<p>Als das Nesthäkchen einen langen dunklen Winter lang so in der
-Höhle gelegen hatte und Wurmfarn und Rispen wieder grün wurden,
-fiel sein unbehilflicher Dottersack ab. Mit diesem Ereignis begann
-ihr Leben. Sie war ein flinkes Forellenprinzeßlein geworden, das
-flugs auszog, sich die Welt zu besehen. Es war lustig, sich zwischen
-Steinen und Geröll zu tummeln. Oder im ruhigen Wasser zu stehen,
-sich von Sonnengeflimmer überfluten zu lassen und nach winzigen
-Mücken zu schnappen! Und das hatte sie schnell gelernt.</p>
-
-<p>Aber sie brachte nicht nur den richtigen Forellenhunger aus der Kinderstube
-mit. Sie kam bald hinter alle die kleinen Schliche und Kniffe,
-die eine Forelle kennen muß. Sie merkte, daß unruhige Wasser schlechte
-Sicht nach oben gewähren und den Flossen viel Arbeit machen. Sie
-war schon eingeweiht darin, daß ein sich bewegendes Etwas am Bach
-selten etwas Gutes bedeutete und man gut tat, sich zu verstecken. Sie
-wußte, daß Steine wohl Schutz boten, die Uferhöhle aber besseren
-gewährte. Sie konnte sich im Falle der Not auch schon richtig drücken,
-an einen Stein klemmen oder in eine Felsspalte und mit gekrümmtem
-Schwanz unbeweglich verharren, als ob sie ein zufälliges Stück vom
-Bachboden oder ein Bröcklein Tannenast war. Aber auch das wußte
-sie bald, daß der allerletzte Ausweg aus aller Bedrängnis immer der<span class="pagenum" id="Seite_103">[103]</span>
-lebendige Strudel war, in den kein Harzjunge, kein Eisvogel und keine
-Wasseramsel hinabschauen konnte.</p>
-
-<p>Sie hat sie alle kennengelernt und ihretwegen Reißaus genommen
-hundertmal bachauf und bachab.</p>
-
-<p>Ein paar Sommer lang ist das Prinzeßlein dem Quellwässerchen treu
-geblieben. Dann wurde es größer. Der Hunger wuchs auch, und es
-zog hinab zum rauschenden Wildbach. In einem schwarzen Wasserloch
-fand es ein herrliches Jagdrevier. Das Wurzeldach einer Wetterfichte
-schattete darüber. Und so tief war die Höhle darunter, daß auch
-der längste Arm eines Wildfischers nicht hineinreichen konnte.</p>
-
-<p>In dem Loch kam das Bergwasser zur Ruhe, hielt einen Augenblick
-inne, um Atem zu schöpfen vor der rastlosen Weiterfahrt. Dort wuchs
-das Prinzeßlein zur Königin heran. Sie verbarg sich unter dem Wurzeldach,
-lauernd, ob nicht das Wasser eine zappelnde Fliege hertrüge, eine
-Spinne, einen ringelnden Wurm, ein verunglücktes Waldkäferlein
-oder gar einen vorwitzigen Frosch. Ratsch &ndash; ratsch gings dann, das
-Wasser schlug einen schnellen, gurgelnden Wirbel, und die Buntgefleckte
-stand wieder am alten Platze, als sei nichts geschehen.</p>
-
-<p>Im November, als im Bergwald der Brunftschrei des Rothirsches verhallt
-war, kam ihr die Wanderlust ins Blut, und eine geheimnisvolle
-Macht trieb sie talauf in junge Gewässer. Ein Wandergespan gesellte
-sich zu ihr, der der gleichen Naturstimme folgte und bachauf zog. Es
-war ein glatter Forellenkavalier. Er umschwärmte und umwarb sie.
-Da merkte die Bergbachkönigin, daß sie verliebt war. Und sie verlebten
-heimliche Liebesnächte unter Steinen und in Uferhöhlen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In einer schwarzen Nacht stand sie allein im ruhigen Wasser, verlassen<span class="pagenum" id="Seite_104">[104]</span>
-von ihrem Galan. Über dem Bergwald wälzten sich Schneewolken.
-Da irrte ein Lichtschimmer am Bach herauf. Die Bergbachkönigin
-hielt neugierig still. Sie sah nicht die finsteren Schleichgestalten hinter
-dem Licht, ahnte nicht ihr Verhängnis.</p>
-
-<p>Ein Stich fuhr ihr schneidend in den Rücken. Ihr Leib krümmte sich,
-mit letzter Kraft schlug der Schwanz. Sie wollte fliehen. Aber zu
-fest saß die Gabel des Wildfischers&nbsp;…</p>
-
-<p>Der hob die Zappelnde heraus. Ihr Krönlein fiel klingend ins Wasser.
-Die Bergbachkönigin war Fischfleisch in roher Hand.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-104">
- <img class="w100" src="images/illu-104.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_105">[105]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-105">
- <img class="w100" src="images/illu-105.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Herrgottsplaetzlein">Herrgottsplätzlein</h2>
-</div>
-
-<p>Es gibt stille Gründe im Bergwald, die sich der Herrgott als Lieblingsplätzchen
-zum Rasthalten ausgesucht hat. Die Vögel dort singen viel<span class="pagenum" id="Seite_106">[106]</span>
-heimlicher. Die Quellen schwätzen leiser als anderswo. Der Wind
-überm Wald verhält dort den Atem.</p>
-
-<p>Ein Menschenkind mit einem Gottsucherherzen fühlt solche Herrgottsplätze.
-Wenn aber einer, der kein Gottsucherherz hat, an solchen
-Ort kommt, den zupfen Englein leis am Rockzipfel, daß er nicht vorübergehen
-möchte. Manch einer hört auf die stillen Mahner und hat
-in der Andacht des Waldes den Herrgott gefunden. Mehr aber gehen
-vorüber. Für sie ist der Wald Holz. Ihr Herz ist nichts anderes.</p>
-
-<p>Es gibt viele Herrgottsplätzlein im Harzheimatland. Aber eins weiß
-ich, das ist das schönste von allen.</p>
-
-<p>Kennt ihr den Waldteich im Tale Irgendwo?</p>
-
-<p>Eigentlich ist’s nur ein Tümpelchen, der Rest von einem Teich, dem
-man vor hundert Jahren oder mehr den Damm durchstach. Wenn
-der Eisvogel, der an seinen Ufern nach Elritzen und Forellen fischt,
-fünfzehn, zwanzig Flügelschläge tut, ist er drüber hinweg. Größer ist
-das Waldteichlein nicht. Braucht’s auch nicht zu sein, denn seine
-Kleinheit gehört zu seinem heimlichen Zauber. Fichten haben es mit
-Grün umsponnen und haben sich so dicht herzugedrängt, daß kaum ein
-Streifen Rasen übrigblieb für ein paar Fingerhüte und Erdbeeren.
-So wurde aus dem Teich ein weltvergessenes Waldmärchen. Ein
-grünlockiges Dornröschen, das mit offenem Träumerauge einen tiefen,
-süßen Schlaf schläft in den Armen des Waldes. Es wird kein Märchenprinz
-kommen, es aufzuwecken. Es wird erst aufwachen, wenn der Förster
-die Fichten ringsum mit seinem Messer anritzt und hinterher Holzhauersägen
-und -äxte die Waldstille verjagen. Dann ist’s aus mit der
-Märchenherrlichkeit. Wald-Dornröschen verliert sein Krönlein und<span class="pagenum" id="Seite_107">[107]</span>
-flieht und kommt nicht eher zurück, bis neuer Wald wachsen will. &ndash;
-Aber noch steht ja der alte. Wenn über Mittag ein Weilchen die
-Sonne über seine Wipfel lugt, küßt sie heimlich den Waldteich. Sie
-guckt nur mit einem Auge ins Waldtal hinab, als ob sie die grüne
-Dämmerung im Dornröschenstübchen nicht fortschrecken wolle. Das
-Waldteichlein merkt das, fühlt auch den heimlichen Kuß und lächelt.
-Wenn aber Schatten über dem Tal lagern und nur an den Gipfelquirlen
-der Fichten noch Sonnengold flackert, wird das Lächeln des
-Teiches zu Sehnsucht. Und nachts, wenn Sterne in ihm ihre Zeit
-verträumen, wird sein Auge ein tiefgründiges Rätsel.</p>
-
-<p>Es ist ein großes Schweigen um den Waldteich herum. Sein Leben
-ist still wie Wasserspinnenspiel und wie das Leuchten der Wasserhahnenfußblüten
-auf seinem Spiegel.</p>
-
-<p>Er weiß nichts vom Lärm jenseits der Wälder. Hast und Unrast von da
-draußen drangen nie hinab in den Einsiedlerfrieden seiner verlassenen
-Schlucht. Er hört nur das Fichtenrauschen über ihm, das leise Sirren im
-Schilf, das Wehen in Lattichblättern. Und in stillen Nächten, wenn von
-den Bäumen rings klingende Tauperlen in den Teich tropfen und das
-Reh heimlich zur Tränke wechselt, hält er verschwiegene Zwiesprache mit
-dem Quellchen, das ihm unter Kresse und Baldrian seine Wasser zuführt.
-Zeisig und Goldhähnchen singen ihm stille Morgenlieder, und
-abends, wenn warmer Waldwind durch den Talgrund weht und die
-Drossel schlafen ging, läuten die Unken mit silbernen Glocken.</p>
-
-<p>Hast du einmal in stiller Waldnacht gelauscht, wenn geheimnisvoll
-aus dem Dunkel die feinen, ein wenig stumpf gestimmten Silberglocken
-zu läuten beginnen? Es vergeht dir der Atem vor Freude!</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_108">[108]</span></p>
-
-<p>Klünk &ndash; klunk &ndash; klunk &ndash; klünk &ndash; unk &ndash; klunk &ndash; klünk&nbsp;&ndash;.</p>
-
-<p>Ein Glöcklein beginnt, zaghaft, lockend. Eins antwortet, viele folgen,
-und bald läutet es in zauberischem Chor.</p>
-
-<p>Das ist das Ave des Waldteichleins, wo der Herrgott am liebsten
-Rast hält.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Warum denke ich oft an dich, du Teich im Waldesgrunde?</p>
-
-<p>Wenn doch des Menschen Seele ein so friedlich Ding wäre wie du!
-Voll Ruhe und voll Träumen, klar, rein, wunschlos. Und wenn jede
-in Feierstunden ihr heimliches Silbergeläut hätte!</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[109]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-109">
- <img class="w100" src="images/illu-109.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Alte_Steinbruecken">Alte Steinbrücken</h2>
-</div>
-
-<p>Geht mir doch fort mit <em class="antiqua">T</em>-Trägern und Betonkleisterei!</p>
-
-<p>Baut eure Betonbrücken über Kanäle, wo sie als Kunsterzeugnis zum
-Kunsterzeugnis taugen. Sooft ihr aber eine Betonbrücke über einen<span class="pagenum" id="Seite_110">[110]</span>
-Harzbach legt, möge euch das schlechte Gewissen zwacken, ihr Gotteslästerer
-und Naturverschandeler! Könnt ihr euch zu einem Bergwasser
-voll Leben einen betrüblicheren Gegensatz denken als solchen langweiligen
-Betonbatzen?</p>
-
-<p>Seht euch die Steinbrücken der Alten an.</p>
-
-<p>Es schmiegt sich alles in die Umgebung hinein. Die Brücke wächst
-aus dem Bach heraus. Das Steingebröckel des Flußbettes ist zu
-einem Bogen gebändigt. Ist kein Stein darin frisiert und mathematisch
-zurechtgestutzt. Die Vielfältigkeit des Baches lebt lustig in
-der Brücke weiter. Sie ist ein Teil von ihm geworden. Es ist nichts
-Fremdes, Störendes, Langweiliges in die Landschaft gekommen.
-Alles ist so einfach und kunstlos, und doch sind diese Steinbrücken
-Kunstwerke und Meisterstücke der Alten&nbsp;…</p>
-
-<p>Heute bauen sie Betonbrücken. Beton ist billiger, geht schneller und erfüllt
-denselben Zweck. Zivilisation hat viel Kultur erdrosselt. Was
-wissen Pfennigfuchser und Bürokraten von dem goldenen Gesetz des
-Handwerks, das neben dem Zweckmäßigen das Bodenständige, Echte
-und Schöne fordert!</p>
-
-<p>Das Schöne&nbsp;…</p>
-
-<p>Du lieber Gott, schicke doch endlich deinen Geist hernieder. Gib den
-Berufenen Einsicht und ein wenig Sinn für die Schönheit des Harzheimatlandes.
-Laß sie die Bergbäche, &ndash; deine lustigen Kinder! &ndash; nicht
-mit Betonklötzen verschandeln. Tue ein Wunder, und laß alle Zementsäcke,
-die sie an ein Harzbächlein schleppen, steinhart und unbrauchbar
-werden. Schlag alle Betonbrücken zusammen!</p>
-
-<p>Die steinernen aber behüte noch tausend Jahr.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[111]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-111">
- <img class="w100" src="images/illu-111.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Die_braune_Einsamkeit">Die braune Einsamkeit</h2>
-</div>
-
-<p>Sieben Monde beißt sich der Hochharzwinter da oben fest. In dreien
-führen Regen, Nebel und Wind die Herrschaft. Was überbleibt vom
-Lauf des Jahres, ist nicht immer Sonnenschein und Wärme.</p>
-
-<p>So ist das Gesicht des Moores ernst geworden. In Not und Bedrängnis
-hat es das Freuen verlernt. Wenn es lächeln will, wird nicht mehr
-daraus wie ein müdes, verschüchtertes Augenblinzeln. Die lichte Unendlichkeit
-des Himmels über ihm ist Schwermut. Seine Bläue<span class="pagenum" id="Seite_112">[112]</span>
-stirbt in schwarzen Wasserlöchern. Zwischen Fichten und Sümpfen
-hockt die Einsamkeit. Hier oben ist ihr Antlitz ein anderes als in
-den Quellengründen des Bergwaldes. Stille wird zur Melancholie,
-Schweigen zum Schauern.</p>
-
-<p>Dieses Grauen der Öde scheucht die Menschen zurück. Das Moor
-hat wenig Freunde. Der Weidmann pirscht dem Rotwild nach. Auf
-heimlichen Wechseln schleicht der Wilderer durch Bruch und Dickicht.
-Wenn die Heidelbeeren blau werden, ist die Gimpelbrut flügge. Dann
-kommt mit den Beerengängern der Vogelsteller herauf. Manchmal
-verliert sich ein Waldläufer nach hier, dem es auf geraden Wanderpfaden
-zu langweilig ist. Aussichtspunktmenschen und Modewanderer
-holen sich nasse Füße und bleiben fort. Gott sei Dank. Ihnen geht
-der Zauber dieser Urwelt nicht auf. Die melancholische Großartigkeit
-der Öde ist nichts für Salonseelchen.</p>
-
-<p>Es ist kein ausgelassener Farbenjauchzer im Moor. Jeder Ton der
-braunen Einsamkeit wirkt herb wie der Geruch, der rings aus Torfmoospolstern
-dampft. Selbst wenn die Heide blüht, ist’s nur wie verzagtes
-Leuchtenwollen, Fröhlichseinwollen, das sich nicht durchringt
-zu befreiender Herzhaftigkeit. Die Seidenköpfe des Wollgrases nicken
-im Winde: spar die Müh, spar die Müh! Und auch wenn der Herbst
-Birkengold und Quitschenkarmin über das Moor flackern läßt und
-im Heidelbeerkraut ein Gesprühe von Gelb und Rot und Lichtgrün
-entzündet, zur erlösenden Freude wirds nicht: Das Moor kann nicht
-lächeln.</p>
-
-<p>Still wie die Farben ist das Leben im Moor. Es ist, als ob auf
-allen Vogelstimmen die Schwermut der Öde lastet. Da ist kein<span class="pagenum" id="Seite_113">[113]</span>
-Jubeln und lustiges Geschwatze. Sie würden die Harmonie der Einsamkeit
-stören. Der Herrgott läßt nichts aus dem Rahmen fallen.
-Zur Blütenpracht des Apfelbaums paßt Stieglitzengeflister. Hier
-oben ist kein Platz für Flitter und Firlefanz. Der Zippe Lied ist auf
-Moll gestimmt. Melancholisch flötet der Dompfaff. Und wenn der
-Baumpieper singt, ist’s immer die gleiche verhaltene Weise. Unvermittelt
-bricht sie ab. Der Sänger wagt es nicht, sein Herz auszujubeln.
-Etwas Unerlöstes ist über allem im Moor, Leidvolles, Entsagendes.
-Aber alles gehört ins Bild hinein.</p>
-
-<div class="figright illowp30" id="illu-113">
- <img class="w100" src="images/illu-113.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Das Krüglein Freude, das ihm beschieden ward, ist nur bescheiden.
-Und was der Herrgott ihm an Schönheit mitgab, ist still und unaufdringlich.
-Es muß sie einer suchen. Wenn aber ein rechter Waldläufer
-kommt, der Auge und Ohr auftut und sein Herz mit hinausnimmt
-und ein Feinschmecker ist im Naturgenießen, der wird in der
-Armseligkeit des Moores viel von diesem heimlichen Reichtum finden.
-Ihm wird das Rosenglockengeläut der Moosbeere zum Erlebnis.
-Zwergbirke und Brockenmyrte sind
-ihm Entdeckungen, zu denen er sich
-entzückt niederbeugt. Im Moorwasser
-wandelt sich Himmelsblau
-zu einem Braunviolett voll feiner
-Farbigkeit. Alles ist von eigener Art
-und eigenem Klang. Das große
-Schweigen wird der Offenbarungen
-voll. Des Herrgotts verschwiegenste
-Wunder sind die köstlichsten.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_114">[114]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-114">
- <img class="w100" src="images/illu-114.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Bruchbergwinter">Bruchbergwinter</h2>
-</div>
-
-<p>Du bist ewig schön, mein Bruchberg!</p>
-
-<p>Stürme umtoben dich. Zyklone wollen deine Forsten zerknittern. Du
-trotzt ihnen mit der Ruhe des Titanen. Und mit immer gleicher Gelassenheit
-schaust du hernieder ins Harzheimatland.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[115]</span></p>
-
-<p>Schön bist du, wenn der Lenzwind durch deine Wildnis harft, im fahlen
-Morgengrauen der Auerhahn seinen Liebesruf über das Hochmoor
-schickt und zwischen Wipfelrauschen und Schneewassergeriesel irgendwo
-die Zippe ihr Frühlingslied flötet.</p>
-
-<p>Schön bist du, wenn über deinem Wäldermeer flimmernde Sommerluft
-zittert und blau, endlos blau die Fernen zu deinen Füßen liegen.
-Würzdüfte atmen durch das Gehölz. Deine Fichtenhallen sind voll
-Finkenschlag. Und draußen am Moor, wo rosenfarbene Knabenkräuter
-im Torfmoos blühen, singt sich der Baumpieper sein Sommerglück
-vom Herzen. In heimlichen Gründen hütet das Alttier sein Kalb.
-Fingerhut läßt Purpurglocken über die Waldblößen leuchten, und
-zwischen Wald und Weite schwebt gelassenen Fluges der Habicht. Wie
-liebe ich deine Sommertage voll Blau und Grün!</p>
-
-<p>Und schön bist du, wenn Herbstnebel dich mit Dampf umhüllen und
-deine Fichten und Felsen sich wie Riesen in graue Wolken recken; wenn
-Borstengras und Quitsche sich herbstlich färben und in reiffrostigen
-Oktobernächten Hirschschrei durch Hai und Hochwald hallt.</p>
-
-<p>Aber am schönsten bist du doch, wenn dich Schnee und Rauhreif
-eingesponnen haben. Dann bist du ein Gottestempel geworden. Ein
-Märchenland voll Schönheit ohnegleichen hat in dir sich aufgetan.
-Schneefahrt durch deine Hänge ist Andacht.</p>
-
-<p>Wie groß und herrlich ist die Stille, die in der Wintereinsamkeit deiner
-verschneiten Höhe träumt! Alles Laute ist dir fremd. Du bist schweigsam,
-wie alles Ewige stille ist. Dein Antlitz ist voll Ernst und voll
-herber Melancholie. Das Dunkel deiner Wälder kann sich lastend auf
-die Seele legen. Aber der Winter breitet über das Düster eine lichte<span class="pagenum" id="Seite_116">[116]</span>
-Verklärung. Das bang Bedrückende weicht. Deine Ruhe wird Wohltat,
-Gottesfriede.</p>
-
-<p>Wie köstlich fern liegt das Leben!</p>
-
-<p>Tief unten verdämmert die Welt in silbernem Duft. Was in der Tiefe
-den Alltag bewegt, nichts von allem dringt hinauf in den Frieden
-dieser weißen Einsamkeit, in der der Herrgott wohnt.</p>
-
-<p>Des Bergwalds Leben ist zur Ruhe gegangen. Das Hochwild wechselte
-zu Tal. Wenn nicht eine Marderfährte durch den Schnee tupfte und
-da und dort das Geläuf der Auerhenne, es könnte scheinen, als sei
-alles Geschöpf hier oben gestorben.</p>
-
-<p>Die Fichten schlafen. Das Goldhähnchen im Geäst wagt nur ein
-leises, leises Silbersingen, daß es ihre Ruhe nicht störe. Ihr Schlaf
-ist tief und fest. Sie beugen sich unter schwerer Bürde und stehen da
-wie betende Büßer, die schicksalsergeben auf Erlösung harren. Wie
-nickende Träumer, die von Lenz und Drosselflöten träumen.</p>
-
-<p>Es ist eine große Stille im Wald.</p>
-
-<p>Manchmal rüttelt ein Windstoß an den Wipfeln. Dann rauscht es
-über die Bäume hin wie klagendes Sehnen: Wann kommst Du
-wieder, schöner Frühling? … Es verklingt mit einem leidvollen
-Mollakkord, leise, schmerzlich, und wieder schläft der Wald.</p>
-
-<p>Sein Schlafgewand ist weiß und rein. Jedes Fichtennädelchen, jedes
-Rindengeschuppe und Flechtengekräusel ist mit Glitzersternchen umsponnen.
-Es geht ein heimliches Flimmern durch den Wald, das seinen
-Ernst lichter macht. Aber nirgends ist eine aufdringliche Helle. Wie
-in einem Dom ist’s. Er baut sich auf aus Silber und Marmor. Durch
-grünviolette Scheiben fließt zartfarbenes Dämmerlicht in seine<span class="pagenum" id="Seite_117">[117]</span>
-Säulenhallen. Wenn die Sonne hineinschaut, sprüht in Smaragden
-und Rubinen ein Festgeleucht. Dann ist Feiertag im Dom. Alle Kerzen
-sind angezündet. Der Wald betet.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-117">
- <img class="w100" src="images/illu-117.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Bleibe stehen, o Wanderer, und bete mit. Verhalte den Atem, daß
-du die Andacht nicht störst. Laß deine Schneeschuhe langsam gleiten,
-daß ihr Knirschen nicht die Stille zerreißt.</p>
-
-<p>Fühlst du das Pochen des Blutes in der Brust?</p>
-
-<p>Bleibe stehen. Und so du ein Gottsucher bist, wird dir der Wald von
-silbernen Altären herab eine Bergpredigt halten, die du nicht vergißt.<span class="pagenum" id="Seite_118">[118]</span>
-Harre aus bis zum feierlichen Amen. Dann wirst du beglückt von
-dannen ziehen. Und wirst die Fäuste ballen, wenn Johler und Schreier
-vorüberfahren, die mit ihrem Lärm den Gottesfrieden schänden.</p>
-
-<p>Aber laß die Horden.</p>
-
-<p>Wem <em class="gesperrt">dieser</em> Wald nicht die Lippen stumm und die Augen weit macht,
-der sei dir zu erbärmlich.</p>
-
-<p>Laß sie, und fahre aus dem Kirchendämmer des Gehölzes hinaus und
-hinauf aufs freie Moor. Über dir wölbt sich Berghimmelunendlichkeit.
-Bäume und Bäumchen sind zu Boden gedrückt. Rauhreif
-hat sie verhext. Buckelige Kobolde hocken da. Es schnarchen
-ungeschlachte Riesen, kauern schlafende Moorhexen, schlummern
-vermummelte Prinzen und Prinzessinnen. Feuersprühende Drachen
-schnauben, greuliche Saurier recken sich, &ndash; Gott sei Dank, daß sie starr
-wurden, just als sie zum Sprung ausholten.</p>
-
-<p>Wenn du Märchenaugen hast und zu glücklicher Stunde hier oben
-weilst, wird dir auch die Bruchbergkönigin erscheinen. Sie kommt auf
-einem weißen Hirsch aus dem Walde hergeritten. Über ihren Schultern
-hängt kostbarer Hermelin. Ein silbernes Krönlein strahlt auf ihrem
-Blondgelock. Sie reitet schweigend über das Moor. Die Bäume
-neigen sich vor ihr. Sie nickt ihnen einen milden Gruß zu. In ihren
-Blauaugen spiegelt sich die weiße Welt.</p>
-
-<p>Nun ist sie vorbei. Du stehst noch und starrst und hältst den Atem an,
-möchtest vor ihrer Schönheit in die Knie sinken, ihr die Hände küssen
-oder gar den Mund, und denkst an den Edelknaben und Schön-Rohtraut
-oder an Tom, den Reimer … Aber sie ist längst vorbei. Du suchst
-ihre Spur vergebens. Doch du merkst, daß sie dich verzaubert hat.<span class="pagenum" id="Seite_119">[119]</span>
-Heimliche Sehnsucht bleibt in dir brennen. Ewig wirds dich zurückziehen
-in das Reich der schönen Königinne.</p>
-
-<p>Die Sonne will versinken. Ihr letztes Leuchten streift über die Kämme
-der Berge. Es malt strahlende Säume um die Fichten, taucht die
-Wanderer ein in tiefes Orange und überzieht den Brocken drüben
-mit rotem Gold. Jedes Vorwärtsgleiten der Schneeschuhe ist funkelndes
-Gesprühe.</p>
-
-<p>Nun ist der Sonne Gutenachtkuß verhaucht. In den Fenstern des
-Brockenhauses verlischt ein müdes Blinzeln. Dann ist auch für die
-Höhen die blaue Stunde gekommen, die Wälder und Täler längst
-erfüllte. Himmel und Schnee werden eins. Es ist Zeit, zur Hütte heimzukehren.
-Um die Dämmerstunde wachen die Berggespenster auf. Lebe
-wohl, du schöner Wald!</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[120]</span></p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-120">
- <img class="w100" src="images/illu-120.jpg" alt="" />
-</div>
-<h2 class="nobreak" id="Die_Skihuette">Die Skihütte</h2>
-</div>
-
-<p>Sie liegt verschlafen im Bergwald.</p>
-
-<p>Es ist nur eine kleine Gemeinde, die den verlorenen Pirschsteig zu
-ihr zu finden weiß. Im Sommer kommen ein paar Holzhauer hinauf.
-Sie bleiben nicht lange. Ein paar Tage weht das blaue, fichtennadelduftende
-Rauchfähnlein ihres Lagerfeuers um die Hütte. Dann
-ziehen sie wieder hinab. Und manchmal kehrt zu kurzer Rast der<span class="pagenum" id="Seite_121">[121]</span>
-Förster bei ihr ein. Stille Gäste, die vom Bergwald das Schweigen
-lernten wie die Hütte selbst.</p>
-
-<p>Sie hat keinen großen Namen. Und das ist gut. Ihr Zauber ist ihre
-Verborgenheit, ihre Schönheit die Einsamkeit. Der Bergwald umschmiegt
-sie mit Dunkel und hütet sie wie ein Berggeheimnis. Sie ist
-mit ihm verwachsen. Sie lebt sein verschwiegenes Leben mit ihm
-und kennt alle seine heimlichen Regungen.</p>
-
-<p>Mit leisem Tritt umschleicht der Marder ihr Gemäuer. Im Holze
-bellt der Fuchs. Waldmäuslein rascheln im Grase: die Hütte vernimmts.
-Sie hört der Zippe schwermütige Melodien, den Lockruf
-des Schwarzspechtes, des Auerhahns klatschenden Flügelschlag. Fink
-und Meise und Goldhähnchen halten gute Nachbarschaft mit ihr.
-Und wenn die Quitschen vor ihrer Tür zu leuchtenden Korallen werden,
-kommen Krammetsvogel, Weindrossel und Dompfaff zu festlichem
-Schmaus. Dann wird’s Herbst. Der Wind im Wald singt in rauheren
-Tönen. Schneegänse ziehen über die Höhe. Im Forste schreit der
-Hirsch. Wenn er Winter wittert, führt er sein Rudel talab. Dann
-wird’s still um die Hütte. Die Fichten triefen von Regen und Nebel.
-Die Flechtenbärte an den Zweigen und Stämmen hängen in trübseligen
-Strähnen herab. Und trübselig guckt die Hütte drein. Über
-den Wald hin braust das Sturmlied des Windes. Wenn er es zu
-arg meint, rackelt es unwirsch an den Fensterläden der Hütte. Sie
-gähnt und träumt von warmen Sommernächten und Eulenruf und
-Unkenläuten im Wald.</p>
-
-<p>Wenn die weißen Flocken vom Himmel wirbeln, geht ein heimlicher
-Zauberer durch den Bergwald. Der hat seinen Zauberstab auch über<span class="pagenum" id="Seite_122">[122]</span>
-das Hüttlein geschwungen. Alle Traurigkeit ist aus seinem Gesicht
-geflohen. Wie freundlich es dreinschaut! Flugs hat es das schwarze
-Teerdach mit einer Glitzerdecke zugedeckt. Der Schornstein bekommt
-eine frischgeweißte Halskrause und das Blechdeckelchen auf dem Rauchrohr
-ein blitzsauberes Hütchen. Auf jede Türangel, jeden Balkenvorsprung
-wird ein Häuflein Schnee gestreut. Die Hütte versteht es, sich
-festlich zu schmücken. Sie will dem Bergwald nicht nachstehen. Sie
-hat frohen Besuch zu erwarten. Die Skiläufer kommen. Ihnen zu Ehren
-muß alles wohl gerüstet sein. Schnell wird noch der Hexenmeister
-Wind bestellt. Er pustet mit säuberlichem Gewehe einen strahlenden
-Marmorhof um die Hütte. Nun ist alles wohlbereit und zum Empfang
-hergerichtet.</p>
-
-<p>Die Gäste mit den langen Brettern lassen nicht lange auf sich warten.
-Kommt nicht dort vom Fichtenhang schon der erste her?</p>
-
-<p>Ein Einsamer ist’s. Mit schönem Schwung hält er vor der Hütte. Er
-schnallt die Bretter ab und steckt den Hüttenschlüssel in das rostige
-Schloß. Das Knarren des Riegels scheint ihm Musik zu sein. Er
-lächelt. &ndash; Durch die offene Tür fällt blendende Helle in die dunkle
-Heimlichkeit des Hüttenraums. Das Hüttenmäuslein fährt erschreckt
-zusammen und weiß vor Entsetzen nicht, wohin es soll. Der einsame
-Skiläufer tritt den Schnee von seinen Füßen. Die Hütte gibt das
-Echo seiner Tritte zurück. Das ist ihr Willkommengruß. Er wirft
-den Rucksack ab und stößt die Fensterläden auf.</p>
-
-<p>Wie stille ist der weiße Wald, wie stille die Hütte! Und diese große
-Stille rings wirkt wie eine erlösende Entspannung auf den Hüttengast.
-Er setzt sich, muß ein Weilchen die Augen schließen. Und wieder<span class="pagenum" id="Seite_123">[123]</span>
-lächelt in seinem Gesicht ein Glück. Wie bei einem, der nach Hast
-und Unrast den Frieden gefunden hat, den ihm der Alltag nicht gab.
-In der Hütte fand schon mancher seinen Frieden.</p>
-
-<p>Nun prasselt es lustig im Hüttenofen. Im Topfe brodelt Schneewasser.
-Das Hüttenbrünnlein schläft unter Eis und Schnee. Teeduft
-weht über das flackernde Talglicht hin und mischt sich mit blauen
-Tabakwölkchen. Die Hütte beherbergt einen frohen Menschen. Er
-reckt sich in behaglicher Ungebundenheit, qualmt sein Pfeifchen und
-träumt. Wo träumt sich’s schöner als hier? Und wo läßt sich’s besser
-schlafen als nachher auf harter Hüttenpritsche!</p>
-
-<p>Gemach verlöscht das Feuer im Ofen. Verglühende Scheite bersten.
-Das Hüttenmäuslein wagt sich wieder hervor. Warmgewordene
-Balken knacken. Von draußen klingt wie fernes, leises Rauschen das
-Lied des Windes überm Wald&nbsp;…</p>
-
-<div class="figcenter illowp30" id="illu-123">
- <img class="w100" src="images/illu-123.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-
-<p class="center">Druck F. A. Lattmann <img src="images/illu-124.jpg" alt="Signet" /> in Goslar am Harz</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Weitere von Reinecke-Altenau geschmückte Bücher unseres Verlages:</p>
-</div>
-
-<p class="h2">Vom grünen Rauschen</p>
-
-<p class="center larger">Ein Buch vom Oberharz</p>
-
-<p class="center">von Bernh. Flemes</p>
-
-<p class="center">mit Zeichnungen von Reinecke-Altenau</p>
-
-<p class="center smaller">Preis karton. 1.50 M., gebd. 2 M.</p>
-
-<div class="blockquot">
-<p class="noind">Ein wahrhaft deutsches Buch, das in seiner Art nicht seinesgleichen hat. Ein echter Poet
-hat in diesem feinsinnigen Wandernotizbuch das Wesen des Oberharzes dargestellt. Dem
-Dichter, der Verborgenes und Wesentliches zart und fest umspannt, gesellt sich der gleichgesinnte
-hannoversche Künstler Reinecke-Altenau prächtig ergänzend bei mit seinen der
-Natur abgelauschten Stimmungsbildern, die in ihrer Echtheit den Harzcharakter wiedergeben,
-wie er sich in den Dichtungen offenbart. So entstand ein bisher nicht dagewesenes
-Buch vom Oberharz, reich an Empfinden und Schönheit.</p>
-</div>
-
-<p class="h2 p2">Strom und Hügel</p>
-
-<p class="center larger">Ein Buch vom Weserbergland</p>
-
-<p class="center">von Bernh. Flemes</p>
-
-<p class="center">mit Zeichnungen von Reinecke-Altenau</p>
-
-<p class="center smaller">Preis karton. 2 M., gebd. 2.75 M.</p>
-
-<div class="blockquot">
-<p class="noind">Das Weserbergland mit seinem Formenreichtum der Höhen und Täler, seinen köstlichen
-Baudenkmälern in Städten und Flecken ist wenigen Kennern nur vertraut. Unter ihnen
-steht der Verfasser unsres neuen Buches, der auch der Autor des erfolgreichen Oberharzbuches
-»Vom grünen Rauschen« ist, an erster Stelle. Er hat sein Heimatland in vielen
-Jahren bis in die letzten Winkel durchwandert; er hat die Gabe des besonderen, nur
-ihm eigenen Ausdrucks für diese seine Heimatliebe, für die besondere Seele dieser
-Landschaft. Der hannoversche Künstler Reinecke-Altenau erweist sich hier wiederum
-als ein guter Geselle des Dichters, indem er in feinsinniger Weise dessen Werk ergänzt.</p>
-</div>
-
-<p class="center larger p2">Verlag F. A. Lattmann, Goslar am Harz</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter transnote" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung
-der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p>
-</div>
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HARZHEIMAT ***</div>
-<div style='text-align:left'>
-
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-Updated editions will replace the previous one&#8212;the old editions will
-be renamed.
-</div>
-
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-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
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-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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-</div>
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-</div>
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--- a/old/65600-h/images/illu-105.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-109.jpg b/old/65600-h/images/illu-109.jpg
deleted file mode 100644
index 1396881..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-109.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-111.jpg b/old/65600-h/images/illu-111.jpg
deleted file mode 100644
index 6f5d970..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-111.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-113.jpg b/old/65600-h/images/illu-113.jpg
deleted file mode 100644
index aee1077..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-113.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-114.jpg b/old/65600-h/images/illu-114.jpg
deleted file mode 100644
index c3867d0..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-114.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-117.jpg b/old/65600-h/images/illu-117.jpg
deleted file mode 100644
index 34a0e95..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-117.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-120.jpg b/old/65600-h/images/illu-120.jpg
deleted file mode 100644
index b23efcf..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-120.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-123.jpg b/old/65600-h/images/illu-123.jpg
deleted file mode 100644
index fb94208..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-123.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/65600-h/images/illu-124.jpg b/old/65600-h/images/illu-124.jpg
deleted file mode 100644
index ddc5bfd..0000000
--- a/old/65600-h/images/illu-124.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ